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German Pages 46 [92] Year 1881
Grun-?iig'e der
Glaubens- nnd Sittenlehre für den
evangelischen Religionsunterricht
an höheren Lehranstalten VON
Dr. G. Schwertzell, vrd. Lehrer am Kgl. Gymnasium zu Bonn.
Bonn, E d ii st rb Weber's Verlag. (Julius Flittner.)
Usrwort. In der vorliegenden Arbeit ist ein Versuch gemacht, den
Stoff für den systematischen Teil des Religionsunterrichtes, also speziell das Pensum der obersten Klassenstufe, selbständig zu be
handeln ; sie will die Summe religiös-sittlicher Wahrheiten, welche die Schule ihrem in das Leben hinaus tretenden Zögling mitzu geben verpflichtet ist, zu einem gefestigten und persönlichen Eigentum machen helfen.
unveräußerlichen
Es kann dies nicht geschehen, wenn nicht die religiöse Bildung als ein notwendiges Glied in den Gesamtorganismus der Geistes
bildung
eingefügt wird; so wird man auch hier überall das das positiv Christliche zu dem natürlichen
Bestreben erkennen,
Bewußtsein in die rechte Beziehung zu setzen und von dem einen auf das andere hinzuleiten, wie denn die wesentliche Einheit der
beiden Formen göttlicher Offenbarung eine Voraussetzung ist, ohne die ich mir weder eine Religionswissenschaft noch einen Religions unterricht zu denken vermag. Aus demselben Grunde habe ich es mir
angelegen sein lassen, einen inneren Zusammenhang mit verwandten Gegenständen
der
humanistischen Bildung,
wie
philosophischer
Propädeutik, Literatur, Geschichte, herzustellen. Daß ein Hülfsbuch grade für diesen Gegenstand nicht den Zweck verfolgen oder erfüllen kann, dem Lehrer das Wort aus dem Munde zu nehmen, ist selbstverständlich. So sieht auch dieses Büchlein voraus, daß es je nach den vorhandenen Bedürfnissen
und der subjektiven Auffassung mit Auswahl, Erweiterung, Um gestaltung wird benutzt werden müssen, und tritt mit dem beschei denen Wunsche in die Öffentlichkeit, dem Unterricht als eine Grundlage zu dienen, welche das leidige Diktieren unnötig macht oder doch möglichst einschränkt.
IV
Vorrede.
Wenn in dem speziellen Teil der Glaubenslehre auf die Unterscheidungslehren bezug genommen worden ist, so wird man
darin nicht einen Beweis konfessioneller Engherzigkeit finden wollen. Es schien mir dies Verfahren nicht nur deshalb geboten, um eine
Lücke im positiven Wissen an der rechten Stelle auszufüllen, sonbertt auch weil das Verständnis durch den Hinweis auf die kon krete Erscheinung erleichtert, hier und da sogar geradezu bedingt
Dafür, daß über dem Unterscheidenden das Gemeinsame nicht vergessen werde und dem Fremden bei aller Hochschätzung
wird.
des Eigenen die gebührende Würdigung widerfahre, glaube ich genügend gesorgt zu haben. — Das Ausschreiben der citierten Stellen ist grundsätzlich vermieden worden, nicht bloß
als über
flüssig, weil ein Hülfsbuch für den Religionsunterricht doch nur neben dem biblischen Texte gebraucht werden kann, sondern auch als pädagogisch bedenklich, weil durch dasselbe der gedankenlosen
Betrachtung außer dem Zusammenhänge, welche schon so manche
Verwirrung angerichtet hat, zu leicht Vorschub geleistet wird.
Ob und wieweit es mir gelungen sein mag, meine Arbeit der Religion und der Schule dienstbar zu machen, das zu entscheiden
überlasse ich dem Urteil der Berufenen.
Berichtigende und mit
teilende Bemerkungen werde ich von jeder Seite dankbar entgegen nehmen. Sollten sich die vorliegenden „Grundzüge" für ihren
Zweck brauchbar erweisen, so denke ich dieselben noch durch eine andere Abteilung zu ergänzen, welche, mehr auf das Bedürfiris der mittleren Klassen berechnet, einen Abriß der Bibclkunde, der
Kirchengcschichte und
das Nötige über den Kultus enthalten soll.
Bonn, im September 1881.
D. B.
Inhaltsübersicht Glaubenslehre. Die Grundwahrheiten -er Religion und des Christentums. Seite § 1. Psychologische Grundlage.................................................................. 1 § 2. Psychologischer Ursprung der Religion............................................. 2 § 3. Religion, Glaube, Sittlichkeit.............................................................. 3 § 4. Natürliche und geoffenbarte Religion............................................. 4 § 5. Christliche Offenbarung...................................................................... 5 § 6. Positive und Vernunftreligion.......................................................... 6 § 7. Gottes Wesen und Eigenschaften...................................................... 7 § 8. Beweise für das Dasein Gottes.......................................................... 7 § 9. Historische Formen der Gottesvorstellung und der Religionen . . 9 § 10. Monotheismus. Gott und die Welt. ..................................................13 §11. Die monotheistischen Religionen............................................................ 15 § 12. Forts. Das Christentum in seinem Verhältnis zu den übrigen Religionen..................................................................................................16 § 13. Die PersonJesu Christi............................................................................17 § 14. Das WerkJesuChristi................................................................................18 § 15. Trinität.....................................................................................................19
A.
B.
Allgemeiner Teil.
Spezieller Teil.
Die wichtigsten besonderen Glaubenssätze mit
Derückstchtigung der Konfesstonellen Gigentümlichketten.
I. § 16. §17. § 18 § 19. § 20. § 21. § 22. § 23.
§ § § § § § § §
24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31.
Die Quellen.
Bedeutung und Zweck der kirchlichen Symbole.................................. 21 Allgemeinchristliche (ökumenische) Symbole........................................... 22 Katholische Symbole.................................................................................23 Lutherisch-evangelische Symbole. Augsburgische Konfession ... 24 Fortsetzung.................................................................................................. 25 Reformierte Symbole. I. aus Deutschland........................................... 26 II. Außerdeutsche reformierte Symbole................................................... 27 Der Bekenntnisstandpunkt der Union....................................................27 II. Die Lehren. Erkenntnisquelle der christlichenWahrheit............................................ 28 Menschliche Natur.................................................................................... 30 Rechtfertigung............................................................................................ 31 Forts. Gnadenwahl. Heiligenverehrung.......................................... 32 Glaube........................... 33 Die Sakramente im allgemeinen........................................................... 34 Die einzelnen Sakramente....................................................................... 35 Kirche..........................................................................................................37
Sittenlehre. A. Allgemeiner Teil. Prinzipienlehrr. § 32. Begriff und Name der Sittenlehre....................................................... 39 § 33. Sittengesetz..................................................................................................39
VI
Inhaltsübersicht.
