Grundrechtsschutz durch Verfassungswandel: Die Kommunikationsfreiheit in Australien: Eine rechtsvergleichende Betrachtung [1 ed.] 9783428503100, 9783428103102

Einhundert Jahre australische Verfassung - die Autorin nimmt dieses Jubiläum zum Anlaß, den verfassungsrechtlichen Schut

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German Pages 321 Year 2001

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Grundrechtsschutz durch Verfassungswandel: Die Kommunikationsfreiheit in Australien: Eine rechtsvergleichende Betrachtung [1 ed.]
 9783428503100, 9783428103102

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SABINE PITTROF

Grundrechtsschutz durch Verfassungswandel: Die Kommunikationsfreiheit in Australien

Schriften zum Internationalen Recht Band 124

Grundrechtsschutz durch Verfassungswandel: Die Kommunikationsfreiheit in Australien Eine rechtsvergleichende Betrachtung

Von

Sabine Pittrof

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Pittrof, Sabine:

Grundrechtsschutz durch Verfassungswandel : die Kommunikationsfreiheit in Australien : eine rechtsvergleichende Betrachtung I Sabine Pittrof. Berlin: Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum Internationalen Recht; Bd. 124) Zug!.: Heidelberg, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10310-6

Alle Rechte vorbehalten

© 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-10310-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Für Elisabeth, Dietmar und Ursula

Vorwort Viele Personen haben auf vielfaltige Weise zum Gelingen der vorliegenden Arbeit beigetragen, die im Sommersemester 2000 von der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation angenommen wurde. Ihnen allen bin ich dankbar verbunden. Aus dem Kreis der vielen seien stellvertretend einige hier erwähnt: Bedanken möchte ich mich bei meinem Doktorvater, Prof. Dr. Dr. h. c. Rüdiger Wolfrum, für die rasche Korrektur und die Zurverfügungstellung eines Platzes im Lesesaal des Max-Planck-Instituts in Heidelberg und bei Prof.Dr. Winfried Brugger, der mir durch zügiges Erstellen des Zweitgutachtens ebenso wie Prof. Dr. Dr. h. c. Rüdiger Wolfrum den schnellen Abschluß meines Promotionsverfahrens ermöglicht hat. Die Arbeit wurde durch ein Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes gefördert, wofür ich mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bedanke. Die Aufnahme in die Studienstiftung haben Prof. Dr. Herbeet Bethge, Prof. Gerard Rowe und natürlich mein Doktorvater, Prof. Dr. Dr. h. c. Rüdiger Wolfrum, freundlich befürwortet. Viele Mitdoktorandinnen und -doktoranden in Heidelberg haben mich stets aufmunternd unterstützt und in der Endphase der Promotion liebevoll umsorgt. Besonderer Dank gebührt Thilo Grutschnig für Marathonleistungen beim Korrekturlesen, Nachhilfe hinsichtlich der tieferen Geheimnisse der Zeichensetzung und zahlreiches Wiederbeleben von Computermäusen; Dr. Martin Braun, der bei rekordverdächtigen Sitzungen bewiesen hat, daß er und durch seinen Einsatz auch diese Arbeit "großes Format" hat; und Naoko Hirai für abwechslungsreiche Japanischstunden und freundliche Beherbergung. Familie Dr. Marta Le6n-Rösch danke ich ebenso wie Kerstin Mechlem für die Gastfreundschaft zu Zeiten der "Auswärtspromotion", Kai Ziegler für wertvolle Anregungen und Korrekturhinweise und Dr. Gregory Taylor für kurzfristiges Korrekturlesen. Große Unterstützung (nicht nur durch Korrekturlesen) haben mir stets meine Eltern Elisabeth und Dietmar Pittrof zukommen lassen; dafür sei Ihnen an dieser Stelle recht herzlich gedankt. Rosa Strauss bleibe ich in dankbarer Erinnerung verbunden. Furthermore, I would like to thank the Law Faculty of the University of New South Wales, Sydney, Australia, which allowed me as a visiting scholar to undertake a large part of the research required for this thesis. In particular, I would like to thank the staff of the Law Faculty and Law Library, who happily gave their time to discuss Australian legal concepts and provided considerable general support.

8

Vorwort

I am very grateful to my Australian friends who supported me in many ways during this project. I would like to mention in particular Wendy Ford, Anne Johnston and family, the FitzGerald family, and Joanne Murphy for providing "shelter" during short-term research visits to Sydney. While it is just not possible to mention everyone, I very much appreciate the support and friendship I experienced and which has made Australia become my "second home". Australia has taught me a great deal more than just the facts and theories required for my research for which I am most grateful. In addition to being a stimulating intellectual exercise, this thesis has enabled me to ernhark on a remarkable joumey of personal growth - thanks to all who played a part and made it possible. Frankfurt am Main, November 2000

Sabine Pittrof

Inhaltsübersicht Einleitung

I. Einführung zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Meinungsfreiheit im deutschen Recht- Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zugrundeliegende Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Australien . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . .. . . . .. . . . . . .. . .. .

21 21 23 23 24 25

Erstes Kapitel

Die Rechtslage in Australien I. Die australische Verfassung - eine Verfassung ohne Grundrechtskatalog . . . . . . . . . . . .

A. Geschichte . .. .. .. . .. . . .. .. . .. . . . . .. .. .. . . . .. . .. . . . . . .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. . . . . . .. . .. . B. Aufbau . . . .. .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. .. . . . . . .. . .. . C. Geschriebene Grundrechtsverbürgungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Bill of Rights-Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Rechtslage auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kritik an der Rechtsfortbildung des High Court .. . ...................... ..... . . .. C. Stellungnahme . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. .. .. . . . . . . . . . .. . . . . .. . . .. D. Landesrecht . ................. .. . . . ............... . ........................ . ... . . . .. 111. Rechtsschutz . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. .. .. . . . .. .. . . .. . . .. . . . .. .. .. .. .. . . . .. .. .. . . . . . . . . A. Nationale Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Internationale Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 28 28 30 32 45 54 55 166 175 181 199 200 204

Zweites Kapitel

Rechtsvergleichende Bewertung I. Einleitung .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. .. . . . .. .. . . .. . . . . . .. . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . .. . . . II. Vergleichende Bemerkungen auf dem Gebiet der Gewährleistung und des Schutzes von Meinungs- und Kommunikationsfreiheit .. . . . . . . . .. .. . . . . . . .. . . . .. .. . . . . . . . .. . . . A. Rechtsnatur . . .. .. .. .. . . . .. . .. . .. . . .. . . . .. . .. . .. . . . . .. . .. . .. .. . .. . . . .. . . . . . . . .. .. .. . B. Reichweite des Schutzbereiches .. ............. . ........ . ............... . . . ..... ... C. Inhaltliche Bestimmung der geschützten Freiheit . ... . . . . . ........ . .... . ....... .. . D. Freiheitsberechtigung und Freiheitsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Art des Schutzes . . . . . .. . . . .. . . . . .. .. .. . . . . . .. . . .. . . . .. . . .. .. . . .. .. . . . . . . . . . .. . . . . .. III. Vergleichende Bemerkungen im Bereich der Begrenzung der Meinungs- und Kornmunikationsfreiheit . .. .. .. . .. .. . . . . . . .. .. . .. .. .. . . . . . . . . . .. .. .. . . .. .. . . .. . . . . . . . . .. . . .

208 208 209 209 215 217 218 225 227

10

Inhaltsübersicht

A. Rechtliche Einordnung und Inhalt der Schrankenbestimmungen B. Kriterien zur Bestimmung der Grenzen .......... . . . . . . . . . . . .................... . . C. "Schranken-Schranken" oder die australische Wechselwirkungslehre . . ...... . .. . D. Die unterschiedlichen Rollen der Verhältnismäßigkeitsprüfungen ............... . IV. Weitere Vergleichspunkte ......... . . .... . ........... . . . . . . . . . ........... . .......... . . A. Verfassungswandel ........ . . . .................... ... . .. . . . .................. ... . . . B. Verfassungsinterpretation .. . ... . .................. ... . . . .. . ........... . . . .... . . . . . . C. Grundlegende Verfassungsprinzipien ............. . . . . . . . . . ............... . ...... . . D. Bundesverfassungsgericht und High Court als ,,Ersatzgesetzgeber" ............. . E. Verhältnis des Grundrechtsschutzes in Bund und Ländern ... . ..... . ........... . . . F. Meinungs-/Kommunikationsfreiheit im Verhältnis zu anderen Grundfreiheiten .. G. Rechtsfolgen von Verletzungen der Freiheit .......... . . . . . ... . ........... . ....... . H. Rechtsschutz- und Durchsetzungsmöglichkeiten . ..... . . . . .............. .. . . .... . .

227 228 236 238 240 240 242 246 249 253 255 256 259

Drittes Kapitel Fallbeispiele im Vergleich

I. Wahlwerbesendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Das Thema Parteiwerbung in beiden Ländern ..... .. . . . . . . ............... . . . . ... .. C. AC1V in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Wahlwerbesendung in Australien .... . . . .. . . ........ . . . . . ... . .... . ............ . .... II. Ehrenrührige Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Theophanous in Deutschland .. . . . ........... ... ...... . . . . . ........... . ... . . . ...... C. Lüth in Australien ........... . . ... ... .. ........... . . . . . . . . . ........... . ... . ........ 111. Berufliche Beschränkungen von Rechtsanwälten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Cunliffe in Deutschland .... . ..... . . . ... . . .. ......... . . . . . . . . . . . .................... C. Die Postulationsfähigkeitsentscheidung in Australien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wahlgle ichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. McGinty in Deutschland ..... . . . . . ...................... . . . ............... . . . ...... C. Überhangmandatsentscheidung in Australien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

262 262 262

264 265 271 272 273 274 276 278 278 279 280 283 283 284 286 287

Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Sachwort- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 16

Inhaltsverzeichnis Einleitung l. Einführung zum Thema . . . . .. . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . II. Meinungsfreiheit im deutschen Recht- Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zugrundeliegende Terminologie .. . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . .. .. . . . . . . . .. . . . . . . . .. . .. . A. Deutschland . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 1. Grundrecht . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . .. . 2. Meinungsfreiheit . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schranke .. .. . .. . . . .. . . . . . . .. .. . .. . . .. . . . . . . . .. . . . .. .. .. . . .. . . . . . .. . . . . . . . .. . . .. 4. Schranken-Schranken . .. . .. . .. .. . .. .. . .. . . . .. .. . .. .. . .. . . . . . . . . . .. . . .. . .. .. . . .. 5. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . .. . .. . .. . .. . . . . . . . . . . .. . . .. .. . . . . . .. . . .. . . . .. . . . . B. Australien...................... . .................. . . . . . . . . ......................... 1. Verfassungsfreiheit (constitutionalfreedom) . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . 2. Kompetenzbeschränkung (Iimitation on power) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Impliziertes Recht (implied right) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kommunikationsfreiheit ifreedom of communication) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Grenzen/Begrenzung der Verfassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Residualfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Einfaches Recht . . .. . . . . .. . . . . . . . . . .. . .. .. . . .. . . . .. .. .. . . .. .. . . . . . .. . . . . . . . . .. . . 8. Common Law . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. .. .. . .. . . . . . . . . . . . .. . . .. .. . . . . .. . . . . . . . . .. . . .

21 21 23 23 24 24 24 24 24 24 25 25 25 26 26 26 26 26 27

Erstes Kapitel

Die Rechtslage in Australien I. Die australische Verfassung - eine Verfassung ohne Grundrechtskatalog . . . . . . . . . . . . A. Geschichte . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . . . .. . .. . B. Aufbau................................................................. .. ... ... . .. . C. Geschriebene Grundrechtsverbürgungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l. Vorschriften . . . .. . . . .. . . . . .. . . .. . . . .. . . . .. . . . . . . . . .. . .. . . .. . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . a) Verfahrensgarantie des Rechts auf Geschworenenprozeß ("Trial by Jury") ....... . . . ... ... ...................... . ............... ..... .......... .

b) Religionsfreiheit . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . c) Keine Diskriminierung von Bewohnern der anderen Bundesländer . . . . . . . d) Handels- und Verkehrsfreiheit zwischen den Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Enteignung unter gerechten Bedingungen ("just terms") . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gründe für das Fehlen eines Grundrechtskatalogs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Bill of Rights-Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom wiederholten Scheitern der Versuche, einen Grundrechtskatalog einzuführen ...................... .. ... .. ........... . ........ . .. ... .. . ... . .......... ..

28 28 28 30 32 32 32 35 37 39 41 43 45 45

12

Inhaltsverzeichnis

2. Gründe für das Scheitern oder die "Grundrechtspanik" der Australier... . .... 3. Unterschiedliche Entwicklung im Vergleich zu anderen common law-Ländem . . .. ...... . ......... .... . ... .... . . . ..... .... . ... . . ...... . .. ... . . . . . . . . . . .. .. li. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Rechtslage auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l. Ungeschriebene Grundrechtsverbürgungen- AUgemeine Entwicklung . . . . . . 2. Schutz der Kommunikationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz in der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entwicklung .. . . .. . . .. . . . . . . .. .. . .. .. . . .. .. . . . . . . . . .. . .. . .. . . . . . .. . . . . (l) Die Vorphase .. .. .. .. .. .. .... .. .. . .. .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... (a) Die Minderheitsvoten des Richters Murphy . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Entscheidung in Davis and Others v. The Commonwealth of Australia and Another . . . . . .. . . . .. . .. .. . . . . . .. . . . . . . . .. . . . .. (2) Die Anfangsphase oder der Beginn der Revolution . . . . . . . . . . . . . . (a) Nationwide News Pty. Limited v. Wills . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Sachverhalt.................. . . ... ............. . .... . ... ... (ß) Auf der implizierten Freiheit basierende Voten.... . . . . . . . (y) Die übrigen Voten ... .. .... ... ...... .... .......... .... ..... (b) Australian Capital Television Pty. Limited and Others v. The Commonwealth ofAustralia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Sachverhalt................. . . . .. . ..................... .. . . (ß) Die Mehrheitsvoten .. . .. . .. . .. . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . (y) Die abweichenden Voten . ... . . . . . ... . . . . . ... . ........ . . . . . (3) Die Hochphase . . . . . .. . . . .. .. . . . . .. . . . .. . . . .. . . . .. .. . . . . . . . . . .. . . . (a) Theophanous v. Herald & Weekly Times Ltd and Another . . . (a) Sachverhalt....... . .. ... . . . ..... . .. .. ... . . .. . . . . . . . .. . ... . . (ß) Die Mehrheitsvoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (y) Die abweichenden Voten .. .. .. .................. .. ........ (b) Stephens v. West Australian Newspapers Ltd . .. .. .. . .. .. . .. .. (a) Sachverhalt. ..... .. . ... ... . ... .. . .... . .... ....... . ..... ... . (ß) Die Mehrheitsvoten . .. . . . .. . . . .. . . . . . . .. . .. . .. .. . . . .. . . . . . (y) Die abweichenden Voten .. ................ .... .... .. ...... (c ) Cunliffe and Another v. The Commonwealth of Australia .. .. (a) Sachverhalt................. . ...................... . ... . ... (ß) Die freiheitsfreundlichen Voten......... . ....... . . . . . . . ... (y) Die konservativen Auffassungen.. . ............. . ....... .. (d) Zusammenfassung .............. ...... .... .... ........ ........ (4) Die Phase der Konsolidierung ............ .. ...... . ..... ........ .. Die Entscheidungen von 1996 ... .. . .......... ... .... .. . . . ... .... . (a) James Andrew McGinty & Others v. The State ofWestern Australia . . ... .... ......... . .... . . . . .... .. . .. ... . . ... . . . . .. ... ..... (a) Sachverhalt............... . . . ... . .................. . . . . . ... (ß) Die Mehrheitsvoten . . . .. . .. . .. .. .. . .. . .. .. . .. .. . . . .. .. . . . . (y) Die abweichenden Voten ........ ...... .......... .. .... .... (b) Albert Langer v. The Commonwealth of Australia & Others . (a) Sachverhalt............. ..... ... .. .......... . ..... . . ....... (ß) Die Mehrheitsvoten . . .. . . .. . . .. .. . .. . . .. . .. . . . . . .. . . . . . .. .

47 53 54 55 55 58 58 58 58 58 61 64 64 65 66 69 70 70 72 76 78 78 78 80 86 91 91 92 93 94 94 95 97 101 101 101 102 102 103 106 107 108 110

Inhaltsverzeichnis

13

(y) Abweichendes Votum ..... . ... .. ............... . .......... 11 I (c) M uldowney v. The State of South Australia and Another . . . . . I I I

(a) Sachverhalt..................... . .................. . ....... (ß) Die Voten ....................... . ................. . ........ (d) Zusammenfassung ............ . ............................... Die Entscheidungen von I 997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) David RusseII Lange v. Australion Broadcasting Corporation (a) Sachverhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (ß) Urteil...................... . . . ............................. (f) Laurence Nathan Levy v. The State ofVictoria and Others . .. (a) Sachverhalt................ . ... . .................. . . . . . . . . . (ß) Die Voten .................... . . . ................ . . . . . . . ... . (g) Alec Krugerand Others v. The Commonwealth of Australia . (a) Sachverhalt................ . . . ............................. (ß) Die Mehrheitsvoten ......... . . . .................. . . ..... . . (y) Die abweichenden Voten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (h) Zusammenfassung ............ . . . . . . . ................ . . . ... . . . bb) Definition nach heutigem Stand . ..... . ........... . .... . .... . . ..... . . . (1) Definition ...... . .................... . . . .................... . . . . . . . (a) Rechtsnatur der implizierten Kommunikationsfreiheit .. . . .. . (b) Reichweite des Schutzbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Inhaltliche Bestimmung des Schutzgutes ..... . .......... . .... (d) Zeitlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Freiheitsberechtigte und Freiheitsverpflichtete ...... . . . ... .. . (2) Abgrenzung zu anderen Freiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Abgrenzung zu den geschriebenen grundrechtsähnlichen Vorschriften: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Abgrenzung zu anderen implizierten Freiheiten ......... . .... b) Einfachrechtlicher Schutz ................ . ................................ aa) Schutz im common /aw .......................................... . .... bb) Schutz durch Gesetzesrecht (Statutes) . . .. . ........................... 3. Grenzen der Kommunikationsfreiheit . ... ...... . ......... . .. . .... . .. . .... ... .. a) Verfassungsrechtliche Begrenzungen . . .. ..... . . . .......... . . . .. .......... aa) Richterrechtliche Entwicklung ...... . . . .............................. (1) Begrenzung der Freiheit in der Frohphase .................... . .. . (a) Nationwide News Pty. Limited v. Wills . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Australion Capital Television Pty. Limited and Others v. The Commonwealth ofAustralia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Begrenzung der Kommunikationsfreiheit in der Hochphase . (a) Theophanous v. Herald & Weekly Times Ltd and Another . . . . (b) Cunliffe and Another v. The Commonwealth of Australia . ... (3) Die Konsolidierung der Begrenzung der Freiheit . ...... . . . . . . . .. . (a) James Andrew McGinty & Others v. The State ofWestern Australia ................. . ....... . ...................... . ..... . ... (b) Albert Langer v. The Commonwealth of Australia and Others (c) Muldowney v. The State of South Australia and Another . . . . . (d) David Russell Lange v. Australion Broadcasting Corporation

I I2 I 12 I 13 113 114 I 14 I 15 118 1I 9 119 122 I22 123 126 127 I27 I28 I28 131 132 135 135 137

137 138 140 140 142 I43 I43 143 143 I44 146 147 I48 I49 154 !54 155 156 157

14

Inhaltsverzeichnis (e) Laurence Nathan Levy v. The Stare ofVictoria and Others .. . 158

(a) Anwendung der Lange-Regel .. .. ................. ..... .. . (ß) Andere Maßstäbe .............. .. ...................... .. . (f) Alec Krugerand Others v. The Commonwealth of Australia . bb) Zusammenfassende Definition . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Grenzen im einfachen Recht . .. . . . .. .. . . . . . . . . . . .. .. . . . .. . . . . .. . . . . . . .. . . . . 4. Schranken-Schranken? ... . . . .................... . . ... .................. .. .... . B. Kritik an der Rechtsfortbildung des High Court ..... .. .................... .... ... 1. Argumente gegen die Rechtsprechung des High Court ...... . .. . .... . . . . . . . . . 2. Argumente für die Rechtsprechung des High Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verkehrte Fronten in der Kritik seit 1997 .......... .... .................... .. .. C. Stellungnahme ........... . .... . . ... ................ . ... ... .................. . . . .... D.Landesrecht . . ................ . . . ... . ................ ... .... . .. . ............ .... ... . 1. Schutz von Kommunikationsfreiheit auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsrechtlicher Schutz ..... .. ......... ..... ......... . .. ... .... . . ... aa) Geschriebene Grundrechtsverbürgungen in den Landesverfassungen bb) Die Bill of Rights- Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ungeschriebene Verbürgungen ...... .. .... ........ .... .. ............ . (1) Die Anfangsphase . . . . .. .. . . . .. . . . . . . . .. .. . .. .. .. . .. . . . .. . . . . .. .. . (a) Nationwide News Pty. Limited v. Wills .............. . . . ...... . (b) Australian Capital Television Pty. Limited and Others v. The Commonwealth of Australia ... . . . ..... . . . .. . . . ... . . . .... . . .. . (2) Das Landesrecht in der Hochphase ..................... . ... . . . . . . (a) Theophanous v. Herald & Weekly Times Ltd and Another ... . (b) Stephens v. West Australian Newspapers Ltd .. .... .... .. .. ... (3) Die Konsolidierungsphase ..... . ... . .................... . ...... .. . (a) James Andrew McGinty & Others v. The State ofWestern Australia ....... . ........................................ . ... . .... . (a) Die Mehrheitsvoten ............................ .. ......... (ß) Die abweichenden Voten. ... . . . . .. .. . . . ......... . ......... (b) Muldowney v. The State of South Australia and Another . . . . . (c) David Russe II Lange v. Australian Broadcasting Corporation (d) Laurence Nathan Levy v. The State ofVictoria and Others ... dd) Versuch einer Standortbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einfachrechtlicher Schutz .. . ......... . ............................... . .... aa) Common Law .. . .. . . .. . . .. . .. .. . . .. . ..... . ........ . ......... . ......... bb) Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . 2. Grenzen .. . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. .. 3. Schranken-Schranken? . . . . .. ..... . ...... . .. . . . ... . . .. ....... . ....... . . . ....... 111. Rechtsschutz ................ . . . .... . ............ . ...... . ................ . . . . . . . ... . ... A. Nationale Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten . . . .. . . .. .. .. . .. . . . .. .. . . . . . . .. .. . . . . . a) Rechtsschutz gegen Legislativ- und Administrativakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsschutz gegen Gerichtsurteile ..... . ............ ............. . . .. . . . . c) Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . .. . . . .. .. . . . . . . .. . .. .. . . . .. .. .. . .. . . . . . . . . . . .. . .. d) Schadensersatzklage . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . .. . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . .

158 160 161 163 164 165 166 167 171 174 175 181 182 182 182 183 185 187 187 187 188 188 189 191 191 191 192 193 194 194 195 197 197 198 198 199 199 200 200 200 201 20 1 202

Inhaltsverzeichnis

15

2. Sonstige nationale Rechtsschutzmöglichkeiten (Human Rights and Equal Opportunity Commission) .. . . . ...................... . ... . ............... . ........ 203 B. Internationale Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Zweites Kapitel

Rechtsvergleichende Bewertung

I. Einleitung . . .. . . . . .. . . .. . .. . .. . . . . . . . . . . .. . .. . . .. .. .. . . .. . .. . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . II. Vergleichende Bemerkungen auf dem Gebiet der Gewährleistung und des Schutzes von Meinungs- und Kommunikationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Rechtsnatur . . . .. .. .. . . . . . . . . . . . .. . .. . . .. . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. .. . B. Reichweite des Schutzbereiches ..................... .. ............................ C. Inhaltliche Bestimmung der geschützten Freiheit . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Freiheitsberechtigung und Freiheitsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Freiheitsberechtigte . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Freiheitsbindung ................. ... . . ......... . ... . ......... . ........ . . . ...... 3. Drittwirkung .. . . . . . .. .... . .. .... . . ...... ....... . . .. . .................. . .... .. . . E. Art des Schutzes . .. .. . . . .. .. . . . . . . . . . . . .. . .. . .. . . . . . . . . . . .. .. .. . . .. . .. .. . . . . . .. .. . . III. Vergleichende Bemerkungen im Bereich der Begrenzung der Meinungs- und Kornmunikationsfreiheit . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . A. Rechtliche Einordnung und Inhalt der Schrankenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kriterien zur Bestimmung der Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erste Gruppe . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . .. .. . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . 2. Zweite Gruppe . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dritte Gruppe .. .. . . . .. .. . . .. .. . . . . . .. . . . . .. .. . .. .. . . . . . . . .. .. .. . . . . . . . . . . .. . . .. a) Untergruppen . . . .. .. . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. . . . . . . . .. .. . .. . . .. . . . . . .. . . . . b) Vergleich ............ . . . . . .................. . . . . . .................. . . ... . . . . aa) Vergleich mit der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vergleich mit nationalem Recht . . ... . ...... .. . ............. . . . . . . . . . . cc) Vergleich mit der Smendschen Auffassung vom Begriff der "allgemeinen Gesetze" . . .. . .. . . . .. .. .. . . . . . . . . . . . . .. . . .. .. . . .. . .. . . . . . .. . . . . C. "Schranken-Schranken" oder die australische Wechselwirkungslehre . . . . . . . . . . . . D. Die unterschiedlichen Rollen der Verhältnismäßigkeilsprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Weitere Vergleichspunkte . . . . .. . .. . . . .. .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . A. Verfassungswandel . .. . . .. . . . . .. . .. .. . . . .. . . .. .. . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . B. Verfassungsinterpretation .. . . . ... . .... . .... .......... . . . . . .. .. . . ... .. ......... .. ... I. Interpretationsmethoden . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . .. . . .. . . . .. . . . . . . . .. . . . 2. Weitere Themen zur Auslegung . .. . .. .. .. .. . . .. . . . .. . . . .. .. .. . . .. . . .. . . . . .. . . . C. Grundlegende Verfassungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Repräsentativprinzip und Demokratieverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Volkssouveränität ....................................... . ............... .. ..... D. Bundesverfassungsgericht und High Court als ,,Ersatzgesetzgeber" ....... . . . ... . E. Verhältnis des Grundrechtsschutzes in Bund und Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Meinungs-/Kommunikationsfreiheit im Verhältnis zu anderen Grundfreiheiten . . G. Rechtsfolgen von Verletzungen der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Rechtsschutz- und Durchsetzungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

208 208 209 209 215 217 218 219 221 221 225 227 227 228 229 230 231 231 232 233 233 235 236 238 240 240 242 242 245 246 246 247 249 253 255 256 259

16

Inhaltsverzeichnis Drittes Kapitel

Fallbeispiele im Vergleich

262

I. Wahlwerbesendungen . . . . . . . . .. .. . . .. . . . . . . . . . .. .. . . .. .. . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . 262

A. Sachverhalte . . . . . . . .. . . . .. . .. . . .. .. .. . . . .. . . .. . . . . .. . . . .. .. .. . .. .. . .. . . . . . .. . .. .. . . 1. ACTV . .................... . .. .. ............... .. ..... . ................ ... . . .... 2. Wahlwerbesendung . . . . . . . . . . .. .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . 3. Abgrenzung ...... . .... . .. ... ..... . ............. . ....... . ........ .. .... . . . ..... . B. Das Thema Parteiwerbung in beiden Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. ACIV in Deutschland .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. .. . . . . . .. . . . . . .. . . . . .. . . .. . . . .. 1. Das Verbot "politischer Werbung" . .. . . . .. .. . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einräumung von "freien Sendezeiten" .. . . . . . . .. .. . . .. . .. . . . .. .. . . . . . . . . . . . .. .. 3. Unterschiedliche Behandlung von Parteien und anderen Bewerbern . . . . . . . . . . 4. Gestalterische Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Wahlwerbesendung in Australien .................. .... .............. .. .. .... .. ... . I. Originärer Anspruch auf Einräumung von Sendezeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Chancengleichheit der Parteien . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . 3. Prüfungsrecht des Senders .......... .. ...... .. ...... .............. .. .. ... .. .. .. li. Ehrenrührige Äußerungen . . .. . . . . . .. . .. .. . .. .. . .. .. . . . . .. .. . .. .. .. .. . .. . . . . . . .. .. . . . . A. Sachverhalte . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . .. .. . .. . . . . . . . . .. . . .. . .. . .. .. .. . . . . . . . . .. . .. . 1. Theophanous . . .. . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . .. .. . . . . . . . . 2. Lüth ............... . ...... . .. .. ......... . .............................. . ........ 3. Abgrenzung ...... . ..... . . . . . ........................... . ...... . .. .. .. . . . . ..... . B. Theophanous in Deutschland .... .... ...... .............. .. .............. ....... ... I. Überlegungen zur Drittwirkung .... ... ....... . ... ............ ..... ... . . . .. ... . 2. Konkrete Wechselbeziehung mit dem Beleidigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Lüth in Australien . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . .. .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . 1. Überlegungen zur Drittwirkung . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . .. . 2. Konkrete Bezüge zum Deliktsrecht . .. . .. . . . .. . .. . . .. . .. .. . .. . . .. . . .. . . .. . . . . . . III. Berufliche Beschränkungen von Rechtsanwälten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Sachverhalte .. . . .. .. . .. .. .. . . . .. .. .. .. . . . .. .. . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . .. . . . . . . . . .. .. . . . 1. Cunliffe . .. . .. . . . . .. .. . . .. . .. .. .. .. . .. .. . . .. . . . . . . . . . .. . .. .. . . . .. .. . . .. . .. . .. . .. 2. Postulationsfähigkeitsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung .............. . . ... .............. . ... . . ... . . ............... . ........ B. Cunliffe in Deutschland . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. C. Die Postulationsfähigkeitsentscheidung in Australien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Postulationsfähigkeitsentscheidung in der Hochphase . . ......... .. .. . ....... . 2. Beurteilung nach heutiger Rechtslage .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . IV. Wahlgleichheit .. .. .. .. .. .. . .. . . . . . .. . . .. . . . . . .. .. . .. . . . .. . .. .. . .. . . . . . .. . .. .. . . .. . . . . . A. Sachverhalte .. .. .. .. . . . . . . . . . . . . .. .. .. . .. .. .. . .. . . . . . . . . .. . .. . . .. . . .. .. . . .. . . . .. . . . 1. McGinty ......... . ........ . . ... ...................... . . . ........... . .. . . ..... ... 2. Überhangmandatsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung .. . .. . .. .. . . . . . .. .. .. . . . .. . . . .. . . .. . . . . .. . . . .. .. . .. . .. . .. . . . . .. . . . . . B. McGinty in Deutschland . .. . . . .. .. .. . .. .. . . . . . . . . . . . .. .. . . . .. .. . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . 1. Prüfungsmaßstab .. . . . . . . . . . .. .. . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. .. . .. .. . .. . . . . . . . . . . .. .. 2. Wahlgleichheitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konkrete Beurteilung . . .. . . . .. . . . .. .. . . . . . . . . . . . .. . . . .. .. . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . ..

262 262 263 263 264 265 265 267 268 269 271 271 271 272 272 273 273 273 274 274 274 275 276 276 277 278 278 278 278 279 279 280 281 282 283 283 283 283 284 284 284 285 285

Inhaltsverzeichnis C. Überhangmandatsentscheidung in Australien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Implizierter Grundsatz auf Wahlgleichheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 286 286 286 287

Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Sachwort- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316

2 Pittrof

Abkürzungsverzeichnis a.A.

Abs. ACLRep ACT AdelLR a.E. AfP AJHR AJIL AJLL AJLS AlbLR ALJ ALJR

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ALRC AMLR Anm. AöR APC Art. Auckl. Univ LJ Auf!. Aus BarRev Aus Disp Res J AusJ AdmL Aus J Publ Adm Aus Law News AVöR BAG BAGE BayVbl. Bd. BGBI. Brownl & Golds BVerfGE bzw. CA Calif. LR CantLR

anderer Ansicht Absatz Australian Current Law Reports Australian Capital Territory Adelaide Law Review am Ende Archiv für Presserecht Australian Journal of Human Rights American Journal of International Law Australian Journal of Labour Law Australian Journal of Law & Society Alberta Law Review Australian Law Journal Australian Law Journal Reports Australian Law Reports Australian Law Reform Commission Australian Media Law Reporter Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Australian Press Council Artikel Auckland University Law Journal Auflage Australian Bar Review Australian Dispute Resolution Journal Australian Journal of Administrative Law Australian Journal of Public Administration Australian Law News Archiv des Völkerrechts Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bayerische Verwaltungsblätter Band Bundesgesetzblatt Brownlow and Goldesborough Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise Court of Appeal California Law Review Canterbury Law Review

Abkürzungsverzeichnis cl. CLR Comm Law Bull CoRep Cth Cth Law Bull Deakin LR ders. dies. DÖV DVBI. EGMR EHRR EMRK EOC ER EuGH EuGRZ FedCt/FCA FedLR Fn GG Griffith LR h.M. IPBüPR iVm JCULR JöR JZ Kap. Leg.Stud. LIJ LQR LRQ LSB LSJ Max Planck UNYB MelbUnivLR MonLR mwN NewcLR NJW NSW NSWLR NVwZ NZLR OxfJLS 2*

clause Commonwealth Law Reports Communications Law Bulletin Coke's Reports Commonwealth Commonwealth Law Bulletin Deakin University Law Review derselbe dieselbe(n) Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Verwaltungsblätter Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte European Human Rights Reports Europäische Menschenrechtskonvention Equal Opportunity Commission The English Reports Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Federal Court of Australia Federal Law Review Fußnote Grundgesetz Griffith University Law Review herrschende Meinung Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte in Verbindung mit James Cook University Law Review Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristenzeitung Kapitel Legislative Sturlies Law Institute Journal The Law Quarterly Review Land Rights Queensland Law Society Bulletin Law Society Journal Max Planck Yearbook of United Nations Law Melbourne University Law Review Monash University Law Review mit weiteren Nachweisen Newcastle Law Review Neue Juristische Wochenschrift New South Wales New South Wales Law Reports Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht New Zealand Law Review Oxford Journal of Legal Sturlies

19

20 P.L.

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WA WLR ZaöRV ZG ZRP ZUM

Abkürzungsverzeichnis Public Law Public Law Review Queensland The Queensland Lawyer Randnummer Rundfunkstaatsvertrag Seite South African Reports oder South Australia siehe auch South African Journal on Human Rights South Australian State Reports Supreme Court Sydney Morning Herald sogenannte ständige Rechtsprechung Sydney Law Review Süddeutsche Zeitung Tasmania Torts Law Journal unter anderem University of New South Wales University of New South Wales Law Journal University of Queensland Law Journal United States Reports University of Tasmania Law Review University of Western Australia Law Review vor allem Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vorbemerkung Supreme Court of Victoria Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer Western Australia Weekly Law Reports Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkernecht Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht

Einleitung

I. Einführung zum Thema Die vorliegende Arbeit befaßt sich mit einem Thema, das in Deutschland noch wenig diskutiert wurde: dem Verfassungsvergleich mit Australien. Zwischen den beiden Rechtssystemen bieten sich trotz oder gerade wegen ihrer unterschiedlichen Rechtstraditionen, insbesondere im Verfassungsrecht, zahlreiche Vergleichsmöglichkeiten, beispielsweise im Bereich der Bundesstaatlichkeit oder des parlamentarischen Regierungssystems. 1 Jedoch blickte man bislang in beiden Ländern kaum auf das jeweilige andere Rechtsgebiet In Austraben orientiert man sich auf verfassungsrechtlichem Gebiet überwiegend an den Ländern, mit denen man die gemeinsame Rechtstradition teilt, vor allem an den Vereinigten Staaten, aber auch an Kanada.2 Und auch in Deutschland bleibt der Blick, wenn er in die Femen des angloamerikanischen Rechtskreises schweift, meist bei den USA und Großbritannien hängen.J Das australische Verfassungsrecht hat in den neunziger Jahren im Grundrechtsbereich einen historischen Wandel durchgemacht, der in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden kann. Die Arbeit versucht, einen Ausschnitt aus dem australischen Verfassungsrecht zu analysieren und dadurch für das deutsche Recht zu erschließen. Sie will damit zu weiteren Vergleichen anregen und die vergleichende deutsch-australische Rechtsund Verfassungsdiskussion beleben. Das Gebiet der Kommunikationsfreiheit wurde dafür ausgewählt, weil es zum einen in seiner richterrechtlichen Dynamik die spezifisch australische neuere Entwicklung der menschenrechtliehen Thematik verdeutlicht und zum anderen gerade seine ungeschriebene Ausprägung in ihrer Verschiedenheit gegenüber dem deutschen Recht, in dem die Diskussion der Meinungsfreiheit nie an Aktualität verliert, die Untersuchung interessant macht. 1 Auch ein Vergleich zwischen dem Europarecht und dem australischen Recht wäre auf vielen Gebieten, z. B. im Bereich des freien Warenverkehrs oder des Grundrechtsschutzes, lohnenswert. 2 Siehe neuerdings aber Mason A., European Constitutionalism: Lessons for Australia, 21 (1998) UNSWLJ 150 und Marfording A., Federalism and Judicial Review in Germany: Lessons for Australia?, 21 (1998) UNSWLJ 155. 3 Siehe aber Kirby M., Zeidler and the Future of the Judiciary, in: Fürst W. u. a. (Hrg.) Festschrift für Wolfgang Zeidler, 1987, Bd. 1, 101 (102ff), über den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Zeidler.

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Einleitung

Ziel der Arbeit ist dabei vor allem, diese andere Art des Grundrechtsschutzes für nicht mit dem Rechtskreis Vertraute vorzustellen und zu zeigen, daß die beiden Rechtssysteme, trotz aller methodischen und rechtssystematischen Unterschiede, ähnliche Entwicklungen durchschreiten und bei der Lösung ähnlicher juristischer Themen zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Der Kern der Arbeit liegt auf dem Gebiet des australischen Rechts und der vergleichenden Analyse. Um die Übersichtlichkeit zu wahren, verzichtet sie deshalb auf eine Darstellung der Meinungsfreiheit in Deutschland, die bereits anderswo umfangreich erörtert wurde.4 Beim Vergleich steht dabei die Würdigung konzeptioneller Gesichtspunkte und Grundlagenaspekte im Vordergrund, da sie wegen der chronologisch stark divergierenden Entwicklung der beiden Länder den besten komparativen Ansatzpunkt bieten. Deutlicher Schwerpunkt der Arbeit ist das Verfassungsrecht Aus Gründen der Überschaubarkeit und der Themenbegrenzung wird das einfache Recht nur in den Bereichen herangezogen, in denen das Verfassungsrecht auf dieses einwirkt und seine Grundzüge für das Verständnis der verfassungsrechtlichen Zusammenhänge nötig sind. Aus den gleichen Gründen wird auch auf eine ausführliche Darstellung des einfachen meinungsfreiheitsbegrenzenden Rechts verzichtet. Die Entwicklung einer verfassungsrechtlichen Dimension, die in Australien im Bereich des Kommunikationsrechts bislang fehlte, ist die spannendste Bewegung auf diesem Rechtsgebiet und verdient daher eine besondere Würdigung. Strukturell erfolgt zuerst eine Analyse des australischen Rechts, an die sich eine rechtsvergleichende Bewertung anschließt. Abschließend werden die in der Rechtsvergleichung gewonnenen Ergebnisse durch eine Gegenüberstellung ausgewählter Fälle aus beiden Rechtssystemen praktisch veranschaulicht. 4 Siehe nur Herzog R., in: Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Kommentierung zu Art. 5; Degenhart Ch., in: Bonner Kommentar, Kommentierung zu Art. 5; H offmannRiem W., in: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, Bd. 1, Art. 1-37, 2. Aufl., 1989, Kommentierung zu Art. 5; Schmidt-Bleibtreu B ./Klein F., Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 9. Aufl., 1999, Kommentierung zu Art.5; Jarass H., in: ders./Pieroth B., Grundgesetz für die Bunderepublik Deutschland, Kommentar, 5. Aufl., 2000, Kommentierung zu Art. 5; Bethge H., in: Sachs M. (Hrg.), Grundgesetz, Kommentar, 1996, Kommentierung zu Art. 5; Schulze-Fielitz H., in: Dreier H. (Hrg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. I, Artikel 1-19, 1996 Kommentierung zu Art. 5; Starck Ch in: v. Mangoldt H./Klein F./Starck Ch. (Hrg.), Das Bonner Grundgesetz, 4. Aufl., 1999, Kommentierung zu Art. 5; Brugger W., Freiheit der Meinung und Organisation der Meinungsfreiheit/Eine liberale Konzeption der geistigen Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 GG, EuGRZ 1987, 189; 225; Lerche P., Zur verfassungsgerichtlichen Deutung der Meinungsfreiheit (Insbesondere im Bereiche des Boykotts), in: Festschrift für Gebhard Müller, 1970, 197; Merten D., Zur negativen Meinungsfreiheit, DÖV 1990, 761; Obermayer K., Aspekte der Meinungsfreiheit, BayVbl. 1980, 1. Aus vergleichender Perspektive: Frowein J. A., Reform durch Meinungsfreiheit, (1980) AöR 105, 169; No/te G., Beleidigungsschutz in der freiheitlichen Demokratie, 1992.

III. Zugrundeliegende Terminologie

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II. Meinungsfreiheit im deutschen Recht Ausgangspunkte Die Arbeit konzentriert sich im darstellenden Teil auf das australische Recht im Bereich der Äußerungsfreiheit und setzt die Kenntnis der deutschen Grundrechtsdogmatik, insbesondere in bezug auf die Meinungsfreiheit, und der Kasuistik zu Art. 5 GG voraus. Sie legt im vergleichenden Teil die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere zu Drittwirkung, Wechselwirkungslehre und Schrankenbestimmung, sowie die herrschende Meinung in der Literatur zu den jeweiligen Themen zugrunde, soweit ein Abweichen davon nicht ausdrücklich erwähnt wird, um Parallelitäten oder Widersprüche zum australischen Lösungsweg und zur australischen Dogmatik aufzuzeigen. Sie setzt sich - soweit nicht für den Rechtsvergleich relevant - nicht mit den verschiedenen Literaturmeinungen untereinander auseinander und konzentriert sich nicht auf die nationalen Themenkreise und Diskussionen, sondern auf die Themen, die zwischen den beiden Ländern von Interesse sind. Sie macht weiter die Kenntnis der frühen deutschen Staatslehre und der Staatsund insbesondere der Grundrechtslehre der Weimarer Republik zur Grundlage. In der theoretischen Grundrechtslehre geht sie vom Grundrechtsverständnis des Grundgesetzes, wie es sich aus den historischen Gegebenheiten entwickelt hat, aus und versteht Grundrechte als vorkonstitutionelle, überstaatliche Menschenrechte, die nicht vom Staat erst gewährt, sondern von ihm vorausgesetzt werden. 5 Siebegreift weiter die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes im Sinne des Bundesverfassungsgerichts als Grundrecht mit sowohl individueller als auch objektiv-demokratischer Komponente. Ohne die inhärenten Schwierigkeiten des Versuchs, eine ausländische Dogmatik mit Hilfe der deutschen Struktur faßbar zu machen, zu übersehen, orientiert sich die Arbeit in ihrem Aufbau im wesentlichen an der deutschen Grundrechtsdogmatik.

111. Zugrundeliegende Terminologie Die unterschiedliche Verfassungsdogmatik und insbesondere die der Grundrechte in Deutschland und Australien bringt mit sich, daß sich die verfassungsrechtliche Terminologie nicht in allen Fällen deckt. Obwohl sich die Arbeit im wesentlichen an der deutschen Dogmatik und Terminologie ausrichtet, verwendet sie vor allem für die australische Seite Begriffe, deren Umriß vom regelmäßigen deutschen Verständnis abweicht, um so den Unterschied zu verdeutlichen. 5 Vgl. Böckenförde E., Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, 1529 (l537t).

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Einleitung

A. Deutschland 1. Grundrecht Die Arbeit verwendet für das deutsche Recht den Begriff Grundrecht im Sinne der allgemeinen deutschen Dogmatik von einer aus vorstaatlichem Menschenrecht fließenden Grundfreiheit, die als subjektives Recht der einzelnen Person gegenüber dem Staat wirkt. Sie geht dabei von den klassischen Grundrechtsfunktionen im Jellinekschen Sinne - status negativus, status positivus und status activus - aus. 6 Grundrechtsgarantien werden dementsprechend als Verbürgungen von Grundfreiheiten bzw. Grundrechten in der Verfassung verstanden. Für das australische Recht wird als Pendant hierfür der Begriff Individualrecht oder Vollgrundrecht verwendet. 7 2. Meinungsfreiheit Meinungsfreiheit wird im Sinne der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz I I. Halbsatz GG verstanden. Auf die anderen in Art. 5 Abs. I GG genannten Freiheiten bezieht sich der Begriff nur, soweit sich letztere mit der Meinungsäußerungsfreiheit überschneiden. Der Begriff Meinungsfreiheit wird auch in Abgrenzung zur Kommunikationsfreiheit in Australien verwendet, deren Inhalt sich nicht immer mit der deutschen Grundfreiheit deckt. 3. Schranke Der Begriff der Grundrechtsschranke wird entsprechend dem im deutschen Recht üblichen Sprachgebrauch benutzt. Er bedeutet eine Beschränkung des Schutzbereichs des Grundrechts der Meinungsfreiheit. "Schranke" wird dabei im Regelfall als zulässiger Eingriff in den Schutzbereich verstanden. Der Begriff der Schranke wird in Abgrenzung zum Begriff der Kompetenzbeschränkung und zur Begrenzung der Kommunikationsfreiheit des australischen Rechts benutzt. 4. Schranken-Schranken Entsprechend der deutschen Grundrechtslehre wird der Begriff der SchrankenSchranken als Beschränkung des Gesetzgebers beim Beschränken von Grundrechten verstanden. Er wird dabei weit gefaßt und beinhaltet auch die Wechselwirkungslehre des Bundesverfassungsgerichts. 5. Verhältnismäßigkeit Die Arbeit versteht für das deutsche Recht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeil im weiteren Sinne, d. h. als Übermaßverbot, das zunächst den Zweck und das 6 7

Jellinek G., System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2.Aut1., 1919, 87 (94ft). s. unten S. 25.

III. Zugrundeliegende Terminologie

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Mittel einzeln untersucht, dann die Geeignetheil und die Notwendigkeit des Mittels zur Zweckerreichung verlangt und schließlich noch in einem weiteren Schritt die Angemessenheit des Mittels zum Zweck bzw. dessen Zumutbarkeit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn) abwägt. 8

B. Australien 1. Verfassungsfreiheit (constitutionalfreedom) Zur Verdeutlichung des Unterschieds zum australischen Verständnis von Grundfreiheiten wird für das australische Recht statt Grundrecht der Begriff der Verfassungsfreiheit verwendet. Damit soll zum Ausdruck kommen, daß die australische Freiheit der politischen Kommunikation nicht als vorstaatliches Grundrecht, sondern nur als von der Verfassung gewährter Freiraum der Bürger gesehen wird.9 Um die Verfassungsfreiheit von anderen Arten von Garantien abzugrenzen, werden für diese anderen Arten die in Austraben für sie benützten Begriffe absolute Freiheit sowie Individualgrundrecht und Vollgrundrecht verwendet. Absolute Freiheit wird dabei in Austraben als unbeschränkte Freiheit ähnlich wie z. B. die Warenverkehrsfreiheitdes Europarechts 10 verstanden, während die letzten beiden Begriffe in etwa dem deutschen Grundrecht entsprechen. 2. Kompetenzbeschränkung (Iimitation on power) Die australische Verfassungsfreiheit wird zusätzlich als Kompetenzbeschränkung bezeichnet. Dies geschieht ebenfalls in Abgrenzung zum deutschen Grundrecht, um die unterschiedliche Rechtsnatur der australischen Freiheit zu verdeutlichen, die kein subjektives Recht, sondern nur eine Beschränkung der Gesetzgebungskompetenzen darstellt und daher zum deutschen Grundrecht nur teilweise Parallelen aufweist. 11 Diese Bezeichnung als Kompetenzbeschränkung darf nicht mit der Beschränkung der Freiheit an sich verwechselt werden. Aus diesem Grund wird für die Schranken der Verfassungsfreiheit das Wort Begrenzung verwendet. 12 8 Vgl. z. B. Degenhart Ch., Staatsrecht I, Staatszielbestimmungen, Staatsorgane, Staatsfunktionen, 13. Aufl., 1997, Rn325ff. 9 s. z. B. unten S. 87. Zum unterschiedlichen Verständnis von Grundrechten in den verschiedenen Rechtskreisen s. a. Geiger W., Zur Europäischen Geschichte der Grundrechte, in: Fürst W. u. a. (Hrg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, 1987, Bd. 2, 1401. 10 In der australischen Verfassung entspricht dieser die Freiheit des Art. 92. Interessant zum unterschiedlichen Grundrechtsverständnis ist auch das Votum von Richter Brennan in der Entscheidung Street v. Queensland Bar Association and Others (1989) 168 CLR 461 (503). 11 Zum Vergleich mit der Lehre von den Grundrechten als negative Kompetenznormen siehe unten S. 210. 12 Siehe unten S. 26.

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Einleitung

3. Impliziertes Recht (implied right) Die Arbeit gebraucht für die ungeschriebenen Verfassungsfreiheiten der australischen Verfassung durchgehend den Begriff implizierte Rechte. Sie trägt damit der englischen Terminologie- implied rights 13 - sowie der Grundlage der Verfassungsfreiheiten- Implikation durch die Verfassung- Rechnung. So wird verdeutlicht, daß die Verfassungsfreiheiten nicht als ungeschriebenes Verfassungsrecht neben der geschriebenen Verfassung stehen, sondern in ihr per Implikation enthalten sind. 4. Kommunikationsfreiheit (freedom of communication) Im Unterschied zur deutschen Meinungsfreiheit wird für das australische Pendant die Bezeichnung (politische) Kommunikationsfreiheit gewählt. Dadurch wird der inhaltliche Unterschied der beiden Freiheiten verdeutlicht, die sich begrifflich nicht völlig decken. Die australische Kommunikationsfreiheit ist teilweise weiter und teilweise enger gefaßt14 als die deutsche Meinungsfreiheit und erfordert daher, distinktiv behandelt zu werden. Zugleich trägt diese Begriffswahl auch wieder der englischen Terminologie - freedom of communication - Rechnung.

5. Grenzen/Begrenzung der Verfassungsfreiheit Aufgrund des besonderen Charakters der australischen Verfassungsfreiheit als Kompetenzbeschränkung ist es nicht möglich, das deutsche Schema der Grundrechtsschranken direkt zu übertragen. Zur Abgrenzung vom deutschen Schrankenbegriff und zur besseren Unterscheidung vom Begriff der Kompetenzbeschränkung wird daher für die Beschränkungen der australischen Verfassungsfreiheit der Terminus Begrenzung oder Grenze der Freiheit verwendet. 6. Residualfreiheit Der Begriff Residualfreiheit steht im Bereich des einfachen Rechts für Freiheiten, deren Gehalt oder Bestand jederzeit geändert werden kann, und deren Definition sich daher nicht positiv sondern nur negativ formulieren läßt. D. h. diese Freiheiten sind nur soweit gewährt, wie sie nicht durch andere Vorschriften eingeschränkt werden; ihnen bleibt nur das Residuum. 7. Einfaches Recht Unter einfachem Recht wird für den australischen Rechtskreis neben den einfachen Gesetzen auch das richterrechtlich geformte gemeine Recht (common law) verstanden. 13 Die Arbeit entscheidet sich bewußt gegen die Bezeichnung als implizite Rechte, da dies der Ausgangsterminologie im Englischen, die ausdrücklich nicht den Begriff implicit rights verwendet, nicht gerecht würde. 14 Siehe dazu unten S.215.

III. Zugrundeliegende Terminologie

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8. Common Law Der Begriff des common law hat im angelsächsischen Rechtskreis verschiedene Bedeutungen und wird auch hier auf zwei Arten verwendet: Zum einen bezeichnet er das einfache, ungeschriebene Richterrecht, das im angelsächsischen Rechtssystem neben dem Gesetzesrecht steht. Darüberhinaus wird er auch als Systembezeichnung für das Rechtssystem des anglo-amerikanischen Rechtskreises- common law-System- verwendet.

Erstes Kapitel

Die Rechtslage in Australien Das erste Kapitel der Arbeit befaßt sich mit den grundlegenden Gesichtspunkten der Kommunikationsfreiheit in der australischen Verfassung. Die Kommunikationsfreiheit betreffende Regelungen finden sich im bundesstaatlich organisierten Austraben sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene; dabei werden die Iandesrechtlichen Regelungen im Anschluß an diejenigen der Bundesebene analysiert. Der Erörterung der Kommunikationsfreiheit werden allgemeine Ausführungen zur australischen Verfassung vorangestellt.

I. Die australische Verfassung - eine Verfassung ohne Grundrechtskatalog Die australische Verfassung weist in ihrer Entwicklung und in ihrem Inhalt einige Besonderheiten auf, die vom geläufigen westlichen Verfassungstypus abweichen. Deshalb soll hier zunächst die Verfassung als solche vorgestellt werden.

A. Geschichtet Die Verfassung trat am 1. Januar 1901 mit dem Zusammenschluß der sechs australischen Kolonien2 zum Commonwealth of Australia in Kraft und ist damit eine der ältesten geschriebenen demokratischen Verfassungen, die noch in Geltung ist. 3 Nachdem die Bewegung für einen Zusammenschluß zum Australischen Bund das ganze 19. Jahrhundert hindurch immer mehr Aufschwung erfahren hatte, zeichneten sich in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts konkrete Entwicklungen ab. Seit 1885 gab es in Form des sog. Federal Council erstmals eine überkoloniale legislative Instanz. Zwar standen dieser nur sehr eingeschränkte Kompeten1 Zur gesamten Entwicklungs. vor allem Quick J./Garran R., The Annotated Constitution of the Australian Commonwealth, 1901 (Nachdruck 1976), 79-252; La Nauze J. A., TheMaking of the Australian Constitution, 1972, sowie Lane P. H., An lntroduction to the Australian Constitutions, 6. Aufl., 1994, 237 ff. 2 New South Wales, Victoria, Queensland, SouthAustralia, Tasmania und WesternAustralia, das sich in letzter Minute noch zum Beitritt entschloß. 3 Dazu Kirby M. D., Encounters with the Australian Constitution by Michael Coper (book review), 10 (1987) UNSWLJ 280 (283).

I. Die australische Verfassung- eine Verfassung ohne Grundrechtskatalog

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zen zu, und die praktischen Auswirkungen ihrer Tätigkeit waren nicht zuletzt wegen fehlender Mitwirkung der Kolonie von New South Wales gering. Es war jedoch der erste konkrete Schritt in Richtung einer Vereinigung der Kolonien.4 Unter anderem getragen von der Notwendigkeit, ein gesamtaustralisches Verteidigungssystem zu schaffen, kam es 1891 auf Betreiben des damaligen Premierministers von New South Wales, Sir Henry Parkes, erstmals zum Zusammentreten einer Nationalversammlung,5 die im März desselben Jahres den ersten Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung des Australischen Bundes ausarbeitete. Die beiden wichtigsten Verfassungskommentatoren der Anfangszeit, John Quick und Robert Garran, bezeichnen diesen ersten Verfassungsentwurf in ihrem Kommentar zur Australischen Verfassung als Meilenstein in der Geschichte der Bundesbewegung; in diesen wenigen Tagen sei die Föderation von den Wolken auf die Erde herabgestiegen, sie habe sich von einem Traum in berührbare Realität verwandelt. 6 Hauptsächlich durch Verschleppung des Prozesses in den einzelnen Kolonialparlamenten war dem ersten Entwurf für eine Bundesverfassung jedoch noch kein Erfolg vergönnt.? Zu diesem Zeitpunkt hatte aber die Bundesbewegung bereits im Volk, das von den Vorteilen einer Föderation nicht nur auf dem Gebiet der Verteidigung, sondern auch auf Gebieten wie Handel und Zolltarifen überzeugt war, Fuß gefaßt. So konnte ein von einer zweiten Versammlung8 erarbeiteter Verfassungsentwurf nach langwierigen Diskussionen und Referenden in den einzelnen Kolonien9 dem englischen Mutterparlament vorgelegt und von diesem nach weiteren Debatten10 am 21. Juni 1900 (House of Commons) und 26. Juni 1900 (House of Lords) verabschiedet werden. Am 9. Juli 1900 unterzeichnete die britische Königin das Gesetz, das dann am ersten Tag des neuen Jahrhunderts in Kraft trat. Die australische Verfassung ist daher kein eigenständiges Dokument, sondern sie ist in einem vom britischen Parlament erlassenen Gesetz 11 als dessen Artikel9 enthalten.12 Quick 1./Garran R. (Anm. I) 109- 115; La Nauze 1. A. (Anm.l) 2- 5. National Australasian Convention (1891). 6 Quick 1./Garran R. (Anm.l) 129 a.E. "In thosefew days Federation came downfrom the clouds to the earth; it changedfrom a dream to tangible reality." Soweit nicht anders angegeben stammen die Übersetzungen von der Verfasserin. 7 Siehe dazu Quick 1./Garran R. (Anm. I) 143-150. 8 Australasian Federal Convention (1897/98). 9 In Western Australia erfolgte erst buchstäblich in letzter Minute ein Referendum am 31.7 .1900, also schon nach Verabschiedung durch das englische Parlament. 10 Quick J./Garran R. (Anm.l) 228- 252; siehe auch Commonwealth of Australia Constitution Bill, Reprint of the Debates in Parliament, The Official Correspondence with the Australian Delegates, and Other Papers, London, 1900. 11 Commonwealth of Australia Constitution Act, 63 & 64 Victoria, Chapter 12, vom 9. Juli 1900. 12 Das Vereinigte Königreich verzichtete 1986 endgültig, auch im Hinblick auf die australischen Länder, auf die - theoretisch vorhandene - Möglichkeit, für Australien in irgendeiner Weise gesetzgebefisch tätig zu werden, wovon auch der Covering Act, der die australische Ver4

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

B. Aufbau Die Australische Verfassung entlehnt in ihrem Aufbau Elemente aus den drei damals schon vorhandenen Föderalverfassungen, nämlich denen der Vereinigten Staaten,13 Kanadas und der Schweiz 14 und verbindet sie mit dem britischen parlamentarischen System. Um dieser Zwitterstellung zwischen "Washington" und "Westminster" Ausdruck zu geben, wird das Regierungssystem Australiens daher oft als ., Washminster system " 15 bezeichnet. Artikel 9 des Covering Act' 6 beginnt mit einer Inhaltsangabe der Verfassung 17 : Diese ist unterteilt in acht Kapitel, 18 wobei sich das erste 19 mit dem Parlament, seinen zwei Kammern, dem Repräsentantenhaus und dem Senat,20 und dessen Befugnissen befaßt. Wichtig ist hier vor allem der Kompetenzkatalog des Art. 51. Die australische Verfassung geht wie das deutsche Grundgesetz vom Prinzip der Gesetzgebungsbefugnis der Länder aus. Dem Commonwealth stehen nur die ausdrücklich aufgelisteten Kompetenzen zu. Das zweite KapiteF' ist der Exekutive gewidmet, worunter in der australischen Verfassung der Generalgouverneur als Vertreter der britischen Königin22 verstanden wird. Der Tatsache, daß der "Bundesexekutivrat"23 , der ursprünglich nur als Berafassung enthält, erfaßt ist (Australia Act (UK) 1986, vor allem Art. 1). Ein kurzer Überblick über dieAustralia Acts findet sich z. B. bei SawerG., The Australian Constitution, 1988, 74ff. Spannend ist dabei die Frage, ob das britische Parlament den Australia Act wieder aufheben könnte. 13 Die amerkanische und die australische Verfassung vergleicht z. B. Rich W., Converging Constitutions: A Comparative Analysis of Constitutional Law in the United States and Australia, 21 (1993) Fed LR202. 14 Vgl. dazu La Nauze J.A. (Anm.l) 27. Auf die schweizerische Verfassung stützt sich, wegen der Unterschiedlichkeil in Rechtssystem und Sprache, jedoch nur die Vorschrift des Art. 128, die bei Verfassungsänderungen Referenden vorsieht. 15 Elaine Thompson beispielsweise wählte für ihren Beitrag in: G. Winterton (Hrg.), We, the People: Australian Republican Govemment, Sydney, 1994, 97 den Titel: A Washminster Republic. 16 Bezeichnung für das die Verfassung enthaltende britische Gesetz. 17 Eine Übersetzung der australischen Verfassung findet sich zum Beispiel bei DoerkesBoppard W. N., Verfassungsgeschichte der Australischen Kolonien und des "Commonwealth of Australia", 1903, 197-235. Wegen der wenigen Verfassungsänderungen seit der Bundesgründung ist sie in den meisten Fällen noch zutreffend, juristisch aber manchmal ungenau. 18 Kapitell: Das Parlament; Kapitel2: Die Exekutivregierung; Kapitel3: Die Judikative; Kapite14: Finanzen und Handel; Kapite15: Die Länder; Kapitel 6: Neue Länder; Kapitel 7: Verschiedenes; Kapitel 8: Verfassungsänderung. 19 Teile I-V, Art. l-60. 20 Hause of Representatives bzw. Senate. 21 Art.6l-70. 22 Art. 61 lautet: The executive power of the Commonwealth is vested in the Queen and is exercisable by the Governor-General as the Queen' s representative, and extends to the execution and maintenance ofthis Constitution, and ofthe laws ofthe Commonwealth. 23 Federal Executive Council.

I. Die australische Verfassung - eine Verfassung ohne Grundrechtskatalog

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tungsorgan für den Generalgouverneur gedacht war,24 diesen längst in eine fast ausschließlich repräsentative Rolle ähnlich der der britischen Königin gedrängt hat und heute als Kabinett die Regierungstätigkeit wahrnimmt, wird in der australischen Verfassung nicht Rechnung getragen, sondern stützt sich auf Gewohnheitsrecht. 25 Das dritte KapiteP6 behandelt die Judikative und sieht in Art. 71 die Errichtung eines obersten Bundesgerichts, des High Court of Australia vor. 27 Dieser ist oberstes Appellationsgericht28 für Bundes- und Landesrecht und zugleich erstinstanzliebes Gericht in wenigen, von der Verfassung aufgezählten Fällen, beispielsweise in Angelegenheiten, in denen der Bund beteiligt ist,29 in Streitigkeiten zwischen den einzelnen Bundesländern30 und in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten.31 Kapitel IV 32 betrifft die Zuständigkeiten für das Finanzwesen und den Handel und sieht einen gemeinsamen australischen Markt vor. Kapitel V33 trifft Regelungen für die Bundesländer und ihr Verhältnis zum Bund, sowie die Fortgeltung ihrer Verfassungen und Gesetze. Wie in Deutschland bricht auch in Australien Bundesrecht das Landesrecht. 34 Kapitel VP5 befaßt sich mit der Einrichtung oder Zulassung neuer Länder und Kapitel VIP6 faßt unter dem Titel "Verschiedenes" Vorschriften zum Regierungssitz und zu Vertretern des Generalgouverneurs zusammen. Das achte Kapitel, das nur aus Art.l28 besteht, behandelt umfangreich das Verfahren zur Änderung der Verfassung. 24 s. Art. 62: There shall be a Federal Executive Council to advise the Governor-General in the government of the Commonwealth, and the members of the Council shall be chosen and summoned by the Governor-General and sworn as Executive Councillors, and shall hold office during his pleasure. 25 Zur Entwicklung der Rolle des Governor-General weg vom Repräsentanten der Regierung Ihrer Majestät in Großbritannien s. a. Mason A., Towards 2001 - Minimalism Monarchism or Metamorphism?, 21 (1995) Mon LR 1 (2f). 26 Art. 71-80. 27 Im folgenden nur als High Court bezeichnet. 28 s. Art. 73. 29 Art. 75 (iii). 30 Art. 75 (iv). Die australische Bezeichnung .. States" wird im folgenden mit Bundesland oder Land übersetzt. 31 Art. 76 (i) i. V. m. Art. 30 Judiciary Act, 1903 . 32 Art. 81-l05A. 33 Art. 106-120. 34 So bestimmt Art.109 der australischen Verfassung: When a law of a State is inconsistent with a law ofthe Commonwealth, the latter shall prevail, and the former shall, to the extent of the inconsistency, be invalid. 35 Art.121-124. 36 Art. 125-126.

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I. Kap.: Die Rechtslage in Australien

C. Geschriebene Grundrechtsverbürgungen An dem obigen Aufbau fallt vor allem auf, daß sich in der Auflistung kein Grundrechtskatalog befindet, die Verfassung somit nur den Charakter eines Organisationsstatuts trägt. Anders als der Verfassung der Vereinigten Staaten wurden der australischen nicht in späteren ,,Amendments" Grundrechte hinzugefügt. Sie enthält lediglich in einigen wenigen über die Verfassung verstreuten Vorschriften Ansätze, die als Grundrechte interpretiert werden können. 37 Es handelt sich dabei insbesondere um Art. 80 (Recht auf Geschworenenprozeß), Art. 116 (Religionsfreiheit), Art. 117 (Nichtdiskriminierung zwischen Einwohnern verschiedener Länder), Art. 92 (Handels- und Verkehrsfreiheit) und Art. 51 (xxxi) (Enteignung unter gerechten Bedingungen).38

1. Vorschriften a) Verfahrensgarantie des Rechts auf Geschworenenprozeß ("Trial by Jury") Art. 80 sieht vor: Der Strafprozeß (trial on indictment)39 wegen eines Verstoßes gegen ein Gesetz des Commonwealth muß mit Geschworenen stattfinden [... ]40

Mag man über den allgemeinen Wert eines Verfahrensgrundrechts auf einen Geschworenenprozeß, das sich für die Ohren deutscher Juristen etwas befremdlich anhört, streiten, und ist auch im angelsächsischen Rechtskreis das Geschworenensy37 Einen guten Überblick über die Menschenrechtssituation in Australien allgemein bietet Williams G., Human Rights under the Australian Constitution, 1999. 38 Michael Coperbezeichnet diese Freiheiten in seinem BuchEncounters with the Australian Constitution, 1987 (316) als die "fünf fadenscheinigen Freiheiten" (five flimsy freedoms). Gelegentlich werden auch noch Art.41 (Wahlrecht) und Art. 99 iVm Art. 51 (ii) genannt. Art.41 sicherte aber nur, daß Wahlberechtigte, die bei der Bundesgründung das Wahlrecht in einem Land besaßen, auch bei Bundeswahlen ihre Stimme abgeben konnten und schützte so vor allem das Frauenwahlrecht, das in einigen Kolonien bereits in Kraft war. (Vgl. auch King v. Iones, (1972) 128 CLR 221.) Art. 99 iVm Art 51 (ii) verlangt nur, daß der Bund nicht zwischen den einzelnen Ländern diskriminiert, ist also kein Individualgrundrecht Einen Überblick über die ansatzweise als Grundrechtsverbürgungen einzustufenden Vorschriften gibt beispielsweise H anks P., Constitutional Guarantees, in: Lee H. P./Winterton G. (Hrg), Australian Constitutional Perspectives, 1992, 92ff; ders., Constitutional Law in Australia, 1991, Chapter 13: Restraints on Govemmental Power, 400ff. Vgl. auch Mendelson D., Devaluation of a Constitutional Guarantee: The History of Section 51 (xxiiiA) of the Commonwealth Constitution, 23 (1999) Melb Univ LR308. 39 Das australische Strafprozeßrecht kennt- ähnlich dem englischen- trial on indictment und summary trial, wobei ersteres für schwerere Delikte und letzteres auf leichtere angewandt wird. Da sich die Begriffe mit der deutschen Terminologie nicht decken, wird hier bewußt auf eine Übersetzung verzichtet. 40 The trial on indictment of any offence against any law ofthe Commonwealth shall be by jury [ ...].

I. Die australische Verfassung- eine Verfassung ohne Grundrechtskatalog

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stem nicht völlig unumstritten,41 so muß es doch aus seinem historischen Kontext heraus verstanden und es muß, im Zusammenhang mit der sehr unterschiedlichen strafpozessualen Ordnung gesehen, anerkannt werden, daß dieses Verfahrensgrundrecht im Rechtskreis des common law einen hohen Stellenwert hat, ähnlich dem der deutschen Verfahrensgrundrechte in Art.lOl ff GG. Deshalb muß die Vorschrift als grundrechtliche Garantie eingestuft werden. Durch die Formulierung der Vorschrift in der australischen Verfassung erfährt dieses prozessuale Grundrecht jedoch zweierlei Einschränkungen. Zum einen betrifft das Recht nur das Bundesstrafrecht, also nicht das Strafrecht der Länder42 • Dabei ist wichtig im Auge zu behalten, daß, anders als in Deutschland, Strafrecht überwiegend Ländersache ist und die große Mehrheit der Strafverhandlungen somit nicht unter den Schutz dieses Artikel fällt. Wollte ein Land das Geschworenensystem abschaffen, stünde dem Art. 80 nicht entgegen. Als der High Court 1993 in einer Entscheidung erklärte, Art. 80 garantiere, daß Verurteilungen nur aufgrund von einstimmigen Beschlüssen stattfinden können, also nicht z. B. durch einen qualifizierten Mehrheitsbeschluß der Geschworenen, mußte er dies auf Verurteilungen nach Bundesrecht beschränken und stellte ausdrücklich fest, dies hieße nicht, daß die Länder innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches nicht auch solche Beschlüsse zulassen könnten.43 Weiter wird die Verfassungsgarantie dadurch eingeschränkt, daß nur trials on indictment, nicht aber die summarischen Verfahren erfaßt werden. Entscheidend ist dabei, daß die Verfassung nicht bestimmt, welche Verstöße nach welchem Verfahren geahndet werden, sondern dies dem Gesetzgeber überläßt. Richter Higgins beschrieb dies 1928 so: 41 Einen guten Überblick über die Entwicklung des Geschworenensystems mit Darstellung von Argumenten für und wider findet man z. B. bei Brown D. u. a., Criminal Laws, Materials and Commentary on Criminal Law and Process in New South Wales, Sydney 1990, Kapitel 3, 303-345. 42 Vgl. Quick J ./Garran R. (Anm. 1) § 340, 808. Auch auf Strafprozesse in den Territorien ist es nach einer Entscheidung des High Court nicht anwendbar (R. v. Bernasconi ( 1915) 19 CLR 629). Siehe jetzt aber die Entscheidung in Kruger & Others v. The Commonwealth ofAustralia (1997) 190 CLR I, in dem einige Richter die Anwendung einer anderen Verfassungsgarantie (Art. 116) auf die Territorien befürworteten. Es ist offen, ob sich diese Ansicht durchsetzen und auf andere Verfassungsgarantien ausgedehnt werden wird. Die Territorien (v. a. Australian Capital Territory und Northern Territory) sind keine Bundesländer sondern unterstehen direkt dem Commonwealth als bundesunmittelbare Gebiete. Ihnen sind weitgehende Selbstverwaltungsrechte eingeräumt. 43 Cheatle and Another v. R. (1993) 177 CLR 541 (insbesondere 562). Im Fall hatten zwei Angeklagte, die in Südaustralien nach Bundesrecht aufgrund von Mehrheitsbeschlüssen verurteilt wurden, Revision eingelegt. In Südaustralien sind, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, I 0:2 oder II: I - Mehrheitsentscheidungen der Geschworenen möglich; s. Art. 57, Juries Act, 1927 (SA).

3 Pinrof

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

wenn indictment vorgesehen ist, dann muß es Geschworene geben, aber es gibt nichts, was das indictment-Verfahren zwingend macht [...]44

Und Richter Menzies drückte dies 1968 so aus: [E]s ist jetzt überwiegende Meinung, daß Art. 80 der Verfassung nicht bedeutet, daß der Prozeß wegen jedweden Verstoßes gegen irgendein Gesetz des Commonwealth oder eines Verstoßes gegen irgendein Gesetz des Commonwealth, den man als schwer bezeichnen mag, mit Geschworenen stattfindet: dieser Artikel bedeutet nicht mehr, als er sagt, d . h. daß jedes /ndictment- Verfahren mit Geschworenen stattfindet.45

Der frühere Präsident des High Court, Chief Justice Barwick, meinte in Sprat v Hermesand Another: was als eine große Verfassungsgarantie gedacht gewesen sein mag, entpuppte sich als bloße Verfahrensvorschrift46

In jüngerer Zeit gab es einige Minderheitsvoten, die der Vorschrift als Garantie wieder mehr Anwendungsbereich geben wollten. 47 Ebenso wie der Versuch, 1988 einen verbesserten Artikel in die Verfassung einzufügen, setzten sie sich jedoch nicht durch. 48 Art. 80, als eine der wenigen Garantien in der Australischen Verfassung, hat daher nur eine sehr geringe Bedeutung, was bereits in den Debatten zum Verfassungsentwurf49 erkannt worden war und von einigen, denen selbst diese Garantie noch zu weit ging, sogar begrüßt wurde.50 44 [/]fthere be an indictment, there must be ajury but there is nothing to compel procedure by indictment [ ...]; R. v. Archdall and Roskruge; Ex parte Carrigan and Brown (1928) 41 CLR /28 (139f; Richter Higgins). 45 [/]t is now weil established that s.80 ofthe Constitution does not mean that trialfor any offence, or, what may be called a serious offence, against any law of the Commonwealth shall be by jury; this section means no more than it says, i. e., that every trial on indictment shall be by jury. Zarb v. Kennedy (1968) 121 CLR 283 (298; Richter Menzies). 46 What might have been thought tobe a great constitutional guarantee has been discovered tobe a mere procedural provision. (1965) 114 CLR 226 (244). 47 So z. B. Richter Deane, in: Kingsweil v R. (1985) 62 ALR 161 (185ft). Vgl. im Zusammenhang mit Justizgrundrechten aber auch die 4:3- Entscheidung in: McKinney v R; (1991) 171 CLR 468, wo im Hinblick auf die für den Angeklagten schwierige Beweissituation dem Strafrichter die Pflicht auferlegt wird, bei nicht durch zusätzliche Beweismittel gestützten Geständnissen vor der Polizei, die Geschworenen vor der Gefahr, allein aufgrund dieses Geständnisses schuldig zu sprechen, zu warnen. Der Angeklagte soll so vor Verurteilungen aufgrund von der Polizei erzwungener Geständnisse geschützt werden. Darin zeigt sich ein größeres Bewußtsein um die Notwendigkeit von Verfahrensgarantien. 48 Final Report of the Constitutional Commission, Bd. I, Canberra 1988, 22 f; s. a. unten S. 45. 49 Official Record of the Debates of the Australasian Federal Convention, Third Session, Melbourne, Bd. II, 1894- 1895. Im folgenden Convention Debates. so Vgl. ibid. Bd.l, 350-353.

