Hagiographie im Kontext: Schreibanlaß und Funktion von Bischofsviten aus dem 11. und vom Anfang des 12. Jahrhunderts [Reprint 2017 ed.] 9783110901436, 9783110148251


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German Pages 215 [216] Year 1996

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VORWORT
INHALT
I. EINLEITUNG
II. DIE VITA BURCHARDI — EINE PARÄNESE FÜR DIE KANONIKER VON WORMS
III. DIE VITA GODEHARDI PRIOR - EINE RECHTFERTIGUNGSSCHRIFT
IV. DIE VITA GODEHARDI POSTERIOR — EINE PARÄNESE FÜR HEZILO VON HILDESHEIM
V. DIE VITA HERIBERTI — IM DIENSTE DES KÖLNER PRESTIGE
VI. DIE VITA BARDONIS AUCTORE VULCULDO - IM DIENSTE DES MAINZER PRESTIGE
VII. DIE VITA BARDONIS MAIOR - EINE FULDAER GEGENDARSTELLUNG
VIII. DIE VITA ALTMANNI - EINE PARÄNESE FÜR REGINBERT VON PASSAU
IX. DIE VITA ANNONIS — EINE RECHTFERTIGUNGSSCHRIFT
X. SCHLUSS
XI. QUELLEN UND LITERATUR
PERSONENREGISTER
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Hagiographie im Kontext: Schreibanlaß und Funktion von Bischofsviten aus dem 11. und vom Anfang des 12. Jahrhunderts [Reprint 2017 ed.]
 9783110901436, 9783110148251

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ARBEITEN ZUR FRÜHMITTELALTERFORSCHUNG

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M B H Q

ARBEITEN ZUR FRÜHMITTELALTERFORSCHUNG

Schriftenreihe des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster Namens der Direktoren des Instituts in Zusammenarbeit mit den Mitherausgebern des Jahrbuchs 'Frühmittelalterliche Studien' herausgegeben von HAGEN KELLER

24. BAND

W G DE

1997

WALTER DE G R U Y T E R • BERLIN • N E W YORK

HAGIOGRAPHIE IM KONTEXT Schreibanlaß und Funktion von Bischofsviten aus dem 11. und vom Anfang des 12. Jahrhunderts

STEPHANIE COUÉ

W G DE

1997

WALTER DE GRUYTER • BERLIN • NEW YORK

Institut für Frühmittelalterforschung der Universität Münster Salzstraße 41 D - 4 8 1 4 3 Münster Direktoren: Arnold Angenendt • Volker Honemann • Albrecht Jockenhövel • Hagen Keller

Die Deutsche Bibliothek - ClP-Einheitsaufiiahme Coué, Stephanie: Hagiographie im Kontext : Schreibanlass und Funktion von Bischofsviten aus dem 11. und vom Anfang des 12. Jahrhunderts / von Stephanie Coué. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1997 (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung ; Bd. 24) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1988 ISBN 3-11-014825-0 NE: GT

© Copyright 1996 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin

Unseren Kindern Amélie, François, Vincent, Claire

VORWORT Diese Arbeit wurde im Dezember 1988 als Dissertation an der Albert-LudwigsUniversität in Freiburg i.Br. angenommen. Die finanzielle Unterstützung der Graduiertenförderung ermöglichte ihre Durchführung. Viele Anregungen verdanke ich Herrn Professor Gerd Althoff, der meine Arbeit stets mit Interesse verfolgte und es verstand, mir seine Freude an dieser eher "dunklen Epoche" der Geschichte zu vermitteln. Herr Althoff ermöglichte auch meine Mitarbeit am Sonderforschungsbereich "Träger, Felder, Formen pragmatischer Schriftlichkeit im Mittelalter" in Münster. So konnten die Ideen dieser Arbeit weitergedacht, präzisiert und an weiteren Texten überprüft werden. Für die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe "Arbeiten zu Frühmittelalterforschung" sei Herrn Professor Hagen Keller gedankt.

Straßburg, im Juli 1992

Stephanie Coue

INHALT I. Einleitung

1

1. Der Befund: Heiligenviten wurden aus konkreten Anlässen geschrieben 1 2. Forschungsüberblick 2 Der Platz der Hagiographie in der französischen Forschung 3 Der Platz der Hagiographie in der deutschen Forschung 4 Zur Motivforschung 4 Zur Mentalitätsgeschichte 5 Zu Funktion und Intention der Heiligenviten 5 Forschungen zur mittelalterlichen Historiographie 6 Wichtige Einzeluntersuchungen 7 3. Zum Text- und Geschichtsverständnis im Mittelalter 8 Die Ergebnisse der Literaturgeschichte 8 Topoi 8 Compilatio 10 Allegorie und Typologie 10 Symbolik und Analogie 11 Das Exemplum 12 Zum instrumentellen Charakter der Geschichte 17 Zum Verhältnis Hagiographie, Historiographie, Kult 18 4. Die Methode: textimmanente Analyse und Rekonstruktion des historischen Kontexts der Textentstehung 23

II. Die Vita Burchardi - eine Paränese für die Kanoniker von Worms

26

Prolog und Motto der Vita 26 Inhalt der Vita 28 Die Bedeutung von "frater" und "canonicus" 30 Weisungen und Exempla und ihr Bezug zur direkten Rede 32 Weltverachtung 36 Zum Autor der Vita 38 Zum geschichtlichen Wirken Bischof Burchards von Worms 39

III. Die Vita Godehardi prior - eine Rechtfertigungsschrift

41

Zu den Personen Bischof Godehards von Hildesheim und seines Biographen Wolfhere 41 Kurzer Vergleich der beiden Godehardsviten 42 Zur Bedeutung des Gandersheimer Streites in der Vita prior 43 Zum Adressaten der Vita prior, dem Kloster Niederaltaich 55 Zum Abfassungsdatum der Vita 56 Bischof Godehards Weltverachtung 57 Das Gehorsamsmotiv 58 Die Aribonen - Kontrahenten Bischof Godehards in Niederaltaich und in Gandersheim 60

X

Inhalt

IV. Die Vita Godehardi posterior - eine Paränese

62

Zum Abfassungsdatum der Vita posterior 62 Zu Aufbau und Inhalt der Vita posterior 64 Die Exempel - eine Besonderheit der Vita posterior 69 Die impliziten Forderungen der Vita posterior: bescheidener Domneubau und Einsatz für die Domherren 76 Die Wunder Bischof Godehards 77 Zum Adressaten der Vita posterior, dem Bischof Hezilo von Hildesheim 81

V. Die Vita Heriberti - im Dienste des Kölner Prestiges

83

Eine besondere Widmung 83 Zu Lantbert, dem Autor der Vita 84 Zu Stil und Charakter der Vita 85 Der Besuch Papst Leos IX. in Köln vom Jahre 1049 90 Zur Einordnung der Vita in den Primatsstreit zwischen Köln, Mainz und Trier 93 Die Vita Heriberti und eine Urkunde Papst Leos IX. für Köln 96

VI. Die Vita Bardonis auctore Vulculdo - im Dienste des Mainzer Prestiges . . . . 100 Die biblischen Seligpreisungen als Aufbauprinzip der Vita 100 Zur Person Bischof Bardos von Mainz 101 Zu Auftraggeber und Abfassungsdatum der Vita 103 Aufbau und Inhalt der Vita 104

VII. Die Vita Bardonis maior - eine Fuldaer Gegendarstellung

110

Die Wahl Bardos zum Erzbischof von Mainz als angestrebter Höhepunkt der Vita 110 Zur Kritik der Vita maior an Bardo 119 Weitere Besonderheiten der Vita maior 120 Zur Frage des Autors der Vita maior 122

VIII. Die Vita Altmanni - eine Paränese für Reginbert von Passau

127

Zum Abfassungsdatum der Vita 127 Zum Prolog 128 Eine kurze Inhaltübersicht 129 "destruere" - "aedificare", ein Leitmotiv der Vita Altmanni 130 Zu den Adressaten der Vita 138 Bischof Altmann, seine Nachfolger und ihr Verhältnis zu Kloster Göttweig 139 Das Verhältnis der Vita Altmanni zum Traditionscodex B 141 Zur Situation Kloster Göttweigs zum Zeitpunkt der Abfassung der Vita 143

Inhalt

IX. Die Vita Annonis - eine Rechtfertigungsschrift

XI

146

Erzbischof Anno von Köln ist eine umstrittene Persönlichkeit 146 Zum Verteidigungscharakter der Vita 148 Zu den Vorwürfen gegen Erzbischof Anno 149 Die gezielte Entgegnung der Vita Annonis 155 Die "Prüfungen" Annos 159 Zur "Reue" Annos 162 Zum Gottesbild Annos 164 Argumente für die Heiligkeit Annos 164 Zum Adressaten der Vita 166 Zum Auftraggeber der Vita 168

X. Schluss

172

Paränese, Dokumentation und Prestige als Ziele von Heiligenviten im 11./12. Jahrhundert 171 Zu dem Zusammenhang zwischen Viten, Urkunden und Fälschungen 173 Auftraggeber und Zielgruppe der Viten 174 Zur "Beweisführung" im Mittelalter 174 Zum Einsatz der Hagiographie als "geistlicher Waffe" 175

XI. Quellen und Literatur

1. Quellen 177

Personenregister

2. Literatur 181

177

3. Abkürzungen und Siglen 201

202

I. EINLEITUNG

1. Der Befund Im Jahre 1035 schrieb Domherr Wolfhere von Hildesheim, noch zu Lebzeiten des Heiligen, seine erste Fassung der "Vita Godehardi"1. Knapp zwanzig Jahre später griff er erneut zur Feder, um eine zweite Vita des heiligen Godehard zu Papier zu bringen. Lotter ordnete die erste Fassung der literarischen Tradition der "Prälatenbiographien" zu, während er die zweite Fassung für eine eher "aretologische Heiligenvita" hielt2. Er führt die beiden Godehardsviten als Beispiel dafür an, daß "nicht selten das Bedürfnis auf(kam), die biographische oder panegyrische Darstellung eines Prälaten- oder Herrscherlebens im Nachhinein zu einer Heiligenvita umzuformen."3 Deshalb habe sich Wolfhere in seiner zweiten Fassung bemüht, "Belege für den Heiligkeitsnachweis nachzuliefern". Lotter ist nicht der einzige, der die Entstehung von Heiligenviten auf ein recht unbestimmtes "Bedürfnis" zurückführt4. Tatsächlich waren es aber jeweils ganz konkrete Gründe, die Wolfhere dazu veranlaßten, zwei verschiedene Godehardsviten zu schreiben. Die erste Fassung schrieb Wolfhere für das Kloster Niederaltaich, dem Godehard lange Jahre als Abt vorgestanden hatte. Er wollte den Niederaltaicher Mönchen Auskunft über Godehards Verhalten im Streit um das Kanonissenstift Gandersheim geben und sie davon überzeugen, daß Godehard sich in diesem Streit rechtmäßig und kanonisch verhalten habe. Das Interesse des Klosters wird verständlich, wenn man feststellt, daß es von Mitgliedern der Familie Godehards geleitet wurde, während die Aribonen, die Familie, aus der der Gegner Godehards im Gandersheimer Streit, Aribo von Mainz (1021-1031), stammte, eine der mächtigsten Familien in der Gegend von Niederaltaich war5. Aus diesem Grund nimmt die Schilderung des Gandersheimer Streites mehr als

1 2

3 4

5

Hg. von PERTZ, MGH SS 11, S. 167-196. LOTTER, Methodisches, S. 355. Zu LOTTERS Einteilung der hagiographischen Literatur in drei Typen vgl. ebd., S. 309ff., bes. S. 312. Ebd., S. 354. Das Bedürfnis nach schriftlicher Fixierung trete auf, wenn die Ereignisse endgültig aus dem Gedächtnis zu schwinden drohten. Ebd., S. 321. GRUNDMANN, Geschichtsschreibung, S. 29, meinte, daß das hagiographische Schrifttum "aus religiösem Erlebnis und kultischem Bedürfnis" erwachsen sei und dann eigene literarische Konventionen ausgebildet habe. DELEHAYE und DE GAIFFIER - deren Verdienste um die hagiographische Forschung keineswegs geschmälert werden sollen — sehen das erste Ziel der hagiographischen Literatur in der Undefinierten Erbauung. DELEHAYE, Sanctus, S. 64, und DE GAIFFIER, Hagiographie et historiographie, S. 140; vgl. unten Anm. 84. MIKOLETZKY, Sinn und Art der Heiligung, S. 118, spricht von dem "Bedürfnis" des Volkes, auf das die Kirche mit der Erschaffung volkstümlicher Heiliger geantwortet hätte. Auch FONTAINE, Hagiographie et politique, kritisiert S. 114: "L'idée la plus communément — et plus commodément — reçue était que cette seconde Vita (Radegundis) serait à considérer comme un simple complément de la première: ..." S. unten S. 59f.

2

Einleitung

die Hälfte der Vita ein, und auch andere "Besonderheiten" der ersten Fassung werden verständlich, wenn man als Adressaten das Kloster Niederaltaich mit seiner engen Bindung an Godehard annimmt6. 1054 war eine neue Situation eingetreten. Ein Brand hatte den Dom von Hildesheim und die Gebäude, die der vita communis der Hildesheimer Domherren dienten, vernichtet. Die ehrgeizigen Neubaupläne des dritten Nachfolgers Godehards auf dem Hildesheimer Bischofsstuhl, Azelin (1044-1054), waren gescheitert. Während in Goslar ein neues geistiges und politisches Zentrum aufgebaut wurde, verlor Hildesheim an Bedeutung7. In dieser Situation schrieb Wolfhere erneut eine "Vita Godehardi". Diese schließt mit einer Bitte um göttliche Hilfe für den designierten Nachfolger Azelins, Hezilo (1054-1079): Gott solle helfen, damit dieser "sein lobenswertes Werk vor Gott würdig vollende und darin mit frommen und wohlgesinnten Eifer in Gemeinschaft der Heiligen und zur Vergebung der Sünden vor Gott glückliche Fortschritte mache"8. Die "Vita Godehardi posterior" ist eine Art Exempel für Hezilo. Sie zeigt Godehard als Bischof seiner Domherren, der stets um deren materielles Wohlergehen bemüht und um ihre geistige Zucht besorgt war. Ohne es ausdrücklich zu sagen, fordert Wolfhere Hezilo mit seiner "Vita Godehardi posterior" auf, sich — wie Godehard — ganz für die Hildesheimer Domherren einzusetzen. Auch an den sechs übrigen Bischofsviten bestätigte sich die Vermutung, daß es jeweils ganz konkrete, wenn auch sehr verschiedene Gründe waren, die einen Mönch oder Domherren im 11. und 12. Jahrhundert zum Schreiben einer Vita veranlaßten. Der jeweilige Schreibanlaß bestimmte damals und erklärt heute die Besonderheiten in Aufbau und Inhalt einer Vita9.

2. Ein Forschungsüberblick Seit der Dissertation Oskar Köhlers, der sich zuletzt ausführlich mit den Bischofsviten des 11. Jahrhunderts beschäftigt hat, ist keine zusammenhängende Untersuchung zu diesem Thema erschienen10. Dagegen sind auf dem Feld der Historiographie und der Hagiographie 6 7 8

S. unten Kap. III. S. unten Kap. IV. ... qui (Hezilo!) certe in hoc quod deiectcim sanctae Dei matris aecclesiam redintegrare divina inspiratione decrevit, favorem condignum cleri et populi laudabiliterpromeruit. Cui nimirum ad tarn sanctum tamque salubre consilium tota sancta Dei aecclesia divinum indesinenter merito postulat auxilium, ut et ¡dem laudabile opus Deo digne perficiat, ac pro devotionis et benevolentiae studio in sanctorum communione in remissionem peccatorum coram Deo feliciterproflciat. Amen. Vita Godehardi posterior h g . v o n PERTZ, M G H S S 1 1 , c. 3 3 , S . 2 1 6 , Z . 9 - 1 4 .

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10

Den Begriff "Anlaß", der mit der jeweiligen "Darstellungsabsicht" in ursächlichem Zusammenhang steht, habe ich von ALTHOFF, Causa scribendi und Darstellungsabsicht, S. 133f., übernommen. Vgl. auch DERS., Genealogische und andere Fiktionen, bes. S. 434. KÖHLER, Das Bild, stellte anhand der Bischofsviten eine Entwicklung vom geistlichen Fürsten, der dem Reich aufs engste verbunden war und in Brun von Köln seinen reinsten Ausdruck gefunden hat, zum bischöflichen Landesherrn fest, dessen politische und reformerische Tendenzen sich gegenseitig bedingten. KÖHLER ordnet die Viten nicht in einen präzisen, lokalen Kontext ein, sondern in die übergreifende "Bewegung" der Kirchenreform und der Entstehung territorial fixierter Gewalten. Seitdem erschienen Untersuchungen, die entweder nur einzelne Bischofsviten oder nur einen Aspekt

Ein Forschungsüberblick

3

in den letzten Jahren und Jahrzehnten große Fortschritte erreicht worden, so daß es angezeigt ist, auch die Bischofsviten mit neuen Fragestellungen zu untersuchen 11 . U m die Hagiographie hat sich vor allem die französischsprachige Forschung große Verdienste erworben. Es sei nur an einige bedeutende Forscher w i e Hippolyte Delehaye, René Aigrain und Baudouin de Gaiffier erinnert, die der Hagiographie den Eintritt in die Wissenschaft verschafften 1 2 . Sie benutzten sie vornehmlich als Quelle zur Erforschung des Heiligenkultes. Marc Bloch zeigte mit seinem auch heute noch faszinierenden Buch "Les rois thaumaturges", daß die Hagiographie aufschlußreiche Erkennmisse über die mittelalterliche Gesellschaft vermitteln kann 13 . Seinem Wunsch, man m ö g e doch eine Geschichte der Heiligkeit schreiben, die große Einblicke in das W e s e n des Menschen zuließe, sind seitdem mit Erfolg viele französischsprachige Historiker nachgekommen 1 4 . Hier sind vor allem die breit angelegten Arbeiten von André Vauchez und Pierre-André Sigal zu nennen 1 5 . Daneben zeigen mehrere wichtige Einzeluntersuchungen den Wert dieses eher "spröden"

der Viten zum Thema haben. So z.B. LOTTER, Die Vita Brunonis; SCHMID, Der Stifter; LAUDAGE, Priesterbild; FLECK, Die Vita Altmanni; SCHLUCK, Die Vita Heinrici; JAEGER, The Courtier Bishop; die um Zusammenfassung und Überblick bemühten Arbeiten von ENGELS konnten leider nicht mehr berücksichtigt werden. " Vgl. den ausführlichen Abriß über die hagiographische Forschung bis 1965 bzw. 1975 bei GRAUS, Volk, Herrscher und Heilige, S. 25-39, und bei DEMS., Hagiographische Schriften als Quellen, S. 375ff. In dem 1983 erschienen Sammelband "Saints and their Cults" findet man in englischer Übersetzung wichtige Arbeiten zur Hagiographie des Mittelalters und der Moderne. Neuere Arbeiten besprach BOESCH-GAJANO, Il culto dei santi, S. 119-136; vgl. auch ihre Einführung zum Sammelband "Agiografia altomedioevale". 1984 gab SCHMITT, La fabrique des saints, einen Überblick über die jüngste hagiographische Forschung. Mehrere Beiträge zur Hagiographie enthält der Sammelband "Medievalia and Humanistica". Neue Arbeiten bespricht auch HEINZELMANN, Neue Aspekte. Im folgenden werde ich noch auf weitere, in den 90er Jahren erschienene Arbeiten zur Hagiographie eingehen. 12 DELEHAYE und DE GAIFFIER gehören zu den Bollandisten, die die Acta Sanctorum, die Bibiliotheca hagiographica latina (erst 1986 erschien ein weiterer Zusatzband) und die Zeitschrift Analecta Bollandiana herausgeben. Zu den Bollandisten vgl. DELEHAYE, A travers trois siècles. DELEHAYES wichtigste Arbeiten sind: Sanctus, Les légendes hagiographiques und Cinq leçons sur la méthode. DE GAIFFIER begann seine Laufbahn mit der viele allgemeingültige Beobachtungen enthaltenden Dissertation über die flandrische Hagiographie des 11. Jahrhunderts. Seine weiteren Arbeiten gelten einzelnen Viten und hagiographischen Motiven. Wichtig ist auch seine Reflexion über die Methode in: Hagiographie et historiographie. Ein Verzeichnis seiner Arbeiten findet man in dem ihm gewidmeten Band der Analecta Bollandiana 100, 1982. Zur Aufwertung der Hagiographie als Forschungsgegenstand trug auch AIGRAIN, L'hagiographie, bei. 13 Er untersuchte — u.a. anhand hagiographischer Schriften — die Fähigkeit der französischen und englischen Könige, von den Skrofeln zu heilen. Erst kürzlich dazu FOLZ, Les saints rois. 14 BLOCH in seiner Rezension von DELEHAYE, Sanctus: "Au fond, ce qu'il nous apporte, c'est une contribution à cette histoire de la sainteté dans l'Eglise qui, s'il se trouve jamais un écrivain assez hardi pour la tenter, assez grand érudit et assez grand psychologue pour la réaliser sera, n'en doutons pas, un livre presque sans égal dans les vues qu'il nous ouvrira sur l'esprit humain." (Revue de synthèse 47, 1929, S. 89). 15 VAUCHEZ zitierte diesen Ausspruch BLOCHS in der Einleitung zu seinem 1 9 8 1 erschienenen, umfassenden, sozialgeschichtlich orientierten Werk, La sainteté en Occident. SIGAL veröffentlichte 1 9 8 5 seine Habilitationsschrift (thèse d'Etat), L'homme et le miracle, über das Wunder in Frankreich im 11. und 1 2 . Jahrhundert. 1 9 8 4 erschien die ebenfalls umfassende Arbeit von FOLZ, Les saints rois.

4

Einleitung

Quellenmaterials 16 . Das große Interesse, das die französische Forschung der Hagiographie entgegenbringt, geht auch aus einem dem Thema der Hagiographie gewidmeten Kolloquium hervor 17 . In der deutschsprachigen Forschung hat die Hagiographie nicht denselben Stellenwert. Es gibt in den letzten Jahren weder den französischen vergleichbare, großangelegte Untersuchungen noch Kolloquien zu diesem Thema. Um so wichtiger sind die Arbeiten von Fr an ti sek Graus, Friedrich Prinz und Karl Bosl zu hagiographischen Themen 1 8 . Doch liegt der Schwerpunkt dieser Arbeiten in der Merowinger- und frühen Karolingerzeit. Auch der der französischen Forschung nahestehende Martin Heinzelmann widmet sich in erster Linie Quellen des 5. bis 8. Jahrhunderts. Eine andere Richtung bemühte sich — im Anschluß an das epochale Werk von ErnstRobert Curtius —, die Besonderheiten der mittelalterlichen Hagiographie von der literarischen Tradition her zu erklären. Es entstand eine sehr verdienstvolle Formen- und Motivforschung. Dank dieser Arbeiten muß heute jede Untersuchung, die nicht naiv sein will, das Klischeehafte bzw. das in der literarischen Tradition Bedingte vieler Ausdrücke und Formen beachten. D o c h verstellte die Frage nach Herkunft und Abhängigkeit von Ausdrücken und Formen den Blick für die Einheit der einzelnen Werke und ihre Einbindung in eine jeweils besondere historische Situation 19 . Der Einfluß der literarischen Tradition wurde überbe-

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So POULIN, L'idéal de sainteté, der die Hagiographie als Quelle für die Mentalitätsgeschichte sieht, aus der sich die Ideale einer Zeit und ihr Wandel ablesen lassen. Methodisch interessant ist der Aufsatz von BOUTHILLIER/TORREL, De la légende. Eine soziologische Untersuchung bietet DELOOZ, Sociologie. CORBET, Sainteté dynastique, interpretiert hagiographische Quellen der Ottonenzeit als legitimierende Geschichtsschreibung des Königshauses. Vgl. auch den von SCHMITT herausgegebenen Sairimelband "Les saints et les stars" und das mit Hagiographie der Merowingerzeit befaßte Buch von UYTFANGHE, Stylisation biblique. 17 So das Kolloquium "Hagiographie, cultures et sociétés". Auf dem Kolloquium "L'historiographie en Occident" galten die Beiträge von CAROZZI und SIGAL hagiographischen Themen. 18 GRAUS, Volk, Herrscher und Heilige; hier und in seinen weiteren Aufsätzen findet man stets ausführliche Überblicke über den Forschungsstand und Überlegungen zur Methode. Auch er sieht in den hagiographischen Schriften zunächst eine Quelle für die Mentalitätsgeschichte (so in: Hagiographische Schriften als Quellen, S. 303). Der Schwerpunkt der Arbeiten von PRINZ liegt im frühen Mittelalter. Er sieht die Viten als "Selbstheiligung" des merowingischen Adels, als "schöpferische Antwort" auf die Herausforderung des Christentums (Frühes Mönchtum, S. 489ff.) BOSL, Der Adelsheilige, untersuchte bayrische Heiligenviten aus der frühen Karolingerzeit in ihrer Stellung zu Adel, Kirche und Volk. Bei SCHEIBELREITER, Der frühfränkische Episkopat, S. 131 ff., findet man zusammenfassende Bemerkungen zu Bischofsviten als historische Quellen. Wie PRINZ geht es ihm um das "Adelsideal" und nicht um die Einordnung der Viten in ihren konkreten historischen Kontext; vgl. auch DERS., Der Bischof in merowingischer Zeit, wo er allerdings nicht auf die Bischofsviten als historische Quellen eingeht. Von BERSCHIN, Biographie und Epochenstil, liegt der erste Band vor, der sich mit Viten des 4.-6. Jahrhunderts befaßt. " GÜNTER, Psychologie der Legende, und DERS., Hagiographie und Wissenschaft, hat seine Arbeiten von vornherein nach Motiven gegliedert, deren Bedeutung und Verbreitung er zu erfassen suchte. Ebenfalls nach Motiven geordnet ist TOLDO, Das Leben und die Wunder, und THOMPSON, MotifIndex of Folk-Literature. Es entstanden eine ganze Reihe von Arbeiten, die sich der Erfassung und Klassifizierung von Topoi in Hagiographie und Historiographie annehmen. Hier seien SIMON, Untersuchungen; HUG, Elemente; STRUNK, Kunst und Glaube, genannt. Diese Arbeiten haben aufgrund ihres Überblickcharakters sowohl die Einheit der Werke, wie deren Sitz im Leben vernachlässigt. BEUMANN, Methodenfragen, betont die Wichtigkeit der "intentionalen Faktoren" (S. XIV) und der "funktionale(n) Bedeutung der Historiographie" (S. XVII). In seinen Arbeiten — wie z.B. zur Vita Ruperti und zur Vita Heinrici IV. — ist er jedoch mehr an der "literarischen Form und Tradition" (Methodenfragen, S. XVIf.) als an der aktuellen Causa scribendi interessiert. BEUMANN und auch LOTTER gehen bei ihren Untersuchungen von der Einheit der historiographischen bzw. hagiogra-

Ein Forschungsüberblick

5

wertet, die Fähigkeiten und M ö g l i c h k e i t e n des Autors im U m g a n g mit d e m traditionellen Material unterschätzt. W i e d e r andere setzten die Erwartungen des Publikums an die erste Stelle und benutzten die hagiographischen Q u e l l e n , u m d e n Idealen b z w . der Mentalität einer E p o c h e in e i n e m b e g r e n z t e m R a u m näher zu k o m m e n 2 0 . A u f dieser Linie liegt das e i n g a n g s erwähnte "Bedürfnis", das Lotter für die Entstehung der z w e i t e n Fassung der "Vita Godehardi" verantwortlich machte; der Grund für die Entstehung und die Eigenheiten historiographischen und h a g i o g r a p h i s c h e n Schrifttums w u r d e in erster Linie in d e n Erwartungen des Publikums gesucht 2 1 . Aus der a n g l o p h o n e n F o r s c h u n g sind vor allem die Arbeiten v o n Peter B r o w n zu nennen. Seine anregenden, w e n n auch nicht unumstrittenen T h e s e n betreffen zwar eher Spätantike und frühes Mittelalter, d o c h g e b e n B r o w n s M e t h o d e und sein — s o z i o l o g i s c h e r — Ansatz auch d e m zu d e n k e n , der sich mit der H a g i o g r a p h i e späterer Jahrhunderte befaßt 2 2 . Zwar ist viel über die Funktion und d i e Intention der Viten g e s c h r i e b e n w o r d e n , d o c h beließ man e s bei der Untersuchung der in den Viten explizit a n g e g e b e n e n Gründen, die die Verfasser m e i s t im P r o l o g anführen, ohne sie a m eigentlichen T e x t , g e s c h w e i g e d e n n an der historischen Situation der Entstehung des W e r k e s zu überprüfen 2 3 . Graus bezeichnete die Hagiographie als ein "multifunktionales Genre" 2 4 . Richtig daran ist, daß die Geschichtsschreibung — und s o m i t auch die Hagiographie — als Ganzes e i n Mittel zur Erreichung einer Reihe verschiedener Z w e c k e war. D o c h ist z w i s c h e n den in der mittelalterlichen

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phischen Werke aus, sie legen jedoch größeren Wert auf das Aufzeigen literarischer Traditionen als auf die Einbettung des Werkes in eine konkrete historische Situation. Vgl. auch die Kritik von ZUMTHOR, La lettre, S. 319: "... plusieurs illustres médiévistes des années 1910 à 1950, de Wilmotte à Faral et à Curtius ont surévalué ces contraintes et construit un modèle abstrait, sans rapport qu'occasionnel avec les pratiques, poussés qu'ils étaient, à leur insu de prouver que la parole poétique médiévale appartint au même ordre de réalité que notre littérature. " Eine ähnliche Feststellung trifft auch BRETT, The use of universal chronicle, S. 280, bezüglich der englischen Forschung: "The interest of most historians in the events of the life of a saint, or in the Iiterary and the intellectual background of each life, makes it easy to forget the context in which these lives usually occur. " Man ging davon aus, daß die Wünsche und die Erwartungshaltung des Publikums Form und Inhalt der historiographischen und hagiographischen Literatur prägten — was z.T. sicher zutrifft —, doch vergaß man darüber das, was der Autor seinem Publikum mitteilen wollte. Grundlegend für die Historiographie allgemein war HAUCK, Haus- und sippengebundene Literatur, S. 167, der forderte, "Literaturgeschichte muß zumal für das Mittelalter von den Mäzenen und vom literarischen Publikum aus geschrieben werden..." Für die Literatur des Mittelalters ist in diesem Zusammenhang auf A U E R BACH, Literatursprache und Publikum; BUMKE, Mäzene im Mittelalter; JAUSS, Alterität und Modernität, hinzuweisen. In der Hagiographie wurde dieser Ansatz vor allem von PRINZ und BOSL (wie Anm. 18) verfolgt. Kritik an HAUCKS Konzeption einer am Publikum orientierten "Hausüberlieferung" übte KARPF, Herrscherlegitimation, S. 191, der bei seiner Untersuchung historiographischer und hagiographischer Texte aus der Ottonenzeit feststellte, daß es eher die Interessen des Autors und seiner Trägergruppe waren, die die Texte prägten. So schreibt er: "Durchgängiges Motiv bei fast allen Autoren ist jedoch das mehr oder weniger deutlich zu Tage tretende Schreiben pro domo, d.h. die Einordnung reichsgeschichtlicher Vorgänge in die Perspektive einer die eigenen Situation als Zentrum nehmende Geschichtsauffassung. " Die konkreten Umstände der Entstehung der Viten vernachlässigte auch MANDRY, Die Stauferzeit im Spiegel der Bischofsviten. Sie möchte in ihnen den Übergang vom christlich-asketischen zum höfisch-ritterlichen Ideal feststellen. S. o b e n S . 1. "The Cuit of Saints" und "The Society and the Holy" wurden von SCHMITT, La Fabrique des Saints, und von FONTAINE, Le culte des Saints, ausführlich besprochen. So z . B . H U G , Elemente, S . 1 5 - 5 3 , und SIMON, Untersuchungen ( 1 9 5 8 ) , S. 5 5 - 8 7 . "Esso e spesso polifunzionale.", GRAUS, Le funzioni, S. 159. Auch HUG, Elemente, S. 15 und 50, spricht von einem "Knäuel" von Motiven, die die Abfassung einer Vita auslösten.

6

Einleitung

Denk- und Lebensweise bedingten Funktionen — wie z.B. das Aufzeigen des göttlichen Ordo in der Geschichte und die Verankerung der Hagiographie in der Liturgie — und denen, die aus einer konkreten historischen Situation resultierten, zu unterscheiden. In den von mir untersuchten Fällen war es nämlich jeweils ein konkreter Anlaß, eine bestimmte historische Situation, in der die Geschichtsschreibung zur Erreichung eines bestimmten Zweckes eingesetzt wurde. Die Aufwertung hagiographischer Quellen ist nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem zunehmenden Interesse an mittelalterlicher Geschichtsschreibung allgemein zu sehen25. Neben der älteren Arbeit Herbert Grundmanns lieferten Franz-Josef Schmale und Bernard Guenee erst vor kurzem wichtige Beiträge zu diesem Thema26. Um das von vielen Forschern als Problem empfundene Phänomen der Gattungen in den Griff zu bekommen, richtete Leopold Genicot die Reihe der "Typologie des sources" ein. Der große Wert dieser Reihe liegt darin, daß ganz unterschiedliche Quellen mit denselben Fragestellungen angegangen werden. Die als entscheidendes Kriterium genannte Frage nach dem Zweck, für den ein Schriftstück hergestellt wurde, hat sich auch in dieser Arbeit als aufschlußreich erwiesen27. Gerade in einer mehr von Mündlichkeit als von Schriftlichkeit geprägten Gesellschaft, in einer Gesellschaft also, in der das geschriebene Wort eher die Ausnahme darstellte, ist es angebracht nachzufragen, warum sich jemand der Mühe des Schreibens unterzog. Leider ist der den Viten und Passionen gewidmete Band dieser Reihe noch nicht erschienen. Doch brachten die Bände, die sich mit den den Bischofsviten nahestehenden Gattungen der Gesta episcoporum und den Translationsberichten beschäftigen, Ergebnisse, die die Erkenntnisse meiner Untersuchungen bestätigen. Sowohl Michel Sot wie Martin Heinzelmann unterstreichen, daß es jeweils ganz konkrete, in einer aktuellen Situation bedingte Gründe waren, die einen Autor im 10.-12. Jahrhundert zum Schreiben veranlaßten28. Beide weisen

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Davon zeugen auch die Kolloquien "L'historiographie en occident", "La storiografia altomedioevale" und "L'historiographie médiévale". Vgl. auch den 4. Band der Reihe, Theorie der Geschichte:

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GRUNDMANN, Geschichtsschreibung; SCHMALE, Funktion und Formen; GUENÉE, Histoire. Die Fragestellung wird auf dem jedem Band beigegebenen, losen Blatt: "Qu'est-ce que la typologie des sources du moyen-âge occidental" formuliert. Dort heißt es unter "structure": "Inventorier les sources de l'histoire médiévale et les repartir en catégorie et en genres représente un travail considérable et délicat. Les critères de classement sont, en ordre principal: le but pour lequel un document a été créé, à titre subsidiaire: la forme et le contenu. " SOT, Gesta episcoporum, S. 53, nachdem er festgestellt hat, daß Bischofsviten wirkungsvolle Instrumente zur Durchsetzung ganz konkreter Vorhaben sind: "La première question à poser à chaque gesta est donc: à quoi sert ce texte?" Die Wirkung der Bischofsgesten beruhe zum einen darauf, daß in ihnen rechtliche Dokumente eingefügt seien und zum anderen, daß sie Geschichte als heilige Geschichte ("histoire sacrée") schrieben. Das erste trifft eingeschränkt, das zweite voll auch auf die Bischofsviten zu. Als Ziele, die mit den Gesten verfolgt wurden, nennt SOT (ebd., S. 20 u. 47f.): die Sicherung des Besitzes, die Verteidigung von Rechten (insbesondere von Rechten über abhängige Klöster) sowie Prestigegründe (vgl. Anm. 91 und 96). Hinsichtlich der kritischen Benutzung der Translationsberichte führt HEINZELMANN, Translationsberichte, S. 108, aus, daß auf sie die gleichen Kriterien wie bei der Benutzung anderer Quellen angewandt werden müßten: "das heißt, ... die präzisen Umstände, die im jeweiligen Fall zur Anfertigung eines Berichtes oder zu seiner Über- und Umarbeitung geführt haben. " Um die "präzisen Umstände" zu bestimmen, bedarf es vieler Einzeluntersuchungen, die für die Translationsberichte noch ausstehen. So muß HEINZELMANN, ebd., S. 127, seine Abhandlung mit dem Eingeständnis schließen: "Abgesehen von Einzelbeispielen ist über die Entstehung der Texte wenig bekannt, ebensowenig über ihre jeweilige präzise Funktion. " Auch SIGAL, L'Homme et le miracle, S. 13, betont den Zusammenhang zwischen aktuellem Kontext und Charakteristik der Wunderberichte: "Le contexte dans lequel ces textes ont été rédigés et le but recherché sont particulièrement utiles à connaître car il en découle certains caractères des miracles eux-mêmes."

" F o r m e n d e r G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g " , h g . v o n KOSSELLECK, L U T Z u n d RÜSEN. 27

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Ein Forschungsüberblick

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auf die Notwendigkeit hin, den politischen und sozialen Kontext der Entstehung mittelalterlicher Historiographie — den "Sitz im Leben", wie ein Theologe sagen würde — so genau wie möglich zu bestimmen 2 9 . In den meisten Fällen war es ein als "Krise" zu bezeichnender Kontext, der den Ausschlag zum Schreiben gab. Die im Rahmen eines Forschungsprojekts der DFG geführten Untersuchungen über pragmatische Schriftlichkeit bestätigen diesen Befund 3 0 . Schließlich gibt es einige Einzeluntersuchungen, die ebenfalls zeigen, daß die jeweils spezifischen Probleme, die eine Gemeinschaft mit Hilfe von Schriftlichkeit lösen wollte, die inhaltlichen und formellen Besonderheiten von Geschichtsschreibung im allgemeinen und Viten im besonderen prägten 31 . Besonders aufschlußreich sind solche Arbeiten, die sich mit Um- und Neuschreibung von Viten befassen 32 . Wie im Falle der Godehardsviten können die neuen Akzente der Umschreibung mit der veränderten Situation des Schreibers und seiner Gemeinschaft erklärt werden. Jedenfalls wird man sich nicht mehr mit einem kurzen Hinweis auf das "Bedürfnis" nach Erbauung oder auf das Hinzufügen neuer Nachrichten über den Heiligen begnügen können. Besonders einleuchtende und vielleicht deshalb häufig übersehene Beispiele bietet die angelsächsische Hagiographie des 11. Jahrhunderts. Nach der Machtübernahme Wilhelms des Eroberers 1066 standen nämlich beinahe alle Klöster der Insel vor demselben Problem: Welche der angelsächsichen Heiligen sollten in die von neuen, normannischen Herrschern bestimmte Gesellschaft übernommen werden. Die nach 1066 entstandenen Neufassungen von Viten angelsächsischer Heiliger "passen" diese der neuen politischen Situation "an" und versuchen so eine von 1066 unbeeinflußte Kontinuität ihrer Klöster herzustellen und sich die Gunst der neuen Herrscher zu sichern 33 .

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Anschließend zählt SIGAL die Verwendungszwecke der Viten und Mirakelsammlungen auf. An erster Stelle steht das liturgische Gedenken gefolgt von dem Wunsch, eine schwierige materielle Situation zu beheben. Weiter nennt er die Konkurrenz zwischen Bischofskirchen bzw. zwischen Klöstern und die Absicht, einen Heiligen von gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen zu verteidigen. Das sind diesselben Motive, die zur Abfassung der von mir untersuchten Viten führten. Den aus den Religionswissenschaften stammenden Begriff vom "Sitz im Leben" verwendet lediglich FONTAINE, Hagiographie et politique, S. 137f.: "Il faut ici tenir compte de l'écart des dates de rédaction et tenter de bien voir, au moins en partie, le 'Sitz im Leben' des deux oeuvres. " ZIMMERMANN, Neutestamentliche Methodenlehre, S. 178: "Der verschiedenen Form entspricht der verschiedene 'Sitz im Leben'". Die "Formgeschichte", die zwischen "Rahmen" und "Traditionsstoff" unterscheiden lehrt, wird durch die "Redaktionsgeschichte" ergänzt, die durch den historischen Kontext Auswahl, Anordnung und Gliederung des Stoffes zu erklären sucht (ebd., S. 225). Vgl. die für uns wichtige Aussage ZIMMERMANNS, ebd., S. 280: "Die Aussageabsicht des neutestamentlichen Schriftstellers ist aufs engste mit dessen pragmatischer Intention verbunden, so daß die pragmatische Aussage dominante Bedeutung bekommt." Siehe dazu auch unten Anm. 97. Vgl. ALTHOFF/COUÉ, Geschichtsschreibung und Krise, wo wir uns u.a. mit Brunos Buch vom Sachsenkrieg und der Passio Karoli Galberts von Brügge auseinandersetzen. BUSCH betont in seinem ebenfalls aus dem DFG-Projekt hervorgegangenen Aufsatz, "Landulfi senioris Historia Mediolanensis", S. 2, "den ganz spezifischen, aktualitätsbezogenen Zugriff auf die Geschichte". Vgl. die in Anm. 58 und 94 genannten Arbeiten. So HEINZELMANN/POULIN, Les vies anciennes de Sainte Geneviève; FONTAINE, Hagiographie et politique; BARTLETT, Rewriting Saints Lives, der S. 598 feststellt: "Saints' lives are both part of a genre of immense longevity and the products of individual circumstances and environments. " WOLF, Von der Ulrichsvita zur Ulrichslegende, geht wenig auf die konkreten Schreibanlässe ein. So BARTLETT, Rewriting Saints Lives, S. 599: "The flung of hagiographie activity after the Norman Conquest, for exemple, when the ancient monastic houses strove to vindicate their saints in a new and occasionally hostile climate, shows, how a certain repertoire of saints might need to be reinterpreted in a new environment and for a new audience." Vgl. dazu auch BRETT, The universal chronicle, S. 279f.; GRANDSEN, Historical Writing, S. 105ff., bes. S. 115-121.

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Einleitung

3. Zum Text- und Geschichtsverständnis im Mittelalter Auch die vorliegende Untersuchung salischer Bischofsviten stellt die Frage nach der Funktion der Viten zum Zeitpunkt ihrer Entstehung und die Frage nach der Intention des Autors in den Vordergrund. Um hierauf eine Antwort zu finden, bedarf es jedoch nicht nur einer eingehenden Analyse der Entstehungsumstände, sondern auch der sorgfältigen Untersuchung der Texte als solcher. Nur wenige Historiker erklären ausdrücklich, daß ihr Arbeitsmaterial zum größten Teil aus erzählenden Quellen besteht, aus literarischen Texten also, die — nachdem die historisch-kritische Methode den Text als solchen sichergestellt hat — auch mit den Methoden der Literaturwissenschaft untersucht werden können 34 . Es sind in erster Linie Erkenntnisse der Literaturwissenschaft zu dem für das Mittelalter spezifischen Text- und Geschichtsverständnis, die den Ausgangspunkt zu der Textanalyse der Bischofsviten bilden. Die Bemühungen, das Verhältnis mittelalterlicher Texte zu ihren Vorlagen — dies gilt gleichermaßen für volkssprachliche wie für lateinische Texte — zu erhellen, haben ergeben, daß "Kompilationen" und "Florilegien" weit mehr sind als eine bzw. zwei unter vielen im Mittelalter vertretenen Texttypen. In ihnen hat vielmehr die für das Mittelalter typische Arbeitsweise ihren reinsten, ungeschminkten Ausdruck gefiinden 35 . Die Autoren des Mittelalters, lateinisch schreibende "Historiker" ebenso wie sich der Volkssprache bedienende "Literaten", verstanden sich weniger als originelle Autoren denn als Vermittler antiken bzw. nationalen oder regionalen Traditionsgutes 36 . Neben "compilatio" ist auch "conjointure" ein aufschlußreiches Schlüsselwort. Dieser Begriff besagt, daß die Kunst des Mittelalters eine Kunst der "Collage" war und somit die einzelnen Elemente eines Textes ihren "Sinn" bzw. ihre Bedeutung erst durch die Beziehung erhalten, in der sie zu der Gesamtheit des Textes stehen 37 . Dies gilt vor allem für die häufig als leere Floskeln abgetanen Topoi,

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So zuletzt der Althistoriker MAEER, Der Historiker und die Texte. In der frankophonen Forschung kam es schon häufiger zu einer Zusammenarbeit zwischen Linguisten und Historikern. So z.B. der Beitrag von BREMOND im Band L'"exemplum" der Typologie des sources. Vgl. auch die Beiträge von ALTMAN, TWO types of opposition, und DEROUET, Les possibilités d'interprétation sémiologiques. Leider fehlt, besonders bei DEROUET, die Einordnung in einen historischen Kontext, so daß der Ertrag dieser Untersuchungen in den Augen eines Historikers eher gering ist. In der Theologie werden die verschiedenen Arbeitsmethoden in ihrer Reihenfolge (Textkritik, Literarkritik, Formgeschichte, "Sitz im Leben", Redaktionsgeschichte, linguistische Analyse) und Aussagemöglichkeiten genauer voneinander unterschieden; vgl. eines der maßgeblichen Handbücher, ZIMMERMANN, Neutestamentliche Methodenlehre. Zuletzt dazu und mit Hinweisen auf frühere Arbeiten GUENÉE, L'Historien et la compilation; MELVILLE, Kompilation, Fiktion und Diskurs; DERS., Le Problème des connaissances historiques. MELVILLE, Le Problème des connaissances, S. 4. "Un art qui reposait sur des téchniques d'assemblage, de combinaison, de collage, sans souci d'authentification des parties ..." ZUMTHOR, La lettre, S. 29; den Begriff der "Collage" verwendet auch LE GOFF, L'"exemplum", S. 37, um das Verhältnis eines Exempels zu seinem Kon-text zu beschreiben. Zur Definition von "conjointure", ZUMTHOR, Genèse et évolution, S. 72: "La matière c'est l'histoire, comme transmise plus ou moins invariante; le sens en constitue l'interprétation proposée ou possible, toujours en devenir, la conjointure les ajuste, réalise l'équilibre de l'art instauré entre eux, l'unité interne assurant au signe global qu'est l'oeuvre, non moins qu'aux signes partiels que sont ses parties, leur signifiance." HAUG, Schriftlichkeit, S. 153, definiert "conjointure" folgendermaßen, " ... dieser umstrittene Begriff dürfte letztlich nichts anderes meinen als eine sinngebende Strukturiemng des Stoffes." Und ebd., S. 150: "Die Fakten werden in eine Perspektive gerückt, die Sinn vermit-

Ein Forschungsüberblick

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deren Bedeutung und Gewicht je nach Kontext verschieden sein kann38. So erhält zum Beispiel der Topos mater ecclesiarum in der "Vita Heriberti", dadurch, daß er sowohl auf die römische wie die Kölner Kirche angewandt wird und in enger Verbindung mit dem auffallend häufig genannten hl. Petrus steht, eine für den "Sinn" der Vita nicht unwichtige Bedeutung. Mit ihm gelingt es dem Autor, eine Verbindung Rom — Köln herzustellen, auf die angeblich besonderen Beziehungen Kölns zu Rom aufmerksam zu machen und so — implizit — den Vorrang Kölns vor den anderen deutschen Metropolen zu behaupten. In der bisherigen Forschung ist der Zusammenhang, der zwischen dem Topos mater ecclesiarum und der häufigen Nennung des hl. Petrus besteht, stets übersehen worden. 39 Im neuen Anordnen bekannten Stoffes — besser: bekannter Stoffe — sahen die Autoren des Mittelalters ihre eigentliche Aufgabe. Darauf aufbauend, wurde in dieser Arbeit die sinnvolle Einheit der Viten als eine Grundannahme vorausgesetzt. Diese Feststellung mag banal klingen, hat aber vor allem dort ihre Berechtigung, w o — wie in der "Vita Godehardi" die Ausführungen über den Gandersheimer Streit — ein langer Exkurs Bestandteil der Vita ist und in den Augen heutiger Leser

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telt." Schon Quintilian, Institutio oratoria X, 1, 20-21, riet, einen Text, insbesondere eine Rede, nachdem man seine Teile einzeln studiert habe, in seiner Gesamtheit zu betrachten. Nur so könnte der Leser die vom Autor oft mit Absicht verborgenen Ziele aufspüren: ... Sedperlecturus liber utique et integro resumendus, praecipueque oratio, cuius virtutes frequenter ex industria quoque occultantur. Saepe enim praeparat, dissimulât, insiduatur orator, eaque in prima parte actionis dicit, quae sunt in summa profutura, itaque suo loco minus placent, adhuc nobis quare dicta sint ignorantibus, ideoque erunt, cognitis omnibus, repetanda." Speziell zur Kompositionstechnik der volkssprachlichen Autoren FREEMAN, Transpositions structurelles, S. 50: "Chaque roman du Moyen Age reflète donc, et de propos délibéré, la fusion de divers fragments textuels, qu'il glose, commente, imite et reprend à son compte ... chacun englobe ses prédécesseurs, les réorganise, en même temps qu'il en articule une lecture, une interprétation particulière." Marie de France und Chrétien de Troyes weisen in den Prologen zu ihren Werken auf ihre Vorlagen und ihren Umgang mit diesen hin; vgl. auch FREEMAN, The Poetics, S. 65ff.; JAUSS, Alterität, S. 19ff. CURTIUS, Europäische Literatur, S. 404, schrieb dem Mittelalter eine Art Brückenfunktion zwischen der Antike und der Neuzeit zu. So sah er in den Topoi der mittelalterlichen Literatur leere Formen, die nur um der Tradition willen übernommen wurden: "Unzählige mittelalterliche Autoren versichern, sie schrieben auf Befehl. Die Literaturgeschichten nehmen das für bare Münze. Doch ist es meistens nur ein Topos." Ebd., S. 9 5 . Zur Kritik des Curtiusschen Toposbegriff vgl. WIEDEMANN, Topik als Vorschule. BARTHES, L'ancienne rhétorique, S. 206, unterscheidet drei Arten von Topik: 1. die Topik als Methode, wie sie Aristoteles verstand, um Argumente zu finden oder um sich eine unbekannte Materie zu erarbeiten, 2. wie Cicero als ein Register leerer Formen, aus der der Redner Argumente schöpfen kann, 3 . als ein Reservoir von fertigen Wendungen — in diesem Sinne ist sie von CURTIUS behandelt worden. POULIN, L'idéal de sainteté, S. 2 6 , der die Viten als Quellen für die Mentalitätsgeschichte untersuchte, hält die literarische Tradition als alleinigen Grund für die Übernahme von Topoi und anderen schematischen Formen in der Hagiographie für unzureichend: "Une longue tradition littéraire suffit-elle à expliquer la reprise constante ... de nombreux clichés en vogue depuis une lointaine antiquité?" Seiner Ansicht nach war die Übernahme von schematischen Ausdrücken und Formen durch die jeweilige Vorstellung von Heiligkeit bedingt, ebd., S. 22. BORNSCHEUER, Topik, S. 2 0 , hebt wie ZUMTHOR die Zusammengehörigkeit von Topik und kombinatorischem Stil hervor: "Je topischer aber ein Werk ist, desto kombinatorischer ist auch seine Struktur. Kombinatorik ist die Methode einer innovativen Vermittlung topischen Materials. ... Topik und Kombinatorik — oder auch "Zitat" und "Montage" — sind zwei Aspekte derselben Sache, nämlich des Umgangs mit einem gesellschaftlich identifizierbaren Erfahrungs- und Bildungswesen"; vgl. ZUMTHOR, La lettre, S. 1 6 5 , 216, 219.

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S. unten Kap. V.

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Einleitung

die Einheit der Vita sprengt. Zu dem sinnvollen Ganzen der Vita gehört auch der Prolog, der — obwohl der Exordialtopik unterworfen — durchaus in einem Zusammenhang mit dem Rest der Vita zu sehen ist40. Hierfür ist wieder die "Vita Heriberti" ein gutes Beispiel, da die in der eigentlichen Vita verwandten Topoi schon im Prolog zu finden sind41. An jede Vita mußte somit die Frage nach den Sinn und Zusammenhang stiftenden Elementen neu gestellt werden. Gestützt wird dieses Axiom durch die Erkenntnis, daß sich die mittelalterlichen Autoren, selbst wenn sie sich des Mittels der Fiktion und der Technik der compilatio bedienten, als Gelehrte verstanden und auch zu verstehen sind42. Das bedeutet, daß sie nicht wahllos und naiv schriftliche und mündliche Quellen zu einem Heiligen aneinanderreihten, sondern daß die Auswahl und die Anordnung der Ereignisse nach bestimmten — wenn auch jeweils verschiedenen — Kriterien erfolgten. Es wird zu zeigen sein, daß diese Kriterien weniger in der literarischen Tradition der Gattung als vielmehr in der konkreten historischen Situation des Autors zu suchen sind43. Ein zweites wichtiges Ergebnis, auf dem diese Arbeit aufbaut, sind die Erkenntnisse der Forschung zu Allegorie und Typologie 44 . Die Typologie ist eine Denkform, die im Mittelalter sowohl das Interpretieren — in erster Linie der heiligen Schrift — wie auch das Schreiben selbst beeinflußt hat. Friedrich Ohly definiert diese Erscheinung folgendermaßen: "Sie (die Typologie!) besteht in der Zusammenschau zweier Geschehnisse, Einrichtungen, Personen oder Dinge, deren je eines aus dem Alten und dem Neuen Testament gegriffen

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Vgl. Pseudo-Cicero, Ad Herennium, I, 3, 4: "Exordium est principium rationis per quod animus auditoris constituitur ad audiendum." Vgl. Cicero, De inventione, I, 15, 20. Daß mit ad audiendum der jeweilig anschließende Inhalt gemeint ist, betont BRINKMANN, Der Prolog, S. 79: "Die Aufgabe des Prologs wird es sein, den Zuhörer (oder Leser) zu gewinnen und für die Anliegen aufzuschließen, die ihm nahegebracht werden sollen." Zum Exordium vgl. Lausberg, Handbuch, §§ 263-288. Eine ausführliche Diskussion des Exordiums, seiner Rolle in der antiken Rhetorik und in den Schriften des Mittelalters findet man in den ersten Kapiteln von LUTZ, Rhetorica divina. S. unten Kap. V. GUENÉE, Histoire, S. 191, führt den Nachweis, daß die Autoren des Mittelalters zwar nicht dem modernen Gelehrtenbegriff entsprechen, aber deshalb noch lange nicht als naiv anzusehen sind: "L'historien du Moyen Age n'était décidemment pas le naïf que certains, naguère encore, voulaient dire. ... Parce que l'érudition médiévale servait des perspectives qui ne sont pas les nôtres, ... " ALTHOFF, Genealogische und andere Fiktionen, S. 4, Aran. 21, konnte zeigen, daß auch die "fiktivsten Ansippungen" einer "gelehrt zu bezeichnenden Erklärungsarbeit" entspringen. Zur Überbewertung des Einflusses der literarischen Tradition in der bisherigen Forschung vgl. ZUMTHOR, La lettre, S. 231. Grundlegend AUERBACH, Neue Dantestudien; DE LUBAC, Exégèse; OHLY, Vom geistigen Sinn; DERS. , Typologie als Denkform, mit neuerer Literatur zu diesem Thema. In diesem Aufsatz, der zunächst als Vortrag auf dem Historikertag 1982 gehalten wurde, stellt OHLY, S. 68, fest, daß die Historiker "der typologischen Denkform bisher überraschend wenig Interesse geschenkt" haben. Einer der wenigen Historiker, die die Typologie zur Interpretation von Quellen fruchtbar machten, ist KANTOROWICZ, The Kings two Bodies, bes. S. 46f. und S. 56. Zur Entstehung der Typologie in der Bibel DANIELOU, Sacramentum Futuri. Für die Geschichtsschreibung SCHMALE, Funktion, S. 45f. Das analoge Denken, wozu sowohl die Allegorie wie die Typologie und der Figuralstil gehören, ist von FOUCAULT, Les mots et les choses, bes. S. 32ff. und S. 68ff., als für das Mittelalter kennzeichnende und typische Denkform beschrieben und gegen das am Maß orientierte Denken der Moderne abgehoben worden. Zur Allegorie vgl. POIRION, Allégorie, in: Encyclopaedia Universalis, Bd. 1, S. 806ff.; STRUBEL, "Allegoria in factis", und die Aufsätze in dem von HAUG herausgegebenen Symposionsband "Formen und Funktionen der Allegorie". Zu Allegorie und Symbol als Grundformen mittelalterlichen Denkens vgl. LADNER, Medieval and Modern Understanding. Die Allegorieforschung der letzten Jahre findet man aufgearbeitet bei MEIER, Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der Allegorieforschung, s. dazu auch die große allgemeine Einleitung in dem Buch von FREYTAG, Die Theorie der allegorischen Schriftdeutung.

Ein Forschungsüberblick

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und zu einem Ereignispaar derart verbunden wird, daß durch die Zuordnung zu einem spiegelnden Sichbeleuchten ein Sinnzusammenhang zwischen den beiden an den Tag gebracht wird. Die Opferung Isaaks durch Abraham im Alten weist voraus auf das Kreuzesopfer Jesu durch Gottvater im Neuen Testament ... " 45 . Wichtig ist das Element der Steigerung, das zwischen dem alttestamentlichen "typos" und dem neutestamentlichen "antitypos" (auch figura oder forma genannt) besteht 46 . Um die Bedeutung dieser Denkform richtig zu würdigen, sei nochmals Ohly zitiert: "Die frühchristliche Kraft einer Zusammenschau, die das Verbindende aus dem Unterschiedenen derart heraushebt, daß eine die Zeiten umschließende Einheit aus dem Prozeß der Offenbarung von Gottes zeituniversalem Heilswillen in den Blick tritt, ist das Produkt einer gewaltigen, auf eine sinngebende Ordnung der Geschichte gerichteten Phantasie ,.." 47 . Dreh- und Angelpunkt oder, wenn man will, die "Spiegelachse" dieses Geschichtsverständnisses ist der Kreuzestod Jesu. Der französische Theologe Henri de Lubac faßt die Bedeutung der mittelalterlichen Exegese für das Geschichtsverständnis — und somit auch für die Geschichtsschreibung — dieser Zeit so zusammen: "Elle (l'exégèse médiévale!) définit les rapports de la réalité historique et de la réalité spirituelle de la société et de l'individu, du temps et de l'éternité ... elle contient... toute une théologie de l'histoire, en connexion avec une théologie de l'Ecriture. Elle organise toute la révélation autour d'un centre concret, marqué dans l'espace et dans le temps par la Croix de Jésus-Christ... C'est "la trame" de la littérature chrétienne et de l'art chrétien ... C'est au moins l'instrument qui lui a permis de se construire, et c'est aujourd'hui l'un des biais par où l'on peut le plus utilement l'aborder" 48 . Die Typologie blieb aber nicht auf die Bibelexegese beschränkt. Ohly unterstreicht, daß auch die Hagiographie, die politische Geschichte — bekannt ist das Bild Karls des Großen als neuem David —, die Antike und die Naturgeschichte in dieses Deutungsschema miteinbezogen wurden 49 . Schließlich ist noch zu erwähnen, daß "typos" und "antitypos" noch durch ein drittes Glied, die Überhöhung im Jenseits, ergänzt werden konnten 50 . Doch suchte der Mensch im Mittelalter nicht nur auf der diachronen Achse nach einander entsprechenden und sich gegenseitig erklärenden Personen und Ereignissen. Auch auf der synchronen Achse — erinnert sei an die Farben-, Zahl- und Tiersymbolik — versah er Dinge und Wesen dieser Welt mit einer oder mehreren über ihren ersten, wörtlichen Sinn hinausgehenden Bedeutungen 51 . Dort, wo der moderne Mensch ein Phänomen oder ein Ereignis mit seiner Vorgeschichte nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip zu erklären sucht, zog der Mensch im Mittelalter vergleichbare Erscheinungen auf anderen Ebenen zu dessen

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Typologie als Denkform, S. 68. Ebd., S. 69. Ebd. DE LUBAC, Exégèse, S. 17; vgl. auch FUNKENSTEIN, Heilsplan. Zuletzt hat NICHOLS, Romanesque Signs, eine umfassende Abhandlung über die Geschichte als Heilsgeschichte geschrieben. Zum christozentrischen Weltbild vgl. auch OHLY, Typologie als Denkform, S. 72. OHLY, Typologie als Denkform, S. 79ff., mit weiterführender Literatur. Ebd., S. 78f. Zur Zahlensymbolik vgl. HELLGARDT, Zum Problem; MEYER, Die Zahlenallegorese; MEYER/SUNTRUP, Lexikon der mittelalterlichen Zahlenbedeutungen. Zur Farbensymbolik vgl. PASTOUREAU, Figures et couleurs und demnächst MEYER/SUNTRUP, Lexikon der mittelalterlichen Farbenbedeutungen. Zur Tiersymbolik vgl. CLEBERT, Bestiaire fabuleux; DUCHAUSSOY, Le bestiaire divin.

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Einleitung

Erklärung heran 52 . D a s Suchen und Erkennen einander entsprechender D i n g e wird ergänzt durch die Suche nach Gegensätzen 5 3 . Das Denken und Schreiben in Entsprechungen und Gegensätzen konnte somit als ein strukturierendes Element in den Viten erwartet werden. In den hier behandelten Texten wurde dieses Verfahren besonders in der "Vita Altmanni" deutlich, die durchgehend nach dem Prinzip destruere — aedificare aufgebaut ist. D . h . alle in der Vita vorkommenden Personen werden entweder als "Zerstörer" oder als "Erbauer" geschildert. Der Erbauer schlechthin ist selbstverständlich der hl. Altmann, während einige seiner Nachfolger s o w i e weltliche Fürsten der Gegend als "Zerstörer" geschildert werden 5 4 . Mit dem Denken in Entsprechungen eng verbunden ist die Vorliebe mittelalterlicher Autoren für das Exempel 5 5 . Weil Geschichte in Analogien gedacht wurde, war es dem mittelalterlichen Autor nicht nur möglich, die Propheten als Vorläufer der Apostel und diese wiederum als Vorläufer für die Bischöfe zu sehen, d.h. in der Vergangenheit legitimierende Vorläufer für Institutionen und Rechte der Gegenwart zu erkennen, sondern auch in die Vergangenheit normative Leitbilder, Exempel, für Gegenwart und Zukunft zu projizieren 56 . Weil die Geschichte als Heilsgeschichte gesehen wurde und somit normsetzenden

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Dazu MELVILLE, Der Zugriff auf Geschichte, S. 165: "Die Perspektive des Nacheinander von Handlungs- und Denkweisen ... wurde also keineswegs unterdrückt, jedoch schien man darin eine Vergleichbarkeit unterstellen zu können, die den Aufgriff von Vergangenem erst sinnvoll machte." S. 195 unterstreicht er, daß im Mittelalter die Welt nur aus der Gegenwart heraus erlebt wurde. So auch NICHOLS, Romanesque Signs, S. XI. Zur Entsprechung von Mikrokosmos und Makrokosmos und zur Einteilung der Welt in Kontraste vgl. auch GURJEWITSCH, Das Weltbild, S. 71f. Zur Antithese als Stilmittel vgl. ARBUSOW, Colores rhetorici, S. 55ff. Zur Beliebtheit dieses Stilmittels bei den Zeitgenossen und zu seiner besonders auffälligen Verwendung in der Vita Heinrici IV. vgl. SCHLUCK, Die Vita Heinrici IV., S. 55ff. Daß die SchwarzWeiß-Malerei, bzw. Kontrastierung ein beliebtes Stilmittel der Hagiographie war, wurde bisher schon mehrfach festgestellt, jedoch ohne daraus irgendwelche Konsequenzen zu ziehen. So WOLPERS, Die englische Heiligenlegende, S. 25f.; HUG, Elemente, S. 187ff. S. unten Kap. VIII. Grundlegend WELTER, L'exemplum. Von den neueren Arbeiten seien lediglich BREMOND, LE GOFF, SCHMITT, L'"exemplum"; STIERLE, Geschichte als Exemplum; OPPEL, Zur neueren Exemplaforschung, genannt. OPPEL, Exemplum und Mirakel, S. 103 f., stellt fest, daß das Exemplum "keineswegs eine selbststandige Gattung" sei, sondern "verschiedenste Gattungen und Formen der Literatur" umfasse. Konkret weist er für das Mirakel den Gebrauch als Exemplum nach. Interessanterweise herrschte das Mirakel besonders in den Exemplasammlungen der benediktinischen und zisterziensischen Mönche vor, während Volksprediger Erzählungen anderer Art bevorzugten (ebd., S. 109). Vgl. dazu MELVILLE, Der Zugriff auf die Geschichte, S. 213ff., bes. S. 216. MELVILLE bezeichnet den normativen Charakter des mittelalterlichen Geschichtsverständnisses als "hyperphorisch" und die Suche nach exemplarischen Leitbildern in der Geschichte als "kataphorisch". Der "kataphorische" Einsatz von Geschichte, d.h. der Versuch, durch Beispiele aus der Geschichte auf Gegenwart und Zukunft einzuwirken, beschränke sich nicht nur auf den universell-ethischen Bereich menschlichen Fragens, er gäbe auch zu konkret-aktuellen Anlässen präzise Antworten. DE GAIFFIER, Hagiographie et Historiographie, S. 162, betont den normativen und normsetzenden Gebrauch der Geschichte in der Hagiographie. Er schränkt diesen aber auf den universell-ethischen Bereich ein: "Au sujet du texte sacré et des exemples des saints il (Grégoire le Grand!) les juge non point tant du point de vue du passé tel qu'il fut écrit ou accompli que du point de vue de ce qu'il annonçait, préparait; cette éternité vers laquelle il a pour fin de nous orienter. Cette influence non seulement de la Bible mais aussi de l'exégèse biblique explique le caractère souvent peu historique, parfois non historique presque toujours supra-historique de l'hagiographie."

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Charakter hatte 57 und man in ihr Vorläufer bzw. Entsprechungen zu Erscheinungen der Gegenwart suchte, konnte sie von den Autoren des Mittelalters verwandt werden, um sowohl die Gegenwart zu legitimieren als auch um Forderungen an die Zukunft zu stellen 58 . Nach Hanna Vollrath liegt die Erklärung für diese Art des Denkens in der Oralität der mittelalterlichen Gesellschaft 5 9 . Doch auch die rhetorischen Lehrbücher empfahlen den Autoren des Mittelalters das exemplum60. Neben dem Signum — einem materiellen Beweisstück — und dem argumentum — einer deduktiven, logisch-zwingenden Beweisführung — ist das exemplum — die induktive Beweisführung — das dritte rhetorische Mittel, mit dem eine Zuhörerschaft von einer Sache überzeugt werden konnte, und zwar auf besonders angenehme und effektive Weise 6 1 . Wie Peter von Moos in seinem jüngst erschienen Werk

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Stellvertretend sei GUENÉE, Histoire, S. 29, zitiert: "Chacun sait, au Moyen Age, que ce qui arrive, arrive par la volonté de Dieu. L'histoire a la noble tâche de dire ce qui a fait Dieu, gesta Dei. Elle est par essence religieuse." Vgl. ebd., S. 30f. und 208; vgl. auch RoussET, La conception de l'histoire, S . 626f. und 6 3 1 f.; SCHMALE, Funktion, S. 67; OERS., Mentalität und Berichtshorizont, S. 4 . POENSGEN, Geschichtskonstruktionen, S. 5, die einige historiographische Texte des 10. Jahrhunderts als Legitimation einer konkreten historischen Situation erkannte: "Für ein Denken, das wie das mittelalterliche gewohnt ist, die Geschichte als zielstrebige Ausführung eines bestimmten und erkennbaren Planes zu begreifen, liegt es daher nahe. Rechte, die beansprucht oder gesichert werden sollen, in der Vergangenheit vorgebildet oder bereits verwirklicht sein zu lassen, um damit ihre historische Berechtigung darzutun. " Den legitimierenden Charakter von Geschichtsschreibung zeigten PATZE, Adel und Stifterchronik, und MOEGLIN, Les ancêtres du prince, auf. Für ein in Gegenwart oder Zukunft erwünschtes Verhalten findet bzw. erfindet der mittelalterliche Autor ein "Vorbild" in der Vergangenheit; vgl. dazu auch GOETZ, Geschichte als Argument, bes. S. 66, wo es heißt, daß der mittelalterliche Mensch "in der Vergangenheit nur Belege für eine längst gefaßte und feststehende Meinung suchte, um die Probleme der eigenen Zeit zu meistern. Die Argumentation war folglich, mittelalterlichem Denken gemäß, vielfach anachronistisch, weil man die Vergangenheit stets unter modernem Blickwinkel betrachtete. ... Die Geschichte wurde bewußt oder unbewußt den jeweiligen Bedürfhissen angepaßt. " Johannes von Salisbury konnte sich nach VON Moos, Geschichte als Topik, S. 546, ebenfalls nicht "den Luxus reiner Vergangenheitsbetrachtung leisten." Seine Exempta seien "topisch-instrumental und in der Tat oft rhetorisch angewandt, weil es ihm nicht um eine historiographische Betrachtung vergangener Wirklichkeit, sondern um eine moralische Veränderung seiner eigenen Zeitsituation geht... ". Zum instrumenteilen Einsatz von genealogischen Schriften vgl. OEXLE, Die Karolinger; ALTHOFF, Genealogische und andere Fiktionen, bes. S. 433 und 440; in diesem Zusammenhang sind auch die unzähligen und viel diskutierten "Fälschungen" des Mittelalters zu sehen, vgl. dazu Anm. 83. VOLLRATH, Das Mittelalter in der Typik, S. 575: In oralen Gesellschaften stehe die Vergangenheit "in unmittelbarem Funktionszusammenhang mit der Gegenwart. Sie ist Erklärung, Legitimation für die Gegenwart. Ändert sich die Gegenwart, so muß sich auch die Vergangenheit ändern. " Sie übersieht aber die Möglichkeit, daß man mittels Geschichte auch auf die Zukunft einwirken kann. Vgl. auch GUMBRECHT, Schriftlichkeit, S. 165: "Exempel halten seit langem bewährte Handlungsmuster zur Handlungsorientierung in der Gegenwart bereit. " Einen Überblick über die Bedeutung der Rhetorik im Mittelalter gibt MURPHY, Rhetoric in the Middle Ages. Die sind — wie in der verwandten literarischen Form des Exempels — implizit im Text enthalten und müssen vom Leser erst erschlossen werden. Von Quintilian, Institutio oratoria V, 11, 6, wird das exemplum folgendermaßen definiert: res gesta aut ut gesta utilis ad persuadendum id quod intenderis commémoration zum Einsatz von aus der Geschichte entlehnten exempta, ebd., X, 1, 34 und Cicero, De inventione I, 30, 49; vgl. dazu LAUSBERG, Handbuch, S. 228: "Das exemplum hat also eine inhaltliche Quelle res gesta, res ut gesta §§ 411-414), eine «fl/i'toi-Funktion (utilis ad persuadendum § 63) und eine literarische Form (commemoratio §§ 415-417)". Zur Effektivität des exemplums vgl. MELVILLE, Der Zugriff, S. 206f. MELVILLE zitiert Giraldus Cambrensis, De principis instructione liber, 21/VII, 57: Longum enim iter est, ut ait Jeronimus, per praecepta, commodum autem et

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Einleitung

über das Exemplum darlegt, treffen sich in Quintilians Exemplum-Definition der persuasive Analogieschluß, der wesentlich auf die sogenannte Hebammenkunst des Sokrates zurückzuführen ist — bei jenem jedoch noch an den Dialog gebunden —, und die auf Cicero zurückgehende Unterscheidung von logisch-deduktiver ratiocinatio und rhetorischer inductio. Quintilian habe beide Aspekte miteinander verbunden und das induktive Heranführen von seiner Bindung an den Dialog gelöst. Somit habe Quintilian die Induktion auch als Rahmenbegriff für das historische Exemplum eingeführt 62 . Auch Jacques Le Goff unterstreicht in seiner Definition den narrativen und den auf die Überzeugung der Hörerschaft ausgerichteten Charakter des Exemplum: "son fonctionnement en tant que preuve historique".63 Seine Untersuchung, die sich in erster Linie mit dem Exemplum der Predigtliteratur des 13.-15. Jahrhunderts befaßt, läßt als einzig wichtiges Ziel der Überzeugungsstrategien der Prediger das "ewige Heil" der Hörer gelten64. Mag sein, daß dies für das Spätmittelalter zutrifft. Im frühen und hohen Mittelalter scheinen die dem Exemplum verwandten Gattungen der Viten und Miracula — Le Goff selbst rechnet sie zu den "Pre-Exempla" — auch ganz irdische Handlungsanweisungen geben zu wollen 65 . Im frühen und hohen Mittelalter hat man es weniger mit dem Exemplum als selbständiger Gattung als mit einer in verschiedenen Gattungen enthaltenen "Überzeugungsstrategie" zu tun66. Das exemplum war in der Länge nicht gebunden. Es konnte sich aus einem Wort, einem Geschehen oder einer ganzen Reihe von Geschehnissen zusammensetzen 67 . Gleich dem typologischen Denken, beruhte das exemplum auf dem Prinzip der Analogie, wie aus der Definition Barthes' klar hervorgeht: "C'est (das exemplum]) une similitude persuasive, un argument par analogie; on trouve de bons exempla ... et aussi, bien entendu, les contraires

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compendiosum per exempla. Weitere Belege für die besondere Effektivität, die mittelalterliche Autoren dem exemplum beimaßen, bei SIMON, Untersuchungen (1959), S. 103; BREMOND, LE GOFF, SCHMITT, L'"Exemplum", S. 30f. Zu den drei Klassen der "künstlichen Beweise", argumenta, exempla, signa vgl. LAUSBERG, Handbuch, § 357. BARTHES, L'ancienne rhétorique, S. 200, beschreibt den Vorteil des exemplums gegenüber den rationelleren Arten der Überredung so: "L'exemplum produit une persuasion plus douce, mieux prisée du vulgaire; c'est une force lumineuse, flattant le plaisir qui est inhérent à toute comparaison. " VON Moos, Geschichte als Topik, S. 192f.; zum Induktionsschluß ebd., S. 189ff.; Quintilian, Institutio oratoria, V, 11, 2-3. Eine besondere Art des induktiven Schlusses ist die insinuatio. Von den rhetorischen Lehrbüchern wird sie als eine Möglichkeit der im Prolog anzusiedelnden captatio benivolentiae in schwierigen Situationen beschrieben, so vor allem, wenn das Publikum ungünstig gestimmt war. Durch die List einer kurzweiligen historia sollte der Erzähler seine Zuhörer zum angestrebten Ziel seiner Überredung führen. Ebd., S. 552f. und S. 601 mit weiterführender Literatur und Quellenhinweisen.

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BREMOND, LE GOFF, SCHMITT, L ' " E x e m p l u m " , S. 3 5 .

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"La finalité de cette pédagogie n'est pas seulement une bonne conduite ..., ni le divertissement..., ni le bonheur terrestre de l'auditeur mais son salut éternel." Ebd., S. 37. Vgl. LE GOFF, Vita et Pré-exemplum. Der maßgebliche Unterschied zwischen Pré-exemplum und Exemplum ist nach LE GOFF, daß im Pré-exemplum der Held, meist ein Heiliger, exemplarisch sei, während im Exemplum die ganze Geschichte exemplarisch sei. Dem Pré-exemplum ginge es darum, den Leser von der Macht des Heiligen zu überzeugen. Der Zweck des Exemplums sei es, den Leser bzw. Hörer implizit oder explizit zu einer moralischen Handlung aufzufordern, ebd., S. llOf. Nach meinen Untersuchungen trifft der zweite Punkt auch auf die als Exempel gebrauchten Viten des frühen und hohen Mittelalters zu. So fragt sich auch GENICOT in seiner Einleitung zum Band L'"Exemplum" der Typologie des sources, S. 9: "Mais celui-ci (l'exemplum!) constitue-t-il bien un genre? N'est il pas plutôt un élément ou un procédé, ... utilisé dans des oeuvres de types diverses?" Vgl. BARTHES, L'ancienne rhétorique, S. 200f. und oben Anm. 55.

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(exemplum a contrario\)"6i. D i e einzelnen exempla eines Textes seien, so Barthes, durch das unsichtbare Band ihres gemeinsamen Nenners verbunden. Es sei die Aufgabe des Lesers, diese implizit vorhandene Lehre zu erkennen 6 9 . Der mittelalterliche Leser bzw. Hörer war an diese Art des Verstehens gewöhnt. Er wußte, daß er beim Zuhören auf Entsprechungen, Wiederholungen und Gegensätze achten mußte, um den verborgenen "Sinn" des Werkes herauszufinden 7 0 . Deshalb achtete er nicht w i e der moderne Leser auf die historische Wahrscheinlichkeit und die innere Kohärenz des Textes. Bei ihrem täglichen Umgang mit den Schriften des Alten und des Neuen Testaments s o w i e mit denen der Kirchenväter, die ihre Lehren zu einem großen Teil in die Form von exempla fassen, wurden die durchweg geistlichen Autoren des Mittelalters in der Technik, ihre Anliegen nicht direkt, sondern in Beispielen zu formulieren, geschult 7 1 . In der Benediktsregel werden die M ö n c h e aufgefordert, nur das zu tun, w o z u die communis monasterii regula und die maiorum exempla auffordern 7 2 . Heilige gelten im Kirchenverständnis als exempla, die im Sinne der imitatio Christi eine nicht abbrechende Tradition fortsetzen, die von Christus über die Apostel und Märtyrer zu den zeitgenössischen Heiligen reicht. In liturgischen Gebeten wird Gott angerufen, diese Reihe der Heiligen nicht abreißen zu lassen 7 3 . Schließlich ist der oft gebrauchte T o p o s von der historia magistra vitae ein aufschlußreicher Hinweis für die "exemplarische" Geschichtsauffassung des Mittelalters 74 .

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Ebd., S. 200. Ebd. So waren Beispiel und Gegenbeispiel durch die Norm des als vorbildlich hingestellten Verhaltens verknüpft, in dem Sinne, daß das vorbildliche Verhalten als nachahmenswertes und das diesem entgegengesetzte Verhalten als abschreckend dargestellt wurden. Beispiele dazu bei SIMON, Untersuchungen (1959), S. 104ff. MELVILLE, Wozu Geschichte schreiben, S. 102, stellt fest, daß Normen durch die mittelalterliche Geschichtsschreibung nicht konstituiert, sondern nur vermittelt wurden: "'Historia' sieht also ihren Nutzen wieder reduziert auf die Funktion eines reinen Wissensträgers, der zwar denotativ eindeutig auf die in praeteritio facta festgelegt ist, der aber gewissermaßen konnotativ erst gefüllt werden muß, um seinem Rezipienten wirkliche Werte gewinnen zu lassen." Vgl. ebd., S. 141: Geschichtsschreibung "normierte gleichsam aus dem konkret Geschehenen reziprok die Norm". Vgl. auch BREMOND, LE GOFF, SCHMITT, L'"Exemplum", S. 135: "Chaque exemplum oppose, de façon explicite souvent et toujours de façon implicite, une conduite méritoire et une conduite déméritoire. " Zu den nicht ausdrücklich formulierten sondern implizit enthaltenen Lehren vgl. auch oben Anm. 37. Nach Marie de France, Lais, hg. von RYNCHER, S. 1, hätten die "Alten" ihre Werke absichtlich unklar geschrieben, damit die folgenden Generationen sie neu interpretieren könnten: Custume fu as anciens, / Ceo testimoine Presciens,/ Es livres ke jadis feseient,/ Assez oscurement diseient,/ Pur ceus ki a venir esteient/ E ki aprendre les deveient,/ K'i peüssent gloser la lettre/ E de lur sen le surplus mettre. In zweien ihrer "Lais" wird die "verhüllte" Überlieferung thematisiert (Laüstic, Chèvrefeuille). BULTMANN, Der Stil der Paulinischen Predigt, hat für Paulus den Gebrauch von Typus, Antitypus und Exempla wegweisend untersucht. Von den Kirchenvätern bedienten sich vor allem Tertullian und Gregor der Große des Exemplums, um ihre Lehre zu stützen. Zum Exemplum bei Gregor dem Großen LE GOFF, Vita et Pré-exemplum. Octavus humilitatis gradus est, si nihil agat monachus, nisi quod communis monasterii regula vel maiorum cohortantur exempla. Benedicti Regula, hg. von HANSLK, VII, 55. Vgl. dazu GROSS, Auctoritas — maiorum exempla, S. 64, schon in Rom sei dem geschriebenen Gesetz das ungeschriebene, die maiorum exempta, gleich wichtig zur Seite gestanden. Dabei hätten die Römer in den maiores ihre Vorfahren gesehen, "deren ruhmvolle Eigenschaften und Leistungen als Exempla die Nachkommen verpflichteten. " Vgl. VON Moos, Geschichte als Topik, S. 93, mit Hinweisen auf liturgische Gebete. Vgl. LANDFESTER, Historia Magistra vitae; KOSELLECK, Historia magistra vitae, bes. S. 197ff.; SIMON, Untersuchungen (1958), S. 81ff.; DRAGONETTI, Le mirage, S. 28; GRAUS, Funktionen der spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung, S. 18ff. MELVILLE, Wozu Geschichte schreiben, S. 97ff., unterstreicht, daß es die "Vergleichbarkeit" war, die den Aufgriff von Vergangenem im Mittelalter erst sinnvoll machte. Dazu auch FLECKENSTEIN, Vom mittelalterlichen Geschichtsbewußtsein. Zur

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Einleitung

Sicherlich ist es unmöglich, direkte und eindeutige Einflüsse rhetorischer und theologischer Schriften auf die Praxis von Historiographie und Hagiographie im hohen Mittelalter nachzuweisen. "Der Nachweis von Einflußmöglichkeiten" wird auch hier genügen müssen 75 . Es soll lediglich versucht werden, ansatzweise die Voraussetzungen, das "Klima" zu beschreiben, das den Einsatz von Hagiographie zur Lösung konkreter Probleme, wie ihn wir und andere feststellen konnten, möglich machte. Das Denken in Analogien ist grundlegend für Typologie, Allegorie, Exempla und "Genealogie", ob man es aus dem spezifisch mittelalterlichen Geschichtsverständnis, der Oralität der mittelalterlichen Gesellschaft, der rhetorisch-literarischen oder der kirchlichtheologischen Tradition herleitet, es gehört zweifelsohne zu den Grundzügen der Mentalität des Menschen im Mittelalter 76 . Unter Mentalität werden hier im Sinne Jacques Le Goffs allgemein verbreitete, im Prinzip unreflektierte Denkkategorien verstanden, die die Vorstellungen und das Handeln der Menschen bestimmen 77 . Das Aufzeigen des göttlichen ordo in der Vergangenheit bzw. das Aufzeigen Gottes als dem Lenker der Geschichte kann somit nicht als die Absicht eines mittelalterlichen Autors bezeichnet werden, wie immer noch zu lesen ist78; es ist vielmehr eine in der mittelalterlichen Mentalität verankerte Denkweise. Daß Gott die Geschichte lenke und daß hinter den vergänglichen Dingen ein unveränderlicher ordo stehe, waren allgemein akzeptierte, ja interiorisierte Aussagen, die keiner Diskussion bedurften. Die jeweilige Absicht, die ein Autor mit seinem Werk verfolgte, wurde selten deutlich ausgesprochen. Sie ist im Werk implizit vorhanden und muß erst

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Überzeugungskraft historisch-authentischer Beispiele — im Gegensatz zu fabulae vgl. GUENÉE, Authentique et approuvé. So LUTZ, Rhetorica divina, S. 13, über die Beziehung zwischen normativer Poetik und literarischer Praxis im Mittelalter. Den Begriff der "Genealogie" prägte GUMBRECHT, Schriftlichkeit, S. 165. Mit diesem — meiner Meinung nach eher verwirrenden — Begriff der "Genealogie" meint GUMBRECHT aber nichts anderes als das, was schon AUERBACH, OHLY, FOUCAULT u.a. zur mittelalterlichen Geschichtsauffassung festgestellt haben. Doch stellt er sehr klar den Zusammenhang zwischen der mittelalterlichen Geschichtsauffasssung und den dominanten Textstrukturen des Mittelalters dar: "Nicht Veränderung in der Zeit macht die Besonderheit von Geschichtserfahrung im Mittelalter aus, sondern die Zurückfuhrung von in der Gegenwart bestehenden Institutionen und gegenwärtig vollziehbaren Erfahrungen auf den im göttlichen Schöpfungsakt entstandenen 'ordo' des Kosmos. ... Fundiert in dem epochenspezifischen Grundkonzept 'Genealogie' avancieren die Genealogie und 'historisches Exempel' genannten Textstrukturen zu dominanten historiographischen Artikulationsmustern. " "Le niveau de l'histoire des mentalités est celui du quotidien de l'automatique, c'est ce qui échappe aux sujets individuels de l'histoire, parce que révélateur du contenu impersonnel de leur pensée ...", LE GOFF, Les mentalités, S. 80. Vgl. verschiedene kurze Definitionen von Mentalität in, "Tavola rotonda: storia della mentalità". Zuletzt zu diesem Thema der Sammelband "Mentalitäten im Mittelalter" und darin besonders einleitend, GRAUS, Mentalität. Dazu, daß mittelalterliche Geschichtsschreibung kaum benutzt wurde, um das Wirken Gottes in der Geschichte aufzuzeigen, vgl. GRAUS, Funktionen spätmittelalterlicher Geschichtsschreibung, S. 24f. Mentalität und Absicht verwechselt LECLERCQ, L'amour des lettres, S. 151, wenn er schreibt, daß Geschichtsschreibung und Hagiographie die Erbauung und das Lob Gottes zum Ziel hätten. In demselben Sinne schreiben auch SCHULZ, Die Lehre, S. 70ff. und H U G , Elemente, S. 150. SCHMALE, Funktion, S. 1 und 9, bemüht sich um eine Abgrenzung zwischen Mentalität und Absicht, die er jedoch selbst wieder verwischt. Auch BEUMANN, Methodenfragen (=Einleitung zu HELLMANN), S. XIVff., versucht eine Abgrenzung zwischen intentionalen und funktionalen Daten. Am klarsten ist GUMBRECHT, Faszinationstyp Hagiographie, S. 55, der neben zwei konstanten, existentiellen Funktionen der Hagiographie — die man als in der Mentalität verankerte Funktionen bezeichnen kann — jeweils eine konkrete, in der jeweiligen historischen Situation begründete Funktion anführt. Vgl. auch ebd., S. 63ff.

Ein Forschungsüberblick

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erschlossen werden 7 9 . D e m mittelalterlichen Leser bzw. Hörer war, wie zu zeigen sein wird, diese Art der "indirekten" Kommunikation geläufig. Da er ebenfalls die jeweils aktuelle Situation — im Falle der "Vita Godehardi posterior" den Klosterbrand und die prekäre Lage der Hildesheimer Domherren — kannte, hatte er keine Schwierigkeiten, die Anspielungen und Episoden der Vita "sinnvoll" zu interpretieren. Ein Historiker des 20. Jahrhunderts muß dagegen erst mühsam die sinnvollen Zusammenhänge aus einer scheinbar inkohärenten Vita herausarbeiten, das Abfassungsdatum und den historischen Kontext ermitteln, um hinter den "Sinn" der Vita bzw. hinter die Absicht ihres Verfassers zu kommen 8 0 . Das analoge Geschichtsdenken schließt zwar einerseits die Betrachtung der Geschichte um ihrer selbst willen aus, macht es aber andererseits möglich, die Geschichte in den Dienst der Gegenwart zu stellen, sei es um sie zu legitimieren, sei es um — in Form von Exempeln — Forderungen an die Zeitgenossen zu stellen. Geschichte war eine "instrumenteile" Wissenschaft, eine Disziplin im Dienste der anderen. Doch wurde die Geschichte — wie schon seit langem bekannt ist — nicht nur zur Untermauerung theologisch-moralischer oder politisch-rechtlicher Grundsätze herangezogen 8 1 . Man setzte sie auch — wie schon gelegentlich gezeigt wurde — zur Lösung ganz konkreter, gerade anstehender

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GRAUS, Funktionen spätmittelalterlicher Geschichtsschreibung, S. 15, spricht in diesem Zusammenhang von "immanenter Tendenz", da die Forschung bisher von "Tendenz" sprach, wenn die Absicht eines Werkes offensichtlich war. Vgl. den methodischen Ansatz von BOUTHILLIER/TORREL, De la Légende, S. 98. Sie verlangen, daß bei einer Interpretation sowohl die Absicht des Autors wie sein Verhältnis zu den dargestellten Vorgängen berücksichtigt werden müssen. Auch sie betonen, daß die Absicht nicht immer explizit vom Text ausgesprochen werden muß: "Lorsque la chronologie est assurée, il faut... rechercher simultanément l'intention de l'auteur et sa situation par rapport aux faits. Il y a un va-et-vient entre ces deux démarches et elles s'éclairent mutuellement. ... Ce n'est pas une voie rapide, mais la connaissance de cette littérature (hagiographique!) est tout aussi exigeante que n'importe quelle autre." Vgl. die Zusammenfassung ihres methodischen Ansatzes, ebd., S. 97ff. In diesem Zusammenhang ist auch OPPEL, Exemplum und Mirakel, S. 113, zu zitieren, der seine Untersuchung folgendermaßen zusammenfaßt: "Mirakel als Exemplum läßt sich also weder von formalen noch von inhaltlichen Kriterien her bestimmen. Was bleibt, sind die für das Exemplum allgemein zu beobachtenden Merkmale der inneren und der äußeren Funktion, d.h. die Antwort auf die Frage nach dem Zweck (wozu?) und nach der jeweiligen kommunikativen Situation, dem setting bzw. dem Milieu des Erscheinens (wo?). Letzten Endes können jedoch nur Einzeluntersuchungen zu den Motiven, die zu der Abfassung von miracula führten, darüber Auskunft geben, welchen Zweck das eine oder andere Mirakel erfüllen sollte." VON Moos, Geschichte als Topik, S. 33f., unterstreicht ebenfalls die "hermeneutisch ausschlaggebende Kontextabhängigkeit ... allen Exempelgebrauchs", wobei er unter Kontext sowohl den textlichen wie den historischen Zusammenhang versteht. Allgemein zum "instrumenteilen" Charakter der Historiographie vgl. MELVILLE, Der Zugriff auf Geschichte, S. 170: "... daß mit historia vor allem ein Wissensträger angesprochen war, der sachgemäß erstellt und ausgelegt werden wollte, um als brauchbares Instrument den eigentlichen Wissenschaften dienen zu können." Und GUENÉE, Histoire, S. 26f.: "L'histoire était à tout le moins un savoir, une pratique et son utilité n'était contestée par personne. ... L'histoire sert donc la morale, la théologie, le droit." In demselben Tenor, VOLLRATH, Das Mittelalter in der Typik, S. 575. Zur Geschichte im Dienst der Theologie vgl. ROUSSET, La conception, bes. S. 624f. und S. 632f.; WOLPERS, Die englische Heiligenlegende, S. 21; GUENÉE, Histoire, S. 27f.; DRAGONETTI, Le mirage, S. 27. Zur Geschichtsschreibung als Propaganda, GUENÉE, Histoire, S. 332-338 und S. 363. Zur Geschichte als Legitimation im Dienst von Adelshäusern, HAUCK, Haus- und sippengebundene Literatur; PATZE, Adel und Stifterchronik; MOEGLIN, Les ancêtres du prince. Dazu, daß auch die Bibelexegese in den Dienst genommen wurde, um kirchenpolitische Ziele zu erreichen, vgl. SMALLEY, The Study of the Bible, S. 358.

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Einleitung

P r o b l e m e ein 8 2 . D e r "exemplarische" und der "instrumentelle" Charakter d e s mittelalterlichen Geschichtsverständnisses bedingten sich also g e g e n s e i t i g . D o c h fällt es heutigen Historikern immer n o c h s c h w e r zu akzeptieren, daß ihre mittelalterlichen "Kollegen" Geschichte g a n z e i n f a c h als "Mittel" zur D u r c h s e t z u n g ihrer Interessen verwandten, j a zu d i e s e m Z w e c k nicht einmal vor Geschichtsklitterung und G e s c h i c h t s f ä l s c h u n g zurückschreckten 8 3 . Erst w e n n m a n d e n "instrumentellen" Charakter der Geschichtsschreibung im Mittelalter akzeptiert hat, der, w i e g e z e i g t w u r d e , d e m D e n k e n in A n a l o g i e n dieser Zeit verankert ist, wird m a n d i e historiographischen Quellen a n g e m e s s e n beurteilen können. Inwieweit sind d i e s e Feststellungen z u m Geschichtsverständnis und zur Geschichtsschreibung d e s Mittelalters im a l l g e m e i n e n auch auf die H a g i o g r a p h i e übertragbar? Unterlag diese nicht — w i e lange geglaubt w u r d e — ganz anderen G e s e t z e n , w i e z . B . d e n Bedürfnissen der Liturgie und d e s Kultes 8 4 ? N a c h d e m in d e n v e r g a n g e n e n Jahrzehnten d i e H a g i o graphie als ein v o n der Historiographie streng zu unterscheidendes Genre mit g a n z spezifischer Tradition und e i g e n e n G e s e t z e n betrachtet w u r d e , häufen sich in der letzten Zeit d i e

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Vgl. dazu die eher theoretische Begründung von MELVILLE, Der Zugriff, S. 215f. Anhand konkreter Beispiele haben dies aufgezeigt POENSGEN, Geschichtskonstruktionen; KASTNER, Historiae; ALTHOFF, Causa scribendi; DERS., Genealogische und andere Fiktionen; GOETZ, Geschichte als Argument; GRAUS, Funktionen spätmittelalterlicher Geschichtsschreibung. Zum Einsatz von Hagiographie zur Lösung konkreter Probleme s. unten Anm. 94. Zur Diskussion um die Fälschungen im Mittelalter vgl. FUHRMANN, Die Fälschungen, und die kürzlich von DEMS. herausgegebenen Sammelbände "Fälschungen im Mittelalter". Vgl. auch SCHREINER, Discrimen veri et falsi; DERS., Zum Wahrheitsverständnis; GUENÉE, Histoire, S. 129-147 und 350ff.; GILSON, Philosophie du plagiat; SLLVESTRE, Le problème du faux; DRAGONETTI, Le mirage, S. 17-27. Die Verankerung in Kult und Liturgie betonen vor allem DELEHAYE, Les Légendes, S. 64 und DE GAIFFIER, Hagiographie et Historiographie, S. 140f., für den die Hagiographie lediglich Material für die Geschichtsschreibung darstellt und der unterstreicht, daß nicht nur Heiligenviten, sondern auch Martyrologien, liturgische Bücher, Miracula, etc. zur Hagiographie gehören; ebenso AIGRAIN, L'Hagiographie, S. 195. Zu dem nicht-liturgischen Gebrauch von hagiographischen Texten hat sich PHILLIPART, Les légendiers, S. 23, 30f. und 76, ausführlich geäußert. Bei ihm findet man auch eine Auseinandersetzung mit der älteren Forschung. Eine scharfe Trennung zwischen Hagiographie und Historiographie zieht LACROIX, L'historien, S. 44: "La biographie n'est pas historiographie; elle a ses propres lois et la liberté du biographe fait penser plutôt à celle du poète, tandis que l'historien, lui, s'en tient à ce qui est arrivé." Ebenso LOTTER, Methodisches, S. 307: "Im Gegensatz zur Historiographie verfolgt die Hagiographie nicht die Absicht der Nachwelt eine Darstellung geschichtlicher Vorgänge zu vermitteln, sondern will lediglich ihre Kulte propagieren, etablieren und stabilisieren. " Auch GRUNDMANN, Geschichtsschreibung, S. 29, meint, daß die Hagiographie keine historiographischen Ansprüche erhebe. Sie gehöre zur Erzählliteratur, diene dem liturgischen Kult, der Erbauung und der Unterhaltung. GRAUS, Volk, Herrscher und Heilige, S. 39, bezeichnet die Heiligenviten als eher literarische denn historische Werke. Ihre Eigenart erfordere eine spezifische Methode zu ihrer Erforschung. GUENÉE, Histoire, S. 53, sieht zwar einen "prinzipiellen" jedoch keinen "tatsächlichen" Unterschied zwischen Hagiographie und Historiographie: "En principe l'hagiographie et l'histoire sont deux genres distincts ... Cependant, dans le monastère, les oeuvres historiques ont le même souci d'édification que les oeuvres hagiographiques, elles ont la même fonction liturgique, elles sont destinées au même public, elles sont écrites par les mêmes auteurs qui, de surcroît, sont hagiographes avant d'être historiens et ... doivent souvent à l'hagiographie leur formation." Die Frage, inwieweit Hagiographie zur Historiographie gehört, stellt sich auch SIGAL, Histoire et hagiographie, S. 238. Nach einem Überblick über die in der Forschung vertretenen Meinungen und nach ihrer Überprüfung an der von ihm untersuchten, zur Hagiographie gehörenden Gattung der Miracula, kommt er S. 257 zu dem Schluß: "au moins dans le cas précis des Miracula, l'hagiographie fait bien partie de l'historiographie." Zuvor wies er jedoch einschränkend auf die große Diversität des hagiographischen Materials und der Miracula hin.

Ein Forschungsüberblick

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Stimmen, die die Hagiographie als Bestandteil der mittelalterlichen Historiographie ansehen, ja sie sogar als die "zentrale historische Subgattung innerhalb einer umgreifenden Gattung Historiographie" 85 bezeichnen. Nach Schmale ist der mittelalterliche Geschichts- und Realitätsbegriff, der in der ganzen Historiographie wirksam war, in der Hagiographie besonders stark ausgeprägt* 6 . In der Tat bietet sich die Heiligenvita, deren Gegenstand es per definitionem ist, exemplarisches Handeln aufzuzeigen und dieses in der Heilsgeschichte zu verankern, dem mittelalterlichen Geschichtsdenken, wie wir es oben gekennzeichnet haben, als kongeniale Gattung an. S o ist es sicher kein Zufall, daß Viten, Passions-, Translations- und Wundergeschichten ungleich viel häufiger geschrieben wurden als Gesten, Annalen und Chroniken 87 . D o c h sollten Heiligenviten von mittelalterlichen Autoren ähnlich den Gründungsberichten ganz pietätlos zur Durchsetzung "materieller" Interessen verfaßt worden sein? Obwohl schon seit langem bekannt ist, daß manche Viten unübersehbar geschrieben wurden, um aktuelle materielle Probleme einer geistlichen Gemeinschaft zu lösen, tat man solche Erscheinungen bisher als Randphänomene ab 88 . Mit materiellen Problemen sind hier neben der Sicherung und Erweiterung von Kloster- oder Kapitelbesitz auch rechtliche Auseinandersetzungen, wie im Falle der "Vita Godehard! prior", und Prestigefragen, wie im Falle der "Vita Heriberti", gemeint. Häufiger ist auch, wie im Falle der "Vita Annonis maior", eine Verteidigungsabsicht der Viten festzustellen, wenn der betreffende Heilige —

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GUMBRECHT, Schriftlichkeit, S. 166. DERS., Faszinationstyp Hagiographie, versucht eine neue Definition von "Gattung" zu erstellen, die der Mentalität einer Epoche Rechnung tragen soll. Eine Konsequenz seines neuen Gattungsbegriffes ist, daß Heiligenviten als "zentrale historiographische Subgattung" des Mittelalters gelten. Auch GRAUS, Funktionen der spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung, S. 14 und 25f., ist ein Verfechter der "fließenden Gattungsgrenzen". LECLERCQ, L'amour des lettres, S. 157, ist der Meinung, daß in der Hagiographie die Methoden der Historiographie nur auf eine spezielle Gattung angewandt werden. Funktion, S. 113. Für SCHIEFFER, Rheinische Geschichte, I, 3, S. 183, sind die hagiographischen Werke ebenfalls als Geschichtsschreibung aufzufassen, da sie häufig von entsprechenden Motiven geprägt seien. So nehmen im Register des WATTENBACH/HOLTZMANN/SCHMALE, Geschichtsquellen, die Heiligenviten 4, die Miracula 0,75 und die Translationes 0,5 Spalten ein (=5,25 Spalten für hagiographisches Schrifttum), während die Annalen 2, die Chroniken 1 und die Gesten 0,5 Spalten ( = 3 , 5 Spalten für Historiographie) beanspruchen. DE GAIFFIER, L'hagiographie en Flandre, S. 499, drückt sein Befremden sehr vornehm aus: "Enfin, sans rien exagérer et sans insister d'une manière déplaisante sur le moins relevé de ses emplois, il faut bien rappeler ici que parfois elle prêtait son concours à des visées qui ne se confondent pas de tout point avec le pur zèle de la maison de Dieu. " Völlig verständnislos kommentiert er die Fälschungen von Malmedy: "Le comble de l'inanité est atteint quand ses suscriptions amphigourifiques se présentent sous la plume d'un faussaire. ... Ce serait perdre son temps que de s'arrêter davantage à ces vaines déclamations." Ebd., S. 500. Vgl. DELEHAYE, Les passions des martyrs, S. 253, und DERS., Sanctus, S. 191f. POULIN, L'idéal de sainteté, S. 3, spricht von "immixion de motifs moins désintéressés" wie zum Beispiel den Kult eines Heiligen zu fördern, um das materielle Wohlergehen des Klosters zu unterstützen oder einem Auftraggeber zu gefallen. Doch sei immer das erste Ziel der Hagiographie: "édifier par la peinture d'une réussite morale". Schon sehr früh unterschied ZOEPF, Das Heiligenleben, S. 6: 1. Heiligenviten, die literarischen Zwecken, 2. solchen, die materiellen Zwecken dienen, 3. solche, die als theologische oder politische Streitschrift verwendet werden und 4. solche, die als Denkmal der Freundschaft gelten sollen. Doch auch bei ZOEPF ist die Erbauung die dominante Funktion der Hagiographie: "Zunächst ist es geschrieben der Erbauung wegen, zum Vorbild und zum Schutz. Diese Tendenz steht bei allen Heiligenviten im Vordergrund, soweit sie nicht direkte Machwerke zur Erreichung eines rein praktischen Zweckes sind." Vgl. HUG, Elemente, S. 34f.