I
Seite § § 8 § § § § § § §
34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43.
Grundprinzipien des sittlichen Handelns.Übersicht................................ 40 Das formale Prinzip oder das Prinzip derFreiheit.............................. 41 Ungenaue Auffassungen der Freiheit.......................................................... 42 Verantwortlichkeit........................................................................................... 43 Strafe.................................................................................................................44 Das materiale Prinzip oder das Prinzip desGuten............................ 45 Das Böse. Die Sünde................................................................................. 46 Ursprung des Bösen...................................................................................... 47 Charakter und Gewissen.................................................................................. 49 Vergeltung.......................................................................................................... 50
Anhan g. Überblick über die Geschichte der Sittenlehrc. § 44. Griechen............................................................................................................. 52 §45. Römer..................................................................................................................54 § 46. Judentum........................................................................................................55 § 47. SittenlehrcJesu und der Apostel............................................................. 55 § 48. Mittelalter....................................................................................................... 57 § 49. Reformation........................................... 58
B.
Spezieller Teil. Wichtenleyre.
§ 50. Pflicht und Tugend........................................................................................... 60
§ § § § §
51. 52. 53. 54. 55.
I. Selbstpflichten. Allgemeines und Einteilung........................................................................ 60 Die Selbsterhaltung...................................................................................... 61 Der sittliche Gebrauch äußerer Güter.......................................................62 Ausbildung der Erkenntnis.......................................................................... 63 Ausbildung des Willens................................................................................... 65 II.
Nächstenpflichten (Socialpflichten).
§ 56. Übersicht...........................
65
a. Allgemeine Pflichten gegen alle. § § § § § § § § §
57. Rechtspflichtcn. Allgemeines..........................................................................65 58. Die Achtung vor dem Leben............................ 66 59. Die Achtung vor der Freiheit ..................... '............................................. 67 60. Die Achtung vor der Ehre........................................................................ 68 61. Die Achtung vor der Wahrheit....................................................................69 62. Die Achtung vor dem Eigentum............................................................... 70 63. LiebesPflichten. Allgemeines.........................................................................71 64. Äußerung der Liebcspflichten.........................................................................72 65. Fortsetzung........................................................................................................ 73
8 § § § § § §
66. 67. 68. 69. 70. 71. 72.
b.
Spezielle Pflichten in besonderen Verhältnissen.
Allgemeines.........................................................................................................73 Freundschaft....................................................................................................74 Familie............................................................................................................. 75 Fortsetzung. Die Ehe...................................................................................76 Staat.................................................................................................................78 Bürgerpflichten des Christen.........................................................................80 Kirche....................................................................................................................81
Glaubenslehre. A. Allgemeiner Teil. Die Grundwahrheiten der
Religion und des Christentums. § 1. Psychologische Grundlage. 1. Das eigentümliche geistige Leben des Menschen beginnt mit der Entwickelung des Selbstbewußtseins, d. h. der Fähig
keit, in verschiedenen Zuständen sich selbst als identisch wiederzu oder den Begriff des Ich als eines unveränderlichen Mittelpunktes seines Seins zu bilden. Das Selbstbewußtsein entsteht und schärft sich durch den Gegensatz gegen die Außen
erkennen
welt; es enthält deshalb stets in sich den Gegensatz von Ich und Nicht-Jch, Subjekt und Objekt. Das von dem vollendeten Selbst bewußtsein durchdrungene und damit auch der Selbstbestimmung
fähige Wesen des Menschen nennen wir Persönlichkeit; sie ist es, welche das menschliche Seelenleben über das tierische erhebt. 2. Alles geistige Leben ist Äußerung des Selbstbewußtseins. Selbständige Seelenvermögen gibt es nicht, sondern nur verschie dene Erscheinungsformen des Selbstbewußtseins je nach
der Beziehung der in demselben enthaltenen Gegensätze aufeinan Ist die Beziehung eine für das Bewußtsein unmittelbare, d. h. enthält das Bewußtsein nichts als das eigne Ich unter der thatsächlich Vorgefundenen Einwirkung eines Objektes, also in dem
der.
Zustande des Ich Subjekt und Objekt zugleich ohne besondere unterscheidende und vermittelnde Thätigkeit des ersteren, so tritt
das Selbstbewußtsein in
der Form des Gefühles auf; ist sie
2
A. Allg. Teil.
Die Grundwahrheiten d- Religion u. d. Christentums,
dagegen eine mittelbare, d. h. wird der bewußte Gegensatz erst
durch eine vermittelnde Thätigkeit des Subjektes wieder überwun
den, so zeigt sich das Selbstbewußtsein entweder, wenn das Ob jektive vorwiegt, mehr receptiv als Erkenntnis, oder, wenn das Subjektive das Vorherrschende ist, mehr spontan als Wille. 3. In der Natur dieser drei Hauptthätigkeiten des Geistes als Äußerungen des einen Selbstbewußtseins liegt es, daß so
wohl zwischen Erkennen und Wollen unter sich, als auch zwischen beiden und dem Gefühle beständig Übergang und Wechselwirkung stattsinden. Kein Erkennen und Wollen, das nicht durch Gefühls akte eingeführt und geleitet würde, keine Regung des Gefühles, welche nicht im fortschreitenden Bewußtfein Erkenntnis und Wille zu werden strebte.
§ 2. Psychologischer Ursprung der Ueligion. Zu allem außer ihm Seienden
steht der Mensch in dem
Verhältnis relativer Freiheit und relativer Abhängigkeit, insofern
er auf alles bestimmend beschränkt wird.
alles
einzuwirken
Außer
vermag, aber auch durch
dieser
bedingten
Abhängigkeit
aber erkennt er auch eine unbedingte Abhängigkeit, der er mit allem Äußeren unterliegt. Als das Sicherste und Freieste erscheint dem Menschen die eigne Gedankenwelt, und grade hier kündigt sich
ihm jene Abhängigkeit in Gestalt der seinem Inneren eingepflanzten logischen und sittlichen Gesetze so unwandelbar, mit so gebieterischer
Stärke an, daß er mit der Leugnung der ihn beherrschenden Notwen digkeit sein eignes Fühlen, Erkennen und Wollen leugnen würde.