I. Die australische Verfassung- eine Verfassung ohne Grundrechtskatalog

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Auch eine ungeschriebene Verfassungsgarantie eines fairen Verfahrens allgemein (fair trial) wurde bislang noch nicht anerkannt. 5 1 b) Religionsfreiheit52

Der an die amerikanische Verfassung angelehnte Art. 116 lautet: Der Commonwealth darf kein Gesetz zur Einführung irgendeiner Religion oder zur Auferlegung irgendeines religiösen Brauchs oder zum Verbot der freien Ausübung irgendeiner Religion erlassen, und es darf kein religiöser Test als Voraussetzung für irgendein Amt oder irgendein staatliches Treubandsverhältnis des Commonwealth gefordert werden. 53

Die Religionsfreiheit wird auch in Australien als hohes Rechtsgut eingestuft. So meinten die Richter Mason und Brennan in The Church ofthe New Faith v The Commissioner of Pay-Roll Tax (Victoria) (Scientology Case): Die Religionsfreiheit [...] ist wesentlich in einer freien Gesellschaft. [ ... ] Religion ist[...] ein Konzept von grundlegender Wichtigkeit für das Recht. 54

Dennoch ist das vermeintliche Grundrecht der Religionsfreiheit des Art.116 wie Art. 80 in mehrerer Hinsicht nur eine sehr beschränkte Garantie. Zum einen betrifft auch sie nur den Bund und nicht die Länder. Zwar war der Artikel ursprünglich als Beschränkung der Länder vorgesehen,55 man einigte sich jedoch im Verlauf der Verfassungsdebatten darauf, daß es nicht opportun sei, die Länder unnötig zu beschränken, zumal kein Anhaltspunkt dafür bestand, daß die Länder jemals die freie Religionsausübung antasten würden. Im Hinblick auf den Einleitungssatz in der Präambel, der den Segen des "Allmächtigen Gottes" beschwört, hielt man es aber für nötig, eine Garantie gegenüber Commonwealth-Gesetzen einzufügen. Man wollte so der Angst Rechnung tragen, daß durch diese Formel ein Recht des Commonwealth entstünde, religiöse Bräuche und Gepflogenheiten vorzuschreiben, wie es angeblich in den U.S.A. geschehen sei.56 st Siehe unten S. 56.

Ein sehr guterund kritischer Überblick findet sich bei Gaze B./Jones M., Law, Liberty and Australian Democracy, 1990, Kapitel?, 243ff. Einen Vergleich mit der OS-Verfassung zieht Puls J., The Wall of Separation: Section 116, The First Amendment and Constitutional Religious Guarantees, 26 (1998) Fed LR 139. 53 The Commonwealth sha/1 not make any law for establishing any religion, or for imposing any religious observance, or for prohibiting the free exercise of any religion, and no religious test sha/1 be required as a qualificationfor any office or public trust under the Commonwealth. 54 Freedom of religion [. .. ] is of the essence of a free society. [. ..]Religion is [. ..] a concept offundamental importance to the law. (1983) 154 CLR 120 (130). 55 Dies erklärt die Anomalie, daß sich eine Vorschrift, die den Bund betrifft, im Kapitel über die Länder befindet. 56 Siehe Convention Debates (Anm. 49) Bd. I, 654- 664 und Bd. II, 1769-1779 (vor allem 1770; 1779). Zur Entstehungsgeschichte des Artikels, s. a. den sehr anschaulichen Artikel von Pannam C., Travelling Section 116 with a U. S. Road Map, 4 ( 1963) Me1b Univ LR 41. Vor al52

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1. Kap.: Die Rechtslage in AustraUen

Die Effektivität der Vorschrift wird weiter dadurch beschränkt, daß dem Commonwealth gar keine Kompetenz zusteht, Gesetze bezüglich Religion oder Religionsausübung zu erlassen, die Garantie also nur dann überhaupt einschlägig ist, wenn der Bund auf Grund anderer Zuständigkeiten ein Gesetz erläßt, das die freie Religionsausübung inzident mitbetrifft 57 Zusätzlich interpretieren die meisten der High-Court-Richter Art. 116 nur sehr eng; er greife nur dann ein, wenn der Zweck des Gesetzes auf ein Verbot der freien Religionsausübung ziele, nicht aber, wenn die Beeinträchtigung der Religionsausübung nur "Beiprodukt", nur inzidente Auswirkung des Gesetzes sei.58 Ungeklärt ist auch, ob die weitreichende Kompetenz des Commonwealth für die Bundesterritorien in Art. 122 der Verfassung durch Art. 116 beschränkt wird. Im jüngsten Fall, in dem diese Frage eine Rolle spielte,59 nahmen lediglich drei Richter an, daß Art. 116 auch Art.l22 beschränke.60 Darüberhinaus verbietet die Garantie nur den Erlaß von Gesetzen, betrifft also zumindest dem Wortlaut nach nur die legislative Gewalt des Bundes.61 Zwar hat das Bundesgericht62 1987 in einem Fall entschieden, daß Art.116 auf Verwaltungstätigkeit zumindest soweit einwirke, als ein Gesetz, das die Grundlage einer gegen Art. 116 verstoßende Verwaltungshandlung bilde, soweit es diese Handlung autorisiere, verfassungswidrig und nichtig sei.63 Es liegt aber keine eindeutige Rechtsprechung des High Court vor; lediglich Richterin Gaudran betonte im oben genannten Kruger-Fall, auch unter Berufung auf das Votum eines Richters in einem früheren lern die Siebentagsadventisten, die ihren Ruhetag am Samstag begehen und dafür am Sonntag arbeiten, befürchteten, daß sie durch die Präambel auf Umwegen gezwungen werden könnten, ebenfalls am Sonntag ihren Ruhetag abzuhalten, vgl. McLeish St., Making Sense of Religion and the Constitution: a Fresh Start for Section 116, 18 (1992) Mon LR207 (218). 57 So z. B. wenn der Bund zu Kriegszeiten ein auf seine Verteidigungskompetenz gestütztes Gesetz erläßt, das ,subversive' Vereinigungen (auch religiöse) verbietet und so in deren freie Religionsausübung eingreift. Vgl. Adelaide Company of Jehovah's Witnesses Jncorporated v. The Commonwealth (1943) 67 CLR 116, wo eine auf dieses Gesetz gestützte Verfügung zur Beschlagnahme des Königreichsaales der Zeugen Jehovas aufrechterhalten wurde. 58 Krugerand Others v. The Commonwealth of Australia (1997) 190 CLR 1 (40 [Richter Brennan]; 160 [Richter Gummow]; dagegen Richterin Gaudran 130-132). 59 Krugerand Others v. The Commonwealth ofAustralia ( 1997) 190 CLR 1. Ausführlich zu Krugersiehe unten S. 122. 60 Richter Toohey, Richterin Gaudran und Richter Gummow. (1997) 190 CLR 1 (85; 122f; 162 und 166f). 61 Vgl. dazu z. B. die Meinung von Präsident Barwiek in Attorney-General (Vict.) ex rel. Black v. The Commonwealth (1981) 146 CLR 559 (580f). 62 Das Bundesgericht (Federal Court) ist ein nach Art. 71 der Verfassung durch den Federal Court Act, 1976 eingerichtetes Gericht des Commonwealth, das anders als der High Court ausschließlich für Bundesrecht zuständig ist. Von ihm sind Berufungen zum High Court möglich. 63 Minister for Immigration and Ethnic Affairs v Lebanese Moslem Association and Others, (1987) 71 ALR 578 (v.a.584).

I. Die australische Verfassung- eine Verfassung ohne Grundrechtskatalog

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Urteil, daß es sich bei Art.116 nicht um eine Verfassungsgarantie, sondern um eine Beschränkung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes handele.64 Die weitgehend ungeklärte Rechtslage veranlaßte die Verfassungskommission von 1988, eine Verfassungsänderung zu empfehlen, mit dem Ziel, die Beschränkung auf Gesetze wegfallen zu lassen.65 Ein Änderungsvorschlag, der aber bis heute nicht umgesetzt wurde.66

c) Keine Diskriminierung von Bewohnern der anderen Bundesländer Art. 117 bestimmt: Ein in einem Land ansässiger Untertan der Königin darf in keinem anderen Land einer Behinderung oder Diskriminierung unterworfen werden, die nicht gleichfalls auf ihn anwendbar wäre, wenn er in diesem anderen Land als Untertan der Königin ansässig wäre. 67

Dieses ursprünglich dem14th Amendment der U. S.-Verfassung sowie deren article IV section 2 nachgebildete Diskriminierungsverbot war im Verfassungskonvent hitzigen Debatten ausgesetzt, wurde dann völlig gestrichen und später in heutiger Form wieder eingeführt.68 Aufgrund ihrer mißglückten Formulierung und einer sehr engen, formalistischen Auslegung69 in frühen Entscheidungen7o des High Court war die Vorschrift jahrzehntelang "aller Macht beraubt und der verfassungsrechtlichen Obskurität geweiht"71. In Davies and Jones v. Western Australia hatte der High Court entschie64 Richterin Gaudran in Kruger & Others v. The Commonwealth of Australia, (1997) 190 CLR I ( 124f) unter Berufung auf das Votum des Richters Stephen in Attorney-General (Vict.) ex rel. Black v. The Commonwealth (1981) 146 CLR 559 (605). Für einen Neuanfang bei der Auslegung von Art. 116 plädiert in einem sehr umfangreichen und detaillierten Artikel: McLeish St., Maldng Sense of Religion and the Constitution: A Fresh Start For Section 116, (1992) 18 Mon LR207. 65 First Report of the Constitutional Commission, Bd. II, Canberra, 1988, 620. Ein Kommentar dazu findet sich bei: Sneddon M., Religious freedom, How much of a good thing do you need? 62 (1988) LIJ 844. 66 Vgl. dazu unten S.45. 67 A subject of the Queen, resident in any State, shall not be subject in any other State to any disability or dicrimination which would not be equally applicable to him if he were a subject of the Queen resident in such other Stare. 68 Convention Debates (Anm.49) Bd. I, 664-691; Bd. II, 1750-1768 und 1780-1802. Siehe auch die Erläuterungen bei Pannam C., Discrimination on the Basis of State Residence in Australia and the United States, (1967) Melb Univ LR 105 (106- 116) und bei Mathieson M., Section 117 of the Constitution: The Unfinished Rehabilitation, 27 ( 1999) Fed LR 393 (394 ff). 69 Richter Deane bezeichnet diese als "einen Sieg der Form über den Gehalt" (a triumph of form over substance), Street v. Queensland Bar Association and Others (1989) 168 CLR 461 (523). 70 Siehe vor allem Davies and Jones v. Western Australia (1904) 2 CLR 29. 7 1 So Ebbeck G., The Future ofSection 117 as a Constitutional Guarantee, (1993) 4 PLR 89 (was leached of all potency and doomed to constitutional obscurity).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

den, daß es einen Unterschied zwischen domicile und residence (in etwa dem deutschen Unterschied zwischen Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt entsprechend) gebe. Eine Diskriminierung aufgrund des domicile sei aber von der Verfassung nicht verboten. Den Ländern wurde damit ein Mittel in die Hand gegeben, durch einfaches Hinzufügen eines weiteren Qualifizierungsmerkmals neben dem der residence, doch die Bürger der anderen Länder zu diskriminieren, so daß die Vorschrift als Verfassungsgarantie praktisch wertlos wurde. Erst die Entscheidung Street v. Queensland Bar Association72 im Jahre 1989 "hauchte ihr wieder Leben ein"73 • In dieser Entscheidung wurde der Funktion des Art. 117 als eine der"Verfassungssäulen der rechtlichen und gesellschaftlichen Einheit des australischen Volkes"74 Rechnung getragen und die Vorschrift zu Gunsten eines Rechtsanwaltes, der als Einwohner von New South Wales im Bundesland Queensland mangels eines gewöhnlichen Aufenthalts dort nicht zugelassen wurde, aus ihrem langen Dornröschenschlaf erweckt. Obwohl die Street-Entscheidung in vielen Bereichen, vor allem bei der Frage, was eigentlich eine Diskriminierung sei, mehr Klarheit geschaffen hat,75 bleibt noch vieles bezüglich der Reichweite und der Wirkung dieser Verfassungsgarantie offen: Insbesondere die Berechtigten der Garantie sind nicht genau umrissen. Ihrem Wortlaut nach können sich nur "Untertanen der Königin", d. h. australische Staatsbürger und sonstige britische Untertanen, auf Art. 117 berufen. Das bedeutet zum einen, daß die im Einwanderungsland Australien in großer Zahl vorhandenen Immigranten, die nicht die australische Staatsbürgerschaft angenommen haben, sondern nur eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis besitzen, sog. permanent residents, denen aber weitgehend gleiche Rechte wie den Staatsbürgern und -bürgerinnen eingeräumt wurden, vom Schutz der Vorschrift ausgenommen sind. Auf der anderen Seite könnten sich alle Untertanen der britischen Monarchie, beispielsweise Briten und Kanadier, die Vorschrift zu nutze machen, unabhängig davon, ob sie die australische Staatsbürgerschaft besitzen oder nicht.16 Es findet also eine im heutigen, multikulturellen Australien kaum mehr haltbare Unterscheidung von Personen ohne australische Staatsbürgerschaft in "britische Untertanen" und "andere" statt. (1989) 168 CLR 461. SoHanks P., Constitutional Law in Australia, 1991, 437. [...] has breathed life into a provision which had been effectively killed off by the earlier decisions [. ..]. 74 Sections 92 and 117 are the constitutional pillars of the legal and social unity of the Australian people [. ..], Richter Brennan in Street (Anm. 72) 512. 75 Die Entscheidung wurde später in Goryl v. Greyhound Australia Pty Limited and Another (1993) 179 CLR 463 bestätigt. Kritisch zu den beiden Entscheidungen Mathieson M., Section 117 of the Constitution: The Unfinished Rehabilitation, 27 (1999) Fed LR 393. 76 Vgl. auch Lumb R. D., The Constitution of the Commonwealth of Australia Annotated, 1986, Art. 117 (Rn. 726). A. A. Pannam C., Discrimination on the Basis of State Residence in Australia and the United States, (1967) Melb Univ LR 105 ( 141). 72

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Zwar liegt zu diesem Problem noch keine Entscheidung des High Court vor, im Street- Fall erklärten jedoch einige Richter77 in obiter dicta, daß "Untertan der Königin" zumindest als "Untertan der Königin in ihren Rechten als Königin von Australien" zu interpretieren sei,18 ließen dann aber offen, wer darunter falle. Zwei Richter gingen sogar so weit, "Untertanen der Königin" als "Australische Staatsbürger" zu verstehen. 79 Juristische Personen können nicht "Untertanen der Königin" sein und sind daher vom Schutz des Art. 117 ausgenommen.8° Ob die Vorschrift auch den Commonwealth bindet, ist ungeklärt, da sie sich explizit nur an die Länder richtet und auch im Kapitel "Länder" eingeordnet ist. 81 Ebenso ist fraglich, ob sich auch Einwohner der Territorien auf das Diskriminierungsverbot berufen können, da ausdrücklich nur von "Ländern" die Rede ist.82 Unklar ist ferner, inwieweit die Vorschrift beschränkt werden kann. 83 So bleibt auch diese Verfassungsgarantie nur eine grundrechtliche Rumpfvorschrift

d) Handels- und Verkehrsfreiheit zwischen den Ländern Art. 92 Abs. 1 sieht vor: Mit der Auferlegung von einheitlichen Zollabgaben werden Handel, Gewerbe, und Verkehr zwischen den Ländern, gleich ob auf dem internen Land- oder dem Seeweg, absolut frei. 84

Diese Vorschrift, die sich im Kapitel über "Finanzen und Handel" befindet, ist wohl die am heftigsten umstrittene Bestimmung der australischen Verfassung. 85 Street (Anm. 72) 505 (Richter Brennan), 554 (Richter Toohey), 512 (Richterin Gaudron). Subject of the Queen in right ofAustralia. 79 Street (Anm. 72) 525 (Richter Deane), 541 (Richter Dawson). Der Entwurf des verfassungsändernden Gesetzes zur Errichtung einer Republik, der im gescheiterten Referendum vom 6. November 1999 zur Abstimmung stand, sah auch eine Änderung des Wortlauts von Art. 117 zu "Australischer Staatsbürger" (Australian Citizen) vor; Constitution Alteration (Establishment ofRepublic) Bill, 1999, Schedule 2, Punkte 38 und 39. Siehe auch Richter Kirby in D.J.L. v. Central Authority, [2000] HCA 17 (13. April2000), Absatz 134. 80 Vgl. dazu die Richter Brennan und Deane in Street (Anm. 72) 503; 533. 81 Vgl. Sawer G., The Australian Constitution, Canberra, 1988, 32. 82 Zur oben genannten Problematik s. Richter Brennan in Street (Anm. 72) 503 und Pannam C. (Anm. 76) 140. 83 Dazu Chief Justice Mason, Richter Brennan und Richterin Gaudron in: Street (Anm. 72) 491 f; 512 f und 570, sowie kritisch Ebbeck G. Anm. 71. Im Rahmen dieser Arbeit kann auf diese Fragen nicht näher eingegangen werden. 84 On the imposition of uniform duties of customs, trade, commerce, and intercourse among the States, whether by means ofinternal carriage or ocean navigation, shall be absolutely free . 85 Vgl. die Ausführungen des High Court in Cole v. Whitfield and Another ( 1988) 165 CLR 360 (383 a. E. ft). 77

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

In die Verfassung zur Schaffung einer freien Handelszone aufgenommen, gibt es zur ihrer Auslegung etwa 140 höchstrichterliche Entscheidungen. Auch die Lehre wurde durch sie immer wieder herausgefordert. 86 Richter Deane wies 1986 auf die Verworrenheit der Ansichten hin, als er in Miller v. TCN Channel Nine Pty Ltd meinte: es ist, als hätten viele Stimmen von Autorität zur gleichen Zeit Verschiedenes gesprochen mit dem Ergebnis, daß [... ] es nahezu unmöglich ist, genau zu verstehen, was die Lehrmeinung nun aussagt.87

Die Vorschrift, die ihrem Zweck nach der Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 EGV entspricht, hat zwei Komponenten: zum einen die Handels- und Gewerbefreiheit und zum anderen die Verkehrsfreiheit Erstere hat in der Rechtsprechung das größere Gewicht eingenommen. Bis zur einstimmigen Entscheidung des High Court in Cole v. Whitfield im Jahre 198888 wurde die Vorschrift sehr liberal im Sinne eines Rechts auf Freiheit des zwischenstaatlichen Handels, Gewerbes und Verkehrs von jeglicher staatlicher Kontrolle verstanden. Dabei war gleichgültig, ob diese Kontrolle den Handel zwischen den Ländern im Vergleich zum Handel innerhalb eines Landes diskriminierte oder nicht. 89 In Cole v. Whitfield besann man sich auf die Geschichte und den Kontext des Artikels und führte einen neuen Testmaßstab ein: Maßgeblich ist nunmehr, ob die beanstandeten Maßnahmen in ihrer rechtlichen oder faktischen Wirkung in einem protektionistischen Sinne den Handel zwischen den Ländern diskriminieren. Nur solche protektionistischen Maßnahmen sind jetzt durch Art. 92 verboten. Während sich die meisten Art. 92-Fälle auf die Freiheit des Handels und Gewerbes zwischen den Ländern konzentrierten, ist vom grundrechtliehen Standpunkt aus gesehen die Freiheit des zwischenstaatlichen Verkehrs interessanter. Bereits früh wurde letztere als verschieden von den beiden ersteren gesehen.90 In Cole v. Whitfield bestätigte der High Court ein früheres Urteil mit dem Inhalt, daß die Freiheit des zwischenstaatlichen Verkehrs "eine Garantie persönlicher Freiheit, ,zwischen den Ländern ohne Last, Behinderung oder Beschränkung hin und her zu wandern' 86 s. z. B. Coper M., Freedom of Interstate Trade under the Australian Constitution, Sydney, 1983. 1979 veranstaltete die juristische Fakultät der University of New South Wales sogar ein Essen zu Ehren von Art. 92, wobei sich die Speisekarte aus Speisen und Getränken, die Streitgegenstände von Art. 92-Fällen waren, zusammensetzte. Dazu Coper M., Encounters with the Australian Constitution, 1987, 312 f. 87 lt is as if many voices ofauthority have been speaking differently at the sametime with the result that [ ...] it is alt but impossible to camprehend precisely what it isthat authority has said. (1986) 161 CLR 556 (616). 88 Anm.85. 89 Für eine kurze Zusammenfassung der Entwicklung der Rechtsprechung zu Art. 92 s. Hanks P., Constitutional Law in Australia (Anm. 38) 414f. 90 Dies bemerkte auch der High Court ausdrücklich in Cole v. Whitfield (Anm. 85) 387f.

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umfaßt". 91 Dieses Freizügigkeitsrecht sei nicht unbedingt den gleichen Beschränkungen wie die Freiheit des zwischenstaatlichen Handels unterworfen.92 Inhaltlich kann diese Freiheit sehr weit gehen, so beriefen sich die Kläger in einem Verfahren auf ein sich aus Art. 92 Abs. l ergebendes Recht auf free movement and communication. Das Verfahren wurde allerdings dann auf anderer Grundlage entschieden.93 Da bislang nur zwei ältere Entscheidungen94 auf der Basis der "Verkehrs-Alternative" des Art. 92 entschieden wurden, ist noch nicht absehbar, wie sich die Bestätigung der Freizügigkeitsgarantie durch den High Court auswirken wird. Festzuhalten bleibt, daß Art. 92 als einzige grundrechtliche Vorschrift sowohl den Commonwealth als auch die Länder bindet.95 Dadurch und durch die Möglichkeit der inhaltlichen Ausdehnung bietet er zumindest Potential für eine grundrechtliche Garantie, die allerdings nur für die Gesetzgebung und die Exekutive bindend ist. 96

e) Enteignung unter gerechten Bedingungen ("just terms " ) Der Kompetenzkatalog für das Bundesparlament des Art. 51 enthält folgende Bestimmung: Das Parlament hat die Befugnis, gemäß dieser Verfassung, Gesetze für den Frieden, die Ordnung und die gute Regierung des Commonwealth zu erlassen, in bezug auf: [ ...] (xxxi) Den Erwerb von Eigenturn unter gerechten Bedingungen von jedem Land oder jeder Person für jeden Zweck, hinsichtlich dessen das Parlament die Gesetzgebungsbefugnis besitzt: [ ... ]97

Diese Vorschrift besitzt eine doppelte Funktion. Zum einen gewährt sie dem Commonwealth Gesetzgebungsbefugnis, zum anderen wurde sie bereits früh als 91 [ ...] a guarantee ofpersonalfreedom "to pass to andfro among the States without burden, hindrance or restriction" [ ...] Anm. 85, 393. 92 Cole v. Whitfield (Anrn. 85) 393 f. 93 Miller v. TCN Channel Nine Pty Ltd 161 (1986) CLR 556. 94 R v Smithers; Ex Parte Bensan (1912) 16 CLR 99 und Gratwiek v Johnson (1945) 70 CLR 1. 95 Siehe Cole v. Whitfield (Anrn. 85) 396. 96 Vgl. Richter Brennan in Theophanous v. Herald and Weekly Times Pty Ltd and Another (1994) 182 CLR 104 (149). 97 The Parliament shall, subject to this Constitution, have power to make lawsfor the peace, order, and good government of the Commonwealth with respect to: -

[ ...]

(xxxi) The acquisition ofproperty on just terms from any State or person for any purpose in respect ofwhich the Parliament has power to make laws: [. ..].

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Schutzvorschrift gegen ungerechtfertigte Enteignungen gesehen.98 Dies stellt eine widerspruchliehe Entwicklung des australischen Verfassungsrechts dar, das als nicht gerade grundrechtsfreundlich selbst die wenigen vorhandenen Garantien zumindest bis vor kurzem noch weitgehend beschnitt. Auf der anderen Seite wurde nun eine Vorschrift, die eigentlich als Kompetenzvorschrift gedacht war, äußerst liberal interpretiert und zur verfassungsrechtlichen Garantie erhoben. In einem 1984 vom High Court entschiedenen Fall wurde sogar ausdrucklieh festgestellt, daß Art. 51 (xxxi) "den Status einer Verfassungsgarantie der gerechten Bedingungen angenommen hat und, wie einer solchen Verfassungsvorschrift angemessen, liberal ausgelegt werden muß. "99 Besonders weit wurde von jeher der Begriff ,,Eigentum" ausgelegt. So wird darunter nicht eine enge sachenrechtliche Definition von Eigentum verstanden, sondern es fallen auch alle- im weitesten Sinne- eigentumsähnlichen Rechte, beispielsweise Besitz und Anwartschaften, die sich aus Ansproehen auf Erneuerung von Pachtverträgen ergeben, darunter. 100 Auch "Erwerb" wird weit verstanden und schließt beispielsweise auch die Erlangung des ausschließlichen Besitzes und die Übernahme der Kontrolle der Geschäfte einer Bank durch vom Bund eingesetzte Direktoren ein. Ferner muß nicht der Bund oder die Bundesregierung selbst Erwerber sein, sondern es muß sich nur um einen Erwerb für einen Bundeszweck handeln.101 98 Siehe z. B. Bank ofNew South Walesv. Commonwealth ( 1948) 76 CLR 1, besonders 349 f (Richter Dixon). 99 Has assumed the status ofa constitutional guarantee ofjust terms and is tobe given the liberal construction appropriate to such a constitutional provision [ ...], Clunies-Ross v Commonwealth, (1984) 155 CLR 193 (201 a.E.f). 100 Siehe dazu The Minister ofState for the Army v. Da/ziel (1944) 68 CLR 261 (290) und zusammenfassend Lumb R. D. (Anm. 76) Rn 357 und Hanks P., Constitutional Law in Australia (Anm. 38) 404f. Etwas einschränkend dieneuere Entscheidung Australian Tape Manufacturers Association Ltd and Others v. The Commonwealth of Australia (1993) 176 CLR 480, wo eine Vergütung im Rahmen des Urheberrechts nicht als unter s. 51 (31) fallend gesehen wurde. Zur Abgrenzung auch Mutual Pools & Staff Pty Ltd v. Commonwealth of Australia (1994) 119 ALR 577. Zu Bergbaurechten als Eigentum im Sinne der Verfassungsvorschrift s. Newcrest Mining (WA) Ltd v. The Commonwealth, (1997) 71 AUR 1346. 101 Zu den einzelnen Fallen, s. vor allem Hanks P., Constitutional Law in Australia (Anm. 38) 405 ff. Siehe aber auch 0' Brien D., The One That Almost Got Away- The Constitutional Guarantee of Just Terms, (1994) 5 PLR 7, der den unveröffentlichten Fall Minister for Primary 1ndustries and Energy v Davey vom 2. 12. 1993 bespricht. Dort hatte das Bundesgericht es abgelehnt, Art. 51(xxxi) auf die Beschränkung von Fischereikapazitäten durch den Bund anzuwenden, da kein Erwerb von Eigentum vorliege. Siehe auch die neuere Entscheidung Georgiadis v. Australian and Overseas Telecommunications Corporation (1994) 119 ALR 629, die das Auslöschen von klagbaren Ansprüchen auf Entschädigung durch ein Gesetz als Erwerb von Eigentum ansah, aber auch den Fall Re Director of Public Prosecutions; Ex Parte Lawler and Another ( 1994) 119 ALR 655, in dem die Einziehung von Gegenständen, die als Werkzeug für die Begehung eines Strafsachverhalts benutzt worden waren, auch wenn sie an der Tat nicht beteiligten Dritten gehören, nicht als Eigentumserwerb betrachtet wurde. Ebenfalls einschränkend: Health lnsurance Commission v. Peverill ( 1994) 119 ALR 675.

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"Unter gerechten Bedingungen" bedeutet nicht, daß immer eine Entschädigung in Höhe des vollen Wertes gezahlt werden muß; vielmehr sind die Individualinteressen und das Interesse der Gemeinschaft abzuwägen, da es bei "just terms" um Fairneß geht. 102 Das kann auf der anderen Seite auch zur Zahlung der Kosten für die Beschaffung eines Ersatzes führen, selbst wenn diese den Marktwert des Erworbenen übersteigen.IOJ Obwohl diese Entwicklung zur Grundrechtsvorschrift erfreulich ist, ist einschränkend zu erwähnen, daß diese Verfassungsgarantie nur für den Commonwealth gilt. Die Länder sind also frei, nach Belieben auch ohne Entschädigung zu enteignen, da sie an die Vorschrift des Art. 51 (xxxi) nicht gebunden sind und auch ihre eigenen Verfassungen keine diesbezüglichen Beschränkungen aufweisen. 104 Eine weitere Einschränkung der Garantie liegt in Art. 122, der sog. Territoriumskompetenz des Bundes. Diese Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Territorien ist umfassend und wird von Art. 51 (xxxi) nicht beschränkt, 105 so daß der Bund von Verfassungs wegen nicht gehindert ist, Bürger in den Territorien ohne Entschädigung zu enteignen. 2. Gründe für das Fehlen eines Grundrechtskatalogs Die Gründe, warum in die australische Verfassung kein Grundrechtskatalog aufgenommen wurde, sind vielfältig, 106 liegen jedoch hauptsächlich in dem vom britischen Mutterland übernommenen Vertrauen in die funktionierende parlamentarische Demokratie und die Allzuständigkeit des Parlaments. 107 Gerade das Vertrauen 102 Nelungaloo Proprietary Limited v The Commonwealth and Others (1948) 75 CLR 495 (569). 103 The Minister of State for the Army v Parbury Henty & Copmany Proprietary Ltd (1945) 70 CLR 459 (491 [PräsidentLatham]; 515f [Richter Williams]). 104 Dazu s. die Entscheidung Pye v. Renshaw (1951) 84 CLR 58, in der die Nichtbindung der Länder zur Umgehung der Bundesvorschrift benutzt wurde, um Eigentum nicht unter gerechten Bedingungen erwerben zu müssen, und unten S. 182. 105 Teori Tau v The Commonwealth of Australia and Others ( 1969) 119 CLR 564. Jetzt aber die Entscheidung Newcrest Mining (Anrn. 100), in der entschieden wurde, daß nur Gesetze, die sich ausschließlich auf die Kompetenz des Art. 122 stützen können, nicht von der Verfassungsgarantie betroffen sind, nicht jedoch solche, die sich auch auf Art. 51 als Gesetzgebungsbefugnis berufen. 106 Michael Coper spekuliert in seinem Artikel Speak Easy, 3 (1992) Polemic 156 (161 ), ob die australische Verfassung einen Grundrechtskatalog enthielte, wenn bei der Flußfahrt mit der SS Lucinda über das Osterwochenende 1891, als das mit dem Verfassungsentwurf befaßte Kommittee des Konvents von 1891 den Kern der heutigen Verfassung schrieb, der BefürworteT eines Grundrechtskatalogs, Andrew lnglis Clark, nicht durch eine Grippe von der Teilnahme abgehalten worden wäre. 107 Siehe dazu den Vortrag des ehemaligen Präsidenten des High Court, Sir Owen Dixon, 1\vo Constitutions Compared, in: Jesting Pilate and Other Papersand Addresses, 100 (102), sowie die sehr interessante Untersuchung der Konzeptionen und Vorstellungen der Verfassungs-

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

in eine funktionierende Demokratie veranlaßte Delegierte der Verfassungskonvente danach zu fragen, warum man denn die Rechte des Parlaments beschränken solle, 108 dies sei alarmierend, 109 und ob denn jemals ein Parlament der Kolonien zu solchem Mißtrauen Anlaß gegeben hätte. 110 Der Delegierte Dr. Cockburn meinte, es würde als negative Reflexion auf die australische Gesellschaft wirken, "die Leute würden sagen- ,Nett, diese Länder Australiens; sie müssen durch eine Vorschrift in der Verfassung davon abgehalten werden, die gröbste Ungerechtigkeit zu tun. "' 111 Ein weiteres Argument war, daß viele in der US-Verfassung enthaltene Artikel, die zum Vergleich herangezogen wurden, nur aus der historischen Situation (z. B. dem Bürgerkrieg) heraus entstanden waren und man glaubte, daß es deshalb nicht nötig sei, diese Vorschriften für Australien zu übernehmen, und sie im übrigen auch in den USA inzwischen überflüssig geworden seien. 112 Sicher spielte das allgemeine politische Klima beim Entwurf der australischen Verfassung eine Rolle. Anders als die meisten anderen Demokratien mußte sich Australien nicht von einer Diktatur befreien oder wie in den Vereinigten Staaten die britische Unterdrückung abschütteln, so daß es sich auch nicht genötigt sah, die Wiederholung solchen Unrechts durch die Verankerung von Menschenrechten zu verhindern.1 13 Nicht außer Acht lassen darf man ferner, daß die australische Verfassung letztlich vom britischen Parlament verabschiedet wurde 114 und im Mutterland der Parlamentssouveränität ein Grundrechtskatalog wohl sehr befremdlich gewirkt hätte. Der Historiker La Nauze sieht als weiteren Grund für das Fehlen eines Grundrechtskatalogs die Uneinigkeit der Juristen im Verfassungskonvent über dessen pro und contra. Er meint, die Nichtjuristen hätten daraus den Schluß gezogen, die Aufnahme eines Grundrechtskatalogs besser zu unterlassen. 115 Auf der anderen Seite waren nicht nur hehre Vorstellungen von Demokratie und Vertrauen in das gewählte Parlament maßgebend für das Schweigen der australischen Verfassung in bezug auf Menschenrechte. Es wurde von den Delegierten klar gesehen, daß einige bestehende Gesetze der Kolonien durch die Aufnahme von bestimmten Grundrechten in die Verfassung verfassungswidrig wären. Dies wollte gründer in bezug auf Grundfreiheiten von Patapan H., The Dead Hand of the Founders? Original Intent and the Constitutional Protection of Rights and Freedoms in Australia, 25 ( 1997) Fed LR211. 108 Official Records of the Debates of the Australasian Federal Convention, Third Session, Melbourne 1898, Bd. I, 350 (Delegierter Glynn ). 109 Ibid. Bd. I, 675 (Delegierter Reid). 110 lbid. Bd. I, 688 (Delegierter Dr. Cockburn); Bd. II, 1770 (Delegierter Barton). 111 lbid. Bd. I, 688. People would say - "Pretty things these states of Australia; they have to be prevented by a provision in the Constitution from doing the grossest injustice:• 112 Siehe z. 8. ibid. 672 (Delegierter O'Connor), s. a. Patapan H. (Anm. 107) 217ff. 113 s. dazu Pannam C., Travelling Section 116 ... (Anm. 56) 43ffund Moffatt R., Philosophical Foundations of the Australian Constitutional Tradition ( 1965) 5 Syd LR 59 (85 f). 114 Dazu oben S.29. 115 La Nauze J. A., TheMaking ofthe Australian Constitution, 1972, 231.

I. Die australische Verfassung -eine Verfassung ohne Grundrechtskatalog

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man vermeiden. Um bestehende Diskriminierungen von Chinesen und anderen farbigen Ausländern sowie nicht-weißen britischen Untertanen aufrechtzuerhalten, wurde zum Beispiel bewußt darauf verzichtet, einen der US-Verfassung ähnelnden Gleichberechtigungsartikel aufzunehmen. 116

D. Die Bill of Rights-Debatte 1. Vom wiederholten Scheitern der Versuche, einen Grundrechtskatalog einzuführen Entschied man sich bei der Verabschiedung der Verfassung bewußt gegen einen Grundrechtskatalog, so hinderte das die Befürworter von Grundrechten nicht, in regelmäßigen Abständen die Einführung einer Bill of Rights zu verlangen. Die Diskussion wurde von Anfang an sehr kontrovers geführt und die Palette der Argumente dafür und dagegen ist breit. Weder Befürworter noch Gegner vertreten in sich homogene Ansichten. 117 Das gemeinsame Schicksal aller Vorschläge scheint aber zu sein, daß sie früher oder später scheitern. Im wesentlichen lassen sich die Vorschläge zur Einführung einer Bill of Rights in zwei Gruppen unterteilen: zum einen in die Forderungen nach einem verfassungsrechtlich verankerten Grundrechtskatalog, eine sog. verankerte oder entrenched Bill of Rights, und zum anderen in die Forderungen- für die Befürworter als milderes Mittel, für die Gegner als größtmögliches Zugeständnis - nach einem einfachgesetzlichen Grundrechtskatalog, einer sog. statutory oder legislative Bill ofRights .118 Bezüglich ersterem gab es neben Verfassungskommissionen, die sich mit dem Thema befaßten, 119 1944 und 1988120 zwei konkrete Versuche, im Wege der Verfassungsänderung zumindest einige wesentliche Rechte verfassungsrechtlich zu verankern und die bestehenden in der Verfassung angedeuteten Rechte zu erwei116 s. z. B. Convention Debates (Anm. 108) Bd. I, 665 (Delegierter Sir lohn Forrest) und Bd. II, 1781 (Delegierte Symon und Sir lohn Forrest). 117 Dazu siehe unten S.47. 118 Für eine kurze Zusammenfassung der Vorschläge, eine Bill ofRights einzuführen s. z. B.: Galligan B., No Bill of Rights for Australia, Papers on Parliament No4, July 1989, Canberra; Wilcox M., An Australian Charter of Rights?, Sydney 1993, 211 ff und Final Report of the Constitutional Commission, Bd.1, Canberra 1988, 456ff. Zum Problem der Kompetenz des Bundes für einen Grundrechtskatalog s. z. B.: Anderson Ch./Rowe G., Human Rights in Australia: Nationaland International Legal Perspectives, AVöR 1986, 56 (65f). 119 Die Kommissionen von 1929 und 1959 sprachen sich gegen einen Grundrechtskatalog aus, die Kommission von 1988 dafür. 120 Zum Vorschlag von 1988 s. z. B.: Purcel/T., Rights in the Constitition: The Bill ofRights Revisited?, 62 (1988) AU 268.

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

tern. 121 Beide scheiterten in der jeweiligen Volksabstimmung 122 an der nötigen Mehrheit. 123 Auf einfachgesetzlichem Gebiet schafften 1973 und 1985 124 Gesetzesvorschläge zu einer Bill of Rights den Weg ins Parlament. Beide waren sehr kontrovers und stießen auf viel Widerstand. Der erste wurde durch die Auflösung des Parlaments 1974 hinfällig, der zweite wurde zwar im Repräsentantenhaus verabschiedet, die Debatte im Senat später aber auf Antrag des zuständigen Ministers auf unbestimmte Zeit vertagt. 125 Nach dem vernichtenden Scheitern des Referendums von 1988 -der Änderungsentwurf erhielt die niedrigste Ja-Stimmen-Anzahl, die je bei einer Volksabstimmung erzielt wurde 126 - schien die Debatte über die Einführung eines Grundrechtskatalogs vorerst beendet zu sein. Im Zuge der Diskussion um Verfassungsreformen zum hundertjährigen Jubiläum der Australischen Föderation im Jahre 2001, hat es aber immer wieder Stimmen gegeben, die forderten, auch Grundrechte mögen in die Reformen einbezogen werden. Der- soweit ersichtlich - letzte Entwurf für einen australischen Grundrechtskatalog stammt vom Law Council of Australia: 127 Draft Australian Charter of Rights and Freedoms. Er wurde 1995 vorgestellt und ist als einfachgesetzlicher Katalog gedacht. Er ist jedoch noch nicht ins Parlament eingebracht. Daneben wird von einigen beispielsweise auch ein eigener Grundrechtskatalog für die Ureinwohner Australiens 128 bzw. ein allgemeiner mit speziellen Rechten für die Ureinwohner gefordert. 129 121 Beide Male handelte es sich nicht um einen vollständigen Grundrechtskatalog, sondern eher um die Verbesserung der bestehenden Vorschriften. 122 Dazu siehe unten S.47. 123 Zum Referendum von 1988 siehe z. B.: Lee H. P., Reforming the Australian Constitution- The Prozen Continent Refuses to Thaw, (1988) P.L. 535 und GalliganB./Nethercote J. (Hrg.), The Constitutional Commission and the 1988 Referendums, Canberra, 1989. 124 s. dazu z. B. Bravender-Coyle P., The Australian Bill of Rights, Bd. 2 Nr. 3 ( 1984) Lawyer 10. 125 s. dazu z. B.: Charlesworth H., The Australian Reluctance About Rights, in: Alston Ph., Towards an Australian Bill of Rights, Canberra 1994, 21 (28 ff) und Final Report of the Constitutional Commission (Anm. 118) 456ff. Kurz nach dem "Aus" des Gesetzesentwurfs von 1985 für eine einfachgesetzliche Bill of Rights stellte man den Entwurf zur Verfassungsänderung vor, der 1988 im Referendum scheiterte. 126 Dazu z. B. Campbell E., Southey Memorial Lecture 1988: Changing the Constitution- Past and Future, 17 (1989) Melb Univ LR 1 ( 18 ff). 127 Dies entspricht in etwa der Bundesrechtsanwaltskammer. Die Charter ist beim Law Council erhältlich. Eine Besprechung, besonders aus der Sicht des Medienrechts, findet sich bei: Ward N., An Australian Charter of Rights and Freedoms, Some thoughts on the implications for media law, (1995) 2 AMLR 145. 128 Jopson D., Call foranative bill ofrights, SMH 13. Mai 1996, 6; Djerrkura G., lndigenous Peoples, Constitutions and Treaties, LRQ, August 1999, 16. 129 So z. B. GeoffClark, Vorsitzender der Aboriginal and Torres Strait lslander Commission (ATSIC), in: Clark demands Action on a Bill ofRights, ATSIC Presseerklärung vom 9. August 2000.

I. Die australische Verfassung- eine Verfassung ohne Grundrechtskatalog

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2. Gründe für das Scheitern oder die "Grundrechtspanik" der Australier Die Gründe für das wiederholte Scheitern eines Grundrechtskatalogs sind zahlreich und können im Rahmen dieser Arbeit allenfalls angedeutet werden. 130 Als vordergründige Erklärung ist der schwierige Prozeß der Verfassungsänderung zu nennen. Art. 128 der australischen Verfassung sieht vor, daß ein Entwurf zur Verfassungsänderung, nachdem er von beiden Häusern des Parlaments mit absoluter Mehrheit verabschiedet wurde, dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden muß. Bei dieser Volksabstimmung muß in einer Mehrheit der Länder eine Mehrheit der Wähler dafür stimmen und zusätzlich auch eine Mehrheit der gesamten (bundesweiten) Wähler das Vorhaben befürworten. 131 Diese Vorschrift macht durch die strengen Mehr130 Insoweit wird auf die umfangreiche Literatur verwiesen. Als Auswahl seien hier beispielhaft genannt: Alston Ph. (Hrg.), Towards an Australian Bill of Rights, Canberra, 1994 mit Rezension von Whelan J., Review Article, 2 (1995) AJHR 153; Constitutional Commission, Report ofthe Advisory Committee to the Constitutional Commission, 'Individual and Democratic Rights', Canberra, 1987, l3ff; Final Report of the Constitutional Commission (Anm. ll8) Bd. l, insbesondere 445 ff; Bailey P., Human Rights, Australia in an international context, 1990, 45-78; Wilcox M., An Australian CharterofRights?, Sydney 1993 mit Rezension ThomsonJ., An Australian Bill ofRights: Glorious Promises, Concealed Dangers, 19 (1994) Melb Univ LR l 020, diese Rezension enthält weitere umfangreiche Literatumachweise; Solomon D., Coming of Age, CharterForA New Australia, 1998, Kap. 8; Toohey J., A matter of Justice: Human Rights in Australian Law, 27 (1998) UWALR 129. Eine zusammenfassende Gegenüberstellung der Argumente für und wider eine Bill ofRights findet sich s. z. B. bei Kirby M., The bill of rights debate, (Dez. 1994) 29 (Nr. II) Australian Lawyer 16; ders., A Bill of Rights for Australia?, Australian Law Reform Commission, C. 13/80, Sydney 1980; Mason A., A Bill of Rights for Australia, 5 (1989) Aus Bar Rev 79; The Par/iament of the Commonwealth of Austra/ia, Senate Standing Committe on Constitutional Affairs, A Bill of Rights for Australia? An Exposure Report for the Consideration of Senators, Canberra, 1985; An Australian Bill of Rights - The Debate (Sackville R., Towards an Australian Charter of Rights; Gibbs H., The Legislative or Constitutional Protection of Human Rights), (1995) 4 (Nr.4) Constitutional Centenary 23. Eine Zusammenfassung vor allem der Gegenargumente geben: Gibbs H., Eleventh Wilfred Fullager Memorial Lecture: The Constitutional Protection of Human Rights, (1982) 9 Mon LR l; ders., Does Australia Need a Bill of Rights?, Upholding the Australian Constitution, Bd.6, 1995, 141; ders., A Constitutional Bill ofRights?, 45 (1986) AusJ Pub! Admin 171; Cullen R., Does Australia need a Bill ofRights?, 67 (1993) LIJ 72. Aus der älteren Literatur bietet Campbell E., Pros and Cons of Bill of Rights in Australia, 3 (Juni 1970) Justice I eine sehr gute Analyse der Argumente. Mit den zugrundeliegenden unterschiedlichen Theorien von Grundrechten befaßt sich: Patapan H., Competing Visions of Liberalism: Theoretical Underpinnings of the Bill of Rights Debate in Australia, 21 ( 1997) Melb UnivLR497. Interessant weiter auch Waldran J., A Rights-Based Critique of Constitutional Rights, 13 ( 1993) Oxf JLS 18 und Round T., Rights and Reasons: Teaching Tolerance and Rationality, in: Galligan B./Sampford Ch. (Hrg.), Rethinking Human Rights, 1997, 154. 131 Sec.l28: This Constitution sha/1 not be altered except in the following manner:The proposed law for the alteration thereof must be passed by an absolute majority of each

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

heitsanforderungen eine Verfassungsänderung sehr diffizil und teilweise unmöglich. Seit der Föderation im Jahre 1901 gab es lediglich 44 Versuche, die Verfassung zu ändern. Davon nahmen nur acht die Hürde des Referendums. 132 Ein Grund für die grundlegende Abneigung der australischen Wahler, ihre Verfassung zu ändern, 133 mag in dem geringen Stellenwert und Bekanntheitsgrad134 der Verfassung liegen. Der jetzige Richter am High Court Kirby drückte dies einmal so aus: Aber obgleich ehrwürdig, ist sie ungeliebt. Obwohl entscheidend wichtig, ist sie unbekannt. Obwohl sie ziemlich gut Bestand hält, ist sie weithin nicht geschätzt. Obwohl sie in den Fugen ächzt, ist sie unzugänglich für förmliche Änderung. 135

Die eigentlichen Gründe für die Ablehnung einer Bill ofRights aber liegen tiefer. Zum einen ist die australische Gesellschaft ausgeprägt egalitär. Der Gedanke an Minderheitenschutz stand daher lange Zeit nicht zur Debatte, weil er zum einen- angeblich aufgrund der demokratischen Situation im Land- nicht nötig war, und zum anderen das egalitäre Gleichgewicht- durch Einräumung von "Sonderrechten"- geHouse of the Parliament, and [. ..] shall be submitred in each State and Territory to the elec· tors { ...] [ ...]

And if in a majority ofthe States a majority of the electors voting approve the proposed law, and ifa majority ofall the electors voting also approve the proposed law, it shall be presented to the Governor-General for the Queen' s assent. 132 Zum Vergleich dazu: das Grundgesetz wurde in seinen ersten 50 Jahren durch 46 Änderungsgesetze geändert. Kritisch zu diesen Änderungen: "Grundgesetz wird zu oft geändert", Klage über zu großen Einfluß tagespolitischer Erwägungen, SZ-Gespräch mit Verfassungsrichter Dieter Grimm, SZ vom 22./23./24. Mai 1999, 5. Eine Übersicht über die bisherigen Referenden findet sich z.B. bei Turnbull M., The Reluctant Republic, 1993, 156f. Geht man davon aus, daß in Deutschland bei Grundgesetzänderungen oft mehrere Artikel durch ein Änderungsgesetz geändert werden, was als eine Änderung gilt, und zählt daher die Änderungsvorschläge, die in Australien zusammen in einem Referendum unterbreitet wurden, auch jeweils als einen Vorschlag, so gab es sogar nur 19 Änderungsreferenden, von denen nur 6 (teilweise) akzeptiert wurden. 133 Für eine ausführliche Analyse zu Referenden, s. Campbell E., Changing the Constitution, Anm. 126. Ausführlich zu Verfassungsänderungen auch BlackshieldT./WilliamsG., Australian Constitutional Law and Theory, Sydney, 2. Aufl., 1998, 1182 ff. 134 Bei einer Umfrage von 1987 wußten fast 46 % der Australier nicht, daß das Land eine geschriebene Verfassung hat, Byers M., What the Constitutional Commission Achieved, in: Galligan B./Nethercote J. (Hrg.), The Constitutional Commission and the 1988 Referendums, Canberra, 1989, 1 (2). 135 But although venerable, it is unloved. Although critically important, it is unknown. Although enduring rather weil, it is largely unappreciated. Although creaking at the seams, it is impervious to formal change. Encounters with the Australian Constitution by Michael Coper (Buchrezension), 10 (1987) UNSWU 280 (283 f). Auch der frühere Präsident des High Court, Chief Justice Mason äußerte sich ähnlich: The RoJe of a Constitutional Court in a Federation, A Comparison of the Australian and the United States Experience, 16 (1986) Fed LR 1.

I. Die australische Verfassung - eine Verfassung ohne Grundrechtskatalog

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stört hätte. 136 Aus dieser Einstellung heraus stehen die Australier der verfassungsrechtlichen Verankerung von Grundfreiheiten sehr skeptisch gegenüber und empfinden diesbezüglich eine gewisse Furcht.t37 Zum anderen ist das australische Rechtsdenken noch immer von der Doktrin der Parlamentssouveränität138 durchdrungen. Wie dem britischen so liegt es dem australischen Rechtsdenken fern, die Gesetzgebungsbefugnis des Parlaments zu beschränken und die Entscheidungen nicht gewählter und damit ihrer Ansicht nach nicht demokratisch legitimierter Richter und Richterinnen über die des gewählten Parlaments zu stellen. Dies sei aber mit der Einführung eines Grundrechtskatalogs, über dessen Einhaltung die Richter zu wachen hätten, verbunden. Der Konflikt mit der Supremacy of Parliament-Lehre und die angebliche Rollenverschiebung vom Parlament zu den nun in politischen Fragen entscheidenden Richtem, 139 die dafür auch gar nicht ausgebildet seien,140 sind die immer wieder zu 136 Dazu besonders: Charlesworth H. (Anm. 125) 33 und 45 ff und Galligan B., Australia's Political Culture and Institutional Design, in Alston Ph., Towards an Australian Bill of Rights, Canberra 1994, 55 (58 ff); vgl. dazu auch Australian Copyright Council, Protecting Indigenous Intellectual Property, A Discussion Paper, September 1998, 54 f, wo, um dem Vorwurf der Bevorzugung zuvorzukommen, eine Rechtfertigung dafür erfolgt, daß Ureinwohnern spezieller Schutz für ihre Urheberrechte eingeräumt werden soll. Breen P. appelliert in seinem Artikel: Fair go for A Bill of Rights, ( 1995) 33 Nr. 8 LSJ 66 an die "Fairness", die für die Australier einen Kernwert darstelle und meint eben genau aus dieser Fairnessmentalität heraus müsse ein Grundrechtskatalog eingeführt werden. 137 Ähnlich auch: Coady T., Gagging Langer is an affront, SMH 16.2.1996, 15. 138 s. z. B.: Dixon 0., The Common Law as an Ultimate Constitutional Foundation, 31 ( 1957) AU 240, besonders 242 ff. Versuche, die Doktrin zu entkräften, so daß sie sich mit einer Grundrechtsbindung vereinbaren läßt, finden sich zum Beispiel bei Walker G. de Q., Dicey's Dubious Dogma of Parliamentary Sovereignty: A Recent Fray with Freedom of Religion, 59 (1985) AU 276 und 0' Neill N., The Australian Bill of Rights Bill 1985 and the Supremacy of Parliament, 60 AU (1986) 139. Brennan G., Courts, Democracy and the Law, (1991) 65 AU 32 (34 t) hält Diceys Theorien durch die Praxis für weitgehend obsolet. Auch in Neuseeland, wo es seit 1990 einen einfachgesetzlichen Grundrechtskatalg gibt, hat sich die Parlamentssouveränität hartnäckig gehalten. So verwahrt sich beispielsweise Rishworth P. T., Human Rights and The Bill of Rights ( 1996) NZ LR298 (304), entschieden gegen das Bedauern, daß der Grundrechtskatalog mangels Verankerung in der Verfassung und richterlicher Überprüfbarkeil unvollständig sei, das der Menschenrechtsausschuß im Zusammenhang mit einem IPBüPR- Bericht geäußert hat. Denn das neuseeländische Volk habe sich ausdrücklich gegen eine Verankerung ausgesprochen und die Leistung Neuseelands auf dem Gebiet des Paktes habe durch das Paradigma der Parlamentssouveränität nicht gelitten. 139 Zum Problem der Rechtssetzung durch Richters. allgemein: McHugh M., The Law-making Function ofthe Judicial Process-Part I and II, (1988) 62 AUR 15; 116, der die Entwicklung der richterlichen Rechtsetzung im common law untersucht und das law-making durch Richter letztlich für unerläßlich hält. 140 Eine kritische Analyse dieser Argumente zur Rolle der Rechtsprechung findet sich beispielsweise bei Hurdekin B., The Impactof a Bill ofRightson Those Who Need it Most, in Alston Ph. (Anm.130) 147 (l59ff) und Goldsworthy J., The Constitutional Protection ofRights in Australia, in: Craven G. (Hrg.), Australian Federation- Towards the Second Century, Methourne University Press, 1992, 151 (v. a. 160ff). s. a. die Ausführungen des früheren Präsiden-

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

hörenden Hauptargumente gegen die Einführung einer Bill ofRights.141 Der Gedanke, das Parlament würde sich selbst und nachfolgende Parlamente binden und die Rechtsprechung könnte vom strengen Positivismus abweichen und auch politische und soziale Abwägungen in die Urteile mit einbeziehen, 142 ist für viele nur schwer erträglich. Vor allem für die Juristen würde es offenbar ein zu großes verfassungstheoretisches Umdenken bedeuten. Bislang konnten sich daher selbst Kompromißvorschläge, wie beispielsweise ein oben angesprochener einfachgesetzlicher Grundrechtskatalog, der dann jederzeit vom Gesetzgeber widerrufen werden könnte oder ein Katalog mit sog. override clause, also zwar einer verfassungsrechtlich verankerten Bill of Rights aber mit der Möglichkeit, daß die Legislative Gesetze ausdrücklich von der Anwendung der Grundrechte ausnehmen kann, 143 nicht durchsetzen. Weiter wird oft vertreten, daß durch das common law die Rechte der einzelnen schon adäquat geschützt seien 144 und daß sich durch die Einführung eines Grundrechtskataloges, das föderale Gleichgewicht zwischen Commonwealth und Ländern zugunsten des Bundes verschieben würde. 145 Auch wird vorgebracht, daß ein Grundrechtskatalog allein nicht die Einhaltung der Menschenrechte garantiere, wie sich am Beispiel vieler Diktaturen, die Grundrechte in der Verfassung aufwiesen, zeige. 146 Eine frühere Landesregierung meinte, es sei vollkommen unnötig und würde unbeabsichtigte Probleme für die australische Gemeinschaft verursachen und zu unbegründeten und querulantischen Rechtsstreitigkeiten führen, 147

Grundrechte wie z. B. Meinungsfreiheit in der Verfassung zu verankern. ten des High Court Brennan: The Impact of a Bill of Rights on the RoJe of the Judiciary: An Australian Response, in: Alston Ph. (Anm. 130) 177 und ders., Judicial qualities of a different kind, 69 (1986) LIJ 654. 141 Siehe z. B. Galligan D. J., Judicial Review and Democratic Principles: Two Theories, 57 (1983) ALJ 69. 142 Interessant sind die kritischen Ausführungen des ehemaligen Präsidenten des High Court Sir Anthony Mason, The RoJe of a Constitutional Court in a Federation, A Comparison of the Australian and the United States Experience, 16 (1986) Fed LR 1 (v. a. 4 ff). 143 Auch in der oben (Anm. 127) erwähnten Draft Australian Charter of Rights and Freedoms, 1995 ist eine solche Vorschrift vorgesehen (cl. 5). Die kanadische Verfassung (Art. 33 Canadian Charter of Rights and Freedoms) ist Vorbild für eine Vorrangigkeitsklausel. 144 V gl. nur: Detmold M., The New Constitutional Law, 16 (1994) Syd LR 228 (248). 145 Die Länder wären entweder durch direkte Verfassungsvorschriften gebunden oder bei einem einfachgesetzlichen Grundrechtskatalog indirekt über Art. 109 der Australischen Verfassung, der vorschreibt, daß Bundesrecht Landesrecht bricht. Die Machterhaltung der Länder spielt bei Referenda oft eine große Rolle und war häufig Ursache für deren Scheitern. Eine Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten gibt es nicht. 146 s. z. B. Bailey P., Human Rights, Australia in an International Context, 1990 (57). 147 Stellungnahme der Regierung von Queensland zitiert nach Final Report of the Constitutional Commission (Anm. 118) Bd. I 513: totally unnecessary and would cause unintended problems for the Australian community and result in meritless and mischievous Iitigation.

I. Die australische Verfassung - eine Verfassung ohne Grundrechtskatalog

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Die im Rahmen einer vorgeschlagenen Verfassungsreform zum hundertjährigen Föderations- und Verfassungsjubiläum Anfang der neunziger Jahre wieder aufgelebte Diskussion ist eher gemäßigt. Die Positionen scheinen sich anzunähern,148 ehemalige Gegner freunden sich mit dem Gedanken von geschriebenen Grundrechten an 149 und man ist bemüht, die Debatte auf eine neue Stufe zu heben. 150 Es geht um die Frage, welche Art von Grundrechtsschutz vorzuziehen, nicht mehr vorrangig um die Frage, ob ein solcher überhaupt nötig sei. Führende Juristen zeigen sich besorgt, daß Australien im internationalen Vergleich ,.den Anschluß verpassen" könnte. 151 Viele äußern inzwischen die Meinung, daß der Grundrechtsschutz in Australien nicht optimal, sondern reformbedürftig sei, 152 und sind der Ansicht, daß es Zeichen für ein verändertes Rechtsdenken hin zu einer idealistischeren Naturrechtskonzeption gebe.153 Auf der anderen Seite gibt es aber auch gegenläufige Entwicklungen; so hat z. B. ein frühererBefürwortereines verfassungsrechtlichen Grundrechtskatalogs, vor allem unter dem Einfluß der Erfahrung in den USA, seine Meinung geändert und wünscht sich nur noch einen einfachgesetzlichen Grundrechtskatalog mit möglicherweise einer zusätzlichen Antidiskriminierungsvorschrift in der Verfassung: Wir können ihre [der USA] Rationalität aus zweiter Hand importieren, ohne unsere eigenen Richterbänke mit der von nicht gewählten Richtern eingeschärften Animosität infizieren zu müssen, die versuchen, eine richterliche Methode für antimajoritäre politische Richtungsentscheidungen zu entwickeln, die denen zugute kommen sollen, deren Interessen in der Vergangenheit noch nie besonderen Schutz kannten. In Australien sollte das Tempo der Veränderung und die Abwägung von Grundrechten immer noch hauptsächlich beim Volk durch ihre gewählten Abgeordneten liegen, während die Richter das Rechtsstaatsprinzip aufrechterhalten und "ins Recht eingeschmuggelte Politik" vermeiden.l54 148 So waren die beiden Redner bei dem Seminar "A Bill of Rights for Australia- Defining the RoJe ofthe Courts", 3 1. Oktober 1995, NSW Parliament House, Sydney "vorsichtiger Befürworter" (Richter Kirby) respektive "gemäßigter Gegner" (D. Rose, QC). 149 Z. B. der frühere Präsident des High Courts, Sir Anthony Mason, der sich noch bei seiner Amtseinführung dagegen aussprach (Swearing in of Sir Anthony Mason as Chief Justice, (1987) 162 CLR ix, xi), dann aber in A Bill of Rights for Australia? (1989) 5 Aus Bar Rev 79, dafür. Jso s. z. B. Alston Ph., in: ders. (Anm. 130), I. JSJ So z. B. Mason A., A Bill of Rights for Australia? (Anm. 149) 80. 152 Z. B. Charlesworth H. (Anm. 125) 21 f; Kirby M., Implications ofthe Intemationalisation ofHuman Rights Law, in: Alston Ph. (Hrg.) (Anm.130) 267 (268ft), Galligan B., Parliamentary Responsihle Govemment and the Protection ofRights, 4 (1993) PLR 100 (102). JSJ Hanks P., Constitutional Guarantees, in: Winterton G./Lee H. P., Australian Constitutional Perspectives, 1992, 92 ( 128). 1s4 We can import their rationality second hand without having to infect our own benches with the animosity inculcated by unelected judges trying to develop a judicial method for anti-majoritarian policy decisions benefiting those whose interests have never known special protection in the past. In Australia, the pace of change and the balancing of rights and the public interest should stilllie principally with the people through their elected representatives while

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l. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Insgesamt scheint sich die Debatte jedoch hauptsächlich auf akademischer und besonders juristischer Ebene zu bewegen und nicht die gesamte Bevölkerung zu erfassen, was für eine erfolgreiche Volksabstimmung nötig wäre. 155 Sinnvoller wäre es insofern, wie in Kanada zunächst einen einfachgesetzlichen Grundrechtskatalog einzuführen und erst nach dessen Bewährung und Akzeptanz in der Bevölkerung den schwierigen Weg einer Volksabstimmung zu beschreiten. 156 Die seit März 1996 amtierende konservative Bundesregierung scheint allerdings für einen Grundrechtskatalog wenig offen zu sein, was sich auch in der Tatsache zeigt, daß der Verfassungskonvent 1998, 157 der sich mit möglichen Reformen befaßte, nicht einmal den Auftrag bekam, über die Einführung einer Bill of Rights zu debattieren. Die Einführung eines Grundrechtskatalogs steht daher derzeit nicht zur Debatte. 158

the judges maintain the rule oflaw and avoid "politics-smuggled-into-law". Brennan F., Thirty Years On, Do We Need a Bill of Rights? (1996) 18 Adel LR 123 (157). ISS Bei einer 1991/92 durchgeführten telefonischen Umfrage unter etwa 1500 Leuten hatten nur 51 % von bestehenden Vorschlägen zu einer Bill ofRights gehört. Nach einiger Information über die Implikationen eines Grundrechtskatalogs sprach sich jedoch eine Mehrheit für eine Bill ofRights aus, siehe Galligan B./McAI/ister I., Citizen and Elite Attitudes Towards an Australian Bill of Rights, in: Galligan B./Sampford Ch. (Hrg.), Rethinking Human Rights, 1997, 144 (v. a. 146 und 149). 1S6 Dies wird z. B. auch vom ehemaligen Präsidenten des High Court Sir Anthony Mason befürwortet: Towards 2001 - Minimalism Monarchism or Metamorphism?, 21 (1995) Mon Univ LR 1 ( 13). Eine Umfrage Anfang der neunziger Jahre, ergab, daß 72% der Australier allgemein für einen Grundrechtskatalog waren; wobei dies natürlich nichts über die Einstellung zu den dann in den Katalog aufzunehmenden, inhaltlich noch wenig ausdiskutierten Rechten sagt. Zur Umfrage: Galligan B., Protection ofRights, 2 (Nr.4, 1993) Constitutional Centenary 17. Bailey P. schlägt in seinem Artikel Australia- How Are You Going, Mate, Without A Bill of Rights? or Righting the Constitution, 5 (1993) CantLR251 (267) sogar vor, zur Gewinnung von Befürwortern in der Bevölkerung einige populäre "Rechte" wie das "Recht auf eine korruptionsfreie Regierung" aufzunehmen! Daß sich die Umfragewerte heutzutage wiederholen würden, ist beim gegenwärtigen minderheitenfeindlichen Klima, vor allem im Gefolge der äußerst kontroversen Wik-Entscheidung [(1996) 187 CLR I] und dem Einrücken einer rechtsextremen Partei in einige Parlamente, wenig wahrscheinlich. 1s1 Vom 2. Februar - 13. Februar 1998 in Canberra. Jss Die starke Kritik einiger UN-Gremien an Australien und v. a. an den zwingenden Gefängnisstrafen (mandatory sentencing) von Westaustralien und des Nordterritoriums haben einige namhafte Personen veranlaßt, von einer Bill ofRights zu sprechen, darunter auch ein ehemaliger konservativer Premierminister, jedoch ohne nennenswerte Resonanz seitens der Regierung; vgl. C/enne/1 A., Libs desert Fraserover bill of rights, SMH, 26. August 2000, gefunden im Internet: http://www.smh.com.au/news/0008/26/text/pageone2.html und Jopson D., Northern Territory's abuses "have led to apartheid", SMH, 30. Oktober 2000, gefunden im Internet: http://www.smh.com.au/news/OO 10/30/text/pageone4.html .

I. Die australische Verfassung- eine Verfassung ohne Grundrechtskatalog

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3. Unterschiedliche Entwicklung im Vergleich zu anderen common law-Ländem Australien unterscheidet sich hinsichtlich dieser Entwicklung bzw. des Nichtentwickelns einer Bill ofRights von anderen common law- Ländern, insbesondere von Kanada, das trotz sehr ähnlicher Ausgangslage- vom britischen Parlament erlassene Verfassung ohne Grundrechtskatalog, 159 Grundsatz der Parlamentssouveränität- seit 1982160 in Form der Canadian Charter of Rights and Freedoms einen verfassungsrechtlichen Grundrechtskatalog besitzt. Als ausschlaggebende Momente für den unterschiedlichen Verlauf der kanadischen und der australischen Verfassungsentwicklung sind vor allem zwei Gründe zu nennen: Zum einen war die kanadische Verfassung von 1867 ungleich flexibler als die australische und daher wesentlich leichter zu ändern. Mußte in Australien für eine Verfassungsänderung ein Referendum mit schwierigen Mehrheitserfordernissen gewonnen werden, so war in Kanada das britische Parlament zuständig, das auf einen vom kanadischen Parlament verabschiedeten Antrag entschied. Dem lediglich durch Konvention geforderten, nicht von der Verfassung selbst vorgesehenen Konsensus der Provinzen konnte durch bloßes Zustimmen der Provinzregierungen Genüge getan werden. Ein Referendum war nicht erforderlich. 161 Zum anderen war die kanadische Bevölkerung von Anfang an weniger homogen als die australische. Die starke Gruppe der Franco-Kanadier machte die Notwendigkeit von Minderheitsund Grundrechtsschutz sichtbar und beschleunigte dessen Umsetzung, wohingegen sich in Australien durch die White Australia Policy eine gewisse homogene Bevölkerungsstruktur ohne Notwendigkeit eines Minderheitenschutzes halten konnte. Die im Vergleich zu den Franco-Kanadiern kleine Gruppe der australischen Ureinwohner konnte sich nicht im gleichen Maße für ihre Rechte einsetzen wie erstere. 162 Darüber hinaus sprach in Kanada die Tatsache, daß das britische Parlament für Verfassungsänderungen zuständig war, verstärkt für eine Verfassungsreform. Eine solche patriation der Verfassung war in Australien nicht nötig, da das britische Parlament bei australischen Verfassungsänderungen nicht beteiligt war. 163 Vorteilhaft war für Kanada auch, daß man für den verfassungsrechtlichen Grundrechtskatalog Constitution Act, 1867. Zur Entstehung der kanadischen Charter ofRights and Freedoms siehe z. B. Macklem P. u. a., Canadian Constitutional Law, Bd. li, 1994, 107ff, zum Inhalt siehe z. B. Wilcox M., The North American Experience: A Personal Reflection, in: Alston Ph. (Hrg.), Towards an Australian Bill of Rights, Canberra, 1994, 187, v. a. 203 ff. 161 Monahan P. J., Constitutional Law, 1997, 137ff und 165ff. Erst mit der Verfassungsänderung von 1982 wurde die kanadische Verfassung starrer; dazu ders. 17. 162 Auch die kanadische Urbevölkerung war von Anfang an rechtlich "sichtbarer" (s. z. B. Royal Proclamation, 1763) als die australische, die immer noch auf einen "Treaty " warten muß. 163 Sieht man von der theoretischen Möglichkeit ab, daß das britische Parlament das die australische Verfassung enthaltende Gesetz ändert oder widerruft. 159

160

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

bereits auf die Erfahrung mit der 1960 verabschiedeten einfachrechtlichen Canadian Bill of Rights zurückgreifen und damit Angriffspunkte vermeiden konnte. 164 Auch die Entwicklung im englischen Mutterland, wo Iangezeit die gleichen Bedenken wie in Australien gegen die Einführung eines Grundrechtskatalogs herrschten und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie das Primat des EU-Rechts eine Krise in Rechtsdenken und -theorie verursachten, 165 hat sich inzwischen im europäischen Rahmen durch die Inkorporation der Europäischen Menschenrechtskonvention als einfachen Grundrechtskatalog166 von der australischen wegbewegt, so daß Australien als einziges common law- Land noch am Grundrechtsschutz ohne Grundrechtskatalog festhält.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation Seit dem Jahre 1992 hat der High Court in mehreren Grundsatzentscheidungen ein impliziertes Recht auf Freiheit der politischen Kommunikation in die Verfassung hineingelesen.I67 Damit leitete er einen Verfassungswandel ein, der als die Antwort auf das Scheitern der Bill of Rights- Vorschläge zu werten ist. Im folgenden wird die Entwicklung dieses ungeschriebenen Rechts nachgezeichnet und daran anschließend das Recht selbst und seine Fortgestaltung detailliert erörtert und analysiert.

164 Diese Erfahrung spricht für die oben S. 52 propagierte stufenweise Einführung eines Grundrechtskatalogs zunächst als einfaches Gesetz und erst anschließend als verfassungsrechtliehe Bill ofRights. In Kanada wird inzwischen vereinzelt gefordert, man solle zusätzlich zum richterlichen Schutz von Grundrechten auch noch den australischen parlamentarischen einführen, Hiebert I., A Hybrid-Approach to Protect Rights? An Argument in Favour of Supplementing Canadian Iudicial Review with Australia's Model of Parliamentary Scrutiny, 26 (1998) Fed LR 115. 165 s. dazu die sehr anschauliche und ausführliche Analyse von Koch M., Zur Einführung eines Grundrechtskataloges im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, 1991, vor allem 66 ff und 131 ff. Zum Grundrechtsschutz in Großbritannien vergleiche auch Riede/ E., Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, 125ff. 166 Dazu siehe z. B. Blackburn R., Towards a Constitutional Bill of Rights for the United Kingdom, 1999; Coppel I., The Human Rights Act 1998: Enforcing the European Convention in the Domestic Courts, 1999. 167 Böse Zungen sagen auch, es handele sich um eine "Erfindung" des High Court. Vgl. SadurskiW., Foreword, (1994) 16 Syd LR 145.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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A. Die Rechtslage auf Bundesebene 1. Ungeschriebene GrundrechtsverbürgungenAllgemeine Entwicklung Trotz oder gerade wegen der mangelnden ausdrücklichen Menschenrechtsgarantien in der australischen Verfassung zeichnet sich in der Rechtsprechung seit Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre eine Tendenz hin zu einem mehr "Rechte-orientierten" Denken ab.t6s Neben einer grundrechtsfreundlicheren Interpretation der bestehenden Verfassungsvorschriften169 und einer Rückbesinnung auf die durch das common law verbürgten Rechte 170 wurden als Lösung der Frage eines Grundrechtsschutzes ohne Grundrechtskatalog aus der demokratischen Verfassungsstruktur heraus über sogenannte implizierte Rechte (implied rights) als Kompetenzbeschränkungen (limitations on power) durch die Gerichte rechtliche Konstruktionen 171 geschaffen, die dem Individuum gleichsam als Rechtsreflex zu einer grundrechtsähnlichen Position verhelfen. Besonders anband der Kommunikationsfreiheit wurde diese Lehre von den implizierten Rechten entwickelt. 172 Aber auch mit anderen implizierten Rechten haben sich mittlerweile einige Urteile beschäftigt, obgleich diese in der Regel nur von einer Minderheit der Richter befürwortet wurden. Unter anderem zog man die Schaffung folgender Grundrechtspositionen in Erwägung:t73 l68 Einen hervorragenden Überblick über diese Entwicklung gibt Bailcy P., "Righting" the Constitution without aBill ofRights, 23 (1995) FedLR 1; ders., Anm 156. Vgl. weiterZines L., Constitutionally Proteeted Individual Rights, in: Finn P. D. (Hrg.), Essays on Law and Govemment, Bd. 2, The Citizen and the State in the Courts, 1996, 136. 169 Z. B. sec. 117 in Street v. Queensland Bar Association and Others (1989) 168 CLR 461 und sec. 80 in Cheatle v. The Commonwealth (1993) 177 CLR 541, dazu siehe oben S.33 und 38. 170 Z. B. Secretary, Department of Health and Community Services v. J. W.B. and S.M.B. (1992) 175 CLR 218 (Marion's case) (Recht aufkörperliche Unversehrtheit) und Dietrich v. R. (1992) 177 CLR 292 (Recht auf ein faires Verfahren). Zur Frage, ob sich letzteres auch aus der Verfassung ableiten läßt: Boas G., Dietrich, the High Court and Unfair Trials Legislation: A Constitutional Guarantee?, 19 (1993) MonLR256. 171 Bailcy P. bezeichnet dies auch als "common law ofthe constitution ": "Righting" the Constitution without a Bill ofRights, 23 (1995) Fed LR I (25 ff); ders. (Anm.156) 256ff. m Dazu ausführlich unten ab S. 58. 173 Zum ganzen vgl. auch Winterton G., Constitutionally Entrenched Common Law Rights: Sacrificing Means to Ends?, in: Sampford C./Preston K. (Hrg.), Interpreting Constitutions, Theories, Principles and lnstitutions, 1996, 121 ( 123 ff) und Coper M./Williams G. (Hrg. ), The Cauldron of Constitutional Change, 1997, 83 ff (Kapitel "lmplied Rights").

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

In Leeth v The Commonwealth, 174 wo es um die Gleichbehandlung von Strafgefangenen in den einzelnen Bundesländern ging, beschäftigte man sich mit der Frage, ob durch die Verfassung, insbesondere in deren Kapitel III über die Judikative, ein Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (legal equality) impliziert sei, was in bestimmter Form von einer Mehrheit der Richter bejaht wurde, wobei jedoch im Ergebnis nicht alle zur Verfassungswidrigkeit der im Fall zu prüfenden Bestimmungen kamen. Auch im Street-Fall 175 wurde in einem Votum die Gleichbehandlung als Grunddoktrin der Verfassung bezeichnet. 176 In McGinty v The State ofWestern Australia171 war der High Court mit einer anderen Spielart des Gleichheitsrechts befaßt, nämlich mit der Frage, ob das der Verfassung zugrundeliegende Prinzip der repräsentativen Demokratie eine Gleichheit des Stimmwertes in den einzelnen Wahlbezirken ("one vote, one value") erfordere, was von zwei der sechs Richter bejaht wurde. Einige Richter im Dietrich-Fall 178 nahmen an, daß die Verfassung in dem Kapitel über die Judikative ein impliziertes Recht auf ein faires Verfahren (right to a fair trial) enthalte. Ein Fall, in dem ausdrücklich mit diesem Recht argumentiert wurde, wurde vom High Court später jedoch nicht zur Entscheidung angenommen, 179 so daß auch hier keine eindeutige Stellungnahme des High Court vorliegt. In einem weiteren Fall erwähnte das Gericht in einem obiter dictum, daß aus Kapitel III der Verfassung hervorgehe, daß nur ein nach diesem Kapitel errichtetes Gericht Freiheitsentzug aussprechen dürfe und die Bürger des Commonwealth folglich eine verfassungsrechtliche Immunität vor Freiheitsentzug durch nicht durch ein solches Gericht ausgeübte richterliche Gewalt besäßen. Der High Court entschied, daß 174 (1992) 174 CLR 455 (483ff; Richter Deane und Toohey). s. a. Richter Brennan, 475ff und Richterin Gaudron, 502. Siehe weiter die Kritik dieses Gleichheitsrechts bei Winterton G. (Anm.173) 131 ff. 175 Street (Anm.169) 512; Richter Brennan. 176 Zum Gleichheitskonzept in der Australischen Verfassungs. a. Saunders Ch., Concepts of Equality in the Australian Constitution, in: Lee H. P./Winterton G., Australian Constitutional Perspectives, Sydney, 1992, 209, die sich neben den in der Verfassung vorhandenen Diskriminierungsverboten gegenüber einzelnen Ländern auch mit einer möglichen ungeschriebenen Gleichheitsgarantie für Individuen befaßt. Desweiteren Wheeler F., The Doctrine of Separation ofPowers and Constitutionally Entrenched Due Process in Australia, 23 (1997) Mon LR248, die sich ebenfalls ausführlich mit möglichen Implikationen aus Kapitel 3 der Verfassung auseinandersetzt s. a. Winterton G., TheSeparation of Judicial Power as an Implied Bill of Rights, in: Lindeil G. (Hrg.), Future Directions in Australian Constitutional Law, Essays in honour of Professor Leslie Zines, 1994, 185 (206 ff). 177 (1996) 186 CLR 140. Ausführlich zu McGinty v. The State of Western Australia s. u. S.l02. 178 Anm. 170, 326 (Richter Deane), 362 (Richterin Gaudron). Mit einem möglichen Recht auf ein faires Verfahren befaßt sich auch Hope J., A Constitutional Right to a Fair Trial? Implications for the Reform of the Australian Criminal Justice System, 24 (1996) Fed LR 173. 179 Williams and Another v. Official Trustee in Bankruptcy and Another, (1995) 127 ALR, High Court Special Leave Applications 7.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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ein Gesetz, das Gerichten verbot, inhaftierte Personen freizulassen, gleichgültig, ob die Inhaftierung rechtmäßig sei, gegen die in der Verfassung vorgesehene Gewaltenteilung verstoße. IBo Um gleich mehrere Grundrechtspositionen ging es in Kruger v The Commonwealth.181 Zum einen wurde Freizügigkeit und Vereinigungsfreiheit ifreedom of movement and association) geltend gemacht und von einer Minderheit ein Verstoß dagegen bejaht. 182 Zum anderen ging es ein weiteres Mal um rechtliche Gleichbehandlung, die wiederum von einer Minderheit als in der Verfassung impliziert angesehen wurde. 183 Obwohl diese Entwicklung hin zu einer höheren Bereitschaft, grundrechtsähnliche Positionen in der Verfassung zu finden, vom grundrechtliehen Standpunkt aus erfreulich ist, so lassen sich diese grundrechtsorientierten Entscheidungen des High Court, anders als von manchen vorausgesagt (oder befürchtet), 184 jedoch nicht zu einem implizierten Grundrechtskatalog (implied Bill of Rights) kumulieren. Mit Ausnahme der implizierten Kommunikationsfreiheit hat die Rechtsprechung keines der angedeuteten Grundrechte stabilisiert, 185 sondern nur vereinzelt angesprochen. Man mag insofern von vereinzelten Blitzen von Leuchtfeuern auf der ansonsten dunklen Grundrechtslandkarte der australischen Verfassung sprechen.