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Einleitung

und damit seine Institution — ins Kreuzfeuer der Kritik geraten waren 89 . Die aufgezählten Aspekte sind keineswegs ausschließlich zu nehmen, ist es doch einsichtig, daß das Prestige eines Heiligen eng mit dem seiner Institution und damit mit deren materiellem Wohlergehen verknüpft war. Trotzdem war — und ist — es für viele unverständlich, daß Heiligenviten nicht in erster Linie des frommen Gedächtnisses wegen geschrieben wurden. Zweifellos haben die Heiligenviten des hohen Mittelalters ihren Platz in der Liturgie und als Tischlesung im Refektorium, sicherlich sind manche Viten — vor allem bereits kultisch verehrter Heiliger — im Hinblick auf den Kult hin abgefaßt worden, und dieser Rahmen hat auch die Texte geprägt 90 . Doch ist dieser Rahmen — d.h. der institutionalisierte Ort des Vortrages — weder mit der kultischen Verehrung noch mit dem Zweck bzw. dem Anlaß der Viten zu verwechseln. Wolfhere schreibt zum Beispiel, daß seine "Vita Godehardi posterior" vorgelesen werden solle, wenn Gäste im Kloster zu Tisch geladen seien 91 — dies ist der institutionalisierte Ort des Vortrages. Zweck und Anlaß der Vita waren jedoch, den Hildesheimer Bischof Hezilo auf die mißliche Lage seiner Domherren aufmerksam zu machen. Es ist gut vorstellbar, daß man Hezilo die Godehardsvita anläßlich eines seiner Besuche im Michaelskloster vorgelesen hat. Die tatsächliche kultische Verehrung des hl. Godehard setzte erst Jahre später ein, so daß kein direkter Zusammenhang zwischen der "Vita Godhardi posterior" und einem Godehardskult erkennbar ist92. Anscheinend wurden Heiligenviten im frühen und hohen Mittelalter nur vor einem kleinen, ausgewählten Kreis vorgelesen. Erst ab Ende des 12. Jahrhunderts las man sie auch größeren "Volksmassen" 93

vor . Die Verwendung von Heiligenviten zur Lösung konkreter Probleme tritt besonders häufig im 10.-12. Jahrhundert auf 94 . Doch scheint sie schon in ihren Anfängen zur Verteidigung konkreter Interessen herangezogen worden zu sein. Jacques Fontaine, der Herausgeber der "Vita Martini", hat in seiner vergleichenden Untersuchung der beiden im Abstand von 20 Jahren entstandenen Fassungen der "Vita Radegundis" herausgefunden, daß die unterschiedlichen Akzente der Fassungen auf einen verschieden gearteten "Sitz im Leben" des jeweiligen Autors zurückzuführen sind. Die spätere Vita der Nonne Baudonivia war von dem Bestreben geleitet, das Ansehen der Heiligen und damit des von ihr gegründeten Klo-

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Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt SOT, Gesta episcoporum, S. 48: "Arrêtons ici cette série d'exemples: elle nous indique les grands domaines d'efficacités des gesta: défense de biens de l'église, affirmation de son unité (z.B. gegenüber abhängigen Klöstern!), affirmation de son autorité face aux pouvoirs concurrents, qu'ils soient ecclésiastiques ou laïques." Vgl. DE GAIFFIER, Hagiographie et historiographie, S. 140 und 147; DERS., Hagiographie en Flandre, S. 476ff. Daß die Liturgie als die "Wiege" der mittelalterlichen Literatur überhaupt angesehen werden muß, unterstreicht ZUMTHOR, La lettre, S. 45f. ... unde non solum dominus cum suis domesticis festivus laetetur, sed et superventuris forte amicis Imitions coenae iocunditas reservetur — huius inquam more me libenter kiborare profiteor. MGH SS 11, S. 197, Z. 39f. Ähnliche Beispiele bei HEINZELMANN, Sanctitas und Tugendadel, S. 749 und DEMS., Translationsberichte, S. 118. S. unten Kap. IV, bes. Anm. 7. Diese Ansicht vertritt auch HEINZELMANN, Translationsberichte, S. 116f. Vgl. die Arbeiten von DE GAIFFIER, Les revendications de biens; VAN DER STRAETEN, L'Hagiographie du Mans; THOMAS, Studien; WOLTER, Intention und Herrscherbild; BÄK, L'hagiographie; BOUTHILLIER/TORREL, De la légende; SOT, Gesta episcoporum. SOT, Arguments hagiographiques, S. 98f., unterscheidet zwischen drei Typen von Argumenten: 1. das Eigentum einer Kirche gehört dem jeweiligen Kirchenpatron; 2. ein mahnendes Exemplum; 3. der möglichst apostolische Ursprung der Kirche. Siehe auch die in Anm. 58 genannten Arbeiten.

Ein Forschungsüberblick

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sters Sainte Croix von dem Vorwurf des Laxismus zu befreien 95 . Erst kürzlich machten Martin Heinzelmann und Joseph-Claude Poulin darauf aufmerksam, daß Struktur und Inhalt der um 520 entstandenen Genoveva-Viten eng mit den Ursachen ihrer Entstehung verknüpft sind 96 . Für das 7.-8. Jahrhundert liegen die Untersuchungen von Friedrich Prinz vor 97 . Baudouin de Gaiffier hat für den flandrischen Raum des 10.-12. Jahrhunderts den Einsatz von Hagiographie zur Lösung konkreter Probleme — meist geht es um Besitzsicherung — nachgewiesen. Er wollte jedoch, so scheint es in seinem nun schon 50 Jahre zurückliegenden Aufsatz, das Ausmaß dieser Verwendung von Hagiographie nicht wahrhaben 98 . Er sieht den Grund für diesen Einsatz von Hagiographie im Wegfall der üblichen Garanten von Eigentum, in erster Linie des schwachen französischen Königtums des 10. und 11. Jahrhunderts 99 . Muß man das Heranziehen der Hagiographie zur Lösung konkreter Probleme als "Desavouierung", als "Zweckentfremdung" des Heiligen oder noch schroffer formuliert als "Blasphemie" verstehen und ablehnen? Liegt hier nicht ein uns heute fremd gewordener Umgang mit dem Heiligen zugrunde? In einen anderen Zusammenhang gebracht, verliert das Problem an Spannung. Diese Arbeit entstand im Rahmen eines DFG-Projektes über pragmatische Schriftlichkeit, in dem auch nicht-hagiographische Texte auf ihre Entstehung und Funktion hin untersucht werden 100 . Es stellt sich heraus, daß nicht nur hagiographische, sondern auch Texte anderer "Gattungen" aus einer ganz bestimmten Situation heraus entstanden sind und auf diese einwirken wollten 101 . So betrachtet, ist es weniger die Hagiographie allgemein, die zur Erreichung konkreter Ziele eingesetzt wurde als vielmehr ihre schriftliche Form. Guy Phillipart hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß im hohen Mittelalter einerseits Heilige durchaus ohne schriftliche Zeugnisse verehrt werden konnten und daß andererseits eine schriftliche Vita noch lange kein Beweis für einen Kult

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FONTAINE, Hagiographie et politique, S. 137f.: "Pourquoi Fortunat et Baudonivie ont-ils opéré ces choix distincts et visé à présenter des aspects aussi différents de l'imitation de Martin par la reine? ... La première Vita suit probablement de peu la naissance du culte de sainte Radégonde, dans un monastère dont il importait Fortunat de préserver la cohésion autour du souvenir de la fondatrice disparue. D'où l'accent mis sur l'idéal ascétique de la reine. ... Mais vingt ans après la conjoncture a bien changé. ... Dès lors on peut se demander si la rédaction de la seconde Vie, confiée aux soins de la nonne Baudonivie, n'eut point pour objet une sorte de "reconstruction hagiographique" de la figure de la sainte, atteinte en son prestige posthume par le divorce perçu entre la sainte de vitrail proposée par Fortunat, et les calomnies, ou même les médisances, accumulées contre la fondatrice lors de la révolte et du procès qui s'en suivit." HEINZELMANN/POULIN, Les vies anciennes. Doch geht es PRINZ, Frühes Mönchtum, S. 492f., nicht um bewußt verfolgte Ziele und konkrete Anläße, die zum Schreiben von Viten führten. Die legitimierende "Selbstheiligung" des fränkischen Adels will er mit Recht nicht als "bewußte(n) ideologische(n) Akt" sondern als "politische 'Instinkthandlung'" verstanden wissen. Diese "Instinkthandlung" schließt jedoch nicht aus, daß darüber hinaus auch noch ganz konkrete Ziele mit einer Vita verfolgt wurden, wie dies die Untersuchung von FONTAINE z e i g t .

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DE GAIFFIER, Les revendications des biens. Zu seiner Ansicht, daß dieser Einsatz von Hagiographie eine Ausnahme sei, s. Anm. 88. Ebd., S. 126. Neben Viten führt DE GAIFFIER auch Miracula (S. 130ff.) und "Reiseberichte" ("rniracula in itinere", S. 133ff.) und den Triumphus S. Remacli (S. 135) an, die ebenfalls zur Erreichung materieller Zwecke eingesetzt wurden. Zu den recht einträglichen Reliquienreisen vgl. zuletzt SIGAL, Les voyages des reliques; RICHARD, Les récits de voyage. Das Projekt "Träger, Felder, Formen pragmatischer Schriftlichkeit im Mittelalter" wurde in den FMST 22, 1988 vorgestellt. Wie Anm. 28, 58 und 94.

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Einleitung

des betreffenden Heiligen ist 102 . Es wird grundsätzlich zu fragen sein, inwieweit Viten systematisch an einen Kult gebunden waren, d.h. ob mit der Abfassung von Viten in jedem Fall eine kultische Verehrung bezweckt war, oder ob der sakrale Charakter der Viten nicht einen Grund für ihren häufigen Einsatz als "geistliche Waffe" bildete. Da Geistlichen der Einsatz weltlicher Waffen verboten war, bedienten sie sich "geistlicher Waffen" — des bannenden und des schriftlichen Wortes —, um ihre Interessen zu verteidigen 103 . In den von mir behandelten Viten ist eine kultische Verehrung nur in zwei Fällen — Heribert und Anno — zweifelsfrei nachweisbar. Wahrscheinlich wurde auch die "Vita Bardonis auctore Vulculdo" im Hinblick auf eine kultische Verehrung abgefaßt. Bei den übrigen fünf Viten ist der Zusammenhang mit einer kultischen Verehrung mehr als zweifelhaft 1 0 4 . Das Fehlen eines Kultes könnte man direkt als Indiz für einen anders gearteten "Verwendungszweck"

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Wie Ami. 84. Mit dem Ausdruck des gladius spiritualis wurde im Mittelalter im allgemeinen die Exkommunikation bezeichnet, doch konnte er, wie KASTNER, Historiae, S. 83-130, zeigte, vereinzelt auch auf historiographische Zeugnisse angewandt werden. KASTNER wies nach, daß geistliche Gemeinschaften des 1I./12. Jahrhunderts Gründungsberichte zur Verteidigung ihrer Interessen als gladius spiritualis einsetzten. Ein schönes Beispiel findet sich in der Fundatio Monasterii Arroaensis, die der Abt des Klosters, Gautier, zwischen 1180 und 1193 schrieb. Gautier vergleicht schriftliche Zeugnisse mit einem "geistlichen Schwert", mit dem die "Stellvertreter Christi" ihren irdischen Besitz verteidigen können: "Ad exerendutn etiam spiritualem gladium adversos eos, qui super hiis que de munificentia regum et principum vel oblationibus fidelium possident ipsos impetierint, Christi vicarios adsciscunt et ad confirmationem sibi collatorum tarn summorum quam dyocesanorum pontificum litteralibus instrumentis, bulla vel sigillo omatis, se munirent." (Hg. von HOLDER/EGGER, MGH SS 15,2, S. 1118, Z. 29ff.) WOLLASCH, Kaiser und Könige, S. 18, machte darauf aufmerksam, daß Odilo von Cluny sein Handschriftengeschenk an Heinrich II. als "offero de nostris quoque spiritualis armis" bezeichnete (MGH, Poetae 5, Nr. 38, S. 395, Z. 11). Nach WOLLASCH bezieht sich Odilo auf das paulinische Bild von der Rüstung des geistlichen Lebens (Eph. 6,17: Nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes.). Zur Theorie des Schwertes im Mittelalter, CONGAR, L'ecclésiologie, S. 290ff.; FLORI, L'idéologie du glaive. Zu Theorie und Wirklichkeit des Waffentragens von Geistlichen im Mittelalter, PRINZ, Klerus und Krieg. Anscheinend setzte man nicht nur Gründungsberichte, sondern auch andere historiographische Gattungen, darunter die Viten, zur Verteidigung jeweils spezifischer Interessen ein. Auch war die antike Tradition der Schrift als Waffe wohl nicht in Vergessenheit geraten. In der antiken Rhetorik wurde nämlich die Ansicht vertreten, daß das forensische Reden ein Kampf sei. So unterscheidet Quintilian in seiner Institutio oratoria, X, 1, 29f. den Redner vom Dichter. Während der Dichter nur das Vergnügen, solarti voluptatem, zum Ziel habe, stünden die Redner wie Soldaten in der Schlacht, um den Sieg für höhere Ziele zu erkämpfen: nos vero armatos stare in ade et summis de rebus decernere et ad victoriam niti. Der Kirchenlehrer Augustinus, De doctrina, IV, 2, 3, verteidigte den Einsatz von Rhetorik bei der Verbreitung des Christentums mit dem Argument, daß es Dummheit wäre, im Kampf zwischen Wahrheit und Lüge die Waffe der Rhetorik dem Gegner zu überlassen. Zu dem Einsatz von Exempla als Waffe, vgl. VON Moos, Geschichte als Topik, S. 310. Dazu, daß Johannes von Salisbury "philosophisch nützliche(n) Autoren und Exempla, ... als wirksame Helfer, Mitstreiter im Kampf gegen die nugae curialium betrachtete und sie wie ein Feldherr" nach strategischer Beurteilung an geeigneten Stellen einsetzte, vgl. ebd., S. 400. Zu den Mathildenviten und zu der Vita Meinwerci vgl. ALTHOFF, Causa scribendi, S. 12ff. Zur Bedeutung des Wortes sanctus um die Jahrtausendwende vgl. CORBET, Sainteté dynastique, S. 65ff. Dazu, daß im Prinzip alle Bischöfe sancti sind, HEINZELMANN, Neue Aspekte, S. 39.

Ein Forschungsüberblick

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einer Vita ansehen, obwohl auch im Zusammenspiel mit dem Reliquienkult ein Einsatz der Heiligenverehrung für praktische Zwecke nicht ausgeschlossen war 105 . Die Verfolgung eines konkreten Zweckes und die kultische Verehrung des Heiligen konnten sich, wie im Falle Godehards, durchaus ergänzen 106 . Die Einsatzmöglichkeiten hagiographischer Texte änderten sich im Laufe des 12. Jahrhunderts mit der Einführung des päpstlichen Kanonisationsverfahrens 107 . Im 11. Jahrhundert, aus dem alle hier behandelten Viten stammen, lag die Heiligsprechung noch ganz im Ermessen der Bischöfe 108 . Nicht ohne Einfluß auf die Verwendung — und damit auch auf den Inhalt — hagiographischer Literatur war das Entstehen der neuen Orden. Es waren in erster Linie die Bettelorden, die Predigt und Seelsorge neu aufwerteten. Hagiographie wurde jetzt mehr als vorher in das allgemeine Bemühen um die moralische Unterweisung des breiteren Volkes eingesetzt. Am deutlichsten zeigt das wohl das Emporkommen neuer "Gattungen" wie der Predigtliteratur und den Exemplasammlungen, in denen viel hagiographisches "Material" verwendet wurde 109 . Auf der anderen Seite entwickelten sich auch neue Formen, um Konflikte, auf die man bisher mit schriftlicher Hagiographie einzuwirken suchte, zu regeln 110 . In einer Zeit der Rechtsunsicherheit oder besser gesagt der informellen und rituellen Konfliktregelung gehörte die Hagiographie, wie wohl die Schriftlichkeit allgemein, zu den "geistlichen Waffen" klerikaler Gemeinschaften 111 .

4. Die Methode Diese Arbeit geht weniger auf die literarische Tradition einzelner Motive, weniger auf den mit der Vita verbundenen Kult und nur wenig auf die in ihr enthaltenen Ideale ein. Dagegen wurde versucht, die jeweiligen Besonderheiten der einzelnen Viten aus der Situation des Autors und seiner Gruppe zu erklären. Dazu wurden zunächst durch immanente Textanalyse der ganzen Vita Schwerpunkte, Schlüsselwörter und andere Besonderheiten ermittelt, um aus diesen auf möglicherweise beabsichtigte, "implizite" Lehren der Vita zu schließen. D.h.

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Vgl. GEARY, Furta sacra. S. unten Kap. IV. 107 Vgl. VAUCHEZ, La sainteté en Occident, S. 25-37; KLAUSER, ZU der Entwicklung des Heiligsprechungsverfahrens; SCHWARZ, Heiligsprechungen; SCHLAFKE, Das Recht der deutschen Bischöfe in causis sanctorum; KUTTNER, La réserve papale du droit de canonisation. Bis dahin wurden Heilige durch den Akt der elevatio "kanonisiert". Dazu HERMANN-MASCARD, Les reliques, S. 82ff. 108 VAUCHEZ, La sainteté en occident, S. 28. I0 ® So LE GOFF, Vita et Pré-exemplum, S. 109, der die Form des Exemplums im Spätmittelalter ganz eng mit der Rolle der Predigt in dieser Zeit verbunden sieht: "Or nous pensons que l'exemplum à proprement parler est lié dans sa structure, son contenu et son utilisation, à un nouveau type de parole, à une évolution du récit, bref liée au fonctionnement de cette parole dans la société chrétienne à partir de la fin du Xlle siècle, essentiellement dans le renouvellement de la prédication." Vgl. auch ausführlicher in BREMOND, LE GOFF, SCHMITT, L'"Exemplum", S. 50-57. 110 Vgl. dazu mit weiterführender Literatur, GEARY, Vivre en conflit; ALTHOFF, Verwandte, Freunde und Getreue. 111 Zu dem Ausdruck gladius spiritualis wie Anni. 103. 106

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Einleitung

es wurde versucht, die vom Autor mit seinem Werk bewußt verfolgte, aber ungenannte Absicht herauszufiltern. Ebenso wurde jeder Text auf mögliche Hinweise zu Autor, Zielpublikum, Trägergruppe und Auftraggeber befragt 112 . Das Wort Trägergruppe bedarf einer Erläuterung. Wenn Wolfhere seine zweite Fassung der "Vita Godehardi" für Bischof Hezilo schreibt, damit dieser sich für die Belange der Hildesheimer Domherren einsetze, so sind die Hildesheimer Domherren die Trägergruppe der "Vita Godehardi posterior". Im 11. Jahrhundert schrieb ein Autor so gut wie nie als Privatperson, sondern immer als Vertreter einer Gruppe. Mit dieser teilte er nicht nur seine Wertvorstellungen und Ideale, sondern auch ganz konkrete Sorgen und Nöte. In den von uns untersuchten Fällen waren als Trägergruppen entweder die Kanoniker eines Domkapitels oder eine Klostergemeinschaft auszumachen. Größere Trägergruppen — wie z.B. die Ordensgemeinschaften — entstanden erst seit dem 12. Jahrhundert 113 . Danach wurde in einem zweiten Schritt zunächst das genaue Abfassungsdatum und dann der historische Kontext der Entstehung der Vita ermittelt. Zu diesem Zweck sind alle erreichbaren gleichzeitigen Quellen aus dem Umfeld sowie die Ergebnisse der Sekundärliteratur herangezogen worden. Die Ermittlung der Begleitumstände ermöglichte es, den Platz jeder Vita in einer "kommunikativen Situation" 114 — was die Frage nach der Trägergruppe und dem Zielpublikum miteinschließt — zu restituieren und die aus der immanenten Textanalyse gewonnenen Hypothesen über die möglichen Absichten des Autors zu überprüfen. Es stellte sich heraus, daß zwischen den Besonderheiten einer Vita und den "Begleitumständen" jedes Mal ein ursächlicher Zusammenhang bestand, d.h. daß die Sorgen des Autors bzw. die seiner Trägergruppe Form und Inhalt der jeweiligen Vita prägten. Der Anlaß, eine Vita zu schreiben, ist also nicht auf ein unbestimmtes "Bedürfnis" von Verehrung zurückzuführen, sondern hat seinen Grund in einer ganz konkreten Situation einer geistlichen Gemeinschaft. Weil Geschichtsschreibung im allgemeinen und Hagiographie im besonderen nicht nur in Orientierung an idealen Vorbildern geschrieben, sondern auch als handlungsweisende Exempel gelesen und verstanden wurden, war es möglich, Viten als "geistliche Waffen" zu verwenden. Offensichtlich bedienten sich geistliche Gemeinschaften

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Zu dieser Vorgehensweise sei noch einmal ZIMMERMANN, Neutestamentliche Methodenlehre, S. 25, zitiert: "Das 'historische Milieu', in dem eine Schrift entstanden ist, gibt Aufschluß über die Schrift selbst, wie umgekehrt die Kenntnis des Milieus weitgehend auf dem Studium der Texte beruht. Hier liegt jedoch kein circulus vitiosus vor, sondern die Bedingtheit der wissenschaftlichen Arbeit als solcher, wenn sie die Vergangenheit studiert." Es sei auch auf die unserem Ansatz verwandte, linguistische "Textpragmatik" hingewiesen. Diese begreift einen Text als Sonderfall gesellschaftlichen Handelns und versucht, den Rahmen eines Textes, sein Entstehen, seine Motive und Bedürfnisse, seine Absichten und Ziele, seinen Ort, seine Realisierung und seine Bewertung im Kontext des Lebens zu erforschen. Dazu SCHLIEBEN-LANGE, Linguistische Pragmatik. Schon TRAUBE schlug vor: "Aus der Gemeinsamkeit des Standes der Träger der Literatur einen leitenden Faden zu finden wäre nicht das Schlechteste. " Zit. nach HAUCK, Haus- und sippengebundene Literatur, S. 167, der seinen Ansatz gegen den Vorschlag TRAUBES absetzt. Die an der Mentalität orientierte Forschung berücksichtigte zwar die Trägergruppe, jedoch nur im Bezug auf die mit dem Autor geteilten Wertvorstellungen und Ideale und nicht in Bezug auf konkrete Sorgen und Nöten der Gruppe. So LAMMERS in seinem Vorwort zu Geschichtsdenken und Geschichtsbild, S. XVI. Vgl. auch SCHMALE, Funktion, S. 11; GUENÉE, Histoire, S. 16; DELOOZ, Sociologie, S. 7, 18, 24. Von den um die Mentalität bemühten Historikern wird der Begriff der Trägergruppe meistens sehr weit — eine ganze Region, ein ganzer Stand — angesetzt, während hier darunter eine historisch faßbare, sich selbst als Gruppe verstehende und konstituierende Anzahl von Menschen gemeint ist. Um eine konkrete Trägergruppe geht es auch SOT, Gesta episcoporum, S. 54: "Pourtant tous nos textes ont en commun ... d'être l'émanation d'un groupe, sinon d'une personne, précisément situé dans le temps et dans l'espace." GUMBRECHT, Schriftlichkeit, S. 158.

Die Methode des 11. Jahrhunderts unter anderem des Mittels der Heiligenvita, um mit diesem spiritualis" ihre Interessen zu verteidigen 115 .

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Wenn nicht anders vermerkt, beziehen sich die Quellenangaben in den Anmerkungen auf die im jeweiligen Kapitel behandelte Vita. Ebenso beziehen sich Rückverweise auf Anmerkungen desselben Kapitels. — Alle Hervorhebungen sind, falls nicht anders vermerkt, von mir vorgenommen worden, um ein rascheres Lesen der lateinischen Quellen zu ermöglichen.

II. DIE VITA BURCHARDI — EINE PARÄNESE FÜR DIE KANONIKER VON WORMS

"Vor Gott hat der fromme Hirte nämlich viel für die ihm anvertraute Herde getan, und vor der Welt hat er viele Verleumdungen und schlimme Geschehen, denen er mit starker Brust männlich widerstand, ausgehalten. Das alles werden wir an geeigneter Stelle mit Gottes Hilfe ausführlicher erzählen." 1 D i e s e r Satz aus d e m P r o l o g zur "Vita Burchardi" 2 faßt einerseits alle im P r o l o g g e äußerten G e d a n k e n z u s a m m e n und kündigt andererseits — g e m ä ß d e n rhetorischen V o r schriften — d i e T h e m e n an, d i e der Leser in der Vita erwarten darf 3 . D e r P r o l o g ist in z w e i T e i l e unterteilt: in e i n kürzeres W i d m u n g s s c h r e i b e n , das w a h r s c h e i n l i c h an d e n Speyerer B i s c h o f und g u t e n Freund Burchards, Walter ( 1 0 0 4 - 1 0 2 7 ) , gerichtet war und v o m Autor exordium

genannt w i r d , und in d e n e i g e n t l i c h e n P r o l o g , der in d i e für e i n e

Vita a u ß e r g e w ö h n l i c h e F o r m e i n e s D i a l o g e s g e f a ß t ist 4 . D i e W i d m u n g an B i s c h o f Walter v o n S p e y e r ist i n s o f e r n v o n B e d e u t u n g , als sich aus ihr das A b f a s s u n g s d a t u m der Vita, v o r 1 0 2 7 , d e m Todesjahr W a l t e r s , ableiten läßt 5 . D e r P r o l o g z e i g t d e n Autor, traurig und sinnend dasitzend, bis ihn ein Freund mit g u t e n W o r t e n a u f b e s s e r e G e d a n ken bringt und zur A b f a s s u n g der Vita überredet. A l s Grund für s e i n e Trauer gibt der Autor s e i n e e i g e n e U n f ä h i g k e i t und die S c h l e c h t i g k e i t der M e n s c h e n an, d i e er nach d e m T o d e Burchards erst richtig z u spüren b e k a m . B e i d e hielten ihn v o n der A b f a s s u n g

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Multum enim pro grege sibi commisso pastor pius apud Deum laboravit, multasque calumnias et calamitates pectoreforti viriliter resistendo apud seculum sustinuit. Quae omnia in lotis congruis Deo adiuvante planius enarrabimus. Prol., S. 832, Z. 22ff. Zitiert wird nach der Ausgabe von WAITZ, Vita Burchardi episcopi Wormatiensis, MGH SS 4, S. 829-846; die Vita wurde auch von Boos, Quellen zur Geschichte, S. 97-126, herausgegeben. Übersetzt wurde sie von BORSCHINGER, in: Wormatia Sacra, S. 8-43. Nach der Überlieferung zu schließen, hat die Vita im Mittelalter kein großes Interesse gefunden. Sie wurde nur zum Teil in die Kirschgartner Chronik (Cronica civitatis Wormatiensis per monachum quendam Kirsgartensis descripta) übernommen. Die restlichen Abschnitte überliefert Berthold von Questenburgh in der Editio princeps der Decretorum libri XX (Köln 1546) auf den dem Dekret vorangestellten, nicht numerierten Seiten. Vgl. zur Überlieferung der Vita neben der Einleitung von WAITZ auch Boos, Quellen zur Geschichte, S. XXVIf. Vgl. BARTHES, L'ancienne rhétorique, S. 214f.; LAUSBERG, Handbuch, §§ 272, 288, 311. Das Widmungsschreiben mit Bitte um Korrektur und Schutz endet mit dem Satz: Istud autem opusculum hoc modo sumpsit exordium. Daß mit tu praesulpiissime N. (Prol., S. 830, Z. 22), dem die Vita gewidmet ist, Bischof Walter von Speyer (1004-1027) gemeint war, läßt sich daraus schließen, daß Burchard als sein amicissimus und seinfamiliarissimus bezeichnet wird (ebd., Z. 36). Zur Zweiteilung des Prologs vgl. LUTZ, Rhetorica divina, S. 50-55. Über das Abfassungsdatum der Vita Burchardi besteht in der Forschung ein allgemeiner Konsens; vgl. WATTENBACU/HOLTZMANN, Geschichtsquellen, I, 2, S. 212; MANITIUS, Literatur, II, 2, S. 300; KERNER, Artikel "Burchard" in: Verfasserlexikon 1, Sp. 1121-1127.

Die Vita Burchardi

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der Vita ab6. Außerdem würde er, sobald er an seinen ehemaligen Bischof denke, in Tränen ausbrechen. Der Gedanke, daß der Bischof zu seinen Lebzeiten alle weltliche Unbill von dem Autor und seinem Gesprächspartner ferngehalten habe, sie aber jetzt unter der Welt zu leiden hätten, durchzieht wie ein Leitmotiv den ganzen Prolog7. Der Autor und sein Freund reden sich gegenseitig mit frater an8. Da sich beide über die "weltlichen Lasten", die sie bedrückten, beklagen, ist zu vermuten, daß es sich um zwei "geistliche Brüder", d.h. um Angehörige einer geistlichen Gemeinschaft handelt, die hier den Tod ihres Bischofs betrauern. Das würde bedeuten, daß mit grege sibi commisso aus dem eingangs angeführten Satz nicht etwa die ganze Wormser Diözese und auch nicht die Stadt Worms gemeint waren, sondern eben die geistliche Gemeinschaft, der die beiden "Brüder" des Prologes angehören. Diese Vermutung wird durch eine Besonderheit der "Vita Burchardi" gestützt, die den Historikern bisher entgangen war: 15 der 24 Kapitel der Vita betreffen die Kanoniker der Stadt Worms. Hinter den beiden fratres des Prologes wären demnach zwei Wormser Kanoniker zu vermuten. Das, was heutige Leser von einer Biographie Burchards von Worms erwarten, fehlt dagegen völlig oder wird höchstens gestreift. Schon Max Manitius fällte das Urteil, "daß der Verfasser seine Aufgabe nicht eben glänzend gelöst habe". Die Reichsgeschichte, die Burchard mitbeeinflußt habe, würde nur als "chronologisches Gerüst" gestreift. So läßt die "Vita Burchardi" bei einem modernen Leser viele Fragen offen, und viele würden sich Manitius anschließen, der seiner Enttäuschung mit folgenden Worten Ausdruck gab: "Aber man würde doch in einem ziemlich ausführlichen Leben Burchards vielmehr die bestimmenden Einflüsse und die Bedeutung der den Bischof umgebenden einflußreichen Persönlichkeiten hervorgehoben sehen, als es in der Wirklichkeit der Fall ist. "9 Manitius und mit ihm viele moderne Historiker übersahen, daß

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Prol., S. 831, Z. 8ff. und Z. 37. Zu diesen Exordialtopoi vgl. SIMON, Untersuchungen (1958), S. 91 ff. und S. 108ff. ... quomodo seculares turbines diversasque adversitates ... orationis constantia saepissime compescuerit, narravi, et ita iucundissimum duximus diem, ... Prol., S. 831, Z. 30ff. Sed illa de quibus dixisti gravia onera et miseras mundanarum rerum curas ... lllos autem fluctuantes seculi turbines ... quos vivente beatopatrono nostro rarissimos sensimus, ... ebd., S. 832, Z. 9ff. Fateor, inquam, quodpiis eius orationibus a felis periculosis Semper protecti sumus, ... ebd., Z. 20ff. Oportune, frater, inquam ..., Prol., S. 831, Z. 3. Haec te, frater, similiter mecum cognoscere puto ..., ebd., Z. 47, et si quid potero, tibi, frater, suggerere non desisto, ... ebd., S. 832, Z. 20. GROSCH, Burchard I., S. 19, führte diese Anrede zu der Annahme, daß es sich hierbei um zwei leibliche Brüder, Immo und Azecho, handle, die er auch in der älteren Wormser Briefsammlung vertreten glaubte. MANITIUS, Literatur, II, 2, S. 301. MANITIUS kritisierte vor allem, daß der Autor in der Vita Burchardi mehrfach Alperts von Metz, De diversitate temporum, ausgeschrieben hat (MANITIUS, ebd., S. 300f.); vgl. auch WATTENBACH-HOLTZMANN, Geschichtsquellen, I, S. 212: "Freilich ist die Vita ihres Gegenstandes nicht eben sehr würdig. Sie preist ihren Helden über alles Maß und auf die Kosten seiner Vorgänger, ohne doch ein volles Bild seiner wirklichen Verdienste zu geben." Auch FICHTENAU, Vier Reichsbischöfe, S. 90, geht mit seinem Urteil, obwohl es etwas milder ausfallt, an der eigentlichen Absicht des Verfassers vorbei. Boos, Monumenta Wormatiensia, S. XXVI, wies diese Art von Kritik als die Arbeitsweise mittelalterlicher Autoren nicht berücksichtigend zurück. Nach LAUDAGE, Priesterbild, S. 106ff., der der Vita Burchardi mehrere Seiten widmet, markiert die Vita Burchardi einen "echten Wendepunkt in der Kirchengeschichte". Er bezieht sich dabei auf das von der Vita vermittelte neue Priesterbild, insbesondere die neue Eucharistiefrömmigkeit. Zum historischen Burchard und zur Geschichte der Stadt Worms vgl. die neueren Arbeiten von BERENDES, Die Bischöfe von Worms; BÜTTNER, Das Bistum Worms; DERS., Die Bischofsstädte; ZOTZ, Bischöfliche Herrschaft.

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der Autor — auf den später ausführlich eingegangen wird — weder Burchard als Reichsbischof noch Burchard als gelehrten Verfasser einer Kanonessammlung und eines Hofrechtes beschreiben wollte; vielmehr wollte er die Bedeutung Burchards als "Vater" und "Patron" der Wormser Kanoniker festhalten10. Gemessen an diesem Ziel, ist die "Vita Burchardi" ein gelungenes Werk. Sehen wir uns auf diese Hypothese hin den Inhalt der "Vita Burchardi" an. Geburt und Herkunft des Bischofs werden nur erwähnt und nicht besonders ausgestaltet11. Von seiner Lehrzeit unter Erzbischof Willigis von Mainz wird allein Burchards Einsatz für die Kanoniker von St. Viktor ausführlicher beschrieben. Diesem "ärmsten Ort" der Stadt Mainz sei Burchard als Propst vorgesetzt worden. Er habe dort ein vorzügliches Stift gebaut und für die Kanoniker von St. Viktor Pfründe und Eigentum aus privatem und königlichem Besitz erworben12. Kapitel drei bis fünf sind getrennt zu behandeln. In ihnen geht es um Franko, Burchards Bruder und Vorgänger auf dem Wormser Bischofsstuhl, einen engen Vertrauten Ottos III., und um die mit Hindernissen verknüpfte Wahl Burchards zum Bischof13. In Kapitel sechs und sieben gibt der Autor vor, daß die Salier, die in der Tat bis zu Burchards Kommen in Worms etabliert waren, Worms in eine tote Stadt verwandelt hätten, in der Diebe und Wölfe das Sagen hatten14. Erst durch Burchard seien die Sicherheit und die Bürger in die Stadt zurückgekehrt. Die Auseinandersetzung habe damit geendet, daß Burchard, so wird im neunten Kapitel berichtet, bei Heinrich II. den Abzug der Salier aus der Stadt erreichen konnte. Ihre Burg habe er in das Kanonikerstift St. Paul umgebaut, dessen Kirche er mit dem Titel ecelesiam ob libertatem civitatis versehen habe15. Hier liegt eine klare Parallele zu der Darstellung der Einrichtung des Kanonikerstiftes in Mainz vor: Wie Burchard in Mainz einen sehr armen Ort in ein reiches Stift verwandelt habe, so habe er in Worms die Salierburg, Wurzel der Verwüstung und des Streites in der Stadt, in ein Kanonikerstift verwandelt, et quae erat domus contentionis, facta est domus reconciliationis16. Im 10. Kapitel erfahren wir, wie Burchard seine Kanonessammlung zusammenstellte und daß der Propst der Wormser Domherren, Brunicho, einer seiner Helfer war17. Das 11. Kapitel gilt dem Neubau des Wormser Petrusdomes, der Kirche der Kanoniker, den Burchard veranlaßt hatte, eines mirae magnitudinis monasterium1*. Das 12. Kapitel behandelt die Wiederherstellung des Kanonissenstiftes Nonnenmünster von Worms. Es hat die Besonderheit, daß Burchard es seiner Schwester Mathilde anvertraute, die zuvor weltlich gelebt hatte. Mit Hilfe ihres Bruders habe sie die Klosterbauten erneuert und

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Sanctam Deoque consecratam vitam beati patris nostri Burchardi episcopi... secundum mei ingenii modulum et conscientiae testimonium scribere, animus me assiduis suggestionibus incessanter impulsai. Prol., S. 831, Z. 22ff. Dixisti namque, te non adhuc esse oblitum meae interrogationis et de actibus nostri senioris. Ebd., S. 832, Z. 4f. Zu dem Autor der Vita Burchardi vgl. unten S. 37f. C. 1, S. 832f. C. 2, S. 833. C. 3 und 4, S. 833f.; vgl. unten Anm. 74. C. 6 und 7, S. 835; vgl. dazu SCHMIDT, Kaiser Konrads Jugend und Familie, S. 312; SCHAAB, Die Diözese Worms, S. 143; BÜTTNER, Zur Stadtentwicklung von Worms, S. 399f. C. 9, S. 836f. His modis vir Dei domum belligeram mutaverat in Christi ecclesiam, et quae erat domus contentionis, facta est domus reconciliationis, in qua Deo nostro laudes et gratiarum actiones die noctuque solvuntur. C. 9, S. 837, Z. 6. Nam domino Walterio Spirensi episcopo adiuvante et Brunichone praeposito exhortante et suggerente, canones in unum corpus collegit, ... c. 10, S. 837, Z. 17f. C. 11, S. 837.

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das Leben der Schwestern nach der Kanonikerregel gestaltet: earumque conversationem fratris adiutorio rationabiliter, sicut canonicus deposcit ordo, per omnia disposuit™. Der Bericht über die Einmauerung einer der Schwestern als Inklusin wird vom Autor benutzt, um eine Rede Burchards an die Kanoniker einzufügen20. Kapitel 14 und 15 handeln wieder von der Kirche der Domherren, dem Petrusdom. Nach Einsturz des Neubaus, der Heinrich II. zur Last gelegt wird, seien es die Kanoniker gewesen, die den tiefbetrübten Bischof dadurch, daß sie den Einsturz als Prüfung Gottes auslegten, mit der er seinen geliebten Diener auf die Probe stellen wollte, getröstet hätten21. Diese Episode wird vom Autor ganz breit, in Form eines Dialoges zwischen dem Bischof und seinen Kanonikern ausgestaltet. In nur zwei Jahren sei der Dom wiederhergestellt gewesen. Der Autor, wohl selbst einer der Domherren, kann es nicht unterlassen festzustellen, daß Burchard die Kapitelle des Domes vergolden und auch sonst allerlei Verzierungen anbringen ließ. Das folgende 16. Kapitel gilt ausschließlich den Kanonikern: Burchard habe die Pfründe der Domherren — praebendam fratrum ad sedem Deo servientium —, die veraltet und beinahe ganz vergessen gewesen seien, erneuert und verbessert. Er habe angeordnet, daß alle Kanoniker der Stadt ihre Mahlzeiten gemeinsam im Refektorium einnähmen. Er habe die Pfründe der Kanoniker von St. Cyriakus in Neuhausen erneuern und ihre Gebäude wieder herrichten lassen. Ebenso habe er das Stift St. Andreas, das vorher außerhalb der Stadtmauern lag, in der Stadt wiederaufgebaut und dort 20 Kanoniker eingesetzt22. Kapitel 17 gibt den Übertritt des Dompropstes, Brunicho — derselbe, der Burchard bei der Abfassung des Dekretums geholfen haben soll —, in ein Mönchskloster als Anlaß für die berühmte Rede Burchards an. Burchard versuchte in dieser Rede, die Wormser Kanoniker von der Gleichwertigkeit von Mönchen, Laien und Kanonikern zu überzeugen, und forderte die Kanoniker auf, in ihrem Stand zu verharren23. In den beiden nächsten Kapiteln 18 und

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C. 12, S. 836; daß mit dem monasterium sanctimonialium, ebd., Z. 31, ein Kanonissenstift und kein Nonnenkloster gemeint war, geht aus der in demselben Kapitel mehrfach zitierten regula canonica hervor: statimque regulam canonicam ... eam discere praecepit, ebd., S. 838, Z. 13f., et quasi omni vita sua secundum regulam fuisset enutrita, ebd., Z. 19; sicut canonicus deposcit ordo, per omnia disposuit ebd., Z. 28. Dazu, daß es sich bei Nonnenmünster am ehesten um ein in der Karolingerzeit gegründetes Kanonissenstift handelt, vgl. SCHAAB, Die Diözese Worms, S. 194. C. 13, S. 838f. C. 14 und 15, S. 839f. Als der Neubau, von dem weiter oben schon die Rede war, beinahe abgeschlossen war, habe Heinrich II., in Worms auf Durchreise, auf die Weihe des Domes gedrängt (c. 14). Zwei Jahre später sei das Gebäude eingestürzt (c. 15). Ohne es ausdrücklich zu sagen, schiebt der Autor die Schuld an diesem Einsturz allein durch die unmittelbare Nebeneinanderstellung dieser, zwei Jahre auseinanderliegenden Ereignisse Heinrich II. zu. Zu dem Topos: Wen der Herr liebt, den züchtigt er (Prov. 3,12; Hebr. 1 2,6), vgl. BORNSCHEUER, Miseriae regum, S. 45ff., der diesen Topos mit dem christomimetischen Heilscharakter des Leidens in Verbindung bringt. Deinde praebendam fratrum ad sedem Deo servientium, quae ex vestustissima antiquitate iam defecerat ac omnino pene neglecta erat, rationabiliter revocaverat et in optimum usum mutaverat. Ergo cunctis canonice ordinatis, omnes fratres secundum regulam victu cotidiano refici ad refectorium simul praecepit. Similiter praebendam fratrum apud Sanctum Cyriacum, ex incursorum negligentia pene destructam, misericorditer renovavit, et eos simul refici iussit. Omnia autem loca ad se pertinentia ex vetustate pene destructa ac desolata miro ingenio renovavit et muris variisque aedificiis egregie decoravit. Monasterium autem simul et claustrum sancti Andreae, quod extra murum constitutum per neglectionem desolatum erat, intra civitatem aedificavit, et causis canonicis ad usum fratrum venerabiliter ordinatis, ad laudem et gloriam Dei nostri vitam regulärem instituit. C. 16, S. 840, Z. 8-18; vgl. dazu BERENDES, Die Bischöfe, S. 41ff. C. 17, S. 840.

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19 gibt der Autor den Briefwechsel zwischen einem Schüler der Domherren und Burchard wieder. Er dreht sich um die Frage, ob Moses und Elias tatsächlich 80 Tage gefastet haben, da doch Jesus nur 40 Tage in der Wüste war24. In Kapitel 20 wird die Abfassung des Hofrechtes erwähnt und in einer Art Tugendkatalog von Burchards Askese und Seelsorge berichtet, übrigens zum einzigen Mal in dieser Vita25. Kapitel 21 ist dem Antrittsbesuch Konrads II. in Worms vorbehalten26. Bevor Burchard stirbt (Kapitel 22), habe er seinen Leuten noch eine letzte ermahnende Rede gehalten. Während die Kanoniker um ihren sterbenden Bischof getrauert hätten, sollen die anwesenden Fürsten schon das Zimmer nach Geld und Schätzen, allerdings erfolglos, durchsucht haben27. Kapitel 23 hat den Tod und die Bestattung Burchards zum Gegenstand. Bei der Öffnung eines Schreines, den Burchard sein Leben lang geheim gehalten hatte, seien neben der Schwester Burchards einige Kanoniker anwesend gewesen28. Der Leichnam Burchards sei in allen Stiften der Stadt ausgestellt worden, bevor er im Westchor des Domes vor dem Laurentiusaltar bestattet wurde29. Das letzte, 24. Kapitel besteht aus einer einzigen Schimpfkanonade gegen die Feinde und Neider Burchards und knüpft wohl an die im Prolog genannten Feinde und Neider an, die den Autor zunächst von der Abfassung der Vita abgehalten hätten30. Es dürfte klar geworden sein, daß der Gesichtspunkt, von dem sich der Autor bei der Auswahl der Ereignisse aus Burchards Leben leiten ließ, Burchards Beziehung zu den Wormser Kanonikern war. Die Wormser Kanoniker oder besser gesagt Burchards Einsatz für die Wormser Kanoniker machen den Schwerpunkt der Vita aus. Die Wormser Kanoniker scheinen Burchard alles zu verdanken: eine befriedete Stadt, neue, bzw. erneuerte Gebäude und gesicherte Einkünfte. Es sollen jetzt noch einige Stellen angeführt werden, aus denen ersichtlich wird, daß das Wortfrater in der "Vita Burchardi" ganz allgemein synonym zu canonicus ist und daß sich der Autor selbst zu ihnen zählte: so z.B. im zweiten Kapitel, in dem berichtet wird, wie Burchard in Mainz als Diakon unter Erzbischof Willigis das Kanonikerstift St. Viktor erbaute und einrichtete: Narrt egregium motiasterium simul et claustrum canonicorum in honore sancti Victoris ibidem construxit. Positisque ad electionem fratrum claustri primatibus, cursum certis temporibus ex signis decantari servarique praecepil31. Auch im siebten Kapitel, das mit der Einrichtung des Wormser Stiftes St. Paul endet, werden mit Kanoniker und fratres dieselbe Personengruppe bezeichnet: Ergo cunctis quae ad canonicam regulam pertinebant rationabiliter ibi compositis viginti fratres, qui cursum certis temporibus ac signis conservarent, ibidem instituif2.

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C. 18 und 19, S. 840-843. C. 20, S. 843f. C. 21, S. 844. C. 22, S. 845. Quae (Mathilde, Schwester Burchards!) statim post obitumfratris, quibusdam convocatis ex nostris, dicta illius narravit et tunc scrinium aperuit. C. 23, S. 845, Z. 42f. Aderant in exequiis eius sui milites, ...ad sedem principalem tandem detulerunt. Ibique ab universis fratribus venerabiliter acceptum, solitis custodiebatur officiis. Ebd., S. 846, Z. lf. Es ist fast wortwörtlich aus Alperts von Metz, De diversitate temporum (hg. von VAN RLJ, I, c. 16, S. 34ff.) abgeschrieben und steht mit dem Rest der Vita in keinem inneren Zusammenhang; es sei denn, man identifiziert die nach Schätzen suchenden Fürsten des 22. Kapitels mit den Feinden und Neidern Burchards. C. 2, S. 833, Z. 9ff. C. 9, S. 837, Z. 4ff.

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Ganz deutlich wird es schließlich im 16. Kapitel, in dem Burchards Verdienste um die "Kanonikerbrüder" am Dom, bei St. Cyriak und St. Andreas zusammenfassend dargestellt werden33. Aus zwei weiteren Stellen geht hervor, daß sich der Autor selbst zu den fratres zählte und demnach selbst Kanoniker war. So erfahren wir, daß er anwesend war, als ein Schüler der Domschule den im 18. Kapitel überlieferten Brief an Burchard abfaßte: ... et illi, nobis praesentibus, quasi pro occasione dictandi, humili manu porrexit34. Der Autor war auch dabei, als die "Brüder" gemeinsam den ebenfalls in der Vita überlieferten Antwortbrief Burchards "verschlangen": Illi autem ... devorantes, quae superfuerunt cum aliis fratribus partiti sunt, et ita ad nostram notitiam pervenerunt35. Ein weiterer Hinweis dafür, daß der Autor ein Wormser Kanoniker war und sich als solcher an seine Brüder wandte, geht aus den häufig in der 1. Person Plural stehenden Verben hervor, die keineswegs ein Pluralis maiestatis des Autors sind. Schon im Prolog gibt es Sätze, in denen der Wechsel zwischen 1. Person Singular und 1. Person Plural auf den Unterschied zwischen redendem Subjekt und der Gruppe, der dieses zugehört, deutlich wird: et cum illius studia sancta et morum honestatem tibi retulissem, etiam quanta stabilitate in Christi operibus ... permansisset, fateor, non sine lacrimis ... narravi, et ita iucundissimum duximus diem36. Und etwas später: Sed illa de quibus dixisti gravia onera ..., ita acclivis iam humeris porto, ut heu! nec respirare ... potero. Illos autem fluctuantes seculi turbines ... quos vívente beato patrono nostro rarissimos sensimus, promerentibus peccatis nostris iam quasi cotidianos vel momentáneos sustinemus ...37. Dieselbe feine, aber vielsagende Unterscheidung zwischen 1. Person Singular und 1. Person Plural findet sich in der Vita selbst auch wieder, so z.B. im 20. Kapitel: Ecce coram Deo et angelis eius veritatem scribo. Ergo assidue in unum congregati, dum eius varias virtutes collaudaremus, ... fateor, nos iam hoc divinasse, quod verum est, illo mortuo in hoc loco nullum sui consimilem tarn clarissima vita esse futurum2*. Die Form der 1. Person Plural suggeriert eine Solidarität zwischen dem Autor und seinem Publikum. Der Autor der "Vita Burchardi" spricht also als Vertreter einer Gruppe, der Wormser Kanoniker, zu eben dieser Gruppe, den Kanonikern von Worms. Selbstverständlich sind die Kanoniker auch in der Sterbestunde Burchards vertreten, und unter ihnen befindet sich auch der Autor der Vita: Quae statimpost obitumfratris, quibusdam convocatis ex nostris, dicta illius narravit et tune scrinium aperuit. Invenimus autem in eo ,..39. Aus den bisher zitierten Stellen wurde deutlich, daß in der "Vita Burchardi" fratres und canonici Synonyme sind, daß sich hinter den Pronomen nos, nobis, nostri die Gemeinschaft der Wormser Kanoniker verbirgt und daß der Autor der Vita zu den Wormser Kanonikern zu zählen ist. Doch der Autor will mehr als nur ein Gefühl der Dankbarkeit oder der Verehrung für Burchard bei seinen Brüdern erwecken. Er hat auch eine erzieherische Absicht. Denn die in die Vita eingebauten Reden, die Burchard seinen Kanonikern gehalten haben soll, weisen nicht nur darauf hin, daß Burchard mit

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Wie Anm. 22. C. 18, S. 841, Z. 3f. C. 19, S. 843, Z. 40ff. Prol., S. 831, Z. 28ff. Ebd., S. 832, Z. 9ff. C. 20, S. 844, Z. 21 ff. C. 23, S. 845, Z. 42ff.

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ihnen ein privilegiertes Verhältnis pflegte, das zu überliefern d e m Autor ein großes A n l i e g e n war, sondern auch, daß er ihnen etwas zu sagen, Aufträge zu vermitteln hatte. D i e in direkter Rede in die Vita eingebauten Ansprachen b z w . Briefe Burchards sind in der Tat eine Besonderheit der "Vita Burchardi". Schon ein flüchtiger Blick über den Text der M G H - A u s g a b e , die die wörtliche Rede durch Schrägschrift kennzeichnet, lehrt, daß beinahe die Hälfte der Vita v o n wörtlicher Rede e i n g e n o m m e n wird 4 0 . Durch dieses Stilmittel erreichte der Autor eine szenische Dramatik und Eindringlichkeit w i e sie ein nur erzählender Stil nie erreichen konnte. A u c h die Gegenwart, die ein in direkter Rede w i e d e r g e g e b e n e r T e x t suggeriert, trägt zu der tiefen und nachdrücklichen Wirkung bei, die der direkten Rede eigen ist 41 . U m ihre Wirkung zu ermessen, hat man sich nur vorzustellen, daß f o l g e n d e Sätze einer Rede Burchards aus dem 13. Kapitel der Vita im Refektorium vor den versammelten Wormser Kanonikern vorgetragen wurde: "Liebste Brüder, seht diese Jungfrau, die von Liebe und Furcht zu Gott gleichermaßen entflammt ist, die die Verführungen und Vergnügungen dieser Welt verachtet und sich nur danach sehnt, Gott zu gefallen. ... Treibt es euch, ihr Alten, und euch, ihr Jungen, nicht die Schamröte ins Gesicht, daß ihr nichts Ähnliches zustande bringt? Warum schweigt ihr? Was versucht ihr, einander in Röte zu übertreffen? Seht, jenes äußerst zarte Mädchen geht euch mit erhobenem Banner unerschrocken voraus und fürchtet sich nicht, gegen die Schlechtigkeiten des Geistes zu kämpfen. ... Auch wenn ihr sie also weder übertreffen noch ihr gleichkommen könnt, dann bemüht euch doch wenigstens, es ihr mit ähnlichen Werken der Frömmigkeit nachzutun."42 Durch die direkten Reden, in denen sich Burchard selbst an mei carissimi fratres wendet, wird die "Vita Burchardi" zu einer Art Vermächtnis des Bischofs für seine Kanoniker. Der Autor nimmt dabei bewußt die Rolle eines "Testamentvollstreckers" ein. Es sind vor allem vier Weisungen, die der Autor Burchard in den Mund legt. Zwei davon betreffen das tägliche Leben, die Aufgaben der Kanoniker: Sie sollen regelmäßig Gottesdienste feiern und sich im Studium durch Fleiß hervortun. Die beiden anderen betreffen eher das Ethos der Kanoniker, die sich in ihrem Selbstbewußtsein und ihren Werten sowohl von den Mönchen wie von den Laien absetzen müssen. Interessanterweise werden die Weisungen, die das

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Zunächst ist der Prolog als Dialog in wörtlicher Rede gehalten (Prol., S. 830ff.); es folgen die Rede Burchards an seine Schwester Mathilde (c. 12, S. 837, Z. 36 — S. 838, Z. 10); die Rede Burchards an die Wormser Kanoniker anläßlich der Einmauerung der Inklusin (c. 13, S. 838, Z. 36-45); der Dialog zwischen Burchard und seinen Kanonikern nach dem Einsturz des Wormser Domes (c. 15, S. 839, Z. 15 — S. 840, Z. 3); die Rede Burchards an die Kanoniker anläßlich des Übertrittes des Propstes Brunicho zu den Mönchen (c. 17, S. 840, Z. 26-40); der Briefwechsel zwischen einem Schüler der Domherren und Burchard (c. 18 und 19, S. 841, Z. 5 — S. 843, Z. 38); die letzte Rede Burchards vor seinem Tod (c. 22, S. 845, Z. 7-22). Zur "dramatischen" Wirkung der direkten Rede vgl. STAIGER, Grundbegriffe, S. 149ff. Fratres mei carissimi, videtis hanc virginem, Dei amore pariter et timore accensam, lubricas huius mundi delicias respuentem et Deo placere concupiscentem. ... Erubescite senes necnon et voi iuvenes, nihil huic similefacientes! Quid tacetis ? Quid rubore contenditis ? Ecce puella tenuissima erecto vexillo intrepida vos praecedit, et contra spiritales nequitias pugnare non metuit.... Ergo si neque praecedere neque huic concurrere possitis, saltem eam similibus pietatis exemplis consequi studeatis. C. 13, S. 838, Z. 36-45. Dazu daß Heiligenviten gerne als Tischlesung benutzt wurden vgl. dE GAIFFIER, L'hagiographie et son public, S. 483f.; weitere Beispiele bei HEINZELMANN, Sanctitas und Tugendadel, S. 749; DERS., Translationsberichte, S. 483 und unten in Kapitel IV, Anm. 38. Die Wormser Kanoniker waren von Burchard zur mensa communis verpflichtet worden (c. 16, S. 840, Z. 10ff., vgl. oben Anm. 22). Zur Forderung der kanonikalen vita communis in der Burchardvita vgl. L A U D A G E , Priesterbild, S. 104-106. Allgemein zur mensa communis der Kanoniker SCHIEFFER, Die Entstehung von Domkapiteln, S. 235.

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tägliche Leben der Kanoniker betreffen, in fast allen Fällen als Vorschrift, praecepit, bzw. eine Form des Konditionals oder Konjunktivs ausgegeben, was den Charakter der Weisung bzw. des "Testamentes" unterstreicht. So soll Burchard schon den Mainzer Kanonikern von St. Viktor aufgetragen haben, regelmäßig Gottesdienste zu feiern: ... cursum certis temporibus ex signis decantari servarique praecepit. Fast im gleichen Wortlaut heißt es von den 20 Kanonikern, die Burchard in St. Paul einsetzte: Viginti fratres, qui cursum certis temporibus ac signis conservarent, ibidem instituif44. Auch von den Kanonissen aus Nonnenmünster schreibt der Autor, daß Mathilde und ihre Schwestern Tag und Nacht im Gottesdienst verharrten: ...et in servitio divino cum sororibus sibi commissis die noctuque corde et animo stabilissimo permansit*5. Soweit zu den regelmäßigen Gottesdiensten. Allen seinen Kanonikern soll Burchard aufgetragen haben, sich im Studium des Abschreibens und Verfassens von Texten täglich zu üben. Er selbst wollte ihnen dabei helfen, denn er ermutigte sie, ihm ihre Predigten, Briefe und Fragen, auch wenn sie noch so unwichtig seien, zuzuschicken: Ad haec quippe, ut unusquisque illorum secundum ingenii quantitatem dicta vel scripta studiosa sibi cotidie proferrent, firmiter praecepit. ... sermones et epistolas quaestiunculasque varias Uli proferre non timebanf6. Burchards Schwester Mathilde, als wahrer Ausbund an Fleiß und Lerneifer gezeichnet, wird vom Autor zwar nicht ausdrücklich als Vorbild hingestellt, doch die Ausführlichkeit, mit der ihr Übergang vom weltlichen zum geistlichen — genauer: der Kanonikerregel entsprechenden — Leben geschildert wird, lassen erkennen, daß der Autor sie seinen Zuhörern als Exemplum vorführen wollte. An ihrer Person kann er exemplarisch deutlich machen, daß das Leben eines Kanonikers bzw. einer Kanonisse gleichbedeutend mit Bildung und Studium ist. Mathilde habe nämlich das Ansinnen ihres Bruders, sie zur Äbtissin von Nonnenmünster zu machen, zunächst mit dem Argument abgelehnt, sie sei für dieses Amt zu ungebildet, außer dem Psalter kenne sie kein einziges Buch: Numquid scis, senior sancte, ...istius officii omnino esse insciam? Nam, tantum psalterio excepto libros penitus ignoro; in hoc officio versari nescio41. Doch dieses Argument zählt für Burchard nicht. Nach dem Motto, was nicht ist, kann ja noch werden, trägt er seiner Schwester ein beträchtliches Lesepensum auf, das von der Kanonikerregel über die Leben der Väter und die Dialoge Gregors des Großen noch andere Bücher beinhaltet haben soll. Mathilde habe diese Aufgabe mit Gehorsam und Fleiß erfüllt: Quid tibi obsistit? Quid impedit? ... Statimque regulam canonicam simul et computum necnon et vitam patrum ac dialogum aliosque libros huic vitae convenientes eam discere praecepit. Quae continuo omnia quae iussit obedienter discere ac perficere studuif*8. Die in diesem Exemplum nicht ausgesprochene aber implizit enthaltene Lehre besagt, daß das, was von einer Kanonisse verlangt wird, natürlich erst recht bei einem Kanoniker vorausgesetzt wird. Und wenn eine schwache Frau solch einen Lerneifer an den Tag legt, um wieviel mehr müßten dann Kanoniker in Bildung und Fleiß glänzen? Mira res, ut femina secularis in hoc negocio ne quidem ad horam gravaretur, sed potius delectaretur*9. Regelmäßige Gottesdienste und Eifer beim Lesen und Schreiben, das

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C. 9, S. 837, Z. 5f. C. 12, S. 838, Z. 26f. C. 18, S. 840, Z. 43ff. C. 12, S. 838, Z. 4ff.

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Ebd., Z. 9ff.

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Ebd., Z. 22. Diese Stelle ist zu den exempla imparia zu zählen, die einen virtuell überlegenen Adressaten mit einer in dieser Sache virtuell unterlegenen Beispielfigur - Frau, Kind, Sklave - vergleichen. Da dieser konstitutionell Benachteiligte mehr leistet als der Angesprochene, kann er umso wirksamer als Vorbild empfohlen werden. Vgl. Quintilian, Institutio oratoria, V , 11, Z. 9-10, ...

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sind die täglichen Aufgaben eines Kanonikers und die ersten beiden Weisungen, die den Wormser Kanonikern in der "Vita Burchardi" nahegebracht wurden. Die nächsten beiden Weisungen betreffen weniger die Pflichten eines Kanonikers als sein Ethos und Selbstverständnis, wobei sich der Autor bemühte, das Ethos des Kanonikers gegen das des Mönches und des Laien abzugrenzen. Für diesen Punkt ist das 17. Kapitel sehr aufschlußreich, in dem berichtet wird, daß der Dompropst Brunicho und andere ihr Wormser Stift und die Stadt verlassen hätten, um als Mönche allein Gott zu dienen50. Burchard soll daraufhin alle Kanoniker der Stadt Worms zusammengerufen haben, um ihnen eine in der Vita in direkter Rede eingefügte Ansprache zu halten51. Es ist anzunehmen, daß sich dieser Vorgang so oder so ähnlich tatsächlich abgespielt hat, da das Mönchsleben zu dieser Zeit an der Spitze der geistigen Werteskala stand und die Kanoniker noch um eine eigene Identität sowie um die Aufwertung ihres Standes ringen mußten52. Burchard und der Autor seiner Vita hielten es für unabdingbar, dem großen Prestige des Mönchtums ein eigenes Selbstwertgefühl der Kanoniker entgegenzusetzen. In dieser Rede an die Wormser Kanoniker soll Burchard die Kirche mit einem Schiff verglichen haben, auf dem nicht alle Steuermann sein könnten53. Er vergleicht auch die Kirche Gottes mit einer Familie, die verschiedene Glieder habe, nicht nur Mönche, sondern auch Kanoniker und sogar gläubige Laien54. Doch während er die Aufgabe der Laien klar umreißt — sie haben Mönchen und Kanonikern zu dienen —, bleibt die Trennung zwischen Mönchen und Kanonikern denkbar unscharf. Beide sind zum Lobe und Dienste Gottes da: Si enim omnes monachi et canonici, ubi sunt laici? Quis tunc ministrabit monachis, vel quis serviet canonicis ? Si autem omnes laici, ubi tunc laudes et

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admirabilior in femina quam in viro virtus; s. dazu LAUSBERG, Handbuch, § 420b. So heißt es eingangs des Kapitels über den Propst Brunicho und die ihm Gleichgesinnten: ... in se reversus vitam monasticam aggressus est, et per exempla servi Dei diabolum decepit et corde contrito spirituque contribulato soli Deo piacere studuit. Similiter et alii illustres viri per assidua servi Dei documenta mundum relinquentes, de civitate fiigerunt et vitae monachorum se subdiderunt. C. 17, S. 840, Z. 21ff. Tandem vero episcopus veritus, ne monasteria flerent desolata, ab omnibus monasteriis fratrìbus convocatis, istis eos allocutus est verbis ..., c. 17, S. 840, Z. 25f. Zum Einfluß des Mönchtums auf die Entwicklung des Kanonikerstandes vgl. SCHIEFFER, Die Entstehung von Domkapiteln, S. 125-130; bes. S. 129, wo SCHIEFFER ausführt, daß am Ende der Entwicklung eine "monastisch-klerikale Symbiose" stand, sichtbar an den, auch in der Vita Burchardi zu beobachtenden, von Kanonikern und Mönchen gemeinsam gebrauchten Begriffen wie monasterium, abbas, praepositus etc. Dazu daß das Mönchtum an der Spitze der geistigen Werteskala stand, vgl. DUBY, Les trois ordres, S. 215ff. Da im 8./9. Jahrhundert die Zahl der Priestermönche beträchtlich gestiegen war, glichen sich die Mönche und Priester in ihren Aufgaben einander an, so daß sie den Laien in Erfüllung dieser Aufgaben gemeinsam gegenüber standen. Vgl. dazu mit weiterführender Literatur OEXLE, Memoria, S. 91. Zu der Kanonikerreform des 11./12. Jahrhunderts allgemein vgl. den Forschungsüberblick von WE1NFURTER, Neuere Forschung, und DERS., Reformkanoniker. Erst kürzlich auch ERKENS, Die Kanonikerreform. Non est bonum, ut omnes qui in navi laborant uni operi insistant, ut vel omnes sint gubematores et nullus navigator, aut omnes navigatores et nullus gubernator. C. 17, S. 840, Z. 28ff. Zu den Bemühungen, die Gesellschaft nach Ständen und deren Funktionen zu ordnen, vgl. DUBY, Les trois ordres; OEXLE, Die funktionale Dreiteilung; LE GOFF, Bemerkungen zur dreigeteilten Gesellschaft. In Burchards Rede ist zwar eine nominelle Dreiteilung der Gesellschaft vollzogen. Diversa est enim familia in ecclesia Dei, non solummodo monachi, sed etiam canonici, necnon etfideles laici. (ebd., Z. 35f.) — ihr steht jedoch auf der funktionalen Ebene nur eine Zweiteilung — Si enim omnes monachi et canonici, ubi sunt laici? Quis tunc ministrabit monachis, vel serviet canonicis? Si autem omnes laici, ubi sunt laudes et servitia Dei? (ebd., Z. 33ff.) gegenüber. C. 17, S. 840, Z. 37ff.

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servitia Dei?55 Der einzige Unterschied zwischen Mönchen und Kanonikern scheint darin zu liegen, daß letztere in der Stadt wohnen und ihr Kloster auch verlassen können, während erstere die Welt völlig verlassen haben, um in einem einsamen Kloster allein Gott zu dienen56. So empfiehlt Burchard auch denjenigen Kanonikern, die mehr als das Notwendige tun wollen, ihr Stift und ihre Stadt nicht zu verlassen und dort allen dienstbar zu sein: Ergo qui canonicus sit, pro monastica vita de monasterio suo sine licentia non exeat, sed cum fratribus in commune laboret; et si districtiori vita vivere desideret, intra monasterium suum operibus Deo placentibus inserviat51. Daß es Burchard und dem Autor der Vita nicht gelang, eine klare, funktionale Trennung zwischen Mönchen und Kanonikern zu vollziehen, lag wohl daran, daß sie selbst sehr viel Hochachtung vor den mönchischen Werten hatten, ja daß auch ihnen die mönchische Lebensform als die ideale erschien58. Der Dienst der Kanoniker in und an der Welt war Anfang des 11. Jahrhunderts noch kein anerkannter, positiver Wert, sondern wurde eher als ein notwendiges, aber auf dem Weg zur Vollkommenheit hinderliches Übel angesehen. Studium und Fleiß, die Burchard und der Autor seiner Vita an anderen Stellen von den Kanonikern forderten, schienen als Abgrenzung von dem Mönchsstand nicht auszureichen. So konnte es zu der paradoxen Aussage der "Vita Burchardi" kommen, die einerseits das Überlaufen der Kanoniker zu den Mönchen verhindern wollte, ihnen aber andererseits mönchisch-asketische Ideale als Vorbild anpries. Neben der Abgrenzung des Kanonikerstandes gegenüber den Mönchen, die der Autor im 17. Kapitel versuchte durchzuführen, findet sich in der "Vita Burchardi" auch die Abgrenzung gegenüber dem Laienstand. Sie beruht auf der Verachtung der mundana res, d.h. vor allem des Reichtums, auf dem Armutsideal und einer gewissen Askese. Im Prolog bekennt sich der Autor selbst zum Armutsideal: Lieber wolle er mit Lazarus ein armes Leben führen, als mit dem Reichen in das ewige Feuer geschickt werden59. Das Thema, daß wir alle arm und nackt geboren werden, kommt im Prolog und am Ende der Vita, in der letzten Ansprache Burchards, vor60. An Bischof Franko, Burchards Bruder, und an Otto III. hebt der Autor den Besuch bei dem in Armut und Buße lebenden hl. Nilus hervor61. Ganz deutlich wird das Armutsideal in der Ansprache, die Burchard seiner Schwester Mathilde hält. Er versucht, sie von der Nichtigkeit der Welt zu überzeugen und sie zu überreden, Äbtissin in Nonnenmünster zu werden: Dilectissima, inquit, sorormea, vides res mundanas, quam fragiles ac defectibiles sunt ,.. 62 . Gold und Silber gälten nichts vor Gott. Durch die Gier nach vergänglichen Dingen würden die Seelen getäuscht. Glücklich sei, wer den Reichtum dieser Welt verachte und das, was Gottes ist, reinen Herzens empfange. Mathilde solle ihre Armreife, Ohrringe und kostbaren Kleider ablegen und den heiligen Schleier empfangen63. Auf diese Aufforderung zur Armut folgt dann die oben besprochene Aufforderung zum fleißigen Studium64.

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Ebd., Z. 33ff. Vgl. Anm. 50 und 53. C. 17, S. 840, Z. 37ff. Vgl. die Darstellung der Inklusin, die der Autor allein ihrer asketischen Lebensweise wegen als Heilige proklamiert: Ibique Deo serviendo tres annos vita angelica vivebat, et diversis passionibus temptata, ad ultimum animam pleniter expurgatam suo reddidit Creatori, ut in omnibus honorificetur Deus, qui in sanctis suis Semper est mirabilis (c. 13, S. 838, Z. 47f.). Auch an Burchard selbst lobt der Autor die asketische, weltverachtende innere Haltung, s. unten Anm. 67. und 68. Prol., S. 831, Z. 10-15. Ebd. und c. 22, S. 845, Z. 14f. C. 12, S. 837, Z. 36ff. C. 12, S. 837, Z. 36f. Ebd., Z. 37ff. S. oben, S. 32f.

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In der nächsten direkten Rede der Vita, die Burchard anläßlich der Einmauerung der Inklusin gehalten haben soll, ist das Verlassen der Welt sogar das Hauptthema. Burchard fordert die Kanoniker auf, sich diese Frau, die die "Verführungen der Welt" hinter sich lasse, zum Vorbild zu nehmen. Und er erinnert an die Stelle des Evangeliums, wo es heißt, daß man zur Christusnachfolge Vater, Mutter, Brüder, Äcker und Häuser verlassen müsse65. Auch wenn die Kanoniker die Inklusin weder übertreffen noch ihr gleichkommen könnten, so sollten sie wenigstens versuchen, ihr Beispiel der Frömmigkeit nachzuahmen. Wie im Falle Mathildens der Fleiß den Kanonikern von einer Frau exemplarisch vorgeführt wurde, so ist hier eine Frau das Vorbild in der Frömmigkeit. Die Kanonissen von Nonnnenmünster verkörpern so exemplarisch die kanonischen Tugenden: Der ganze Konvent steht für die regelmäßigen Gottesdienste, Mathilde, die Schwester Burchards, für den Eifer beim Studium und die Weltverachtung und die Inklusin schließlich nochmals für die Weltverachtung und die Frömmigkeit. Schließlich berichtet der Autor auch von Burchard selbst, daß er die weltliche Pracht und das menschliche Lob verachtet habe66. Seine Weltverachtung wird durch sein häufiges Fasten, Beten und Almosengeben ergänzt, die der Autor in einem Tugendkatalog überblicksmäßig zusammenstellt67. Die Weltverachtung steht ebenfalls im Mittelpunkt der letzten Rede Burchards an die Seinen. Nach einem Schuldbekenntnis bittet er sie um Gebetshilfe, da er nun bald wieder zu Erde und Asche würde. Dies, Erde und Asche, sei nämlich der Ruhm der Welt. Jetzt, da er am Ende seines Lebens stehe, könnten seine Brüder erkennen, wie nichtig und vergänglich alles Weltliche sei68. Daß Burchard mit der Weltflucht tatsächlich Ernst gemacht hat, belegt der Autor mit zwei kleinen Episoden. Noch während Burchard im Sterben lag, hätten die anwesenden Fürsten Zimmer und Schatzkammer des Bischofs durchsucht. Außer dem Kirchenschatz und Büchern hätten sie nur drei Denare gefunden, die Burchard ständig bei sich trug, um Armen, auf die er eventuell traf, helfen zu können69. Die zweite Episode dreht sich um einen Schrein, den Burchard vor seinem Tode seiner Schwester anvertraut habe. Nach seinem Tod öffnet sie den Schrein in Anwesenheit einiger Kanoniker. Die Neugierde aller sei beschämt — die Weltflucht und Askese Burchards dagegen bewiesen worden —, als sie im Schrein statt Geld nur ein rauhes Bußgewand und eine durch den Gebrauch abgenutzte Geißlerkette gefunden hätten: Invenimus autem in eo cilicium hirsutissimum et catenam ferream ex una parte quasi ex usu contritam. Quod ut vidimus ... tunsis pectoribus communiter doluimus10. Mit beiden Episoden bezweckte der Autor nicht mehr und nicht weniger als die exemplarische Illustrierung dessen, daß Burchard die Weltverachtung, die er seinen Kanonikern predigte, auch selbst praktisch gelebt habe. Ein weiterer Aspekt der "Vita Burchardi", die antifürstliche bzw. antikönigliche Ausrichtung, ist ebenfalls im Zusammenhang mit der Verachtung der mundana res zu sehen. Im

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C. 13, S. 838, Z. 43f. So habe Burchard zur Abfassung seines Dekrets die "Welt" hinter sich gelassen und sich in die Einsamkeit begeben, c. 10, S. 837, Z. 12. C. 20, S. 844, Z. 3-24, wobei der Autor besonders auf das Fasten und die Gebete Burchards Wert legt. C. 22, S. 845, Z. 7-23. Ex his miseriis facile cognoscere potestis, liventes mundanarum rerum gloriationes quam fragiles et instabiles sint, quam plenae mali, quam caecae futuri; ebd., Z. 18ff. Tunc principes qui aderant intrantes, thesaurarium et cameram, ubi pecuniam putabant reconditam, diligenter angulos omnes perscrutati sunt, et tandem scrinia librorum voluminibus piena spe pecuniae subvertentes, vano fortunae labore illusi sunt. Nam praeter thesaurum ecclesiasticum nec aurum nec argentum ibi invenerunt, exceptis tribus tantum denariis, quos vir sanctus in wantone suo reliquit, quando alios pauperibus erogavit. C. 22, S. 845, Z. 26-33. C. 23, S. 845, Z. 43ff.

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siebten Kapitel werden die Salier als ecclesiae Dei invasores71 bezeichnet, von deren ungerechter Herrschaft der Bischof die Stadt mühsam habe befreien müssen 7 2 . D e n W o r m ser Adligen wird, w i e gesagt, die habgierige Durchsuchung der Zimmer Burchards vorgeworfen. D i e häufigen Königsdienste seien daran schuld, daß Burchard den Bau des Martinsklosters nicht habe vollenden können 7 3 . Otto III. wird kritisiert, weil er das Testament Frankos, Burchards Bruder und Vorgänger, absichtlich übergangen und auf Interzession und Geldversprechen hin zunächst Razo und Erpho zum Wormser Bischof erhoben habe 74 . Im Vergleich zu anderen Viten und auch zu dem von dem Autor der "Vita Burchardi" sonst sehr intensiv benutzten Traktat "De diversitate temporum" Alperts von Metz kommt auch Heinrich II. in der "Vita Burchardi" sehr schlecht weg 7 5 . Nur durch multa dando et promittendo hätten ihm der Mainzer Erzbischof und sein Würzburger Suffragan bei der Königswahl die Stimme gegeben 7 6 . Außerdem wird ihm der Einsturz des Wormser D o m e s zur Last gelegt, auf dessen übereilte Einweihung er gedrängt habe 77 . Konrad II., der Zögling Burchards, tritt in der Vita kaum in Erscheinung 7 8 . D i e antikönigliche bzw.

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C. 7, S. 835, Z. 35. C. 9,'S. 836, Z. 43. Monasterium enim in honorem sancti Martini consignavit. Sed rrnro ex parte peracto, regalis crebrositate serviminis et maxime assidua infirmitate necnon variis adversitatibus impeditus, proh dolor! peragere non potuit; c. 20, S. 844, Z. 25ff. Das Versprechen Ottos III. findet sich in c. 3, S. 834, Z. 6f. Daß Otto III. Razo und Erpho des Geldes wegen eingesetzt habe, wird zwar nicht offen ausgesprochen aber sehr deutlich suggeriert: Quo extincto, adfiierunt, iterum non pauci, aures imperatoris variis rogationibus pecuniaeque promissionibuspro episcopatu incessanter adimplentes, ... c. 4, S. 834, Z. 16ff. Ein Gottesurteil, beide von Otto III. eingesetzten Kandidaten sterben nach sehr kurzer Zeit, zwingt den König zur "richtigen" Wahl, nämlich zu der Burchards, c. 5, S. 834f. So schreibt z.B. Alpert in De diversitate temporum, hg. von VAN RÜ, C. 5, S. 8 über Heinrich II.: Multa praeclara de hoc viro nobis scribenda sufficiunt: quam facile gratia Dei donante ad apicem regni pervenerit, qualiter illustres viros et summae potentiae bella adversum se concitantes, celeri victoria in deditionem venire coegerit, ... Vgl. Vita Heriberti MGH SS 4, c. 10, S. 749, Z. 36ff., in der Heinrich II. als Heiliger bezeichnet wird Mirum quod sancti (Heinrich II. und Heribert!) ab alterutro aliquotiens dissentiunt, ... Die konträre Bewertung Heinrichs II., die Alpert von Metz und der Autor der Vita Burchardi vornehmen, zeigt, daß letzterer nicht einfach "blind" abgeschrieben hat, wie MANITIUS meinte (vgl. oben Anm. 9). Interea Heinricus Bavarorum dux, ... ut sceptra regni acquireret, non modicum laboravit. ... sicque multa dando et promittendo, ad voluntatem sententiae suae hos viros perdux.it. C. 9, S. 836, Z. 27-33 und ebd., Z. 27f. Das sind dieselben Worte, die für den um den Wormser Bischofsstuhl mit Geld werbenden Razo verwandt wurden: inter quos unus Razo nominatus, maxime laborando et non pauca promittendo, virgam pastoralem accepit. C. 4, S. 834, Z. 18f. S. oben Anm. 21. Im siebten Kapitel wird Konrad als ein wegen seiner Unschuld von seiner Familie verstoßenes, von Burchard aber großzügig aufgenommenes und aufgezogenem Kind geschildert, c. 7, S. 835, Z. 35ff. Zu Konrads II. Jugend in Worms vgl. METZ, Zur Herkunft; SCHMIDT, Kaiser Konrads II. Jugend. Der Antrittsbesuch Konrads II. in Worms, kurz vor dem Tode Burchards, 1025, wird weniger des Königs wegen als wegen einer wunderbaren, auf Burchards Gebet hin erfolgten Genesung des Bischofs berichtet, c. 21, S. 844.

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antifürstliche Ausrichtung der "Vita Burchardi" ist komplementär zu der Verachtung der mundana res zu sehen. Wie zu Burchard, Mathilde und der Inklusin die Verachtung der mundana res gehören, so gehört zu den Fürsten und Königen die Habsucht. Sie sind Gegenbilder, exempla a contrario, zu den vorbildlichen Gestalten der Vita79. Durch das Stilmittel der direkten Rede und des Exemplums gelang es dem Autor, die "Vita Burchardi" zu einer Art Vermächtnis des Bischofs für seine Kanoniker zu gestalten. Die Richtlinien für die Kanoniker — geregelte Gottesdienste, Studium, Armut und Weltverachtung — werden in den Reden als Weisungen des Bischofs hingestellt und in der Person des Bischofs, seiner Schwester Mathilde und der Inklusin exemplarisch vorgeführt, wozu ergänzend das Gegenbeispiel der Fürsten kommt. So konnte der Autor die Wormser Kanoniker auf angenehme Weise, nämlich in Form einer Vita, mit ihren spezifischen Aufgaben und dem ihnen eigenen Ethos vertraut machen. Hier schließt sich die wichtige Frage nach dem Autor der "Vita Burchardi" an, die anfangs nur gestreift werden konnte. Die Vermutung der bisherigen Forschung, daß es sich hierbei um den seit 1016 in Worms als Domscholaster bezeugten Ebbo handelt, kann von unserer Interpretation noch gestützt werden80. Gerade der Domscholaster hatte ein Interesse daran, seine Schützlinge mit den Aufgaben und dem Ethos eines Kanonikers vertraut zu machen. Es war wahrscheinlich derselbe Ebbo, der später als Kustos der Wormser Kanoniker und als Bischof Eberhard von Konstanz (1034-1046) nachgewiesen ist81. Als Domscholaster — unter ihm wurden große Teile der in der älteren Wormser Briefsammlung überlieferten Schriften verfaßt — und auch später als Bischof war Ebbo sehr um die Hebung der Bildung seiner Kanoniker bemüht82. In Konstanz hat er sich als Förderer der Domstiftsbibliothek verdient gemacht und eine Abschrift von Burchards Kanonessammlung — die älteste überlieferte Handschrift des Dekrets überhaupt — veranlaßt83. Gerade die Abschrift des Dekrets spricht für Ebbos Willen, den Bildungsstand der Geistlichen zu verbessern, da ja ein Schwerpunkt des Dekrets die Pflicht der Kleriker zur Bildung ist84. Indem er eine Abschrift des Decretum veranlaßte und indem er eine "Vita Burchardi" schrieb, die die Pflichten und das Ethos der Kanoniker zu ihrem Hauptgegenstand hat, erweist sich Ebbo tatsächlich als "Testamentsvollstrecker" Bischof Burchards von Worms. 79

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Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die antifürstliche Ausrichtung des Autors noch andere Gründe gehabt hat; jedoch finden sich für solche weder im Text der Vita noch in ihrem historischen Kontext irgendwelche Hinweise. So schon Boos, Monumenta Wormatiensia, S. XXVII, der sich gegen GROSCH, Burchard I., S. 19, wandte, der den Diakon Immo als Verfasser annahm. Boos' These fand allgemeine Zustimmung; vgl. MANITIUS, Literatur II, 2, S. 300; WATTENBACH/HOLTZMANN, Geschichtsquellen, I, S. 212; FUHRMANN, Einfluß und Verbreitung, S. 443; zuletzt KERNER, Artikel "Burchard" in: Verfasserlexikon Bd. 1, Sp. 1122f. Es wird allgemein angenommen, daß er die Vita bald nach dem Tode des Bischofs, 1025, geschrieben hat. Als terminus ante quem wird das Todesjahr Bischof Walters von Speyer (1004-1027) angenommen, auf den der Autor im Prolog der Vita anspielt. Zu Ebbo als Domscholaster und als mit dem späteren Bischof Eberhard identisch, vgl. KLEWITZ, Königtum, S. 131ff.; ZIELINSKI, Der Reichsepiskopat, S. 86, Anm. 73; S. 106, Anm. 187; S. 149 und S. 163 mit weiterführender Literatur. Zu Ebbo in der älteren Wormser Briefsammlung vgl. Die ältere Wormser Briefsammlung, hg. von BULST Nr. 15, S. 31f., bes. Anm. 8, S. 32; HÄFNER, Die Wormser Briefsammlung, S. 12f.; BRESSLAU, Jbb. Konrads II., S. 534f. Zur urkundlichen Erwähnung Ebbos vgl. BOOS, UB Worms I, Nr. 45, S. 37, Nr. 51, S. 46, Nr. 49, S. 45. Vgl. dazu die von Ebbo geschriebenen oder an Ebbo adressierten Briefe in: Die ältere Wormser Briefs a m m l u n g , h g . v o n BULST N r . 15, S. 3 2 ; N r . 2 8 , S. 5 2 ; N r . 3 2 , S. 5 7 ; N r . 3 4 , S. 6 0 ; N r . 3 6 , S. 6 6 ;

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Nr. 39, S. 74; Nr. 43 und 44, S. 79f.; Nr. 55, S. 95. Vgl. MEYER, Überlieferung und Verbreitung, S. 153f. Vgl. Burchardi decretorum libri XX, PL 140; I, c. 100; II, cc. 1, 2, 18, 56, 100, 159, 160, 225; IX, c. 18. Vgl. dazu SCHMITT, Wormser Domschule, S. 55f.; LAUDAGE, Priesterbild, S. 56-78.

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Vieles weist nämlich darauf hin, daß Burchard selbst eine bewußte Förderung und Ausbildung der Wormser Kanoniker betrieben hat 85 . Burchards Pontifikat bedeutet nicht nur in baulicher Hinsicht — erst er hat den 872 abgebrannten und nur notdürftig wiederhergestellten Dom wiederaufbauen lassen — einen Neubeginn für die Stadt. Decretum und Hofrecht, beide für lokale Wormser Bedürfnisse geschrieben, lassen erkennen, daß Burchard der "eigentliche Organisator der Herrschaft" 8 6 in der Diözese Worms war, der nicht nur deren Besitz zu erweitern verstand, sondern mit seinen Schriften auch eine Grundlage für eine wirksame Verwaltung schuf®7. Doch um Stadt und Diözese effektiv verwalten zu können, bedurfte es auch entsprechend ausgebildeter Kräfte, eben der Kanoniker. Neben dem Decretum gibt es noch zwei weitere Quellen, die Burchards Einsatz für die Bildung der Kanoniker belegen. Da ist zunächst die Gründungsurkunde für das Wormser Kanonikerstift St. Paul. Es ist wohl kein Zufall, daß Burchard den hl. Paulus als Patron für das von ihm gegründete Stift gewählt hat. Paulus gilt als der gelehrteste unter den Aposteln. Und in der Gründungsurkunde Burchards für das Stift heißt es über den Zweck der Stiftung: ... ad serviendum deo et doctori ecclesiarum (Paulus!) in ea ordonavii%. Den hl. Paulus, den Kirchenlehrer, zum Patron zu haben, ist mehr als eine Floskel, das ist ein Programm, eine verpflichtende Aufgabe! Die zweite Quelle, Burchards Brief an Alpert von Metz, zeigt noch deutlicher, wie sehr Burchard die Hebung der Bildung des Klerus am Herzen lag. Burchard lobt in seinem Brief Alperts Werk "De diversitate temporum" als ein Beispiel für Fleiß und Studium. Gleichzeitig bedauert er, daß es in seiner eigenen Diözese so wenige zum Studium geeignete und willige Knaben gäbe, alle würden sich weltlichen Geschäften zuwenden 89 . Schließlich gibt es in der Vita selbst genug Hinweise, die Burchards besonderen Einsatz für seine Kanoniker belegen 90 . Besonders ist dabei auf den in der "Vita Burchardi" überlieferten Übungsbrief hinzuweisen, der quasi pro occasione dictandi abgefaßt worden sei, und auf die Aufforderung Burchards an seine Kanoniker, nicht zu zögern, sich auch in noch so kleinen Fragen schriftlich an ihn zu wenden 91 . Diese Praxis der Übungsbriefe ist auch von Burchards Nachfolger Azecho (1025-1044) fortgesetzt worden, an den mehrere der in der älteren Wormser Briefsammlung überlieferten Schreiben adressiert sind 92 . Der Übung halber soll dann auch der berühmte Schulstreit 85 86 87

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Hierzu und zum folgenden, SCHAAB, Die Diözese Worms, bes. S . 109ff., 189ff., 204. Ebd., S. 165. Zum Decretum vgl. FUHRMANN, Einfluß und Verbreitung, Bd. 2, S. 442-485; THEUERKAUF, Burchard von Worms; FOURNIER, Etudes critiques; DERS., Le Décret; FRANSEN, Les décrétales. Boos, UB Worms I, Nr. 43, S. 34. Literas tuas, ... hilariter accepi, ... et coram me legere praecepi; in quibus studii ac voluntatis tuae devotionem satis superque cognovi. Set has quociens revolvi, tociens per singula pene verba commotus, nostris pueris praesentibus super hoc dolui, scilicet quod his temporibus sunt nulli, vel vix paucissimi, qui ad studendum inveniantur idonei, vel quibus voluntas sufficiat studendi, cum et hoc negotio unusquisque reftceretur, ac labilis animus a variis tumultuantìs seculi commissis interim suspenderetur, necnon cata cautione posteritati sequacium laudabile traderetur exemplum. Omnes autem dilectamento mundanorum illusi et ad deteriora pronissimi, miseris huius seculi vanitatibus inserviunt, et tam delectabiles animarum epulas exercere aut quaerere nesciunt ac penitus neglegunt, sicut scriptum est: "Omnes declina - veruni, simili inutiles facti sunt; non est quifaciat bonum, non est usque ad unum. " Igitur studii tui devotio non est inanis apud me, nec videtur vituperanda, set multum laudando. Epistola Domni Burchardi episcopi, hg. von VAN RIJ, S. 4-6. Vgl. Anm. 13, 16, 20, 23. C. 18, S. 840, Z. 43ff. Vgl. oben Anm. 46. "Das Maß des Interesses an Angelegenheiten der Schule, einzelner Schüler, Lehrer, das in der Sammlung hervortritt, ist nicht anders zu verstehen, als daß die Wormser Domschule selbst am Zustandekommen der Briefsammlung wesentlich beteiligt war", Die ältere Wormser Briefsammlung, hg. von BULST, S. 7; die Briefe 2, 3, 6, 22, 33, 41, 43, 52, 60, 61 sind nach BULST Schul- bzw.

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zwischen Wormser und Würzburger Kanonikern, der wohl in die Jahre 1030-1040 fällt, begonnen worden sein 93 . Nach den Briefen der älteren Wormser Briefsammlung zu schließen, besaßen die Wormser Kanoniker um das Jahr 1030 eine gründliche literarische Bildung und kein geringes Selbstbewußtsein. Sie waren von ihrer Überlegenheit über Würzburg zutiefst überzeugt. Alle diese Quellen sind Zeugnisse für die in Worms seit Burchard kontinuierlich fortgesetzten Anstrengungen um einen gebildeten und selbstbewußten Kanonikerstand. Mit ihren Bemühungen um die Schaffung eines Kanonikerstandes, der in Bildung und Gottesdienst seine eigentlichen Aufgaben haben sollte, standen die Wormser jedoch nicht alleine da. Schieffer betont in seiner Untersuchung über die Entstehung von Domkapiteln, daß um das Jahr 1000 "vielfältige Bemühungen um die Erneuerung und Ausbreitung eines kanonikalen Ideals, wie es zwei Jahrhunderte zuvor schon der karolingischen Reform vorgeschwebt hatte", zu beobachten seien94. Dabei habe es sich um eine "bewußte" Erneuerung des Kanonikerideals gehandelt. Vor allem im Süden — Schieffer führt als Beispiel Regensburg an — habe man sich um eine "klare rechtliche und wirtschaftliche(n) Unterscheidung" zwischen Mönchtum und Kanonikern bemüht 95 . Im Zuge dieser Erneuerungsbewegung — gefördert vor allem durch die Einrichtung des sogenannten Königskanonikates — wurde "unter manchen Domkanonikern schon bald im 11. Jahrhundert das Bewußtsein faßbar, selber ... das eigentliche Kontinuitätselement innerhalb der Hochstifte darzustellen." 96 Die "Vita Burchardi" als ein pädagogisches Instrument interpretiert, mit dem der Domscholaster Ebbo nicht nur die Erinnerung an Burchard wachhalten, sondern den ihm anvertrauten Kanonikern ihre eigentlichen Aufgaben und das ihnen eigene Ethos nahe bringen wollte, erweist sich als ein Beleg für diese allgemeine Bewegung zu Beginn des 11. Jahrhunderts. Der Wormser Domscholaster Ebbo bringt mit seiner "Vita Burchardi" die Richtlinien, die Burchard in seinem Dekret theoretisch-doktrinal abgehandelt hatte, in eine literarische Form. Er vermittelt seinen Schülern nicht nur ein frommes Andenken an den verstorbenen Bischof, sondern setzt mit der Vita die Bemühungen Burchards um gelehrte, fromme und selbstbewußte Kanoniker fort.

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Übungsbriefe, vgl. ebd., S. 4 und 7, wovon die Briefe Nr. 3, 6 und 52 an Bischof Azecho adressiert sind. Notam esse vestre caritati scimus litem, quam cum Herbipolensibus exercitii causa habuimus, nach der Ausgabe von BULST, Nr. 15, S. 32; vgl. dazu HÄFNER, Die Wormser Briefsammlung, S. l l f f . ; besprochen und kritisiert von BULST in: Forschungen und Fortschritt 15/1939 mit anderer Chronologie zum Schulstreit; vgl. DERS., Die ältere Wormser Briefsammlung, S. 7. SCHIEFFER, Die Entstehung von Domkapiteln, S. 259. Ebd., S. 57f. Ebd., S. 260. Zum Problem des "Königskanonikats" im 11. Jahrhundert vgl. GROTEN, Von der Gebetsverbrüderung.

III. DIE VITA GODEHARDI PRIOR EINE RECHTFERTIGUNGSSCHRIFT

"Damit sowohl gegenwärtige wie zukünftige Generationen klar erkennen, daß dieses Gandersheimer Gebiet den Bischöfen von Hildesheim seit jeher rechtmäßig zusteht, die Mainzer Erzbischöfe dort aber nichts besitzen, es sei denn, es stamme aus verachtenswerten und verwegenen Einfallen, mögen sie diese Geschichte von Anfang an und der Reihe nach anhören." 1

Gerade ist Wolfhere, ein Hildesheimer Domherr, mit seiner Beschreibung des Lebens des hl. Godehard 2 an dessen Übernahme des Bischofssitzes von Hildesheim angelangt, als er mit dem oben zitierten Satz einen langen Exkurs über die Geschichte des Kanonissenstiftes Gandersheim einleitet. Er will seinen Zeitgenossen und folgenden Generationen beweisen, daß das Gebiet des Gandersheimer Stiftes von jeher rechtmäßig zu der Hildesheimer Diözese gehört habe und daß die Mainzer Erzbischöfe keinerlei Ansprüche auf dieses Gebiet hätten. Godehard, der von 1022-1038 Bischof in Hildesheim war, ist vor allem als Abt und Reformer der Klöster Niederaltaich, Tegernsee und Hersfeld bekannt3. Erst relativ spät wurde der Abt von seinem Freund und Gönner, Heinrich II., zum Nachfolger Bischof Bernwards von Hildesheim bestimmt. Von Bernward übernahm Godehard u.a. die Auseinandersetzung mit dem Mainzer Erzbischof um das reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim 4 . Gandersheim, eine liudolfingische Gründung mit ausgeprägtem Selbstbewußtsein, "unternahm am Ausgang des 10. Jahrhunderts den Versuch, seine Lage an der sicher nicht zweifelsfreien Diözesangrenze

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Ut ergo quique tarn moderni quam posteri idem Gandesheimense territorium ad Hildenesheimenses episcopos hactenus iure pertinuisse, Mogontinos vero nil umquam inibi nisi dignam pro temeraria invasione contumeliam habuisse patenter intellegant, ab inicio seriam historiarum breviter adtendant. MGH SS 11, c. 18, S. 180, Z. 8ff. Wolfhere, Vita Godehardi episcopi Hildesheimensis prior, hg. von PERTZ, M G H SS 11, S. 167-196. Die von GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 231, angekündigte Neuedition in der MGH von SCHUFFELS war mir noch nicht zugänglich. Die einzige, allerdings von Wolfhere selbst geschriebene Handschrift der Vita prior weist mehrere Überarbeitungen auf. Zu den verschiedenen Ausgaben vgl. GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 230f. Übersetzt wurde die Vita von HÜFFER, G.d.V. 40. Für diese Arbeit wenig ergiebig waren: BLECHER, Der heilige Godehard; "Bernward und Godehard v o n H i l d e s h e i m " , h g . v o n ALGERMISSEN.

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Vgl. GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 230-256. Zu Godehards Reformtätigkeit HALLINGER, Gorze-Kluny, S. 163ff. und die Ausführungen von PRINZ im Handbuch der bayerischen Geschichte, S. 467 und 474f. Grundlegend zum Gandersheimer Streit und mit weiterführender Literatur, GOETTING, Gandersheim, in: DHGE, Bd. 19, Sp. 1066-1081; DERS., Das reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim, S. 85-93.

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Die Vita Godehardi prior

zwischen Hildesheim und Mainz auszunutzen, um überhaupt die Jurisdiktionsrechte Hildesheims zu bestreiten und sich der Erzdiözese Mainz anzugliedern."5 Der Autor beider Godehardsviten, Wolfhere, war Domherr in Hildesheim6. Bernward hatte ihn zur Ausbildung in die Klöster Hersfeld und Fulda geschickt. In Hersfeld war Wolfhere gemeinsam mit Otloh von St. Emmeram und Ratmund, einem Neffen Godehardis, von Abt Albuin unterrichtet worden7. Diesem Abt Albuin sind auch beide Fassungen der Godehards-Vita gewidmet8. Wolfhere war, wie er in der "Vita Godehardi posterior" schreibt, mehrmals in Niederaltaich, nachdem dort sein Mitschüler und Godehards Neffe Abt geworden war9. Wie wichtig Wolfhere in seiner "Vita Godehardi prior" die Kapitel über den Gandersheimer Streit waren, zeigt das dem zitierten Satz folgende, ausführliche Wahrheitsbekenntnis. Wolfhere ruft Gott zum Zeugen an, daß er nichts als die reine Wahrheit berichten werde. Denn es sei unwürdig und verächtlich, etwas anderes als die Wahrheit zu berichten, und ein Schreiber setze sich Schuld und Gefahr aus, würde er, sei es aus Furcht oder aus Schmeichelei, die Wahrheit verbergen. Obwohl im Mittelalter die Verpflichtung zur Wahrheit eine Grundmaxime der Geschichtsschreibung und auch der Hagiographie war, ist es doch ungewöhnlich, das Wahrheitsbekenntnis außerhalb des Prologs so ausführlich zu gestalten, wie es Wolfhere in seiner "Vita Godehardi prior" vor seinen Ausführungen über den Gandersheimer Streit tut: Zusätzlich zu der Versicherung, die Wahrheit sagen zu wollen, nimmt er den möglichen Vorwurf der Lüge vorweg und ruft Gott zu seinem Zeugen an10. In seiner 20 Jahre später verfaßten, zweiten Fassung der "Vita Godehardi" fiel das Wahrheitsbekenntnis Wolfheres wesentlich bescheidener aus11. Ungewöhnlich ist ebenfalls, daß er dieses Wahrheitsbekenntnis in der Mitte der Vita prior wiederholt, denn schon im Prolog, wo das Wahrheitsbekenntnis seinen eigentlichen Platz hat, hatte

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Ebd., S. 89; die wichtigsten Quellen für diesen Streit sind für die Zeit Bemwards die sogenannte Denkschrift Thangmars, die in der Vita Bernwardi überliefert ist; hg. von PERTZ, MGH SS 4, S. 757782, und für die Zeit Godehards eben Wolfheres Vita Godehardi prior. 6 Zu Wolfhere vgl. WATTENBACH/HOLTZMANN, Geschichtsquellen I, S. 207; GERLACH, Wolfhere. 7 Otloh, lib. vis. 5, MGH SS 11, S. 379; vgl. GERLACH, Wolfhere, S. 74; MANITIUS, Literatur, II, 2, S. 313. 8 Prol, S. 167, Z. 41 und Vita Godehardi posterior, Prol., S. 196, Z. 48. 9 ... quod per adolescentiae meae tempora inter Herveldense et Altahense coenobium, quasi Orosii more, discursitaverim, ... Vita Godehardi posterior, Prol., S. 197, Z. 16ff.; vgl. dazu GERLACH, Wolfhere, S. 74. 10 Si ergo quisquam me mendosum aliquid opinatur vel in prioribus vel etiam in his compilasse, veritatem summam, que Deus est testor, me nulla nisi que probabillimorum descriptione vel veridicorum raelatione didici vel etiam ipse sub fine iam temporum vidi in prioribus descripsisse, aut in subsecuturis adulandi causa conectere decrevisse. Quia vero indecens est et contumeliosum quemquam de alio vel gratia vel odio nisi quod verum est annotare, ... c. 18, S. 180, Z. 12ff. Zum Wahrheitsbekenntnis als einem Element der Exordialtopik, SIMON, Untersuchungen (1959), S. 89ff.; SCHREINER, Zum Wahrheitsverständnis, S. 131ff.; GUENÉE, Histoire, S. 18f.; SCHULZ, Die Lehre, S . 5-16 und 54. " Deum ergo, qui secreta cordium intuendo rimatur, testor, me nichil in eius memoriae laude descripturum, nisi quod aut ipse et vidi et audivi, aut a vere veridicis et etiam probatis agnovi. Vita Godehardi posterior, MGH SS 11, Prol., S. 197, Z. 18f.

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Wolfhere ein Bekenntnis zur Wahrheit abgelegt12. Die Wiederaufnahme des Prologes innerhalb eines Textes hat nach Lausberg die Funktion, das Publikum aufzurütteln und einen zweiten Erzählteil einzuleiten13. Sechs Seiten und sieben Kapitel weiter wendet sich Wolfhere wieder an seine Leser, denn jetzt hat er die Geschichte des Gandersheimer Streites — in Kürze, wie er meint — von den Anfängen des Stiftes bis zum Tode Bischof Bernwards von Hildesheim aufgearbeitet und kann seinen Faden dort wieder aufnehmen, wo er ihn im 18. Kapitel hatte fallen lassen, nämlich am Tage der Bischofsweihe Godehards: "Nachdem nun das Interesse des fleißigen Lesers mit dieser kurzen Darstellung der Anfänge des Streites um das Gandersheimer Gebiet befriedigt ist, können wir uns wieder dem vorigen Thema zuwenden."14 Für die anschließende Beschreibung der Auseinandersetzungen um Gandersheim unter Godehard läßt sich Wolfhere noch einmal acht Seiten und zwölf Kapitel Zeit, so daß der Gandersheimer Streit insgesamt auf 14 Seiten und in 19 Kapiteln abgehandelt wird. Wolfhere war sich durchaus bewußt, daß seine Ausführungen über den Gandersheimer Streit in einer Vita einen Exkurs darstellten. Denn wie zu Beginn und nach der Darstellung der ersten Hälfte des Streites richtet sich Wolfhere auch am Ende seiner Ausführungen über den Gandersheimer Streit an seine Leser: "Nachdem wir nun jenen langandauernden Streit zum gewünschten Ende geführt haben, müssen wir noch wenige von den vielen Taten des verehrten Bischofs berichten, die wir bisher nur ausgelassen haben, um den Widerwillen der Leser zu vermeiden ,.." 15 . Anschließend führt Wolfhere in nur vier Kapiteln und knapp drei Seiten seine Vita, die Taten Godehards in Hildesheim beschreibend, zu Ende. Allein die Proportionen — in Seiten und Kapiteln — sprechen deutlich aus, was das eigentliche Anliegen der Vita war. Die eine Hälfte, d.h. 19 Kapitel und 14 Seiten, gelten der Darstellung des Gandersheimer Streites vor und während Godehards Pontifikat. Die andere Hälfte — 21 Kapitel und 12 Seiten — verteilt sich recht ungleich auf die Niederaltaicher und die Hildesheimer Zeit Godehards: neun Seiten und 17 Kapitel sind der Niederaltaicher, zweieinhalb Seiten und vier Kapitel der Hildesheimer Zeit Godehards vorbehalten. Der Gandersheimer Streit ist jedoch nicht nur in quantitativer Hinsicht ein Schwerpunkt der Vita. Schon im Prolog deutete Wolfhere an, weshalb er die "Vita Godehardi" geschrieben hat: "Obwohl ich von mehreren bedrängt wurde, in gewisse, sehr schwierige — ardua quaedam — Verhältnisse Licht zu bringen, habe ich nicht zugestimmt, weil ich mich, eingedenk meiner eigenen Sorglosigkeit solch einer Aufgabe nicht gewachsen 12

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Si vero quisquam mefalsitatìs arguerit, fides Christi adest, nil me velfavoris vel adulationis mulcedine falsidicum confinxisse, sed ea tantum quae tarn aetate quam veritatis probitate perfectorum, maxime tarnen cuiusdam probabilis personae presbyteri, ... hutrüli caraxatione pro ingenioli mei sufficientia veraciter descripsisse. Prol., S. 169, Z. 5-9. LAUSBERG, Handbuch, § 287, S. 162f.; § 311b, S. 175f. Quoniam quidem nunc studioso cuiquam lectori in hac veriloqua historiarum de Gandesheimensi territorio adbreviatione est satisfactum, iam stilus adprius regrediatur propositum, ... c. 25, S. 186, Z. 22ff.; "iam stilus ad prius regrediatur propositum" ist die von der Rhetorik vorgeschriebene Formel, mit der ein Autor nach einem Exkurs wieder zu der eigentlichen Erzählung überleiten muß; vgl. LAUSBERG, H a n d b u c h , § 3 4 0 , S .