Er fragt nach dem Grunde dieser Abhängigkeit und nennt ihn Gott; alle Beziehung zu ihm faßt er in dem Begriffe der Reli gion zusammen. So liegt der Anfang des Gottesbewußtseins
und die Anlage
zur Religion in der
Tiefe des menschlichen
Seelenlebens selbst, in der geistigen Thätigkeit, durch welche das Selbstbewußtsein den letzten Grund seiner selbst zu seinem Gegen stände zu machen strebt.
Die erste Form der Religion kann nur die des Gefühles sein, weil jenem Gegenstände gegenüber das Subjekt nicht selb ständig sein kann, also ein mittelbares, bloß erkennendes und
§ 2. Psychologischer Ursprung der Religion.
wollendes Selbstbewußtsein zunächst nicht möglich ist.
3
So ist
das religiöse Leben eine Thätigkeit nicht gegenüber, sondern in Gott (Apg. 17, 28). Religion ist also ihrem psychologischen Ur sprünge nach Gefühl unbedingter Abhängigkeit.
Das Wort Religion, welches für die Kulturvölker des Abend landes zu einem gemeinschaftlichen Symbol für den durch kein Wort vollständig zu bezeichnenden Begriff geworden, ist nach Cicero (de nat. deor. II, 28 qui omnia, quae ad cultum deorum pertinerent, diligenter retractarent et tanquam relegerent, sunt dicti religiosi ex relegendo) von relegere (wiederholt vornehmen, betrachten, bedenken — retractare), nach Lactantius (inst. div. IV, 28 vinculo pietatis obstricti Deo et religati sumus) Von religare abzuleiten. Für Ciceros Erklärung spricht die römische Auffassung der religio (Ge wissensbedenken, nicht Verbindung) und die Sprache (legio, religens neben religiosus bei Gellius noct. Att. IV. 9, 1 religentem esse oportet at religiosumst nefas). Cie. de inv. II, 53 religio est quae superioris cuiusdam naturae, quam divinam vocant, curam caeremoniamque affert.
§ 3. 1.
Religion, Glaube, Sittlichkeit.
Nach dem Gesetze der Wechselwirkung zwischen den Äu
des
Selbstbewußtseins (§ 1, 3) unterliegt, wie jedes dieses mächtigste und tiefste aller Gefühle der Notwendigkeit, in die beiden anderen Formen des Selbstbe
ßerungen
Gefiihl, so besonders
wußtseins überzugehn. Obwohl also die Religion ihrem ursprüng lichen Wesen nach kein Wissen oder Thun ist, wirkt sie doch auf beides bestimmend und begleitend ein.
So entsteht ein religiöses
d. h. von dem Abhängigkeitsgefühl angeregtes
und bestimmtes
Erkennen, dessen Ergebnis das religiöse Wissen oder der Glaube, und ein religiöses Wollen, dessen Ergebnis das religiöse Thun oder die Sittlichkeit ist. Das Abhängigkeitsgefühl erhält sich in beiden Formen, seinem Wesen nach unverändert, nur in seinem Grade durch Wechselwirkung befestigt, dort als Gottesbewußt
sein, hier als Gewissen. 2. Das religiöse Wissen und das Wissen schlechthin, (natür liches, philosophisches Wissen) oder Glauben und Wissen (im
4
A. Allg. Teil.
Die Grundwahrheiten d. Religion u. d. Christentums,
engeren Sinne) unterscheiden sich nur durch ihren verschiedenen Ausgangspunkt; sie gehen in entgegengesetzter Richtung, aber den selben Weg; die Wahrheit, ihr gemeinschaftlicher Inhalt, kann nur eine sein.
Der Glaube beginnt unter dem Eindrücke einer abso
und verfolgt die Abhängigkeit von der selben bis in das einzelne (synthetisch), das Wissen beginnt unter dem Eindruck einer Einzelerscheinung und verfolgt den Zusammen luten Macht über alles
hang derselben bis zur Erkenntnis einer höchsten und allgemeinsten Notwendigkeit (analytisch).
Jener geht von dem Grunde aus,
dieses von dem Begründeten; das Abhängigkeitsgefühl steht beim Glauben am Anfang, beim Wissen am Ende. Der Glaube ist nicht ein bedingungsloses Fürwahrhalten, sondern eine zum per sönlichen Gefühl gewordene Gewißheit; so führt jedes Wissen,
wie es von Glaubenselementen ausgeht, zum Glauben zurück, der Glaube aber ist in sich selbst unfertig, wenn er nicht durch das Erkennen hindurchgegangen ist.
Daher gilt das Wort Joh.
20, 29 (vgl. Hebr. 11, 1): „selig sind, die nicht sehen und doch glauben", nicht von dem, der bedingungslos hinnimmt, sondern
vielmehr von dem, dessen innere Gewißheit der Bestätigung durch das trügerische, vereinzelte Sinnenbild entbehren kann. Das credo ut intellegam findet in dem intellego ut credam seine notwen Unvereinbar mit dem Wissen ist nur der Aber glaube und der blinde Autoritätsglaube, welcher nicht auf dem Grunde persönlicher Überzeugung ruht. dige Ergänzung.
§ 4.
Natürliche und geoffenbarte Ketigion.
1. Je nachdem der Ursprung der Religion auf die mensch
liche Natur allein oder auf eine besondere Mitteilung Gottes an die Menschen zurückgeführt wird, unterscheidet man natürliche und geoffenbarte Religion. Da im weiteren Sinne auch das natürliche Bewußtsein und die Natur überhaupt zu den Mitteln der göttlichen Offenbarung gehört,
so
ist hier im Gegensatz
zu dieser allgemeinen Offen
barung nur die besondere oder positive Offenbarung gemeint,
welche durch besondere geschichtliche Ereignisse, nicht durch die zu
allen Zeiten in gleicher Weise vorhandene Beschaffenheit der Na-
5
§ 4. Natürliche und geoffenbarte Religion.
tut vermittelt wird. Offenbarung durch das natürliche Gewissen Röm. 2, 14—15. Beide Formen der Offenbarung Psalm 19. 2. Jene Unterscheidung ist falsch, wenn man damit zwei voneinander unabhängige Formen des Ursprungs anstatt zweier Entwicklungsstufen bezeichnen will. Der erste Ursprung der Religion kann nur im inneren Leben des Menschen gesucht wer den; dieselbe wird also durch eine von außen kommende Mittei lung niemals vollständig gegeben, wohl aber geweckt, angeregt, entwickelt. Wie das natürliche Gefühl der Klärung, Leitung und Vollendung durch eine mitteilende Offenbarung bedarf, so ist die Möglichkeit und Wirkung der Offenbarung bedingt durch die entgegenkommende Empfänglichkeit, welche sie vorfindet*). Die geoffenbarte Religion setzt daher die natürliche voraus und begreift sie in sich. Einseitige Betonung der natürlichen Religion im Deismus und Rationalismus (§ 10, 2), der geoffenbarten im Supranatura lismus.