18° Chu Kheng Lim and Others v. The Minister for Immigration, Local Government and Ethnic Affairs and Another, (1992) 176 CLR 1 (28 f). Vgl. auch die Bemerkung von Richter Kirby in R. v. Hughes [2000] HCA 22 (3. Mai 2000), Absatz 97. 181 (1997) 190 CLR 1. Siehe dazu unten S.122. 182 Abgelehnt wurden eine implizierte Freizügigkeit und Versammlungsfreiheit nur von Präsident Brennan und Richter Gummow. Die übrigen Richter der Mehrheit ließen die Frage ausdrücklich offen. 183 Die Frage, ob legal equality in der Verfassung impliziert enthalten sei, wurde von vier der sechs Richter verneint. Nur Richter Toohey und Richterin Gaudron (mit Einschränkungen) bejahten sie. 184 Toohey J., A Government ofLaws, and Not ofMen? (1993) 4 PLR 158 (170). Siehe auch Winterton G., The Separation of Judicial Power as an Implied Bill of Rights, in: Lindeil G. (Hrg.), Future Directions in Australian Constitutional Law, Essays in honour of Professor Leslie Zines, 1994, 185. 185 Vgl. auch Mason A., The Interpretation of a Constitution in a Modern Liberal Democracy, in: Sampford C./Preston K. (Hrg.), Interpreting Constitutions, Theories, Principles andInstitutions, 1996, 13 (27).

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I. Kap.: Die Rechtslage in Australien

2. Schutz der Kommunikationsfreiheit a) Schutz in der Verfassung

aa) Entwicklung Die Entwicklung der Freiheit der politischen Kommunikation ist durch verschiedene Abschnitte geprägt, die sich in eine Vorphase, in der nur vereinzelt ein Kommunikationsrecht erwähnt wurde, in eine Anfangsphase, gekennzeichnet durch die ersten Fälle, die die Kommunikationsfreiheit etablierten, den Höhepunkt, in dem die Entwicklung am lebhaftesten und weitreichendsten vorangetrieben wurde, und in eine Phase der Konsolidierung einteilen lassen. (1) Die Vorphase

Die hier als Vorphase gekennzeichnete Periode umfaßt zum einen die Voten von Richter Murphy und zum anderen den Davis-Fall, in denen erstmals Kommunikationsfreiheit in verfassungsrechtlichem Zusammenhang genannt wurde. (a) Die Minderheitsvoten des Richters Murphy Obwohl die neueren Urteile sich nicht unmittelbar auf sie stützen, 186 kann eine Darstellung der Entwicklung des implizierten Rechts auf politische Kommunikation, auf eine Erwähnung der Voten von Richter Murphy nicht verzichten. Dieser war Mitte der siebzigerbis Mitte der achtziger Jahre am High Court tätig und löste durch seine unorthodoxen Entscheidungen viele Kontroversen aus. 187 186 Der einzige Richter, der sie zitierte, war Richter Dawson, der selbst in seinem Votum das ungeschriebene Recht ablehnte. Dabei zitierte er Richter Murphy nur um seine Entscheidungen dann zu verwerfen (Australian Capital Television Pty Ltd v. The Commonwealth of Australia (1992) 177 CLR 106 [185f]). Richterin Gaudran läßt in der gleichen Entscheidung offen, ob sie die Ansicht von Richter Murphy unterstützt (ibid. 212). 187 Mit Richter Murphys eigenwilligem Stil beschäftigt sich Bickovskii P., No Deliberate lnnovators: Mr Justice Murphy and the Australian Constitution, 8 (1977) Fed LR460. Zu Kontroversen um die Person Richter Murphys s. Coper M., Encounters with the Australian Constitution, 1987, 348 ff und Brown David, Themes in an Inquisition: Justice Murphy and the Liberal Press, 10 (1987) UNSWLJ 60; zur wieder aufgelebten Diskussion um die Person des Richters durch ein nach dem Tod eines früheren Freundes veröffentlichtes Interview: Marr D., How Diamond Jim saved his mate, SMH, 23. Januar 1999, gefunden im Internet: http://www.smh.com.au/news/9901/23/features/features 1.html und Marr D., Diamond Jim has one last swipe al his mates, SMH, 23. Januar 1999, gefunden im Internet: http:// www.smh.com.au/news/9901/23/pageone/pageone9.html. Siehe ferner auch Williams J. M., Revitalising the Republic: Lionel Murphy and the Protection of Individual Rights, 8 (1997) PLR 27.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Grundrechtsfreundlich eingestellt, berief er sich in mehreren Voteniss in revolutionärer Weise auf ungeschriebene Rechte in der Verfassung, die aus deren Struktur bzw. der freien australischen Gesellschaft heraus impliziert seien. Mehrfach sprach er dabei auch von Rede- und Kommunikationsfreiheit In Ansett Transport lndustries (Operations) Pty Ltd v. The Commonwealth ofAustralia and Others meinte er in einem obiter dictum: Die in der Verfassung vorgesehenen Wahlen zum Bundesparlament erfordern Freizügigkeit, Freiheit der Rede und anderer Kommunikation[ ...] Das richtige Funktionieren des repräsentativen Systems erfordert die gleichen Freiheiten zwischen den Wahlen. Diese sind auch für das richtige Funktionieren der Länderverfassungen nötig[ ... ] Aus diesen Vorschriften und aus dem Konzept des Commonwealth heraus ergibt sich die Implikation einer Verfassungsgarantie solcher Freiheiten, Freiheiten, die so elementar sind, daß es nicht nötig war, sie in der Verfassung zu erwähnen[ ... ] Die Freiheiten sind nicht absolut, aber nahezu. Sie unterliegen notwendiger Regulierung[ ...] Die Freiheiten dürfen vom [Bundes-] Parlament oder den Landesparlamenten nicht beschränkt werden, ausgenommen aus[ ...] zwingenden Gründen. 189

1979 entschied er in McGraw-Hinds (Aust.) Prop. Ltd v. Smith als einziger, daß ein Gesetz des Landes Queensland aufgrund des Verstoßes gegen eine implizierte Kommunikationsfreiheit nichtig sei: [...]aus der Natur unserer Gesellschaft heraus, verstärkt durch Teile des geschriebenen Textes [der Verfassung), ergibt sich eine Implikation, daß es Freizügigkeit und Freiheit der Kommunikation geben soll. Freizügigkeit und Kommunikationsfreiheit sind für jede freie Gesellschaft unentbehrlich. 190

Im Jahre 1980 wiederholte er seine Meinung zu verfassungsrechtlichen Implikationen in V ebergang and Others v. Australian Wheat Board: Reise- und Kommunikationsfreiheit können aus der Natur unserer Gesellschaft heraus impliziert werden, verstärkt durch Teile der geschriebenen Verfassung. Implikationen wurden in unserer Verfassung schon immer vorgenommen[ ... ] Unsere Verfassung und Regierung Vgl. z. B. die Zusammenstellung bei Winterton G. (Anm. 173) 128ff. Elections offederal Parliament providedfor in the Constitution require freedom of movement, speech and other communication {. ..] The proper operation of the system of representative government requires the same freedoms between elections. Theseare also necessary for the proper operation of the Constitutions of the States {. ..) From these provisions and from the concept ofthe Commonwealth arises an implication of a constitutional guarantee of suchfreedoms, freedoms so elementary that it was not necessary to mention them in the Constitution {. ..] The freedoms are not absolute, but nearly so. They are subject to necessary regulation {. ..] The freedoms may not be restricted by the Parliament or State Parliaments except for {. .. ] compelling reasons. (1977) 139 CLR 54 (88). 190 { •• .] from the nature of our society, reinforced by parts of the written text, an implication arises that there is to befreedom ofmovement andfreedom of communication. Freedom ofmovement andfreedom of communication areindispensable to any free society. (1979) 144 CLR 633 (670). 188

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I. Kap.: Die Rechtslage in Australien könnten ohne die Implikationen von Föderalismus und Verantwortlichkeit der Regierung nicht funktionieren. Meiner Meinung nach gibt es andere Verfassungsimplikationen, die mindestens ebenso wichtig sind wie diese. Unsere Gesellschaft ist ein Verband freier Leute, die in einem Bund mit untergeordneten politischen Abteilungen in Länder und Territorien zusammengeschlossen sind und die sich an Wahlen ihrer Vertreter, welche die legislative und die exekutive Gewalt ausüben, beteiligen. Daraus fließen Implikationen von Freiheit der Rede und der Versammlung und anderer Formen der Kommunikation [... ]1 91

Auch in seiner letzten Entscheidung 192 - Miller v. TCN Channel Nine Pty Ltd193 - bekräftigte er nochmals seine Auffassung und urteilte, daß Teile des Wireless Telegraphy Act, 1905 (Cth) gegen eine implizierte Verfassungsgarantie der Kommunikationsfreiheit verstießen und daher auf die Handlungen der Beklagten nicht angewendet werden dürften: Die Australische Verfassung muß vor dem Hintergrund der Verantwortlichkeit der Regierung und der demokratischen Prinzipien allgemein ausgelegt werden. lmplikationen sollten gemacht werden, die eher solche Prinzipien fördern als jene von willkürlicher Regierung und Tyrannei. [ ...]

Die Verfassung enthält auch implizierte Garantien von Freiheit der Rede und anderer Kommunikationen und Freizügigkeit [ ... ] Solche Freiheiten sind grundlegend für eine demokratische Gesellschaft. Sie sind nötig für das ordentliche Funktionieren des Systems der repräsentativen Regierungsform auf Bundesebene. Sie sind auch nötig für das ordentliche Funktionieren der Verfassungen der Länder, (die ihre Geltungskraft aus Kap. V der Verfassung ableiten). Sie sind eine notwendige Folge der Konzeption des Australischen Bundes. Die Implikation besteht nicht lediglich zum Schutz der individuellen Freiheit; sie dient auch einem grundlegenden gesellschaftlichen oder öffentlichen Interesse. 194 191 Freedom of travel and communication can be impliedfrom the nature ofour society, reinforced by parts of the written Constitution. Implications have always been made in our Constitution [. ..] Our Constitution and government could not function without the implications of f ederalism and responsible government. ln my opinion, there are other constitutional implications which are at least as important as these. Our society is a union offree people joined in one Commonwealth with subsidiary po/itical divisions of State and Territories, participating in elections ofrepresentatives who exercise the legislative and executive powers. From theseflow implications of freedom of speech and assembly and of other forms of communication [. ..]. (1980) 145 CLR 266 (311 f). 192 Er starb am Tag der Verkündung. 193 (1986) 161 CLR 556. 194 The Australian Constitution must be interpreted against a background ofresponsible government and democratic principles generally. lmplications should be made which would promote such principles rather than those of arbitrary government and tyranny. [. ..] The Constitution also contains implied guarantees offreedom of speech and other communications and freedom of movement [. . .] Such freedoms arefundamental to a democratic society. They are necessary for the proper operation ofthe system of representative government at the federallevel. They arealso necessary for the proper operation ofthe Constitutions ofthe States (which derive their authority from Ch. V ofthe Constitution). They are a necessary corollary ofthe concept ofthe Commonwealth

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Richter Murphy war also der Ansicht, daß es aus dem australischen Regierungsund Verfassungssystem sowie der Organisation und Struktur der australischen Gesellschaft heraus zwingend eine ungeschriebene Kommunikationsfreiheit geben müsse. Diese sei so selbstverständlich, daß es keiner schriftlichen Niederlegung oder näherer Begründung bedürfe. Obwohl Richter Murphy mit diesen Äußerungen immer in der Minderheit war, ja als einziger Richter die Auffassung vertrat, es gebe eine ungeschriebene Kornmunikationsgarantie in der Verfassung, läßt sich rückblickend sagen, daß er durch die neueren Urteile des High Court mindestens teilweise 195 bestätigt wurde. Seiner Zeit voraus, sah er die Notwendigkeit von mehr Grundrechtsschutz in der australischen Verfassung und bot in visionärer Weise eine in der Verfassung verankerte Lösung an. Daß sich die neueren Entscheidungen - für ein Präzedenzfallsystem ungewöhnlich 196 - dabei nicht auf ihn berufen, liegt einerseits daran, daß seiner Person immer noch der Hauch von Kontroverse anhaftet und man ihn deshalb nicht gerne zitiert, andererseits wohl aber auch daran, daß sich einige der Richter, die seine Entscheidungen damals noch lächelnd abtaten, 197 nunmehr- wenn auch eingeschränkt, aber völlig entgegen ihrer damaligen Ansichten - für eine implizierte Kommunikationsfreiheit aussprachen. Darüberhinaus ging Richter Murphy in seinen Voten weit über die jetzt etablierte Kommunikationsfreiheit hinaus. Hätte man sich direkt auf ihn berufen, so hätte das wohl noch mehr Protest hervorgerufen, als das bereits der Fall war. J9s

(b) Die Entscheidung in Davis and Others v. The Commonwealth of Australia and Another199 Auch das Davis-Urteilläßt sich wie die Voten von Richter Murphy als Vorläufer der Entscheidungen über die Freiheit der politischen Kommunikation betrachten. Obgleich hier das Hauptargument für die Verfassungswidrigkeit der streitgegenständlichen Norm die formelle Überschreitung der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes war, ist der Fall insofern interessant, als zum ersten Mal von allen Richof Australia. The implication is not merely for the protection of individual freedom ; it also serves a fundamental societal or public interest. ibid. 581 f. 195 So auch Kennett G., Individual Rights, the High Court and the Constitution, 19 (1994) Melb Univ LR 581 (600; 608). Zu den Unterschieden zwischen der von ihm angenommenen Redefreiheit und dem jetzt gefundenen implied right siehe unten Text zu Anm. 490. 196 Die Natur des Präzedenzfallsystems bringt es mit sich, daß man immer versucht, sich auf frühere richterliche Entscheidungen zu stützen, selbst wenn die Voten, die man heranzieht, nur abweichende Voten waren. 197 s. z.B. die Richter Mason und Deane in Miller v. TCN Channel Nine Pty Ltd, (1986) 161 CLR 556 (579; 625 t). 198 Vgl. unten ab S. 166. 199 (1988) 166 CLR 79.

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

tem - nicht nur in einem Minderheitsvotum - eine Rede- bzw. Äußerungsfreiheit zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit als Auslegungshilfe mit herangezogen wurde. In der im Jahre 1988, also noch während der Feiern zum 200-jährigen Jubiläum der Besiedlung Australiens durch Europäer, verkündeten Entscheidung ging es um die Verfassungsmäßigkeit einiger Paragraphen des Gesetzes über die Behörde zur 200-Jahr-Feier.zoo Durch das Gesetz wurde die Verwendung von einigen Ausdrücken ohne die Zustimmung der Behörde im geschäftlichen Verkehr oder im Handel verboten, darunter "200 Jahre". Die Kläger, Nachfahren der Ureinwohner Australiens, beabsichtigten als Protest gegen die Feierlichkeiten einT-Shirtmit dem Aufdruck "200 Jahre Unterdrückung und Bedrücktsein"201 in den Handel zu bringen, wofür ihnen die Zustimmung der Behörde verweigert worden war. Das Gericht entschied in dieser Frage einstimmig, daß die Kompetenz des Bundesparlaments nicht so weit gehe, eine Verwendung des Ausdrucks "200 Jahre" in den genannten Fällen zu verbieten. Dabei zog es ausdrücklich in einer Art Verhältnismäßigkeitsprüfung auch die Äußerungsfreiheit als Argument mit heran: Der Regulierungsrahmen [...]reicht hier weit über die berechtigten Ziele, die erreicht werden sollen, hinaus und greift in die Äußerungsfreiheit dadurch ein, daß er der Behörde ermöglicht, den Gebrauch von allgemeinen Ausdrücken zu regeln, und daß er unerlaubten Gebrauch zu einer Straftat macht. Obwohl die gesetzliche Regelung auf ein verfassungsmäßig berechtigtes Ziel bezogen sein mag, gehen die in Frage stehenden Vorschriften zu weit. Dieser außerordentliche Eingriff in die Äußerungsfreiheit ist weder in vernünftiger noch geeigneter Weise angepaßt, die Ziele, die innerhalb der Grenzen der verfassungsmäßigen Kompetenz liegen, zu erreichen.202

Bei der Prüfung, ob das Gesetz noch mit der in der Verfassung gewährten Befugnis, auf die es sich stützt, vereinbar sei, wurde hier die Äußerungsfreiheit in die Abwägung, ob das Gesetz zur vorgegebenen Kompetenz verhältnismäßig sei, einbezogen und gab den Ausschlag für die Verfassungswidrigkeit der Bestimmung. Sie war 200 Australian Bicentennial Authority Act, 1980 (Cth). Eine Zusammenfassung der Entscheidung findet sich bei Starke J. G., Current Topics, The High Court and the Bicentenary, (1989) 63 ALJ 153. 2o1 200 years of suppression and depression. 202 Here the framework ofregulation [ ...] reachesfar beyond the Iegitimare objects sought to be achieved and impinges on freedom of expression by enabling the Authority to regulate the use of common expressions and by making unauthorized use a criminal offence. Although the statutory regime may be related to a constitutionally Iegitimare end, the provisions in question reach too far. This extraordinary intrusion into freedom ofexpression is not reasonably and appropriately adapted to achieve the ends that lie within the Iimits ofconstitutional power. (1988) 166 CLR 79 ( 100), Präsident Mason, Richter Deane und Richterin Gaudron; zustimmend die Richter Wilson, Dawson und Toohey.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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dabei noch Teil der Prüfung der formellen Verfassungsmäßigkeit, nicht einer eigenständigen materiellen Prüfung. Richter Brennan bezog sich noch prägnanter auf die Redefreiheit: Die Redefreiheit mag manchmal das Opfer eines Bundesgesetzes, das im Rahmen einer bestimmten Gesetzgebungsbefugnis erlassen wurde- z. B. Zensur in Kriegszeiten- oder eines Gesetzes, das bestimmt ist, die Nation zu schützen- z. B. ein Gesetz gegen aufrührerische Äußerungen- sein, aber die Redefreiheit kann wohl kaum das zufällige Opfer einer Handlung sein, die von der Exekutivregierung zur Förderung einer Nation, die sich ihrer Freiheit rühmt, unternommen wird.2o1

Das Urteil erklärte dabei nicht, welche Art von Redefreiheit die Grundlage für die Verwerfung der Vorschrift bildete, ob eine verfassungsrechtliche Redefreiheit oder die des common law204 gemeint sei, sondern setzte sie schlicht stillschweigend voraus. Während sich die Ausführungen eher nach der Redefreiheit des common law anhören, die jederzeit durch ein Gesetz des Parlaments beschränkt werden kann, und auch ein Gespräch mit dem ehemaligen Präsidenten des High Court, Sir Anthony Mason, 205 der an der Entscheidung mitwirkte, ergab, daß diese gemeint war, so wäre es doch erstaunlich, daß demnach die Redefreiheit der einfachrechtlichen Ebene die verfassungsrechtlich dem Bund zugeteilte Kompetenz zumindest über die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Inhaltsbestimmung der Kompetenz einschränken könnte.206 Dogmatisch muß es sich daher um eine ungeschriebene Redefreiheit auf Verfassungsebene handeln, die von den Richtern ohne Begründung und genauere Definition herangezogen wurde. Ist die Entscheidung somit in der dogmatischen Begründung unsauber, so zeugt sie doch vom langsam wachsenden richterlichen Bewußtsein um den Einfluß der Redefreiheit in der Verfassung und wirft darüberhinaus bereits ein Licht auf die dogmatischen Schwierigkeiten, denen sich das Gericht in den Kommunikationsfreiheitsfällen gegenüber sah.

203 Freedom ofspeech may sometimes be a casualty of a law of the Commonwealthmade under a specific head of legislative power-e. g., wartime censorship - or of a law designed to protect the nation- e.g., a law against seditious utterances -butfreedom ofspeech can hardly be an incidental casualty of an activity undertaken by the Executive Government to advance a nation which boasts ofitsfreedom. (1988) 166 CLR 79 (116). 204 Dazu siehe unten S. 140. 205 Geführt am 27. Februar 1996 in Sydney. 206 Ähnlich Winterton G. (Anm.173) 142f; ders., TheSeparation ofJudicial Power as an Implied Bill of Rights, in: Lindeil G. (Hrg.), Future Directions in Australian Constitutional Law, Essays in honour of Professor Leslie Zines, 1994, 185 (205).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

(2) Die Anfangsphase oder der Beginn der Revolution Die Bezeichnung als Anfangsphase darl nicht darüber hinwegtäuschen, daß mit ihr ein grundlegender Wandel auf dem Gebiet der Grundrechte und des australischen Verfassungsrechts insgesamt eingeleitet wurde, der sich als verfassungsrechtliche Revolution bezeichnen läßt und einen Paradigmenwechsel darstellt. 207 Beginnend mit den beiden ersten Entscheidungen zurfreedom ofpolitical communication lösten die High-Court-Richter ein juristisches Erdbeben aus, dessen Erschütterung die Australier aufschrecken ließ. Denn zum ersten Mal hatte der nicht gewählte High Court ein vom gewählten Parlament verabschiedetes Gesetz unter Abkehr vom strengen Legalismus durch ungeschriebene Grundrechte in einer materiellen Verfassungsmäßigkeilsprüfung als verfassungswidrig erklärt. Dies geschah außerdem durch Zuhilfenahme von "neuen" verfassungsrechtlichen Prinzipien der "repräsentativen Demokratie" und der "Volkssouveränität". Vor dem Hintergrund der australischen Einstellung zur Bill of Rights und der australischen Verwurzelung im System des common law löste dieser offene Verfassungswandel eine Flut von kontroversen Diskussionen aus, stellten doch bislang die Doktrin der "parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung" (responsible government) und der "Parlamentssouveränität" (parliamentary sovereignty) die Verfassungsgrundlage des fünften Kontinents dar und hatte man sich ausdrücklich gegen einen Grundrechtskatalog entschieden.208 Rechtlich stand in der Anfangsphase die Etablierung der Freiheit, ihre Herleitung und Definition im Vordergrund. Dabei waren sich die Richter des High Court selbst keineswegs einig. Weder in der Frage der Existenz noch der Herleitung oder der genauen Umrisse der Freiheit stimmten sie überein. In der Regel fielen die Entscheidungen in ein freiheitsfreundliches und ein konservatives Lager auseinander, wobei innerhalb der beiden noch jeweils unterschiedliche Akzente gesetzt und verschiedene Nuancierungen getroffen wurden. Da sich im Verlauf der Entwicklungsphasen Mehrheitsmeinungen zur Mindermeinung und umgekehrt wandelten, werden nachfolgend die einzelnen Richtermeinungen illustriert. (a) Nationwide News Pty. Limited v. Wills 209

Die am 30. September 1992 zusammen mit Australian Capital Television Pty. Limited and Others v. The Commonwealth of Australia 210 verkündete Entscheidung 207 McDonald L., The Denizens of Democracy: The High Court and the Free speech cases, ( 1994) 5 PLR 160. Die Bezeichnung ,.Grundrechtsrevolution" findet sich auch bei: Wheeler F., The Doctrine of Separation of Powers and Constitutionally Entrenched Due Process in AustraIia, 23 (1997) Mon LR 248. 208 Grundlegend zu dieser Verschiebung des Gewichts bei den Verfassungstheorien McDonaldL. ibid. 209 ( 1992) 177 CLR 1. Im folgenden als Nationwide bezeichnet. 2 10 Dazu siehe unten S. 70.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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im Nationwide-Fall steht am Anfang einer Reihe von Entscheidungen, in denen der High Court die Existenz einer ungeschriebenen (implizierten) Freiheit der politischen Kommunikation in der Verfassung zum ersten Mal ausdrücklich anerkannte und damit einer Form der Äußerungsfreiheit Verfassungsrang verlieh. Die rechtliche Fragestellung betraf die Existenz und die Herleitung der Freiheit der politischen Kommunikation. (cx) Sachverhalt In Frage stand die Verfassungsmäßigkeit des § 299 (1 )(d) (ii) des Gesetzes über arbeitsrechtliche Beziehungen211 • Dieser lautete: (1) Niemand darf:[ ... ] (d) in Schrift oder Rede Worte benutzen, die darauf abzielen: [...] (ii) ein Mitglied des Ausschusses [für arbeitsrechtliche Beziehungen] oder den Ausschuß in Verruf zu bringen.212

In einem in der Zeitung The Australian, deren Verlegerin und Eigentürnenn Nationwide News ist, erschienenen Artikel war der Ausschuß heftig kritisiert worden. Nationwide News wurde daraufhin wegen eines Verstoßes gegen den vorstehenden Paragraphen angeklagt und verteidigte sich unter anderem mit dem Argument, daß dieser Paragraph die Kompetenzen des Bundesparlaments213 wegen Beeinträchtigung der Kommunikationsfreiheit überschreite und damit verfassungswidrig und nichtig sei. Alle sieben Richter waren sich über die Verfassungswidrigkeit der in Frage stehenden Vorschrift wegen Kompetenzüberschreitung des Bundesgesetzgebers einig. Wie in der australischen Rechtsprechung häufig, führten sie dafür jedoch in Einzelvoten unterschiedliche Begründungen an, und nicht alle Richter mußten sich auf die Freiheit der politischen Kommunikation stützen.

211 212

Industrial Relations Act 1988 (Cth). (I) A person shall not:[ ...] (d) by writing or speech use words calculated: { ...]

(ii) tobring a member of the Commission or the Commission into disrepute. Die lndustrial Relations Commission ist ein administratives Organ zur Schlichtung von arbeitsrechtlichen Disputen. s. a. Crock M ./McCallum R., The Chapter III Courts: The Evolution of Australia's Federal Judiciary, 6 (1995) PLR 187 (192ff). 213 Die Vorschrift stützte sich auf Art. 51 (xxxv) - Schlichtung von Arbeitskämpfen auf länderübergreifender Ebene- und (xxxix) - Inzidenzkompetenz - der Australischen Verfassung. 5 Pinrof

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

(ß) Auf der implizierten Freiheit basierende Voten

Nur die Richter Deane, Toohey, Brennan und Richterin Gaudran stützten die Verfassungswidrigkeitder Norm auf eine materielle Beschränkung der Gesetzgebungsbefugnis durch eine implizierte Freiheit der politischen Kommunikation bzw. Diskussion, die sie aus dem Prinzip der repräsentativen Demokratie herleiteten. Die anderen drei Richter sahen die Befugnisse, auf die das Gesetz gestützt war, bereits als formell nicht einschlägig und die Vorschrift daher als nicht von der Verfassung gedeckt an. In dem für den Aspekt der Kommunikationsfreiheit, und vor allem deren Existenz, wichtigsten Votum vertraten die Richter Deane und Toohey die weite Auffassung, daß die in der Verfassung dem Bund zugeteilten Kompetenzen in Zusammenschau mit Implikationen auszulegen seien. Diese lmplikationen ergäben sich entweder aus bestimmten Vorschriften der Verfassung selbst oder flössen aus den fundamentalen Rechten und Prinzipien des common law, wie sie zur Zeit der Verfassungsgebung anerkannt waren. Ein der Verfassung zugrundeliegendes und in ihren Vorschriften verwirklichtes Prinzip sei die Lehre vom repräsentativen Regierungssystem (representative government). Die Verfassung verwirkliche dieses Prinzip dadurch, daß sie letztlich dem Volk die höchste Befugnis der Kontrolle über die Regierung zuspreche. Ohne Kommunikationsmöglichkeit könnte das Volk diese Kontrollaufgabe nicht verantwortlich ausführen: 214 Die Lehre setzt die Fähigkeit von Repräsentierten und Repräsentanten voraus, Informationen, Bedürfnisse, Ansichten, Erklärungen und Ratschläge mitzuteilen. Sie setzt auch die Fähigkeit des Bundesvolkes als ganzem voraus, untereinander Informationen und Meinungen über Angelegenheiten, die für die Ausübung und Ausführung von Regierungsbefugnissen und -aufgaben in ihrem Namen relevant sind, mitzuteilen. Daraus folgt, [...] daß man in der Lehre vom repräsentativen Regierungssystem, die die Verfassung aufgenommen hat, eine Implikation von Freiheit der Kommunikation von Informationen und Meinungen über Angelegenheiten, die die Regierung des Bundes betreffen, erkennen kann. Soweit das Bundesvolk betroffen ist, wirkt diese Implikation der Kommunikationsfreiheit auf zwei Ebenen. Die erste ist die Ebene der Kommunikation und Diskussion zwischen den Repräsentierten und ihren Repräsentanten.[ ...] Die zweite Ebene[ ... ] ist die Ebene der Kommunikation innerhalb des Bundesvolkes.m

(1992) 177 CLR I (69-72). The doctrine presupposes an ability of represented and representatives to communicate information, needs, views, explanations and advice.lt also presupposes an ability ofthe people of the Commonwealth as a who/e to communicate, among themselves, information and opinions about matters relevant to the exercise and discharge of governmental powers and functions on their behalf lt follows [. ..] that there is to be discerned in the doctrine of representative government which the Constitution incorporates an implication offreedom of communication of information and opinions about matters relating to the government of the Commonwealth. In sofaras the peop/e of the Commonwealth are concerned, that implication of freedom of communication operates on two Ievels. The first is the Ievel of communication and 214 215

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Letztere schließe auch die Diskussion über Qualifikation und Amtsführung derjenigen ein, die mit der Ausübung legislativer, exekutiver oder judikativer Gewalt betraut sind. 216 Zwar sei es nicht nötig, dazu Stellung zu nehmen, es spräche aber, weil es unrealistisch sei, die drei Staatsebenen von Bund, Ländern und Gemeinden als isoliert von einander zu sehen, viel dafür, daß inhaltlich die Verfassungsimplikation der Diskussionsfreiheit sich auf alle politischen Angelegenheiten erstreck[e], einschließlich Angelegenheiten, die sich auf andere Ebenen der Regierung im nationalen System beziehen, das unter der Verfassung besteht.217

Unter Berufung auf ihr am gleichen Tag verkündetes Votum in Australian Capital Television Pty. Limited and Others v. The Commonwealth of Australia 218 vertrat Richterin Gaudran ebenfalls die weite Auffassung, daß die Befugnisse in Art. 51 der Verfassung keine Gesetze, die nicht in Einklang mit einer freien Gesellschaft und dem Prinzip der repräsentativen Demokratie stünden, trügen und daher [... ] keine Gesetze autorisieren, die die Freiheit des politischen Diskurses beeinträchtigen oder beschneiden, wenn auch diese Freiheit nicht absolut ist.219

Im vorliegenden Fall entspreche die Vorschrift nicht den von ihr angewandten Prüfungskriterien. Deshalb sei der Verstoß gegen die Freiheit, "über Angelegenheiten, die Regierungsinstitutionen und -behörden betreffen, zu diskutieren", nicht gerechtfertigt. 220 Richter Brennan stützte sich auf eine implizierte Freiheit, über Regierungen und Regierungsinstitutionen und politische Angelegenheiten zu diskutieren, und hielt die Vorschrift für verfassungswidrig, weil die Kompetenz des Parlaments nicht so weit reicht, ein Gesetz zu autorisieren, das gerechtfertigte und faire und vernünftige Kritik am Ausschuß als ein wichtiges Regierungsinstrument verbietet. 221

Er stellte zunächst fest: Um eine repräsentative Demokratie, die die von der Verfassung vorgeschriebenen Prinzipien verkörpert, aufrecht zu erhalten, ist die Freiheit der öffentlichen Diskussion über politische und wirtschaftliche Angelegenheiten wesentlich: es wäre eine Parodie der Demokradiscussion between the represented and their representatives {. ..] The second Level [. ..] is the Level of communication between the people ofthe Commonwealth. (1992) 177 CLR 1 (72-74). 216 (1992) 177 CLR 1 (74). 217 [ ...] the Constitution's implication offreedom of discussion extends to all political matters, including matters relating to other Ievels of government within the national system which exists under the Constitution. ( 1992) 177 CLR 1 (75 0. 21s Dazu siehe unten S. 74. 219 [ ...] do not authorize laws which impair or curtail freedom of political discourse, albeit thatthat freedom is not absolute. ( 1992) 177 CLR 1 (94). 22o (1992) 177 CLR 1 (95). 221 [ ...] does not extend sofaras to authorize a law prohibiting justifiable and fair and reasonable criticism of the Commission as an important instrument of government. (1992) 177 CLR 1 (51).

s•

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

tie, dem Volk die Befugnis, sein Parlament zu wählen, zu übertragen, aber die Freiheit der öffentlichen Diskussion, durch die das Volk zu seinem politischen Urteil gelangt, vorzuenthalten.222 Freiheit der öffentlichen Diskussion über den Staat (einschließlich der staatlichen Institutionen und Behörden) ist nicht lediglich ein wünschenswertes politisches Privileg; sie ist dem Gedanken der repräsentativen Demokratie inhärent. 223

Nach einer ausführlichen Erörterung über die Zulässigkeit von lmplikationen gelangte er zu dem Schluß, daß wenn eine Regierungsform in der Verfassung verankert sei, auch alle rechtlichen Nebenumstände, die für den Erhalt der Regierungsform nötig sind, dadurch mit verankert seien. Ist einmal anerkannt, daß eine repräsentative Demokratie von Verfassungs wegen vorgeschrieben ist, so ist die Diskussionsfreiheit, die nötig ist, sie aufrecht zu erhalten, genauso stark in der Verfassung verankert wie das Regierungssystem, das die Verfassung ausdrücklich anordnet.224

Diese Freiheit beschränke die Gesetzgebungskompetenzen des Bundesparlaments, denn [k]ein Gesetz des Bundes kann die Freiheit des australischen Volkes, Regierungshandeln und politische Angelegenheiten zu diskutieren, einschränken, es sei denn, das Gesetz ist erlassen, um einen berechtigten Zweck zu erfüllen, und die Beschränkung ist für diesen Zweck und seine Erfüllung geeignet und angepaßt. 225

Auch er erkannte damit die Existenz einer Kommunikationsfreiheit an.

222 To sustain a representative democracy embodying the principles prescribed by the Constitution,freedom ofpublic discussion ofpolitical and economic matters is essential: it would be a parody of democracy to confer on the people apower to choose their Parliament but to deny the freedom of public discussion from which the people derive their political judgment. (1992) 177 CLR 1 (47) [ohne Fußnote]. In der Fußnote beruft sich Richter Brennan auf die Europäische Menschenrechtskommission, die in ihrer Meinung zu The Observer und the Guardian v. Vereinigtes Königreich ebenfalls die Wesentlichkeil von öffentlicher Diskussion für die repräsentative Demokratie betonte, (1991) 14 EHRR 153 (178). 223 Freedom ofpublic discussion of government (including the institutions and agencies of government) is not merely a desirable political privi/ege; it is inherent in the idea of a representative democracy. (1992) 177 CLR 1 (48). 224 Once it is recognized that a representative democracy is constitutionally prescribed, the freedom ofdiscussion which is essential to sustain it is as firmly entrenched in the Constitution as the system ofgovernment which the Constitution expressly ordains. ( 1992) 177 CLR 1 (48 f). 225 [n]o law of the Commonwealth can restriet the freedom of the Australion peop/e to discuss governments and politica/ matters unless the law is enacted to fulfil a Iegitimale purpose and the restriction is appropriate and adapted to the fulfilment ofthat purpose. ( 1992) 177 CLR 1 (50).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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(y) Die übrigen Voten

Die anderen drei Richter hielten die Vorschrift- ähnlich wie im Davis-Fall226- bereits aus formellen Gründen für nicht mehr von der herangezogenen Gesetzgebungsbefugnis gedeckt. Der damalige Präsident Mason beurteilte die Vorschrift als verfassungswidrig, weil sie dem Ausschuß einen unverhältnismäßigen Schutz - auch vor berechtigter Kritik - einräume und deshalb nicht mehr von der Gesetzgebungskompetenz gedeckt sei. Dabei betonte er, wie im Davis- Fall, daß bei der Verhältnismäßigkeitsfrage, die im Rahmen der formellen Prüfung herangezogen werde, ob sich das Gesetz innerhalb der von der Verfassung gewährten Befugnis halte, [...] das Gericht die nachteilige Auswirkung [...] des angegriffenen Gesetzes auf eine so fundamentale Freiheit wie die Äußerungsfreiheit berücksichtigen und mit großer Sorgfalt genau untersuchen muß, besonders, wenn diese Auswirkung die Äußerungsfreiheit in bezug auf öffentliche Angelegenheiten und die Freiheit, öffentliche Institutionen zu kritisieren, beeinträchtigt. 227

Obwohl er mehrfach von der "fundamentalen Wichtigkeit" der Äußerungsfreiheit in der Demokratie sprach,228 brauchte er zum vorgetragenen Argument einer implizierten Freiheit der Kommunikation über Dinge der öffentlichen Angelegenheiten nicht Stellung zu nehmen, sondern entschied den Fall bereits auf der formellen Prüfungsstufe. 229 Richter Dawson ging in seinem Votum nicht auf eine implizierte Kommunikationsfreiheit ein, sondern hielt die Vorschrift schon aus anderen Gründen für nicht von der Kompetenz gedeckt und damit verfassungswidrig. 230 Richter McHugh begründete die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift damit, daß sie über das hinausgehe, was vernüftigerweise zur Erreichung des Kompetenzzwekkes notwendig sei.231 Dies beruhte für ihn auf der [...] weitgehende[n] Beeinträchtigung des Rechts der Mitglieder der Öffentlichkeit im common law, faire Kommentare über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse abzugeben.232 Siehe oben S.61. the Court must take account of and scrutinize with great anxiety the adverse impact [. ..] of the impugned law on such a fundamental freedom as freedom of expression, particu/arly when that impact impairs freedom of expression in re/ation to public affairs and freedom to criticize public institutions. (1992) 177 CLR I (34). 22s (1992) 177 CLR I (34). 229 (1992) 177 CLR I (34). 23o (1992) 177 CLR 1 (84ff). 231 (1992) 177 CLR 1 (103). 232 {. • .] far reaching interference with the common law right of members of the public to makefair comments on matters ofpublic interest. (1992) 177 CLR 1 (103). 226

227 [ •••]

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Sechs der sieben Richter bezogen also in ihre Entscheidung in irgendeiner Form eine "Äußerungsfreiheit" mit ein und eine Mehrheit von vier Richtern erkannte die Existenz einer ungeschriebenen, aus dem Prinzip der repräsentativen Demokratie abgeleiteten Freiheit an, auch wenn sich die Terminologie in den jeweiligen Stellungnahmen noch unterschied. (b) Australian Capital Television Pty. Limited and Others v.

The Commonwealth of Australia233

(a) Sachverhalt Wie in Nationwide so stand auch in ACTV die Begründung und Herleitung der Freiheit der Kommunikation sowie ihre inhaltliche Bestimmung im Vordergrund. Im ACTV-Fall, der auch als Political Advertising Ban Case bekannt wurde, ging es um die Verfassungsmäßigkeit von Teil III 0 des Rundfunkgesetzes. 234 Um die Gefahr von Korruption und Beeinflussung im Wahlkampf, die u. a. durch die Notwendigkeit, Wahlwerbespots finanzieren zu müssen, entsteht, zu reduzieren oder zu bannen und so die Integrität des politischen Systems zu erhalten, verabschiedete das Bundesparlament den neuen Teil III0 , der die Möglichkeit, Wahlwerbespots in Rundfunk und Fernsehen zu senden, unter ein strenges regulatorisches Regime stellte. Die Regelung umfaßte im wesentlichen folgende Elemente: Von einigen Ausnahmen- z. B. Nachrichtensendungen235 - abgesehen, wurde den Sendem verboten, in Zeiten des Wahlkampfs oder einer Volksabstimmung "politische Werbung" zu senden.236 Das Verbot bezog sich dabei sowohl auf den Wahlkampf auf Bundes- als auch auf Landes- und auf Territoriumsebene. ,,Politische Werbung" war dabei folgendermaßen definiert: [ ... ]

"politische Werbung" bedeutet eine Werbung, die politische Themen enthält; "politisches Thema" bedeutet: (a) Themen, die sich beabsichtigt oder wahrscheinlich auf die Stimmabgabe in der betreffenden Wahl oder dem Referendum auswirken; oder (b) Themen, die vorgeschriebenes Material enthalten; 233 (1992) 177 CLR 106. Im weiteren nur als AC1V zitiert. Siehe auch die Besprechung bei den Fallbeispielen S. 262 sowie die Anmerkung von Speagle D., Case Notes: Australian Capital Television Pty Ltd v. Commonwealth, 18 (1992) Melb Univ LR938. 234 Broadcasting Act 1942 (Cth). Teil III 0 (§§ 95-95 u) wurde 1991 durch den Political Broadcasts and Political Disdosures Act (Cth) eingefügt. 235 § 95A• 236 §§ 95 8 , 95c, 95 0 , 95E.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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"vorgeschriebenes Material" bedeutet Material, das eine ausdrlickliche oder implizite Bezugnahme auf eines der folgenden oder einen Kommentar darliber enthält: (a) die betreffende Wahl oder das betreffende Referendum; (b) einen Kandidaten oder eine Gruppe von Kandidaten in jener Wahl; (c) ein in jener Wahl unterbreitetes oder den Wählern auf andere Weise in jener Wahl vorgelegtes Thema; (d) die Regierung, die Opposition, oder eine frlihere Regierung oder Opposition des Bundes; (e) ein Mitglied des Bundesparlaments; (f) eine politische Partei oder einen Zweig oder eine Unterabteilung einer politischen Partei. 231

Um diesem ziemlich weitreichenden Verbot238 etwas die Schärfe zu nehmen, hatte man als weiteres Element eine Regelung geschaffen, die die Sender verpflichtete, verschiedenen Gruppierungen und Personen kostenlose Sendezeit für die Verbreitung von "Wahlsendungen"239 einzuräumen. Die Zuteilung der Sendezeiten lag dabei beim Australian Broadcasting Tribunal. Dieses war verpflichtet, bestimmten Gruppen, darunter vor allem den bereits im Parlament vertretenen Parteien, nach einem Proporz Sendezeiten zuzuteilen. Bei anderen Sendezeitbewerbem, z. B. nicht im Parlament vertretenen Parteien, hatte es jedoch einen Ermessensspielraum.240

Australian Capital Television Pty. Ltd und andere Inhaber von Fernsehlizenzen griffen das Gesetz u. a. mit der Begründung an, es sei verfassungswidrig, weil es gegen ein in der Verfassung impliziertes Recht auf freie Kommunikation verstoße. 237 [ •••]

"political advertisement" means an advertisement that contains political matter; "political matter" means: (a) matter intended or likely to affect voting in the election or referendum concerned; or (b) matter containing prescribed material;

[ ...]

"prescribed material" means material containing an express or implicit reference to, or comment on, any of the following: (a) the election or referendum concerned; (b) a candidate or group of candidates in that election; (c) an issue submitred or otherwise before electors in that election; (d) the government, the opposition, or a previous government or Opposition, of the Commonwealth; (e) a member ofthe Parliament ofthe Commonwealth; (f) a political party, or a branch or division of a political party. § 95 8 (6); die Definitionen für Landes- bzw. Territoriumswahlen lauten entsprechend [§ 95c (6) und §95 0 (6)]. 238 Im ersten Entwurf war das Verbot noch weitreichender und sollte Wahlwerbung im Fernsehen zu jeder Zeit, nicht nur im Wahlkampf unterbinden. 239 Election Broadcasts, sec. 95G . Diese "Wahlsendungen" durften dabei nur von einer einzigen Person gesprochen werden, von der auch nur der Kopf und die Schultern zu sehen sein durften. (sog. talking heads). Die sprechenden Personen mußten außerdem Kandidaten für die nächste Wahl oder bereits Mitglieder des Parlaments sein. 24ü §§ 95H, 95L, 95M•

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

In ACTV nahmen zum ersten Mal alle Richter zum Thema implizierte Kommunikationsfreiheit Stellung. Wie schon im Nationwide-Fall unterschieden sich dabei die Begründungen der Richter. Anders als in jenem Fall waren sie sich hier jedoch nicht über das Ergebnis einig, sondern gelangten nur mit 5: 2 Stimmen zu der Entscheidung, daß der neu eingefügte Teil verfassungswidrig sei. (ß) Die Mehrheitsvoten

Die Mehrheit setzte sich aus den Voten von Präsident Mason, Richtern Deane, Toohey und McHugh und Richterin Gaudron zusammen, wobei Richter McHugh eine engere Kommunikationsfreiheit als die übrigen Richter befürwortete: Präsident Mason war der Ansicht, Teil III0 verstoße gegen eine implizierte Garantie der Freiheit der Kommunikation, mindestens in bezugauf öffentliche und politische Diskussion.241

Nachdem er in Nationwide noch keine Stellung zur Existenz einer implizierten Kommunikationsfreiheit bezogen hatte, sprach er sich hier nachdrücklich dafür aus. Zu ihrer Herleitung führte er an: Implikationen seien grundsätzlich bei der Verfassungsinterpretation zu berücksichtigen. Zwar würde die Annahme von implizierten allgemeinen Grundfreiheiten der Entscheidung der Verfassungsväter,242 keinen Grundrechtskatalog aufzunehmen, zuwider laufen. Hier handele es sich aber nicht um eine solche Grundfreiheit, sondern um eine Freiheit, die aus dem repräsentativen Regierungssystem fließe, das die Verfassung geschaffen habe. 243 Die Verfassungsväter seien gerade der Ansicht gewesen, daß die Individualrechte am besten dadurch geschützt seien, daß alle Bürgerinnen und Bürger gleichen Anteil an der Staatsgewalt haben. 244 Diese Teilhabe könne aber nur dann wirksam ausgeübt werden, wenn die Bürger frei kommunizieren dürften: Unerläßlich für diese Verantwortlichkeit [des Parlaments gegenüber dem Volk] ist die Freiheit der Kommunikation, zumindest in bezug auf öffentliche Angelegenheiten und politische Diskussion. Nur durch die Ausübung dieser Freiheit kann der Bürger/die BürgeTin seine oder ihre Ansichten über die große Reihe von Dingen, die politische Handlungen und Entscheidungen erfordern oder dafür relevant sind, mitteilen. Nur durch die Ausübung dieser Freiheit kann der Bürger staatliche Entscheidungen und Handlungen kritisieren, versuchen einen Wandel herbeizuführen, zur Handlung auffordern, wo noch keine unternommen wurde, und auf diese Weise die gewählten Vertreter beeinflussen. 245 241 [. •• ]an implied guarantee offreedom ofcommunication, at least in relation to public and political discussion. (1992) 177 CLR 106 (133). 242 In den Verfassungskonventen waren keine Frauen als Delegierte. 243 (1992) 177 CLR 106 (133ft). 244 (1992) 177 CLR 106 (l35fund 139). 245 Indispensabletothat accountability and that responsibility isfreedom ofcommunication, at least in relation to public affairs and political discussion. Only by exercising thatfreedom can

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Auch in vielen anderen Ländern und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sei die grundlegende Bedeutung der Kommunikationsfreiheit anerkannt worden. Dort habe man die Unabdingbarkeit der Freiheit der Kommunikation für das moderne repräsentative Regierungssystem einschließlich der Freiheit, staatliches Handeln zu kritisieren, in etlichen Entscheidungen festgestellt. 246 Diese Freiheit der Kommunikation in bezug auf öffentliche Angelegenheiten und der politischen Diskussion könne nicht auf Kommunikation zwischen Wählern und Gewählten beschränkt werden. Die Wirkungskraft des repräsentativen Regierungssystems hängt auch von der freien Kommunikation zwischen allen Personen, Gruppen und anderen Verbänden in der Gemeinschaft über solche Angelegenheiten ab. 247

Weiter war Präsident Mason der Ansicht, daß öffentliche Angelegenheiten und politische Diskussion nicht nach den einzelnen Regierungsebenen teilbar seien und daß sich die Kommunikationsfreiheit deshalb inhaltlich auf alle Themen öffentlicher Angelegenheiten und der politischen Diskussion erstrecke.248 Die Richter Deane und Toohey gaben auch in diesem Urteil ein gemeinsames Votum ab. Bezüglich der Existenz der Freiheit beriefen sie sich auf ihr Votum in Nationwide und wiederholten, daß die repräsentative Regierungsform der Verfassung die Freiheit der Kommunikation innerhalb des Bundes über Angelegenheiten impliziere, die das Regieren des Bundes betreffen. Diese Kommunikationsfreiheit könne die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes beschränken, da Art. 51 die Befugnisse nur gemäß der Verfassung gewähre.249 Nach den von ihnen schon in Nationwide aufgestellten Kriterien sei Teil III0 als Kompetenzüberschreitung verfassungswidrig, denn er verzerrt die Freiheit der politischen Kommunikation, die der repräsentativen Regierungsform zugrundeliegt, und enthält den Repräsentierten die Gelegenheit vor, sich an der politischen Debatte durch ein Mittel zu beteiligen, das allgemein als das effektivste der politischen Kommunikation angesehen wird.250 the citizen communicate his or her views on the wide range of mattersthat may call for, or are relevant to, political action or decision. Only by exercising that freedom can the citizen criticize government decisions and actions, seek tobring about change, callfor action where none has been taken andin this way influence the elected representatives. (1992) 177 CLR 106 (138). 246 (1992) 177 CLR 106 (140). Für den EGMR werden dafür u. a. angeführt: Handyside v. United Kingdom ( 1976), I EHRR 737 (754), Lingens v. Austria (1986), 8 EHRR 407 (418) und The Sunday Times v. United Kingdom [No.2] (1991), 14 EHRR 229 (247). 247 The efficacy of representative government depends also upon free communication on such matters between all persons, groups and other bodies in the community. (1992) 177 CLR 106 (139). 248 (1992) 177 CLR 106 (142). 249 (1992) 177 CLR 106 (168). 250 [. • .] distorts the freedom ofpolitical communication which underlies representative government and denies to the represented the opportunity of participating in the political debate by

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Die Richter nahmen nunmehr auch zu der Frage Stellung, ob sich die Freiheit inhaltlich auch auf Länderangelegenheiten beziehe, und äußerten sich ähnlich wie Präsident Mason dahingehend, daß sich die Kommunikationsfreiheit auf alle politischen Angelegenheiten unter der australischen Verfassung, also auch der Länder, deren Fortbestand durch die Bundesverfassung in Art. 106 garantiert ist, beziehe. 251 Richterin Gaudron, die ebenfalls die Mehrheitsentscheidung mitgetragen hatte, sprach sich wie in Nationwide für die Existenz einer implizierten Freiheit der Kommunikation aus und meinte zur Begründung, daß der Begriff einer freien Gesellschaft, die durch das Prinzip der repräsentativen parlamentarischen Demokratie beherrscht werde, mindestens die Freiheit des politischen Diskurses enthalte. Denn dieser sei für freie Wahlen unentbehrlich, welche wiederum für eine freie Gesellschaft nötig seien.252 Die entscheidende Bedeutung der freien Diskussion öffentlicher Angelegenheiten in einer freien und demokratischen Gesellschaft sei auch in anderen Ländern, darunter England, Kanada und den USA, und in internationalen Jurisdiktionen, z. B. vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, anerkannt worden.m Art. 51 der Verfassung stütze keine Gesetze, die mit dem freien und demokratischen Charakter des Bundes unvereinbar seien. [...] die Kompetenz, die von Art. 51 gewährt wird, erstreckt sich nicht auf die Schaffung von Gesetzen, die den freien Fluß von Informationen und Gedanken über Angelegenheiten, die in das Gebiet des politischen Diskurses fallen, behindem.254

Der zeitliche Geltungsbereich dieser Freiheit des politischen Diskurses beschränke sich nicht nur auf Wahlkampfzeiten, sondern gelte allgemein.255 Sie umfasse inhaltlich als Minimum den freien Fluß von Informationen und Gedanken betreffend die Bundes-, Landes- und Territoriumsregierung, Regierungsvereinbarungen und -institutionen, Angelegenheiten in der Zuständigkeit von Bundes-, Landes- oder Territoriumsregierungen, deren Behörden und Institutionen, jene Personen, die Abgeordnete ihrer Parlamente und anderer Regierungsinstitutionen sind oder werden wollen, und solche politischen Parteien oder Organisationen, die dazu existieren, ihre Sache voranzutreiben.256

way of what is commonly seen as the most effective means ofpolitical communication. ( 1992) 177 CLR 106 (174). zs1 (1992) 177 CLR 106 (169). 252 (1992) 177 CLR 106 (212). 253 (1992) 177 CLR 106 (211). 254 [ ...] the power conferred by s. 51 does not extend to the making of laws that impair the free flow of information and ideas on matters falling within the area of politica/ discourse. (1992) 177 CLR 106 (215). 255 (1992) 177 CLR 106 (215). 256 [ ...] the free flow of information and ideas bearing on Commonwealth, State and Territory government, government arrangements and institutions, matters within the province ofthe Commonwealth, State and Territory governments, their agencies and institutions, those per-

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Richter McHugh schließlich argumentierte mit einer engeren Freiheit als die übrigen Mehrheitsrichter. Er hielt die Vorschriften für verfassungswidrig, da sie das Recht des Wählers auf Information über die politischen Themen in bezug auf Bundeswahlen zu sehr beschränkten. 257 Dieses Recht leite sich aus Art. 7 und 24 der Verfassung258 in Verbindung mit dem Prinzip der parlamentarischen Demokratie ab. 259 Daraus folge, daß es den Wählern möglich sein muß, mit den zur Wahl stehenden Kandidaten zu Wahlthemen zu kommunizieren und ihre eigenen Argumente und Meinungen gegenüber anderen Mitgliedern der Gemeinschaft bezüglich dieser Themen mitzuteilen.260

Lese man die Verfassung als Ganzes und im Lichte ihrer historischen Entwicklung, so sei aus den Artikeln 7 und 24 die Folgerung zu entnehmen, daß das australische Volk Verfassungsrechte der Freiheit der Teilhabe, der Vereinigung und der Kommunikation in bezugauf Bundeswahlen besitze. 261 Für die Territorien lasse sich ein solches Recht in der Verfassung jedoch nicht finden, die streitgegenständlichen Vorschriften seien deshalb insoweit wirksam. 262 Inhaltlich sei es möglich, daß dieses wahlbezogene Recht auf Kommunikation weiter gefaßt sei und sich thematisch auch auf das Regieren des Bundes allgemein erstrecke; es sei jedoch nicht nötig, darüber zu entscheiden.263

sons who are or would be members of their Parliaments and other institutions of government and such political parfies or organizations that exist to promote their cause. (1992) 177 CLR 106 (217). 257 (1992) 177 CLR 106 (238) 258 Art. 7 lautet: Der Senat setzt sich aus Senatoren für jedes Land zusammen, die direkt vom Landesvolk ausgewählt werden[ ...] The Senateshall be composed ofsenatorsfor each State, directly chosen by the people ofthe State [. .. ]. Art. 24 besagt: Das Repräsentantenhaus setzt sich aus Mitgliedern zusammen, die direkt vom Bundesvolk ausgewählt werden[ ...]. The House of Representatives shall be composed ofmembers directly chosen by the people ofthe Commonwealth[. ..]. 259 (1992) 177 CLR 106 (227ft). 260 [. •• ] that the electors must be able to communicate with the candidates for election concerning election issues and must be able to communicate their own arguments and opinions to other members ofthe community concerning those issues. (1992) 177 CLR 106 (231). 261 (1992) 177 CLR 106 (227). 262 (1992) 177 CLR 106 (246). 263 (1992) 177 CLR 106 (233).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

(y) Die abweichenden Voten

Interessant sind auch die Voten der beiden sich in der Minderheit befindenden Richter. Obwohl sie zum gleichen Ergebnis kommen, unterscheiden sich ihre Begründungen ebenfalls erheblich. Richter Brennan beantwortete die Frage nach der Existenz eines implizierten Rechts auf "Freiheit der Diskussion politischer und wirtschaftlicher Angelegenheiten" positiv und verwies zur Begründung auf sein Votum im Nationwide-FaJl.264 Er betonte aber, daß es sich nicht um eine Grundfreiheit, wie in einem Grundrechtskatalog, sondern um eine Beschränkung der Gesetzgebungsbefugnis handele: [... ]die Freiheit kann nicht als persönliches Grundrecht, verstanden werden, dessen Reichweite festgestellt werden muß, um zu entdecken, was für die gesetzgebensehe Regelung übrigbleibt; vielmehr ist sie eine Freiheit der Art, wie sie Art. 92 der Verfassung vorgibt: eine Freistellung, die aus einer Beschränkung der Gesetzgebungsbefugnis folgt. 265

Ob diese Freistellung als implizierte Kompetenzbeschränkung oder als Freiheit bezeichnet werde, sei letztlich egal, denn beide bedingten sich wechselseitig.266 Obwohl er sich grundsätzlich für das implizierte Recht auf Freiheit der "Diskussion politischer und wirtschaftlicher Angelegenheiten" aussprach, hielt er im Fall die Kompetenz des Parlaments nicht für von ihr beschränkt, da die Beschneidung der Freiheit noch im Rahmen des Verhältnismäßigen liege.267 Richter Dawson hingegen, der sich in Nationwide nicht zu der Frage nach der Existenz einer Kommunikationsfreiheit geäußert hatte, lehnte Implikationen von Individualgrundrechten268 in die Verfassung ausdrücklich ab. Die Verfassungsväter hätten sich nun einmal bewußt gegen Grundrechte in der Verfassung entschieden. Die Redefreiheit [... ]ist ein Konzept, das in unserer Verfassung keinen Ausdruck findet, obgleich es hier genauso die Grundlage einer freien Gesellschaft ist wie dort [in den USA]. Das Recht auf Redefreiheit existiert hier, weil es nichts gibt, das seine Ausübung verhindert, und weil die Regierungen erkennen, daß sie, wenn sie versuchen, es zu begrenzen, mit Ausnahme von allgemein anerkannten Bereichen, wie Beleidigung oder aufrührerischer Propaganda, zu ihrem eigenen Schaden handeln. [ ... ]

(1992) 177 CLR 106 (149). the freedom cannot be understood as a p ersonal right, the scope of which must be ascertained in order to discover what is left for legislative regulation; rather, it is afreedom ofthe kind for which s. 92 of the Constitution provides: an immunity consequent on a Iimitation of legislative power. (1992) 177 CLR 106 (150). 266 (1992) 177 CLR 106 (150). 267 Lediglich § 95 0 (3 ), (4) hält er aus anderen Gründen für verfassungswidrig. 268 Andere Implikationen will er hingegen zulassen. (1992) 177 CLR 106 (184). 264

265 [. .. ]

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Die Tatsache jedoch bleibt, daß in diesem Land die Garantie von Grundfreiheiten nicht in irgendeinem Verfassungsauftrag liegt, sondern in der Fähigkeit einer demokratischen Gesellschaft, für sich selbst ihre eigenen allgemein akzeptierten Werte zu bewahren.269 [...]meiner Meinung nach gibt es in der Verfassung keine Befugnis zur Implikation irgendeiner Garantie der Kommunikationsfreiheit, die dahingehend wirkt, den einzelnen Rechte zu gewähren oder die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes zu beschränken.270

Ausdrücklich verwarf er die oben zitierten Voten von Richter Murphy , denn die Verfassungsväter hätten nun einmal den Schutz der Grundfreiheiten dem Parlament übertragen. 271 Er erkannte jedoch an, daß in Art. 1, 7 und 24 der Verfassung das Prinzip der repräsentativen Demokratie gesehen werden kann272 und daß der Wähler eine echte Entscheidungsmöglichkeit haben muß, was einschließe, daß er die Möglichkeit habe, Alternativen kennenzulernen.273 Deshalb dürfe die Redefreiheit zur Wahlzeit nicht ungebührlich beschränkt werden; ob sich die Freiheit auch über die Wahlzeit hinaus erstrecke, sei nicht zu entscheiden. Gesetze, die dem Wahlerden Zugang zur nötigen Information versperren, wären deshalb mit der Verfassung nicht zu vereinbaren.274 Die Frage ist deshalb, ob die Vorschriften des Gesetzes[ ... ] mit den Artikeln der Verfassung unvereinbar sind, die die direkte Auswahl von Mitgliedern des Parlaments vorschreiben. Die Frage ist nicht, ob das Gesetz im Interesse der freien Rede oder sogar der repräsentativen Demokratie als wünschenswert oder unerwünscht angesehen werden sollte.275

Es liege in der Verantwortung des Parlaments, im Rahmen der Verfassung die Form der repräsentativen Demokratie vorzugeben und dabei auch Maßnahmen zu 269 Freedom of speech [ .. .] is a concept which finds no expression in our Constitution, notwithstanding that it is as much the foundation of a free society here as it is there [in the U.S.]. The right to freedom of speech exists here because there is nothing to prevent its exercise and because governments recognize that if they attempt to Iimit it, save in accepted areas such as defamation or sedition, they must do so at their peril. [ ...]

Thefact, however, remains that in this country the guarantee offundamentalfreedoms does not lie in any constitutional mandate but in the capacity ofa democratic society to preserve for itselfits own shared values. (1992) 177 CLR 106 (182f). 270 [ ... ]in my view, there is no warrant in the Constitutionfor the implication of any guarantee of freedom of communication which operates to confer rights upon individuals or to Limit the legislative power ofthe Commonwealth. (1992) 177 CLR 106 (184). 271 (1992) 177 CLR 106 (185 f). zn (1992) 177 CLR 106 (184; 187). 273 (1992) 177 CLR 106 (187). 274 (1992) 177 CLR 106 (187). 275 The question, therefore, is whether the provisions ofthe Act [. ..] are incompatible with those sections of the Constitution which provide f or the direct choice of members of the Parliament. The question is not whether the legislation ought to be regarded as desirable or undesirable in the interests offree speech or even of representative democracy. (1992) 177 CLR 106 (187).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

ergreifen, über die unterschiedliche Meinungen herrschten.276 Das Parlament habe das Wahlwerbeverbotsgesetz mit dem Ziel erlassen, den demokratischen Prozeß zu fördern. Es versage dem Wähler zwar einige Informationen, aber es blieben noch andere Informationsmöglichkeiten offen. Deshalb sei es ihm nicht möglich, daraus zu schließen, es liege ein Verstoß gegen das Verfassungsgebot vor, daß der Wahler eine informierte Wahl treffen können muß. Angesichts dieser Tatsache sei es nicht Aufgabe des Gerichts zu entscheiden, ob das Gesetz seinem Ziel gerecht werde. Dies sei Sache des Parlaments, nicht des Gerichts. 277 Im AC1V- Fall stützte sich daher die Mehrheit der Richter auf eine Form der implizierten Kommunikationsfreiheit, wobei hierfür unterschiedliche Formulierungen verwendet wurden und Richter McHugh die Freiheit als auf Wahlen beschränkt definierte. Unter Berücksichtigung des Votums von Richter Brennan, der sich grundsätzlich für eine Freiheitsimplikation aussprach, gelangt man zu einer 6: 1 Entscheidung für die Existenz einer (im kleinsten gemeinsamen Nenner auf Wahlen bezogenen) implizierten Kommunikationsfreiheit (3) Die Hochphase Die folgenden Entscheidungen gehören einerseits zu den schöpferischsten, andererseits zu den kontroversesten Entscheidungen des High Court. Sie stammen aus einer Zeit, in der der High Court die Kommunikationsfreiheit am weitesten ausdehnte und am großzügigsten interpretierte, aber auch in sich am zerstrittenstell war. Ging es in den beiden Entscheidungen von 1992 eher um die Frage der Existenz eines implizierten Rechts auf Kommunikationsfreiheit, so stand bei den drei am 12. Oktober 1994 verkündeten Urteilen die inhaltliche Bestimmung des Rechts auf Kommunikationsfreiheit, dessen Anwendung und mögliche Drittwirkung im Vordergrund. (a) Theophanous v. Herald & Weekly Times Ltd and Another218

(a) Sachverhalt Bei der Theophanous-Entscheidung, die in ihrer Tragweite, der des U.S. Supreme Court in New York Times Co. v. Sullivan 219 ähnelte, stand, neben einer Fortentwick(1992) 177 CLR 106 (188). (1992) 177 CLR 106 (189). 278 (1994) 182 CLR 104. S. a. die Besprechung bei den Fallbeispielen S. 273. Vgl. auch die Besprechungen bei 0' Meara St., Theophanous and Stephens: The Constitutional Freedom of Communication and Defamation Law, 3 (1995) Torts LJ 105 und Miller J., The End of Freedom, Method in Theophanous, 1 (1996) NewcLR39. 276

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II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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lung und verfeinerten Definition der Kommunikationsfreiheit, ihre Auswirkung auf das einfache Recht im Vordergrund. Ausgangspunkt der Entscheidung war eine Klage wegen eines diffamierenden Leserbriefs, gegen die die Freiheit der politischen Kommunikation als Rechtfertigungsgrund eingewandt wurde. Der Kläger, ein Mitglied des Repräsentantenhauses und griechischer Abstammung, war Vorsitzender des Gemeinsamen Parlamentarischen Ausschusses für Einwanderungsregulierungen und des Einwanderungsausschusses des Bundesparteiführergremiums der Australischen Arbeiterpartei (Australian Labor Party, ALP). Der Zweitbeklagte veröffentlichte in der Zeitung Sunday Herald Sun, deren Herausgeberin die Erstbeklagte war,280 einen Leserbrief, in dem der Kläger in seiner Funktion als Vorsitzender dieser Einwanderungskommittees heftig kritisiert und ihm die Tauglichkeit für diese Ämter aufgrund seiner Parteilichkeit für Griechen und seiner Vorstellungen über die Einwanderungspolitik abgesprochen wurde. Der Kläger erhob daraufhin Beleidigungsklage, der die Beklagten entgegenhielten, die Äußerungen seien in Wahrnehmung der Freiheit der politischen Diskussion erfolgt und deshalb nicht angreifbar. In Frage stand daher, ob die Freiheit in das Recht Privater drittwirkend eingreife. Im Ergebnis gaben nurmehr vier der sieben Richter den Beklagten Recht und entschieden, daß die Australische Verfassung eine implizierte Freiheit enthalte, Material zu veröffentlichen, (a) das sich mit der Regierung und politischen Themen auseinandersetzt; (b) über und betreffend die Mitglieder des Parlaments des australischen Bundes, das sich auf die Ausübung der Pflichten solcher Mitglieder als Mitglieder des Parlaments oder parlamentarischer Ausschüsse bezieht; (c) in bezugauf die Eignung von Personen für das Amt als Parlamentsabgeordnete.28 1

279 376 U.S.254 (1963). Williams, G., Engineers is Dead, Long Live the Engineers!, 17 ( 1995) Syd LR 62 (86) meint Theophanous habe die implizierte Freiheit der politischen Diskussion zu einer zentralen Idee des australischen Rechts gewandelt. 280 Nach australischem Beleidigungsrecht, sind die Herausgeber grundsätzlich für den diffamierenden Inhalt der von ihnen veröffentlichen Leserbriefe verantwortlich. Vgl. Walker S., The Law of Joumalism in Australia, 1989, 145f. 281 {. • .]