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Quoniam ergo nunc illam diutius prolongatam dissensionem ad optatum tandem finem perduximus, res tat ut de gestis venerandi nostri pontificis quae inter praescripta sola legentium fastidii devitacione dilata sunt ex multis pauca disseramus, et ea quae iam Deo plenus et seculo prorsus alienus exercuit, ad laudem summae Deitatis et etiam ad noticiam et providentiam fragilis nostrae mortalitatis describamus. c. 37, S. 194, Z. 22ff.; vgl. die Parallele der Satzanfänge, mit denen sich Wolfhere an seine Leser wendet: Quoniam quidem nunc ... (wie Anm. 14), und Quoniam ergo nunc ...

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fühlte."16 Mit ardua quaedam — gewisse sehr schwierige Verhältnisse — kann Wolfhere eigentlich nur die Streitigkeiten um Gandersheim gemeint haben. Diese Annahme wird einige Zeilen später bestätigt. Wolfhere schreibt dort, daß ihn der Abt von Niederaltaich und Neffe Godehards, Ratmund, zur Abfassung der "Vita Godehardi" gedrängt habe, da über Godehard zwar schon viele Geschichten im Umlauf seien, daß aber das, was er im fortgeschrittenen Alter geleistet habe, weitgehend unbekannt sei. Addiert man zu "einigen sehr schwierigen Verhältnissen" die "unbekannten Taten" des älteren Godehard, so ergibt sich als Summe der Gandersheimer Streit17. Interessanterweise werden auch in der Wiederaufnahme des Prologes, der den Bericht über den Gandersheimer Streit einleitet, mit historiis maxime tarn arduis die Vorgänge um Ganderheim bezeichnet18. Und aus den schon zitierten Anreden Wolfheres an seine Leser, mit denen er den Exkurs über den Gandersheimer Streit mit der eigentlichen Vita verbindet, geht hervor, daß Wolfhere gerade in diesem Teil der Vita seinen Auftrag zu erfüllen glaubte. So heißt bei der Wiederaufnahme des Prologes in einer Formulierung, die sehr stark an eine urkundliche notificatio erinnert: Ut ergo quique tarn moderni quam posteri ... patenter intellegant19. Und bei der Unterbrechung anläßlich Bernwards Tod: studioso cuiquam lectori in hac veriloqua ... est satisfactum ... 20 . Und schließlich steht am Ende der Ausführungen über den Streit: illam diutius prolongatam dissensionem ad optatum tandem finem perduximus21. Doch die bloße Darstellung des Gandersheimer Streites war nicht das Ziel Wolfheres. Das Wort iure in dem eingangs zitierten Satz macht deutlich, worauf es ihm eigentlich ankam22. Er will die rechtmäßige Zugehörigkeit des Frauenstiftes zum Bistum Hildesheim beweisen oder anders gesagt: das rechtmäßige Verhalten Godehards in diesem Streit nachweisen. Eine einmalige Verwendung des Wortes iure würde diese Behauptung nicht rechtfertigen. Wieder muß weiter ausgeholt werden, um zu zeigen, daß das Aufzeigen des rechtmäßigen Verhaltens Godehards — ergänzend kommt das kanonische und regelgetreue Verhalten dazu — das Hauptanliegen der "Vita Godehardi prior" war. In Kapitel acht bis elf gestaltet Wolfhere eine Auseinandersetzung zwischen Godehard und dem Bayernherzog Heinrich IV., dem späteren Kaiser Heinrich II., zu einer Art Präzedenzfall, an dem er die Rechtschaffenheit Godehards schon für seine Niederaltaicher Zeit exemplarisch nachweist. Die Auseinandersetzung hatte die Absetzung des

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Quapropter quam pluribus me ardua quaedam delucidare corrogantibus temere non consensi, quia propriae mihimet socordiae conscius, ad tale me negotium ineptumpersensi... Prol., S. 168, Z. 21f. Die Beteuerung der eigenen Unfähigkeit ist eine Variante des Bescheidenheitstopos, vgl. SIMON, Untersuchungen ( 1958), S. 111. Me enim Altahapositum, vesterfamiliaris domnus Ratmundus ... me ... tractavit, quatenus venerandi et omni studio amplectendi antistitis nostri Godehardi vitam gestaque quae iam tum plurima trivatim feliciter divulgabantur, plura tarnen quae vel adolescentior vel etiam postmodum senior ipse quidem humiliter latitare gestiens laudabiliter exercuit ignorabantur, ... Prol., S. 168, Z. 32ff. Quia vero indecens est et contumeliosum ...si in historiis et maxime tarn arduis deprehenditur veritatis aliquantum timoris vel amoris causa celare. C. 18, S. 180, Z. 15ff.; vgl. zu diesem Topos SCHULZ, Die Lehre, S. 54. C. 18, S. 180, Z. 8f. C. 25, S. 186, Z. 22f. C. 37, S. 194, Z. 22f. S. oben Anm. 1.

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Niederaltaicher Reformabtes Erkanbert zum Gegenstand23. Herzog Heinrichs Vater, der Bayernherzog Heinrich der Zänker, hatte den Schwaben Erkanbert zur Reform nach Niederaltaich gerufen. Die Reform — oder der Schwabe — stieß bei den Niederaltaicher Mönchen auf Widerstand, und sie nutzten den Tod Heinrichs des Zänkers, um den mißliebigen Abt loszuwerden. Stattdessen sollte Godehard die Abtswürde übernehmen. Doch Godehard lehnte ab. Wolfhere hob schon in seiner einleitenden Darlegung des Sachverhaltes hervor, daß die Niederaltaicher Mönche Erkanbert ficta incusacione und sine ulligena iustae criminacionis racione verstoßen hätten24. Eine in Regensburg von Herzog Heinrich IV. einberufene Versammlung, auf der eigentlich Godehard die Abtswürde übertragen werden sollte, schildert Wolfhere dann ausführlicher25. Da Godehard mit den Beteuerungen, er sei unfähig, ein solches Amt zu übernehmen, nichts erreichen konnte, hätte er eine Rede gehalten. Diese wird von Wolfhere in direkter Rede wiedergegeben. Sie enthält eigentümlicherweise dieselben Argumente, wie sie später bei dem Streit um Gandersheim vorgebracht werden. Der einzige Unterschied liegt in dem verfolgten Ziel. In Regensburg beruft sich Godehard auf Recht und Gesetz, um die Übernahme eines Amtes abzulehnen — bei dem Streit um Gandersheim will er unter dem Hinweis auf Recht und Gesetz ein Vorrecht wahren. Doch gerade dieser Unterschied erlaubte es Wolfhere zu zeigen, daß für Godehard das Recht — egal, ob es ihm zum Vorteil wie im Gandersheimer Streit oder zum Nachteil wie in der Frage der Absetzung Erkanberts gereichte — die höchste Richtschnur des Handelns war. Die Tatsache, daß die Ansprache in direkter Rede wiedergegeben wird, unterstreicht die Bedeutung, die der Autor ihr beimaß. Zunächst fordert Godehard, daß sich diejenigen, die Recht sprechen, auch an die existierenden Gesetze halten und sich durch nichts zu einer Umgehung der Gesetze verleiten lassen. Dies gälte vor allem für die Berater des Herzogs. Denn wenn dieser, ohne die gegebenen Gesetze zu beachten, Recht spräche, käme dies einem Zustand der Rechtslosigkeit gleich26. Sein Abt sei ungerechterweise, in einem Akt, der sowohl gegen weltliches wie kirchliches Recht verstoße, abgesetzt worden: ab eadem dignitate ad quam protrahor iniuste depositum, et in hoc non solummodo canonum sed etiam secularium legum ... violentopraeiudicio temeratum essepropositum21. An diese Feststellung schließt Godehard die Forderung, daß Erkanbert wieder in sein Amt einzusetzen sei, canonice restituatur2*. Danach solle er entweder durch ein ordentlich einberufenes, kirchliches Gericht abgesetzt werden: ab his iudicibus quibus ecclesiastica iura discutere licet regulariter deponatur, oder eine Synode solle die lügnerische

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Zur Reform Niederaltaichs und zu der Auseinandersetzung um Erkanbert vgl. HALLINGER, GorzeKluny, S. 163ff.; GLASER, in: Handbuch der bayerischen Geschichte I, S. 442; PRINZ, ebd., S. 377

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C. 8, S. 174, Z. 4 und 7f. C. 8 bis c. 10, S. 174ff. Si enim omnes qui constituuntur de seculi legibus iudicare, in omnimoda mentis temperie sub ultoris gladii interminacione iubentur vacare, et si qui quolibetmodo contra leges sunt, legibus digne praeiudicare non possunt, multo magis in vestrae dignitatis concilio quaeque debent satis provido praetrutinari Consilio, ne dum inconsulte leges legibus queratis, nullas ormino leges habeatis. C. 9, S. 174, Z. 34ff. C. 9, S. 174, Z. 39ff. Quapropter antequam ille priori tarn dignitati quam gradui quibusque suis licite perfruens canonice restituatur, ebd., Z. 43ff.

u n d 3 8 4 f . ; HERZBERG-FRÄNKEL, W i r t s c h a f t s g e s c h i c h t e , S . 1 0 8 f . 25 26

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Anklage sinodaliter zurückweisen29. Zuvor brauche sich der Herzog weder öffentlich noch privat um einen Nachfolger bemühen. Er rät dem Herzog, sich an seine vornehmsten Berater, die Bischöfe, zu wenden, die sehr häufig an Synoden teilnähmen. Diese könnten ihn über solcher Art Urteile belehren, damit er nicht der Schmeichelei der Verräter, sondern den ecclesiastica iura sein Ohr schenke30. Die anwesenden Bischöfe fordert Godehard auf, in Zukunft solche ungesetzlichen Akte zu verhindern: talia tamque illicita nefiant prohibite3'. Er verweist sie auf die Synode von Reims, auf der man festgelegt habe, auf welche Weise ein Bischof oder Abt abgesetzt werden könne32. Es sei den Bischöfen wohl bekannt, daß Erkanbert auf ungerechte und vor Gott unwürdige Weise abgesetzt worden sei, und sie sollten dafür sorgen, daß er nicht noch unschuldig verurteilt werde: ne ille quem iniuste Deoque indigne reiectum non ignoratis, sub turpissima vestri tarn honoris quam ordinis insultatione innocens dampnetur.32 Auch im letzten Abschnitt seiner Rede geht es Godehard noch einmal um die Gerechtigkeit. Zwar sei es gerecht — iuste —, Nachlässige, womit Wolfhere wohl Erkanbert meint, zu vertreiben, doch sollten die Schuldigen, das sind wohl die Niederaltaicher Mönche, deswegen nicht maßlos gestärkt werden34. Die Bischöfe sollten weise abwägen und verhindern, damit nicht aus Eifer für die Gerechtigkeit — zelo iustitiae — Gesetze gebrochen würden — illicita fiant35. Sie sollten sich nicht dem Gotteswort widersetzen, das besage, die Gerechtigkeit solle sich überall durchsetzen, und weder Erkanbert ungerechterweise verwerfen noch ihn, Godehard, dazu zwingen, Unrecht zu begehen36. Godehard drohte den Bischöfen, er würde sich ihrem Befehl, die Abtswürde in Niederaltaich zu übernehmen, entziehen, falls sie in ihrem Ansinnen vermessen — fernere — verharrten37. Mit dem Argument, es sei schlimmer, vor Gottes Angesicht zu sündigen als in die Hand der Menschen zu fallen, habe Godehard die Abtswürde schließlich abgelehnt. So sind schon in dieser Regensburger Rede Godehards alle Schlüsselwörter der später folgenden Darstellung des Gandersheimer Streites gefallen: iure, iuste, leges, canonice, regulariter, sinodaliter und temere, das negative Gegenstück zu iure. Der Vollständigkeit halber sei angefügt, daß sich Godehard nach Rücksprache mit dem Abt von St. Emmeram heimlich von der Synode entfernt und so die Gefahr, gegen seinen Willen zum Abt ernannt zu werden, gebannt habe. Herzog

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Ebd., Z. 45ff. A prìmorìbus sane nostris, o dux venerabilis, qui circa vos resident episcopos loquor, qui synodicis sepissime inteifuere immo praefuere decretis, qui voi hoc docere et debere creduntur et velie, sufficienter poteritis huiusmodi sententias ediscere ... nedum quorumcumque delatorum adulationi videmini aurem sepius accomodare, ecclesiastica iura estimemini velie more quorundam ad nummorum quantitatem trutinare. C. 9, S. 174, Z. 50ff. C. 9, S. 175, Z. Iff.; ZitatZ. 5. Ebd., Z. 5ff. Vgl. Gerberti Concilii Remensis, hg. von PERTZ, MGH SS 3, S. 658-686, bes. c. 29, S. 677 exempla canonum contra Arnulfum, und c. 44, S. 682, De iniuste depositis. C. 9, S. 175, Z. l l f f . Nam scimus iuste convenire propulsare neglegentes, sed ita ne ultra modum roborentur nocentes. Ebd., Z. 14f. Quapropter facienda tolerandaque et in hoc et in ceteris sapienter decernite, et ne postmodum tam illicita fiant zelo iustitiae divinitus defendite, ... ebd., Z. 15ff. linde in commune omnium vestri sublimitatem implorans, ...ne divino quod ubique iusticiam praeponderare vult renitentes testimonio, aut illum iniuste reiciatis, aut me ad tale facinus perpetrandum compellatis. Ebd., Z. 20ff. Ebd., Z. 23ff.

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Heinrich IV. habe diese heilige Demut hilariter bewundert38. Da er Godehard auf keine Weise zur Übernahme des Amtes bewegen konnte, habe er nach einem Jahr Bischof Megingoz von Eichstätt (991-1015) die Aufgaben des Abtes übertragen39. Als sich Godehard zwei Jahre später doch noch zur Übernahme der Abtswürde in Niederaltaich überreden ließ, tat er dies, nach Wolfheres Auskunft, nicht ohne vorher die rechtliche Lage bedacht zu haben40. Zwar hätte die Furcht, die Zucht des Klosters könne ohne ständig anwesenden Abt verfallen, den Ausschlag für seine Entscheidung gegeben, doch macht sich Godehard — bzw. Wolfhere seinen Lesern — klar, daß inzwischen mehr als ein Jahr vergangen war, ohne daß der ungerecht abgesetzte Abt eine Synode oder ein Konzil angerufen habe41. Sein Anspruch auf die Abtswürde in Niederaltaich sei damit verwirkt gewesen, und Godehard konnte ruhigen Gewissens die Abtswürde in Niederaltaich antreten. Bei der Schilderung von Godehards Tätigkeit als Abt in Niederaltaich beschränkt sich Wolfhere beinahe ausschließlich auf dessen bauliche Maßnahmen. Godehard habe die Gebäude den Bedürfnissen der Mönche angepaßt, und auch bei den anderen Gebäuden Godehards betont Wolfhere die Angemessenheit. Ein Kanonikerstift habe Godehard regulariter eingerichtet42. Daß bei der Darstellung der Reform der Klöster Hersfeld und Tegernsee durch Godehard das Regelgemäße und Kanonische besonders hervorgehoben werden, überrascht nicht weiter. Weil die Hersfelder Mönche non regulariter vel etiam canonice sed pompatice enervateque viventes, habe Godehard sie wieder auf den rechten Weg zurückgeführt43. Auch von den Tegernseer Mönchen heißt es, Godehard habe ihnen den Weg zur rechten Religion gezeigt und ihre Fähigkeit, das Erlaubte vom Verbotenen zu unterscheiden, wiederhergestellt: ad discernenda a licitis illicita reformaret«. Auf diese Weise an den Recht und Regel verpflichteten Charakter Godehards gewöhnt, beginnt der Leser mit der Lektüre der Geschichte des Gandersheimer Streites. Unter genauer Angabe der Daten und der beteiligten Personen schildert Wolfhere zunächst die Gründung des Stiftes, die cum licentia et consilio des damaligen Hildesheimer Bischofs Altfried (851-874) erfolgt sei45. Die Stifter, das sächsiche Herzogspaar Liudolf und Ouda, seien nach Rom gepilgert und hätten dort die Reliquien des hl. Sergius vom Papst zum Geschenk erhalten. Sie hätten consiliante et episcopalia quaeque

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C. 10, S. 176, Z. 4. C. 10, S. 176f. At ille vir religiosus, equitatis in quibusvis praeponderator curiosus, ... praemeditatione longae deliberations alternai. C. 11, S. 176, Z. 26ff. Sed tandem fratrum sui congregatione cumfamilia conclamante, omnique conprovincialium frequentia submonente, ut super abbatis sui deiectione diutius conqueri destituerit, dum ipse quidem super hac querimonia numquam vel ad sinodum vel ad aliud concilium per biennium advenerit, maxime cum quilibet clericus si infra annum causam suam super quacumque iniuria contempserit exequi, canocica auetoritate prohibeatur postmodum exaudiri. C. 11, S. 176, Z. 3Iff. ... vel in ecclesia vel in ceteris edifleiis quae ut supra diximus in monachicae necessitatis utilitatem transmutavit, ... c. 12, S. 176, Z. 51ff. ... cum edifleiis tarn regali quam et canonica monachicaque habitatiom convenientibus disposuit. C. 12, S. 177, Z. 13f. His quidem ad velie dispositis, coenobium eo loci canonicorum regulariter adunavit, ... ebd., Z. 15f. C. 13, S. 177, Z. 24f. C. 14, S. 178, Z. 13f. C. 19, S. 180, Z. 20f. Zur Geschichte des Bistums Hildesheim vgl. HEINEMANN, Das Bistum Hildesheim, S. 14ff. Zur Geschichte Gandersheims vgl. GOETTING, Das reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim; DERS., Artikel "Gandersheim", in: DHGE, Bd. 19, Sp. 1066-1081.

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providente praedicto pontifice mit dem Klosterbau in Brunshausen begonnen46. Auch sei es der Hildesheimer Bischof Altfried gewesen, der vier Jahre später einen größeren Klosterbau in Gandersheim durchgeführt und die Kirche auch geweiht habe. Altfrieds Nachfolger Markwart (874-880) habe die Gandersheimer Kirche bis zur Decke hochgezogen. Sein Nachfolger Wigbert (880-908) habe dann die Kirche vollendet und geweiht. Der nächste Hildesheimer Bischof habe die Äbtissin Hrotsvith ordiniert. Auch die folgenden Äbtissinnen Windilgart und Gerberga seien von Hildesheimer Bischöfen in ihr Amt eingeführt worden. Die Hildesheimer Bischöfe — das soll dem Leser aus dieser etwas ermüdenden Aufzählung klar werden — wären von jeher an Bau und Konsekration des Gandersheimer Klosters beteiligt gewesen und hätten auch immer die Ordination der dortigen Äbtissinnen vorgenommen. Aus dieser Gewohnheit allein las der mittelalterliche Mensch schon ein Recht ab47. Dieses Recht sei dann von Sophie, der Tochter Ottos II., gebrochen worden, da sie nicht vom Hildesheimer Bischof Osdag (985-989), sondern vom Metropoliten Willigis von Mainz (975-1011) eingekleidet werden wollte. Willigis, so Wolfhere, ließ sich von ihr verleiten, das Hildesheimer Recht für sich zu beanspruchen: suo iuri eandem parroechiam usurpare48. Unter Mißachtung der Autorität der Kanones — qualibet canonum auctoritate contempta — habe sich Willigis auf die Einkleidung der Kaisertochter eingelassen49. Als der Hildesheimer Bischof bescheiden protestierte, habe Willigis hochmütig geantwortet, daß er von dem, was ihm rechtmäßig, iure, zukomme, nicht ablassen werde50. Doch, so Wolfhere, da mit Gottes Gnade die Gerechtigkeit immer siege, habe Osdag suum ius et honorem bei Otto II. durchsetzen können und erreicht, daß Willigis nur mit seiner Erlaubnis die Einkleidung Sophiens vornehmen durfte51. Er soll auch durchgesetzt haben, daß öffentlich verkündet wurde: queque eo loci hactenus ad Hildenesheimenses episcopos iure pertinuisse, et ideo in potestate domni Osdagi suorumque successorum debere Semper in posterum existere52. Mit diesem Satz, der die Zugehörigkeit Gandersheims zu Hildesheim als einen rechtlichen Grundsatz formuliert, weicht Wolfhere beinahe unmerklich, jedoch auf entscheidende Weise von seiner Vorlage ab, denn bei Thangmar war nur von einem partiellen Zugeständnis des Mainzer Erzbischofs die Rede. Es hieß dort nur, daß der Erzbischof keine Rechte an der Gandersheimer Kirche beanspruche außer denen, die ihm der Bischof von Hildesheim zubillige und erlaube53. Diese Änderung ins Grundsätzliche hat Wolfhere ganz bewußt vorgenommen. Sie verrät einmal mehr seine Absicht, mit der "Vita Godehardi prior" die rechtmäßige Zugehörigkeit des Stiftes Gandersheim zum Bistum Hildesheim nachzuweisen, da er hier seine im

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Ebd., Z. 27f. Vgl. GURJEWITSCH, Das Weltbild, S. 196 und 199f. C. 20, S. 181, Z. 14. Wolfhere folgt hier weitgehend Thangmars Darstellung des Gandersheimer Streites in der Vita Bernwardi. Jedoch betont er weitaus mehr als Thangmar die verführerische Rolle der Sophie und akzentuiert dadurch deren Verantwortung am Streit. Ebd., Z. 14f. ...se nullatenus ab hoc coepto eo quod sibi idem terminus iure competerei nolle desistere. Ebd., Z. 19f. ... et post plura apta ineptaque colloquia divina tandem clemencia favente iusticia que Semper triumphatpraeponderante, antistes noster adeo suum ius et honorem retinuit. Ebd., Z. 23ff. Ebd., Z. 30f. ... publiceque denunciatum est omni clero et populo, archiepiscopum nil iuris sibi in illa aecclesia vendicare praeter consensum et permissum Hildenesheimensis episcopi. Vita Bernwardi, hg. von PERTZ, M G H S S 4 , c . 1 3 , S . 7 6 4 , Z . 3 0 f f .

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Prolog geäußerte Absicht beweisen zu wollen, idem Gandesheimense territorium ad Hildesheimenses episcopos hactenus iure pertinuisse, ganz einfach als Realität formulierte54. Unter Osdag und dessen Nachfolger Gerdag (990-992) sei es dann zu keinen weiteren Zwischenfallen um Gandersheim gekommen55. Erst unter Bernward habe die Königstochter Sophie erneut Anlaß zu Streit gegeben. Statt wie es sich für eine Nonne gehört, im Kloster zu leben, habe sie das Leben am königlichen Hofe vorgezogen. Bischof Bernward, dem auch die Erziehung ihres Bruders, Ottos III., anvertraut war, habe ihr deswegen Vorhaltungen gemacht und sie so gegen sich aufgebracht. Sie habe Rückhalt beim Erzbischof Willigis gesucht, und sie soll es auch gewesen sein, die diesem immer wieder einredete, daß Ort und Kloster Gandersheim von Rechts wegen zur Mainzer Diözese gehörten, solange bis Willigis sein früher gegebenes Versprechen vergessen habe56. Auch hier hat Wolfhere eine bezeichnende Änderung seiner Vorlage vorgenommen. Während es bei Thangmar neutral hieß, Willigis hätte erreicht, daß er an diesem Tag die Messe am Hauptaltar des Stiftes feiern durfte, fügte Wolfhere hinzu, daß dies mit der speziellen Erlaubnis Bischof Osdags geschehen sei57. Sophie soll auch Bernward bei den übrigen Gandersheimer Nonnen schlecht gemacht haben, und als die Weihe der von Gerberga erbauten Kirche anstand, habe sich Sophie nicht an Bernward, sondern an Willigis gewandt. Bernward sei trotzdem nach Gandersheim gegangen und habe dort den Rechtsbruch beklagt: iniurias lacrimabiliter intimavit, et eiusdem ecclesiae consecrationem, quae ad se iuste pertineret, sine sua licentia cunctis interdicens ad altare rediit58. Doch Bernwards Rede sei von den Nonnen schlecht aufgenommen worden, und er mußte unverrichteterdinge nach Hildesheim zurückkehren. Als sich Willigis anschickte, die Kirche zu weihen, hätten der Bischof von Schleswig und der Hildesheimer Dekan Thangmar ein letztes Mal versucht, ihn unter Hinweis auf Kanones und Synodalbeschlüsse davon abzuhalten: desistere canonum sinodorumque auctoritate convenienter ob lata rogaverant59. Der Bericht Wolfheres geht jetzt von Synode zu Synode voran60. Die Höhepunkte in Wolfheres Darstellung des Gandersheimer Streites bis zum Tode Bernwards sind der wörtlich zitierte Brief, in dem Kaiser und Papst Willigis wegen seines Ungehorsams

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Vgl. oben Anm. 2. C. 20, S. 181, Z. 31 ff. ... denuo ad Willigisum archiepiscopum confugit, priscamque pacis pactionem infringere gestiens, locum illum et coenobium seque insimul illius iuri competere, quoniam plurimi id veraciter attestentur item itemque suggessit, nec ante destitit, donec eum et praedictae pactionis et cuiuslibet auctoritatis oblivisci primaeque invasioni avidius inniti compulit. C. 21, S. 181, Z. 50ff. So heißt es in der Vita Bernwardi: obtinuit, ut ad principale altare misteria ipsa die ageret, ... MGH SS 4, c. 13, S. 764, Z. 20. In der Vita Godehardi prior steht dagegen: quo ipse eadem die ibi cum licentia domni Osdagi ad principale altare missam celebraret, ... c. 20, S. 181, Z. 26. Vgl. KIPPENBERGER, B e i t r ä g e , S. 3 7 .

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C. 21, S. 182, Z. 20ff. Ebd., Z. 34f. Von der von Willigis nach Gandersheim nach Wolfheres Meinung zu Unrecht einberufenen Synode (c. 21, S. 182, Z. 50ff.) bis zu der Synode in Pöhlde unter Heinrich II. Zur tatsächlichen Chronologie der Ereignisse vgl. BRESSLAU, Jbb. Konrads II., Bd.I, S. 353-360, sowie GOETTING, Das reichsunmittelbare Kanonissenstift, S. 90ff.; DERS., Artikel "Gandersheim", in: DHGE, Bd. 19, Sp. 1070ff.

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eine Rüge erteilten61, ferner die in direkter Rede wiedergegebene Ansprache, die Thangmar vor Kaiser, Papst und Bischöfen in Rom gehalten habe62, sowie das in direkter Rede wiedergegebene Schuldbekenntnis, das Willigis vor Bernward abgelegt haben soll. Darin habe er bekannt: "Ich weiß und erkenne an, daß diese Kirche und die dazugehörigen Höfe immer den Bischöfen von Hildesheim gehört haben und unwidersprochen in ihrem Besitz gewesen sind. Daher, lieber Bruder und Mitbischof, erkläre ich meinen Verzicht auf diese Kirche. "63 Auch hier hat Wolfhere seine Vorlage wieder auf bezeichnende Weise abgeändert. Bei Thangmar wurden diese Worte noch von Heinrich II. ausgesprochen, so daß von einem Schuldbekenntnis Willigis' dort keine Rede sein kann64. Willigis habe Bernward seinen Bischofsstab als symbolisches Zeichen für die Zugehörigkeit Gandersheims zur Hildesheimer Diözese übergeben. Der Nachfolger Willigis', Aribo, qui in divinis adplura studiosus, in humanis supra modum animosus65, der ebenfalls unter Anstiftung Sophiens versucht habe, den Streit von neuem zu entfachen, habe Bernward unter Bannandrohung wieder in seine Schranken verweisen können66. Nach dem Bericht über den Tod Bernwards macht Wolfhere den schon erwähnten Einschnitt, um sich an seine Leser zu wenden67. Danach fahrt er mit dem Bericht über den Gandersheimer Streit, wie er sich unter Godehard zugetragen haben soll, fort. Schon anläßlich der Konsekration Godehards habe Aribo versucht, den Streit Wiederaufleben zu lassen. Godehards Reaktion ist für die am Recht orientierte Darstellung Wolfheres bezeichnend. Er habe gesagt: Si iuste vobis cedit, nulli melius annuo quam vobis; si autem mihi meoque iuri, nulli libentius praeopto subici quam mihi: bannum tarnen quem mihi intenditis, nulla auctoritate stabilitum ipse non nescitis6i. Allein das Recht entscheide. Sollte es nicht für Godehard sprechen, so würde dieser Gandersheim niemandem lieber als Aribo überlassen — sollte das Recht aber auf seiner Seite stehen, so wolle er es auch für sich in Anspruch nehmen. Aribo wüßte selbst genau, daß der Bann, mit dem er drohte, jeder rechtlichen Grundlage entbehre.

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Für die an Gegensätzen orientierte mittelalterliche Geschichtsschreibung ist es wieder typisch, daß dem "ungehorsamen" Willigis ein "gehorsamer" Bernward gegenübergestellt wird: Quia sinodo te subtraxisti et iussis Romani pontificis et imperatoris inobediens fuisti ...ab omni sacerdotali officio scias te usque ad illius praesentiam suspensum. ...de obedientia et devotione domni Bernwardi, de animositate vero et controversia archiepiscopi, evidenter aperuit. C. 22, S. 183, Z. 38ff. Vgl. oben Einleitung, Anm. 55.

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C. 23, S. 184f. Agnosco enim et scio, hanc aecclesiam et adiacentes villas ad Hildeneshemenses episcopos Semper pertinere et ab Ulis absque contradictione possessam esse. Unde, frater carissime et coepiscope, abrenuntio iuri istius aecclesiae, ... c. 24, S. 185, Z. 36ff. ... rex cum archiepiscopo et caeteris adpopulumprogressus, sieprosecutus est: "Diuturnam, peccatis agentibus, controversiam, karissimi, hodie deponere et terminare debemus. Agnosco enim et scio, hanc aecclesiam et adiacentes villas ad Hildenesheimenses episcopos Semper pertinere, et ab Ulis absque contradictione possessam esse. Vita Bernwardi, hg. von PERTZ, M G H SS 4, c. 4 3 , S. 777, Z. 33ff. Nur den letzten Satz, abrenuncio iuri istius aecclesiae, legte auch Thangmar Willigis in den Mund; ebd., Z. 42ff.

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C. 25, S. 185, Z. 52. Ebd., S. 186, Z. 3f. S. oben, Anm. 14. C. 25, S. 186, Z. 28ff.

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Nach diesem Vorfall gaben der Tod Heinrichs II. und der Machtantritt Konrads II. Aribo die Gelegenheit, den Streit erneut aufflammen zu lassen69. Zunächst wurde auf der Synode von Gruna darüber verhandelt. Der Bericht schreitet jetzt wieder von Synode zu Synode fort. Wolfhere bemüht sich, was er schon teilweise bei den Vorgängern Godehards versucht hatte, bei jeder von ihm behandelten Synode eine genaue Liste der Teilnehmer anzugeben70. Sie sind den Zeugen vergleichbar, die in Urkunden oder Traditionsbüchern aufgezählt werden71. Konrad II. habe in Gruna Hildesheims Recht auf Gandersheim vorläufig bestätigt: provisori nostro ius suum in Gandesheimensi diocesi iuste resignavit, die endgültige Entscheidung aber einem allgemeinen Konzil vorbehalten, das die Angelegenheit kanonisch entscheiden sollte: ... in generali synodo canonice demeretur percolere mandavit12. Trotz dieses Beschlusses habe Aribo eine Synode nach Gandersheim einberufen. Godehard habe ihn auf dem Weg dorthin abfangen können und ihm nochmals klargemacht, daß das Stift Gandersheim seit seinen Anfangen "nach bischöflichem Recht", "kanonisch" im Besitz seiner Vorgänger gewesen sei und daß er es als Erbe von seinen Vorgängern übernommen habe. Solange er lebe, würde er unter keinen Umständen darauf verzichten, es sei denn, der Beschluß eines allgemeinen Konzils würde ihn dazu zwingen73. Aribo habe sich von Godehards Vorhaltungen nicht beeindrucken lassen und die Synode trotzdem abgehalten. In Wolfheres Urteil hat er so den Pfad der Gerechtigkeit verlassen: ab omni prorsus iusticiae semita exorbitatur74. Godehard beschwerte sich daraufhin beim König, der ihn wieder auf eine allgemeine Synode vertröstete, doch bis dahin solle er das ihm anvertraute kanonische Recht ausüben: pontificali auctoritate persequatur sibi commissa iure canonico75. Bei der Charakterisierung der Nichten Sophies im folgenden Kapitel, die wie ihre Tante Nonnen im Kloster Gandersheim werden sollten, griff Wolfhere wieder zu seinem Maßstab der kanonischen Norm: canonicae institucionis decreto vivendo remissius,... normam sanctae conversationis, ah! ah! inquinaverunt errore execrandae elationis76. Hält man die Charakteristik Sophiens in Thangmars "Vita Bernwardi" dagegen, der Wolfhere ja zu großen Teilen folgt, dann wird deutlich, wie typisch Wörter wie canonice und norma für Wolfhere sind. Thangmar beschreibt Sophiens Lebensführung nämlich folgendermaßen: Sedpostquam luxus ac superfluitas accessit, morum insolentia subintravit, oboedientia torpuit, repulsa est episcoporum reverentia; quod cuique erat placitum, faciebat licitum11. Auch Thangmar brachte den Verfall der Sitten und der 69 70 71

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C. 26, S. 187, Z. 3ff. Z.B. ebd., Z. 17, vgl. auch c. 30, S. 189, Z. 43ff.; c. 31, S. 190, Z. 13ff. Zum Zeugenbeweis vgl. KROESCHELL, Rechtsgeschichte, S. 106 und 153f.; REDLICH, Geschäftsurkunde, S. 6; FICHTENAU, Urkundenwesen, S. 57. Die Vita Godehardi prior führt selbst einen Zeugenbeweis an: Drei Bischöfe bestätigen mit ihrem Zeugnis, daß Willigis Bernward die Rechte an Gandersheim überlassen habe, c. 33, S. 192, Z. 9ff. und Z. 29ff. C. 26, S. 187, Z. 21 ff. Scio et veraciter scio, Gandesheimense monasterium a meis antecessoribus ab ipso fiindaminis inicio pontificali iure canonice possessum, mihique a proximo meo praecessore episcopali hereditate dimissum, et insuper ab imperatore regia potestate commissum ... Quandiu enim hac mortali vita vixero, nullius vel metu deterrente vel blandimento seducente nisi in generali concilio et universali fratrum Consilio vestituram quam in hoc accepi numquam omisero. C. 27, S. 187, Z. 52ff. C. 28, S. 188, Z. 14f. Ebd., Z. 21. C. 29, S. 188, Z. 44. Vita Bernwardi, MGH SS 4, c. 14, S. 765, Z. lff.

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Klosterzucht zum Ausdruck, jedoch ohne auf den Maßstab der kanonischen Norm zurückzugreifen! Die beiden Nichten hatten Gandersheim verlassen und sich zu Aribo nach Mainz geflüchtet, der sie seinerseits zu einer Tante in ein Kloster schickte. Sophie sei hilfesuchend zu Godehard gekommen. Dies ist wieder eine Gelegenheit für Wolfhere, um auf die Rechtskenntnis Godehards aufmerksam zu machen: Qui ut erat... omnigenis quoque litterarum studiis ad ius fasque dinoscendum sufficientissime peritus, abbatissae in sua quaerimonia condolens, nec non et de sua repraehensione quae sibi in talibus intendi videbatur iuste conquerens1%. Godehard habe einen Brief schreiben lassen, in dem er die Äbtissin bittet, fremde Schafe nicht ungerechterweise für sich zu beanspruchen: ne oves alienas iniuste usurparet19. Der Brief sei jedoch unter grober Mißachtung des Ordensgesetzes zerrissen worden, cunctaque sacri ordinis lege contemptam. 1026 habe Aribo dann die Abwesenheit des Königs genutzt, um ein Konzil in Seligenstadt einzuberufen, auf dem er Godehard wieder in der Sache Gandersheim einschüchtern wollte. Er wollte durchsetzen, daß 100 Geistliche und 300 Laien die Grenzen des Mainzer Bistums durch Schwur festlegten. Godehard habe sich gewehrt, nur einer bischöflichen Synode käme diese Befugnis zu: Sed econtra primas noster sibi rogavit evidenti auctoritate sinodaliter decerni, si ullum cuiuslibet multitudinis cleri plebisque testimonium in his liceret accipi, cum ipse profiteretur suum ius solo episcoporum testimonio et posse et debere defend f \ Die anwesenden Bischöfe — Wolfhere zählt sie alle namentlich auf — beschlossen, die Versammlung zu vertagen und abzuwarten, bis der König sowie die an diesem Tage fehlenden Bischöfe anwesend seien82. Im Jahr darauf, 1027, fand eine Synode in Frankfurt statt. Dort sollte sich Godehard für Gandersheim verantworten. Godehard sei sich seiner Sache sehr sicher gewesen: Qui iuri suo iam melius meliusque confidensa. Er habe dieses Mal eine ansehnliche Zahl seiner Leute mitgenommen, und außerdem wußte er auch Sophie von Gandersheim, die den Weggang ihrer Nichten noch immer nicht verwunden hatte, auf seiner Seite. Die Frankfurter Synode — es ist die von Wolfhere am ausführlichsten dargestellte — sei, wie könnte es anders sein, ganz nach kanonischer Vorschrift abgelaufen. So seien zunächst Sitz- und Rangordnung festgelegt worden: primo iuxta canonumpraecepta sessio locusque quorumlibet honorifice destinaturM. Wolfhere beschreibt peinlich genau, wer auf welchen Platz zu sitzen kam. Nachdem man am ersten Tag verschiedene Punkte geklärt hatte, habe am zweiten Tag der Gandersheimer Streit auf dem Programm gestanden. Zunächst habe Godehard eine Rede gehalten, die Wolfhere in direkter Rede wiedergibt. Godehard fleht darin König und Bischöfe an, dem lange währenden Streit durch ein gerechtes Urteil, iuste iudicio, ein Ende zu machen85. Er sagt weiter, daß er sich seines Rechtes so sicher sei, daß er eigentlich nicht zu dieser Synode hätte kommen müssen. Er sei nur gekommen, weil ihn der König und die Bischöfe dazu aufgefordert hätten. In jeden Beschluß, den die Versammlung einstimmig fasste, egal ob er zu seinem Gunsten oder zu seinem Ungun78 79 80 81 82 83 84 85

C. 29, S. Ebd., Z. Ebd., Z. C. 30, S. C. 30, S. C. 31, S. Ebd., Z. C. 32, S.

189, 16f. 20f. 189, 189, 190, lOf. 191,

Z. 12ff.

Z. 40ff. Z. 40ff. Z. 5f. Z. 10.

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sten ausfalle, würde er sofort einwilligen: In omni enim iusta satisfactione quae modo unanimitati vestrae complacuerit, exiguitatis meae consensus tarn in amittendo quam et acquirendo promptissimus affuerif6. Während sich Aribo mit den Seinen zu einer Beratung zurückgezogen habe, hätten einige Hildesheimer die Gelegenheit genutzt, um die anwesenden Bischöfe inständig um ein gerechtes, einstimmiges Urteil zu bitten: ... ut ibidem iusto sinodicae auctoritatis iudicio idem difflneretur unanimiter per nomen Christi depraecabantur*1. Auch sie hätten darauf hingewiesen, daß der Beschluß entweder positiv oder negativ für Hildesheim ausgehen könne — aut iuste retinendo, aut iustius amittendo — , nur ein Ende solle der Streit nehmen88! Und dies sei durch den allgemeinen Beschluß eines allgemeinen Konzils, das den Streitfall auf eine kanonische Weise regle, gegeben: ... si modo universali eorum consilio et etiam in generali concilio, canonice praecisa pro talibus discordandi occasio tolleretur in futurum™. Am Abend hätten sich wieder alle versammelt. Bruno von Augsburg (1006-1029) habe die Mainzer Sache vertreten, und Godehard habe zur Entscheidung aufgefordert. Zunächst habe Aribo versucht, eine weitere Verschiebung zu erreichen, schließlich aber doch auf seinem Recht auf Gandersheim beharrt. Schließlich sei Wigger von Verden (1014-1031) — zelo iustitiae altius indoluit — aufgetreten und habe gesagt, er sei auf die Synode gekommen, um all dem Folge zu leisten, was diese nach kanonischem Recht beschließe. Da sich aber sein Vorgesetzter, Erzbischof Aribo, einem Beschluß der Synode offenbar nicht beugen wolle, so sehe er nicht ein, weshalb er selbst noch länger bleibe. Nach diesen Worten habe er den Saal verlassen90. Hier ist auf die Parallele Willigis — Aribo und Bern ward — Godehard aufmerksam zu machen. Willigis wie Aribo werden von Wolfhere der inobedientia bezichtigt, während sich Bernward und Godehard durch obedientia auszeichnen91. Schließlich habe Werner von Straßburg (1001-1028) die Leitung der Synode übernommen. Er habe den Erzbischof gebeten, drei Zeugen zu nennen, die glaubwürdig über die Ereignisse unter Willigis und Bern ward aussagen könnten. Zunächst habe Bruno von Augsburg ausgesagt, daß er gesehen habe, wie Willigis Bernward durch Stabübergabe die Rechte an Gandersheim übertragen habe. Mehrere Zeugen könnten das bestätigen. Werner von Straßburg verkündet den Beschluß: Das Zeugnis der Bischöfe habe die Zugehörigkeit Gandersheims zur Diözese Hildesheim bestätigt, und Godehard könne dort ungestört seine Rechte ausüben. Eine spätere Synode solle den genauen Grenzverlauf zwischen der Hildesheimer und der Mainzer Diözese sinodaliter abstecken92. Schließlich habe die Synode noch über die Affäre der Gandersheimer Nonnen beraten. Erst nachdem Aribo vom Kaiser zurückgewiesen worden sei, habe er sich bereit erklärt, die Nonnen zurückzugeben. Die Nonnen seien zwar zurückgekehrt, hätten sich aber nach kurzem Aufenthalt in Gandersheim erneut zu Aribo nach Mainz geflüchtet. Godehard habe nicht mehr tun können, als seinen Erzbischof in Briefen auf das, was 86 87 88 89 90

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Ebd., Z. 21f. Ebd., Z. 32f. Ebd., Z. 35f. Ebd., Z. 38ff. Scio, inquit, me debere archiepiscopi... quociens confratrum nostri unanimitati complacuerit sinodum adire, ibique ei canonico iure ad omnia quae iuste voluerit obedire. Quia vero hic noster primas profìtetur se iuri velie resistere ... nulla tarnen inobedientia machinante, sed illius animositate dehortante! C. 33, S. 191, Z. 56ff. Vgl. oben Anm. 61; zu Godehards Gehorsam vgl. unten S. 57f. C. 33, S. 192, Z.31ff.

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rechtens sei, hinzuweisen: ...hocque archiepiscopo suo ut iustum erat scriptis intimavif\ Zwei Jahre später habe Aribo Godehard wieder zu einer Synode, wie Wolfhere schreibt, eher durch kaiserlichen und bischöflichen Befehl bestellt, als durch einen kanonischen Aufrag gerechtfertigt: magis imperatoris et confratrum iussione, quam canonica adlegatione94. Unter dem Vorwand, daß er in Frankfurt erfundene Beschlüsse geduldig ertragen habe, habe Aribo den Gandersheimer Streit von vorne aufrollen wollen. Es sei zu einem Streit zwischen Anhängern Godehards und Anhängern Aribos gekommen. Godehard habe schließlich in den Kompromiß eingewilligt, daß ihm zwar die Zuständigkeit für das Gandersheimer Stift zukomme, die dazugehörigen Dörfer und Gehöfte aber zwischen Mainz und Hildesheim aufgeteilt würden. Eigentlich wäre hier die Beschreibung des Streites zu Ende, aber es folgt wieder — parallel zu Willigis' Schuldbekenntnis — ein Schuldbekenntnis, das Aribo ein Jahr vor seinem Tod Godehard gegenüber abgelegt haben soll. Er habe bekannt: se in Gandeshemensis parrochiae repeticione pro parte ignoranter errasse, pro parte malignanter fatebatur peccasse95. Wenn dieses Schuldbekenntnis — was wahrscheinlich ist — nicht tatsächlich stattgefunden hat, so war es doch notwendig, es zu erfinden. Denn nur so war Godehards rechtmäßiges Verhalten vollkommen gesichert. Auch machte ihm das angebliche Schuldbekenntnis nachträgliche Vergebung und Fürbitte für Aribo möglich96. Die öffentliche Fürbitte Godehards für Aribo war außerdem ein zwar ungewöhnliches, aber sicher sehr wirksames Mittel, um die Schuld Aribos und das rechtmäßige Verhalten Godehards bekannt zu machen97. Mit Aribos Nachfolger Bardo, den Wolfhere in der "Vita Godehardi posterior" treffend als simplex et rectus98 kennzeichnet, hat Godehard keine Probleme mehr mit Gandersheim gehabt. Es dürfte deutlich geworden sein, wie sehr Wolfheres Darstellung am Begriff des Rechts und des Rechtmäßigen, verbunden mit dem des Kanonischen, orientiert war. Der Begriff des Rechts in der "Vita Godehardi prior" läßt sich selbst wieder in mehrere Aspekte aufgliedern. Zum einen ist das recht- und regelmäßige Leben an sich ein Kriterium: Godehard wird als Mann besonderer Rechtschaffenheit und Regeltreue gekennzeichnet. Des weiteren unterscheidet Wolfhere zwischen kirchlichem und weltlichem Recht, zwischen Gewohnheits- und festgeschriebenem Recht. Godehard habe sich in beidem ausgekannt. Auch erscheint das Recht als eine von den Personen losgelöste, selbstständige Größe, da nicht etwa Godehards Recht gegen das Aribos steht, sondern Godehard d a s Recht anerkennen will, egal ob es zu seinen Gunsten oder zu seinem Nachteil gereiche. Schließlich lag Wolfhere noch viel an der äußeren Form, in der Recht gesprochen wird — es muß eine allgemeine Versammlung von Gleichgestellten sein, wobei dem Auftreten von Zeugen besonderes Gewicht zukommt.

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C. 34, S. 193, Z. 3f. C. 35, S. 193, Z. 7ff. C. 36, S. 193, Z. 53ff. ... domnum Godehardum infra missarum sollemnia in umbone sermone ad populum habito idem publice profari sepius audivimus, ubi ei et pro his et pro aliis indulgentiam sincera cordis conpunctione impertivit, et a circumstantibus ut idemfacerent expetivit. C. 36, S. 194, Z. 8ff. Zu den Bemühungen, Rechtshandlundlungen bekannt zu machen, vgl. JOHANEK, Zur rechtlichen Funktion, S. 133. Vita Godehardi posterior, MGH SS 11, c. 24, S. 209, Z. 30.

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Im Unterschied zu Thangmars "Vita Bernwardi", der Wolfhere im ersten Teil des Gandersheimer Streites weitgehend folgte, ist die Orientierung am Recht eine Besonderheit Wolfheres und ergibt sich nicht etwa aus der Natur der Sache, einem Streitfall. Selbstverständlich war auch bei Thangmar von Recht und Kanones die Rede. Bernward wurde jedoch nicht als der Gerechte, wie Godehard, sondern als der Friedensstifter hingestellt". Es drängt sich die Frage auf, weshalb Wolfhere so ausführlich auf den Gandersheimer Streit einging und warum ihm das an Recht und Regel orientierte Verhalten Godehards so wichtig war. Diese Frage schließt die Frage nach dem Adressaten der "Vita Godehardi prior" mit ein. Vieles deutet darauf hin, daß die erste Godehardsvita für das Kloster Niederaltaich bestimmt war. Zunächst gibt es in der Vita selbst einige Hinweise, die auf Niederaltaich als Zielpublikum hindeuten. Zum einen wird die Niederaltaicher Zeit Godehards in der "Vita Godehardi prior" sehr ausführlich behandelt. Im Vergleich zu der Vita posterior ist dieser Abschnitt doppelt so lang und enthält mehrere, nur lokalgeschichtlich interessante Angaben, die in der späteren Fassung fehlen. So fallen z.B. die erbaulichen Geschichten aus der Niederaltaicher Jugendzeit Godehards, lokale Namen sowie die ganze Auseinandersetzung um den abgesetzten Abt Erkanbert in der Vita posterior einfach weg. Auch im Vergleich zu der Schilderung von Godehards Tätigkeit in Hildesheim nimmt der Abschnitt über die Niederaltaicher Zeit dreifach soviel Raum ein100. Zum anderen war Godehard durch seine persönliche Geschichte eng an Niederaltaich gebunden 101 . Seine Familie gehörte zu den Dienstmannen des Stiftes, und trotz Laienstand war seinem Vater das Amt des Propstes übergeben worden 102 . Seinen Sohn Godehard schickte er in die Schule des Stiftes103. Nach der Umwandlung des Kanonikerstiftes in ein Kloster war Godehard einer der wenigen, die blieben und die Mönchs-

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Vita Bernwardi, MGH SS 4, c. 7, 23, 24, 31, 43. Vgl. auch KÖHLER, Das Bild, S. 69; KIPPENBERGER, Beiträge, S. 37ff. und 51, der sich bemühte, die "Fälschungen" Wolfheres aufzudecken und Aribo statt Godehard als den rechtmäßigen Anwärter auf Gandersheim nachzuweisen, stellte fest, daß Wolfhere mit seinen "Fälschungen" die Hildesheimer Bischöfe als "rechtmäßige" Diözesanbischöfe zu erweisen gesucht habe. Im ersten Kapitel geht Wolfhere sehr ausführlich auf die Familie Godehards ein (c. 1, S. 170f.). Im zweiten Kapitel erwähnt er den angeblich berühmten Lehrer Godehards, Oudalgisus (c. 2, S. 171, Z. 3). Auch das dritte Kapitel gilt noch der Schulzeit und den später bekannt gewordenen Mitschülern Godehards (c. 3, S. 171). Von seinem Versuch, nach dem Vorbild des hl. Martin Einsiedler zu werden, berichtet Kapitel vier (c. 4, S. 171). Im fünften Kapitel wird er von seinen Verwandten ins Kloster zurückgeführt, wo er von nun an in Gehorsam und Demut gelebt habe (c. 5, S. 17lf.). Im sechsten Kapitel schildert Wolfhere, wie Erzbischof Friedrich von Salzburg (958-991) den jungen Godehard mit sich nahm und ihn dem Lehrer Liutfried anvertraute (c. 6, S. 172). Auch Godehards Rückkehr nach Niederaltaich und seine Wahl zum Propst wird noch im sechsten Kapitel behandelt. Das siebte Kapitel hat die Reform Niederaltaichs durch Erkanbert zum Gegenstand und Kapitel acht bis elf sind der Auseinandersetzung Godehards mit dem Bayernherzog Heinrich IV. um die "ungerechte" Absetzung Erkanberts vorbehalten (c. 8-11, S. 173ff.). Der Niederaltaicher Zeit Godehards gelten somit die Kapitel eins bis zwölf (S. 170-177), der Hildesheimer Zeit — wobei der Gandersheimer Streit, den Wolfhere in der Vita prior separat behandelt, nicht berücksichtigt ist — die Kapitel 37-40 (S. 194-196). C. 1, S. 170, Z. 44ff. Vgl. GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 2 3 l f . Zum Geschlecht Godehards vgl. auch BERGES, Artikel "Godehard" in: NDB, Bd. 6, S. 495. Ebd., Z. 46f. C. 2, S. 171, Z. 3ff.

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gelübde ablegten 104 . Er wurde bald Prior und 996 — nachdem er sich zwei Jahre standhaft geweigert hatte — auch Abt des Klosters105. Dieses Amt hatte er, unterbrochen durch Reformeinsätze in Tegernsee (1001-1002) und Hersfeld (1005-1012), knapp dreißig Jahre inne106. Dann erst, 1022, wurde er von Heinrich II. zum Bischof von Hildesheim ernannt. Es war Godehards "reiche Bau-, Kolonisierungs- und Missionstätigkeit, welche das Niederaltaicher Mauritiuskloster zu einem der bedeutendsten benediktinischen Zentren Niederbayerns werden ließ"107. Daher ist es kein Wunder, wenn Godehard Zeit seines Lebens eng mit Niederaltaich verbunden blieb. Auch ein in der Tegernseer Briefsammlung überlieferter Brief Godehards an sein Heimatkloster zeugt von dieser engen Bindung 108 . Als 1033 Niederaltaich durch einen Brand hart getroffen wurde, sandte Godehard aus Hildesheim Hilfe 109 . Diese persönliche Bindung Godehards an Niederaltaich wurde durch eine verwandtschaftliche Beziehung verstärkt. Seit 1027 war nämlich Ratmund, Godehards Neffe und Wolfheres Schulkamerad, Abt in Niederaltaich; das Kloster war somit in der Hand der Familie Godehards geblieben 110 . Eben dieser Ratmund sei es gewesen, der — so Wolfhere im Prolog — ihn mehrmals aufgefordert habe, das Leben Godehards zu beschreiben 111 . Es ist anzunehmen, daß Ratmund die Vita für sich und sein Kloster wünschte. In einer weiteren Aussage des Prologs behauptet Wolfhere, die Abfassung der Vita so lange aufgeschoben zu haben, bis Godehard über die physischen und ethischen Gesetze erhaben gewesen sei112. Der Vita posterior ist zu entnehmen, daß Godehard mindestens ein halbes Jahr vor seinem Tode kränklich war. Er war jedenfalls nicht mehr in der Lage, seinem besten Freund die letzte Ölung zu spenden 113 . Statt dessen sandte er seinen Neffen Ratmund. Auch bei seiner letzten Amtshandlung, der Einweihung der Kirche von Adenstedt, begleitete Ratmund seinen Onkel114. Demnach war Ratmund spätestens seit Februar 1037 in Hildesheim. Zu diesem Zeitpunkt soll Godehard sich schon dem Tode nahe gefühlt haben 115 . Wenn nun Wolfhere behauptet, mit dem Abfassen der Vita gewartet zu haben, bis Godehard über die Gesetze der Leiblichkeit erhaben gewesen sei, so ist damit genau der Zeitraum bezeichnet, zu dem Ratmund bei seinem, den Tod erwartenden Onkel, in Hildesheim weilte. Ratmund wird Wolfhere zu dieser Zeit zu der Vollendung der "Vita Godehardi prior" gedrängt haben — was jedoch nicht ausschließt,

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C. 7, S. 173, wie Anm. 23. Godehard weigerte sich, weil sein Vorgänger, Erkanbert, seiner Meinung nach auf ungerechte Weise abgesetzt worden war. S. oben, S. 43ff. Zu den Reformen c. 14, S. 178 und wie oben Anm. 3. GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 233. Zuletzt hg. von STRECKER, MGH, Epp. sei. 3, 1925, Nr. 50, S. 56. Ann. Altah. maiores, MGH SS 20, S. 791, ad a. 1033. Prol. S. 168, Z. 32; c. 9, S. 179, Z. 9ff. Vita Godehardi posterior, MGH SS 11, c. 29, S. 212, Z. 44; Ann. Altah. maiores, MG SS 20, S. 791, ad a. 1027. Prol., S. 168, Z. 32ff. Prol., S. 169, Z. 22ff. Vita Godehardi posterior, MGH SS 11, c. 28, S. 212, Z. 8ff. Aus dieser Stelle geht ebenfalls hervor, daß Godehards Freund ein Jahr vor Godehard, also 1037, gestorben ist. Ratmund war demnach schon 1037 in Hildesheim. C. 29, S. 212, Z. 43ff. Das 29. Kapitel, in dem die Einweihung der Kirche von Adenstedt, die Godehard zusammen mit seinem Neffen vorgenommen hat, beginnt mit folgenden Worten: lam autem beati patris appropinquante manifestius fine, ... ebd., Z. 23. Und der, auf den von der Einweihung Adenstedts handelnde, folgende Satz lautet; Nec inflrmitati diutius reluctari Valens, deficiente carne decubuit. Ebd., Z. 45.

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daß Wolfhere zuvor schon mit den Vorarbeiten für dieses Werk begonnen hat116. Die abschließende Redaktion der "Vita Godehardi prior" ist also in die Zeit 1037 bis Mai 1038 zu datieren. Diese enge Beziehung zwischen Godehard und Niederaltaich erklärt zwar das Interesse Niederaltaichs an seiner Person, aber nicht unbedingt die Ausführlichkeit, mit der Wolfhere Godehards rechtmäßiges Verhalten beschreibt. Es ist ebenfalls in Betracht zu ziehen, daß mit der "Vita Godehardi prior" keine kultische Verehrung des Hildesheimer Bischofs bezweckt war. In Niederaltaich setzte diese erst sehr spät, nach der Kanonisation Godehards (1131), ein117. Wenn man in Niederaltaich mit der "Vita Godehardi prior" keine kultischen Zwecke verfolgte, aus welchem Grund legte man dann Wert auf eine Vita? Ein Brief Godehards aus der Tegernseer Briefsammlung hilft weiter. Aus ihm geht hervor, daß sich Godehard schon sehr früh — der Brief wurde 1002 geschrieben — gegen Äußerungen seiner Amtsbrüder zu wehren hatte, die ihm vorwarfen, seine reformerische Tätigkeit zum Ausbau der eigenen Macht zu mißbrauchen 118 . Godehard wies in dem besagten Brief, den er aus dem Kloster Tegernsee an den Freisinger Bischof Gottschalk (993-1005) richtete, den Vorwurf der Habsucht weit von sich und betonte, daß er nicht von sich aus die Leitung des Klosters Tegernsee übernommen, sondern nur einem Befehl des Königs Gehorsam geleistet habe: "In fremden Besitz gottlos eindringen zu wollen — solch betrügerische Habsucht sei fern von mir ... Gegen den Vorwurf, ich sei in die Herde des Herrn unerlaubt eingedrungen, sei die Kurie und die Masse der Gläubigen Zeuge, auch, daß ich mir nichts, weder aus eurem noch aus sonst einem Besitz angeeignet habe, es sei denn auf den Geheiß ... des Herzogs hin. Gegen diese Art Gehorsam kann ich in der Benediktsregel keinen Einwand finden." 119 Interessanterweise findet sich in der "Vita Godehardi prior", die circa 30 Jahre später entstanden ist, derselbe Tenor wieder: die Verteidigung gegen den Vorwurf der Habsucht, der Hinweis, daß Ämter nur aus Gehorsam übernommen wurden, und die Übereinstimmung des Handelns mit den Vorschriften der Benediktsregel. Wolfhere bemühte sich durchgehend, Godehards Verachtung für alles Weltliche, für jeden materiellen Besitz aufzuzeigen. Schon als Kind habe Godehard das Lesen und Schreiben der schönen Kleidung und den Pferden vorgezogen 120 . Er habe Einsiedler werden, Eltern und Reichtum verlassen und in die Einöde ziehen wollen121. Als Diakon soll er "alles, was er aus seinem oder anderem Besitz erwerben konnte", zum

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Wie Anm. 1. Bisher nahm man als Abfassungsdatum die Zeit um das Jahr 1034 an, vgl. WATTENBACH/HOLTZMANN, Geschichtsquellen, S. 64; GERLACH, Wolfhere, S. 80. Nach FELLENBERG, Die Verehrung, S. 119ff., ist die Verehrung Godehards in Niederaltaich erstmals 1141 bezeugt. In den Annales Altahenses maiores wird zwar Wolfgang von Regensburg, nicht aber Godehard als sanctus bezeichnet, MGH SS 20, S. 789, ad a. 994: Sanctus Wolflcangus episcopus obiit\ ebd., S. 793, ad a. 1038: Praesulis emeriti tunc et flatus Godehardi/ Carnem dimisit et coelìca regna petivit. MGH Epp. sei. III, Nr. 52, S. 61f. Absit a me deceptrix cupiditas, ut alienis tarn impie vellem inhiare, quamquam sine vestris nullo modo vivere possem. ... Quod me fiirtive in ovile Domini dicitis irrupisse, testis estfldelis curia/ populique christiani innumera agmina, / quia nihil de vestre potestatis vel alterius alicuius subiectione mihi vendicare presumpsi,/ nisi quod de potestativa manu summi principisj hodie nonfateor, utrum vellem aut nollem, suscepi.i Huiusmodi prohibitionem oboeditionis in regulari conscriptam vite Benedicane non inveni, ... ebd., S. 61 f. C. 3, S. 171, Z. 21ff. C. 4 und 5, S. 171f.

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Nutzen seiner Brüder und der Kirche verwendet haben122. Durch den Eintritt in den Mönchsstand habe er alles Weltliche hinter sich gelassen, im Gegensatz zu den der Welt vollkommen verfallenen Niederaltaicher Kanonikern vor der Reform123. Daß Godehard Macht nicht um jeden Preis suchte und sich gegen einen widerrechtlichen Aufstieg sogar gegen den als Gönner Niederaltaichs bekannten Bayernherzog Heinrich IV. wehrte, bewies Wolfhere in der schon besprochenen Frage der Nachfolge Erkanberts in der Abtswürde von Niederaltaich124. Trotz Aufforderung der weltlichen Macht wollte Godehard nicht "aus eitlem Ehrgeiz" den göttlichen Zorn auf sich ziehen125. Weder mit Schmeicheleien noch mit reichen Geschenken habe der Herzog Godehard zum Einlenken bewegen können126. Weil er den "weltlichen Pomp" verachtete, habe er sich von der Leitung der Klöster Hersfeld und Tegernsee befreien lassen, um sich in Niederaltaich nur noch dem Gebet zu widmen127. Und wenn Godehard als Bischof von Hildesheim mehr als 30 Kirchen weihte, dann habe er dies nicht zu seinem eigenen, materiellen Nutzen — sine qualibet muneris perceptione — getan, sondern nur, um für Gott Seelen zu gewinnen — pro solo deificae religionis lucrom. Weil er fürchtete, von seiner asketischen Lebensführung abgebracht zu werden, habe er den königlichen Hof Konrads II. gemieden und es vorgezogen, auf Kirchweihen Seelen für Gott zu gewinnen129. Ähnlich präsent wie der Gedanke der Verachtung des Weltlichen, der bis auf die Kapitel des Gandersheimer Streites in beinahe jedem Kapitel nachzuweisen war, ist das Motiv des Gehorsams. Godehard war in seiner Jugend und in seiner Mönchszeit gehorsam130. In seiner Regensburger Rede läßt Wolfhere Godehard sein Gehorsamsgelöbnis gegenüber seinem Abt Erkanbert betonen131. Obwohl der ihm nicht gerade geeignet erscheinende Megingoz von Eichstätt (991-1015) nach Godehards Weigerung die Abtswürde in Niederaltaich übernahm, habe Godehard ihm den schuldigen Gehorsam geleistet132. Aus Gehorsam habe er die Abtswürde übernommen, und aus Gehorsam habe er die Reform der Klöster Hersfeld und Tegernsee durchgeführt133. Die königliche Aufforderung, das Bischofsamt zu übernehmen, sei Godehard zunächst in einem

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C. 6, S. 173, Z. 5ff. C. 7, S. 173, Z. 2Iff. S. oben S. 43ff. ... quoniam melius esset cuiuscumque secularis potentiae offensam ad tempus subire, quam spiritualis iracundiae districtionem pro inani quadam ambicione sub inenodabili anathemate perpetualiter inire. C. 10, S. 175, Z. 4ff. C. 10, S. 176, Z. 12ff. Igitur cum iam eum diutius rmmdialis pompae quam numquam non aspernabatur deceptiva gloriatio non delectaret, ... cernens siquidem inter multiformia secularium dignitatum negotia ... imperatorem ... adiit, utque se in solo Altahensi regimine contentum a ceteris relaxaret humiliter expetiit, quatenus a mundanis quae numquam adamavit aliquanto securior, in orationum nota sibi solitaque assiduitate possit esse frequentior. C. 14, S. 178, Z. 16ff. C. 37, S. 195, Z. 17ff. C. 40, S. 196, Z. 23ff. In Wirklichkeit hat es wohl mehr an Konrad II. als am königlichen Hof und an Godehards Askese gelegen. Vgl. GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 247f. C. 2, S. 171, Z. 11 ff.; c. 5, S. 172, Z. 8ff.; c. 6, S. 172, Z. 28ff.; c. 7, S. 173, Z. 29ff. Nam conquero abbatem meum, cui me spontanea dedicione in obediendi clientelam devovi, ... c. 9, S. 174, Z. 37f. ... sciens obediendum non tantum bonis et modestis sed etiam discolis. C. 10, S. 176, Z. 19ff. Wie Anm. 61.

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Traum bekannt gemacht worden — auch hier glaubte er, gehorchen zu müssen 134 . Im Gandersheimer Streit kam der Gehorsam Godehards in seiner Bereitschaft, jedem Beschluß der bischöflichen Synode Folge leisten zu wollen, zum Ausdruck 135 . Wie groß die Bedeutung des Gehorsamsmotivs war, erkennt man erst, wenn man sich die Benediktsregel — mit der ja die Leser Wolfheres aufs Beste vertraut waren — ins Gedächtnis ruft, die den Gehorsam als höchste Stufe der Demut beschreibt 136 . Außerdem hatte Wolfhere in seinem Prolog zur "Vita Godehardi prior" in umständlichen Ausführungen den Gehorsam als ein kosmisches Gesetz geschildert: "Andererseits soll er (der Mensch!) aber auch das Gesetz wohl beachten, daß sich jedes Geschöpf nach Maßgabe seiner Fähigkeiten gehorsam verhalten muß, und nicht über diejenigen, denen er Gehorsam und Unterwürfigkeit schuldig ist, sich emporheben, um sobald kraftlos wieder zurückzusinken." 137 Gerade wegen seines Gehorsams entsprach Godehard der göttlichen Ordnung und der Benediktsregel — er war Gott wohlgefällig. Aribo und Willigis verstießen dagegen in ihrem Ungehorsam gegen Ordensregel und kosmisches Gesetz und machten sich dadurch — so will es die Darstellung Wolfheres — schuldig138. Wie Godehards Brief so weist auch die "Vita Godehardi prior" den Vorwurf der Habsucht zurück, indem sie aufzeigt, daß Godehard alles Weltliche verachtete, nie seinen eigenen Vorteil, sondern den Nutzen der Kirche suchte, daß er sich ferner nicht um Ämter bemühte, sondern — wenn es mit Gottes Willen in Einklang zu bringen war — stets das ausführte, was ihm seine Vorgesetzten bzw. Gleichgestellten auftrugen. Die Tatsache, daß sich die Absicht des Briefes mit der der Vita deckt, d.h. daß beide Wert auf die Verachtung des Weltlichen und den Gehorsam Godehards legen, macht stutzig. Sollte es in Bayern außer Gottschalk jemand gegeben haben, der Godehards Aufstieg mißgünstig gegenüberstand? Wie oben schon angedeutet, hatte das Kloster Niederaltaich in der Tat unter Godehard einen großartigen Aufstieg genommen. Es war von Heinrich II. mit außergewöhnlich zahlreichen und wertvollen Schenkungen und Privilegien bedacht worden und war natürlich bemüht, diesen Besitz durch unantastbare Rechtstitel zu schützen 139 . Godehard, der aus nichtadeliger Familie stammte, war ein Aufsteiger, ein Newcomer, dem man Habsucht bzw. das unrechte Aneignen fremden Gutes besonders leicht vorwerfen konnte. Sucht man im Umkreis Niederaltaichs nach möglichen Feinden, denen die besondere Förderung Niederaltaichs und seines Abtes ein Dorn im Auge gewesen sein

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C. 15, S. 178, Z. 49f. S. oben S. 51. "Dieser Gehorsam ist aber nur dann Gott wohlgefällig und den Menschen angenehm, wenn der Befehl nicht zaghaft, nicht säumig, nicht lustlos oder gar mit Murren oder offener Widerrede ausgeführt wird; ... wenn aber der Jünger mißmutig gehorcht und wenn er murrt, nicht nur mit dem Mund sondern auch mit dem Herzen, dann findet er keinen Gefallen vor Gott, selbst wenn er den Befehl ausführt, denn Gott sieht das murrende Herz." Benedicti Regula, hg. von HANSLK, 5, 14-18. ... perinde ho mini cuiquam, ... nec se etiam neglecto adeo decreto in sua modulatione se obedienter continentibus corollario, supra ea quibus obaudiendo subici debet recasurus inaniter extollat. Prol., S. 168, Z. 6ff. Vgl. Wolfheres Überlegungen zu der von einem stufenweisen Gehorsam bestimmten Schöpfungsordnung ebd., S. 167, Z. 42 — S. 168, Z. 15; Übersetzung nach HUEFFER, G.d.V. 40, S. 78. Vgl. allgemein zu dem "Lob der Schöpfung" in mittelalterlichen Prologen LUTZ, Rhetorica divina, S. 80ff. Zu Aribo und Willigis vgl. S. 48f. HERZBERG-FRÄNKEL, W i r t s c h a f t s g e s c h i c h t e ,

S.

Handbuch der bayerischen Geschichte, I, S. 377.

1 1 1 ; WACHINGER, B e i t r ä g e ,

S.

28ff.;

PRINZ

in:

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könnte, macht man eine überraschende Entdeckung: Das maßgebliche Adelsgeschlecht im Salzburg- und Isengau waren die Aribonen! 140 Also gerade jene Familie, aus der Godehards Widersacher im Gandersheimer Streit, Erzbischof Aribo von Mainz, stammte. Die Aribonen, die von 954-1055 das Pfalzgrafenamt in Bayern innehatten, besaßen nördlich von Freising, also in unmittelbarer Nähe Niederaltaichs, Lehnsbesitz und befanden sich am Anfang des 11. Jahrhunderts auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Wie Niederaltaich verdankten sie ihre Bedeutung neben Amt und Besitz auch der Rodungstätigkeit141. Ob Heinrich II., der Niederaltaich wie schon sein Vater als Bayernherzog großzügig förderte, damit eine Schwächung des Einflusses der Aribonen bezweckte, sei dahingestellt. Sicher ist, daß Konrad II. Niederaltaich wesentlich weniger freigiebig gegenüberstand als sein Vorgänger 142 Heinrich II. Abt Ratmund, der aus derselben nichtadeligen Familie wie Godehard stammte, die das Kloster nun schon in der dritten Generation verwaltete, konnte sich also nicht auf dieselbe königliche Unterstützung wie seinerzeit Godehard verlassen. Zu allem Unglück befand sich das Kloster in den Jahren 1033 bis 1036 — das entspricht dem Zeitraum, in dem die "Vita Godehardi prior" abgefaßt wurde — in einer prekären Lage: 1033 war das Kloster abgebrannt, und es dauerte trotz Godehards Hilfe vier Jahre, bis das Kloster wieder aufgebaut war 143 . 1035 und 1036 vermelden die Niederaltaicher Annalen auch noch ein großes Tiersterben und außergewöhnlich harte Winter 144 . Der Gandersheimer Streit, in dem dieselben Familien wie in Niederaltaich aufeinanderstießen, hatte sich zu einem über die Region hinaus die Gemüter erregenden Streitfall entwickelt. Von 1001 bis 1030 war der Gandersheimer Streit Dauerthema auf Synoden und Reichstagen und beschäftigte so, wenigstens zeitweise, die Reichskirche, den Kaiser und den Papst145. Seine Rechtslage war nicht so eindeutig, wie Wolfhere das glauben machen will, bzw. er war, wie Goetting schreibt, "mit den rechtlichen Mitteln der damaligen Zeit nicht zu regeln." 146 Es ist anzunehmen, daß in der von den Aribonen bestimmten Umgebung Niederaltaichs andere Meinungen zum Verhalten Godehards im Gandersheimer Streit zu hören waren, als sie uns Wolfhere überliefert. Stellt man dann noch die kritische Situation Niederaltaichs in den 30er Jahren des 11. Jahrhunderts in Rechnung und die Tatsache, daß sich Ratmund gegenüber den Aribonen in der schwächeren Position befand, dann erklärt sich sein Interesse an einer Darstellung des Gandersheimer Streites, die die Rechtmäßigkeit des Verhaltens seines Onkels herausstellte. Das Ansehen Godehards und damit das Ansehen Niederaltaichs und Abt Ratmunds waren gefährdet. Ratmund wollte in dieser Situation für sein Kloster eine Schrift besitzen, die das rechtmäßige, kanoni-

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STÖRMER, Artikel "Aribonen" in: Lexikon des Mittelalters, I, S. 929f. Vgl. PRINZ in: Handbuch der bayerischen Geschichte, I, S. 334f. Wie ANM. 140; zur Rodungs- und Kolonisationstätigkeit Niederaltaichs vgl. auch HERZBERG-FRÄNKEL, Wirtschaftsgeschichte, S. 118. Ebd., S. 119. Ann. Altah. maiores, M GH SS 20, S. 791, ad a. 1033. Ebd., S. 792, ad a. 1035 und 1036. GOETTING, Gandersheim, in: DHGE, Bd. 19, Sp. 1070. Ebd., Sp. 1075: "Le conflit qui, visiblement, ne pouvait être réglé par les moyens juridiques de l'époque, le fut finalement lors du synode de Pöhlde, qui se tint en septembre 1028 et lors d'un arrangement personnel conclu entre l'archevêque Aribo de Mayence et Godehard de Hildesheim à la diète de Merseburg 1030: après avoir cédé à Mayence quelques localités contestées au sud de Gandersheim, Hildesheim put conserver honoris causa ses droits diocésains sur Gandersheim. "

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sehe, alle irdische Macht verachtende Leben seines Onkels und besonders dessen rechtmäßiges Verhalten in der Auseinandersetzung mit einem vornehmen Aribonen aufzeigte 147 . Jetzt erklären sich auch mehrere spitze Bemerkungen gegen den Adel, die Wolfhere in seine Vita einfließen ließ. Schon im ersten Kapitel hieß es, daß es Godehards Vater, Ratmund, verstanden hätte, sich den Fürsten der Gegend — gemeint sind wohl die Bayernherzöge — durch seine treuen Dienste zu verbinden, so daß er viele, die vanae nobilitatis arroganti superbia elatiores, sowohl privat wie in der Öffentlichkeit an Vornehmheit übertroffen habe, denn keiner sei adlig, den nicht die Tugend adle 148 . Auch die im Zusammenhang mit der Verachtung des Weltlichen angeführten Stellen erhalten hier ihre eigentliche Bedeutung 149 . Der Rahmen der Vita machte es möglich, das Verhalten Godehards im Gandersheimer Streit in einer Kontinuität darzustellen, die gleichzeitig als Beweis seines rechtmäßigen Verhaltens diente; in dem Sinne, daß es unmöglich ist, jemand, der sein ganzes Leben auf rechtmäßiges und kanonisches Verhalten bedacht war, in einer partikularen Sache des Unrechts und der Habsucht zu beschuldigen. Umso mehr, wenn — wie es der Rahmen einer Vita suggeriert — sein Leben ein vorbildliches, wenn nicht sogar heiliges war 150 .

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Noch kürzlich wurde der Umstand, daß Ratmund keinen Niederaltaicher Mönch, sondern den Hildesheimer Kanoniker Wolfhere mit der Vita beauftragte, als Indiz für ein eher niedriges Niveau der Niederaltaicher Klosterschule gewertet, ZIELINSKI, Der Reichsepiskopat, S. 96. ZIELINSKI übersah, daß es Ratmund weniger um eine Lebensgeschichte Godehards als um die Darstellung des Gandersheimer Streites ging, zu dessen Darstellung ein Hildesheimer Kanoniker wesentlich besser geeignet war, als ein Niederaltaicher Mönch. 148 Nemo enim nobilis nisi quem virtus nobilitat. C. 1, S. 170, Z. 49f. Zu dem Topos des Tugend- bzw. Seelenadels vgl. CURTIUS, Europäische Literatur, S. 188f. 149 Vgl. oben S. 56. 150 Zur Einbettung rechtlicher Ansprüche in Schriften sakralen Charakters vgl. JOHANEK, Zur rechtlichen Funktion, S. 144f. Interessanterweise setzten sich die Hildesheimer Bischöfe Berthold (1119-1130) und Bernhard (1130-1153) zu einem Zeitpunkt für die Heiligsprechung Godehards ein, zu dem man im Kloster Gandersheim wieder versuchte, die Unabhängigkeit von Hildesheim zu erreichen. In den 30-er Jahren des 12. Jahrhunderts entstand in Gandersheim die lateinische Vorlage zu der Reimchronik Eberhards aus dem 13. Jahrhundert (MGH Dt. Chroniken 2, 1877, S. 385ff.). Dazu schreibt FELLENBERG, Die Verehrung, S. 38: "Was in der alten Vorlage auch im einzelnen geschrieben stand, jedenfalls konnte jede intensive Beschäftigung mit der Gandersheimer Geschichte zu einem neuen Streit mit Hildesheim fuhren. Eine solche Gefahr konnte Bischof Berthold am besten bannen, wenn er den Worten und dem Wirken Godehards, wie sie die Vita beschrieb, eine Autorität verschaffte, der Gandersheim und Mainz sich beugen mußten. Aus diesem Grunde mußte der Bischof dafür sorgen, daß Godehard kraft päpstlicher Kanonisation als Heiliger verehrt wurde." Das Bischofs- bzw. Heiligenideal, das die Vita prior vermittelt, kann eindeutig als "Reformideal" klassifiziert werden. Das deutlichste Indiz dafür sind die mehrfachen ausdrücklichen Hinweise auf die Benediktsregel, nach der Godehard sein Leben und das seiner Mönche gestaltet habe. Humilitas und oboedientia, die beiden Generaltugenden der Benediktsregel, sind Schlüsselwörter der Vita Godehardi prior. Die Verachtung des Weltlichen, auch eine eher mönchische Eigenschaft, behielt Godehard als Bischof bei. Wenn er auch als ein hervorragender Vertreter der sogenannten Gorzer Reformrichtung gilt, so trifft auf ihn jedoch nicht die einseitige Bevorzugung des asketisch-kontemplativen Lebens zu, wie sie für die Gorzer Reformer als typisch angesehen wird. Denn Wolfhere stellt die Seelsorge eindeutig über die asketisch-kontemplativen Ideale. So schließt er seine Vita damit, daß Godehard auch die Klöster und Stifte seiner Diözese besucht und in der rechten Religion ermahnt habe und daß er überhaupt nichts unterlassen habe, was den Reichtum der Religion mehren könne (C. 40, S. 196, Z. 38ff.).

IV. DIE VITA GODEHARDI POSTERIOR — EINE PARÄNESE FÜR HEZILO VON HILDESHEIM

"Für ihn bittet zu solch heiligem und heilsamen Entschluß die ganze Kirche Gottes freilich mit Recht unablässig um göttliche Hilfe, damit er dieses lobenswerte Unterfangen vor Gott würdig vollende und es mit dem rechten Eifer in Gemeinschaft der Heiligen und zur Vergebung der Sünden vor Gott zu einem glücklichen Ende führe. Amen."1

In diesem letzten Satz der "Vita Godehardi posterior" 2 , einer Art Bittgebet, ist nicht etwa vom heiligen Godehard die Rede, sondern von Hezilo (1054-1079), seinem dritten Nachfolger auf dem Hildesheimer Bischofsstuhl. Er habe beschlossen, den vernachlässigten Dom wiederherzurichten, und damit dieser löbliche Vorsatz gelinge, ruft der Autor der Vita, Wolfhere, ein Hildesheimer Domherr, den göttlichen Beistand an 3 . Hezilo, Hofkapellan und italienischer Kanzler, wurde 1054 von Heinrich III. die Hildesheimer Diözese übertragen. Er hat den unter seinem Vorgänger Azelin (1044-1054) abgebrannten, abgerissenen und nach mißglücktem Neubau unvollendet liegengebliebenen Dom mit Hilfe des späteren Bischofs von Osnabrück und genialen Baumeisters Benno tatsächlich wieder aufgebaut 4 . Schon am 5. Mai 1061, dem Todestag Godehards, konnte der restaurierte Dom geweiht werden 5 . Die "Vita Godehardi posterior" ist in engem Zusammenhang mit diesen beiden Ereignissen — dem Amtsantritt Hezilos einerseits und der am Todestag Godehards erfolgten Domweihe andererseits — zu sehen. Fellenberg vermutete, daß dieses Datum der Domweihe auf den Beginn einer von Hezilo veranlaßten, offiziellen Godehardsverehrung in Hildesheim hinweise. Doch konnte er

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Cui nimirum ad tarn sanctum tamque salubre consilium tota sancta Dei aeeclesia divinum indesinenter merito postulai auxilium, ut et idem laudabile opus Deo digne perficiat, ac pro devotionis et benivolentiae studio in sanctorum communione in remissionum peccatorum coram Deofeliciterproficiat. Amen. C. 33, S. 216, Z. 12ff. Zu einem Gebet am Ende eines Werkes vgl. OHLY, Zum Dichtungsschluß. Vita Godehardi posterior hg. von PERTZ, MGH SS 11, S. 196-221; vgl. S. 44, Anm. 2. Die Vita Godehardi posterior ist vergleichsweise gut überliefert. Es liegen vier vollständige Codices vor, von denen einer aus dem 12., zwei aus dem 13. und einer aus dem 15. Jahrhundert stammt. Ferner liegen acht Fragmente, davon fünf aus dem 11. Jahrundert vor. Vgl. zur Überlieferung neben der Einleitung von PERTZ auch FELLENBERG, Die Verehrung, S. 16ff. Nach FELLENBERG, Die Verehrung, S. 17, diente die Vita posterior auch für die Kanonisation Godehards, die allerdings erst 1131 erfolgte. ... domnus Hezilo, item regius capellanus et Romanus cancellarius, in omni aecclesiastica religione perfectus successit; qui certe in hoc quod deiectam sanctae Dei matris aecclesiam redintegrare divina inspiratione decrevit, favorem condignum cleri et populi laudabiliter promeruit. Ebd., Z. 8ff. Zu Hezilo vgl. GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 271-294; ZIELINSKI, Der Reichsepiskopat, S. 63 und 139; zu dem Domneubau unter Benno vgl. Vita Bennonis, hg. von BRESSLAU, MGH SS 30, c. 9, S. 877, Z . 2ff. Anno incarnationis dominice M°LXI. indictione X1I11. templum hoc a venerabili huius sedis episcopo Hecelone renovatum est et III. nonas Maii devote consecratum ordinationis sue. anno nono in honore sancte et individue Trinitatis et victorissimz crucis et sancte Marie matris, de cuius lacte et capillis hic habetur, et sanctorum, quorum hic reliquie recluduntur:... Notae Ecclesiae Maioris Hildesheimensis, h g . v o n HOFMEISTER, M G H S S 3 0 , B d . 2 , S. 7 6 4 , Z . 1 5 f f .

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für Hezilo keine Beweggründe, die Godehardverehrung zu fördern, anführen 6 . Es waren auch, wie zu zeigen sein wird, weniger Hezilo, als vielmehr die Hildesheimer Domherren, die sich um eine Godehardsverehrung bemühten 7 . Da Wolfhere nur von Hezilos Vorsatz und nicht von begonnenen Bauarbeiten, geschweige denn von der Einweihung des Domes berichtet, muß er die "Vita Godehardi posterior" vor oder bald nach dem Amtsantritt Hezilos, also bald nach 1054, geschrieben haben. Außerdem gibt Wolfhere an, die Vita auf die Aufforderung des 1054 verstorbenen Abtes Adalbert von St. Michael geschrieben zu haben 8 . Kapitel 34 — 41 der Vita, die Wunder zum Gegenstand haben, die Godehard nach seinem Tode gewirkt haben soll, wären somit, wie schon öfter festgestellt wurde, das Werk eines späteren Schreibers 9 . Daß diese Kapitel einen selbstständigen und erst nachträglich hinzugefügten Teil eines anderen Autors bilden, geht nicht nur aus dem abschließenden "Amen", mit dem das Kapitel 33 endet, hervor, sondern auch aus dem den Charakter eines Prologes tragenden 34. Kapitels 10 . Wolfhere schrieb eine zweite "Vita Godehardi", weil 1054 ein neuer Bischof die Hildesheimer Diözese übernahm, um ihm in der Person des Godehard ein nachahmenswertes Beispiel mit auf den Weg zu geben. Die erste Fassung war dazu wenig geeignet, obwohl sie Wolfhere noch vorlag und er sich ihrer teilweise bediente. Beschränkte sie sich doch beinahe ausschließlich auf die Niederaltaicher Zeit Godehards und auf den Gandersheimer Streit. Die neue Absicht, dem dritten Nachfolger Godehards bei Amtsantritt zu zeigen, wie man sich in Hildesheim einen idealen Bischof vorstellte, machte eine neue Fassung der Vita unumgänglich. Im Folgenden soll gezeigt werden,

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"Zu den Verdiensten Hezilos können wir heute zweifellos noch ein weiteres rechnen: die starke Förderung des Gotthardkultes." FELLENBERG, Die Verehrung, S. 31. Hauptargument FELLENBERGS ist, daß der Dom am Todestag Godehards, und nicht an einem Marienfest - Maria war die Hauptpatronin des Domes - geweiht wurde. Doch muß er zugeben: "Die Beweggründe der Heiligsprechung Gotthards durch Hezilo sind im einzelnen nicht zu fassen." Ebd., S. 33. GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 255, zweifelt die These einer offiziellen Heiligsprechung Godehards durch Hezilo an. Er ist auch der Meinung, daß es die Hildesheimer Domherren waren, die sich für die Verehrung Godehards einsetzten. Vgl. unten S. 77f. Godehard wurde 1131 in einem päpstlichen Kanonisationsverfahren heilig gesprochen; dieses Verfahren hatte der ehemalige Hildesheimer Dompropst und Bischof Berthold von Hildesheim (1119-1130) eingeleitet. Es kam unter Bischof Bernhard (1130-1153), der ebenfalls ein ehemaliger Dompropst war, zum Abschluß. Die Translatio S.Godehardi episcopi, hg. von PERTZ, MGH SS 12, S. 639-652, ist auch das Werk eines Hildesheimer Kanonikers. Vgl. dazu FELLENBERG, Die Verehrung, S. 34ff.; GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 344ff.; KLAUSER, Zur Entwicklung des Heiligsprechungverfahrens, S. 94. Vgl. dazu Kapitel III, Anm. 150. ... maximeque beati et veri Dei cultoris Adaelberti abbatis nostri iussis ... obediens, ... Prol., S. 197, Z. 4f. Vgl. dazu PERTZ in seiner Einleitung zur Vita Godehardi posterior MGH SS 11, S. 163, Anm. 17. Rechnet man diese Kapitel dazu, muß man die Vita auf nach 1068 datieren, da dort von dem ehemaligen Hildesheimer Propst, Bischof Volkward von Brandenburg, als verstorben die Rede ist (c. 39, S. 217, Z. 45), der dieses Amt jedoch erst von 1063-1068 ausübte. So schon GERLACH, Wolfhere, S. 84; FELLENBERG, Die Verehrung, S. 28f.; GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 231. Der Autor führt dort (c. 34, S. 216, Z. 15-40) neben allgemeinen Überlegungen zum Wunder die für einen Prolog üblichen Beteuerungen auf. Er wolle sich kurz fassen, um die Langeweile der Zuhörer zu vermeiden (ebd., Z. 16ff.) und nur das berichten, was er aus verläßlicher Quelle erfahren habe (ebd., Z. 37). Zu diesen Wendungen SIMON, Untersuchungen (1959), S. 82-88 und 89ff. Außerdem beschließt er dieses Prolog-Kapitel mit den Worten: ... narrationis nostrae seriem intendimus (c. 34, S. 216, Z. 40), einem klaren Beweis für einen Neuanfang. Zu diesem Dichtungsschluß wie Anm. 1.

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daß diese neue, paränetische Absicht Wolfheres nicht nur in dem abschließenden fürbittenden Gebet zum Ausdruck kommt, sondern auch Aufbau und Inhalt der "Vita Godehardi posterior" prägte. Zunächst ist eine klare Zweiteilung der Vita zu beobachten. Die erste Hälfte — Kapitel eins bis elf — behandelt die Niederaltaicher Zeit Godehards. Das elfte Kapitel, das einen Traum Godehards wiedergibt, hat abschließenden Charakter. Godehard träumte, daß Gesandte des Königs ins Kloster kämen, um den Olivenbaum, der in der Mitte des Klosterhofes stand, für den König zu fordern. Godehard war überzeugt, daß dieser Traum sein baldiges Ende ankündige 11 . Mit einer Todesahnung schließt so die erste Hälfte, mit dem Tod die zweite Hälfte der Vita. In einer Handschrift ist sogar der Rest der Seite nach Ende des elften Kapitels freigelassen worden, was die Zweiteilung der Vita noch unterstreicht 12 . Der Neubeginn der zweiten Hälfte wird durch einen neuerlichen, wenn auch nur sehr kurzen Prolog hervorgehoben, in dem Godehard wieder seinen Lehrer Albuin um Hilfe und Fürsprache bei Gott bittet, seine eigene Unfähigkeit beteuert und ein Wahrheitsbekenntnis ablegt 13 . Die Niederaltaicher und die Hildesheimer Zeit Godehards sind somit klar voneinander abgehoben, man könnte sie fast als zwei separate Werke bezeichnen. Das Verhältnis der beiden Hälften zueinander zeigt eindeutig, welche die wichtigere war: 12 Kapitel für die Niederaltaicher Zeit gegen 20 Kapitel für die Hildesheimer Zeit Godehards. Auch die Vita prior hatte Wolfhere durch einen neuerlichen Prolog in zwei Teile gegliedert. Dort betraf der zweite Teil jedoch den Gandersheimer Streit, den er in einem Block — von den Anfängen des Kanonissenstiftes bis zur Regelung des Streites unter Godehard — abhandelte. Der Gandersheimer Streit, der im Zentrum der Vita prior gestanden hatte, spielt in der Vita posterior nur noch eine untergeordnete Rolle. Das ist schon daran abzulesen, daß ihn Godehard diesmal nicht getrennt behandelt, sondern in den allgemeinen Ablauf der Vita miteinbezieht. Auch berichtet Wolfhere in der Vita posterior viel ausführlicher über die Wahl Godehards zum Bischof von Hildesheim. Während er in der Vita prior im 15. Kapitel den Traum von der Verpflanzung des Baumes, im 16. Kapitel die Bischofswahl und im 17. die Auslegung des Traumes behandelte, um dann im 18. Kapitel mit der Wiederaufnahme des Prologes zum Gandersheimer Streit überzuleiten, der dann die folgenden 18 Kapitel beherrschte, folgt in der Vita posterior nach dem Traum (c. 11) die kurze Wiederaufnahme des Prologes (c. 12). In Kapitel 13 wird der Vorgänger Godehards, Bischof Bernward von Hildesheim, gewürdigt, in Kapitel 14 von Godehards Bestimmung zum Bischof und seiner vorläufigen Ablehnung des Amtes berichtet. Kapitel 15 hat einen neuerlichen Traum zum Gegenstand, der Godehard zur Annahme des Bischofsamtes umstimmt und der in der Vita prior völlig fehlt. In Kapitel 16 geht es um die Bischofsweihe Godehards, die Erzbischof Aribo zur Wiederaufnahme des Gandersheimer Streites benutzte. Lediglich das Kapitel 17 hat die Geschichte des Gandersheimer Streites bis zu Godehards Amtsantritt zum Inhalt. Kapitel 18 führt dann nicht den Gandersheimer Streit weiter, sondern berichtet von Godehards Gebetsleben und seiner Bautätigkeit. Erst

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C. 10, S. 203, Z. 12f. Zu dem Vergleich zwischen einem heiligen, bzw. gerechten Menschen und einem Ölbaum vgl. Ps. 5 2 , 1 0 u n d P s . 92,13-16; Apoc. 11,3; den jüngsten Überblick über Vision und Traum in der Legende gibt HAUBRICHS, Offenbarung. Vgl. Anm. d, S. 203 in der MGH-Ausgabe der Vita Godehardi posterior. C. 12, S. 203; zum Wahrheitsbekenntnis als einem Element der Exordialtopik vgl. SIMON, Untersuchungen (1959), S. 89ff.; GUENEE, Histoire, S. 18f.; SCHULZ, Die Lehre, S. 5-16.

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nachdem in Kapitel 19 vom ersten Wunder Godehards — in der Vita prior nicht aufgeführt — und in Kapitel 20 von seiner Sorge für die Mönche die Rede war, kommt Wolfhere im 21. Kapitel wieder auf die Auseinandersetzung Godehards und Aribos um Gandersheim zu sprechen. Im 22. Kapitel fügt Wolfhere einen Bericht über die Kaiserkrönung Konrads II. ein. Mit Kapitel 23 und 24 schließt er dann den Gandersheimer Streitfall ab, um in den folgenden beiden Kapiteln wunderähnliche Geschichten über Godehard zu erzählen. Kapitel 27 ist einem abschreckenden Exempel vorbehalten. Kapitel 28 bis 32 bewegen sich um den Tod des Bischofs. Das letzte, 33. Kapitel ist eine Art Wertung der Nachfolger Godehards — Thietmars, Azelins und Hezilos — und schließt mit dem besprochenen Gebet für Hezilo. Auch die Bemerkungen, mit denen Wolfhere die Vorgeschichte des Streites bis zum Amtsantritt Godehards einleitet und abschließt, zeigen, welch geringe Bedeutung er dem Gandersheimer Streit in der Vita posterior zumaß. Wollte er in der Vita prior moderni et posteri beweisen, daß Gandersheim von Rechts wegen zur Diözese Hildesheim und nicht zu Mainz gehöre und unterstrich er dort seine Absicht durch ein Wahrheitsbekenntnis, so entschuldigt er sich in der Vita posterior beinahe dafür, daß er auf den Streit zu sprechen kommt: "Es möge euch, oh Leser, nicht unbequem noch überflüssig erscheinen, wenn der Anfang dieses Streitfalles, der euch sicher in Zukunft nützlich sein wird, aus diesem Grund wiederholt wird'" 4 . Doch nicht nur der Gandersheimer Streit rückt im Vergleich zur Vita prior in den Hintergrund, auch an der Darstellung der Niederaltaicher Zeit Godehards ist zu erkennen, daß sich Wolfhere mit seiner zweiten Fassung an ein anderes Publikum mit einer anderen Absicht wandte. Wolfhere hatte in der ersten Fassung ausführliche Angaben über Eltern, Lehrer und Mitschüler Godehards gemacht. Auch wußte er, eine erbauliche — wie Godehard als Knabe versuchte, ein Eremitendasein zu führen — und eine für den ausgeprägten Rechtssinn Godehards vielsagende Geschichte — die Auseinandersetzung wegen des abgesetzten Abtes Erkanbert — zu erzählen. All das fehlt in der Vita posterior 15 . Besonders aufschlußreich ist ein Vergleich der in den ersten Kapiteln der beiden Fassungen genannten Eigennamen. Den Namen der Vita prior, die nur für den sprechen, der mit der Lokalgeschichte Niederaltaichs vertraut ist, stehen die allgemein bekannten, ja sogar prominenten Namen der Vita posterior gegenüber 16 . Der Vergleich weist wieder darauf hin, daß sich die beiden Fassungen der "Vita Godehardi" an ein unterschiedliches Publikum wandten. Die Vita prior war mit den "lokalen" Namen eher an ein Niederaltaicher Publikum adressiert, während die Namen führender

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Non ergo vobis, o lectores, incommodum vel fastidiosum videatur, si huiusmet conflictus initium, vobis certe in posteris necessarium, altius necessitatis causa repetatur, ... c. 17, S. 204, Z. 52f.; zur Vita Godehardi prior vgl. oben Kapitel III, Anm. 1 und 10. Vgl. oben Kapitel III, Anm. 100. So werden in der Vita prior Ratmund, der Vater Godehards (c. 1, S. 170, Z. 46), Oudalgisus, der Niederaltaicher Lehrer Godehards (c. 2, S. 171, Z. 3) und ein weiterer bayerischer Lehrer Liudfrithus (c. 6, S. 172, Z. 35) genannt. Dagegen wird in der Vita posterior Niederaltaich in die Reichsgeschichte eingegliedert: Igitur septingentésimo quadragesimo primo incamationis Domini anno, quo Karolus primus, filius Pippini primi, filii Anchisi, fllii Arnolfl, ex hac vita demigrans, flliis suis Karlomanno et Pippino regnum reliquit, quo etiam sequenti anno iste Pippinus Karolum Magnum genuit, initium Altahensis monasterii a sancto Pirminio et Outilone duce Baioarico ... feliciter est perfectum; ante distributionem episcopiorum, quae decimo post anno in Baioaria a sancto Bonifacio archiepiscopo facta est ex decreto Zachariae papae et consensu Pippini regis; c. 2, S. 198, Z. 3Iff.

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Adeliger und Kirchenmänner in der Vita posterior für ein mehr reichsgeschichtlich interessiertes Publikum sprechen. Mit seiner Vita posterior wollte Wolfhere also keine Niederaltaicher Lokalgeschichte schreiben. Er versuchte vielmehr, die Geschichte Niederaltaichs in die allgemeine Reichsgeschichte einzugliedern. So wird die Herkunft Godehards auf das Kloster Niederaltaich zurückgeführt, das, soweit man denken könne, mit dem königlichen Geschlecht verbunden gewesen sei; der leiblichen Eltern Godehards gedenkt Wolfhere nur noch in einem Nebensatz17. Danach zählt Wolfhere die Ahnenreihe der Karolinger von Arnulf angefangen bis zu Karl dem Großen auf, unter dem Pirmin gemeinsam mit dem Bayernherzog Oudilo das Kloster Niederaltaich gegründet habe. Auch die Einteilung der Bistümer unter Bonifatius mit Zustimmung des Papstes Zacharias und des Königs Pippin befleißigt sich Wolfhere aufzuzählen18. Er stellt somit Niederaltaich in illustrer Gesellschaft dar. Als das Kloster durch den Streit der Ludwigssöhne in schwere Mitleidenschaft gezogen war, sei es der König persönlich gewesen — Otto pius rex —, der sich des Schicksals Niederaltaichs angenommen habe. Doch habe er gegen den Widerstand seines Bruders, des Bayernherzogs, nichts unternehmen können19. In Kapitel fünf wird wieder ein Stück Reichsgeschichte erzählt, nämlich der Aufstand Heinrichs des Zänkers. Die Reform des Klosters Niederaltaich, die Wolfhere in der Vita prior noch eben diesem Bayernherzog — iam sepe dictus Heinricus divina ammonicione instinctus, ut erat omni virtutum ornamine praecitictus20 — zugute geschrieben hatte, führt er in der Vita posterior auf Kaiser Otto III. zurück: Cuius (Otto III.!) quidem laudabilis industriae iniciale fuit indicium, quod septimo suae ordinationis anno saepe dictum Altahense monasterium episcoporum consilio, auxiliante demum duce praefato, in pristinum monachicae religionis reformari fecit statum21. Den Bayernherzog Heinrich qualifiziert Wolfhere jetzt als in spem regnandi arrogantiae furore in cassum elatus22 ab und drängt ihn in die Rolle eines zustimmenden Helfers — auxiliante demum duce praefato23 — zurück. Für Niederaltaich waren nur noch Könige und Kaiser gut genug! Wieder ist es ein künftiger Kaiser, Heinrich II., der im nächsten Kapitel Godehard zum Abt von Niederaltaich bestimmt24. Die Auseinandersetzung zwischen Godehard und ihm — bezüglich des abgesetzten Niederaltaicher Abtes Erkanbert — läßt Wolfhere dieses Mal weg. Auch in einem späteren Kapitel der Vita posterior wird Godehard als

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Praeclare igitur indolis puer Godehardus nomine, iuxta Altahense monasterium ex eiusdem aecclesiae familia a vere christianis ut post patuit parentibus feliciter natus et nutritus, ac in eodem coenobio sacrarum litterarum studiisfideliter est imbutus. Igitur ... (im folgenden wie Anm. 16); c. 2, S. 198, Z. 29ff. Wie Anm. 16. Hac enim necessitate monachica ibidem norma defecit sub regula tarnen canonicorum idem locus ... item per centum annos perstitit. Quod et Otto pius rex, filius Heinrici regis Saxonici, saepius decrevit in aliquibus locis redintegrare; sed plurali infortunio obstante, tnaxime tarnen fratris sui Heinrici ducis Baioarici machinatione praepediente, non potuit perficere. C. 3, S. 199, Z. Iff. Vita Godehardi prior, c. 7, S. 173, Z. 14ff. C. 5, S. 200, Z. 9ff. Ebd., Z. 2f. Ebd., Z. 11. Das sechste Kapitel beginnt mit der Nachfolge Heinrichs als Bayernherzog und endet mit seiner Königswahl. Dazwischen gefügt ist die Einsetzung Godehards als Abt von Niederaltaich (c. 6, S. 200).