§ 5.
Christliche Offenbarung.
Durch die hinzutretende Offenbarung muß die Religion aus dem Zustande der Zeitlosigkeit in das Gebiet der-Zeit und Ge schichte übertreten, und da der Anspruch aus den Besitz einer Offenbarung zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Seiten erhoben worden ist, so ist eine Vielheit von geschichtlichen Religi onen entstanden, welche sämtlich nach der Verschiedenheit der von ihnen beanspruchten Offenbarung mannigfache Entwicklungsformen der natürlichen Religion darstellen. Unter den geschichtlichen Re ligionen ist das Christentum deshalb die höchste und letzte, weil nur seine besondere Offenbarung 1) aus sich selbst und durch ihre Wirkungen, oder vor der Vernunft und durch die Erfahrung, ihren göttlichen Ursprung zu erweisen vermag, 1)
Wär' nicht das Auge sönnenhaft, Die Sonne konnt' es nie erblicken;
Lüg' nicht in uns des Gottes eigne Kraft, Wie könnt' uns Göttliches entzücken?
(Goethe.)
6
A. Allg. Teil.
Die Grundwahrheiten d. Religion u. d. Christentums.
2) dem Zwecke der Reinigung und Entwicklung der natür lichen Anlage allein entspricht, während in anderen Religionen letztere durch die angebliche Offenbarung irregeleitet und gebun den wird. Das Christentum ist also eine (geoffenbarte) Religion, weil seine Eigentümlichkeit durch die von Jesus Christus ausgehende besondere Mitteilung bestimmt wird. Es ist aber auch dielnatür liche) Religion, weil diese Mitteilung darauf gerichtet ist, das natürliche religiöse Bewußtsein zur höchsten Vollendung zu ent wickeln.
§ 6.
Positive und Uernunftreligion.
1. Nach der Form ihres Daseins unterscheidet man Vernunftreligion: Religion als rein innere Angelegenheit und positive Religion: Religion zugleich in äußeren Formen. Das letztere ist besonders da gegeben, wo die Religion auf eine geschrie bene Überlieferung von Lehren und Satzungen eines Stifters, d. h. des Vermittlers ihrer Offenbarung, oder auf eine religiöse Urkunde, eine heilige Schrift, gegründet ist. 2. In der Wirklichkeit erweist sich die reine Vernunftreligion als eine Abstraktion und hat daher thatsächlich nie bestanden. Die Religion, wenn sie überhaupt wirklich sein soll, muß auf Allge meinheit Anspruch machen; sie „haßt die Einsamkeit" und kann nur als Sache einer Gemeinschaft existieren. Dadurch aber wird sie positiv, indem sie a) sich einen gemeinschaftlichen sprachlichen Ausdruck schafft, der insbesondere da, wo eine religiöse Urkunde vorhanden ist, die Stellung der Gemeinschaft zu derselben näher bestimmt: Bekennt nis (Symbol), b) dem allgemein menschlichen Bedürfnisse unterliegt, inneres Leben durch gemeinschaftliche Handlungen darzustellen und zu pflegen: Kultus. 3. Bekenntnis und Kultus sind durch den geistigen Gehalt der Religion bestimmt und haben als treuer Ausdruck des letzteren ihren Wert; die positive Religion muß erstarren und verfallen, sobald das natürliche Verhältnis sich umgekehrt und Buchstabe
§ 6. Positive u. Vernunftreligion.
und Ceremonie Ritualismus).
den Geist
§ 7. Gottes Wesen n. Eigenschaften. 7
beherrschen wollen (Orthodvxismus,
§ 7. Gottes Mesen und Eigenschaften. 1. Die natürliche Erkennbarkeit des
reinen Wesens Gottes
beschränkt sich (nach § 2) auf den in der Thatsache des Abhängig keitsgefühles gegebenen Satz: Gott ist der Grund unserer unbe dingten Abhängkeit. Alle übrige Erkenntnis Gottes ist Erkenntnis seiner mannigfaltigen Offenbarungen.
Der Begriff der unbedingten Abhängigkeit enthält die beiden wesentlichen Eigenschaften der Einheit und Unendlichkeit. Die Unendlichkeit
begreift
Allmacht (Luc. 1, 37.
Pf. 33, 9),
Ewigkeit (Pf. 90,2-4), Allgegenwart (Pf. 139, 7-10) als
Unendlichkeit gegenüber den Schranken des Könnens, der Zeit und des Raumes in sich. „Gott ist ein Geist" Joh. 4, 24. 2. Die Aufstellung anderer Eigenschaften entspringt dem natürlichen Bestreben, sich das höchste Wesen als möglichst voll kommen zu denken, wobei freilich das menschliche Wesen als Maß stab dienen muß, sodaß diese Eigenschaften nie ohne einen gewissen
Grad von Anthropomorphismus sein können und an das, was sie bezeichnen sollen, nicht vollständig heranreichen. So die Eigen schaften der Gerechtigkeit undHeiligkeit (Ps. 145, 17. Matth. 19, 17. Levit. 19, 2. Röm. 2, 11),
Treue (Jes. 54, 10), Weis der Herzenskündiger Apg. 1, 24. 1. Kor. 3, 4), Barmherzigkeit (Ps. 145, heit (Röm. 11, 33), Allwissenheit (Ps. 139, 1-4),
8. 14—16).
§ 8. Keweise für das Dasein Gottes. Mit der uilbedingten Abhängigkeit ist das Dasein Gottes (§ 2) für das menschliche Bewußtsein die erste und unabhängigste
Thatsache: in ihm leben, weben und sind wir. Die überlieferten für das Dasein Gottes leiden daher sämtlich an dem inneren Widersprüche, daß sie das Un logischen (vermittelnden) Beweise
abhängige von dem Abhängigen, die Voraussetzung von dem Be-
8
A. Allg. Teil.
Die Grundwahrheiten d. Religion u. d. Christentums,
dingten abhängig machen.