(a) discussing government and political matters; (b) of and concerning members of the Parliament of the Commonwealth ofAustralia which re/ates to the performance by such members oftheir duties as members ofthe Parliament or parliamentary committees; (c) in relation to the suitabi/ity ofpersonsfor office as members ofthe Parliament. (1994) 182 CLR 104 (208).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

(ß) Die Mehrheitsvoten

Von den der Mehrheit angehörenden Richtern gaben Präsident Mason, Richter Toohey und Richterin Gaudron ein gemeinsames Votum ab, in dem sie zunächst versuchten, die verschiedenen Bezeichnungen für die implizierte Kommunikationsfreiheit, die in den beiden ersten Urteilen von den einzelnen Richtern verwendet wurden, zu konsolidieren. Dabei stellten sie fest, daß zwischen den einzelnen Begriffen "politische Diskussion", "politischer Diskurs" und "Diskussion politischer Angelegenheiten" nur eine sprachliche Differenzierung und kein wesentlicher Unterschied bestehe, so daß die implizierte Freiheit sich auf das Votum von fünf Richtern (Mason, Toohey, Deane, Brennan, Gaudron) stützen könne. 282 Bezüglich der Trägerschaft der Freiheit meinten sie, Berechtigte der implizierten Kommunikationsfreiheit seien nicht nur die Wahler und die Gewählten, sondern allgemein die Mitglieder der Gesellschaft. 283 Inhaltlich sei das Konzept der "politischen Diskussion" nicht auf Angelegenheiten des Bundes beschränkt, sondern erstrecke sich auch auf Länderangelegenheiten, was jedoch im Fall keine Rolle spielte. 284 Zwar sei es schwierig, politische Diskussion von anderen Äußerungen abzugrenzen, jedenfalls beinhalte "politische Diskussion" aber auch die Diskussion über Verhalten, politische Grundsätze oder Tauglichkeit zum Amt von Regierung, politischen Parteien, öffentlichen Organen, Staatsbediensteten und jenen, die sich um ein öffentliches Amt bewerben. Das Konzept schließt auch die Diskussion der politischen Ansichten und des öffentlichen Verhaltens von Personen ein, die mit Tatigkeiten beschäftigt sind, die Gegenstand politischer Debatte geworden sind, z. B. Gewerkschaftsführer, politische Führer der Ureinwohner, Politik- und Wirtschaftskommentatoren. Tatsächlich erschöpft sich unserer Ansicht nach das Konzept nicht in politischen Veröffentlichungen und Ansprachen, die darauf zielen, Wahlen zu beeinflussen. Barendt äußert daß: " ,politische Rede' sich aufjede Rede bezieht, die für die Entwicklung der öffentlichen Meinung über eine ganze Reihe von Themen, über die ein intelligenter Bürger nachdenken sollte, relevant ist. " 285

(1994) 182 CLR 104 (121). (1994) 182 CLR 104 (122). 284 (1994) 182 CLR 104 (122). 285 [. ..] discussion of the conduct, policies or fitness for ojjice of government, po/itical parties, public bodies, public officers and those seeking public office. The concept also includes discussion of the political views and public conduct of persans who are engaged in activities that have become the subject ofpolitica/ debate, e. g., trade union Ieaders, Aboriginal political Ieaders, political and economic commentators.lndeed, in our view, the concept is not exhausted by political publications and addresses which are calculated to injluence choices. Barendt states that: '"political speech' refers to all speech relevant to the development of public opinion on the whole range of issues which an intelligent citizen should think about." (1994) 182 CLR 104 (124). 282

283

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Von ihrer Rechtsnatur her sei die Freiheit keine allgemeine Garantie der Redefreiheit, sondern sei ein unabdingbares Element zur Sicherung des wirksamen Funktionierens von repräsentativer Demokratie und Regierungsform. Obwohl der Unterschied nicht präzise zu definieren sei, sei es doch möglich, daß er, falls nötig, genau bestimmt werde.286 Die wichtigste Fortschreibung der Freiheit ist die Feststellung, daß sie sich auf das common law erstreckt, auf dieses einwirkt und somit Drittwirkung entfaltet: Wenn die Verfassung, ausdrücklich oder per Implikation, in Widerspruch zu einer Lehre des common law steht, muß letztere der ersteren nachgeben.287

Die Richter meinten, obwohl die Verfassungsväter es für das Beste hielten, den Schutz von Rechten dem common law zu überlassen, gehe es hier nicht allein um die Interessen des einzelnen, sondern um den Schutz des Funktionierens des repräsentativen Regierungssystems, das von der Verfassung vorgeschrieben sei. Deshalb sei die implizierte Freiheit auch fähig, sich auf Freiheit von einfachgesetzlichen Beschränkungen, seien sie durch Gesetzesrecht oder vom common law auferlegt, zu erstrecken. Die Vorstellungen der Verfassungsgeber [...]können nicht den Inhalt einer Implikation beschränken, die der Verfassung zu entnehmen ist [... ] 288

Speziell zur Einwirkung auf das Gebiet des Beleidigungsrechts heißt es, es ist unbestreitbar, daß eine Implikation von Kommunikationsfreiheit, deren Zweck es ist, die Wirksamkeit der repräsentativen Demokratie zu sichern, sich darauf erstrecken muß, politische Diskussion davor zu schützen, belastender straf- und zivilrechtlicher Haftung ausgesetzt zu sein, wenn die Implikation für die Erreichung ihres Zwecks wirksam sein soll.289

Sowohl der U.S. Supreme Court als auch der Europäische Gerichtshoffür Menschenrechte hätten für das Verhältnis von Meinungsfreiheit und Beleidigungsrecht einen weiten Ansatz gewählt. 290 In beiden Rechtsordnungen sei die Redefreiheit nicht nur als bloßes Abwehrrecht gegen Regierungshandeln gesehen, sondern es seien auch Auswirkungen auf das Beleidigungsrecht, also das Privatrecht, anerkannt worden. Zwar seien die der australischen Kommunikationsfreiheit entsprechenden (1994) 182 CLR 104 (125). Ifthe Constitution, expressly or by implication, is at variance with a doctrine ofthe common law, the latter must yield to theformer. (1994) 182 CLR 104 (126). 288 [. ••] capable of extending to freedom from restraints imposed by law, whether statute law or common law. The beliefs of the founders [ .. .] cannot Iimit the content ofan implication tobe drawnfrom the Constitution [. ..] (1994) 182 CLR 104 (128). 289 [. ••] it is incontrovertible that an implication offreedom of communication, the purpose ofwhich is to ensure the efficacy ofrepresentative democracy, mustextend to protect politica/ discussion from exposure to onerous criminal and civilliability if the implication is to be effective in achieving its purpose. (1994) 182 CLR 104 (130). 290 Für den EGMR berufen sie sich dabei auf Lingens v. Österreich ( 1986) 8 EHRR 407 und Oberschlick v. Österreich, Serie A, Nr. 204 vom 23. Mai 1991. 286 287

6 Pittrof

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

dortigen Garantien jeweils volle Garantien der Äußerungsfreiheit, jedoch bedeute dies nicht, daß diese beiden Ansätze für Australien irrelevant oder unangemessen seien, denn eine Kommunikationsfreiheit, die die Wirksamkeit der repräsentativen Demokratie sicherstellen soll, müsse um effektiv zu sein, politische Diskussion von der einfachrechtlichen Haftung freistellen. 291 Allein aus der Tatsache, daß das common law bereits eine Abwägung zwischen den Rechten des einzelnen auf Schutz der Ehre und der politischen Diskussion getroffen habe, folge nicht, daß es keine Widersprüchlichkeit zwischen common law und der Freiheit gebe.292 Das Beleidigungsrecht, ob common law oder Gesetzesrecht, muß sich der Implikation der Freiheit anpassen, auch wenn die Anpassung bedeutet, daß die Kläger größere Schwierigkeiten beim Schutz ihres Rufes erfahren.293

Einige Regelungen des Beleidigungsrechts294 hätten zur Folge, daß die Freiheit wesentlich eingeschränkt würde. Unter bestimmten Voraussetzungen295 habe der (1994) 182 CLR 104 (130). (1994) 182 CLR 104 (132). 293 The law of defamation, whether common law or statute law, must conform to the implication offreedom, even if conformity means that plaintiffs experience greater difficulty in proteering their reputations. (1994) 182 CLR 104 (136). 294 Das Beleidigungsrecht ist in Australien nicht bundesrechtlich geregelt, sondern es existiert für jedes Land und die beiden Territorien ein selbständiges Beleidigungsrecht. Dabei haben Queensland und Tasmanien das Beleidigungrecht kodifiziert, in Western Australia stehen Kodifikation und durch Gesetzgebung modifiziertes common law nebeneinander und in New South Wales, South Australia, Victoria sowie dem Australion Capital Territory und dem Northern Territory gilt das common law modifiziert durch verschiedene Gesetze des jeweiligen Landes oder Territoriums. Aufgrund der Uneinheitlichkeit des Beleidigungsrecht läßt sich nur schwer eine Zusammenfassung geben. Im folgenden aber der Versuch eines Überblicks über die Grundzüge, die im wesentlichen in den einzelnen Teil-Rechtsordnungen gleich sind: Allgemein läßt sich sagen, daß in allen Rechtsordnungen die zivilrechtliehen Beleidigungsklagen eine wesentlich größere Rolle einnehmen als die strafrechtlichen, deren Zahl verschwindend gering ist. Im wesentlichen muß die klagende Person beweisen, daß die beklagte Person diffamierendes Material, die klagende Person betreffend, "veröffentlicht" hat. Potentielle Beklagte sind dabei alle, die vorsätzlich oder fahrlässig sich an der "Veröffentlichung" beteiligten oder sie autorisiert hatten, was auch z. B. den Zeitungsherausgeber, den Drucker sowie den Eigentümer der Zeitung umfaßt. Die beklagten Personen können sich mit verschiedenen Rechtfertigungsgründen zur Wehr setzen, von denen die wichtigsten a) Wahrheit (justification, truth), b) fairer Kommentarifair comment), c) absolutes Privileg (absolute privilege) und d) qualifiziertes Privileg (qualified privilege) sind. Die Rechtfertigungsgründe sind in den einzelnen Ländern und Territorien unterschiedlich definiert; ihre Grundzüge aber umfasssen folgendes: (a) Der Rechtfertigungsgrund der Wahrheit ist aus sich heraus verständlich. Dennoch ist nicht in allen Jurisdiktionen Wahrheit allein ausreichend; manche verlangen, daß die Veröffentlichung der Wahrheit einem öffentlichen Interesse oder Nutzen dient und bauen so einen besseren Schutz der Privatsphäre ein. 29t

292

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

83

Beklagte, der eine Äußerung, die unter politische Diskussion falle, getan habe, daher einen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrund296, mit der Folge, daß der diffamierte Kläger seine Klage nicht durchsetzen könne. Außerdem werde der bestehende Rechtfertigungsgrund des qualifizierten Privilegs durch die Implikation modifiziert. 29 7 b) Durch den Rechtfertigungsgrund des "fairen Kommentars" sind Meinungsäußerungen geschützt, die fair sind, eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse betreffen und sich auf Tatsachen stützen, die in der Veröffentlichung angegeben oder mindestens angedeutet werden und die wahr sind oder sich auf das absolute Privileg (s. u.) berufen können. "Fair" wird dabei so verstanden, daß jemand "ehrlicherweise" dieser Ansicht sein kann. c) Unter das absolute Privileg fallen, unabhängig vom Motiv der veröffentlichenden Person, Aussagen im Verlauf von Parlamentssitzungen, Aussagen in gerichtlichen Verfahren sowie Veröffentlichungen des Parlaments. Allerdings steht dieser Rechtfertigungsgrund meist nur für die Erstveröffentlichung, also z. B. die offizielle Veröffentlichung der Parlamentsdebatten, nicht jedoch z. B. für Presseartikel über die Debatten zur Verfügung. d) Die Definition des qualifizierten Privilegs ist in den verschiedenen Jurisdiktionen am uneinheitlichsten. Der wichtigste Unterschied zum absoluten Privileg ist, daß hier das Motiv (so es die klagende Partei beweisen kann) eine Rolle spielt und der Rechtfertigungsgrund nicht zur Verfügung steht, wenn die beklagte Partei böswillig war, d. h. ein ungebührliches Motiv (improper motive) hatte oder nicht ehrlicherweise an die Wahrheit der Veröffentlichung glaubte. Unter der Voraussetzung eines zulässigen Motivs kann das qualifizierte Privileg für Veröffentlichungen in Anspruch genommen werden, die in Erfüllung einer Pflicht oder zum Schutz eines Interesses vorgenommen werden, wobei der Pflicht ein korrespondierendes Interesse gegenüberstehen muß. Dies führt bei allgemeinen Veröffentlichungen oft zum Wegfall des Privilegs, da nicht jedes einzelne Mitglied der Öffentlichkeit ein Interesse an der Veröffentlichung hat. Außerdem kann das qualifizierte Privileg für die Dokumente in Anspruch genommen werden, die für die offiziellen Veröffentlichungen unter das absolute Privileg fallen. Für die Entwicklung der verfassungsrechtlichen Kommunikationsfreiheit war die erste Variante des qualifizierten Privilegs am wichtigsten. Einen guten Überblick über das Beleidigungsrecht in Australien bietet WalkerS., The Law of Joumalism in Australia, 1989, Teil3, 135 ff, sowieGilloolyM., The Law ofDefamation in Australia and New Zealand, 1998. Zum Beleidigungrecht inNew South Wales empfiehlt sich Hunt D. u. a., Aspects of the Law of Defamation in New South Wales, Young Lawyers Section, Law Society of New South Wales, 1990. Reformvorschläge finden sich bei NSW Law Reform Commission, Report No. 75, Defamation, September 1995. Dieneueren Entwicklungen in Australien undden USA vergleichtkritischChestermanM., The Money ortheTruth: Defamalion Reform in Australia and the USA, 18 (2) 1995 UNSWLJ 300. Die historische Entwicklung des Beleidigungsrechts in NSW untersucht EdgeworthB., Defamalion Law and the Emergence of a Critical Press in Colonial New South Wales (1824-1831), 6 (1990) AJLS 50. Siehe auch Taylor G., Ehren- und Persönlichkeitsschutz im australischen Common Law: ein Vergleich mit dem deutschen Recht, Dissertation Marburg, 2001. 295 Die beklagte Person muß beweisen, daß ihr die Unwahrheit des publizierten Materials nicht bekannt war, sie das Material nicht leichtfertig, d. h. ohne sich darum zu sorgen, ob es wahr oder falsch war, publiziert hat und die Veröffentlichung den Umständen nach vernünftig war (1994) 182 CLR 104 (209). Vgl. dazu auch Butler D., Constitutional protection for defamatory communications conceming govemment and political matters, 18 (1997) Qld Lawyer 39. Mit Folgeentscheidungen der Untergerichte zu diesem verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrundbefaßt sich Cassimatis A. E., Theophanous- a review of recent defamation decisions, ( 1997) 5 Torts LJ 102. 296 Siehe oben Text zu Anm. 281. 6*

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Damit wird die Freiheit in ihrer Eigenschaft als reine Beschränkung der legislativen Kompetenz ausgeweitet, denn das common law als Richterrecht, das hier beschränkt wird, unterliegt keiner legislativen Kompetenzbeschränkung. Darüberhinaus wird der Freiheit der politischen Kommunikation dadurch horizontale Wirkung zuerkannt, daß sich nun auch Private untereinander darauf berufen können. Richter Deane gehörte ebenfalls der Mehrheit an und vertrat eine noch weitere Auffassung hinsichtlich der Auswirkung der Freiheit. Zur Rechtfertigung der Existenz der Kommunikationsfreiheit setzte er sich - offensichtlich in Antwort auf zahlreiche Kritik an den ersten beiden Urteilen - intensiv mit der Meinung auseinander, die Tatsache, daß sich die Verfassungsgeber bewußt gegen eine Bill of Rights entschieden hätten, erlaube nicht, "Rechte" in die Verfassung zu implizieren. 298 Er wandte sich gegen diese Ansicht. Zum einen verstoße sie gegen die normalen Auslegungsregeln, zum zweiten sprächen Äußerungen der hauptsächlich verantwortlichen Verfassungsväter, in denen sie selbst von Implikationen von Rechten reden, dagegen und drittens sei die Verfassung eine "lebendige Kraft", die den Willen der heutigen Australier darstellen soll; die Absichten der Verfassungsgründer könnten deshalb die heutige Interpretation nicht hindem: [D]ie Verfassung auf der Grundlage auszulegen, daß die toten Hände derjenigen, die siegeschaffen haben, aus ihrem Grabe langten, um die naturgegebenen Implikationen ihrer geschriebenen Vorschriften oder der grundlegenden Lehren zunichte zu machen oder zu erdrücken, würde sie, die sie als lebendiges Instrument gedacht war, ihrer Vitalität und ihrer Fähigkeit, durch Anpassung nachfolgenden Generation zu dienen, berauben.299

Wenn das Volk mit dieser Verfassungsinterpretation nicht einverstanden sei, habe es die Möglichkeit über ein Referendum die Regelung außer Kraft zu setzen.300 297 Qualified privilege steht demnach dann als Rechtfertigungsgrund zur Verfügung, wenn die beanstandete Veröffentlichung sich auf die implizierte Freiheit berufen kann. Insbesondere wurde die Voraussetzung einer Pflicht zur Veröffentlichung, der ein wechselseitiges Interesse gegenüber steht, modifiziert. Die gesamte Öffentlichkeit habe ein Interesse an der Diskussion politischer Angelegenheiten. Eine unter die implizierte Freiheit der politischen Diskussion fallende Veröffentlichung habe also immer ein korrespondierendes Interesse, so daß für sie - soweit die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind - das qualifizierte Privileg immer eingreife. ( 1994) 182 CLR 104 ( 140). Ausführlicher bei Gillooly M., The Law of Defamalion in Australia and New Zealand, 1998, 186ff. 298 (1994) 182 CLR 104 (166ft'). 299 [T]o construe the Constitution on the basis that the dead hands ofthose whoframed it reached from their graves to negate or constrict the natural implications of its express provisions or fundamental doctrines would deprive what was intended tobe a living instrument ofits vitality and of its adaptability to serve succeeding generations. (1994) 182 CLR 104 (171). Vgl. dazu auch die Auffassung des EGMR, daß die EMRK ein lebendiges Instrument und im Lichte der gegenwärtigen Gegebenheiten auszulegen sei: z. B. in Matthews v. The United Kingdom, ECHR, Application No 24833/94, Urteil v.18.2.1999, Absatz 39. 3oo (1994) 182 CLR 104 (172).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Die implizierte Kommunikationsfreiheit definierte er als [d]ie Freiheit der Bürger des Bundes, dienstliches Verhalten und die daraus folgende Amtseignung von Personen, denen solche staatlichen Befugnisse anvertraut sind- wie Parlamentarier, Richter und führende Mitglieder der Exekutive - zu untersuchen, zu diskutieren und zu kritisieren [... ].301

Zu ihrer Rechtsnatur führte er aus, die implizierte Kommunikationsfreiheit sei streng genommen kein "Grundrecht", sondern eine Beschränkung der Legislative und Exekutive, die zu einer ,,pro tanto Freistellung" der Bürger von freiheitsverletzenden Gesetzen führe.302 Bezüglich der Auswirkung der Freiheit auf das Beleidigungsrecht lehnte auch er es ab, die bereits auf einfachgesetzlicher Ebene durch das bestehende Beleidigungsrecht vorgenommene Abwägung zwischen Kommunikationsfreiheit und Ehrenschutz einfach zu akzeptieren. Denn das wäre eine Verleugnung der dem Gericht von Verfassungs wegen zugeteilten Aufgaben. Außerdem habe das bestehende Beleidigungsrecht die neugefundene Implikation noch gar nicht berücksichtigen können, so daß eine Überprüfung der durch das Beleidigungsrecht getroffenen Abwägung nötig sei. 303 Für ihn stand fest, daß die Freiheit wie oben definiert, der Kernbereich dessen sei, was die Implikation schütze. Die Freiheit zu kritisieren, diskutieren und untersuchen wäre sinnlos, wenn es den Bürgern verwehrt wäre, Äußerungen zu tun, die den Ruf eines Parlamentsmitgliedes oder eines Kandidaten verletzen könnten. 304 Die Inhaber hoher Ämter, wie z. B. Parlamentarier oder Richter, seien in ihren Reden absolut privilegiert, um die furchtlose Ausübung der öffentlichen Gewalt für das Allgemeinwohl zu gewährleisten. Die Kehrseite der Medaille sei dann aber auch, daß der Bürger nicht von der Ausübung seiner Rechte, beispielsweise der Kritik an Inhabern öffentlicher Ämter, abgeschreckt werden dürfe. 305 Daher war es für ihn offensichtlich, daß die schwerwiegende Beschneidung der Freiheit der politischen Kommunikation und Diskussion, die eine vorbehaltlose Anwendung des[ ... ] Diffamierungsrechts mit der Folge beinhaltet, daß der Bürger für die Tätigung von Äußerungen über das dienstliche Verhalten oder die Eignung eines Parlamentsmitgliedes oder eines anderen Inhabers eines hohen öffentlichen Amtes im Dienste des Bundes (beispielsweise ein Mitglied dieses 301 [t]he freedom ofthe citizens ofthe Commonwealth to examine, discuss and criticize the official conduct and consequent suitability for office ofpersans entrusted with those powers of government, such as parliamentarians, judges and leading members of the Executive {. ..] (1994) 182 CLR 104 (180). 302 (1994) 182 CLR 104 (186) 303 (1994) 182 CLR 104 (178). 304 (1994) 182 CLR 104 (181). 3()!j (1994) 182 CLR 104 (182f).

86

l. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Gerichts) schadenersatzpflichtig ist, nicht als im öffentlichen Interesse [... ] gerechtfertigt werden kann. 306

Seiner Meinung nach war daher die Wirkung der Implikation auf das Beleidigungsrecht, daß sie die Anwendung des [...] Beleidigungsrechts, um den Bürger für die Veröffentlichung von Aussagen über das dienstliche Verhalten oder die Eignung eines Parlamentsmitglieds oder des Inhabers eines anderen hohen öffentlichen Amtes schadenersatzpflichtig zu machen, vollständig ausschließt. 307

Dies gelte auch bezüglich solcher Aussagen oder Kommentare für diejenigen, die für das Verhalten der Presse und anderer Ventile der Medien, durch die solche öffentliche Diskussion und Kritik in unserer Gesellschaft großteils stattfinden muß, verantwortlich sind. 308

Obwohl er die Auswirkungen der Implikation auf das Beleidigungsrecht weiter faßte als die anderen drei Mehrheitsrichter, schloß er sich in einem Addendum deren Ergebnis an, um eine eindeutigere Entscheidung herbeizuführen.309 (y) Die abweichenden Voten

Die Richter Brennan, McHugh und Dawson kamen in ihren abweichenden Voten nicht zu einer Einwirkung des Verfassungsrechts auf das Beleidigungsrecht und gestanden daher den Beklagten keinen Rechtfertigungsgrund zu. Wie schon in ACTV waren auch hier die Stimmen der Minderheit nicht einheitlich, sondern unterschieden sich grundlegend, was die Akzeptanz der implizierten Freiheit betrifft. Richter Brennan sprach sich zwar grundsätzlich für die Existenz einer durch die Verfassung implizierten Kommunikationsfreiheit aus, schrieb ihr jedoch nicht so 306 [. •. ] plain that the serious curtailment ofthefreedom ofpolitical communication and discussion which is involved in an unqualified application of [. ..] defamation laws to render the citizen liable in damages for the making of Statements about the official conduct or suitability of a member of the Parliament or other holder of high public office in the service of the Commonwealth (such as a member ofthis court) cannot be justified in the public interest [. ..] (1994) 182 CLR 104 (184). 307 [. •• ] to preclude completely the application of [. .. ] defamation laws to impose liability in damages upon the citizen for the publication of statements about the official conduct or suitability of a member ofthe Parliament or other holder of high Commonwealth office. ( 1994) 182 CLR 104 (185). 308 [ ••• ] in respect of such statements or comments upon those responsible for the conduct of the press and other media outlets through which such public discussion and criticism must, in our society, largely take place. (1994) 182 CLR 104 (186). 309 (1994) 182 CLR 104 (187f).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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weitreichende Auswirkungen zu, daß dadurch das bestehende Beleidigungsrecht reformiert würde. Er begann sein abweichendes Votum mit Ausführungen zur Zulässigkeil von Implikationen und ihrer Herleitung. Dazu meinte er, daß bei der Verfassungsauslegung richterliche Politik (judicial policy) keine Rolle spielen dürfe. Das Gericht, dessen Existenz letztlich durch die Verfassung begründet sei, dürfe nur den Verfassungstext auslegen und anwenden und Implikationen aufdecken, wo sie existieren, nichtjedoch dürfe es (vermeintliche) Lücken der Verfassung ausfüllen. Das Gericht dürfe sich nicht anmaßen, der Verfassung eine Wirkung zuzuschreiben, die nicht von ihrem Text- historisch und im Lichte des common law sowie der Umstände oder des Themas, auf die der Text angewandt wird, ausgelegt - gefordert ist. Das bedeute nicht, daß die Verfassung innerhalb sich verändernder Bedingungen keine verändernde Wirkung habe oder die Bedeutung ihrer Begriffe sich nicht ändern würde. Die Verfassung spreche kontinuierlich zur Gegenwart. Richterliche Politik stelle aber anders als im common law des einfachen Rechts bei der Auslegung der Verfassung keinen Spielraum zur Verfügung. Die Aufgabe sei hier die Erörterung des Verfassungstextes. 310 Daran anschließend erörterte er die Natur der implizierten Freiheit: Zu Beginn ist es nötig, zwischen einer absoluten Freiheit und einer Freiheit, die durch das Recht geschützt oder garantiert ist, zu unterscheiden. Im Recht gibt es keine absolute Freiheit, irgend etwas zu tun, das einen anderen betreffen mag. Gesetze beschränken notwendigerweise absolute Freiheiten, damit alle in einer Gesellschaft der Freiheit unter dem Gesetz leben können, womit wir eine Gesellschaft meinen, in der absolute Freiheiten durch Gesetz bis zu dem Ausmaß beschränkt werden, wie man es unserer Geschichte und Kultur für angemessen hält. Für den australischen Verfassungsrechtier ist die Frage nicht, ob ein Gesetz eine absolute Freiheit beschränkt, sondern ob das Gesetz, das die Beschränkung auferlegt, innerhalb der Verfassungsbefugnis des Gesetzgebers durch eine Vorschrift, die eine Verfassungsfreiheit oder -freistellung schützt oder garantiert, begrenzt [...] ist. Es gibt daher zwei verschiedene Arten, auf die der Begriff "Freiheit" verwendet werden kann. Die eine ist eine Freiheit, jegliches zu tun - eine absolute Freiheit; die andere ist eine Freiheit oder Freistellung von rechtlicher Regulierung, die ausdrücklich oder impliziert von der Verfassung geschaffen ist- eine Verfassungsfreiheit Das Gericht befaßt sich nur mit der Natur und der Reichweite von Verfassungsfreiheiten. 3 11 (1994) 182 CLR 104 (143f). At the outset, it is necessary to distinguish between an absolute freedom and a freedom which is protected or guaranteed by law. In law, there is no absolute freedom to do anything that might affect another. Laws necessarily restriet absolute freedoms in orderthat all may live in a society offreedom under the law, by which we mean a society in which absolute freedoms are restricted by law to the extent that is thought appropriate to our history and culture. To the Australian constitutionallawyer, the question is not whether a law restricts an absolute freedom, but whether the law imposing the restriction is within the constitutional powers of the lawmaker limited [ .. .] by a provision which protects or guarantees a constitutional freedom or immunity. There are thus two distinct senses in which the term ''freedom" may be used. One is a freedom to do anything- an absolute freedom; the other is a freedom or immunity from legal 310 311

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Die Freiheit ist seiner Meinung nach also kein dem Staat vorausgehendes Recht, sondern wird durch ihn bzw. seine Verfassung erst gewährt. Was die Existenz der Freiheit der politischen Kommunikation betrifft, so erkannte Richter Brennan ausdrücklich an, daß die Verfassung aufgrund der Regierungsform eine Kommunikationsfreiheit impliziert. Bezüglich ihrer Rechtsnatur berief er sich auf sein Votum im Nationwide-Fall und betonte, daß die Freiheit als Kompetenzbeschränkung definiert wurde. 312 Dies wirke sich auf die Bestimmung der Reichweite des Schutzbereiches der Freiheit aus: Es ist eine Sache, zusammen mit anderen berechtigt zu sein, frei in einem Bereich zu handeln, in dem ein Gesetz nicht anwendbar ist oder nicht angewendet werden kann; es ist eine andere, ein persönliches Recht oder eine persönliche Freistellung durch die Anwendung eines allgemeinen Gesetzes zu besitzen. [...] Wenn die in die Verfassung implizierte Freiheit ein persönliches Recht oder eine persönliche Freistellung wäre, würde sie sich auf das erstrecken, was nötig ist, um ihren vollen Genuß zu erleichtern oder zu erlauben, vorbehaltlich ausdrücklicher oder implizierter Einschränkungen in der Verfassung. Die Existenz eines solchen persönlichen Rechts oder einer Freistellung würde die Gültigkeit eines Gesetzes nicht berühren: das Gesetz wäre einfach bis zu dem Ausmaß unwirksam, zu dem es die Freiheit verletzt. Aber wenn die Freiheit die Folge von Beschränkungen einer Kompetenz ist, ist die Reichweite der Freiheit eine Funktion der Unwirksamkeit jedes Gesetzes, das die Kompetenz überschreitet. Ein Gesetz, das die Kompetenz überschreitet, ist nichtig, es sei denn, es kann vor der Nichtigkeit durch verfassungskonforme Auslegung bewahrt werden. [...]In Frage gestellt ist [im Fall] nicht die Reichweite der Freiheit, sondern die Wirksamkeit des Gesetzes. Wenn Regierungsbefugnisse von der Verfassung übertragen werden, ist ihre Reichweite impliziert soweit beschränkt, wie es nötig ist, die von der Verfassung vorgeschriebene Regierungsfarm zu erhalten. Die Beschränkung schafft eine Freiheit. Aber würde eine persönliche Freiheit von der Verfassung gewährt, würde man wahrscheinlich eine unausgesprochene Beschränkung ihrer Reichweite implizieren müssen, um die Ausübung gewisser staatlicher Befugnisse zu ermöglichen. Der Unterschied ist wesentlich, da die effektive Reichweite der Freiheit auf der einen Seite und die effektive Reichweite der Regierungsbefugnisse, die möglicherweise ausgeübt werden, um die Freiheit zu beschränken, auf der anderen Seite festgestellt würde, indem man zuerst die volle Funktionsreichweite dem zugesteht, was in erster Linie gewährt ist - die Freiheit oder die Kompetenzen - und dann diese Reichweite soweit wie nötig verringert, um etwaigen implizierten Beschränkungen oder Begrenzungen Wirksamkeit zu geben. Wenn die Verfassung eine persönliche Freiheit gewähren würde, wäre ihre Reichweite wahrscheinlich weitaus breiter als die Reichweite einer Freiheit, die aus einer implizierten Kompetenzbeschränkung folgt. Die Freiheit, die aus der implizierten Kompetenzbeschränkung fließt, wie sie in Nationwide News und ACTV erwogen wurde, ist keine persönliche Freiheit. [...] Wie Art. 92 begrenzt die Implikation legislative und exekutive Befugnisse. 313

regulation created, expressly or impliedly, by the Constitution- a constitutional freedom. The court is concerned only with the nature and scope of constitutional freedoms. ( 1994) 182 CLR 104 (146). 3 12 (1994) 182 CLR 104 (147).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Zur Auswirkung der Kommunikationsfreiheit auf das einfachgesetzliche Recht meinte Richter Brennan, daß die Verfassung zwar grundsätzlich dem common law vorgehe, wo ein Widerspruch herrsche. Jedoch gebe es keine Widersprüchlichkeit zwischen der Verfassung und den Regeln des common law, die die Rechte und Verpflichtungen der einzelnen untereinander festlegten, denn die Verfassung befasse sich nicht mit den Rechten und Pflichten von Privaten untereinander. 314 Keine Implikation der Verfassung widerspreche der im Beleidigungsrecht einem Mitglied des Parlaments, einem Kandidaten oder einer öffentlich tätigen Person gegebenen Möglichkeit, auf Schadensersatz zu klagen. 315 Es ist diesem Gericht nicht möglich, in Anwendung der Verfassung zu entscheiden, daß von einem deliktischen Anspruch auf Schadensersatz [...] gesagt werden könnte, daß er über das hinausgeht, was geeignet und dem Zweck angepaßt ist, den persönlichen Ruf zu schützen, und daß er in eine Verfassungsfreiheit, die Regierung, Regierungsinstitutionen und politische Angelegenheiten zu diskutieren, eingreift. Einer solchen Meinung Wirksamkeit zu verleihen, würde meiner respektvollen Meinung nach die Einführung von richterlicher Politik in die Verfassungsauslegung mit sich bringen. 316 313 /t is one thingtobe entitled, in common with others, to actfreely in an area to which a law cannot or does not apply; it isanother to possess a personal right or a personal immunity from the application of a generallaw [ ...]. lf the freedom implied in the Constitution were a personal right or immunity, it would extend to what is needed to facilitate or permit its fu/1 enjoyment, subject to any qualification expressed or implied in the Constitution. The existence of such personal right or immunity would not affect the validity of any law: the law would simply be ine.lfective to the extent to which it infringed the freedom . But when the freedom is the consequence of the Iimits on a power, the scope of the freedom is a function of the invalidity of any law which exceeds the power. A law which exceeds the power is invalid, unless it be savedfrom invalidity by reading it down.[. ..] The issue [in this casej is not the scope of the freedom but the validity of the law. When governmental powers are conferred by the Constitution, their scope is impliedly limited to the extent necessary to maintain the structure of government prescribed by the Constitution. The Iimitation creates a freedom . But if a personal freedom were conferred by the Constitution, an unexpressed restriction on its scope would probably have tobe implied in order to accommodate some exercise of government powers. The difference is significant, since the effective scope ofthe freedom on the one hand and the e.lfective scope ofthe governmental powers which might be exercised to restriet thefreedom on the other would be ascertainedfirst by attributing a ful/ range of operation to what is primarily conferred - the freedom or the powers- and then diminishing that range by what is necessary to give effect to any implied restriction or limitation.Jfthe Constitution conferredapersona/freedom, its scope would be likely to be far broader than the scope of a freedom consequent on an implied Iimitation on power. The freedom which flows from the implied Iimitation on power considered in Nationwide News and A. C.T.V. is notapersonal freedom . [. ..] Like s. 92, the implication Iimits legislative and executive power. (1994) 182 CLR 104 (148f; ohne Fußnote). 314 (1994) 182 CLR 104 (153). 315 (1994) 182 CLR 104 (153). 316 lt is impossib/efor this Court, in applying the Constitution, to hold that a tort which gives relief in damages [. .. j could be said to go beyond what is appropriate and adapted to the purpose of proteering personal reputations and to trespass upon a constitutional freedom to discuss government, governmenta/ institutions and political matters. To give effect to such an

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Auch bezüglich des geschriebenen Teils des Beleidigungsrechts (im Gegensatz zum common law) habe der Gesetzgeber, seinen Ermessensspielraum nicht überschritten, die Freiheit daher nicht verletzt. 317 Anders als RichterBrennanlehnte Richter McHugh eine über die aus den Wahlvorschriften abgeleitete Freiheit hinausgehende Kommunikationsfreiheit ab und nahm in seinem abweichenden Votum Abstand von den Entscheidungen in Nationwide und AC1V.318 Für ihn gab es keinen Anhaltspunkt in der Verfassung für eine Implikation, daß das Institut der repräsentativen Regierungsform oder der repräsentativen Demokratie, unabhängig vom Inhalt der Art. 1, 7, 24,30 und 41 [den Wahlvorschriften] der Verfassung, Teil der Verfassung ist. 319

Zwar gebe es ein begrenztes Recht auf Kommunikation im Zusammenhang mit Bundeswahlen aus Art. 7 und 24,320 jedoch sei es ihm genausowenig möglich, eine geeignete Grundlage dafür zu sehen, aus der Verfassung ein allgemeines Recht auf Kommunikationsfreiheit abzuleiten, wie eine geeignete Grundlage dafür zu sehen, ein Prinzip der repräsentativen Regierungsform oder der repräsentativen Demokratie abzuleiten.m

Auch dafür, daß die begrenzte Freiheit aus Art. 7 und 24 Auswirkungen auf das einfache Recht haben könne, fand er keine Anhaltspunkte in der Verfassung. 322 Meiner Meinung nach enthält die Verfassung keine allgemeine Garantie, sei es ausdrücklich oder impliziert, daß der Verleger einer diffamierenden Anschuldigung nicht haftbar ist, wenn die Veröffentlichung sich mit Regierungs- oder politische Angelegenheiten, die Ausübung der Pflichten von Mitgliedern des Bundesparlaments oder die Eignung von Personen für das Amt als Mitglieder des Parlaments auseinandersetzt. 323

Im dritten abweichenden Votum lehnte Richter Dawson, wie schon in AC1V, die Implikation einer Kommunikationsfreiheit durch die Verfassung völlig ab. opinion would involve, in my respectful opinion, the introduction ofjudicial policy into constitutional interpretation. (1994) 182 CLR 104 (155). 317 (1994) 182 CLR 104 (156f). 318 (1994) 182 CLR 104 (204). 3 19 [ .. .] for an implication that the institution of representative government or representative democracy is part ofthe Constitution independently ofthe terms ofss. l, 7, 24,30 and41 ofthe Constitution. (1994) 182 CLR 104 (199). 32o (1994) 182 CLR 104 (204-206). 321 [ ... ] unable to see any proper basis for inferring a general right offreedom of communication in the Constitution any more than 1 can see a proper basis for inferring a principle of representative government or representative democracy. (1994) 182 CLR 104 (206). 322 (1994) 182 CLR 104 (206f). 323 in my opinion, the Constitution contains no general guarantee, express or implied, that the publisher of a defamatory imputation is not liable if the publication discusses government or political matters, the performance by members ofthe federal Parliament of their duties, or the suitability ofpersonsfor office as members ofthe Parliament. (1994) 182 CLR 104 (194f).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Es sei offensichtlich jenseits aller Argumentation, daß die Verfassung irgendein selbständiges Recht auf oder eine Garantie der Freiheit der Kommunikation oder der Rede, außer des Erfordernisses in Art. 92, daß der Verkehr zwischen den Ländern absolut frei sein müsse, enthalte.324 Art. 7 und 24 schrieben die repräsentative Regierungsform vor, und nicht Kornmunikationsfreiheit Jedoch ginge ein Verstoß gegen die wesentlichen Elemente der Artikel über die jeweilige Gesetzgebungsbefugnis hinaus. Daraus folge aber nicht, daß sich dies auch auf das einfache Recht auswirke. Diese Artikel und das Beleidigungsrecht hätten trotz Beschränkungen der Redefreiheit durch letzteres über 90 Jahre lang nebeneinander bestanden und hätten die repräsentative Regierungsform nicht beeinträchtigt. Außerdem sei der Ehrenschutz von Politikern für die repräsentative Demokratie förderlich, da sich sonst fähige Personen von einer Kandidatur abhalten lassen würden, so daß das Beleidigungsrecht nicht notwendigerweise das Regierungssystem beeinträchtigen müsse. Es stehe dem Gericht nicht frei, die Details des repräsentativen Regierungssystems als Angelegenheit der Verfassungsauslegung zu bestimmen.325

(b) Stephens v. West Australian Newspapers LtcP26

(a) Sachverhalt Die am gleichen Tag verkündete Stephens-Entscheidung ist Theophanous thematisch sehr ähnlich. Wie in Theophanous ging es um die Auswirkungen der implizierten Kommunikationsfreiheit auf das Beleidigungsrecht Der Schwerpunkt war allerdings mehr länderbezogen als in Theophanous, da es neben der Drittwirkung auch um die Frage ging, ob sich die Kommunikationsfreiheit inhaltlich auf Diskussion von Landespolitik beziehe und ob die Landesverfassung von Western Australia auch eine implizierte Kommunikationsfreiheit enthalte.327 Wegen der Überschneidungen nahmen die Voten mindestens teilweise auf Theophanous bezug. Die Beklagte hatte in der Zeitung West Australian, die von ihr verlegt wird und hauptsächlich in Western Australia Verbreitung findet, drei Artikel veröffentlicht, in denen Aussagen eines Mitglieds des westaustralischen Landesparlaments wiedergegeben wurden. Dieses hatte sich über eine auf Kosten der Staatskasse unternommene Reise der Kläger, die allesamt Mitglieder des Landesparlaments und des Ständi(1994) 182 CLR 104 (190f). (1994) 182 CLR 104 (190-192, insb. 192). 326 ( 1994) 182 CLR 211. Im folgenden als Stephens zitiert. V gl. auch die Besprechung bei 0 ' Meara St., Theophanous and Stephens: The Constitutional Freedom of Communication and Defamation Law, 3 (1995) Torts U 105 (v. a. 111 ff). 327 Zum Landesrecht siehe unten S. 189. 324 325

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

gen Ausschusses für Staatsbehörden sind, beschwert. Die Reise sei überfiüssig und nicht vom Parlament genehmigt worden. Insbesondere in schlechten Zeiten könne es nicht angehen, daß es sich die Parlamentsmitglieder auf Kosten der Allgemeinheit gutgehen ließen. Weiter stellte er die Eignung der Kläger für ihr Amt in Frage. Die Beklagte verteidigte sich gegen eine Beleidigungsklage der betroffenen Parlamentsmitglieder unter Berufung auf zwei Rechtfertigungsgründe: zum einen mit dem der verfassungsrechtlich gewährten implizierten Kommunikationsfreiheit, zum anderen mit dem Rechtfertigungsgrund des qualifizierten Privilegs aus dem Beleidigungsrecht 328 Die Mehrheitsverhältnisse der Entscheidung entsprachen denen des Theophanous-Urteils. Auch in Stephens konnte die Beklagte nur eine Mehrheit von 4 Richtern auf ihre Seite ziehen.

(b) Die Mehrheitsvoten Präsident Mason, Richter Toohey und Richterin Gaudron gaben auch hier ein gemeinsames Votum ab. Sie bezogen sich auf ihre Begründung in Theophanous und stellten in bezug auf den Inhalt der Freiheit fest, daß sich die Kommunikationsfreiheit, die in die Bundesverfassung impliziert ist, auf die öffentliche Diskussion der Leistung, des Verhaltens und der Amtseignung von Mitgliedern eines Landesparlaments erstreckt. 329

Die Drittwirkung der Kommunikationsfreiheit bestätigend, führten sie aus, daß grundsätzlich der Beklagten der in Theophanous aus der implizierten Kommunikationsfreiheit abgeleitete Rechtfertigungsgrund zur Verfügung stehe. Im Fall seien jedoch dafür nicht genügend Tatsachen vorgetragen. Der Rechtfertigungsgrund aus dem Beleidigungsrecht helfe ihr hier aber weiter, so daß die Klage keinen Erfolg habe.330 Richter Deane trug auch hier die Mehrheitsentscheidung mit. Er nahm auf seine rechtlichen Ausführungen in Theophanous Bezug und bestätigte, daß die Verfassungsimplikation auch die Anwendung der beleidigungsrechtlichen Schadensersatzpflicht auf Aussagen oder Kommentare über die Amtseignung oder das öffentliche Verhalten von Mitgliedern eines Landesparlaments oder eines anderen Inhabers eines hohen öffentlichen Amtes eines Landes, ausschließe.331 Obwohl er eigentlich die Voraussetzungen des verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrundes ns Siehe oben Anm. 294. the freedom of communication implied in the Commonwealth Constitution extends to public discussion of the performance, conduct and fitness for office of members of a State legislature. (1994) 182 CLR 211 (232). 33o (1994) 182 CLR 211 (234). 331 (1994) 182 CLR 211 (257). 329 [ ... ]

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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weiter faßte, schloß er sich aus Gründen der Rechtssicherheit wie in Theophanous der Meinung der drei anderen Richter an, so daß er ebenfalls zu dem Ergebnis kam, der Rechtfertigungsgrund des qualifizierten Privilegs helfe der Beklagten weiter. 332 Vier Richter bestätigten damit die Drittwirkung der implizierten Freiheit der politischen Kommunikation.

(y) Die abweichenden Voten

Die drei abweichenden Voten waren ebenso gespalten wie zuvor in Theophanous. Richter Brennan kam nicht aus grundsätzlicher Ablehnung der Existenz der Kommunikationsfreiheit, sondern aus Ablehnung einer Drittwirkung zu einem abweichenden Ergebnis. Bezüglich des Wesens, der Reichweite des Schutzbereichs und der Auswirkungen der Freiheit bezog er sich auf seine Ausführungen in Theophanous. Zwar erkannte er grundsätzlich eine implizierte Kommunikationsfreiheit an, vertrat aber die Auffassung, die in der Bundesverfassung implizierte Freiheit erstrecke sich inhaltlich jedoch nur auf die Diskussion von Bundesangelegenheiten und wirke sich auch nicht auf das einfachgesetzliche Recht aus. 333 Ausführlich nahm er dazu Stellung, ob der Beklagten der Rechtfertigungsgrund des qualifizierten Privilegs zustehe, lehnte dies aber im Ergebnis ab. 334 Richter McHugh wiederholte seine Ansicht aus Theophanous, daß die Bundesverfassung keine Garantie enthalte, die der Beklagten gegenüber der Beleidigungsklage einen Rechtfertigungsgrund verleihe. 335 Auch der beleidigungsrechtliche Rechtfertigungsgrund des qualifizierten Privilegs greife nicht durch. 336 Richter Dawson lehnte aus den gleichen Gründen wie in Theophanous die Existenz der implizierten Kommunikationsfreiheit und damit irgendeine Auswirkung auf das Beleidigungsrecht ab. 337

(1994) 182 CLR 211 (257). (1994) 182 CLR 211 (235). 334 (1994) 182 CLR 211 (237- 256). Der Rechtfertigungsgrund des qualifizierten Privilegs wäre seines Erachtens nur einschlägig, wenn die Anträge der Beklagten abgeändert würden. 33s (1994) 182 CLR 211 (259). 336 (1994) 182 CLR 211 (260). 337 (1994) 182 CLR 211 (257f). 332

333

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l. Kap.: Die Rechtslage in Australien

(c) Cunliffe and Another v. The Commonwealth ofAustralia338

(cx) Sachverhalt Ging es in den vorangegangenen Urteilen um eine genaue Definition der implizierten Freiheit, ihre Herleitung aus der Verfassung, ihr Wesen, das Ausmaß ihres Schutzbereichs und ihre Drittwirkung, so ging es in der letzten Entscheidung der Trilogie von 1994 mehr um die Anwendung der Freiheit, um eine Verfeinerung und Verfestigung der bisher von den Richtern aufgezeigten Positionen, sowie um die Frage nach der Trägerschaft der Freiheit. In Frage stand der 1992 neu eingefügte Teil 2 A des Einwanderungsgesetzes.339 Im wesentlichen führte dieser Teil ein System von Einwanderungsbeiständen (migration agents) ein und verbot mit einigen Ausnahmen, nicht registrierten Einwanderungsbeiständen-auch freiwillige- "Unterstützung bei der Einwanderung" (immigration assistance) zu geben. 340 Rechtsanwälte waren von dem Verbot befreit, solange sie nur "rechtliche Einwanderungsunterstützung" (immigration legal assistance) gaben. 341 Unter "rechtlicher Einwanderungsunterstützung" verstand das Gesetz im wesentlichen nur Tatigkeiten im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren, nicht also allgemeinen rechtlichen Rat zur Einwanderung. 342 Nicht registrierten Personen verbot das Gesetz außerdem unter Strafe, Gebühren für "Eingaben zur Einwanderung" (immigration representations) anzunehmen oder zu verlangen.343 Als "Eingaben zur Einwanderung" waren alle Arten von Kommunikation mit dem Minister für Einwanderungsangelegenheiten, seinem Personal und dem Ministerium im Namen eines Einwanderungsbewerbers in bezug auf dessen Bewerbung definiert. 344 Für die Registrierung als Einwanderungsbeistand wurde eine Gebühr erhoben. 345 Die beiden Kläger waren Rechtsanwälte, die vor Erlaß des Gesetzes auf dem Gebiet des Einwanderungsrechts tätig waren. Sie wandten sich gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes und argumentierten, daß das Gesetz nicht in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes falle, es gegen die implizierte Freiheit der Kommunikation von Information und Meinungen über Angelegenheiten, die das Regieren des Bundes betreffen, und gegen Art. 92 der Verfassung verstoße. 338 (1994) 182 CLR 272. Im folgenden als Cunliffe bezeichnet. S.a. die Besprechung beiden Fallbeispielen S. 278. 339 Migration Act 1958 (Cth). Im Votum von Richter Toohey finden sich die Vorschriften im Wortlaut: (1994) 182 CLR 272 (367ff); siehe dort z. B. auch ausführlich zum Sachverhalt. 340 § 114F(I). 341 § 114F(3). 342 §114C . 343 § 114H(I) und (2). 344 § 114H(4). 345 Migration Agents Registration (Application) Levy Act 1992 (Cth) und Migration Agents Registration (Renewal) Levy Act 1992 (Cth).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Während sich nach wie vor grundsätzlich vier der sieben Richter für die Existenz einer implizierten Kommunikationsfreiheit aussprachen, sahen in diesem Fall nur drei Richter einen konkreten Verstoß gegen die Freiheit für gegeben und hielten das Gesetz für (partiell) unwirksam, so daß die Kläger nicht obsiegten. In den hier nicht relevanten Punkten eins und drei ihres Antrages unterlagen sie ganz. Hinsichtlich der Kommunikationsfreiheit gaben ihnen drei der Richter teilweise Recht. (a) Die freiheitsfreundlichen Voten Die freiheitsfreundliche Gruppe der Richter setzte sich in der Cun/ijfe-Entscheidung nach wie vor aus Präsident Mason, den Richtern Deane und Toohey sowie Richterin Gaudron zusammen. Allerdings scherte Richter Toohey insoweit aus den Reihen der FreiheitsbefürworteT aus, als er im konkreten Fall keine Verletzung erkannte und so mit seiner Stimme den Ausgang des Urteils entschied. Von den freiheitsfreundlichen Richtern nahm Präsident Mason zunächst noch einmal Stellung zur Frage der inhaltlichen Bestimmung der Freiheit der politischen Kommunikation. Es sei zu eng, die Freiheit auf Kommunikation für Zwecke des politischen Prozesses in der repräsentativen Demokratie zu begrenzen. Der Behauptung, Kommunikationen mit Regierungsbehörden oder anderen Personen im Rahmen oder zum Zweck des Vollzugs eines Gesetzes fielen nicht unter die Freiheit, liege ein zu enges Verständnis der Rolle der Kommunikationsfreiheit für die repräsentative Demokratie zugrunde. Die Freiheit erstrecke sich notwendigerweise auf die Funktionen der Gerichte und Tribunale. Die beratende und informierende Tätigkeit, besonders von Juristen, im Rahmen des angegriffenen Gesetzes falle klar unter den von der Freiheit gedeckten Bereich.346 Berechtigte der Freiheit seien auch Personen, die sich, ohne die australische Staatsbürgerschaft zu besitzen, im Land aufhielten, denn sie unterlägen dem Schutz durch die Verfassung und könnten sich daher auf die durch die Verfassung implizierte Freiheit berufen.347 Hinsichtlich der Rechtsnatur der Kommunikationsfreiheit sei es nicht nötig, festzustellen, ob es sich bei der Freiheit um die positive Gewährung eines Individualrechts aus einer negativen Implikation oder eine Kompetenzbeschränkung handele. 348 Unter Zugrundelegung seiner Kriterien für die Beschränkung der Freiheit349 verstieß für ihn Teil 2 A in seiner Anwendung auf Rechtsanwälte und seiner weitreichenden Beschränkung von freiwilliger Einwanderungsunterstützung gegen die implizierte Freiheit.350 346 ( 1994)

182 CLR 272 (298 f). (1994) 182 CLR 272 (299). 348 (1994) 182 CLR 272 (299). 349 Dazu unten im Abschnitt Begrenzungen, S. 149. 3so (1994) 182 CLR 272 (301 ff, vor allem 307). 347

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l. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Richter Deane wiederholte, die Reichweite des Schutzbereichs der Freiheit betreffend, daß die implizierte Kommunikationsfreiheit auf zwei Ebenen, der zwischen den Volksvertretern und den Vertretenen und der der Vertretenen untereinander, wirke. [...] [D]ie Implikation ist die einer Freiheit der politischen Kommunikation und Diskussion innerhalb einer demokratischen Gemeinschaft, die der repräsentativen Regierungsform verpflichtet ist. Da das so ist, ist die Implikation nicht auf direkte Kommunikation durch oder mit dem Bürger beschränkt. Sie erstreckt sich auf das breite nationale Umfeld, in dem der einzelne Bürger existiert und in dem die repräsentative Regierungsform wirken muß. In diesem breiten nationalen Umfeld schützt die Beschränkung des Inhalts der Gesetzgebungskompetenz durch die Implikation die Freiheit der politischen Kommunikation und Diskussion von Nicht-Staatsbürgern, seien sie Gesellschaften oder Ausländer, bis zu dem Ausmaß, das nötig ist, um zu sichern, daß die Freiheit der Bürger, sich auf Diskussion einzulassen und Informationen über politische Angelegenheiten zu erhalten, bewahrt und geschützt wird. 351

In der Frage der Trägerschaft der Freiheit unterschied er sich von der Meinung von Präsident Mason. Ausländer stünden zwar unter dem Schutz des Gesetzes und teilweise von Verfassungsgarantien. Jedoch seien sie nicht Teil des Bundesvolkes, dessen Kommunikationsfreiheit die Verfassung als notwendiges Korrelat des repräsentativen Regierungsystems impliziere. Die Implikation wirke daher nicht so, daß sie Ausländern direkt Rechte oder Freistellungen gewähre. Jeder Ausländern erwachsende Vorteil sei nur indirekter Ausfluß aus der Freiheit oder Freistellung derer, die dem Bundesvolk angehörten. Diese Unterscheidung wirke sich aber in der Praxis nicht aus, da die Wirkung der Freiheit die Beschränkung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes sei und ein über die Kompetenz hinausgehendes Gesetz meist in der Anwendung auf Staatsbürger und Nichtstaatsangehörige gleichermaßen unwirksam sein werde.352 Seiner Meinung nach fiel das umstrittene Gesetz inhaltlich eindeutig in den Kernbereich der Freiheit der politischen Kommunikation und Diskussion. 353 Im Bereich der bezahlten "Einwanderungsunterstützung" sei das Gesetz aber gerechtfertigt, im Bereich der freiwilligen/unbezahlten Unterstützung jedoch nicht.354 351 {. •• ] [T]he implication is offreedom ofpolitical communication and discussion within a democratic community dedicated to representative government. That being so, the implication is not confined to direct communications by or with the individual citizen. lt extends to the broad national environment in which the individual citizen exists and in which representative government must operate. In the context 'of that broad national environment, the implication' s confinement ofthe content of legislative power protects the freedom ofcommunication and discussion ofnon-citizens, be they corporations or aliens, to the extent necessary to ensure that the freedom of citizens to engage in discussion and obtain information about political matters is preserved and protected. (1994) 182 CLR 272 (336). 352 (1994) 182 CLR 272 (335f). 353 (1994) 182 CLR 272 (340f). 354 (1994) 182 CLR 272 (340- 346). Zu seinen Kriterien für eine Begrenzung siehe unten S.l50.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kornmunikation

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Richterin Gaudran bezog sich hinsichtlich der Existenz, der Natur und des Inhalts der Freiheit auf ihre Voten in AC1V und Nationwide,355 wobei sie betonte, daß begrifflich zwischen dem nunmehr von ihr verwendeten Ausdruck "politische Diskussion" und dem damals benützten "politischer Diskurs", wie schon in Theophanous dargelegt, kein wesentlicher Unterschied bestehe.J56 Auch für sie verstießen die Vorschriften, die unbezahlte und freiwillige "Einwanderungsunterstützung" verboten sowie- teilweise- die Vorschriften, die die bezahlte juristische Beratung oder Eingaben durch Juristen einschränkten, gegen die implizierte Kommunikationsfreiheit, da sie dem von ihr aufgestellten Prüfungsmaßstab nicht standhielten.357 Richter Toohey unterstützte zwar auch in dieser Entscheidung die Implikation der Freiheit der politischen Kommunikation in der Verfassung, kam jedoch zu dem Ergebnis, daß diese Freiheit durch das angegriffene Gesetz nicht verletzt sei.358 Zur Trägerschaft der Freiheit äußerte er nur knapp, daß zwar auch Ausländer sich auf den Schutz des australischen Rechts berufen könnten, hier aber australische Staatsbürger, nämlich die Kläger von dem Gesetz negativ betroffen würden. Ob auch Ausländer sich auf die implizierte Freiheit berufen können, ließ er damit offen. 359 Bezüglich der inhaltlichen Bestimmung der Freiheit faßte er die Aussagen in den anderen Urteilen folgendermaßen zusammen: Diese Aussagen stellen, im mindesten, eine implizierte Freiheit seitens des Bundesvolkes fest, Informationen, Meinungen und Gedanken in bezug auf das parlamentarische Regierungssystem zu kommunizieren. Im äußersten erkennen sie eine Freiheit an, in bezugauf öffentliche Angelegenheiten und politische Dinge allgernein zu kommunizieren.360

Der Schutzbereich der Freiheit umfasse zwar die durch das Gesetz betroffenen Aussagen, das Gesetz verletze die Kommunikationsfreiheit aber nicht, sondern beschränke sie wirksam.J6t (ß) Die konservativen Auffassungen

Die anderen das Ergebnis tragenden Voten ließen in den Gründen wieder deutlich die unterschiedlichen Positionen der Richter erkennen. Richter Brennan befürwor(1994) 182 CLR 272 (387). (1994) 182 CLR 272 (387 Fn 29). 357 (1994) 182 CLR 272 (389 f; 390-392). Zum von ihr an gewandten Prüfungsmaßstab siehe unten S. 152. 35s (1994) 182 CLR 272 (384). 359 (1994) 182 CLR 272 (378f). 360 These Statements , at their lowest, assert an impliedfreedom on the part ofthe people of the Commonwealth to communicate information, opinions and ideas relating to the system of representative government. At their highest, they recognize afreedom to communicate in relation to pub/ic affairs and po/itica/ matters genera//y. ( 1994) 182 CLR 272 (379). 361 (1994) 182 CLR 272 (380-384) 355

356

7 Pinrof

98

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

tete eine Form der Kommunikationsfreiheit, mochte sie aber nicht zu weit ausdehnen. Richter McHugh erkannte nur eine begrenzte Kommunikationsfreiheit an und Richter Dawson lehnte eine implizierte Kommunikationsfreiheit ausdrücklich ab. Nach einer Zusammenfassung der verschiedenen Formulierungen, die für die "Freiheit zu kommunizieren, um das System einer parlamentarischen, demokratischen Regierung zu bewahren," verwendet wurden,362 führte Richter Brennan zur Natur der Freiheit folgendes aus: Die Freiheit ist kein Recht, das von der Verfassung den einzelnen gewährt wird; die Implikation, auf die sie sich stützt, definiert ihre Natur und ihr Ausmaß. [... ] [D]ie Verfassung schließt perImplikationdurch ihre Bestimmungen aus, daß andere Gesetze so wirken, daß sie dem System der repräsentativen Demokratie, wie von der Verfassung zwingend vorgegeben, Abbruch tun. Die Implikation ist negativer Natur: sie macht Gesetze ungültig und schafftfolglich einen Bereich der Freistellung von rechtlicher Kontrolle, insbesondere von gesetzgebeTischer Kontrolle. Die Kommunikationsfreiheit in politischen Angelegenheiten, die australische Bürger genießen, ist eine Funktion dieser Freistellung. Es ist grundlegend falsch, die Implikation als die Verfassungsgarantie eines persönlichen Rechts der Freiheit der Kornmunikation anzusehen, die der Definition und Erweiterung durch richterliche Erklärung zugänglich ist und dem Parlament nur die restliche gesetzgebensehe Befugnis läßt. Es gibt schlichtweg keinen Verfassungstext, der diesen Weg berechtigterweise begründen kann. 363

Weiter berief er sich auf seine Ausführungen zur Rechtsnatur der Freiheit in ACJV.364 Zur Frage der Trägerschaft der Freiheit äußerte er, daß Ausländer sich nicht darauf berufen könnten, denn die australische repräsentative Demokratie erfordere dies nicht. Im wesentlichen müsse die Freiheit den Staatsbürgern und anderen, die berechtigt sind, an australischen Wahlen teilzunehmen,365 zur Seite stehen. Ausländer stünden zwar unter dem Schutz des australischen Rechts, hätten aber kein verfassungsmäßiges Recht, sich an politischen Angelegenheiten des Landes zu beteiligen oder dazu gefragt zu werden. Hier gehe es aber um die Freiheit von Staatsbürgern, die Ausländern Rat geben wollen, so daß sich die Frage nicht stelle.366 (1994) 182 CLR 272 (326). The freedom is not a right conferred on individuals by the Constitution; the implication on which it rests defines its nature and extent. [ ...] [T]he Constitution precludes by implication from its terms the operation of other laws to prejudice the system of representative democracy mandated by the Constitution. The implication is negative in nature: it invalidates laws and consequently creates an area of immunity from legal control, particularly from legislative control. The freedom of communication in political matters enjoyed by Australian citizens is a function ofthat immunity. It is fundamentally erroneous to regard the implication as a constitutional guarantee ofa personal right to freedom ofcommunication amenable to definition and expansion by judicial declaration, leaving the Parliament with only the remaining legislative power. There is simply no constitutional text which can legitimately found that approach. (1994) 182 CLR 272 (326f; ohne Fußnote). 364 (1994) 182 CLR 272 (327). 365 Britische Staatsbürger, die vor dem 26. Januar 1984 im Wahlregister eingetragen waren, dürfen weiterhin an Wahlen in AusiTalien teilnehmen. 366 (1994) 182 CLR 272 (327f). 362 363

li. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

99

Im Gegensatz zu Richter Toohey, betrachtete er die Verbote des neuen Teils des Einwanderungsgesetzes nicht als Einschränkung der politischen Diskussion und sah damit den Schutzbereich der Freiheit als nicht betroffen an. Diese seien weder als Beschränkungen formuliert noch hätten sie diese Wirkung. Die Freiheit der politischen Diskussion sichere die Freiheit, über Regierungsinstitutionen und die Ausübung von staatlichen Befugnissen zu diskutieren. Sie behindere aber nicht die Ausübung einer gesetzgebensehen Befugnis, die möglicherweise zum Thema politischer Diskussion werden könnte. Teil 2 A unterdrücke nicht die Diskussion über die Kontrollen bezüglich der "Einwanderungsunterstützung", die das Gesetz einführt.367 Grundsätzlich dürfe zwar die Freiheit auch nicht durch die Erhebung einer Gebühr behindert werden. Da die Bestimmungen über das Registrierungssystem aber die Freiheit nicht beträfen, sei es keine Verletzung der Freiheit, eine Gebühr für die Registrierung zu erheben.368 Für ihn war Teil 2A somit verfassungsgemäß. Richter McHugh bezog sich auf sein Votum in Theophanous und bestätigte kurz seinen rechtlichen Standpunkt hinsichtlich der Existenz der Kommunikationsfreiheit dahingehend, daß er nur die Implikation einer begrenzten Freiheit in bezug auf Wahlen aus Art. 7 und 24 der Verfassung anerkennen wolle, die hier jedoch nicht verletzt sei.369 Richter Dawson berief sich auf seine Ausführungen in ACTV und wiederholte seine Ablehnung gegenüber der Existenz einer Kommunikationsfreiheit in der Verfassung. Zwar dürfe das Parlament, obwohl es die Form des parlamentarischen Systems weitgehend bestimmen könne, nicht gegen die Vorschriften in der Verfassung verstoßen, die die direkte Wahl vorschreiben und auch eine gewisse Kommunikation erforderten. Es sei aber wichtig zu erkennen, daß die Gestaltung des Systems, abgesehen von diesen minimalen Einschränkungen, in den Händen des Parlaments liege. 370 Die Verfassung garantiert weder die Kommunikationsfreiheit noch auch nur die Redefreiheit. Derartige Garantien hätten aufgenommen werden können, wurden es aber, von seltenen Ausnahmen abgesehen, nicht. Dies war eine bewußte Entscheidung. Diejenigen, die für die Verfassungsausarbeitung verantwortlich waren, hatten das Modell des amerikanischen Grundrechtskatalogs vor sich, aber leimten ihn ab, womit sie kein Mißtrauen des Mehrheitswillens, das ein Charakteristikum des amerikanischen politischen Lebens ist, an den Tag legten. In ihren Augen hätte das einen begrenzten Glauben an den demokratischen Prozeß gezeigt. Die Verfasser unserer Verfassung zogen es vor, den Erhalt von Grundrechten und -freiheiten dem Parlament anstelle der Verfassung und somit den Gerichten anzuvertrauen. [ ...] (1994) (1994) 369 (1994) 37o (1994) 367

36s

7*

182 CLR 272 (329). 182 CLR 272 (333). 182 CLR 272 (395). 182 CLR 272 (360).

100

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Solange sie nicht unvereinbar mit der parlamentarischen Regierungsform ist, ist jede der Kommunikationsfreiheit auferlegte Beschränkung gemäß unserer Verfassung eine Angelegenheit des Parlaments in Ausübung seiner legislativen Befugnisse [... ].371

Sein Einwand gegen die von den anderen Richtern gefundene Kommunikationsfreiheit in politischen Angelegenheiten war, daß sich diese Implikation auf außerhalb der Verfassung liegende Überlegungen stütze und dadurch in die Verfassung etwas hineingelesen werde, was sie nicht vorsehe. 372 Es dürften nur offensichtliche und notwendige lmplikationen hineingelesen werden.373 Die Kommunikationsfreiheit werde in der australischen Gesellschaft richtigerweise als grundlegendes Recht angesehen. Deshalb dürfe man bei der Auslegung von Gesetzen dem Parlament nicht unterstellen, es habe die Absicht gehabt, in diese Freiheit einzugreifen, außer diese Absicht sei eindeutig zum Ausdruck gekommen. Dies sei aber etwas anderes, als dem Parlament die Befugnis zu versagen, die Kornmunikationsfreiheit zu beschränken, falls es dies im öffentlichen Interesse für gerechtfertigt halte.374 Die Verfassung garantiere nicht die Kommunikationsfreiheit, sondern die parlamentarische Regierungsform, und diese vorgeschriebene Form wirke als Beschränkung der Gesetzgebungsbefugnis, da diese in Art. 51 nur "gemäß der Verfassung" gewährt seien.m Durch das Gesetz sah er die Erfordernisse des parlamentarischen Regierungssystems nicht verletzt. 376 Er hielt das Gesetz sogar mit der weiten Definition der Freiheit der Richter Deane und Toohey in Nationwide für vereinbar. 377

371 The Constitution does not guarantee freedom of communication or even freedom of speech. Guarantees of this kind could have been included, but with rare exception, they were not. The choice was a conscious one. Those responsible for framing the Constitution had before them the model ofthe American Bill ofRights but they rejected it, exhibiting none ofthe distrust ofthe will ofthe majority which is afeature ofAmericanpoliticallife. To their eyes, that would have displayed a limitedfaith in the democratic process. The framers of our Constitution preferred to entrust to the Parliament, rather than to the Constitution and hence the courts, the preservation offundamental rights andfreedoms. [ ...] Provided it is not inconsistent with representative government, any Iimitation tobe imposed uponfreedom of communication is, under our Constitution, a matter for the Parliament in the exercise of its legislative powers [ ...] ( 1994) 182 CLR 272 (361 f; ohne Fußnoten). 372 (1994) 182 CLR 272 (362). 373 (1994) 182 CLR 272 (362). 374 (1994) 182 CLR 272 (363). 375 (1994) 182 CLR 272 (363). 376 (1994) 182 CLR 272 (364ft). 377 (1994) 182 CLR 272 (364).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

101

(d) Zusammenfassung Am Ende der Hochphase war die Akzeptanz der implizierten Kommunikationsfreiheit im Vergleich zu den Entscheidungen von 1992 somit bereits wieder gesunken. Der Ausgang der Urteile hing jeweils an der Stimme eines Richters, der das Zünglein an der Waage spielte. Sowohl Richter Brennan als auch Richter McHugh trugen ihre Weiterentwicklung in Form der Drittwirkung nicht mehr mit. Dies führte zu einer gewissen Instabilität und Unausgewogenheit der Dogmatik der Kommunikationsfreiheit

(4) Die Phase der Konsolidierung Waren die drei zuletzt dargestellten Urteile die Höhepunkte in der Entwicklungsphase des implizierten Rechts auf Freiheit der politischen Kommunikation, so werden die im folgenden darzustellenden Entscheidungen allgemein als "Umkehr des Entwicklungstrends" oder "wenigstens als Konsolidierungspause" verstanden, in der der High Court die Existenz der Freiheit der politischen Kommunikation zwar bestätigte und verfestigte, aber ihre Auswirkung eindämmte und beschnitt.378 Die Konsolidierungsphase läßt sich nach den Jahren, in denen die Urteile erlassen wurden, einteilen. 1996 ergingen drei Entscheidungen, die eine Trendwende im Bereich der Freiheit der politischen Kommunikation andeuteten; die beiden 1997 erlassenen Urteile vollzogen diese Umkehr konkret.

Die Entscheidungen von 1996 Die 1996 ergangenen Urteile befaßten sich zwar nicht direkt mit dem Thema der Kommunikationsfreiheit, stellten aber durch ihre Argumentation mit dem repräsentativen Regierungssystem die Grundlage für deren Konsolidierung dar und deuteten obiter eine Wende in der Einstellung zur Kommunikationsfreiheit an. Sie waren außerdem die ersten Fälle, die das Thema Verfassungsimplikationen nach der Neubesetzung eines Teils der Richterbank379 diskutierten und besaßen daher gewissermaßen Testcharakter für die Zukunft der Freiheit, die nach den knappen Entscheidungen der Hochphase keinesfalls als gesichert galt.

So auch Kennett G., The Freedom Ride: Where to Now? 9 (1998) PLR lll. Präsident Mason war in den Ruhestand getreten und Richter Deane war zum Generalgouverneur ernannt worden. Damit waren zwei der wichtigsten Verfechter der implizierten Kommunikationsfreiheit nicht mehr an der Entscheidung beteiligt. Das Amt des Präsidenten übernahm Richter Brennan. Die Richter Gummow und Kirby wurden zu neuen Richtern am High Court ernannt, wobei Richter Kirby noch nicht an den Urteilen beteiligt war. 378

379

102

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

(a) James Andrew McGinty & Others v. The State ofWestern Australia380

Obwohl McGinty sich nur obiter mit der Freiheit der politischen Kommunikation befaßte, darf die Entscheidung in einer Analyse der Entwicklung der implizierten Freiheit nicht fehlen. Denn durch ihre Diskussion und Definition des Prinzips der "repräsentativen Demokratie" in der australischen Verfassung, das die Basis der implizierten Kommunikationsfreiheit darstellt, läutete sie die Phase der Konsolidierung ein und legte die Grundlage für die wichtige einstimmige Entscheidung in David Russell Lange v. Australian Broadcasting Corporation. 381 Rechtlich ging es dabei, neben der grundsätzlichen Diskussion um die Existenz und Zulässigkeit einer Implikation der repräsentativen Demokratie in der Verfassung, um die Frage, ob die Verfassung auch die Gleichheit des Stimmwertes (equality ofvoting power) impliziere. (a) Sachverhalt Einige Mitglieder der beiden Häuser des westaustralischen Parlaments hatten sich gegen mehrere westaustralische Vorschriften gewandt, die die Einteilung der Wahlkreise in Westaustralien festlegten. Diese würden einen krassen Unterschied zwischen "Stadtwahlkreisen" und "Landwahlkreisen" hervorrufen, da die Wahlkreise auf dem Land wesentlich weniger Wahlberechtigte umfaßten als die städtischen und daher die Stimme eines ländlichen Wählers ein ungleich höheres Gewicht bekomme als die der städtischen Wähler. 382 Diese Wahlungleichheit verstoße gegen den Grundsatz ., one vote, one value ", der sich aus dem in der australischen bzw. westaustralischen Verfassung impliziert enthaltenen Prinzip der repräsentativen Demokratie ableiten lasse. Vier der sechs383 Richter entschieden, daß weder ein Verstoß gegen die Bundesnoch gegen die westaustralische Verfassung vorliege, da das in den Verfassungen implizierte Prinzip der demokratischen Regierungsform nur rudimentäre Vorgaben mache und das .,one vote, one value"-Prinzip davon nicht umfaßt sei. Die beiden 3ao (1996) 186 CLR 140, im folgendenMcGinty. Siehe auch S.283. Vgl. zu dieser Entscheidung auch: Carne G., Representing Democracy or Reinforcing Inequality?: Electoral Distribution and M cGinty v Western Australia, 25 (1997) Fed LR 351 sowie Wiseman D., Defectively Representing Representative Democracy, 25 (1995) UWALR 77 und Creighton P., Defectively Representing Representative Democracy - A Reply, 25 ( 1995) UWALR 85. 381 Dazu siehe unten S. 114. 382 Bei den Wahlen von 1993 umfaßte der am geringsten bevölkerte ländliche Wahlkreis gerade 9135 Wahlberechtigte während im größten städtischen Wahlkreis 26580 Stimmberechtigte registriert waren, (1996) 186 CLR 140 (165). Informationen zur Entwicklung des Wahlrechts in Australien gibt: McGrath A., One Vote, One Value: Electoral Fraud in Australia, Upholding the Australian Constitution, Bd. 8, 1997, 139. 383 Richter Kirby war noch nicht ernannt.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

103

abweichenden, gleichheitsfreundlicheren Meinungen hielten einen Verfassungsverstoß für gegeben. (ß) Die Mehrheitsvoten

Wie schon in den früheren Entscheidungen enthielten die- bezogen auf Grundrechte - restriktiveren Voten unterschiedliche Standpunkte. Präsident Brennan betonte, die Herleitung und Existenz von Implikationen betreffend, daß lmplikationen nicht von der Richterschaft entworfen, sondern im Text und Aufbau der Verfassung vorhanden seien und von den Richtern lediglich aufgedeckt würden. Der Ausdruck "repräsentative Demokratie" sei zwar nützlich, um den Text, von dem die implizierte Freiheit abhänge, zu erläutern; er sei aber weder in der Bundesverfassung noch in der Verfassung von Westaustrahen zu finden. Daher sei es logisch unzulässig zu unterstellen, daß "repräsentative Demokratie" sich in der Verfassung finde, dem Ausdruck eine Bedeutung oder einen Inhalt zuzuschreiben, die bzw. der sich aus verfassungsexternen Quellen ableite, und dann ein Gesetz für ungültig zu erklären, weil es mit dieser Bedeutung oder diesem Inhalt nicht übereinstimme. Das Prinzip der "repräsentativen Demokratie" könne nur so weit als Verfassungsgebot Beachtung finden, wie es in Text und Struktur der Verfassung impliziert sei.384 Konkret auf die behauptete Implikation der Stimmwertgleichheit bezogen meinte er, weder aus der Bundes- noch der westaustralischen Landesverfassung lasse sich eine Implikation ersehen, die Wahlgleichheit in den Ländern fordere. 385 Die Möglichkeit einer Implikation in der Bundesverfassung, die die Wahlgleichheit auf Bundesebene fordere, ließ er ausdrücklich offen. 386 Richter Dawson bestätigte seinen früheren konservativen Ansatz hinsichtlich der Implikation von repräsentativer Demokratie in der Verfassung. Das Konzept der repräsentativen Demokratie bedeute nicht mehr als das Minimalerfordernis, daß das Volk von in freien Wahlen von den Wahlberechtigten gewählten Vertretern regiert werden müsse. Die Verfassung schreibe nur die Minimalerfordernisse ftir die repräsentative Regierungsform vor und reiche nicht viel weiter. Auch in seinen Augen ist es fehlerhaftes Denken, die Voraussetzungen eines repräsentativen Regierungssystems, das die Verfassung nicht enthalte, per Implikation in die Verfassung hineinzulesen. Dies führe zum Import von Werten in die Verfassung, die diese nicht vorsehe, auch wenn sie dafür vielleicht aufnahmefähig sei. 387 Da die Verfassung nur (1996) (1996) 386 (1996) 387 (1996) 384 38s

186 CLR 186 CLR 186 CLR 186 CLR

140 (168-170). 140 (173-179). 140 (175). 140 (182- 188).

104

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

minimale Erfordernisse der repräsentativen Demokratie aufstelle, enthalte sie keine Implikation von Wahlgleichheit.3ss Richter McHugh tauschte im McGinty-Fall seine Position mit der Richter Dawsons. Er war nunmehr derjenige, der im Vergleich zur Mehrheit der frühen Entscheidungen die konservativste Linie vertrat. 389 Scharf lehnte er die Ansicht der Mehrheit in Theophanous und Stephens ab. Die Implikation der "repräsentativen Demokratie" sei eine andere Art von Implikation gegenüber früheren vor Nationwide. Die Implikation hätte jetzt eine andere Dimension angenommen, da sie auch die common law-Rechte und Pflichten direkt ändern könne, was bedeute, daß die Verfassung direkt die Rechte und Pflichten der einzelnen beeinfluße. Das Ergebnis scheine zu sein, daß die Verfassung nunmehr ein "freistehendes" Prinzip der repräsentativen Demokratie, gleichsam als neuen Art. 129, enthalte. 390 Ich betrachte die Argumentation in Nationwide News, Australion Capital Television, Theophanous und Stephens, soweit sie sich auf ein impliziertes Prinzip der repräsentativen Demokratie berufen, als von Grunde auf falsch und halte sie für eine Verfassungsänderung ohne Ermächtigung durch das Volk gemäß Art. 128 der Verfassung. [ ...]