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ständiger Begleiter des Kaisers vorgestellt25. Die reichsgeschichtliche Orientierung der Vita posterior, die vor allem in den Kapiteln zwei bis fünf zu bemerken war, findet sich, wenn auch weniger prononciert, in der zweiten Hälfte der Vita wieder. Dort werden in den Kapiteln 21 bis 24 die reichsgeschichtlichen Ereignisse behandelt, die sich unter dem Pontifikat Godehards ereigneten26. Ein Grund, weswegen Wolfhere in der Vita posterior mehr Wert auf die Reichsgeschichte legt, ist bereits genannt worden, nämlich ein anderes, reichsgeschichtlich interessiertes Publikum. Einen zweiten Grund gibt uns Wolfhere im Prolog zur Vita posterior an. Gegen Ende des Prologes geht Wolfhere sehr ausführlich auf die niedere Herkunft Godehards ein. Er erwähnt zunächst, daß einige Spötter behaupteten, es würde sich nicht gehören, die Nachricht über den unscheinbaren Ursprung Godehards zu verbreiten, man solle darüber besser still schweigen: non decere tarn praeclari ac insignis viri quasi infimam genealogiam diffamare. Doch kluge Leute würden wissen: certe nemo nobilis videtur nisi quem virtus nobilitare probatur21. Um diese Meinung zu belegen, führt Wolfhere zwei Schriftstellen an: Ubi spiritus Domini, ibi libertas2i. Und: Dominus pauperem facit et ditat, suscitat de pulvere egenum, et de stercore erigit pauperem, ut sedeat cum principibus et solium gloriae teneat29. An Godehard seien diese Schriftstellen in Erfüllung gegangen, da er im Angesicht der Könige hochgeschätzt sei, unter den Fürsten ruhmvoll sitze und zu ihnen die Weisheit spräche. Den Thron des Ruhmes würde Godehard so glücklich besitzen. Es bestehe kein Zweifel, daß Godehard bei Christus und den anderen heiligen Bischöfen sei30. Jetzt ist ganz klar, weshalb Godehard und Niederaltaich ständig in der Gemeinschaft der Kaiser und Könige gezeigt werden mußten. Wolfhere beweist damit, daß das Schriftwort ut sedeat cum principibus an Godehard tatsächlich in Erfüllung gegangen ist und bestätigt somit das, was er im Prolog angekündigt hat. Eine Bestätigung des im Prolog ebenfalls angekündigten Dominus erigit pauperem kann man in der zweiten Vision Godehards sehen. Sie wird ihm zuteil, als er das ihm von Heinrich II. angebotene Bistum Hildesheim zunächst ausschlägt. Die zwar fast schon zum Zeremoniell der Bischofswahl gehörende Erklärung, man sei unwürdig und könne das Amt deswegen nicht annehmen, erhält bei Godehard einen sehr ehrlichen Klang, wenn man bedenkt, daß er aus einem Dienstmannengeschlecht stammte und daß bisher alle Hildesheimer Bischöfe dem sächsischen Hochadel angehörten31. Deshalb schrieb Wolfhere auch, es sei nicht verwunderlich, daß sich einige Mitglieder des Hildesheimer Klerus über die 25

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Eodem tempore imperator Gruona sedebat, et praememoratum abbatem solito Semper pietatis more secum habebat. C. 14, S. 204, Z. 5f. So die Wahl Konrads II. (c. 21) und seine Kaiserkrönung (c. 22); die Synode von Frankfurt mit u.a. der Regelung des Gandersheimer Streites (c. 23). Der Tod der Bischöfe Bruno von Augsburg, Werner von Straßburg und Unewans von Hamburg im Jahre 1029 (c. 24). Prol., S. 197, Z. 47ff. Zum Tugendadel vgl. oben Kapitel III, Anm. 148. Ebd., S.197, Z. 51f. ( = 2 Cor. 3,16). Ebd., S. 198, Z. lff. (=Ps. 113, 7-8). ...in conspectu regum magniflcatum cum principibus gloriose consedisse, et inter principes sapientiam locutum esse, et solium gloriae feliciter tenuisse vidimus. Ebd., S. 198, Z. 4ff. Zur Abstammung Godehards wie Kapitel III, Anm. 101. Zu Godehard als dem ersten, nicht adeligen Bischof Hildesheims vgl. GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 231. Zu dem exklusiv adeligen Charakter der Hildesheimer Domschule und des dortigen Domkapitels vgl. ZIELINSKI, Reichsepiskopat, S. 95 und 136-140; dazu auch KLEWITZ, Hofkapelle, S. 108-115; FLECKENSTEIN, Hofkapelle II, S. 127ff. Auf den Reichtum des Hildesheimer Bistums verweist ein Satz aus der Vita Godehardi posterior: Thesaurum nichilominus ecclesiasticum, quem ibi numerosum invenit, ... c. 18, S. 206, Z. 29f.

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niedere Herkunft Godehards entsetzten32. Der Einwand, mit dem Godehard zunächst das Hildesheimer Bistum auszuschlagen suchte, liegt auf der gleichen Linie. Er soll nämlich gesagt haben, daß er die von ihm geliebte Armut den Reichtümern und Ehren — und damit sind wohl die der Hildesheimer Diözese gemeint — vorziehe33. Erst ein Traum, in dem sich Godehard von der Gottesmutter vor einen Altar geführt sah, wo eine große Anzahl Mädchen und Frauen den Salbungshymnus sangen, stimmte Godehard um. Er nahm die Bischofswürde an, aber nur wegen der divina praedestinatio, wie Wolfhere den Traum Godehards bezeichnete34. Was soviel bedeutet, daß es der Herr war, der "seinen Diener aus dem Staub erhoben und auf den Thron gesetzt hat"35. Durch die stets enge Verbindung seines Herkunftsortes Niederaltaich und später auch Godehards selbst mit den jeweils Herrschenden konnte Wolfhere die niedere Herkunft Godehards in weitem Maße kompensieren und all denen, die über die niedrige Herkunft des Hildesheimer Bischofs spotteten, entgegenhalten, daß Godehard nichtsdestotrotz — weil er von Gott geliebt war — unter den Ersten des Reiches seinen Platz einnahm. Und nicht nur das. Wolfhere stellt Godehard ganz zu Anfang als den frommen Bayern dar, der "uns Sachsen", die lange im Unglauben verharrten und eines Arztes bedurften, die wahre Religion brachte, und berührt damit den wunden Punkt des sächsischen Adels36. Die geringe Bedeutung des Gandersheimer Streites, die Einbettung des Lebens Godehards in die Reichsgeschichte und der Nachweis der Kompensation der geringen Herkunft durch göttliche Auserwählung sind als erste Besonderheiten der Vita posterior festzuhalten, die auf ein in Hildesheim zu situierendes, reichsgeschichtlich interessiertes Publikum hinweisen, das wahrscheinlich adeliger Herkunft war: alles Kriterien, die auf Hezilo, der 1054 sein Amt antrat, zutreffen. Eine weitere Eigenheit der Vita posterior, die Exempel, werden es erlauben, den Adressatenkreis dieser Vita noch genauer zu bestimmen und die Absicht, die Wolfhere mit dieser Fassung verfolgte, deutlicher zu machen. Im Prolog der Vita prior gab Wolfhere an, aus zwei Gründen zu schreiben. Zum einen, um in einige schwierige Verhältnisse — d.h. den Gandersheimer Streit — Licht zu bringen, und zum anderen aus Gehorsam37. Der Gehorsam als Motiv des Schreibens findet sich auch in der Vita posterior wieder, es fehlt aber die Angabe, er würde zur Aufklärung schwieriger Verhältnisse schreiben. Stattdessen rückt das Motiv der Nachahmung — im Prolog ist zunächst von memoria die Rede — in den Vordergrund.

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Quamvis primo, quod nec mirum erat, aliqui vel ad ignotam eius vitam vel etiam ad auditam olim iuventutis eius nimietatem ad tempus expavescerent, ... c. 15, S. 204, Z. 36ff. ... dicens certe se maiora onera divitiarum ob hoc reiecisse, ... c. 14, S. 204, Z. 12ff. KÖHLER, Das Bild, S. 51f., der diese historischen Umstände - die geringe Herkunft Godehards, das Prestige und den Reichtum des Hildesheimer Bistums - nicht beachtet hat, interpretierte diesen Satz dahingehend, daß man das Bischofsamt als eine "rein weltliche Machtstellung" betrachtete und sich die cura exteriora zu emanzipieren schienen. C. 15, S. 204, Z. 34f. Wie Anm. 30. Quem ergo Baioaria olim ab initio, ... verum religionis eruditorem nobis, quibus opus erat medicus, concedente Christo transmisit, nos Saxones vel certe Saxigenae ... verbo Dei diu indomabiles, ... c. 1, S. 198, Z. 24ff. Mit diesem Satz spielt Wolfhere auf das sächsische Trauma der heidnischen Vergangenheit an, das noch nicht bewältigt war. Erst das Schwert Karls des Großen hatte sie zum christlichen Glauben gebracht. Die Mathildenviten sind Zeugnis dafür, daß man in Sachsen bestrebt war, diesen "Makel" zu beseitigen. Vgl. dazu SCHMID, Die Nachfahren, S. 44ff.; BEUMANN, Sachsen und Franken, S. 898ff.; DERS., Hagiographie "bewältigt". S. oben Kapitel III, Anm. 16 und 17.

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Wolfhere gibt dieses Mal an, für wen die Vita bestimmt sei: Sie richte sich nicht nur an seine Gemeinschaft, sondern auch an Freunde, die zufallig an der Tafel seines Herrn — damit ist wohl der Abt Adalbert von St. Michael gemeint — zu Gast seien38. Schließlich hat das ganze erste Kapitel, das selbst noch einmal Prologelemente aufweist, nur einen Gegenstand, die Vorbildlichkeit Godehards zu unterstreichen: "Deshalb glauben wir, daß es der Mühe wert und sogar ruhmvoll ist, das Leben unseres seligen und verehrungswürdigen Vaters, Bischof Godehards, soweit es die göttliche Gnade eingibt, gegenwärtigen und kommenden Generationen als Vorbild vor Augen zu führen und den Gottesfürchtigen, das, was er in seinem Amt vollbracht hat, darzulegen"39. Ein weiteres Kapitel, auf das später noch zurückzukommen sein wird, hat Wolfhere nur eingefügt, damit es den Gläubigen als Abschreckung, als Beispiel, wie man es nicht machen soll, diene: propono in exemplum et cautelamfidelibus, timorem acformidinem negligentibus40. Auch Azelin, der zweite Nachfolger Godehards wird als Negativbild dargestellt: exemplum rapiendil41 Worin bestand nach Wolfhere nun die Vorbildlichkeit Godehards? Das Ergebnis läßt sich in einem Satz vorwegnehmen: als vorbildlicher Bischof sorgte er für den allgemeinen Nutzen — utilitas — und befriedigte die Bedürfnisse — necessaria — der ihm Anvertrauten. Diese Bedürfnisse sind vornehmlich materieller Art, können aber auch das geistige Wohl der Brüder betreffen. So steht der allgemeine Nutzen, die, wie Wolfhere schreibt, communis fratrum utilitas, fast immer in Verbindung mit der Beachtung der Regel bzw. der heiligen Religion. Ein typisches Beispiel findet sich in Kapitel 18: et fratrum commoda in victu et vestitu caeterisque indigentiae humanae necessariis saepius adauxit; quos etiam ad sacrae religionis observantiam apostolice arguendo et obsecrando multipliciterque informando conduxit42. Mit dem "Nutzen" meint Wolfhere zumeist Nahrung, Kleidung und Behausung der dem Bischof Anvertrauten, dann aber auch das Roden und die Bautätigkeit Godehards sowie ganz allgemein die Vermehrung des Kirchenschatzes: Thesaurum nichilominus ecclesiasticum, quem ibi numerosum invenit, tarn decenter quam et utiliter ampliavif3.

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... unde non solum dominus cum suis domesticis festivius laetetur, sed et superventuris forte amicis lautioris coenae iocunditas reservetur ...; non ut mihi laudem ... acquiram, sed ... aeternam iusti memoriam, quamvis indocili taxatione, proponam, ... Prol., S. 197, Z. 38ff. Zu Beginn des Prologes hat Wolfhere Adalbert als abbas noster bezeichnet, ebd., Z. 4f. ... ideo dignum et etiam gloriosum putavimus, vitam beati et venerandi patris nostri Godehardi episcopi, quantum divina dementia donaverit, in exemplum modernis etposteris proponere, et gestorum eius probabile magisterium Deum timentibus exponere. C. 1, S. 198, Z. 19ff. Auf den Prologcharakter weisen Sätze hin wie: man würde sich schuldig machen, wenn man das, was man wisse, verberge und man dürfe das Licht nicht unter dem Scheffel stehen lassen; vgl. dazu SIMON, Untersuchungen (1958), 5. 81f. und S. 103ff. C. 26, S. 210, Z. 42; der Satz bezieht sich aber auf das folgende 27. Kapitel. C. 33, S. 216, Z. 6. C. 18, S. 206, Z. 22ff. C. 18, S. 206, Z. 28f. Zur Rodungstätigkeit: ... ad triginta et eo amplius mansos labore tantum manuum cum fratribus apostolico exemplo silvis et vepribus erutis ad usum utilitatis informavit, ... c. 6, S. 200, Z. 42ff. Zur Bautätigkeit: Ecclesias multas cum variis et utilibus aediflciis per diversas episcopii curtes aediflcavit, ... c. 13, S. 204, Z. 2ff. Ein Beispiel für die utilitas verstanden als geistiges Wohl findet sich in Kapitel vier: communi etiam fratrum commodo et utilitati devotius intentans, maiores ... praeveniendo, coaevos iustisexemplis adhortando, ... c. 4, S. 199, Z. 25ff.; und in Kapitel 28 heißt es von Magister Tadilo er habe sein Amt pro utilitate ecclesiae ausgeübt. C. 28, S. 216, Z. 54. Auch die Benediktsregel spricht an einigen Stellen von den utilitates monasterii. Bene-

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Godehards Sorge um den allgemeinen Nutzen kann jedoch weiter präzisiert werden. Wolfhere betont, daß sich Godehard in erster Linie für das Wohl der ihm Anvertrauten — so zunächst für das der Mönche des Klosters Niederaltaich und später für das der Diözese Hildesheim — eingesetzt habe und nicht etwa für das Wohl des Reiches oder das Wohl aller, wie es z.B. noch von Brun von Köln geheißen hat44. Wolfhere hebt so für Godehards Tätigkeit in Niederaltaich sowohl die materielle Unterstützung, d.h. die Vermehrung des Kirchenschatzes, als auch die Ausbildung des Klerus als Verdienst hervor45. Wie sehr für Godehard das Wohl der Seinen im Vordergrund stand, geht aus der Begründung hervor, mit der er zunächst die Annahme des Hildesheimer Bistums ablehnte. Nicht Hildesheim, wohl aber Passau oder Regensburg hätte Godehard als künftiges Bistum angenommen, und zwar nicht wegen der relativen Armut dieser beiden Bistümer im Vergleich zu Hildesheim, sondern weil er dort den Seinen nutzen könnte: ubi non sibi sed suis tantum prodesse possit46. Der Nutzen der Seinen, d.h. in diesem Fall der Niederaltaicher Mönche, war für Godehards Ablehnung ausschlaggebend. Der Nutzen seiner Kirche steht dann auch bei der Charakteristik der Hildesheimer Tätigkeit Godehards im 18. Kapitel im Vordergrund. Nicht weniger als vier Mal ist in diesem Kapitel von utilitas und necessitas die Rede47. Dazu paßt natürlich der in der Hagiographie beliebte Topos des in Christo omnibus omnia factus bestens48. Allerdings müßte der Wahrheit halber das omnibus für Godehard durch suis ersetzt werden, denn Godehards Einsatz beschränkte sich auf seine Stadt bzw. auf seine Diözese. So bildete er viele Kleriker im Schreiben, Lesen, Malen u.a. mehr aus: multiplicem suae ecclesiae utilitatem49. Gebäude errichtete er in seiner Stadt und in seiner Diözese. Die Sorge Godehards habe in erster Linie

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dicti regula c. 3, 12, S. 31; c. 65, 12, S. 169. Honestum enim et utile nostre rei publice fuit omne, quodfecit ..., Ruotgeri Vita Brunonis, hg. von Orr, MGH SS nova series 10, c. 23, S. 24, Z. 12f. Vgl. ebd., Prol., S. 1, Z. 25ff.: Non enim in una provincia aut in uno negociabatur regno, omnium, quos adire poterai, salutem benivolentie atque laboris studiique sui querebat commertio. Vgl. ebd., c. 34, S. 35, Z. 21f. Schon KÖHLER, Das Bild, S. 47, fiel auf, daß in den Bischofsviten des 11. Jahrhunderts die Vorstellung, daß jeder Bischof für seine Kirche zu sorgen habe, häufig auftauche. Er wertete dieses Phänomen als einen Schritt hin zur "Territorialisierung" des geistlichen Fürstentums. KÖHLER sah jedoch nicht, daß der Antrieb, sich um "ihre" Kirche zu kümmern, nicht nur von den Bischöfen selbst ausging, sondern auch von örtlichen Gruppen - wie den Domherren im Falle der Vita Godehardi posterior - an sie herangetragen wurde. Idem enim monasterium (=Niederaltaich!) omni devotione, ut vel hodie ibi liquet, adornare studebat, libris scilicet et preciosissimis missalibus, vestimentis caeterisque variis et utilibus ecclesiasticis ornamentis. Maxime tarnen, ... plurimos in eodem coenobio fratres, scientia et moribus illustres, enutrivit; c. 10, S. 203, Z. 4ff. C. 14, S. 204, Z. 17f. KÖHLER, Das Bild, S. 52, sah in Godehards Bevorzugung der "armen" Bistümer Regensburg und Passau ein Anzeichen für den beginnenden "Kampf" der Reformbewegung gegen das politische System des Reichsepiskopates. Coenobium suum pastorali cura sapienter gubernavit etfratrum commoda in victu et vestitu caeterisque indigentiaehumanae necessariis saepius adauxit; c. 18, S. 206, Z. 22f.; quorum certe postea servimine variam ac multiplicem suae aecclesiae utilitatem ... conquisivit, ... ebd., Z. 26f.; Thesaurum nichilominus ecclesiasticum quem ibi numerosum invenit, tarn decenter quam et utiliter ampliavit, ... ebd., Z. 28f.; et ibidem congregationem canonicam pluris sane honoris et utilitatis in Dei timore coadunavit, quam concambii sui acquisitione sufficienter vestivit etpavit, ... ebd., Z. 36f. Ebd., Z. 21; zu diesem Topos (1 Cor. 9,22) vgl. ZOEPF, Heiligenleben, S. 211; HUG, Elemente, S. 108, mit Hinweisen auf das Vorkommen dieses Topos in anderen Viten. Iuvenes quoque et pueros ..., per diversa scolarum studia circumquaque dispertivit; quorum certe postea servimine variam ac multiplicem suae ecclesiae utilitatem... conquisivit. C. 18, S.206, Z. 25ff.

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seinem Klerus, in zweiter Linie den "Armen" allgemein gegolten. In Kapitel 20 ist von Godehards besonderer Sorge für die Armen die Rede. Sowohl für die seßhaften als auch für die zufallig vorbeikommenden baute er ein Armenhaus, wo sie mit victus et vestitus necessaria ita convenienter versorgt wurden50. Obwohl er herumziehende Mönche nicht leiden konnte, habe sie Godehard zwei- bis dreimal mit den necessaria ausgestattet, bevor er sie weiterschickte51. Falls sie jedoch ihr bisheriges Leben bereuten, habe er sie mitleidig aufgenommen und dafür gesorgt, ne ulterius in talia necessitatis causa inciderent52. Godehards Vorbildlichkeit bestand also nach Wolfhere in der Sorge für die Seinen, was auf der einen Seite von der Sorge um ihre Nahrung und Kleidung bis zur Vermehrung des Kirchenschatzes geht, auf der anderen Seite die Ausbildung der Kleriker in Lesen und Schreiben und ihr, der Regel gemäßes Leben meint. Erst danach ist darunter Godehards Einsatz für die "Armen" zu verstehen. Doch ist Godehard nicht der einzige, dessen Leben den Lesern als Exempel dienen soll. An fünf weiteren Personen macht Wolfhere deutlich, worauf es ihm ankam. Drei davon — Abt Bernhard von Hersfeld, der Kleriker Hildewin und Bischof Azelin von Hildesheim — sind exempla a contrario, d.h. abschreckende Gegenbilder Godehards und Beispiele, wie man es nicht machen sollte. Die Darstellung Bischof Bernwards von Hildesheim wird zu einem Parallelexempel zu Godehard gestaltet. Der fünfte, der Eremit Gunther, schwankte lange Zeit zwischen beiden Extremen, bis er, von Godehard auf die richtige Bahn gebracht, selbst zum positiven Exemplum wird. Zunächst zu Abt Bernhard, den Wolfhere zu einem negativen Gegenstück Godehards zeichnete. Bernhard habe zwar aus ehrwürdigem Geschlecht gestammt, aber er sei, mehr als es seinem Stand gezieme, nach menschlichem Ruhm bestrebt gewesen: ultra sui propositi ordinem humano more popularis famae laudi intentuJ53. Er habe die Regelbeachtung seiner Mönche vernachlässigt, so daß diese sich statt dessen um "private" Gebäude, Pferde, Kleider ac caeteris mundanae gloriae pompis kümmerten und sich darüberhinaus die Erlaubnis, mit unerlaubten und überflüssigen Gästen zu handeln, anmaßten54. Man rufe sich dagegen das Godehardbild Wolfheres ins Gedächtnis, der streng auf die Einhaltung der Regel achtete und seinen Mönchen bzw. Domherren nur das zu einem geistlich-würdevollen Leben Notwendige zukommen ließ. Zwei Jahre vor seinem Tod habe sich Bernhard auch noch in ein von ihm auf der anderen Seite der Fulda erbautes Kloster zurückgezogen und so die Seinen im Stich gelassen. Diese hätten nun ihrerseits an den König appelliert und geklagt, daß ihnen das Lebensnotwendige fehle und daß das Kirchengut auf eitle und unnütze — inutilia — Weise verschwendet

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Ubi et xenodochium Christi in receptionem pauperum aediflcavit, ...ut non solum illic commorantibus, sed et cunctis forte advenantibus victus et vestitus necessaria ita convenienter provideret, ... c. 20, S. 207, Z. 27ff. ... quos tamen per no men Christi quod profitebantur, necessaria sustentatione biduo vel maxime triduo consolabatur, ... ebd., Z. 35ff. Ebd., Z. 47f. C. 7, S. 200, Z. 48f. ... eiusdem coenobii fratres forte aliquanto debita conversatione fovit indulgentius, ita ut more canonicorum proprietates sibi tam in privatis aedificiis quam et in equis et cultiorìbus quoque plurimis vestimentis ac caeteris mundanae gloriae pompis vendicarent, et licentiam quoque dandi et accipiendi cum inlicitis ac superfluis conviviis caeterisque talibus usurparent. C. 7, S. 200, Z. 49ff.

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werde55. Wieder sei an Godehard erinnert, der — nach Wolfhere — das Kirchengut auf nützliche Weise vermehrt haben soll. Der König, der um das regelwidrige Leben der Hersfelder Mönche gewußt habe, habe ihnen versprochen, Abhilfe zu schaffen, und ihnen nach Bernhards Tod einen neuen Abt zu geben, der in divinis et humanis,... iuxta timorem Domini provisurumSb. Dieser Abt war Godehard. Er habe in Hersfeld wieder alles in Ordnung gebracht. Zunächst habe er die Beachtung der Regel durchgesetzt, dann das Kloster von "überflüssigen" Gebäuden gereinigt und es schließlich so reformiert, wie es den mönchischen Bedürfnissen entspräche57. In diesem einen Kapitel finden sich alle für diese Vita typischen Schlüsselbegriffe: utilitas und necessitas gekoppelt mit regulaepraeceptum und ihren Gegenbegriffen vana, inutilia sowie mundanae gloriae pompa. An das Hersfelder Kapitel schließen sich zwei Kapitel über den später als heilig verehrten Eremiten Gunther an58. Der Anschluß ist nicht nur chronologisch — Gunther suchte Godehard während seiner Zeit als Abt in Hersfeld auf —, sondern auch inhaltlich gerechtfertigt. Gunther schwankte lange zwischen Weltleben, wie es Bernhard den Hersfelder Mönchen erlaubte, und einem der Regel entprechenden Dasein, wie das, zu dem Godehard seine Mönche und Kleriker anhielt. Nach Wolfhere ist es nur Godehard zu verdanken, daß Gunther schließlich den Versuchungen der Welt endgültig entsagt habe. Gunther suchte Godehard in Hersfeld auf, um ihm seine Jugendsünden zu beichten und ihm seinen Entschluß, die Welt zu verlassen, mitzuteilen. Er wollte mit Zustimmung seiner Angehörigen seinen ganzen Besitz aufgeben und ihn dem Kloster Hersfeld schenken. In Gellingen wollte er auf eigenem Grund ein Kloster errichten und für die necessaria der Brüder, die dort mit ihm Gott dienen sollten, sorgen59. Godehard traute dem neuen Konversen nicht, er nahm ihn mit nach Niederaltaich, wo Gunther nach einer Romwallfahrt die Mönchsgelübde ablegte. Danach ließ er ihn nach Gellingen ziehen, damit er sich dort um die necessitates der ihm anvertrauten Brüder kümmerte. Doch Arbeit und Armut hätten den ehemaligen Weltmann abgeschreckt60. Godehard, der die Gefahr ahnte, habe ihn vor die Wahl gestellt: Entweder solle er gemäß dem Gehorsamgelübde Gott an einem Orte dienen oder aber sein Ordensgewand ablegen und endgültig zur gewohnten Eitelkeit der Welt zurückkehren61. Godehard habe sogar Heinrich II. gebeten, er solle Gunther klar machen, daß niemand zwei Herren gleichzeitig dienen könne. So wie ein Hund nicht zum Erbrochenen, so dürfe ein Mönch nicht

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... saepius diversas querìmonias dirigimi, sibi victus et vestitus necessaria denegali, et illis cum caeteris Christipauperibus esurientibus, res ecclesiasticas per vana et inutiliaprorsus dissipali. Ebd., S. 201, Z. 8ff. Ebd., Z. lOff. ... prìmitus eis iuxta regulare praeceptum duriora et asperiora mandata proposuit, ... Civitatem vero ipsam et claustrales cohabitationes a supeifluis et ineptis pluribus aediflciis ilico purgavit et in condignam monachicae necessitatis habitudinem honeste reformavit. Ebd., Z. 21ff. C. 8 und 9, S. 201f. Zu Gunther vgl. WATTENBACH/HOLTZMANN, Geschichtsquellen I, S. 288 und S. 85*. ... ac fratribus illic Christo servientibus secum inde necessaria provideret. C. 8, S. 201, Z. 44f. Venienti igitur ad locum Gellinge dictum, et disponenti necessitates ibidem commanentium, ... multa et varia ei occurrerunt incommoda, prò quibus dum ipse, scilicet antea paupertatis ac laboris insolens, ad abbatem saepius quaeritando conjugeret, ... sollicitus pater fluctuationem mentis eius profunde perspiciens ...ad viam salutis reducere eum studuit; ebd., S. 202, Z. 6ff. ...ut aut in promissa obedientiae stabilitate Deo devotius servirei, aut certe ad solitam saeculi vanitatem, laqueis iterum Satanae irretitus, abiecto habitu rediret. Ebd., Z. 18ff.

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zu der Welt zurückkehren62. Gunther sei zur Einsicht gekommen und nach Niederaltaich gegangen, um dort die Regel zu lernen. Nach dieser endgültigen Konversion habe er in Böhmen mit einigen Kameraden als Einsiedler, spontanae paupertatis, gelebt. Er habe zwar nicht viel zu essen gehabt, dafür jedoch die Schrift in bewundernswerter Weise ausgelegt63. Das Hauptgewicht der Charakteristik Gunthers liegt ganz auf dem Schwanken zwischen weltlicher vanitas und klösterlicher necessitas: erst Godehards beharrliches Zureden habe Gunther die Entscheidung für das entbehrungsreiche, aber der Regel entsprechende Eremitendasein auf sich nehmen lassen. Der dritte, dessen Lebensgeschichte Wolfhere rasch erzählen will, ist Bischof Bernward von Hildesheim. Der Vorgänger Godehards sei im Gottesdienst vom rechten Eifer erfüllt und mit Scharfsinn für den weltlichen Nutzen begabt gewesen: in tota mundanae utilitatis sagacitate sapienter providusM. Er habe die Domherren mit Büchern, Malereien, Gold, Silber und Edelsteinen bedacht. Er habe Kleriker in divino servitio utiles herangezogen65. Er habe schließlich das Michaelskloster gebaut und ausreichend ausgestattet, die Bischofsstadt mit Türmen und Mauern versehen und die Kirchen mit mehreren nützlichen Gebäuden, cum variis et utilibus aedificiis, versehen66. Wie bei der Schilderung Godehards hebt Wolfhere auch an Bernward einerseits die materielle Vermehrung des Kirchenschatzes und andererseits die Ausbildung des Klerus hervor. Wie bei Godehard wird sein Einsatz für die Hildesheimer Domherren besonders gelobt. Ein viertes, negatives Beispiel, von Wolfhere sogar ausdrücklich für die in der Gottesfurcht Nachlässigen angekündigt, ist der Priester Hildewin67. Aus größter Armut kommend, habe er es zur allgemeinen Verwunderung zu größtem Reichtum gebracht68. Das meiste davon sei aber auf unehrliche Weise zusammengekommen. Hildewin habe nämlich Bedienstete und Gäste des Bischofs bestohlen, oder in Wolfheres Worten: quod eis certe molestissimum erat, quam et dignitate ac proprietatis utilitate privaret69. Hildewin soll recht klug gewesen sein. Doch sei seine Weisheit weltlicher Art gewesen: mundanae suae sapientiae, qua plane plenus erat, quae vere ante Deum stulticia computatur70. Als Godehard ein Gericht einberief, habe sich Hildewin dank seiner Klugheit herausreden können. Er sei siegesgewiß nach Hause gegangen, habe sein Geld betrachtet und sich schlafen gelegt. Doch am nächsten Morgen sei er, kaum angezogen,

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... pio imperatori Heinrico per ordinem abbas totam secretìus insinuavit, ipsumque adiutorem ad corrigendum talem hominem corrogavit. Quem confestim princeps ad suum colloquium clementer evocans, ... instruere cepit, nullum posse duobus dominis servire, nec monachum ad seculum ut canem ad vomitum revertí debere. Ebd., Z. 2Iff. Ebd., Z. 36ff. C. 13, S. 203, Z. 44. Monasterium itaque nostrum libris, serico, auro, argento, gemmis, picturis aliisque ecclesiasticis ornamentis pluribus decenter redimivit, clericos auxiliante Domino multos et etiam in divino servitio utiles enutrivit, ... ebd., Z. 47ff. Ebd., S. 204, Z. 4. Illud quoque quod in antepenultimo praesentis vitae anno ei accidit, propone in exemplum et cautelam fidelibus, timorem ac formidinem negligentibus. C. 26, S. 210, Z. 41f. C. 27, S. 210, Z. 43ff. Ebd., Z. 5 l f . Ebd., S. 211, Z. 15ff.

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tot zu Boden gefallen. Ein klares Gottesurteil!71 In seiner Kammer seien "unzählbare" kostbare Kleider und Mengen von Geld gefunden worden: Plures tarnen et amplissimas in sua proprietate in innumeris et preciosis vestibus et alia pecunia et etiam peculio dimisit12. Godehard habe alles unter die Armen verteilen lassen, um so das Seelenheil Hildewins zu retten. Auch Wolfhere bittet die Leser, Gott um die Vergebung der Sünden Hildewins anzurufen73. Der Unterschied zwischen Godehard und Hildewin liegt auf der Ebene der utilitas. Während Godehard alles zum Nutzen der Seinen einsetzte, bestahl Hildewin die Seinen, d.h. seine Brüder, Freunde und Gäste Godehards. Seine Klugheit war nicht wie die Godehards und Bernwards auf die utilitas der Gemeinschaft gerichtet. Sie zielte vielmehr auf den eigenen Nutzen bzw. Reichtum. Wie die Mönche von Hersfeld, so legte auch Hildewin großen Wert auf kostbare Kleidung und Geldbesitz. Das letzte negative Beispiel ist Azelin (1044-1054), der zweite Nachfolger Godehards und der direkte Vorgänger Hezilos. Er sei, so kritisiert Wolfhere, in divinis scilicet et humanis feliciter strenuus gewesen74. Obwohl Wolfhere anerkennt, daß Azelin auf den Gipfel weltlichen Glücks gelangt sei, ad summum mundanae felicitatis apicem honorifice profecit, und auch den honor — wohl die für Hildesheim erworbenen Grafschaftsrechte — in Rechnung stellt, den Azelin für seine Kirche gewinnen konnte, so wiegen doch die Vorwürfe stärker75. Unter ihm fiel die Bischofsstadt und ein Großteil der dabeigelegenen Siedlung den Flammen zum Opfer76. Azelin ließ den abgebrannten Dom und die benachbarten Klostergebäude einreißen, obwohl er den abgebrannten Bau nach Wolfheres Auskunft leicht hätte wieder aufbauen können — ein Akt, durch den er sich vor Gott in erheblichem Maße schuldig gemacht habe77. Weitere Schuld habe Azelin auf sich geladen, als er versuchte maiori ambitione einen Neubau an die Stelle des alten Domes zu setzen. Der Neubau stürzte bald ein78. Den größten Vorwurf, nämlich Raub, macht Wolfhere jedoch Azelin, weil er den allgemeinen Nutzen — also gerade das, wofür er Godehard und Bernward gerühmt hatte — geschädigt habe: "Für ihn (Azelin!)

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Ebd., Z. 42f. Zu dem schnellen Tod als Gottesstrafe vgl. ARIES, L'homme devant la mort, S. 18. Ein biblisches Beispiel für den plötzlichen Tod als Gottesstrafe ist der Tod des habgierigen Hananias und seiner Frau, Act. Ap. 5,1-11. C. 27, S. 211, Z. 42ff. ... quas (die Reichtümer!) tarnen beatus praesul... totaspro animae illius remedio pauperibuspenitus erogari praecepit;... obsecramus, o lectores, vestram dilectionem, ut cum haec legeritis, indulgentiam ei et remissionem peccatorum pro vestra certe felicitate a Domino imploretis ... ebd., Z. 43-50. C. 33, S. 215, Z. 44. Qui tarnen apud imperatorem et primates ad summum mundanae felicitatis apicem honorifice profecit. Nos ergo pro honore quem aecclesiae suae pluraliter acquisivit, perpetuam ei requiem ante Deum imploremus, ... c. 33, S. 215, Z. 51ff. Daß hinter dem honor die Grafschaftsrechte zu sehen seien, die Azelin für sein Bistum erwerben konnte, vermutete schon HEINEMANN, Das Bistum, S. 40f.; vgl. dazu GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 268. Cuius ordinationisanno secundo venerabile nostrum monasterium, ... in dominicapalmarum 10. Kai. Aprilis miserabili incendio periit, simulque totapene civitas, et maxima pars villae interiit, ... c. 33, S. 215, Z. 45ff. Vgl. Ann. Altah. maiores, ad a. 1046, MGH SS 20, S. 802; Fund. eccl. Hild, MGH SS 30, S. 945, Z. 15ff.; vgl. dazu unten Anm. 119. Qui noster praesul in hoc ut veremur aliquantum ante Deum culpabilis fuit, quod idem monasterium, quod tota aecclesia teste fadle restaurari potuit, acsi dedignando afundo destruxit. C. 3 3 , S . 2 1 5 , Z . 47ff. Quod quidem in illo opere quod postmodum maiori ambitione inchoavit, prudens quisque veraciter intellegit, quod nec ista destructio nec illa inchoatio sine culpa fuit. Ebd., Z. 49ff.

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bitten wir auch deshalb bei Gott um Gnade, weil er von dem, was seine Vorgänger und andere Gläubige in Gottes Namen zum allgemeinen Nutzen der Kanoniker zusammengetragen haben, einiges weggenommen hat; wir mögen uns damit eine raschere Vergebung unserer Sünden verdienen. Er hat sich nämlich, wie wir befürchten, mehrfach verschuldet, weil er sowohl selbst raubte, als auch seinen Nachfolgern ein Beispiel und die Gelegenheit des Raubens gab."79 Azelin hätte deswegen auch ein schiimmens Lebensende gehabt80. Weil sie privaten Nutzen, weltliche Ehre und materielles Glück suchten, wurden Abt Bernhard mit seinen Hersfelder Mönchen, der Priester Hildewin und Azelin von Wolfhere verurteilt. Weil sie die Welt mit ihren Reichtümern gering achteten und ihre ganze Kraft und ihr ganzes Vermögen zum Nutzen der ihnen Anvertrauten, suis, einsetzten, wurden Godehard, Bernward von Hildesheim und schließlich auch der Eremit Gunther von Wolfhere gelobt. Diese Gegensätze, die auf der Ebene des MoralischAllgemeinen liegen, können durch eine direkte Gegenüberstellung der Charakterisierungen Godehards und Azelins konkretisiert werden. Die ersten Vorwürfe an Azelin lauten: Abriß des abgebrannten Domes und allzu ehrgeiziger Versuch eines Neubaues. Es fallt auf, daß Wofhere von Godehard, obwohl er dessen Bautätigkeit in der Vita prior viel ausführlicher geschildert hatte, in der Vita posterior beinahe ausschließlich von seinen Restaurierungen alter, eingefallener Kirchen berichtet. So heißt es im 18. Kapitel zunächst allgemein: et quidquid in aedificiis ecclesiasticis ... dirutum vel veteranum repperit, totum summa celeritate distrahere, renovare et meliorare festinavit.81 Anschließend berichtet Wolfhere von einer konkreten Renovation Godehards, nämlich der Umgestaltung einer alten, eingefallenen Taufkirche aus Bischof Otwins (954-984) Zeiten zu einem Gebäude für die Domherren (!) Hildesheims82. Godehard habe dieses Kloster ausreichend ausgestattet und angeordnet, daß ihm auch in Zukunft diese reiche Ausstattung zukommen sollte: quam concambii sui acquisitione sufficienter vestivit et pavit, habundantemque illic in futurum ad talia sufficientiam condonavif3. Dieser letzte Hinweis, den Kanonikern auch in der Zukunft das Notwendige reichlich zukommen zu lassen, fehlte in der Vita prior, in der Wolfhere nur die reichliche Ausstattung des Klosters zu Godehards Lebzeiten erwähnte84. Die Änderung verrät die Absicht Wolfheres: Hezilo sollte erkennen, daß sein heiliger Vorgänger Godehard alles zum Wohl der Domherren getan und diese auch seinen Nachfolgern anbefohlen hatte, während sein unheiliger Vorgänger Azelin gerade diese

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Cui et pro hoc quoque, quod de communi fratrum Militate quatti praecessores sui ac ceteri fideles Christi in nomine Domini contulerant plura subtraxit, veniam coram Deo praecamur, ut et nos promptiorem delictorum nostri remissionem mereanuir. Vere enim, ut timemus, multipliciter deliquit, quia et ipse rapuit, et posterìs occasionem et exemplum rapiendi reliquit; c. 33, S. 216, Z. 3ff. Huic vero perìculoso ut veremur fine defuncto, ... ebd., Z. 7f. C. 18, S. 206, Z. 29ff. Inter quae tamen omnia baptismalem ecclesiam, quam felicis memoriae Otwinus decimus noster antistes in honore sanctae Mariae sanctique Epiphanii episcopi, ... in australi parte nostrae ecclesiae construxit, senio certe et negligentia dilapsam diruit, et in eodem loco monasterium konestum in praetitulato honore primo suae ordinationis anno fundavit, quarto consummavit; et ibidem congregationem canonicam pluris sane honoris et utilitatis in Dei timore coadunavit, ... ebd., Z. 32ff. Ebd., Z. 38f. Vita Godehardi prior, c. 37, S. 194, Z. 26-35; vgl. bes. Z. 33f. : quo tempio missalibus, libris, campanis, aliisque divini ministerii instrumentis adornato, scolam illic canonicam concivit, cui totam spirìtualis et carnalis alimoniae sufficientiam omni vitae suae tempore saluberrime providit.

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— und das war der dritte und schwerste Vorwurf Wolfheres an Azelin — sträflich vernachlässigt und sogar beraubt habe. Die Forderungen, die Wolfhere vermittels der Exempel indirekt an den neuen Hildesheimer Bischof Hezilo stellte, waren also erstens ein bescheidenerer Domneubau und zweitens ein Einsatz für das regelgemäße Leben und die communis fratrum utilitas der Hildesheimer Domherren. Daß Wolfhere allen Grund hatte, an Hezilo mit solchen Forderungen heranzutreten, zeigt ein Blick auf die Situation, in der die "Vita Godehardi posterior" entstand. Die Tatsache, daß 1046 das Kloster der Kanoniker abbrannte, und die Folgen, die dieser Verlust für die Hildesheimer Domherren hatte, ist bisher in der Forschung nicht gebührend beachtet worden85. Stellt man den Brand in Rechnung, dann braucht man keine Spekulationen über einen späten Eintritt des Kanonikers und Domherren Wolfhere in das Mönchskloster St. Michael anzustellen86. Denn mit dem Dom waren ja auch die dem Gemeinschaftsleben der Hildesheimer Domherren dienenden Gebäude abgebrannt87. Wolfhere fand bei Abt Adalbert von St. Michael ganz einfach eine Bleibe, als das Kloster seiner Gemeinschaft zerstört war. Die Hildesheimer Domherren waren für die Strenge ihrer Lebensführung berühmt. Noch der Annalista Saxo übernahm eine Stelle aus der "Fundatio Hildensemensis", in der es heißt, Heinrich II. habe in Bamberg Lütticher Gelehrsamkeit mit Hildesheimer Strenge verbinden wollen88. Diesem klösterlich-strengen Leben der Hildesheimer Domherren war mit der Zerstörung der Gebäude die notwendige materielle Grundlage entzogen worden. Ob Bischof Azelin diese Gelegenheit genutzt hat, um — wie Heinemann vermutet — "die bisher streng geübte Vita communis des Domklerus aufzuheben und damit zugleich dessen Einfluß auf die bischöfliche Politik einzuschränken", sei dahingestellt89. Jedenfalls hat Azelin wohl nicht sehr viel zur Verbesserung der Lage der Domherren getan. Ein anderes von Heinemann erwähntes Faktum scheint mir für die Situation der Hildesheimer Domherren bedeutungsvoller gewesen zu sein. In unmittelbarer Nähe Hildesheims ließ Heinrich III. die Pfalz Goslar mit dem Stift St. Simon und Juda zu seiner bevorzugten Residenz ausbauen. Heinemann und Goetting vermuten, und ich schließe mich dem an, daß hinter dem Vorwurf des Raubes, den Wolfhere Azelin machte, die vermehrten Reichsdienste zu sehen sind, die Hildesheim für das aufblühende Goslar zu leisten hatte90. Und wie Goetting schreibt, dürften die

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Zum Dombrand vgl. oben Anm. 76. HEINEMANN, Das Bistum, S. 43, und GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 265f., berücksichtigen zwar den Dombrand bei ihrer Schilderung der Lage der Hildesheimer Domherren, jedoch bringt keiner der beiden die miserable Situation der Hildesheimer Domherren mit der Entstehung der Vita Godehardi posterior in Verbindung. So GERLACH, Wolfhere, S. 88. Dagegen hat schon BRESSLAU, Jbb. Konrads II., Bd. 1, S. 358, angenommen, daß Wolfhere zum Zeitpunkt der Abfassung der Vita Domherr war. Accessit ad haec, quod exorto a principalium fratrum pirali incendio et principale monasterium et alterum in meridiano principalis latere a sancto Godehardt) constructum utrumque cum sui claustro igne est consumptum, ... Fund. eccl. Hild., MGH SS 30, II, c. 5, S. 945, Z. 15ff. ... ut (Heinrich II.!) sue Babenbergensi eclesic cum studio Leodiensi Hildinsheimensis claustri rigorem optaret. Ann. Saxo, hg. von WAITZ, MGH SS 6, S. 686, Z. 47f.; vgl. Fund. eccl. Hild., MGH SS 30, II, c. 4, S. 945, Z. 11. Das Bistum, S. 43; kritisch dazu GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 266. "Die Aufgaben für das Reich, mit denen Bischof Azelin betraut wurde, haben die Mittel des Bistums zweifellos stark beansprucht, wobei die bischöflichen Servitialleistungen für den so überaus häufig im südlichen Diözesanbereich, vor allem in Goslar weilenden kaiserlichen Hof wohl die schwerste Belastung darstellten." GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 269; vgl. HEINEMANN, Das Bistum, S. 38ff.

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Hildesheimer Domherren nicht ohne Widerspruch hingenommen haben, "daß für (die) Kanoniker des neuen kaiserlichen Stifts St. Simon und Judas in Goslar mehrere Pfründen des Hildesheimer Domkapitels zur Verfügung gestellt werden mußten ... auch dies könnte Wolfhere mit den Worten, daß der Bischof dem Kapitel plura subtraxit, gemeint haben"91. Die Situation der Hildesheimer Domherren zwischen 1046 und 1054 — der Zeitraum, in dem Wolfhere seine "Vita Godehardi posterior" schrieb — läßt sich also folgendermaßen charakterisieren: der Dom, das Gotteshaus der Domherren, war abgebrannt, die ehrgeizigen Neubaupläne Azelins gescheitert, die dem Gemeinschaftsleben dienenden Gebäude der Domherren waren ebenfalls zerstört, und das strenge Gemeinschaftsleben selbst, dem sie ihr Prestige verdankten, lag danieder; zu allem Überfluß entstand in unmittelbarer Nähe ein konkurrierendes geistliches Zentrum, mit dessen Vertretern sie die Pfründen teilen und das sie auch sonst materiell unterstützen mußten. Die Hildesheimer Domherren, als deren Vertreter Wolfhere schrieb, hatten also allen Grund, Azelins Nachfolger, Hezilo, von vornherein zu zeigen, was sie von einem Bischof erwarteten. Doch bevor die Hildesheimer Domherren als Trägergruppe der "Vita Godehardi posterior" behandelt werden, soll auf eine weitere Besonderheit der "Vita Godehardi posterior" eingegangen werden, die bisher als der einzige Grund für die Neufassung der Vita angesehen wurde: die Wunder als Heiligkeitsnachweis92. In der Tat weiß Wolfhere im 19. Kapitel vom miraculumprimum zu berichten, der Heilung einer besessenen Frau, die Godehard im Anschluß an das Mainzer Konzil von 1023 erwirkt haben soll93. Auch im folgenden Kapitel ist eine wunderähnliche Geschichte zu finden. Godehard habe, so heißt es, an einem Ort, wo es bisher gespukt habe, ein Oratorium gebaut. Seitdem sei der Spuk dort verschwunden94. Außerdem berichtet Wolfhere noch in Kapitel 26 von der Heilung einer blinden Frau dank der medizinischen Kenntnisse Godehards95. Wundercharakter haben schließlich auch die beiden schon angesprochenen Visionen und die Prophezeiungen, die Godehard am Ende seines Lebens gemacht haben soll96. Der Wunsch der Hildesheimer Domherren, ihren Bischof als Heiligen verehrt zu wissen, geht ferner aus den Bezeichnungen Godehards als intercessor und patronus noster hervor97. Daß in der Vita posterior auch ein Versuch der Hildesheimer Domherren zu

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So LoiTER, Methodisches, S. 355; FELLENBERG, Die Verehrung, S. 27; GERLACH, Wolfhere, S. 89. C. 19, S. 206f. C. 20, S. 207, Z. 18-27. C. 26, S. 210, Z. 29-41. Zu den Visionen s. oben Anm. 11 und 34. Godehard soll nicht nur seinen eigenen Tod und den Ablauf seines Begräbnisses vorausgesehen haben (c. 28, S. 212, Z. 13; c. 29, S. 212, S. 39ff.; ebd. S. 213, Z. 3ff.), er hat auch einer ganzen Reihe anderer Personen ihr baldiges Ende prophezeit: so dem Magister Tadilo (c. 28, S. 212, Z. 7ff.), seinem Kämmerer Buno (c. 29, S. 213, Z. 17-34) und Sophie von Gandersheim (ebd., Z. 45ff.). Daß ein Herrscher nicht alleine stirbt, ist ein auch sonst in der Geschichtsschreibung des 11. Jahrhunderts anzutreffendes Motiv. Vgl. dazu mit den entsprechenden Angaben, BORNSCHEUER, Miseriae regum, S. 35, 116 und 146. ... opem suae intercessionis impertivit, ... c. 26, S. 210, Z. 14. Mérito ergo flevimus, quia talem pastorem amisimus, sed et iure gaudebamus, quod talem intercessorem praemisimus, ... c. 31, S. 215, Z. 16ff.;... in obsequium tantipatroni convenerant, ... ebd.,Z. 21; Beatissimo autempatrono nostro, c. 33, S. 215, Z. 37; Godehard wird in den von Wolfhere stammenden Kapiteln der Vita zwar mehrmals beatus, nie aber sanctus genannt. Das geschieht erst in den nach 1068 stammenden Wunderkapiteln, die einen anderen Autor haben (z.B. in c. 40, S. 218, Z. 23). Vgl. dazu FELLENBERG, Die

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sehen ist, die Verehrung Godehards als Heiligen zu fördern, widerspricht jedoch keineswegs dem von mir herausgestellten Charakter einer paränetischen Mahnschrift an Hezilo. Im Gegenteil! Der Vorbildcharakter Godehards wird durch seine Heiligkeit ebenso unterstrichen, wie das Verwerfliche an seinen Gegenbildern Hildewin und Azelin durch deren plötzlichen bzw. schrecklichen Tod betont wird98. Nun zur Trägergruppe der "Vita Godehardi posterior". Wolfhere war Domherr in Hildesheim und blieb es auch bis an sein Lebensende. Dafür sprechen nicht nur verschiedene Stellen der Vita selbst, es wird auch durch eine Unterschrift — ego Wolflierus canonicus subscripsi — unter Hezilos Pfründenregelung von 1056 belegt". Schließlich gibt der Gebrauch von nos/noster Aufschluß darüber, daß Godehard als Vertreter seiner Gruppe, eben der Hildesheimer Domherren schrieb100. Im Prolog nennt er sie übrigens neben Abt Adalbert von St. Michael als Auftraggeber der Vita101. Interessant im Hinblick auf den Adressaten der Vita posterior ist auch, daß Wolfhere von den Domherren für alle Wohltäter der Gemeinschaft immerwährende memoria, d.h. fürbittendes Gebet fordert 102 . Dies gilt für die Gandersheimer Äbtissin Sophie und Bischof Azelin, die von Wolfhere sonst nur mit Kritik bedacht werden. Bei Sophie von Gandersheim betont Wolfhere sogar, daß sie damit späteren Generationen ein Zeugnis gab: Nos quoque,... merito eiusdem abbatissae animam divinae miserationi saepius commendare debemus, quoniam congregationem nostram, dum vixit, omni semper dilectione percoluit, eiusdemque dilectionis certum testimonium posteris reliquit103. Und über den Magister Tadilo, der sich nach Wolfheres Auskunft um die Gemeinschaft sehr verdient gemacht hat, heißt es: Cuius certe memoriam iure nos cordetenus retinere debemus104. Zu Thietmar, dessen fehlende Bildung Wolfhere einige Zeilen zuvor bemängelt hatte, schreibt er: ipsam etiam aecclesiam quantum sub tanto tempore valuit, laudabiliter adornare studuit; pro qua ei benivolentia, dum mundi cursus volvitur, iure apud nos recens Semper memoria debetur105. Und schließlich schreibt er zu Azelin: Nos ergo pro honore quem aecclesiae suae pluraliter acquisivit, perpetuam ei requiem ante Deum imploremus106. Wie weit das Zusammengehörigkeitsgefühl der Hildesheimer Kanoniker entwickelt war und wie groß ihre Verehrung für Godehard und ihre Sensibilität für die ihnen zustehenden Rechte waren, davon zeugen drei spätere Quellen. Es handelt sich um die

Verehrung, S. 29. Dazu daß man ganz irdische Forderungen gerne mit einem sakralen "Mantel" umgab, vgl. JOHANEK, Zur rechtlichen Funktion, S. 152 und 161. 99 So heißt es z.B. im neunten Kapitel der Vita: ... praeter nos, quos in canonico habitu illuc ingredi religio vetuit, ... c. 9, S. 202, Z. 49f.; Wolfhere bezeichnet den Hildesheimer Dom wiederholt als monasteriumnostrum, so ine. 31, S. 215, Z. 34; c. 33, S. 215, Z. 45 (wie Anm. 91). Die Unterschrift unter Hezilos Pfründenregelung findet man in JANICKE, UB I, Nr. 93, S. 94.; vgl. dazu unten S. 86. 100 Erat sane in nostra congregatione quidam presbyter, ... c. 27, S. 210, Z. 43. Erat quoque in nostra congregatione vir vitae venerabilis ... c. 28, S. 211, Z. 52. ... quoniam congregationem nostram, dum vixit, omni Semper dilectione percoluit, ... c. 32, S. 215, Z. 33. 101 ... praeeeptorum ac fratrum ... iussis ... talefastigium attingere temptavi, ... Prol., S. 197, Z. 4ff. 102 Grundlegend zur memoria OEXLE, Memoria; vgl. auch den von SCHMID und WOLLASCH herausgegebenen Sammelband "Memoria". 103 C. 32, S. 215, Z. 33. 104 C. 28, S. 212, Z. 19ff. und ebd., Z. 17f.: ... quia congregationem nostram tanti viri patrocinio et Consilio magisterioque privavit. C. 28, S. 212, Z. 17ff. 105 C. 33, S. 215, Z. 42f. 106 Ebd., Z. 52ff. 98

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Kapitel 34 bis 41 der Vita posterior, die von Wundern nach Godehards Tod berichten und frühestens 1068 geschrieben wurden107; ferner um das "Chronicon Hildesheimense"108 und die "Fundatio Ecclesiae Hildensemensis", die um 1079/1080 entstanden109. Alle drei Quellen sind also entweder unter oder kurz nach dem Pontifikat Hezilos (1054-1079) verfaßt worden. Der frühestens 1068 geschriebene Wunderbericht zeigt, daß Godehard zu diesem Zeitpunkt wie ein Heiliger verehrt wurde: sein Grab wurde gepflegt, eine Predigt wurde zu seinem Gedächtnis gehalten und Pilger zogen an sein Grab110. Gleich nach dem Tode Hezilos, 1079, schrieb wieder ein Hildesheimer Kanoniker das "Chronicon Hildesheimense"111. Aus den dem eigentlichen Chronicon vorangestellten Katalogen geht hervor, wie groß das Selbstverständnis der Hildesheimer Kanoniker war. Dort werden unter anderem die Hildesheimer Domherren aufgezählt, die anderswo Erzbischöfe oder Bischöfe geworden waren. Der Autor schreibt nicht nur von Wolfheres "Vita Godehardi posterior" ab, in seiner Charakteristik der Hildesheimer Bischöfe wendet der Autor dieselben Kriterien an, die Wolfhere in der Vita posterior verwandt hatte. Die Tatsache, daß er abschreibt, sagt allein wenig aus. Vielsagend ist dagegen, was er aus der Fülle der Vita posterior ausgewählt hat. Schon für seine Charakteristik Bernwards ist utilitas das Schlüsselwort112. Und auch von Godehard heißt es, er habe die Domherren ausreichend mit Pfründen und Kleidung versorgt, und auch der Umbau der Taufkirche Otwins in ein Gebäude für die Domherren wird erwähnt" 3 . Bei der Charakteristik Bischof Thietmars von Hildesheim, dem Nachfolger Godehards, finden wir das gleiche Schema: qui utilitatem aecclesiae suae fratrum benigna dilectione in pluribus ampliare decrevit, ... Cotidianam tarnenpraebendam fratrum ampliavit, ...114. Auch Azelin wird wieder dasselbe vorgeworfen. Er habe das Kloster der Domherren nach dem Brand, ohne zu fragen, zerstört. Das Gesamturteil fällt jedoch weniger streng aus als das Wolfheres. Azelin habe mehrmals beschlossen, etwas zum Wohl der Domherren zu unternehmen, doch dann habe ihn der Tod an der Ausführung seiner Vorsätze gehindert115. Von Hezilo weiß der Autor des "Chronicon" anerkennend zu berichten, daß er das materielle Auskommen der Brüder dank einer Pfründenregelung

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Vgl. oben Anm. 9 und 10. Hg. von PERTZ, MGH SS 7, S. 845-873. Hg. von HOFMEISTER, MGH S S 3 0 , II, S . 9 3 9 - 9 4 6 ; zu den Abfassungsdaten vgl. WATTENBACH/HOLTZMANN, Geschichtsquellen, II, S. 575f. Zur Grabpflege c. 35, S. 217, Z. 6f.; zur Predigt c. 38, S. 217, Z. 35f. und c. 40, S. 218, Z. 23f.; zu den Pilgern c. 41, S. 218, Z. 34f. Der Autor bezeichnet den Dom als monasterium rwstrum (MGH SS 7, c. 16, S. 853, Z. 24); er kritisiert Hezilos Vernachlässigung des regelstrengen Lebens der Hildesheimer Domherren, wobei er die Domherren als institutionem nostri ordinis beschreibt (ebd., c. 17, S. 854, Z. 4). ... utilitatisuae aecclesiae fidelis dispensator, ... c. 13, S. 852, Z. 29. Ipse etiam fratrum utilitatem in praebenda et vestitura clementer ampliavit. ... veteri aecclesia quam Othwinus episcopus ibidem aediflcavit dilapsa, pulchrum monasterium ... construxit. Ebd., c. 14, S. 852, Z. 50ff. Ebd., c. 15, S. 853, Z. 9f. Ipse etiam fratrum commoda sepius ampliare decrevit, set varia occupatione praepeditus, tandem subitaneo obitu occupatus non implevit. Ebd., c. 16, S. 853, Z. 25.

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gesichert habe, auf der anderen Seite muß er kritisieren, daß Hezilo nicht dem Verfall der strengen Regel der Domherren gegengesteuert habe116. Eher von einem Mönch von St. Michael geschrieben, aber trotzdem in ähnlichem Tenor wie die Vita posterior und das "Chronicon" gehalten, ist die "Fundatio Ecclesiae Hildensemensis"117. Große Bedeutung räumte dieser Autor den Gebäuden der Domherren ein. So habe es schon vor Altfrieds Dombau eine bedeutende Domherrengemeinschaft gegeben. Altfried habe dann den ersten Dom mit einem Gebäude für die Domherren gebaut118. Kirche und Kloster hätten unter allen Nachfolgern Altfrieds einschließlich Thietmars Bestand gehabt. Als der Brand Altfrieds altes und Godehards neueres Domherrenkloster zerstört hatte, habe Azelin mit einem ehrgeizigen Neubau begonnen, dessen Mauern jedoch immer wieder einstürzten, bis das Leben des Bischofs vor dem Bau ein Ende fand119. Im letzten, Hezilo gewidmeten Kapitel wird von dessen bescheidenem, aber erfolgreichen Wiederaufbau des Domes berichtet: composite modestam et modeste compositam sexto anno perfecit120. Bei seinem Tod habe er außer dem wiedererbauten Dom und neuen Krypten auch drei, allerdings unvollendete Klöster hinterlassen. Dieser letzte Text machte die präzisesten Angaben über Ausmaß und Folgen des Brandes von 1046 sowie über den mißglückten Wiederaufbau Azelins. In allen drei Texten waren der Einsatz der Bischöfe für ihre Domherren, ihr Beitrag zum Kirchbau der Stadt, regeltreues Leben und höfische Weichlichkeit die Kriterien, an denen die Bischöfe gemessen wurden. Die Ideale der "Vita Godehardi posterior" haben also noch 20 Jahre nach deren Entstehung die Maßstäbe des Hildesheimer Klerus geprägt. Alle drei Texte führen die in der "Vita Godehardi" deutlich gewordenen Linien weiter. Sie bezeugen, daß es in Hildesheim eine selbstbewußte Gruppe von Domherren gab, die sich gegen die Beeinträchtigung ihrer bisherigen Rechte zu wehren wußten. Ihre Anliegen konzentrieren sich auf drei Punkte: zunächst auf ihre Kirche, den Hildesheimer Dom, dann auf ihre Versorgung mit den necessaria, d.h. den Pfründen, drittens auf ihre vita communis, der sie ihr Ansehen verdankten. In ihrem ehemaligen Bischof Godehard sahen sie wohl den Mann, der diese Probleme zu seiner Zeit auf vorbildliche Weise geregelt hatte. Indem sie sich für seine Verehrung einsetzten, propagierten sie gleichzeitig ein für sie ideales Bischofsbild. Das mit Abstand wichtigste Zeugnis für diese Bemühungen ist jedoch Wolfheres "Vita Godehardi posterior".

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Ipse etiam praebendas fratrum... redegit... Habet tarnen in eo divina sentenüa, ... quia institutionem nostri ordinis, in abbreviatione divini officii, in superfluitate vestium, in relaxando regularis vitae districtionem, non dico mutavit, sed mutantibus non contradixit. Ebd., c. 17, S. 853, Z. 37ff. und S. 854, Z. 3ff. Er lobt das kanonische und regelstrenge Leben der Hildesheimer Kanoniker, identifiziert sich jedoch an keiner Stelle mit ihnen. Er setzt ganz bewußt die professio canonica von der professio monachica ab: Sed hanc ecclesiam fratrum celebritas et canonicalis religio ... MGH SS 30, II, c. 3, S. 943, Z. 10; ecclesia Hildensemensis clerus tarn districta religione et religiosa districtione Dei obsequio se mancipaverat, ut in professione canonica districtione gauderet monachica. Ebd., c. 4, S. 944, Z. 23ff. Hanc igitur ecclesiam ipse eius constructor Altfridus dedicavit eique claustrum canonico usui et regulari vitae commodissimum adiecit. C. 3, S. 944, Z. 13ff. Accessit ad haec, quod exorto a principalium fratrum pirali incendio et principale monasterium et alterum in meridiano principalis latere a sancto Godehardo constructum utrumque cum sui claustro igne est consumptum. ... data operi opera teritur nec ad perfectionem aspirai opus, cuius semper casus reperatur, et sic nondumfinito opere vitam finivit auctor opens. Ebd., c. 5, S. 945, Z. 15ff. Ebd., c. 6, S. 946, Z. 4f.

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Was Bischof Hezilo betrifft, so sprechen alle Anzeichen dafür, daß er die Mahnungen der "Vita Godehardi posterior" ernst genommen hat. Sogleich nach seinem Amtsantritt veranlaßte er den Domneubau auf den noch stehenden Mauern des Altfrieddomes, bescheiden, aber erfolgreich, wie das "Chronicon" und die "Fundatio" schreiben, genau so, wie es Wolfhere in seiner Vita von Azelin gewünscht hatte121. Nach dem Domneubau (1054-1067) kam Hezilo, ebenfalls zu Beginn seiner Amtszeit, der Forderung der "Vita Godehardi posterior" nach der Versorgung der "Seinen", d.h. der Domherren, mit einer Pfründenregelung nach122. In dieser bekannten Urkunde wurde die Versorgung der Kanoniker mit den necessaria peinlich genau geregelt. Auch wird unterschieden zwischen dem, was den eigentlichen 45 Hildesheimer Domherren, und dem, was den capellani — den in Hildesheim bepfründeten, sonst aber wahrscheinlich in Goslar weilenden königlichen Kapellänen — und den Septem fratres zustand123. Schließlich spricht auch die Tatsache, daß Hezilo seinen Domneubau nicht an einem Fest Mariens — der eigentlichen Patronin des Domes —, sondern am Todestag Godehards weihen ließ, dafür, daß er auch den Bemühungen seiner Domherren um eine Verehrung seines Vorgängers entgegengekommen ist124. Man kann dieses Datum auch als eine Art Gelübdeerfüllung interpretieren; es scheint, als habe Hezilo mit dem Domneubau eine Forderung erfüllt, die an ihn in Form der "Vita Godehardi posterior" herangetragen worden war. In den "Notae", die von der Domweihe an Godehards Todestag berichten, fehlt allerdings Godehard unter den dort aufgezählten Reliquien. Auch ist dort von Godehards Grab in altari sancti Martini ad tumbam beati Godehardi die Rede, woraus hervorgeht, daß Godehard 1061 wohl eine gewisse Verehrung genoß, jedoch noch nicht allgemein als Heiliger anerkannt war125. Nicht Hezilo, von dem Fellenberg meint, er habe Godehard am 5. Mai 1061 zur Ehre der Altäre erhoben, sondern die Hildesheimer Domherren waren die Propagatoren der Verehrung Godehards126. Nur einer Forderung der "Vita Godehardi posterior", der nach der Wiedereinführung eines regelstrengen Lebens für die Domherren, ist Hezilo, den späteren Selbstzeugnissen der Hildesheimer Domherren zufolge, nicht nachgekommen127. Die Besonderheiten der "Vita Godehardi posterior" auf der einen, die Amtshandlungen Hezilos auf der anderen Seite sind die sichtbaren Pole einer "kommunikativen

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So heißt es im Chronicon, MGH SS 7, c. 17, S. 853: novum corpus moderatae compositionis. Und in der Fundatio, MGH SS 30, II, c. 6, S. 946, Z. 4f.: et sie tamfelici successu quam devoto affectu ecclesiam et composite modestam et modeste compositam sexto anno perfecit. Vgl. GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 288. Hg. von JANICKE, UB, Nr.93, S. 92ff. Vgl. dazu ERDMANN, Signum Hecilonis; GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 291; HEINEMANN, Das Bistum, S. 49. Numerus fratrum quinquaginta duo, ex his quadraginta quinque aeeipient... (a.a.O., S. 92, Z. 30) capellanis ... (ebd., S. 93, Z. 36f.) ... fratribus Septem (ebd., Z. 37); ERDMANN vermutete hinter den 'septem fratres' scholares canonici oder Stuhlbrüder (a.a. O., S. 447), GOKTTING fratres minores mit niederen Pfründen (a.a.O.). Es ist auffallig, daß die capellani und die septem fratres, die wohl als Fremdkörper im Hildesheimer Domklerus anzusehen sind, ihre Pfründe nicht nur an den Festen Maria Verkündigung, Nikolaus und an acht Apostelfesttagen, sondern auch in anniversario episcopi Godehardi ausgezahlt bekamen (a.a.O., S. 93, Z. 32ff.). Wie Anm. 6. Notae eccl. maioris Hild., MGH SS 30, II, S. 764, Z. 39. FELLENBERG, Die Verehrung, S. 32f. Auch GOETTING, Die Hildesheimer Bischöfe, S. 255, sieht in den Domherren die Propagatoren der Godehardverehrung. Wie Anm. 116.

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Situation" 128 , die einander entsprechen; d.h. Hezilos Taten sind Antworten auf die in der "Vita Godehardi posterior" implizit gestellten Forderungen. Die Situation der Hildesheimer Domherren zum Zeitpunkt der Entstehung der Vita ist der erklärende Hintergrund, der es möglich macht, zwischen beiden Polen einen sinnvollen Zusammenhang zu erkennen.

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GUMBRECHT, Schriftlichkeit, S. 158.

V. DIE VITA HERIBERTI — IM DIENSTE DES KÖLNER PRESTIGE

"Die Metropole Agrippina Köln grüßt die Mutter der Kirchen, die heilige römische Kirche, und alle Töchter der allgemeinen Kirche auf dem ganzen Erdkreis, im Namen Gottes, des Schöpfers, dem Vater des Lichtes, durch den jede Gabe hervorragend und jedes Geschenk vollkommen ist.'"

Mit diesem Widmungsgruß der erzbischöflichen Stadt Köln an Rom, die Mutter der Kirchen, beginnt der Prolog zu Lantberts "Vita Heriberti" 2 . Diese Widmung ist in zweifacher Hinsicht ungewöhnlich: zum einen, weil sie nicht vom Autor der Vita, sondern von der Bischofsstadt Köln ausgesprochen wird, und zum zweiten, weil sie sich an Rom und nicht wie sonst üblich an einen Bischof oder Abt wendet 3 . Nicht nur die Salutatio, der ganze Prolog ist als Schreiben der Stadt Köln gestaltet, die sich freut, daß Gott "bei uns" den hervorragenden Priester Heribert erhöht hat, der in dem von ihm gebauten Kloster Deutz begraben ist. Einem Mönch dieses Deutzer Klosters habe die Metropole Köln den Auftrag, Heriberts Leben aufzuzeichnen, gegeben. Dieser solle nur schreiben, was die Stadt Köln gesehen oder von anderen gehört habe 4 . Man könnte die Tatsache, daß das Widmungsschreiben der Stadt Köln in den Mund gelegt wird, als eine besonders geschickte Variante des Auftraggebertopos betrachten, mit der sich der Autor der Verantwortung für sein Werk entziehen wollte, wäre da nicht noch der ebenso außergewöhnliche Adressat der Vita, Rom, die mater aecclesiarurr?. Es stellt sich die Frage, was den Autor bewegte, seine Vita in Form eines Briefes bzw. Geschenkes der erzbischöflichen Stadt Köln an die Mutter der Kirchen zu kleiden und von sich selbst nur in der dritten Person zu reden. Nicht nur von sich selbst, auch von

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Matri aecclesiarum sanctae Romanae aecclesiae, et in universo orbe terrarum universis filiis universalis aecclesiae, metropolis Agrippina Colonia, Deo opifice, omne datum Optimum et omne donum perfectum a patre luminum. Prol., S. 740, Z. 24ff. Vita Heriberti archiepiscopi Coloniensis auctore Lantberto monacho Tuitensi, hg. von PERTZ, MGH SS 4, S. 739-153. Nach MÜLLER, Heribert, S. 10-16, der sich ausführlich mit der Überlieferungslage der Vita Heriberti beschäftigt, waren Lantberts Werke bis auf wenige Ausnahmen nur in den niederlothringischen Zentren Köln und Lüttich und in den umliegenden Gebieten bekannt. Vgl. auch DINTER, Rupert von Deutz, S. 20, der die Verbreitung der Vita Heriberti Lantberts günstiger beurteilt. Vgl. allgemein zur Salutatio SIMON, Untersuchungen (1959), S. 140ff. Operatus est Deus, ... apud nos sua gratia magna et mirabilia;... Exaltavit apud nos oriens ex alto sacerdotem excelsum suum Heribertum ... Sepultus est autem in coenobio suo ... Curam scribendi communi consensu uni ipsius monasteriifratri commisimus, qui ministra obedientia nihil aliud scripsit, quam quod vidimus aut a fidelibus audivimus. Prol., S. 740, Z. 26ff. Zum Auftraggebertopos vgl. SIMON, Untersuchungen (1958), S. 59ff. und (1959), S. 112ff. Auch DINTER, Rupert von Deutz, S. 108, sah in der Metropole Köln die fingierte Verfasserin des Prologes und die Auftraggeberin Lantberts, ohne jedoch dieser Merkwürdigkeit größere Bedeutung einzuräumen. MÜLLER, Heribert, S. 6, geht auf den Auftraggeber der Vita nicht weiter ein. Ohne Belege anzuführen, stellt er den Deutzer Abt Werinbold, der sich um die Heribertverehrung bemüht haben soll, als Auftraggeber der Vita hin.

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seinem Kloster und seinem Abt spricht der Autor auf merkwürdig unbeteiligte Weise, so daß Heribert Müllers Meinung, "die Vita sollte Heriberts Andenken in seiner Gründung in Ehren halten ... und den liturgischen Feiern in Deutz, allen voran dem Fest des Heiligen, dienen", wenig wahrscheinlich wirkt 6 . Der Autor, Lantbert, stammte aus dem Lütticher Laurentiuskloster und hatte dort unter dem bekannten Lütticher Lehrer Adelman studiert 7 . In Deutz war Lantbert vermutlich als Scholaster tätig gewesen, bevor er 1060 nach Lüttich zurückkehrte, um dort die Leitung des Laurentiusklosters zu übernehmen 8 . Die "Vita Heriberti" hat er nach einhelliger Forschungsmeinung um 1050 geschrieben, gibt er doch selbst im Prolog an: "Dies wurde aber geschrieben, als Heinrich III. Kaiser, Hermann der Erzbischof unserer Stadt und Werinbold Abt in dem Kloster, in dem er (Heribert!) begraben ist, war. " 9 Mehrere Jahre später hat Lantbert noch — wie er selbst schreibt "widerwillig" — die "miracula S. Heriberti" verfaßt 10 . Nun trug sich aber in Köln um die Jahrhundertmitte etwas zu, was nicht ohne Zusammenhang mit der merkwürdigen Widmung der "Vita Heriberti" zu stehen scheint. Im Jahre 1049 war nämlich Leo IX. in Köln zu Besuch in Begleitung Kaiser Heinrichs III. Am 29. Juni, so berichtet der einzige Eintrag der Brauweiler Annalen zum Jahre 1049, habe Leo IX. mit Erzbischof Hermann II. und Heinrich III. das Fest des hl. Petrus in Köln begangen". Der Widmungsgruß, den die Bischofsstadt Köln an Rom, die Mutter der Kirchen, richtet, erhält vor diesem Hintergrund eine ganz konkrete Bedeutung. Hinter der Allegorie Metropolis Agrippina Coloniensis kann eigentlich nur der Kölner Erzbischof Hermann II. stehen. Da das Kloster Deutz seit seiner Gründung — 1002 durch Heribert — "echtes Kölner Eigenkloster" 12 war, ist es nicht verwunderlich, daß der Kölner Erzbischof einem Deutzer Mönch diesen Auftrag gab. Zudem hatte Hermann II. ja dem Deutzer Kloster 1041 eine Stiftung gemacht 13 . Hinter der "Mutter der Kirchen", an die die Vita adressiert ist, verbirgt sich die römische Kirche bzw. ihr

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Sepultus est in coenobio suo, Prol., S. 740, Z. 31, ... uni ipsius monasterii fratti, ebd., Z. 34; coenobii ipsius, in quo requiescit, ebd., Z. 40; Ne vero suppresso dictantis nomine causetur muta pagina, tituletur obsecundantis nobis fratris nostri Lantberti nomine et memoria. Ebd., Z. 40ff. MÜLLER, Heribert, S. 6. 7 Zu Adelman als Lehrer Lamberts, vgl. SILVESTRE, Notice sur Adelman de Liège, bes. S. 860f. 8 Vgl. MÜLLER, Heribert, S. 3ff., mit weiterführender Literatur. 9 Scripta sunt autem imperante Heinrico tertio, Herimanno metropolis nostrae archiepiscopo, coenobii ipsius, in quo requiescit, abbate Werinboldo. Prol., S. 740, Z. 39. Da Werinbolds Vorgänger 1045 das letzte Mal bezeugt ist, muß die Vita zwischen 1046 und 1056 entstanden sein. So schon PERTZ in seiner Einleitung zur Vita Heriberti MGH SS 4, S. 739; ausführlich wird die Datierung von MÜLLER, Heribert, S. 5f., Anm. 12, diskutiert; vgl. dazu auch SCHIEFFER, in: Rhein. Gesch. I, 3, S. 183. 10 Verum dum urget me auctoritas, quae a me iure nequeat evitati, visum mihi est eidem labori me, licet imparem rursus mancipari, etsi olim suifoeditate a peritioribus conspui debeat et annulari. Miracula S. Heriberti hg. von HOLDER-EGGER, MGH SS 15, Bd. 2, Prol., S. 1245, Z. 33ff. " Leo papa, qui et Bruno, festum sancti Petri cum imperatore Heinrico Coloniae celebravit. Annales Brunwilarenses, hg. von PERTZ, MGH SS 16, S. 725, ad a. 1049; vgl. die davon abhängige Cronica regia Coloniensis hg. von WAITZ, MGH SS rer. Germ., S. 36: Leo papa festum sancti Petri cum Heinrico imperatore Coloniae celebravit, presidente Herimanno archiepicopo. Zum Papstbesuch Leos in Köln vgl. WOLTER, Das Privileg, S. 117f.; LÜCK, Die Kölner Erzbischöfe, S. 3f. 12 "So war Deutz von der Person seines Gründers wie auch vom Besitz her gesehen ein echtes Kölner Eigenkloster, dessen Leitung sich auch Heribert Zeit seines Lebens vorbehielt ...", MILZ, Zur mittelalterlichen Wirtschaft, S. 226. Zur Verfügungsgewalt des Kölner Erzbischofs über den Besitz des Klosters Deutz, vgl. ebd., S. 3ff. und S. 214. 13

L a c . I. N r . 1 7 7 , OEDIGER, R e g . , 1 7 . J u n . 1 0 4 1 , S . 7 9 4 .

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Oberhaupt, der Papst. Sollte Erzbischof Hermann II. die "Vita Heriberti" im Hinblick auf den Papstbesuch in Auftrag gegeben haben? In der Tat wird diese, allein aus dem Prolog gewonnene These durch Stil, Inhalt und Aufbau der eigentlichen Vita bestätigt. Von ihrer Länge wie von ihrer Einteilung her war die Vita durchaus geeignet, um dem Gast aus Rom während einer Prozession von Köln nach Deutz oder aber als Lesung vor der Mahlzeit vorgetragen zu werden14. Die Vita ist in eineinhalb Stunden zu lesen. Die Beteuerungen des Autors, nur Weniges aus dem Bände füllenden Leben Heriberts ausgewählt zu haben, bestätigen, daß Lantbert bewußt auf die Kürze der Vita geachtet hat. Er wollte nur soviel aufschreiben, damit die Zuhörer von der Heiligkeit Heriberts überzeugt würden. So habe er alles weggelassen, was seinen Platz nicht in der Vita eines Heiligen habe. Der Leser wird auf die gesta verwiesen15. Bisher wurde vermutet, daß der geistliche Charakter der Vita mit der von ihr bezweckten kultischen Verehrung des Heiligen in Deutz zusammenhänge16. Es ist jedoch merkwürdig, daß sich Lantbert nicht nur über Heriberts Wirken in der Reichsgeschichte, sondern auch über dessen Beziehung zu dem von ihm gegründeten Kloster Deutz weitgehend ausschweigt. Wäre die Vita an ein Deutzer Publikum gerichtet gewesen, so hätte man zu diesem Thema mehr erwartet17. Der geistliche Charakter erklärt sich jedoch, wenn man als Adressaten den Papst Leo IX. annimmt. Dem Adressaten ebenfalls entsprechend ist der stilus difficilis der "Vita Heriberti". Die vollkommenene Reimprosa, der cursus und eine Fülle rhetorischen Schmucks, die der "Vita Heriberti" oft das Prädikat "schwülstig" eintrugen, sind dem hohen Gast, dem sie vorgetragen wurden, angemessen18. Zu dem stilus difficilis gehört auch die Zahlensymbolik der Vita, die mehr als ein "artistische(s) Kabinettsstück" ist, sondern zu der kunstvollen Gestaltung der Vita gehört, mit der Lantbert Leo IX. ehren wollte19. Dieser Punkt bedarf einer längeren Ausführung. Das erste Kapitel, das normalerweise Herkunft und Geburt des Heiligen zum Gegenstand hat, beginnt mit einem Hinweis auf den einen Schöpfergott, von dem Heribert vor allen Zeiten ausgewählt worden sei20. In neuplatonischer Tradition geht alles Sein "durch Emanation aus dem ungeschiedenen 14

HEINZELMANN, Translationsberichte, S. 52, führt mehrere Beispiele von Reliquienprozessionen zum Anlaß des Besuches bedeutender Personen an. WILLMES, Herrscheradventus, S. 69f., bemerkt, daß, wenn vornehme Klostergäste zugegen waren, der Mahlzeit eine Lesung vorausging. Auf S. 75f. weist er darauf hin, daß seit Ludwig dem Frommen die Klosterkonvente am städtisch-bischöflichen Empfang des Königs mitwirkten. Zu der Prozession als Bestandteil eines klösterlichen Herrscherempfanges — am Beispiel des Ordo Farfensis — vgl. WILLMES, Herrscheradventus, S. 169-179. 15 ...ubi tot et tanta per eum ... acta sunt mirìfica, ut immensa requirerent Volumina, si descrìberentur singula. Prol., S. 740, Z. 32ff. Vgl. Joh. 21, 25. ... quod in gestis eius, si qua sint, plenius inveniet, si quis addiscere velit. C. 7, S. 745, Z. 16. Tot et tanta scripta sunt, ut ad fidem meriti eius sujficiant, quae, si singula visa et audita de eo scribantur, modum excedant. C. 11, S. 750, Z. 1 lff. Zum brevitas-Topos vgl. SIMON, Untersuchungen, (1959), S. 82. 16 "Es ist begreiflich, daß man in dem von ihm gestifteten Kloster die kirchliche Seite des Erzbischofs zu verherrlichen strebte, um ihn zu einem Heiligen zu machen. ", WATTENBACH/HOLTZMANN, II, S. 650. So ähnlich auch SCHIEFFER, in: Rhein. Gesch., I, 3, S. 183 und MÜLLER, Heribert, S. 6. 17 Von Kloster Deutz ist lediglich in der zweiten Hälfte des achten Kapitels die Rede (c. 8, S. 746, Z. 18ff.). 18 Zu dem Stil der Vita Heriberti vgl. MÜLLER, Heribert, S. 8f.; POHLHEIM, Die lateinische Reimprosa, S. 407; MANITIUS, Literatur II, 2, S. 364f. " So MÜLLER, Heribert, S. 9. 20 Electissimus itaque archiantistes Creatori rerum Heribertus, ante tempora saecularia in sapientia Dei praeelectus, clarissima Wormacensium progenie mundo editus, natales suos, Deo auspice, meritis illustravit et moribus. C. 1, S. 741, Z. lff.

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Einen hervor, der als erster Ursprung mit Gott gleichgesetzt wird" 21 . Somit führt das erste Kapitel die Herkunft Heriberts auf den Urgrund allen Seins, den einen Schöpfergott, zurück. Zeugung und Geburt Heriberts haben ihren Platz im zweiten Kapitel. Die "Zweiheit" der Eltern Heriberts hebt Lantbert ausdrücklich hervor: ambo maritus et coniux, was durch den Vergleich der beiden Elternteile mit Zacharias und Elisabeth noch verstärkt wird 22 . Drei ist die Zahl der Vollkommenheit, das Symbol alles Spirituellen 23 . Deshalb berichtet Lantbert im dritten Kapitel, wie Heribert, dem die Ausbildung in Worms nicht genügt habe, zur Vervollkommnung seines Dienstes an Gott nach Gorze gegangen sei. Die Gorzer Mönche hätten den Grad der Vollkommenheit erreicht: ... in eis florerent divisiones gratiarum, in uno spiritu absque invidia consummatum perfectionis conficiebant gradum24. Heribert, um wieder mit Lantbert zu sprechen, bewährte sich in Gorze natürlich bestens und wäre auch dort geblieben, wenn ihn sein Vater nicht zurückgerufen hätte25. Heriberts weltliche Laufbahn, seine Zeit als Erzkanzler unter Otto III., ist Gegenstand des vierten Kapitels, denn vier ist die Zahl alles Weltlichen 26 . Die Zahl fünf steht im allgemeinen für das Gesetz 27 . Nach der Wahl Heriberts zum Bischof von Köln, von der das fünfte Kapitel handelt, heißt es bezüglich des Bischofsamtes, daß es unter göttlichem Recht stehe 28 . Das fünfte Kapitel stellt daher den Übergang Heriberts vom weltlichen zum göttlichen Recht dar. Sechs — die Summe ihrer eigenen Divisoren (1 2 3) — ist wieder eine vollkommene Zahl, sie symbolisiert die Vollkommenheit der Schöpfung, oder anders gesagt, ihre Vollendung 29 . Und so überrascht es nicht, daß gerade in diesem Kapitel die feierliche Bischofsweihe Heriberts erzählt wird, die ja den Höhepunkt seiner kirchlichen Karriere bedeutet. In der "Vita Heriberti", die aus insgesamt zwölf Kapiteln besteht, kommt dem sechsten Kapitel als dem mittleren noch eine besondere Bedeutung zu. Die Symmetrie von Kapitel eins bzw. zwei, sechs und zwölf wird von Lantbert deutlich betont. Im zweiten Kapitel stehen Heriberts Geburt und Taufe im Mittelpunkt. Sie sind Anlaß zu großer Freude, aber auch zur Speisung vieler Armen 30 . Geburt und Freude kehren im sechsten Kapitel gesteigert wieder. Die Bischofsweihe fiel auf den Weihnachtstag oder, wie Lantbert schreibt, auf den Tag der Geburt des Herrn. Sie sei Grund zu unbeschreib-

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MEYER, Zahlenallegorese, S. 110. Zur Zahlensymbolik vgl. auch die in Anm. 51 der Einleitung genannten Arbeiten. C. 2, S. 741, Z. 20f. ; quemadmodum euangelizatur de Zacharia et Elizabeth sane ta, ebd., Z. 22.

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MEYER, Zahlenallegorese, S. 117.

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C. 3, S. 742, Z. 15f. Ebd., Z. 16-23. Vgl. den Beginn des vierten Kapitels: Otto iunior, idem et tertius, in faseibus monarchiam regebat, et ultra annos servos Dei passim requirebat, ...et iuxta traditionem canonum dignitatibus extollebat. Is pretiosiorem carbunculo Heribertum ad se accersitum, archicancellarium et secreti sui voluit esse primum. C. 4, S. 742, Z. 28. Zur Symbolik der "vier", MEYER, Zahlenallegorese, S. 123. Ebd., S. 128. ... favet in id ipsum tota curia una consequentia, prudentissimum hunc et emeritum inculcans animarum pontificio; in quem distillari iure deberet a Spiritu paraelyto Patris et Filii benedictio. C. 5, S. 743, Z. 40ff.

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MEYER, Zahlenallegorese, S. 129.

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... quatinus de germine ventris sui sibi etposteris fieret gaudium. C. 2, S. 741, Z. 24f. ... intimant tantam iueunditatem et inexpertam laetitiam. Ebd., Z. 31f. Festus dies in iubilo ducitur, ... ebd., Z. 33. ... mensa copiosior peregrinis pro rudimentis pueri exstruitur ... ebd., Z. 34.

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licher Freude gewesen, und auch hier erwähnt Lantbert, wieviel Heribert nach seiner Weihe für Arme und Fremde getan habe31. Nach christlichem Verständnis ist der Tod immer eine Geburt zu neuem Leben32. So geht auch die Seele des hl. Heribert im zwölften Kapitel von der Vergänglichkeit dieser Welt über in die Herrlichkeit Gottes33. Wieder werden Arme gespeist, und der monatliche Besuch der Kölner zu Heriberts Grab sei immer wieder Anlaß zu großer Freude gewesen34. Geburt, Freude und Armenhilfe finden sich so im zweiten, sechsten und zwölften Kapitel der Vita und verleihen ihr dadurch eine gewisse Symmetrie. Die Stellung des sechsten Kapitels in der Mitte der Vita ist aber noch in anderer Hinsicht eine Stellung des Übergangs, nämlich des Übergangs vom aktiven, weltlichen zum kontemplativen, geistlichen Leben. Nach Gregor dem Großen steht die Zahl sechs unter anderem für die Vita activa, während er die Sieben als Zeichen der contemplatio betrachtet35. So läßt Lantbert Heribert im sechsten Kapitel von Otto III., dem weltlichen Heerführer, Abschied nehmen, da er sich jetzt in die Dienste des himmlischen Heerführers begäbe36. Zwei Vergleiche am Ende des Kapitels zielen in dieselbe Richtung: während Heribert vor seiner Bischofsweihe wie Lea und Martha gewesen sei, so sei er danach wie Rachel und Maria geworden37. Wie die hl. Caecilia trage er nun nach außen prächtige Kleidung, nach innen aber rauhe; und selbst wenn er sich mit weltlichen Geschäften abgeben mußte, so sei doch sein Geist ganz bei Gott gewesen38. Der Charakter des Übergangs bestimmt auch noch das siebte Kapitel. Zwar ist nicht direkt von einem kontemplativen Leben die Rede — das Kapitel handelt von Heriberts

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... sublimatur in sua cathedra, ipsa natalis Domini vigilia. C. 6, S. 744, Z. 16f. Non fuit similis laetitia in Coloniensiumpopulo-, ebd., Z. 18f. ... euangelizare pauperibus misit me. Quis expediat, qualispost consecrationem vixerit, ... ut pauperum hospitum subvenerit inopiae ... ebd., Z. 24ff. STOIBER, Artikel "Geburtstag", in: RAC 66, 1973, Sp. 224ff. Assumpta est igitur margarita quae iacebat in sterquilinio, et posita in coelestis regis ornamento; C. 12, S. 753, Z. 22; ... tua beata sociatur anima in aeterno gloria! Ebd., Z. 32. Kurz vor seinem Tod erkundigte sich Heribert bei demjenigen, dem die Armenhilfe oblag, ob jenen irgend etwas fehle, und verfügte deren Versorgung über seinen Tod hinaus (c. 12, S. 753, Z. 10-15). ... per totam tricesimam cotidie eum adire ... , et pro mirabilibus Dei celebrem innovare laetitiam. Ebd., Z. 41f. Greg. Reg., CCL 144, S. 326; Greg. Hom.Ez., CCL 142, S. 229f., S. 241-255f., S. 266, S. 275. V g l . MEYER, Z a h l e n a l l e g o r e s e , S.

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Inde paulo plus duobus mensibus agit cum caesare; post ab eo absolvitur ... Tum ad confessionem coelestis hostiarii ascendit. C. 6, S. 744, Z. 3ff. Zum Übergang von der militia caesaris zu der militia Christi vgl. S. Severus, Vita S. Martini, hg. von FONTAINE, C. 4, 2 - 8 , S. 260ff. Der Titel miles Christi, der ursprünglich den Mönchen vorbehalten war, wird hier auf einen Bischof angewandt. Daß dieser Ubergang vom "aktiven" zum "kontemplativen" Leben auch Konsequenzen für die Kriegsführung haben sollte, war Lantbert durchaus bewußt, schreibt er doch selbst im siebten Kapitel anläßlich des letzten Heereszuges, zu dem Otto III. Bischof Heribert aufforderte, si quando armis deflceret, consultu huius et prece proflceret. C. 7, S. 745, Z. 7. Zur militia Christi vgl. PRINZ, Klerus und Krieg. Erat Interim Lia lippa et Martha laboriosa, ut per has postmodumfieret Rachel pulcra et Maria parte quae non auferetur electa. C. 6, S. 744, Z. 30ff. Lea und Martha sind wie die Zahl sechs Symbole für die Vita activa, Rachel und Maria stehen wie die Sieben für die Vita contemplativa. Vgl. Greg. H o r n . E z . , C C L 1 4 2 , II, 9 f . , S . 2 3 0 f . u n d ROUET DE JOURNEL/DUTILLEUL, E n c h i r i d o n a s c e t i c u m ,

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S. 605f. ... ut beata Cecilia, etsi auratis et mollibus desuper tegebatur, intus ad camem cilicio utebatur; et si necessario occupabatur exterioribus, Semper circumspectus et sui bene memor, non dimovebatur a spiritualibus. C. 6, S. 745, Z. lff.

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Romzug 1002, der von dem Tod Ottos III. vereitelt wurde — doch heißt es dort, daß Heribert beschlosssen habe, sein künftiges Leben nur noch der Kirche zu widmen, was wohl bedeutet, daß er von nun ab eine Art Vita contemplativa, für die die Zahl sieben steht, geführt habe 39 . Die Symbolik der Acht in der "Vita Heriberti" ist schwer zu erklären. Häufig wird die Acht mit den acht Seligpreisungen oder mit der Auferstehung in Verbindung gebracht. Mit der Acht werden aber auch die Taufe und die Zeit der Gnade verbunden. Nachdem das fünfte, sechste und siebte Kapitel den Übergang Heriberts vom weltlichen zum geistlichen Leben gezeigt haben und bevor im neunten Kapitel die Wunder Heriberts aufgezählt werden, will der Autor im achten Kapitel beweisen, daß der Geist des Herrn auf Heribert ruhte, mit anderen Worten, die besondere Begnadung Heriberts aufzeigen. Die Art und Weise, wie dies geschieht, erinnert sehr stark an die Taufe Jesu im Jordan. Bei einer Bittprozession um Regen umfliegt eine weiße Taube — Zeichen des hl. Geistes — dreimal das Haupt Heriberts: "Man glaubte und erzählte, daß dies ein außergewöhnliches Geheimnis sei, mit dem der heilige Geist den Menschen auf andere Weise sein Heiligtum als seinen Vertrauten zeigen wollte." 40 Nach einem inständigen Gebet Heriberts sei der Regen so reichlich gefallen, daß es in demselben Jahr zu außergewöhnlicher Fruchtbarkeit gekommen sei41. Der ebenfalls im achten Kapitel angeführte Bericht über die Gründung des Klosters Deutz ist wieder Anlaß für die Offenbarung der Begnadung Heriberts. Denn der Ort des Klosters wird ihm in einer Vision von der Gottesmutter zugewiesen 42 . Und als die Zimmerleute keinen geeigneten Kreuzbalken finden, entdeckt Heribert das passende Stück auf wunderbare Weise: "damit dadurch der Verdienst des Heiligen gezeigt würde, weil ja er es war, von dem das passende Stück gefunden wurde. 43 Die Schlußfolgerung beider im achten Kapitel erzählten Episoden ist somit die Begnadung Heriberts. Die Begnadung Heriberts, auf die das achte Kapitel angespielt hat, wird im neunten Kapitel offenbar, denn es behandelt sieben(!) ausgewählte Wunder, die Heribert zu seinen Lebzeiten gewirkt haben soll. Vom ersten bis zum siebten Wunder ist eine Steigerung sowohl in der Länge wie im Inhalt der Wunderepisoden festzustellen. Nach der Heilung eines Besessenen folgen vier Krankenheilungen — mit folgender Reihenfolge: Heilung von Kopfschmerz, Blindheit, Lähmung und tödlichem Fieber —, die Taufe eines Armen und die Rettung eines verurteilten Priesters vor dem Tod 44 . Zehn ist die Zahl der zehn Gebote Gottes. Die Summanden drei und sieben lassen eine Interpretation in Richtung Gottes- und Nächstenliebe zu45. Während die drei dem Verhältnis zu Gott zugeordnet ist, gilt die sieben dem Verhältnis zum Mitmenschen. Im siebten Kapitel hatte Lantbert von der Entzweiung Heriberts und Heinrichs II. berichtet;

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Laborabat exoccupari ulterius curis vitae huius ... ac per hoc solis aecclesiarum intendebat causis ... c. 7, S. 745, Z. 25ff. Credebatur et ferebatur in hoc ingens figurati misterium, ut familiari sibi alite Spiritus sanctus hominibus suumproderet sacrarium. C 8, S. 746, Z. 8ff. Vgl. Jesu Taufe im Jordan Mt. 3,16f., Mc. l,10f„ Lc. 3,21f., Joh. 1,32. Ebd., Z. 13ff. Ebd., Z. 20f. ... ut et in hoc meritum sancti proderetur, dum per eum congruum inveniretur. Ebd., Z. 31f. C. 9, S. 747f. Sieben ist wegen der sieben Geistesgaben und der siebenfältigen Gnade eine heilige Zahl; vgl. dazu MEYER, Zahlenallegorese, S. 133ff. MEYER, Z a h l e n a l l e g o r e s e , S. 1 4 3 f .

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im zehnten Kapitel erfolgt nun die Aussöhnung. So wurde im zehnten Kapitel das Gebot der Nächstenliebe erfüllt46. Kapitel elf beginnt mit einer kurzen Betrachtung über die vom Paradies Ausgeschlossenen und die törichten Jungfrauen47. Diese Betrachtung steht mit dem Rest des Kapitels, in dem von Lichterscheinungen, barmherzigen Taten und dem Grab Heriberts die Rede ist, in keinem Zusammenhang. Die einzig mögliche Erklärung für ihre Aufnahme in das elfte Kapitel ist in dem Symbol der Elf als Zahl der Sünde zu sehen48. Im zwölften Kapitel ist die Zahlensymbolik wieder eindeutig zu fassen. Drei der zwölf Apostel — Petrus, Jakobus und Johannes — werden namentlich angeführt, und auf ihre alttesttamentlichen Praefigurationen, die Patriarchen und die Propheten, weist Lantbert ebenfalls hin49. Diese eher formellen bzw. stilistischen Besonderheiten in Lamberts "Vita Heriberti", die der Widmung an Rom besonderes Gewicht verleihen, werden noch durch zwei inhaltliche Besonderheiten gestützt: die auffallend häufige Nennung der Freude und des hl. Petrus. Die Freude über den Heiligen ist in der ganzen Vita präsent. Im zweiten Kapitel ist die Geburt Heriberts Anlaß zu tantam iucunditatem et inexpertam laetitiam und zu festus dies in iubilo50. Dieselbe unbeschreibliche Freude findet man bei der Beschreibung der Bischofsweihe Heriberts: Non fuit similis laetitia in Coloniensium populo51, bei der zweiten Weihe des Deutzer Klosters: Quapropter mirabili velocitate perfecit ...et quinto Nonas Maii dedicavit in laetitiae et exultationis plenitudine?2 und bei den Wallfahrten der Kölner nach Deutz im Anschluß an Heriberts Tod: per totam tricesimam eum adire ...et pro mirabilibus Dei celebrem innovare laetitiam53. Auch der Prolog nennt als Zweck der Vita: Scripsimus haec ad utilitatem legentium, ut in omni terra nobiscum gauderent, congaudentes transcriberent, et septima decima Kalendas Aprilis in perpetuum diemfestum haberent54. Die Vita ist also weniger zur Erbauung oder gar zur Belehrung geschrieben — die Wörter aedificatio oder imitatio kommen kein einziges Mal vor —, sondern im Gegenteil zur Freude und zum Feiern. Die Freude als Leitidee und Zweck ist ein in der Vitenliteratur ganz seltener Fall. Gewöhnlich wollen Viten erbauen, belehren und zur Nachahmung anregen55. So wollte auch Rupert von Deutz erbauen und belehren, der Anfang des 12. Jahrhunderts auf die Aufforderung des Deutzer Abtes Markward hin

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C. 10, S. 748ff. Non multum in sancto hoc exteriora sunt attendendo miracula, magis Aegypti et operariis iniquitatis communia exclusis a regno, ... Etfatuae virgines a beatitudinis aula secluduntur, ... c. 11, S. 750, Z. 8ff. "Sie (die Elfi) überschreitet die zehn des Dekalogs und bleibt zudem ... unter der Zwölfzahl der Apostel. Ihre Bedeutung ist die transgressio legis, die Sünde." MEYER, Zahlenallegorese, S. 146. Johannes euangelista, dilectus et electus a Domino, . . . c . 12, S. 751, Z. 48. Proinde hortatur epistola Iacobi apostoli, ... c. 12, S. 752, Z. 5f.; domai sancti Petri, ebd., Z. 14, Petro saepenumero committendo peroravit, ebd., Z. 15f. ; Recordabatur apostoli dicentis, ebd., Z. 29; patriacharum etprophetarum exultât collegio, apostolorum medio locatur numero, c. 12, S. 753, Z. 28f. ; vgl. MEYER, Zahlenallegorese, S. 146ff. C. 2, S. 741, Z. 24f. und Z. 33. C. 6, S. 744, Z. 18f., wie Anm. 35. C. 8, S. 746, Z. 49ff. C. 12, S. 753, Z. 41ff. Prol., S. 740, S. 37ff. Vgl. SIMON, Untersuchungen (1959), S. 109ff.; ZOEPF, Das Heiligenleben, S. 6; HUG, Elemente, S. 4; DELEHAYE, Légendes, S. 64; DE GAIFFIER, Hagiographie et historiographie, S. 141f.

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eine neue Fassung der "Vita Heriberti" schrieb56. In seinem Prolog gibt er als Zweck nicht die Freude, sondern die Erbauung seiner Zuhörer an: "Du mögest selbst urteilen, ob du an diesem Werk irgendeinen Nutzen hast, d.h., ob diese spätere Schrift besser oder schlechter zur Erbauung der Zuhörer geeignet ist, als es die früheren Schriften, mit denen du nicht zufrieden warst, waren."57 Daß Abt Markward Lamberts Fassung der "Vita Heriberti" durch eine neue ersetzen wollte, scheint demnach nicht nur eine Frage des gewandelten Geschmacks gewesen zu sein, wie man bisher annahm58. Lantbert, der seine Vita im Hinblick auf den Papstbesuch verfaßte, wollte in erster Linie ein festliches Werk schreiben. Wo er durch kunstvollen Aufbau und gewählte Sprache gaudium anstrebt, erklärt und erläutert Rupert. Lantbert beläßt es bei Anspielungen. Er erwähnt das Erscheinen der Taube nur als misterium, mit dem der hl. Geist den Menschen seinen Diener offenbaren wollte59. Rupert dagegen erläutert den symbolischen Gehalt der Taube60. Ein belehrender Satz, wie: A quo etiam persuasus hic beatus iugum Domini scilicet presbiterii honorem, alacriter suscepit61... ist typisch für Ruperts Version und fehlt bei Lantbert ganz. Wie sich bei Lantbert das Motiv der Freude durch die ganze Vita zieht, so fordert Rupert seine Leser immer wieder zur Nachahmung des Vorbildes Heribert auf.62 Die Angaben in beiden Prologen haben sich so als durchaus ernst zu nehmende Aussagen über Zweck und Inhalt der folgenden Viten erwiesen. Denn Lantbert löst seine Ankündigung einer "Festschrift" ein, und Rupert erfüllt die ihm gestellte Aufabe, eine erbauliche, d.h. eine moralisch und theologisch belehrende Schrift zu verfassen, voll und ganz. Eine weitere inhaltliche Besonderheit, die auf den Papst als den ersten und eigentlichen Empfänger der "Vita Heriberti" hinweist, ist die auffallend häufige Erwähnung des Apostelfürsten Petrus. Lantbert schreibt, daß Heribert im "Haus des Apostelfürsten", der Wormser Domschule, erzogen worden sei63. Später habe man ihm das "Amt des

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Rupert stammte aus dem St. Lorenzkloster in Lüttich. Er war einer der "größten Theologen seiner Zeit" (WATTENBACH/HOLTZMANN, II, S. 657). Er lebte lange Zeit im Kloster Siegburg, bevor er vom Kölner Erzbischof Friedrich zum Abt von Deutz (1120-1129) berufen wurde. Sein Vorgänger, Markward, hat ihn um eine Neufassung der Vita Heriberti gebeten. Die jüngste, hier verwendete Ausgabe der Vita Heriberti Ruperts besorgte DINTER, Rupert von Deutz; vgl. zu Rupert auch MÜLLER, Heribert, S. 20ff. Tu ipse iudicato, utrum id efficiendo quidquam profeceris, id est utrum prioribus scriptis, que non tibi satisfaciebant, hoc posterius scriptum ad edificationem audientium magis an minus idoneum sit. DINTER, Rupert von Deutz, S. 31,8. In seinem Kommentar schreibt DINTER, ebd., S. 113: "Dem gewandelten Inhalt der Meditationen entspricht eine andere Form, die einem anderen Zweck dient als bei Lampert." DINTER sieht in der Erbauung ebenfalls den Hauptzweck von Ruperts Vita Heriberti. Vgl. ebd., S. 118 und 123. MÜLLER, Heribert, S. 21. DINTER, Rupert von Deutz, S. 109, schreibt, daß es Abt Markward um eine "stilistische Neufassung" ging. Wie Anm. 40. DINTER, Rupert von Deutz, c. 11, S. 50, Z. 8-13. Ebd., c. 5, S. 37, Z. 2. So z.B. wenn Lantbert die Jesaja-Stelle, die Heribert anläßlich seiner Bischofsweihe aufgeschlagen haben soll, als Prophezeiung für dessen künftiges, den Armen gewidmetes Leben wertet und Rupert die Bedeutung dieses Satzes auf alle Getauften ausdehnt und erläutert: ipsi singuli scire debent et de semetipsis post Christum dicere possunt: Spiritus Domini super me ... ebd., c. 9a, 7, S. 45; vgl. ebd., Prol., 5, S. 31; c. 7, 11, S. 41; c. 9a, 10, S. 46; c. 15, 10, S. 57; c. 23, 3f., S. 64; c. 23, 14-16, S. 65f. ... ac pro hoc Wormaciae idoneis personis contradunt eum in domo apostolorumprincipis, ubi cum exteriori discipUna utriusque testamenti imbueretur paginis. C. 3, S. 741, Z. 44ff.