1) Der ontologische Beweis
stützt
sich auf den Begriff Gottes als des höchst vollkommenen Wesens, 2) der kosmologische oder Kausalitätsbeweis auf die Exis tenz der Welt, 3) der teleologische oder physiko-theologische B. auf die Zweckmäßigkeit der Welt,
auf die Idee eines
4) der Kantische Beweis
höchsten sittlichen Gutes und dessen Nichtver
wirklichung in der Welt und 5) der Beweis ex consensu gen tium auf die Allgemeinheit der Vorstellung von Gott.
1. Der ontologische B., aufgestellt von Anselm von Kanter-
bury, erneuert von Cartesius, stützt sich nicht auf äußere Gründe, sondern nur auf unsre Vorstellung vom Wesen (ov) Gottes. Logische Form: a, wir haben die Vorstellung von Gott als einem höchst
vollkommenen Wesen;
b, zur Vollkommenheit gehört das Dasein;
c, also muß Gott existieren. Allein nach a kann nur geschlossen werden, daß wir Gott als existierend denken müssen; außerdem gehört (b) das Dasein nicht zu den Eigenschaften,
also auch nicht
zur Vollkommenheit eines Dinges. 2. a, Die Welt existiert, b, alles, was existiert, hat eine Ur sache, c, also hat auch die Welt eine Ursache (Gott). Diese Ursache aber ist noch nicht Gott, weil nicht zugleich folgt, daß sie eine letzte,
unabhängige sei. 3. a, Überall in der Ordnung;
Welt finden wir Zweck (teXoi;) und
b, jede Zweckmäßigkeit setzt eine vor ihr seiende Idee
oder einen vernünftigen Urheber voraus; o, also verlangt auch die
Zweckmäßigkeit der Welt
Urhebers.
das Dasein eines höchsten, vernünftigen
Der Schluß beweist nur einen Urheber der Form, nicht
zugleich der Materie, nur einen Weltordner oder „Weltbaumeister",
nicht einen Weltschöpfer.
Der Begriff der Zweckmäßigkeit aber setzt
das Dasein eines Subjektes bereits voraus. 4. Kant, der in seiner „Kritik der reinen Vernunft"
die
Unmöglichkeit begründete, daß unsere Erkenntnis, weil sie auf Er fahrung ruht, sich auf übersinnliche Objekte (Gott, Unsterblichkeit,
Freiheit) erstrecken könne, erwies zum Ersatz der damit verworfenen theoretischen Beweise das Dasein Gottes als
eine Voraussetzung,
ein Postulat unsrer praktischen Vernunft oder des sittlichen Bewußt seins. a, unser sittliches Bewußtsein enthält die Forderung eines höchsten Gutes als der Vereinigung von Tugend und Glückseligkeit;
b, beide sind in der sinnlichen Welt nie vereinigt;
c, also muß es
9
§ 8. Beweise für das Dasein Gottes.
ein außerweltliches Wesen geben, das den Mangel ausgleicht und die Forderung der praktischen Vernunft erfüllt. Die Gültigkeit des Schlusses ist von der Anerkennung des Kantischen Standpunktes abhängig und der Satz b eine einseitige Voraussetzung (Rigoris mus § 43, 1). 5. Vielfach ausgesprochen, so von Cicero Tusc. I, 13. de legibus 1,8. a, bei allen Menschen finden wir die Vorstellung von Gott (nulla gens tarn fera, nemo omnium tarn immanis est, cuius meutern non imbuerit deorum opinio) b, eine bei allen sich findende Vor stellung ist als Naturwahrheit anzusehen (omni in re consensio omnium gentium lex naturae putanda est) c, also ist das Dasein Gottes eine Naturwahrheit. Abgesehen davon, daß der Beweis nur in den Schranken unserer Erfahrung gültig ist, zeigt er nur die Naturnotwendigkeit der Vorstellung von Gott.
§ 9. Historische Formen -er GottesvorstrUung und -er Religionen. Die Eigentümlichkeit einer Religion und der Grad ihrer Vollkommenheit ist bedingt durch die Art ihrer Gottesvorstellung. Danach ergibt sich folgende Stufenreihe: 1. Gott vorgestellt in der Form der sinnlichen ' Natur. Naturdienst. a. Wechselnder Kultus eines willkürlich gewählten Naturgegenstandes. Fetischdienst. b. Dauernder Kultus eines bestimmten, c auf gründ seiner großartigen oder furcht o baren, fegen- oder verderbenbringenden Eigen ÖD schaften als göttlich anerkannten Naturge genstandes. Sonnen-, Feuer- oder Stern dienst (Sabäismus). 2. Gott vorgestcllt in der Form der idealisierten Natur. Polytheismus. a. Kultus der idealisierten Naturkraft. Jranier, Inder, Germanen. b. Kultus des idealisierten Menschen. Griechen und Römer. 3.Gott vorgestellt als der eine und unendliche. Mono theismus.
>
10
Die Grundwahrheiten d. Religion u. d. Christentums.
A. Allg. Teil.
la. Roheste Form aller Religion, besonders unter den Neger stämmen in Centralafrika heimisch. Fetisch (portugiesisch feitigo = Zauberei,
vom lat. facticius, künstlich gemacht),
ist ein beliebiges,
durch des Menschen Laune mit Zauberkraft ausgestattetes Ding, das ebenso leicht, wenn es
seine Zauberkraft nicht bewährt, durch ein
anderes ersetzt wird. lb. Ein Fortschritt zeigt sich da, wo der Naturgegenstand wenigstens nach objektiven Gründen gewählt und darum auch dauernd verehrt wird.
Die Rücksicht auf die dem Menschen nützlichen oder
schädlichen Eigenschaften ist hier das Entscheidende, daher auf dieser Stufe besonders Verehrung des Lichtes (Sonne, Feuer, Sterne)
als Bedingung alles Lebens.