Fälle durch Bezugnahme auf das zu entscheiden, was die Grundsätze der repräsentativen Demokratie gegenwärtig erfordern, bedeutet, diesem Gericht eine Kompetenz zu eröffnen, wie sie von der Verfassung nicht gedacht ist und zu der das australische Volk es nie ermächtigt hat.[ ...] [Z]u bestimmen, was repräsentative Demokratie erfordert,[ ... ] ist eine politische Frage und sollte, außer die Verfassung macht es zu einer verfassungsrechtlichen Frage für die Judikative, der Beantwortung durch das Volk und seiner gewählten Vertreter, die innerhalb der Grenzen ihrer Befugnisse handeln, wie sie von der Verfassung vorgegeben sind, überlassen werden.391

Für ihn war es inakzeptabel, daß eine Verfassungsimplikation aus einem Konzept abgeleitet werden könne, das der Verfassung nur zugrundliege und nicht direkt in ihr 388 (1996) 186 CLR 140 (188). 389 So auch Williams G., Sounding the Core of Representative Democracy: Implied Freedoms and Electoral Reform, (1996) 20 Melb Univ LR848 (864). 390 (1996) 186 CLR 140 (233f). 391 I regard the reasoning in Nationwide News, Australian Capital Television, Theophanous and Stephens in so far as it invokes an implied principle of representative democracy as fundamentally wrong and as an alteration ofthe Constitution without the authority ofthe people under s 128 of the Constitution. [. ..] To decide cases by reference to what the principles of representative democracy currently require is to give this Court a jurisdiction which the Constitution does not contemplate and which the Australion people have never authorised. [. ..] [T]o determine what representative democracy requires [ ...] is a political question and, unless the Constitution turns it into a constitutional question for the judiciary, it should be left to be answered by the people and their elected representatives acting within the Iimits oftheir powers as prescribed by the Constitution. (1996) 186 CLR 140 (235f).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

105

enthalten sei. Nur der Text und die Implikationen, die aus dem Text und dem Aufbau der Verfassung entnommen seien, gäben den Inhalt der Verfassung wieder. 392 Konkret zur Wahlgleichheit enthielt auch für ihn weder die Bundes- noch die Landesverfassung ein Erfordernis der Wahlgerechtigkeit 393 Speziell zur Gleichheit des Stimmwerts vertrat er die Ansicht, daß dies kein grundlegendes Element der australischen Verfassung sei. Im Gegenteil enthalte die Verfassung als herausragendes Merkmal die Ungleichheit der Stimmgewichtung. Als Beispiel dafür führte er an, daß bei einer Verfassungsänderung die Länder jeweils gleiches Gewicht hätten, das bevölkerungsärmste Land Tasmanien also das gleiche Gewicht hätte, wie das bevölkerungsreichste New South Wales. Weil die Rechte bei der Verfassungsänderung also nicht gleich seien, hätten die Australier keine gleiche Teilhabe an der Souveränität; es könne kein Erfordernis der Gleichheit des Stimmwertes abgeleitet werden.394 Auch Richter Gummow, der als einziger noch nicht an den früheren Entscheidungen beteiligt war, schlug eine eher konservative Richtung ein. Anders als beispielsweise Richter Dawson sah er zwar die Verfassung als dynamisches und nicht rigides/statisches Gebilde,395 und akzeptierte die Ratio in ACTV, daß ein Gesetz unwirksam sei, das die Freiheit der politischen Kommunikation verletze, die die Verfassung als inhärentes Charakteristikum und zum Schutz der Struktur der repräsentativen Demokratie anerkenne. 396 Auf der anderen Seite beschränkte er ACTV aber auf diese Ratio und schloß eine weitere Bedeutung ausdrücklich aus. 397 In vielem stimmte er mit Richter McHugh überein, so z. B. darin, daß die Auslegungsmethoden, mit denen man zum Prinzip der Freiheit der politischen Kommunikation kam, und die Natur der Implikation als sekundärer Implikation, die nicht nur die Ausübung von legislativer, exekutiver und richterlicher Gewalt, sondern auch die Anwendung des allgemeinen Rechts auf private Rechte und Verpflichtungen beschränke, von bis dahin akzeptierten Methoden abwichen. 398 Aus der Tatsache, daß die Verfassung die repräsentative Demokratie vorschreibe, folge für ihn aber nicht, daß sie auch ein bestimmtes Wahlsystem mit bestimmten (1996) 186 CLR 140 (231 f). (1996) 186 CLR 140 (227). 394 (1996) 186 CLR 140 (236f). Daß der Grund für die gleiche Gewichtung der Länder bei der Verfassungsänderung eher darin liegt, die Gleichheit der Länder zu sichern, als die Ungleichheit des Stimmwerts der einzelnen Wähler bei den Wahlen festzuschreiben, erörtert er nicht. 395 (1996) 186 CLR 140 (269; 280f). 396 (1996) 186 CLR 140 (285f). 397 (1996) 186 CLR 140 (286). 39 8 (1996) 186 CLR 140 (291). 392

393

106

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Charakteristika verlange. Man hätte zwar Elemente des repräsentativen Regierungssystems in der Verfassung verankern können, habe sich aber dafür entschieden, die genaue Festlegung der einzelnen Elemente der repräsentativen Demokratie dem Parlament zu überlassen. Die Verfassung verlange nur, daß die ultimative Kontrolle beim Volk liege und durch Vertreter ausgeübt werde, die periodisch gewählt würden. 399

(y) Die abweichenden Voten

Richter Toohey und Richterin Gaudran gaben in McGinty abweichende Meinungen ab. Beide hielten das gegenwärtige Wahlsystem Westaustraliens für unvereinbar mit der westaustralischen Verfassung, nahmen dabei aber leicht unterschiedliche Positionen ein. Für Richter Toohey enthielt die australische Verfassung, wie in den früheren Entscheidungen festgestellt, die Implikation einer repräsentativen Demokratie. Zwar gäbe es keine inhaltliche Bestimmung von "repräsentativer Demokratie". Es handele sich aber um einen dynamischen Begriff, und da die Verfassung als eine lebendige Kraft ausgelegt werden müsse, seien die Entwicklungen im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich einzubeziehen, die seit der Verkündung der Verfassung stattgefunden hätten. Der implizierte Begriff der repräsentativen Demokratie in der Bundesverfassung umfasse daher nicht nur die Freiheit der politischen Kommunikation, sondern auch die Gleichheit der Wählerstimmen.400 Richter Toohey betonte, daß der gleiche Erfolgswert der Wahlstimme ein zugrundeliegendes allgemeines Erfordernis der Verfassung sei.401 Dieses Erfordernis der Stimmengleichheit sei zwar manchmal durchbrochen, so zum Beispiel dadurch, daß alle Länder durch eine gleiche Anzahl von Senatoren vertreten seien. Allerdings sprächen diese Ausnahmen nicht gegen das Prinzip als solches, sondern hätten ihre Ursachen in anderen Bereichen, beispielsweise im Falle des Senats in einer Absicherung der Gleichheit der einzelnen Länder innerhalb des Bundes.402 Allerdings erfordere dieses Prinzip der Bundesverfassung nicht auch gleichen Stimmwert der Wählerstimmen in den einzelnen Ländern, denn anders als bei einer Beschränkung der Kommunikationsfreiheit werde die repräsentative Demokratie auf Bundesebene durch unterschiedliche Erfolgswerte in den Ländern nicht beeinträchtigt. Art. 106 der Verfassung schreibe nur vor, daß die Landesverfassungen nicht im Widerspruch zur Bundesverfassung stehen dürften, bedeute aber nicht, daß die Bundesverfassung pauschal in die Landesverfassungen inkorporiert würde.403 (1996) (1996) 40t (1996) 402 (1996) 403 (1996) 399

400

186 CLR 140 (285). 186 CLR 140 (198- 205). 186 CLR 140 (204). 186 CLR 140 (204). 186 CLR 140 (206-210).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

107

Das Wahlsystem Westaustraliens verstoße allerdings gegen das in der dortigen Landesverfassung enthaltene Prinzip der repräsentativen Demokratie.404 Auch Richterin Gaudron sah wie Richter Toohey die gegenwärtigen Wahlgesetze von Westaustralien als verfassungswidrig an. Sie stützte sich dabei ebenfalls auf die westaustralische Verfassung und nicht auf die Bundesverfassung, unterschied sich aber leicht in ihrer Begründung. Anders als Richter Toohey stützte sie ihre Argumentation nicht auf den Gedanken der in der Verfassung des Commonwealth implizierten repräsentativen Demokratie im allgemeinen, sondern auf die in beiden Verfassungen enthaltene Formulierung, daß die Abgeordneten "direkt vom Volk ausgewählt" werden. Diese Formulierung sei in beiden Verfassungen gleich zu verstehen und "[...]im Lichte der Entwicklungen der demokratischen Standards und nicht unterbezugauf die Umstände, wie sie zu Beginn der Föderation herrschten[ ...]"

auszulegen. 405 Im demokratischen Lichte ausgelegt, erfordere die Formulierung von der direkten Wahl der Abgeordneten, daß der Erfolgswert, von Ausnahmen wie zum Beispiel zum Schutz von Gemeinschafts- oder Minderheitsinteressen abgesehen, bei Wahlen annähernd gleich sein müsse. Die an der Landesverfassung zu messenden westaustralischen Wahlgesetze erfüllten diese Voraussetzung nicht.406 (b) Albert Langer v. The Commonwealth of Australia & Others401

Der Fall Albert Langer, der in der Öffentlichkeit auf sehr viel Kritik und Empörung quer durch die Parteien stieß,408 ist vor allem deshalb interessant, weil er die erste Ent(1996) 186 CLR 140 (215). Zum Landesrecht siehe unten S.192. in the light ofdevelopments in democratic standardsandnot by reference to circumstances as they existed atfederation [ ...] (1996) 186 CLR 140 (221). 406 (1996) 186 CLR 140 (222f). 407 (1996) 186 CLR 302. Im folgendenAlbert Langer. Eine gute kritische Erläuterung des Falles findet sich bei Lipton ]., Case Note Langer v Commonwealth, 23 (1997) Mon LR441; ausführlich auch Walker K./Dunn K., Mr Langer Is Not Entitled ToBe An Agitator, Albert Langer v Commonwealth, 20 (1996) Melb Univ LR 909 und Twomey A., Free to Choose or Compelled to Lie?- The Rights of Voters After Langer v. The Commonwealth, 24 (1996) Fed LR201. 408 Dazu s. z. B. Sharp M., Candidate risks court in free speech protest, SMH 16.2.1996, 4; LyallK./Stevens T., Langer jailing raises ire across spectrum, The Australian 16.2.1996, 5; Free Albert, SMH 16.2.1996, 14 und Coady T., Gagging Langer is an affront, SMH 16.2.1996, 15; Vujanovic D., Court dismisses Langer appeal, SMH 2.3.1996, 13. Der damalige Handelsminister, Bob McMullan, wurde folgendermaßen zitiert: Ich denke nicht, daß Leute in Australien für das, was sie sagen, ins Gefängnis gehen sollten und ich denke, daß man berechtigt sein sollte, für eine Abstimmung einzutreten, deren Art mir nicht genehm ist. Das ist nicht der Grundsatz der Regierung, das ist mein Grundsatz. [Worth Quoting, The Australian, 16.2.1996, 10]. 404

405 [. •• ]

108

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

scheidung war, die sich nach den personellen Veränderungen am High Court direkt- wenngleich nur obiter- mit der implizierten Kommunikationsfreiheit befaßte. (a) Sachverhalt In der Entscheidung ging es um die Verfassungsmäßigkeit des § 329A des Bundeswahlgesetzes.409 In Frage stand die Auswirkung der implizierten Kommunikationsfreiheit auf dieses Gesetz. § 329A Bundeswahlgesetz lautete: (1) Niemand darf im relevanten Zeitraum in der Absicht, Personen, die bei der Wahl ihre Stimme abgeben, dazu zu ermutigen, einen Wahlzettel anders als in Übereinstimmung mit § 240 auszufüllen, eine Angelegenheit oder Sache in bezug auf eine Wahl zum Repräsentantenhaus nach diesem Gesetz drucken, veröffentlichen oder verteilen oder ihren Druck, ihre Veröffentlichung oder Verteilung veranlassen, erlauben oder autorisieren.

Strafe: Freiheitsstrafe von 6 Monaten. (2) In diesem Paragraphen: schließt "veröffentlichen" Veröffentlichung durch Radio oder Fernsehen ein.410

§ 322 definiert den "relevanten Zeitraum" als den vom Zeitpunkt der Einberufung einer Wahl bis zum Schließen der Wahllokale am Wahltag. § 240 legt als Wahlsystem das sogenannte volle Präferenzwahlsystem lfull preferential voting) fest, nach dem die Wahlberechtigten nicht nur den Namen eines/r Kandidaten/in ankreuzen, sondern die Namen aller Kandidat(inn)en nach ihren Präferenzen fortlaufend numerieren müssen. Bei der Stimmenauszählung werden dann zunächst die ersten Präferenzen ausgezählt. Anschließend werden die Stimmen des/ Die Proteste richteten sich vor allem gegen die untergerichtlichen Entscheidungen, die Albert Langer zunächst zur Unterlassung und dann, als dieser sich dem nicht beugte, wegen contempt of court zu 10 Wochen Gefangnis verurteilten. Die erste Verurteilung zur Unterlassung konnte nur aufgrundder hier besprochenen Entscheidung des High Court erfolgen. Mehr Fakten finden sich noch im Urteil Albert Langer v. Australian Electoral Commission, FedCt, 136 ALR 141, der Berufungsentscheidung des Bundesgerichts gegen das erstinstanzliehe Urteil, das aber für das Thema Kommunikationsfreiheit nicht relevant ist. 409 Commonwealth Electoral Act, 1918. Eine detaillierte kritische Analyse des Wahlsystems unter Berücksichtigung von Albert Langer findet sich bei OrrG., The Choice Not to Choose: Commonwealth Electoral Law and the Withholding of Preferences, 23 (1997) Mon LR 285. 410 ( 1) A person must not, during the relevant period in relation to a Hause of Representatives election under this Act, print, publish or distribute, or cause, permit or authorise to be printed, published or distributed, any matterorthing with the intention ofencouraging persans voting at the election to fill in a ballot paper otherwise than in accordance with section 240. Penalty: Imprisonment for 6 months. (2) In this section: 'publish' includes publish by radio or television. § 329A wurde inzwischen ebenso wie die selektive Präferenzwahl wieder abgeschafft.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

109

der Kandidaten/in mit der geringsten Stimmenzahl auf die anderen Kandidaten verteilt. Dies geschieht nach den zweiten Präferenzen der Wähler(innen), die für diese(n) ausgeschiedene(n) Kandidaten/in gestimmt haben. Verteilen sich also in einem Wahlkreis mit fünf Kandidaten/innen bei einer fiktiven Zahl von 10.000 abgegebenen gültigen Stimmzetteln nach der ersten Runde der Auszählung die Stimmen wie folgt: A- 3.500, B- 3.000, C- 2.000, D- 1.000, E- 500, so werden im zweiten Zähldurchgang die aufE entfallenden Stimmen gemäß den zweiten Präferenzen seiner/ihrer Wähler(innen) auf A, B, C und D verteilt. Dieser Vorgang wiederholt sich solange bis ein(e) Kandidat(in) je Wahlkreis übrigbleibt Er verhindert, daß die Stimmen derjenigen, die den Kandidaten oder die Kandidatin einer Minderheitspartei gewählt haben, völlig unter den Tisch fallen. § 268 ( 1)(c) bestimmt, daß Wahlzettel, die nicht fortlaufend durchnumeriert sind, ungültig sind. Um zu vermeiden, daß zu viele Stimmabgaben wegen der Komplexität des Wahlsystems ungültig wurden, führte man 1983 den § 27()4 11 ein. Dieser beinhaltete Ausnahmen von der strengen Regelung des§ 268, so daß zum Beispiel Numerierungen wie 1, 2, 2, 2, 2 oder 1, 2, 3, 3, 3 die Stimmabgabe nicht ungültig machten, sondern nur dazu führten, daß die weiteren Präferenzen nicht einbezogen wurden. Diese Art der Stimmabgabe, bei der die Wähler nicht gezwungen werden, auch den Kandidaten Präferenzen zuzuweisen, die sie eigentlich nicht wählen wollen, wird oft als fakultative oder selektive Präferenzwahl (optional or se/ective preferential voting) bezeichnet. Um zu verhindern, daß letztere Art der Stimmabgabe, die ja nur als Hilfe für die Wähler gedacht war, bewußt benutzt wurde, um das volle Präferenzwahlsystem zu umgehen, war § 329A in das Bundeswahlgesetz eingeführt worden. Der Kläger, gegen den die Wahlkommission412 eine Unterlassungsklage anhängig gemacht hatte, wollte vor der für den 2. März 1996 einberufenen Wahl zum Repräsentantenhaus, Handzettel zum fakultativen Präferenzsystem verteilen, um die Wähler zum Nutzen dieser Möglichkeit zu ermutigen. Der Kläger begehrte vom High Court die Feststellung der Verfassungswidrigkeit von§ 329A. Im Ergebnis gab ihm nur ein Richter recht. Präsident Brennan, die Richter Toohey, McHugh und Gummow und Richterin Gaudran gehörten der Mehrheit an. Richter Dawson erließ ein abweichendes Votum. Die Frage eines Verstoßes gegen die implizierte Kommunikationsfreiheit war zwar in der Verhandlung angesprochen, jedoch nicht als rechtsstreitrelevante Frage vom Kläger aufgenommen worden.413 Die diesbezüglichen Ausführungen sind deshalb nur obiter dicta. Ursprünglich§ l33B. Vgl. § 6 des australischen Bundeswahlgesetzes. 41 3 Das Hauptargument war ein direkter Verstoß gegen Art. 24 der Verfassung. 41 '

412

110

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

(ß) Die Mehrheitsvoten

Präsident Brennan wiederholte, daß die Kompetenzen des Parlaments einer durch die Verfassung implizierten Beschränkung unterlägen, um die Freiheit der politischen Diskussion zu bewahren, die für die Erhaltung des parlamentarischen Regierungssystems nötig sei. Unter Bezugnahme auf seine Äußerung in Cunliffe, daß die Kommunikationsfreiheit nicht die Ausübung einer Kompetenz, die möglicherweise einmal der Gegenstand politischer Diskussion werde, hindere, stellte er fest, daß § 329A nicht die Diskussion über die Methoden der Stimmabgabe oder die Befürwortung der Abschaffung des Präferenzsystems verhindere, sondern lediglich die festgelegte Abstimmungsmethode schützen wolle. § 329A bedrohe nur das Ermutigen zur Anwendung der selektiven Präferenzwahlmethode mit Strafe, nicht aber die bloße Information darüber, deshalb verstoße die Vorschrift nicht gegen die implizierte Freiheit.4I4 Die grundsätzlich freiheitsfreundlichen Richter Toohey und Richterin Gaudron wiederholten in einem gemeinsamen Votum, daß die Freiheit der politischen Diskussion eine unerläßliche Begleiterscheinung der repräsentativen Demokratie darstelle, welche im Text und in der Struktur der Verfassung verkörpert sei. Hier sei diese aber wirksam beschränkt, so daß kein Verstoß vorliege. 415 Auch Richter McHugh sah in § 329A des Wahlgesetzes keinen Verstoß gegen die Kommunikationsfreiheit, die er in Art. 24 der Verfassung impliziert sieht. Wenn Art. 240 verfassungsgemäß das Wahlsystem festlege, müsse es auch verfassungsgemäß sein, dieses zu schützen. Dieses sei das Ziel von § 329A und nicht die Beschränkung von Kritik am Wahlsystem an sich.4 16 In einer Fußnote stellte er zusätzlich klar, daß seine Voten in ACTV und Theophanous nicht so verstanden werden dürften, daß Art. 24 der Verfassung Individualrechte für den einzelnen enthalte. Vielmehr bedeute der Begriff "Rechte" in diesem Zusammenhang, Freistellungen und Privilegien, wie sie aus Verfassungsbeschränkungen der legislativen, exekutiven oder judikativen Befugnisse, tlössen. 417

Richter Gummow sah ebenfalls keinen Verstoß gegen die implizierte Freiheit, denn sie leite sich aus dem repräsentativen Regierungssystem ab und wirke zu dessen Unterstützung. Handlungen, wie sie § 329A verbiete, seien aber dem respräsentativen Regierungssystem nicht förderlich, deshalb wirke die Freiheit nicht, um solche Kommunikation zu schützen. Im übrigen verbiete § 329A nicht, über das Wahlsystem an sich zu diskutieren, und beschränke daher die Freiheit der politischen Kommunikation nicht.•ts 4 14

41s 4 16 417 41 s

(1996) (1996) (1996) (1996) (1996)

186 CLR 302 (317ft). 186 CLR 302 (333f). 186 CLR 302 (340). 186 CLR 302 (343, Fußnote 86). 186 CLR 302 (350f).

li. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

111

(y) Abweichendes Votum

Interessant an Albert Langer ist vor allem die abweichende Meinung von Richter Dawson. Was das Verfechten der Kommunikationsfreiheit betrifft, so kehrten sich in dieser Entscheidung die Fronten zumindest im Ergebnis um. Richter Toohey und Richterin Gaudron, die meist zu einem Verstoß kamen, fanden hier keinen; Richter Dawson hingegen, sonst vehementer Gegner der implizierten Kommunikationsfreiheit, nahm als einziger einen Verstoß an. Er verstand im Gegensatz zu den anderen Richtern das Wahlgesetz dahingehend, daß es alternative Methoden der Stimmabgabe ermögliche, nicht lediglich eine Methode vorschreibe, von der es dann Ausnahmen zulasse.419 Das Verbot des § 329A verstieß daher für ihn gegen das Erfordernis des Art. 24 der Verfassung, daß die Abgeordneten "direkt vom Volk ausgewählt" werden müssen. Denn zum Auswählen gehöre auch die Möglichkeit, sich über die alternativen rechtmäßigen Wahlmethoden zu informieren.420 Dies sei die eng begrenzte Kommunikationsfreiheit, die er schon in ACTV anerkannt habe. Da ein Gesetz, um innerhalb einer Gesetzgebungsbefugnis zu liegen, dem Zweck der Befugnis angemessen sein müsse, dies aber wegen des Verstoßes gegen Art. 24 nicht der Fall sei, hielt er es nicht mehr für von der durch Art. 31 iVm 51 (xxxvi) gewährten Befugnis gedeckt.42I Zur von der Mehrheit in den früheren Fällen gefundenen Kommunikationsfreiheit sagte er ausdrücklich, daß er diese nicht unterstütze. Auf Grund dieser Entscheidungen gebe es die Freiheit der politischen Kommunikation aber, und sie erstrecke sich nicht nur auf die Verbreitung von Information an sich, sondern auch auf deren Verbreitung mit dem Ziel, daß sie andere ermutige. Die in§ 329A verbotene Art von Information treffe den Kern der politischen Diskussion und gehe über das hinaus, was für die repräsentative Demokratie förderlich sei. Deshalb sei die von der Mehrheit des Gerichts bejahte Kommunikationsfreiheit verletzt und die Vorschrift auch aus diesem Grund unwirksam.422 (c) Muldowney v. The State of South Australia and Another423

Die Thematik in Muldowney war der in Albert Langer sehr ähnlich. Auch hier ging es um die Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften eines Wahlgesetzes, diesmal (1996) 186 CLR 302 (322). 1996) 186 CLR 302 (324). Daß die Vorschrift nur die Ermutigung zu anderer Stimmabgabe und nicht aber die Information darüber bestraft, machte für ihn keinen Unterschied, denn es sei schwer, eine Grenze zwischen bloßer Information und Ermutigung zu ziehen. (1996) 186 CLR 302 (326). 421 (1996) 186 CLR 302 (325). 422 (1996) 186 CLR 302 (326). 423 (1996) 186 CLR 352; im folgenden Muldowney. 4 19

420 (

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

112

jedoch eines Landeswahlgesetzes. In Frage stand dabei die Auswirkung der implizierten Freiheit der politischen Kommunikation auf das Landesrecht. (a) Sachverhalt Der Kläger, ein in einem südaustralischen Wahlbezirk eingetragener Wahlberechtigter, wandte sich gegen die Art. 76 und 126 des südaustralischen Wahlgesetzes von 1985.424 Art. 76 legte das volle Präferenzwahlsystem für Südaustralien fest und Art. 126 verbot es, wie Art. 329A des Bundeswahlgesetzes, öffentlich für einen anderen Wahlmodus als den in Art. 76 festgelegten zu werben. Anders als das Bundeswahlgesetz, sah das südaustralische Wahlgesetz aber keine selektive Präferenzwahl vor. Das Gericht entschied im Ergebnis einstimmig, also unter Einschluß der Stimme von Richter Dawson, der im Albert Langer-Fall ein abweichendes Votum abgegeben hatte, aber mit unterschiedlichen Begründungen, daß die angegriffenen Vorschriften gültig seien. (ß) Die Voten

Präsident Brennan äußerte sich dahingehend, daß die Freiheit der politischen Kommunikation in der Bundesverfassung impliziert sei, um das Funktionieren des Regierungssystems des Bundes, wie es von der Verfassung vorgesehen sei, zu schützen, jedoch nicht das Funktionieren des Regierungssystems eines Landes, wie es dessen Landesverfassung vorschreibe. Keine der Vorschriften in der Bundesverfassung, aus denen die Freiheit abgeleitet werde, beziehe sich auf den Wahlmodus von Landesparlamenten. Er betonte also die unterschiedlichen Verfassungsräume und begrenzte die Reichweite der Freiheit auf Bundesrecht.425 Richter Dawson begnügte sich mit der Feststellung, daß er bereits anderswo geäußert habe, daß die Verfassung seiner Meinung nach keine selbständige Freiheit der politischen Kommunikation enthalte und die Minimalerfordemisse, die die Verfassung für das System der repräsentativen Regierung festlege, nicht verletzt seien. Im übrigen treffe die Verfassung nur Festlegungen für die Bundeswahlen nicht aber für Landeswahlen.426 Anders als das Bundeswahlgesetz, sehe das südaustralische Landeswahlgesetz keinen alternativen Wahlmodus vor, so daß die Vorschriften folglich nicht die Information über eine rechtmäßige Abstimmungsmethode verböten. Dies unterscheide den Fall von Albert Langer, so daß er sich hier der Mehrheit anschließen konnte. 427 424 425 426

427

Electoral Act 1985 (SA).

(1996) 186 CLR 352 (365f). (1996) 186 CLR 352 (370f). (1996) 186 CLR 352 (371).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

113

Auch Richter Toohey äußerte sich nur wenig zum Umfang und zur Natur der Freiheit. Er meinte aber, daß die Freiheit nicht bis zur generellen Äußerungsfreiheit reiche, daß sie existiere, um den demokratischen Prozeß zu fördern und daß die Freiheit nicht vom System der repräsentativen Regierungsform, deren Erhaltung sie auch dienen soll, isoliert werden dürfe. Daher sei ein Gesetz, das auch diesem System diene, nur in sehr seltenen Fällen verfassungswidrig. Auch er betonte, daß die Implikation der Bundesverfassung hier nicht einschlägig sei, sondern eine landesverfassungsrechtliche Implikation, die aber hier nicht verletzt sei.428 Richterin Gaudran bezeichnete in ihrem Votum die Freiheit als unerläßlichen Begleitumstand der repräsentativen Demokratie, wie sie im Text und dem Aufbau der australischen Verfassung verankert sei. Anders als Richter Toohey sah sie eine Erstreckung der Freiheit auf die Länder als möglich an, dies insbesondere, weil die australische Verfassung in Art. 106 ausdrücklich die Weitergeltung der Landesverfassungen unter ihr vorsehe. Die Länder seien damit Teil einer demokratischen Föderation und müßten deshalb im wesentlichen demokratisch bleiben.429 Richter Gummow, dem Richter McHugh zustimmte,430 entschied nicht über die Natur und die Reichweite der Implikation, da sie jedenfalls Gesetze, die die repräsentative Regierungsform fördern sollen, nicht unwirksam mache.431 (d) Zusammenfassung Zusammenfassend schien sich also im ersten Jahr der Konsolidierungsphase ein Rückzug von der Freiheit anzukündigen. Die Unterstützung für die Implikation von Freiheiten verringerte sich, vom Ergebnis her betrachtet mit jedem Urteil, von 4:2 über 5:1 auf 6:0 Stimmen gegen die Partei, die sich auf die Implikation gestützt hatte. Die Betonung des von Verfassungs wegen geforderten Prinzips der repräsentativen Demokratie deutete die Rückführung der weiten Auffassungen von Implikationen aus allgemeinen Prinzipien auf in der Verfassung enthaltene Implikationen an.

Die Entscheidungen von 1997 Zeichnete sich bei den Entscheidungen von 1996 bereits ab, daß der Höhepunkt der richterlichen Kreativität auf dem Gebiet der implizierten Rechte überschritten war, so begann mit den Urteilen von 1997, von denen zwei sich wieder direkt mit der implizierten Kommunikationsfreiheit befaßten, eine echte Phase der Konsolidierung.432 Die beiden Urteile, die direkt das Thema Kommunikationsfreiheit behan(1996) 186 CLR 352 (373). (1996) 186 CLR 352 (375-377). 430 (1996) 186 CLR 352 (381). 431 (1996) 186 CLR 352 (388). 432 So auch: Williams G., Sounding the Core of Representative Democracy: Implied Freedoms and Electoral Reform, 20 (1996) Melb Univ LR 848 (870). 428

429

8 Pittrof

114

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

delten, konnten einige der offenen Fragen klären; die dritte Entscheidung gab einen Ausblick auf mögliche weitere Entwicklungen im Bereich der implizierten Rechte. (e) David Russell Lange v. Australian Broadcasting Corporation433

In dieser selten einstimmigen und daher um so bedeutenderen Entscheidung verfestigten die Richter in einem Kompromiß zwar die Freiheit der politischen Kommunikation, die nunmehr von allen, auch dem bisherigen Gegner, Richter Dawson, anerkannt wurde, kürzten deren Auswirkungen aber im Vergleich zur TheophanousEntscheidung stark zurück. Das Gericht tat dies unter Anwendung eines juristischen Kunstgriffes, ohne die Theophanous-Entscheidung ausdrücklich aufzuheben.434 Viele sahen darin die Absicht des Gerichts, einerseits die Rechtsunsicherheit auf dem Gebiet der implizierten Kommunikationsfreiheit, auch im Hinblick auf die damaligen personellen Veränderungen am High Court, zu beseitigen bzw. zumindest zu verringern435 und andererseits ein "Ausufern" von implizierten Rechten zu verhindern,436 so daß sich Theophanous nunmehr wohl eher als "Hochwasserstand einer zurückweichenden Flut" als "nur eine weitere Phase im fortgesetzten Kampf um die Menschenrechte in Australien" erweist.437 Rechtlich ging es erneut um die Frage der Existenz und Reichweite der Freiheit der politischen Kommunikation sowie um deren Auswirkung auf das Beleidigungsrecht (a) Sachverhalt Der frühere neuseeländische Premierminister David Lange hatte eine Beleidigungsklage gegen die Australian Broadcasting Corporation wegen einer Sendung über Parteispenden erhoben, gegen die sich letztere mit dem in der Theophanous433 (1997) 189 CLR 520. Im folgenden Lange. Siehe auch die Besprechungen von Stone A., Case Note: Lange, Levy and the Direction of the Freedom of Political Communication under the Australian Constitution, 21 (1998) UNSWU 117 und LynchA., Case Note, Unanimity in A Time of Uncertainty: The High Court setdes its differences in Lange v Australian Broadcasting Corporation, 6(1997) GriffithLR211. 434 Manche sagen, daß der eigentliche Sieger der Entscheidung das Gericht selbst sei, dessen Glaubwürdigkeit durch das einstimmige Urteil viel gewonnen habe. So z. B.: Kingston M., Court the winner with a compromise, SMH, gefunden im Internet: http://www.smh.com.au/ daily/content/970709/pageone/pageone6.html [9. Juli 1997]. 435 Siehe z. B. Lynch A., Case Note, Unanimity in A Time of Uncertainty: The High Court setdes its differences in Lange v Australian Broadcasting Corporation, 6 ( 1997) GriffithLR211 (220). 436 Siehe z. B. Kingston M., a. a. 0., McGuinness P., Court has one voice, but what is it saying? SMH, gefunden im Internet: http://www.smh.com.au/daily/content/97071 0/columns/ columns2.htrnl [I 0. Juli 1997]. 437 Warren Ch., Freedom of speech and the High Court, Communications Update, Ausgabe 127, Nov. 1996, 2(3).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

115

Entscheidung festgestellten verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrund der Freiheit der politischen Kommunikation und dem durch Theophanous modifizierten beleidigungsrechtlichen Rechtfertigungsgrund des qualifizierten Privilegs verteidigte. Der Kläger erwiderte, daß sich zum einen diese Freiheit nur auf die Diskussion über australische Politik und Politiker nicht jedoch auf ausländische beziehe und im übrigen die Entscheidung in Theophanous über die Drittwirkung der Freiheit der politischen Kommunikation sowieso falsch sei.

(~)

Urteil

Nachdem sich das Gericht mit der Frage befaßt hatte, inwieweit es eine eigene bindende Entscheidung über ein Verfassungsprinzip revidieren könne, kam es interessanterweise zu dem Ergebnis, daß Theophanous gar keine bindende Aussage enthalte. Dies deshalb, so die Begründung des Gerichts, weil Richter Deane in seinem Votum über das der drei anderen Richter der Mehrheit hinausging und nur der Rechtsklarheit wegen in seinem Addendum das weniger weitreichende Votum der anderen Richter unterstützte. Die Beantwortung der Rechtsfragen in Theophanous, was die Auswirkungen der Freiheit der politischen Kommunikation betreffe, könne sich daher nur auf die Stimme von drei der sieben Richter und damit nicht auf eine Mehrheit stützen. Theophanous habe (lediglich) entschieden, daß die common /awRegeln des Beleidigungsrechts mit der Verfassung übereinstimmen müßten. Nur dies sei die Ratio des Urteils.438 Auf diese Weise der Notwendigkeit entgangen, seine eigene Entscheidung explizit und bereits nach weniger als drei Jahren aufheben zu müssen, fuhr das Gericht fort zu untersuchen, welche demokratischen Grundzüge in der Verfassung verankert seien. Es fand dabei vor allem die Prinzipien der Repräsentation und der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament (representative government, responsible government), die sich aus den Artikeln 1, 7, 8, 24, 25, 28, 30 und 128 ergäben.439 Die Freiheit der politischen Kommunikation betreffend, die es nun terminologisch präzisiert und als Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der PolitiJc140 bezeichnete, stellte das Gericht fest, daß diese ein unabdingbares Element dieses in den oben genannten Vorschriften enthaltenen repräsentativen Regierungssystems sei, da freie Wahlen für das Regierungssystem essentiell und diese nur bei Freiheit von Kommunikation über politische und Regierungsangelegenheiten gewährleistet seien. Auch historisch seien "freie Wahlen" in Austra438 (1997) 189 CLR 520 (554-556). Daß Richter Deane sich gerade deshalb dem Votum der drei anderen Richter angeschlossen hatte, um eine eindeutigere Aussage zur Drittwirkung der Freiheit zu treffen, ließ das Gericht unerwähnt. 439 (1997) 189 CLR 520 (557ff). 440 Freedom of communication on matters of government and politics, (1997) 189 CLR 520 (559).

8*

116

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Iien immer schon so verstanden worden, daß sie freie Kommunikation beinhalteten. Die Freiheit der politischen Kommunikation sei daher durch die bezeichneten Verfassungsartikel geschützt, die allerdings dem einzelnen keine Individualrechte verliehen, sondern lediglich eine Kompetenzbeschränkung darstellten und somit die Verkürzung der geschützten Freiheit durch die Ausübung von Legislativ- und Exekutivgewalt verhinderten. Um dem Zweck der genannten Verfassungsvorschriften gerecht zu werden, müsse die Freiheit auch über die Zeiten des Wahlkampfes hinaus gelten, da die meisten Angelegenheiten, über die das Volk für seine Wahlentscheidung informiert sein müsse, in den Perioden zwischen den Wahlkämpfen stattfanden. Inhaltlich beschränke sich die Freiheit im Exekutivbereich nicht auf die Ministerebene und die Staatsbediensteten, sondern "politisch" beziehe sich auch auf den administrativen Unterbau, der sich gegenüber dem Parlament oder einem Minister verantworten müsse. Die Freiheit der politischen Kommunikation sei nicht umfassend, sondern sei in der Reichweite ihres Schutzbereiches auf das begrenzt, was für das Funktionieren des repräsentativen Regierungssystems, wie in der Verfassung vorgesehen, nötig sei.441 Über das Verhältnis von common law und Verfassungsrecht sagte das Gericht, daß die common-law-Doktrin von der absoluten Parlamentssouveränität durch die geschriebene Verfassung verdrängt würde442 und daß daher ersteres wie einfache Gesetze des Parlaments an der Verfassung gemessen werden müßten: Notwendigerweise muß das common law mit der Verfassung übereinstimmen. [... ] Common law und die Anforderungen der Verfassung können sich nicht widersprechen.443

Das common law könne zwar dergestalt weiterentwickelt werden, daß es weitergehende Rechte als von der Verfassung gefordert gewähre, aber es dürfe nicht enger sein als die Rechte, die die Verfassung verlange.444 Zur Rechtsnatur der Freiheit der politischen Kommunikation führten die Richter weiter aus, daß sie kein Recht im eigentlichen Sinne sei, sondern nur ein von der Verfassung aufgestelltes Erfordernis: [...]obwohl es wahr ist, daß das Erfordernis der Kommunikationsfreiheit eine Folge des repräsentativen und verantwortlichen Regierungssystems der Verfassung ist, ist es das Erfordernis der Kornmunikation und nicht ein Recht derselben, das sich in der Verfassung findet. Anders als der erste Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der dahingehend (1997) 189 CLR 520 (559-561). (1997) 189 CLR 520 (564). 443 Ofnecessity, the common law must conform with the Constitution. [ ... ] The common law and the requirements ofthe Constitution cannot be at odds. (1997) 189 CLR 520 (566). 444 Mit dem Stand des Beleidigungsrechts nach Lange befaßt sich ausführlich Chesterman M., Privileges and Freedorns for Defarnatory Political Speech, (1997) 19 Adel LR 155. 441

442

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

117

ausgelegt wurde, daß er private Rechte verleihe, enthält unsere Verfassung kein ausdrückliches Recht der Kommunikations- oder Äußerungsfreiheit Innerhalb unseres Rechtssystems sind Kommunikationen nur insoweit frei, als sie von Gesetzen, die mit der Verfassung in Einklang sind, unbehelligt gelassen werden.445

Die Freiheit der politischen Kommunikation wurde also nunmehr stärker auf ihre Wurzeln in der Verfassung, nicht mehr auf übergreifende Prinzipien zurückgeführt, sprachlich korrekter als Erfordernis bezeichnet, wie es die Verfassung in den oben zitierten Artikeln, die das repräsentative Regierungssystem verankern, verlange. Das Gericht fuhr dann fort, das Beleidigungsrecht des Landes New South Wales im Lichte des Verfassungserfordernisses der Freiheit der politischen Kommunikation auszulegen und den beleidigungsrechtlichen Rechtfertigungsgrund des qualifizierten Privilegs verfassungskonform weiter zu fassen. 446 Es stellte ausdrücklich fest, daß jedes Mitglied der australischen Gemeinschaft ein Interesse an der Verbreitung und dem Erhalt von Informationen über politische Angelegenheiten, die das australische Volk beträfen, habe. Die für den Rechtfertigungsgrund notwendige Pflicht zur Verbreitung sei einfach die notwendige Wechselbedingung zu diesem Interesse. Der Rechtfertigungsgrund des qualifizierten Privilegs schütze daher die an die Öffentlichkeit gerichtete Kommunikation über eine Regierungs- oder politische Angelegenheit. Dies könne bedeuten, daß der erweiterte Rechtfertigungsgrund über das hinausgehe, was für die Verfassungskonformität des common law nötig sei, denn er könnte sich beispielsweise auch auf die Diskussion von ON-Angelegenheiten oder Angelegenheiten anderer Staaten sowie auf reine Landesangelegenheiten erstrecken. Die wachsende Integration und Verflechtung aller Ebenen der Politik in allen Bereichen, mache diese Folgerung aber notwendig, denn es könnten auch nicht den Bund unmittelbar betreffende Themen die Entscheidung der Wähler bei den Wahlen zum Bundesparlament beeinflussen.447 Das Argument des verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrundes verwarf das Gericht mit der knappen Begründung, daß die Verfassung kein privates Abwehrrecht gewähre und das Beleidigungsrecht von New South Wales die von der Verfassung geforderte Kommunikationsfreiheit nicht unangemessen belaste.448 Damit wurde die Theophanous-Entscheidung in diesem Punkt aufgehoben, ohne dies ausdrücklich zu erwähnen, und es gibt nur knapp drei Jahre nach der Verkün445 [. •• ] although it is true that the requirement of freedom of communication is a consequence of the Constitution's system of representative and responsible government, it is the requirement and not a right of communication that is tobe found in the Constitution. Unlike the First Amendment to the United States Constitution, which has been interpreted to confer private rights, our Constitution contains no express right of freedom of communication or expression. Within our legal system, communications are free only to the extent that they are left unburdened by laws that comply with the Constitution. (1997) 189 CLR 520 (567). 446 (1997) 189 CLR 520 (568ft). 447 (1997) 189 CLR 520 (571). 448 (1997) 189 CLR 520 (575).

118

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

dung keinen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrund mehr, sondern nur noch verfassungskonform erweiterte Rechtfertigungsgründe des Beleidigungsrechts. Anders als der verfassungsrechtliche Rechtfertigungsgrund gelten die beleidigungsrechtlichen Rechtfertigungsgründe jedoch nicht australienweit, sondern es muß in den einzelnen Ländern je nachdem, ob und wie das Beleidigungsrecht dort kodifiziert ist, geprüft werden, wie sich das Verfassungsrecht auf das jeweilige Beleidigungsrecht auswirkt. Es ist jedoch zu erwarten, daß die Rechtslage in den anderen Ländern ähnlich wie in New South Wales ist. Soweit sich die Beklagte auf den beleidigungsrechtlichen Rechtfertigungsgrund stützte, verwies das Gericht an die vorangehende Instanz zurück, da sich die Schriftsätze nur auf den Rechtfertigungsgrund vor der verfassungskonformen Auslegung durch die jetzige Entscheidung bezogen und deshalb den neuformulierten Rechtfertigungsgrund nicht stützten, eine Neufassung der Argumente und Beweismittel aber möglicherweise zur Anwendbarkeit des neu gefaßten Rechtfertigungsgrundes führen würde.449 Zur Frage, ob sich die neudefinierte Freiheit auch auf die Diskussion neuseeländischer politischer Angelegenheiten erstrecken könne, meinten die Richter, daß sich beispielsweise aufgrundgeographischer und historischer Gegebenheiten sowie Handelsvereinbarungen Bezüge zu australischen politischen Themen ergeben könnten.450

(t) Laurence Nathan Levy v. The State ofVictoria and Others451

Die vorläufig letzte free speech-Entscheidung im eigentlichen Sinne erging etwa drei Wochen nach Lange im Levy-Fall. Die Fälle waren zwar wegen ihres Bezugs zur Redefreiheit zusammen mündlich verhandelt worden, anders als in Lange, ging es aber in Levy nicht um Beleidigungsrecht sondern um die Vereinbarkeit von Verordnungen des Bundeslandes Victoria zur Entenjagd mit der implizierten Freiheit der politischen Kommunikation. Und anders als in Lange handelte es sich bei Levy auch nicht um ein einstimmiges, sondern um ein sechs einzelne Voten enthaltendes Urteil, bei dem nur das Ergebnis einstimmig war. Neben der Anwendung der durch Lange konsolidierten Freiheit stellte sich in Levy auch die Frage nach der Art der durch die Freiheit geschützten Kommunikation. (1997) 189 CLR 520 (575). (1997) 189 CLR 520 (576). 4 5 1 (1997) 189 CLR 579, im folgendenLevy. Siehe auch die Besprechung von Stone A., Case Note: Lange, Levy and the Direction of the Freedom of Political Communication under the Australian Constitution, 21 (1998) UNSWLJ 117 (v. a. 126ff). Vgl. weiter Twomey A., Dead Ducksand Endangered Po1itical Communication- Levy v. State ofVictoria and Lange v. Australian Broadcasting Corporation, 19 (1997) Syd LR 76. 449

45o

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

119

(a) Sachverhalt Der Kläger war wegen eines Vergehens gegen die Jagdsaisonsverordnung des Bundeslandes Victoria von 1994 angeklagt. Diese verbat das Betreten von bestimmten Jagdgebieten ohne Jagderlaubnis zu Beginn der Jagdsaison auf Enten, um so die öffentliche Sicherheit zum Hauptjagdzeitpunkt zu gewährleisten. Der Kläger hatte sich- so die Anklage- diesen Vorschriften widersetzt und ein Jagdgebiet entgegen der Regelung betreten. Der Kläger begann daraufhin ein Verfahren vor dem High Court mit dem Ziel, die Unwirksamkeit der Verordnung festzustellen. Er begründete dies damit, daß die Verordnung sein Recht auf politische Kommunikation ungebührlich beschränke und damit außerhalb der Gesetzgebungskompetenz des Parlaments liege. Er habe die Jagdgebiete zum Zwecke des Protestes gegen die Entenjagd betreten wollen, um so möglichst medienwirksam die Aufmerksamkeit auf die Grausamkeit der Jagd und das Abschießen von geschützten Vogelarten lenken zu können. Die Freiheit der politischen Kommunikation, die in der Bundesverfassung und in der Verfassung von Victoria verankert sei, umfasse auch das Recht zu protestieren und die öffentliche Aufmerksamkeit durch Fernsehberichterstattung von geschehensnahen Bildern, beispielsweise der Rettung von verletzten Vögeln, zu erregen. (ß) Die Voten

Das Gericht war sich zwar einig, daß die Verordnung die implizierte Kommunikationsfreiheit nicht ungebührlich beschränke und damit nicht unwirksam sei, divergierte aber in den Begründungen, so daß man den Eindruck gewinnt, die Richter wollten nach der einstimmigen Entscheidung in Lange ihre unterschiedlichen Positionen in bezug auf die Freiheit so weit wie nach Lange noch möglich wieder klarstellen. Präsident Brennan befaßte sich zunächst mit dem Schutzbereich der Freiheit und stellte fest, daß die Implikation es der exekutiven und legislativen Gewalt verbiete, die Freiheit einzuschränken, über die Regierung oder die Politik des Commonwealth zu kommunizieren, gleichgültig um welche Art von Kommunikation es sich handele, es sei denn die Beschränkung habe einen legitimen Zweck und sei dessen Erfüllung angemessen und angepaßt. Auch nichtverbales Handeln könne deshalb- soweit es sich auf die Politik oder das Regieren des Bundes beziehe- von der Freiheit geschützt sein. Nichtverbales Verhalten sei allerdings eher gefährlich als Worte, so daß, je nach seiner Natur, eine legislative Kontrolle nötig sein könne.452 Der in Lange festgestellten Tatsache, daß alle Ebenen der Regierung in Australien untrennbar verwoben seien, so daß sich die Freiheit in der Bundesverfassung auch auf Kommunikation über politische Angelegenheiten in den Ländern beziehe, 452

(1997) 189 CLR 579 (594f).

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I. Kap.: Die Rechtslage in Australien

weil beispielsweise internationale Verpflichtungen auch auf die Landesebene hineinwirken können, schloß er sich ausdrücklich nicht an. Offenbar um einen Widerspruch zur Entscheidung in Lange, die er mitgetragen hatte, zu vermeiden, zog er es aber vor, seine Entscheidung nicht darauf zu stützen, daß es sich bei den in Frage stehenden Verordnungen nicht um von der Bundesverfassung geschützte Kommunikation, sondern um rein landesrechtliche Themen handele, sondern darauf, daß sich die Verordnungen nach dem in Lange aufgestellten Prüfungsmaßstab nicht als ungültig erwiesen.m Richter Dawson war bemüht, nochmals auf die ganz engen Wurzeln der Freiheit in der Verfassung hinzuweisen. Er betonte, daß die Verfassung nicht das System der parlamentarischen Demokratie als solches festschreibe, sondern nur insoweit, als die Art. 7 und 24 in Verbindung mit Art. I, 8, 13, 16, 25, 28, 30 und 128 Minimalvoraussetzungen festlegten. Die Verfassung spreche von freien Wahlen, was notwendigerweise die Kommunikationsfreiheit über Angelegenheiten, die den Ausgang von Wahlen beeinflussen können, mitbeinhalte. Dies sei nicht auf Zeiten des Wahlkampfes beschränkt und erfasse alle Angelegenheiten des Regierens und der Politik. Er hielt diese Freiheit nicht für eine Implikation, sondern für eine Auslegung des Verfassungstextes aus dem Zusammenhang heraus. Er interpretierte die von der Verfassung geschützte Freiheit als eine Art commonlaw-Freiheit: es handele sich um die Freiheit, die jedermann hätte, solange es keine Gesetze gebe, die sie einschränkten und diese Freiheit habe ihren Ursprung nicht in der Verfassung, weder explizit noch per Implikation. Selbst wenn man das Verbot von Gesetzen, die die freie Wahl beschränken, als impliziert bestehendes betrachte, sei dieses negativer Art und die Freiheit eine Residualfreiheit, die ihre Existenz einer Beschränkung der Gesetzgebungskompetenz verdanke. Jedenfalls basiere die Freiheit nicht auf der Implikation eines zugrundeliegenden oder übergreifenden Konzepts der repräsentativen Demokratie.454 Die Richter Toohey und Gummow gaben als einzige ein gemeinsames Votum ab, in dem sie betonten, daß die Freiheit auch Verhalten umfassen könne, so dieses dazu dient, eine Aussage innerhalb der Reichweite der Freiheit mitzuteilen; auch Appelle, die sich eher an die Emotion als an den Verstand der Empfänger richten, also beispielsweise die Übertragung von Fernsehbildern von halbtoten Vögeln, seien von der Freiheit umfaßt. Nach dem Lange-Test sei die Freiheit durch die Verordnung aber nicht verfassungswidrig beschnitten.455 Auch Richterin Gaudran sah den Schutzbereich der Kommunikationsfreiheit betroffen, hielt jedoch zugleich eine von ihr im am gleichen Tag verkündeten KrugerFall456 erläuterte Freizügigkeit für betroffen, die sie aber als einen Unterfall der 4SJ ( 1997)

189 CLR 579 (595 f). Zum Prüfungsmaßstab siehe unten S. 157. (1997) 189 CLR 579 (606f). 455 (1997) 189 CLR 579 (613ft). 456 Alec Krugerand Others v. The Commonwealth ofAustralia (1997) 190 CLR I. Siehe unten S.126. 454

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Kommunikationsfreiheit bezeichnete. Unter Heranziehen der verschiedenen Prüfungsmaßstäbe457 hielt sie aber die Verordnung nicht für verfassungswidrig. Zur Reichweite der Freiheit in bezug auf nichtverbale Kommunikation äußerte sie sich nicht. 458 Richter McHugh behandelte nochmals eingehend die Rechtsnatur und den Ursprung der Freiheit. Er äußerte sich dabei sehr ähnlich wie Richter Dawson. Die Freiheit sei eine Freiheit des Bundesvolkes, miteinander über Angelegenheiten von Regierung und Politik, die für das von der Verfassung vorgesehene System der repräsentativen und verantwortlichen Regierung von Bedeutung seien, zu kommunizieren. Die von der Verfassung geschützte Freiheit sei aber keine Freiheit zu kommunizieren, sondern eine Freiheit von Gesetzen, die das Volk effektiv davon abhielten, über oben genannte Angelegenheiten zu kommunizieren. Anders als die Verfassung der Vereinigten Staaten schaffe die australische Verfassung keine Kommunikationsrechte, sondern enthalte lediglich eine Freistellung von der Wirkung der Gesetze, die ein Recht oder ein Privileg, politische und Regierungsangelegenheiten zu kommunizieren, beschränkten. Wie Lange zeige, setze dies aber voraus, daß das Recht oder Privileg nach einfachem Recht existiere.459 Wenn sich auch seine Analyse der Rechtsnatur der Freiheit von den anderen Richtern unterschied, so stimmte er doch darin mit ihnen überein, daß der Umfang der Freiheit jede Form expressiven Verhaltens, also ebenso Zeichen, Symbole, Gesten und Bilder umfasse. Falsche, unverständliche und emotionale Kommunikation sei ebenso eingeschlossen wie wahre, verständliche und distanzierte Kommunikation. Auch Gesetze, die zwar nicht die Kommunikation als solche, aber den Zugang oder die Möglichkeit dazu betreffen, also z. B. die Gelegenheit vom Medium Fernsehen Gebrauch zu machen, umfasse der Schutzbereich der Freiheit. Sie sei allerdings nicht absolut und auf das beschränkt, was für das von der Verfassung vorgegebene repräsentative Regierungsystem nötig sei. Im Fall sei die Kommunikationsfreiheit durch die Vorschriften betroffen, aber unter Anwendung des Prüfungsmaßstabs in Lange sei die Verordnung nicht verfassungswidrig.460 Er stellte sich zumindest indirekt auf den Standpunkt, daß es sich inhaltlich um Kommunikation auf dem Gebiet der Bundespolitik handeln müsse, da nur das von der Verfassung gefordert sei, ließ dann aber offen, ob im Fall dieses Kriterium erfüllt sei, da die Klage bereits aus anderen Gründen scheiterte.461 In seiner ersten separaten Stellungnahme zur Kommunikationsfreiheit befaßte sich Richter Kirby ausführlich sowohl mit der Reichweite der Freiheit als auch mit dem Testmaßstab für deren Beschränkung. Dazu siehe unten S. 160. (1997) 189 CLR 579 (617ft). 459 (1997) 189 CLR 579 (622f). 460 (1997) 189 CLR 579 (622-624). 46t (1997) 189 CLR 579 (626) 457

458

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1. Kap.: Die Rechtslage in Austra1ien

Nach einer Analyse von vergleichbaren US-Fällen folgerte er- nicht ohne Betonung der Unterschiede der Verfassungen - daß die Kommunikationsfreiheit auch nichtverbale Kommunikation umfasse. Aber da sogar in Ländern, in denen es ein anerkanntes Recht auf Kommunikationsfreiheit gebe, Beschränkungen aufgrund der öffentlichen Sicherheit akzeptiert worden seien, wäre es überraschend, wenn der Schutz in Australien, wo es ein solches Recht nicht gebe, größer sei.462 Bezogen auf den Inhalt der geschützten Kommunikation bestätigte er die Entscheidung in Lange, daß die politischen Ebenen in Australien so verquickt seien, daß die von der Bundesverfassung geschützte Kommunikationsfreiheit auch die Kommunikation über politische Angelegenheiten der Länder umfasse.463 Zur Bestimmung der Rechtsnatur der Freiheit stellte er auf deren Zweck ab, zur Verfestigung und zum Schutz des repräsentativen Regierungsystems, das die Verfassung vorsieht, beizutragen. Die Beschränkung der Gesetzgebung hätte eine Folge, die sich schützend auf die individuelle Freiheit der politischen Kommunikation auswirke. Dies verleite dazu, von "Individualrechten" zu sprechen, es sei aber richtiger, die Vorteile, die den einzelnen durch diese Beschränkung der Gesetzgebung entstünden, als "Freiheiten" zu bezeichnen. Es handele sich um Freistellungen des einzelnen von der Wirkung der Gesetze, die sonst die Kommunikation über politische und Regierungsangelegenheiten in einer mit dem von der Verfassung aufgestellten Regierungssystem unvereinbaren Weise verhindem oder kontrollieren würden.464 (g) Alec Krugerand Others v. The Commonwealth of Australia465

Die Entscheidung in Kruger, die am gleichen Tag wie Levy erlassen wurde, befaßte sich zwar nicht direkt mit der implizierten Kommunikationsfreiheit Da in ihr aber aus der Kommunikationsfreiheit abgeleitete bzw. sie begleitende Freiheiten besprochen wurden, darf sie zur Abrundung der Fallanalysen nicht fehlen. Darüberhinaus zeigt sie Wege der zukünftigen Entwicklung von implizierten Rechten auf. (a) Sachverhalt Mehrere Angehörige der sogenannten "geraubten Generation" (stolen generation)466 aus dem Nordterritorium hatten im Rahmen von Schadensersatzforderungen (1997) 189 CLR 579 (637-642). (1997) 189 CLR 579 (642). 464 (1997) 189 CLR 579 (644). 461 ( 1997) 190 CLR 1; im folgenden Kruger. Vgl. dazu auch die kritische Besprechung von Byers M., The Kruger Case, 8 ( 1997) PLR 224. 466 Auch "geraubte Kinder" (stolen children); es ist dies die Bezeichnung für die Kinder der australischen Ureinwohner, die über Jahrzehnte hinweg bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts ihren Müttern und Familien weggenommen und in Heimen, Reservaten etc. unterge462 463

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

123

die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze und Verordnungen angegriffen, auf denen die Wegnahme der Kinder von ihren Müttern beruhte. Dabei beriefen sie sich unter anderem auf Freizügigkeit und Vereinigungsfreiheit (freedom of movement and association), die durch die Verfassung impliziert und durch die Gesetze, die das Verbringen in Heime und Reservate erlaubten, verletzt sei. Diese Freiheit sei eng mit der Freiheit der politischen Kommunikation verwandt bzw. aus ihr abgeleitet. Neben der Frage nach der Existenz solcher implizierten Freiheiten, ging es in

Kruger auch um die Frage der Berechtigten von implizierten Freiheiten.

Im Ergebnis entschieden vier der sechs467 Richter gegen die Verfassungswidrigkeil der Verordnungen. (ß) Die Mehrheitsvoten

Von den Mehrheitsvoten ließen die meisten Richter die Frage nach der Existenz der behaupteten implizierten Freiheiten ausdrücklich offen oder sahen sie als jedenfalls nicht verletzt an. Keiner der Mehrheitsrichter lehnte eine Freiheit der Vereinigung und Freizügigkeit völlig ab. Präsident Brennan ließ die Frage nach der Existenz von Freizügigkeit und Vereinigungsfreiheit unbeantwortet. Ein solches Recht sei bislang nicht durch die Verfassung impliziert gewesen und im Fall sei keine Grundlage im Text oder in der Struktur der Verfassung dargelegt worden. Jedenfalls seien die Freiheiten nicht verletzt. Denn allenfalls könnten Handlungen, die aufgrund des Gesetzes vorgenommen worden waren, nicht das Gesetz selbst gegen die Freiheit verstoßen. Das Ermessen zu handeln sei durch das Erfordernis, die Freiheit nicht unvernünftiger- oder unnötigerweise einzuschränken, begrenzt und die angegriffene Verordnung müsse daher in Übereinstimmung mit dem Verfassungserfordernis ausgelegt werden. Dabei werde die Verordnung nicht unwirksam, sondern begrenze nur die administrative Befugnis, die sie verleihe.468 Im Ergebnis zog Präsident Brennan also eine Art verfassungskonforme Auslegung heran, die jedoch auf der Ebene des Verwaltungshandeins und nicht auf der Ebene des ermächtigenden Gesetzes vorgenommen wird. Trotz seines sonst als konservativ zu bezeichnenden Ansatzes, entschied Richter

Dawson nicht gegen Freizügigkeit und Vereinigungsfreiheit, sondern ließ unbeant-

bracht worden waren. Siehe Human Rights and Equal Opportunity Commission, Bringing them Horne, Report ofthe National Inquiry into the Separation of Aboriginal and Torres Strait Islander Children from their Families, April 1997, im Internet abrufbar unter http://www.austlii.edu.au/au/special/rsjproject/rsjlibrary/hreoc/stolen/; vgl. auch die Besprechung des Urteils von Joseph S., Case Commentary, Kruger v Commonwealth: Constitutional Rights and the Stolen Generation, 24 (1998) MonLR486. 467 Richter Kirby war bei der mündlichen Verhandlung noch nicht ernannt gewesen, so daß er am Urteil nicht beteiligt war. 46s (1997) 190 CLR I (45).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

wortet, ob er sie anerkennt. Jedenfalls sei die Territoriumsbefugnis von Art. 122 nicht durch die Kommunikationsfreiheit oder andere Freiheiten beschränkt, die die Erfordernisse des repräsentativen Regierungssystems verlangten, da für die Territorien ein solches System nicht vorgesehen sei. Er bestätigte noch einmal ausdrücklich, daß die Verfassung die Kommunikationsfreiheit, auf die die anderen Freiheiten gestützt würden, insoweit schütze, als es das von ihr aufgestellte Erfordernis der direkten Wahl der Volksvertreter verlange. Die Verfassung verbiete Gesetze, die die implizierte Freiheit hemmten. Was impliziert werde, seien keine "Rechte". Die Freiheit verdanke ihre Existenz der Abwesenheit von Gesetzen, die sie beschnitten, und sie werde durch die Beschränkung der Gesetzgebungsbefugnis verstärkt. 469 Seine Formulierungen ließen also durchaus Freizügigkeit und Vereinigungsfreiheit zu, da Gesetze, die diese Freiheiten beschränken, die Kommunikationsfreiheit hemmen könnten. Common /aw-geprägt erscheint dagegen die Definition der Freiheit als Residualfreiheit Es klingt, als wolle er auf die klassischen common law-Rechte zurück und die Freiheit als solche definieren, nicht mehr als Verfassungsfreiheit Richter McHugh schien ebenfalls die weiteren Freiheiten anzuerkennen, sprach aber den Klägern ab, daß sie zum Gültigkeitszeitpunkt der angegriffenen Gesetze Träger der Freiheiten waren. Auch er leitete zunächst die Kommunikationsfreiheit aus dem Verfassungsauftrag der direkten Wahl der Vertreter durch das Volk ab. Die gleichen Gründe, die zur Implikation der Kommunikationsfreiheit geführt hätten, führten ihn auch dazu anzunehmen, daß die Verfassung notwendigerweise auch impliziere, daß "das Volk" von Gesetzen frei sein müsse, die es hinderten, sich mit anderen Personen zu vereinen, und inner- und außerhalb Australiens zu Zwecken des verfassungsmäßig vorgeschriebenen Regierungssystems und Referendumsverfahrens zu reisen. Die Implikation der Freiheit von Gesetzen, die die Vereinigung und die Reise verhindern, muß zumindest solche Angelegenheiten wie das Abstimmen über, das Unterstützen von oder das Ablehnen der Wahl von Kandidaten für die Mitgliedschaft im Senat und im Repräsentantenhaus, die Beobachtung der Leistung und das Ersuchen von Bundesministern und Parlamentariern und das Abstimmen bei Volksentscheiden, umfassen. 470

Richter McHugh sah jedoch die Trägerschaft von implizierten Freiheiten - im Gegensatz zu anderen Richtern- sehr eng und stellt diese und nicht das möglicherweise grundrechtsverletzende Gesetz in den Vordergrund seiner Ausführungen: (1997) I90 CLR I (68ft). "the people" must be free from laws that prevent themfrom associating with other persons, andfrom travelling, inside and outside Australiafor the purposes ofthe constitutionally prescribed system of government and referendum procedure. The implication offreedom from laws preventing association and travel must extend, at the very least, to such matters as voting for, or supporting or opposing the election of, candidates for membership of the Senate and the House ofRepresentatives, monitaring the performance of and petitioningfederal Ministersand parliamentarians and voting in referenda. (1997) I90 CLR I (142). 469

470 [ ... ]

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

125

Die Verfassungsimplikation könne niemand schützen, der nicht Teil dieses Volkes sei. Zum Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Vorschriften seien die Bewohner der Territorien nicht berechtigt gewesen, an den Wahlen zu Repräsentantenhaus und Senat teilzunehmen471 und auch die Ureinwohner hätten damals kein Wahlrecht innegehabt.472 Aus diesem Grunde hätte den Klägern keine Freistellung von Gesetzen, die ihr common /aw-Recht auf Vereinigung oder Reise beeinträchtigten, zugestanden.473 Richter Gummow betonte zunächst nachdrücklich unter Bezugnahme auf das Votum von Präsident Brennan in McGinty, daß Implikationen nicht von Richtern entworfen, sondern von ihnen nur auf der Basis von Text und Aufbau der Verfassung enthüllt oder aufgedeckt würden.474 Bezüglich weiterer Implikationen hielt er sich mit klaren Aussagen weitgehend zurück. Offen lehnte er eine Implikation von Vereinigungsfreiheit im weiten Sinne ab, da diese nicht vom in der Verfassung vorgesehenen repräsentativen Regierungssystem notwendigerweise zur Erhaltung der Integrität dieser Struktur gefordert sei. Er gestand aber zu, daß der Inhalt der Vereinigungsfreiheit auslegungsfahig sei.475 Bezüglich der Existenz der Freizügigkeit meinte er weiter, die Fälle der Anfangsphase, in denen eine mögliche Existenz von Freizügigkeit und Vereinigungsfreiheit angedeutet wurde, stellten nach den Entscheidungen in Lange und McGuinty keinen Präzendenzfall für eine weitreichende Freiheit mehr dar. Gäbe es jedoch eine solche Implikation, so wäre es möglich, die angegriffene Verordnung verfassungskonform auszulegen. Dafür führte er Gründe an, die Anlaß zum Erstaunen geben: Die Vorschrift der Verordnung, die die Freizügigkeit beschränke, könne verfassungskonform ausgelegt werden, denn sie hätte diejenigen nicht betroffen, die eine Erlaubnis zum Verlassen des Reservats gehabt hätten. Man müsse also die administrative Befugnis, diese Erlaubnis zu erteilen, weit und das Ermessen dahingehend auslegen, daß es nicht ausgeübt werden dürfe, um die implizierte Freiheit zu behindem.476 Daß bereits das Verbringen in ein Reservat oder eine Institution eine massive Beschneidung der Freizügigkeit, auch einer nur minimalen, zur Erhaltung des Regierungssystems der repräsentativen Demokratie notwendigen, sein kann, beispielsweise durch die dadurch verursachte Distanz zu sonst leicht erhältlich gewesenen Informationsmöglichkeiten, Wahllokalen und Abgeordneten, wird mit keinem Wort erwähnt. 471 Die Verfassung sieht keine Vertretung der Territorien im Bundesparlament vor. Diese wurde durch einfache Gesetze im Laufe der Jahre erst stufenweise eingeführt. Seit 1968 entsprechen die Befugnisse und Rechte der Territoriumsvertreter denen der Landesvertreter. 472 Die Angehörigen der Ureinwohner erhielten erst 1962 das Wahlrecht. 473 (1997) 190 CLR 1 (142ff). 474 (1997) 190CLR 1 (152). 475 (1997) 190 CLR 1 (157). 476 (1997) 190 CLR 1 (l56f).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

(y) Die abweichenden Voten

Die wichtigsten Voten für die implizierte Freizügigkeit und Vereinigungsfreiheit sind die abweichenden Voten von Richter Toohey und Richterin Gaudron. Richter Tooheys Überlegungen basierten auf der in Lange nochmals einheitlich bestätigten Freiheit der politischen Kommunikation, die auf dem von der Verfassung geforderten System der repräsentativen Demokratie beruhe. Die Bezeichnung "Freiheit der politischen Kommunikation" sei in gewissem Sinne zu eng, da das Verfassungssystem notwendigerweise auch Vereinigungsfreiheit fordere; sie sei eine wesentliche Komponente der politischen Kommunikation. Politische Kommunikation fordere die Vereinigungsfreiheit. Diese Freiheit beziehe sich inhaltlich auch auf das Regieren in den Bundesterritorien und die Frage nach ihren Trägern hänge, da die Verfassung die Bürger des Commonwealth als eine Einheit sehe, nicht davon ab, ob die einzelnen wahlberechtigt seien oder nicht- wie z. B. die Angehörigen der Ureinwohner bis 1962 oder die Einwohner der Bundesterritorien bis ihnen Vertreter im Bundesparlament zugesprochen wurden. Zur Rechtsnatur führte er aus, es handele sich auch bei dem "Recht auf Vereinigung" nicht um ein Recht im eigentlichen Sinne, sondern um eine Beschränkung der Gesetzgebungsbefugnis, die Vereinigungsfreiheit zu beschneiden, die die politische Kommunikation fordert. 477 Richterin Gaudron argumentierte ähnlich. Es sei eine gefestigte Verfassungsdoktrin, daß die Verfassung ein repräsentatives Regierungssystem vorsehe und daß dessen Erhalt von der politischen Kommunikations- und Diskussionsfreiheit abhänge. Die Verfassung erfordere aber nicht nur Kommunikationsfreiheit, sondern alles, was zum Erhalt des demokratischen Prozesses notwendig sei.478 [...]genauso wie Kommunikation unmöglich wäre, wenn ,jede Person eine Insel wäre", so ist sie auch wesentlich beeinträchtigt, wenn die Bürger in Enklaven gehalten werden, egal wie groß die Enklave oder wie angenehm ihre Zusammensetzung ist. Freiheit der politischen Kommunikation bedarf des menschlichen Kontaktes und beinhaltet zumindest ein bedeutendes Maß an Freiheit, sich mit anderen zu vereinen. Und Vereinigungsfreiheit bedarf notwendigerweise der Freizügigkeit. Ungeachtet moderner Kommunikationsmittel umfaßt die Freiheit der politischen Kommunikation zwischen Bürger und Bürger und zwischen Bürgern und ihren gewählten Repräsentanten zumindest die Freiheit der Bürger, sich mit denen, die Informationen und Ideen in bezug auf politische Angelegenheiten mitteilen wollen, und denen, die zuhören wollen, zu vereinen. [...] Freiheit der politischen Kommunikation zwischen Bürger und Bürger und zwischen Bürgern und ihren gewählten Repräsentanten beinhaltet zumindest die Freiheit, sich in der

477 478

(1997) 190 CLR 1 (89-92). (1997) 190 CLR 1 (114f).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

127

Gesellschaft zu bewegen, Freiheit des Zugangs zu den Regierungseinrichtungen und[ ... ] Freiheit des Zugangs zum Regierungssitz. 479

Die Freiheit der Vereinigung und Freizügigkeit seien, zumindest auf das oben genannte bezogen, Aspekte der Freiheit der politischen Kommunikation und daher ebenfalls implizite Beschränkungen der Gesetzgebungsbefugnisse des Art. 51 der Verfassung und auch der weiteren Befugnis für die Territorien des Art. 122.480 Allerdings bedeute die Tatsache, daß die beiden Freiheiten Aspekte der Freiheit der politischen Kommunikation seien, nur, daß sie die letztere ergänzten, nicht jedoch, daß sie weniger wichtig seien.4BI (h) Zusammenfassung Im zweiten Jahr der Konsolidierungsphase wurde die Freiheit somit durch Lange stabilisiert, wenn auch in ihren Auswirkungen zurückgenommen. Die Entscheidung in Levy zeigt, daß das Lange-Resultat im wesentlichen von allen Mitgliedern des Gerichts akzeptiert wird. Die Möglichkeit von weiteren implizierten Rechten wurde in Kruger zwar nicht ausgeschlossen, ihre Wahrscheinlichkeit kann danach aber als gering eingestuft werden. Insgesamt konnten sich die konservativen Meinungen gegenüber den weiten Auffassungen behaupten. Im Laufe der fünfjährigen Entwicklungsphase der implizierten Freiheit wurden die gemäßigteren Minderheitsauffassungen zur Mehrheitsmeinung innerhalb des Gerichts. Die freiheitsfreundlicheren, weiteren Auffassungen der Anfangs- und Hochphase hingegen wurden zu Mindermeinungen abgedrängt. bb) Definition nach heutigem Stand Es wird Jahre dauern bis genügend Einzelfälle vor dem High Court waren, damit er herausfinden kann, was er (kollektiv) mit dieserneuen Freiheit meint.482 479 [. ••] just as communication would be impossible if "each personwas an island" , so too it is substantially impeded if citizens are held in enclaves, no matter how /arge the enclave or congenial its composition. Freedom ofpolitical communication depends on human contact and entai/s at least a significant measure offreedom to associate with others. And freedom of association necessarily entails freedom of movement. Modern means of communication notwithstanding,freedom ofpolitical communication between citizen and citizen and between citizens and their elected representatives entails, at the very least,freedom on the part of citizens to associate with those who wish to communicate information and ideas with respect to political matters and those who wish to Iisten. [. ..] freedom of political communication between citizen and citizen and between citizens and their elected representatives entails, at the very least,freedom to move wirhin society,freedom of access to institutions of government and [. ..] freedom of access to the seat of government. (1997) 190 CLR 1 ( 115f, ohne Fußnoten). 48o (1997) 190 CLR 1 (116- 120). 481 (1997) 190 CLR 1 (126).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Diese Bemerkung, die ein Journalist bereits kurz nach Erlaß der Entscheidungen von 1992 schrieb, verdeutlicht in vorausschauender Weise, wie schwierig die Erstellung einer Definition ist. Sind doch die genauen "Umrisse" der Freiheit der politischen Kommunikation durch die Lange-Entscheidung zwar etwas vereinfacht, aber keineswegs eindeutig. Der nachfolgende Versuch einer Standortbestimmung muß aus diesem Grunde in mancher Hinsicht vage bleiben. (1) Definition (a) Rechtsnatur der implizierten Kommunikationsfreiheit Vergleichsweise einig waren sich die Richter bei der Rechtsnatur der Freiheit. Sie stimmten überein, daß die Freiheit bzw. die Artikel der Verfassung, denen sie entspringt, den einzelnen keine Individualgrundrechte gewährten, sondern nur die Beschneidung der geschützten Freiheit durch Ausübung von legislativer oder exekutiver Gewalt verböten. Unter Berufung auf Voten der Richter Deane und Brennan in früheren Urteilen bestätigte das Gericht im Lange-Urteil, daß die Freiheit eine Begrenzung von Gesetzgebungskompetenzen ist, die eine Freistellung für die Bürger dahingehend bewirke, daß sie nicht durch diese freiheitsbeschränkenden Gesetze oder diese Kompetenzen beeinträchtigt werden. Da die Freiheit auf einer Implikation beruhe, werde ihre Rechtsnatur auch darüber definiert. Sie sei deshalb negativer Art, d. h. sie mache Gesetze unwirksam und schaffe so einen Raum der Immunität von rechtlicher und insbesondere legislativer Kontrolle. 483 Erreicht wird dies über die am Anfang des Kompetenzkatalogs in Art. 51 enthaltene Formulierung "gemäß dieser Verfassung". Es wird argumentiert, daß die Kompetenzen zwar umfassend seien, aber nur solange in der Verfassung nichts Gegenteiliges enthalten sei. Da die Freiheit, wenn auch impliziert, in der Verfassung vorhanden sei, sei die Kompetenz des Gesetzgebers dahingehend beschränkt.484 Die Freiheit ist also von ihrem Wesen her eine materielle Beschränkung der Kompetenzen der Legislative (und der Exekutive, beispielsweise bei Verordnungen) und kein volles Grundrecht, d. h. im Gegensatz zu einer vollen Grundrechtsgarantie gewährt sie keine Rechte an sich oder positive Ansprüche, die dann gerichtlich durchsetzbar sind, sondern nur die Freistellung von den Auswirkungen freiheitsbeschränkender Gesetze. Das bedeutet, daß den einzelnen Bürgern und Bürgerinnen die Aus482 fit] will take years before sufficient individual cases come before the High Courtfor it to work out what it (collectively) means by this new freedom [. ..], Solomon D., zitiert nach: An lmplied Bill of Rights, APC News, Bd. 4 Nr. 4, November 1992, 1. 483 (1997) 189 CLR 520 (560). 484 Aus diesem Grunde tun sich einige Richter schwer, eine implizierte Kompetenzbeschränkung für die Territorien anzuerkennen. Denn, anders als die Kompetenzen in Art. 51, ist die Befugnis von Art. 122 für die Territorien umfassender und nicht "gemäß dieser Verfassung" gewährt.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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wirkungen der Freiheit nur als eine Art Rechtsreflex zur Verfügung stehen, nicht aber einen eigenen Abwehranspruch gegenüber dem Staat begründen. Anders als im deutschen Grundrechtsschema heißt dies, daß als Ausgangspunkt zunächst die Gesetzgebungskompetenz dient. Diese wird durch die implizierte Kommunikationsfreiheit beschränkt, es sei denn ein Gesetz mit einem legitimen Gesetzeszweck, der dem Erhalt des verfassungsmäßigen Systems dient, beschränkt die Kommunikationsfreiheit wirksam. Es zeigt sich dabei eine Art "australische Wechselwirkungslehre" dahingehend, daß die Beschränkung der Kompetenz durch die Freiheit wieder im Lichte der Kompetenz und des zugrundeliegenden Gesetzeszweckes auszulegen ist. Die Freiheit darf somit nicht so weit gehen, daß sie einem legitimen Gesetzeszweck- also einem Zweck, der im Einklang mit dem von der Verfassung aufgestellten System der repräsentativen Demokratie steht bzw. sie sogar fördert- die Geltung verweigert. Konsequenz der Rechtsnatur der Kommunikationsfreiheit als materielle Kompetenzbeschränkung ist, daß sie nicht die Judikative bindet und zumindest ihrer Definition nach auch keine Drittwirkung entfaltet. Daß letzteres in den Entscheidungen ab 1994 durchbrochen wurde, zeigt wie fein der Unterschied und wie dogmatisch verschwommen die Konturen der implizierten Freiheit noch sind. Folge der Herleitung der Freiheit aus einer Verfassungsimplikation ist, daß sie keine dem Staat vorausliegende Freiheit der einzelnen Person ist, sondern von der Verfassung erst als Privileg gewährt wird. Beschränkungen der Freiheit unterliegen daher weniger einem Begründungszwang als bei einem dem Staat vorausliegenden Grundrecht. 485 Die einstimmige Beurteilung der Rechtsnatur der implizierten Kommunikationsfreiheit wurde allerdings in der Levy-Entscheidung durch die beiden Voten der Richter Dawson und McHugh etwas aufgeweicht.486 Sie interpretierten die Rechtsnatur der in Lange konsolidierten Freiheit als eine klassische Freiheit des common law, die von der Verfassung nur geschützt werde, also nicht als in der Verfassung enthaltene Freiheit. Inwieweit sich diese von Lange abweichende Ansicht über die Rechtsnatur auswirken wird, ist schwer zu sagen,487 es spricht aber vieles dafür, daß die beiden Richter lediglich ihre Standpunkte nochmals bekräftigen, nicht aber die rechtliche Diskussion neu entfachen wollten. Offen bleibt bei dieser Interpretation in jedem Fall, wie es überhaupt möglich sein soll, daß eine common /aw-Freiheit eine nach der Verfassung bestehende Kompe485 Vgl. Böckenförde E., Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, 1529 (1531). 486 Siehe oben S. 120f. Ebenso die Voten der beiden Richter im Kruger-Fall, oben S. 124. 487 Zumal Richter Dawson inzwischen das Gericht verlassen hat.