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Stellvertreters Petri", das Bischofsamt, am "Sitz desselben", dem Kölner Petrusdom, übertragen64. Als Bischof habe er den "Stab des hl. Petrus" erhalten, der in Köln als Reliquie verehrt wurde65. Als Bischof sei er ad Petri limina in den Kölner Dom eingezogen66. Schließlich sei es auch der hl. Petrus gewesen, der Heinrich II. im Traum unter Androhung von Strafe zur Versöhnung mit Heribert aufgefordert habe. Diese Geschichte erzählt Lantbert, obwohl er, wie er ausdrücklich schreibt, weder mündliche noch schriftliche Quellen dafür besäße67. Doch kann er mit ihr zeigen, daß sich der hl. Petrus persönlich des Schicksals seines Stellvertreters Heribert annahm. Lantbert lag offensichtlich sehr viel daran, eine besondere Beziehung zwischen Heribert und dem hl. Petrus aufzuzeigen, um darüberhinaus auch auf die besondere Beziehung zwischen Köln und Rom hinweisen zu können. Dabei scheint es Lantbert weniger darum gegangen zu sein, Heribert als Nachfolger des hl. Petrus aufzuzeigen68. Nur einmal wird Heribert als "Nachfolger Petri auf dessen Stuhl" (=Kölner Petrusdom) bezeichnet, doch fehlt in den anderen Petruszitaten jeder Hinweis auf einen Anspruch der Petrusnachfolge. Heribert wird nie mit Petrus, dafür aber mit anderen Heiligen verglichen69. Die Petruszitate beziehen sich statt dessen meist auf das "Haus" Petri, gemeint sind der Wormser und der Kölner Petrusdom. Nur einmal erscheint der hl. Petrus als Schutzpatron Heriberts. Aus diesem Grund scheinen die Petruszitate tatsächlich mehr den Zweck gehabt zu haben, auf das Köln mit Rom verbindende Petruspatrozinum hinzuweisen, als für Heribert die apostolische Nachfolge zu beanspruchen. Das gemeinsame Petruspatrozinium — und sicher auch die Petrusstab-Reliquie — konnten die Kölner Leo IX. übrigens eindrucksvoll demonstrieren, denn es sei noch einmal daran erinnert, daß Leo IX. das Petruspatrozinium am 29. Juni 1049 gemeinsam mit Heinrich III. und Erzbischof Hermann II. im Kölner Petrusdom beging70.

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... servum Domini Heribertum donari et transmitti expetentium beati Petri in sede ipsius vicarium. C. 5, S. 743, Z. 39f. Defertur ob id a Roma ipse Petri baculus, et praesente papa per eum vas electionis Heribertus Agrippinae Coloniae creatur episcopus; c. 6, S. 744, Z. lff. Nach einer Trierer Legende soll Petrus seinen Stab den ersten Trierer Bischöfen übergeben haben. Erzbischof Brun habe ihn dann von Metz nach Köln überführen lassen; vgl. dazu BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 31f. ... praesulum agmineperduciturfldelis Samuhel ad Petri limina ... sublimatur in sua cathedra, ... c. 6, S. 744, Z. U f f . Cum imminente nocte per spiritum soporato caesari persona sacerdotalibus infulata terribilis apparuit, et eum cum auctoritate, ne quidquam sinistri ulterius in servum suum Heribertum moliretur, interminando exterruit. Petrum huncfuisse conicio, etsi neque dictum neque scriptum invenio. C. 10, S. 749, Z. 4ff. So versuchte PETERS, Studien, S. 217-225, nachzuweisen, daß sich die Bischöfe — und insbesondere die Kölner Bischöfe — zu Beginn des 12. Jahrhunderts in der direkten Nachfolge des hl. Petrus sahen, auch wenn ihre Kirchen im Unterschied zu Köln kein Petruspatrozinium besaßen. Meine Ausführungen lassen erkennen, daß den Kölnern schon im 11. Jahrhundert das mit Rom gemeinsame Petruspatrozinium bewußt war, und sie es auch für ihre Zwecke einzusetzen verstanden. Allerdings leiteten sie daraus noch keine Ansprüche auf apostolische Nachfolge ab. PETERS Vermutung, "daß das PetrusPatrozinium mitwirkte, als man daranging, diese Auffassung zu entwickeln" (S. 225), kann somit gestärkt werden. So mit dem Gottesmann Samuel (wie Anm. 66), mit Lea, Rachel, Martha und Maria (wie Anm. 37), mit der hl. Caecilie (wie Anm. 38), mit Elias (c. 8, S. 745, Z. 41), mit der hl. Scholastica (c. 8, S. 746, Z. 16), mit dem hl. Vincenz (c. 11, S. 750, Z. 40), mit dem hl. Benedikt (ebd. Z. 42) und mit den hll. Martin und Laurentius (c. 11, S. 750, Z. 20f.); vgl. Anm. 64. Vgl.obenAnm.il.

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Konnte mit den bisherigen Ausführungen wahrscheinlich gemacht werden, daß die "Vita Heriberti" aus Anlaß des Besuches Leos IX. von dem Kölner Erzbischof in Auftrag gegeben wurde, so weist eine zentrale Stelle der Vita darauf hin, daß die "Vita Heriberti" kein selbstloses Geschenk an den Papst war. In ihr ist nicht nur von dem Rom und Köln gemeinsamen Petruspatrozinium die Rede, es werden auch beide Kirchen als matres aecclesiae angesprochen: "Deswegen wurde von Rom der Stab des hl. Petrus herbeigeschafft, und mit ihm wurde in Gegenwart des Papstes (Silvester II.!) das erwählte Gefäß, Heribert, zum Bischof von Köln Agrippina geweiht; und die Mütter der Kirche, die dasselbe Patrozinium hatten, wurden dadurch auf anmutige Weise zu derselben wundersamen Teilhabe verbunden."71 Die Bezeichnung mater aecclesiae ist typisch für die Frühreform der Kirche. Sie veranschaulicht bildhaft die Beziehung der Einheit bzw. Abhängigkeit, die zwischen der römischen und der universalen Kirche nach Auffassung der Reformer herrschen sollte72. Otto III. hat sie in der Proklamation zu seiner berühmten "Schenkungsurkunde" von 1001 verwendet, um so die "Universalität des apostolischen Amtes auf Kosten der stadtrömischen Funktion des episcopus Romanae sedis" zu stärken73. 1047 hat Suidger von Bamberg alias Clemens II. die Metapher in seinem Privileg für die Bamberger Kirche, die er als seine Braut bezeichnet, wieder aufgegriffen, um durch die Gegenüberstellung der Braut- und Muttermetapher das stadtrömische Bischofsamt zu verdrängen und seine Annahme der Papstwahl bei Beibehaltung des Bamberger Bistums zu rechtfertigen74. Gregor VII., der sich 1049 als Diakon und Begleiter des abgesetzten Gregor VI. ebenfalls in Köln befand, besaß eine besondere Vorliebe für diesen Ausdruck75. Indem Lantbert diesen, in Bischofskreisen bekannten Ausdruck aufgreift, drückt er die Ergebenheit der Kölner Kirche gegenüber ihrer römischen Mutter und deren Stellvertreter, dem Papst, aus. Lantbert belegt sowohl Rom wie Köln mit dem Ehrentitel mater aecclesiae. Beide Kirchen, der Petersdom in Rom sowie der Petrusdom in Köln — schon durch ihr gemeinsames Patrozinium geeint —, seien in diesem Akt auf wunderbare Weise verbunden worden. Neben der wundersamen Einheit der Kölner und der römischen Kirche verbirgt diese scheinbar harmlose Stelle noch einen gewaltigen Anspruch: Wie Rom die Mutter der ganzen Kirche ist, so sei auch Köln eine mater ecclesiae. Eine Mutter ohne Kinder gibt es nicht. Daß mit den Kindern der Kölner Kirche die deutschen Bischöfe gemeint waren und daß Lantbert mit dieser Anspielung

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Defertur ob id a Roma ipse Petri baculus, et praesente papa per eum vas electionis Heribertus Agrippinae Coloniae crealur episcopus; et decenter matres aecclesiae, quae unius erant patrocinii, mirabili unius confoederabantur tenore participii. C 6, S. 744, Z. lff. Vgl. dazu GOEZ, Papa qui et episcopus, S. 50; CONGAR, Der Platz des Papsttums, S. 199 und 202; weitere Beispiele für diesen Ausdruck in Viten des 11. Jahrhunderts bei DE GAIFFIER, L'hagiographie en Fiandre, S. 500 und 502. Lantbert selbst nimmt diesen Ausdruck im Prolog zu den miracula S.Heriberti wieder auf, MGH SS 15, II, Prol., S. 1246, Z. 4f. Romam caput mundi profitemur, Romanam ecclesiam matrem omnium ecclesiarum esse testamur. MGH DD Otto III., Nr. 389. Vgl. dazu SCHRAMM, Kaiser, Rom, S. 161ff.; BEUMANN, Reformpäpste, S . 196f. Sed nescio, quo divinitus Consilio evenit, ut matri tuae omniumque aecclesiarum consociarer et aliquid, non tarnen omnino, a te segregarer. J.L. 4149; Germania Pontificia 3, 3, S. 252, Nr. 9; vgl. dazu BEUMANN, Reformpäpste, S. 201ff. Vgl. GOEZ, Papa qui et episcopus, S. 57ff.

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implizit den Primat in der Reichskirche für den Kölner Erzbischof beanspruchte, wird durch die ebenfalls harmlos scheinende Nennung des Petrusstabes unterstützt. Beide Besonderheiten werden nur durch den historischen Kontext der Vita verständlich. So muß man wissen, daß der Stab des hl. Petrus in den Auseinandersetzungen um den Primat in der deutschen Kirche eine entscheidende Rolle spielte. Die Trierer Erzbischöfe behaupteten, daß der hl. Petrus den ersten Trierer Bischöfen durch die Übergabe seines Stabes den Primat über Gallien und Germanien zugesprochen und dadurch sogar seine eigene Würde gemindert habe76. Der Primatstreit der rheinischen Erzbischöfe ist also der historische Kontext, in dem Lantbert seine "Vita Heriberti" schrieb und dessen Kenntnis zur richtigen Bewertung der Vita notwendig ist. Egon Boshof, Helmut Beumann und Heinz Thomas konnten in ihren Untersuchungen zeigen, daß sich seit dem 10. Jahrhundert die Erzbischöfe der Städte Köln, Mainz und Trier um den Primat in der deutschen Kirche stritten77. Der Primat war nicht nur Prestigesache. Mit ihm war das Recht, den König zu krönen und den Vorsitz auf Synoden zu führen, verbunden. In unserem Zusammenhang ist es nun sehr aufschlußreich, daß dieser Streit von Anfang an Anlaß zu Fälschungen, Geschichtsschreibung und Hagiographie war. Dies ist am besten für Trier erforscht, wo die Erinnerung an vergangene Größe noch sehr wach war und wo man es nicht hinnehmen wollte, von Mainz und Köln an Bedeutung und politischem Einfluß überflügelt zu werden 78 . So entstanden in Trier um die Mitte des 10. Jahrhunderts — nachdem sich 936 bei dem Streit, wem das Recht zukäme, Otto I. zu krönen, Hildibert von Mainz durchgesetzt hatte — die Viten der ersten Trierer Erzbischöfe, Eucharius, Valerius und Maternus 79 . Nach Erich Winheller ist die "Vita Eucharii" im Hinblick auf die Erlangung des Primates über Gallien und Germa-

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Sicut in gentilitate proprio virtute, sortire et nunc Trebir primas super Gallos et Germanos prioratum, quem tibi prae omnibus harum gentium episcopis in primitivis christianae religionis doctoribus, scilicet Euchario Valerio et Materno, ac per baculum caput ecclesiae Petrus signavit habendum, suam quodammodo minuens dignitatem, ut te participemfaceret. Es handelt sich hier um eine Stelle aus dem Silvesterprivileg, einer berühmten Trierer Fälschung aus dem 10. Jahrhundert. Papst Silvester I. (314335) soll sie dem Trierer Bischof Agritius ausgestellt haben. Abgedruckt in MGH SS 8, S. 152, Z. 11-21 und BEYER, UB I, Nr.l; vgl. dazu BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 30ff.; DERS., Das Erzstift Köln, S. 57ff.; THOMAS, Studien, S. 181. Es ist darauf hinzuweisen, daß das participemfaceret aus dem Silvesterprivileg in der Vita Heriberti seine Entsprechung in unius confoederabantur tenore participii hat (vgl. Anm. 71). Daß die Überzeugung, der hl. Petrus habe Trier mit der Übergabe seines Stabes den Primat verliehen, noch im 12. Jahrhundert lebendig war, beweisen die sogenannten Trierer Stilübungen, hg. und kommentiert von HÖING, AfD 1/1955, S. 318-329, bes. § 7, S. 321: quod et vobis Petrus baculo suo tradidit, sicut ipse a Domino accepit, ut vos solus sitis inter omnes post Petrum, sicut ipse post Christum. Nach Köln soll der Petrusstab durch Erzbischof Brun gekommen sein, der ihn aus Metz dorthin gebracht habe: Baculum et catenam sancti Petri, qua diligencia, quofervore, quo gaudio Coloniam, alterum Metti, alteram Roma adduxerit, omnis noverunt. Ruotgeri Vita Brunonis, hg. von OTT, MGH SS rer. Germ, nova series X, c. 31, S. 31, Z. 28ff. Grundlegend BOSHOF, Köln, Mainz Trier, S. 19-47. Zu den Auseinandersetzungen im 10. Jahrhundert, BEUMANN, Die Bedeutung Lotharingiens, S. 14-46, bes. S. 23-46; zu den Auseinandersetzungen im 11. Jahrhundert THOMAS, Studien; DERS., Siegfried I. von Mainz, S. 368-399. In Trier hatten sich die Erzbischöfe schon im 9. Jahrhundert gegen Reims den Primat in der Gallia durch Fälschungen zu sichern gesucht; vgl. BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 20ff. Vita Eucharii et sociorum eius, AA SS, Jan.2, S. 918-922, vgl. WINHELLER, Die Lebensbeschreibungen, bes. S. 44. Zu dem Selbstverständnis Triers als apostolische Gründung, ebd., S. 35, LEVISON, Die Anfänge; EWIG, Kaiserliche und apostolische Tradition; DERS., Trier im Merowingerreich, S. 27 f.

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nien, den Erzbischof Theoderich (965-977) 969 erreichen konnte, ausgestellt worden80. Die drei heiligen Trierer Bischöfe werden in der Vita als Petrusschüler ausgegeben — obwohl sie in Wirklichkeit im 4. Jahrhundert gelebt haben —, und auf diese apostolische Tradition berief sich Trier bei seinen Primatsansprüchen. Die Erinnerung an sie wurde auch in Predigten und Gedichten wachgehalten81. Die Trierer Bischöfe sahen sich selbst als Stellvertreter Petri und ihre Stadt als secunda Roma an82. Sie ließen Privilegien falschen, um ihren Primatsanspruch zu untermauern und Mitte des 11. Jahrhunderts Münzen mit der Aufschrift S.PETRUS/SCDA ROMA prägen83. Wie lebendig und wirkungsvoll dieses Selbstverständnis war, zeigt die von Leo IX. 1049 für Trier ausgestellte Primatsurkunde, in der es heißt, daß auch die künftigen Trierer Bischöfe wie ihre ersten Vorgänger immer Schüler der römischen Kirche bleiben sollten84. Der Trierer Primatsanspruch gründete sich so auf die enge, durch die apostolische Tradition der Stadt hergestellte Beziehung zwischen Trier und Rom. Dabei scheint die reiche propagandistische Aktivität der Stadt Trier mit dem in Wirklichkeit schwindenden politischen Einfluß der Moselmetropole zusammenzuhängen85. In Mainz sah die Sachlage gerade umgekehrt aus. Als Erzkanzler und Erzkapellan des deutschen Reiches hatte der Mainzer Erzbischof die prima sedis imperii inne, er nahm in ottonischer Zeit das Krönungsrecht wahr und besaß in der Reichskirche eine überragende Stellung86. Doch als nach 1028 Köln immer mehr in den Vordergrund drängte, begann man auch in Mainz zu schreiben87. Wie im folgenden Kapitel gezeigt werden soll, ist Vulkulds "Vita Bardonis" von 1051 im Zusammenhang mit dieser "Krisensituation" zu sehen. Für die von Gozwin zwischen 1060 und 1062 verfaßte "Passio Albani" hat schon Heinz Thomas nachgewiesen, daß die Mainzer mit ihr die überspann-

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WLNHELLER, Die Lebensbeschreibungen, S. 44. Im gleichen Sinne schreibt BEUMANN, Die Bedeutung Lotharingiens, S. 29, vom Trierer Silvesterprivileg und der Euchariusvita: "Es ist kaum zu bezweifeln, daß sie zur Erlangung eines Privilegs Papst Johannes XIII. für Erzbischof Dietrich vom Jahre 969 vorgelegt worden sind." Vgl. THOMAS, Studien, S. 158ff. Vgl. ebd., S. 162ff. und BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 32f. An Fälschungen ist vor allem das Silvesterprivileg aus dem 10. Jahrhundert zu nennen (BEYER UB I, Nr. 1), in dem Papst Silvester (314-315) dem Trierer Erzbischof Agritius den Primat bestätigt; vgl. dazu WlNHELLER, Die Lebensbeschreibungen, S. 40; BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 30ff. Zu den Münzprägungen ebd., S. 32; THOMAS, Studien, S. 186. Zu dem Trierer Anspruch Roma secunda zu sein, ebd., S. 162-179. Pro amore discipulorum s. Petri quos pretulimus Eucharii, Ualerii, Materni, ab omnibus acclamatum est iure primatum ipsum uobis uestrisque successoribus deberi, qui in cathedra sedetis eorum discipulorum s. Petri. Quapropter omnibus ipsis laudantibus et respicientibus pro inuestitura ipsius primatus Romana mitra caput uestrum insigniuimus, qua et uos et successores uestri in ecclesiasticis officiis Romano more Semper utamini semperque uos esse Romanae sedis discipulos reminiscamini. BEYER, UB I, Nr. 329, S. 384; vgl. BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 37f. Zu dem seit der Wiedereingliederung Lothringiens in das deutsche Reich ständig sinkenden politischen Einfluß Triers BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 23, 33f., 45f. Vgl. BEUMANN, Die Bedeutung Lotharingiens, S. 23ff.; FLECKENSTEIN, Die Hofkapelle II, S. 22ff.; FALCK, Mainz, S. 62ff. Als einschneidendes und zukunftsweisendes Ereignis wird die Weigerung Erzbischof Aribos von Mainz, die Kaiserin Gisela zu krönen, gewertet. Denn sie ermöglichte es dem Kölner Erzbischof Pilgrim, sowohl die Krönung der Kaiserin wie die ihres Sohnes, Heinrich III., 1028 in Aachen, vorzunehmen; vgl. dazu BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 37 und 42f.; Nachfolger Aribos wurde der in der Reichspolitik kaum hervorgetretene Bardo von Mainz (1031-1051). Zu Bardo vgl. unten Kapitel VI, Anm. 12.

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ten Trierer Primatsansprüche zurückweisen und den Primat für Mainz beanspruchen wollten88. Gozwin führt den Mainzer Primatsanspruch auf den hl. Bonifatius zurück. Seit Bonifatius besäße die Mainzer Kirche das apostolische Vikariat über Gallien und Germanien89. Auch hier basiert der Primatsanspruch auf einer besonderen Beziehung zwischen Mainz und Rom. Von Erzbischof Siegfried von Mainz (1060-1084), dem die "Passio Albani" gewidmet ist, sind noch weitere Zeugnisse überliefert, die, wie Thomas zeigte, auf seine Bemühungen hinweisen, die Stadt Mainz in einer bevorzugten Beziehung zu Rom darzustellen und aus dieser privilegierten Stellung seinen Anspruch auf die Führung im deutschen Episkopat abzuleiten90. So nannte Siegfried in einem Brief an Gregor VII. seine Stadt Mainz Romanae ecclesiae specialis filia, ein Titel, der wenig später in das Mainzer Stadtsiegel aufgenommen wurde91. Wie gesagt, hatte Köln seit 1028 unter Erzbischof Pilgrim immer größeren politischen Einfluß gewinnen können. 1032 erreichte Pilgrim auch noch das Erzkanzellariat für Italien92. Sein Nachfolger, Hermann II. (1036-1056), war als Enkel Ottos II. ein prominenter consanguineus regis. Er ist auch als einflußreicher Ratgeber Heinrichs III. bekannt93. Eben dieser Erzbischof Hermann II. ist als Auftraggeber der "Vita Heriberti" anzusehen, und ihm wurden von Leo IX. Privilegien zuerkannt, mit denen er seine Rivalen in Mainz und Trier endgültig überbieten konnte. Diese für die Entstehung der "Vita Heriberti" verantwortliche "zweite entscheidende Phase"94 des Rangstreites der rheinischen Erzbischöfe begann mit dem Pontifikat Leos IX. (1049-1054). Kurz nach seiner Wahl, am Ostersonntag des Jahres 1049, übertrug Leo IX., der zunächst auch noch Bischof vonToul blieb, seinem "einstigen" Metropoliten, Erzbischof Eberhard von Trier, den Primat für Gallien und Germanien unter ausdrücklicher Berücksichtigung der ersten Trierer Bischöfe als Petri-Schüler95. In den Metropolen jenseits der Alpen stieß diese Auszeichnung Triers auf Protest. So kam es auf der Reimser Synode vom Oktober 1049 zu einer Auseinandersetzung um den Vorsitz zwischen Reims und Trier96. Doch schon fünf Monate zuvor, im Juni 1049, haben die Kölner bei Leo IX. gegen die Trierer Ansprüche protestiert und auf ihre eigenen Primatsansprüche hingewiesen. Bisher konnte dieser Sachverhalt nur durch zwei Quellen belegt werden. Dabei handelt es sich zum einen um einen Brief Gregors VII. an Erzbischof Anno von Köln (1056-1075), in dem der Papst letzteren daran erinnert, daß er einst den honor der Kölner Kirche gegen den Trierer Erzbischof verteidigt habe

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Gozwins Passio Albani hat HOLDER-EGGER in Auszügen herausgegeben, MGH SS 15, II, S. 984-990; vgl. THOMAS, Studien, S. 39-63, bes. S. 44 und 207f.; BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 43f. ... cunctorum assensu adiucavit apostolicus pontifex Gregorius, deinde Zacharias, magnum Bonifacium et sedem illi creditam primatus dignitate et pallii honore perpetualiter insigniri et per totam Galliam Germaniamque in ormibus conciliis et ecclesiasticis conventibus apostolica viceflingi. MGH SS 15, II, c. 27, S. 989, Z. 27ff. Dazu und zum folgenden, THOMAS, Siegfried I. von Mainz, S. 388 und 390; BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 44. THOMAS, Siegfried I. von Mainz, S. 390. FLECKENSTEIN, Die Hofkapelle II, S. 15 und S. 165f. ZIELINSKI, Der Reichsepiskopat, S. 41f., 175f., 233, 235, mit weiterführender Literatur. BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 37. Wie Anm. 84. Nach BOSHOF nutzte Eberhard die Gunst der Stunde, da Leos IX. Stellung in Rom noch nicht gefestigt war und er noch der Unterstützung aus der Heimat bedurfte; ebd., S. 37f. Bericht über die Reimser Synode, Mansi, Sacrorum conciliorum ... collectio, Bd. 19, col. 736f.; vgl. BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 39, Anm. 67; BLUMENTHAL, Ein neuer Text.

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und dies trotz der ablehnenden Haltung Leos IX.97. Gregor VII. hat sich nämlich tatsächlich 1049 in Köln aufgehalten, wohin er, als Diakon Hildebrand, dem abgesetzten Gregor VI. ins Exil gefolgt war. Der zweite, wichtigere Beleg für den Kölner Protest ist eine Urkunde Leos IX. aus dem Jahre 1052, die lange Zeit als Fälschung galt, aber vor kurzem von Heinz Wolter als in allen Teilen authentisch erwiesen wurde98. Mit dieser Urkunde wurden dem Kölner Erzbischof dieselben Ehrenrechte wie dem Mainzer und dem Trierer Metropoliten zuerkannt. Darüberhinaus wurde ihm die römische Erzkanzlerwürde verliehen. Die wichtigsten, die Primatsfrage betreffenden Bestimmungen sind die Anerkennung des Vorsitzes des Kölner Erzbischofs auf allen Synoden, die infra tuam dioecesin stattfinden, sowie das Recht, die Königskrönung vorzunehmen, falls dieser Akt in der Kölner Kirchenprovinz — was für Aachen ja der Fall ist — stattfand. Diese Rechte sind, wie Wolter vermutet, Hermann II. 1049 zunächst mündlich zugesagt worden, bevor sie Leo IX. 1052 urkundlich bestätigte99. In Zukunft werden nicht nur der Brief Gregors VII. und die Urkunde Leos IX., sondern auch die "Vita Heriberti" als Beleg dafür anzusehen sein, daß man in Köln 1049 auf die Ehren- und Primatsrechte der Metropole gepocht hat. Wie gezeigt werden konnte, machten die Kölner Leo IX. mit dieser Vita auf das Rom mit Köln verbindende Petruspatrozinium ebenso aufmerksam, wie sie Rom als mater ecclesiae anerkannten und gleichzeitig für sich beanspruchten, auch ihrerseits mater ecclesiae zu sein. Mehrere Elemente dieser Urkunde weisen nämlich darauf hin, daß sie in einem ursächlichen Zusammenhang mit der "Vita Heriberti" zu sehen ist, ja daß die Vita dem Papst bei der Abfassung der Urkunde bekannt gewesen ist, wenn sie ihm nicht sogar vorgelegen hat100. So findet man zunächst in der Urkunde die Anspielung auf das Rom und Köln gemeinsame Petruspatrozinium, was um so auffälliger ist, als es in der Vita wie in der Urkunde mit dem Bild der mater aecclesiarum verbunden ist: "Weil du vom römischen Stuhl gefordert hast, dir die Privilegien zu bestätigen, ... schien es uns würdig und für die Kirche notwendig, deiner Bitte zu willfahren, besonders deshalb, da die (Kölner!)

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Et sicut adhuc Romanae ecclesic fllii testantur, tempore beati Leonis pape_ Treverensi episcopo pro honore ecclesiz vestrc, quod hisdem beatus Leo egre tulit, viribus totis restitimus. MGH Epp. sei. 2, 1, S. 113; OEDIGER, Regesten, Nr. 817; vgl. BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 41. "Bei dieser Gelegenheit (dem Papstbesuch von 1049!) scheinen all jene Fragen verhandelt worden zu sein, die in dem großen Privileg Leos IX. vom 7. Mai 1052 zu einer eindrucksvollen Rechtsstellung der Kölner Kirche zusammengefaßt worden sind." BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 41; WOLTER, Das Privileg, S. lOlff. Zur Auseinandersetzung mit der Fälschungshypothese der älteren Forschung, ebd., S. 115-120 und jetzt Germ. Pont. VII, Nr. 147, S. 57. LÜCK, Die Kölner Erzbischöfe, S. 46, der sich in einem Nachtrag mit dem Privileg Leos IX. für die Kölner Kirche befaßt, vermutet, "daß schon am 29. Juli 1040 ein päpstliches Privileg über das römische Kanzleiamt des Kölner Erzbischofs ausgestellt worden ist, das allerdings verlorengegangen sei." WOLTER, Das Privileg, S. 118. Daß dieses Vorgehen nicht außergewöhnlich war, zeigt die parallele Handlungsweise des Trierer Erzbischofs Theoderich, der 969 Papst Johannes XIII. mit der Vita Eucharii auf die apostolische Tradition seiner Stadt hinwies und daraufhin in einer Urkunde den Primat mit folgenden Worten zugestanden bekam: Theodorico ... veniente Romam oratum ad ss. apostolorum limina, audivimus etiam, sicut pridem audiendo immo et legendo compertum habuimus, eandem ipsam prae ceteris Galliarum ecclesiis christianae religionis exordium catholicaequefideiprima rudimenta percepisse per ss. virorum Eucharii, Valerii ac Matemi et ceterorum evangelicam doctrinam, quos tempore suo praedictus b. Petrus apostolus ordinavit et instruxit necnon illuc ad praedicandum direxit. BEYER, UB I, Nr. 232, S. 288.

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Kirche dem Namen des Apostelfürsten Petrus geweiht ist, wie ihre Mutter, der wir dank göttlicher Gnade vorstehen, damit, wer die Mutter nachahmt, dies als Tochter tun möge und so in seiner kirchlichen Würde eine Weile unter ihren Flügeln geschützt werde."101 Leo IX. hat den Ausdruck von der mater ecclesiarum sonst nur noch in seinem Schreiben an den Patriarchen Michael von Konstantinopel verwandt, was ein weiterer Beweis für den engen Zusammenhang zwischen der "Vita Heriberti" und der Urkunde von 1052 ist102. Auch an zwei weiteren Stellen der Urkunde — der Bestätigung des Kölner Erzbischofs als Erzkanzler des Papstes und der Gewährung von sieben Kardinalspriestern für den Kölner Dom — wird deutlich, daß dem Papst das gemeinsame Petruspatrozinium durchaus bewußt war103. Sehr aufschlußreich ist ebenfalls, daß in den Besitzbestätigungen der Urkunde lediglich drei Kölner Eigenklöster namentlich genannt werden, wobei das Deutzer Kloster an erster Stelle steht! Auch hier fehlt der Zusammenhang mit dem hl. Petrus nicht. Denn als Kölner Eigenkloster war auch das Deutzer Kloster dem hl. Petrus, dem Patron des Kölner Doms, übergeben worden, dessen Stellvertreter, der Kölner Erzbischof, dem Kloster dafür seinen Schutz gewährte104. Dies ist besonders auffallend, da von dem Deutzer Kloster als monasterium s. Heriberti die Rede ist, obwohl das Kloster zu diesem Zeitpunkt noch unter dem Patrozinium der Gottesmutter und Christus stand105: Bona autem, quae usque modo tenuit vel in aeternum cum iustitia acquirere poterit, hoc apostolico munimine laudamus et corroboramus, videlicet monasteria et ecclesias Coloniae positas, monasterium s. 101

Quia postulasti a Romana, ... sede confirmari tibi privilegia ... Visum nobisfiiit honestum et ecclesiae necessarium petitioni tuae consentire, praesertim cum ecclesia haec sub nomine principis apostolorum beatissimi Petri sit consecrata sicut mater sua, cui praesidemus divina dementia, ut quae matrem imitatur ex nomine filia imitetur etiam aliquantisper in dignitate ecclesiastica protegaturque sub alis defensionis suae. WOLTER, Das Privileg, S. 113.

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WOLTER, Das Privileg, S. 121f., dem der Zusammenhang zwischen der Urkunde und der Vita Heriberti entgangen ist, hält die Anspielung für einen Zufall. Er schreibt, "Das Bild vom Verhältnis der Mutter zur Tochter, welches hier auf die Beziehungen der römischen zur kölnischen Kirche angewandt wird, griff Leo IX. im Jahre 1054 noch einmal in seinem Schreiben an den Patriarchen von Konstantinopel auf. Eine nähere Parallele läßt sich jedoch wegen der Anspielung auf das zufälligerweise gleiche Patrozinium nicht nachweisen." - Zu dem Ausdruck mater aecclesiarum wie Anm. 72.

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Conflrmamus quoque tibi... apostolicae sedis cancellaturam et ecclesiam sancti Iohannis evangelistae ante portam Latinam, ut te Petrus cancellarium habeat, Iohannes hospicium praebeat. Concedimus etiam atque perpetue largimur, ut maius altare ecclesiae tuae matris virginis honore dedicatum et aliud ibidem apostolorum principi b. Petro addictum reverenter ministrando procurent septem idonei cardinales presbyteri dalmaticis induti..., WOLTER, Das Privileg, S. 113. Vgl. SEMMLER, Die Klosterreform, S. 181ff. Obwohl Heribert wohl schon bald nach seinem Tode als Heiliger verehrt worden ist, wurde er erst im 12. Jahrhundert, nach seiner Heiligsprechung 1147, der Hauptpatron des Klosters. Daß die angeblich von 1046-48 stammende Heiligsprechungsurkunde (OEDIGER, Regesten, Nr. 682, 4, S. 204) eine um 1150 anzusetzende Fälschung ist und im Zusammenhang mit der Rekuperationspolitik des Deutzer Klosters gesehen werden muß, hat MÜLLER, Zur Kanonisationsbulle, S. 49 und 63, überzeugend nachgewiesen. Vgl. ferner MILZ, Studien, S. 226. Die Vita selbst bezeichnet das Kloster als sanctae

Dei genitricis coenobio (c. 12, S. 753, Z. 36) und im achten Kapitel heißt es: In muris Ulis et in domo

illiac omni tempore trinus et unus Deus sollemniter honoratur, sancta Virgo virginum cum sanctis omnibus veneratur (c. 8, S. 746, Z. 51). Auch der Kölner Erzbischof Hermann II. stellte seine Schenkung von 1041 dem Marienkloster von Deutz aus Liebe zum hl. Heribert aus, Lac. I, Nr. 177, OEDIGER, Regesten, Nr. 794; dasselbe gilt für Anno II., Lac. I, Nr. 229, OEDIGER, Regesten, Nr. 860.

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Heriberti cum omnibus suis pertinentiis, ecclesiam s. Mariae infra urbem, ecclesiam s. Gereonis cum omnibus suis pertinentiis.106 Leo IX. muß also sowohl das Deutzer Kloster wie der hl. Heribert ein Begriff gewesen sein und zwar in einem solchen Maße, daß Deutz für ihn gleichbedeutend mit dem hl. Heribert war. Schließlich ist noch auf eine letzte, der Vita und der Primatsurkunde von 1052 gemeinsamen Besonderheit aufmerksam zu machen. Leo IX. hat die Urkunde an Hermann II. und seine Nachfolger illuc canonice intrantibus107 adressiert, und in einer Klausel der Urkunde über den Wahlmodus des Kölner Erzbischofs heißt es, daß der Papst dessen Wahl secundum auctoritatem canonicam108 bestätige. Es ist schon Manitius aufgefallen, mit welcher Ausführlichkeit Lantbert die Wahl Heriberts zum Erzbischof beschreibt109. Sie soll per scita maiorum et tradita110 abgehalten worden sein. "Kanonisch" bedeutet hier, daß der Erzbischof von Klerus und Volk Kölns gewählt und ihnen nicht wider Willen vom König aufgezwungen werden durfte111. Ganz gemäß der in der Urkunde ausgedrückten Vorstellungen wird die Wahl Heriberts in Lantberts Vita vom Papst bestätigt. In Gegenwart des Papstes Silvester II. (999-1003) habe er den Petrusstab erhalten; von ihm habe er das Pallium erbeten und erhalten, und "auf diese Weise vom Papst beauftragt" sei Heribert von Rom nach Köln aufgebrochen112. Es scheint, als habe Lantbert durch diese Darstellung die besondere Romund Papsttreue des Kölner Erzbischofs unter Beweis stellen wollen. Daß Leo IX. in der Urkunde, mit der er dem Kölner Erzbischof die Primatsrechte anerkennt, sowohl das Köln mit Rom verbindende Petruspatrozinium wie die MutterTochterbeziehung beider Kirchen aufnimmt, daß er ausdrücklich das Deutzer Kloster als Kloster des hl. Heribert erwähnt und daß schließlich Urkunde wie Vita die "kanonische" Wahl des Kölner Erzbischofs betonen, sind Anzeichen genug, um behaupten zu können, daß Leo IX. die Vita vor dem Abfassen der Urkunde mindestens bekannt gewesen ist, wenn nicht sogar vorgelegen hat, und daß in seiner Urkunde eine Antwort auf die in dieser Vita gestellte Primatsforderung zu sehen ist. Sie erlauben weiterhin in der "Vita Heriberti" eine "geistliche Waffe" zu sehen, mit der sich der Kölner Metropolit an den Papst wandte, um unter Hinweis auf das Köln mit Rom verbindende Petruspatrozinium die Forderung zu stellen, daß Köln im deutschen Reich, wie Rom universell, eine "Mutter" der Kirche sei. Die Urkunde von 1052 reicht aus, um behaupten zu können, daß Leo IX. diese in der Vita implizit enthaltene Forderung verstanden hat. Die Besonderheiten der "Vita Heriberti" — die merkwürdige Widmung, der kunstvolle Aufbau, die häufige Nennung des hl. Petrus, um die wichtigsten zu nennen — sind 106

WOLTER, Das Privileg, S. 114; vgl. dazu den Kommentar WOLTERS, ebd., S. 132ff. WOLTER, Das Privileg, S. 113. 108 Habendam electionem quoque archiepiscopi secundum auctoritatem canonicamflliis ecclesiae sancimus per hartepraeeeptionis nostraepaginam. Ebd., S. 114. 109 MANITIUS, Literatur, II, 2, S. 365. Die Beschreibung der Wahl Heriberts erstreckt sich über drei Kapitel der Vita. Sie beginnt mit dem Tod Evergers von Köln (c. 4, S. 143 ) und endet mit der Bischofsweihe Heriberts in Köln (c. 6, S. 744). 110 C. 4, S. 743, Z. 3. 111 WOLTER, Das Privileg, S. 141, weist auch daraufhin, daß gerade unter Leo IX. der Anspruch auf die canonica elecüo wiederbelebt wurde. Auch auf dem wenige Monate später in Reims stattfindenden Konzil war die canonica electio eines der ersten Anliegen des Papstes. Vgl. dazu SCHMID, Der Begriff der kanonischen Wahl; BLUMENTHAL, Ein neuer Text; SCHIEFFER, Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbotes, S. 33f. "2 ... a domno apostolicopallium exposcit et aeeipit, et sie cum auetoritate eius adsedem suam gressum dirigit. C. 6, S. 744, Z. 5f.

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nur zu verstehen, wenn man die Vita in ihren zeitgenössischen Kontext — die Auseinandersetzungen um den Primat in Deutschland und den Kölnbesuch Leos IX. von 1049 — zurückversetzt. Während 1049 der Trierer Erzbischof auf die Gründerbischöfe seiner Metropole hinwies, um auf diese Weise seine besondere Beziehung zu Rom zu bekunden und darauf seinen Anspruch auf den Primat begründete, wählte der Kölner Erzbischof Hermann II. die Person seines Vorgängers Heribert, um anhand dessen Vita den Papst auf die besondere Beziehung Kölns zur römischen Kirche aufmerksam zu machen und um seine Primatsforderung darauf zu stützen. Wenige Jahre später bedienten sich auch die Mainzer Erzbischöfe der Hagiographie, um ihrerseits eine besondere, auf dem hl. Bonifatius basierende Beziehung zu Rom anzumelden und um davon ihre Primatsansprüche abzuleiten. Die Ähnlichkeit des Vorgehens der Erzbischöfe ist frappierend. Um den Primat in Deutschland beanspruchen zu können, bemühte sich jeder, eine besondere Beziehung zu Rom nachzuweisen, die in einem Heiligen ihren personifizierten Ausdruck fand. Als sprachliches Vehikel wählten alle drei Erzbischöfe die Form der Hagiographie, so daß man von einem regelrechten "Vitenkrieg" um den Primat in Deutschland sprechen kann. Die Primatsurkunden Leos IX. für Trier und für Köln beweisen, daß die Viten tatsächlich als "Waffen" 113 von geistlichen Gemeinschaften benutzt und verstanden wurden. Denn der Papst nahm in der Urkunde für Trier auf die Apostelschüler und in der Urkunde für Köln auf das gemeinsame Petruspatrozinium und das Mutter-TochterVerhältnis Bezug. Und er verwendete in beiden Fällen diese Bilder, um seinerseits die deutschen Erzbischöfe zur Romtreue aufzufordern. Wies er doch die Trierer darauf hin, wie ihre ersten Vorgänger immer treue Schüler des heiligen Petrus zu bleiben, und forderte die Kölner auf, wie eine Tochter ihre Mutter, die römische Kirche, nachzuahmen 114 . So bediente sich auch der Papst der Hagiographie, um sein Ziel, die Unterordnung der Landeskirchen unter Rom — durchzusetzen 115 .

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Zu schriftlichen Zeugnissen als gladius spiritualis vgl. oben Einleitung Anm. 103. So heißt es in der Urkunde für Trier: Et uos et successores uestri in ecclesiasticis officiis Romano more Semper utamini semperque uos esse Romanae sedis discipulos reminiscamini, wie Anm. 84. Und in derjenigen für Köln: ... ut quae matrem imitatur ex nomine fllia imitetur etiam aliquantisper in dignitate ecclesiastica protegaturque sub alis defensionis suae. Vgl. oben Anm. 101 und WOLTER, Das Privileg, S. 113. Auch Gregor VII. beruft sich in einem Brief, mit dem er den Kölner Erzbischof Anno II. zum Gehorsam auffordert, auf das gemeinsame Petruspatrozinium: Hinc etiam, karissime frater, de oboedientia tui securiorfiducialius adhortor et moneo atque communis domini (beati) PETR1 auctoritateprecipio, ... MGH Epp. sei. 2, S. 223; vgl. PETERS, Studien, S. 221, Anm. 150. Vgl. BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 38.

VI. DIE VITA BARDONIS AUCTORE VULCULDO IM DIENSTE DES MAINZER PRESTIGE

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"Aber dank dieser acht Seligpreisungen, derentwegen er zunächst verachtet wurde, hat sich der Heilige seit kurzem allen als Hebens- und verehrenswert erwiesen."1 Mit diesem Satz faßt Vulkuld seine Lebensbeschreibung des Mainzer Erzbischofs Bardo (1031-1051) 2 abschließend zusammen. Im nachfolgenden letzten Kapitel will er nur noch in einer Art Anhang kurz von der Bautätigkeit Bardos berichten 3 . Der zitierte Satz ist in zweifacher Hinsicht die Quintessenz der Vita. Mit hiis octo beatitudinum meritis gibt er das Bauprinzip der Vita — die acht Seligpreisungen — an, und der Rest des Satzes stellt die Moral, die Lehre, dar, die die Leser aus dieser Vita ziehen sollten: der heilige Mann, Bardo, den sie zunächst verachtet hätten, habe sich seit kurzem als Hebens- und verehrenswert erwiesen 4 . Der Hinweis auf die acht Seligpreisungen des

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Sed hiis octo beatitudinum meritis Ulis quibus vir sanctus primum erat despicabilis, novissime omnibus gratus effectus est et venerabilis. C. 9, S. 321, Z. 16ff. Schon JAFFE, Bibl. rer. Germ. 3, S. 518, hat auf dieses Gliederungsprinzip der Vita Bardonis auctore Vulculdo aufmerksam gemacht, sein Hinweis blieb jedoch unbeachtet. Vita Bardonis archiepiscopi Moguntini brevior auctore Vulculdo capellano, hg. von WATTENBACH, MGH SS 11, S. 318-321. Eine weitere Ausgabe besorgte JAFFE, Bibl. rer. Germ., 3, S. 529-564. Nach WATTENBACH, ebd., S. 318, ist uns die Vita Bardonis Vulculdi lediglich durch einen Codex des 16. Jahrhunderts überliefert. Der Kanoniker Johannes Hebelin von Heymbach hat sie vollständig in seine um 1500 kompilierte Historia Moguntina übernommen. Zum historischen Bardo vgl. FALCK, Die Erzbischöfe von Mainz. Die von WINKLER herausgegebene Festschrift, Der hl. Bardo — zum 900. Todestag des Heiligen, war für unsere Arbeit wenig ergiebig. Zur Datierung der Vita s. unten S. 102f. Hiis debemus breviter apponere, quae per ilium egregie gesta sunt Maguntiae. C. 10, S. 321, Z. 18. Vgl. dazu unten Anm. 58. Mit novissime omnibus gratus effectus est et venerabilis — wie Anm. 2 — kann der Autor eigentlich nur die Wunder meinen, die sich an Bardos Grab zugetragen haben sollen. Vgl. c. 9, S. 321, Z. 6ff.: Nam adeo simplex hominibus videbatur, quod simplicitas sua non magna sapientiaputaretur, nisi quod postea miraculis claruit, quam accepta Domino simplicitas sua fiiit. Zu den Wundern an Bardos Grab vgl. auch Vita Bardonis maior, MGH SS 11, c. 28, S. 341, Z. 46ff.: ... sine dilatione laetitiam invenit aetemalem, anno episcopatus ter septeno, numero misterii pleno. Nunc autem clarescit signis et virtutibus, quae per illum operantur divinitus. Vgl. auch Vita Annonis, MGH SS 11, lib. II., c. 12, S. 488, Sp.l, Z. 41 ff.: ... singulariterpraeminens Anno, summits Coloniensiumpraesul, quadamdie populorum frequentia densissime circumfusus, ad immolationem immortalium sacramentorum ex more stetit in atrio principalis aecclesiae prope tumulum sancti Bardonis archiepiscopi, eius nimirum sanctitate delectatus quae recentibus interim miraculis commendabatur. Vgl. auch Ann. Augustani, ad a. 1051, hg. von PERTZ, MGH SS 3, S. 126, Z. 37: Bardo Mogontiensis archiepiscopus sanctus obiit, ... Und Sigeberti Chronicon, ad a. 1050, hg. von BETHMANN, MGH SS 6, S. 359, Z. 26: Bardo Moguntiae episcopus obit, cuius sanctitas per multam miraculorum gratiampatuit. Und Herim. Aug. Chron., hg. von PERTZ, MGH SS 5, S. 130: Eadem estate Bardo venerabilis Mogontinae sedis ex monacho archiepiscopus, omni pietate et sanctitate mirabilis 3 Idus Juni ab hac luce subtractus, multis post obitum claret miraculis. Vgl. auch Lamperti, De institutione Herveldensis ecclesiae, hg. von HOLDER-EGGER, in: Lamperti ... opera, MGH SS rer. Germ., I, S. 350: Bardo abbas succedit qui eodem anno archiepiscopus Moguntinus efficitur; ad cuius sepulcrum miracula fiunt.

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Matthäusevangeliums — Matth. 5,3-12 — bringt den Mainzer Erzbischof Bardo mit einer allgemeinen Lehre des Neuen Testaments in Zusammenhang. Sie erinnert die Hörer und Leser der Vita daran, daß nach der christlichen Lehre Gott hinter den Schwachen, Einfältigen, Trauernden etc. steht. Ihnen und nicht den Mächtigen hat er sein Reich versprochen5. Der Autor, Vulkuld, hat die ganze Existenz Bardos in den Rahmen der acht Seligpreisungen gezwängt und auf das "übliche" Vitenschema verzichtet. In der Tat vermißt der routinierte Vitenleser die wundersame Geburt des Heiligen und die dem Tod eines Heiligen gewöhnlich vorausgehenden Wunder und Visionen. Nicht ein einziges Wunder — sieht man von einer Vision Bardos im siebten Kapitel ab — wird berichtet. Dies überrascht umso mehr, als in Chroniken, Annalen und Viten gerade auf die Wunder an Bardos Grab hingewiesen wird6. Und die für einen heiligen Bischof so wichtige und sonst auch immer ausführlich beschriebene Bischofswahl und -weihe tut Vulkuld in einem einzigen, recht nüchternen Satz ab: Dei ergo omnipotentis natu disponente et supradicta imperatrice augusta intervenierte, Bardo Dei servus et monachus Maguntinae urbis factus est praesul venerandus1. Als einziger "Beweis" für die Heiligkeit Bardos bleiben so die acht Seligpreisungen übrig. Und Vulkuld zeigt den Lesern, daß sie allesamt auf Bardo zutreffen. Das bedeutet, daß Vulkuld die Heiligkeit Bardos gerade in dessen Einfalt, Armut, Trauer, Gewaltlosigkeit, Barmherzigkeit etc. begründet sah. Was bezweckte er damit? Um diese Frage beantworten zu können, muß etwas weiter ausgeholt werden. Als Bardo 1031 Erzbischof von Mainz wurde, galt Mainz als metropolis Germaniae*. 936 trug der Mainzer Erzbischof Hiltibert bei dem Streit der Metropoliten von Köln, Mainz und Trier um die Frage, wem die Ehre zukäme, Otto I. zu krönen, den Sieg davon. Seit 965 war mit dem Mainzer Erzbistum das Erzkapellanat und das Amt des Erzkanzlers für Deutschland verbunden. Zwar versuchten vor allem die Trierer Erzbischöfe, Mainz den Rang abzulaufen, doch konnte Mainz unter so hervorragenden Erzbischöfen wie Willigis (975-1011), Erkanbald (1011-1021) und Aribo (1021-1031) seine Stellung behaupten. Aribos halsstarrige Haltung bei der Krönung Königin Giselas und im Gandersheimer Streit waren wohl der Grund, weswegen der König sich von da an mehr Köln zuneigte und versuchte, die Macht der Mainzer Kirche einzuschränken9. Wie Egon Boshof schreibt, trat dann zur Zeit Leos IX. (1049-1054) "der Rangstreit unter den rheinischen Erzbischöfen in eine zweite entscheidende Phase"10. Der Gewinner 5

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Hier ist an HÜBINGER, Die letzten Worte Papst Gregor VII., bes. S. 72ff., zu erinnern, wo er darlegt, daß Gregors letzte Worte: "Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Böse gehaßt, darum muß ich in der Fremde sterben", keineswegs Verzweiflung, sondern im Gegenteil Heilsgewißheit ausdrücken. Der Satz ist allerdings nur verständlich, wenn man die Seligpreisung derer, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgung erleiden, mit in Betracht zieht. Gregor VII. wie Vulkuld ziehen die Seligpreisungen als Beweis der Heiligkeit heran. BORNSCHEUER, Miseriae regum, S. 78f., zeigte auf, wie in der Ottonenzeit "Zurücksetzung als möglicher Weg zur Erhöhung gerechtfertigt, ja als besonderer Heilsweg gerühmt wurde" und wies auf die "transzendentale Heilsgewißheit" biblischer Worte hin. Zu der Rolle der acht Seligpreisungen im Herrscherbild zur Zeit Heinrichs III. vgl. KELLER, Herrscherbild, S. 309f. Wie Anm. 4. C. 5, S. 319, Z. 33f. Dagegen nimmt die Beschreibung der Bischofswahl in der Vita Bardoms maior vier Kapitel und zwei Seiten ein (c. 11-14, S. 327-329). Zu Mainz als metropolis Germaniae vgl. BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 19-47, bes. S. 24, Anm. 19; FALCK, Mainz, S. 56ff. und S. 119f.; THOMAS, Erzbischof Siegfried I. von Mainz, S. 368-399; s. oben, S. 93f. Vgl. dazu FLECKENSTEIN, Die Hofkapelle II, S. 163ff. BOSHOF, Köln, Mainz Trier, S. 37.

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dieser Phase hieß Köln, und der Kölner Erzbischof konnte das Krönungsrecht und das Erzkapellanat für sich beanspruchen. Der Verlierer war Mainz. Der Primatsanspruch des Mainzer Erzbischofs war beschnitten, das Krönungsrecht ihm genommen und das Erzkapellanat als ein ständig an den Mainzer Stuhl gebundenes Erzamt verloren 11 . Bardo, der auch sonst kaum im Königsdienst hervorgetreten ist, scheint diese Einschränkungen widerspruchslos hingenommen zu haben 12 . Anders sein Nachfolger Liutpold (1051-1059) 1 3 . Mit der ihm 1052 von Leo IX. verliehenen Urkunde erhielt er zwar das Pallium, doch stand darin nichts zum Krönungsrecht des Mainzers — das hatte Leo IX. in der Zwischenzeit — Weihnachten 1053 in Worms — dem Kölner Erzbischof Hermann 11.(1036-1056) zugestanden 14 . Ein Jahr später, 1053, ließ es Liutpold auf einen liturgischen Streit mit Leo IX. ankommen, bei dem er sogar Recht behielt 15 . Wieder ein Jahr später, 1054, mußte er widerstrebend die Krönung Heinrichs IV. dem Kölner Erzbischof Hermann II. überlassen 16 . In demselben Jahr fühlte er sich durch die Verleihung des Palliums an seinen Suffragan, den Bischof Adalbero von Bamberg (1053-1057), gekränkt und hielt seinen Mißmut darüber auch nicht zurück 17 . Liutpold wußte also sehr wohl, welcher Rang ihm eigentlich zustand. Als um so schändlicher muß er seine Zurücksetzung empfunden haben. Später brachte sein Nachfolger Siegfried (1060-1084) die Ansprüche der Mainzer Kirche, "Diadem des Reiches" zu sein, in mehreren Schriften zum Ausdruck 18 . Liutpold, dem nicht verborgen geblieben sein konnte, daß der Verfall des Prestiges Mainz' schon unter seinem Vorgänger, Bardo, eingesetzt hatte, muß sich und Bardo im Gegensatz zu den so einflußreichen Vorgän-

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FLECKENSTEIN, Die Hofkapelle II, S. 241.

ZIELINSKI, Der Reichsepiskopat, S. 194: "Bardo von Mainz (1031-1051), der unpolitische Fuldaer Mönch und Reformabt von Werden und Hersfeld, zählt zu den wenigen Mainzer Erzbischöfen, die kaum im Königsdienst hervorgetreten sind; als urkundlicher Interveniert begegnet er während seiner 20-jährigen Amtszeit kein einziges Mal." Nur einmal sei er als Fürsprecher Gebhards von Eichstätt, dem späteren Viktor II. (1055-1057) in Erscheinung getreten. In der Erklärung für Bardos politische "Abstinenz" ist die Forschung geteilter Meinung. Die einen suchen sie in Bardos Einfalt und Unfähigkeit — so FLECKENSTEIN, Die Hofkapelle II, S. 164, die anderen vermuten, daß Bardo aufgrund seiner mönchischen Herkunft und seiner Eigenschaft als Reformabt, "bewußt" auf ein politisches Engagement "zugunsten der Reinheit des Amtes" verzichtet und so "schärfste Kritik an der Entwicklung, die der deutsche Reichsepiskopat genommen hat" geübt habe — so KÖHLER, Das Bild, S. 55. FLECKENSTEIN, Die Hofkapelle II, S. 239, hält Liutpold für einen "ebenso schwachen" Erzbischof wie Bardo. STIMMING, MUB, Nr. 293, S. 183f.; s. dazu BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 43; THOMAS, Erzbischof Siegfried I. von Mainz, S. 382ff. Zu den Rechten, die Leo IX. dem Kölner Erzbischof in einer Urkunde von 1052 zugestand, s. oben Kap. V, Anm. 90ff. Ekkehardi Chronicon, hg. von WAITZ, MGH SS 6, S. 196f.; BÖHMER/WILL, Regesten, S. 177; HAUCK, Kirchengeschichte 3, S. 612; THOMAS, Erzbischof Siegfried I. von Mainz, S. 383f. Imperatoris filius Heinricus consecratus est in regem Aquisgrani ab Herimanno Coloniensi archiepiscopo, vix et aegre super hoc impetrato consensu Liupoldi archiepiscopi, ad quem proptu primatum Mogontinae sedis consecratio regis et caetera negotiorum regni dispositio potissimum pertinebat. Sed imperator pocius Herimanno archiepiscopo hoc Privilegium vendicabat propter claritatem generis eius, et quia intra diocesim ipsius consecratio haec celebranda contigisset, Lamperti Annales ad a. 1054, hg. von HOLDER-EGGER, in: Lamperti ... opera, MGH SS rer. Germ. I, S. 66. Vgl. dazu BOSHOF, Köln, Mainz, Trier, S. 42f.; THOMAS, Erzbischof Siegfried I. von Mainz, S. 371. BÖHMER/WILL, Regesten, S. 178.

Ex Passione S. Albani, hg. von HOLDER-EGGER, MGH SS 15, Bd. 2, S. 984-990; sowie Siegfrieds Briefbericht von einer Synode 1071 (JAFFE, Bibl. rer. Germ., 3, Nr. 37, S. 70ff.) und Siegfrieds Brief an Papst Alexander (JAFFE Nr. 38, S. 77ff.); vgl. dazu THOMAS, Erzbischof Siegfried I. von Mainz, S. 385ff.; FALCK, Mainz, S. 119f.; jetzt STAAB, Die Mainzer Kirche.

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gern wie Aribo, Erkanbald und Willigis als machtlos und ohnmächtig empfunden haben. Und dieser Liutpold gab zwischen 1054 und 1059 seinem Kapellan den Auftrag, eine Vita seines so ohnmächtigen — um nicht zu sagen unfähigen — Vorgängers zu schreiben. Von Liutpold stammt wahrscheinlich auch der leitende Gedanke der acht Seligpreisungen. Diese Idee erlaubte es ihm, aus Bardos und seiner eigenen Position der Schwäche einen Vorteil zu ziehen, den Vorteil der Heiligkeit. Mit der Vita Bardonis mahnte er seine Amts- und Zeitgenossen: verachtet uns nicht, denn wenn wir auch ohnmächtig, verfolgt und schwach sind, so gehört uns doch das Himmelreich! Es soll nicht behauptet werden, Liutpold habe aus einem unfähigen Bischof einen Heiligen machen wollen. Denn daß Bardo eine gewisse Ausstrahlungskraft besessen haben muß, beweisen die zahlreichen Eintragungen seines Todes in Annalen und Nekrologien19. Bardos Freigiebigkeit bzw. Barmherzigkeit war sprichwörtlich und gab sogar Anlaß zu Kritik20. Aber ebenso sicher ist sein fehlender politischer Einfluß, da er kaum als Intervenient in Erscheinung getreten ist21. Daß Vulkuld gerade die schwachen Seiten des Erzbischofs und nicht etwa seine Wunderwirksamkeit zum Beweis seiner Heiligkeit heranzog, sagt mehr über den Auftraggeber der Vita, Liutpold, als über den Heiligen selbst aus. Schon ein oberflächlicher Vergleich mit der aus Fulda stammenden Vita maior zeigt, daß man Bardo auch auf traditionelle Weise — durch Wunder und Visionen — als Heiligen beschreiben konnte22. Wann könnte Liutpold den Auftrag, die "Vita Bardonis" zu schreiben, gegeben haben? Bisher nahm man die Amtszeit Liutpolds, 1051-1059, als mögliche Abfassungszeit an23. Wenn die obigen Überlegungen zutreffen, müßte man die Abfassung eher spät, d.h. zwischen 1055 und 1059 ansetzen, da sie ja eine gewisse Enttäuschung Liutpolds voraussetzen. Diese Annahme wird durch eine — bisher übersehene — Bemerkung im neunten Kapitel der Vita bestätigt, wo es heißt, daß Bardo von seinen Brüdern und Mitbischöfen, besonders aber vom Speyerer Bischof, dem "perfiden" Sigebod (1039-1054), verachtet worden sei24. Dieser sei Bardo statt mit Erbarmen mit Verachtung und Untreue begegnet. Aus dem Imperfekt von cognominabatur geht hervor, daß der Speyerer Bischof Sigebod zum Zeitpunkt des Schreibens schon gestorben sein muß. Sigebod, der seit 1039 Bischof von Speyer war und sich nach anfanglich engem Verhältnis mit Heinrich III. überworfen hatte, war im April 1054 gestorben25. Vulkuld kann seine "Vita Bardonis" erst nach dem Tode Sigebods, also erst nach 1054 abgefaßt haben. Nach Ablauf des Jahres 1054 hatte Liutpold aber auch die meisten Kränkungen hinter sich: den liturgischen Streit mit Leo IX., die Krönung Heinrichs IV. durch Hermann II. von Köln und die Palliumsverleihung an den Bischof von Bamberg. 19

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Vgl. BÖHMER/WILL, Regesten, S. 175f., danach wurde Bardos Tod in 9 Necrologien und 6 Annalen verzeichnet. Zu Bardos Ansehen als Heiliger wie Anm. 4. Misericordia eius paene omnibus superflua videbatur, ita ut etiam aliqui dicerent quia eius negligentia in episcopio multa fierent inconvenientia. Vita Bardonis maior, c. 22, S. 338, Z. 44ff. Wie Anm. 12. Die in Fulda entstandene Vita maior berichtet von sechs Wundern (MGH SS 11, cc. 19, 20, 21, 23, 27, 28, S. 336-341) und drei Visionen Bardos (ebd., c. 4, S. 324, c. 10, S. 327; c. 24, S. 339).

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WATTENBACH/HOLTZMANN, Geschichtsquellen I, S. 204.

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Inthronizationis suae primis temporibus a fratribus et coepiscopis contemptus, sicut a Spirense episcopo qui perfidus Sibicho cognominabatur, et despectionis persecutionem et perfidiae iniuriam perpessus est, non misericordiam. In hoc etiam beatus propter patientiam et iustitiam. C. 9, S. 321, Z. 13 ff. Lamperti Annales ad a. 1054, hg. von HOLDER-EGGER in: Lamperti ... opera, MGH SS rer. Germ., I, S. 66; STEINDORFF, Jbb. Heinrichs III., Bd. 2, S. 168; ZIELINSKI, Der Reichsepiskopat, S. 219.

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Alle drei genannten Ereignisse konzentrieren sich auf die Jahre 1053 und 1054. Nach 1054 hatte Liutpold also allen Grund, eine Vita Bardonis in Auftrag zu geben, in der sein Vorgänger aufgrund von Schwächen heiliggesprochen wird, und gerade aufgrund solcher Schwächen, die man auch ihm selbst, Liutpold, vorwerfen konnte. Doch nun zu Aufbau und Inhalt der Vita selbst. Statt eines Prologes hat Vulkuld der Vita lediglich eine Widmung vorangestellt. In dieser klingt eine Parallele zwischen Liutpold und Bardo an: Beatissimi Bardonis gregis Maguntini diginissimi provisoris vita incipit quam successor eius L. archipraesul dignus quendam cappellanum suum nomine Wlculdum ob memoriam eius componere fecif6. Im ersten, der Herkunft Bardos gewidmeten Kapitel kündigt sich schon das Leitthema der Bischofszeit Bardos, die Seligpreisungen, an, in dem die Seligpreisung des Gottesvolkes Israel auf die Familie Bardos übertragen wird: Beata gern cuius est Dominus Deus eius21. Der auch sonst in den Viten vorkommende Topos der edlen Abstammung ist hier entsprechend dem Leitthema der Vita in eine Seligpreisung der Familie Bardos abgewandelt worden. Auch ein weiteres, an das zitierte anschließende Bibelwort, in dem Gott dem Volk, das ihn fürchtet, sein Heil verheißt, wird auf die Familie Bardos angewandt28. In diesem Zitat ist aber auch ein Stichwort enthalten, das Aufschluß darüber gibt, wie Vulkuld das Leben Bardos sah: daboque vos cor unum et viam unam ut timeant me. Das Bild des Weges bzw. der Reise ist in der Tat neben dem der Seligpreisungen für Vulkulds Vita Bardonis bestimmend. Er stellt das Leben Bardos als einen zur Heiligkeit führenden Weg dar, der ihn stufenweise, gradatim, zur Heiligkeit geführt habe. Seinen Eintritt in das Kloster Fulda beschreibt er als den Beginn des Weges, der den famulus Bardo zu göttlichem und menschlichen Ruhm führen sollte: Ibi ...aggressus est viam, quae ad gloriam illum provexit humanam et diviniam29. Bardo tut sich sowohl in den Studien wie in den Tugenden der Nächstenliebe und der Bescheidenheit hervor, so daß er unter Gottes Führung auf dem Weg zu Christus voranschreitet30. Mit gradatim singulas ascend.it obedientias spielt Vulkuld auf das siebte Kapitel der Benediktsregel an, in dem dem Mönch, der die Erhöhung im Himmel anstrebt, zwölf Stufen der Demut, die auch als "Erniedrigung in diesem Leben" bezeichnet werden, nahegelegt werden: wer die Stufen der irdischen Erniedrigung hinabsteigt, der sei auf dem Weg

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S. 318, Z. lOff. Dem dignissimusprovisor, Bardo, wird sein dignus successor, Liutpold, gegenübergestellt. C. 1, S. 318, Z. 16; (Ps. 33,12). Erunt michi in populum et ego ero eis in Deum, daboque eis cor unum et viam unam ut timeant me et bene sit eis et filiis eorum post eos. C. 1, S. 318, Z. 17ff. (Jer. 32,38f.). C. 2, S. 318, Z. 29f. Das Motiv der "stufenweisen" Vervollkommnung, das oft auch mit dem Motiv der scala coeli verbunden ist, ist seit der Antoniusvita in der Hagiographie häufiger anzutreffen. Vulkuld könnte das Motiv der gradus virtutis aus Willibalds Bonifatiusvita übernommen haben, hg. von LEVISON, MGH SS rer. Germ., vgl. bes. S. 8, 11, 26. Zu dem Motiv der scala coeli vgl. KASTNER, Historiae, S. 116ff. Et sic a minoribus ineipiens, Domini praecedente et subséquente gratia omnes maiores in illa ecclesia et gradatim singulas ascendit obedientias, non quidem sine gradibus meritorum, quibus sibi de die in diem propinquius iter parabat ad Christum. C. 2, S. 318, Z. 38ff.

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hinauf zu Gott 31 . Das Thema: wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt wird, erhöht werden 32 , das Vulkuld hier als Leitthema der Fuldaer Zeit Bardos anklingen läßt, ist wie ein Vorspiel zu dem Thema der acht Seligpreisungen, von dem die Beschreibung der Bischofszeit Bardos bestimmt wird. Bei beiden Themen ist die irdische Ohnmacht und Erniedrigung Voraussetzung für himmlischen Ruhm und himmlische Erhöhung. Kapitel drei und vier berichten über Bardos Zeit als Abt von Werden und Hersfeld. Gemäß dem Ideal der Benediktsregel wird Bardo als väterlicher Hirte seiner Herde beschrieben, der die ihm Anvertrauten durch sein Beispiel leitete33. Äußeres Zeichen seiner Gottwohlgefalligkeit sind die Fruchtbarkeit und der Friede 34 . Selbstverständlich wird vom Überfluß der Abtei an Fremde und Gäste abgegeben 35 . Das Zitat vom fröhlichen Geber, der Gott wohlgefällig ist, benutzte Vulkuld als Überleitung zur Verleihung der Abtei Hersfeld an Bardo 36 . Seine Tätigkeit in Hersfeld wird nach demselben Schema wie die in Werden geschildert: Er geht seiner Herde mit gutem Beispiel voran, vermehrt die Zahl der Mönche und läßt Fremde am Überfluß seines Klosters teilhaben 37 . Die Beschreibung der Abtszeit Bardos ist also ganz von dem Ideal der Benediktsregel bestimmt. Die Wirklichkeit sah wohl anders aus. Vulkuld veschweigt die Empörung Bardos über den reformerischen Eingriff Heinrichs III. in Fulda: Bardo zog dem abgesetzten Abt Branthoch hinterher und ordnete sich erst später dem neuen Lorscher Reformabt Poppo unter 38 . Ebenso verschweigt Vulkuld, daß Bardo sein Abbatiat der Intervention der Kaiserin Gisela und seiner Verwandtschaft

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Benedicti Regula, hg. von HANSLIK, C. 7, S. 44: Non aliud sine dubio descensus ille et ascensus a nobis intellegitur nisi exaltatione descendere et humilitate ascendere. Scala uero ipsa erecta nostra est uita in saeculo, quae humiliato corde a domino erigatur ad caelum. Latera enim eius scalae dicimus nostrum esse corpus et animam, in qua latera diuersos gradus humilitatis uel disciplinae euocatio diuina ascendendo inseruit. Luc. 14, 11; 18, 14; Matth. 23, 12. Cum vero iam pater monachorum normnaretur et esset, Domini servus circa gregem dominicum sibi commissum patemos gerebat affectus, et quicquid iam potuit boni exequi studiosa non cessavit mente operarì. C. 3, S. 319, Z. lff. Die noctuque bonorum actuum lucemam tenens in manibus, viam per quam grex Domini sequeretur, ostendit praevius. C. 4, S. 319, Z. 22ff. Vgl. Benedicti Regula, hg. von HANSLK, C. 2, S. 21: Qualis debeat esse abbas\ bes. c. 2.7, S. 22: Sciatque abbas culpae pastoris incumbere quidquid in ouibus pater fami lias utilitatis minus potuerit inuenire. Und ebd., c. 2,12, S. 23: ... id est omnia bona et sanctafactis amplius quam uerbis ostendat. ... et per illud omne tempus frugum terrae habundanti fertilitate et pacis tranquillitate, Domino praestante securi vixere. C. 3, S. 319, Z. lOff. Quantum suis etfratrum stipendiis superesse potuit, peregrinis et hospitìbus partili non distulit-, C. 3, S. 319, Z. 12f. Ergo et sicut hilarem datorem Deus diligit, et ut ex praecedentibus mentis dona semper augentur iustis, dum forte interim abbas Heresfeldensis obiit mundo, in locum illius iubente Domino electus et substitutus est mitìssimus Bardo. C. 3, S. 319, Z. 14ff., vgl. 2 Cor.7. ... viam per quam grex Domini sequeretur, ostendit praevius. Quid multa? Non paucos in ilio coenobiopatres Domino cooperante constituit;... Opulentiam rerum qua exuberavit, copiose erogavit tam discrete, ... c. 4, S. 319, Z. 23ff. Vita Bardonis maior, c. 2, S. 324, Z. 3ff. Bardo kann, wenn überhaupt, nur sechs Monate lang Abt von Hersfeld gewesen sein. Zu dieser Frage und zu dem angeblichen Doppelabbatiat, das Bardo über Hersfeld und Werden ausgeübt haben soll, vgl. BRESSLAU, Jbb. Konrads II., S. 477f.; LÜBECK, Fuldaer Studien, S. 164ff.; HALLINGER, Gorze-Kluny, S. 232. Zu Bardo als Abt von Werden ebd., S. 231. Die Beurteilung Bardos durch HALLINGER fällt wohl etwas zu positiv aus. Vgl. ferner WEHLT, Reichsabtei, S. 283f.; MÜGGE, Studien, S. 73ff., 85ff., lOlff., 152f.; JAKOBI, Magnaten, S. 853ff.; STENGEL, Abhandlungen, S. 4.

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mit ihr verdankte39. Vulkuld schätzte die innere Logik seiner Geschichte höher ein als die historische Wirklichkeit. Dies gilt auch für die folgenden fünf Kapitel, die der Bischofstätigkeit Bardos vorbehalten sind. Wie schon gesagt, wird der Bericht darüber von den acht Seligpreisungen aus dem Matthäusevangelium gegliedert. Wie sehr diese Idee den Gang der Erzählung bestimmt, geht schon allein daraus hervor, daß die Reihenfolge der Seligpreisungen des Evangeliums von Vulkuld bis auf eine Umkehrung strikt eingehalten wird40. Nicht die historische Wirklichkeit bestimmte die Idee, sondern die Idee bestimmte, was und in welcher Reihenfolge aus der historischen Wirklichkeit in die Vita übernommen wurde. Neben den Seligpreisungen wird auch das Bild des stufenweisen Anstieges zu Gott weiterverfolgt. So beschreibt Vulkuld die Anfangszeit Bardos als Erzbischof von Mainz folgendermaßen: Sublimationis novae sie temperavit initium, ut iam eius et mores in illum ascenderent gradum de quo dicit euangelista: Beati pauperes spiritu quoniam ipsorum est regnurn caelorum41. Die himmlische Erhöhung, sublimatio, Bardos hat gemäß der Logik der Seligpreisungen ihr Gegenstück in seiner irdischen Erniedrigung. So schreibt Vulkuld, Bardos Armut im Geiste habe ihm bei den Menschen viel Ärger eingebracht: Sed haec spiritus paupertas sive humilitas quantum ad examen spectat humanitatis, non parvi beato viro extitit causa laboris42. Die irdischen Erniedrigungen Bardos werden dann von Vulkuld auch ganz drastisch geschildert. Nach seiner Ernennung zum Erzbischof von Mainz sei Bardo als mißgestalteter Mensch und Mönch verspottet worden, da die neidischen Spötter nur das beurteilt hätten, was sie mit ihren leiblichen Augen sehen konnten, die eigentlichen, inneren Werte Bardos aber verachtet hätten43. Daß er den Spott gleichmütig ertragen habe, wird ihm von Vulkuld zur Ehre

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Vita Bardonis maior, c. 7, S. 326, Z. 8f.: Erat quoque hic Dei servas regime consanguíneas, et exinde promissionis faciliorfiebat accessus. Auch das Bischofsamt scheint Bardo — wie Vulculd selbst vermerkt — der Intervention der Kaiserin zu verdanken: Dei ergo omnipotentis nutu disponente et supradicta imperatrice augusta interveniente, Bardo Dei servus et monachus Maguntinae urbis factus est praesul venerandus. C. 5, S. 319, Z. 33f. Vgl. Vita Meinwerci hg. von TENCKHOFF, MGH SS in us. schol., c. 210, S. 156, Z. 23ff.; BRESSLAU, Jbb. Konrads II., Bd. 1, S. 321f. Vgl. Matth. 5, 3-12: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. Vita Bardonis auctore Vulculdo: Beati pauperes spiritu (c. 5, S. 319, Z. 47f.); Beati mites (c. 6, S. 320, Z. 13); Beati qui lugent (ebd., Z. 3lf.); Beati qui esuriunt et sitiunt iustitiam (c. 8, S. 320, Z. 52f.); Beati misericordes (c. 8, S. 321, Z. 4f.); Beati mundi corde (c. 9, S. 321, Z. 10); Beati pacifici (ebd., Z. 12); in hoc etiam beatus propterpatientiam et iustitiam (ebd., Z. 15f.). C. 5, S. 319, Z. 46ff. C. 5, S. 319, Z. 48f. ... Bardo Dei servus et monachus Maguntinae urbis factus est praesul venerandus. ... insurrexerunt multi iniqua aemulatione continuo in servum Dei; monachum et hominem aspectu deformem Maguntinae praesidere sedi dedignantes deridebant, quae foris viderunt carneis sensibus diiudicantes, intus latentem spiritualium donorum gratiam nullatenus appretiantes. C. 5, S. 319, Z. 34ff.

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angerechnet und nicht etwa als Schwäche ausgelegt 44 . Fast stolz erzählt Vulkuld, w i e die Soldaten Bardos, die diesen wegen seiner M i l d e kaum fürchteten, reihenweise den Dienst des Erzbischofs quittierten und zum König überliefen. Andere hätten versucht, Bardo auszunutzen, indem sie immer größere Geschenke forderten oder ihm immer größere Dienste aufluden 45 . Nach Vulkulds Auskunft habe die Stadt Mainz — was schwer fällt zu glauben — unter solchem Regime nicht gelitten. Im Gegenteil, niemals soll es in Mainz ertragreichere Ernten gegeben haben als zu Bardos Zeiten 46 .

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Herrschaft des politisch schwachen Bardo sei also nicht zum Schaden, sondern zum Nutzen der Stadt gewesen. Die nächsten beiden Seligpreisungen dienen Vulkuld als Rahmen für eine weitere peinliche Begebenheit aus der Amtszeit Bardos: seine Auseinandersetzung mit dem Burggrafen Erkanbald 47 . Dieser habe so wenig Respekt vor Bardo gehabt, daß er zweien der bischöflichen Ministerialen, dem städtischen Richter und dem Schultheißen, auf übelste W e i s e mitgespielt habe. Einen weiteren Mainzer Bürger habe er solange in Ketten legen lassen, bis dieser ihm die gewünschte Summe Geldes zu zahlen bereit war. Schließlich habe er Bardo selbst beim Kaiser angeschwärzt. Bardo habe alles mit Geduld ertragen und Gewalt nicht mit Gewalt vergolten. Er habe lediglich die ungerecht Behandelten betrauert, so daß Vulkuld von ihm sagen kann: "Selig, die keine Gewalt anwenden" und "Selig die Trauernden" 48 . In diesem Fall habe Gott Bardo sogar noch

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Ille tarnen ut divinae ipsum patientiae virtus ammonuit, humilis et timens Deum tarn domesticas quam extraneas indignationes aequo animo sustinuit, se despicientes non despexit, non quid episcopus posset sed quid episcopum deceret considerans. Ebd., Z. 41ff. KÖHLER, Das Bild, S. 55, hat von der Stelle non quid episcopus posset sed quid episcopus deceret considerans auf die reformerische Einstellung Bardos geschlossen. Darin habe sich nach KÖHLER, der Verzicht auf Möglichkeiten, die in der bischöflichen Macht dieser Zeit gelegen sind zugunsten der Reinheit des Amtes" geoffenbart. Man sei "sich der politischen Möglichkeiten, mit denen die Anfeindungen des Bischofs niedergeschlagen werden können, durchaus bewußt, aber man realisiert sie nicht, weil sie dem geistlichen Amt nicht entsprechen." KÖHLER übersah den Zusammenhang der acht Seligpreisungen, in dem diese Sätze stehen, und ihre Funktion, aus den politischen Schwächen des Erzbischofs den Vorteil der Heiligkeit zu ziehen. Regia illum eo amplius mandata urgebant suique eum econtra minus metuebant et quos proprii honoris invenire debuitfautores, suos invenit prohdolor desertores propriosque delatores. Milites namque sui despecto freno suae mansuetudinis ab eo recedentes, regalibus sese subdiderunt contuberniis. C. 5, S. 319, Z. 49ff. Nam in quocunque negotio Deus illi tantum concessit proventum, unde ipse et sedes sua exaltationis non parum tolleret incrementum. C. 5, S. 320, Z. 9f. Dies ist ganz parallel zur Darstellung von Bardos Abtszeit, die ebenfalls von Fruchtbarkeit begleitet worden sein soll (c. 3, S. 319, Z. 11). Vgl. dazu FALCK, Mainz, S. 84f. Vir sanctus et mitis non restitit malo, verum etiam vicit malum in bono, dicentem revolvens euangelistam: Beati mites quoniam ipsi possidebunt terram. Quidam comes suus, nomine perfldus Erkenbaldus, scilicet inmerito urbis Maguntinae praefectus — ideoque dicam inmerito, quia in despectum et contumeliam archipraesulis mitissimi omnem iniustitiam et dominationem iniquam exercuit in hominibus sancti Martini — unum ex iudicibus civitatis bene natum et horwrabilem virum comprehendit et virgis caesum totundit. Tribuno plebis insidias multas paravit. ... Multos eiusdem civitatis alios idem Erkenbaldus malitia plenus diversis laesit ubique periculis, atque ipsum beatissimum Dei famulum Bardum, dominum suum, apud aures imperatorisfrequens susurro detractionis veneno polluit, et saepe usque ad satisfactionem illum iniquae contaminatioms inpulsione coegit. Ipse vero beatissimus Bardo propriam patienter iniuriam tulit, suorumque calumpnias lugens, fletibus incessanter amaris perfudit suorum cladem. ... Quadam vero nocte dum vir sanctus quieti membra dedisset, arborem coram sompnis adstare vidit, et per quandam vocem illud sancti lohannis: Ad radicem arboris iam sita posita est securis audire promuerit, et factum est prout in euangelio promittitur: Beati qui lugent quoniam

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auf Erden Gerechtigkeit widerfahren lassen. Daß sich der unangenehme Burggraf doch noch einem Gericht beugen mußte, lag nach Vulkuld nicht etwa daran, daß Bardo sich schließlich doch noch durchsetzen konnte — so würde ein moderner Historiker den Sachverhalt beschreiben49 —, sondern sei lediglich eine vorweggenommene Erfüllung des im Evangelium versprochenen Trostes für die Trauernden. So hat nach Vulkuld Gott den Burggrafen zum Einlenken bestimmt und ihn für seine Untaten mit einer Lähmung bis zum Tode bestraft50. Als Hintergrund der Seligpreisung derer, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, diente wieder eine Episode, die außerhalb des Rahmens der Seligpreisungen als äußerst peinlich empfunden worden wäre. Nach Vulkulds Aussage soll Bardo bei seinem nächtlichen Gebet von einem Kirchendiener, der ihn nicht erkannt hatte, ausgeprügelt worden sein. Bardo habe ihn nicht bestraft, was verständlich und zu erwarten gewesen wäre, sondern habe ihm die Prügel mit einem doppelten Almosen vergolten: Beati qui esuriunt et sitiunt iustitiam quoniam ipsi saturabuntur51. Die anscheinend sprichwörtliche Freigiebigkeit Bardos, die er nicht nur Armen, sondern auch Spielleuten gegenüber gepflegt haben soll, trug Bardo die sechste Seligpreisung ein: beati misericordes quoniam ipsi misericordiam consequentur'1. Mindestens ebenso sprichwörtlich wie seine Freigiebigkeit muß Bardos Einfalt gewesen sein, da es Vulkuld nicht für nötig hält, näher darauf einzugehen53. Abgesehen davon, daß die simplicitas eine typische Mönchstugend ist, scheint Bardo auch im geläufigen Sinne etwas "einfaltig" gewesen zu sein. Dies wäre wenigstens eine natürliche Erklärung für seine politische Passivität54. Wie dem auch sei, "Selig die einfachen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen", scheint die auf Bardo zutreffendste Seligpreisung zu sein.

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ipsi consolabuntur. C. 6, S. 320, Z. 12 — c. 7, S. 320, Z. 32. So kommentiert z.B. FLECKENSTEIN, Die Hofkapelle II, S. 164: "Obwohl er (Bardo!) sich durch Geduld und seine ruhige Würde allmählich Anerkennung zu verschaffen wußte ..." Post modicum vero tempus comes supradictus, ut Domino complacuit, in praesentiam beati archipraesulis ad iudicium venire consensit. ... Nec diufiiitpostea quodparalisipercussus Ulis inspicientibus, quibus antea tantam duritiam intulit, languidus et siccus usque ad finem vitae exaru.it. ...Et hoc est quod legimus: Patiens enim redditor est Altissimus. C. 7, S. 320, Z. 32ff. C. 8, S. 320, Z. 44-52. Das Zitat ist aus Z. 52f. Super populum procurationis suae numquamfuit episcopus maioris misericordiae;... Miseris ioculatoribus valde fidt benignus, nulla scurrilitatis specie conductus, sed propter Deum inopiae miserorum consulens, memor verbi quod testatur dicens: Beati misericordes ... C. 8, S. 320, Z. 53 — S. 321, Z. 5. Die Freigiebigkeit Bardos muß so sprichwörtlich gewesen sein, daß der Fuldaer Autor der Vita Bardonis maior sich darüber lustig machen konnte, indem er zu wissen vorgab, daß selbst Papst Leo IX. gesagt habe, man solle Bardos Freigiebigkeit doch eher Sorglosigkeit nennen: Misericordia eius paene omnibus superflua videbatur, ita ut etiam aliqui dicerent quia eius negligentia in episcopio multa fierent inconvenientia. Quod etiam in exemplum sumens sanctus papa Leo: Quis, inquit, huius sancii viri patientiam unquam asscriberet misericordiae et non potius socordiae? C. 22, S. 338, Z. 44ff. De simplicitate viri non est multum necesse loqui. Nam adeo simplex hominibus videbatur, quod simplicitas sua non magna sapientia putaretur, nisi quod postea miraculis claruit, quam accepta Domino simplicitas sua fidt. In simplicitate cordis Deum quaesivit, et ille cor mundum in eo creavit; et Dominum sine dubio videre meruit, sicut in euangelio legitur: Beati mundi corde quoniam ipsi Deum videbunt. C. 9, S. 321, Z. 6ff. Zur Tradition der heiligen Einfalt im benediktinischen Mönchtum vgl. BRACHT, Artikel "Einfalt", in: RAC, Bd. 4, Sp. 821-840; DOM LECLERCQ, Sancta simplicitas; LEHMANN, Die hl. Einfalt; STRUNCK, Kunst und Glaube, S. 52-57 und 160f.

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Die letzten beiden Seligpreisungen werden von Vulkuld in aller Kürze abgehandelt. Weil er friedfertig gegenüber allen war, so heißt es, sei er auch zum Grad der Seligpreisung der Friedfertigen aufgestiegen55. Und weil er zu Beginn seiner Amtszeit von Brüdern und Mitbischöfen verachtet worden sei, habe auf ihn schließlich auch noch die achte Seligpreisung derer, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgung leiden, zugetroffen56. Und jetzt kann Vulkuld mit seinem eingangs schon zitierten Satz schließen: Sed hiis octo beatitudinum meritis Ulis quibus vir sanctus primum erat despicabilis, novissime omnibus gratus effectus est et venerabilis51. Die Bautätigkeit Bardos, die Vulkuld in dem einem Anhang gleichenden zehnten Kapitel als egregie gesta beschreibt, nimmt sich im Vergleich zu den Bauten anderer Bischöfe dieser Zeit sehr kümmerlich aus. Das gilt umso mehr, wenn man bedenkt, daß Bardo 20 Jahre lang Bischof von Mainz war. In diesen 20 Jahren — Anno baute in 19 Jahren fünf Klöster und eine Reihe Kirchen — besserte Bardo lediglich das Dach des abgebrannten Domes aus, baute ein Kloster und sorgte für die Innenausstattung einiger Kirchen.58 Vulkuld schrieb die "Vita Bardonis" zu einem Zeitpunkt, zu dem der Anspruch von Mainz, der vornehmste Bischofssitz des deutschen Reiches zu sein, noch in allen Köpfen präsent war. Doch stimmte seit Bardo die tatsächliche politische Situation nicht mehr mit diesem Anspruch überein. Erzbischof Liutpold und auch dessen Nachfolger Siegfried versuchten, letztlich vergebens, Anspruch und Wirklichkeit wieder in Übereinstimmung zu bringen. Sie bedienten sich zu diesem Zweck unter anderem auch der Hagiographie. Liutpold, der in den Jahren 1051-1054 mehrere Kränkungen seiner Position hinnehmen mußte, nutzte das Charisma seines Vorgängers und die Wunderwirksamkeit an dessen Grab, um ihn zum Heiligen zu erklären. Die Vita, die Liutpold in Auftrag gab, begründet die Heiligkeit seines Vorgängers jedoch nicht in dessen Wunderwirksamkeit, sondern mit seinen politischen Erniedrigungen, die ihm, der Logik der Seligpreisungen zufolge, die Erhöhung im Himmel eingetragen hätten. Liutpold münzt so die politische Schwäche seines Vorgängers in himmlische Stärke um. Der Fall Bardos soll denen zu denken geben, die sich vorschnell über den politisch unbedeutenden Mainzer Erzbischof mokierten, ohne zu bedenken, daß nach christlicher Lehre die auf Erden Schwachen im Himmel ihren Lohn erhalten.

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Quod dicit apostolus: Si fieri potest quod ex vobis est cum omnibus hominibus pacem habentes, ipse exercebat ad omnes. Et sic ascendit in ilium gradum, de quo dicit euangelium: Beati pacifici... C. 9, S. 321, Z. lOff. Wie Anm. 24. C. 9, S. 321, Z. 16ff. Vgl. FALCK, Mainz, S. 95. Die Bemerkungen der Vita Bardonis maior sind in diesem Zusammenhang ebenfalls sehr aufschlußreich. Leo IX. habe, als er sah, wie die Pilger ihre Opfergaben an Bardos Grab ablegten, gesagt: Nunc, inquit, Bardo aedificat, si ante neglexerat. Erat enim proverbium populo, quoniam Bardonis aedificiumfornax esset, quem cum ceciderit tribus lapidibus reaedificasset. C. 22, S. 338, Z. 49ff.

VII. DIE VITA BARDONIS MAIOR EINE FULDAER GEGENDARSTELLUNG "Nachdem sie lange vergeblich einen Kandidaten für den Mainzer Erzstuhl gesucht hatten, stand einer auf und sagte, daß nach einem Privileg ein Fuldaer Hirte verlangt würde. In dem Privileg hieße es nämlich, daß der Fuldaer Schafstall jeden dritten Bischof von Mainz stellen müßte.1 ... Wir kennen, sagte der König, jenes Fuldaer Privileg, und wir werden die Bestimmung unserer Vorgänger nicht brechen. "2 Diese beiden Sätze aus der zweiten Fassung der Vita Bardonis 3 bilden den Höhepunkt und das Ziel der zu behandelnden Vita. Sie wird einem Fuldaer Mönch unter dem Abbatiat Egberts (1047-1058) oder Siegfrieds (1059-1060) zugeschrieben 4 . Der erste der zitierten Sätze ist dem elften, der zweite dem vierzehnten Kapitel der Vita entnommen. Sie bilden gewissermaßen den Rahmen, in dem die Wahl Bardos zum Erzbischof von Mainz beschrieben wird. Vier ganze Kapitel läßt sich der unbekannte Autor für die Beschreibung der Wahl Zeit. Im Vergleich dazu sei an Vulkuld, den Verfasser der ersten Vita Bardonis, erinnert, dem der ganze Vorgang nur einen Satz wert war 5 . Die Wahl Bardos zum Erzbischof von Mainz steht im wahrsten Sinne des Wortes im Zentrum der "Vita Bardonis maior", da sie einerseits den Gegenstand der mittleren Kapitel der Vita bildet und andererseits das Thema ist, dem der Autor den größten Platz einräumt. Es wird zu zeigen sein, daß sie auch der Höhepunkt ist, auf den die ganze erste Hälfte der Vita hinstrebt. Dieser Höhepunkt wird von dem fuldischen Anspruch, jeden dritten Erzbischof in Mainz zu stellen, eingerahmt. Es ist wichtig, auf diese "Konstruktion" der Vita aufmerksam zu machen, da aus ihr eindeutig hervorgeht, daß die beiden eingangs zitierten Sätze nicht mehr oder weniger gedankenlos in die Vita eingeflossen sind, sondern daß sie der Autor bewußt an diesen Stellen eingesetzt hat6. 1

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Diu multumque frustratis, fliit aliquis ibi qui diceret, ex privilegii censura Fuldensem exigi pastorem, eo quod tertium antistitem sedis Mogontinae mittere Fuldense deberet ovile. C. 11, S. 327, Z. 46ff. Novimus, ait rex, Fuldense Privilegium, nec infringimus statutumpraecessorum nostrorum; C. 14, S. 329, Z. 17ff. Vita Bardonis archiepiscopi Moguntini altera maior, hg. von WATTENBACH, MGH SS 11, S. 323-342; eine weitere Ausgabe besorgte JAFFE, Bibl. rer. Germ. III, S. 529-564. Die Vita Bardonis maior ist nach WATTENBACH in vier Codices überliefert, wovon einer aus dem 12. und drei aus dem 13. Jahrhundert stammen. WATTENBACH/HOLTZMANN, Geschichtsquellen I, S. 206; zur Diskussion der Abfassungszeit vgl. unten, S. 123ff. Vgl. oben, Kapitel 5, Anm. 7. Das angebliche Privileg der Abtei Fulda wurde in der Forschung schon mehrmals behandelt; seine Fiktionalität gilt als erwiesen. Vgl. BRESSLAU, Die angeblichen Fuldaer Privilegien, in: Jbb. Konrads II., Bd. 1, S. 475f.; MÜGGE, Studien, S. 120-135, bes. S. 125f. MÜGGE schreibt S. 126: "Unter den Fabeleien des füldischen Mönches mochte auch diese Geschichte einen Platz finden und von denen geglaubt werden, die sie glauben mochten." Schon MANITIUS, Literatur II, 2, S. 377, fiel die "seltsam breite Darstellung von der Wahl zum Erzbischof" auf, doch er erkannte den Zusammenhang, der zwischen dem angeblichen Fuldaer Privileg und der ausführlichen Schilderung der Bischofswahl besteht, nicht. Dagegen erkannte BRESSLAU, ebd., S. 474, "daß der ganze Wahlbericht (Bischofswahl Bardos!) mit all seinen Details" Fiktion sei und dem Zwecke diene, den "Anspruch Fuldas und seines Abtes auf den Mainzer Erzstuhl" festzuhalten. Daß das angebliche Privileg im Vordergrund des

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Der Anspruch, quod tertium antistitem sedis Mogontinae mittere Fuldense deberet ovile, sei zunächst von irgendjemand, aliquis, auf der Wahlversammlung vorgetragen worden, da man angeblich Schwierigkeiten hatte, sich auf einen Kandidaten zu einigen. Der König, Konrad II., habe dann den fuldischen Anspruch in seinen Unterlagen überprüft und bestätigt gefunden und die Versammlung vertagt, weil kein geeigneter — das bedeutet wohl: kein Fuldaer Kandidat — anwesend war7. Nachdem im elften und zwölften Kapitel die Anreise der beiden Fuldaer Kandidaten, des Abtes Richard von Fulda und des ehemaligen fuldischen Mönches, Bardo, geschildert wurde, kann Konrad II. im vierzehnten Kapitel seinen Beschluß verkünden, Bardo zum Erzbischof von Mainz zu erheben. Eingeleitet wird diese Bekanntgabe mit einer weiteren Bestätigung des fuldischen Anspruches, diesmal aus dem Mund des Königs. Es handelt sich um den zweiten der eingangs zitierten Sätze: Novimus, ait rex, Fuldense Privilegium ...8 Doch nun zum Aufbau der Vita, der die Bischofswahl Bardos in zwei Punkten vorbereitet: erstens mit prophetisch-visionären Vorankündigungen, ergänzt durch das Motiv der göttlichen Vorbestimmung, und zweitens mit dem Bild des unaufhaltsamen Aufstiegs Bardos, der im Mainzer Erzamt sein Ziel findet. Im Gegensatz zu der Vita Bardonis Vulkulds, in der Wunder und Visionen völlig fehlten, kommen diese für Heiligenviten typischen Elemente in der "Vita Bardonis maior" zu ihrem Recht. Von ihr erfahren wir, daß Bardo von Gott die Gnade der Prophetie erhalten habe9. Dank dieser Gnade, so die Vita, habe sich Bardo schon als Mönch auf sein künftiges Bischofsamt vorbereiten können. So eifrig soll er die "Cura Pastoralis" Gregors des Großen studiert haben, daß ihn seine Mitbrüder verwundert gefragt hätten, wozu er das tue. Mit einer sehr humorvollen Antwort habe Bardo entgegnet, daß es sehr gut sein könne, daß ihn der König zum Bischof erhebe, und auf dieses Amt wolle er sich rechtzeitig vorbereiten10. Auch die zweite Prophetie, die die Vita Bardo zuschreibt, gilt dem Bischofsamt, und auch sie ist nicht ohne Humor. Bardo sei, nachdem er in Werden und Hersfeld die Abtswürde erlangt habe, auf Aribo, seinen Vorgänger im Mainzer Erzamt, getroffen. Dieser habe auf verwegen bayerische Art den schönen Abtsstab Bardos für sich beansprucht. Bardo soll ihm den Stab samt einem wollenen Gewand geschickt haben. Der daraufhin doch etwas überraschte Aribo habe Bardo gefragt, ob er solch ein Geschenk

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Wahlberichts steht und dessen breite Darstellung bedingt, hat auch MÜGGE, ebd., S. 124, festgestellt: "Die Erwähnung des angeblichen fuldischen Anrechts steht in dem Wahlbericht so sehr im Vordergrund, daß wir spüren, wie wichtig dies dem Verfasser erschien, ja, stellenweise könnte es so scheinen, als habe es Konrad mehr Kopfzerbrechen bereitet, dieses Anrecht zu beachten und zum Siege zu führen, als einen geeigneten Erzbischof zu finden. " Placuit itaque regi differre concilium, quousque congruum de hoc caperent consilium. Consulta igitur privilegia eadem loquebantur, etpriorum regum in hoc consensum testabantur. Communi vero Consilio senatus super hoc habendus dilatus est, quoniam adhuc homo non invenitur quem vellet Deus. C. 11, S. 327f., Z. 48ff. Wie Anni 3. ... iam illum divini consilii consortem caelestìs novit curia, et amicum Dei in terra degentem inpleverunt caelestia sancii Spiritus oracula, ita ut in eum divinitus conferretur prophetiae gratia. C. 4, S. 324, Z. 42. Nam inter cetera sanctae scripturae flumina ... pastoralem curam maxime diligebat, eamque sine intermissa sedulitate legebat. Quodfamiliares eius fieri videntes, non sine divina voluntate, ... quadam die ilium percunctati sunt, quanam causa hoc ageret... Quibus sanctus pater iocunde et ut ita dicam ridiculose respondit: "Adhuc, inquit, cum rex stultus venerit et nullum antistitare volentem invenerit, forsitan me constituet antistitem, ad quod necesse est mepraevideam scientem." Ebd., Z. 44ff. Vgl. dazu unten S. 114.

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überhaupt annehmen könne. Bardo habe ihn beruhigt; Aribo solle sich keine Sorgen machen, denn bald würden diese Dinge wieder in seinen, Bardos, Besitz übergehen. Auch diese Prophetie hat laut Vita maior ihre Bestätigung gefunden. Denn als Aribo bald darauf starb und Bardo Erzbischof von Mainz wurde, habe er diese kostbaren Dinge wieder vorgefunden 11 . Die dritte Vision gilt nicht Bardo, sondern dem Fuldaer Abt Richard, aber auch sie betrifft das Bischofsamt. Dem angeblichen Fuldaer Privileg zufolge wäre es zunächst naheliegend gewesen, dem Abt von Fulda und nicht einem ehemaligen Mönch des Klosters die Mainzer Erzbischofswürde anzutragen, so wie es in den letzten drei Jahrhunderten auch häufig der Fall gewesen war 12 . Doch Abt Richard, der an weltlicher Macht laut Auskunft der Vita sowieso nicht interessiert war, habe sich in einem Traum der Wille Gottes geoffenbart: Er habe Bardo auf einem schönen Berg Schafe hüten sehen. Für Richard habe dieser Traum alle Fragen geklärt: Bardo sei von Gott zum Erzbischof auserwählt. Deshalb habe Richard auf seinen Anspruch verzichtet 13 . Und deshalb habe er auch Bardo, den er zufällig auf der Reise zum Königshof getroffen habe, beim Betreten einer Kapelle den Vortritt gelassen14. Der Autor schreibt auch mehrmals ausdrücklich, daß Gott selbst Bardo zum Erzbischof erwählt habe, und bestärkt so die göttliche Auserwählung, die er schon in den Prophetien angedeutet hat15. So haben alle Prophetien, die der Autor vor der Bischofswahl anführt, ein und denselben Gegenstand: die Wahl Bardos zum Erzbischof von Mainz anzukündigen und seine göttliche Auserwählung zu bestätigen. Die Wahl Bardos zum Erzbischof von Mainz ist zweitens das Ziel der "Karriere" Bardos. Das Bild des unaufhaltsamen Aufstieges hat der Autor der Vita maior wohl von

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Rursum spiritu prophetiae reddidit eum clarum; rursus quod electus esset et praeelectus esset apud se, etsi obscure fecit planum. C. 10, S. 327, Z. 20-36. Über die Fiktionalität dieser Begegnung vgl. BRESSLAU, Jbb. Konrads II., Bd. 1, S. 476. BRESSLAU, der die Fiktionalität des Berichtes aus seinen unwahrscheinlichen Zeitangaben ableitete, vermutete, daß dieser Bericht eingeflochten wurde, um die Prophetengabe Bardos zu belegen. BRESSLAU ist jedoch nicht aufgefallen, daß zwischen den einzelnen fiktiven Berichten der Vita Bardonis maior — Wahlbericht, fuldisches Privilegium, Prophetien — ein innerer Zusammenhang besteht. Er schreibt: "Reichen diese Bedenken nicht aus, um die Erzählung mit eben so großer Zuversicht wie den Wahlbericht und die Privilegiengeschichte als eine Erfindung zu bezeichnen, so berechtigen sie doch, wie mir scheint, ... zu lebhaften Zweifeln an der Wahrheit des Berichtes, dessen Tendenz es sein könnte, einen neuen Beleg für die Prophetengabe Bardos zu liefern." Ebd., S. 477. Wie unten Anm. 110. ... sedparum cupidus terrenae potestatis, exspectabat tantum velle divinitatis. C. 12, S. 328, Z. 6f. Hac inquit nocte in quodam fui campo, ubi econtra stantem mira celsitudinis vidi montem, in cuius cacumine quo ego ascendere non valebam, fratrem Bardonem stare videbam ... virgam in manu eius quasi oves minantem aspiciebam, ipsasque oves cumquaque pascentes. ... llle ait, electus est, summae voluntati volentes cedamus. Ebd., Z. 19-32. Cumque ad ianuam ecclesiae pervenissent, ambo constiterunt, et alter alteri ingressum praebuerunt, hie ut antiquo magistro, ille ut ei quem noverat electum in Christo. C. 13, S. 328, Z. 31ff. So habe der König die Mainzer Kirchenväter aufgefordert, den zu wählen, den nicht sein Wille sondern die göttliche Majestät dafür vorsehe: non meam voluntatem sed sempiternam potius maiestatem ... c. 11, S. 327, Z. 43ff. Und ebenso heißt es am Vorabend der Wahl Bardos zum Erzbischof: Praesto enimfuit quem Deus in hoc ipsum elegit. C. 13, S. 328, Z. 45. Und nach der Wahl heißt es: Inter haec ergo nec divina caruit consecratione ... c. 14, S. 329, Z. 25.