Das Wort Sabäer, ursprünglich =
Araber, bezeichnet später die Sterndiener überhaupt. Hierher ge hört die Religion der Jranier (Perser) in ihrer ältesten Form: der Sonnengott Mithras, ihm gegenüber die verdorrenden Winde und Sandstürme der Wüste als schädliche Gottheiten. Ähnlich bei Babyloniern und Assyrern (Sonnengott Bal = Herr, Mond
göttin Mylitta), Syrern und Phöniziern (Moloch, im A. T. Bal, und Astarte). Auch die Ägypter gingen vom Sonnenkultus
aus; Uha—khra der Sonnengott (daher Pharao), Apis (das goldene Kalb) Sinnbild der erzeugenden Sonne, Osiris des Nils und seiner
befruchtenden Thätigkeit. 2. Die Natur wird idealisiert, wenn ihre Gegenstände durch
das Denken veredelt, zu Symbolen geistiger und sittlicher Kräfte werden, wobei entweder von der Naturkraft (a) oder von der Menschennatur (b) ausgegangen werden kann. Alle Religionen dieser Stufe zeigen deutlich das Hervorgehen aus dem sinnlichen Naturdienst. 2a. In der Religion der Jranier (Baktrer, Meder, Per ser) wird die Entwicklung vollzogen durch Zoroaster (Zarathustra, um 1300 v. Chr. Moses' Zeitgenosse).
Der Naturgegensatz zwischen
schädlichen und nützlichen Wesen wird zum sittlichen Gegensatze, so daß Licht und Finsternis das Gute und Böse symbolisieren (Dualis mus). Ormuzd (Ahuramazda, mit dem älteren Mithras verschmolzen) und Ahriman. Die Sittenlehre gründet sich darauf, daß die Men schenseele das Feld des heftigsten Kampfes zwischen den Geistern beider Reiche ist.
Zend-Avesta).
Religiöse Urkunde das Avesta (nach der Sprache
Zoroasters Anhänger, vom Islam nach Osten
ge-
§ 9. Historische Formen der Gottesvorstellung und der Religionen.
11
— Die i ir disch e n Gottheiten Brahma (masc.), Wischnn, Schiwa (ursprüng lich Götter verschiedener Stämme) stellen das Naturleben in seiner drängt, haben sich noch in Indien erhalten (Parsen).
erzeugenden,
erhaltenden,
zerstörenden
Kraft dar;
Urkunde die Veda's.
Einheit das Brahma.
ihre
abstrakte
Unzufrieden mit dem
Ceremonien- und Kastenwesen (Brahminen), mit der Buchstabenherr schaft der Veda's,
unternahm
Buddha (— Weiser,
es um 500 v. Chr. der Königssohn
eigentlich Gautama
Religion zu vergeistigen.
oder Sakjamuni), die
Aus der einen und unsichtbaren Gottheit,
deren Zustand das reine Nichts (Nirwana) d. h. die absolute Auf
hebung
von Lust und Leid, Ruhe und Bewegung
aller Gegensätze
ist, gehen Welt und Menschen durch Emanation hervor, um wieder
Das Menschenleben ist eine Zeit der Läute
in sie zurückzukehren.
rung und Strafe für eine in der Präexistenz
begangene Sünde; wer die Prüfung nicht besteht, muß die Erdenwallfahrt fortsetzen (Seelenwanderung). Diese Auffassung und die Richtung auf das
Nirwana
nehmen
dem Leben allen positiven Wert (Pessimismus),
Leben und Leiden ist eins, also auch Mitleben und Mitleiden, daher
das letztere die höchste, liche Tugend.
auch gegen Tiere streng zu übende, mensch
Der Buddhismus hat die große Masse seiner An
hänger in China, Japan, Hinterindien, während er in Vorderindien
durch die ältere Naturreligion wieder verdrängt ward, ist jedoch, da er eigentlich keine Religion, sondern nur eine Lehre gab und daher
das praktische Bedürfnis nicht befriedigte, vielfach wieder zum nied rigen Götzendienst herabgesunken (Inkarnationen.
Der Dalailama
in Tibet).
Auch bei den Germanen finden wir ursprünglich Verehrung roher Naturmächte:
Sonne, Erde (Nerthus), Meer und den duali
stischen Gegensatz zwischen
einem Lichtreiche (muspel, muspelheimr)
und einem unterirdischen Reiche der Finsternis (niflheimr — Nebel
heim, nibelunge). Mit dem Emporkommen des Göttergeschlechtes der Äsen (12
männliche und 12 weibliche Gottheiten) tritt eine Erhebung in das sittliche Gebiet ein; die Äsen vertreten alles, was dem Germanen
hoch und bewundernswert erscheint, und überwinden das Böse (Loki, Vater der Hel oder Hellia, der Hüterin der Unterwelt, vgl. § 43 Anm.)
In ihrem Charakter ist die Naturseite noch erhalten, so ist
Wodan nicht bloß der Gott der Mannes- und Heldenkraft, sondern
12
Die Grundwahrheiten d. Religion u. d. Christentums,
A. Allg. Teil.
auch des Himmels und der Lust (wilder Jäger).
Von den Natur
kräften niederen Ranges erscheinen die äußeren als Riesen, die inneren als Zwerge (Kobolde, Elfen). Eigentümlich ist der Glaube an den einstigen Untergang der Welt durch den großen Weltbrand (muspilli, Götterdämmerung), welchen nicht die einzelnen Götter,
wohl aber die Gottheit selbst überdauern wird,
um fortan über
einer verjüngten Erde zu walten. Kein eigentlicher Priesterstand, wenig Bilder und Tempel (Tacitus Germ. 9), die Götterfeste sind zugleich Naturfeste, besonders
Sommer-
(Johannisfest) und Wintersonnenwende (Julfest); keine
Urkunde, nur Sagen und Lieder (Edda). 2b. Die griechische Volksreligion
wurzelt gleichfalls
in
dem Naturkultus (Ouranos, Gaia, Pontos, Helios, Titanen und Giganten). Die Erhebung der olympischen Götter nach dem Sturze des Kronos (Saturn) bezeichnet, wie bei den Germanen die der Äsen,
den Schritt der Idealisierung.