9 Pittrof

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

tenz beschränken kann. Denn die common law-Freiheit als einfaches Recht steht im Rang unter dem Verfassungsrecht und kann daher eine Verfassungsvorschrift nicht beschränken,488 es sei denn, sie wäre ebenfalls in der Verfassung enthalten- und sei es durch Implikation -, aber dann wäre sie eben von Verfassungsrang und nicht mehr die Freiheit des common law.4B9 Die Tatsache, daß es sich bei der Kommunikationsfreiheit nur um eine implizierte Freiheit handelt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es um eine verfassungsrechtliche Freiheit geht. Sie erhält diesen Rang durch die Ableitung aus verschiedenen Verfassungsvorschriften und den daraus hervorgehenden Minimalanforderungen der Verfassung für das Regierungssystem. Dieser Verfassungsrang schließt ein, daß sie nicht durch einfaches Gesetz abgeschafft oder inhaltlich verändert werden kann, sondern ausschließlich über den Weg der Verfassungsänderung nach Art.l28 der australischen Verfassung, wobei die inhaltliche Feinabstimmung natürlich über die Auslegung durch den High Court erfolgt. Die Rechtsnatur der implizierten Kommunikationsfreiheit als materielle Kompetenzbeschränkung ist der wesentliche Unterschied zu den Urteilen der Frühphase. Für Richter Murphy waren die in seinen Voten herangezogenen Freiheiten zwar auch implizierte Freiheiten. Er begriff sie jedoch als Vollrecht, d. h. als Grundrechte wie ihre geschriebenen Pendants.490 Ein weiterer Unterschied ist, daß seine Implikationen nicht streng auf der Verfassung beruhten, sondern auf übergreifenden, allgemeingültigen Prinzipien, wie beispielsweise dem einer freien Gesellschaft oder der Demokratie allgemein, ähnlich wie einige der frühen Voten von 1992 diese Möglichkeit andeuteten.49I Auch die Freiheit in Davis unterscheidet sich in der Rechtsnatur von der implizierten Kommunikationsfreiheit Ging die Freiheit in den Voten Richter Murphys weiter als die implizierte Kommunikationsfreiheit, so ist die Davis-Freiheit enger 488 Ähnlich Winterton G., The Separation of Judicial Power as an lmplied Bill of Rights, in: Lindeil G. (Hrg. ), Future Directions in Australian Constitutional Law, Essays in honour of Professor Leslie Zines, 1994, 185 (205). Selbst wenn man die Verfassung, wie es in manchen common /aw-Systemen und beispielsweise in den meisten australischen Ländern der Fall ist, nur als einfaches Gesetz, das wie jedes andere Recht auch vorn Gesetzgeber mit einfacher Mehrheit geändert werden kann, ansähe, so könnte doch das common law von Natur aus durch geschriebenes Recht, also durch Parlarnentsgesetze, abgeändert werden, so daß es als den Parlamentsgesetzen nachrangiges Recht diese nicht zugleich beschränken könnte. 489 Das gleiche dogmatische Problern stellte sich schon in der Davis-Entscheidung, siehe oben S.63. 490 A. A. wohl George Winterton. Er bezeichnet die von Richter Murphy herangezogenen Rechte als verfassungsrechtlich verbürgte common /aw-Rechte, gesteht aber die Möglichkeit einer anderen Interpretation zu, da aus den Urteilen dazu nichts hervorginge: Winterton G., Constitutionally Entrenched Comrnon Law Rights: Sacrificing Means to Ends?, in: Sarnpford C./Preston K. (Hrg. ), Interpreting Constitutions, Theories, Principles and lnstitutions, 1996, 121 (131). 491 So z. B. Richterin Gaudran in AC1V (1992) 177 CLR 106 (212).

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als jene. Sie ist nur eine common /aw-Freiheit, die zur Abwägung bei der Bestimmung des Inhalts einer Gesetzgebungskompetenz herangezogen wurde, nicht jedoch eine verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit.492 Die Fälle, die die implizierte Kommunikationsfreiheit entwickelten, gingen davon aus, daß die angegriffenen Gesetze eigentlich unter die Gesetzgebungskompetenz fielen, die Gesetzgebungsbefugnis aber durch die implizierte verfassungsrechtliche Kommunikationsfreiheit eingeschränkt und die Gesetze daher nicht von der Verfassung gedeckt waren. In der Davis-Situation hingegen war bereits fraglich, ob sich die beanstandete Vorschrift überhaupt auf die Kompetenz stützen konnte; in die im australischen Verfassungsrecht zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit eines Gesetzes zur ihm zugrundeliegenden Befugnis übliche Abwägung wurde dann die Redefreiheit des common law mit einbezogen und ihretwegen das Gesetz als zur zugrundeliegenden Befugnis unverhältnismäßig beurteilt. Die Verfassungsfreiheit ist demgegenüber stärker, da sie verfassungsrechtlich begründet ist. (b) Reichweite des Schutzbereichs Der Schutzbereich der implizierten Freiheit der Kommunikation reicht nur so weit, wie es die Verfassung erfordert, d. h. wie es nötig ist, um das repräsentative Regierungssystem, so wie es die Verfassung vorsieht, aufrecht zu erhalten. Bedeutend sind hierfür die Vorschriften über die freien Wahlen zum Repräsentantenhaus und zum Senat, die einen gewissen Grad an freier Kommunikation, aber keine volle Kommunikationsfreiheit verlangen. Die Struktur der Freiheit ist dabei so, daß es sich bei der Formulierung ,.wie es die Verfassung erfordert" nicht lediglich um eine Schranke der Freiheit handelt; diese Einschränkung betrifft vielmehr bereits ihre Existenz. Die Kommunikationsfreiheit existiert nur so weit, wie es die Verfassung verlangt und unterscheidet sich auch insofern von einem vollen Grundrecht auf Kommunikationsfreiheit. Anders als bei einem Vollgrundrecht besteht nicht zunächst ein umfassendes Recht, welches dann von konkurrierenden Schutzgütern wieder eingeschränkt wird. Vielmehr ist Ausgangspunkt zur Bestimmung der Reichweite des Schutzbereichs der Kommunikationsfreiheit die Gesetzgebungsbefugnis. Deren verfassungswidriges Überschreiten durch Beeinträchtigen des repräsentativen Regierungssystems bestimmt zugleich die Reichweite der Freiheit im Einzelfall. Statt nach der Reichweite des Schutzbereichs der Freiheit muß somit eigentlich nach der Reichweite der Gesetzgebungsbefugnis und deren Beschränkungen gefragt werden, um die Reichweite der Freiheit zu bestimmen.493 Zwar muß bei der Ermittlung der Reichweite der Gesetzgebungsbefugnis wieder das von der Verfassung postulierte Mindesterfordernis an Kommunikationsfreiheit mit einbezogen werden, so daß die australische Prüfungsreihenfols. a. Winterton G. (Anm. 490) 122. Vgl. die Erläuterung von Richter Brennan in Theophanous (1994) 182 CLR 104 (147f), oben S. 87. 492 493

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ge einen gewissen zirkulären Charakter trägt. Jedoch werden durch sie die im Vergleich zum Vollgrundrecht unterschiedlichen Prioritäten deutlich, die der Kommunikationsfreiheit nur einen minimalen Status zukommen lassen. (c) Inhaltliche Bestimmung des Schutzgutes Bis zum Erlaß des Lange-Urteils war die inhaltliche Bestimmung des Schutzgutes der Freiheit unklar. Die freiheitsbefürwortenden Richter gingen zwar alle davon aus, daß es sich mindestens um politische Diskussion handeln müsse; einige ließen aber offen, ob die Freiheit auch weitergehend Teil einer allgemeinen Äußerungsfreiheit sein könnte. 494 Durch die Lange-Entscheidung wurde das Schutzgut auf die verkürzt politisch genannte Kommunikation festgelegt. Verwendeten die einzelnen Richter anfangs noch verschiedene Ausdrücke und Definitionen, so scheint sich seit der Lange-Enscheidung bei der Terminologie nunmehr Einstimmigkeit herausgebildet zu haben. Der anfängliche Begriffswirrwarr von unter anderem "Freiheit, über die Regierungen und Regierungsinstitutionen und politische Angelegenheiten zu diskutieren,"495 "Freiheit der Kommunikation von Informationen und Meinungen über Angelegenheiten betreffend die Regierung des Bundes" ,496 "Freiheit des politischen Diskurses" ,497 "Freiheit der Kommunikation mindestens in bezug auf öffentliche und politische Diskussion",498 "Freiheit der Diskussion über politische und wirtschaftliche Angelegenheiten",499 "Freiheit der politischen Kommunikation, die der repräsentativen Regierungsform zugrundeliegt",500 "Freiheit innerhalb des Bundes von Kommunikation über Angelegenheiten betreffend das Regieren des Bundes",501 "Verfassungsrecht der Freiheit der Teilhabe, der Vereinigung und der Kommunikation in bezugauf Bundeswahlen"502, "Freiheit der politischen Kommunikation und Diskussion"503 scheint nunmehr der Formulierung "Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik"504 oder verkürzt "Freiheit der politischen Kommunikation" gewichen zu sein. Fest steht damit also, daß inhaltlich nicht jede Kommunikation durch die implizierte Freiheit geschützt ist. Welche Kommunikation jedoch genau unter die DefiniSo z.B. Richterin Gaudran in ACTV (1992) 177 CLR 106 (212), oben law S. 74. Richter Brennan in Natianwide ( 1992) 177 CLR 1 (51), oben S. 67. 496 Richter Deane und Taahey in Natianwide ( 1992) 177 CLR 1 (73), oben S. 66. 497 Richterin Gaudran in Natianwide (1992) 177 CLR I (94), oben S.67. 498 Präsident Masan inACTV (1992) 177 CLR 106 (133), oben S. 72. 499 Richter Brennan inACTV (1992) 177 CLR 106 (149), oben S. 76. 500 Richter Deane und Taohey in ACTV (1992) 177 CLR 106 (174)75, oben S. 73. 501 Richter Deane und Taahey in ACTV (1992) 177 CLR 106 (168), oben S. 73. 502 Richter McHugh in ACTV (1992) 177 CLR 106 (227), oben S. 75. 503 Richter Deane in Theaphanous (1994) 182 CLR 104 (184), oben S. 84. 504 Lange (1997) 189 CLR 520 (559), oben S.ll5. 494 495

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tion fallt, ist nach wie vor unklar und wird im Laufe der Zeit in Einzelfallen erarbeitet werden müssen. Der im Votum von Präsident Mason und Richter Toohey und Richterin Gaudron in Theophanous aufgestellte Mindestinhalt der politischen Kommunikation wurde allerdings nicht in Frage gestellt. Dieserumfaßt die Diskussion über das Verhalten, die politischen Grundsätze und die Amtstauglichkeit von Amtsinhabern und-bewerbernund anderen am öffentlichen Leben beteiligten Personen ebenso wie politische Veröffentlichungen und Ansprachen im Zusammenhang mit Wahlen. Er erschöpft sich allerdings nicht darin, sondern betrifft alle Äußerungen, die für die Entwicklung der öffentlichen Meinung auf verschiedenen Gebieten relevant ist. 505 Damit scheint klar, daß sich das Konzept der "politischen Kommunikation" nicht an Personen, die im öffentlichen und politischen Leben stehen (political figure), festmacht, sondern daß es sich inhaltlich um politische Themen handeln muß, was wiederum auch das (Amts-) Verhalten von Politikern und ähnlichen Funktionsträgern umfassen kann. Das Potential von politischer Kommunikation ist daher sehr breit, und es wird auf die Richter ankommen, wo sie die Grenzen ziehen. Die Urteile befassen sich nur mit Gegenständen, die unter die politische Kommunikationsfreiheit fallen; über die negative Seite, das was nicht unter die Freiheit fallt, gibt es nur obiter Aussagen. Im oben genannten Theophanous- Votum äußerten sich die Richter dahingehend, daß beispielsweise kommerzielle Rede sowie Kommentare eines Fernsehunterhalters in der Regel keine das Regierungssystem betreffende Aussage beinhalteten und daher keine politische Kornmunikation seien. Es wird jedoch zugestanden, daß je nach Umstand, Zusammenhang, Betonung oder Inhalt auch eigentlich unpolitische Kornmunikation zur politischen werden könne. 506 Damit ist es zwar- auch unter dem Gesichtspunkt einer zwischenzeitliehen Konsolidierung - unwahrscheinlich, daß die Freiheit der politischen Kommunikation auf kommerzielle oder ähnliche Rede ausgedehnt wird, es ist aber auch nicht völlig ausgeschlossen, daß, sollte sich eine entsprechende Fallkonstellation ergeben, die Freiheit der politischen Kommunikation auf im Grunde nicht politische Kommunikation erweitert wird, soweit das für das Verfassungssystem, also insbesondere freie Wahlen bzw. Referenda, nötig ist.507 Auch die Frage, auf welche politischen Einheiten sich die Angelegenheiten, die kommuniziert werden, inhaltlich beziehen müssen, ist noch nicht vollständig ge(1994) 182 CLR 104 (124), oben S. 80. (1994) 182 CLR 104 (123ff). 507 Einige Arbeit wird dabei vom Bundesgericht geleistet werden. 1998 entschied es in Brown and Others v. Members ofthe Classification Review Board ofthe Office of Film & Literature Classification 154 ( 1998) ALR 67, daß die Zensur einer Studentenzeitung, die eine "Anleitung zum Ladendiebstahl" veröffentlichen wollte, kein Verstoß gegen die implizierte Freiheit war. Zum einen sei dies keine politische Rede, die zum Erhalt der repräsentativen Demokratie nötig sei, mindestens jedoch sei die Freiheit durch das Klassifizierungsgesetz wirksam eingeschränkt, da es zu einem legitimen Zweck erlassen und ihm vernünftigerweise und angemessen angepaßt sei. Siehe dazu die Besprechung von Griffith G., Censorship Law in Australia: Retlections on the Rabelais Case, 10 (1999) PLR 99. 505

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klärt. Feststeht, daß jedenfalls australische bundespolitische Gegenstände darunter fallen. Die Mehrheit der Voten spricht sich wohl auch für die Einbeziehung der australischen landespolitischen Angelegenheiten aus, da eine klare Trellllung der Ebenen Bundespolitik, Landespolitik und Kommunalpolitik wegen der vielfältigen Verflechtungen in der australischen Politik, z. B. durch die Existenz der gleichen Parteien im Bundes- und Landesbereich, nicht möglich sei.508 Ob unter "politischen Angelegenheiten" ebenfalls ausländische und internationale politische Angelegenheiten zu verstehen sind, ist offen. Hier wird man zwischen ausländischen politischen Angelegenheiten, die allein die lllllenpolitik des jeweiligen Landes betreffen, und solchen ausländischen politischen Angelegenheiten, die die Beziehungen mit Australien betreffen, unterscheiden müssen, wobei letztere problemlos unter die Freiheit fallen dürften, erstere allerdings schwerlich unter die Kommunikationsfreiheit "wie vom in der australischen Verfassung vorgesehenen Regierungssystem gefordert" zu fassen sind. Aber auch hier gibt es eine Grauzone, die der High Court in Lange ausdrücklich offen gelassen hat: Hinsichtlich Neuseeland sagt das Urteil ausdrücklich, daß aufgrund der geographischen Lage, der Geschichte, sowie von Verfassungs- und Handelsvereinbarungen die Diskussion von neuseeländischen politischen Angelegenheiten oftmals die australische Politik beeinflussen oder erhellen kaiUl und so eine Ausdehnung der Freiheit auf die Diskussion neuseeländischer politischer Angelegenheiten möglich erscheint, wobei das Gericht aber die Frage im Fall explizit offenläßt.509 Es scheint so, daß immer daiUl, wellll eine Auswirkung auf die oder eine Beziehung zur australischen Politik - wellll auch nur entfernt- möglich ist, die Anwendung der ,,Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik" nicht ausgeschlossen ist, so daß hier eine latente Ausweitungsmöglichkeit auf alle politischen Gegenstände unabhängig von der betreffenden politischen Einheit besteht. Durch die Entscheidung im Levy-Fall ist geklärt, daß "Kommunikation" nicht nur gesprochenes oder geschriebenes Wort umfaßt, sondern auch die nonverbale Kommunikation wie z. B. in Bildern, Gesten, Handlungen oder Emotionen. Der terminologische Unterschied, der im Gebrauch des Begriffs der ,.Kommunikationsfreiheit" im Gegensatz zur sonst etwa üblichen Begriffen der Meinungsfreiheit, Redefreiheit oder Äußerungsfreiheit liegt, wurde offensichtlich zur Abgrenzung von der in anderen Rechtssystemen mit geschriebenen Grundrechten verwendeten Terminologie eingeführt, um so den Unterschied der Rechtsnatur zu verdeutlichen und die Möglichkeit, mit ausländischen Fällen zu argumentieren, zu begrenzen. Er wirkt sich inhaltlich auf das Schutzgut insoweit aus, als er nicht nur Meinun508 s. z.B. Lange (Anm.504) 571. Bereits inLevy mehrten sich aber wiederdie Stimmen, die eine Trennung fordern, so sprach sich z. B. Präsident Brennan obiter ausdrücklich gegen eine Ausdehnung auf die Ebene der Landespolitik aus. (1997) 189 CLR 579 (595f), oben S.119. 509 Anm. 504, 576.

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gen, sondern auch Tatsachen umfaßt und nicht nur Äußerungen, sondern auch deren passiven Empfang und die aktive Suche nach Informationen schützt, und damit weiter als der Begriff der Meinungsfreiheit ist. (d) Zeitlicher Geltungsbereich Wurde in einzelnen Voten der Anfangs- und Hochphase510 noch geäußert, daß die Freiheit, da sie sich insbesondere auf die Vorschriften über die Wahlen in der Verfassung stütze, möglicherweise nur in Zeiten des Wahlkampfes gelte, so ist mit dem Lange-Urteil nunmehr geklärt, daß die implizierte Kommunikationsfreiheit unabhängig von Wahlen, zu allen Zeiten und dauerhaft besteht, um eine effektive Information der Bürger über politische Themen zu gewährleisten.511 Der zeitliche Geltungsbereich der Freiheit der politischen Kommunikation ist also nicht auf bestimmte Perioden limitiert, sondern ist unbegrenzt. (e) Freiheitsberechtigte und Freiheitsverpflichtete Träger bzw. Berechtigte der implizierten Freiheit der politischen Kommunikation sind zunächst die australischen Staatsbürger. Ob auch Angehörige anderer Nationalitäten sich auf die Freiheit berufen können, ist bislang weitgehend ungeklärt, ebenso wie die Frage, ob nur die wahlberechtigten Bürger die Freiheit genießen. Die beiden Fälle, in denen diese Fragen angesprochen wurden- Cunliffe und Kruger, geben nur wenig Aufschluß.

In Cunliffe äußerten sich 4 der 7 Richter obiter zum ersten Thema, wobei nur einer auch Nicht-Staatsbürgern das Recht, sich auf die Freiheit zu berufen, zubilligen wollte. Die anderen unterstellten Ausländer zwar dem allgemeinen Schutz des australischen Rechts, meinten aber, die Verfassung erfordere nicht die Kommunikationsfreiheit unter Ausländern, sondern nur für das australische Bundesvolk. Etwaige Freistellungen von Ausländern, seien daher nur indirekter Natur, eine Art Rechtsreflex, die sich zwangsläufig aus der Freiheit der australischen Bürger ergäbe, die mit den Nicht-Bürgern kommunizierten. Zur Problematik der Begrenzung des Kreises der Freiheitsberechtigten aufWahlberechtigte hatten sich zwar Präsident Mason, Richter Toohey und Richterin Gaudron in Theophanous unter Berufung auf die Mehrheit in ACTV dahingehend geäußert, daß sich die Freiheit auf alle Mitglieder der Gesellschaft erstrecke, ob dies allerdings nach den Entscheidungen der Konsolidierungsphase noch aufrechterhalten werden kann, ist fraglich. 510 So z. B. Richter Dawson in ACTV (1992) 177 CLR 106 (187), oben S. 77; Richter McHugh in Theophanous (1994) 182 CLR 104 (206}, oben S.90. m Anm.504, 561.

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In Krug er wurde die Frage, ob die dort behandelte Freizügigkeit, da auch auf die Wahlvorschriften gestützt, nur für die wahlberechtigte Bevölkerung gelte, von zwei Richtern angesprochen, jedoch gegensätzlich entschieden. Richter Toohey war der Meinung, daß die Verfassung das Bundesvolk als Einheit sehe, es komme also nicht darauf an, ob der einzelne wahlberechtigt sei oder nicht. Deshalb hätten auch die Ureinwohner, die bis in die sechziger Jahre hinein nicht allgemein das Wahlrecht besaßen oder die Bewohner der Bundesterritorien, für die in der Verfassung kein Wahlrecht vorgesehen, sondern denen erst per einfachem Gesetz das Recht zur Wahl von Vertretern in das Bundesparlament zugesprochen wurde, schon von Anfang an ebenfalls die Kommunikationsfreiheit genossen.512 Richter McHugh entschied dagegen, daß die Kläger zum Zeitpunkt der der Klage zugrundeliegenden Ereignisse nicht Berechtigte der behaupteten Freiheit waren. Die Kläger hätten im damaligen Zeitpunkt weder als Territoriumsbewohner noch als Ureinwohner das Wahlrecht besessen und seien daher nicht Teil des Bundesvolkes gewesen, dem die Verfassung die implizierte Freiheit zuspreche. 513 Diese Frage bleibt also noch unentschieden und wird in weiteren Fallen geklärt werden müssen, wobei sie heute wohl nur noch in bezug auf minderjährige und daher nicht wahlberechtigte Staatsbürger auftauchen und möglicherweise weiterhin auch noch die Territoriumsbewohner betreffen könnte, deren Wahlrecht nach wie vor nicht in der Verfassung verankert ist. Unter dem in Lange betonten Gesichtspunkt, daß die Freiheit nur soweit reiche, wie die Verfassung es erfordert, könnte eine konservative Betrachtungsweise zur Ansicht gelangen, daß freie Wahlen und die damit verbundene Freiheit der politischen Kommunikation für die Territorien gerade nicht von der Verfassung gefordert werden, und damit Territoriumsbewohner die Freistellung, die die Implikation gewährt, nicht genießen können. Verpflichtete der Freiheit ist zunächst einmal die Legislative des Commonwealth und dessen Exekutive, nicht hingegen die Judikative. Inwieweit auch der Landesgesetzgeber für Landesgesetze aus der Bundesverfassung oder der jeweiligen Landesverfassung verpflichtet ist, bleibt umstritten. Jedenfalls darf er keine Gesetze erlassen, die die Bürger in der bundesrechtlichen Freiheit beschränken würden. Diese wären ansonsten nach Art. I 09 der Verfassung, der den Grundsatz "Bundesrecht bricht Landesrecht" beinhaltet, unwirksam.514

Wenn auch in einigen Meinungen nebenbei die Möglichkeit einer Verpflichtung der Judikative angesprochen wurde,515 so ist dies doch dogmatisch mit der oben dar(1997) 190 CLR 1 (92), oben S.126. Ibid. 142ff, oben S. l25. 5 14 Vgl. auch unten zum Landesrecht S. l85ff. 5 15 s. z. B. Richter McHugh in Albert Langer (1996) 186 CLR 302 (343 Fußnote 86), oben S.llO. 512 513

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gelegten Rechtsnatur der Freiheit als materielle Beschränkung der Legislativbefugnisse unvereinbar. Allerdings wurde diese Dogmatik in den Urteilen zur Drittwirkung- Theophanous, Stephens und Lange- in zweierlei Hinsicht durchbrochen. Erstens müssen nunmehr die Richter auch im richterrechtlichen common law die Vereinbarkeil mit der Verfassungsfreiheit beachten, so daß faktisch die Judikative doch gebunden ist. Die zweite Durchbrechung stellte die direkte Drittwirkung in Theophanous und Stephens dar, die Private insoweit verpflichtete, als sie auf ihr common law-Klagerecht verzichten mußten. Wie diese beiden Abweichungen dogmatisch mit der Rechtsnatur der Freiheit als Legislativbeschränkung in Einklang zu bringen sind, ist eine bislang ungeklärte Frage.

(2) Abgrenzung zu anderen Freiheiten Die politische Kommunikationsfreiheit ist die einzige Freiheit, die mehrheitlich in höchstrichterlichen Entscheidungen anerkannt wurde. Alle anderen Grundrechte, z. B. das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz wurden nur in vereinzelten Voten anerkannt. Daher ist eine Abgrenzung zu anderen Grundrechten in den Urteilen nicht erfolgt. Auch in der Literatur setzte man sich nur ganz vereinzelt mit diesem Thema auseinander. Der nachfolgende Abschnitt versucht, mögliche Berührungspunkte mit geschriebenen und ungeschriebenen Rechten darzustellen. (a) Abgrenzung zu den geschriebenen grundrechtsähnlichen Vorschriften: Berührungspunkte mit geschriebenen Verbürgungen können sich mit Art.116 (religiöse Toleranz) und Art. 92 Alt. 3 (freier zwischenstaatlicher Verkehr) ergeben. Art. 116 wurde von jeher nur eng interpretiert, so daß er nicht als Garantie von Gewissensfreiheit, als Grundlage der Kommunikationsfreiheit, angesehen werden kann.51 6 Vielmehr geht es in diesem Artikel eher um die Garantie von Religion als Institution als um die persönliche Glaubensfreiheit, so daß die implizierte Kommunikationsfreiheit Art. 116 zwar- wenn es sich um politische Themen handelt, die auch die Religion berühren- ergänzen, sich aber nicht mit ihm überschneiden kann. Eine mögliche Überschneidung der Kommunikationsfreiheit mit der Verkehrsalternative des Art. 92517 taucht zwar am Rande der erstenfree speech-Urteile auf, da die Kläger in den Fällen aus dem Jahre 1992 noch sowohl mit Art. 92 als auch mit 516 517

Oben S. 35 ff. Vgl. oben S.40.

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der ungeschriebenen Freiheit der politischen Kommunikation argumentierten. Die Frage wurde allerdings nicht gelöst, da die Richter, die die Kommunikationsfreiheit bejahten, meist nicht über die Art.-92-Frage entschieden; diejenigen, die sie ablehnten, befaßten sich konsequenterweise nicht mit einer möglichen Überschneidung. Schnittpunkte der beiden Freiheiten können auch hier naturgemäß nicht auftreten, da die Verfassung nach allgemeinem Rechtsverständnis, keine implizierte Vorschrift enthalten kann, die einer geschriebenen Vorschrift widerspricht oder ihren Geltungsbereich berührt. Dies würde den Grundsätzen expressum facit cessare tacitum und expressio unius est exclusio alterius widersprechen. Die implizierte Freiheit kann also nur soweit existieren, wie Art. 92 nicht den Bereich abdeckt. Die Richter, die das Problem ansprachen, sahen insofern keinen Verstoß, als die Freiheit, die Art. 92 gewähre, zum einen nur dann eingreife, wenn ein Gesetz die zwischenstaatliche Verkehrsfreiheit gezielt beeinträchtige, also bei Kommunikation nur dann, wenn Kommunikation zwischen den Ländern durch ein Gesetz direkt behindert würde, und zum anderen Art. 92 nicht jede Art von Kommunikation erschöpfend schützen wolle, so daß Raum für eine Implikation blieb.518 Es ist also möglich, daß die Garantie des Art. 92 und die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation nebeneinander existieren, sich in ihren unterschiedlichen Anwendungsbereichen ergänzen und beide durch ein Gesetz verletzt werden können. 519 (b) Abgrenzung zu anderen implizierten Freiheiten Mangels weiterer etablierter implizierter Freiheiten und aufgrund der nur sehr spärlich vorhandenen Äußerungen zur Möglichkeit ihrer Existenz, mutet der Versuch einer Abgrenzung eher als Spekulation als eine juristisch fundierte Analyse an. Im folgenden können daher mögliche Konstellationen lediglich angerlacht werden. Da die Freiheit der politischen Kommunikation die einzige richterlich in der Verfassung verfestigte implizierte Freiheit ist, wurde in einigen Urteilen versucht, möglichst viele Sachverhalte unter die Kommunikationsfreiheit zu fassen, auch wenn man letztere auf den ersten Blick nicht für einschlägig halten und in einem Rechtssystem mit geschriebenen Grundrechten allenfalls hilfsweise mit Kommunikationsfreiheit argumentieren würde. Dies betrifft z. B. die Cun/if.fe-Entscheidung, die in erster Linie unter die Berufsfreiheit zu klassifizieren ist, und allenfalls am Rande mit Kommunikationsfreiheit SIS Richter Brennan in Nationwide, (1992) 177 CLR 1 (53 ff), Richter Deane und Toohey, ebenda (81 ff), Richterin Gaudran in ACTV (1992) 177 CLR 106 (213). 519 Daß die Art. 92 - Freiheit und die implizierte Kommunikationsfreiheit beide verletzt sein können, findet sich explizit im Votum der Richter Deane und Toohey in Nationwide ( 1992) 177 CLR 1 (81 f).

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zu tun hat. Da fast alle Berufe irgendeine Art von Kommunikation beinhalten und damit die Berufsfreiheit betreffende Gesetze fast immer als die Kommunikationsfreiheit beeinträchtigend konstruiert werden können, läßt sich eine Abgrenzung schwer treffen. Solange in Australien keine Berufsfreiheit als Argumentationsgrundlage zur Verfügung steht, wird daher immer mit der Kommunikationsfreiheit argumentiert werden. Bezüglich der Rundfunkfreiheit treffen die Urteile keine Abgrenzung. Dies wurde vor allem am ACTV-Fall deutlich, der in Deutschland sicher auch, wenn nicht gar hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt dieser Freiheit diskutiert worden wäre. Das australische Recht unterscheidet nicht zwischen Rundfunk- und Kommunikationsfreiheit Das gleiche gilt für die Pressefreiheit, die in den beleidigungsrechtlichen Fällen Theophanous, Stephens und Lange keine Rolle spielt. Alle Fälle werden ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Kommunikationsfreiheit erläutert. Eine eigenständige Pressefreiheit existiert im australischen Verfassungsrecht nicht. Pressefreiheit besteht nur soweit, wie sie sich mit dem implizierten Recht auf politische Kommunikation deckt, nicht jedoch für die Presse als Institution. Dabei wird auch terminologisch nicht zwischen Kommunikationsfreiheit und Pressefreiheit unterschieden.520 Spekulation muß bleiben, ob die australische Verfassung eine Wissenschaftsfreiheit enthält. Eine implizierte Wissenschaftsfreiheit ist wohl in dieser Reinform nicht denkbar, da die in der Verfassung enthaltene repräsentative Demokratie dies nicht erfordert. Jedoch lassen sich Situationen konstruieren, wo sich die Wissenschaftsfreiheit mit der Freiheit der politischen Kommunikation deckt und erstere dann unter dem Namen der letzteren geschützt ist. Ein Beispiel dafür wäre ein Gesetz, das Professoren der Politikwissenschaft verbietet, Parteiprogramme in den Vorlesungen zu besprechen oder Aufsätze darüber zu schreiben. Etwas konkreter lassen sich aufgrund des Kruger-Urteils die Beziehungen zwischen der Kommunikationsfreiheit und der Freizügigkeit und der Vereinigungsfreiheit erfassen. Wenn auch nicht mehrheitlich deren Existenz bestätigt wurde, so läßt sich doch sagen, daß diese beiden Freiheiten entweder als der Kommunikationsfreiheit inzidente Freiheiten, also Unterf;ille von ihr, oder als ihr gleichstehende, aus denselben Verfassungsvorschriften abgeleitete, sie ergänzende Freiheiten zu sehen sind.521 Zur Beziehung zwischen Informationsfreiheit und Freiheit der politischen Kommunikation gibt es bislang nur eine Stimme in der Literatur. Dort wird argumentiert, daß die Entscheidungen zwar kein Recht auf Zugang zu Informationen gewährten, daß aber die Informationsfreiheit entweder als Unterfall der Kommunikationsfrei520 Im common law hingegen wird zwischenfreedom of speech undfreedom of press unterschieden. Vgl. auch Flint D., The Media and the Constitution, Upholding the Australian Constitution, Bd. 9, 1997, 209. 521 (1997) 190 CLR I (89ff [Richter Toohey], ll5ff [Richterin Gaudron]), oben S. 126f.

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heit oder als gleichberechtigt aus den gleichen Vorschriften abgeleitet gesehen werden könne, so daß auch hier sich die öffentliche Verwaltung nicht der für die repräsentative Demokratie nötigen Transparenz entziehen könne.s22 Jedenfalls hätte die Kommunikationsfreiheit aber Auswirkungen auf das in den einfachen Gesetzen zur Freedom of Information geregelte Erfordernis des "öffentlichen Interesses", da dabei nunmehr die Erfordernisse der repräsentativen Demokratie beachtet werden müßten. 523 Letzteres wurde auch in einem Urteil des Supreme Court ofWestern Australia so gesehen. 524 Weiter spricht der Zweck der Kommunikationsfreiheit als Sicherungsmittel der repräsentativen Demokratie dafür, daß sie nicht nur die Freiheit der sich äußernden Person umfaßt, sondern als Pendant dazu auch die Freiheit des Empfangers der Kommunikation, sich aktiv zu informieren. Dies wurde auch im Lange-Fall angedeutet. Das Gericht sprach hier von der "Freiheit, Informationen zu erhalten und zu verbreiten". 525 b) Einfachrechtlicher Schutz Das Fehlen einer geschriebenen verfassungsrechtlichen Verbürgung der Meinungsfreiheit wirft die Frage nach ihrem einfachrechtlichen Schutz und danach auf, ob dieser das Fehlen kompensieren könne. Einfachrechtlicher Schutz kann im angelsächsischen Rechtssystem sowohl auf common law-Ebene als auch im Gesetzesrecht erfolgen. Beide bieten jedoch in Australien keinen ausreichenden Schutz, wie im folgenden kurz dargestellt wird. aa) Schutz im common law Auf common law-Ebene existiert zwar eine Redefreiheit. Diese ist jedoch wie alle common law-Rechte nur eine Residualfreiheit, d. h. sie existiert nur so weit, wie sie nicht durch Gesetze, also beispielsweise das Beleidigungsrecht, beschränkt 522 Für diese Ansicht sprechen auch die Formulierungen von Richter Dawson und Richter McHugh in AC1Y (1992) 177 CLR 106 (187; 238), oben S. 78 und 75, sowie das Votum von Richter Dawson in Albert Langer (1996) 186 CLR 302 (324), oben S. !II, die die Kommunikationsfreiheit enger fassen und als Recht der Wähler, sich über politische Themen zu informieren, definieren. Zwar hat diese Definition nach der einstimmigen Lange-Entscheidung nicht mehr das gleiche Gewicht, die Tatsache, daß sogar die Richter, die nur eine enge Definition der Freiheit zulassen wollten, die Informationsfreiheit darunter faßten, spricht aber dafür, daß sie auch in der heutigen Definition noch enthalten ist. 523 Bayne P./Rubenstein K, Freedom of Information, ( 1994) I Aus J Admin L 107. 524 s. dazu die Besprechung von Greenleaf G., Manly v Ministry of Premier and Cabinet (WA), (1995) 2 Privacy Law and Policy Reporter 111. Richter Owen entschied, daß der/die lnformationsbeauftragte (Information Commissioner) bei Ermessensentscheidungen die Freiheit der politischen Kommunikation einbeziehen müsse. 525 Freedom to receive and disseminate information (1997) 189 CLR 520 (561).

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ist. 526 Außerdem kann sie, zumindest in der rechtlichen Theorie, aufgrundder common law-Doktrin der Parlamentssouveränität jederzeit durch ein Gesetz des Parlaments abgeschafft werden. Die Gerichte interpretieren zwar in der Regel die Gesetze dahingehend, daß man nicht davon ausgehen kann, daß das Parlament grundlegende Rechte des Bürgers abschaffen wolle. Wenn dies aber ausdrücklich in den jeweiligen Gesetzgebungsakten festgehalten ist, können sich die Gerichte dem nicht widersetzen. 527

RichterBrennanging sogar so weit zu sagen, daß es deshalb von Grund auf falsch sei zu behaupten, daß das Recht auf freie Meinungsäußerung eine grundlegende Doktrin des englischen Rechts sei.528 Ein früher Fall von 1609 (Dr. Bonham's case), der besagte, daß es gewisse common law-Rechte gebe, die so grundlegend seien, daß sie selbst das Parlament nicht außer Kraft setzen könne, konnte sich nicht durchsetzen und taucht erst in jüngster Zeit wieder vereinzelt in der Diskussion auf.529 Es macht sich zwar ein gewisser Trend bemerkbar, bei der Auslegung des common law die von Australien unterzeichneten internationalen Menschenrechtsverträge mehr einzubeziehen,530 dies hebt aber die Nachteile eines common law-Rechts hinsichtlich seiner Inferiorität gegenüber parlamentarischen Entscheidungen nicht auf. Das common /aw-Residualrecht auf Redefreiheit kann aufgrund der oben aufgezeigten Nachteile keinesfalls einem Grundrecht auf Meinungsfreiheit gleichgestellt werden. 531 526 s. z. B. Constitutional Commission, Individual and Democratic Rights, Report of the Advisory Committee to the Constitutional Commission, 1987 (insb. 15); Gaze B./Jones M., Law, Liberty and Australian Democracy, 1990, 30. Vgl. auch die Darstellung bei Koch M., Zur Einführung eines Grundrechtskataloges im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, 1991, zum englischen Recht. 527 s. z. B. Mason A., Trends in Constitutional Interpretation, 18 ( 1995) UNSWLJ 137 (147) und die Nachweise bei Douglas N., Freedom of Expression under the Australian Constitution, 16(1993) UNSWLJ 315 (317). 528 Nationwide (1992) 177 CLR I (48). 529 (1609) 8 Co Rep 107 a, abgedruckt in 77 (1907) ER 638, und (1609) 2 Brownl & Golds 255, abgedruckt in: 113 ( 1912) ER 928. Siehe dazu z. B. Smallbone D. A., Recent Suggestions of an Implied "Bill of Rights" in the Constitution, Considered As Part of A General Trend in Constitutional Interpretation, (1993) 21 Fed LR254 (263). 530 Siehe z. B. Ballina Shire Council v Ringland (1994) 33 NSWLR 680, Young v. Registrar, Court of Appeal and Another, CA (NSW) , No CA 13489 of 1993, unveröffentlicht. 531 So auch Electoral and Administrative Review Commission, Report on the Preservation and Enhancement of lndividuals' Rights and Freedoms, Brisbane, August 1993 (16). Vereinzelt wurde in einigen Voten versucht, common law-Rechte, in der Verfassung zu verankern. Vgl. Leeth v. The Commonwealth of Australia (1992) 174 CLR 455 (484-93; Richter Deane und Toohey). Zum einen hat sich dies aber nicht durchgesetzt, zum anderen befaßten sie sich nicht mit der Redefreiheit. Eine gute Kritik dieser verfassungsrechtlich verankerten common law-Rechte findet sich bei Winterton G., Constitutionally Entrenched Common Law Rights: Sacrificing Means to Ends?, in: Sampford C./Preston K. (Hrg.), Interpreting Constitutions, Theories, Principles and lnstitutions, 1996, 121.

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

bb) Schutz durch Gesetzesrecht (Statutes) Wie oben dargestellt, gibt es keinen einfachgesetzlichen Grundrechtskatalog und demzufolge auch kein einfachgesetzlich festgeschriebenes Recht auf Meinungsfreiheit. In Australien gelten zwar die englische Bill of Rights von 1688-89532 und die Magna Charta533 weiter,534 und gerade mit dem aufkommenden Grundrechtsdenken gab es in jüngerer Zeit mehrere Fälle, in denen die Kläger - allerdings erfolglos - versuchten, sich auf diese Statuten zu berufen. Zum einen verbriefen diese Gesetze aber vor allem Rechte des Parlaments gegenüber der Krone, wie die Freiheit der Rede im Parlament. 535 Zum anderen genießen sie nur den gleichen Rang wie andere Gesetze des australischen Parlaments, so daß sie jederzeit entweder explizit oder indirekt durch Erlaß eines widersprechenden Gesetzes nach dem Iex posterior-Prinzip ganz oder in Einzelteilen abgeschafft oder geändert werden können. Aufgrund ihres einfachgesetzlichen Charakters ist es diesen Statuten nicht möglich, materiell die verfassungsmäßig gewährten Gesetzgebungskompetenzen des australischen Bundes zu beschränken. Sie haben daher nicht die Wirkung eines Grundrechtskatalogs für Australien.s36 Bereits 1905 mußte dies der Rechtsanwalt Le M esurier erfahren. Er argumentierte zu einer Zeit, als starke Diskriminierung gegen Einwanderer nicht-weißer Herkunft herrschte, sehr mutig, daß das auf seine (chinesischen) Mandanten angewandte Einwanderungsbegrenzungsgesetz verfassungswidrig sei, da es u. a. gegen die Magna Charta verstoße. Der High Court hielt eine sachliche Auseinandersetzung nicht für nötig und kommentierte mit einem Satz, daß die Behauptung keiner ernsthaften Widerlegung bedürfe. 537 532 1 William & Mary, sess.2 , c. 2; abgedruckt in: Halsbury's Statutes of England, 4. Aufl., 1995, Bd. 10, 32. 533 25 Edward 1 (1297); abgedruckt in: Ha1sbury's Statutes of England, 4. Aufl., 1995, Bd.10, 14. 534 s. z. B. zur Bill ofRights: The Commonwealth and the Central Wool Committee v. The Colonial Combing, Spinning and Weaving Company Limited, (1922) 31 CLR 421 (463), R v. Murphy, ( 1986) 5 NSWLR 18 (25). Starke J.G., Durability ofthe Bill ofRights 1688 as part of Australian Law, (1991) 65 ALJ 695. Zur Magna Charta: Jago v. The Distrief Court of New South Walesand Others (1989) 168 CLR 23, Clayton v. Ralphs and Manos, (1987) 45 SASR 347. Zur erfolgten Rezeption der Magna Charta in das Bundesrecht über ihren Status als Teil des common law siehe Cast/es A. C., Australian meditations on Magna Carta [!], 63 ( 1989) ALJ 122 (124f). 535 s. z. B. Sankey v. Whitlam and Others, (1978) 142 CLR 1 (35; Richter Gibbs) so auch: Gaze B./Jones M., Law, Liberty and Australian Democracy, 1990, 61. 536 So auch Electoral and Administrative Review Commission, Anrn. 531. 537 The contention that a law of the Commonwealth is invalid because it is not in conformity with Magna Charta is not one for serious refutation. Chia Gee, Ah Kow, Chow Chee and Ong Seet v. Martin , (1906) 3 CLR 649 (653).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

143

Ein 1985 erlassener Beschluß bestätigte, daß die Gültigkeit von Gesetzen nur an der Bundesverfassung gemessen werde und Argumente mit der Magna Charta oder der englischen Bill of Rights nicht zulässig seien.sJs Natürlich gibt es in Australien ein Reihe von Gesetzen, die jeweils spezifische Grundrechte schützen, wobei vor allem die verschiedenen Antidiskriminierungsgesetze zu nennen sind.539 Auch diese unterliegen jedoch der jederzeitigen Änderbarkeit oder Abschaffung durch das Parlament, zudem fallen sie überwiegend in den Schutzbereich der Gleichheitsgarantie. Ein Gesetz, das die Redefreiheit festschreibt, gibt es nicht. Diejenigen Gesetze, die in das Gebiet der Meinungsfreiheit fallen, beschränken sie alle lediglich, wie beispielsweise die beleidigungsrechtlichen Gesetze oder die Vorschriften zur Beschränkung des Rassenhasses. Das einfache Recht kann also den mangelnden schriftlichen Grundrechtsschutz der australischen Verfassung nicht kompensieren.

3. Grenzen der Kommunikationsfreiheit a) Verfassungsrechtliche Begrenzungen

aa) Richterrechtliche Entwicklung Da die Verfassung keine ausdrückliche Vorschrift zum Schutz von Meinungsfreiheit enthält, sind auch die Grenzen der Kommunikationsfreiheit nur richterrechtlich in den Entscheidungen zum implizierten Recht auf politische Kommunikation festgelegt. Die Meinungen der einzelnen Richter unterschieden sich, wie bei der Definition des Rechts auf politische Kommunikation, auch bezüglich der Begrenzung der Kommunikationsfreiheit Die Richter verwendeten verschiedene Prüfungsmaßstäbe, die ihre weite oder enge Auffassung der Kommunikationsfreiheit reflektierten, und entwickelten erst in der Konsolidierungsphase einen gemeinsamen Nenner. (I) Begrenzung der Freiheit in der Frühphase

Ähnlich wie bei der Frage des Schutzes, so ging es auch bei der Frage nach der Beschränkung der Freiheit in der Frühphase zunächst um ein grobes Abstecken der Existenz von Grenzen und möglicher Prüfungskriterien. 538

Re Cusack (1986) 66 ALR 93 (95).

Siehe z. B. Anti-Discrimination Act, 1977 (NSW), Anti-Discrimination Act 1991 (Qld), Racial Discrimination Act, 1975 (Cth). Mit einem speziellen Bundesgesetz gegen ein Homosexuelle diskriminierendes tasmanisches Gesetz beschäftigt sich z.B. Morgan W., Protecting Human Rights or Just Passing the Buck? The Human Rights (Sexual Conduct) Bill 1994, 1 (1994) AJHR 409. 539

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

(a) Nationwide News Pty. Limited v. Wills 54D

Da nur vier Richter ihre Entscheidung in Nationwide auf die implizierte Kommunikationsfreiheit stützten, mußten auch nur sie sich zu den möglichen Beschränkungen äußern. Für Richter Deane und Richter Toohey in ihrem gemeinsamen Votum war die Implikation [... ]nicht die Implikation einer absoluten und unkontrollierten Erlaubnis, jegliches über Angelegenheiten, die sich auf die Regierung des Commonwealth beziehen, zu sagen oder zu schreiben. Es ist die Implikation einer Freiheit nach dem Gesetz einer geordneten Gesellschaft.541

Ein Gesetz, das die Kommunikation beschränke, stand ihrer Meinung nach nur dann in Einklang mit der Implikation, [... ]wenn es, im Zusammenhang mit den Standards unserer Gesellschaft betrachtet, dadurch als im öffentlichen Interesse liegend gerechtfertigt ist, daß die Kommunikationsverbote und -beschränkungen [... ] förderlich sind für die allgemeine Zugänglichkeil zu effektiven Wegen der Kommunikation in einer demokratischen Gesellschaft oder daß sie nicht über das hinausgehen, was vernüftigerweise für die Bewahrung einer geordneten Gesellschaft oder für den Schutz oder die Geltendmachung der berechtigten Ansprüche der einzelnen, friedlich und mit Würde in solch einer Gesellschaft zu leben, nötig ist.S42

Es sei unpraktisch, im vorhinein alle Kategorien der Beschränkungen festzulegen, da viel von der Art des Gesetzes abhänge. Ein Gesetz, das Kommunikation als solche betreffe, sei schwieriger zu rechtfertigen als ein Gesetz, das die Kommunikation nur inzident betreffe.543 Sie verwendeten also einen Gesetzeszweckmaßstab verbunden mit einer Notwendigkeitsprüfung. Richterin Gaudran wandte einen Inzidenzbeschränkungstest an und hielt eine Beschränkung der Freiheit des politischen Diskurses nur dann für gerechtfertigt, wenn [... ]ihr Zweck nicht der ist, Freiheit zu beschneiden, sondern innerhalb der Gesetzgebungsbefugnis ein Ziel auf eine Weise zu sichern, die, unter Einbeziehung der allgemeinen Ge540 (1992) 177 CLR I; zum Sachverhalt s.o. S. 65. 541 [. ..]not an implication of an absolute and uncontrolled licence to say or write anything at all about matters relating to the government of the Commonwealth. lt is an implication offreedom under the law of an ordered society. ( 1992) 177 CLR 1 (76). 542 [. •• } if, viewed in the context of the Standards of our society, it is justified as being in the public interestfor the reason that the prohibitions and restrictions on communication [. ..] are conducive to the overal/ availability of the effective means of such communication in a democratic society or do not go beyond what is reasonably necessary f or the preservation of an ordered society or for the protection or vindication ofthe Iegitimare c/aims ofindividuals to live peacefully and with dignity in such a society. (1992) 177 CLR 1 (77, ohne Fußnote). 543 (1992) 177 CLR 1 (76f).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

145

setze wie sie sich in bezug auf das geschriebene und gesprochene Wort entwickelt haben, dem Ziel auf vernünftige und geeignete Weise angepaßt ist. 544

Richter Brennan äußerte sich bereits ausführlich zu Beschränkungen der Freiheit, wobei er eine Gesetzeszweckprüfung verbunden mit einer Art Erforderlichkeitsprüfung postulierte. Nach unserer Verfassung ist es Sache des Parlaments, den Ausgleich zwischen dem Schutz anderer Interessen und der Freiheit, über Regierungen und politische Angelegenheiten zu diskutieren, zu bestimmen, und Sache der Gerichte, dies zu überwachen. [...] [D]ie Verfassung verbietet jede Verletzung der Freiheit, über die Regierungen und staatlichen Institutionen und politische Angelegenheiten zu diskutieren, durch die Legislative oder die Exekutive, außer bis zu dem Umfang, der nötig ist, um andere berechtigte Interessen zu schützen, und keinesfalls bis zu einem Umfang, der die Fähigkeit oder die Gelegenheit des australischen Volkes, politische Urteile zu bilden, die für die Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben nötig sind, wesentlich beeinträchtigt. [...] Bei der Überlegung, bis zu welchem Ausmaß die Diskussionsfreiheit zum Schutz anderer Interessen beschnitten werden kann, umfassen die relevanten Faktoren u. a. die Praktikabilität eines Schutzes durch weniger einschneidende Beeinträchtigung der Freiheit und das Ausmaß, bis zu dem der Schutz des anderen Interesses selbst die Fähigkeit des australischen Volkes fördert, sich seiner demokratischen Rechte und Privilegien zu erfreuen. Die Umstände, die das Ausmaß, bis zu dem die Freiheit beschnitten werden kann, beeinflussen, umfassen Dringlichkeilen der Verteidigung oder der nationalen Sicherheit und das gleichzeitige Risiko für andere Interessen, die Schutz benötigen.545

Die implizierte Freiheit stelle nicht das Strafrecht oder das common law in Frage, da diese eine angemessene Abwägung zwischen den betroffenen Interessen und der Diskussionsfreiheit träfen. 546 544 [. ..]its purpose is not to impair freedom, but to secure some end within power in a manner which, having regard to the generallaw as it has developed in relation to the written and spoken word, is reasonably and appropriately adapted to that end. ( 1992) 177 CLR I (95). 545 The balancing of the protection of other interests against the freedom to discuss governments and political matters is, under our Constitution, a matterfor the Parliament to determine andfor the Courts to supervise. [. ..] [T] he Constitution prohibits any legislative or executive infringement of the freedom to discuss governments and governmental institutions and political matters except to the extent necessary to proteer other Iegitimare interests and, in any event, not to an extent which substantially impairs the capacity of, or opportunity for, the Australian people to form the political judgments requiredfor the exercise oftheir constitutional functions. [. ..] In considering the extent to which the freedom ofdiscussion can be curtailed in protection of another interest, the material factors include the practicability of protection by a less severe curtailment of the freedom and the extent to which the protection of the other interest itself enhances the ability ofthe Australian people to enjoy their democratic rights and privileges. The circumstances which may ajfect the extent to which the freedom can be curtailed include the exigencies of defence or national security and the contemporary risk to other interests which are in need of protection. ( 1992) 177 CLR 1 (50 a. E. f). 546 (1992) 177 CLR 1 (52). 10 Pittrof

146

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

(b) Australian Capital Television Pty. Limited and Others v.

The Commonwealth of Australia541

Im ACTV-Fall nahmen alle sechs Richter, die eine Form der implizierten Kornmunikationsfreiheit befürworteten, auch zu deren Beschränkung Stellung. Präsident Mason war der Ansicht, daß die Freiheit nicht absolut sei, sondern manchmal hinter konkurrierende öffentliche Interessen zurückzutreten habe. Bei beschränkenden Gesetzen sollte man unterscheiden zwischen denen, die inhaltlich auf Gedanken und Informationen zielten, und solchen, die eine Kommunikationsart einschränkten. Bei ersteren würde eine Beschränkung auf dem Gebiet der öffentlichen Angelegenheiten und der politischen Diskussion im Regelfall als politische Zensur inakzeptabel sein. Beschränkungen letzterer Art könnten eher gerechtfertigt sein. Um dies festzustellen, müsse man eine Abwägung zwischen der Kommunikationsfreiheit und dem öffentlichen Interesse, dem die Beschränkung dient, vornehmen. 548 Die Richter Deane und Toohey vertraten einen Gesetzeszweckmaßstab verbunden mit einer Notwendigkeitsprüfung, ähnlich wie bereits inNationwide. Durch die Implikation werde keine absolute und unkontrollierte Erlaubnis erteilt, sondern die Freiheit gelte gemäß dem Recht einer geordneten und demokratischen Gesellschaft. Bei der Untersuchung, ob ein Gesetz mit der implizierten Freiheit in Konflikt stehe, müsse vor allem die Ausrichtung des angegriffenen Gesetzes untersucht werden. Ziele dieses direkt darauf ab, politische Kommunikation zu beschränken oder zu verbieten, so seien an seine Rechtfertigung viel strengere Anforderungen zu stellen als bei Gesetzen, die die Kommunikation nur als Nebeneffekt zur Erreichung eines anderen Zweckes beeinträchtigten. Für erstere führten sie die gleichen Kriterien an, die sie in Nationwide aufgestellt hatten, also eine "Notwendigkeitsprüfung".549 Richterin Gaudran meinte, die Grenzen der Freiheit würden durch die allgemeinen Gesetze bestimmt: Da die implizierte Freiheit eine ist, die wesentlich von den allgemeinen Gesetzen abhängt, sind auch ihre Schranken durch die allgemeinen Gesetze abgesteckt. Daher wird, allgemein gesprochen, das Recht, das sich entwickelt hat, um Rede zu regeln, einschließlich des Rechts Beleidigung, aufrührerische Propaganda, Blasphemie, Obszönitäten und anstößige Rede betreffend, auf die Art der Regulierung, die mit der Freiheit des politischen Diskurses in Einklang steht, hindeuten.sso (1992) 177 CLR 106; zum Sachverhalt siehe oben S. 70. (1992) 177 CLR 106 (143f). 549 (1992) 177 CLR 106 (169). 550 As the impliedfreedom is one that depends substantially on the generallaw, its Iimits are also marked out by the generallaw. Thus, in general terms, the laws which have developed to regulate speech, including the laws with respect to defamation , sedition, blasphemy, obscenity and offensive language, will indicate the kind of regulation that is consistent with the freedom ofpolitical discourse. (1992) 177 CLR 106 (217). Der mit "allgemeinen Gesetzen" wiedergegebene Ausdruck "generallaw" um faßt hier sowohl die geschriebenen Gesetze als auch das common law. 547

S4s

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Sie vertrat hier einen Geeignetheitstest, nach dem eine Regelung des politischen Diskurses unter Berufung auf eine Gesetzgebungsbefugnis nach Art. 51 der Verfassung nur dann möglich sei, wenn diese [... ] "auf vernünftige und geeignete Weise angepaßt ist," um ein Ziel innerhalb der Grenzen dieser Befugnis zu erreichen. Und was vernünftig und geeignet ist, wird natürlich zu einem großen Teil davon abhängen, ob die Regelung der Art ist, wie sie traditionell von den allgemeinen Gesetzen erlaubt wird.551

Wie Präsident Mason unterschied auch Richter McHugh zwischen Kommunikationsinhalts- und Kommunikationsartregelungen. Die zweite Kategorie sei zulässig, wenn sie ein konkurrierendes öffentliches Interesse schütze und die Beschränkung der Kommunikationsfreiheit auf das zu erreichende Ziel bezogen nicht unverhältnismäßig sei. Erstere dagegen nur, wenn es für die Beschränkung "zwingende Rechtfertigungsgründe" gebe.552 Richter Brennan sah die zulässigen Begrenzungen als abhängig von den einzelnen Kompetenztatbeständen und war der Ansicht, ein begrenzendes Gesetz müsse einem anderen berechtigten Interesse dienen und zu diesem anderen Interesse verhältnismäßig sein. Die Prüfung eines begrenzenden Gesetzes umfasse daher immer die Feststellung des Ausmaßes der Begrenzung, des Wesens des anderen Rechtsgutes und der Verhältnismäßigkeit der Begrenzung zum Interesse. Er vertrat also einen Gesetzeszwecktest in Verbindung mit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung.553

(2) Die Begrenzung der Kommunikationsfreiheit in der Hochphase Parallel zur näheren inhaltlichen Bestimmung des Schutzbereiches ging es in der Hochphase auch um die Konkretisierung des Prüfungsmaßstabes für Beschränkungen der Freiheit, wobei dies vor allem in der Cun/!ff'e-Entscheidung diskutiert wurde, während in Theophanous und Stephens die Drittwirkung der Freiheit im Vordergrund stand. Dies führte dazu, daß in der Stephens-Entscheidung keine Ausführungen zur Beschränkung der Kommunikationsfreiheit gemacht wurden.

551 [ .. . ] "reasonably and appropriately adapted" to achieve some end within the Iimits of that power. And, of course, what is reasonable and appropriate will, to a /arge extent, depend on whether the regulation is of a kind that has traditionally been permitred by the generallaw. (1992) 177 CLR 106(218). 552 Compelling justification ( 1992) 177 CLR 106 (234 f). 553 (1992) 177 CLR 106 (150f). Bei der konkreten Prüfung des angegriffenen Gesetzes anhand dieser Kriterien kam er zu dem Schluß, daß das Gesetz noch verfassungsgemäß sei. In seiner Argumentation berief er sich dabei ausführlich auf die Europäische Menschenrechtskommission, die im britischen Verbot der politischen Fernsehwerbung keinen Verstoß gegen Art. 10 EMRK sah, ibid. 154f. Vgl. X and the Association of Z v. United Kingdom ECHR, 12. Juli 1971, Yearbook ofthe European Convention on Human Rights, 1971,538.

10*

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

(a) Theophanous v. Herald & Weekly Times Ltd and Another554

Wenngleich in dieser Entscheidung die Beschränkung der Freiheit nicht im Vordergrund stand, sondern eher umgekehrt die Beschränkung des common law durch die Freiheit, so finden sich dazu doch auch hier einige die früheren Stellungnahmen bekräftigende und erläuternde Äußerungen. Im Hauptvotum vertraten Präsident Mason, Richter Toohey und Richterin Gaudran die Ansicht, zulässige begrenzende Gesetze seien über den Zweck, das Funktionieren der Verfassung sicherzustellen, zu bestimmen: Es ist natürlich richtig,[ ... ] daß Verfassungsfreiheiten nicht absolut sind.[...] [D]ie Schranken der Verfassungsfreiheiten sind über eine Bewertung dessen, was für das Funktionieren der Verfassung und ihrer Prinzipien nötig ist, zu bestimmen. [...] [D]as common law bildet einen Teil des Zusammenhangs, auf den bezogen die Frage zu entscheiden ist; die Frage ist nicht durch Bezug auf das common law allein zu entscheiden.m

Richter Deane bekräftigte den Test für eine wirksame Beschränkung, den er bereits in Nationwide aufgestellt hatte, also einen Notwendigkeitstest. Ergänzend definierte er "notwendig" im Sinne der von Lord Goff of Chievely gegebenen Definition: 556 ",nötig' in diesem Zusammenhang impliziert die Existenz eines dringenden sozialen Bedürfnisses, und daß der Eingriff in die Äußerungsfreiheit nicht mehr sein sollte, als zum verfolgten gesetzgebensehen Ziel verhältnismäßig ist."557

Weiter führte er eine Abstufung nach dem Inhalt der Kommunikation ein: Ob eine bestimmte Beschneidung der Freiheit der politischen Kommunikation oder Diskussion als in diesem begrenzten Sinne im öffentlichen Interesse liegend gerechtfertigt werden kann, wird nicht nur vom Wesen, von dem Ausmaß und der behaupteten Rechtfertigung der Beschneidung abhängen. Es mag auch zu einem bedeutenden Ausmaß vom Wesen oder der Kategorie der politischen Kommunikation oder Diskussion abhängen, die im speziellen Fall betroffen ist. Überlegungen, die zur Rechtfertigung der Verkürzung der Freiheit einiger Kategorien politischer Kommunikation oder Diskussion genügen, können eindeutig unangemessen sein, andere Kategorien zu rechtfertigen.558 554 Zum Sachverhalt siehe oben S. 78.

m lt is of course true [. ..] that constitutional freedoms are not absolute. [. ..] [T] he Iimits to

constitutional freedoms are to be determined by evaluating what is necessary for the working of the Constitution and its principles [. ..] [T]he common law formspart ofthe context by reference to which the question is tobe decided; the question is nottobe decided by reference to the common law alone. (1994) 182 CLR 104 (126f). 556 (1994) 182 CLR 104 (179). 551 'necessary' in this context implies the existence of a pressing social need, and that interference with freedom of expression should be no more than is proportionale to the Iegitimare aim pursued. (1994) 182 CLR 104 (179). Vgl. Attorney-General v Guardian Newspapers (No2), (1990) 1 AC 109 (283f) und Lingens v. Österreich 8 EHRR 407 (408). 558 Whether a particular curtailment of freedom of po/itical communication or discussion can be justified as being in the public interest in that limited sense will depend not only on the nature, extent and claimedjustification ofthe curtailment.lt may also depend, to a significant

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Richter Brennan stellte in seinem Votum zwei Kriterien für eine wirksame Beschränkung der Freiheit auf: das beschränkende Gesetz müsse für das Erreichen eines Zweckes innerhalb der Gesetzgebungskompetenz geeignet und angepaßt sein (Geeignetheitskriterium) und dürfe die Beschränkung der Freiheit lediglich inzident zur Erreichung dieses Zwecks verursachen (lnzidenzkriterium).559 Zur Lösung der Frage, was geeignet und angepaßt sei, berief er sich auf seine Ausführungen in ACTV, in denen er verlangte, daß das beschränkende Gesetz einem berechtigten Interesse dienen und zu diesem verhältnismäßig sein müsse. Dabei stellte er klar, daß "Verhältnismäßigkeit der Beschränkung zum Interesse" sowohl die Erreichung eines berechtigten Zweckes als auch den inzidenten Charakter der Beschränkung der Diskussionsfreiheit umfasse. 560 (b) Cunliffe and Another v. The Commonwealth of Australia561

In Cunliffe stand bei der Anwendung der Kommunikationsfreiheit vor allem deren Beschränkung im Vordergrund. Den Richtern bot sich Gelegenheit, ihre unterschiedlichen Definitionen der Beschränkungen ausführlich darzulegen. Bis auf Richter McHugh äußerten sich alle zum Thema Begrenzung der Freiheit. Präsident Mason betonte in Cunliffe noch einmal, daß die Kommunikationsfreiheit nicht so absolut sei, daß sie dem Parlament jegliche Befugnis verweigern würde, Kommunikation, die im Rahmen oder zum Zwecke der repräsentativen Demokratie erfolgt, zu regeln. Er wiederholte, daß ein Gesetz, das auf den Inhalt der Kommunikation abziele, einer zwingenden Rechtfertigung bedürfe. Cunliffe betreffe jedoch kein solches Gesetz. 562 Für andere Arten von Gesetzen sei ein Geeignetheilstest maßgebend: [Die] Belastung oder Beschränkung ist vertretbar, wenn sie dahingehend vernünftig ist, daß sie für die Bewahrung und Erhaltung einer geordneten Gesellschaft im System einer repräsentativen Demokratie und Regierung, deren Wirksamkeit von der Ausübung gerade dieser Freiheit abhängt, bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet und angepaßt ist. Die Konzeption einer solchen geordneten Gesellschaft umfaßt einen Rahmen von Gesetzen, die die Rechte und Interessen der Mitglieder der Gesellschaft schützen. Bei der Bestimmung, ob eine bestimmte Belastung oder Beschränkung bei vernünftiger Betrachtungsweise extent, on the nature or category ofpo/itical communication or discussion which is involved in the particular case. Considerations which may suffice to justify an abridgment of the freedom of some categories ofpolitical communication or discussion may be clearly inadequate to justify other categories. (1994) 182 CLR 104 (179). 559 (1994) 182 CLR 104 (151). 560 (1994) 182 CLR 104 (152). 561 (1994) 182 CLR 272, zum Sachverhalt siehe oben S. 94. 562 (1994) 182 CLR 272 (299).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

geeignet und angepaßt ist, ist es wichtig festzustellen, ob die Belastung oder Beschränkung unverhältnismäßig zur Erreichung dieses Zieles ist. Diese Feststellung erfordert die Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer freien Kommunikation hinsichtlich politischer Angelegenheiten und dem konkurrierenden öffentlichen Interesse, das geschützt und gefördert werden soll. [ ...]

Im Fall der Implikation, wie bei einer Verfassungsgarantie, ist [die] Frage einfach, ob die Belastung oder Beschränkung der Freiheit, nach Auffassung des Gerichts, bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet und angepaßt ist, um das betreffende berechtigte Ziel zu erreichen.563

Richter Deane betonte ebenfalls, daß die Implikation der Kommunikations- und Diskussionsfreiheit keine absolute und unkontrollierte Berechtigung bedeute, alles und jegliches im Rahmen der politischen Kommunikation sagen zu dürfen.564 Es handelt sich um eine Implikation von Freiheit unter dem Recht einer geordneten Gesellschaft. Ob ein Erlaß des Parlaments, der die Freiheit der politischen Kommunikation oder Diskussion beschneidet, mit der Verfassungsimplikation übereinstimmt, wird letztlich von einer Beurteilung des Charakters (einschließlich des Zwecks), der Funktionsweise und der Auswirkung des betreffenden Gesetzes abhängen. Es ist weder wünschenswert noch durchführbar zu versuchen, im voraus genaue Kategorien oder Ebenen von Verbot oder Kontrolle zu bestimmen, die mit der Implikation vereinbar sind. 565

Zusätzlich verwies er bestätigend auf die Ausführungen, die er und Richter Toohey zu dem Thema in Nationwide gemacht hatten. 566 Er bekräftigte, daß die Hauptverantwortlichkeit dafür, ob ein die Kommunikationsfreiheit beschneidendes Gesetz im öffentlichen Interesse erlassen werden solle, 563 [The] burden oder restriction is justifiable ifit is reasonable in thesensethat it is reasonably appropriate and adapted to the preservation or maintenance of an ordered society under a system of representative democracy and government, the efficacy of which depends upon the exercise ofthat very freedom . The conception ofsuch an ordered society embraces a framework of laws which protect the rights and interests of the members of the society. In determining whether a particular burden or restriction is reasonably appropriate and adapted, it is relevant to ascertain whether the burden or restriction is disproportionate to the attainment ofthat objective. That determination callsfor a weighing ofthe public interest infree communication as to political matters and the competing public interest sought to be protected and enhanced. [. ..] In the case of the implication, as with a constitutional guarantee, [the] question is simply whether the burden or restriction is reasonably appropriate and adapted, in the court's judgment, to the Iegitimare end in view. (1994) 182 CLR 272 (300; ohne Fußnote). s64 (1994) 182 CLR 272 (336f). 565 It is an implication offreedom under the law ofan ordered society. Whether an enactment of the Parliament which curtails freedom ofpolitical communication or discussion is consistent with the constitutional implication will ultimately depend upon an assessment of the character (including purpose), operation and effect ofthe particular law. It is neither desirable nor practicable to seek to identify in advance precise categories or Ievels ofprohibition or control which are consistent with the implication. (1994) 182 CLR 272 (337; ohne Fußnote). 566 (1994) 182 CLR 272 (337).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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beim Parlament liege. Jedoch hätten notwendigerweise die Gerichte, die von der Verfassung dazu beauftragt seien, die Gültigkeit von Bundesgesetzen zu prüfen, die letztverantwortliche Entscheidung. Diese Prüfung müsse das Gericht dabei in zwei Schritten durchführen: In einem Inzidenzbeschränkungstest müsse festgestellt werden, wie das Gesetz die Kommunikationsfreiheit betreffe- direkt oder indirekt- und davon abhängig in einer zweiten Stufe nach unterschiedlichen Tests (Geeignetheitsprüfung oder bei direkter Betroffenheit der Kommunikation eine strengere Notwendigkeitsprüfung) die Frage der Vereinbarkeil mit der Freiheit geklärt werden. [... ] [E]in Gericht muß zuerst den jeweiligen Charakter, die Funktionsweise und die Wirkung des beanstandeten Gesetzes insoweit feststellen, als irgendeine Beschneidung der Freiheit der politischen Kommunikation und Diskussion betroffen ist. Es muß sich dann einer zweiten Frage zuwenden, nämlich, ob im Lichte der Anwort auf die erste Frage, die festgestellte Beschneidung dieser Freiheit mit der Verfassungsimplikation unvereinbar und daher außerhalb der jeweiligen von Art. 51 gewährten Gesetzgebungsbefugnis oder -befugnisse ist.567

Falls die Antwort auf die erste Frage ergebe, daß die Auswirkung auf die Kornmunikationsfreiheit nur inzident und entfernt sei, sei es wahrscheinlich, daß die Antwort auf die zweite Frage negativ ausfalle. Dies könne auch dann der Fall sein, wenn eine Art von Kommunikation geregelt oder verboten werde, die nicht politischer Natur sei oder eine notwendige Zutat der politischen Kommunikation darstelle. Als Beispiel führte er dazu an: Aufstachelung oder Verabredung zur Begehung einer schweren Straftat.s6s In solchen Fällen wird eine inzidente Beschneidung der Freiheit der politischen Kommunikation und Diskussion mit der Verfassungsimplikation vereinbar sein, wenn sie vernüftigerweise als notwendig oder geeignet und dem berechtigten legislativen Ziel, das vom Parlament verfolgt wird, als angepaßt angesehen werden kann. Die Lage ist jedoch anders in einem Fall, in dem das, was in Frage steht, ein allgemeines Verbot oder eine allgemeine Regelung von Kommunikation oder Diskussion als solche ist oder wo eine Wahrscheinlichkeit besteht, daß ein Verbot oder eine Regelung einer bestimmten Art von Kommunikation oder Diskussion eine bedeutende Beschneidung der Freiheit der politischen Kommunikation und Diskussion mit sich bringt. In solch einem Fall und (a fortiori) in einem Fall, in dem das Gesetz seinem Charakter nach und was seine direkte Funktionsweise anbelangt, ein Gesetz ist, das politische Kommunikation oder Diskussion als solche verbietet oder kontrolliert, wird es schwieriger mit der Verfassungsimplikation in Einklang zu bringen sein. Das ist auch der Fall, wenn das beanstandete Gesetz eine bestimmte Klasse oder Art von Kommunikation oder Diskussion, die entweder inhärent politischer Natur oder eine notwendige Zutat der effektiven politischen Kommunikation oder Diskussion ist, verbietet oder kontrolliert. In diesen Fällen wird das Gesetz mit der Implikation nur vereinbar sein, wenn seine Beschneidung 567 [. ••] [A] court mustfirst identify the relevant character, operation and effect ofthe impugned law in so far as any curtailment of the freedom of political communication and discussion is concerned. lt must then address a second question, namely, whether, in the light of the answer to the jirst question, the identified curtailment ofthat freedom is inconsistent with the constitutional implication and therefore beyond the relevant head or heads of legislative power conferred by s.51 . (1994) 182 CLR 272 (338). 568 (1994) 182 CLR 272 (339).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

der Freiheit der politischen Kommunikation oder Diskussion, im Einklang mit den Standards unserer Gesellschaft, im öffentlichen Interesse aus dem einen oder anderen der möglichen Gründe, wie sie [... ] im Votum von Richter Toohey und mir in Nationwide News Pty Ltd identifiziert wurden, gerechtfertigt werden können. Diese möglichen Gründe sind, daß die Beschränkung der allgemeinen Zugänglichkeil effektiver Mittel der politischen Kommunikation oder Diskussion in einer demokratischen Gesellschaft förderlich ist oder daß die Beschränkung nicht über das hinaus geht, was entweder für die Bewahrung einer geordneten Gesellschaft oder für den Schutz oder die Durchsetzung der berechtigten Ansprüche von Individuen, friedlich und in Würde in einer solchen Gesellschaft zu leben, notwendig ist.569

Dabei definierte er notwendig genauso wie in Theophanous. 510 Richterin Gaudran zitierte bezüglich der Beschränkung der Kommunikationsfreiheit ihr Votum in Nationwidem und definierte nochmals den Test für eine wirksame Beschränkung der Diskussionsfreiheit [...) er ist, ob das Gesetz für den jeweiligen Zweck bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet und angepaßt ist.m

Zu den Kriterien für die Feststellung der Zweckgeeignetheil und - anpassung führte sie aus: [...] [W]enn ein Gesetz der politischen Diskussion ein direktes Verbot in einem Bereich auferlegt, in dem vorher keines existiert hat, wird man normalerweise folgern, daß es den unzulässigen Zweck der Beschneidung dieser Diskussion hat, es sei denn, man kann klar erkennen, daß es einem vorrangigen und wichtigen öffentlichen Interesse dient. Aber auch 569 In such cases, any incidental curtailment offreedom of communication and discussion will be consistent with the constitutional implication if it is reasonably capable ofbeing seen as necessary or appropriate and adapted to the Iegitimare legislative aim being pursued by the Parliament. The position is, however, different in a case where what is involved isagenerat prohibition or regulation of communication or discussion as such or where there is a likelihood that a prohibition or regulation of a particular kind of communication or discussion will in· volve a signiftcant curtailment of the freedom of political communication and discussion. In such a case and (afortiori) in a case where the law is, ofits character and as a matter ofits direct operation, a law prohibiting or controlling political communication or discussion as such, reconciliation with the constitutional principle will be more difficult. That is also the case where the impugned law prohibits or controls a particular class or type of communication or discussion which is either inherently political in its nature or is a necessary ingredient of effective political communication or discussion. In those cases, the law will be consistent with the implication only if its curtailment of the freedom of political discussion can, according to the standards of our society, be justifted in the public interest for one or other of the possible reasons identifted in[. ..] the judgment of Toohey J. and myself in Nationwide News Pty Ltd Those possible reasons are that the curtailment is conducive to the overall availability ofthe effective means of political communication and discussion in a democratic society or that the curtailment does not go beyond what is necessary either for the preservation ofan ordered society or for the protection or vindication of the Iegitimaie claims of individuals to live peacefully and with dignity in such a society. (1994) 182 CLR 272 (339). 570 Siehe oben S. 148. 571 (1994) 182 CLR 272 (387). 572 It is whether the law is reasonably appropriate and adapted to the relevant purpose. (1994) 182 CLR 272 (388).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

153

wenn es ein öffentliches Interesse dieser Art gibt, mag man immer noch zu dieser Folgerung kommen, wenn dem öffentlichen Interesse auch mit weniger einschneidenden Maßnahmen gedient werden kann. Die obigen Überlegungen deuten darauf hin, daß ein Gesetz, das politische Diskussion beschneidet, wirksam sein kann, wenn die Beschneidung nicht mehr als ein begrenztes und inzidentes Nebenprodukt eines echten Regulierungsprogrammes ist oder wenn es in einem Bereich zur Anwendung kommt, in dem Diskussion traditionellerweise wegen öffentlicher Interessen beschnitten wurde, wie zum Beispiel bei aufrührerischer Propaganda. Darüberhinaus müßte ein dringendes öffentliches Interesse nachgewiesen werden, damit das Gesetz wirksam ist.m