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Vulkuld übernommen, wie er auch anderes teilweise wörtlich entlehnte16. Doch während Vulkuld seinen Helden von Seligpreisung zu Seligpreisung emporsteigen ließ, benutzte der Fuldaer Autor das Bild des Emporsteigens für die kirchliche Karriere Bardos. Bei ihm lauten die Etappen des Aufstieg: Mönch — Ältester — Dekan — Prior — Abt eines Klosters — Abt zweier Klöster — Erzbischof von Mainz. Zunächst beschreibt er, wie Bardo, der von seinen Eltern dem Kloster Fulda zur Erziehung übergeben wurde, Fortschritte in der Weisheit machte17. Als Mönch habe er ohne Schwierigkeiten "die Milch der Einfalt" begehrt und das Alter der Tugend erreicht18. Bardo habe sich so sehr im Dienst an seinen Brüdern bewährt, daß diese ihn zum Ältesten wählten19. Bardo habe die Leiter des Erfolges auf den niedrigsten Stufen bestiegen, um sie auf den höchsten zu beenden: Fuit etiam in scala provectionis ... qui incipiens a minimis, finem scandendi fecit in maximis20. Im fünften Kapitel wird dann Bardos Wahl zum Dekan von Fulda dargestellt. Diese Wahl sei, so belehrt uns der Autor, wie ein Wort Gottes gewesen, das dieser an Bardo richtete: Amice, ascende superius21. Das folgende sechste Kapitel berichtet von einer weiteren Erhöhung Bardos. Dieses Mal bestimmt ihn der Abt Richard von Fulda zum Prior des von ihm erbauten Andreasklosters bzw., um die Worte der Vita aufzunehmen, er vertraute Bardo als Nährvater die zarte Tochter an. Daß sich Bardo in diesem neuen Amt, auf dieser neuen "Stufe", auch bewährte, ist für den Autor selbstverständlich: Quantum se in hoc gradufecerit exspectabilem, mihi opus non est declarare22. In diesem Amt habe Bardo, so die ersten Worte des siebten Kapitels, eine solche Höhe erreicht und sei derart vom heiligen Geist erleuchtet gewesen, daß er nicht länger im Verborgenen bleiben konn-

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Zu dem Bild des stufenweisen Aufstiegs Bardos bei Vulkuld s. oben S. 103f. Die entsprechenden Stellen der Vita Bardonis auctore Vulculdo lauten: gradatim singulas ascendit oboedientias non sine gradibus meritorum ..., c. 2, S. 318, Z. 40;... iam eius et mores in illumascenderent gradum de quo dicit euangelista ..., c. 5, S. 319, Z. 47; ... et sie ascendit in illum gradum de quo dicit evangelium ..., c. 9, S. 321, Z. l l f . Wie Vulkuld, so verwendet der Autor der Vita maior das verbreitete Motiv des Lichtes, das man nicht unter den Scheffel stellen soll an derselben Stelle der Vita, nämlich als Einleitung zu der Wahl Bardos zum Abt von Werden: Vita Bardonis auctore Vulculdo, c. 3, S. 318, Z. 42f. und Vita Bardonis maior, c. 7, S. 325, Z. 46f. Auch die acht Seligpreisungen, die die Struktur der Vita Bardonis Vulkulds bilden, finden sich in der Vita maior wieder und zwar zum Großteil in der im 16. Kapitel überlieferten Predigt, die Bardo am Königshof gehalten haben soll: Beati mundi corde, quoniam ipsi Deum videbunt, ... c. 4, S. 324, Z. 34f.; Fulgent, alias castitate, alius simplicitate, alius paupertate spiritus, alius admodum pacificus ut dici mereatur fllius Dei. C. 16, S. 331, Z. 9f.; Vivens inquit, Simplex, innocens, castus, mitis, modestus, pauper spiritu, humilis, ... ebd., Z. 29; ... beati pacifici, quoniam filii Dei vocabuntur. Ebd., Z. 36. 17 ... sed sitientipectore sapientae fluenta hauriebat, ... c. 2, S. 323, Z. 45. 18 ... sine dolo lac simplicitatis concupivit, ex quo lactatus virtutum aetatem aequieivit. Ebd., S. 324, Z. lf. " Nam vir Dei simul cum gradibus aetatis scandens etiam gradus dignitatis, ... c 4. 3, S. 324, Z. 18ff. 20 Ebd., Z. 21f. 21 C. 5, S. 325, Z. 10; der Autor knüpft hier an eine Episode aus dem Lukasevangelium — Luc. 14,711 — an, die schon für Vulkulds Vita Bardonis den Ausgangspunkt gebildet hatte. Es handelt sich um das Gleichnis einer Hochzeit. Dort soll sich der Gast nicht auf den Ehrenplatz setzen, sondern am untersten Tafelende Platz nehmen. Denn nur dann wird der Hausherr zu ihm sagen: Mein Freund, rücke weiter hinauf: amice, ascende superius. 22 C. 6, S. 325, Z. 44f.

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te23. Wie bei Vulkuld dienen diese Worte zur Einleitung eines Besuches Konrads II. in Fulda, bei dem dieser Bardo kennenlernte und ihm versprach, sich seiner anzunehmen. Im folgenden achten Kapitel wird Bardo von Konrad zum Abt von Werden ernannt. Bardo habe diese Aufgabe mit Demut erfüllt, so daß unser Autor auf ihn das Schriftwort Ibunt de virtute in virtutem anwenden kann24. Und tatsächlich, so liest man, sei Bardos Macht in demselben Maße wie seine Tugenden gewachsen: Aus dem Abt eines Klosters wurde ein Abt zweier Klöster25. Bardo sei trotzdem demütig geblieben. Das gibt dem Fuldaer Autor Gelegenheit, auf Bardo den Satz "je demütiger der Knecht, desto freigiebiger der Herr" anzuwenden26. Der Herr habe Bardo nicht nur noch größere irdische Macht zuteil werden, er habe ihn auch am "himmlischen Vorwissen" teilhaben lassen27. Dieser Satz leitet die oben erwähnte Anekdote ein, derzufolge Bardo seinem Vorgänger, dem Mainzer Erzbischof Aribo, auf dessen provozierende Frage hin seinen Stab überlassen habe, da er sicher war, diesen in Mainz wiederzufinden28. Schließlich wird von der Wahl Bardos zum Erzbischof von Mainz berichtet. Daß der Fuldaer Autor in ihr tatsächlich den Höhepunkt der Karriere Bardos sah, geht aus folgenden Worten hervor: ... promoverunt eum consecrantes in episcopatus gradum. Tune vere potuit ad eum dicere Dominus: Amice, ascende superius.29 Auf die Bedeutung dieser Stelle wird der Leser zuvor durch eine direkte Anrede des Autors hingewiesen30. Auch die dramatische Gestaltung des Vorgangs — der König winkt Bardo mit dem Zeigefinger zu sich, die Herumstehenden flüstern sich gegenseitig zu, Bardo tritt vor den Thron des Königs — unterstreicht die Bedeutung, die der Autor dieser Stelle zumaß31. Wenige Sätze später verdeutlicht das kleine Wörtchen donec, daß Bardo in seiner Eigenschaft als Erzbischof von Mainz auf der Spitze der scala provectionis angelangt war: Non enim dereliquit eum Dominus, donec afferret illi seeptrum regni. Consecratus igiturpontifex ... 32 . Gott habe Bardo nicht eher verlassen, bis daß er ihm das Szepter des Reiches zugeteilt habe. In den Augen des Fuldaer Autors stand Bardo als Erzbischof von Mainz an der Spitze des Reiches.

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Appropinquavit interim quod scriptum est: Ecce intelliget servus meus, exaltabitur et elevabitur, et sublimis erit valde; quia quem sanctus accendebat Spiritus, abscondere non potuit modius. C. 7, S. 325, Z. 47ff. Ipse vero quod dicitur potentia contempnens, et quod paternitas dicitur attendens, ad consuetos mores conversus, nec aliquid mutans nisi forte ut scriptum est: Ibunt de virtute in virtutem, ... c. 9, S. 326, Z. 28ff. Ergo opus erat novis honoribus, ut rursus et potestate crescerei, qui novis semper crescebat virtutibus. Unde aesi monogamus paupertate premeretur, digamus subito factus est, tradita ei a rege Herfeidia pastoris sui morte viduata. Ebd., Z. 35ff. Dicat nunc aliquis de hoc famulo Dei, utrum illi Deus largiens largior, an hie foret humilior? C. 10, S. 327, Z. 3f. Vere enim ad hunc vel potius in hunc intravit, quem secreti sui conscium faciendo laetiflcavit, ut quia non multum eum laetiflcavit potestate terrestri, laetìflcaret ut dignum erat praescientia caelesti. Ebd., Z. 18 ff. S. oben Anni. 11. C. 14, S. 329, Z. 21f. Qualem tunc eum videres, ... ebd., Z. 14f. ... tandem vocans eum Imperator ex nomine, dixit: Pater, simulque digito innuens praeeepit ut accederei. ... Cunctis eum in invicem adnotantibus: Hic hic est ille! oculi omnium ad pium patrem, aures intendebant ad regem. Ebd., Z. 13f. Ebd., Z. 26f.

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Die Vorgehensweise unseres Autors liegt auf der Hand. Ausgehend von dem Gleichnis aus dem Lukasevangelium, in dem der Gast aufgefordert wird, sich an das untere Ende der Tafel zu setzen, damit er vom Hausherrn gebeten werde, auf einen ehrenvolleren Platz aufzurücken, konstruiert der Autor eine Art Ämterlaufbahn Bardos: Bardo führt zunächst die niedrigen Ämter im Kloster aus, sprich, er setzt sich an das untere Ende der Hochzeitstafel, oder, im anderen Bild der Vita, er besteigt die niedrigste Sprosse der scala provectionis. Da Bardo seine Ämter stets in Demut ausübte, habe ihn Gott jeweils auf die nächst höhere Stufe, gradus, gerufen, solange bis er schließlich als Erzbischof von Mainz das "Zepter des Reiches" in der Hand hielt. Es dürfte klar geworden sein, daß die "Vita Bardonis maior" keine an der Realität orientierte Biographie sein will, sondern ihre eigene Gesetzmäßigkeit hat. Die Fiktionen des Autors sind nicht einfach "Fabeleien", sondern sind einem ganz bestimmten Zweck untergeordnet, der sie miteinander verbindet 33 . Durch den vorbereitenden Charakter der ersten vierzehn Kapitel als "Stufen" hin zur Bischofswahl erzeugt der Autor eine Spannung, die in der Bischofswahl ihre Lösung findet. Und in dem Moment, in dem die Spannung ihren Höhepunkt erreicht, führt der Autor das angebliche fuldische Privileg ein! Alle vier Kapitel der Bischofswahl sind durch das angebliche Fuldense Privilegium motiviert. Im elften Kapitel wird es erstmals vorgestellt und vom König bestätigt34. Im zwölften Kapitel heißt es, Abt Richard habe sich wegen des Privilegs auf den Weg zu einer neuerlichen Wahlversammlung gemacht 35 . Im dreizehnten Kapitel überläßt Abt Richard, belehrt durch einen Traum, Bardo den Vortritt in die Kirche als Zeichen dessen bevorstehender Wahl 36 . Schließlich führt der König im vierzehnten Kapitel das Fuldaer Privileg an37. Die mit dem fuldischen Privileg begründete Wahl ist somit der angestrebte Höhepunkt der "Vita Bardonis maior". Die zweite Hälfte der Vita läßt sich nicht wie die ersten Kapitel einem gemeinsamen Ziel unterordnen. Man kann sie lediglich mit dem Wort virtutes in seinem doppelten mittelalterlichen Wortsinn von Tugend und Wunder zusammenfassen. So ist die zweite Hälfte der Vita dem tugendhaften Verhalten und den Wundern gewidmet, die Bardo zu Lebzeiten gewirkt haben soll, sowie seinem Sterben und seinem Begräbnis. In fast allen Kapiteln wird jedoch auf einen Charakterzug Bardos hingewiesen, der z.T. schon in der ersten Hälfte der Vita anzutreffen war: die sorglose Fröhlichkeit des heiligen Erzbischofs. Die Fröhlichkeit Bardos, die neben der auf dem Fuldaer Privileg beruhenden Bischofswahl Bardos ein Charakteristikum der "Vita Bardonis maior" ist, fand sich schon in den ersten Kapiteln der Vita angedeutet. So, wenn Bardo den ihn nach seinen Gründen für das Studium der "Cura pastoralis" fragenden Mitbrüdern iocunde et ut dicam ridiculose antwortet, daß ihn nur ein dummer König zum Bischof erheben könne,

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Wie Anm. 6. Vgl. Anm. 2 und 7. Igitur et abbas Richardus adductus ex privilegiis, eadem ratus ventura, ... curtim pergere iter aggressus est. C. 12, S. 328, Z. 3f. Diu illis alternantibus ait Richardus: Quod ultra faciendum est, habeat initium: praecedat ille quem divinum elegit beneficium. C. 13, S. 328, Z. 33f. Wie Anm. 2.

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und somit alle zum Lachen bringt 38 . Gott habe Bardo, weil er ihm demütig diente und weil ihn irdische Macht nicht sehr erfreute, mit himmlischer Voraussicht erfreuen wollen 39 . Dieser Satz leitet die Anekdote über Bardo und Aribo von Mainz ein, derzufolge Bardo Aribo seine Insignien überlassen habe, da er sicher gewesen sei, diese nach Bardos Tod in Mainz wieder vorzufinden. Den Höhepunkt erreicht der Humor des Autors jedoch in der zweiten Hälfte der Vita, im 15., 16. und 17. Kapitel. Das sich der Schilderung der Bischofswahl anschließende 15. Kapitel beginnt mit einem hochtrabenden Lob des neuen Erzbischofs als Senator curiae caelestis, dem mit den Aposteln die Schlüssel des Himmelreiches übergeben worden seien. Doch habe Bardo seine Macht nicht dazu benutzt, um mit den Vögeln des Himmels und den Fischen des Wassers zu spielen, sondern er habe den apostolischen Menschenfischern gleich auf allen Hügeln das Überhebliche mit dem Netz der Demut bedeckt 40 . In diesem pompösen Tenor fahrt der Autor, die bischöfliche Tätigkeit Bardos beschreibend, einige Zeilen fort. Dann folgt ein abrupter Szenenwechsel. Bardo hält am Königshof seine erste Predigt, nach der sich einige über das "bäurische Männlein", das man zum Inhaber eines hochberühmten Bischofssitzes gemacht habe, lustig machten. Bardo hätte besser daran getan, in seinem "Klösterchen", Fulda(!), zu bleiben: causantes tantae rusticitatis homunculum tarn praecelsae sedis factum episcopum; re autem vera invidentes eum esse monachum. ... auditi sunt qui dicerent: Monachus est, aliquid esse potuit in suo monasteriolo, nequaquam tali congruit solio,41 Daraufhin habe es den König gereut, Bardo jemals zum Erzbischof ernannt zu haben, und es sei ihm sogar der Appetit vergangen 42 . Am zweiten Weihnachtsfeiertag habe Bardo die Chance zu einer "Revanchepredigt" genutzt. Seinen Freunden, die ihn zunächst davon abhalten wollten, um ein noch größeres Desaster zu vermeiden, soll Bardo, Paulus zitierend, gesagt haben: Jeder wird seine eigene Last zu tragen haben. Doch heimlich habe er mit Jesaja gedacht: Ich überlasse die Ehre, die mir gebührt, keinem anderen 43 . Zweimal erwächst der Humor einer Antithese: dem Senator curiae caelestis wird der rusticitatis homunculus gegenübergestellt, und das "jeder hat seine Last zu tragen" wird mit dem "die Ehre keinem anderen überlassen" konfrontiert. Nach der zweiten Predigt Bardos, die natürlich alle zum Weinen bringt, gestehen Bardos Ankläger, daß sie den ehemaligen Fuldaer Mönch zu Unrecht verlacht hätten und daß er der höchsten Würde,

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Quibus sanctus pater iocunde et ut ita dicam ridiculose respondit: "Adhuc, inquit, cum rex stultus venerit et nullum antistitare volentem invenerit, forsitan me constituet antistitem, ad quod necesse est me praevideam scientem. " Tunc omnibus secum ridentibus nichilque minus suspicantibus, cum rìdendo declaravit, quod ipse necesse noverai futurum, acsi possibile enunciavit. C. 4, S. 324, Z. 48ff. Vgl. oben Anm. 10. Vere enim ad hunc vel in hunc potius intravit, quem secreti sui conscium faciendo laetificavit, ut quia non multum laetificavitpotestate terrestri, laetificaret ut dignum erat praescientia caelesti. C. 10, S. 327, Z. 18ff. Senator ergo curiae caelestis, cui cum apostolo datae sunt claves regni caelorum, ... nequaquam potestate usus ut luderet in avibus caeli, aut in bestiis terrae, sed cum piscatoribus apostolicis in omni piscatus monte secundum prophetam, et in omni colle, quodcumque superbum invenit, rete circumdedit humilitatis. C. 15, S. 329, Z. 30f. Hier spielt der Autor auf Jer. 16, 16 an. Ebd., Z. 44ff. Doluit quoque etiam imperator tanta eum laude se coram omnibus extulisse, poenituitque umquam eum antistitem fecisse. C. 15, S. 329, Z. 46ff. Rex paene inpransus est, nullas quaesivit delicias ciborum, quoniam ipse amare morsibus carpebatur lacerantium. Ebd., S. 330, Z. 2f. Ille vero cogitans intra semet ipsum: Gloriam meam alteri non dabo, ait humiliter: Unusquisque onus suum portabit. C. 16, S. 3 3 0 , Z. l l f . (Jes. 42, 8 und Gal. 6, 5).

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des Mainzer Erzstuhles, durchaus würdig sei44. Nun habe auch der König richtig Weihnachten feiern können45. Die eigentliche Pointe hat sich der Autor für den Beginn des 17. Kapitels aufgespart, in dem er auf den bischöflichen Alltag Bardos zu sprechen kommt. Er bedient sich dazu eines Vergleichs: der Bischof als Bauer! Bardo, der zwei Kapitel lang unter dem Vorwurf der rusticitas zu leiden hatte, wird nun als ein Bischof gepriesen, der sein Leben nach dem Vorbild der verissimam agricolarum sectam eingerichtet habe, von der Gottes ewige Weisheit sage: Pater meus agrícola est*6. Und anschließend schildert der Fuldaer Autor, angefangen vom Hahnenschrei und aufgehört mit dem Erzählen einer "süßen" Geschichte am Kohlenfeuer, den Tagesablauf eines weltlichen Bauern. Es folgt der Tagesablauf des "geistigen" Bauern, Bardo, der sein weltliches Vorbild natürlich in jeder Hinsicht übertroffen habe47. Schon vor dem ersten Hahnenschrei sei Bardo mitten in der Nacht aufgestanden, um Gott zu loben, und sein Tagwerk habe Bardo, an den Kohlen des himmlischen Feuers, den Sternen, sitzend, beendet, wo er mit seinen Knaben Psalmen gesungen habe48. Bevor der Autor in demselben Kapitel den Konflikt Bardos mit seinem Vogt Erkanbald beschreibt, merkt er an, daß er nur widerwillig von dem "süßesten" Menschen etwas Bitteres erzähle, und fragt, wer Bardo jemals anders als "süß" erfahren habe, er, der ein heiteres Gesicht, liebenswerte Worte und angenehme Umgangsformen habe49. Im 18. Kapitel erinnert sich der Autor mit Freuden daran — cum gaudio rememoraturi0 —, wie Bardo auf einen jungen Mönch, der ihn bei Tisch ausgespottet hatte, reagierte. Anstatt ihn zu bestrafen, habe Bardo ihm die Fleischschüssel gereicht: derisori suo cibum vasque dari praecepit, causa mercedis51. Bardo erfreute sich auch an den Vögeln von Eltville, von denen die im 19. Kapitel überlieferte Wundergeschichte berichtet52. Im 20. Kapitel berichtet der Autor mit "großem Ergötzen" ein Lichtwun-

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... lavacro lacrimarum eos infudit... Sic ergo ad altare regressus, omnium ora convertii in stuporem: quoniam qui paulo ante in tantum viluit rusticulus, voce omnium praedicabatur dignus esse, qui summits fieret episcopus. Detractorum vero vultus superfusi rubore ore taciti, ... c. 16, S. 335, Z. 4. Postquam ergo ad mensam regis ventum est, rex hilari vultu: Hodie, inquit, natalis Domini michi est agendus, ... c. 16, S. 335, Z. 8ff. ... regio honore prosecutus Mogontiam repedavit, ibique vitam suam secundum verissimam agricolarum sectam instituit ad exemplum eius, de quo ait aetema Dei sapientia: Pater meus agricola est. C. 17, S. 335, Z. 16ff. (Joh. 15, 1). C. 17, S. 335, Z. 18-26. ... nisi quod ille in spiritu operatur camaliter, hoc egit iste in came spiritaliter. Ebd., Z. 27. ...ad Numquam enim gallum cantantem ipse non cantans exspectavit ... ebd., Z. 27f. Tota node prunas caelestis incendii sedebat ... Daviticum poema cum suis pueris intentus frequens canebat. Ebd., Z. 43ff. Amarum est quod dicendum est, et Bardo noster dulcissimus est; nollemque de dulcissimo quicquam nisi dulcissimum loqui. Quis enim umquam Bardonem nisi dulcissimum expertus est? Vultu hilaris, verbis amabilis, moribus suavis. C. 17, S. 335, Z. 49ff. C. 18, S. 336, Z. 35f. Ebd., Z. 48f. Sed pius pater cantoribus suis non minimum laetatus, ... c. 19, S. 337, Z. 6f. Auch in der Vita Annonis ist von Vögeln die Rede. Sie sollen nach Annos Tod auf Siegburg erschienen sein. Der Autor deutet sie als Vorzeichen künftiger Pilgerscharen, während der Volksmund in ihnen heilige Seelen gesehen haben soll. Vita Annonis, hg. von KOEPKE, MGH SS 11, III, c. 16, S. 507b, Z. 28ff. Zu diesem Motiv vgl. BORNSCHEUER, Miseriae regum, S. 96, Anm. 458, mit weiterführender Literatur.

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der, das Bardo gewirkt haben soll53. Auch das 21. Kapitel stellt eine "ergötzliche" Wundergeschichte dar. Ein Mönch, der bei Bardo zu Gast war, habe es abgelehnt, Fleisch zu essen, und auf Fisch bestanden. Bardo, dem die Fleischspeise der Gesundheit wegen von Leo IX. verordnet worden sei, habe das Fleisch zur Bestürzung des Mönches in Fisch verwandelt 54 . Im 22. Kapitel gesteht der Autor ein, daß Bardo nicht ein üblicher, asketisch und einsam lebender Heiliger war55. Er habe dies aber durch seine Freigiebigkeit wettmachen können56. Überdies sei er ständig heiter und fröhlich gewesen und habe es verstanden, andere fröhlich zu machen: Semper hilaris et laetus, semper pacificus et quietus, convenientes et advenientes semper hilares reddidit et laetantes57. Nachdem im 23. Kapitel von der Vision eines Fuldaer Mönches, der Bardo im Himmel gesehen haben will, und im 24. Kapitel von der letzten Predigt am Königshof die Rede war, schildert das 25. Kapitel den Tod Bardos. Selbst auf dem Sterbebett sei Bardo nach Auskunft der Vita das Scherzen nicht vergangen. Als er sich auf der Rückreise von einem Hoftag in Paderborn sterbenskrank fühlte, habe er seinen Suffragan und seinen Neffen zu sich rufen lassen. Bardo habe sie auf "süße" Weise begrüßt und seinen Suffragan auf noch "süßere" Weise um die letzte Ölung gebeten58. Die Trauer seines Suffragans bemerkend, habe er ihn getadelt und gesagt: Quaeso de laetitia mea laetare ... ut in conspectu Domini laetus merear intrare59. Diese Worte seien der letzte Auftrag des Bischofs gewesen60. Nicht nur das Testament Bardos hieß Freude, auch in seinen letzten Atemzügen habe er die Seinen noch zum Lachen gebracht. Nach Mönchssitte habe er sich im Angesicht des Kreuzes auf den bloßen Boden legen lassen und wegen der bevorstehenden Freude beinahe seine Krankheit vergessen61. Während um ihn herum alle Tränen in den Augen hatten, habe Bardo mit "lachendem Mund, aber mit weinendem Herzen" gefragt: quando etiam tantae duritiae Stratum incubuf2. Während so um ihn herum alle getrauert hätten, habe Bardo "fröhlich" seine sterblichen Überreste verlassen63. Mit dem Tod des Heiligen ist die Freude der Vita immer noch nicht ausgeschöpft. Weil es Sommer war, habe man die Eingeweide Bardos an Ort und Stelle begraben, bevor man den Leichnam nach Mainz überführte 64 . Dort sei die Trauer über alle

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... sed quoniam patent adhuc in eo magna cum delectatione ac veneratione dicenda certioris rei mirabilia, ... c. 20, S. 337, Z. 41f. C. 21, S. 338. Quae de ceteris sanctis scripta sunt, quia aut ieiunaverunt, aut homines fugerunt aut cetera similia, nisi alio ordine nulla in eo inveniri possunt. C. 22, S. 338, Z. 29ff. Primum enim ieiuniis dedisse operam numquam audivimus, nisi forte hoc ieiunium ieiunavit, quod divinum iudicium magis probavit. ... Vitiis ieiunavit, et necessitati manducavit, et omnibus egentibus panis sui buccellam communicavit. C. 22, S. 338, Z. 3Iff. Ebd., Z. 41f. Utrique igitur ante eum praesentatì ... solita dulcedine salutasset, insuper etiam aequivocum suum causa consolationis dulcius compelasset, ... C. 25, S. 340, Z. 19f. C. 25, S. 340, Z. 29ff. Sic expletis sermonibus, expleta sunt omnia quae mandavit episcopus. Ebd., Z. 30. ...et ille vir Dei paene oblitus infirmitatem propter instantem laetitiam, ... c. 26, S. 340, Z. 32f. Ridens ergo ore flensque corde: Eya, inquit, quando etiam tantae duritiae stratum incubui? Ebd., Z. 37f. Solusque laetus, tristibus omnibus, solus securus sollicitus dudum mundo mortuus, tandem vitae redditus, laetus relictis carnalibus exuviis obdormivit sociis laetabundus angelicis. Ebd., Z. 49ff. C. 27, S. 341.

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Maßen groß gewesen. Doch übertreibt der Fuldaer Autor seine Darstellung so sehr, daß man sich fragen muß, ob er sich nicht über die Mainzer lustig machte65. Trotz aller Trauer schienen die Mainzer — es muß sich um die für die Bestattung verantwortlichen Domkapelläne gehandelt haben — nicht so ganz von Bardos Heiligkeit überzeugt gewesen zu sein. Sie hätten nämlich heimlich den Leichnam aus seinen Tüchern gewikkelt, und als sie einen guten Geruch wahrnahmen, hätten sie nicht geglaubt, daß er dem Toten entströmte, sondern ihn für Weihrauch gehalten, weil sie von Bardos vielfachen Tugenden und Wundern nichts gewußt hätten: quia multis eius ignoratis virtutibus66. Nachdem der Autor wieder in zwei Sätzen die ungeheure Trauer der Mainzer anläßlich des Begräbnisses Bardos geschildert hat, beschließt er, sich wieder Fröhlicherem zuzuwenden67. Bei ihrer Trauer hätten die Mainzer Bürger einen Geruch wahrgenommen, der alle Spezereien übertroffen habe, so daß sie überzeugt gewesen seien, er müsse direkt ex paradisi amoenitate kommen. Der Autor bestätigt Bardos Aufnahme in das Paradies, indem er schreibt, Bardo habe sein "gutes und fröhliches irdisches Leben ohne Verzug gegen die himmlischen Freuden eingetauscht"68. Wahrscheinlich macht sich der Autor hier über die Mainzer lustig, die zunächst nicht an die Heiligkeit Bardos glauben wollten. Bardo war in den Augen des Autors der Vita maior ein fröhlicher und stets zu Späßen aufgelegter Heiliger. Für einen besonders guten Erzbischof schien er ihn jedoch nicht gehalten zu haben. Denn er schreibt, daß beinahe alle das Ausmaß der Barmherzigkeit Bardos für überflüssig gehalten hätten. Er berichtet auch, daß manche sich beschwerten, weil Bardos Pontifikat ihnen viele Nachteile gebracht hätte69. Als Beispiel führt der Autor Leo IX. an, der erst im Nachhinein gesagt haben soll: Wer hätte gedacht, daß die Nachgiebigkeit dieses heiligen Mannes seiner Barmherzigkeit zuzuschreiben ist und nicht eher seiner Sorglosigkeit70. Leo IX. soll nach der Vita maior auch die fehlende Bautätigkeit Bardos kritisiert haben, denn er habe, als er die Pilger mit ihren Gaben an Bardos Grab ziehen sah, gesagt: Nunc, inquit, Bardo aedificat, si ante neglexerat71. Im Volksmund habe es laut Fuldaer Autor gehießen, daß Bardos Gebäude ein Ofen sei, da er diesen, wenn er zusammenbräche, mit drei Steinen wieder aufbauen könne72. Aus

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Nullus alium consolabatur, nullus consolari recordabatur; unicuique certum et proprium incommodum erat, quod defleret, ne dum alius alium consolantem haberet. C. 28, S. 341, Z. 27ff. Ebd., Z. 34ff. Der "gute Geruch", der als ein Zeichen der Heiligkeit galt, ist im Falle Bardos leicht zu erklären, war es doch Sitte, einem Leichnam vor dem Transport die Eingeweide zu entnehmen — dies wird auch von Bardo in c. 27, S. 341, Z. 4f. berichtet — und ihn mit Spezereien einzubalsamieren. Vgl. La Chanson de Roland, laisse 212, von 2966-2970: "En blanc sarcou de marbre sunt enz mis, E puis les cors des barons si unt pris, En quirs de cerf les (treis) seignurs unt mis; Ben sunt lavez de piment et de vin." Zit. n. ARIES, L'homme devant la mort, S. 146. Taceo deflenda, subprimo gemendo; ad laetiora veniam, ... c. 28, S. 341, Z. 39. ... in senectute bona et vita iocunda deponens temporalem, sine dilatione laetitiam invenit aeternalem, ... ebd., Z. 46f. Vgl. den letzten Satz der Vita Bardonis Vulkulds, in dem zwar von senectute bona, nicht aber von vita iocunda die Rede ist: Tandem felici fine cursu expleto longaevus et dierum plenus in senectute bona obdormivit in Domino. Amen. Vita Bardonis auctore Vulculdo, c. 10, S. 321, Z. 32f. Misericordia eius paene omnibus superflua videbatur, ita ut etiam aliqui dicerent quia eius negligentia in episcopio multa fierent inconvenientia. C. 22, S. 338, Z. 44. Quod etiam in exemplum sumens sanctus papa Leo: Quis, inquit, huius sancii viri patientiam unquam asscriberet misericordiae et non potius socordiae? C. 22, S. 338, Z. 46f. Ebd., Z. 49. ... Bardonis aedificiumfornax esset, quem cum ceciderit tribus lapidibus reaedificasset. Ebd., Z. 50f.

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allen Bischofsviten des 11. Jahrhunderts ist abzulesen, welche Bedeutung der Bautätigkeit eines Bischofs beigemessen wurde. Nur vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, daß Vulkuld sich verpflichtet fühlte, seiner Vita ein Kapitel über die angebliche Bautätigkeit Bardos anzufügen. Und nur vor diesem Hintergrund wird das Ausmaß der Kritik an der fehlenden Bautätigkeit Bardos deutlich 73 . In der Kritik an Bardo liegt der Hauptunterschied zur "Vita Bardonis" Vulkulds. Während Vulkuld behauptet, Bardos nach den acht Seligpreisungen ausgerichtetes Leben sei für die Stadt Mainz von Vorteil gewesen, schreibt der Fuldaer Autor, manche hätten unter der Sorglosigkeit Bardos gelitten. Während Vulkuld die fehlende Bautätigkeit Bardos zu vertuschen sucht, scheut sich der Fuldaer Autor nicht, kritische Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Während Vulkuld Bardos Versagen im Bischofsamt mit den acht Seligpreisungen rechtfertigt, zeigt der Fuldaer Autor einen durch und durch fröhlichen Menschen, der es verstanden habe, andere fröhlich zu machen, als Bischof seiner Stadt aber eher Unannehmlichkeiten gebracht hat. Erwartete man von einem idealen Bischof, daß er geliebt und gefürchtet wurde, so heißt es in der Vita maior, daß Bardo wenig daran lag, gefürchtet zu werden, daß er sich vielmehr bemühte, geliebt zu werden. So habe bei ihm den Armen nichts gefehlt, aber den Reichen sei auch nichts abhandengekommen 74 . Bevor nach dem Zweck des Aufbaus der "Vita Bardonis maior" — einerseits der mit dem Fuldaer Privileg verknüpfte, stufenweise Aufstieg Bardos und andererseits die Charakterisierung Bardos als fröhlichem aber unfähigem Erzbischof — gefragt wird, soll auf Entstehungsort, Zielpublikum und Autor der Vita eingegangen werden. Nicht nur das Fuldaer Privileg, auch die ausführlichen Aussagen zu der jüngsten Geschichte des Klosters sprechen für Fulda als Entstehungsort der Vita. Der Leser erfährt von den Auseinandersetzungen des Klosters mit dem Mainzer Erzbischof Erkanbald, ehemals Abt in Fulda, die, so die Vita, zu der Absetzung des Abtes Branthoch geführt hätten75. Man erfahrt ebenfalls von der Bautätigkeit des Abtes Richard in Fulda 76 . Außerdem werden die Äbte Poppo, Rohing und Egbert sowie der Mönch Luydnand erwähnt 77 . Daneben enthält die Vita eine Reihe Lehren, die man mit Mönchsspiegel überschreiben könnte und die darauf hinweisen, daß die "Vita Bardonis maior" an ein Mönchspublikum, den Fuldaer Konvent, gerichtet war. In der Tat bemüht sich der Fuldaer Autor in der Person des heiligen Bardo seinem Publikum den idealen Mönch vorzustellen. In den ersten Kapiteln wird das vorbildliche Mönchsleben Bardos beschrieben: Er studiert eifrig, jedoch — einem Mönch ziemt

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Anno baute in 19 Jahren fünf Klöster und mehrere Kirchen; vgl. VERBEEK, Anno als Bauherr. Auch in der Vita Altmanni kommt die Hochschätzung der Bautätigkeit zum Ausdruck; vgl. unten Kapitel VIII, Anm. 45 und 46. Pauper coram illo nullius indiguit, dives apud illum nichil perdidit. Idem ipse Bardo et dominus ditione etfrater voluntaria conditione, parvipendebat timeri, agens magnopere diligi. C. 17, S. 335, Z. 52ff. Zu dem Motiv des idealen Bischofs, der gleichermaßen gefürchtet wie geliebt werden soll, vgl. LOTTER, Die Vita Brunonis, S. 57 und 127; KÖHLER, Das Bild, S. 11-17, der es auf Augustinus zurückführt. C. 2, S. 324, Z. 2-19; vgl. dazu STENGEL, Abhandlungen, S. 4; JAKOBI, Magnaten, S. 853ff.; MÜGGE, Studien, S. 73ff., 85ff. und lOlff. C. 6, S. 325, Z. 26-29; vgl. dazu SANDMANN, Wirkungsbereiche, S. 769. Poppo in c. 2, S. 324, Z. 9; Rohing in c. 20, S. 337, Z. 47; Egbert in c. 25, S. 340, Z. 15; Luydnand in c. 23, S. 339, Z. 7.

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zuviel Studieren nicht — vergißt er darüber das "einfaltige" Psalmenbeten nicht78. Er tut sich im Dienst an seinen Brüdern hervor79. Bardo durchläuft beinahe alle monastischen Ämter, wobei der Inhalt jedes Amtes gesondert beschrieben wird. So sei es seine Aufgabe als Ältester gewesen, sich um das leibliche Wohl der Brüder zu kümmern80. Als Dekan habe er wie ein Richter auf die rechte Lebensführung der ihm anvertrauten Mönche geachtet81. Als Prior habe Bardo wie ein Nährvater seine noch junge Gemeinde in der theoretischen wie in der praktischen Lebensführung belehrt82. Als Abt schließlich habe er sich wie ein Vater verhalten, der die "teuflische" Erfindung gegenseitiger Verleumdungen verabscheut hätte: Er sei der Vater, ihren Zank sollten die Mönche mit dem Dekan austragen83. Auch die beiden Wundergeschichten aus der zweiten Hälfte der Vita sind zu dem belehrenden Charakter der Vita zu rechnen. Einem jungen Tischgast, der statt auf die Ermahnungen des Erzbischofs zu hören, sich "den fleischlichen Reizen" der Tafel zugewandt und über den Erzbischof lustig gemacht habe, habe Bardo eine Schüssel mit Fleisch vorgesetzt, statt sich an ihm zu rächen, wie es alle befürchteten84. Einem anderen Tischgast, einem Mönch, der trotz Bardos Sondererlaubnis das Fleisch verschmähte und auf Fisch bestanden habe, soll Bardo das Fleisch in Fisch verwandelt haben. Die Episode endet mit dem Satz, daß Mönche den Gehorsam höher als die Enthaltsamkeit schätzen sollten85. Beides sind Lektionen über das rechte Verhalten der Mönche bei Tisch: nicht auf das Essen sollen sie achten, sondern ohne zu murren das essen, was ihnen vorgesetzt wird. Schließlich benutzt der Fuldaer Autor häufig Allegorien, um mit ihrer Hilfe sein Publikum über die facta spiritalia der dona materialia zu belehren. So erfährt man, daß Bardos Taufgeschenke — Helm, Lamm und Psalter — als Praefigurationen seiner Tugenden — Keuschheit, Geduld und hervorragendes Psalmodieren — zu interpretieren seien86. Das Publikum wird ebenfalls über die Bedeutung von Kapuze und Skapulier87 sowie über die "Waffen" des miles Christi — Demut, Geduld, Bescheidenheit, Gerech-

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...et quamquam in scolari facundia desudaret magistri timore, in ecclesiastica tamen simplicitate toto mentis versabatur tenore in psalterìo. C. 2, S. 323, Z. 41f. Suae saluti vacans, fratrum studuit utilitati ...ex toto fratribus prodesse voluit. Ebd., S. 324, Z. lOf. Nam frugalitati deditus fraternae, lucratus est sibi nomen dignitatis patemae. C. 3, S. 324, Z. 24. ... concedente abbate Richardo unanimes decanum elegerunt... Memorem enim eum illius: Iudicem te constituerunt, noli extolli, sed esto cum illis quasi unus ex illis, ... c. 5, S. 325, Z. 8 und 12ff. Habito ergo Consilio teneram filiam abbas sancto viro commendavit... Turn vir perfectae vitae pie se conformans infantiae, nutrìcum more — si assuescebat ad pedes Domini vitae theoreticae, gnarum tamen se ostendebat etpractìcae, ... c. 6, S. 325, Z. 39ff. C. 9, S. 326, Z. 43ff. ... iuvenis quidam carnalibus titillationibus intentus potius quam divinis illius sermonibus, coepit ridere quod tam inania garrirei episcopus ... c. 18, S. 336, Z. 40ff. Sed ille nescius obedientiam summam esse vitae monasticae, studiosus continentiae, securus fuit obedientiae ... docens totius divini servitus summam esse obedientiam:... c. 21, S. 338, Z. 18f. und 23f. Per quae dona materialia adverti possunt eius facta spiritalia, ...In galea quidem, quoniam septus armis spiritalibus nunquam deserviebat voluptatibus carnalibus; in agno praefigurata patientia ... in psalterìi praefiguratione quantum postmodum profecerit psalmodiae meditatione. C. 1, S. 323, Z. 26ff. ... sed sicut cucullam accepit in qua pia Christi signatur infantia, et scapulare quod quadratura sui perfecta designai opera, ... c. 2, S. 323, Z. 48f.

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tigkeit und Liebe — belehrt88. Und man erfährt, was es mit dem Vergleich des Bischofs, der auf einem Berg seine Schafe hütet, auf sich hat89. Die der Vita eingefügte Predigt, die Bardo angeblich am Königshof gehalten haben soll, ist eine einzige Belehrung90. Eine der Predigt sehr ähnelnde theologische Belehrung führt der Autor im 19. Kapitel an. Es ist das Kapitel über das Vogelwunder von Eltville. Jedesmal wenn Bardo dorthin gekommen sei, habe ihn eine Vogelschar empfangen und erfreut. An diese Erzählung schließen sich "gelehrte" Ausführungen an, ob die Vögel, ja oder nein, Boten des Heiligen Geistes wären. Das Kapitel endet mit einem sehr salomonischen Urteil über die Geisthaftigkeit von Bardos Vögeln91. Das angebliche Fuldaer Privileg, die Ausführungen zur jüngsten Geschichte des Klosters sowie die zahlreichen theologischen und das Mönchsleben betreffenden Belehrungen weisen darauf hin, daß Fulda sowohl der Entstehungs- wie der Bestimmungsort der "Vita Bardonis maior" war92. Die gekonnte Rhetorik, der dreiste Anspruch des Fuldaer Privilegs sowie die Bardo ins Lächerliche ziehende Darstellung lassen vermuten, daß hinter dem Autor nicht irgendein Mönch, sondern ein selbstbewußter, mit dem Abt in enger Verbindung stehender Mönch, wenn nicht sogar der Abt selbst zu sehen ist. Es gibt mehrere Argumente, die auf den Abt als Verfasser hindeuten. In seinem Prolog zu dem "Libellum de institutione Hersveldensis Ecclesiae" von 1076 erwähnt Lampert eine laeta cuiusdam Fuldensis abbatis historia subtiliter memoriae commendata, die ihn schließlich dazu bewogen habe, seine Geschichte des Klosters Hersfeld zu schreiben93. Bisher vermutete man, daß Lampert hier auf eine verlorengegangene Klostergeschichte Fuldas anspielte94. Die Charakteristik von einer "fröhlichen und auf feinsinnige Weise dem Gedächtnis anvertrauten Geschichte" trifft allerdings so genau auf die "Vita Bardonis maior" zu, daß in Lamperts historia wohl nichts anderes als die "Vita Bardonis maior" zu sehen ist. Da die historia von Lampert nicht näher

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Memor igitur caelestis sponsus amici sui, summus rex militis sui, ... circumsepsit eum armis virtutum, muniens eum clipeo humilitatis, galeatum patientia simplicitatis, et circumcinctum gladio discretionis, adomavit sagittis praedicationis; et protectum thorace iustitiae salutaris, superinduit eum clamide caritatis. C. 5, S. 325, Z. 2ff. 84 Cuius interpretationem subiciens contìnuo ait: Möns quidem primitus est sublimitas, virga correptionis subtilitas: fons doctrina quam congeret in eo divina sapientia; oves autem populi pascendi gramine caelestis pabuli. C. 12, S. 328, Z. 23ff. 90 Die Predigt legt den Psalm, Von seinem Glanz erstrahlten die Wolken (Ps. 18,3), als ein sinnfälliges Bild für das Verhältnis der Heiligkeit Gottes zu der Heiligkeit der Menschen aus. C. 16, S. 330-335. Vgl. die Zusammenfassung ebd., S. 331, Z. 51f.: Quare, etsi de sanctis dicitur:"Vos estis lux mundi, " sed participialiter, non substantialiter. Participant namque de ilio, qui est lux vera, illuminans omnem hominem venientem in hunc mundum. " Ergo iuxta quod credimus coniectamur, quicquid autem hac in re ventati innititur, quia spiritale credimus veneramur. C. 19, S. 337, Z. 39f. Vgl. oben Anm. 52. 92

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Vgl. die Einleitung WATTENBACHS, MGH SS 11, S. 322; WATTENBACH/HOLTZMANN, Geschichts-

quellen I, S. 204. Lampert, Libelli de Institutione, in: Lamperti ... opera hg. von HOLDER-EGGER, MGH SS in us. schol., S. 345:... sed timidum me filiumque diffidentiae tandem ad audendumperpulit laeta cuiusdam Fuldensis abbatis historia ... HEINEMEYER, Chronica Fuldensis, S. 41 und 43, vermutet, daß die von Lampert gerühmte historia mit dem ersten Teil der Chronica Fuldensis identisch sei und womöglich Otloh von St. Emmeram zum Autor habe. Dagegen spricht jedoch Lamperts Charakterisierung der Geschichte als einer laeta historia. Vgl. auch WATTENBACH/HOLTZMANN, Geschichtsquellen I, S. 206.

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spezifiziert wurde, kann es sich um eine Klostergeschichte wie um eine Vita handeln95. Es lag recht nahe, daß Lampert vor dem Verfassen seiner Geschichte des Klosters Hersfeld die Vita Bardonis einsah, da Bardo doch selbst, wenn auch nur für kurze Zeit, Abt von Hersfeld war96. Auch der subtile Humor, mit dem sich der Autor der Vita maior über die Mainzer lustig machte, muß ganz im Sinne Lamperts gelegen haben. Denn Lampert war selbst wegen des Thüringer Zehntstreites auf die Mainzer schlecht zu sprechen97. Lampert spricht von einem Abt als Autor der laeta historia. Die Frage nach dem Autor der "Vita Bardonis maior" ist nicht eindeutig zu beantworten. Es gibt Argumente, die für Abt Siegfried sprechen, der besser als der Kölner Erzbischof Siegfried I. (1060-1084) bekannt ist. Man kann vermuten, Siegfried habe, solange er Abt von Fulda war, eine Vita Bardonis, in der der Fuldaer Anspruch auf den Mainzer Erzstuhl betont wird, schreiben lassen, um so seine im Januar 1060 tatsächlich erfolgte Wahl zum Mainzer Erzbischof zu provozieren. Für Siegfried spricht auch die Tatsache, daß ihm Gozwin 1060-1062 seine "Passio Albani" widmete, die den Primat der Metropole Mainz hervorhebt, mit der also ebenfalls Hagiographie in den Dienst eines konkreten Anliegens gestellt wird98. Gegen Siegfried spricht allerdings, daß er in der "Vita Bardonis maior" nicht genannt wird und überhaupt nur 12 Monate — von Weihnachten 1058 bis Januar 1060 — Abt von Fulda war. Vieles dagegen spricht für Egbert, der von 1047-1058 Abt von Fulda war99. Er kann die Arbeit frühestens 1056 begonnen bzw. in Auftrag gegeben haben, da vor diesem Zeitpunkt die Vita Bardonis des Mainzer Kapellans Vulkuld, die dem Fuldaer Autor ja als Vorlage diente, noch nicht abgeschlossen war100. Der terminus ante quem ist der Tod Egberts am 17. November 1058101. Nun ist in diesen beiden Jahren, die für die Abfassung der "Vita Bardonis maior" unter Egbert in Frage kommen, zu beobachten, wie dieser Abt versuchte, die Unabhängigkeit und Vorrangstellung seines Klosters zu sichern. Dies ist ein Kontext, in den sich die "Vita Bardonis maior" bestens einpassen würde. So erreichte er, daß Heinrich III. am 23. September 1056, kurz vor seinem Tode, dem Abt von Fulda nicht nur die Besitzungen und Rechte des Klosters bestätigte und den königlichen Schutz zusagte, sondern ihm auch das exklusive Befehlsrecht über die Fuldaer militia zugestand102. Bis zum Eintreffen der kaiserlichen Anordnungen

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Zu historia als Überbegriff vgl. GUENEE, Histoire, S. 205; SCHMALE, Funktion und Formen, S. 1 lOf.; demnächst WERNER, "historia", in der Reihe "Typologie des sources". Bardo war nur wenige Monate des Jahres 1031 Abt von Hersfeld, da er am 29. Juni zum Erzbischof von Mainz geweiht wurde. Vgl. Ann. Hild. Min., hg. von WAITZ, MGH SS in us. schol., ad a. 1031, S. 36; Vita Bardonis maior, c. 14, S. 328f.; BRESSLAU, Jbb. Konrads II., Bd. 1, S. 477f. Vgl. LÜBECK, Zehntrechte, S. 453f. Zu den Daten vgl. Marianus Scottus, Chronicon, hg. von WAITZ und KILON, MGH SS 5, S. 558, ad a. 1081 und 1082; zu Siegfried vgl. BÜTTNER, Das Erzstift Mainz, S. 37ff.; THOMAS, Erzbischof Siegfried I. von Mainz. S c h o n MANITIUS, Literatur II, 2 , S. 3 7 7 , u n d WATTENBACH/HOLTZMANN, G e s c h i c h t s q u e l l e n I, S.

204, vermuteten Egbert als Auftraggeber bzw. Autor der Vita Bardonis maior. Vgl. oben Kapitel VI, Anm. 25. Vgl. mit entsprechenden Belegen SANDMANN, Die Folge der Äbte. S. 197. MGH DH 3, Nr. 380; dazu schreibt WEHLT, Reichsabtei, S. 290: "Nach der üblichen Bestätigung des kaiserlichen Schutzes für die Besitzungen und Rechte der Abtei, der Immunität, des Zehntrechts und des Abtswahlrechtes wurde bestimmt, daß die ritterlichen Vasallen des Abtes und ihre Gefolgsleute von keinem Grafen Befehle zu empfangen hätten, sondern bis zum Eintreffen unmittelbarer kaiserlicher Anordnungen allein dem Abt unterstehen sollten." Dies hätte eine Kräftigung der Immunität der Reichsabtei im militärischen Bereich und nach außen hin zur Folge gehabt und nach innen ein

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sollten die Gefolgsleute des Abtes von niemandem, es sei denn dem Abt, Befehle entgegennehmen. So habe ein "Abgleiten der Befehlsgewalt" in die Hände des Obervogtes vermieden werden können. Mit dem bald darauf folgenden Tod des Kaisers beginnt die von Streitigkeiten um Macht und Einfluß geprägte Zeit der Vormundschaftsregierung der Kaiserin Agnes für den noch unmündigen Heinrich IV. Am 9. Februar 1057 kann Egbert von Papst Viktor II. eine erneute Bestätigung des Fuldaer Primats erreichen, was in dieser unsicheren Zeit für Fulda von unschätzbarem Wert war103. An diese beiden von Erfolg gekrönten Unternehmungen Egberts schließt sich die "Vita Bardonis maior" mit ihrem stark ausgeprägten Fuldaer Selbstbewußtsein nahtlos an. Als einer der bedeutendsten Äbte Fuldas im 11. Jahrhundert hat sich Egbert um sein Kloster und besonders um dessen Geschichtsschreibung sehr verdient gemacht 104 . Er bemühte sich mit Hilfe Heinrichs III., einen Scholaster für die Klosterschule Fuldas zu finden 105 , und bat Leo IX. um eine "Vita Bonifatii" 106 . Doch Leo IX. starb, ohne die Gelegenheit gehabt zu haben, die Lebensbeschreibung des fuldischen Stifters zu Papier zu bringen. Nur wenige Jahre später, 1062-1066, übernahm Otloh diese Aufgabe107. Wahrscheinlich haben die Bemühungen des Würzburger Bischofs Adalbero (1045-1090), Fulda die exemte Stellung streitig zu machen und das Reichskloster für das Würzburger Bistum zu beanspruchen, Abt Egbert nicht nur dazu veranlaßt, bei Kaiser und Papst Bestätigungen der Immunitätsprivilegien einzuholen, sondern darüberhinaus dazu geführt, daß sich Egbert näher mit der Geschichte seines Klosters befaßte 108 . So ließ Egbert das Archiv des Klosters ordnen und die Urkunden indorsieren109. Dabei konnte es ihm nicht verborgen geblieben sein, daß mit erstaunlicher Regelmäßigkeit Fuldaer Äbte bzw. ehemalige Fuldaer Mönche den Mainzer Bischofstuhl bestiegen hatten 110 . Für einen mittelalterlichen Menschen lag nichts näher, als

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Abgleiten des Oberbefehls in die Hände des Obervogtes abgewendet. J.L. 4364 Zu Egbert vgl. HEINEMEYER, Chronica, S. 41ff.; WEHLT, Reichsabtei, S. 288ff. Nach JAKOBI, Magnaten, S. 859ff., hatte Fulda im 11. Jahrhundert seine Glanzzeit schon hinter sich. Lediglich einige bedeutende Äbte, zu denen er Egbert zählt, hätten dem Kloster seine einstige Größe für die Dauer ihrer Amtszeit zurückgegeben. Vita Theoderici Andaginensis, hg. von WATTENBACH, MGH SS 12, S. 15f., Z. 45. Vgl. STEINDORFF, Jbb. Heinrichs III., Bd. 2, S. 345ff. Vgl. Otlohs Prolog zur Vita Bonifatii, in: Vitae Sancti Bonifatii, hg. von LEVISON, MGH SS in us. schol. S. 111. Otloh war von 1062-1066 als Flüchtling in Fulda, wo er sich auch als Urkundenfalscher betätigte; vgl. WATTENBACH/HOLTZMANN, Geschichtsquellen I, S. 205f. Wie Anm. 106. V g l . WEHLT, R e i c h s a b t e i , S. 2 8 9 .

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V g l . HEINEMEYER, C h r o n i c a , S. 4 1 f .

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Vgl. dazu MÜGGE, Exkurs: Fuldaer Äbte als Mainzer Erzbischöfe, in: DERS., Studien, S. 120-135, der auch eine Liste der aus Fulda stammenden Mainzer Erzbischöfe anführt. MÜGGE schreibt S. 121: "Die regelmäßige Abfolge der fuldischen Kandidaten ... gibt einem unbefangenen Betrachter den Eindruck einer Gesetzmäßigkeit, die dieser Reihe zugrunde liege. Wir besitzen (in der Vita Bardonis maior!) ein wertvolles Zeugnis, daß diese Gesetzmäßigkeit auch bereits im 11. Jahrhundert gesehen worden ist." Auch BRESSLAU, Jbb. Konrads II., Bd. 1, S. 475, stellt eine Liste der aus Fulda stammenden Mainzer Erzbischöfe auf, bemerkt aber: "Den Anhalt zu der kecken Erfindung gab offenbar die allerdings richtige Tatsache, daß in Wirklichkeit seit Mitte des 9. Jahrhunderts zahlreiche Mainzer Erzbischöfe mit einer gewissen Regelmäßigkeit dem Fuldenser Kloster entnommen waren. ... in keinem Falle berechtigte diese Bestimmung im Jahre 1031 den Fulder Abt Richard zu irgend welchem Anspruch." BRESSLAU bemängelt, daß "jeder dritte" nicht klar definiert sei und, egal wie man den Audruck auslege, nicht exakt zuträfe.

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hinter einer Gewohnheit bzw. hinter einer gewissen Regelmäßigkeit auch ein Gesetz bzw. ein Privileg zu vermuten111. Daß dieser Anspruch ausgerechnet in einer Heiligenvita und nicht etwa in einer Fälschung geltend gemacht wurde, dürfte nach meinen bisherigen Ausführungen nicht überraschen. Eine gefälschte Urkunde konnte man, wenn es Not tat, vorlegen, um Ansprüche anzumelden, zum Vorlesen vor dem versammelten Klosterkonvent war sie allerdings weniger geeignet. Es ist wahrscheinlich, daß dieser an Geschichtsschreibung interessierte und auf die Vorrechte seiner Abtei bedachte Mann, nachdem er in unsicherer Zeit die Vorrangstellung Fuldas durch kaiserliche und päpstliche Privilegien abgesichert hatte, die außergewöhnliche Stellung seiner Abtei in einer Vita zum Ausdruck brachte. Ähnlich dem Primat, um den sich die Metropolen Köln, Mainz und Trier stritten, gab es den Primat des Klosters Fulda, der "auf das Bewußtsein, daß Bonifatius sein Gründer war und bei ihm begraben war, zurückzuführen" ist112. Dafür daß gerade Egbert bestrebt war, das Image seiner Abtei als der ersten im Lande zu pflegen, spricht nicht nur, daß er sich auf der Synode von Mainz 1049 von Leo IX. und 1057 von Viktor II. den primatus sedendi Fuldas bestätigen ließ, sondern auch sein Bemühen, von Leo IX. eine neue Bonifatiusvita schreiben zu lassen, auf den wie gesagt, Fulda seinen Primatsanspruch zurückführte113. Die Beziehungen zwischen Fulda und Mainz waren keineswegs ungetrübt. Zunächst stritt man sich seit dem Tode Bonifatius darum, wem das Erbe des Heiligen zustehe, und dann gaben die Thüringer Zehnten Anlaß zum Streit114. Erzbischof Liutpold von Mainz, der Nachfolger Bardos und der Auftraggeber der Vita Bardonis Vulkulds, hat versucht, die Mainzer Zehnteinkünfte wiederzuerwerben und zu erhöhen. Abt Egbert lag allerdings nicht nur mit Mainz im Streit. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit mußte er sich gegen den Würzburger Bischof Adalbero zur Wehr setzen, der nach 300-jähriger Exemtion plötzlich Diözesanrechte über Fulda geltend zu machen suchte. Da er sich anders nicht durchsetzen konnte, brachte Egbert den Streit auf der großen Mainzer Synode von 1049 in Anwesenheit von Papst und Kaiser vor. Die Versammlung prüfte die von Egbert vorgelegten Papst-, Kaiser- und Königsurkunden und fällte dann den Spruch, der Würzburger habe keinerlei Befugnis über Abt, Konvent, Kloster und Nebenklöster Fuldas115. Es sei daran erinnert, daß auch der Autor

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KROESCHELL, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 244; GURJEWITSCH, Das Weltbild, S. 203f. STENGEL, Primat und Archicancellariat, S. 312. Im Jahre 969 hat Papst Johannes XIII. in einem sehr feierlichen Privileg Fulda den Primat für Gallien und Germanien zugesprochen und die seit Bonifaz bestehende Exemtion des Klosters bestätigt. Dieses Primatsprivileg hat sich Fulda mindestens zwölfmal bestätigen lassen — ein Indiz dafür, wie wichtig man in Fulda diesen Ehrentitel nahm; vgl. ebd., S. 315ff. Die Urkunde Johannes XIII. ist bei DRONKE, Codex Diplomaticus Fuldensis, Nr. 713, S. 330, abgedruckt. Die Urkunde Leos IX., ebd., Nr. 750, S. 359. Und die Urkunde Viktors II., ebd., Nr. 755, S. 364 (J.L. 4364); vgl. dazu auch LÜBECK, Der Primat, S. 277-301. Auch die Nachfolger Egberts waren sich der Würde ihres Klosters bewußt. Das zeigt der Goslarer Sesselstreit von 1063, der augebrochen war, weil der Fuldaer Abt Widerad auf seinem Recht, neben dem Mainzer Erzbischof zu sitzen, bestanden hatte. Abt Widerad war es ebenfalls, der die Vita Bonifatii, auf den das Kloster seinen Primat zurückführte, von Otloh schreiben ließ; vgl. dazu MÜGGE, Studien, S. 108ff.; jetzt auch STAAB, Die Mainzer Kirche. Zu derselben Zeit hat Gozwin Erzbischof Siegfried von Mainz die Passio Albani gewidmet, in der er den Primatsanspruch der Mainzer Kirche ebenfalls auf Bonifatius zurückführte. Vgl. Ex Passione S. Albani Martyris, hg. von HOLDER-EGGER, MGH SS 15, II, Prol., S. 985f. S. oben S. 128. LÜBECK, Zehntrechte, S. 453ff. Zum "Primat" Fuldas vgl. Anm. 112. Vgl. WEHLT, Reichsabtei, S. 281.

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der "Vita Bardonis maior" den Anspruch des Fuldense Privilegium von der Wahlversammlung überprüfen und bestätigen ließ — die Parallele zu dem Vorgang in Mainz ist verblüffend. Offensichtlich ging es Egbert nicht darum, konkret einen Anspruch auf den Mainzer Erzstuhl durchzusetzen. Er wollte vielmehr seinen Fuldaer Mönchen zeigen, in welchem Verhältnis ihr Kloster zu Mainz stand. Schließlich sei noch erwähnt, daß Egbert in der "Vita Bardonis maior" genannt und nicht als verstorben angeführt wird 116 . Beide Bardoviten berichten, daß es Bardo nur nach langen schmerzlichen Demütigungen gelungen war, sich gegenüber seinem Vogt durchzusetzen. Egbert, dessen Bemühungen bei Kaiser und Papst um die Aufrechterhaltung der Sonderstellung Fuldas mit Erfolg gekrönt waren, hat wohl mit wachsender Belustigung verfolgt, wie sich Mainz und vor allem Liutpold vergeblich anstrengten, den Primatsanspruch der Mainzer Metropole wieder zur Geltung zu bringen 117 . Liutpolds Versuch, mit der Vita Bardonis Vulkulds zu zeigen, daß der Grund für die Heiligkeit seines Vorgängers in dessen politischer Schwäche lag, muß wohl für den Fuldaer Abt den Anstoß gegeben haben, jetzt selbst eine Vita Bardonis zu schreiben bzw. schreiben zu lassen. Nicht wie bisher angenommen, "um das Andenken eines berühmten Klosterbruders zu feiern und die Mainzer durch größere Ausführlichkeit zu übertrumpfen" 118 , sondern um das Bardobild der Vita Vulkulds zurechtzurücken und dabei gleichzeitig die Überlegenheit Fuldas über Mainz herauszustellen: Bardo sei nicht derjenige, der um des Himmelreiches willen Verfolgungen auf sich genommen habe, sondern der semper laetus et hilaris, der selbst von sich gesagt habe, daß ihn nur ein rex stultus zum Bischof erheben könne 119 . Egbert zeigte seinen Fuldaer Mönchen, daß der Mainzer Erzbischof dort versagt habe, nämlich im Verhältnis zum Vogt, wo Fulda selbst Erfolge verbuchen konnte 120 . Im fiktiven Fuldaer Privileg bringt er zum Ausdruck, daß das Kloster Fulda eine Art Verfügungsrecht über den Mainzer Erzstuhl habe. Schließlich nutzte Egbert die Vita Bardonis, um seinen Mönchen auf angenehm unterhaltsame Weise theologische und das Mönchsleben betreffende Lehren zu vermitteln 121 . Die Besonderheiten der "Vita Bardonis maior" — die Ausrichtung der ersten Kapitel auf die durch ein angebliches Fuldaer Privileg bedingte Bischofswahl Bardos sowie die Darstellung Bardos als eines semper laetus et hilaris — finden ihre Erklärung in der historischen Situation, in der die Vita geschrieben wurde. Die prekäre Lage im Reich, die politische Schwäche des Mainzer Erzbischofs und dessen vergebliche Versuche, ihr entgegenzuwirken, sowie die starke Stellung des Fuldaer Abtes Egbert, die in der Verleihung des exklusiven Befehlsrechtes über die Fuldaer militia und in dem vom Papst bestätigten Primat ihren sichtbaren Ausdruck fanden, erlaubten es dem Abt, in einer Vita die Überlegenheit des Klosters über die Bischofsstadt zum Ausdruck zu bringen.

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... utpote vocatus illuca venerabilipatre Egberdo abbate ... c. 25, S. 340, Z. 15. Dagegen wird von Abt Richard von Fulda (1018-1039) als bonae memoriae Richardus abbas gesprochen, c. 6, S. 325, Z. 26. Zu den Mainzer Anstrengungen, s. oben Kapitel V, Anm. 90ff. WATTENBACH/HOLTZMANN, Geschichtsquellen I, S. 205. So ähnlich MANITIUS, Literatur, II, 2, S. 377. Wie Anm. 38 und 57. Wie Anm. 102. Wie Anm. 78-91.

VIII. DIE VITA ALTMANNI EINE PARÄNESE FÜR REGINBERT VON PASSAU "Ich halte es für das größte Unrecht, diesen Mann durch Stillschweigen verborgen zu halten ... der für alle gleichermaßen nachahmenswert, besonders aber in unserem Kloster (Göttweig!), dessen Gründer er ist, immer zu rühmen sein möge."1 Altmann, der von 1065-1091 Bischof von Passau war, "der für alle gleichermaßen nachahmenswert, besonders aber in unserem Kloster zu rühmen" sein soll, hat seine Vita erst 50 Jahre nach seinem Tode in Göttweig erhalten 2 . Die Diskussion um die Abfassungszeit der "Vita Altmanni" ist noch nicht entschieden. Während Wattenbach und Fuchs ein frühes Abfassungsdatum — bald nach 1132, dem Beginn des Abbatiates Cadalhochs (1125-1141), dem die Vita gewidmet ist3 — annehmen, plädiert Hirsch für einen späteren Termin (1138-1141). Wattenbach und Fuchs stützen sich darauf, daß der Autor noch Zeitgenossen Altmanns gesprochen haben will 4 , was ihrer Meinung nach 1132 wahrscheinlicher als 1138 war 5 . Wegen des frühen Abfassungsdatums müssen Wattenbach und Fuchs die Kapitel 36, 37, 43 und 44 als spätere Einträge aus der ursprünglichen Fassung der Vita ausschließen. Hirsch versuchte aufgrund stilkritischer Untersuchungen zu beweisen, daß die Kapitel 36, 37 und 43 zum Erstbestand der Vita

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... summum nefas aestimans, hunc virum silentio contegi, ... cunctis sirmtl imitabilis, et praecipue in loco nostro, cuius ipse fundator extitit, Semper sit praedicabilis. Prol., S. 229, Z. 3ff. Vita Altmanni episcopi Pataviensis, hg. von WATTENBACH, MGH SS 12, S. 228-243. Nach WATTENBACH liegen 2 Handschriften aus dem 12. Jahrhundert und zwei Handschriften aus dem 15. Jahrhundert vor; vgl. LHOTSKY, Quellenkunde, S. 206. Die Abweichungen der Neufassung der Vita Ende des 12. Jahrhunderts, die vermutlich mit Hinblick auf die Heiligsprechung Altmanns geschrieben wurde, hat WATTENBACH in den Anmerkungen berücksichtigt. OSWALD, Altmanns Leben, enthält eine Übersetzung der Vita. Zu dem historischen Altmann vgl. die neueren Arbeiten von LECHNER, Altmann von Passau; BOSHOF, Bischof Altmann; HÖDL, Göttweig. Zur Vita Altmanni vgl. außerdem die m a s c h i e n e n s c h r i f t l i c h e n A r b e i t e n v o n DLRNBERGER u n d FLECK; die A r b e i t FLECKS w i r d v o n HÖDL

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ausführlich kritisiert (HÖDL, Göttweig, S. 17ff.). Dormo Chadalhoho illustri patri Gotwicensis coenobii quidam suorum ultimus, utriusque hominis in Domino famulatus. Prol., S. 228, Z. 41f. Cadalhoch wird auch als der Auftraggeber der Vita genannt: Laudabile admodum opus, sed sudore plenum, iubes me, venerande pater, aggredi et materiam disertis merito viris committendam a me praecipis depromi, videlicet vi tarn praeclari antistitis Altmanni stilo illustrare, ... ebd., Z. 41 ff. Ab his itaque qui eum praesentes viderunt, et eius obsequio familiarius adhaeserunt, quaelibet eius gesta studiose investigabo, ... ebd., S. 229, Z. 8ff. WATTENBACH schloß in seiner Einleitung zur Vita Altmanni, MGH SS 12, S. 226, c. 36, aus der Erstfassung der Vita aus, weil ihm die Angaben in Widerspruch zu den Informationen aus c. 17 zu stehen scheinen (dazu auch Anm. 50). FUCHS, Der älteste Besitz, S. 37ff., der für eine Abfassungszeit zwischen 1132 und 1135 plädierte, meinte, daß c. 36 und 37 stilistisch auf einen anderen Verfasser hindeuteten; vgl. auch FUCHS, Der heilige Altmann, S. 64-67. HIRSCH, Die Vita, S. 356f., widersprach FUCHS energisch. Nach HÖDL, Göttweig, S. 17, fällt die Abfassungszeit in den Zeitraum 11381141, wobei er wie FLECK, Die Vita Altmanni, S. 97f., einen Schreibbeginn um 1136/37 nicht ausschließt; vgl. unten Anm. 88.

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gehören 6 . Auch meiner Meinung nach wurde die Vita zwischen 1138 und 1141 abgefaßt, und lediglich Kapitel 44, in dem von den Nachfolgern Cadalhochs auf dem Göttweiger Abtsstuhl die Rede ist, ist als Nachtrag anzusehen, wie weiter unten näher ausgeführt werden soll. Um Näheres über die Beweggründe des Autors, eines unbekannten Göttweiger Mönchs, zu erfahren, soll wieder von Prolog und Aufbau der Vita ausgegangen werden. Es sei nur vorausgeschickt, daß unter Abt Cadalhoch auch der Traditionscodex B von Göttweig angelegt wurde 7 . Während im Vorwort zum Traditionscodex geklagt wird, daß neben den wenigen Wohltätern der Kirche viele Ungerechte nicht davor zurückschreckten, die Kirche zu berauben 8 , wird in der "Vita Altmanni" das Bild eines unerschrocken gegen die lupos rapaces einschreitenden Bischofs und großzügigen Stifters von Göttweig gezeichnet. Der Prolog ist relativ kurz gehalten. Er führt drei Punkte an: Zuerst wird der Auftraggeber, Abt Cadalhoch, genannt, danach der Zweck der Vita angegeben, den lange verschwiegenen Altmann wieder bekannt zu machen, und schließlich wird die Gliederung des Werkes vorgestellt 9 . Der zweite Punkt wird vom Autor besonders hervorgehoben. In verschiedenen Bildern drückt der Autor seinen Wunsch, Altmann als ein nachahmenswertes Vorbild bekannt zu machen, aus: Das Licht, das lange unter dem Scheffel gestanden habe, wolle er zur Erleuchtung künftiger Jahrhunderte emporheben, da er es für das größte Unrecht ansehe, einen Mann durch Stillschweigen verborgen zu halten, dessen Leben durch viele Tugenden und Wunder erprobt und der von allen gleichermaßen, besonders aber im Kloster Göttweig nachzuahmen und zu rühmen sei10. Einige Zeilen später bekennt er nochmals, daß er schreibe, damit der berühmte Mann, der lange im Verborgenen unerkannt war, ans Licht gebracht werde, wo er von allen gesehen werden müsse 11 . Auch in der Vita selbst kommt er immer wieder darauf zu sprechen. So heißt es im achten Kapitel, er wolle berichten, welche bekanntmachenswerten Taten Altmann als Bischof vollbracht habe 12 . Am Ende des achtzehnten Kapitels, in dem er Altmann als eine der Säulen der Kirche rühmt, ruft er aus: Was für ein 6 7

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HIRSCH, Die Vita Altmanni, S. 341f. und S. 354-359. Die Traditionsbücher Göttweigs sind von FUCHS herausgegeben worden. KASTNER, Historiae, S. 46, rechnet sie zu den "Chartularchroniken", in denen "narrative Klostergeschichte und Urkundenbestand formal noch unintegriert nebeneinanderstehen. " Nunc enim tantis inveteratus est mundus malis, ut quod plures pro spe mercedis eteme conferunt ecclesie, alii iusticie obliti non mettami dirìpere. FUCHS, Die Traditionsbücher, S. 143. Unter Cadalhoch entstand in Göttweig auch die berühmte narratio in electione Lotharìi-, vgl. dazu KALBFUSS, Zur Entstehung. Zu Auftraggeber und Zweck wie Anm. 3. ... et haec posteris di Iigenter transmitter e curabo, videlicet unde ortus, quo loco conversatus sit, qualiter ad episcopatum pervenerit, quae et quanta adversa in eo pertulerit, qualiter locum nostrum construxerit in quo post obitum sepultus requiescit, qualiter canonica religio in monachicam professionem permutata sit, qualiter idem locus per patrum successions in Dei servitio succreverit. Prol., S. 228, Z. lOff. ... lucemam iam diu sub modio tectam, ad illuminationemfuturis saeculis ostentare: summum nefas aestimans, hunc virum silentio contegi, cuius vita multis virtutibus probata, cunctis simul imitabilis et praecipue in loco nostro, cuius ipse fundator extitit, semper sitpraedicabilis. Prol., S. 229, Z. 2ff. Das Motiv des Lichtes, das man nicht unter den Scheffel stellen soll (Matth. 5,15), wird in der Hagiographie häufig verwendet; vgl. dazu POULIN, L'idéal, S. 76. ...ut illustris vir, diu latens in tenebris, producatur in lucerti videndus ab omnibus. Ebd., Z. 8f. Zu dem eher seltenen Topos, "eine würdige Sache der Vergangenheit zu entreißen", vgl. SIMON, Untersuchungen (1958), S. 84. Quae autem in episcopatupraeconiis dignafecerit, ... sequens sermo explicabit. C. 8, S. 231, Z. 26f.

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Mann, der mit allem Lob bekannt zu machen ist und der mit aller Verherrlichung empfohlen werden muß!13 Schließlich liest man, Gott habe Altmann Wunder wirken lassen, um ihn so allen bekannt zu machen14. Wunder seien auf Wunder gefolgt und hätten künftige Jahrhunderte auf den bewundernswerten Mann aufmerksam gemacht15. Gott ehre sein Grab durch Wunder, um damit allen Völkern Altmanns Verdienste zu verkünden16. Die eingangs aus dem Prolog zitierten Worte über den nachahmenswerten und verkündigungswürdigen Altmann haben sich als ein leitendes Motiv der Vita erwiesen. So wie dieser Punkt des Prologs die ganze Vita hindurch gegenwärtig ist, hält der Autor auch die im Prolog angekündigte Gliederung ein. Dem unde ortus des Prologs entsprechen die Kapitel 1 und 2, in denen auf die sächsische Herkunft — Kapitel 1 — und auf die Eltern Altmanns — Kapitel 2 — eingegangen wird. Dem quo loco conversatur sind die Kapitel 2, 3 und 4 zuzuordnen, da im 2. Kapitel Altmanns Aufenthalt in Paderborn und in Aachen genannt wird, im 3. und 4. Kapitel seine Jerusalem wallfahrt geschildert werden. Die Frage, qualiter ad episcopatum pervenerit, beantworten das 5. Kapitel, das die Bischofswahl Altmanns nach der Fürsprache der Kaiserin Agnes zum Gegenstand hat, und das 14. Kapitel, in dem Altmann sein Amt von Gregor VII., dem er es zurückgegeben hatte, wiedererhält. Die Kapitel 8-18, in denen sowohl von Altmanns reformerischen Unterfangen (c. 9-11) wie von seinem Verhalten im Investiturstreit die Rede ist (c. 12-18), entsprechen dem im Prolog angekündigten quae et quanta adversa in eo pertulerit. Die Kapitel 26-29 illustrieren das qualiter locum nostrum construxit, und Kapitel 38 und 39 erklären, qualiter canonica religio in monachicam professionem permutata sit". Schließlich entsprechen dem qualiter idem locus per patrum successiones in Dei servitio succreverit die Kapitel 40, 41, 42 und 43 (44)18. Diese dem Werk vorangestellte Gliederung wurde immer übersehen, wenn bei kritischen Untersuchungen das eine oder andere Kapitel als späterer Nachtrag erklärt wurde. Alphons Lhotsky bemerkte in seinem kurzen Kommentar zur "Vita Altmanni", daß der mittelalterliche Autor ganz andere Kriterien für Einheit und Aufbau des Werkes gehabt habe als die modernen Historiker19. Außer dem schon aufgezeigten Zusammenhang zwischen Prolog und Vita lassen sich noch weitere Argumente für die Einheit der Vita finden.

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O virum, omni laude praedicandum, omni praeconio commendandum! C. 18, S. 235, Z. 19f. His et talibus fulgens virtutibus, factus est Deo karissimus, quod ipse huiusmodi miraculo dignatus est declarare ómnibus. C. 5, S. 231, Z. 6f. Mira mirandis succedunt, et virum mirandum flituris saeculis ostendunt. C. 21, S. 235, Z. 38f. Cuius sepulchrum dignatus est Dominus miraculis honorare, per quae voluit merita eius populis declarare. C. 31, S. 239, Z. 23f. Die Ankündigung dieses Punktes wird vom Autor sogar ganz ausdrücklich wieder aufgegriffen: Iam videtur tempus esse, ut suspensis auditoribus promissum solvam, et qualiter canonica vita in monachicam professionem permutata sit evolvam. C. 38, S. 240, Z. 51f. Es ist fraglich, ob das Kapitel 44 von Anfang an zur Vita Altmanni gehörte, da in ihm der Tod Cadalhochs, dem die Vita gewidmet ist, vorausgesetzt wird: Quo (Cadalhoch) decedente successit Gerhohus, ... c. 44, S. 243, Z. 5. "Der Verfasser schreibt auch das gute Latein der 'Renaissance des XII. Jahrhunderts' und die schön gegliederte Darstellung läßt in stilistischer und sprachlicher Richtung keinen Wunsch offen. Allerdings hat er mit Eugippius u.a. die nicht genaue Zeitfolge der Ereignisse gemeinsam; es würde aber angezeigt sein, die so ganz anderen literarischen Ordnungs- und Kompositionsgrundsätze des Hochmittelalters zu ergründen." LHOTSKY, Quellenkunde, S. 206.

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Wunder und Prophetien gehörten nach dem Verständnis eines mittelalterlichen Hagiographen zusammen. So berichtet auch der Autor der "Vita Altmanni" von Prophetien Altmanns, und zwar immer im Anschluß an die Wunderberichte. Im sechsten Kapitel berichtet er von der Heilung einer leprosen Frau durch das Waschwasser Altmanns und im siebten davon, daß sich Altmann und seine Gefährten schon als Schüler ihre künftigen Bistümer vorausgesagt hätten20. Die Wunder, die Altmann zu seinen Lebzeiten wirkte, sind Gegenstand der Kapitel 19-22; im 23. Kapitel wird von einer Prophetie Altmanns berichtet. In den Kapiteln 32-35 findet man Wunder, die sich nach Altmanns Tod zugetragen haben sollen, und in Kapitel 36-41 erscheint Altmann in Visionen. Einheit stiftet auch ein weiteres Leitmotiv der Vita, das in den programmatischen Sätzen zu Beginn des achten Kapitels am besten zum Ausdruck kommt: "Was er aber als Bischof Mitteilenswertes getan hat und welche Verfolgungen er von den Gliedern des Teufels ertragen mußte, das geht aus dem folgenden Bericht hervor. Er war sich nämlich bewußt, daß Gott ihn über die Familie Gottes eingesetzt hatte, damit er sowohl zerstöre und zerstreue wie auch erbaue und pflanze; so hat er an einigen Orten den Dienst des Teufels zerstört und an anderen Orten den Dienst Christi eingerichtet." 21 In diesem kurzen Abschnitt wird nicht nur die im Prolog genannte Vorbildlichkeit Altmanns aufgegriffen — praeconiis digna fecerit —, es wird auch mit ut destrueret et aedificaret, et aedificaret etplantaret ein Erklärungsmodell aufgestellt, das den weiteren Verlauf und den Stil der Vita prägt. Nach diesem Konzept beschreibt der Autor nämlich erstens die reformerische Tätigkeit Altmanns; es liefert ihm zweitens den Maßstab für die Beurteilung der anderen in der Vita vorkommenden Personen; es wirkt sich drittens auf die Sprachbilder der Vita aus. Der Eindruck einer Schwarzweißmalerei, der beim Lesen der Vita entsteht, geht auf den Versuch des Autors, das Schema destruere — aedificare durchzuhalten, zurück. Der erste Punkt, die Reformtätigkeit Altmanns, ist Gegenstand der Kapitel acht bis elf. In ihnen werden aedificare und destruere inhaltlich gefüllt. Das erste servitium diaboli, das Altmann zerstört habe, sei das der Kanoniker von St. Florian 22 . Diese seien dem Eheleben und weltlichen Gelüsten zugetan gewesen und hätten das servitium

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C. 6 und 7, S. 230. Auch in der Vita Annonis wird zunächst von den Wundern (II, c. 1-6, S. 484ff.) und dann von den Visionen und Prophezeiungen Annos (II, c. 7-11, S. 486ff.) berichtet. Quae autem in episcopatu praeconiis digna fecerit, quas persecutiones propter iustitiam a membris diaboli pertulerit, sequens sermo explicabit. Quia noverat se ad hoc a Deo super familiam Dei constitutum, ut destrueret et dissiparet, et aedificaret et plantaret; in quibusdam locis servitium diaboli destruxit, in quibusdam servitium Christi instruxit. C. 8, S. 231, Z. 26ff. Zur Reformpolitik Altmanns, BOSHOF, Bischof Altmann, S. 232-245; HÖDL, Göttweig, S. 15f. und 212f. St. Florian war ein bischöflich passauisches Eigenkloster, das von Altmann in ein Augustinerchorherrenstift verwandelt wurde; vgl. NEUMÜLLER, Zur Benediktinerreform, S. 18, der die Beschreibung der Zustände in St. Florian in der Vita Altmanni folgendermaßen beurteilt: "Es ist Klostertratsch, der hier wiedergegeben wird." Nach NEUMÜLLER, ebd., S. 17, sei die Vita "geradezu ein Schulbeispiel" für den Kampf zwischen Junggorze und Cluny. So ähnlich urteilt REHBERGER, Altmann und die Chorherren, S. 29. Beide übersehen, daß es dem Autor nicht um eine realitätsnahe Schilderung der Zustände in St. Florian ging, sondern um die inhaltliche Auffüllung des servitium diaboli, dem er das servitium Christi, das Altmann einrichtete, gegenüberstellen konnte. Vgl. auch allgemein zu St. Florian, TELLENBACH, Eigenklöster, S. 14FF.; HAIDER, Passau; BOSHOF, Bischof Altmann, S. 334f.

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Christi vernachlässigt 2 3 . D i e z w e i t e Gruppe, die Kleriker v o n St. Hippolyt, seien der Gier, dem W u c h e r und der Wollust verfallen g e w e s e n ; auch sie habe Altmann vertrieben und durch gottesfürchtige Kleriker ersetzt 24 . Der dritten Gruppe, den M ö n c h e n v o n Kremsmünster, werden die größten V o r w ü r f e gemacht: Sie hätten nicht nur die Regel nicht beachtet, sondern durch ihr verschwenderisches Leben Klostergut verschleudert und schließlich sogar das Kloster in Brand gesteckt. Altmann habe dort Theoderich als Abt eingesetzt, der sich regeltreue und f r o m m e M ö n c h e aus Gorze geholt habe 2 5 . Drei D i n g e sind es, die nach unserem Autor hauptsächlich unter das servitium diaboli fallen: das unkeusche, ja sogar wollüstige Leben der M ö n c h e b z w . Kleriker, ihre Gefräßigkeit und die Vernachlässigung, w e n n nicht sogar Vernichtung v o n Klostergut. Ganz parallel dazu nimmt sich das servitium Christi aus, das Altmanns Sache ist. Zunächst habe er das Passauer Kloster St. Nikolaus mit Landgütern und Weinbergen ausgestattet und den gelehrten Hartmann als Propst eingesetzt, der dort die Augustinerregel eingeführt habe 2 6 . Ebenso habe Altmann in St. Hippolyt und Kremsmünster gelehrte Reformäbte eingesetzt, w o b e i erwähnt wird, daß Adelram ( 1 0 9 9 - 1 1 2 2 ) , ein Nachfolger Theoderichs v o n Kremsmünster, sein Kloster mit Landgütern, Bauwerken, Büchern etc. ausgestattet habe 2 7 . Komplementär zu den gegeißelten Mißbräuchen

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In hoc loco erant clerici coniugiis et lucris saecularibus intenti, negligentes servitium Dei. Hos Providentia episcopi inde eliminavit, et religiosas personas ad serviendum ibi Deo congregavit. C. 9, S. 231, Z. 36ff. In alio coenobio, scilicet sancii Ypoliti, erant clerici ebrietati, voracitati, libidini et usuris impliciti. Quos episcopus Altmannus canonica censura de loco expulit, et religiosos viros pro eis restituii. Ebd., Z. 40ff. Praeterea sancti Agapiti monasterium, quod Cremesmunster dicitur, erat tunc temporis satis magna infamia respersum. Nam monachi illi, iugo regulae abiecto ac monastico ordine relieto, longe prae saecularibus saeculariter viventes, proprietatem habentes, per omnia vitiorum crimina erant insanientes: detractores, nuirmuratores, rebelies, protervi, ventri et luxui tantum dediti, et ad omne opus bonum reprobi. Horum praelati erant voluptatum amatores, religionis spretores, lucris inhiantes, subditos in flagitiis superantes. Hi viri pestiferi substantiam monasterii luxuriöse vivendo dissipaverunt, demum sanetuarium Dei igni incenderunt. Hos solertia episcopi cum magno labore de loco eiecit, et venerabilem virum Theodericum abbatem ibi praefecit; qui monastici tramitis sectatores de Goize adduxit, quos sub magisterio beati Benedicti per normam regularis vitae verbis et exemplis instrwdt. C. 10, S. 232, Z. 5-14; vgl. HALLJNGER, Gorze-Kluny, S. 358f. und 445f., der diese Stelle als "ein Musterbeispiel kluniazensischer Rhetorik" interpretierte; s. dazu auch TELLENBACH, Eigenklöster, S. 7ff. Sicherlich spielte bei der Beurteilung der Kremsmünsterer Mönche der Gegensatz zwischen hirsauisch-cluniaszensischem Benediktinertum, wie es in Göttweig gelebt wurde, und dem gorzischen Mönchtum aus Kremsmünster eine Rolle. Dieser Gegensatz bestimmt jedoch nicht den Gesamtcharakter der Vita Altmanni. ... in quibusdam servitium Christi instruxit. Inprimis namque in suburbio Pataviensi ecclesiam in honore sancti Nicolai super ripam Eni fluminis constituit, quam multis praediis et vineis dotavit; et huic loco praefecit Hartmannum praepositum, virum omni sapientia etfacundia praeditum, ... Hic religiosos et clericos et laicos sibi aseivit, quos communem vitam sub regula beati Augustini ducere doeuit. Hoc modo aedifieavit; qualiter autem destruxerit, dicemus. C. 8, S. 231, Z. 29ff. Zu Hartmann, der später in Hirsau Propst und danach in Göttweig Abt war, vgl. JAKOBS, Der Adel in der Klosterreform, S. 113ff. Zu St. Nikolaus allgemein, TELLENBACH, Eigenklöster, S. 28f.; BOSHOF, Bischof Altmann, S. 333f. Nach HÖDL, Göttweig, S. 184, ist praedia mit officia gleichzusetzen, da der Stiftsbesitz schon im 12. Jahrhundert in officia eingeteilt war. Sed is locus postmodum per Adalrammum ...ut ceteris circumquaque abbatiis, praediis, aedifieiis, libris, picturis et aliis ornamentis sit praelatus, insuper et viris litteris eruditis ... c. 10, S. 232. Z. 17ff. Vgl. HALLINGER, Gorze-Kluny, S. 361, Anm. 68; BOSHOF, Bischof Altmann, S. 336f.

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besteht das aedificare also in der Einführung von keuschen und gelehrten Klerikern und in der Ausstattung der Klöster bzw. Stifte mit Ländereien, Gebäuden, Büchern etc. Nun soll in einem zweiten Punkt gezeigt werden, wie das Schema destruere — aedificare die Darstellung beinahe aller in der Vita vorkommenden Personen geprägt hat. Sie werden danach gemessen, ob sie zur "Erbauung" der Kirche im allgemeinen und Göttweigs im besonderen beigetragen haben. So heißt es in den oben schon angeführten Stellen, daß Altmann und Adelram ihr jeweiliges Stift mit Gütern und Ländereien bedacht hätten28. Die Zuordnung Heinrichs IV. und Gregors VII. nach diesem Schema ist eindeutig. Heinrich IV., omnium seditiosorum fautor, habe der Gefräßigkeit und der Wollust gedient und das Kirchengut verschleudert29. Er gehörte demnach zum servitium diaboli, das er auch in Passau eingeführt habe30. Gregor VII. wird dagegen als Hirte seiner Herde dargestellt, der — zur Freude des Teufels — von räuberischen Eindringlingen von seinem Platz vertrieben worden sei31. Die Vertreibung Altmanns aus seinem Bistum wird ganz parallel zu der Vertreibung Gregors VII. aus Rom geschildert: Die Angehörigen Heinrichs IV., die der Häresie und des Inzests beschuldigt werden, seien wie wilde Wölfe in die Herde Christi eingebrochen und hätten die Anhänger Altmanns, Diener Gottes und Hirten ihrer Herde, vertrieben32. Zum ersten Propst Göttweigs vermerkt der Autor zwar nur, daß er sein Amt gewissenhaft ausgeführt habe, doch wird der zweite Propst Konrad folgendermaßen charakterisiert: ein Mann, der wegen des Ernstes seiner Sitten sehr zu verehren und wegen der Redlichkeit seiner Sitten sehr zu loben sei. Durch seine Weisheit habe der Ort (Göttweig!) an Bauten und Reichtum zugenommen, er habe ihn mit Ländereien, Lehen und ehrenhaften Männern ausgestattet33. Der oben schon erwähnte Propst des Passauer Stiftes St. Nikolaus, Hartmann, der mit Altmann aus Passau vor den Anhängern Heinrichs IV. fliehen mußte, war Kanzler Rudolfs von Rheinfelden, Mönch und Prior in St. Blasien, bevor er als Abt (1094-1114) die Regel Benedikts in Göttweig einführte. Seine Würdigung beginnt mit folgenden Worten: "Dank der Ermahnungen Hartmanns wurden viele Adlige, nachdem sie die Welt verlassen hatten, zu Gott bekehrt; durch ihn wurden dem Kloster (Göttweig!) viele Pfründe und Lehen überlassen. Er hat das Ansehen des Ortes durch Gebäude, Bücher, Malereien, Pallien und fromme Männer vergrößert und war mit seiner Ehrenhaftigkeit

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Wie Anm. 26 und 27; zu Altmann vgl. auch c. 17, S. 234 (wie Anm. 42) und c. 29, S. 238. Ea tempestate quartus Heinricus, filius Heinrici pii imperatoris, ...fuit omnium seditiosorum fautor, omnium bonorum acerrimus impugnator. Qui vix adolescentiae metas transgressus ... curam regni negligens, gulae et luxui serviens, regiam mansuetudinem in tyrannidem commutavit; ... omnia loca replevit luxuria. C. 12, S. 233, Z. 3-9. Quorum (Patavienses clerici!) querimonia Heinricus flexus, hostiliter Pataviam ingressus, cuncta loca adulteriis polluit, expulsos ab episcopo bonis suis restituii. ... Sic episcopalis sedes Pataviae facta est sedes Sathanae, et ecclesia fldeliumfacat(l) est ecclesia malignantium, ... c. 13, S. 233, Z. 17ff. und Z. 26f. Quo facto Gregorius pervigil pastor ecclesiae ab Urbe violenter armis fugatur, ovile Christi a saevis lupis dissipatur, ... c. 15, S. 233, Z. 45f. Quodfactum dolentes fautores Heinrici, servos Dei violenter extrahunt de ecclesia sancii Nicolai, ... ut Pharisaei apostolos, de flnibus suis eiciunt, haereticos et incestuosos sancto loco praeficiunt. Pastoribus igitur afuribus et latronibusfugatis, confestim dominicus grex a saevis lupis invaditur, ... c. 13, S. 233, Z. 20ff. Zu Gregor vgl. Anm. 31. ... vir morum gravitate valde honorabilis, et omni morum probitate laudabilis. Huius et sapientia locus aedificiis et divitiis crevit, praediis, benefìciis, honestis viris eximie profecit. C. 29, S. 238, Z. 21ff.

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und Redlichkeit ein Schmuck seiner Zeit."34 Erchinfried, der Hartmann in Göttweig vertrat, weil dieser noch anderen Klöstern vorstand und deshalb oft abwesend war, wird in zwei Sätzen beschrieben: "Jener hat zuerst als Laie und im Waffendienst gelebt; er hat dann die Welt verlassen, eifrig die Wissenschaften studiert und ist schließlich Abt geworden. Auch er hat den Klosterbesitz (Göttweigs!) um vieles vermehrt."35 Ähnlich beurteilt wird Nanzo (1114-1125), der Nachfolger Hartmanns, dem der Autor vier Zeilen widmet: "Ein sehr vorsorglicher Mann, ernst an Sitten, in weltlichen wie in geistlichen Dingen erfahren. Er hat den Ort (Göttweig!) durch mehrere Bücher und Gebäude geehrt und die ihm anvertraute Herde durch gute Beispiele belehrt36. Auch Cadalhoch, der Auftraggeber der Vita, entgeht dem Schema nicht: "Er hat ebenfalls die Kirche (Göttweig!) mit Büchern, Tüchern und anderen Schmuckstücken geziert und mit Ländereien, Weinbergen und Grundstücken den Ort (Göttweig!) ausreichend gefördert. "37 Über Reginmar, den dritten Nachfolger Altmanns auf dem Passauer Bischofsstuhl, weiß die Vita dagegen Folgendes zu berichten: "Ein Mann, der in weltlichen Dingen sehr erfahren, in geistlichen Dingen dagegen weniger bewandert war; der dem Irdischen anhing und Geld von überallher zusammentrug; er hat seine Reichtümer plötzlich anderen überlassen ... In seinem Bistum habe er jegliches religiöse Leben zerstört. "38 Das Schema aedificare — destruere hat nicht nur die Personendarstellung der Vita, sondern auch drittens ihre Sprachbilder beeinflußt. Passend zu aedificare und plantare ist der Vergleich Altmanns mit dem bonus agricola aus dem Johannes-Evangelium, der die schlechten Triebe wegwirft, die guten aber, indem er sie reinigt, vermehrt39. Ein weiteres neutestamentliches Bild, nämlich das vom Sämann, führt der Autor im 17. Kapitel an, wo es heißt, es gelte darzulegen, welch reichhaltige Frucht Bischof Altmann aus dem unfruchtbaren Boden hervorzubringen verstand, den er unbearbeitet und voller Dornen übernommen habe40. In demselben Bild bleibt der Autor, wenn er die Verschlechterung der Zustände auf Göttweig nach dem Tode Altmanns mit diesen Worten schildert: "Als der Bischof gestorben war, kam ein feindlicher Mann, der auf Altmanns

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Hartmanni exhortatione multi nobiles relieto saeculo ad Deum convertuntur, multa praedia et beneficia per eum monasterio conferuntur. Hic honorem loci aedificiis, libris, picturis, palliis, et religiosis viris ampliavit, et tempora sua honestate et probitateperornavit. C. 40, S. 241, Z. 28ff. Zu Hartmann wie Anm. 26. 35 ... interim nobilis frater, Erchinfiidus nomine, abbatiam in Gotewich ... regebat. Hic primitus laicus in armis vivens, deinde saeculum relinquens, litteras studiose didicit, et usque ad nomen abbatis pervenit; qui et ipse bona monasterii in multis auxit. C. 41, S. 242, Z. 14ff. 36 ... vir admodum providus, gravis moribus, in saecularibus et spiritualibus peritus. Hic etiam locum pluribus libris et aedificiis honestavit, et gregem commissum bonis exemplis illustravit. C. 42, S. 242, Z. 20ff. 37 Qui et ipse nichilominus ecclesiam libris et velis et aliis ornamentis venustavit, praediis, vineis, possessionis satis locum sublimavit. C. 43, S. 243, Z. 3 f. 38 Diese Stelle wird in Anm. 65 in extenso zitiert. 3 ' Cum itaque bonus agricola vineam summi patris-familias excoleret, videlicet sterilia sarmento amputando, botriferos palmites propagando; C. 11, S. 232, Z. 25f. Vgl. Joh. 15, Iff.: Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer. Jede Rebe, die keine Frucht bringt, schneidet er ab, und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt. 40 Nunc operae pretium est evolvere, ad quam uberem fruetum terram sterilem vomere sani dogmatis praesul Altmannus perduxerit, quam incultam et senübus plenam suseepit. C. 17, S. 234, Z. 26ff. Hier wird auf das Gleichnis vom Sämann angespielt, wie es in Mc. 4, 1-9, Luc. 8, 11-15 und Matth. 13, 1-9 überliefert ist.

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gute Saat Unkraut säte. Er hat durch üblen Ruf den guten Ruf vom Berg (Göttweig!) vertrieben."41 Noch weit mehr als das Bild des säenden und seinen Weinberg pflegenden Bauerns ist das Bild des Bauens entwickelt. Altmann habe nicht nur im konkreten Sinn alle hölzernen Kirchen der Diözese durch steinerne ersetzt, er habe auch im übertragenen Sinn statt "hölzerner", d.h. unkeuscher Priester, keusche und gelehrte eingeführt42. Die Einordnung dieses Vergleichs bringt der Autor im darauffolgenden Kapitel, in dem die Prophetie der Sibylle mit einer Lehre von den sieben Zeitaltern in Verbindung gebracht wird. Jede Zeit der Kirchengeschichte wird einem Material zugeordnet. Die Apostel entsprächen dem goldenen, ihre Nachfolger dem silbernen und die Kirchenväter dem erzernen Zeitalter. Die Märtyrer werden mit dem eisernen, die Bischöfe mit dem marmornen, die dem irdischen Leben — und vor allem der Fleischeslust verfallenen — Priester werden mit dem hölzernen und die Simonisten mit dem Zeitalter aus Schilf gleichgesetzt. Sie alle bildeten die domus Dei, wobei die beiden letzten Säulen natürlich nicht von langem Bestand seien43. Ein weiterer Vergleich aus dem Bauwesen schließt sich an. Es heißt, Altmann habe durch die vier Kardinaltugenden — fortitudo, prudentia, iustitia, temperantia — das Haus Gottes wie mit vier Stützbalken getragen44. So hat der Autor alle Bedeutungsmöglichkeiten des Wortes aedificare zusammengetragen: das konkrete Bauen, worunter ja auch die Gründung Göttweigs zu rechnen ist; im übertragenen Sinne die Versorgung seines Bistums mit keuschen und gelehrten Priestern; und schließlich habe sich Altmann selbst als eine tragende Säule der Kirche erwiesen. Der Marmor begegnet uns übrigens noch einmal in der Vita, nämlich in einer Vision, die ein gläubiger Laie gehabt haben soll. Nach einer Höllenfahrt sei dieser ins Paradies gekommen, wo er Altmann auf einem marmornen(!) Berg mit dem Kloster Göttweig in großem Lichtschimmer sitzen

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Defuncto episcopo venit inimicus homo, qui super bonum triücum ab Alemanno seminatum seminavit zizania, et bonamfamam fugavit de monte infami infamia. C. 38, S. 241, Z. 3ff. Nunc autem ex eius industria omnes paene ecclesiae in episcopatu sunt lapidea, libris, picturis et aliis ornamentis decoratae, et quod maximum est, castis et eruditis viris bene munitae. C. 17, S. 234, Z. 31 ff. Vgl. Anm. 49. Erat namque in domo Domini columna marmorea, de quafertur praedixisse Sibilla, cum distinxisset saecula per diversa metallo ... Magna etenim domus erecta est ecclesia de vivis lapidibus constructa, per latitudinem totius orbis diffusa. Cuius primum aureae columnae erant apostoli: ... Marmoreae autem columnae erant episcopi, in fide recti, in operibus firmi: ... Ligneae vero columnae sunt carnales praelati, ... c. 18, S. 234, Z. 37ff. Auch in C. 17, S. 234, Z. 29 werden unkeusche und dem Irdischen verhaftete Kleriker als "hölzern" bezeichnet: ... immo ipsi earum presbyteri, ut ita dicam, lignei erant, quia coniugiis et terrenis negotiis dediti, divinis offieiis penitus ignari ...; zu architektonischen Vergleichen allgemein DE LUBAC, Exégèse, S. 41-60. Zu der Lehre von den sieben Zeitaltern, vgl. SCHMIDT, Aetates mundi, S. 316, der feststellt, daß ein Autor "je nach Notwendigkeit und Bedarf die gegebenen Gliederungsmöglichkeiten (der Weltaltersysteme!) verschieden mit Personen oder Ereignissen ausfüllt" und sich so "Form und Inhalt der Weltaltersysteme von Fall zu Fall ändern"; vgl. dazu auch VON DEN BRINCKEN, Studien zur Weltchronistik; GUENÉE, Histoire, S. 148154; LACROIX, L'historien, S. 92. Zu den sibyllinischen Weissagungen vgl. KURFASS, Sibyllinische Weissagungen. Zwei Bibelstellen haben die Fiktion des Autors geleitet, 1 Cor. 3,10: "Der Gnade Gottes entsprechend, ... habe ich wie ein guter Baumeister den Grund gelegt; ein anderer baut darauf weiter. ... Ob aber jemand auf dem Grund mit Gold, Silber kostbaren Steinen, mit Holz, Heu oder Stroh weiterbaut: das Werk eines jeden wird offenbar werden." Und Apoc. 3,12: "Wer siegt, den werde ich zu einer Säule im Tempel meines Gottes machen, und er wird immer darin bleiben. " Episcopus autem Altmannus machinam domus Dei quatuor prineipalibus fulchris sustentavit, ... c. 18, S. 235, Z. 14f.

virtutibus quasi quatuor

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gesehen haben will. Anno und das Kloster Siegburg will er dort ebenfalls gesehen haben 45 . Die Hochschätzung der Bautätigkeit Altmanns, die aus diesem Sprachbild hervorgeht, wird dadurch unterstrichen, daß auch bei der Schilderung anderer Personen der Vita auf ihre Bautätigkeit hingewiesen wird. Bei der Erwähnung der Jugendfreundschaft Altmanns mit Gebhard von Salzburg (1060-1088) und Adalbero von Würzburg (1045-1090) wird betont, daß alle an Orten, die sie selbst gebaut hätten, bestattet seien46. Und von Heinrich III. wird nicht viel mehr als seine Bautätigkeit berichtet 47 . So führte das Erklärungsmodell destruere — aedificare, aus dem die Einteilung in servitium Christi — servitium diaboli resultiert, den Autor zu einer genauen Zuordnung der Werte und Personen zu je einer der beiden Gruppen. Auf der einen Seite stehen, angeführt von Altmann, Gregor VII., Anno, Hartmann, Nanzo, Cadalhoch, Erchinfried mit ihren Klostergründungen bzw. ihren Beiträgen zur Ausstattung und Vergrößerung der Klöster, ihrer Gelehrsamkeit und Keuschheit; sie sind die Hirten, Sämänner und Träger der Kirche. Auf der anderen Seite findet man Heinrich IV., Wikbert, Reginmar und all die schlechten Mönche, Kleriker und Priester; sie bilden die Partei des Teufels, der "Kirchenwölfe", sie sind unkeusch, verfressen und dumm und verprassen obendrein noch das Kirchengut 48 . Diese vom Autor weitgehend befolgte Einteilung verleiht der Vita zwar eine Einheit auf der Bedeutungsebene, führt aber andererseits zu sachlichen Widersprüchen, die den mittelalterlichen Leser kaum, dafür aber umso mehr den modernen Leser der "Vita Altmanni" verwirrten. Denn letztere nahmen die scheinbar sachlichen Aussagen der Vita wörtlich und ließen den übertragenen Sinn außer acht. Dies sei an zwei Beispielen erläutert. In Kapitel 17 heißt es, daß vor Altmann alle Kirchen aus Holz, nach ihm aber alle aus Stein gewesen seien, ebenso habe er unkeusche Priester durch keusche und gelehrte ersetzt 49 . Dem scheint Kapitel 36 zu widersprechen, in dem der Autor von Reginmar behauptet, er habe in seinem Bistum omnem religionem zerstört 50 . Berück-

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Erat mons marmoreus, omni amoenitate conspicuus, in quo affirmabat se vidisse Gotewigense monasterium, permaximo splendore coruscum. In quo vidit (Altmanruim episcopum) cumfratribus, ... Eodem scemate et Sigiberch cum Annone et suis fratribus vidit, ... c. 37, S. 240, Z. 45ff. Zu diesem Motiv vgl. SCHRAMM, Mitherrschaft im Himmel, S. 480ff. Sed et hoc notandum, quod quisque eorum in loco, quem ipse construxit, requiescit. C. 7, S. 231, Z. 21f. Qui Heinricus, cognomento Pius, fllius Counradi imperatoris, palatium Goselariae ad radicem montis Ramisberc, de quo argentum tollitur, construxit, et basilicam ibidem apostolorum Symonis et ludae aediflcavit. C. 2, S. 229, Z. 43ff. Quo facto Gregorius pervigil pastor ecclesiae ab Urbe violenter armis fugatur, ovile Christi a saevis lupis dissipatur, Wicpertus haereticus, vir omni spurcitia plenus, apostolicam sedem invadit, qui sacerdotium profanavit, totum populum et regnum foedavit. O facinus! Electi ecclesiae pastores de sedibus suis perturbantur, lupi rapaces subrogantur: ... Super quo facto quäle gaudium diabolus in suis membris habuerit, audire licebit. C. 15, S. 233, Z. 45f. — S. 234, Z. 5. Vgl. Anm. 27-38. Wie Anm. 42. HÖDL, Göttweig, S. 17, der die Funktion dieses Sprachbildes im Zusammenhang der Vita nicht erkannt hat, meint, daß "hier zu Ehren des Bischofs etwas übertrieben" wurde. Diese Stelle wird in Anm. 65 ausführlich zitiert. Das nunc aus Kapitel 17 (Anm. 49) bezieht sich auf die Gegenwart des Schreibers, daher der Widerspruch. Denn Reginmar, der Nachfolger Altmanns, soll laut Kapitel 36 dessen Werk zerstört haben. Wie, so fragt WATTENBACH, MGH SS 12, S. 226, kann dann der Autor von einem tadellosen Jetzt-Zustand sprechen. WATTENBACH schloß aus diesem Grund Kapitel 36 aus der Erstfassung der Vita aus. Nachdem FUCHS, Der älteste Besitz, S. 37, WATTENBACH zunächst widersprochen hatte, schloß er sich ihm später an, DERS., Der heilige Altmann, S. 65. Vgl. dazu HIRSCH, Die Vita, S. 358, der zwischen den beiden Kapiteln keinen Widerspruch sieht — seiner Meinung nach kommt es auf die Übersetzung von religio an.