Die Beziehung auf die
Natur bleibt zum Teil (Apollo-Helios), aber ihrem Wesen nach sind die Götter von da an erhöhte Menschen, Personifikationen mensch licher Ideale, Tugenden und — Fehler; auch hier war, wie in der gesummten antiken Welt, „der Mensch das Maß aller Dinge" (§ 44). Die Beziehung der Götter auf die verschiedenen Seiten des mensch
lichen Lebens wird bei den Römern speziell zu einer Beziehung-auf die praktische Seite, Staat und Familie, daher die poesielose, mehr
rationalistische Weise ihrer Religion. Der griechische Geist vergöttert den Menschen (Heroen) und hat daher wohl vermocht, das Vorbild
für
die harmonische Ausbildung
des Reinmenschlichen,
menschlicher Kunstschönheit aufzustellen;
das
Ideal
aber die Kehrseite war die
Herabwürdigung des Göttlichen, welche dem religiösen Abhängigkeits gefühle keinen Raum ließ; mußten doch die Fehler der Götter zur Entschuldigung der Menschen dienen (Enrip. Hippol. 474: oii fdp
äXXo TTXrjv üßpn; Tab’ ecXTi Kpeiaauj baipbviuv eivai GeXeiv. Da
her
die Polemik der Philosophen (Lenophanes) gegen Homer und
Hesiod). Alle Naturreligionen bewegen sich notwendig im Anthro
pomorphismus.
notheismus
vor,
Germanen und Griechen bereiten auf den Mo
indem
ihre Religionen in mehreren Zügen die
eigne Unvollkommenheit und die Ahnung des Höheren bekennen. So bei den Germanen
die Idee des Götter- und Weltendes; bei
§ 10.
beiden die
Monotheismus.
Aufstellung eines
Gott und die Welt.
obersten Gottes
13
und besonders der
Glaube an ein über Göttern und Menschen waltendes Schicksal; hier die juoipai, Parzen (abstrakt poTpa, fatum; Verhältnis zu Zeus bei Homer?), dort die drei Nornen Wurt (das Gewordene, die Todesnorne, im Heliand — Tod), Werdandi (das Werdende, Gegen wart), Scult (das Sollende, Zukunft).
§ 10.
Monotheismus.
Gott und die Mett.
Eine unvollkommene Form des Monotheisnlus zeigt die dualistische Vorstellung, welche auf der Unfähigkeit beruht, dem
Bösen eilte Stelle in der göttlichen Weltordnung anzuweisen. Die verschiedene Auffassung des Verhältnisses Gottes
zur Welt
be
dingt ferner die Unterschiede zwischen Deismus, Pantheismus und Theismus.
so daß
eine
Der erste trennt Gott und Welt vollständig,
unmittelbare Einwirkung Gottes auf diese ausge
schlossen ist; der Pantheismus setzt der absoluten Trennung den geraden Gegensatz einer absoluten Einheit oder Identität entgegen, so daß das Leben der Welt zugleich die Selbstverwirklichung Gottes ist. Der Theismus endlich, zwischen beiden Extremen die Mitte haltend, unterscheidet zwar streng die Welt als das Geschaffene und der Erhaltung Bedürftige von Gott als dem Schöpfer und Erhalter, fordert aber eben damit eine unausge setzte, unmittelbare Einwirkung Gottes auf das Leben der Welt. In der Natur des religiösen Abhängigkeitsgefühles liegt es, daß ihm allein die letzte Vorstellung entsprechen kann, wie denn auch in der That die Gegensätze des Deismus und Pantheismus mehr der Theorie angehören, die geschichtlichen Religionen dagegen
durchaus der theistischen Auffassung folgen.
1. Der Dualismus ist mit der unbedingten Abhängigkeit unvereinbar und fällt durch den Fortschritt zu einer tieferen Er
kenntnis von Wesen und Ursprung des Bösen in sich selbst zusammen (§ 41). Gott ist darum noch nicht Urheber des Bösen, wenn er
der menschlichen Persönlichkeit, um sie zu einer freien zu machen,
die Möglichkeit des Bösen anerschafft. 2. Die einzige unmittelbare Einwirkung Gottes auf die Welt erfolgt nach deistischer Ansicht in der Schöpfung; von da an gleicht
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A. Allg. Teil.
Die Grundwahrheiten d. Religion u. d. Christentums,
die Welt einer aufgezogenen Uljr1). Der Deismus der Neuzeit wollte durch seinen Grundsatz der Orthodoxie mit ihren Lehren vom Wunder,
der Weissagung, Inspiration den Boden entziehen;
im
Altertum vertrat ihn Epi kur. Zu allen Zeiten aber zeigt sich, daß der Deismus
von dem Atheismus nur dem Namen nach sich
unterscheidet'— der für die Welt gleichgültige Gott ist kein Gott —
und in seiner letzten Konsequenz auch zur Leugnung des Geistes in der Natur, zum Materialismus führen muß.
So gründet sich
auf Epikurs Götterlehre das System des antiken Materialismus (Lucretius de rerum natura § 45), und von dem englischen Deis mus des 17. Jahrhunderts ging die atheistische und materialistische Richtung in Frankreich aus (die Encyklopädisten, La Mettrie, das Systeme de la nature); in Deutschland trat der Deismus in der Form des Rationalismus auf, als Abneigung gegen alles Wun derbare in Religion und Poesie („Aufklärung"), überwunden durch Schleiermacher („Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern"
1799),
Herder
(„vom Geiste der hebräischen
Poesie" 1782). Vgl. Schiller „die Götter Griechenlands". 3. Für den Pantheismus lebt Gott in der Welt und fin det sein Selbstbewußtsein im menschlichen Geiste. Er ist das Lv Kai Träv, dem gegenüber
Erscheinungsformen
alle Einzelexistenzen nur vorübergehende sind, der Meereswelle vergleichbar,
(modi)
welche in diesem Augenblick aus dem unendlichen Ocean sich erhebt, um im nächsten wieder spurlos in ihm zu verschwinden.
Vertreter
des P. sind im Altertum die Eleaten (Xenophanes, Parmenides, Zeno), Heraklit „der Dunkele" aus Ephesus (navra pei), die Stoiker (die Welt der Leib Gottes, Gott die Seele der Welt;
das Seiende
erscheint von der leidenden und ruhenden Seite als
Materie, von der thätigen und lebendigen als Gott); in der Neu zeit besonders Benedikt (Baruch) Spinoza (f 1677. „Ethik", Ein-
1) Vgl. Schiller, Don Carlos III, 10 — ihn, Den Künstler wird man nicht gewahr, bescheiden Verhüllt er sich in ewige Gesetze; Die sieht der Freigeist, doch nicht ihn. Wozu Ein Gott? sagt er: die Welt ist sich genug. Und keines Christen Andacht hat ihn mehr Als dieses Freigeists Lästerung gepriesen.
§ 10.
Monotheismus.
fluß auf Lessing, Goethe,
Gott und die Welt.
Schleiermacher).