Richter Toohey bezog sich bei den Beschränkungen der Freiheit auf seine Voten in den anderen Urteile. Unter Anwendung der dort aufgestellten Kriterien- Einteilung nach Inzidenz- oder Direktbeschränkung und Anwendung eines Notwendigkeilsmaßstabs- hielt er aber das Gesetz für eine wirksame Beschränkung der Freiheit. 574 Zu den Kriterien einer wirksamen Beschränkung vertrat Richter Brennan einen mit einem Geeignetheilsmaßstab verbundenen lnzidenzbeschränkungstest. Ein Gesetz wird nicht von einer Befugnis gedeckt, wenn es die Beschränkung der Befugnis verletzt, es sei denn, die Verletzung ist lediglich inzident zur Erreichung eines berechtigten (das heißt nicht-verletzenden) Zwecks oder Ziels und die Vorschriften des Gesetzes sind für dieses Ziel vemüftigerweise geeignet und angepaßt (verhältnismäßig). [... ] [B]ei der Bestimmung, ob das Gesetz für die Erreichung eines berechtigten Zwecks oder Ziels bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet und ihm angepaßt und eine Verletzung lediglich inzident ist, kann das Gericht die Verhältnismäßigkeit der Mittel, die das Gesetz verwendet, um den vorausgesetzten Zweck oder das vorausgesetzte Ziel zu erreichen, untersuchen. 575 573 [ •••] [l]f a law imposes a direct prohibition on political discussion in an area where none previously existed, it will ordinarily be concluded that it has the impermissible purpose of curtailing that discussion unless it can clearly be seen to be serving some overriding and important public interest. Even if there is a public interest ofthat kind, that conclusion may still be reached if the public interest can be served by less drastic measures. The above considerations indicate that a law which curtails political discussion may be valid if the curtailment is no more than a limited and incidental by-product of a genuine regulatory scheme or if it operates in an area in which discussion has traditionally been curtailed in the public interests, as,for example, with the law ofsedition. Beyond that, some pressing public interest would have tobe shownfor the law tobe valid. (1994) 182 CLR 272 (388f). 574 (1994) 182 CLR 272 (380-384). 575 A law will not be supported by apower if it infringes the Iimitation on the power unless the infringement is merely incidental to the achievement ofa Iegitimale (that is, non-infringing) purpose or object and the provisions of the law are reasonably appropriate and adapted (proportionale) to that end. [ ...] [l]n determining whether the law is reasonably appropriate and adapted to the achieving ofa Iegitimare purpose or object and any infringement is merely incidental, the court may inquire into the proportionality ofthe means adopted by the law to achieve the postulatedpurpose or object. ( 1994) I 82 CLR 272 (324) (ohne Fußnote). In der Fußnote wies Richter Brennan wie in Theophanous daraufhin, daß seine Ausführungen zur "Verhältnismäßigkeit zwischen Beschränkung und berechtigtem Interesse" in ACTV darauf abzielten, auf die Frage aufmerksam zu machen, ob die Beschränkung lediglich inzident sei zur Zweckerreichung des Gesetzes, dessen Teil die Beschränkung ist. (1994) 182 CLR 272 (324) (Fußnote 52).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Dabei sei es wichtig, bei der Auswahl der zweckgeeigneten und -angepaßten Mittel, dem Gesetzgeber einen Entscheidungsspielraum zu lassen, denn es gebe verschiedene gesetzgebensehe Möglichkeiten, einen legitimen Zweck oder ein legitimes Ziel zu erreichen. Dies habe auch der Europäische Gerichtshoffür Menschenrechte so anerkannt.576 Obwohl Richter Dawson sich gegen die Existenz einer implizierten Kommunikationsfreiheit wandte, machte er einige generelle Ausführungen zu Freiheitsbeschränkungen: [... ] [D]ie Kommunikationsfreiheit, selbst in Form einer Verfassungsgarantie, kann nie absolut sein. Die Freiheit muß gegen konkurrierende Rechte abgewogen werden. Wo sie eine Verfassungsgarantie ist, muß dieser schwierige Prozeß vom Gericht, das die Verfassung auslegt, vorgenommen werden. Aber wo, wie in diesem Land, die Kommunikationsfreiheit nicht als Verfassungsgarantie, sondern als akzeptierter gesellschaftlicher Wert existiert, ist der Abwägungsprozeß dem Parlament anvertraut. [ ...] Das Parlament, das innerhalb seiner Befugnisse handelt, nicht die Gerichte, muß bestimmen, wo das Gleichgewicht zwischen den konkurrierenden Interessen liegen sollte. Daher ist es nicht Aufgabe des Gerichts, in diesem Zusammenhang irgendeine Lehre vernünftiger Verhältnismäßigkeit anzuwenden [ ... )577

(3) Die Konsolidierung der Begrenzung der Freiheit Die Konsolidierungsphase der implizierten Kommunikationsfreiheit brachte auch für die Begrenzungskriterien mehr Einheitlichkeit und Klarheit. Die Urteile von 1996 sind dabei nur bedingt, die Entscheidungen von 1997, insbesondere Lange, dagegen sehr hilfreich. Allerdings traten bereits in Levy wieder unterschiedliche Standpunkte zu Tage. (a) James Andrew McGinty & Others v. The State ofWestern Australia518

Da M cGinty sich nur am Rande mit der Kommunikationsfreiheit beschäftigte, ist die Entscheidung auch für die Beschränkung der Kommunikationsfreiheit lediglich (1994) 182 CLR 272 (325). F] reedom of communication, even in the form of a constitutiona/ guarantee, can never be absolute. The freedom must be balanced against competing rights. Where it is a constitutional guarantee that difficult process must be undertaken by the court which interprets the Constitution. But where, as in this country,freedom of communication exists not as a constitutional guarantee, but as an accepted value in our society, the balancing process is entrusted to the Parliament. [. ..] The Parliament, acting within its powers, not the court, must determine where the balance between competing interests should lie. Thus it is not for the court to employ any doctrine of reasonable proportionality in this context [ ...] (1994) 182 CLR 272 (363f; ohne Fußnoten). 578 (1996) 186 CLR 140; zum Sachverhalt siehe oben S.102. 576

577 [

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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bedingt aufschlußreich. Von Interesse sind die beiden abweichenden Meinungen von Richter Toohey und Richterin Gaudron. Richter Toohey gab in seinem Minderheitsvotum einen Hinweis auf die Bestimmung verfassungsmäßiger Beschränkungen. Er meinte, daß das gesetzgebensehe Ziel der Wahlgesetzgebung in McGinty, nämlich die Erleichterung der Vertretung der Bevölkerung in den spärlich besiedelten Gebieten, zwar legitim sei, daß das gesetzgeberische Mittel dazu aber außer Verhältnis stehe. Er benutzte also einen Gesetzeszwecktest in Verbindung mit einem Verhältnismäßigkeitstest, um die verfassungsmäßigen Beschränkungen der Freiheit zu bestimmen.S79 Richterin Gaudron bildete den Test für die Beschränkung der von ihr gesehenen implizierten Stimmgleichheit dem von ihr für die Freiheit der politischen Kommunikation entwickelten nach, verwendete also einen Geeignetheitsmaßstab. Für sie ist eine Abweichung von dem von ihr gesehenen verfassungsmäßigen Grundsatz der Stimmgleichheit nur dann möglich, wenn sie bei vernünftiger Betrachtungsweise als geeignetes und angepaßtes Mittel angesehen werden kann, einer Angelegenheit Rechnung zu tragen, die die effektive parlamentarische Vertretung betrifft, wie zum Beispiel Minderheitenvertretung.sso (b) Albert Langer v. The Commonwealth of Australia and Others581

In den wenigen Aussagen zu Beschränkungen im Albert Langer-Fall wurden im wesentlichen die früheren Ausführungen zur Beschränkung der Kommunikationsfreiheit bestätigt. Präsident Brennan bestätigte als Prüfungskriterien zwei Schritte: die Frage nach der Inzidenzbeschränkung der Freiheit und einen Geeignetheitstest. Wenn die Beeinträchtigung der Freiheit bei vernünftiger Betrachtungsweise als geeignet und dem Erreichen eines berechtigten gesetzgebensehen Zwecksangepaßt angesehen werden könne und die Beeinträchtigung lediglich inzident zur Erreichung dieses Zweckes sei, sei das beschränkende Gesetz wirksam. 582 Richter Toohey und Richterin Gaudron wiederholten, daß die Freiheit nicht absolut sei, und benutzten als Prüfungskriterien einen Gesetzeszwecktest in Verbindung mit einem Geeignetheitstest: [... ]es gibt nichts[ ...], was eine Folgerung rechtfertigt, daß die Freiheit dahingehend wirkt, Gesetze ungültig zu machen, die die Kommunikationsfreiheit beschneiden, wo diese Beschneidung bei vernünftiger Betrachtungsweise als geeignet und der Förderung und Verbesserung des demokratischen Prozessesangepaßt angesehen werden kann. Und die Natur und 379 58o 581 582

(1996) 186 CLR 140 (215). (1996) 186 CLR 140 (222). (1996) 186 CLR 302; zum Sachverhalt siehe oben S. 108. (1996) 186 CLR 302 (318).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

die Quelle der Freiheit sind so, daß unserer Meinung nach die Freiheit nicht so wirkt, daß sie Gesetze dieser Art ungültig macht, obwohl es nicht oft der Fall sein wird, daß ein Gesetz, das die Freiheit der politischen Diskussion beschneidet, als geeignet und der Förderung und Verbesserung des demokratischen Systems angepaßt angesehen werden kann.m

Auch sie benutzten also wieder den Geeignetheilstest und stellten dabei heraus, daß die Freiheit keine Gesetze verbiete, die der Demokratie förderlich seien. (c) Muldowney v. The State of South Australia and Another584

Die im Zusammenhang mit Freiheitsbegrenzungen wichtigste Feststellung in Muldowney war, daß die Freiheit sich nicht gegen Gesetze richten dürfe, die die repräsentative Demokratie förderten, aus der heraus sie entstanden sei. Dadurch wurde ein spezieller Gesetzeszweck als Maßstab betont. Trotz der Tatsache, daß sie Einzelvoten abgaben, waren sich die Richter darin einig, daß die angegriffenen Vorschriften des Wahlgesetzes von Südaustralien den Zweck hatten, das Wahlsystem zu schützen, und sie damit der Förderung des repräsentativen Regierungssystems bzw. der repräsentativen Demokratie dienten. Dies müsse bei der Frage, ob ein Gesetz bzw. die Kompetenz zu dessen Erlaß von der implizierten Freiheit beschränkt werde, berücksichtigt werden. Der Zweck des Gesetzes diente also gleichsam als Schranken-Schranke, als Beschränkung der Freiheit, die ihrerseits wieder die Kompetenz beschränkte. Richter Brennan benutzte dabei den gleichen Maßstab wie schon in Albert Langer und kam zu dem Schluß, daß die Vorschriften als geeignet und angepaßt zur Erreichung des legitimen gesetzgebensehen Zweckes, den vorgeschriebenen Hauptwahlmodus zu schützen, beurteilt werden müßten.585 Richter Dawson sah den Zweck der südaustralischen Vorschrift darin, den Wahlmodus zu schützen. Er folgerte, daß die Vorschrift daher nicht gegen die Wahlvorschriften in der Verfassung verstoßen könne. 586 Richter Toohey wandte den Maßstab an, den er mit Richterin Gaudran in Albert Langer aufgestellt hatte, und kam zu dem Schluß, daß die angegriffenen Vorschrif583 [. •• ] there is nothing [ ...] to warrant a conclusion that the freedom operates to strike down laws which curtail freedom of communication, where that curtailment is reasonably capable of being viewed as appropriate and adapted to furthering or enhancing the democratic process. And the nature and the source of the freedom are such that, in our view, the freedom does not operate to strike down laws ofthat kind, although it will not often be the case that a law which curtails freedom of political discussion will be capable of being viewed as appropriate and adapted to furthering or enhancing the democratic system. (1996) 186 CLR 302 (334). 584 (1996) 186 CLR 352; zum Sachverhalt siehe oben S. 112. 585 (1996) 186 CLR 352 (366f). 586 (1996) 186 CLR 352 (370f).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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ten gedacht waren, den Demokratieprozeß zu fördern, und deshalb nach diesen Prüfungskriterien nicht verfassungswidrig seien.587 Auch Richterin Gaudron verwendete diesen Maßstab und schloß daraus, daß die Vorschriften nicht gegen die implizierte Freiheit verstößen, weil sie zur Förderung und Verbesserung des demokratischen Prozesses gedacht seien.588 Richter Gummow, dem Richter McHugh zustimmte, meinte ebenfalls, daß die effektive Ausübung des Wahlrechts zum Kern der repräsentativen Regierungsform gehöre und die angegriffenen Vorschriften diese eher unterstützten als behinderten und daher nicht als verfassungswidrig eingestuft werden könnten. 589 (d) David Russell Lange v. Australian Broadcasting Corporation590

Besonders wichtig für die Bestimmung der verfassungsmäßigen Beschränkungen der implizierten Freiheit war die Lange- Entscheidung, in der man erstmals zu gemeinsamen Prüfungskriterien fand, wodurch eine wesentliche Konsolidierung eintrat. Das Gericht betonte nochmals, daß die Freiheit nicht absolut sei. Sie sei von der Reichweite her auf das beschränkt, was für das effektive Funktionieren des von der Verfassung vorgesehenen repräsentativen Regierungssystems nötig sei. Die Freiheit wirke als eine Beschränkung der legislativen Kompetenzen, mache aber ein Gesetz, das zu einem anderen legitimen Zweck erlassen worden sei, nicht ungültig, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt seien: Die erste Voraussetzung ist, daß der Zweck des Gesetzes mit der Erhaltung des von Verfassungs wegen vorgeschriebenen Systems der repräsentativen und verantwortlichen Regierung oder dem Verfahren für die Unterbreitung eines Verfassungsänderungsvorschlages zur informierten Entscheidung des Volkes, wie es die Verfassung vorschreibt, vereinbar ist. Die zweite ist, daß das Gesetz zur Erreichung dieses legitimen Zweckes oder Zieles hinreichend geeignet und angepaßt ist.59I

Ausdrücklich wurde darauf hingewiesen, daß in den früheren Entscheidungen von den einzelnen Richtern sprachlich verschiedene Formulierungen als Prüfungsmaßstab, u. a. auch Verhältnismäßigkeit, gewählt wurden, daß es aber für die im Fall 587 (1996) 186 CLR 352 (373 f). 588 (1996) 186 CLR 352 (375- 378). 589 (1996) 186 CLR 352 (388). 590 (1997) 189 CLR 520; zum Tatbstand siehe oben S. 114. 591 The first condition isthat the object of the law is compatible with the maintenance of the constitutionally prescribed system of representative and responsible government or the procedure for submitring a proposed amendment to the Constitution to the informed decision of the people which the Constitution prescribes. The second isthat the law is reasonably appropriate and adapted to achieving that Iegitimaie object or end. ( 1997) 189 CLR 520 (561 a. E. f).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

aufgeworfenen Fragen nicht nötig sei, auf die Unterschiede der Konzepte einzugehen592 und der Unterschied oft vernachlässigbar sei. 593 Nach diesen einheitlichen Prüfungskriterien muß ein Gesetz also im Grunde, um die Freiheit der politischen Kommunikation wirksam zu beschränken, drei Voraussetzungen erfüllen, die sich in folgende Fragen als Prüfungsmaßstab zusammenfassen lassen: 1. Liegt dem Gesetz ein legitimer Zweck, also nicht der der Beschneidung der Kommunikationsfreiheit zu Grunde? 2. Ist der Zweck des Gesetzes mit dem von der Verfassung vorgegebenen parlamentarischen System vereinbar bzw. soll er diesem dienen? 3. Ist das Gesetz für diesen Zweck bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet und ihm angepaßt? Sind diese drei Voraussetzungen erfüllt, so ist das Gesetz trotz Beschneidung der Kommunikationsfreiheit nicht unwirksam. Vorfrage zu diesem Test ist selbstverständlich, ob das Gesetz effektiv den Schutzbereich der Freiheit der Kommunikation über Regierungs- oder politische Angelegenheiten, sei es durch seinen Wortlaut, seine Funktionsweise oder durch seine Wirkung, betrifft. Erst dann greift der oben genannte Test überhaupt. 594 (e) Laurence Nathan Levy v. The State ofVictoria and Others595

Auf dem Gebiet der Bestimmung der Prüfungskriterien für die Verfassungsmäßigkeit von freiheitsbeschränkenden Gesetzen stellt Levy eine Verfestigung von Lange dar, wenn auch in einigen Voten der Versuch unternommen wurde, durch die Interpretation der Prüfungskriterien, die in Lange offengelassene Frage der Vereinbarkeil der unterschiedlichen früheren Kriterien, in die eigene Richtung zu beantworten. (a) Anwendung der Lange-Regel Präsident Brennan wiederholte in seinem Votum die in Lange aufgestellten Testkriterien dahingehend, daß ein Gesetz, das Kommunikation aus einem legitimen Grund verbiete, der nicht in der Unterdrückung der politischen Aussage liege, von der implizierten Freiheit unberührt bleibe, wenn das Verbot für die Erfüllung dieses (1997) 189 CLR 520 (562). (1997) 189 CLR 520 (567, Fn272). 594 (1997) 189 CLR 520 (567). 595 (1997) 189 CLR 579; zum Sachverhalt siehe oben S. 119; vgl. auch die Besprechung von Stone A., Case Note: Lange, Levy and the Direction ofthe Freedom ofPolitical Communication under the Australian Constitution, 21 (1998) UNSWLJ 117 (130ft). 592

s93

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

159

Zwecks geeignet und angepaßt sei. Anders als in den USA liege die Entscheidung, ob die Mittel zur Erfüllung des Zweckes erforderlich sind, aber beim Gesetzgeber und das Gericht beurteile nicht, ob auch ein geringeres Mittel ausgereicht hätte.596 Die Richter Toohey und Gummow wandten den Lange-Maßstab an und erklärten das Gesetz danach für mit der Freiheit vereinbar. Die angegriffene Verordnung habe nicht die Beschneidung der Kommunikationsfreiheit zum direkten Ziel. Die Beschränkung der Freiheit gehe nicht weiter als bei vernünftiger Betrachtungsweise notwendig, um der öffentlichen Sicherheit gerecht zu werden. Sie sei für das Ziel bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet und angepaßt und deshalb nicht verfassungswidrig.597 Richter McHugh wandte den Lange- Prüfungsmaßstab an und kam dabei zu dem Schluß, daß die Vorschriften verfassungsmäßig seien. Obwohl er geneigt war anzuerkennen, daß eine der Vorschriften sehr pauschal gefaßt war, und es vielleicht auch möglich gewesen wäre, eine Lösung zu finden, die das Betreten der Jagdzonen erlaubt und trotzdem die Sicherheit gewährleistet, gesteht er der Exekutive zu, daß es durchaus möglich sei, sich auf den Standpunkt zu stellen, die getroffene Maßnahme sei die einzig wirksame für die Sicherheit beider Seiten und die Maßnahme damit dem Zweck bei vernünftiger Betrachtungsweise angepaßt.598 Wie Richter Brennan erkennt er daher keine Erfordernisprüfung an, sondern überläßt die politische Entscheidung der Exekutive. Richter Kirby faßte einige Prinzipien aus den früheren High Court- Entscheidungen zusammen. Er betonte, wie schon in früheren Voten am NSW Court of Appeal,599 daß wo immer möglich die Maßstäbe des internationalen Rechts berücksichtigt werden sollten. Auch er hielt es für nötig, eine Unterscheidung zwischen Gesetzen, die auf die Kommunikationsfreiheit nur inzident einwirken, und solchen, die direkt auf sie abzielen, zu treffen. Dann stellte er fest, daß sowohl der Maßstab der Geeignetheil und des Angepaßtseins an ein legitimes Ziel als auch der Maßstab der Verhältnismäßigkeit zwischen der Beeinträchtigung, die das Gesetz auferlegt, und dem legitimen Interesse, dem es dienen soll, als Richtlinie für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes dienen können, und obwohl der Verhältnismäßigkeitstest manchmal kritisiert würde, sei er von wachsendem Einfluß auf das australische Recht. Schließlich war für ihn der anzuwendende Test aber der Maßstab in Lange, nach welchem er die Verordnung als verfassungsgemäß einstufte.600 (1997) 189 CLR 579 (597ft). (1997) 189 CLR 579 (610f; 613f). 598 (1997) 189 CLR 579 (627). 599 Siehe z. B. Young v. Registrar, Court of Appeal and Another, CA (NSW), No CA 13489 of 1993, unveröffentlicht. 600 (1997) 189 CLR 579 (644ff). 596

S91

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1. Kap.: Die Rechtslage in Austra1ien

(ß) Andere Maßstäbe

Richterin Gaudron erinnerte zuerst an die von ihr in Nationwide aufgestellten Kriterien, nach denen ein Gesetz dann nicht unwirksam sei, wenn sein Zweck nicht darin liege, die Kommunikation zu beeinträchtigen, sondern ein Ziel im Rahmen der Kompetenz in einer Weise zu sichern, die unter Berücksichtigung des allgemeinen Rechts, wie es sich in bezug auf das geschriebene und gesprochene Wort entwickelt hat, vernünftiger- und geeigneterweise diesem Ziel angepaßt sei.601 Dem stellte sie einen Maßstab gegenüber, wie er manchmal zur Bestimmung des Zwecks oder Charakters eines Gesetzes angewandt wird, und den Präsident Brennan in Albert Langer verwendete. Nach diesem sei ein Gesetz verfassungskonform, wenn es bei vernünftiger Betrachtungsweise möglich sei, die Beeinträchtigung der Freiheit für das Erreichen eines legitimen gesetzgebefischen Zwecks als geeignet und angepaßt zu sehen, und die Beeinträchtigung lediglich inzident zur Erreichung dieses Zwecks sei.602 Danach wies sie auf die in ACTV von einigen getroffene Unterscheidung zwischen Gesetzen, die direkt auf eine Beschneidung der Kommunikationsfreiheit zielen, und solchen, die eine Beeinträchtigung nur inzident beinhalten, hin,603 um schließlich den von ihr in Kruger propagierten Maßstab anzuwenden.604 Danach variiere letzterer je nach dem Zweck des Gesetzes. Wenn der Zweck die Beschränkung der Kommunikationsfreiheit sei, sei das Gesetz nur dann wirksam, wenn es zur Erreichung eines vorrangigen öffentlichen Zweckes notwendig sei. Habe das Gesetz einen anderen Zweck innerhalb einer Kompetenz des Gesetzgebers und beschränke es die Kommunikationsfreiheit nur inzident, sei es gültig, wenn es für diesen anderen Zweck bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet und angepaßt sei. Sie unterschied sodann zwischen den einzelnen Regelungen der Vorschrift und gelangte zu dem Schluß, daß eine der Vorschriften zwar in die erste Kategorie falle, die öffentliche Sicherheit aber ein überragendes Interesse sei, und die anderen Vorschriften nach dem zweiten Test wirksam seien.605 Im Ergebnis wandte sie daher nicht den Lange- Maßstab, sondern ihren eigenen an, wobei dieser insbesondere in der zweiten Stufe dem ersteren weitgehend entsprach. Richter Dawson stellte seine Prüfungskriterien neben die aus Lange. Da die Freiheit nicht absolut sei und daher das Gericht nicht wie bei absoluten Freiheitsgarantien diese mit anderen Interessen abwägen müsse, sei die vom Gericht zu beantwortende Frage, ob das angegriffene Gesetz das Abhalten von Wahlen, wie sie von der Verfassung vorgesehen seien, verhindere. Es sei auch möglich, den Prüfungsmaß(1997) 189 CLR 579 (618), Nationwide (1992) 177 CLR 1 (95) zitierend. (1997) 189 CLR 579 (618), Albert Langer (1996) 186 CLR 302 (318) zitierend. 603 (1997) 189 CLR 579 (618f). 604 Siehe unten S. 162. 605 (1997) 189 CLR 579 (619f). 601

602

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

161

stab aus Lange zu benutzen, vorausgesetzt man bedenke, daß es letztlich um die Frage nach der Vereinbarkeit mit den Wahlen gehe, wie sie die Verfassung fordere. Freie Wahlen bedeuteten nicht völlige Abwesenheit von Regulierungen, solche seien notwendig, um freie Wahlen durchführen zu können. Außerdem müßten Wahlen im Rahmen einer geordneten Gesellschaft stattfinden und Verordnungen, die darauf zielten, diese Ordnung herzustellen oder zu erhalten, seien nicht unvereinbar mit den von der Verfassung gedachten Wahlen. Mit anderen Worten hieße dies, daß die Kommunikationsfreiheit, die die Verfassung schütze, eine Freiheit sei, die im richtigen Verhältnis zu vernünftigen Regelungen im Interesse einer geordneten Gesellschaft stehe. Die angegriffene Verordnung erfülle dieses Kriterium und sei deshalb nicht unwirksam; auch unter Anwendung des Prüfungsmaßstabes in Lange käme man zu keinem anderen Ergebnis. 606 Im Grunde kehrte Richter Dawson damit zu seinem früheren engen Standpunkt zurück. Ohne Lange für falsch zu erklären, wandte er den dort aufgestellten Maßstab einfach nicht an. (f) Alec Krugerand Others v. The Commonwealth of Austra/ia6fn

Auch im Bereich der Grenzen von implizierten Freiheiten bot Kruger in den abweichenden Voten einige interessante Überlegungen. Wegen des Spannungsverhältnisses zwischen der umfangreichen Befugnis des Commonwealth, zum Regieren des Nordterritoriums Gesetze zu erlassen, und der implizierten Freiheit der politischen Kommunikation, die auch Freizügigkeit verlange, befürwortete Richter Toohey, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die angegriffenen Vorschriften dürften nicht unverhältnismäßig zu dem sein, was für den Schutz und die Bewahrung der Ureinwohner bei vernünftiger Betrachtungsweise nötig war.608 Richterin Gaudron betonte wie in den früheren Fällen, daß weder die Freiheit der politischen Kommunikation noch die Freiheit der Vereinigung oder die Freizügigkeit absolut seien. Offensichtlich müssen sie gültigen Gesetzen des Bundes in Bereichen, die eindeutig Beschränkungen der Freizügigkeit und Vereinigung umfassen, weichen, wie es sicherlich der Fall zum Beispiel bei Art. 51 (vi) ist, der Befugnis für Gesetze bezüglich der Verteidigung verleiht, Art. 51 (ix), der Befugnis für Gesetze betreffend die Quarantäne verleiht, und Art. 51 (xix), soweit er sich mit Ausländern befaßt. Es ist genauso offensichtlich, daß die Freiheit der Vereinigung und die Freizügigkeit den gerichtlichen Beschlüssen zur Inhaftie606

607 60s

(1997) 189 CLR 579 (607- 609). (1997) 190 CLR 1, zum Sachverhalt siehe oben S. 122. (1997) 190 CLR 1 (92).

II Pinrof

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l. Kap.: Die Rechtslage in Australien

rung von Personen, die für eine strafbare Handlung verurteilt wurden, nachgeben müssen. Das so zu festzustellen heißt nicht, die Grenzen dieser Freiheiten abzustecken: es dient einfach dazu aufzuzeigen, daß sie nicht absolut sind.609

Die Prüfungskriterien für die Freizügigkeit und Vereinigungsfreiheit seien die gleichen wie bei der Freiheit der politischen Kommunikation, die von diesen Freiheiten ergänzt werde. Man müsse zuerst feststellen, welchen Zweck das Gesetz verfolge. Dies müsse unter bezugauf dessen Natur, Wirkung sowie die Fakten, die es behandele, geschehen. Ein Gesetz, dessen so herausgearbeiteter Zweck in einem Verbot oder einer Beschränkung der politischen Kommunikation bestünde, die sich direkt dahingehend auswirkt, die Diskussion von politischen Angelegenheiten zu verhindem oder zu beschneiden, sei nur dann gültig, wenn es einem vorrangigen öffentlichen Zweck diene, wie beispielsweise der Unterbindung krimineller Verschwörungen, oder ein dringendes soziales Bedürfnis erfülle, wie z. B. die Unterbindung von aufrührerischer Propaganda. Ob ein Gesetz für einen derartigen Zweck notwendig sei, hänge davon ab, ob es noch verhältnismäßig im Hinblick auf den verfolgten legitimen Zweck sei, was wiederum davon abhänge, ob weniger drastische Maßnahmen zur Verfügung stünden.610 Habe das Gesetz jedoch keinen Zweck, der mit der Diskussion von politischen Angelegenheiten zusammenhänge, sondern berühre es die Freiheit der politischen Kommunikation nur inzident, dann sei es wirksam, wenn es für einen legitimen Zweck, der im Zusammenhang mit diesem anderen Thema steht, bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet und angepaßt oder, was das gleiche ist, zu ihm verhältnismäßig ist.611

Richterin Gaudron setzte damit zum ersten Mal uneingeschränkt und direkt den in den implied rights-Fällen verwendeten Prüfungsmaßstab der Geeignetheit dem der Verhältnismäßigkeit gleich, was eine mögliche Annäherung bei den Prüfungskriterien andeuten könnte. Trotz der gleichen Prüfungskriterien bei den Freiheiten der Kommunikation und der Vereinigung und Freizügigkeit könnten die Überlegungen, die bei den Abwä609 Obviously, they must yield to valid laws of the Commonwealth on topics which clearly camprehend restrictions on movement and association, as is certainly the case, for example, with s.51 (vi) which authorises laws with respect to defence, s.51 (ix) which authorises laws with respect to quarantine and s.51 (xix) , sofaras it is concerned with aliens. lt is equally obvious that freedom of association and freedom of movement must yield to court orders for the detention ofpersons in custody upon convictionfor criminal offences. So to state is not to mark out the boundaries ofthese freedoms: it is simply to illustrate that they arenot absolute. (1997) 190 CLR 1 (121). 610 (1997) 190 CLR 1 (128). 611 [ .. .] if it is reasonably appropriate and adapted or, which is the same thing, proportionute to some Iegitimare purpose connected with that other subject matter. (1997) 190 CLR 1 (128).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

163

gungsvorgängen mit einflössen, ihrer Meinung nach aber durchaus verschieden sein. So könne es vorkommen, daß die Beschränkungsmöglichkeiten für die Freizügigkeit und Assoziierungsfreiheit enger seien, als die für die Freiheit der politischen Kommunikation. Denn nicht jede Beschränkung von Kommunikation sei auch eine Beschränkung der Kommunikation politischer Ideen, aber jede Beschränkung der Freiheit, sich in der Gesellschaft zu bewegen und sich mit den Mitbürgern zu vereinen, beschränke notwendigerweise die Gelegenheit, Informationen und Ideen betreffend politischer Angelegenheiten zu erhalten und zu verbreiten. 612 bb) Zusammenfassende Definition Als Vorfrage zum Versuch, die Grenzen der implizierten Kommunikationsfreiheit zu definieren, ist zunächst die Frage der Reichweite des Schutzbereiches der Freiheit der politischen Kommunikation ("wie es die Verfassung erfordert") von der Frage der Beschränkung der Freiheit zu unterscheiden.613 Während erstere die Existenz der Freiheit und ihren Inhalt bestimmt, also die Frage beinhaltet, welche Kommunikation für das effektive Funktionieren des repräsentativen Regierungsystems, so wie von der Verfassung vorgesehen, erforderlich ist und damit den Schutzbereich der Freiheit betrifft, befaßt sich die zweite mit den Schranken der Freiheit nach deutschem Verständnis. Weiter muß man bei der Definition der Beschränkungen der Freiheit im Auge behalten, daß die Freiheit selbst bereits eine Beschränkung (der Kompetenz des Gesetzgebers) ist und daher ihre Beschränkung nach deutschem Konzept eher eine Schranken-Schranke ist, was sich aber auf die Bestimmung der Prüfungskriterien für ihre wirksame Beschränkung zunächst nicht auswirkt. Ähnlich wie bei der Definition der Freiheit der politischen Kommunikation, die zunächst unterschiedlich beispielsweise "politische Diskussion" oder "politischer Diskurs", benannt wurde, so waren sich die Richter auch beim Maßstab für wirksame Beschränkungen der Freiheit zunächst nur darin einig, daß die Freiheit nicht absolut sei und Schranken vorhanden sein müßten. Auch hier stellte sich mit der Lange-Entscheidung dann eine wichtige Konsolidierung ein. Wahrend anfangs einige Voten, insbesondere die von Richterin Gaudran einen Anklang an die Weimarer Republik dahingehend zu haben schienen, daß die Kornmunikationsfreiheit nur soweit galt, wie sie nicht durch die allgemeinen Gesetze, wie Beleidigungsrecht, Aufstachelung zum Verrat etc. beschränkt war, andere eine Unterscheidung zwischen die Freiheit direkt beschneidenden Gesetzen und solchen, die die Freiheit nur inzident begrenzten, trafen und vor allem Richter Brennan einen Verhältnismäßigkeilstest befürwortete und dem Gesetzgeber einen Entscheidungs612 613

II*

(1997) 190 CLR 1 (126f; 128f). Dazu siehe oben S. 13l.

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

spielraumgeben wollte,614 so betonte man in Lange, daß sich die Prüfungsansätze gar nicht wesentlich unterschieden und einigte sich dann auf den Lange-Test. Daher ist nunmehr folgende Lange-Regel als maßgebendes Prüfungskriterium anzusehen: Ein in den Schutzbereich der Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik, so wie von der Verfassung gefordert, fallendes Gesetz ist dennoch wirksam, wenn 1. das Gesetz a) ein legitimes Ziel verfolgt, das b) nicht auf die Beschneidung der genannten Freiheit gerichtet und c) mit dem von Verfassungs wegen vorgegebenen repräsentativen Regierungssystem vereinbar ist, und 2. wenn es zur Erreichung dieses legitimen Gesetzeszweckes bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet und ihr angepaßt ist. Im Grunde beinhaltet die zweite Voraussetzung eine Art Verhältnismäßigkeitsprüfung im weiteren Sinn, wenn auch erst Richterin Gaudran in der Kruger-Entscheidung die beiden Maßstäbe gleichsetzte.615 Aufgrund der uneinheitlichen Anwendung der Lange-Kriterien im Levy-Urteil ist jedoch nicht sicher, daß der Lange-Maßstab in Richtung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung weiterentwickelt wird. Grundsätzlich aber kann man von dem einheitlichen Maßstab als Test für die wirksame Beschränkung der Kommunikationsfreiheit ausgehen. b) Grenzen im einfachen Recht Auch bei den Beschränkungen der Freiheit ist im einfachen Recht wieder zwischen dem common /aw und dem Gesetzesrecht zu unterscheiden. Im common law, wo zwar eine Redefreiheit existiert, gibt es keine klar umrissenen Kriterien zur Bestimmung von Beschränkungen, denn diese sind völlig flexibel. Da die common-/aw-Redefreiheit nur eine Residualfreiheit ist, bestimmt der Gesetzgeber durch den Erlaß von beeinträchtigenden Gesetzen, wo die Schranken der Freiheit liegen. Sie sind daher immer im Fluß und können- abgesehen von den jetzt verfassungsrechtlich bestehenden Grenzen- auch bis zur faktisch völligen Aufhebung des Rechts gehen. Man sollte daher in diesem Zusammenhang eigentlich nicht von Schranken sprechen, sondern eher von der Definition der Reichweite und der 614 Für eine Kritik speziell arn von Richter Brennan zugestandenen Entscheidungsspielraum siehe Iones T. H., Comment, Legislative Discretion and Freedom of Political Communication, (1995) 6 PLR 103. 615 (1997) 190 CLR 1 (128), oben S. 162. Angedeutet auch schon im Votum von Richter Brennan in Cunliffe (1994) 182 CLR 272 (324), siehe oben S. l53.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Existenz der Redefreiheit durch begrenzende Gesetze, da dies eher der Ebene, die in der deutschen Grundrechtsdogmatik als Schutzbereich bezeichnet wird, entspricht. Für das Gesetzesrecht sind, da keine die Meinungsfreiheit schützende Vorschrift existiert, natürlicherweise auch keine Schranken bestimmt. Es existieren jedoch selbstverständlich zahlreiche Gesetze, die beschränkend auf die Meinungsäußerung wirken, so z. B. das kodifizierte Beleidigungsrecht oder Gesetze zum Schutz gegen rassistische Äußerungen. Diese enthalten jedoch keine Kriterien zur Bestimmung von allgemeinen Beschränkungen.

4. Schranken-Schranken? Bei den Schranken-Schranken stellt sich zunächst die Frage, ob sie überhaupt mit der gleichen Bedeutung wie in Deutschland existieren. In den Fällen wird eine Überprüfung anhand von Schranken-Schranken nicht vorgenommen, und zumindest in den frühen Fällen hat man den Eindruck, daß die Freiheit ähnlich wie die Grundrechte in der Weimarer Republik nach den einfachen Gesetzen galt. 616 Man könnte zwar aus dem Lange-Maßstab das Erfordernis des bei vernünftiger Betrachtungsweise Geeignetseins für und Angepaßtseins an den Gesetzeszweck als Schranken-Schranke herauslösen. Da keines der Urteile eine dreigeteilte Prüfung im Sinne von Schutz, Schranken, Schranken-Schranken vornimmt, sondern beide Teile des Prüfungsmaßstabes als gleichwertige Voraussetzungen für eine Beschränkung der Freiheit sieht und nicht den zweiten Teil als Limitierung der Schranken, wäre dies aber gekünstelt. Eine Schranken-Schranke im deutschen Sinne existiert daher nicht wirklich. In Übereinstimmung mit der Tatsache, daß die Kommunikationsfreiheit nur eine Minimalfreiheit darstellt, erfolgt keine Abwägung zwischen der Kommunikationsfreiheit auf der einen und anderen Verfassungswerten auf der anderen Seite. Im Sinne der oben postulierten "australischen Wechselwirkungslehre"617 könnte man jedoch die wirksamen Beschränkungen der Freiheit als Schranken-Schranke für die Gesetzgebungskompetenz ansehen. Das hieße dann, die Gesetzgebungskompetenz fände ihre Schranke in der Kommunikationsfreiheit Als Schranken-Schranke dienen Gesetze, die mit dem Lange-Maßstab übereinstimmen, denn die Kommunikationsfreiheit kann nicht soweit gehen, daß sie andere legitime, der von der Verfassung geforderten repräsentativen Demokratie dienende Gesetze verhindert.

61 6 617

Vgl. das Votum von Richterin Gaudron in ACTV oben S. 146. Siehe S. 129.

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

B. Kritik an der Rechtsfortbildung des High Court Aufgrund der Tragweite derfree-speech- Urteile desHigh Court und vor dem Hintergrund der australischen Einstellung zur Bill of Rights ist es nicht verwunderlich, daß durch diese Entscheidungen eine sehr kontrovers und teilweise erbittert geführte Diskussion entbrannte, bewirkte doch die neue Rechtsprechung eine vollständige Kehrtwende im Grundrechtsbereich. In der Literatur überboten sich die Verfasser und Verfasserinnen, in der Anzahl der Artikel, und es fand sich kaum eine juristische Zeitschrift, die keinen Beitrag zum Thema veröffentlichte. Die Kritik entsprach in ihrer Intensität den Phasen der Entwicklung der implizierten Freiheit, wobei erwartungsgemäß um die Drittwirkung der Freiheit in der Hochphase, nach dem Erlaß der Entscheidungen in Theophanous, Stephens und Cunliffe, am heftigsten gerungen wurde. Aber bereits am Anfang, zusätzlich aufgerüttelt durch eine Rede von Richter Toohey, in der er kurz nach Erlaß der Entscheidungen von 1992 von der Möglichkeit eines sich mit der Zeit richterrechtlich entwickelnden implizierten Grundrechtskatalogs sprach,618 "fegte ein politischer Sturm über den High Court hinweg."6 19 Der durch die Rechtsprechung des High Court bewirkte Verfassungswandel auf dem Gebiet der "Grundrechte" und der grundlegenden Verfassungsprinzipien hatte Fragen in den verschiedensten Bereichen aufgeworfen. Die Kritik rührte daher aus den unterschiedlichsten verfassungsdogmatischen, theoretischen, politischen und philosophischen Richtungen620 und reflektierte vielfach die divergierenden Ansätze der High-Court-Richter, denen- bis zur Lange-Entscheidung-trotz oft ähnlichen Ergebnisses die einheitliche Begründung der implizierten Freiheit schwerfiel.621 Diese Uneinigkeit der Richter in den Urteilen, was die Existenz, die genaue Definition, den Umfang, die Grenzen und die Rechtsnatur der Freiheit der politischen 618 Abgedruckt in: Virtue B., The end of Democracy?, 27 (Nr. 10), Aus Law News, Nov 1992, 7 ( 10). Eine erweiterte Version erschien etwas später: Toohey J., A Government of Laws and Not of Men?, (1993) 4 PLR 158 (170). Interessanterweise, wurde diese Aussicht auf eine richterlich geschaffene Bill of Rights dann als Argument für die Einführung von geschriebenen Grundrechtsgarantien benutzt, da durch einen schriftlich fixierten Grundrechtskatalog den Gerichten wenigstens gewisse Grenzen gezogen würden; vgl. Alston P., An Australian Bill of Rights: By Design or Default?, in: ders. (Hrg.), Towards an Australian Bill of Rights, Canberra, 1994, l. Bogen D. vergleicht in seinem Aufsatz Comparing Implied and Express Constitutional Freedoms, 2 (1995) JCULR , 190 die Vor- und Nachteile von geschriebenen und ungeschriebenen Grundrechtsgarantien. 619 A political storm broke over the High Court[. .. ]; Virtue B., The end of Democracy?, 27 (Nr.lO), Aus Law News, Nov 1992, 7. 620 Die verschiedenen Theorien sind zusammengefaSt bei Sampford Ch./Preston K., Introduction, in: dies. (Hrg.), lnterpreting Constitutions, Theories, Principles and Institutions, 1996, l. 621 Williams G. stellt in seinem Artikel ,,Engineers is Dead, Long Live the Engineers!", ( 1995) 17 Syd LR 62, die unterschiedlichen Standpunkte der Richter in den Fallen von 1994 anhand der unterschiedlichen Auffassungen der Richter zur Rolle des Gerichts und zur Verfassungsinterpretation dar.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Kommunikation betraf, förderte die kritischen Stimmen. Die Literatur war ebenso gespalten wie das Gericht selbst, vor allem in der Hochphase. Inzwischen ist- auch durch die Konsolidierung in Lange- die Hauptwoge abgeklungen, hat sich der "Tumult"622 einigermaßen gelegt und wird zumindest eine minimale Freiheit der politischen Kommunikation, wenn auch nicht enthusiastisch, so doch als datum hingenommen.

1. Argumente gegen die Rechtsprechung des High Court Im Mittelpunkt der Kritik stand vor allem die Vorgehensweise des High Court und der durch die Entscheidungen bewirkte VerfassungswandeL Mit dem Ergebnis selbst war man nicht immer unzufrieden, sondern befürwortete es nicht selten sogar. 623 Viele Argumente ähnelten denen, die der Einführung einer Bill of Rights entgegengesetzt wurden, also insbesondere die Behauptung, daß der High Court in den Urteilen Gesetzgebungsbefugnisse des Parlaments an sich gerissen hätte.624 Die Kritiker störte dabei die "Anmaßung" der Richter, die bei der Herleitung der Implikationen aus zugrundeliegenden Verfassungsprinzipien ihre persönlichen Wertvorstellungen entgegen dem Gedanken der Parlamentssouveränität in undemokratischer Weise über die des gewählten Parlaments gestellt hätten.625 Das nicht gewählte Gericht sei nicht das richtige Forum für die Abwägung zwischen verschiedenen öffentlichen Interessen, sondern Rechtspolitik sei Aufgabe des demokratisch legitimierten Parlaments.626 622 Williams G ., Civil Liberties and the Constitution- A Question of Interpretation, ( 1994) 5 PLR 82 (85). 623 So z. B.: Blackshield T., No Very Enthusiastic Belief, paper presented at a Symposion at Macquarie University, Sydney, 1995; siehe auch ders., The Implied Freedom of Communication, in: Lindeil G. (Hrg.), Future Directions in Australian Constitutional Law, Essays in honour of Professor Leslie Zines, 1994, 232 (v. a. 267 f). Siehe auch Richardson M., Constitutional freedom of political speech in defamation law: some insights from a utilitarian-economic perspective, ( 1996) 4 Torts LJ 242, aus utilitaristischer Sicht. 624 Siehe z. B. Callinan 1., An Over-Mighty Court?, Upholding the Australian Constitution, Bd.4, 1994,81. 625 Zines L., The High Court and the Constitution, 4. Auflage, 1997,421 ff; Lindeil G.J., Recent Developments in the Judicial Interpretation of the Australian Constitution, in: Lindeil G. (Hrg.), Future Directions in Australian Constitutional Law, Essays in honour of Professor Leslie Zines, 1994, 1 (38); Lane P. H., The Changing RoJe of the High Court, 70 (1996) ALJ 246. 626 Ein früher, sehr umfaßender Artikel zum Themajudicial activism vs. judicial restraint ist: Douglas N., Freedom ofExpression under the Australian Constitution, 16 (1993) UNSWLJ 315. Siehe auch z. B.: Kennett G., Individual Rights, the High Court and the Constitution, 19 (1994) Melb Univ LR58l (insb.609ff), Craven G., Reflections on Judicial Activism: More in Sorrow than in Anger, Upholding the Australian Constitution, Bd. 9, 1997, 187. Tucker D., Representation-Reinforcing Review: Arguments about Political Advertising in Australia and the United States, (1994) 16 Syd LR274, kritisiert die Orientierung am amerikanischen Modell, und meint, es sei undemokratisch, die Entscheidung des gewählten Parlaments für ein Modell der Säuberung des politischen Systems richterlich nicht zu respektieren, da die Schlüsselverantwortung zum Schutz der Kommunikationsfreiheit eben beim Parlament liege.

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Jedenfalls aber sei eine Verfassungsänderung, was das Implizieren von Grundrechten letztlich darstelle bzw. wohin es sich im Laufe der Zeit entwickeln werde, sollte es sich in der Verfassungsrechtsprechung behaupten, gemäß Art. l28 der Verfassung Sache des Volkes und nicht des High Court.627 Obwohl er die Entscheidungen des High Court im wesentlichen für richtig hielt und die Entwicklung im Grunde befürwortete, warnte Leslie Zines vor Grundrechten, die lediglich auf "fundamentalen Prinzipien" beruhten, da sie eine weitreichende Übertragung der Kompetenzen des Gesetzgebers auf das Gericht bedeuteten, was im übrigen auch vom Verfassungsgeber so nicht gewollt war.62S Er fürchtete, daß die Implikation von Rechten, v. a. des Gleichheitsgrundsatzes, sich zur "richterlichen Zensur" (judicial censorship) entwickeln könnte, weil jedes Gesetz irgendwie diskriminiere und deshalb die Richter unter Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz praktisch jedes Gesetz nach Belieben zu Fall bringen könnten. 629

George Winterton sprach sich zwar nicht generell gegen implizierte Verfassungsrechte aus, solange sie sich tatsächlich auf das stützten, was in der Verfassung stehe. Implikationen seien dann zulässig, wenn sie sich eng am Verfassungstext und -aufbau orientierten. Er warnte aber ausdrücklich vor Implikationen aus der Natur der Gesellschaft oder aus grundlegenden common-law-Prinzipien, da sonst die Richter ihre eigenen politischen Philosophien in der Verfassung entdecken könnten. Richter sollten am Fall entscheiden und keine übergreifenden Prinzipien entwerfen. Die Verfassungslehre dürfe auch dann nicht geopfert werden, wenn die dabei entstehenden Grundrechte noch so vorteilhaft seien.630 Verwandt mit der oben erwähnten Berufung auf die Parlamentssouveränität ist die häufig zu findende Argumentation mit dem common law, dem die Doktrin der Parlamentssouveränität entspringt. Immer wieder finden sich Stellen, in denen das common law als sichererer Grundrechtsschutz bzw. mindestens als sichereres Gebiet der Rechtsfortbildung beschworen wird. 631Auch Kommentatoren, die der High 627 Goldsworthy J., The High Court, Implied Rights and Constitutional Change, 39 (März 1995) Quadrant 46 (insbesondere 51 ff); Winterton G., TheSeparation of Judicial Power as an Implied Bill of Rights, in: Lindeil G. (Hrg.), Future Directions in Australian Constitutional Law, Essays in honour of Professor Leslie Zines, 1994, 185 (207). 628 Zines L., A Judicially Created Bill of Rights?, (1994) 16 Syd LR 166 (179). S. a. ders., The Entrenchment of Individual and Democratic Rights, in: Constitutional Change in the Commonwealth, The Commonwealth Lectures delivered at the University of Cambridge on 8, 15, 22. November 1988,33 (v.a.51 f). 629 Zines L. (Anm. 625) 422, vgl. auch Anm. 693. 6Jo Winterton G. (Anm. 627) 206 ff; vgl. auch ders., Constitutionally Entrenched Common Law Rights: Sacrificing Means to Ends?, in: Sampford Ch./Preston K. (Hrg.), Interpreting Constitutions, Theories, Principles and lnstitutions, 1996, 121. 631 Vgl. z.B. Tucker D.F.B., Natural Law or Common Law: Human Rights in Australia, in: Galligan B./Sampford Ch. (Hrg.), Rethinking Human Rights, 1997, 120.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Court-Entwicklung und der Rede von Richter Toohey nicht abgeneigt gegenüber stehen, weisen doch in aller Länge auf die Nachteile der Implikationen, beispielsweise deren Unsicherheit oder Grenzen im Vergleich mit der im 17. Jahrhundert aufgestellten Doktrin der common law-Grenzen der Legislativkompetenzen hin, die man wiederbeleben sollte. 632

Nach den Entscheidungen von 1994 empörten sich die Kritiker insbesondere über die "Konstitutionalisierung" des einfachen Rechts, d. h. vor allem des common law, und die Drittwirkung der implizierten Freiheit.633 Es wurde als unerhört empfunden, daß sich das common law dem Verfassungsrecht beugen müsse und, daß das Verfassungsrecht durch den neuen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrund gegen Beleidigungsklagen dem einzelnen quasi ein Abwehrrecht gegen eine private Klage verschaffe.634 Im Kreuzfeuer verschiedener theoretischer Richtungen standen ferner die Auslegungsmethoden des High Court.635 Die Verfechter eines strengen Legalismus kritisierten das Sich-Entfernen des High Court vom Verfassungstext und damit vom Konstitutionalismus,636 die Intentionalisten das Abweichen vom erklärten Willen der Verfassungsväter, die sich ausdrücklich gegen die Aufnahme von Grundrechten in die Verfassung entschieden hätten.637 Tom Campbell wandte sich aus rechtspositivistischer Sicht gegen die Entscheidungen. Menschenrechte müßten, um effektiv zu sein, positiviert und demokratisch (durch das Parlament) festgelegt werden. Die Tatsache, daß der High Court eine Ermessenskompetenz für sich in Anspruch nehme, Gesetze, die, wie z. B. das Wahlwerbungsgesetz, zur Förderung der Demokratie gedacht waren, aufgrund ungeschriebener Menschenrechte zu Fall zu bringen, sei ein Affront gegen die positivi632 Smallbone D. A., Recent Suggestions of an Implied "Bill of Rights" in the Constitution, Considered As Part of A General Trend in Constitutional Interpretation, ( 1993) 21 Fed LR 254 (insb. 267- 269). Die Lehre, die sich aber nie durchsetzen konnte, besagte, daß es gewisse common /aw-Rechte gebe, die wegen ihres grundlegenden Charakters selbst das Parlament nicht außer Kraft setzen könne. 633 Interessanterweise wird in Kanada von einigen eine genau gegenläufige Ansicht vertreten, beispielsweise beklagt Ross J ., The Common Law of Defamalion Fails to Enter the Age of the Charter, 35 (1996) Alb LR 117, daß die kanadische Charter ofRights and Freedoms noch nicht auf das common law ausgedehnt wurde. 634 Gefallen hat die Theophanous-Entscheidung dagegen in Südafrika gefunden, wo sich einige Urteile auf sie stützten. Siehe z. B. Holomisa v Argus Newspapers Ltd, 1996(2) SA 588 mit Anmerkung von Davis D., 12 (1996) SAJHR 328 und Du Plessis and Others v. De Klerk and Another, 1996(3) SA850. 635 Einen Überblick über die verschiedenen Theorien zur Verfassungsauslegung gibt M ason A., The Interpretation of a Constitution in a Modem Liberal Democracy, in: Sampford C./Preston K. (Hrg. ), Interpreting Constitutions, Theories, Principles and Institutions, 1996, 13 ( 14 ff). 636 Aroney N ., Freedom of Speech in the Constitution, 1998 (v. a. Kap. 4 und 5); ders., A Seductive Plausibility: Freedom of Speech in the Constitution 18 (2) 1995 UQldU 249. 637 Siehe z. B. Goldsworthy J., The High Court, Implied Rights and Constitutional Change, 39 (March 1995) Quadrant 46.

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

stischen Ideale und ein Schritt weg vom Rechtsstaat. Man müsse den demokratischen Zweck der Gesetze mehr berücksichtigen, bevor man sie mit Hilfe von Grundrechten für ungültig erkläre.638 Rechtskritisch meinte Andrew Fraser, 639 der High Court hätte sich ein falsches Verständnis von Freiheit zu eigen gemacht: Die Entscheidung in ACTV beachte die in der Gesellschaft existierende finanzielle und wirtschaftliche Ungleichheit nicht und ermögliche es so einigen wenigen Wohlhabenden, die öffentliche und politische Diskussion gegenüber anderen Gruppen zu dominieren.640 Das Supremat der Krone sei nicht durch die Souveränität des Volkes, sondern durch die des korporativen Wohlfahrtsstaates und seiner Strukturen, die u. a. von Massenmedien abhängen, ersetzt worden.641

Eine Untersuchung von Jeffrey Goldsworthy unter sprachphilosophischen Gesichtspunkten kam zu dem Schluß, daß danach die von den Richtern gegebene Begründung für eine Implikation von Grundfreiheiten in die Verfassung nicht zu rechtfertigen sei. Bei lmplikationen müsse die Absicht des Autors, hier also der Verfassungsväter, mit einbezogen werden; diese spräche aber gerade dagegen. Sei die "ursprüngliche Absicht" (original intent) gegen eine Implikation, so sei diese nicht zulässig. Bei rechtlichen Texten seien echte lmplikationen immer nur das, was durch das Dokument impliziert sei und nicht das, was in es hinein impliziert werde. Genau letzteres aber habe das Gericht gemacht. Dies sei keine echte, sondern kreative Auslegung, was eine beachtliche Machtverschiebung vom Gesetzgeber zu den Richtern bedeute.642 Es sei sehr unwahrscheinlich, daß die Verfassungsväter die "Konstitutionalisierung" weiter Teile des materiellen Rechts betreffend die Massenmedien, Beleidigung etc. beabsichtigt hätten.643 Mit der Mißachtung dieser "Autorenabsicht" habe der High Court die Auslegungsregeln nach sprachphilosophischen Prinzipien verletzt. Gerade Richter sollten aber die Verfassungszwänge, die ihnen auferlegt seien, genau beachten; denn wie könnten sie dies sonst von den anderen Zweigen der Staatsgewalt erwarten.644 Zu ähnlichem Ergebnis kam der Autor auch in einer weiteren Abhandlung, in der er einige implied rights-Fälle mit Hilfe eines "gemäßigten Originalismus" (moderate originalism), also einer Lehre die zwischen der extremen Ausrichtung am ursprünglichen Text und der völligen Leugnung seiner Relevanz liegt, testete. Auch 638 Campbell T., Democracy, Human Rights, and Positive Law, (1994) 16 Syd LR 195 (v. a. 209t). 639 Fraser A., False Hopes: Implied Rights and Popular Sovereignty in the Australian Constitution (1994) 16 Syd LR213 (215). 640 lbid. 224 ff. 641 lbid.227. 642 Goldsworthy J., Implications in Language, Law and the Constitution, in: Lindeil G. (Hrg.), Future Directions in Austra1ian Constitutional Law, Essays in honour of Professor Leslie Zines, 1994, 150 (v.a. 162- 184). 643 lbid. 182. 644 lbid. 184.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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einer Analyse von diesem Standpunkt aus hielten die Fälle nach Meinung der Untersuchung nicht stand, da die Auslegung der Vorschriften, an denen die implizierten Rechte festgemacht wurden, nicht mit der ursprünglich beabsichtigten Bedeutung des Verfassungstextes übereinstimmte. 645

2. Argumente für die Rechtsprechung des High Court Trotz aller negativen Kritik und Empörung gab es auch Unterstützung für die Entwicklung auf dem Gebiet der Grundfreiheiten. Es hieß, eigentlich müßten die meisten Mitglieder der Öffentlichkeit in Schutt und Asche gehen, da nicht gewählte High Court-Richter ihr Recht auf freie politische Rede wieder hergestellt hätten, eine Freiheit, deren Wegnahme sie von vomherein nicht hätten zulassen dürfen.646 Das australische Volk sollte mehr um den Verlust der Individualrechte als Folge von Regierungs- und Parlamentshandeln besorgt sein, als um das Aufrechterhalten dieser Grundrechte durch den High Court durch Nichtigerklärung von Gesetzgebungsakten.647 Es handele sich eher um einen Sturm im Teeglas, als um das Ende der parlamentarischen Demokratie in Australien.648 Man verteidigte die neue Rechtsprechung gegen den Vorwurf, sie sei Undernokratisch und meinte, sie sei im Gegenteil sogar unabdingbarer Teil der Demokratie: Michael Detmold, Befürworter des "neuen Verfassungsrechts" (new constitutionallaw),649 in dem nunmehr eine Verlagerung des Schwerpunkts von den klassischen Beziehungen der staatlichen Organe zu den Beziehungen der einzelnen mit dem Staat stattfinde, begrüßte die "kreative Rechtsprechung" des High Court und gab zu bedenken, daß man diese nicht mit judikativer Gesetzgebung, die notwendigerweise auch kreativ sei, verwechseln dürfe. Bereits im "Besitzen einer Verfassung" lägen bestimmte lmplikationen, so z. B. das gleichwertige "Besitzen der Verfassung" aller Bürger.650 Die Tatsache, daß implizierte Rechte ungeschrieben seien, sei ein unschätzbarer Vorteil, da man nicht durch den Wortlaut eines geschriebenen Grundrechtskatalogs eingeengt sei und so an jedem Einzelfall, ganz legalistisch, das Recht entwickelt werden könne.6s1 Goldsworthy J., Originalism in Constitutional Interpretation, 25 (1997) Fed LR l. Hollings L., zitiert in An Implied Bill ofRights, APC News, Bd.4 Nr.4, November 1992, 1. 647 The people ofAustralia should be more concerned at the loss of individual rights as a result of government and parliamentary action than at the upholding ofthose rights by the High Court through the overturning of /egislation. Meadows R. zitiert in: Virtue B., The end of Democracy?, 27 (Nr. 10), Aus Law News, Nov 1992, 7 (12). 648 Virtue B., The end of Democracy?, 27 (Nr. 10), Aus Law News, Nov 1992, 7. 649 Detmold M.J., The New Constitutional Law, (1994), 16 Syd LR228. 650 lbid. 228 f. 651 lbid. 248 f. 645

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I. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Michael Coper hielt die Kritik für überzogen und gab zu bedenken, daß Demokratie nicht lediglich "Wille der gesetzgebensehen Mehrheit" bedeute, sondern daß in der Existenz eines föderalistischen Systems bereits eine Verwässerung dieses Gedanken angelegt sei und Demokratie genauso wie die Herrschaft der Mehrheit auch den Schutz der Minderheiten, um die Demokratie zu erhalten, erfordere. Das Gericht solle zwar zurückhaltend sein, wenn es Gesetze des gewählten Parlaments außer Kraft setze, wenn dies aber gerade der Demokratie förderlich sei, wie in den ersten beiden Fällen zur Kommunikationsfreiheit, spräche vieles für die Entscheidungen des Gerichts.652 Zur Problematik des Verfassungswandels durch die Richter vorbei am Volk nahm er eine vermittelnde Position ein: Es liege im Wesen des juristischen Verfahrens, daß die Auslegung der Verfassung auch eine Entwicklung und damit Änderung bedeute. Die Möglichkeit einer direkten Verfassungsänderung nach Art. 128 der Verfassung solle als "Sicherheitsventil" betrachtet werden, das den Richtern gerade ermögliche, die Rolle als Fortentwickler auszufüllen. Sie sei mit der demokratischen Idee vereinbar, indem sie eben nicht letztlich die Zuständigkeit für Verfassungsänderungen beim Gericht belasse, sondern diese Bürde dem Volk übertrage und den High Court dadurch von dieser Verantwortung freistelle. 653 Leighton McDonald sah diefree speech-Fälle als Chance für die Entwicklung zu einer demokratischeren Gesellschaft und Verfassung, da die Entscheidungen das Volk mehr in den Vordergrund gestellt hätten, was einen wichtigen Paradigmenwechsel im Verfassungsrecht darstelle.654 Dem starken Mißtrauen gegenüber der Justiz, was die Fähigkeit, über Prinzipien zu entscheiden, anbelangt,655 standen auch Stimmen gegenüber, die dafür plädierten, daß die dritte Gewalt für den Schutz der Grundrechte notwendig und für die Demokratie nicht schädlich, sondern erforderlich sei. Immerhin sei [d]er richterliche Zweig der Staatsgewalt [...] noch deram wenigsten gefahrliehe bezogen auf die politischen Rechte der Gemeinschaft und der konstanteste Beschützer dieser Rechte.M6 652 Coper M., The High Court and Free Speech: Visions of Democracy or Delusions of Grandeur?, (1994) 16 Syd LR 185 (v.a.190f; 193). Vgl. auchMason A., The Interpretation of a Constitution in a Modem Liberal Democracy, in: Sampford C./Preston K. (Hrg.), Interpreting Constitutions, Theories, Principles and Institutions, 1996, 13 (23). 653 Coper M., The People and the Judges: Constitutional Referendumsand Judicial Interpretation, in: Lee H.P./Winterton G. (Hrg.), Australian Constitutional Perspectives, 1992,73 (v. a. 87- 89). 654 McDonald L., The Denizens of Democracy: The High Court and the Free speech cases, (1994) 5 PLR 160 (198). 655 Als "weniger dramatische Alternative" wurde, um nicht den Richtern die Entscheidung überlassen zu müssen, z. B. ein parlamentarischer Ausschuß, der Gesetze auf ihre Grundrechtsfestigkeit prüft, vorgeschlagen. Campbell T., Democracy, Human Rights, and Positive Law, (1994) 16 Syd LR 195 (211). 656 [t]he judicial branch of government [is] still the least dangeraus branch to the political rights of the community and the most constant protector of those rights [ ...] Brennan G., Courts, Democracy and the Law, (1991) 65 ALJ 32 (42). Siehe auch Sampford C./Preston K.,

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Auch die Nachteile der Parlamentssouveränität und die Notwendigkeit einer Kontrolle des Parlaments, insbesondere da das Parlament heute weitgehend von der Exekutive abhängig ist, werden offener anerkannt.657 George Williams beklagte, daß die Verfassung bislang kein wirksames Mittel dargestellt habe, die Grundrechte der Australier zu schützen, was er im wesentlichen der wörtlichen (Iitera/) Auslegungsmethode des High Court zuschrieb. Es sei zur Bewahrung der australischen Demokratie wünschenswert und notwendig, daß die für sie unerläßlichen Grundfreiheiten mehr in die Verfassungsrechtsprechung einbezogen würden. Dabei dürfe das Gericht natürlich nicht vom Verfassungstext abweichen und auf freie Prinzipien zurückgreifen, da es sonst Legitimationsprobleme hätte. Beriefe man sich bei Entscheidungen aber auf dem Verfassungssystem zugrundeliegende Freiheiten, so sei dies kein Abweichen von der Verfassung. Man gehe lediglich von einer grundrechtsfeindlichen wörtlichen Auslegungsmethode (literalism) ab. Die beiden erstenfree speech-Fälle seien ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung hin zu grundrechtsfreundlicheren Auslegungsmethoden gewesen. Weitere Schritte seien aber erforderlich, was die Identifizierung und die Anwendung von Grundwerten in der Verfassung betreffe. 658 Wie er hielten viele die Kritik an der Argumentationslinie des Gerichts für unberechtigt. Die Begründungen des High Court hinsichtlich der Implikation der freien Rede seien von den herkömmlichen Auslegungsmethoden gedeckt. Das Parlament garantiere keineswegs immer den besseren Schutz von Grundrechten, vielmehr müßten alle Zweige der Staatsgewalt zusammenwirken. Das Gericht spiele in einem föderal strukturierten System notwendigerweise den Schiedsrichter. Das Parlament sei von der australischen Verfassung geschaffen und habe daher nur begrenzte Kompetenzen. Die Reichweite dieser begrenzten Kompetenzen würde in der Realität eben vom High Court bestimmt, so daß es keine Anmaßung sei, wenn das oberste Gericht ein Gesetz des Parlaments zu Fall bringe.659 Auch der frühere Präsident des High Court, Sir Anthony Mason, verteidigte die neue Ausrichtung bei der Verfassungsinterpretation nach seiner Pensionierung als bloße Fortsetzung einer Entwicklung. Er legte dar, daß die Richter des common law schon immer Recht gesetzt, und die High Court-Richter daher im Einklang mit dieser Rechtstradition gehandelt hätten.660 lntroduction, in: dies. (Hrg.), Interpreting Constitutions, Theories, Principles and Institutions, 1996, 1 (12; vgl. 10). 657 Vgl. Galligan B., Parliamentary Responsihle Govemment and the Protection of Rights, (1993) 4 PLR 100 (102; 104). 658 Williams G., Civil Liberties and the Constitution- A Question of Interpretation, ( 1994) 5 PLR 82. 659 Lee H. P., The Australian High Court and Implied Fundamental Guarantees, 1993 P. L., 606 (v. a. 626-629). 660 Mason A., Trends in Constitutional Interpretation, 18 (1995) UNSWU 237. Zur Rechtsetzung durch die Richter im common law auch der jetztige Richter am High Court Kirby M.,

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I. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Mit der Auslegung der Verfassung im Sinne des Legalismus bzw. Intentionalismus befaßte sich Michael Stokes. Er widerlegte dabei die Behauptung, daß die Auslegung anhand der ursprünglichen Intention der Verfassungsgeber die einzige objektive Grundlage der Verfassungsinterpretation sei und schlug als Alternative vor, die Verfassung als Verpflichtung auf das Regieren in Übereinstimmung mit bestimmten Werten wie z. B. repräsentative Demokratie, Föderalismus, zu sehen. Die Urteile seien vor diesem Hintergrund gerechtfertigt und zu begrüßen. 661 Michael Detmold vertrat, daß eine Verfassung, anders als die Gegner behaupteten, dynamisch ausgelegt werden müsse, was nicht hieße, daß geschichtliche Gegebenheiten und Intentionen völlig außer acht gelassen werden könnten. Wichtig sei, daß man die Bewegung der Verfassung nicht aus den Augen verliere und sie nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte festschreibe. 662

Auch auf sprachphilosphischer Ebene hielt man implikationsfreundliche Argumente dagegen. Es müsse auch ein anderer Kontext als nur die Absicht des Sprechers oder Autors einbezogen werden. Außerdem könne man bei Verfassungen gar keinen Sprecher feststellen. Wenn damit die geschriebenen Vorschriften der Verfassung nicht an die "ursprüngliche Absicht" gebunden seien, so müsse dies auch für die ungeschriebenen Teile der Verfassung gelten. Die meisten der vom High Court gefundenen lmplikationen seien aus sprachphilosophischer Sicht also zulässig.663 Im einfachen Recht, vor allem im Medienrecht, gab es ebenfalls positive Stimmen. So wurden vor allem die Entscheidungen von 1994 als Ermutigung zum verantwortlichen Journalismus begrüßt. 664 Auch einige ausländische Rechtswissenschaftler bewerteten die Entwicklung positiv und zeigten die Chancen auf, die für Australien in den Entscheidungen lägen.665

3. Verkehrte Fronten in der Kritik seit 1997 Die Entscheidungen in Lange, Levy und Kruger 1997 kehrten die Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern im wesentlichen um. Die meisten derjenigen, die What is it Really Like tobe a Justice of the High Court of Australia? 19 (1997) Syd LR514 (525 f). 661 Stokes M., Constitutiona1 Commitments not Original Intentions: Interpretation in the Freedom of Speech Cases, (1994) 16 Syd LR250 (v. a. S. 268ff). 662 Detmold M. J., Original Intentions and the Race Power, 8 (1997) PLR 244 (v. a. 245 f). 663 Donaghue St., The Clamour of Silent Constitutional Principles, 24 (1996) Fed LR 133. Eine Erwiderung auf Donaghue findet sich bei Goldsworthy J ., Constitutional Implications and Freedom ofPolitical Speech: A Reply to Stephen Donaghue, 23 (1997) Mon LR362. 664 Walker S., The Impact of the High Court's Free Speech Cases on Defamation Law, 17 (1995) Syd LR43 (v. a. 61). 665 0' Neil R., Freedom of Expression and Public Affairs in Australia on the United States: Does a Written Bill of Rights Really Matter? 22 ( 1994) Fed LR 1; vgl. Barendt E., Free Speech in Australia: A Comparative Perspective, (1994) 16 SydLR 149.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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die ersten Entscheidungen kritisiert hatten, stimmten den Urteilen jetzt zu, weil sie sich in ihrer Kritik am "Eindringen" des Verfassungsrechts in das common law durch die "Rücknahme" des verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrundes bestätigt sahen und den neugefaßten beleidigungsrechtlichen Rechtfertigungsgrund eher akzeptieren konnten.666 Auch erkannten sie die Bemühungen des High Court, die Freiheit stärker in der Verfassung zu verankern, als sich auf allgemeingültige Prinzipien zu berufen, was sicher auch auf die frühere Kritik zurückzuführen war. Das "neue Verfassungsrecht" entwickele nun den Status einer vergleichsweise reifen Jurisprudenz, die die Anwendung von akzeptierten Grundsätzen auf neue Fälle durch das Gericht beinhalte, statt der "atemlosen Hast nach der Entdeckung".667 Die Verfechter von Grundfreiheiten, die zunächst von der Entwicklung auf dem Gebiet der Freiheit der politischen Kommunikation begeistert waren, enttäuschte dagegen der "Rückzug von der starken Stellung der freien Rede,"668 den Entscheidungen von 1997 für sie darstellten. Aber auch sie erkannten an, daß der High Court im Vergleich zu früher schon "einen weiten Weg zurückgelegt hat," was die Freiheit der politischen Kommunikation in der Verfassung betrifft.669 Insgesamt kann daher nun von mehr Konsens und Akzeptanz der implizierten Freiheit der politischen Kommunikation gesprochen werden, denn zumindest die Grundlagen der Freiheit werden von Befürwortern und Gegnern akzeptiert. 670

C. Stellungnahme [...] die Zivilisation, wie wir sie kennen, ist nicht zusammengebrochen. Der High Court hat sich nicht angemaßt, auf der Grundlage von "Gleichheit" oder "einer freien Gesellschaft" Gesetzeswerk für ungültig zu erklären, obwohl einige seiner Mitglieder eine Neigung dahingehend gezeigt haben.67t

Eine ähnliche Aussage, die den Zusammenbruch der Zivilisation vorhersagt, falls das oberste Gericht des Landes ein Gesetz wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz für verfassungswidrig erklärte, wäre in Deutschland schwer denkbar und 666 s. z. B.: Kennett G., The Freedom Ride: Where to Now? 9 (1998) PLR 111, der die common law-Lösung in Lange als "vernünftiges Ergebnis" (sensible result) bezeichnete (115). 667 Breathless rush of discovery, ibid. 123. 668 Retraction from the strong free speech position, Jones M., Free Speech Revisited: The Implications of Lange & Levy, 4 ( 1997) AJHR 188. 669 Ibid. 204. 670 Beachtung hat die Lange-Entscheidung auch in England gefunden, vgl. Reynolds v. Times Newspapers Limited and Others, House of Lords, 28. Oktober 1999. 671 [. ..]civilisation as we know it has not come to an end. The High Court has not presumed to strike down legislation on the basis of 'equality' or 'a free society', although some of its members have shown an inclination to do so. Kennett G., Individual Rights, the High Court and the Constitution, 19 (1994) Melb Univ LR581 (613).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

würde wahrscheinlich als undemokratisch eingestuft. Daß in Australien genau die gegenteilige Ansicht vorherrscht, also ein solches Urteil als Demokratieverstoß gewertet würde, mag für deutsche Juristen zunächst unverständlich erscheinen und ist nur aus der Verhaftung der australischen Juristen im common law672 und insbesondere vor dem australischen verfassungsrechtlichen Hintergrund zu erklären. Die Ursache der juristischen Empörung liegt im australischen Verfassungsverständnis, bedeuteten doch die Urteile in vielfacher Weise einen grundlegenden Verfassungwandel, eine Abkehr vom früheren Iegalistischen Verfassungsdenken wenn nicht sogar vom radikalen Umdenken die Verfassungsgrundlage betreffend gesprochen werden kann. Die Entscheidungen rührten an die Wurzeln des Verfassungsverständnisses; es ging um das Essentielle, um die Grundfesten der Verfassungstheorie, deren langsamer Wandel nunmehr erstmals eine höchstrichterliche Mehrheit gefunden hatte und über die Präzedenzregel allgemeinverbindlich wurde. In vielen Bereichen bedeuteten die Urteile nicht weniger als eine völlige Umkehr gegenüber der früheren Rechtsauffassung. Dies erklärt die Sensibilität der Juristen, die aufgrund der Entscheidungen deutlich wurde, und auch warum die Urteile, statt Freudentänze auszulösen, wie man es in anderen Rechtskreisen erwartet hätte, heftigste Diskussionen hervorriefen. 673 Die erste und wichtigste Abkehr674 betrifft die vom englischen Mutterrechtssystem übernommene, historisch aus dem Kampf des Parlaments gegen den König entstandene Doktrin der Parlamentssouveränität, die vom Grundsatz her besagt, daß das demokratisch gewählte Parlament rechtlich die oberste Staatsgewalt hat, und daher völlig unbeschränkt Gesetze erlassen kann, auch solche, die klar gegen Menschenrechte und Demokratie verstoßen. Die einzige Kontrolle ist dabei die Wahl durch das Volk, wobei man darauf vertraut, daß das Parlament die Rechte der Bürger schon deshalb wahrt, weilletztere es sonst abwählen würden. 675 672 Der jetzige Richter am High Court, Kirby bezeichnete dies als "das intellektuelle und emotionale Gepäck, das die meisten der Juristen meiner Generation, und nicht nur in Australien, bezüglich der Höherwertigkeit des common law und seiner Institutionen gegenüber dem amorphen Recht von Nationen und Institutionen, die nicht Teil der common law-Tradition sind, tragen." (the intellectual and emotional baggage which most of the lawyers of my generation, and not only in Australia, carry concerning the superiority of the common law and of its institutions over the amorphaus law of nations and institutions not part of the common law tradition.) Kirby M., The Australian Use oflnternational Human Rights Norms: From Bangalore To Balliol - a View from the Antipodes, 16 (1993) UNSWLJ 363 (365). 673 Vgl. Jones M., Free Speech Revisited: The lmplications of Lange & Levy, 4 (1997) AJHR 188. 674 So auch Mason A., The Interpretation of a Constitution in a Modem Liberal Democracy, in: Sampford C./Preston K. (Hrg.), lnterpreting Constitutions, Theories, Principles and lnstitutions, 1996, 13 (29). 675 Dicey A. V., lntroduction to the Study of the Law of the Constitution, 10. Aufl., 1959, 39ff. Vgl. auch Koch M., Zur Einführung eines Grundrechtskataloges im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, 1991, 31 ff; 41 ff.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

177

In den Begründungen der free speech-Urteile wurde nun erstmals mehrheitlich von repräsentativer Demokratie als Verfassungsgrundlage und von einer Modifikation der Parlamentssouveränität676 gesprochen. Zwar wurde dabei die Parlamentssouveränität nicht völlig aufgegeben, gleichwohl steht die repräsentative Demokratie im Widerspruch zu ihr. Denn repräsentative Demokratie impliziert, daß letztlich der Wille der Repräsentierten (und nicht der repräsentierenden Vertreter) maßgeblich ist. Ist dies aber der Fall, so können nicht die Repräsentanten, also das Parlament, sondern allein die Repräsentierten, das Volk, souverän sein. Auf diese Weise wurde indirekt die Parlamentssouveränität durch die Volkssouveränität als Verfassungsprinzip ersetzt.677 Für australische Juristen war dies, insbesondere vor dem verfassungsgeschichtlichen Hintergrund des Erlasses der Verfassung durch das souveräne britische Parlament, eine sehr revolutionäre Aussage. Zwar gab es in der Literatur auch Stimmen, die bezweifelten, daß es sich wirklich um eine "Revolution" handelte. George Winterton618 legte dar, daß das Volk insofern eigentlich schon immer souverän war, als es sowohl bei Erlaß der Verfassung (zumindest politisch durch die Referenden zur Föderation) beteiligt war, als auch bei allen Verfassungsänderungen gemäß Art. 128 der Verfassung mitbestimmen durfte. Die Urteile würden daher eher eine Kontinuität als eine Revolution der Verfassungsinterpretation darstellen, denn die Tatsache, daß die Verfassung vom britischen Parlament erlassen worden sei und ihre ursprüngliche Geltungskraft von daher ableite, habe sich weder durch die Urteile noch durch die britischen Gesetze, mit denen das Vereinigte Königreich auf die Gesetzgebungsbefugnis für den australischen Bund und die australischen Länder verzichtet habe,679 geändert. Aber während sicher vieles für die obige Ansicht spricht, so befaßt sie sich vor allem mit der in Australien aufgrund der Verfassungsgeschichte diffizilen Frage des ursprünglichen und gegenwärtigen Verfassungsgebers,680 also damit ob, der pouvoir constituant beim souveränen britischen Parlament, das die Verfassung erlassen hat, oder in Australien liege bzw. im letzteren Fall, wann er übergegangen sei, nicht jedoch mit der zwar verwandten, aber doch separaten Frage von Parlamentssouveränität im Gegensatz zu Volkssouveränität, also ob generell das Parlament oder das Volk die Staatsgewalt innehat. In dieser Hinsicht haben die Urteile jedoch einen Wandel eingeleitet, der von der früher selbstverständlichen Argumentation mit der Parlamentssouveränität681 weg weist und auch auf diesem Gebiet die VolkssouveräVgl. Lange (Anm.433) 564. Eine ähnliche, sehr ausführliche Argumentation findet sich bei McDonald L., The Denizens of Democracy: The High Court and the Free speech cases, (1994) 5 PLR 160. 678 Winterton G., Popular Sovereignty and Constitutional Continuity, 26 (1998) Fed LR I. Kritisch auch Wright H., Sovereignty of the People - the New Constitutional Grundnorm?, 26 (1998) Fed LR 165. 679 Statute ofWestminster,J931, Australia Act (UK) , 1986. 680 Vgl. dazu auch Kirby M., Deakin: Popular Sovereignty and the true foundation of the Australian Constitution, 3 (1996) Deakin LR 129. 681 Aufgrund der in einer geschriebenen Verfassung niedergelegten vertikalen Gewaltenteilung im Bundesstaat, war seit der Bundesgründung weder das Bundes- noch die Landesparla676 677

12 Pittrof

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

nität als Grundlage nimmt. Offensichtlich hat man sich darauf besonnen, daß auch das Parlament, nicht nur die Exekutive, kontrolliert werden muß, insbesondere heute, da es fast völlig von der Exekutive abhängig ist.682 Ein weiterer mit der Abwendung von der Parlamentssouveränität zusammenhängender Wandel ist, daß Richter über grundrechtliche Fragen, die politischer Natur sind, entscheiden, daß Richter per judicial review die politischen Entscheidungen des gewählten Parlaments hinterfragen. Bis zu den implied-rights-Entscheidungen gab es immer eine strenge Trennung zwischen "politischen" und "rechtlichen" Fragen. PräsidentLatham faßte dies 1942 so zusammen: So ist die Streitigkeit vor dem Gericht eine Rechtsstreitigkeit, nicht eine politische Streitigkeit. Es ist nicht Aufgabe dieses oder überhaupt eines Gerichtes, Politik vorzuschreiben oder zu versuchen, irgendwelchen Ansichten oder Meinungen zu Grundsätzen Wirkung zu verleihen. Wir haben nichts zu tun mit der Weisheit oder Zweckmäßigkeit von Gesetzen. Solche Fragen sind für das Parlament und das Volk bestimmt. [...] Das Gericht muß solch ein rechtliches Vorbringen bedenken und es behandeln. Aber das Gericht hat nicht die Befugnis zu betrachten, ob die Gesetze fair und gerecht[ ... ] sind.[...] Dies sind Argumente, die im Parlament und vor dem Volk zu gebrauchen sind. Sie stellen Grundsatzfragen dar, deren Entscheidung oder schon Befassung nicht Aufgabe des Gerichts ist.6Sl

Im klassischen common law wird es als zutiefst undemokratisch empfunden, wenn die Richter nicht streng nach Präzendenzfallen und in Einzelfällen entscheiden bzw. nach dem Wortlaut von Gesetzen vorgehen, denn die Verwendung von Werten oder Prinzipien bei der Urteilstindung werden als eine Anmaßung der demomente wirklich souverän im ursprünglichen Sinne der Lehre von der Parlamentssouveränität Vgl. Lange (Anm.433) 564. So auch z. B. Galligan B., The Australian High Court's RoJe in lnstitutional Maintenance and Development, in: Sampford Ch./Preston K. (Hrg.), Interpreting Constitutions, Theories, Principles and lnstitutions, 1996, 184 (185). 682 Sollte die obige Ansicht dennoch zutreffen und es hätte gar keine Revolution stattgefunden, sondern es sei nur deren Anschein gewesen, so würde dies doch von der Tatsache zeugen, daß die Urteile das verfassungstheoretische Herz getroffen haben, denn nur so ließe sich die dann als Panikreaktion zu beschreibende vehemente Kritik erklären. In jedem Fall stellte aber die offene Berufung auf Volkssouveränität und repräsentative Demokratie eine Revolution dar. 683 Thus the controversy before the Court is a legal controversy, not a political controversy. I t is not for this or any court to prescribe policy or to seek to give ejfect to any views or opinions upon policy. We have nothing to do with the wisdom or expediency of legislation. Such questions are for Parliament and the people. [ ...] The Court must consider and deal with such a legal contention. But the Court is not authorized to consider whether the Acts arefair and just { ...]. Thesearearguments tobe used in Parliament and before the people. They raise questions ofpolicy which it is notfor the Courttodetermine or even to consider. The State ofSouth Australia and Another v. The Commonwealth of Australia and Another, (1942) 65 CLR 373 (409). Siehe auch die frühen Aufsätze- vor den implied rights-Fäl!en von Coper M., The High Court and the World ofPolicy, 14 (1984) Fed LR294 und Zines L., The State ofConstitutional Interpretation, 14 (1984) Fed LR277, die sich mit dem Thema auseinandersetzen.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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kratischen Aufgaben des Parlaments gesehen, das allein für politische Entscheidungen zuständig ist. Verfassungsrechtliche Individualfreiheiten bieten den Richtern nach Meinung der common Jaw-Juristen, zumal dann, wenn sie auf "übergreifenden" oder "der Verfassung zugrundliegenden" Prinzipien beruhen,684 zu große Auslegungsfreiheitenund Spielräume, um Werte, womöglich ihre eigenen, in die Urteile einfließen zu lassen, so daß es sicherer scheint, dem gewählten Parlament diese Entscheidungen zu überlassen. In den implied rights-Fällen hat das Gericht seine bisherige Zurückhaltung diesbezüglich aufgegeben und eine stärkere Stellung gegenüber dem Parlament beansprucht. Der High Court hat sich gegenüber dem Parlament emanzipiert.685 Einen weiteren Wandel gab es bei den Verfassungsauslegungsmethoden. 686 In Australien herrschten streng Iegalistische Grundsätze, deren auslegungsmethodische Ausprägung der literalism war. Da die Verfassung ihren Ursprung in einem britischen Gesetz hatte, orientierte man sich bei ihrer Auslegung wie bei der von einfachen Gesetzen, eng an Text, Grammatik und Aufbau der Gesetze und hielt sich penibel an rechtspositivistische/legalistische Lehren.687 Damit im Einklang gab es 684 Dieses Mißtrauen gegen die Richter sitzt so tief, daß sogar die meisten individualrechtsprogressiven Juristen, die die Entwicklung im Grunde befürworten, die Verfassungsfreiheiten gerne in irgendeiner Weise auf das common law zurückführen wollen. Es scheint eine Grundhaltung zu herrschen, bloß keine prinzipiellen Entscheidungen den Richtern zu überlassen. So betont man entweder, daß politische Entscheidungen durch das Parlament getroffen würden oder man versucht die Entscheidungen in einen common law- Rahmen einzupassen, um so die Richter auf ihre "eigentlichen" Aufgaben zurückzuführen. Zu letzterem siehe z.B. Stone A., Freedom of Political Communication, The Constitution and the Common Law, 26 (1998) Fed LR, 219. 685 Auch in Dänemark scheint sich seit den letzten Jahren ein ähnlicher Wandel weg von der Parlamentssouveränität, eine Emanzipation der Gerichte gegenüber dem Gesetzgeber zu vollziehen. Vgl. Thomas F., Das Maastricht-Urtei! des dänischen Obersten Gerichtshofs vom 6. April1998, 58 (1998) ZaöRV 879 (899t). s. a. Harck St./Palmer Olsen H., Decision concerning the Maastricht Treaty, 93 (1999) AJIL 209. Herrschte in der Praxis bislang die Auffassung, der Gesetzgeber selbst lege die Verfassung aus, so beansprucht der oberste Gerichtshof mittlerweile eine neue Rolle: In den Entscheidungen zum Maastricht-Vertrag (v. 12. August 1996, abgedruckt in: Ugeskrift for Retsvresen (UfR) 1996, 1300ff, und v.6. April1998, UfR 1998, 800ff) wandte er zum ersten Mal eine eigene Entscheidung aus den zwanziger Jahren an (UfR 1921,644 (646)) und hielt sich für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zuständig. Im Februar 1999 erklärte er in einem Urteil erstmals ein Gesetz für verfassungswidrig aufgrund eines Verstoßes gegen das Gewaltenteilungsprinzip des§ 3 dän. GG (Tvind-Urteil v. 19. Februar 1999, UfR 1999, 841 ff). 686 V gl. dazu auch H orrigan B ., Paradigm Shifts in Interpretation: Reframing Legal and Constitutional Reasoning, in: Sampford Ch./Preston K. (Hrg.), Interpreting Constitutions, Theories, Principles and Institutions, 1996, 31; Patapan H., AReturn to Dicey? The Phi1osophical Foundations ofthe High Court 's Implied Rights J urisprudence, ebenda 146 und Galligan B .• The Australian High Court's RoJe in lnstitutional Maintenance and Development, ebenda 184. 687 Für eine genaue Definition und Erläuterung der Entwicklung des Literalismus in Australien siehe Craven G., The Crisis ofConstitutional Literalism in Australia, in Lee H.P./Winterton G ., Australian Constitutional Perspectives, 1992, 1. Zur Verfassungsauslegung allgemein siehe auch den frühen Aufsatz von Latham J., Interpretation of the Constitution, in: Else-MiteheII R. (Hrg.), Essays on the Australian Constitution, 2.Aufl., 1961, l.