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sichtigt man aber, daß es dem Autor weniger um eine chronologische Wahrheit als um eine Bedeutungsaussage ging — das religionem destruxisse ordnet Reginmar eindeutig dem servitium diaboli zu —, dann löst sich der Widerspruch auf, der sich bei einer chronologischen Leseweise einstellt. Ebenso müssen nach der Logik der Vita die Kanoniker Göttweigs innerhalb dreier Jahre verkommen, um das Eingreifen Altmanns zu rechtfertigen, was recht unwahrscheinlich ist, wurden doch die ersten beiden Pröpste von Göttweig ob ihrer Verdienste um das Kloster gelobt51. Doch nur wenn er im Kloster schlechte Sitten einreißen läßt, kann der Autor sein Schema, Altmann als Zerstörer des Bösen und Begründer des Guten, aufrecht erhalten. Nach Aussage der Vita war es nämlich Altmann selbst, der, indem er dem Inklusen Johannes und dem späteren Göttweiger Abt, Hartmann, im Traum erschien, angeordnet habe, daß "Göttweig gereinigt und die Urheber des Übels vom Berg vertrieben würden"52. So erfolgte auch die Einführung der Benediktsregel in Göttweig dem Schema destruere — aedificare. Die letzten Kapitel der Vita, die das Schicksal Göttweigs nach dem Tode Altmanns zum Gegenstand haben, scheinen auf den ersten Blick nicht zu der Lebensbeschreibung des heiligen Bischofs zu gehören53. Sieht man jedoch genauer hin, sind auch sie an die Person Altmanns gebunden. Im Anschluß an die Wunder, die Altmann nach seinem Tod gewirkt haben soll (c. 32-35), wird von Visionen erzählt, in denen Altmann späteren Zeitgenossen erschienen sei (c. 36-41)54. Zu ihnen gehört die Vision eines Göttweiger Mönches, der im Traum Reginmar in Rom von Altmann vor dem Papst angeklagt sah und von allen Bischöfen und dem Papst wegen seiner irdischen Begierden verdammt wurde55. Dazu gehört auch die schon erwähnte Vision eines frommen Laien, der Altmann und Anno samt ihren Klostergründungen im Paradies gesehen haben will56. Dazu gehört vor allem Kapitel 38, in dem die Umwandlung des von Altmann als ein Kanonikerstift gegründeten 51

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Defuncto episcopo venit inimicus homo, ... Viri namque impudici, de locis suis aut expulsi autfiigitivi, ... Horum infandis actibus coepit locus infamari, ... c. 38, S. 241, Z. 3ff. Wie Amn. 41. Vgl. dagegen das Lob der ersten beiden Pröpste Göttweigs:... locum cuidamprudenti viro Outtoni commisit: qui strennue iniunctum sibi officium implevit. Post hunc suscepit regimen Counradus praepositus ... virmorum gravitate valde honorabilis, et omni morumprobitate laudabilis. C. 29, S. 238, Z. 19ff. FUCHS, Der älteste Besitz, S. 346, glaubte dem Autor aufs Wort: "Nach Altmanns Tode am 8. August 1091 rissen arge Disziplinlosigkeit und sonstige schwere Übelstände ein, die durch Berufung eines Benediktinerkonventes anfangs Oktober 1094 aus St. Blasien im Schwarzwalde energisch beseitigt wurden." HÖDL, Göttweig, S. 29f., bezeichnet den "Sittenverfall" Göttweigs als "Vorwand für die Umwandlung" in ein Benediktinerkloster. Seiner Meinung nach, ist der "wahre Grund", daß die Reformen Altmanns nach 1091 steckengeblieben waren. ... eidem Iohanni incluso Altmannus episcopus in somnis infulatus apparuit, ut locum de coeno purgaret, et utfoetorem stercoris de monte extergeret admonuit. C. 38, S. 241, Z. 9ff. FUCHS, Der heilige Altmann, S. 64-67, schloß Kapitel 43 und 44 aus der Erstfassung der Vita aus. HIRSCH, Die Vita Altmanni, S. 306, rechnet die letzten Kapitel zwar zu dem Erstbestand der Vita, seine Begründung ist jedoch nicht sehr überzeugend. Der Autor habe weder Geschick noch Interesse besessen, von Altmanns Leben ausführlich zu berichten. Er sei daher "ziemlich rasch zum Tode seines Helden" gelangt, "und um seine Erzählung nicht zu kurz werden zu lassen, fügt er Nachrichten über die weitere Entwicklung von Göttweig an." HIRSCH hat durch Stilkritik — alle "Visionskapitel" werden mit cuidam eingeleitet — nachgewiesen, daß auch Kapitel 36 zur Erstfassung der Vita gehört. Wie Anm. 5. Wie Anm. 65; vgl. dazu PETERS, Quellen und Charakter. Zu Visionen allgemein vgl. LEVISON, Die Politik in den Jenseitsvisionen; DINZELBACHER, Vision. Wie Anm. 45.

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Göttweig in ein Benediktinerkloster Hirsauer Provenienz als auf eine Erscheinung Altmanns zurückgehend beschrieben wird. Als nach dem Tode Altmanns im Stift schlechte und unkeusche Männer die Oberhand gewonnen hätten, sei Altmann dem schottischen Inklusen Johannes im Traum erschienen und habe ihm befohlen, den Berg von den schlechten Klerikern zu reinigen. Johannes habe daraufhin den Brüdern vorgeschlagen, das Kleid zu wechseln und statt der Augustinerregel die Regel Benedikts zu befolgen, was nach Anfrage in Rom auch geschehen sei. Altmann sei aber auch Hartmann, dem Prior von St. Blasien, erschienen und habe ihm mit dem Hirtenstab die Sorge für das Kloster übergeben 57 . So führte Hartmann auf Geheiß Altmanns die Benediktsregel in Göttweig ein. Durch diese doppelte Erscheinung Altmanns — dem Inklusen Johannes und dem Prior Hartmann — will der Autor zeigen, daß die Abschaffung der Augustinerregel zugunsten der Benediktsregel nicht etwa gegen den Willen des Stifters, sondern im Gegenteil auf dessen Veranlassung hin geschah. Altmann ist somit nicht nur der Gründer Göttweigs, auf ihn geht, so will es die Vita, auch die Einführung der Regel Benedikts zurück. Wie sehr Altmann mit der Klosterführung Hartmanns zufrieden war, zeigt der Autor mit einer weiteren Vision. Altmann sei Hartmann, als dieser an starkem Kopfschmerz litt, erschienen und habe durch Handauflegen Hartmanns Schmerzen vertrieben 58 . Wäre Altmann nicht mit Hartmanns Klosterführung einverstanden gewesen, er hätte ihm mit Sicherheit nicht geholfen! Mittels der Visionen gelingt es dem Autor, seinen Lesern die Kontinuität der Geschichte des Klosters Göttweig als Gründung des Bischofs Altmann auch über den Einschnitt, den der Wechsel der Regel sicher bedeutete, zu suggerieren. Wie im Falle Annos und Siegburgs wird auch hier der heilige Gründer als Garant der Kontinuität des Kloster dargestellt. Ein letzter Punkt, der für die Einheit der Vita spricht, sind die "gelehrten" EinSchübe, zumeist Etymologien, mit denen der Autor wohl seine eigene Gelehrsamkeit unter Beweis stellen wollte. Während er nur kurz die Jugend und Familie Altmanns erwähnt, ist das ganze erste Kapitel eine gelehrte Erklärung über den Ursprung der Sachsen, zu denen ja auch der Westfale Altmann gehörte 59 . In welchem Zusammenhang der Exkurs über die verschiedenen Säulen der Kirche steht, habe ich oben schon ausgeführt 60 . Kapitel 26 bringt eine Etymologie des Namens Göttweig, wobei "Gött-" von den Goten abgeleitet wird und "wich" mit "mars", dem angeblichen Namen des

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Zur Vision des InMusen Johannes wie Anm. 52. Huic Hartmanno, ut ipse post fratribus retulit, episcopus Altmarmus in eodem loco sancti Blasii in somnis apparuit, virgam pastoralem ei tradidit, locum Gotwicensem commendavit. C. 38, S. 241, Z. 21ff. Zu Hartmann wie Anm. 26 und 34. Hie abbas quodam tempore passus est gravem capitis dolorem, cui Altmannus episcopus in somnis apparuit, quidpateretur inquisivit. Qui caput sibi dolere respondit. Episcopus vero blanda manu caput eius tetigit, et continuo dolorem depulit; abbas autem ut evigilavit, nullum dolorem sensit. C. 41, S. 242, Z. lOff. C. 1, S. 229; Der Autor benutzte Widukinds Gesta Saxonum, die Vita S. Severini und Jordanis Getica. So schon WATTENBACH, MGH SS 12, S. 226. HIRSCH, Die Vita, S. 350ff., nennt als weitere Vorlage das Chronicon Amelungbornense. Zu den Vorlagen der Vita Altmanni vgl. auch WINTER, Studien, S. 257ff. Zur Sachsensage vgl. WEDDIGE, Heldensage, S. 130ff.; GRAU, Der Gedanke der Herkunft, S. 13ff. Zu den mittelalterlichen Etymologien vgl. KUNCK, Die lateinische Etymologie, S. 7ff. Zu den Goten vgl. SCHWARZ, Germanische Stammeskunde, S. 83ff.; WOLFRAM, Geschichte der Goten; TEILLET, Des Goths; STRZELCZYK, Die Goten. Zu dem Namen "Göttweig" und zur Vorgeschichte des Klosterbergs HÖDL, Göttweig, S. 4ff. Wie Anm. 43.

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Gotenführers, gleichgesetzt wird. Im darauffolgenden Kapitel wird die Siebenzahl der Göttweiger Kirchen mit den sieben Gaben des Hl. Geistes, und, da man gerade eine achte Kirche baute, mit den acht Seligpreisungen in Beziehung gebracht. In Kapitel 28 wird die Etymologie Noricums und Bayerns erklärt und auf den Sieg des Bayernfürsten Bawarus über den Herkulessohn Norix zurückgeführt61. Wie hoch der Autor die Gelehrsamkeit einschätzte, konnte man schon aus den angeführten Kurzcharakteristiken der in der Vita vorkommenden Personen ersehen, in denen neben ihrem Einsatz für die Kirche stets auch auf ihre Gelehrsamkeit hingewiesen wurde62. Durch die Gelehrsamkeit heben sich die Prälaten und Mönche von dem ungebildeten vulgus ab, der den Namen Göttweigs falsch ausspricht und auch das Gerücht von dem bevorstehenden Weltende verbreitet haben soll63. Im Prolog angekündigt, zieht sich der Gedanke der Vorbildlichkeit Altmanns durch die ganze Vita. Doch für wen ist Altmann praedicandus, commendandus und imitabilisl Im Prolog heißt es futuris saeculis, cunctis und posteris. Das, was an Altmann gelobt wird, läßt an eine ganz bestimmte Personengruppe, die Passauer Bischöfe, denken. Es wurde schon aufgezeigt, daß alle in der Vita vorkommenden Personen nach dem Schema destruere — aedificare beurteilt werden, d.h. inwiefern sie zu dem Aufbau der Kirche im allgemeinen und des Klosters Göttweig im besonderen beigetragen haben. Auf die Bischöfe als Adressaten weist besonders das Kapitel 36 hin, in dem vom dritten Nachfolger Altmanns auf dem Passauer Bischofsstuhl, Reginmar (1121-1138), die Rede ist. Er wird geradezu als ein exemplum a contrario zu Altmann gezeichnet64. Wegen ihrer Bedeutung soll die Stelle, die oben schon einmal kurz angesprochen wurde, noch einmal ausführlich zitiert werden: "Dieser Reginmar, der dritte Nachfolger Altmanns, ein Mann, der in weltlichen Dingen sehr, in geistlichen dagegen weniger erfahren war, der dem Irdischen anhing und von überallher Geld zusammentrug, hat plötzlich seine Reichtümer anderen überlassen und nichts anderes als Elend und Finsternis dafür gefunden. Die Vision aber war folgende: Er (ein Göttweiger Mönch!) sah sich auf einem Konzil in Rom, auf dem sich Bischof Altmann und seine Amtsbrüder, mit außerge61 62 63

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C. 28, S. 237; dazu GRAU, Der Gedanke der Herkunft, S. 21f. Vgl. Anm. 27-38. Eo tempore multi nobiles ibant Ierosolimam ... quadam vulgari opinione decepti, quasi instaret dies iudicii ... c. 3, S. 230, Z. 5f. ... mons vocatur Gotewich, non ut vulgus dicit Kotewich. C. 26, S. 237, Z. 21 f. Im 38. Kapitel illustriert der Autor die Schwere des Verfalls Göttweigs, indem er sagt, sogar das gemeine Volk habe den Berg gemieden: Cumque in dies infamia longius et latius crebesceret, et non modo claustralis religio, sed ipsum vulgus montem abhorreret. C. 38, S. 241, Z. 8f. Diesen Tatbestand hat schon HIRSCH, Die Vita, S. 364f., erkannt und ihn als Argument für die Zugehörigkeit des Kapitels 36 zu dem ursprünglichen Bestand der Vita verwertet. Reginmar, der in den schwärzesten Farben geschildert werde, sei "förmlich zum Gegenpart des Helden" geworden. Kapitel 36 sei deshalb "geradezu die notwendige Ergänzung zu dem hellen Bilde, das der Geschichtsschreiber von Altmann und seiner Stiftung entwirft. Kapitel 36 aus der Vita ausscheiden, heißt aus der Darstellung von Leben und Wirken des frommen Bischofs die Lehre wegnehmen, die die frommen Leser aus der Lektüre diese Werkes empfangen sollten." HIRSCH, ebd., S. 366, sieht die Vita Altmanni als "eine Hirsauer Quelle, die genau in der Art der anderen Darstellungen dieser Klöster von Aufstieg und Niedergang der Reform zu berichten weiß." Zwar habe der Autor der Vita Altmanni den Zusammenhang, der zwischen den Eingriffen des Bischofs und dem Niedergang der Reform bestünde, nicht erkannt, jedoch das Material dazu geliefert (ebd., S. 364). Die Frage, was "die Lehre" der Vita Altmanni sei und an wen sie sich richte, ist von HIRSCH unbeantwortet geblieben. Als Entstehungsgrund gibt er an, daß nach dem Investiturstreit überall "der Drang nach historiographischer Betätigung" erwachte. "Es galt die glorreichen Taten der eben vergangenen Zeit dem Gedächtnis der Nachwelt zu erhalten." Ebd., S. 359; zum exemplum a contrario vgl. Einleitung, Anm. 61, sowie S. 14f.

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wohnlichem Schmuck bekleidet, befanden. Dieser stellte sich in die Mitte und bat den Papst, sich äußern zu dürfen. Als ihm das Rederecht erteilt war, brachte er das abscheuliche Unrecht vor. Er sagte, daß Altmann die Klöster und Pfarreien seines Bistums in schöner Ordnung hinterlassen habe, daß aber Reginmar, der in dessen Bistum eingedrungen sei, dort jedes religiöse Leben zerstört habe. Derselbe Reginmar stand in einiger Entfernung, von Furcht erschreckt, traurig, blaß und mit zerlumpten Kleidern. Der Papst bat die Bischöfe, in dieser Angelegenheit Recht zu sprechen, und alle sprachen sich für die Strafe der Verdammnis aus. Reginmar wurde noch in demselben Jahr krank und blieb krank bis zu seinem Tod. "65 Die Lektion für künftige Passauer Bischöfe war eindeutig: entweder sie unterstützten wie Altmann das Kloster Göttweig, dann stand ihnen der Himmel offen, oder sie beschnitten die Rechte des Klosters wie Reginmar, dann drohte ihnen Elend und Finsternis 66 . Die Mönche des Klosters Göttweig hatten guten Grund, in Altmann einen exemplarischen Bischof zu zeichnen. Göttweig war von Altmann als bischöfliches Eigenkloster und Augustinerchorherrenstift gegründet worden 67 . Altmann ließ dem Stift

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Qui Regimarus tertius post eum episcopus, vir admodum in saecularibus peritus, in spiritualibus minus eruditus, terrenis inhians, pecuniam undecumque congregans, subito reliquit alienis divitias suas, et nichil invenit nisi miseriam et tenebras. Visio autem erat talis. Videbatur sibi quod Romae esset in concilio, et episcopus Altmannus cum coepiscopis sedisset inflilatus cultu eximio. Qui consurgens stetit in medio, petens prolocutorem ab apostolico. Cui cum esset data copia fondi, protulit coram omnibus verba sceleris infondi, dicens Altmannum Pataviensem episcopatum in coenobiis et parrochiis bene dispositum reliquisse, sed Reginmarum sedis suae invasorem, omnem religionem in eo destruxisse. Ipse autem Regimarus stabat a longe timore perterritus, tristis et pallidus, pannosis vestibus indutus. Itaque apostolicus super hac re interrogans episcopos iustitiam, accepit ab omnibus damnationis sententtam. Qui eodem anno incidit in infirmitatem, in qua duravit usque ad mortem. C. 36, S. 240. Vgl. zu dieser Stelle FLECK, Vita Altmanni, S. 53f., die jedoch die Funktion dieser Stelle als exemplum a contrario nicht erkennt. FLECK und mit ihr HÖDL machen für die feindselige Haltung des Autors sein Engagement in der cluniaszensischen Reformbewegung verantwortlich: "Man kann daher mit guten Gründen davon ausgehen, daß der Autor der Vita Altmanni engagiert als cluniaszensischer Benediktiner schreibt, für den der Passauer Bischof (damals Reginmar) nachgerade zum Feindbild wird, weil er ... in Göttweig seine eigenkirchlichen Ansprüche massiv durchzusetzen versuchte." HÖDL, Göttweig, S. 18. In der 50 Jahre später von einem Abt Rupert geschriebenen Überarbeitung der Vita Altmanni werden die Adressaten offen angesprochen, die in der Vita prior schon implizit gemeint waren: Attendite quaeso, pontifices nostri saeculi, quae vobis memoria succedat: non de constructione ecclesiarum sed castellorum, quae voi in excelsis et praeruptis montibus pauperum sudore et viduarum minutis instauratis. Bei WATTENBACH als Anm.*, S. 231; vgl. Vita Altmanni altera, hg. von PEZ, AA SS Aug. 2 , c. 55, S . 3 8 8 . TELLENBACH, Eigenklöster, S. 29ff.; FUCHS, Das Benediktinerstift, S. 317. Die allerdings unechte Stiftungsurkunde Göttweigs ist auf den 9. 9. 1083 datiert. FUCHS, Urkunden, Nr. 5, S. 6ff. (=KARLIN, Nr. 1, S. 249ff.) Zum Göttweiger "Stiftsbrief" und zum Erstbesitz des Klosters vgl. HÖDL, Göttweig, S. 23ff.

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reiche Schenkungen zuteil werden und dies um so mehr, als er, im Investiturstreit aus seiner Bischofsstadt vertrieben, auf Göttweig residierte 68 . Als Klosterherr war der Passauer Bischof "Träger aller Rechte über das Kloster als Vermögenskomplex" 6 9 . Die auf Altmann folgenden Bischöfe Ulrich (1091-1121) und Reginmar (1121-1138), die wieder in Passau residierten, versuchten verständlicherweise den durch Altmann so freigiebig ausgeteilten Bistumsbesitz zusammenzuhalten und bei Gelegenheit auch zu vergrößern. So muß Bischof Ulrich in den ersten Jahren seiner Amtszeit Göttweig viele Güter und Lehen entzogen haben 70 . Auch unter Reginmar hat es zwischen dem Kloster und Passau Streit um einträgliche Lehen gegeben 71 . Die Göttweiger Äbte sahen den Eingriffen in das Vermögen ihres Klosters nicht tatenlos zu 72 . Zunächst bemühten sie sich, durch päpstliche Privilegien eine größere Unabhängigkeit von ihrem Eigenklosterherrn zu verschaffen. Doch sind diese Privilegien keinesfalls als Verleihung der Exemtion noch der Reichsunmittelbarkeit des Klosters zu sehen, wie Fuchs annahm 73 .

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... Tiemo ... episcopatum tantum usque ad Anasim fluvium magis oppressit, quam rexit. Altmannus vero in orientali provincia clerum et populum canonice gubernavit, et coepto operi in monte Gotewich toto annisu instabat. C. 16, S. 234, Z. 17ff. Vgl. MEYER-KNONAU, Jbb. Heinrichs IV., Bd. 4, S. 175. Noch 160 Jahre später machte der Passauer Domdekan Albert Böheim Altmann den Vorwurf, er habe hochstiftischen Besitz zugunsten der Klöster verschleudert (Historiae epp. Pataviensium et ducum Bavariae ad a. 1065, MGH SS 25, S. 621 und Notae de epp. pataviensibus, ebd., S. 624). Dazu BOSHOF, Bischof Altmann, S. 341. TELLENBACH, Eigenklöster, S. 65; s. dazu auch HÖDL, Göttweig, S. 26f., der die "einzigartige Rechtsstellung des Stiftes" betont. Dieses unterstand einerseits "in eigenkirchlicher Weise" dem Gründerbischof und dessen Nachfolgern, gegenüber dem Reich befand es sich aber in einer "immunitätsartigen Beziehung", da ehemalige bischöfliche Immunitäten von Altmann Göttweig übergeben worden waren. Vgl. die überzeugenden Überlegungen von FUCHS, Der älteste Besitz, S. 22. So lautet eine Traditionsnotiz von 1122-1130, in der Reginmar allerdings als Schlichter eines Streites zwischen einem Passauer Propst und Göttweig dargestellt wird: Noveril... quaüter domnus Reginmarus, episcopus Pataviensis, omnia predia et decimas vini et frumenti, qm ab antecessoribus eius hactenus obtinuimus, et precipue omnem decimam vini ad Chremisa renovando nobis stabilivit, insuper et litigium, quod habuimus cum preposito Pataviensi et cum c&eris conprovincialibus nostris, banno suo exclusit, sub anathemate eum ponens, qui aliquid de predictis bonis s. Marie subtraheret. FUCHS, Traditionsbücher, Nr. 210B, S. 350 (=KARLIN Nr. 236, S. 57f.); s. dazu auch FLECK, Vita Altmanni, S. 53f. Vgl. HÖDL, Göttweig, S. 35: "Vordringliche Aufgabe der Äbte und ihrer Konvente waren allerdings in der Anfangszeit die Sicherung des Besitzes und der Ausbau der Rechtsstellung. Und so ist es auch die Rechts- und Besitzpolitik der Äbte des 12. Jahrhunderts, die sich in den Quellen am deutlichsten niederschlägt." Im folgenden werden die ersten Göttweiger Äbte von HÖDL einzeln gewürdigt. So stellte Urban II. Göttweig 1098 ein Privileg aus; abgedruckt in: FUCHS, Urkunden, Nr. 12, S. 25f.(=KARLIN Nr. V, S. 257f.). Dieses Privileg wurde von Paschalis II. 1104 und von Innozenz II. 1139 bestätigt; FUCHS, Urkunden, Nr. 16, S. 29ff. (=KARLIN, Nr. VI, S. 259f.) und Nr. 34, S. 51ff. (=KARLIN, Nr. XI, S. 267f.). Diese päpstlichen Urkunden werden übrigens von der Vita in c. 40, S. 242, Z. 3f. genannt. FUCHS, Das Benediktinerstift, S. 523-536, behauptet, Göttweig habe durch die Privilegien Urbans II. und Paschalis II. eine "reichsunmittelbare Stellung" erreicht und sei zu einer "quasi libera abbatia erhoben" worden." Die Zitate sind den Seiten 534f. entnommen. Gegen diese Ansicht wandte sich HIRSCH, Die Vita Altmanni, S. 362, bes. Anm. 2 und 3. Er schreibt: "Weder Altmann noch seine Nachfolger haben der Stiftung dem apostolischen Stuhl überantwortet. Es fehlt daher in dem Privileg der Bericht über die Oblation, es fehlen ferner die Festsetzung der Zinszahlung ad indicium libertatis und die Bestimmungen über die Ausübung der Vogteigewalt. ... Die Bischöfe von Passau waren und blieben Eigenkirchenherren von Göttweig." Vgl. Anm. 69. HÖDL, Göttweig, S. 65, sieht in den deutlichen Wendungen der päpstlichen Urkunden gegen den bischöflichen Eigenherren die allgemeine Tendenz der Papsturkunden des 12. Jahrhunderts bestätigt. Er bemerkt auch,

Die Vita Altmanni

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Nach dem Tode Ulrichs mußten die Göttweiger Mönche ihren Besitz gegenüber einem neuen Bischof und Eigenklosterherrn, Reginmar, verteidigen. Da sie Besitz erworben hatten, dieser aber nicht von Bischof Ulrich bestätigt worden war, fälschten die Göttweiger Mönche Urkunden auf den Namen Ulrichs, um so gegenüber dem neuen Bischof Beweise in der Hand zu haben74. Fuchs schildert die Situation der Mönche folgendermaßen: "Man hatte rechtmäßig erworbenen Besitz, allein es fehlte fuer einen Teil die formell unanfechtbare Verbriefung seitens des Vorgängers. Dazu mußte man besorgen, daß derselbe dem Stifte ebenso, wie es Bischof Ulrich bei seinem Amtsantritte tat, Zehente oder Kirchenlehen entziehen könnte, vielleicht Schlimmeres. Dazu kam der Zehntstreit mit der Pfarrei Krems ... Man war also genöthigt, selbst posthume Bestätigungsurkunden auf den Namen Bischof Ulrich abzufassen, um gegen etwa zu besorgende Eingriffe des Nachfolgers geeignete Rechtstitel zur Abwehr zu haben. "75 Unter Abt Nanzo (1114-1125) besann man sich in Göttweig noch auf ein anderes Mittel, den klösterlichen Besitz zu sichern. Die Mönche legten den Traditionscodex A an76. Ebenfalls mit dem Ziel der Besitzsicherung hat Nanzo Adelige veranlaßt, schon 20 Jahre zurückliegende Widmungen nochmals urkundlich zu bestätigen 77 . Nanzos Nachfolger, Abt Cadalhoch (1125-1141), hat ebenfalls einen Traditionscodex um das Jahr 1135 anlegen lassen. In dem Vorwort zu diesem Traditionscodex B heißt es, daß man die Schenkungen der Gläubigen zusammentragen wolle, um klare Beweise zu haben, falls sie jemand in späterer Zeit für sich beanspruchen sollte78. Nach einer Klage über die Schlechtigkeit der Welt, in der "das, was die einen in Hoffnung auf ewigen Lohn (der Kirche!) stiften, von anderen, die das Recht gering achten, ohne Furcht geraubt wird", wird auf Altmann, den Klostergründer, und seine zahlreichen Schenkungen hingewiesen, die er Göttweig vermacht habe79. Ich will zwar nicht so

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daß sich Göttweig in Besitzstreitigkeiten wiederholt nicht an die Passauer Bischöfe, sondern direkt an die Kurie wandte (ebd., mit den entsprechenden Belegen). Zu den Papsturkunden vgl. auch ebd., S. 24. Gefälscht wurden die Urkunden, mit denen Ulrich die Schenkungen und den Pfarrbesitz Göttweigs bestätigte (FUCHS, Urkunden, Nr. 10 und 11, S. 19ff.) sowie die Bestätigung der Pfarrei Kilb (FUCHS, U r k u n d e n , Nr. 14, S. 2 7 ) .

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FUCHS, Der älteste Besitz, S. 58f; vgl. ebd., S. 79f.; die gefälschten Urkunden wurden Bischof Reginmar zur Bestätigung vorgelegt. Die echten Urkunden Reginmars sind erhalten vgl. FUCHS, Urkunden, Nr. 26 und 27, S. 41ff. (KARLIN, Nr. VIII und IX, S. 263ff.). FUCHS, Die Traditionsbücher, S. 116f. Zu Traditionsbüchern allgemein vgl. JOHANEK, Zur rechtlichen Funktion, S. 146ff.; KASTNER, Historiae, S. 6ff., mit weiterführender Literatur. Auch HÖDL, Göttweig, S. 25, ist der Ansicht, daß die Anlage der Traditionsnotizen unter Nanzo und Cadalhoch "den erfogreichen Bemühungen des Konvents" entsprach, seinen Besitz und seine Stellung gegenüber "bischöflichen und weltlichen Interessen" zu sichern. FUCHS, Die Traditionsbücher, S. 116; die entsprechenden Urkunden ebd., Nr. 133, S. 269f. und Nr. 145, S. 280ff. De diversa fldelium conlatione iste libellus est conscriptos, gut pro remedio anime sue privatim vel publice proprio nobis largiti sunt bona, qw idcirco scriptis assignavimus, ut si quis eadem in posterum retrahere nititur, evidenti testimonio convincatur. Diffinitiooperis sequentis, hg. von FUCHS, Traditionsbücher, S. 143; vgl. dazu auch KASTNER, Historiae, S. 46f. Der Zusammenhang, der zwischen dem Gründungsbericht, der den Stifter als nachahmenswertes Exempel hinstellt und dem folgendem Traditionsbuch, den KASTNER, ebd., S. 133ff., für das Chronicon Eberspergense nachgewiesen hat, ist ihm im Falle der Diffinitio operis sequentis verborgen geblieben. Nunc enim tantis inveteratus est mundus malis, ut quod plures pro mercedis etemg conferunt ecclesie., alii iusticie obliti non metuunt diripere. Non autem solummodo a potentibus et nobilibus, sed etiam ab infimis iste locus in variis expensis adcrevisse dinoscitur, quorum omnium singularis invenitur beate

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Die Vita Altmanni

weit gehen wie Fuchs, der für Vita und Traditionscodex B denselben Verfasser annahm, doch ist es m. E. nicht von der Hand zu weisen, daß zwischen beiden ein inhaltlicher Zusammenhang besteht 80 . Ein Traditionsbuch verzeichnet per definitionem die Schenkungen des Gründers und der Gönner und wurde in seinen Anfangen häufig von einem Gründungsbericht begleitet. Eine Vita zeigt das Leben eines als heilig empfundenen Menschen und stellt ihn als Vorbild hin, wobei es durchaus vorkommen konnte, daß man den sakralen Rahmen einer Vita nutzte, um tatsächliche oder vermeintliche Rechte geltend zu machen. Jörg Kastner hat kürzlich auf den Zusammenhang aufmerksam gemacht, der zwischen Gründungsbericht — in dem die Unterstützung des Klosters durch den Gründer als Exempel hingestellt wird — und dem folgenden Verzeichnis der Traditionen besteht 81 . Die "Vita Altmanni" war die historiographische Ergänzung zu dem eher den Charakter eines juristischen Beweisstückes tragenden Traditionscodex. Via negativa wird diese Annahme durch die Kritik zweier Historiker bestätigt, von denen der eine dem Traditionscodex "ein mehr als bescheidenes, kümmerliches Interesse (am Gründungsvorgang!)" 82 vorwirft, während der andere "aus solcher Benutzungsart (der Briefe und Urkunden in der "Vita Altmanni"!) ein besonderes Interesse für Schreiben und Urkunden" nicht bemerken kann 83 . Als juristisches Beweisstück besaßen die Mönche den Traditionscodex. Allein war dieser ungeeignet, um das geschichtliche Selbstverständnis der Göttweiger Mönche zu formen oder um in Form von Predigt oder Lesung den Bischöfen Passaus und anderen potentiellen Gönnern des Klosters vorgetragen zu werden. Abt Cadalhoch ließ nicht nur den Traditionscodex anfertigen. Er erwarb 1139, kaum war Reginmar 1138 gestorben, für sein Kloster ein Schutzprivileg von Papst Innozenz

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memoria dominus noster Altmannus, Pataviensis episcopus, apostolice sedis legatus, qui huius loci extitit fundator strenuissimus. Denique hunc locum, qui vocatur mons Kotwigensis, a solitudine edificans, deo famulantibus habitabilem reddidit ac amenum et monasterium construens in honore sancte dei genetricis perpetue virginis Marie dedicavit fratribusque regulariter coadunatis plura, quibus pro sua necessitudine carere poterat, prediis et in aliis donariis subministravit. Precipue vero de beneficiis militum suorum, que in eius potestatem iustis ex causis devenerant, vel qui absque herede vita excesserant, contradidit quod infra scriptum melius declarabitur. Has autem omnes traditiones, quasfecit, partim testimonio tarn spiritalium, quam secularium personarum, partim episcopali auctoritate firmavit. FUCHS, Traditionsbücher, S. 143f. FUCHS, Der älteste Besitz, S. 40f. Derselbe "hervorragende Mönch" soll nach FUCHS' Meinung auch die beiden Ulrichsurkunden gefälscht haben. Das bestreitet HIRSCH, Die Vita, S. 352ff. Gegen die Identität der Verfasser von Vita Altmanni und Traditionscodex B spricht die verschieden gehandhabte Orthographie von "Göttweig". Während der Verfasser der Diffinitio, der Einleitung zum Traditionscodex, von einem locum qui vocatur mons Kotwigensis (FUCHS, Traditionsbücher, S. 144) spricht, betont der Autor der Vita Altmanni, mons vocatur Gotewich, non ut vulgus dicit Kotewich. C. 26, S. 237, Z. 21f. Vgl. Anm. 63. Vgl. ALTHOFF, Causa scribendi, S. 133, zur Vita Meinwerci, die ein Abdinghofer Mönch verfaßte. Derselbe hat über 25 falsche Siegelurkunden mit dem Ziel, den Besitz des Klosters zu sichern, herstellen lassen. "In den Abdinghofer Aktivitäten ... beobachten wir daher wohl nur in formaler Hinsicht eine wenig abweichende Variante der Bemühungen, sich durch die Verbindung von Traditionsbuch und Historiographie ein Instrument zur Verteidigung des Besitzes zu schaffen." Vgl. HONSELMANN, Die sogenannten Abdinghofer Fälschungen; JOHANEK, Zur rechtlichen Funktion, S. 154, der auf die Komplementarität von Historiographie und Urkunde aufmerksam macht. KASTNER, Historiae, S. 47. Auch HÖDL, Göttweig, S. 207, beklagt das Fehlen einer "regelrechten historia fundationis". HIRSCH, Die Vita Altmanni, S. 352.

Die Vita Altmanni

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II., das Göttweig seinen Besitz und das Recht der freien Abtswahl bestätigt 84 . Fuchs meint zu Recht, daß "durch das Ansuchen um das Privileg ... offenbar Abt Cadalhoch sein Stift gegen etwaige Übergriffe seitens des noch unbekannten Nachfolgers (Reginbert!) zu wappnen versuchte" 85 . Es ist auffallend, daß in Göttweig im Zeitraum 11351141 neben der "Vita Altmanni" der Traditionscodex B abgefaßt und in demselben Zeitraum auch Papst Innozenz II. um ein Schutzprivileg angegangen wurde. Bei Schutzprivileg und Traditionscodex ist die Zielrichtung der Besitzsicherung eindeutig. Die "Vita Altmanni" steht nicht beziehungslos daneben. Es liegt vielmehr nahe, in Schutzprivileg, Traditionscodex und Vita eine Ermahnung an den neuen Bischof zu sehen, sich dem Kloster wohlwollend gegenüber zu verhalten. Die Vita zeigte dem neuen Bischof, wie er sich verhalten sollte, und in Schutzbrief und Traditionscodex verfügte man über Beweise, falls es doch zum Konflikt kommen sollte. Cadalhoch war nicht der einzige, der Innozenz um Schutz anging. Auch die Mönche des Klosters Melk beschwerten sich beim Papst, daß Bischof Reginmar die "Freiheit" ihres Klosters verletzt und ihnen von einigen Kirchen die Zehnten entzogen habe86. In St. Florian, einem weiteren Passauer Eigenkloster, suchten sich die Mönche durch Fälschungen die Freiheit von ihrem Eigenkirchenherrn zu verschaffen 87 . In dem Kontext der Bemühungen Göttweigs und anderer Klöster des Passauer Bistums, ihren Besitz vor den Eingriffen des Klosterherren und Ordinarius, dem Bischof von Passau, zu schützen, muß auch die "Vita Altmanni" betrachtet werden. Die Darstellung Altmanns als "Erbauer" seiner Kirche erhält vor diesem Hintergrund betrachtet ihre eigentliche Bedeutung. Altmann sollte dem Nachfolger Reginmars, Reginbert (1138-1148), als nachahmenswertes Vorbild dienen88. Der Autor hatte gute Gründe, das konkrete Bauen Altmanns und der anderen in der Vita gelobten Personen als vorbildlich hinzustellen — glich doch Göttweig selbst in den Jahren der Entstehung der Vita einer Baustelle. Seit 1132 war man in Göttweig mit dem Bau der Godehardskapelle beschäftigt 89 . Die Unterstützung des Eigenklosterherren konnte man dabei sicher gut gebrauchen, während finanzielle Einbußen des Klosters nicht ohne Auswirkung auf die

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FUCHS, U r k u n d e n , N r . 3 4 , S. 5 1 f f .

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FUCHS, D a s B e n e d i k t i n e r s t i f t , S . 5 4 5 .

86

So ist in den Annalen des Klosters Melk zum Jahre 1136 zu lesen: Episcopus Reginmarus ecclesiae Dei molestus et amarus, libertatem monasterii nostri molitus est infringere, et decimationes ecclesiarum nostrarum auferre. Pro qua re Erchinfridus abbas domnum apostolicum vita et nomine Innocentium adiit, et Privilegium nostrum tercio innovavit, et episcopifactiones apostolica auctoritate adnichilavit. MGH SS 9, S. 502, Codex A. In demselben Zusammenhang wurde dieser Eintrag von WATTENBACH, Vita Altmanni, S. 226, Anm. 1; HIRSCH, Die Vita, S. 363, zitiert. Abt Erchinfried von Melk ist übrigens derselbe, der in Göttweig mehrere Jahre das Amt des Abtes in Vertretung für Hartmann ausgeübt hat. Dazu Anm. 35.

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TELLENBACH, E i g e n k l ö s t e r , S. 1 0 1 .

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Aus diesem Grund plädiere auch ich für eine Spätdatierung der Vita. Sie wurde zwischen 1138, dem Todesjahr Reginmars — der Tod Reginmars wird in c. 36 vorausgesetzt — und 1141 dem Todesjahr Abt Cadalhochs, dem Auftraggeber der Vita, geschrieben. Lediglich das Kapitel 44, das auch eine nicht an dem für die Vita Altmanni typischen Schema aedificare — destruere ausgerichtete Charakterisierung der geschilderten Äbte vornimmt, ist m. E. als Nachtrag zu betrachten. ... nunc octavam (ecclesiam!) in honore sancti Gotehardi aedificat. C. 27, S. 237, Z. 39. Godehard wurde 1131 heilig gesprochen. S. oben Kapitel III, Anm. 150 und Kapitel IV, Anm. 7. Vgl. FUCHS, Das Benediktinerstift, S. 322ff., bes. S. 330, wobei FUCHS allerdings die Bauzeit der Godehardkapelle auf die Jahre 1132-1135 einschränkt; zur Bauzeit der Godehardkapelle auch HIRSCH, Die Vita, S. 365, Anm. 1.

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Bautätigkeit bleiben konnten. Die Einkünfte aus Ländereien und Zehnten bildeten die notwendige wirtschaftliche Grundlage für das Bauprogramm des Klosters. Zu den Aufgaben eines Eigenklosterherren gehörte der Schutz seines Klosters90. Auch hierin wird Altmann seinen Nachfolgern als Vorbild hingestellt. Ein Exempel betont die Festigkeit, mit der Altmann weltlichen Großen gegenüber aufgetreten sei: "Mit wieviel Festigkeit aber der von Gott geliebte Bischof Altmann weltliche Große, ohne einen der Seinen bei sich zu haben, in ihre Schranken wies, die er dabei ertappte, wie sie das kirchliche Recht mit Füssen traten, kann man aus diesem einen Beispiel deutlich erkennen. "91 Der anschließende Text berichtet von einem Adeligen, der versuchte, ein Bischofslehen in seinen Erbbesitz einzugliedern. Altmann habe durch Exkommunikation erreicht, daß dieser Adlige reuig zu ihm zurückkam und ihm das Gut, die Villa Ratolfisdorf, zurückerstattete, welches Altmann dann — natürlich — dem Stift Göttweig übertrug92. Nach dem Tode Altmanns, 1091, mußte Göttweig tatsächlich schlechte Erfahrungen mit den potentes saeculi machen. Markgraf Leopold II., ein Babenberger, hatte dem Stift, sobald Altmann gestorben war, Besitzungen widerrechtlich entzogen, die erst sein Sohn, Leopold III., auf Bitten des Abtes wieder zurückerstattete; denn zu diesem Zeitpunkt hatten die Babenberger die Vogtei über das Kloster Göttweig erlangt, die zuvor in den Händen der Formbacher gelegen hatte, und eine Schwester Leopolds II., die Witwe des Böhmenherzogs, Gerberga, war in das zu Göttweig gehörende Nonnenkloster eingetreten93. Ein Bischof wie Altmann, so ist wohl zwischen den Zeilen der Vita zu lesen, hätte eine Beeinträchtigung der Rechte Göttweigs, wie sie sich die Babenberger erlaubt hatten, durch sein standhaftes Auftreten zu verhindern gewußt. Das, was man in Göttweig also am meisten von dem neuen Passauer Bischof und Eigenherren des Klosters erwartete, waren Schutz und Förderung der materiellen Belange des Klosters. Die "Vita Altmanni" zeigt den Passauer Bischof als nachahmenswertes Vorbild. Mit dem Leitmotiv destruere — aedificare, das auch die Sprachbilder der Vita beeinflußt, stellt der Autor zwei Gruppen, das servitium diaboli und das servitium Christi, einander gegenüber. Die Mitglieder des servitium Christi, dessen hervorragendster Vertreter Altmann ist, zeichnen sich durch die Vermehrung von Kirchengut, insbesondere desjenigen Göttweigs, die Einsetzung gelehrter und keuscher Priester und die Bekämpfung der Feinde der Kirche im allgemeinen und Göttweigs im besonderen aus. Die Mitglieder des servitium diaboli dagegen, deren Musterbeispiel in Bischof Reginmar von Passau 90

TELLENBACH, E i g e n k l ö s t e r , S. 8 5 .

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Quanta autem constantiaAltmannus episcopus Deo dilectus potentes saeculi represserit, quos perttnaciter iura ecclesiastica calcare sensit, cum nullum de suis propinquis secum habuerit, hoc uno exemplo cognosci potent. C. 24, S. 236, Z. 23ff.; vgl. zu dieser Stelle HÖDL, Göttweig, S. 19. C. 24, S. 236. Acceptam autem villam mox delegavit super altare sanctae Mariae in Gotwicensi coenobio. Ebd., Z. 35f. FUCHS, Das Benediktinerstift, S. 520f. Die Widmungsurkunde findet man bei FUCHS, Traditionsbücher, Nr. 185, S. 321 (KARLIN, Nr. 116, vgl. weitere Stiftungen Leopolds III. ebd., S. 31, Nr. 166, S. 41, Nr. 215, S. 52). Zwei recht ausführliche Kapitel wurden bisher noch nicht erwähnt. Es handelt sich um Kapitel drei und vier, die von der Jerusalemwallfahrt Altmanns berichten. In Kapitel drei wird Altmann als Begleiter der Kaiserin Agnes in einer illustren Gesellschaft deutscher Bischöfe gezeigt. Kapitel vier berichtet von einer Äbtissin, die gegen jeden guten Rat mit auf die Wallfahrt gezogen sei, im Heiligen Land von Heiden geschändet wurde und in Folge davon starb. Der Autor kommentiert: Quod exempli gratia intersero, ut per hoc illi terreantur, qui sapientium consiliis obstinata mente renituntur. (C. 4, S. 230, Z. 22ff.) Ob sich das misogyne Kapitel, das eigensinnigen Äbtissinen empfiehlt, sich weisen Ratschlägen unterzuordnen, an die Adresse Gerbergas richtete?

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gezeigt wird, zerstören das Kirchengut und lassen schlechte Sitten einreißen. Warum dem Autor daran gelegen war, die materielle Unterstützung des Klosters Göttweig durch seinen Gründer in diesem Maße zu betonen, wird klar, wenn man den Entstehungskontext in Betracht zieht. Aus verschiedenen, kurz vor oder in demselben Zeitraum wie die "Vita Altmanni" entstandenen Quellen — Traditionscodices, Schutzprivilegien, Fälschungen — geht hervor, daß die Göttweiger Äbte bestrebt waren, den Besitz ihres Klosters gegenüber ihrem Eigenherren und gegenüber weltlichen Großen zu verteidigen. In diesem Zusammenhang muß auch die "Vita Altmanni" interpretiert werden. Während Traditionscodices, Schutzprivilegien und Fälschungen defensive Maßnahmen waren, die im Streitfall als juristisches Beweismaterial zur Verfügung standen, diente die Vita der vorbeugenden Paränese. Kurz nach dem Tode Reginmars von Passau entstanden, sollte sie dessen Nachfolger, Reginbert, in Form eines Exempels zur Vermehrung und zum Schutz des Göttweiger Klostergutes auffordern.

IX. DIE VITA ANNONIS — EINE RECHTFERTIGUNGSSCHRIFT "Selig, deren Frevel vergeben und deren Sünden bedeckt sind." 1 S e l i g , deren F r e v e l v e r g e b e n und deren S ü n d e n bedeckt sind. D i e s e r Satz, der a m E n d e des P r o l o g e s zur "Vita A n n o n i s maior" 2 steht, gibt das Leitthema der z w i s c h e n 1 1 0 4 und 1105 im Kloster Siegburg entstandenen "Vita Annonis" an 3 . A n n o II., v o n 1 0 5 6 bis 1 0 7 5 E r z b i s c h o f v o n K ö l n , war und ist e i n e umstrittene Persönlichkeit. D i e A r g u mente der alten und neuen Historiker g l e i c h e n sich. Während d i e e i n e n s e i n e Habsucht und R a f f g i e r , s e i n e Familienpolitik und den Staatsstreich v o n Kaiserswerth kritisieren, stellen die anderen d e n f r o m m e n R e f o r m e r , den Kirchen- und Klosterbauer, den Tröster der W i t w e n und W a i s e n in den Vordergrund 4 . D a es hier nicht u m d e n historischen A n n o , sondern u m s e i n e 1 1 0 4 - 1 1 0 5 g e s c h r i e b e n e Vita geht, kann auf e i n e Stellungn a h m e , w i e A n n o nun wirklich war, verzichtet w e r d e n . Es interessiert v i e l m e h r , aus w e l c h e n Gründen der Siegburger Abt Reginhard ( 1 0 7 6 - 1 1 0 5 ) e i n e w e i t e r e A n n o v i t a schreiben ließ und w e l c h e s A n n o b i l d er vermitteln wollte 5 . Z u m Zeitpunkt der A b fassung lagen n ä m l i c h s c h o n drei A n n o v i t e n v o r , v o n d e n e n d e m Autor z w e i mit

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Beati, quorum remissae sunt iniquitates, et quorum tecta sunt peccata. Prol., S. 466b, Z. 12f. ( = R o m . 4,7; Ps. 32,1). Vgl. weitere Bibelzitate der Vita in ähnlichem Tenor in Anm. 89. Vita Annonis Archiepiscopi Coloniensis auct. monacho Sigebergense, hg. von KOEPKE, MGH SS 11, S. 465-514, im folgenden als Vita Annonis maior bezeichnet. Nach KOEPKE, ebd., S. 463, liegen von dieser Vita ein vollständiger und zwei unvollständige Codices aus dem 12. Jahrhundert sowie sieben unvollständige aus dem 14. und 15. Jahrhundert vor. Zu den verschiedenen Fassungen und Ausgaben der Annovita vgl. auch MITTLER, Annos Heiligsprechung, S. 55ff. Zum Abfassungsdatum vgl. SCHLEFFER, Ein Quellenfund, S. 202, Anm. 2: Das Abfassungsdatum wird aus der Angabe der Vita III, c. 3, S. 501a, Z. 8, daß Reginhard zum Zeitpunkt der Abfassung der Vita in seinem 29. Abtsjahr gewesen sei, erschlossen. Da sein Vorgänger Erpho am 3. 6. 1076 und Reginhard selbst am 4. 11. 1105, in seinem 30. Amtsjahr starben, ergibt sich für die Entstehungszeit der Vita der Zeitraum zwischen Juni 1104 und November 1105. Zu den Amtszeiten vgl. WisPLINGHOFF, Die Benediktinerabtei Siegburg, S. 156f. Mit dem historischen Anno beschäftigt sich JENAL, Erzbischof Anno II. Annos Beurteilung in den zeitgenössischen Quellen hat BAUERNFEIND, Anno II., S. 13ff., zusammengestellt. Vgl. auch MITTLER (Hg.), Vorträge zum Annojahr. FLECKENSTEIN, Hofkapelle II, S. 245, kennzeichnet Anno als "eine problematische Gestalt, ... der die harten Züge dessen trug, der sich alles erkämpfen mußte". Daneben habe er sich durch hohe Bildung, strenge Frömmigkeit und politische Begabung ausgezeichnet. HAUCK, Kirchengeschichte 3, S. 714, S. 715, der ihm "Untreue gegen den König", und den "Frevel von Kaiserswerth" vorhält, stellt fest: "Gleichwohl kann man nicht sagen, daß das Religiöse das bestimmende in seinem Wesen war: er war durchaus auf das Diesseits gerichtet." Um ein ausgeglichenes Urteil ist HÜBINGER, Das Rheinland in der Wendezeit, S. 18ff. bemüht; vgl. auch MEYER VON KNONAU, J b b . H e i n r i c h s I V . , II, S. 5 9 9 - 6 0 4 .

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Hic est pater Reginhardus coenobii Sigebergensis amministrator, quiformam scribendorum tradens, ita me suorum ultimum, huic operi subiugavit, ut, cum verbis propriis utar, eius omnino sensum sequar ... Prol., S. 466a, Z. 4ff. Der Autor, ein unbekannter Siegburger Mönch, hat Anno nicht mehr persönlich gekannt. Vgl. I, c. 38, S. 483, Z. 45.

Die Vita Annonis

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Sicherheit und eine wahrscheinlich bekannt waren. D i e eine hat Reginhard selbst, wohl um 1078, geschrieben. Sie diente unserem Autor als forma scribendorum6. Auch Lampert v o n Hersfeld hat in seine Annalen einen Nachruf auf A n n o in Vitenform eingefügt, v o n d e m der Autor der "Vita Annonis maior" große Teile übernommen hat 7 . Wahrscheinlich lag auch das in deutscher Sprache gehaltene Annolied, das w o h l auch in Siegburg entstanden ist, vor 8 . Warum also eine dritte, sehr ausführliche Vita des Heiligen? Lange Zeit galt die "Vita Annonis maior" als historisch minderwertig, mit d e m Argument, der Autor habe wichtige Ereignisse w i e die Entführung des jungen Heinrichs IV. durch den Erzbischof A n n o in Kaiserswerth v e r s c h w i e g e n , um sich in erbaulichen Wundergeschichten zu ergehen 9 . In der letzten Zeit wurde die Vita häufiger als Tendenz- oder Verteidigungsschrift bezeichnet, allerdings ohne diese Funktion näher zu erläutern 10 . Daß das A n l i e g e n der "Vita Annonis" die Verteidigung des Heiligen g e g e n

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Wie Anm. 5. Fragmente dieser Vita hat EICKERMANN entdeckt und veröffentlicht. Wie EICKERMANN, Zwei Soester Fragmente, S. 24ff., überzeugend darlegt, dürfte Reginhard seine Vita Annonis bald nach Annos Tod und seinem Amtsantritt, zwischen 1076/77 und 1078 geschrieben haben, wobei der terminus post quem die Einsetzung Reginhards als Abt von Siegburg, 1076/77, und der terminus ante quem der Tod Meinhards von Bamberg, der das Werk gelesen hat, bilden. Zu Meinhard, dem Reginhard seine Vita Annonis zur Beurteilung geschickt hatte und der diesem Ansuchen in einem uns überlieferten Brief nachkgekommen ist, ERDMANN, Studien zur Briefliteratur, S. 46. Der Brief selbst ist von ERDMANN und FICKERMANN in: Briefsammlungen der Zeit Heinrichs IV., Nr. 105, S. 173ff., herausgegeben worden. OEDIGER, Eine verlorene erste Fassung, vermutet, daß Reginhards Vita Annonis sowohl dem Autor der Vita Annonis wie Lampert zur Abfassung seiner Annalen vorgelegen habe, was den terminus ante quem auf Mäiz 1080 vorverlegen würde. Dagegen haben sich STRUVE, "Als ein lewo"; DERS., Reginhard von Siegburg; LÜCK, Die Vita Annonis, gewandt. Sie sind der Auffassung, daß Lampert und Reginhard ihre Nachrichten auf verschiedenen Wegen erhalten und mit verschiedener Absicht geschrieben haben. OEDIGER versucht in dem Aufsatz, Einige Bemerkungen, die stilistischen Einwände von LÜCK und STRUVE zu entkräften. SCHIEFFER, Ein Quellenfund, S. 21 lf., hält mit STRUVE und LÜCK eine unabhängige Entstehung von Lamperts und Reginhards Schriften für wahrscheinlicher, während EICKERMANN selbst OEDIGERS Annahme nicht ablehnend gegenübersteht, ebd., S. 25f. Vgl. dazu auch MITTLER, Annos Heilgsprechung, S. 55f. Lampert, Annales, hg. von HOLDER-EGGER, ad a. 1075, S. 242-250; neben diesem Nachruf hat Lampert auch die Auseinandersetzungen Annos mit der Stadt Köln sehr ausführlich behandelt, ebd., ad a. 1074, S . 1 8 5 - 1 9 3 u n d 1 9 5 - 1 9 7 .

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Die letzte Annoliedausgabe besorgte NELLMANN 1975 (1979 erschien eine verbesserte und erweiterte Auflage) mit Angabe der Annoliedausgaben und -Übersetzungen sowie mit einer reichen Literaturauswahl. Vgl. den Aufsatz von SOLF, Das Annolied (1984), die das Annolied in Rückbezug auf die Vita Annonis auf 1080 datiert. Ebenso THOMAS, Bemerkungen zur Datierung, S. 31ff. An dieser Stelle ist auch auf die Arbeit von HAVERKAMP, Typik und Politik im Annolied, hinzuweisen, der jedoch von einer Spätdatierung des Annoliedes — unter Abt Kuno von Siegburg (1105-1126) — ausgeht und für uns wenig ergiebig war. So KOEPKE in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Vita Anonnis MGH SS 11, S. 462f. KÖHLER, Das Bild, S. 88, urteilt: "Anno von Köln hat keinen Adam von Bremen gefunden. Der Siegburger Mönch gibt uns ein Lebensbild, dessen Abseitigkeit von der Wirklichkeit dieses Erzbischofs geradezu phantastisch anmutet. Die moderne Geschichtsschreibung hat den Mönch denn auch gründlich abgeurteilt, weil er ihr nicht bot, was sie gerne wissen möchte. Die Vita Annonis ist in der Tat eine sogar unter dem Durchschnittsniveau liegende Hagiographie." So schreibt EICKERMANN, Zwei Soester Fragmente, S. 23, daß Reginhards Werk "jener polemische Unterton (fehlt), der die ganze Vita Annonis durchzieht und sie zu einer Streit- und Tendenzschrift geraten ließ." Reginhard habe sie schreiben lassen, "um der immer noch nicht verstummten Kritik der Feinde Annos entgegenzuwirken", ebd., S. 26. SCHIEFFER, Ein Quellenfund, S. 209, fragte sich im Anschluß an EICKERMANN, "warum Reginhard überhaupt gegen Ende seines Lebens eine Überarbei-

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bestimmte, gegen ihn vorgebrachte Anschuldigungen war, ist auch meine Ansicht. Jedoch glaube ich, daß die Art und Weise der Verteidigung näher als bisher bestimmt werden kann. Zunächst ist es nicht so, als habe der Autor naiv an die Unschuld Annos geglaubt — dafür waren die "Sünden" des Erzbischofs zu offenkundig. Er versuchte aber zu beweisen, daß Annos gute Taten und seine Lebenshaltung nicht nur die Vergebung seiner Sünden, sondern auch seine Aufnahme unter die Heiligen bewirkt habe. Darum wählte er als Motto die eingangs zitierte Schriftstelle: Beati, quorum remissae sunt iniquitates Die Vita ist aber nicht, wie man es von einer Verteidigungsschrift erwarten könnte, direkt an die Feinde Annos gerichtet. Der Autor wendet sich im Prolog ganz offen an seine Mitbrüder, die Siegburger Mönche mit der Bitte: "Wir richten dieses Gastgeschenk unserer Verehrung an euch, ihr einzigartigen Brüder und Söhne des Vaters Anno, und bitten euch mit gebeugtem Knie, daß ihr sowohl um eures Ruhmes wie um das Andenken des geliebten Vaters willen dieses Werk, nachdem ihr es aufgenommen habt, weiterverbreitet. Deshalb ... macht den Namen eures Vaters bekannt und haltet seinen Widersachern immer entgegen: Selig, deren Frevel vergeben und deren Sünden bedeckt sind." 12 Aus der Tatsache, daß der Autor seine "Vita Annonis" in dieser Form an die Siegburger Mönche richtete, kann man dreierlei schließen. Erstens kann es im Kloster Siegburg, das zum Zeitpunkt der Abfassung, 1104-1105, 70-80 Mönche zählte, darunter solche gegeben haben, die an der Heiligkeit Annos zweifelten, beeinflußt durch Gerüchte, die sich in diversen, gegen Anno polemisierenden Schriften niedergeschlagen

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tung seines Werkes veranlaßte" und vermutet, "daß es die deutlich auf Rechtfertigung Annos und Hervorhebung Siegburgs abzielende Tendenz der späteren Vita war, die mancher Leser Reginhards vermißt hatte." Nach HAACKE, Anno, S. 536, sei "im Hintergrund ... die Absicht Anno zu verteidigen" gestanden. STRUVE, "Als ein lewo", S. 337, meint, die Vita Annonis sei "von Anfang an als Rechtfertigungsschrift konzipiert worden; hatte doch die Tatsache, daß die Angriffe auf Annos Person und die Zweifel an seiner Heiligkeit auch nach seinem Tode nicht verstummten, eine Neuredaktion der Vita wünschenswert erscheinen lassen." Schließlich heißt es bei OEDIGER, Einige Bemerkungen, S. 325f., daß der Autor der Vita Annonis nachweisen wollte, "daß Anno trotz seines Jähzornes und seiner Gewaltsamkeiten, trotz der von vielen als anstößig empfundenen Beförderung seiner Verwandten die Kennzeichen des Heiligen hatte: seine Bußleistungen vielleicht noch mehr als seine Leistungen als Bischof, die Gaben der Weissagimg und die Wunder ... schließlich sein Martyrium endend mit seinem qualvollen Sterben, dazu — was die geistliche Nachwelt am höchsten schätzte — die Gründung von fünf Klöstern." Bei Lampert ist dieses Schema ansatzweise vorgezeichnet, wenn er zunächst Annos Zorn und hartherziges Vorgehen gegen die Kölner schildert, um ihn hinterher dieses Verhalten bitter bereuen zu lassen. Annales, ad a. 1074 und ad a. 1075, hg. von HOLDER-EGGER, in: Lamperti ... opera MGH SS rer. Germ., S. 191, 196f. und S. 249f.

... ad vos, unici fratres etflliipatris Annonis, hoc nostrae devotionisxenium mittimus, flexis genibus orantes, ut et vestrae gloriae pariter et memoriae dilecti patris intenti, susceptum latius divulgetis opusculum...

Quapropter exemplo moniti (viele Heilige, deren Verehrung vernachlässigt würde, seien

in Vergessenheit geraten!) vestri patris spargite nomen, obtrectatoribus aus illud Semper opponite: Beati, quorum remissae sunt iniquitates, et quorum tecta sunt peccata. Prol., S. 466a, Z. 16ff. Hier liegt eine Abwandlung des Topos der Beurteilung eines Werkes vor. Meist stellte der Autor dem Adressaten anheim, das Werk bei Gefallen zu veröffentlichen oder bei Mißfallen zu vernichten; vgl. SIMON, Untersuchungen (1959), S. 118ff. Reginhard selbst hatte seine Vita Annonis zur Überarbeitung nach Bamberg gesandt (wie Anm. 6). Der Siegburger Autor scheint sein Werk für gut genug befunden zu haben, um die Siegburger Mönche ohne Umschweife um dessen Verbreitung zu bitten.

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haben 13 . Siegburg war zweitens ein Reformkloster cluniazensischer Prägung und befand sich zu Beginn des 12. Jahrhunderts in seiner Expansionsphase. Der Aufruf susceptum latius divulgetis opusculum könnte an die Mönche gerichtet sein, die Kloster Siegburg zur Reform oder Gründung anderer Klöster ausschickte 14 . Da die Siegburger Mönche zum größten Teil Klerikermönche waren und auch einige Pfarreien zu betreuen hatten, kann auch nicht ausgeschlossen werden — und das ist der dritte Punkt —, daß das latius divulgetis eine Verbreitung des Namens Annos in volkssprachlichen Predigten meinte 15 . Außerdem hatten zu diesem Zeitpunkt schon die Wallfahrten zu Annos Grab eingesetzt — eine Gelegenheit zu Predigten über Anno, die man sicher nicht versäumt hat 16 . Die Bezeichnung Verteidigungsschrift ist aber auch deshalb gerechtfertigt, weil im Prolog thesenartig Vorwürfe genannt werden 1 7 . Diese Vorwürfe richten sich nicht in erster Linie gegen Anno selbst, sondern gegen seine Vitenschreiber, d. h. gegen unseren Mönch, aber auch gegen Reginhard, Lampert und den unbekannten Autor des Annolieds. Ein Vorwurf lautet, utide tot emerserunt figmenta! Es sei doch bekannt, daß Annos Leben auf Raub und Ungerechtigkeit ausgerichtet war 18 . Der Autor antwortet ausweichend damit, daß Anno nach Christi Vorbild gelebt habe und die Lehren der Apostel eher aufgedrängt als angeboten habe 19 . In der Vita selbst kommt er mehrfach auf diesen Vorwurf zurück und beteuert wiederholt die Wahrheit seiner Angaben 2 0 .

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III, c. 19, S. 509a, Z. 23ff., wo es über Abt Reginhard heißt, ... ut cum vix numerum 40 monachorum ipse primum abbas effectus susceperit, in brevi haec eorum paucitas ultra 70 vel 80 patres exurrexerit. Vgl. dazu unten Anm. 151; zu den Anno feindlichen Schriften vgl. unten, S. 153ff. Grundlegend zur Klosterreform von Siegburg SEMMLER, Die Klosterreform. Zu der Expansion Siegburgs unter Abt Reginhard ebd., S. 45 und 327. Vgl. SEMMLER, Die Klosterreform, S. 273ff. In der Vita selbst findet sich mehrfach der Hinweis, daß die Pilger, die Annos Grab besuchten, einfache, kleine Leute waren: Nach den ersten Wundern habe sich das Gerücht der Heiligkeit Annos in den umliegenden Dörfern verbreitet und die Menschen seien von überall nach Siegburg geströmt, III, c. 19, S. 509a, Z. 7ff. Ein blinder Kölner Schmied sei an Annos Grab wieder sehend geworden, ebd., c. 20. Anno habe auch vorausgesagt, daß er im Gegensatz zu dem hl. Symeon von Trier und dem hl. Bardo von Mainz von kleinen Leuten verehrt werden würde, II, c. 11, S. 487b, Z. 9ff. Anno befahl auch bei seinem letzten Besuch auf Siegburg, in der Nähe des Eingangs — und nicht wie sonst üblich im Chor — begraben zu werden, damit die kleinen Leute Zugang zu ihm hätten, III, c. 4, S. 499b, Z. 25ff. III, c. 19, S. 509a; ebd., c. 20. Die Bewohner der umliegenden Pfarreien seien am Grabe Annos zusammengekommen, um neuen Wundern beizuwohnen, ebd., c. 21. Es war durchaus üblich, im Prolog mögliche Kritik an dem Wahrheitsgehalt der folgenden Schrift vorwegzunehmen, jedoch ist das Ausmaß dieses Topos, der den ganzen Prolog der Vita Annonis bestimmt, außergewöhnlich; vgl. SIMON, Untersuchungen (1958), S. 96ff. ... ipsi nunc in Annonem sanctum, ... garrientes, improperant nobis et dicunt: Unde tot emerserunt figmenta? Iste de quo res est homo non ignotae personae fiiit, cuius vi tarn rapinis et iniusticiis servientem quisquis ad aequitatis libram diligenter inspexerit, quam falsa sint haec suo satis iudicio investigabit. Prol., S. 465a, Z. 23ff. ... quod ab ipso Christo formam habet, quod apostolicispraeceptis non tarn suggeritur quam ingeritur, per quod et regressio celebratur ad paradysum. Ebd., Z. 36ff. Im Prolog zum zweiten Buch kommt der Siegburger Mönch erneut auf den Vorwurf der Fiktion zu sprechen. Dieses Mal wehrt er ihn ab, indem er sagt, daß er selbst, Gott und auch Anno (in dieser Reihenfolge!) die Lüge verabscheuten und daß Christus selbst im Zeichen des Widerspruchs gestanden habe. Auch der Hinweis auf seine Quellen soll den Vorwurf der Fiktion entkräften: II, Prol., S. 484a, Z. 21ff.; vgl. ebd., c. 2, S. 485a, Z. 10ff., c. 14, S. 489b, Z. 31; c. 15, S. 489b, Z. 44; III, c. 23, S. 510a, Z. 60f.; ebd., c. 25, S. 512, Z. 14.

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Im nächsten Vorwurf wird den Vitenschreibern die Frage gestellt, wie sie die Heiligkeit Annos beweisen wollten, obwohl sie ihn weniger gekannt hätten als die Feinde Annos 21 . Diesen Einwand entkräftete der Autor mit Schriftzitaten. So z. B., der Prophet gelte nichts im eigenen Land, viel dagegen in der Fremde 22 . Im Gegenangriff hält er seinen und Annos Feinden vor, sie würden das Jesuwort "Liebet eure Feinde" mißachten 23 . In der Vita finden sich dann genug Stellen, die die Feindesliebe Annos hervorheben 24 . Auch würden Annos gute Taten gegen seine Ankläger sprechen. Und wie könnte Gott Anno durch Wunder verherrlichen, wenn dieser Unrecht getan hätte25. Damit ist für unseren Autor der Beweis der Heiligkeit Annos erbracht. Sollten die Gegner Annos einen Kompromiß suchen, indem sie einwenden, Anno sei sowohl gut als auch böse gewesen, aber eben nicht heilig, hält der Autor dagegen, daß unentschiedene Zeugen keine Zeugen seien 26 . Auffällig sind im Prolog auch die beiden Stellen, an denen Anno mit Christus und Annos Beschuldiger mit Christi Feinden verglichen werden: auch Christus wäre nicht getötet worden, wenn ihn seine Feinde besser gekannt hätten 27 . Nicht nur der Prolog, die ganze Vita ist von der Idee der Verteidigung bestimmt. Doch bevor gezeigt werden soll, wie sie Aufbau und Inhalt der "Vita Annonis" prägte, ist es notwendig, in einem kleinen Exkurs auf die Schriften einzugehen, die Anno etwas vorzuwerfen hatten 28 . Es sind dies der "Triumphus Sancti Remacli", die "Brunwilarensis Monasterii Fundatio", Adams von Bremen Geschichte der Hamburger Bischöfe, die Heinrich IV. gewidmeten Bücher Benzos von Alba und schließlich, obwohl er an der Heiligkeit Annos nicht zweifelte, Lampert von Hersfeld mit seinen Annalen. Dem Kloster Stablo hat Anno 1065 die Herrschaft über das Kloster Malmedy entzogen und Malmedy dem Bistum Köln eingegliedert. Der Triumphus berichtet, wie die Stabloer Mönche mit Hilfe des Gründerheiligen von Stablo und Malmedy, Remaclus, schließlich 1071 wieder in den Besitz Malmedys gelangten 29 . Daß Anno in dieser Geschichte nicht besonders gut abschneidet, versteht sich. Heinrich IV., der Anno ja an und für sich Malmedy zugesprochen hatte, wird zu Lasten des Kölner Erzbischofs entschuldigt. Der Autor des Triumphus versucht zu zeigen, daß Anno seit dem "Un-

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... quomodo sanctus vel esse vel dici queat, quem in suae vitae qualitate plus nobis cognitum habuerint. Prol., S. 465a, Z. 49ff. Ebd., Z. 52 (Mc. 6,4). Ebd., S. 465b, Z. 8ff. finden sich weitere Schriftzitate ähnlichen Inhalts. O rrüserrimis miseriores! qui surdis auribus pratereuntes illud magistri coelestis: Diligite inimicos vestros ... ebd., Z. 15ff. S. unten Anm. 125-127. Scirmts vero, quod hic a Deo sit non solum dilectus, sed etiam honorificatus. Nam si non est ita, quid faciunt ad eius sepulchrum tarn crebra miraculorum insignia? Ebd., Z. 30ff. Cum et bona de eo praedicentur et mala, Uli vero sola commémorent mala: nihilomimis repudiandi sunt, nam incertae rei legitimi testes esse non possunt. Ebd., Z. 49f. Phariseorum alumpni e latere gravius adhuc imminent, et ore quo fllio Dei magistri eorum dicere presumpserunt:... Prol., S. 465a, Z. 20. Si enim cognovissent numquam dominum gloriae cruciflxissent (1 Cor. 2,8). Quod et mihi similiter de his sentiendum est, ... ebd., S. 465b, Z. 53ff. Auch dieser Vergleich zieht sich durch die ganze Vita. Vgl. dazu allgemein, BAUERNFEIND, Anno II., S. 15; Zeugnisse der Zeitgenossen in: MONUMENTA ANNONIS, S. 6 7 .

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Hg. von WATTENBACH, MGH SS 11, S. 436-461; vgl. Lampert, Annales, ad a. 1071, hg. von HOLDER-EGGER, in: Lamperti... opera, S. 89 und S. 125f. Ann. Altah. maiores ad a. 1071, hg. von GŒSEBRECHT/OEFELE, MGH SS rer. Genn., S. 80ff.; s. dazu HAUCK, Kirchengeschichte 3, S. 729f.; BAIX, L'hagiographie à Stavelot-Malmédy; JENAL, Erzbischof Anno II., S. 56-110.

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recht" von Kaiserswerth als "schlechter Ratgeber" den König immer wieder gegen die Stabloer eingenommen habe30. Er schreibt weiter, daß Anno, indem er Malmedy der Kölner Diözese inkorporierte, das Recht des hl. Remaclus verletzt habe31. Nichts hätte den Starrsinn des Kölners beugen können. Weder die Interventionen des Stabloer Vogtes noch die anderer Bischöfe noch die des Papstes32. Selbst der hl. Remaclus hätte alle Mühe gehabt, denn seine Wunder konnten Anno anfangs auch nicht umstimmen, was ihm vom Autor des Triumphus den Vorwurf des Zweifels an den Heiligen überhaupt eintrug33. Der Triumphus klagt weniger die Habsucht Annos als seine Ungerechtigkeit an, wobei unter Ungerechtigkeit der Verstoß Annos gegen die dignitas des Königs und gegen das Recht des Heiligen zu verstehen ist34. Auch durch sein starrsinniges Beharren auf Malmedy habe sich Anno schuldig gemacht35. Anno wird jedoch nicht ganz verurteilt. Sein Fleiß und sein Scharfsinn werden lobend erwähnt, und den Papst läßt der Autor des Triumphus verwundert aussprechen, daß er es nicht verstehen könne, wie ein so kluger Mann wie Anno so etwas Schändliches wie die Trennung Malmedys von Stablo habe unternehmen können36. Im Kloster Brauweiler, unweit von Köln gelegen, hat sich Anno durch die Einbehaltung der sterblichen Überreste Richezas, die eigentlich für Brauweiler bestimmt waren,

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Zu Kaiserswerth, Triumphus c. 2, S. 438. Da sich Anno und der Bremer Bischof gegenseitig bevorteilten, hätten sie die simplicitas des Königs leicht überwinden können. Auf diese Weise sei Anno quasi furtiva traditio praeter iusfasque, ac non praeter iniuriam regiae dignitatis in den Besitz Malmedys gekommen (Triumphus c. 3, S. 439, Z. 44). Zu Anno als schlechtem Ratgeber des Königs vgl. ebd., c. 10, S. 453; c. 13, S. 455; c. 21, S. 456f.; vgl. dazu JENAL, Erzbischof Anno II., S. 175-196. Verum in redeundo, ubi etiam ipsi rogatum dabat servitium, quid actum sit primum sibi est indicatum bonum videlicet sancti Remacli per legatos suos invasisse, vendicasse Malmundarium. Triumphus, I, c. 4, S. 440. Zur Intervention des Vogtes vgl. Triumphus, I, c. 5, S. 440. Zu der des Papstes, I, c. 19, S. 447; zu der anderer Bischöfe II, c. 4, S. 451f. und II, c. 26, S. 458. Nachdem der hl. Remaclus, dessen Reliquien die Stabloer Mönche mit an den Königshof gebracht hatten, Wunder gewirkt hatte (Triumphus II, c. 17 und c. 18), habe Anno den König überredet, den Schrein wegtragen zu lassen. Dieser war jedoch nicht vom Platz zu bewegen (ebd., II, c. 21, S. 457); da Anno verstockt blieb, habe Remaclus noch größere Wunder vollbringen müssen: Ibi, inquit, sanctos necesse est maiora signa ostendere, ubi de eorum praesentia potest mens infirma dubitare; Ebd., II, c. 23, S. 457, Z. 38. Selbst nachdem vor dem Schrein des hl. Remaclus mehrere Kranke geheilt worden waren, sei Anno immer noch nicht überzeugt gewesen (II, c. 26, S. 458). Anno habe einen Behinderten vor den Schrein holen lassen, der dann tatsächlich auch geheilt wurde (II, c. 27, S. 458). Über die Geduld, die der Heilige mit Anno hatte, vgl. II, c. 4, S. 452. Qualiter ea sit facta quasi fiirtiva traditio praeter ius fasque, ... ebd., I, c. 3, S. 439, Z. 44; pro iniusticiis, quas sancto Remaclo sibique intulerat Agrippinae Coloniae episcopus, ... ebd., I, c. 19, S. 447; quod ex iniustitia, quia sie fiunt ei victimae ex rapina ... ebd.; non sine iniuria regiae dignitatis ebd., I, c. 2, S. 438, Z. 33 (=Kaiserswerth!); violatam regiam dignitatem, ... ebd., I, c. 3, S. 439; die Reliquien des Heiligen soll Anno als "Dreck" bezeichnet haben, Triumphus, I, c. 15, S. 445, Z. 1: Efferte hinc, ait, glebam vestram ... Nam ipse archiepiscopus eo inflexibilem affirmaverat animum ... ebd., II, c. 4, S. 451. Dum ista dicuntur et illa referuntur, cum nec dum archiepiscopus quod iniuste tenebat ad reddendum ullo modo flecteretur, ... ebd., II, c. 28, S. 459, Z. lff. Hunc quia vir erat magnae industriae acrisque ingenii, ... ebd., 1, c. 2, S. 438, Z. 35. Nam ipsepapa ... non medioere periculum agnoscit archipraesulis, miratus tarn sapienti viri deeeptam prudentiam tarn inconsultepotuisse desipere in his. Ebd., I, c. 19, S. 447.

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samt des damit verbundenen Erbes, eines Weinguts in Klotten, unbeliebt gemacht37. Richeza war eine der letzten Vertreterinnen der Familie der Ezzonen, deren Gründung und Grablege Brauweiler war. In Brauweiler bemühten sich die Mönche, wenn sie schon nicht Richezas Grab bekommen konnten, ihr Recht zumindest auf das Gut Klotten geltend zu machen. Unter Anno blieben diese Anstrengungen ohne Erfolg. Erst Abt Wolfhelm konnte, nicht ohne erhebliche Entschädigungen zu zahlen, Klotten wieder für Brauweiler gewinnen. Zu diesem Zweck begann man in Brauweiler um 1063 auch eine Klostergeschichte zu schreiben38. Anno, dessen Religiosität die Fundatio lobend anerkennt, wird im gleichen Atemzug als "mehr habsüchtig denn gerecht" beschrieben39. Insbesondere wird ihm vorgeworfen, daß er — obwohl er zuvor dem Kloster den Besitz Klottens bestätigt habe — es nach dem Tode Richezas contra fas iusque divinum mit den Gebeinen derselben für seine eigene Stiftung, das Kloster St. Mariengraden, bestimmt habe40. In dem der Fundatio eingefügten Brief, den die Mönche "ihren" Heiligen, Nikolaus, an Anno schreiben lassen, wird sogar ganz offen von Raub gesprochen, der umso schwerwiegender sei, als daß das Kloster Brauweiler unter Mangel an Nahrungsmitteln und besonders an Wein (Klotten war ein Weingut!) litt41. In dem der Fundatio erst später, 1091, eingegliederten Brief des Abtes Wolfhelm an Heinrich IV., in dem letzterer aufgefordert wird, das Brauweiler angetane Unrecht wieder gutzumachen, klingt ein neuer Ton an. Hier wird zwar einerseits Annos Heiligkeit anerkannt, andererseits aber doch an seiner Sündhaftigkeit festgehalten. Wolfhelm erinnert daran, daß in jedem Menschen der alte und der neue Adam miteinander kämpften. Er schreibt, daß selbst der hl. Petrus Christus dreimal verleugnet habe. Wenn Heilige Wunder wirkten, sollten wir nur ihre guten, nicht aber ihre schlechten Taten nachahmen. Also, so schließt Wolfhelm, stellten die Wunder, die sich am Grabe Annos ereigneten, kein Hindernis für die Regelung der Sache Klotten dar. Im Gegenteil, dadurch könne

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Zu Brauweiler und den Ezzonen vgl. LEWALD, Die Ezzonen, bes. S. 147ff.; SCHIEFFER, in: Rhein. Gesch. I, 3, S. 157f.; JAKOBS, Der Adel in der Klosterreform, S. 259ff.; STEINBACH, Die Ezzonen. Brunwilarensis monasterii fundatorum actus, hg. von PABST, Archiv 12, S. 147-192. PABST hat auch die gefälschten Urkunden herausgegeben, ebd., S. 122-140; vgl. dazu WATTENBACH/HOLTZMANN, Geschichtsquellen II, S. 645ff., zu den Ausgaben der Fundatio bes. S. 645, Anm. 35. Zu den gefälschten Urkunden vgl. WISPLINGHOFF, Die Urkundenfälschungen, der nachwies, daß die Urkunden Brauweilers, nicht, wie bisher vermutet, mit der Affäre Klotten in Beziehung stehen, sondern in die Mitte des 13. Jahrhunderts zu datieren sind; zu dem Brief des hl. Nikolaus an Anno, ebd., S. 51. ... successit ei in episcopatum vir venerabilis Anno: qui quamvis sanctae religionis approbatus cultor fuisset, interdum tarnen proprii plus arbitratus quam iusticiae cultus tenax, eidem loco nihil pietatis impendebat aut affectus. PABST, Archiv 12, c. 30, S. 183f. Hacque ex occasione (Bestattung Richezas in St. Mariengraden!) contra fas iusque divinum, excepto quinque librarum censu, sacer Brunwilrensis locus non solumfiindatricis suae corpore, sed et Cloteno privatus est. PABST, Archiv 12, c. 31, S. 184. In PABST, Archiv 12, c. 32, S. 185, wird berichtet, Anno habe geschworen, das Gut Klotten dem hl. Nikolaus (Brauweiler!) und Abt Tegeno zu überlassen, was er bei der Weihe des Kloster (ebd., c. 33, S. 186) noch einmal bestätigt habe. Im Brief des hl. Nikolaus steht zu lesen: Vini autem tanta copia est eis (den Brauweiler Mönchen!), ut, si nimia habundantia orbem terrarum repleverit, pro miracula erit, si ultra 30 carratas meruerint. ... ut a te ulterius meae res non flant in direptionem, sed quae haereditario iure mihi relicta sunt restitue, ne ad communem iudicem clamor meus veniat pro te. Ebd., c. 32, S. 186 und ebd., c. 32, S. 185, Miror ... et res meas, a bonis hominibus mihi traditas, non desinas contra humanas divinasque leges iniuste diripere.

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Heinrich IV. noch den letzten Fleck an der Reinheit Annos beseitigen42. Diese Haltung stimmt ziemlich genau mit der im Prolog angesprochenen dritten Gruppe der Gegner Annos überein, die ihm sowohl Gutes wie auch Schlechtes nachsagten. Der "Fleck", den Heinrich IV. von Annos Reinheit entfernen sollte, paßt zu der von Lampert erzählten und von dem Autor der "Vita Annonis maior" übernommenen Episode, in der Anno sich in einer Vision seinen Platz im Himmel verweigert sieht, weil sein Gewand fleckig sei. Lampert deutete den Fleck als Annos Härte gegenüber den Kölnern43. Während so im ersten Teil der Fundatio Anno ganz klar Raub und Habgier vorgeworfen werden, ist im später zugefügten Brief Wolfhelms ein Kompromiß zwischen der Heiligkeit Annos und der Aufrechterhaltung der Ansprüche auf Klotten gefunden worden. Adam von Bremen, der in seinen vor 1086 geschriebenen Gesta der Hamburger Bischöfe zwar auch an seinem Protagonisten Kritik übt, läßt Anno jedoch noch schlechter als den Bremer Bischof abschneiden44. Im Gegensatz zu Adalbert, der "mehr zu Erbarmen neigte und lehrte, daß man seinem Herrn und König die Treue bis in den Tod halten müsse", wird Anno als "ein Mann finsteren Gemüts" und als "Drahtzieher der Verschwörungen seiner Zeit" bezeichnet. Daß Anno geizig war, stellt Adam als eine allgemein bekannte Tatsache hin. Er schließt seine Bemerkungen über Anno damit, daß er über ihn auch viele in divinis et humanis egregie facta gehört habe45. Benzo, der in seinen Heinrich IV. gewidmeten Büchern alle Reformer gnadenlos verurteilte, verschonte auch Anno nicht46. In Anspielung auf den Hohenpriester Hannas, der Jesu Verurteilung vorbereitete, nennt er Anno durchweg Hannas. Parallel dazu ist natürlich die Gleichsetzung Heinrichs IV. mit Jesus zu sehen. So wirft er Anno vor allem Untreue und Verrat gegenüber dem König, aber auch sein herrisches Auftreten auf der Synode von Mantua vor47. Er macht sich über die Frömmigkeit Annos, die

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Nam cum sint duae nativitates miraculis coruscantium, vetus Adam et novus: boni malique litem gerunt inter se compugnantium. Ac ex bono quidem eorum statuii nos dominus Deus informali; malum vero vel in beato Petro, praesertim quod Christum negavit, non debemus imitari. ...Ex his ergo, bona sanctorum, non mala nos imitari debere, intellegitur: et max ex eisdem, miracula, quaefaciunt, ob ea tantum, quae imitatione digna sunt, fieri, coltigitur. ... Ergo ne miracula, quae fieri dicuntur ad sepulchrum domni nostri archiepiscopi Annonis, nostram querelam apud vestram clementiam videantur impedire; sed nec suam subtrahit dorrmus noster archiepiscopus Anno ... in tantum, ut Clotteno expresse et diffinitive nominaret, eo quod nobis timens camales haeredes hoc ablatum ire formidaret. ... Unde, ut ab eius hostia maculam tollatis, largius a Domino vobis affluant viscera pietatis: quibus ita pensetur miraculorum eius commendatio, ut ecclesiasticae censurae non fiat infirmatio; Nos etiam nihil aliud sentimus de ilio, nisi quod de omnibus in commune Paulus sentit apostolus: quia omnis homo mendax, solus autem Deus verax, et alibi: omnes, inquit, peccaverunt et egent gloria Dei, iustificati gratis per gratiam ipsius. (Rom. 3,4 und 3,23), PABST, Archiv 12, c. 34, S. 187f. Lamperti, Annales, ad a. 1075, hg. von HOLDER-EGGER in: Lamperti ... opera, S. 249f. Wie Anm. 94. Adam Bremensis magistri, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, hg. von SCHMEIDLER, MGH SS in us. schol.; vgl. dazu MEYER VON KNONAU, Jbb. Heinrich IV., II, S. 599-604; WATTENBACH/ HOLTZMANN, Geschichtsquellen II, S. 566ff. und III, S. 164*ff. Adam Bremensis Gesta, ebd., c. 34 und 35, S. 175ff., Zitat auf S. 179. Übersetzung nach TRILLMICH, Frhr. von Stein Gedächtnisausgabe II, S. 371. Hg. von PERTZ, Benzonis episcopi Albensi, MGH SS in us. schol., S. 591ff. Z.B.: In diebus illis congregati sunt primates Teutonici ad regem, et dixerunt ei: Veniat Annas Agripinus in medio et dicat, cur te exhederat Romano imperio. MGH SS in us. schol. II, c. 21, S. 630. Zur Synode von Mantua ebd., c. 27, S. 632 — c. 29, S. 634.

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sich, wie auch die Vita berichtet, vor allem in seiner Tränenflut äußerte, sowie über Annos geringe Herkunft lustig und wirft ihm immer wieder Kaiserswerth, Verrat und Untreue vor 48 . Obwohl Lampert Kaiserswerth mit der Notwendigkeit einer besseren Regierung rechtfertigt, verschweigt er doch nicht, daß diese Tat von vielen als Majestätsverletzung aus persönlichem Ehrgeiz — privata gloria — Annos angesehen wurde 49 . An drei Stellen ist in den Annalen Lamperts ausführlicher die Rede von Anno. Zunächst 1074 anläßlich des Kölner Aufstands 50 . In diesen Zusammenhang fällt auch die Kritik Lamperts an Anno. Er schreibt, daß Anno zwar ein in jeder Hinsicht tugendhafter Mensch gewesen sei, der sich sowohl um das Gemeinwesen wie um die Kirche verdient gemacht habe. Sein Fehler sei jedoch gewesen, daß er es im Zorn nicht verstanden habe, seine Zunge zu zügeln, selbst wenn er es hinterher bitter bereuen sollte51. Einige Seiten später kommt er wieder auf Anno zu sprechen. Dieser habe sich mit Erfolg vor Heinrich IV. von der Anklage des Landesverrates verteidigen können. Und auch in dem anschließenden Gericht Heinrichs IV. über die Kölner habe sich Anno in seinem Beharren auf die Aufrechterhaltung der Exkommunikation der Schuldigen trotz der Aufforderung Heinrichs zur Güte durchsetzen können 52 . Die dritte Stelle ist schließlich der vitaähnliche Nachruf Lamperts auf Anno, den er in dessen Todesjahr, 1076, einfügt 53 . Auch hier kommt Lampert wieder auf das Verhältnis Annos zu den Kölnern zu sprechen und erzählt die oben schon angedeutete Vision Annos, in der ihm die Bischöfe seinen Stuhl im Himmel wegen eines Flecks auf seinem Gewand verweigern. Der Fleck sei nichts anderes, so Lampert, als Annos Hartherzigkeit gegenüber den Kölnern. Anno habe daraufhin die exkommunizierten Kölner wieder in die Kirche aufgenommen und ihnen ihre Güter zurückerstattet 54 . Der Vorwurf der Härte ist somit durch die aufgezeigte Reue Annos abgeschwächt. Die in den einzelnen Schriften gegen Anno erhobenen Vorwürfe lassen sich leicht zusammenfassen. Alle fünf halten ihm die Entführung Heinrichs IV. in Kaiserswerth, sein herrisches Auftreten, seinen Starrsinn bzw. seine Härte vor. Habgier wird ihm von Adam von Bremen, den Brauweiler Mönchen und mit Einschränkungen auch von den Mönchen Stablos vorgeworfen. Adam, Benzo und die Stabloer Mönche bezichtigen ihn der Untreue und sogar des Verrats gegenüber Heinrich IV. Die beiden Klöster klagen ihn schließlich der Verletzung der Rechte "ihrer" Heiligen und Stablo sogar des Zweifels an Heiligen überhaupt an. Es kann nicht bewiesen werden, daß der Autor der Vita Annonis alle diese Schriften gekannt habe. Lamperts Annalen, aus denen er ja ganze Passagen übernahm, lag ihm mit Sicherheit vor. Die Brauweiler und die Stabloer

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Flentibus autem non partim utrisque, suspirando, singultiendo, abstersis lacrimis exorsus est ipse:... non te tatet o domina, meumfigmentum atque meorum originem parentum. ... secundus Heinricus, me erigens de stercore super altitudines ceterorum procerum praeesse voluit, ...Et ego miser et peccator, factus lupus rapax, rapuifllium eius de sinu matris. Ebd., c. 38, S. 633; vgl. auch ebd., c. 28, S. 633 und c. 29, S. 634. Zur Tränengabe Annos s. unten Anm. 110-118 und die Bemerkungen von MITTLER in seiner Ausgabe der Vita Annonis minor, S. 88. Zur Tränengabe allgemein, vgl. SCHULTE, Artikel "Tränengabe" in: LThK 10, 2 1965, Sp. 305; WEINAND, Tränen; STEIDLE, Die Tränen. Lamperti Annales, hg. von HOLDER-EGGER, in: Lamperti ... opera, S. 80. Ebd., ad a. 1074, S. 185-193. Ebd., S. 187. Ebd., S. 195-197. Ebd., S. 242-250. Ebd., S. 248ff. Vgl. Vita Annonis, II, c. 25, S. 497 a,b. Vgl. Anm. 94.

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Vorwürfe dürfte er, da diese Orte nicht allzuweit von Siegburg entfernt liegen, ebenfalls gekannt haben55. Auf jeden Fall spiegeln alle fünf, wie ihre Übereinstimmung bei den meisten der Vorwürfe zeigt, verbreitete Kritikpunkte an dem Kölner Erzbischof wider. Im folgenden soll gezeigt werden, wie die "Vita Annonis maior" die gegen Anno erhobenen Vorwürfe aus dem Weg zu räumen versuchte. Dem Vorwurf, Anno habe in Kaiserswerth der Kaiserin ihren Sohn entrissen, begegnet der Autor mit zwei Argumenten. Zunächst behauptet er, Heinrich III. habe Anno gegen Ende seines Lebens seinen Sohn anvertraut. Anno habe diesen aufgenommen, suscepit, und königlich erzogen. Doch Heinrich IV. habe dies Anno schlecht gedankt56. In den darauffolgenden Kapiteln — und darin ist das zweite Argument zu sehen — wird mehrfach Annos Liebe und seine zärtliche Fürsorge für Kinder, und besonders für Waisen oder Halbwaisen, aufgezeigt. So soll Anno für die Unterweisung der Knaben seines Bistums im Glauben gesorgt haben57. Er habe Mitleid mit allen Armen, besonders aber mit deren Kindern gehabt58. Einmal habe er auf einem seiner nächtlichen Spaziergänge eine Frau, die gerade niedergekommen war, mit ihrem Säugling gefunden, derer er sich ebenfalls angenommen habe59. Eine andere Frau habe ihm ihren Sohn auf den Weg gelegt und sich dann davon gemacht. Anno habe den Kleinen aufgenommen, ihm eine Amme besorgt, sich väterlich um ihn gekümmert, ihn aus der Taufe gehoben und ihm den Namen Anno gegeben60. Schließlich habe Anno den Sohn seines Feindes, des Pfalzgrafen Heinrich, der im Wahn seine Frau getötet hatte, bei sich aufgenommen, ihn erzogen und mit Lehen ausgestattet61. Heinrich IV. erscheint so als eines der vielen Kinder, derer sich Anno angenommen hat. Dahinter steht unausgesprochen die Frage, wie man jemand Kindesraub vorwerfen kann, der sich in so aufopfernswerter Weise um Kinder und Waisenkinder gesorgt hat. Den Vorwurf der Härte und des herrischen Auftretens Annos wehren all die Stellen ab, die von der Demut Annos handeln. Hier sollen nur jene hervorgehoben werden, in denen der Siegburger Autor das großartige äußere Auftreten Annos seiner Demut vor Gott und den Mönchen gegenüberstellt und auf diese Weise rechtfertigt. So schreibt er, 55

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Die Affare um das Weingut Klotten war erst 1090, also 15 Jahre vor der Entstehung der Vita Annonis, 1090, geregelt worden. Vgl. dazu LEWALD, Die Ezzonen, S. 152, Anm. 195; WISPLINGHOFF, Urkundenfälschungen, S. 51f. Huiusfilium, nominis et regni heredem, ad honorem imperii et aecclesiae profectum, suscepit nutriendum, multorum per hoc invidiam contra se accendens. I, c. 7, S. 470a, Z. 14ff. Fecit et hoc dudum Ioiada pontifex sanctus in rege Ioas, sed non dissimilem bonitatis suae retributionem ut ille ... consecutus est. Ebd. Z. 21ff. Durch den Vergleich Annos mit dem Priester Jojada und Heinrichs IV. mit dem König Joas ( 2 Parai. 22,11-24 und 2 Reg. 11-13) wird die Undankbarkeit Heinrichs IV. noch unterstrichen. Vgl. dazu BAUERNFEIND, Anno II., S. 36; HAACKE, Anno, S. 543. I, c. 8, S. 470a, Z. 39ff. ... infantulos speciali quadam miseratione ducebatur. Ebd., S. 470b, Z. 39. Die Frauen hätten parvulos suos ei cum clamore supplices obicientes. Und Anno habe puerulos exesos et seminudos, ... pie se adhibens materna vice exosculari coepit. Ebd., Z. 42ff. I, c. 9, S. 471a, Z. 16ff. Bes. Z. 39ff.: ... puerulum pannis obvolvit, ipsam a terra sublatam in lectulum collocavit, ac propriis extractis vestibus utrosque diligenter contexit. ... filiolum suum in lacte recenti positum ante venientes vestigia clam media deposuit in via ... Nec mora, sacerdos approximans, ubi primam vagientis infantuli vocem aure percepii, prae dolore totus intremuit... flexo corpore puerulum a terra suscepit, ... Confestim paterna sollicitudine nutricem parvulo procurans ... quem et a fonte sacro suscipiens, Annonem post se nominavit, ... I, c. 10, S. 47la, Z. 57 - S. 471b, Z. 16. ... fllium eius in sua suscipiens, affectu benignissimo nutrivit, multìsque beneficiis indulgentissime remunerava. I, c. 32, S. 480b, Z. 29ff. Vgl. auch unten Anm. 125.

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daß Anno "unter weltlichen Großen schrecklich anzusehen und prahlerisch war, wenn er aber unter pauperes Christi weilte, immer sanft und demütig" gewesen sei62. Außerdem, so fahrt der Autor fort, habe Anno oft selbst gesagt, daß er am Königshof mit gestrecktem Hals und strengem Blick umhergehe, unter Mönchen dagegen zaghaft und ängstlich sei63. Daß Anno imponierend gewesen sein muß, geht aus der anschließenden Episode hervor: Wenn Anno am Hof weilte, hätten sich alle, ja selbst der König, um ein ordentliches Auftreten bemüht64. Ein Kapitel, in dem berichtet wird, daß Anno dank des Gebets der Siegburger Mönche den Zorn Heinrichs IV. in Wohlwollen gewendet fand, schließt mit den Worten: "Indem ich sie verherrliche, werde ich verherrlicht werden. ... Und tatsächlich, nicht nur in unseren, auch in früheren Zeiten ist es schwer, jemand zu finden, der in der Welt soviel Größe, vor Gott dagegen soviel Demut besaß."65 Bezeichnend ist, daß hier eine Stelle aus Lampert, der nur von den ständigen Spannungen zwischen Anno und Heinrich IV. berichtet, zu einem Exempel für Annos Verehrung der Mönche und deren Gebetskraft ausgebaut wird66. Dieselbe Geschichte wird in der 100 Jahre später geschriebenen "Vita Annonis posterior" übernommen, allerdings mit veränderter Moral. Statt auf die Persönlichkeit Annos hinzuweisen, die groß vor der Welt, aber demütig bei Gott war, heißt es hier nur, daß Anno Zuflucht zum Gebet seiner Mönche nahm67. Die 1183 anläßlich der Kanonisation Annos geschriebene Vita mußte sich nicht mehr mit dem Vorwurf des herrischen Auftretens Annos auseinandersetzen und konnte Annos zweiseitiges Wesen durch einen einfachen Hinweis auf sein Gottvertrauen ersetzen. Zweimal habe Anno Bittsteller zunächst schroff abgewiesen, um ihnen dann — heimlich — zu helfen. Dies ist zunächst gegenüber einer Blinden der Fall, die Anno um Heilung bittet. Wegen der Umstehenden sei sie zunächst schroff abgewiesen worden, um dann heimlich von Anno in aller Demut empfangen und geheilt zu werden68. Ebenso habe Anno zwei unschuldig zum Tode verurteilte Jünglinge, die durch eine Erscheinung Annos wunderbar vom Tod gerettet

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... aspectu ipso tremendus et gloriosus seculi dignitatibus fuerit, qui tarnen inter pauperes Christi degens, mitis et humilis Semper extitit. I, c. 16, S. 474b, Z. 19ff. Quam magnum quamque terribilem omnibus aulicis veniens ad eos me ingero, quomodo caput erecto collo circumducens, saevos oculos in unumquemque retorqueo ... cum tarnen inter haec pavidus atque timidus longe deiectior, intus incedam, quam ulli patescat fidei. Ebd., Z. 23ff. Ebd., Z. 30ff. Ego gloriflcantes me glorificabo. Et revera non modo nostris sed et retro temporibus diffìcile quis inveniebatur tantae maiestatis ad saeculum, et tantaeprorsus humiUtatis ad Deum. I, c. 24, S. 477a, Z. 33ff. Ebd. Von Lampert stammen die Zeilen 1-8 (von KOEPKE durch Petitdruck gekennzeichnet). Vita Annonis minor, hg. von MITTLER, c. 17, S. 40ff. Das Kapitel schließt mit dem Satz: Et quid mirum, si in petra insolubili fundatam, domum flumina venti et pluvie movere non poterunt? Ebd., S. 42. ... propter adstantes se commotum simulans, ut custodiae traderetur mox impetravit, in suspicione relinquens verbera quidem se ei multiplicaturum, ... II, c. 4, S. 485b, Z. 52ff. ... eamque flnitis epulis in cubiculum suum latenter iussit adduci. ... non ut illa petierat oculos ... sed humilis magistri et domini exemplo poplite flexo pedes eius lavit; ... coeleste sensit antidotum, et restitutis piene luminibus, ... Deum in servo suo Annone suppliciter venerata est. Ebd., Z. 59 — S. 486a, Z. 17.

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worden seien, zunächst zurückgewiesen, um sie nach Klärung des Sachverhaltes reich zu beschenken 69 . Die Freundschaft Annos mit dem Siegburger Prior Hermann ist für den Autor der Vita Annonis Anlaß, darauf hinzuweisen, daß einer, der Anno in der Öffentlichkeit erlebt hätte, ihm wohl soviel Demut einem Untergebenen gegenüber nicht zugetraut hätte70. Um den Vorwurf der Habgier Annos zu entkräften, zeichnet die Vita das Bild eines freigiebigen Freunds der Armen. Mehr als in anderen Viten üblich insistierte der Autor auf diesem Punkt. Wenn Anno Wunder wirkte, habe er es nicht dabei belassen, sondern die Geheilten reichlich beschenkt 71 . An zwei Stellen geht der Autor sogar ausdrücklich auf den Vorwurf der Habgier ein. Anno, der alle im Reich an Reichtümern und Ruhm übertraf, habe kein einziges Geldstück besessen 72 . Alles, was er erhielt, habe er sofort den Armen oder den Dienern der Kirche weitergegeben. Anschließend läßt der Autor Anno in wörtlicher Rede fragen: "Weshalb halten mich die Menschen für mächtig und reich? Außer den Geräten der Kapelle und des bischöflichen Dienstes und dieses Ringes besitze ich, soviel ich weiß, heute keinen einzigen Denar. Die Schätze meines unersättlichen Geizes vermache ich nämlich meinen Klöstern." 73 Wie wahr diese Worte waren, so fährt der Autor fort, gehe daraus hervor, daß Anno, als er starb, in fremde Decken gewickelt war und, da er keine eigene Kleidung mehr besaß, sich von seinem Archidiakon etwas leihen mußte74. Auch im dritten Buch wird noch einmal Annos persönliche Armut und seine Freigiebigkeit dem Reichtum gegenübergestellt, den er sich leicht hätte erwerben können 75 . Alle diese Beispiele haben eines gemeinsam. Sie sollen den Eindruck des herrischen, strengen Anno beseitigen und zeigen, daß Anno trotz öffentlich herrischen Auftretens eigentlich demütig und barmherzig war 76 .