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Der Pantheismus ist
eine mehr poetische und phantasievolle als verständige Weltanschauung;
an die Stelle
des
bestimmten
Abhängigkeitsbewußtseins setzt
er
ein unklares Versinken in sich selbst, daher seine innere Verwandt schaft mit der Theosophie (Jakob Böhme t 1624) und dem Mysti
cismus (Meister Eckhart von Straßburg t 1329, Johannes Scheff
ler t 1677). 4. Wenn das Wunder nicht als eine Durchbrechung des Naturzusammenhanges (im Sinne der von dem Deismus bekämpften
Orthodoxie des 17. Jahrhunderts, die daher dem eigentlichen Wun
der noch ein miraculum suspensionis vorausgehen und ein m. restisondern als eine durch den Naturzusammen
tutionis folgen ließ),
hang vermittelte außerordentliche Offenbarung göttlicher Kräfte auf
gefaßt wird, so enthält es
an
sich nichts der natürlichen Vernunft
Widersprechendes. Freilich soll die Wahrheit des Christentums eben
sowenig auf dem Wunder beruhen, wie die Gewißheit des Glaubens, und Jesus selbst schalt das wundersüchtige Geschlecht, welches sehen
wollte, um glauben zu können (Matth. 12, 39. Joh. 4, 48, vgl.
§ 3, 2), daher die Prüfung der überlieferten Wunder unbedenklich
der historischen Forschung überlassen werden darf. Für den theistisch christlichen Standpunkt gelten Schleiermachers Worte: „Mir ist nichts ein Wunder, weil mir alles ein Wunder ist". Vgl. Lessing, Nathan I, 2 — „Der Wunder höchstes ist,
daß uns die wahren,
ächten
Wunder so alltäglich werden können —
§ 11. Die monotheistischen Religionen. Der Glaube an den einen und unendlichen Gott ist in der
Geschichte durch die drei Neligioneu des Judentums, des Is lam und des Christentums
vertreteu,
von
denen
jedoch die
zweite, als eine verfehlte Erneuerung der ersten, einen selbständigen inneren Wert um so weniger beanspruchen kann, da in ihr die
religiöse Wahrheit selbst von Anfang an dem Zwecke der Aus breitung und Herrschaft untergeordnet war. Dem reinen Mono theismus strebte im Altertum nur das Volk Israel nach, mit
strenger Betonung der Einheit, weniger freilich der Unendlichkeit und Geistigkeit des göttlichen Wesens, sodaß nicht nur stets ein
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A. Allg. Teil.
Die Grundwahrheiten d. Religion u. d. Christentums.
Rest von Anthropomorphismus blieb, sondern auch das Verhältnis
des Menschen zu Gott in äußerlicher Gesetzlichkeit aufzugehen drohte und die Volksreligion im ganzen sich aus den Schranken nationaler Engherzigkeit nicht zu erheben vermochte. In der klassischen Prophetie und Poesie aber bricht bereits die der christ lichen
geistesverwandte Ansicht
durch.
Psalm 50. 51, 18 —19.
Jes. 1, 11—18. Hos. 6, 6.
Mohamed selbst bezeichnete seine Religion als die unver fälschte Religion des „rechtgläubigen" Abraham, als Bestätigung der
Thora.
Koran (übersetzt von Ullmann 7. Aust.) Seite 41. 69.
285. 484. Thora, Evangelium und Koran 35. Juden und Christen
87.
Jesus
29—30.
29.
40. 87.
Strenge Betonung des Monotheismus
Mohamed nur Gesandter 47. 342.
Gegen die Trinität
74. 86. 103. Jesu Lehre entstellt 92. Alles ist auf Ausbreitung berechnet, daher neben der Forderung unbedingten Gehorsams (Jslani, Moslem) die Laxheit der Moral. „Gott will es euch leicht machen" 19. 285. „Wir legen einer Seele nicht mehr auf, als sie zu tragen vermag" 109. Polygamie 57 („alles, was hier nicht verboten, ist erlaubt").
Die wahre Gerechtigkeit
18.
Auch
die an den Sinnenreiz sich wendende Vergeltungslehre dient jenem Zweck. Paradies und Hölle 61 („die andere Haut"). 465—68. Jüngster Tag 542. Der heilige Krieg 20. Fatalismus 49. 63.
§ 12.
Fortsetzung. Das Christentum in seinem Verhältnis )u -en übrigen Religionen.
Die Erhabenheit des Christentums beruht darauf, daß in ihm seine geschichtliche Form und das ewige Wesen der Religion,
sein positiver und sein Vernunftinhalt, seine besondere, durch Lehre
und Person Jesu Christi gegebene Offenbarung und die göttliche Wahrheit der Religion selbst zusammenfallen (§ 4). Daher ist das Christentum nicht nur eine Religion, welche getragen von der mächtigen Wirkung einer
lebensvollen Persönlichkeit in die
Geschichte trat, sondern auch die Religion für alle Zeiten und
alle Völker, welche zwar mit allem Menschlichen liebevoll sich verbindet, aber doch, von dem Zufälligen, Beschränkten, Äußer-
§ 13.
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Die Person Jesu Christi.
lichen unabhängig, den erstarrenden Einfluß der Menschensatzung und den Wechsel der Zeiten überwinden und überdauern wird'). Nur diese Religion vermochte, 1) sich in der Vorstellung von Gott zu der vollkommenen Einheit und Unendlichkeit zu erheben und darum 2) der geistigen Vorstellung von Gott entspre chend auch das Verhältnis des Menschen zu Gott auf die zu verwirklichende Geistes Verwandschaft oder Gotteskindschaft (u'ioOeffia Röm. 8,15. Matth. 5,48), die Erhebung der Ges in n u n g zu Gott zu gründen: Idealismus und Universalismus des Chris tentums. Jener tritt beispielsweise besonders hervor in der Bergpredigt und Jesu Sittenlehre überhaupt (§ 47), der Rechtfertigung durch den Glauben, 2 Kor. 3, 6. Joh. 6, 63. Luc. 18 (Pharisäer und Zöllner); dieser in dem Gespräche mit der Samariterin Joh. 4 („weder auf diesem Berge noch zu Jerusalem — sondern im Geist und in der Wahrheit"), in den Personen des Paulus und Johannes, den Gleichnissen Luc. 10 (barmh. Samariter), 14 (gr. Abendmahl), 15 (verl. Sohn), 16 (vom armen Lazarus).
§ 13. Die Person Jesu Christi. 1. Jesus von Nazareth ist der Vermittler der christlichen Offenbarung, der Glaube au seine göttliche Sendung die notwen dige Voraussetzung des Christentums. Es ist der Gottmensch (0eäv6pwno