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II, c. 15, S. 489b, Z. 47ff. Sedpraesul ab humilitate sua prorsus animum non mutans, homines a se satis iniuriose reppulit, ... ebd., S. 490a, Z. 63ff. Aliquantis dein ex elemosina sua solidis in viros expensis, ... ebd., S. 490b, Z. 20f. Zu dem Motiv des geretteten Gehängten vgl. GÜNTER, Psychologie, S. 162ff.; GRAUS, Die Gewalt, bes. S. 125. Das Wunder der Gefangenenbefreiung hat der Autor womöglich von der Vita Liudgeri übernommen (hg. von DIEKAMP, S. 73); vgl. HAACKE, Anno, S. 554. Quis in publicis agentem tantum pontificem videns, huius umquam crederei humilitatis, cui non dubitaretur ab inferiori persona tale quid inferri? III, c. 2, S. 498b, Z. 45ff. So die geheilte Blinde, wie Anm. 68; und die vom Tode erretteten Jünglinge, wie Anm. 69. Hie cum divitiis et gloria cunctos in regno praecederet, quodforsitanfidem excedit, sepe nec nummum nec nummi precium sub sui iuris custodia reperii. I, c. 31, S. 479a, Z. 25ff. Quid, inquit, hominum estimatio me quasi magnum divitemque celebrai? En, exceptis utensilibus capellulae ministeriique pontificalis et hoc annulo, nescio me saltem unum hodie possidere denarium. Nec enim inexplebilis avarìciae thesauros meis congero claustris, ... ebd., Z. 35ff. ... habituproprio carens, interim ab aliquo canonicorum contegi necessarium habebat. Ebd., Z. 49f. Vgl. III, c. 9, S. 501b, Z. l l f f . Poterai ille auri vel argenti ponderibus immensis suos replere thesauros, unde viventibus corporis et animae periculum relinqueretur, verum non haec studia eius, sed sicut scriptum est, dispersit, dedit pauperibus, iusticia eius manet in seculum seculi. Denique non est inventa vel unius oboli quantitas eo mortuo in omni iure suo, ... III, c. 11, S. 502a, Z. 32ff. Vgl. dazu den von BORNSCHEUER, Miseriae regum, S. 204ff., herausgearbeiteten humiliatio-exaltatio Gedanken, der unter den Saliern seinen Höhepunkt erreichte. Auch dort werden Demütigungen als notwendige Voraussetzung späterer Erhöhung interpretiert. Die herrscherliche humilitas habe sich vor allem in der Armenfürsorge gezeigt: "In dieser herrschaftstheologischen Vorstellungstradition gelten die pauperes als entscheidende Fürbitter des mildtätigen Herrschers vor dem ewigen Richter ..." (ebd., S. 157). Die Mönche, pauperes Christi par excellence, werden von dem Siegburger Autor als Interzessoren Annos genannt (... Semper velut ad turrim fortitudinis recurrens, Sigeburgensium fra-

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Der Autor der "Vita Annonis" beschränkt sich aber nicht darauf, die gegen Anno vorgebrachten Anschuldigungen zu widerlegen. Er vermindert das Gewicht und die Bedeutung der Vorwürfe, indem er aufzeigt, daß es von Anfang an Kräfte gab, die sich Annos von Gott bestimmten Weg entgegensetzten. Von seinem Vater sei Anno für die weltliche Laufbahn bestimmt worden. Doch der himmlische Vater hatte mit Anno etwas anderes vor 77 . Und weil non est sapientia, non est prudentia, non est consilium contra Dominum™, sei Anno von seinem Onkel, einem Bamberger Kanoniker, nach Bamberg entführt worden, und dort habe man ihn — gemäß dem Willen Gottes — auf die geistliche Laufbahn vorbereitet 79 . Nachdem unser Autor mit Lamperts Worten den Erfolg Annos am Hof Heinrichs III. geschildert hat, fügt er mit eigenen Worten hinzu: Actum est hoc non humano libitu, sed consueta DeiProvidentia ... 8 0 . Als es im vierten Kapitel darum geht, einen Nachfolger für den verstorbenen Kölner Erzbischof Heinrich zu finden, und sich die Kölner in der Wahl eines Kandidaten uneinig waren, heißt es, daß Gott keinen anderen als Anno zum Erzbischof haben wollte und die Entscheidung des Königs dahin gelenkt habe 81 . Die Kölner seien zunächst mit ihrem neuen Erzbischof, der aus wenig illustrem Geschlecht stammte, unzufrieden gewesen, doch dann habe sich ihnen Christus in Annos Gestalt geoffenbart 82 . Gott selbst greift für Anno in den Lauf der Geschichte ein, um Annos Feinde zu besiegen. Um dies zu beweisen, stellt der Siegburger Mönch einen Kausalzusammenhang zwischen zwei unabhängig voneinander stehenden Ereignissen her: der Auseinandersetzung Annos mit dem ezzonischen Pfalzgrafen Heinrich und dessen Mord an seiner Frau 83 . Der Pfalzgraf Heinrich von Lothringen habe danach getrachtet, Namen

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trum preces in auxilium ascivit. I, c. 24, S. 477a, Z. 9ff; vgl. III, c. 16, S. 505a, Z. 14ff. und unten Anm. 132). Bei BORNSCHEUER, Miseriae regum, S. 199, findet sich auch der Hinweis, daß sich "im ottonischen Umkreis" die Spannung zwischen dem "irdischen Herrscheramt und der geistlichen Weltabsage" des Bischofs zu "einem allgemein verbindlichen Ethos" formte, "in dem strenge Frömmigkeit und prunkvolles Repraesentationsbedürfhis verschmelzen." Ebd., S. 159. Bei den Saliern wie in der Vita Annonis erweist sich Gott als Retter aus der Not. Ebd., S. 198. Für Anno vgl. unten S. 158f. Wie die Könige besitzt Anno das donum lacrimarum; vgl. dazu Anm. 48. ... dum tarnen ut vir saecularis animi pro terreno nomine satagit, eum per exercitia militaria mundo nutrire coepit, ... Sed coelestis pater, ... misericorditer in Annone disposuit, ... I, c. 1, S. 467a, Z. 25-35. Die Auseinandersetzung Annos mit den Ezzonen um das Weingut Klotten war ja auch durch ein Gottesurteil — Graf Heinrich ermordete im Wahn seine Frau — "entschieden" worden; vgl. dazu Anm. 56. Ebd., Z. 36ff. (Prov. 21,30). Ebd., Z. 38 — S. 468a, Z. 15; vgl. dazu HAACKE, Anno, S. 538, der meint, daß die Vita hier "gegen die oft geäußerte Meinung vorbeuge", Anno habe im geistlichen Stand Karriere machen wollen. I, c. 2, S. 468a, Z. 37ff. ... Deus, arbiter summus, in cuius manu cor regis est ... non in alium quam in Annonem solum sententiam regis et voluntatem deduxit, ... I, c. 4, S. 468b, Z. 16ff. Zu dem Motiv "das Herz des Königs in der Hand Gottes" vgl. KELLER, Herrscherbild, S. 304ff.; HATTENHAUER, Das Herz des Königs. ... per servum suum Annonem Christus dominus ea die relevaturus cum angelis advenerat, ... I, c. 5, S. 468b, Z. 54f. Zur Herkunft Annos aus einer nach Steußlingen genannten schwäbischen Familie vgl. LÜCK, Anno II., S. 9-31; ZIELINSK1, Reichsepiskopat, S. 22f. Vgl. JENAL, Anno II.. S. 127ff., der die anderen Quellen zu diesem Vorgang zusammengetragen hat; LEWALD, Die Ezzonen, S. 155ff., die diese Kapitel als eine Fiktion des Siegburger Autors entlarvt, bes. S. 158, wo sie schreibt: "Nur die Annovita bringt die Mordtat des Pfalzgrafen an seiner Frau mit dem Kampf zwischen dem Erzbischof und Heinrich in den eben wiedergegebenen ursächlichen Zusammenhang." Und ebd., S. 158: "An diesen Tatsachen ist nicht zu zweifeln, wohl aber an ihrer

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und Leben Annos auszulöschen. Zu diesem Zweck habe er in Köln einen Aufstand angezettelt und Feuer an die Stadt gelegt84. Anno habe sich in dieser aussichtslosen Situation im Gebet an Gott gewandt und sei dabei "zufällig" auf die Psalmen 35,1, "Streite Herr, gegen alle, die gegen mich streiten, bekämpfe alle, die mich bekämpfen" und 35,8, "Unvermittelt ereile ihn das Verderben; er fange sich selbst in seinem Netz, er falle in seine eigene Grube"85, gestoßen. Und tatsächlich, irascente Domino habe der Pfalzgraf in geistiger Umnachtung seine geliebte Frau getötet86. Von seiner Familie in Gewahrsam genommen, sei der Graf bis zu seinem Tod furiosus et impos geblieben87. Das zweite Buch der Vita Annonis ist zwar größtenteils den Wundern, Prophetien und Visionen zu Annos Lebzeiten gewidmet, doch handeln die letzten Kapitel von gegen Anno gerichteten Unternehmungen, deren wichtigste der Kölner Aufstand von 1074 ist88. Im Gegensatz zum ersten Buch, in dem Anno seine Feinde mit Gottes Hilfe besiegte, dient hier unserem Autor ein Erklärungsmodell, das von Vitenschreibern häufig verwandt wurde, wenn es darum ging, widrige Situationen in ein Heiligenleben einzuordnen. Es sind dies die Schriftstellen "Der Herr züchtigt die Seinen, die er liebt" (Hebr. 12,6; Prov. 3,12) und "Der Ofen prüft das Gold" (Prov. 27,21; Sap. 3,6; Jes.Sir. 27,5). Bevor er auf den Kölner Aufstand zu sprechen kommt, zitiert der Siegburger Mönch, Lampert folgend, diese Schriftstellen und fügt aus eigener Feder hinzu, daß der Sieg um so glorreicher, je härter der Kampf sei89. Gott habe, so schreibt er mit Lampert, die Prüfungen zugelassen, um so seinen Diener von jedem irdischen Makel zu befreien — unter diesem Gesichtspunkt soll der Leser die folgenden

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Deutung." Jedoch konnte LEWALD keine überzeugende Erklärung für das "Arrangement" des Siegburger Mönches geben. Als "frommen Kirchenfürst" habe der Autor Anno nicht mit dem Schwert sondern "nur mit Anathem, Gebet und unerschütterlichem Gottvertrauen kämpfen" lassen. Und ebd., S. 158: "durch die Zerlegung der Auseinandersetzung in zwei zeitlich getrennte Akte" hätten "Geduld, Beharrlichkeit und Zuversicht Annos besonders gut unter Beweis gestellt werden" können. Erst in der Reihe der anderen Episoden, die zeigen, daß Gott die widrigen Kräfte in Annos Leben aus dem Weg räumte, erhält auch der Mord des Pfalzgrafen, den die Vita Annonis als Gottesstrafe für sein Vorgehen gegen Anno hinstellt, seine eigentliche Bedeutung. Sie sollte jenen, die an der Heiligkeit Annos zweifelten, zeigen, wieviel schon zu Lebzeiten Annos Gebet vermochte. Um wieviel größer mußte die Macht seines Gebets nach seinem Tode sein. ... sediciones concitavit, et ad suae perditionis cumulum, ad extinguendum nomen celeberrimi tunc pontificis Annonis, Agrippinensem urbem post rapinas et incendia, post interfectiones et detruncationes plurimorum, hostiliter agressus est. I, c. 32, S. 479b, Z. 35ff. Ebd., S. 480a, Z. 41ff. ... irascente Domino nec diutius calamitates innocentium sustinente, in amentiam versus est, ac mox dependentem arripiens bipennem, dilectaeconiugis caputferiens amputavit, ... ebd., S. 480b, Z. lOff. Ebd., Z. 19ff. Vgl. mit weiterführender Literatur zum Kölner Aufstand DIEDERICH, Anno und seine Kölner, S. 167 ff. Sed iam stilum mutare rerum dominus iubet, plena sunt lacrimis, plena miseriis et aerumnis quae sequuntur, et forsitan eo digniora tanto viro quo et graviora, quoniam ubi durior pugna, ibi gloriosior et victoria. Si lob recipitur flagellatus, et hinc Annonem beatificabimus, qui post multas tribulationes meruit introire in regnum Dei (im folgenden wie Lampert!). Pius enim Dominus, qui quos amat arguit et castigat... Ut scilicet ab ea omnem scoriam terrenae conversationis excoqueret caminus transitoriae tribulationis. II, c. 19-20, S. 492b, Z. 3-15. Auch das Annolied berichtet von Annos Prüfungen, die dieser habe erdulden müssen, damit der große Ruhm seiner Seele nicht schade: "Ni avir diu michil ere / iewieht wurre sinir selin,/ so dede imi got, also dir goltsmid dut, ..." (Das Annolied hg. von NELLMANN, 38, 1-3). Das Annolied führt an Prüfungen die Auseinandersetzung mit Köln (Abschnitt 39) und den Investiturstreit (Abschnitt 40) an.

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Kapitel zur Kenntnis nehmen. Welches sind nun die Prüfungen Annos? An erster Stelle wird der Sachsenkrieg genannt, in dem Heinrich IV. gegen Annos Verwandte vorging und Anno wegen seiner Verwandtschaft des Verrats bezichtigte 90 . Dann wird der Kölner Aufstand angeführt, in dem Anno nur knapp einem Mordanschlag entrann 91 . Kapitel 23 führt einen weiteren Mordanschlag zweier seiner Diener an92. Zu diesen aus Lampert abgeschriebenen Stellen fügt der Siegburger Autor noch eine neue Not, den Investiturstreit, hinzu, der umso schrecklicher sei, als er die ganze Kirche erfasse 93 . In einer mit der Himmelsschau Davids verglichenen Vision habe Anno die ganze schreckliche Zukunft vorausgesehen. Er sei darüber tagelang in einen komaähnlichen Zustand verfallen 94 . Die schon erwähnte, von Lampert übernommene Vision zeigt, wie wörtlich man die Idee der Reinigung von irdischen Fehlern nahm. Als Anno im Himmel den für ihn bereiten Platz einnehmen wollte, habe er ihn sich von Bischof Arnold mit dem Hinweis auf sein fleckiges Gewand abweisen sehen. Der Fleck erwies sich als die Härte Annos im Gericht mit den Kölnern, woraufhin sich Anno noch vor seinem Tod mit den Kölnern ausgesöhnt, d. h. den Fleck beseitigt habe 95 . Anno habe jetzt nur noch sterben wollen. Doch Anno war mit seinen Prüfungen noch nicht am Ende. Der Tod seines Neffen 96 und des mit Anno befreundeten Priors von Siegburg 97 gehörten ebenso dazu wie die Gicht, an der er schmerzhaft sterben mußte98. Auch die Todesangst und eine Teufelserscheinung seien ihm in den letzten Tagen seiner Krankheit nicht erspart geblieben 99 . Und so kann nach seinem Tod der Siegburger Mönch mit Lampert schreiben: "Also ist er nach langer Krankheit, durch die der Herr sein auserwähltes Gefäß im Feuerofen gereinigt hat, so daß er reiner als Gold, gereinigt und geläutert von

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II, c. 20, S.492b. Vgl. dazu mit weiterführender Literatur JENAL, Anno II., S. 370-403. II, c. 21, S. 492b, Z. 23 — c. 22, S. 494a, Z. 67. II, c. 23, S. 494b, Z. 1-27. ... ilia novae confusionis miseria ... ebd., Z. 28. Vgl. auch Z. 39ff. Der Investiturstreit ist auch in den Fragmenten von Reginhards Annovita (hg. von EICKERMANN, Zwei Soester Fragmente, S. 9, Z. 20) und im Annolied (hg. von NELLMANN, Abschnitt 40, S. 52ff.) aufgeführt. II, c. 24, S. 496a, Z. 25ff. Die Vision selbst ebd., S. 496b, Z. 16ff.; bes. Z. 34ff.: ... nec reor quicquam eorum malorum, quae terris imminent per omnes secturas aetates et per ipsum aevum, oculorum meorum acumina latuisse. Im Annolied wird diese Vision Annos in den Abschnitten 42 und 43 wiedergegeben (hg. von NELLMANN, S. 52ff.). Vgl. dazu RESKE, Jerusalem caelestis, S. 30-41, der meint, daß der Autor des Annoliedes aus einer "politischen Vision" bei Lampert und in der Vita Annonis eine "legendenmythische Offenbarung" über das Wesen des Himmelreiches geschaffen habe. II, c. 25, S. 497a und b. Anno habe die exkommunizierten Kölner wieder in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen und ihnen sogar ihre beschlagnahmten Güter zurückerstattet. - Vgl. oben Anm. 54. ... Anno puer, fllius sororis suae, unice dilectus ab eo, immaturae mortis violentia repente prostratus, novum ei dolorem, novum intulit luctum. III, c. 1, S. 498a, Z. 18ff. Paucis evolutis diebus, unus monachorum prioris officium inter eos gerens, Herimanrmus nomine, ... in cuius excessu vir Domini tantis tristiciae procellis conquassatus est, ut nihil aestimarentur in eius comparationepraeteritarum angustiarumnumerositates. Ebd., c. 2, S. 499a, Z. 31ff. Vgl. dazu auch die Grabrede Annos für den Prior Hermann III, c. 3, S. 499a. ... eum qui podagra dicitur dolorem inremediabiliter in dextro pede mox incidit, ... Longum est prosequi, quas miserias, quae tormenta per omnem spacium aegritudinis suae vel a medicis vel ab ipso quo tabescebat languore pertulerit. III, c. 5, S. 500a, Z. 7 und 22ff. Vgl. III, c. 9, S. 501b, Z. 4ff., III, c. 10, S. 501b, Z. 6Iff. ... ipseque dum metu propinquae mortis anxius iaceret, quadam die vidit ex adverso diabolum assistere, ... III, c. 10, S. 502a, Z. Iff.

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den Verstrickungen der Welt, nachdem er ein glückliches Ende genommen hat, von den Menschen zu den Engeln, v o n den Sterblichen zu den Unsterblichen hinübergegangen." 1 0 0 Die gegen Anno gerichteten Widrigkeiten dauern über seinen Tod hinaus an. Und auch jetzt, so der Siegburger Autor, habe ihm Gott — vermittels der Wunder — geholfen, seine Feinde zu widerlegen 1 0 1 . So sei einmal ein Spastiker, dem Spötter geraten hatten, nach Siegburg zu gehen, geheilt worden 102 . Ein Laie und ein Kleriker, die an Annos Heiligkeit zweifelten, seien zunächst mit Blindheit bzw. mit Gicht bestraft, aber nachdem sie Anno anriefen, wieder geheilt worden 103 . Bezeichnend sind die Einwände des Klerikers. Er wertete — und dies war sicher ein häufig vorgebrachtes Argument — die Krankheit Annos als Gottesstrafe für sein schlechtes Leben: Quod non bene vixerit, ultio testis est, immo quam male mortuus sit, et vita pariter et vitae testis ultio docet,04. Nur das Volk, nicht aber gelehrte Kleriker wie er, würden solchen Wundergeschichten Glauben schenken 105 . Und wieder kommt der Siegburger Mönch mit seinem Erklärungsmodell für Widrigkeiten, die Anno erdulden mußte: O linguam merito praecidendam! Cotidie scripturae clamant: Aurum probat fornax, et homines iustos temptatio tribulationis, ab omnibus legitur: Quem

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lgitur post longam egrotationem qua Dominus vas electionis suae iti camino transitoriae tribulationis purius auro, purgatius mundo, obrizo decoxerat, ... beato fine perfiinctus, ad angelos ex hominibus, ad immortalia ex mortalibus transmigravit. III, c. 15, S. 503a, Z. 18ff. Noch zu seinen Lebzeiten soll Anno angekündigt haben, daß Gott durch ihn Wunder wirken werde, um so die, die ihn verhöhnten zu widerlegen: ... quatinus in eorum oculis, qui me vitamque meam insecuntur, adhuc aliqua signa per me dignetur exhibere Christus, tum et pro sui nominis augenda gloria, tum et pro meo auferendo obproprio, dum Uli placens apparuero, qui nunc in omnium reprehensione sum positus. II, c. 11, S. 487b, Z. 25ff. Loquebantur ista, non homini consulentes, sed Annoni sancto solitis criminationibus insultantes. ... et sanissimus abscessìt, in semet ipso circumferens, unde gloria crescerei Annonis, et confusio manifesta cervices frangerei inimicorum eius. III, c. 23, S. 510a, Z. 35f. und Z. 55ff. Ein gewisser Volkbert, der mehr auf den Teufel als auf Gott vertraut habe (III, c. 24, S. 510b, Z. 19 und 31ff.), habe auch nicht an Annos Heiligkeit geglaubt und ihn spöttisch herausgefordert: Hunc signis clarescere potuit quisquam nisi delirus credere? (ebd., S. 511a, Z. 59f.) Ab antris suis duo mihi funditus eruat lumina, si factum est umquam, ut coecus per eum illuminaretur. ... et ecce, sinister oculus hominis iussus experiri quid in Deo posset Anno, ... (ebd., S. 511b, Z. 4ff.) Als er immer noch nicht aufhörte zu spotten, habe er auch noch das zweite Auge verloren (ebd., Z. 21ff.). Die Umstehenden hätten ihm geraten, Buße zu tun und Anno um Hilfe anzurufen. Nach dessen Bekehrung und dem Gebet eines frommen Laien, seien dem Spötter tatsächlich neue Augen nachgewachsen, ut cum iteratis vocibus Anno sanctus inclamaretur, in capite caeco subito novi germinantes apparerent oculi, ... (ebd., S. 512b, Z. 4f.). Dieses "Wunder" wird auch schon im Annolied in den Abschnitten 46-48 aufgeführt (hg. von NELLMANN, S. 61-65). Ein Kleriker, der perversis sermonibus sanctum Dei non cessaret impugnare (III, c. 25, S. 513b, Z. llff.) und der die Heiligkeit Annos bezweifelte, da der Bischof doch unter schweren Schmerzen gestorben sei, wird selbst von der Gicht befallen, und habe erst durch Gebete zu Anno seine Gesundheit wiedererlangt. Ebd., S. 513a, Z. 44ff.; vgl. dazu ARIES, L'homme devant la mort, S. 18ff. Auch bei Johannes von Gorze, der einen schweren Tod sterben mußte, fragten sich die Mönche, wie das mit seiner Heiligkeit zu vereinbaren sei. Vita Johannis Abbatis auctore Johanne abbate S. Arnulfi Gorziensis, hg. von PERTZ, MGH SS 4, S. 335-377: ... variae inter nos cedi sermones ceperunt, quomodo summus ille opifex, cunctorum dispositor et ordinatissimus moderator ... tarn acerrime circa exitum sineret fatigari. Ebd., Z. 36-40. ... nam electis qui ad perpetuam vitam tendunt, quid obest, si aliquando dure moriuntur? Ebd., S. 338, Z. 9ff. Ebd., S. 513a, Z. 14f.

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Dominus diligit, arguit et castigat, flagellat autem filium, quem recipit106. Das, was der Kleriker als Zeichen der Verdammnis bezeichne, seien in Wahrheit Heilmittel, Gnade und Läuterung107. Und er weist den Ungläubigen mit einem weiteren Schriftwort zurecht: Der Gerechte, kommt sein Ende auch früh, geht in Gottes Ruhe ein108. Schließlich bringt er sein stärkstes Argument, den Vergleich mit Christus und den Märtyrern: Sind nicht auch Christus und die Märtyrer unter Schmähungen gestorben? Und hat nicht Abraham zu dem Reichen, der in der Hölle büßt, gesagt, mein Kind, denk daran, daß du schon im Leben Gutes gehabt hast, Lazarus aber nur Schlechtes109. Ob er mit dem Erklärungsmodell, Gott lenkt Annos Geschick, den Vorwurf des Starrsinns Annos entkräftete oder mit dem Erklärungsmodell, Gott züchtigt die Seinen, die er liebt, jeder falschen Interpretation der Mißgeschicke Annos vorbeugte, der Siegburger Autor verstand es, die sich der Heiligkeit Annos entgegensetzenden Kräfte als eine Konstante in Annos Leben aufzuzeigen und zu Annos Vorteil zu interpretieren. An das Thema der Prüfungen, die Anno schon zu Lebzeiten erduldet habe, schließt sich das Thema der Reue und der Zerknirschung Annos an. Durch seine schon auf Erden erduldeteten Prüfungen, aber auch durch die schon geleistete Reue und Buße waren Annos Sünden, nach Meinung des Siegburger Autors, vergeben. So hat der als Kapitelüberschrift zitierte Satz aus dem Prolog "Selig, deren Frevel vergeben und deren Sünden bedeckt sind", den die Siegburger Mönche den Feinden Annos entgegenhalten sollten, in der Vita seine Entsprechung gefunden. Ihm entsprechen einerseits die eben erwähnten Prüfungen, die Anno schon auf Erden erduldet habe und andererseits der durch Reue, Bußfertigkeit und Zerknirschung geprägte Charakter des Kölner Erzbischofs. Contritio, compunctio, lacrimae und misericordia sind in der Tat die Schlüsselwörter der Vita. Ob bei der Beerdigung seines Vorgängers110, ob während der Messe111, beim Gebet112 und selbst wenn er predigte113, ständig sei sich Anno in Reue und Zerknirschung ergangen. Es ist wiederum bezeichnend, daß dieser Charakterzug Annos in eine sonst von Lampert übernommene Beschreibung Annos eingefügt ist114! Anno habe es auch verstanden, andere zu Reue und Buße zu führen115. Seine letzten Wochen habe er fern von öffentlichen Geschäften assidue flens, assidue moerens in

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III, c. 25, S. 513a, Z. 46ff. Vgl. Anm. 89. ...et ilia quod est remedii, quod est gratiae quodque purgationis, audet confiteri esse damprtationis ? Ebd., Z. 50ff. Ebd., Z. 53ff. (Sap. 4,7). Numquid Christus non ideo Deus, quia post obpropria, post sputa ... mortuus est et sepultus ? Taceo de sanctis apostolis et martyribus, quorum nec numerantur supplicia ... Abrahae verba sunt ad divitem: Fili, recordare, quia recepisti bona in vita tua, et Lazarus similiter mala; nunc autem hic consolatur, tu vero cruciaris. (Luc. 16, 25). Ebd., S. 513a, Z. 55ff. und S. 513b, Z. 2ff. I, c. 3, S. 468b, Z. 2. Zur Tränengabe Annos wie Anm. 48. I, c. 5, S. 469a, Z. lOff.; I, c. 22, S. 476a, Z.44f.; I, c. 29, S. 478b, Z. 19. I, c. 32, S. 480a, Z. 55; III, c. 1, S. 498a, Z. 13; III, c. 4, S. 499a, Z. 60; III, c. 6, S. 500a, Z. 33; III, c. 9, S. 501b, Z. 33ff. und 53ff. I, c. 8, S. 470a, Z. 46ff.; I, c. 23, S. 476b, Z. 52f. In I, c. 5, S. 469a, stammen die Zeilen 20 bis 50 von Lampert. Die Zeilen 38-41, die der Siegburger Autor eingefügt hat, lauten folgendermaßen: Nam tunc poenitentiamagere, errata confiteri, commissa deflere, ob corporalis quoque flagelli castigationem inferioris personae manibus tantus pontifex humiliare se non erubuit. So Heinrich III., dem Anno erst nach Beichte und Buße die königlichen Insignien aushändigte I, c. 6, S. 469a, Z. 59ff. So auch die Hörer seiner Predigt in I, c. 35, S. 482a, Z. 18.

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Siegburg verbracht116. Anläßlich seiner letzten, öffentlichen Predigt habe er sich selbst als Sünder und des Priesteramtes unwürdig bezeichnet. Abt Erpho von Siegburg habe ihn unter Hinweis auf das Gehorsamsgebot zum Anlegen der bischöflichen Stola zwingen müssen117. Unbeschreiblich sei die Zerknirschung und die Tränenflut Annos gewesen, als er vor seinem Tod von den Heiligen Kölns, allen voran dem hl. Severin, Abschied nahm118. Auch hier fehlt der mögliche Einwände abweisende Satz nicht: Diejenigen, die Anno nur nach seinem Auftreten in der Öffentlichkeit kannten, könnten solcher Zerknirschung kaum Glauben schenken, da selbst nahe Vertraute sie nicht immer bemerkten119. Sein eigenes Versagen bitter bereuend, habe Anno reuigen Sündern gegenüber ein besonderes Erbarmen bewiesen120. Ganze zwei Kapitel zeigen das Erbarmen, das Anno mit zwei gefallenen Nonnen hatte. Die eine habe er während ihrer Schwangerschaft mit einem seiner Ministerialen in dessen Dorf geschickt. Während sie, ohne daß jemand von ihrem Fehltritt erfahren hatte, nach ihrer Niederkunft in ihr Kloster zurückkehrte, habe sich Anno ihres Sohnes angenommen121. Die andere, die trotz ihres Fehltrittes von einer Schwangerschaft wunderbar bewahrt blieb, habe er von ihren exzessiven Bußleistungen wieder zu einem demütigen Leben im Kreis ihrer Mitschwestern zurückgeführt122. Nach dem Schriftwort dimitte et dimittemini habe Anno vor seinem Tod allen vergeben, die bei ihm in Schuld standen, und durfte — wenn wir die Anspielung des Autors aufnehmen — wohl auch selbst mit der Vergebung seiner Sünden rechnen123. Doch Anno ist bei der bloßen Sündenvergebung nicht stehengeblieben. Im Gegensatz zu seinen Gegnern und Verleumdern habe er das Gebot "Liebet eure Feinde" verwirklicht. Schon bei seiner Bischofsweihe habe er für die ihm feindlich gesonnenen Kölner gebetet124. Wie seine ersten Worte als Bischof, so seien auch seine letzten Worte eine Fürbitte für Köln gewesen125. Die ermordete Frau des lothringischen Pfalzgrafen, der Anno nach dem Leben getrachtet und in Köln viel Unheil angerichtet haben soll, habe Anno unter Tränen begraben. Ihren Sohn habe er aufgezogen und reichlich beschenkt

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II, c. 23, S. 495b, Z. 63ff. II, c. 8, S. 501a, Z. 32ff. III, c. 9, S. 501b, Z. 33ff. Cuius contritionis et abiectionis virtus nonfacile credebatur in eo, quandoquidemfamiliarissimis suis non Semper innotuerit... I, c. 16, S. 474b, Z. 15ff. ... mire compassibilis et omni plenus humanitate circa prolapsos extitit, si vel minima dumtaxat ruboris aut poenitentiae signa in eis investigasset. I, c. 13, S. 472a, Z. 28ff. Mox pius pastor alibi delegato parvulo, ovem quae aberraverat alacriter ad consororum suanim domicilia destinavit, ... ebd., S. 472b, Z. 49ff. I, c. 14, S. 472bf. III, c. 11, S. 502a, Z. 15ff. (Luc. 6,37). ... ut pro sui gregis excessibus intercedens, in tempore iracundiae fieret reconciliatio. I, c. 5, S. 469a, Z. 16ff. Zu den das Gebot der Feindesliebe mißachtenden Gegner Annos vgl. Prol., S. 465b, Z. 16. O cuncti summi regis amicitiae iuncti, o vos in noticiam eius feliciter admissi, suffragetur Coloniae vestrarum intercessionum meritumfelix! III, c. 14, S. 503a, Z. lOff. Vgl. auch das Gebet des sterbenden Anno an Maria für Köln: Sancta Maria, succurre miseris, succurre Coloniae, succurre civitati iam iamperiturae. III, c. 14, S. 502b, Z. 58ff. Zu der besonderen Bedeutung der letzten Worte, vgl. HÜBINGER, Die letzten Worte Gregors VII., S. 103; RONCONI, Artikel "Exitus illustrium virorum", RAC, VI, 1966, Sp. 1258ff.

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— und so das Gebot der Feindesliebe erfüllt126. Hinter der Charakterisierung Annos als eines reuigen, büßenden, vergebenden, ja selbst seinen Feinden mit Erbarmen begegnenden Heiligen steht wohl unausgesprochen der Gedanke, daß auch Anno selbst mit Erbarmen, Mitleid, wenn nicht noch mit mehr rechnen konnte. Und tatsächlich, untersucht man das Gottesbild näher, das der Siegburger Autor zeichnete, so findet man nicht den zu erwartenden romanischen Richtergott127, sondern einen Gott, der, wie Anno, gütig, verzeihend und voller Erbarmen ist128. Nicht nur Annos Gott, auch die von ihm verehrten Heiligen zeichnen sich durch besondere Güte aus. Die Reliquien des hl. Benignus, der nach den Angaben der Vita der bevorzugte Heilige der Siegburger Mönche war, kann Anno für das Kloster beschaffen. Und in seiner Predigt über den Heiligen habe Anno den Mönchen versprochen: Mihi credite, si tantum fides non desit, quia Benignus est et nominatur, benignissime quodcumque petitis annuens accelerabit129. Konnte im letzten Abschnitt gezeigt werden, wie der Siegburger Autor durch das Charakterbild eines reuigen und vergebenden Anno, der schon auf Erden durch mancherlei Prüfungen gereinigt worden sei, die im Prolog genannte Seligpreisung derer, deren Frevel vergeben und deren Sünden bedeckt sind, illustrierte, sollen jetzt in einem letzten Punkt weitere Argumente zusammengetragen werden, mit denen er die Heiligkeit Annos beweisen wollte. Daß Anno ein großer Kirchenbauer war, ist bekannt130. Weniger bekannt ist die Auffassung des Siegburger Autors, daß Anno allein schon durch seine Bautätigkeit die Vergebung seiner Sünden erreicht habe: O vere felix nimiumque felix, qui tantorum fultus intercessionibus, si quid per quinque sensus deliquisset, venia poterat abolere facili!m Kurz vor seinem Tod habe sich Anno bei seinen Mönchen eine bestimmte Anzahl von Messen für sein Seelenheil ausbedungen, da das Gebet der Geringsten von Gott erhört werde132. Außer auf die Fürsprache der Mönche kann sich Anno auch auf die Fürsprache der Heiligen verlassen133. So habe Anno bei seinem Abschied von den Kölner Heiligen gebetet: "Zu Beginn dieses neuen Lebens ist meine Hoffnung umso größer und dank eures Trostes umso sicherer, denn, wenn es auch nicht

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Tunc pius sacerdos, ... opere complens illud dominicum: Orate pro persequentibus vos, et benefacite his qui oderunt vos ... I, c. 32, S. 480b, Z. 24ff. Dabei spielt es keine Rolle, daß Anno wenige Zeilen vorher Gott um das Verderben seines Feindes angerufen hatte. Vgl. oben S. 158f. Vgl. VAUCHEZ, La spiritualité, S. 62ff. ... de Christi dementia spem tota mente conciperet, ... I, c. 14, S. 473a, Z. 48. ... misericors dominus noster, et quantum miseriis condoleat nostris, evidentissimo maiestatis suae dignatus est monstrare miraculo. Ebd., S. 473b, Z. 1 7 . . . . multa de Dei dementia disserens ... I, c. 34, S. 481a, Z. 63ff. Vgl. auch I, c. 1, S. 467a, Z. 32ff.; I, c. 5, S. 469a, Z. 14ff. ; I, c. 8, S. 470a, Z. 49; I, c. 13, S. 472a, Z. 55ff.; I, c. 14, S. 473a, Z. 3f.; II, c. 14, S. 489a, Z. 13ff.; II, c. 15, S.490a, Z. 14ff.; II, c. 21, S. 493b, Z. 31; II, c. 24, S. 496b, Z. 54; III, c. 14, S. 503a, Z. lf. I, c. 38, S. 483b, Z. 30ff. Vgl. VERBEEK, Anno als Bauherr. I, c. 28, S. 478a, Z. 22ff. Die fünf von Anno gegründeten Klöster werden mit fünf klugen und ständig für ihn betenden Jungfrauen verglichen, ebd., Z. 16ff. Actum est hoc secundum quod dicitur: Oratio humiliantis se nubes penetrabit, et non discedet donec aspiciat Altissimus. III, c. 8, S. 501b, Z. lff. (Jes. Sir. 35,21). Vgl. Anm. 76. Dazu daß die "Armen" — wozu die Mönche ja zu zählen sind — Almosen mit Gebet und Fürbitte vergelten vgl. ABEL und BATANY in: MOLLAT, Etudes, Bd. 1, S. 115f. und Bd. 2, S. 4 7 1 f f .

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Zu Annos Heiligenverehrung vgl. I, c. 33 — c. 38 und II, c. 12, c. 13, c. 17, c. 18. Die breit geschilderte Verehrung, die Anno den Heiligen zukommen ließ, widerlegt auch den ihm im Triumphus S. Remacli gemachten Vorwurf, er würde an den Heiligen zweifeln (s. oben S. 150).

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in eurer Kraft steht, meinem Körper zu helfen, so habt ihr doch nie aufgehört, für das Heil meiner Seele zu wirken." 134 Im dritten Buch heißt es dann ausdrücklich, daß die Heiligen, die keiner wie Anno verehrt habe, ihn in den Himmel begleitet hätten, wo er zu einem der ihren geworden sei135. Wie groß Annos Zuversicht gewesen sein muß, soll man aus der Predigt ersehen, die Anno über den hl. Cäsarius gehalten habe. Darin habe er erwähnt, daß einer, der nur dem Namen nach Christ war, aber den hl. Cäsarius verehrte, durch dessen und Märiens Interzession der Hölle entrissen worden sei136. Um wieviel mehr durfte da Anno hoffen! Schließlich sollen die Wunder alle Angriffe auf Annos Heiligkeit widerlegen. Da der Siegburger Autor Anno verteidigen mußte, konnte er es nicht bei der einfachen Nacherzählung der Wunder belassen. Gerade Wundergeschichten mußten besonders vom Vorwurf der Fiktion befreit werden 137 . Der Autor gesteht sogar ein, daß es manchmal schwer falle, den Wundern zu glauben, aber die, die nicht zweifelten, da Gott alles möglich sei, sollten sich freuen, daß der Bischof auf solche Weise verherrlicht würde, seine Feinde sollten sich dagegen vor ihm in Acht nehmen138. Danach folgen die schon oben erwähnten Wunder, mit denen Anno seine Verleumder zunächst bestraft und dann wieder geheilt habe139. Die Vita Annonis ist also nicht nur wegen der Polemik im Prolog zum ersten Buch eine Verteidigungsschrift — die ganze Vita ist von der Defensivhaltung des Autors geprägt. Beinahe alle Lebensabschnitte und Charakterzüge Annos wurden aus dieser Perspektive geschildert. Dies ging besonders aus den Stellen deutlich hervor, die parallel bei Lampert oder in der 1183 geschriebenen Vita erschienen — ohne diesen defensiven Unterton. Der Autor verteidigte Anno auf vielfache Weise: Einige der gegen Anno vorgebrachten Vorwürfe suchte er zu widerlegen; dann zeigt er, daß sich Anno Zeit seines Lebens mit Widersachern auseinandersetzen mußte, und daß Gott ihm dabei half; schließlich, und das ist sein wichtigstes Argument, habe Anno wegen seiner irdischen Prüfungen, seiner Reue, der Fürbitte der Mönche und der Heiligen sowie durch seinen Klosterbau die Vergebung seiner Sünden erreicht. Eine Übersicht über den Aufbau der Vita soll das Gesagte nochmals verdeutlichen: Buch I, Kap.

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trotz widriger Umstände wird Anno Bischof von Köln Anno als Bischof: der barmherzige Anno

Sed est in ingressum illius vitae mihiprofecto spes abundantior et certa de vobis consolatio, quoniam et si corpori succurrere non vestris amplius insedit animis, pro salute tarnen animae semper agere voluntatem non mutastis. III., c. 9, S. 501b, Z. 56ff. Et cum his adhuc potiora sequantur, ut et ipse sit unus eorum, ... III, c. 16, S. 505b, Z. 21ff. I, c. 35, S. 48lf. Wahrheitsbeteuerungen finden sich vor allem im zweiten, den Wundern Annos gewidmeten Buch: II, Prol. S. 484a, Z. 20-43; c. 2, S. 485a, Z. 10-18; c. 3, S. 485b, Z. 37-40; c. 11, S. 488a, Z. 29f.; c. 14, S. 489b, Z. 32-36; c. 15, S. 489b, Z. 37-44; zum Wahrheitstopos vgl. SIMON, Untersuchungen (1959), S. 89-94. ... quod quamvis arduum sit credere, tarnen ea facti Veritas est, ... Legant et credant qui Deum omnia posse non dubitant, ... magnum se gaudeant habere patronum, alias autem, detrahentium sibi potentissimum expavescant insecutorem. II, c. 23, S. 510a, Z. 60ff. Wie Anm. 103 und 104.

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Annos Verehrung für die Mönche — Klosterbau Annos Verehrung für die Heiligen

Buch II, Kap.

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Wunderheilungen zu Lebzeiten Prophetien Wunder mit Heiligen Prüfungen Annos

Buch III, Kap.

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Prüfungen Annos Sterben Annos Begräbnis Annos Wunder nach dem Tode Wunder gegen Feinde

Wenden wir uns nach der Untersuchung des Verteidigungscharakters der Vita wieder der Frage nach dem Adressaten zu. Eingangs wurde schon erwähnt, daß die Vita vermutlich an die Siegburger Mönche gerichtet war. Diese Behauptung läßt sich durch zwei weitere Argumente stützen. Zum einen spricht die Ausführlichkeit, mit der die Gründungsgeschichte Siegburgs erzählt wird und die Einfügung zweier für Siegburg wichtiger Urkunden für die Mönche als Publikum 140 . Anno habe die Siegburger Mönche wie ein Vater seine Söhne geliebt 141 . Dann wird mehrfach darauf hingewiesen,

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Der Bau des Klosters Siegburg soll Anno zunächst in einer Vision nahegelegt worden sein (I, c. 18, S. 475b, Z. 19ff.). Pfalzgraf Heinrich habe ihm nach einem Streit den Siegberg als Zeichen der Versöhnung übergeben (I, c. 19, S. 475b; vgl. dazu LEWALD, Die Ezzonen, S. 155ff. und Anm. 83). Die Einwohner eines in der Nähe gelegenen Dorfes hätten auf dem Siegberg ein Kreuzzeichen gesehen (I, c. 20, S. 475b — 476a) und zwei Griechen sollen dort eine Himmelsleiter — ein Zeichen für die zwischen Himmel und Erde vermittelnden Mönche — wahrgenommen haben (I, c. 21, S. 476a; vgl. Benedicti Regula, hg. von HANSLK, VII, 7, S. 39; zu diesem Motiv vgl. GÜNTER, Psychologie, S. 215ff.; HAACKE, Anno II., S. 549). Nach der Weihe der Michaelskirche auf dem Siegberg, soll sich in dem, dem hl. Kreuz geweihten Seitenschiff eine Lichterscheinung ereignet haben (I, c. 21, S. 476a, Z. 36ff.). Anno selbst habe in der Martinskapelle der Siegburg bei der Eucharistie eine Lichterscheinung gehabt (ebd., c. 22, S. 476a, Z. 47f.). Die Kapitel über die Gründung des Klosters Siegburg faßt der Autor so zusammen: His et similibus electionem supernam suis arrìdere coeptis gratanter accipiens, locum ... (ebd., S. 476b, Z. lff.). Bei den Urkunden handelt es sich um die unvollständige Abschrift eines Privilegs Alexanders II. (1061-1073) Und ein Privileg Heinrichs IV., die die Gründung Siegburgs bestätigten (I, c. 26 und c. 27, S. 477b — 478a). Vgl. WISPLINGHOFF, SUB, Nr. 3, S. 4 und Nr. 6, S. 8 und DERS., Untersuchungen, S. 79 und S. 82ff.; vgl. auch WEISE, Die Siegburger Gründungsurkunden. Während die Urkunde Alexanders noch im Original vorliegt (J.L. 4593), handelt es sich bei der Urkunde Heinrichs IV. um eine Fälschung. Die enge Bindung Annos zu den Siegburger Mönchen sollte das 29. Kapitel des ersten Buches beweisen. So lautet die Einleitung zum 29. Kapitel, ut unica mater unico pendens in filio, ... quod uno satis elucebit exemplo. (I, c. 28, S. 478a, Z. 28ff.). In I, c. 38, S. 482b — 483a) wird geschildert, wie Anno die Reliquien des hl. Benignus für Siegburg erwarb. In II, c. 1, S. 484a wird von der Heilung eines Siegburger Mönches durch Anno und in II, c. 3, S. 485a, von einem weiteren Heilungswunder in Siegburg berichtet. Vgl. I, c. 23, S. 476b, Z. 54ff., dort unterbricht der Siegburger Autor seine Abschrift Lamperts, um festzustellen: Nullus umquam pater tali circa filios ducebatur affectu, nulla mater, omnes ut se diligens, singulis compatiebatur, et animam suam pro unoquoque paratus impendere. So ähnlich I, c. 28, S. 478a, Z. 28 und III, c. 4, S. 499b, Z. 58f. In I, c. 24, S. 477a wird berichtet, daß Anno in einer Auseinandersetzung mit Heinrich IV. seine einzige Hilfe in den Siegburger Mönchen gesehen

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daß Anno Siegburg zu seiner letzten Ruhestätte bestimmt habe142. Anno habe dem späteren Abt Reginhard versichert, daß er nicht nur zu seinen Lebzeiten, sondern auch nach seinem Tode für das materielle Wohl des Klosters sorgen werde 143 . Als das Kloster nach Annos Tod, laut Bericht der Vita, wirtschaftlich zu kämpfen hatte, hätten Wallfahrten zu Annos Grab den Aufschwung des Klosters ermöglicht 144 . Auch wenn diese Geschichte, wie Wisplinghoff vermutet, falsch ist, so kann sie doch ihren Sinn gehabt haben, wenn sie unter den Mönchen Zweifler an Annos Heiligkeit überzeugte145. Anno wurde den Siegburger Mönchen als ihr Patron dargestellt. Indirekt hat sich die Vita natürlich auch an die Feinde Annos gerichtet, wenn der Autor, wie eingangs erwähnt, die Siegburger Mönche bittet, die Vita weiterzuverbreiten146. Das, was uns an kritischen Stimmen schriftlich überliefert ist, habe ich zu Beginn des Kapitels angeführt. Diese Schriften stammen aus Klöstern, die sich von Anno schlecht behandelt fühlten — Stablo, Brauweiler —, sowie von Benzo und Adam von Bremen. Alle schrieben in den 80er bzw. 90er Jahren des 11. Jahrhunderts. Doch auch in Köln selbst dürfte Anno noch Feinde gehabt haben. So im Kloster Mariengraden, das sich, wie die Vita Annonis berichtet, um die Grablege Annos betrogen fühlte147. Auch die Bemerkung des Autors, daß Anno in der Ferne verehrt, zuhause dagegen verachtet würde, läßt an Köln denken 148 . Anno hatte sich in Köln auch durch die Vertreibung der Mönche von St. Pantaleon, die wohl mit der Kölner Oberschicht eng verbunden waren, unbeliebt gemacht 149 . Es ist anzunehmen, daß die in den Schriften erhobenen Vorwürfe gegen Anno nicht nur von den jeweiligen Verfassern vertreten wurden, sondern auch in Siegburg bekannt waren und vielleicht auch dort Gehör fanden und Verwirrung stifteten. Da Reginhard jedoch seine Vita Annonis nur

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habe: vos clipeus mens estis, vos praesidium meum estis, vos inquam, fllii dilectissimi, orrmia mea estis; nulla mihi spes in militibus meis, ... (ebd., Z. 15ff.). I, c. 16, S. 474b, Z. 7f.; I, c. 18, S. 475b, Z. 16 und 19ff.; III, c. 7, S. 500b, Z. 19ff. In II, c. 11, S. 488a, Z. 5ff., sagt Anno voraus, daß es nach seinem Tode Stimmen geben werde, die den Untergang des Klosters prophezeiten, doch wenn die Mönche weiterhin an ihn glaubten, und die eingeführte Regel beachteten, würde es ihnen an nichts fehlen. Dem späteren Abt Reginhard habe Anno vor seinem Tod versichert, daß er in Siegburg begraben sein werde und daß so er selbst und das Kloster gerettet würden (III, c. 7, S. 500b, Z. 25ff.). Als es nach Annos Tod im Kloster immer weniger zu essen gab, sei Anno dem Kochbruder im Traum erschienen und habe ihm gesagt, er brauche die Rationen der Mönche nicht zu kürzen, da bald bessere Zeiten für das Kloster kommen würden (III, c. 17, S. 508a — 509b); dem Abt soll Anno die baldige Behebung des Kerzenmangels vorausgesagt haben (III, c. 18, S. 108b). Tunc turbis populorum undique confluentibus, olim a beato viro promissa se loco coepit abundantia infundere, ... III, c. 19, S. 509a, Z. 13ff. WISPLINGHOFF, Untersuchungen, S. 97, Anno habe das Kloster so ausgestattet, daß dessen wirtschaftliches Auskommen gesichert war. Vgl. auch Anm. 143. Nach MITTLER, Annos Tod, S. 217, konnten sich die Siegburger Mönche ihrer Existenz nur sicher sein, wenn sich das Grab ihres Gründerbischofs in ihrer Kirche befand. Die Mönche hätten "begründete Sorge" gehabt, daß Erben des ehemaligen Herzogs von Niederlothringen, der Anno den Siegberg abtreten mußte, ihre Forderung nach Annos Tod stellen würden. S. oben Anm. 12. III, c. 16, S. 504b, Z. 30 - S. 505a, Z. 18. Prol., S. 465a, Z. 53ff.; vgl. dazu STRUVE, "Als ein lewo", S. 337; DIEDERICH, Anno und seine Kölner. Lampert, Annales ad a. 1074, hg. von HOLDER-EGGER in: Lamperti ... opera, S. 190, Z. 20ff., SEMMLER, Die Klosterreform, S. 118ff.; DIEDERICH, Anno und seine Kölner, S. 172. Vgl. III, c. 15, S. 503b, Z. 18, wo es heißt, daß Annos Feinde, non ex populumsolum sed de clero gekommen seien.

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Die Vita Annonis

wenige Jahre nach Annos Tod schrieb, hatte er auf diese Vorwürfe noch nicht eingehen können. Weshalb wartete er aber bis 1104/1105, bevor er den Auftrag für eine Vita zur Verteidigung Annos gab? Um diese Frage beantworten zu können, muß noch näher auf die Person des Auftraggebers Reginhard eingegangen werden. Reginhard (1076 — 4.11.1105) gilt als eifriger Förderer der Siegburger Reform, doch sonst glaubte man bisher wenig von ihm zu wissen150. Trägt man alle Nachrichten über Reginhard zusammen, sind drei Linien seiner Politik zu erkennen. Zunächst fallt, wie gesagt, Reginhards Eintreten für die Verbreitung der Siegburger Gewohnheiten auf. Josef Semmler hat auf das große Selbstbewußtsein Siegburgs als Reformmittelpunkt hingewiesen. Es geht aus einem Satz der "Vita Annonis" hervor, in dem Gorze, Cluny und Siegburg in einem Atemzug als Ausgangspunkte der Reform in Deutschland genannt werden151. Noch unter Reginhards Vorgänger, Erpho, wurden die Siegburger Gewohnheiten in Grafschaft, Saalfeld und St. Pantaleon in Köln eingeführt. Durch Reginhard fanden sie in Erfurt, Iburg, und dem Mindener Stadtkloster St. Moritz Eingang152. Trotz des Entsendens von Gründungsmannschaften stieg die Zahl der Siegburger Mönche unter Reginhard von 40 auf 70 bis 80 an153. Man kann zweitens erkennen, daß Reginhards Sorge, um nicht zu sagen Trauma, die materielle Sicherheit seines Klosters war154. 1076 wurde in Siegburg die Gründungsurkunde des Klosters gefälscht155. Im Unterschied zu der echten Urkunde sah die Fälschung einen Einfluß des Abtes auf die Vogtswahl und die Besuche des Bischofs im Kloster vor. Es liegt auf der Hand, daß die Mitsprache des Abtes bei der Vogtswahl nicht unerheblich für die Sicherung des Klosterbesitzes war. Auch die Mitsprache bei den Bischofsbesuchen, die eine wirtschaftliche Belastung für das Kloster bedeuteten, lag im Interesse der materiellen Sicherheit des Klosters. 1078 bestätigte Annos Nachfolger, Hildolf (1076-1078), nach dieser Fälschung den Besitz des Klosters156. Hildolf hatte in Mönchskreisen einen schlechten Ruf — ein Grund mehr für Reginhard, den Klosterbesitz zu sichern 157 . Zwischen 1079 und 1089 konnte Reginhard vom Kölner Erzbischof Sigewin (1079-1089) eine Besitzbestätigung und freie Vogtswahl für Siegburg

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SEMMLER, Kirchenreform, S. 44ff.; WISPLINGHOFF, Die Benediktinerabtei Siegburg, S. 156f.; OEDIGER, Einige Bemerkungen, S. 332, meinte, daß Reginhard wie Lampert aus Bamberg stammte, konnte diese These jedoch nicht beweisen.

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... alii ex Gorzia, alii ex Cloniaca, alii ex Sigeberg, alii ex aliis monasteriis monachos evocantes novam divini servitii scolam in suis singuli monasteriis instituerunt. I, c. 23, S. 476b, Z. 23ff. Zur Ausbreitung der Siegburger Gewohnheiten vgl. SEMMLER, Klosterreform, S. 35-170; WISPLINGHOFF, Die Benediktinerabtei Siegburg, S. 22. Wie Anm. 13. Vgl. dazu SEMMLER, Klosterreform, S. 327, "daß die Siegburger Äbte auch die materielle Fürsorge für Klöster, in die sie ihre Mönche entsandten, übernahmen." SEMMLER, ebd., S. 325, führt auch weitere Beispiele zu Abt Reginhard an. Seiner Meinung nach diente diese Fürsorge dazu, den Einfluß Siegburgs auf die von dort reformierten Klöster aufrechtzuerhalten. WISPLINGHOFF, SUB, Nr. 11, S. 20ff.; DERS., Untersuchungen, S. 80ff. Dort ist diese Urkunde als A2 bezeichnet. Die Bestimmungen dieser gefälschten Gründungsurkunde wurden in die Vita Annonis übernommen: I, c. 25, S. 477a, Z. 44 — S. 477b, Z. 2. WISPLINGHOFF, SUB, Nr. 14, S. 29ff.; Ex Vita Wolfhelmi abbatis Brunwilarensis auctore Conrado, hg. von WILMANS, MGH SS 12, S. 180-195. Vgl. Lamperti Annales, ad a. 1076, hg. von HOLDER-EGGER, Lamperti ... opera, S. 251 und 257. Ex Vita Wolfhelmi, hg. von WILMANS, MGH SS 12, S. 184, Z. 6ff.; OEDIGER, Regesten Bd. 1, Nr. 1112 und 1113, S. 338.

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erwirken, die dessen Nachfolger, Hermann III. (1089-1099), wiederholte 158 . 1101/2 erwarb Reginhard selbst mehrere Grundstücke für das Kloster159. Noch vor 1108 entstehen in Siegburg wieder zwei gefälschte Gründungsurkunden, die die Leistungen der Vögte regelten und die Abgaben einiger Dörfer statt wie bisher für den Erzbischof für die Mönche vorsahen 160 . Die dritte Fälschung betrifft eine Urkunde Heinrichs IV. und ist auf die Sicherung des Siegburger Marktes ausgerichtet 161 . Ich möchte nicht behaupten, daß Reginhard noch diese Fälschungen veranlaßt hat, sie liegen jedoch auf der Linie seiner Bestrebungen, den Besitz und die Selbstständigkeit des Klosters zu sichern. Viel über Reginhards Bemühen, seine Mönche materiell abzusichern, sagt auch eine Stelle aus der "Vita Bennonis", die wohl der aus Siegburg stammende Abt Norbert von Iburg geschrieben hat162. Norbert beschreibt die Reaktion Reginhards, als Benno, der mit seinen ersten Mönchen Pech gehabt hatte, um die Entsendung einer Siegburger Gründungsmannschaft bittet, folgendermaßen: "Der Abt, ein sehr kluger Mann, wünschte zwar von ganzem Herzen, durch seine Person der Allgemeinheit zu dienen und durch seine Maßnahmen so viele wie möglich zu retten; doch wollte er auch nicht leichtfertig seinen (Bennos!) Bitten willfahren. Daher bedang er sich zunächst eine Besichtigung an Ort und Stelle aus. Denn was Benno bis dahin an Gütern erworben hatte, war sehr wenig, der Bedürfnisse aber waren noch so viele, und der Abt wollte nicht, daß es seinen Mönchen, wenn er sie ins Ungewisse aussende, genauso ergehe, wie er es von den andern gehört hatte. In diesem Sinne also stimmte er seinem frommen Begehren zu. Der Bischof eilte voraus, und der Abt folgte ihm wenig später nach. Bei der Besichtigung des Ortes hatte der Abt da und dort etwas zu beanstanden, das meiste aber lobte er. Wie es heißt, soll ihm am meisten die dürftige Ausstattung mißfallen haben, da er die Ansicht vertrat, Unternehmen dieser Art könnten sich heutzutage nicht mehr halten, wenn es ihnen ganz an soliden materiellen Grundlagen fehle (!); denn es gäbe heute nur noch ganz wenige oder überhaupt niemand mehr, die bereit seien, die Strenge des klösterlichen Lebens unter gleichzeitigen körperlichen Entbehrungen geduldig zu ertragen, da ja sogar in den reichsten Klöstern schon viele sich angewöhnt hätten, die bloße Klosterzucht als lästig zu empfinden." 163 Der dritte Punkt betrifft die Bemühungen Reginhards, die Verehrung Annos als Heiligen durchzusetzen. Schon 1076 verfaßte Reginhard die Inschrift für Annos Grab, in der er Anno als "Spiegel der Kirche" und seinem Amt auf vorbildliche Weise gerecht werdender Bischof preist 164 . Zwischen 1075 und 1088 — wahrscheinlich jedoch vor 1088 — schrieb Reginhard selbst eine Vita Annonis, die er dem Bamberger Scholaster

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WISPLINGHOFF, SUB, Nr. 12 und 13, S. 23ff. und 27ff.; DERS., Untersuchungen, S. 87-91 (dort A3 und A4 genannt).

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WISPLINGHOFF, S U B , N r . 19, S. 4 0 f f . V g l . III, c . 19, S. 5 0 9 , Z . 1 6 f f .

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WISPLINGHOFF, S U B , N r . 12 und 13. V g l . A n m .

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WISPLINGHOFF, SUB, Nr. 7, S. 10ff.; DERS., Untersuchungen, S. 82-87. Hg. von BRESSLAU, MGH SS 30, Teil 2; DERS., MGH SS rer. Germ, in us. schol.; vgl. dazu kürzlich SCHMID, Der Stifter und sein Gedenken. Übersetzung nach KALLFELZ in: Ausgewählte Quellen, Frhr. vom Stein-Gedächtnisausgabe 22, S. 423. Patribus egregiis ornata Colonia multis/ Aecclesiae speculum misitadhunc tutmdum.IEmcu.it mundo nova lux Annone secundo./ Qui per cuncta suo par erat officio./ Mensibus hoc denis annis actoque vicenis/ Quarta Decembris eum lux tulit ante Deum. III, c. 19, S. 509a, Z. 30ff. Zu Reginhards Bemühungen um Annos Verehrung vgl. MITTLER, Annos Heiligsprechung, S. 43.

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Die Vita Annonis

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Meinhard zur Beurteilung vorlegte 165 . Auf einer Diözesansynode zwischen 1076 und 1078 — hier ist der spätere Termin wahrscheinlicher — erreichte Reginhard von Bischof Hildolf die vorläufige "Kanonisation" Annos166. Das Annolied, eines der ersten Zeugnisse deutscher volkssprachlicher Dichtung, wird meist in die Zeit zwischen 1077 und 1081 datiert. Auch das Annolied ist so wahrscheinlich unter Reginhards Obhut in Siegburg entstanden 167 . Im Annolied wird Anno als "spiegil", als Vorbild für alle, die tugendsam und wahrhaftig leben wollen, gepriesen 168 . Schließlich hat Reginhard gegen Ende seines Lebens, um 1104/1105, einem seiner Mönche den Auftrag gegeben, nach der Vorlage seiner eigenen Vita Annonis eine neue Vita zu schreiben, mit der die Vorwürfe gegen den Heiligen und seine Vitenschreiber entkräftet werden sollten. Mit Sicherheit standen diese drei Bestrebungen Reginhards — Ausbreitung der Siegburger Gewohnheiten, Sicherung des Klosterbesitzes und Förderung der Verehrung Annos als Heiligen — nicht beziehungslos nebeneinander. Wie eng die Ausbreitung der Siegburger Gewohnheiten mit der Verehrung Annos verbunden war, zeigt schon, daß, wenn in den Quellen von Siegburg gesprochen wird, der Name Annos selten fehlte und andererseits die Person Annos als der heilige Stifter Siegburgs bezeichnet wurde 169 . Abt Kuno von Siegburg (1105-1126), der Nachfolger Reginhards, nahm, als er zum Bischof von Regensburg (1126-1132) ernannt wurde, das Annolied zu seinem neuen Bischofssitz mit170. Einen Zusammenhang zwischen der materiellen Sicherheit des Klosters und der Annoverehrung wollte auch, wie oben erwähnt, die Vita Annonis suggerieren. Allein die Verehrung Annos habe dem Kloster das Überleben gestattet. Mehrfach, so die Vita, habe Anno zu Lebzeiten angedeutet, daß er nach seinem Tode Wunder wirken werde, und auch sein Grab wählte er so, daß es von einfachen Pilgern leicht aufgesucht werden konnte. Die Existenz des Klosters und die Verehrung Annos, so die Vita, bedingten sich gegenseitig 171 . Versuchen wir aus Reginhards verschiedenen Bemühungen Ansätze zu finden, die ihn 1104/1105 veranlassen konnten, eine weitere Vita Annonis schreiben zu lassen. 20 Jahre nach der Abfassung seiner eigenen Vita Annonis hatte sich das Kloster Siegburg als

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Vgl. Anm. 6. III, c. 24, S. 512b, Z. 16-51. Nihilominus haec archiepiscopo nunciantur, obtinueruntque facilem apud eum et apud omnem populum auditafidem, cum et alia cotidie nunciarentur, quibus in sanctorum consortia mirum in modum Anno, famulus Christi, transisse cognosceretur. Ebd., Z. 46ff. Die Heiligsprechung lag zu Beginn des 12. Jahrhunderts noch in der Hand der Bischöfe, vgl. KLAUSER, Zur Entwicklung des Heiligsprechungverfahrens, S. 81; VAUCHEZ, La sainteté, S. 25-37. Zur endgültigen, am 29. 4. 1183 erfolgten Heiligsprechung Annos vgl. BRACKMANN, Zur Kanonisation; MITTLER, Annos Heiligsprechung; NEUMÜLLERS-KLAUSER, Die Kanonisation des hl. Anno. THOMAS, B e m e r k u n g e n z u r D a t i e r u n g , S. 2 6 - 3 5 ; D a s A n n o l i e d , h g . v o n NELLMANN, S. 1 8 4 f . F ü r

Köln als möglichen Abfassungsort vgl. KNAB, Das Annolied, S. 3. Das Annolied, hg. von NELLMANN, 34, 1-4, S. 45. Eine Paralelle zwischen Annolied und Vita Annonis maior ist das Thema, daß Anno in der Öffentlichkeit "groß", aber "klein" unter den "Kleinen" war. Das Annolied Abschnitt 34 und 35., Vita Annonis wie Anm. 62 und 63. Wie SEMMLER, Klosterreform, S. 223, Anm. 92: "Das Reformkloster Siegburg wird nahezu von allen Chronisten in unmittelbaren Zusammenhang mit Anno von Köln erwähnt." So z.B. Annales Hildesheimenses, ad a. 1073, hg. von WAITZ, MGH SS rer. Germ, in us. schol., S. 43; Annales Yburgenses, ad a. 1075, hg. von FORST, MGH SS 16, S. 346; weitere Angaben bei SEMMLER, a.a.O. Vgl. auch die Vita Altmanni, Kap. VIII, Anm. 45. WATTENBACH/HOLTZMANN, Geschichtsquellen, II, S. 652. Vgl. NELLMANN, Nachwort in: Das A n n o l i e d , h g . v o n NELLMANN, S. 1 8 9 .

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Wie Anm. 15.

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Ausgangspunkt für Reformen bewährt. Die Zahl der Siegburger Mönche wuchs und damit die Zahl derer, die man aus Siegburg in andere Klöster schickte. Da die in den 80er und 90er Jahren gegen Anno polemisierenden Stimmen noch nicht zur Ruhe gekommen waren, lag es nahe, den Siegburger Mönchen ein Annobild zu vermitteln, das gegen alle an Anno gerichteten Vorwürfe gewappnet war. In der Vita Annonis, die Reginhard gegen Ende seines Lebens schreiben ließ, verbinden sich alle drei festgestellten Bestrebungen des Siegburger Abtes. Durch den Aufruf, das Werk weiterzuverbreiten, verknüpft sie die Ausbreitung der Siegburger Gewohnheiten mit der Annoverehrung. Indem sie glauben machen will, daß Anno das materielle Wohlergehen des Klosters sichere, bringt sie Reginhards Sorge für das Materielle mit der Annoverehrung zusammen. Ausschlaggebend für das Entstehen und den Charakter der "Vita Annonis" waren einerseits die noch immer nicht verstummten, gegen Anno gerichteten Stimmen und andererseits die Expansion der Siegburger Reform. Da der Name Siegburgs mit dem Annos eng verknüpft war, wollte der Siegburger Abt Reginhard denjenigen seiner Mönche, die die Reform in andere Klöster trugen, ein positives Annobild vermitteln. Es konnte somit gezeigt werden, daß die Vita Annonis ganz von der Verteidigung Annos geprägt ist und den Lesern Argumente an die Hand gibt, mit denen zu beweisen war, daß die Seligpreisung derer, deren Frevel vergeben und deren Sünden bedeckt sind, auf Anno zutraf.

X. SCHLUSS Es ist an sich keine neue Erkenntnis, daß Heiligenviten im Mittelalter nicht nur zur Erbauung, sondern zur Erreichung ganz konkreter Zwecke eingesetzt werden konnten. Neu ist jedoch die Erkenntnis, daß der verfolgte Zweck — oder, wie andere sagen, die "Tendenz" — im Werke nicht offen ausgesprochen wird, nicht explizit sein muß, um vorhanden zu sein. Das methodische Vorgehen dieser Arbeit, nämlich ausgehend von der sinnvollen Einheit der Texte, nach Wiederholungen, Ähnlichkeiten und Gegensätzen zu suchen und von diesen auf das eigentliche Anliegen der Texte zu schließen, hat sich als erfolgreich erwiesen. Die daran anschließende Rekonstruktion des historischen Kontextes der Entstehung der Viten, d.h. die Fragen, warum, von wem und für wen sie geschrieben wurden, ließ die aus der Textanalyse gewonnenen Annahmen zur Gewißheit werden. Es lassen sich drei Ziele unterscheiden, die die Autoren mit ihren Texten verfolgten. Zunächst kann man eine Gruppe festhalten, deren Absicht es war, eine Person bzw. Personengruppe zu ganz bestimmten Handlungen zu bewegen, d.h. die paränetisch wirken wollten. Dies ist der Fall bei der "Vita Burchardi", mit der der Wormser Domscholaster und spätere Kustos Ebbo seinen Domherren das kanonische Ethos nahezubringen versuchte. Gleichermaßen trifft es auf die "Vita Godehardi posterior" zu, mit der die Hildesheimer Domherren ihrem neuen Bischof Hezilo zeigten, was sie von ihm erwarteten. Ganz ähnlich gelagert ist die "Vita Altmanni", in der die Göttweiger Mönche vor ihrem neuen Bischof Reginbert zum Ausdruck brachten, was sie von ihm erwarteten. Derselbe Fall liegt wohl bei Adam von Bremen mit seinen "Gesta Hammaburgensis Ecclesiae pontificum" vor, mit der der Hamburger Domklerus dem oktroyierten und unwillkommenen Bischof Liemar Verhaltensmaßregeln in schöner Form überreichte. Mit der Mathildenvita wollten offensichtlich die Nordhausener Nonnen Otto II. zur Unterstützung ihres Konventes auffordern 1 . Diese Liste ließe sich sicher unschwer verlängern, denn die in der Einleitung angesprochene Nähe von Hagiographie und Exempel läßt vermuten, daß Heiligenviten nicht selten in einer konkreten Situation mit der Absicht geschrieben wurden, auf das Verhalten und die Handlungen bestimmter Personen bzw. Personengruppen einzuwirken. Diese als Paränese bezeichnete Absicht unterscheidet sich von dem eher vagen Terminus der "Erbauung", der bisher als das Ziel der Heiligenviten angesehen wurde, durch seine Ausrichtung auf eine konkrete Person bzw. Personengruppe in einem ganz bestimmten Anliegen. Eine zweite Textgruppe soll mit dem Begriff "Dokumentation" umschrieben werden. Allen "Dokumentation" genannten Texten ist die Absicht zu verteidigen gemeinsam. In dieser Arbeit trifft dies auf die "Vita Godehardi prior", die beiden Bardoviten und die "Vita Annonis maior" zu. Es handelt sich dabei um das noch kaum erforschte Phänomen, inwiefern die mittelalterliche Historiographie die Aufgabe hatte, Interpretationen von Ereignissen — also nicht die Ereignisse schlechthin — publik zu machen. So wollte Wolfhere mit seiner "Vita Godehardi prior" nicht nur über den Gandersheimer Streit als

Diese beiden Fälle wurden von ALTHOFF, 'Causa scribendi', behandelt.

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solchen berichten, sondern die Hildesheimer bzw. Niederaltaicher Version der Vorgänge gegen die sicher ganz anders lautende Version der Aribonen setzen. Auch dem Mainzer Domherren Vulkuld ging es um die für Mainz günstigste Interpretation der politischen Schwäche des Erzbischofs Bardo; er konnte sie mit Hilfe der Seligpreisungen rechtfertigen und zur Grundlage von Bardos Heiligkeit machen. Der Fuldaer Autor rückte mit seiner Darstellung das Mainzer Bardobild zurecht und "bewies", daß Bardo aufgrund ganz anderer Qualitäten, nämlich seines Frohsinns und seiner Freigiebigkeit, heilig war. Der Autor der "Vita Annonis maior" wollte schließlich einer ganzen Reihe von "Fehlinterpretationen" der Person und der Leidensgeschichte Annos entgegenwirken, die den Ruf des Kölner Erzbischofs und dem Ansehen des von ihm gegründeten Klosters Siegburg samt der gleichnamigen Reformrichtung schaden konnten. Der Verdacht liegt nahe, daß mittelalterliche Geschichtsschreiber gerade dann zur Feder griffen, wenn es galt, eine bestehende und ihnen bzw. ihrer Gruppe schadende Meinung zu widerlegen. Als ob man durch die schriftliche Fixierung — noch dazu in der "sakralen" Gattung der Heiligenvita — schon existierende mündliche Versionen entkräften könnte! Daß schriftlich Fixiertes im Mittelalter größeres Ansehen als die "bloße" mündliche Überlieferung hatte, d.h. daß dem Schriftlichen größere Beweiskraft zukam, ist bekannt 2 . Zu der Gruppe der "Dokumentation" gehören auch Texte wie die "Passio Karoli" Galberts von Brügge und Brunos Buch vom Sachsenkrieg 3 . Diese aus wenigen Fällen gewonnenen Überlegungen wollen kein Fazit sein, sondern im Gegenteil die Frage stellen, inwiefern und in welchem Ausmaß "Dokumentation" im oben definierten Sinne eine Aufgabe der mittelalterlichen Historiographie war. Eine dritte von der Hagiographie verfolgte Absicht ist in ihrem Einsatz für das Prestige eines Klosters oder einer Bischofsstadt zu sehen. Ganz offensichtlich war dies bei der "Vita Heriberti" der Fall, mit der die Kölner den Papst Leo IX. auf die Vorrangstellung aufmerksam machen wollten, die ihrer Meinung nach der Kölner Metropole zustand. Es trifft auch in einem etwas weiter gefaßten Sinne auf die beiden Bardoviten zu. Dem Mainzer Domherren Vulkuld war daran gelegen, die politische Bedeutungslosigkeit Bardos als Voraussetzung seiner Heiligkeit zu werten und damit für das Prestige Mainz' verwendbar zu machen. Dem Fuldaer Autor ging es darum, die Überlegenheit Fuldas über Mainz — und damit das Prestige des Klosters — zu demonstrieren. Die vorliegenden Arbeiten von Beumann, Boshof, Thomas, Poensgen und Baix zeigen, daß der Einsatz von Hagiographie im Dienste des Prestige einer Bischofsstadt oder einer Abtei keine Ausnahme war. Diese Rubrik wird durch weitere Untersuchungen von Lebensbeschreibungen, insbesondere solcher von Gründern oder Namenspatronen geistlicher Gemeinschaften, zu erweitern sein, steht doch das Ansehen des Gründers direkt mit der seinen Namen tragenden Gemeinschaft in Verbindung 4 . 2 3

4

Vgl. SCHULZ, Die Lehre, S. 203ff. So wie wir es in unserem Aufsatz, ALTHOFF/COUE, Geschichtsschreibung und Krise, dargelegt haben. Weitere Arbeiten zu diesem Aspekt sind in Vorbereitung. Die von SOT, Gesta Episcoporum und DE GAIFFIER, Les rdvendications des biens, behandelten Fälle, in denen mit Hilfe von Geschichtsschreibung Besitz gesichert werden soll, sind teilweise zu den paränetischen, meist aber zu den "Dokumentation" genannten Texten zu rechnen. Vgl. MICHAJLOWSKI, II culto dei santi fondatori, der die These vertritt, daß eine religiöse Gemeinschaft im 11./12. Jahrhundert in ihrem Gründer den Heilsvermittler sah. MICHALOWSKI hält es für zweifelhaft, daß "Religion als reines Instrument" zur Erlangung politisch-wirtschaftlichen Prestiges eingesetzt wurde. Er übersieht, daß die religöse Anerkennung von Heiligen die Voraussetzung für ihren "Einsatz" im politisch-wirtschaftlichen Bereich bildet. Religion und Politik sind im Mittelalter nicht trennbar!

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Schluß

Neben den von Vitenschreibern verfolgten Zielen ist auf ein noch nicht eigens untersuchtes Problem hinzuweisen, auf das wir in dieser Arbeit gestoßen sind, nämlich der zwischen Hagiographie und Fälschungen bestehende Zusammenhang. So scheint die "Vita Altmanni" die historiographische Ergänzung zu den Urkundenfälschungen zu sein, mit denen die Göttweiger Mönche ihren Besitz vor dem Passauer Bischof zu verteidigen suchten. Ein ähnlicher Zusammenhang besteht wohl zwischen der "Vita Meinwerci" und den Abdinghofer Fälschungen sowie der "Vita Haimeradi" und den Hasunger Fälschungen 5 . Es wäre der Frage nachzugehen, ob es nicht ein und dieselbe pragmatische Einstellung zu Text und Urkunde war, die einen Geistlichen des 11./12. Jahrhunderts dazu veranlaßte, Urkunden zu fälschen und Viten zu "erfinden". In der Einleitung wurde festgestellt, daß ein Autor im hohen Mittelalter so gut wie nie aus eigenem Antrieb schrieb, sondern daß er meist einen Auftraggeber hatte und bzw. oder als Vertreter einer Gruppe — in dieser Arbeit "Trägergruppe" genannt — sein Werk verfaßte. Es konnten zwei verschiedene Trägergruppen bzw. Auftraggeber ausgemacht werden. Hinter den Autoren der "Vita Burchardi" und der "Vita Godehardi posterior" stehen Domherren. Die "Vita Heriberti" und die "Vita Bardonis auctore Vulculdo" wurden von Bischöfen in Auftrag gegeben. Bischöfe und Domherren sind als erste Trägergruppe festzuhalten. Die "Vita Godehardi prior" wurde für Abt Ratmund vom Kloster Niederaltaich, die "Vita Bardonis maior" im Interesse des Fuldaer Konventes, die "Vita Altmanni" für das Göttweiger und die "Vita Annonis maior" für das Siegburger Kloster geschrieben. Äbte bzw. Mönchskonvente sind somit die zweite Gruppe, in deren Interesse Bischofsviten verfaßt wurden. Als Ergebnis kann formuliert werden: Geistliche Gemeinschaften besaßen im hohen Mittelalter nicht nur das "Monopol" der Schrift, von ihnen — und nicht von weltlichen Großen — scheint auch der Anstoß zu schreiben ausgegangen zu sein. Die Frage nach der Zielgruppe der Viten führte zu einem ähnlichen Resultat: Die Viten richteten sich an geistliche Würdenträger oder geistliche Gemeinschaften. Keiner der Texte war an einen weltlichen Großen gerichtet; ob dies mit der Art des Genre, der Hagiographie, zusammenhängt 6 ? Interessant war festzustellen, daß manche Viten sich an die Gemeinschaft, aus der der Autor selbst stammte, wandte, sie sozusagen "nach innen" gerichtet waren, um auf das Selbstbewußtsein, den Zusammenhalt und das Ethos der Gemeinschaft einzuwirken. Dies war ganz eindeutig bei der "Vita Burchardi" der Fall, und es trifft auch auf die "Vita Godehardi prior", die "Vita Bardonis maior und die "Vita Annonis maior" zu. In erster Linie "nach außen" gerichtet waren die "Vita Godehardi posterior", die sich an Bischof Hezilo von Hildesheim, die "Vita Heriberti", die sich an Papst Leo IX. und die "Vita Altmanni", die sich an Reginbert von Passau wandte. Nicht so eindeutig ist das Zielpublikum der "Vita Bardonis auctore Vulculdo" zu bestimmen, mit der Erzbischof Liutpold seine eigene politische Schwäche und die seines Vorgängers zu rechtfertigen suchte. Wahrscheinlich war sie sowohl nach "innen" — an den Mainzer Klerus — "wie nach außen" — an die geistlichen Würdenträger des Reiches — gerichtet. Das Phänomen der "nach innen", d. h. an die eigene Gruppe gerichteten Texte, ist schon von Thomas im Zusammenhang mit Erzbischof Siegfrieds

5

6

Zur Vita Meinwerci vgl. ALTHOFF, 'Causa scribendi', S. 130ff. Auf den Zusammenhang, der zwischen der Vita Haimeradi und den Hasunger Fälschungen besteht, machte STRUVE, Hersfeld, Hasungen, aufmerksam. Einen weltlichen Adressaten, nämlich Otto II., hatte dagegen die Mathildenvita, obwohl zu hinterfragen wäre, inwieweit sich Otto II. als "weltlicher" Großer verstand. S. oben Anm. 1.

Schluß

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Bemühungen um den Mainzer Primat beobachtet worden 7 . Auch diese Viten bezweckten mehr und Konkreteres als bisher mit dem vagen Begriff der Erbauung bezeichnet wurde, und deshalb scheint es mir gerechtfertigt, auch auf sie den Begriff der "geistlichen Waffe" anzuwenden. Weitere Untersuchungen von hagiographischem und historiographischem Schrifttum werden ergeben, was für einen Stellenwert diesen an die eigene Gruppe gerichteten Texten beigemessen werden muß. In dieser Arbeit konnten auch Einblicke in die mittelalterliche Art der Beweisführung gewonnen werden, die sich von der heutigen grundsätzlich unterscheidet. Das erste — es mag sich in den Ohren eines Mediaevisten banal anhören — ist die Orientierung an der Bibel8. Es wurde besonders an der "Vita Annonis maior" und der "Vita Bardonis auctore Vulculdo" deutlich. Ausgehend von dem Psalm "Selig, deren Frevel vergeben und deren Sünden bedeckt sind" (Ps. 32,1; Rom. 4,7) versuchte der Siegburger Autor die Heiligkeit des Kölner Erzbischofs zu beweisen. Wichtig waren für seine Argumentation das ebenfalls biblische Bild der Läuterung durch irdische Prüfungen (Prov. 27,21; Sap. 3,6; Jes. Sir. 27,5) und das Zitat "Der Herr züchtigt die Seinen, die er liebt" (Prov. 3,12; Hebr. 12,6), um nur die wichtigsten zu nennen. Dem Mainzer Kapellan Vulkuld gelang es, die politische Schwäche Bardos durch den Rückgriff auf die Seligpreisungen der Bergpredigt zu rechtfertigen. Der Rückgriff auf die Bibel, der unumstrittenen Autorität des Mittelalters, war das stärkste Argument, das einem — fast ohne Ausnahme geistlichen — Autor zur Verfügung stand. Ein zweiter, ebenfalls aus jüdisch-christlicher Tradition stammender Grundzug ist die typologische Darstellung. Die an der Bibelexegese geschulte Überzeugung, daß Gestalten des Alten Testamentes Vorläufer von solchen des Neuen Testamentes und der Endzeit bzw. Gegenwart sind, dieses ständig an Vergleiche gewöhnte Denken zog auch eine Beweisführung nach sich, die von Vergleichen geprägt war. Anders gesagt, einen Stil, der das Gemeinsame und Verbindende — und nicht das Original-Individuelle — hervorhob. Was akzentuiert wurde, hing vom jeweiligen historischen Kontext ab. Diese Denkweise erlaubte es einerseits, die Handlungen von Personen — wie Bardo und Anno — durch den vergleichenden Rückverweis auf biblische Vorbilder zu rechtfertigen, machte es aber andererseits auch möglich, wie in der "Vita Godehardi posterior" und in den Viten Burchards und Altmanns geschehen, den Blick weg von der einzigartigen Persönlichkeit hin zu nachahmenswerten Taten zu lenken und so Geschichtsschreibung als Exempel zu benutzen. Das führte zu einem Stil, dem es mehr auf das sich in der Zeit, aber auch in verschiedenen Personen Wiederholende und auch in Zukunft Wiederholenswerte ankam als auf die unnachahmliche Einzelpersönlichkeit. So wird z.B. in der "Vita Burchardi" den Wormser Kanonikern das kanonikale Ethos nicht nur von der Person des Heiligen gepredigt und vorgelebt, sondern auch dessen Schwester und der ganze Kanonissenkonvent wird als Vorbild des kanonischen Lebens hingestellt. Oder nehmen wir die an Hezilo gerichtete "Vita Godehardi posterior", in der nicht nur an Godehard, sondern an fünf weiteren Exempla deutlich gemacht wird, was die Hildesheimer Kanoniker von Hezilo erwarteten. Ganz ähnlich verhält es sich mit der "Vita Altmanni". Man hat es mit einer "in die Breite" angelegten Personenschilderung zu tun, bei der, um bestimmte Charakterzüge des Protagonisten herauszuheben, diesem Personen an die Seite gestellt werden, die sich durch ähnliche oder gerade entgegengesetzte Eigenschaften auszeichnen.

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THOMAS, Erzbischof Siegfried I. von Mainz, S. 390ff., bes. S. 395f. So schon MIRBT, Die Publizistik, S. 611, und ausführlich SMALLEY, The study of the Bible.

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Schluß

Die Frage, warum ausgerechnet Hagiographie zur Verteidigung partikularer Interessen herangezogen wurde, kann wohl teilweise dadurch erklärt werden, daß die Hagiographie im kirchlich-öffentlichen Leben ihren festen Platz hatte, andere Gattungen dagegen zum einen nicht angesehen waren, zum anderen aber auch nicht im Rahmen des kirchlichen Lebens zum öffentlichen Vortrag kamen, wie dies bei den Viten als Tischlesung der Fall war. Ein Grund für den Einsatz von Hagiographie als "geistliche Waffe" ist sicher in dem Prestige der Schrift und des Geschriebenen zu suchen. Schriftlich Fixiertes besaß, wie oben schon angedeutet, im Mittelalter eine größere Beweiskraft als die bloße mündliche Überlieferung 9 . Ob ihm auch von vornherein ein sakraler Charakter zukam, dieser Frage wird noch weiter nachzugehen sein10. Da die Schriftlichkeit im Zentrum des gegenwärtigen Forschungsinteresses steht, sind hierzu in Bälde neue Ergebnisse zu erwarten. Eine andere Erklärung für den pragmatischen Einsatz von Hagiographie ist wohl auf das ganz anders geartete Verhältnis des mittelalterlichen Menschen zum Numinosen zurückzuführen 11 . Der pragmatische, situationsgebundene Einsatz von Hagiographie läßt sich — wie in der Einleitung ausgeführt — schon seit dem 4./5. Jahrhundert beobachten. Es bedarf jedoch noch weiterer Untersuchungen, um die Frage zu klären, ob die Anlässe, die zur Abfassung von Texten führten, und die mit den Texten verfolgten Absichten über die Jahrhunderte hinweg konstant blieben, oder ob sich eine Entwicklung feststellen läßt. Mit Sicherheit stellte die Einführung des Kanonisationsverfahrens und das Aufkommen der Bettelorden eine Zäsur für die Hagiographie dar, und die mit "Investiturstreit" umschriebene Krise blieb nicht ohne Auswirkungen auf den Einsatz von Schriftlichkeit allgemein 12 . Schließlich führt das Ergebnis, daß geistliche Gemeinschaften des hohen Mittelalters ihre Probleme mit Hilfe schriftlicher Hagiographie zu lösen versuchten, zu der Frage, wie die Gesellschaft des Mittelalters überhaupt mit Konflikten umging. Welche Mittel, Wege und Rituale wurden zur Beilegung von Konflikten eingesetzt? Bisher liegen dazu nur vereinzelte Forschungsansätze vor 13 . Sicher ist, daß Schriftlichkeit in diesen "Prozessen" seit dem 11. Jahrhundert eine immer größere Rolle spielte. Vermutlich ging mit zunehmender "Institutionalisierung" der Regelung von Konflikten der Einsatz von Hagiographie als "geistliches Schwert" zurück, und sie wurde auf ihr "eigentliches" Feld, die moralische Unterrichtung von Gläubigen, verwiesen.

'

Wie Anm. 2. Vgl. POULIN, Entre magie et religion. " Vgl. dazu SIGAL, L'homme et le miracle, S. 288-310. 12 Was schon das Aufkommen der neuen Gattung der Streitschriften beweist. 13 So GEARY, Vivre en conflit, und ALTHOFF, Verwandte, Freunde und Getreue. 10

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Literatur

201

3. Abkürzungen und Siglen

AASS AfD AHP AKG AL AUF Bll.dt.LG. CCL CCM DA

= = = = = = = = = =

DHGE DVLG

= =

FMST G.d.V. HJb. Hess.Jb.f.LK HZ Jb.K.GV Jb.Lk.NÖ. J.L.

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Lac. LThK NDB MIÖG MUB PL RAC RHE RhVjbll. STMBO SUB ZKG ZRG Germ.Abt.

= = = = = = = = = = = = =

— Kan.Abt.

Acta Sanctorum Archiv für Diplomatik Archivum Historiae Pontificiae Archiv für Kulturgeschichte Annolied Archiv für Urkundenforschung Blätter für deutsche Landesgeschichte Corpus Christianorum Series Latina Cahiers de Civilisation Médiévale Deutsches Archiv für Geschichte (seit Bd. 8/1937: für Erforschung) des Mittelalters Dictionnaire de l'Histoire et de Géographie Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Frühmittelalterliche Studien Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit Historisches Jahrbuch Hessisches Jahrbuch für Landeskunde Historische Zeitschrift Jahrbuch des Kölner Geschichtsvereins Jahrbuch für Landeskunde Niederösterreichs JAFFÉ — LOEWENFELD, Regesta Pontificum Romanorum

LACOMBLET (S. unter Quellen) Lexikon für Theologie und Kirche Neue Deutsche Biographie Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtskunde Mainzer Urkundenbuch Migne, Patrologiae cursus completus Nova Series Reallexikon für Antike und Christentum Revue d'histoire ecclésiastique Rheinische Vierteljahresblätter Studien und Mitteilungen des Benediktinerordens Siegburger Urkundenbuch hg. von Erich WISPLINGHOFF Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung = Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung

PERSONENREGISTER Abraham 11, 162 Adalbero, Bf. v. Bamberg 102 Adalbero, Bf. v. Würzburg 124, 135 Adalbert, Abt v. St. Michael 63, 69, 76, 78 Adam 153f. Adam v. Bremen, Geschichtsschreiber 147, 150, 154, 167, 172 Adelman, Bf. v. Lüttich 84 Adelram, Abt v. Kremsmünster 131 f. Agnes, Ksn. 124, 129, 144 Agritius, Bf. v. Trier 93f. Albert Böheim, Domdekan in Passau 140 Albuin, Abt v. Hersfeld 42, 64 Alexander IL, Papst 102, 166 Alpert v. Metz, Geschichtsschreiber 27, 30, 37, 39 Altfried, Bf. v. Hildesheim 47, 80 Altmann, Bf. v. Passau 12, 127-144, 175 Anchises, Vorfahr d. Karolinger 65 Annalista Saxo 76 Anno H., Ebf. v. Köln 22, 95, 97, 99, 109, 117, 120, 130, 135ff., 169ff., 173, 175 Aribo, Ebf. v. Mainz 1, 50-54, 59f., 64, 94, lOlff., U l f , 114, 116 Arnold (Amolf), Bf. v. Worms 160 Arnulf, Bf. Metz u. Ahnherr d. Karolinger 65f. Arnulf, Bf. v. Reims 46 Augustinus, Kirchenlehrer 22, 120, 131 Azecho, Wormser Kanoniker, Bruder Immos 27 Azecho, Bf. v. Worms 40 Azelin, Bf. v. Hildesheim 2, 62, 65, 69, 71, 74-81 Bardo, Ebf. v. Mainz 54, 94, 100-126, 149, 173, 175 Baudonivia, Biographin Radegunds 20f. Bawaros, Bayemfürst 138 Benedikt, Hl. 91, 137 Benignus, Hl. 164, 166 Benno, Bf. v. Osnabrück 62, 169 Benzo, Bf. v. Alba 150, 153f., 167 Bernhard, Abt v. Hersfeld 7 1 f , 75 Bernhard, Bf. v. Hildesheim 61, 63 Bemward, Bf. v. Hildesheim 41-44, 48ff., 53, 55, 64, 71, 73ff., 79 Berthold, Bf. v. Hildesheini 60, 63 Berthold v. Questenburgh, Hg. der Decretorum libri XX Bf. Burchards v. Worms 26

Bonifatius, Hl. 6 5 f , 95, 99, 125 Branthoch, Abt v. Fulda 105, 120 Brun, Ebf. v. Köln 3, 70, 91, 93 Brunicho, Dompropst v. Worms 2 8 f , 32, 34 Bruno, Bf. v. Augsburg 53, 67 Bruno, sächs. Kleriker, Verfasser d. Buches vom Sachsenkrieg 7, 173 Buno, Kämmerer Bf. Godehards v. Hildesheim 77 Burchard, Bf. v. Worms 26-40, 175 Cadalhoch, Abt v. Göttweig 127f, 133, 135, 141, 142 Caecilie, Hl. 87, 91 Cäsarius, Hl. 165 Chrétien de Troyes, Dichter 9 Cicero 9, 13f. Clemens I I , Papst = Bf. Suidger v. Bamberg 92 David, bibl. König 11, 160 Dietrich = Theoderich, Ebf. v. Trier 94f. Ebbo, Domscholaster u. Kustos v. Worms 38-40, 172 Eberhard, Bf. v. Konstanz 38 Eberhard, Chronist d. 13. Jh. 61 Eberhard, Ebf. v. Trier 95 Egbert, Abt v. Fulda 110, 120, 123-126 Elisabeth, Mutter Johannes d. Täufers 86 Erchinfried, Abt v. Melk u. Propst v. Göttweig 133f, 135, 143 Erkanbald, Burggf. v. Mainz 107 Erkanbald, Ebf. v. Mainz l O l f f , 117, 120 Erkanbert, Abt v. Niederaltaich 4 5 f , 5 5 f , 58, 6 5 f , 66 Erpho, Abt v. Siegburg 147, 163, 167 Erpho, Bf. v. Worms 37 Eugippius, Geschichtsschreiber 129 Eucharius, H l , Ebf. v. Trier 9 3 f , 95 Everger, Ebf. v. Köln 98 Fortunatus, Biograph Radegunds 21 Franko, Bf. v. Worms 28, 35, 37 Friedrich, Erzbischof v. Köln 90 Friedrich, Ebf. v. Salzburg 55 Galbert v. Brügge, Geschichtsschreiber 7, 173 Gebhard, Bf. v. Eichstätt = Papst Viktor II. 102

Personenregister Gebhard, Bf. v. Salzburg 135 Gerberga, Äbtissin v. Gandersheim 48f. Gerberga, Witwe d. Böhmenhgs. 144 Gerdag, Bf. v. Hildesheim 49 Gerhoch, Abt v. Göttweig 129 Gisela, Ksn. 94, 105 Godehard, Bf. v. Hildesheim lf., 20, 23, 41-81, 143 Gottschalk, Bf. v. Freising 57, 59 Gozwin, Mainzer Domscholaster, Verfasser einer Albanslegende 95, 123, 125 Gregor d. Gr., Papst 12, 15, 87, 111 Gregor VI., Papst 92, 96 Gregor VII., Papst 92, 95f., 99, 101, 129, 132, 135 Gunther, Eremit in Gellingen und Böhmen 71ff., 75 Hananias, Gestalt aus d. Apg. 74 Hannas 153 Hartmann, Abt v. Göttweig u. St. Nikolaus 131ff., 136ff., 143 Hebelin v. Heymbach, Geschichtsschreiber 100 Heinrich, Ebf. v. Köln 158 Heinrich d. Zänker, Hg. v. Bayern 45, 66 Heinrich IV., Hg. v. Bayern, später Ks. Heinrich D. 37, 44f. 47, 55, 58, 66 Heinrich II., Ks. 22, 28f., 37, 41, 44, 50f., 56, 59f., 66f., 72, 76, 88, 91 Heinrich ffl., Ks. 62, 76, 84, 91, 95, 103, 105, 123f., 135, 155, 158 Heinrich IV., Ks. 102f., 124, 132, 135, 147, 150, 153-156, 160, 166f. Heinrich Pfalzgf. v. Lothringen 155, 158, 166 Heinrich d. Zänker, Hg. v. Bayern 45, 66 Heribert, Ebf. v. Köln 22, 83-99 Hermann, Prior v. Siegburg 157, 160, 168 Hermann II., Ebf. v. Köln 85, 91, 95-98, 102f. Hermann HI., Ebf. v. Köln 169 Hezilo, Bf. v. Hildesheim 2, 20, 24, 62f., 65, 68, 74, 75-82, 172, 174f. Hildebrand = Gregor VII., Papst 92, 96 Hildewin, Kleriker in Hildesheim 71, 73ff., 78 Hildibert, Ebf. v. Mainz 93, 101 Hildolf, Ebf. v. Köln 168, 170 Hrotsvith v. Gandersheim 48

203

Jojada, bibl. Priester 155 Johannes, Abt v. Gorze 161 Johannes, Evangelist 89 Johannes X m . , Papst 94, 95, 124 Johannes v. Salisbury, Philosoph 13, 22 Johannes, schottischer Inkluse bei Göttweig 137 Jordanis, Geschichtsschreiber 137 Karl d. Gr., Ks. 11, 66, 68 Karlmann 65 Karl Martell 65 Konrad, Propst v. Göttweig 132, 136 Konrad II., Ks. 30, 37, 51, 58, 60, 65, 111, 114, 135 Kuno, Abt v. Siegburg u. Bf. v. Regensburg 147, 170 Lampert v. Hersfeld, Geschichtsschreiber 122f., 147-149, 153f., 156, 158ff., 165, 168 Lantbert, Biograph Bf. Heriberts v. Köln 83-92, 98 Laurentius, Hl. 161 Lazarus, bibl. Gestalt 35, 162 Lea, bibl. Gestalt 87, 91 Leo IX., Papst 85, 91, 94-99, lOlff., 108, 118ff., 124f„ 173f. Leopold n., Mgf. d. bayer. Ostmark 144 Leopold HI., Mgf. d. bayer. Ostmark 144 Liemar, Ebf. v. Bremen 172 Liudolf, Hg. v. Sachsen 47 Liutpold, Ebf. v. Mainz 102ff., 109, 125f., 174 Liutfried, Lehrer Bf. Godehards v. Hildesheim 55, 65 Ludwig d. Fromme, Ks. 85 Luydnand, Fuldaer Mönch 120

Immo Kanoniker in Worms 27, 38 Innozenz II., Papst 140, 143 Isaak 11

Maria, Mutter Jesu 63, 75, 97, 142f., 163, 165 Maria v. Bethanien, bibl. Gestalt 87, 91 Marie de France, Dichterin 9 Markward, Abt v. Deutz 89f. Markwart, Bf. v. Hildesheim 48 Martha v. Bethanien, bibl. Gestalt 87, 91 Martin, Hl. 55, 91 Maternus, Hl., Ebf. v. Trier 93f., 95 Mathilde, Schwester Bf. Burchards v. Worms, Äbtissin d. Kanonissenstiftes Nonnenmünster v. Worms 28, 30, 32f„ 35, 38 Megingoz, Bf. v. Eichstätt 46, 57 Meinhard, Domscholaster in Bamberg 147, 170 Michael, Patriarch v. Konstantinopel 97

Jakobus, Apostel 89 Jesus 11, 15, 21, 88, 149, 153, 164 Joas, bibl. Kg. 155

Nanzo, Propst v. Göttweig 133, 135, 141 Nikolaus, Hl. 152 Nilus, Hl. 35

204

Personenregister

Norbert, Abt v. Iburg 169 Norix, Herkulessohn 138 Oda, Gem. Herzog Liudolfs v. Sachsen 47 Odilo, Abt v. Cluny 22 Orosius, röm. Geschichtsschreiber 42 Osdag, Bf. v. Hildesheim 49 Otloh v. St. Emmeram 42, 122, 124f. Otto, Propst v. Göttweig 136 Otto I , Ks. 66, 93, 101 Otto II., Ks. 48, 95, 172, 174 Otto i n . , Ks. 28, 35, 37, 49, 66, 86f., 92 Otto, Propst v. Göttweig 135 Otwin, Bf. v. Hildesheim 75, 79 Oudalgisus, Lehrer Bf. Godehards v. Hildesheim 55, 65f. Oudilo, Hg. v. Bayern 65f. Paulus, Apostel, 15, 153 Paschalis II., Papst 140f. Petrus, Apostel. 9, 89, 90-93, 96f., 153 Pilgrim, Ebf. v. Köln 95 Pippin, Kg. 65f. Pippin III., der Kurze 65 Pirmin, Hl. 65f. Poppo, Abt v. Fulda 105, 120

Sigebod, Bf. v. Speyer 103 Sigewin, Ebf. v. Köln 168 Silvester II., Papst 92f., 98 Simeon, Hl. in Trier 149 Sokrates 14 Sophie, Tochter Ottos II. 48-51, 77f. Suidger, Bf. v. Bamberg = Clemens II., Papst 92 Tadilo, Magister d. Hildesheimer Domherren 69, Iii. Tertullian, Kirchenvater 15 Thangmar, Biograph Bf. Bemwards 42, 55 Theoderich = Dietrich Ebf. v. Trier 94f. Thietmar, Bf. v. Hildesheim 65, 78ff. Ulrich, Bf. v. Passau 140f. Unwan, Bf. v. Hamburg 67 Urban IL, Papst 140f. Valerius, Hl., Ebf. v. Trier 93f., 95 Viktor II., Papst 124f. Vinzenz v. Chieti, Hl. 91 Volkbert, Spötter Bf. Annos v. Köln 161 Volkward, Bf. v. Brandenburg 63 Vulkuld, Biograph Bf. Bardos v. Mainz 94, 100f., 103-108, 110f., 113f., 119, 123, 125f., 173, 175

Quintilian 9, 13f., 22 Rachel, bibl. Gestalt 87, 91 Radegunde, Kgn. 21 Ratmund, Vater Bf. Godehards v. Hildesheim 42, 61, 65 Ratmund, Neffe Wolheres, Abt v. Niederaltaich 44, 56, 60, 174 Razo, Bf. v. Worms 37 Reginbert, Bf. v. Passau 143, 145, 172, 174 Reginhard, Abt v. Siegburg 146-148, 166-170 Reginmar, Bf. v. Passau 133, 135f., 138, 140-145 Remaclus, Hl. 150f. Richard, Abt v. Fulda l l l f f . , 115, 120f., 124 Richeza, Kgin. v. Polen 15 lf. Rohing, Abt v. Fulda 120 Rudolf, v. Rheinfelden, Hg. v. Schwaben, Gegenkg. 132, 140 Rupert, Abt v. Deutz 90f. Rupert, Abt v. Göttweig 139 Samuel, bibl. Priester 91f. Scholastica, Hl. 91 Sergius, Hl. 47 Severin, Hl. 163 Sibylle, Weissagerin d. Antike 134 Siegfried, Abt v. Fulda u. Ebf. v. Mainz 95, 102, 109, 110, 123, 125, 174

Walter, Bf. v. Speyer 26, 28 Werinbold, Abt v. Deutz 83f. Werner, Bf. v. Straßburg 53, 67 Wibert, Ebf. v. Ravenna = Clemens HI. Gegenpapst 135 Widerad, Abt v. Fulda 125 Widukind, Geschichtsschreiber 137 Wigbert, Bf. v. Hildesheim 48 Wigger, Bf. v. Verden 53 Wilhelm der Eroberer 7 Willibald, Biograph d. hl. Bonifatius 104 Willigis, Ebf. v. Mainz 28, 30, 48ff., 53f., 59, lOlff. Windilgart, Äbtissin v. Gandersheim 48 Wolfgang, Bf. v. Regensburg 57 Wolfhelm, Abt v. Brauweiler 152ff. Wolfhere, Domherr in Hildesheim, Biograph Bf. Godehards v. Hildesheim lf., 20, 24, 41-61, 62-81, 172 Zacharias, bibl. Gestalt 86 Zacharias, Papst 65f.