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

mindestens seit dem sogenannten Engineers-Urteil von 1920688 mit nur wenigen Aufweichungen das Prinzip, daß keine Implikationen die ausdrücklich in Art. 51 aufgelisteten Kompetenzen des Parlaments beschränken können. Von beidem wenden sich die implied-rights-Fälle ab,689 was auf eine Abkehr vom Rechtspositivismus im Verfassungsrecht schließen läßt und zusammen mit anderen Anzeichen wahrscheinlich einen Wechsel in der herrschenden politisch-rechtlichen Orthodoxie, vom pragmatischen Positivismus des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu einer idealistischeren Naturrechtskonzeption des Verhältnisses zwischen den einzelnen und dem Staat, reflektiert. 690

Die Frage, ob die Verfassung anband der ursprünglichen Intention der Verfassungsväter, also statisch, oder dynamisch, an den gegenwärtigen Verhältnissen orientiert, ausgelegt werden soll, trat vor allem in den Entscheidungen von 1994 stark hervor691 und auch sie spiegelte den Konflikt zwischen herkömmlichen und neuen Interpretationsmethoden wider.692 Schließlich stellt auch die sogenannte Konstitutionalisierung des common law durch die Drittwirkung von Verfassungsfreiheiten einen grundlegenden Wandel dar. Denn bisher war die Verfassung aufgrund ihres Charakters als Organisationsstatut lediglich bei Gesetzesrecht von Einfluß, und auch hier wurde meist nur die Frage der formellen Verfassungsmäßigkeit geprüft. Daß nunmehr auch vom common law Privaten zugestandene Rechte, wie das Recht auf Beleidigungsschutz, durch das Verfassungsrecht mittelbar oder unmittelbar beschränkt werden können, bedeutet für viele ein weiteres Umdenken. Ist es eigentlich eine logische Folge, daß die Verfassung als höherrangiges Recht niederrangiges Recht derogiert, so deuten die Probleme, die australische Juristen damit haben, darauf hin, daß sich viele immer noch nicht mit dem Gedanken einer über dem common law stehenden Verfassung angefreundet haben. Die tiefe Verwurzelung im und die Verflochtenheit mit dem und das 688 (1920) 28 CLR 129. Der Engineers-Fall ist auch als "locus classicus des Literalismus" bezeichnet worden: Goldsworthy J., Implications in Language, Law and the Constitution, in: Lindell G: (Hrg.), Future Directions in Australian Constitutional Law, Essays in honour ofProfessor Leslie Zines, 1994, 150 ( 171 ). 689 s. dazu auch: Williams G., Engineers is Dead, Long Live the Engineers!, (1995) 17 Syd LR 62, der in seinem Titel auf die High Court- Richter als Ingenieure einerneuen Verfassung anspielt. 690 [ ... ] probably reflects a change in the dominant politico-legal orthodoxy.from the pragmatic positivism ofthe late 19th and the early 20th centuries to a more idealistic naturallawconception ofthe relationship between individuals and the state. Hanks P., Constitutional Guarantees, in: Lee H. P./Winterton G. (Hrg.), Australian Constitutional Perspectives, 1992,92 (128). 691 Vgl. die gegensätzlichen Voten der Richter Deane und Dawson oben S. 84 und 91. 692 Zur Entwicklung bei den Verfassungsauslegungsmethoden s. a. Mason A., Trends in Constitutional Interpretation, 18 (1995) UNSWU 237. Ein Überblick über die verschiedenen Auslegungsmethoden findet sich auch bei ders., The Interpretation of a Constitution in a Modem Liberal Democracy, in: Sampford Charles/Preston Kim (Hrg.), Interpreting Constitutions, Theories, Principles and Institutions, 1996, 13.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Vertrauen auf das common law mögen für Juristen aus fremdem Rechtskreis schwer verständlich sein, erklären aber die Wirkung der Urteile in der Rechtswissenschaft. Angesichts des aus australischer Sicht radikalen Verfassungswandels durch die Urteile erscheint das "Erdbeben", das durch sie ausgelöst wurde, verständlich. Dabei ist insbesondere auch zu bedenken, daß die vom High Court in der Verfassung verankerte Freiheit der politischen Kommunikation nur durch eine - in Australien sehr schwer durchzusetzende- Verfassungsänderung nach Art. 128 wieder umgekehrt werden könnte. Hintergrund von Ablehnung oder Kritik der Urteile ist oft keine grundlegende Ablehnung des Grundrechtsschutzes, sondern vielmehr ein Ringen, mit dem vom High Court eingeleiteten Paradigmenwechsel im Verfassungsverständnis zurecht zukommen. 693 Vom Grundrechtsstandpunkt her sind die Urteile durch den Wandel weg vom traditionellen, wenig grundrechtsfreundlichen Denken, bei allen verbliebenen Einschränkungen, Ungeklärtheiten und Unsicherheiten, ein großer Schritt für das australische Rechtssystem. Die aufgrund des Charakters als Minimalfreiheit gegenüber einem vollen Grundrecht verbliebenen Nachteile wiegen gegenüber der Alternative keines verfassungsrechtlichen Grundrechtsschutzes nur gering, so daß die Entwicklung insgesamt zu begrüßen ist.

D. Landesrecht Aufgrund der bundesstaatliehen Verfassung Australiens stellt sich die Frage, ob der geringe Grundrechtsschutz in der Bundesverfassung durch Grundrechtsschutz auf der Landesebene ausgeglichen werden kann. Daher darf eine Untersuchung der Rechtslage in den Ländern nicht fehlen. Dies vor allem vor dem Hintergrund der in Australien ungleich größeren Bedeutung des Landesrechts im Vergleich zu Deutschland. Im folgenden werden dabei vor allem Aspekte behandelt, die von der Situation im Bund abweichen oder dort nicht geklärt sind.

693 Oft zeigt sich auch eine gewisse Unerfahrenheit so z. B. in der Befürchtung eines führenden Verfassungsrechtslehrers, die Richter könnten mit Hilfe eines Gleichheitsgrundsatzes, alle Gesetze beliebig für verfassungswidrig erklären, da beinahe alle Gesetze auf bestimmte Bevölkerungsgruppen zielten und so diskriminierten. Daß der allgemeine Gleichheitsgrundsatz nur vor willkürlicher Diskriminierung schützt, bei den meisten Gesetzen aber ein "besonderer Grund" zur Ungleichbehandlung gegeben ist, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, und daher meist kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vorliegen wird, wird dabei völlig übersehen. Zines L., The High Court and the Constitution, 4. Auflage, 1997, 422.

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

1. Schutz von Kommunikationsfreiheit auf Landesebene Wie auf Bundesebene, so kann auch auf Landesebene der Schutz sowohl verfassungsrechtlich als auch einfachrechtlich erfolgen.

a) Verfassungsrechtlicher Schutz aa) Geschriebene Grundrechtsverbürgungen in den Landesverfassungen Wie die Bundesverfassung, so enthalten auch die Landesverfassungen keine Grundrechtskataloge. Anders als die Bundesverfassung sind sie aber reine Organisationsstatute, die auch keine vereinzelten Grundrechtsvorschriften enthalten.694 Die einzige Ausnahme hierzu bildet das Bundesland Tasmanien, wo in Art. 46 der dortigen Verfassung (Constitution Act, 1934) die Religionsfreiheit garantiert wird.69s Dieser Artikel ist wie folgt gefaßt: (1) Gewissensfreiheit und das freie Bekenntnis zur Religion und deren Ausübung sind, im Rahmen der öffentlichen Ordnung und Moral, jedem Bürger garantiert. (2) Keine Person darf einer Behinderung oder der Forderung nach Ablegung irgendeines Eides auf ihre Religion oder ihren religiösen Glauben unterworfen werden und es darf keine religiöse Prüfung in bezug auf die Ernennung zu einem öffentlichen Amt oder dessen Innehabung auferlegt werden.696 694 Zum Landesverfassungsrecht allgemein mit umfangreichen Literaturhinweisen, siehe Thomson J. A., State Constitutional Law: The Quiet Revolution, 20 (1990) UWALR 311 und ders., State Constitutional Law: Gathering the Fragments, (1985) 16 UWALR 90, der die Fragmentierung und die Unübersichtlichkeit des Landesverfassungsrechts in Australien beklagt, sowie Craven G. J., A Few Fragments of State Constitutional Law, 20 (1990) UWALR 353; außerdem aus der älteren Literatur: Lumb R. D., The Constitutions ofthe Australian States, 4. Auflage, 1977. Zum Verfassungsrecht in den einzelnen Ländern siehe z. B.: Thomson J. A., Western Australia, (1992) 3 PLR 66, Johnston P. W./Hotop St. D., Patches on an Old Garmentor New Wineskins for New Wine (Constitutional Reform in Western Australia- Evolution or Revolution?), 20 ( 1990) UWALR 428, Douglas N. F., The Western Australian Constitution: lts Source of Authority and Relationship with Section 106 of the Australian Constitution, 20 (1990) UWALR 340 für Westaustralien; Stokes M., The Constitution ofTasmania, ( 1992) 3 PLR 99 für Tasmanien; Se/way B., The ConstitutionofSouthAustralia, (1992) 3 PLR39 undders., The Constitution of South Australia, 1997 für Südaustralien; Roberts H./Mescher 1., The Premier Constitution: Legislative Power in New South Wales Since 1855, 3 (1992) PLR 90 für New South Wales; Byrnes P J, The Constitution of Queensland, (1992) 3 PLR 58 für Queens land. 695 Eine kurze Bemerkung zur Geschichte des Artikels findet sich bei Pannam C., Travelling Section 116 with a U.S. Road Map, (1963) Melb Univ LR41 (56, Fußnote 57). 696 ( 1) Freedom of conscience and the free profession and practice of religion are, subject to public order and morality, guaranteed to every citizen. (2) No person shal/ be subject to any disability, or be required to take any oath on account ofhis religion or religious belief and no religious test shal/ be imposed in respect of the appointment to or holding of any public office.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Während dieses Grundrecht vergleichsweise umfassend ist, hat es den Nachteil, daß zum einen die Schrankenbestimmung "öffentliche Ordnung und Moral" sehr undefiniert und schwammig ist und daß zum anderen das tasmanische Parlament es jederzeit im einfachen Gesetzgebungsprozeß ändern kann, da die lasmanische Verfassung eine flexible ist. 697 So bietet letztlich auch dieses einzige landesverfassungsrechtlich garantierte Grundrecht keinen dauerhaften Schutz. bb) Die Bill of Rights - Debatte Nicht nur auf Bundesebene sondern auch in den meisten der einzelnen Bundesländer und Territorien wurde zum einen oder anderen Zeitpunkt die Einführung eines Grundrechtskatalogs diskutiert. Obwohl auf der Landesebene nicht die Hürde des Art. 128 bei der Verfassungsänderung zu überwinden ist, scheiterten bislang auch hier alle Versuche, eine Bill of Rights einzuführen. Hier zeigt sich deshalb deutlich, daß die Schwierigkeiten einer Volksabstimmung nur eine vordergründige Erklärung für die Nichtaufnahme eines Grundrechtskatalogs sein kann, die Ursachen vielmehr in der australischen (Rechts-) Mentalität liegen.698 Der folgenden Abschnitt bietet einen kurzen Überblick über die Lage in den einzelnen Ländern und Territorien, in denen eine Bill of Rights diskutiert wurde: Im Bundesland Victoria gab es Mitte der achtziger Jahre Bestrebungen, einen Grundrechtskatalog einzuführen. Die Frage wurde in einigen Untersuchungsberichten699 zur Diskussion gestellt, im Abschlußbericht100 des Verfassungsaussschusses des victorianischen Parlaments aber zu einer nicht durchsetzbaren Grundrechtserklärung verwässert. Sie verlief sich und wurde mit der Neuwahl des Parlaments 1992 endgültig hinfällig. In Queensland wurde, nachdem 1959701 bereits ein Entwurf gescheitert war, Anfang der neunziger Jahre erneut versucht, einen Grundrechtskatalog einzuführen. Die Electoral and Administrative Review Commission empfahl 1993 in einem umfassenden Bericht die Verabschiedung einer einfachgesetzlichen Bill ofRights102 als 697 Der Constitution Act, 1934 (Tas) enthält keine sog. entrenchment provisions, die für eine Änderung dieses Artikels bestimmte Mehrheitsverhältnisse oder eine Volksabstimmung erforderten. Soweit ersichtlich gibt es keine Rechtsprechung zu Art. 46 der tasmanischen Verfassung. 698 Zu den Ursachen siehe oben S. 47 ff. 699 Z. B.: Legal and Constitutional Committee, A Bill of Rights for Victoria? Some lssues, Discussion Paper No 1, Februar 1986. Eine Kurzfassung der Argumente für und wider findet sich auf Seite 9 ff. 700 Ein Kommentar dazu findet sich bei Gaze B., A Bill of Rights for Victoria?, 12 (1987) LSB 224. 70 1 s. Electoral and Administrative Review Commission, Report on the Preservation and Enhancement of Individuals' Rights and Freedoms, Brisbane, August 1993, 48. 702 Electoral and Administrative Review Commission, ibid. v. a. 48 ff und Anhang A. Zur Diskussion in Queensland s. a. Hughes C., An Australian Bill of Rights: Some Key lssues, in:

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

ersten Schritt zur verfassungsrechtlichen Verankerung. Diese sollte nach fünf Jahren durch ein Referendum erfolgen. Auch dieser Entwurf verlief aus politischen Gründen im Sande und wurde nicht aufgenommen. In New South Wales wurde Mitte der neunziger Jahre besonders in Juristenkreisen wieder verstärkt die Einführung einer Bill ofRights diskutiert.703 Um die Diskussion anzuregen, erarbeitete man den Entwurf eines verfassungsrechtlich verankerten Grundrechtskatalogs.704 Der Entwurf weist einige interessante Besonderheiten auf, da er nicht nur Rechte, sondern auch die korrespondierenden Pflichten (der handelnden Stellen) aufzählt, ja diese sogar voranstellt. Auch möchte er nichtstaatliche Stellen (Entscheidungsträger)1°5 auf die Grundrechte verpfl.ichten.706 Bislang ist der Entwurf aber nicht ins Parlament eingebracht worden. Im Australian Capital Territory wurde 1993 auf Initiative des dortigen Justizministeriums die Diskussion um die Einführung einer Bill of Rights eröffnet707 und 1994 auch der Entwurf eines Grundrechtskatalogs veröffentlicht. 708 Dieser wurde später von einem Mitglied des Parlaments als private member' s bill ins Parlament eingebracht, wurde aber nach dem Regierungswechsel von 1995 im Australian Capital Territory nicht mehr weiter vorangetrieben. Alston Ph., Towards an Australian Bill of Rights, Canberra, 1994, 165 und Australian Press Council Submission to the Electoral and Administrative Review Commission (Queensland) on Issues Paper No20- Review of the Preservation and Enhancement of Individual's (!) Rights and Freedoms, 17. August 1992 (Beilage zu Australian Press Council News Bd.4 Nr.4). 703 Z. B. gab es im Rahmen des dortigen Juristentages (nsw legal convention) eine Diskussionsronde zum Thema A Bill of Rights for NSW (30.10.1995). Derzeit gibt es eine parlamentarische Untersuchung, die der Frage eines Grundrechtskatalogs für NSW nachgehen soll. Der gegenwärtige Ministerpräsident unterstützt die Einführung nicht. Vgl. Banham, C., Carr's stance on rights bill faces wrath of lawyers, SMH, 9.1.2001, 6. 704 Proposal for a Bill of Rights for New South Wales ( 1995) 33 Nr. 7 LSJ i. 70S Cl. 5. (b) spricht von decision-maker, worunter z. B. Arbeitgeber und Banken fallen können, die dann beispielsweise nicht diskriminieren dürfen. Der Entwurf versteht diese Bindung nichtstaatlicher Stellen an die Grundrechte nicht als Drittwirkung, sondern möchte die grundsätzliche Geltung der Grundrechte gegenüber diesen Stellen definieren. Er geht von einem Grundrechtsverständnis aus, das Grundrechte nicht primär als Abwehrrechte gegen den Staat sieht, sondern es als selbstverständlich betrachtet, daß alle Mitglieder der Gesellschaft die Verwirklichung von Grundrechten unterstützen müssen. Ein ähnliches Grundrechtsverständnis liegt den Aufgaben (u. a. Schärfung des Bewußtseins in der Bevölkerung) der Human Rights and Equal Opportunity Commission (HREOC)- vergleiche unten S.203- zugrunde. Zum unterschiedlichen Grundrechtsverständnis vgl. auch Geiger W., Zur Europäischen Geschichte der Grundrechte, in: Fürst W. u. a. (Hrg.) Festschrift für Wolfgang Zeidler, 1987, Bd.2, 1401 (v.a. 1408f). 706 Für eine Erläuterungs. Gibb S./Eastman K., Why are we talking about a Bill of Rights?, (1995) 33 Nr. 7 LSJ 49. Eine Kritik findet sich bei Breen P., Fair go for A Bill of Rights, (1995) 33 Nr. 8 LSJ 66. 707 Connolly T., lssues Paper, A Bill of Rights for the A. C. T.?, Canberra, 1993; Australian Capital Territory, Attorney General's Department, Public Seminar, A Bill of Rights for the ACT, Canberra, 1994. 708 Exposure Draft, Bill of Rights Bill 1994 (A.C.T.) und Explanatory Notes (Erhältlich beim Attorney General's Department-A.C.T.).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

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Im Northern Territory brachte die Gesetzgebende Versammlung109 zwar 1995 ein Dikussionspapier über die Einführung eines Grundrechtskatalogs heraus, jedoch ohne Stellung zu beziehen.710 Auf dem Konvent, der im April/Mai 1998 zur Beratung über eine Errichtung des Northern Territory als eigenständiges Bundesland zusammentrat, wurde die Einführung einer Bill of Rights in die zu errichtende Landesverfassung zwar vorgeschlagen, im Ergebnis aber abgelehnt. Neben den üblichen Gründen, die auf der nationalen Ebene zu diesem Thema auftauchen, war man auch der Meinung, es sei falsch, bei einer eigentlich bundesweiten Frage einen landesrechtliehen Alleingang zu wagen.711 Da bei dem Referendum Anfang Oktober 1998 auch die Errichtung des Northern Territory als Land abgelehnt wurde, ist die Frage der Verfassungsänderung einschließlich der eines Grundrechtskatalogs hier wohl auf absehbare Zeit zu den Akten gelegt. cc) Ungeschriebene Verbürgungen Die Entwicklung von implizierten Grundrechtsverbürgungen verlief in den Ländern im wesentlichen parallel zum Bundesrecht Dies vor allem deshalb, weil sich einige derfree speech-cases mit Landesrecht befaßten. Bereits Richter Murphy hielt in seinen Voten zu implizierten Rechten die von ihm gefundenen Freiheiten auch für die Länder für bedeutend.712 Die Entwicklung auf landesrechtlicher Ebene ist jedoch noch nicht so ausgereift wie im Bundesrecht, da sich die Urteile oft nur rudimentär mit dem Landesrecht auseinandersetzten, die Fälle häufig bereits auf anderer Grundlage entschieden werden konnten und vielfach nur der Hinweis erteilt wurde, man ginge davon aus, daß die Rechtslage auf Landesebene nicht anders sei. Da die Verfassungs- und Rechtsräume des Bundes und der Länder grundsätzlich unabhängig nebeneinander stehen, kann das ungeschriebene Recht auf Kommunikationsfreiheit in den Ländern auf zweierlei Weise gelten. Zum einen kann sich die bundesrechtlich implizierte Freiheit auf die Landesgesetzgebung auswirken, sie also beschränken, zum anderen kann auch in den Länderverfassungen eine implizierte Freiheit enthalten sein. Letzteres kann dabei wiederum auf zwei Arten erfolgen. Es kann durch Bundesimplikation geschehen, d. h. daß die Bundesverfassung 700 Da die Errichtung des Parlaments des Nordterritoriums nicht auf dessen Staatsqualität sondern auf einem Selbstverwaltungsgesetz des Bundes beruht, ist sein offizieller Name legislative assembly und nicht "Parlament". 710 Legislative Assembly of the Northern Territory, Sessional Committee on Constitutional Development, Discussion Paper No 8, A Northern Territory Bill of Rights ?, March 1995. 711 Den Konvent fassen zusammen: Heatley A./McNab P., The Northern Territory Statehood Convention 1998, 9 (1998) PLR 155; zur Bill of Rights insbesondere 158. 712 Siehe z. B. Ansett Transport lndustries (Operations) Pty Ltd v. The Commonwealth of Australia and Others ( 1977) 139 CLR 54 (88).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

auch eine Kommunikationsfreiheit in den Ländern impliziert, und/oder durch Landesimplikation, also eine in den Landesverfassungen impliziert enthaltene Kommunikationsfreiheit Zur Freiheit der politischen Kommunikation auf Landesebene stellen sich daher drei Fragen:713 1. Beschränkt die auf Bundesebene implizierte Freiheit der politischen Kommunikation den Landesgesetzgeber? (Direkte Auswirkung der bundesverfassungsrechtlichen Implikation.) 2. Impliziert die Bundesverfassung auch eine Freiheit der politischen Kommunikation in den Landesverfassungen? (Indirekte Auswirkung der bundesverfassungsrechtlichen Implikation.) 3. Implizieren die jeweiligen Landesverfassungen eine Freiheit der politischen Kommunikation? (Direkte Auswirkung einer landesverfassungsrechtlichen Implikation.) Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob sich die bundesrechtliche Freiheit der politischen Kommunikation inhaltlich auch auf Gegenstände der Landespolitik erstreckt.714

BundesKommunikationsfreiheit

indirekte Einwirkung direkte Einwirkung

direkte Einwirkung

Abbildung 1: Einwirkung von Implikationen auf das Landesrecht 713 Vgl. auch die Untersuchung von Carney G., Freedom of Political Discussion- A New Restrietionon State Power, 6 (1995) PLR 147 und ders., The Implied Freedom ofPolitical Discussion- lts Impact on State Constitutions, 23 ( 1995) Fed LR 180. 11• Dazu siehe oben S. 133f.

Il. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

187

In den entschiedenen Fällen nahm man nicht immer eindeutig zu den aufgeworfenen Fragen Stellung, jedoch bildete sich dazu langsam eine Meinung heraus. Der nachfolgende Abschnitt untersucht diefree-speech-Fälle auf Antworten für die landesrechtliche Problematik. (1) Die Anfangsphase

In den beiden Fällen der Frühphase finden sich nur ganz vereinzelt dicta zum Landesrecht, da sie thematisch rein bunderechtlich ausgerichtet waren. (a) Nationwide News Pty. Limited v. Wills 715

In Nationwide meinte Richter Brennan: Zwar kann die Beschränkung [der Gesetzgebungskompetenz durch das implizierte Recht], da sie in der Verfassung impliziert ist, sich auf die Gesetze eines Landes auswirken, zumindest wenn diese Gesetze die Beeinträchtigung der Ausübung der demokratischen Rechte und Privilegien des Volkes in Bundesangelegenheiten zum Inhalt haben. Es ist jedoch nicht nötig, diese Frage jetzt zu betrachten [...]116

Auch die Richter Deane und Toohey äußerten im gleichen Fall, daß es nicht nötig sei, zu der Frage Stellung zu nehmen. Es spräche aber viel dafür, [...]daß die Verfassungsimplikation der Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten, die sich auf die Regierung des Bundes beziehen, auch dahingehend wirkt, die Reichweite der Gesetzgebungsbefugnisse der Länder zu begrenzen. 717

Beide dicta sprechen also von einer direkten Auswirkung der Bundesimplikation auf die Länder. (b) Australian Capital Television Pty. Limited and Others v. The Commonwealth of Australia718

In ACTV gibt es ebenfalls nur einige wenige Äußerungen zu dem Problem: (1992) 177 CLR 1; zum Sachverhalt siehe oben S. 65. True it isthat the Iimitation, being implied in the Constitution, may be capable of affecting the laws ofa State, at least if those laws purport to impair the exercise by the people of their democratic rights andprivileges infederal matters. However, it is unnecessary now to consider that question [. ..] ( 1992) 177 CLR I (52). 717 [. •• } that the Constitution's implication offreedom of communication about matters relating to the government ofthe Commonwealth operates also to confine the scope ofState legislative powers. (1992) 177 CLR I (76). 718 (1992) 177 CLR 106; zum Sachverhalt siehe oben S. 70. 715 716

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Richter Dawson, der sich allgemein gegen die Implikation der Kommunikationsfreiheit wandte, sagte obiter, daß sie, falls es sie gäbe, jedenfalls nur eine begrenzte Auswirkung auf die Länder habe.719 Richterin Gaudran hielt es für unnötig, über die Frage, ob die Implikation auch die Länder beschränke zu entscheiden; inhaltlich beziehe sich die Freiheit der politischen Diskussion jedoch auch auf Angelegenheiten der Länder. 720 (2) Das Landesrecht in der Hochphase

Erwartungsgemäß gab es in der Hochphase, die sich ja hauptsächlich mit der Ausdehnung der implizierten Freiheit befaßte, einige klarere Äußerungen zur Frage des Landesrechts. (a) Theophanous v. Herald & Weekly Times Ltd and Another721

In Theophanous befaßte sich vor allem Richter Deane ausführlich mit der Frage, ob sich die implizierte Freiheit der Bundesverfassung auf die Länder auswirke. Er bejahte diese Frage, da die Länder seit der Bundesgründung ihre Existenz von der Bundesverfassung ableiteten. Diese garantiere zwar den Fortbestand der Länderverfassungen und der Landesgesetze in Art. 106-108, jedoch nur "gemäß dieser Verfassung", was auch deren Implikationen mit einschließe. Auch § 5 des C avering Act mache die Bundesverfassung für die Länder verbindlich.722 Ebenso lasse sich aus dem gesunden Menschenverstand eine Auswirkung der Implikation auf die Länder ableiten, denn es wäre absurd, wenn die Verfassung den Ländern erlauben würde, Gesetze zu erlassen, die die Freiheit der politischen Kommunikation, die in der Verfassung zum Schutz der repräsentativen Regierungsform impliziert enthalten ist, unterlaufen würden. Ähnlich sei auch in den USA entschieden worden. 723 Es folgt, daß die Verfassungsimplikation der Freiheit der politischen Kommunikation und Diskussion anwendbar ist, um sowohl den Inhalt der Landesgesetzgebungsbefugnisse als auch den Inhalt der Landesgesetze, ob geschrieben oder ungeschrieben, zu begrenzen. 724 (1992) 177 CLR 106 (184). (1992) 177 CLR 106 (216f). 121 (1994) 182 CLR 104, zum Sachverhalt siehe oben S. 78. 122 § 5 besagt: Dieses Gesetz [Covering Act] [... ] ist für die Gerichte, Richter und das Volk jedes Landes bindend [... ]. This Act [. ..] shall be binding on the courts,judges, and people of every State [ ...]. 123 (1994) 182 CLR 104 (164-166). 724 /tfollows that the Constitution's implication offreedom ofpolitical communication and discussion is applicable to confine both the content of State legislative powers and the content ofState laws whether statutory or inherited. (1994) 182 CLR 104 (166). 7 19

12o

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

189

Richter Brennan vertrat die direkte Einwirkung der Bundesverfassung auf das Landesrecht und stellte fest, daß die Verfassungsimplikation auf das Landesrecht die gleichen Auswirkungen habe, wie auf das Bundesrecht, nämlich die Beschränkung von KompetenzenJ 25 Wie für den Bund, so lehnte Richter McHugh es auch für die Länder ab, aus der Bundesverfassung die Festschreibung der repräsentativen Demokratie oder Regierungsforrn, aus der sich eine Implikation der Kommunikationsfreiheit ergebe, abzuleiten. Die Bundesverfassung sehe keinerlei Art von Konformität der Landesverfassungen vor. 726 Auch er erkannte jedoch an, daß sich aus Art. 7 und 24 der australischen Verfassung eine begrenzte Implikation der Kommunikationsfreiheit zu Zeiten einer Bundeswahl herleiten lasse, die dann auch die Kompetenzen der Länder direkt beschränken könne.m Obwohl er keine Implikation der Kommunikationsfreiheit anerkannte, äußerte sich Richter Dawson dahingehend, daß Ländergesetze, die gegen Art. 7 und 24 der Bundesverfassung verstößen, die auch eine gewisse Kommunikationsfreiheit für die Wahlen erfordern könnten, nichtig seien.728 (b) Stephens v. West Australian Newspapers Ltd129

Neben Theophanous ist Stephens v. West Australian Newspapers Ltd die für das Landesrecht wichtigste Entscheidung, denn dort wurde ausdrücklich festgelegt, daß auch Landesverfassungen die gleiche Implikation einer Kommunikationsfreiheit wie die Bundesverfassung beinhalten können. Für die westaustralische Verfassung730 entschieden Präsident Mason, Richter Toohey und Richterin Gaudron, daß diese Freiheit der Kommunikation impliziere: [... ] zumindest solange wie die westaustralische Verfassung weiterhin eine repräsentative Demokratie vorsieht, in der die Mitglieder der Legislative "direkt vom Volk gewählt werden", muß eine Kommunikationsfreiheit notwendigerweise in diese Verfassung impliziert werden, genauso wie sie in der Bundesverfassung impliziert ist, um das wirksame Funktionieren der repräsentativen Demokratie und Regierungsform zu schützen.731 (1994) 182 CLR 104 (155 f). (1994) 182 CLR 104 (201 f). 727 (1994) 182 CLR 104 (205). 12s (1994) 182 CLR 104 (190). 729 (1994) 182 CLR 211, zum Sachverhalt siehe oben S. 91. 73° Constitution Act, 1889 (WA). 731 [. .. ]so /ong, at least, as the Western Australian Constitution continues to provide for a representative democracy in which the members are "directly chosen by the people", afreedom of communication must necessarily be implied in that Constitution, just as it is implied in the Commonwealth Constitution, in order to protect the efficacious working ofrepresentative democracy and government. (1994) 182 CLR 211 (233 f.). Die westaustralische Verfassung sieht 12s

126

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung des Schutzgutes der Freiheit wurde auf die implizierte Freiheit der Bundesverfassung verwiesen: Diese Freiheit der Kommunikation, wie ihr Gegenstück in der Bundesverfassung, erstreckt sich auf die Kritik von Verhalten, Leistung und Eignung zum Amt eines Mitglieds des Parlaments. 732

Aus den gleichen Gründen wie in Theophanous dargelegt, folge daher, daß die landesrechtlich implizierte Freiheit unter bestimmten Voraussetzungen einen Rechtfertigungsgrundfür diffamierende Veröffentlichungen darstelle. 733 Im anderen Mehrheitsvotum berief sich Richter Deane auf seine Meinung in Theophanous und stellte knapp fest, daß die Implikation der Bundesverfassung aus den gleichen dort erläuterten Gründen auch die Landesgesetzgebungsbefugnisse beschränke.'34 Von den abweichenden Meinungen nahmen Richter Brennan und Richter McHugh zum Problem Stellung. Richter Brennan äußerte sich ebenso dahingehend, daß die in der Bundesverfassung implizierte Kommunikationsfreiheit auch die Ausübung der Gesetzgebungsbefugnisse der Länder beschränken könne. Inhaltlich erstrecke sich die bundesrechtliche Implikation allerdings nur auf den Schutz der Struktur des Regierungssystems des Bundes, so daß nur Landesgesetze, die sich darauf auswirkten, verfassungswidrig sein könnten_735 Außerdem könne in die westaustralische Verfassung eine ähnliche Implikation der Kommunikationsfreiheit in bezug auf die westaustralische Regierung hineingelesen werden. Wie ihr bundesrechtliches Gegenstück wirke sie sich aber nicht auf das einfache Recht aus.736 Richter McHugh beschränkte sich auf die Feststellung, daß aus dem gleichen Grund, wie von ihm für die Bundesverfassung in Theophanous dargelegt, auch die westaustralische Verfassung keine Garantie der Kommunikationsfreiheit enthalte, die der Beklagten eine Immunität gegenüber einer Beleidigungsklage verleihen würde. 737 in Art. 73 die Möglichkeit der Verfassungsänderung auch der Vorschriften, mit denen die repräsentative Regierungsform vorgeschrieben wird, vor, dies allerdings unter erschwerten Bedingungen. Daher die Einschränkung im Urteil. 732 That freedom of communication, like its counterpart in the Commonwealth Constitution, extends to criticism of the conduct, performance and fitness for office of a member of Par/iament. (1994) 182CLR211 (234). 733 (1994) 182 CLR 211 (234). 734 (1994) 182 CLR 211 (257). m (1994) 182 CLR 211 (235). 736 (1994) 182 CLR 211 (236). Bezüglich der Begründung verweist er auf sein Votum in Theophanous. 737 (1994) 182 CLR 211 (259).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

191

Dazu, ob in der westaustralischen Verfassung eine auf Wahlkampfzeiten beschränkte Implikation der Kommunikationsfreiheit wie in der Bundesverfassung gefunden werden könne, äußerte er sich nicht. (3) Die Konsolidierungsphase Die Konsolidierungsphase brachte für das Landesrecht nicht die gleiche Klarheit wie auf bundesrechtlicher Ebene. Es wurden aber die Standpunkte verfestigt. (a) James Andrew McGinty & Others v. The State ofWestern Australia138

Da es in McGinty um westaustralische Landesgesetze ging, enthält die Entscheidung einige Überlegungen zur Frage von Implikationen im Landesrecht und von Auswirkungen von bundesrechtlichen lmplikationen auf das Landesrecht. (a) Die Mehrheitsvoten Für die Mehrheit äußerte sich Präsident Brennan (und Richter Dawson, der sich Präsident Brennan in diesen beiden Punkten anschloß). Er war der Meinung, daß die Verfassung des Commonwealths keine Implikation enthalte, die Wahlgleichheit auf Landesebene fordere. Ebenso sei keine solche Implikation in der westaustralischen Verfassung enthalten. Der in der Landesverfassung enthaltene und Art. 24 der Bundesverfassung ähnliche Artikel, der bestimme, daß die Abgeordneten direkt vom Volk gewählt werden müssen, besage nur, daß die Wahlen direkt sein müssen und nicht über Wahlmänner laufen sollen.739 Richter McHugh entschied im wesentlichen dasselbe: Die Bundesverfassung fordere die Stimmwertgleichheit auch nicht für Landeswahlen. Auch die westaustralische Verfassung enthielte kein solches Erfordernis. Selbst wenn die Grundsätze eines selbständigen Prinzips der repräsentativen Demokratie durch ein Wahlgesetz ohne Einhaltung der Stimmwertgleichheit verletzt würden, so wäre das Gesetz nicht verfassungswidrig. 740 Richter Gummow stellte fest, daß die inhaltliche Ausfüllung des Begriffs "repräsentative Demokratie" in Bund und Land durchaus Abweichungen haben, das Demokratiemodell in den Ländern also von dem des Bundes verschieden sein könne. 741 Die Landesverfassung von Western Australia verankere zwar die repräsentative Regierungsform, nicht aber ein bestimmtes Wahlsystem, das Wahlgleichheit verlan(1996) (1996) 740 (1996) 74 ' (1996) 738 739

186 CLR 140; zum Sachverhalt siehe oben S.I02. 186 CLR 140 (175; 178). 186 CLR 140 (250-254). 186 CLR 140 (291).

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1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

ge; daher könne das Parlament das Wahlsystem jederzeit ohne besondere Mehrheiten ändern und darüber frei entscheiden, ohne daß es von Verfassungs wegen daran gehindert wäre. 742 (ß) Die abweichenden Voten

Interessant für die Frage der implizierten Rechte in den Landesverfassungen sind vor allem die beiden abweichenden Meinungen von Richter Toohey und Richterin Gaudron. Richter Toohey meinte, daß verschiedene Implikationen in der Bundesverfassung sich durchaus unterschiedlich auf die Landesverfassung auswirken könnten. Während die Freiheit der politischen Kommunikation notwendigerweise ein Ausdehnen auf die Landesverfassungen beinhalte, sei dies bei der Implikation der Wahlgleichheit nicht erforderlich, um der Bundesimplikation gerecht zu werden.743 Allerdings enthalte auch die westaustralische Verfassung ein impliziertes Prinzip der repräsentativen Demokratie, das sich aus ähnlichen Vorschriften wie in der Bundesverfassung ableite, dies sei bereits in Stephens festgestellt worden. Auch das westaustralische Prinzip der repräsentativen Demokratie sei nicht statisch, sondern dynamisch und verlange mittlerweile nach gewandeltem Verständnis die Gleichheit des Stimmwerts, so daß das westaustralische Wahlgesetz nicht mit diesem Verständnis übereinstimme.744 Richterin Gaudron schloß sich im wesentlichen Richter Toohey an und meinte, daß die Bundesverfassung über Art. 106 zwar erfordere, daß die Länder, als die Bestandteile der Föderation, im wesentlichen demokratisch sind und bleiben, dies aber nicht bedeute, daß die Länder nicht einige Abweichungen von der Bundesverfassung vorsehen könnten. Deshalb schlage hier nicht das Demokratieprinzip der Bundesverfassung durch, sondern die Gesetzgebung sei an der westaustralischen Verfassung zu messen.745 Sie fuhr fort, indem sie aus den Worten "direkt vom Volk ausgewählt" den Auftrag für ein demokratisches Wahlsystem herauslas, das die Stimmwertgleichheit erfordere. Dies sei durch die Wahlgesetzgebung in WestaustraHen nicht erfüllt, da sie dem Prüfungsmaßstab - sie verwandte den gleichen wie für die Bundesverfassung- nicht standhalte.746 Beide abweichenden Meinungen sprachen sich also für eine landesrechtliche Implikation aus. (1996) (1996) 744 (1996) 745 (1996) 746 (1996)

742 743

186 CLR 186 CLR 186 CLR 186 CLR 186 CLR

140 (398ff). 140 (206). 140 (210-212; 215f). 140 (216). 140 (221; 223).

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

193

(b) Muldowney v. The State of South Australia and Another141

Obwohl es in Muldowney um die Verfassungsmäßigkeit eines Landesgesetzes ging, ist der Fall hinsichtlich der Kommunikationsfreiheit auf Landesebene wenig aufschlußreich, weil das beklagte Land die Existenz einer implizierten Freiheit der politischen Kommunikation in der Landesverfassung von Südaustralien zugestanden hatte. Die einzelnen Voten konnten sich auf andere Argumente stützen und mußten deshalb über die landesrechtliche Ebene nicht entscheiden, sondern konnten es bei obiter dicta belassen. Präsident Brennan beschränkte sich darauf zu sagen, daß über die Existenz in der Landesverfassung nicht entschieden werden müsse, daß aber eine solche implizierte Freiheit jedenfalls in ihrer Reichweite nicht weiter gehen könne als die der Bundesverfassung. 748 Richter Dawson meinte, daß die südaustralische Verfassung ebensowenig wie die Bundesverfassung eine selbständige implizierte Kommunikationsfreiheit enthalte, sondern lediglich einige Minimalerfordernisse des repräsentativen Regierungssystems. Diese Minimalerfordernisse, vor allem das der freien Entscheidungsmöglichkeit bei Wahlen, müsse aber auch das südaustralische Parlament beachten.749 Richter Toohey bezog sich auf sein Votum in McGinty. Es sei zwar wegen des Zugeständnisses der Gegenseite nicht nötig, Stellung zu beziehen, aber die südaustralische Verfassung enthalte ähnliche Elemente wie die westaustralische, bei der er in McGinty eine Implikation der repräsentativen Regierungsform festgestellt hatte. 750 Auch Richterin Goudron hielt es nicht für notwendig, zur Iandesrechtlichen Frage Stellung zu nehmen, da eine potentielle implizierte Freiheit nur dieselben Auswirkungen wie die auf Bundesebene haben könne. Weder die Kommunikationsfreiheit auf Bundesebene noch eine mögliche südaustralische können daher zur Verfassungswidrigkeit der Vorschriften führen. 751 Aus ähnlichem Grund entschied Richter Gummow (dem sich Richter McHugh anschloß) nicht über eine mögliche landesrechtliche Implikation: Eine Implikation von Freiheit der Kommunikation über politische Themen wäre vom repräsentativen Regierungssystem abgeleitet und würde dieses unterstützen. Daher würde sie die Kompetenz des südaustralischen Parlaments, die angegriffenen Vorschriften zu erlassen, welche dem Schutz des Wahlsystems und damit der repräsentativen Demokratie dienen, nicht beschränken.752 (1996) (1996) 749 (1996) 75o ( 1996) 751 (1996) 752 (1996) 747

748

13 Pittrof

186 CLR 352; zum Sachverhalt siehe oben S.ll2. 186 CLR 352 (367). 186 CLR 352 (370t). 186 CLR 352 (373 t). 186 CLR 352 (377t). 186 CLR 352 (387t).

194

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Insgesamt läßt sich daraus eine Tendenz erkennen, daß sich bundesrechtliche und landesrechtliche Implikation inhaltlich und in ihrer Reichweite entsprechen.

(c) David Russell Lange v. Australian Broadcasting Corporation153

Obwohl für die Konsolidierung des Rechts auf politische Kommunikation sehr wichtig, ist auch Lange für die verfassungsrechtliche Implikation auf Landesebene nur begrenzt relevant. Die Richter äußerten sich nur in Nebensätzen zum Landesrecht. Erwähnt wurde die Bindung des Landesrechts an die Bundesverfassung und damit auch ihre implizierten Freiheiten, da sich die Bundesverfassung in einigen Vorschriften, die das repräsentative System verankern, auch ausdrücklich an die Länder und Territorien wende.754 Die fortschreitende Integration und Verflechtung von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten in Australien lasse eine inhaltliche Trennung in politische Kommunikation auf Bundes- und auf Landesebene nicht zu. 755

(d) Laurence Nathan Levy v. The State ofVictoria and Others156

Obwohl sich Levy auf Landesebene abspielte und der Kläger sich auch auf eine ungeschriebene Kommunikationsfreiheit in der Verfassung Victorias berief, gibt diese Entscheidung ebenfalls nur am Rande Aufschluß über eine implizierte Freiheit der politischen Kommunikation in der Verfassung Victorias. Die Richter konnten die Verfassungswidrigkeit bereits auf anderer Ebene verneinen, so daß sie die landesrechtliche Ebene nicht mehr entscheiden mußten und sie allenfalls noch hypothetisch ansprachen. Präsident Brennan bemerkte, daß er die inhaltliche Ausdehnung der Bundesfreiheit auf die Landeskommunikation nicht befürworte, stützte seine Entscheidung dann aber nicht auf diesen Gesichtspunkt.757 Bezüglich der Frage, ob eine Kommunikationsfreiheit in der Verfassung Victorias impliziert sei, begnügte er sich mit der Feststellung, daß eine solche, sollte sie existieren, nicht weiter sein könne als die in der Bundesverfassung implizierte, die die in Rede stehende Verordnung nicht unwirksam werden lasse, so daß es unnötig sei, diese Frage zu entscheiden.7ss (1997) 189 CLR 520; zum Sachverhalt siehe oben S.114. (1997) 189 CLR 520 (561). 755 (1997) 189 CLR 520 (571 f). 756 (1997) 189 CLR 579; zum Sachverhalt siehe oben S.119. 757 ( 1997) 189 CLR 579 (595 f). 75s (1997) 189 CLR 579 (599f). 753

754

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

195

Auch Richter Dawson159 hielt es wie Richter McHugh160 aus dem gleichen Grund für unnötig, über die Frage einer implizierten Kommunikationsfreiheit in der Verfassung Victorias zu entscheiden. Die Argumentation von Richterin Gaudron entsprach der Präsident Brennans und Richter Dawsons; eine etwaige implizierte Kommunikationsfreiheit in der Verfassung Victorias könne nicht weiter gehen als die der Bundesverfassung, die durch die angegriffene Verordnung nicht verfassungswidrig beschränkt werde.761 Lediglich Richter Kirby beschäftigte sich etwas ausführlicher mit den Auswirkungen auf Landesebene. Zum einen übernahm er aus Lange die Verflechtung der politischen Ebenen in Australien, aus welcher folge, daß die bundesrechtliche Freiheit inhaltlich auch politische Kommunikation auf Landesebene schütze. Zum anderen war er bereit- wenn auch nur zum Zwecke der Entscheidung im Fall- anzunehmen, daß die Verfassung Victorias die Gesetzgebungskompetenz des Parlaments bei Gesetzen, die die Diskussionsfreiheit bezüglich politischer und Regierungsangelegenheiten behinderten, ebenso wie die Bundesverfassung beschränke. Diese Annahme sei weder der Phantasie entsprungen noch unvernünftig. Unter Anwendung der gleichen Prinzipien verstoße die Verordnung aber auch nicht gegen die Verfassung Victorias.1 62 Letztlich blieb also unentschieden, ob die Verfassung des Landes Victoria wie beispielsweise die des Landes Western Australia eine ungeschriebene Kommunikationsfreiheit enthält.

dd) Versuch einer Standortbestimmung Geben die Urteile auch einige Antworten auf die eingangs aufgeworfenen Fragen, so zeigt sich doch deutlich, daß auf Landesebene noch der meiste Klärungsbedarf hinsichtlich der Freiheit der politischen Kommunikation besteht. Denn die Rechtsprechung zum implizierten Recht auf Landesebene ist noch am wenigsten entwikkelt. Allgemein kann das Landesrecht den Mangel an Grundrechtsschutz auf Bundesebene keinesfalls auffangen. Nachfolgend der vorsichtige Versuch einer Lösung der Thematik: Fast alle Richter beantworten die Frage, ob die bundesrechtlich implizierte Freiheit der politischen Kommunikation auch den Landesgesetzgeber beschränkt mit ja.763 1s9 7fiJ

761 762 763

13*

(1997) 189 CLR 579 (609). (1997) 189 CLR 579 (627). (1997) 189 CLR 579 (619f). (1997) 189 CLR 579 (643f; 647f). Vgl. oben S.133f.

196

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Ebenso von einer Mehrheit bejaht wird die davon zu unterscheidende Frage, ob die bundesrechtliche Freiheit der politischen Kommunikation sich inhaltlich auch auf Kommunikation über Landespolitik beziehe. Schwieriger ist die Beantwortung der Frage, ob in den Landesverfassungen auch eine implizierte Kommunikationsfreiheit enthalten ist. Soweit die Voten dazu Stellung nehmen, wird es für die zu beurteilenden Landesverfassungen bejaht. Allerdings kommt es wohl auf die einzelnen Verfassungen an, je nach dem ob es sich um eine flexible oder (mindestens teilweise) rigide/starre Landesverfassung handelt. Nicht alle Landesverfassungen enthalten sogenannte entrenchment provisions, mit denen Änderungen der Vorschriften, aus denen das Prinzip der repräsentativen Demokratie oder eine Kommunikationsfreiheit abgeleitet werden könnten, dem einfachen Gesetzgeber entzogen und an eine bestimmte Mehrheit im Parlament und/oder eine Zustimmung des Volkesper Referendum geknüpft sind.764 Es könnte sich herauskristallisieren, daß das demokratische/repräsentative System in den Landesverfassungen nur soweit impliziert ist, wie die Vorschriften, aus denen es abgeleitet wird, durch entrenchment provisions geschützt und dem einfachen Gesetzgeber entzogen sind, da es nur so als wirklich in der Verfassung verankert gesehen werden kann. Dies klang z. B. im Votum Richter Gummows im McGinty-Urteil an, der die Implikation ausdrücklich an das entrenchment knüpfte.76S Für einige Länder kann dies bedeuten, daß keine implizierte Kommunikationsfreiheit bzw. überhaupt keine implizierten Freiheiten in ihren Verfassungen enthalten sind. Letztlich wurde nur für die westaustralische Verfassung ausdrücklich mehrheitlich entschieden, daß sie eine Freiheit der politischen Kommunikation impliziert. Die Tatsache, daß man sich in Levy bemühte, keine Stellung zur Verfassung Victorias zu nehmen, zeugt auch davon, daß der High Court vorsichtig geworden und bemüht ist, eine weitere Ausdehnung der Kommunikationsfreiheit zu verhindern. Im Sinne einer Konsolidierung ist dies sicherlich begrüßenswert, wird jedoch im Laufe der Zeit weitere Fragen aufwerfen, da die zugrundeliegenden rechtlichen Probleme nicht gelöst sind. Die oben als zweite gestellte Frage, ob die Bundesverfassung auch verlange, daß die Landesverfassungen eine implizierte Kommunikationsfreiheit beinhalten, wurde in den Urteilen nicht direkt angesprochen, wird aber negativ zu beantworten sein. 766 Dafür spricht vor allem die Entscheidung in McGinty, inder-gerade in den freiheitsbefürwortenden Minderheitsvoten - ausdrücklich gesagt wurde, daß die 764 Nur New South Wales, SouthAustralia und Western Australia. Vgl. auch Carney G., The Implied Freedom (Anm. 713) 197. 765 (1996) 186 CLR 140 (300), siehe oben S. 191. 766 So wohl auch Carney G., The Implied Freedom (Anrn. 713) 198.

II. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation

197

Bundesverfassung keine Konformität verlange, sondern Landesverfassungen durchaus Abweichungen vorsehen könnten. 767 Allgemein erscheint in Australien die Trennung der Verfassungsräume von Bund und Ländern ausgeprägter als in Deutschland, so daß auch dies dagegen spricht. Hinsichtlich Inhalt, Reichweite und Rechtsnatur wird die landesrechtlich implizierte Freiheit der bundesrechtlichen gleichgesetzt, so daß im wesentlichen auf diese Ausführungen verwiesen werden kann. Je nach Landesverfassung und deren entrenchment ist es aber offen, ob diese Eigenschaften auch abweichen können, da auch die landesrechtliche Freiheit immer nur so weit reicht, wie die jeweilige Verfassung es erfordert, und auf diese Weise Abweichungen entstehen können. Sicher ist daher nur, daß die Freiheit in den Länderverfassungen nicht umfassender ist, als die durch die Bundesverfassung implizierte, da die Landesverfassungen durch ihre flexible Struktur und geringeres entrenchment nicht mehr erfordern können, als die starre Bundesverfassung. Ein Weniger an Freiheit ist jedoch möglich. Dies wird durch weitere Fälle in den einzelnen Ländern geklärt werden müssen. Was die rechtliche Natur der implizierten landesrechtliehen Kommunikationsfreiheit betrifft, so stellt sie, ebenso wie die bundesrechtliche Freiheit, eine Schranke für die grundsätzlich umfassende Gesetzgebungskompetenz des jeweiligen Landes dar. Ihre Begrenzungen sind dann wiederum im Sinne einer "australischen Wechselwirkungslehre" die Schranken- Schranken für die Begrenzung der Gesetzgebungskompetenz.

b) Einfachrechtlicher Schutz Der einfachgesetzliche Schutz der Meinungsfreiheit unterscheidet sich auf Landesebene nicht von dem auf Bundesebene. aa) Common Law

Anders als in den USA wird das common law in Australien als einheitlich in ganz Australien gesehen, da es einheitlich rezipiert wurde.768 Daher gibt es auch in den Ländern die gleiche Redefreiheit des common law, die allerdings durch verschiedene Gesetze der jeweiligen Landesgesetzgeber unterschiedlich begrenzt sein kann, d. h. es ist möglich, daß sie in einem Land weiter reicht als in einem anderen. 767 Z. B. Richterin Gaudron ( 1996) 186 CLR 140 (216), siehe oben S. 192. Aus Richter Tooheys Votum könnte man allerdings herauslesen, daß einzelne Bundesimplikationen von Rechten aus ihrer Natur heraus dennoch auf die Landesverfassung einwirken können, vgl. (1996) 186 CLR 140 (206). 768 A. A. wohl Priestley L. J., A Federal Common Law in Australia?, 6 (1995) PLR 221.

198

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Ihre Eigenschaft als jederzeit - mit Ausnahme von möglichen implizierten verfassungsrechtlichen Einschränkungen - abänderbares Residualrecht ist jedoch identisch. Auch die Parlamente der Länder besitzen das Supremat. So wurde für Südaustralien bezogen auf Religionsfreiheit entschieden, daß ein vom Kläger behauptetes, im common law bestehendes unabänderliches Recht auf die Religionsfreiheit ein völliges Umschreiben der Geschichte erfordern würde.769 [...]die Bürger dieses Landes haben keine Rechte, die nicht durch Gesetz des Südaustralischen Parlaments außer Kraft gesetzt werden können. Das Südaustralische Parlament hat das Supremat.770

bb) Gesetzesrecht Auch auf Landesebene gibt es keinen einfachgesetzlichen Grundrechtskatalog, es gelten jedoch ebenfalls die englische Bill of Rights171 und die Magna Charta,772 die auf Landesebene ebenfalls nicht die Stellung eines Grundrechtskatalogs einnehmen. Wie auf Bundesebene gibt es zahlreiche Gesetze, die in grundrechtliche Bereiche fallen. Und wie dort betreffen sie jedoch vor allem das Gleichheitsrecht.773 Ein Gesetz, das Meinungsfreiheit schützt, existiert nicht. 2. Grenzen Wie beim Schutzbereich, so wird die landesrechtliche Freiheit auch bei den Schranken der bundesrechtlichen gleichgesetzt. In den einzelnen Voten wird immer wieder betont, daß eine landesrechtliche Kommunikationsfreiheit nicht weiter gehen könne als die bundesrechtliche. Grace Bible Church lnc v. Reedman, 54 (1984) ALR 571 (574, Richter Zelling). the citizens ofthis State do not have rights, which may not be overridden byAct ofthe South Australian Parliament. The South Australian Parliament is supreme. ibid. 585, Richter Millhouse. S. a. die Besprechung des Falles bei Walker G. de Q, Dicey's Dubious Dogma of Parliamentary Sovereignty: A Recent Fray with Freedom of Religion, (1985) 59 ALJ 276. 771 Siehe z. B. für Western Australia: Easton v. Griffiths 69 (1995) ALJR 669; für South Australia Rann v. Olsen [2000] SASC 83 und allgemein: Senate Standing Committee on Constitutional and Legal Affairs, Commonwealth Law Making Power and the Privilege of Freedom of Speech in State Parliaments, Repon, 1985 (8 ff). 772 s. z. B. für New South Wales R v McConnell, (1985) 2 NSWLR 269, Richter Moore verwendete hier zwar die Bezeichnung constitutional right im Zusammenhang mit der Magna Charta. Es handelt sich dabei aber um "Verfassungsrechte" nach englischem Verständnis, also nicht um in einem geschriebenen, höherrangigen Dokument verbriefte Individualrechte, sondern um einfaches Recht, das zumindest theoretisch der Änderung durch das Parlament unterliegt. Zur Weitergeltung der Magna Charta siehe auch Cast/es A. C., Australian meditations on Magna Cana, 63 (1989) ALJ 122. 773 In Queensland existiert darüberhinaus auf einfachgesetzlicher Ebene das Versammlungsrecht (Peaceful Assembly Act, 1992). 769

770 [. •• ]

111. Rechtsschutz

199

Als Prüfungsmaßstab wird man daher auch im Landesverfasssungsrecht den Lange-Maßstab anlegen müssen,774 nach dem ein Gesetz, das in den Schutzbereich der Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik, wie von der jeweiligen Landesverfassung gefordert, fallt, dennoch wirksam ist, wenn I. das Gesetz ein legitimes Ziel verfolgt, das nicht auf die Beschneidung der genannten Freiheit gerichtet und mit dem von der Landesverfassung vorgegebenen repräsentativen Regierungssystem vereinbar ist, und 2. wenn es zur Erreichung dieses legitimen Gesetzeszweckes bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet und angepaßt ist. Unausgesprochene Voraussetzung ist dabei immer, daß das betreffende landesrechtliche Gesetz auch sonst in die Kompetenz des Landesgesetzgebers fallt und nicht dem Bundesgesetzgeber unterliegt.

3. Schranken-Schranken? Wie im Bundesrecht, so gibt es auch im Landesrecht keine Schranken-Schranken im eigentlichen Sinn. Zwar könnte man auch hier aus dem Lange-Maßstab das Erfordernis der Geeignetheit und Angepaßtheit an den Gesetzeszweck als SchrankenSchranke herauslösen. Aber ebenso wie im Bundesrecht wäre dies eine künstliche Konstruktion, da in den Urteilen eine solche Unterscheidung nicht getroffen wird. Im Sinne der oben postulierten "australischen Wechselwirkungslehre" ließen sich allenfalls die Beschränkungen der Freiheit auch im Landesrecht als SchrankenSchranken der Gesetzgebungskompetenz darstellen. Das hieße dann wieder, daß die Gesetzgebungskompetenz des jeweiligen Landes ihre Schranke in der Kommunikationsfreiheit fande. Als Schranken-Schranke dienten Gesetze, die mit dem LangeMaßstab übereinstimmten, denn die implizierte Kommunikationsfreiheit kann nicht soweit gehen, andere legitime, der von der Landesverfassung geforderten repräsentativen Demokratie dienende Gesetze zu verhindern.

111. Rechtsschutz Die gerichtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten der Kommunikationsfreiheit sind in Australien nur im Rahmen ordentlicher Gerichtsverfahren gegeben. Zusätzlich 774 Vgl. auch Richter Brennan, der bereits in Theophanous (1994) 182 CLR 104 (156) für eine Übertragung des bundesrechtlichen Prüfungsmaßstabs auf das Landesrecht argumentierte.

200

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

gibt es aber ein administratives Verfahren der Durchsetzung. Darüberhinaus stehen auch internationale Gremien offen. Das folgende Kapitel möchte einen kurzen Überblick über die Möglichkeiten auf nationaler und internationaler Ebene geben.

A. Nationale Rechtsschutzmöglichkeiten 1. Gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten Bei der Prüfung der Rechtsschutzmöglichkeiten ist zunächst danach zu unterscheiden, gegen welche staatliche Gewalt Rechtsschutz gesucht wird. a) Rechtsschutz gegen Legislativ- und Administrativakte Da Verpflichteter der Freiheit im wesentlichen der Gesetzgeber ist, ist eine Verletzung der Verfassungsfreiheit vor allem durch das Parlament denkbar. Allerdings gibt es in Australien kein separates Verfahren der Verfassungsbeschwerde, welche den Bürgern als Rechtsschutzmöglichkeit gegen Gesetze des Parlaments zur Verfügung stünde, die die in der Verfassung impliziert enthaltenen Freiheiten verletzen. Daher bleibt nur die Möglichkeit einer Inzidenzkontrolle in einem ordentlichen Rechtsstreitverfahren. Aufgrund der besonderen Rechtsnatur der Freiheit als Kompetenzbeschränkung kann sich der Kläger oder die Klägerin hierbei nicht direkt auf ein Recht auf Kornmunikationsfreiheit berufen, sondern muß mit einer Kompetenzüberschreitung der Legislative argumentieren. Dies kann formell der Fall sein, wenn das Gesetz wie in der Davis- Entscheidung775 aufgrund der starken Beschneidung der common /aw-Redefreiheit nicht mehr vom Kompetenzzweck gedeckt ist, oder - wegen der stärkeren Stellung der implizierten Verfassungsfreiheit erfolgversprechender- materiell, wenn das Gesetz zwar eigentlich unter einen Kompetenztitel fällt, aber die Gesetzgebungsbefugnis durch die von der Verfassung geforderte, implizierte Freiheit der politischen Kommunikation materiell beschränkt ist. Auch Akte der Verwaltung können mit dem Argument, sie beruhten auf freiheitsverletzenden Gesetzen, angegriffen werden. Auch hier steht aber das Gesetz und nicht der Verwaltungsakt im Mittelpunkt der Beanstandung, so daß das Verfahren sich nicht von obigem unterscheidet. 775

Siehe oben S. 61.

III. Rechtsschutz

201

In der Regel werden diese Rechtstreitigkeiten direkt beim High Court anhängig gemacht.776

b) Rechtsschutz gegen Gerichtsurteile Von der Rechtsnatur der Kommunikationsfreiheit als Kompetenzbeschränkung her sind die Gerichte eigentlich nicht auf die Kommunikationsfreiheit verpflichtet. Wie aber in den Urteilen zur Drittwirkung der Freiheit deutlich wurde, müssen auch die Richter bei der Entwicklung des common law und der Interpretation der Gesetze die implizierte Verfassungsfreiheit beachten. Rechtsschutz gegen Urteile, die dagegen verstoßen, kann mangels Verfassungsbeschwerde und Verfassungsgericht, ebenfalls nur im Instanzenzug der ordentlichen Gerichtsbarkeit erfolgen. Um im Revisionsverfahren zum High Court zu gelangen, muß man allerdings die schwierige Hürde des Zulassungsverfahrens nehmen, da es kein Recht auf Revision zum High Court gibt. 777

c) Klagebefugnis Problematisch kann bei verfassungsrechtlichen Streitigkeiten die Klagebefugnis sein, obwohl dies bislang in den Urteilen, die sich mit implizierten Rechten befassen, noch nicht behandelt wurde. Lediglich im Zusammenhang mit Art.l16 der Verfassung- also einem geschriebenen Recht- gibt es eine Äußerung von Richter Murphy, daß [e]in jeder des Bundesvolkes die Befugnis hat, gerichtlich vorzugehen, um die Einhaltung von Verfassungsgarantien zu sichem.778

Er schien dabei eine Art Popularklage zu befürworten. Der einzige andere Richter, der sich im gleichen Fall mit der Frage der Klagebefugnis hinsichtlich verfassungsrechtlicher Vorschriften befaßte, sprach sich obiter aber für die Notwendigkeit eines "besonderen Interesses" aus,779 wie es auch bei anderen Klagen üblich sei. Es liegt daher noch keine authoritative richterliche Äußerung vor. In der Literatur hat die Australische Kommission für Rechtsreform die Erweiterung der Klagebefugnis auf jedermann bei allen Klagen mit öffentlichem Element 776 Art. 30 (a) Judiciary Act, 1903; siehe auch Art. 40 (I) und (4), der dem High Court die Möglichkeit gibt, Rechtsstreitigkeiten, die die Auslegung der Verfassung betreffen und in einem anderen Gericht anhängig gemacht wurden, an sich zu ziehen. 777 Art. 35 (2), 35 AA (2), 35 A Judiciary Act, 1903. 778 [a]ny one ofthe people ofthe Commonwealth has the standing to proceed in the courts to secure the observance of constitutional guarantees. Attorney-General for the Stare of Victoria (At the Relation of Black) and Others v. The Commonwealth of Australia and Others (1981) 146 CLR 559 (634). 779 Richter Gibbs (1981) 146 CLR 559 (589).

202

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

empfohlen, solange dies nicht durch das betreffende Gesetz ausdrücklich ausgeschlossen sei und die Klage nicht die Möglichkeit einer individuell betroffenen Person, mit der Rechtssache nach ihrem Belieben zu verfahren, einschränke.78° Auch ein ehemaliger Präsident des High Court sprach sich aufgrundder Wichtigkeit von öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten für die Ausweitung der Klagebefugnis aus. 781 Andere Stimmen hingegen befürworten mit Blick auf die sonst erweiterte richterliche Kompetenz in Grundrechtsfragen die Beibehaltung des Erfordernisses des "besonderen Interesses" und warnen vor einer Ausdehnung der Klagebefugnis. 782 Abschließend geklärt werden könnte die Frage nur durch ein Gesetz oder eine Entscheidung des High Court.

d) Schadensersatzklage

Ausdrücklich abgelehnt wurde im Kruger-Fall783 die Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Schadensersatzklage bei Verletzung einer Verfassungsfreiheit durch den Staat. Die Kläger hatten u. a. argumentiert, die Verfassung impliziere eine Freiheit, deren Verletzung eine Schadensersatzpflicht des Staates auslöse. Von den sechs Richtern mußten drei784 nicht über die Frage entscheiden, da sie bereits das Vorhandensein der behaupteten Freiheiten ablehnten. Die anderen dreF85 lehnten - obwohl eigentlich freiheitsfreundlich- eine verfassungsrechtliche Schadensersatzklage ausdrücklich ab. Da das einfache Recht bereits ausreichende Möglichkeiten des Schadensersatzes biete, sei eine neue Klageart im Verfassungsrecht nicht erforderlich. Insbesondere bei freiheitsverletzenden Gesetzen wird es aber sehr schwierig sein, überhaupt eine für die Verletzung verantwortliche Person festzustellen, die dann über das einfache Recht in Anspruch genommen werden kann.

780 Australian Law Reform Commission, Beyond the door-keeper, Standing to sue for public remedies, Report No 78, 1996, 5.24. Siehe dazu den kritischen Kommentar von Burmester H., Standing to Sue for Public Remedies, 8 ( 1997) PLR 3. 781 Mason A., Future Directions in Australian Law, (1987) 13 Mon LR 149 (162). 782 Burmester H., Locus Standi in Constitutional Litigation, in: Lee H. P./Winterton G. (Hrg.), Australian Constitutiona1 Perspectives, 1992, 148. 783 (1997) 190 CLR I, vgl. oben S.l22. 784 Richter Dawson, McHugh und Gummow. 785 (1997) 190 CLR I (46 f, Präsident Brennan; 93, Richter Toohey; 124 ff, Richterin Gaudran).

III. Rechtsschutz

203

2. Sonstige nationale Rechtsschutzmöglichkeiten (Human Rights and Equal Opportunity Commission) Bei Grundrechtsverstößen gibt es in Australien daneben die Möglichkeit einer Beschwerde zur Human Rights and Equal Opportunities Commission (HREOC).7 86 Die Kommission, die als unabhängige juristische Person konzipiert ist und deren Mitglieder von der Regierung ernannt werden, ist als "Hüterin der Menschenrechte" in Australien gedacht und hat diesbezüglich eine Reihe von Aufgaben. Neben der Stärkung und Schulung des Menschenrechtsbewußtseins der australischen Bevölkerung durch Information, Forschung und Bildungsprogramme, der Wahrnehmung der Aufgaben nach den verschiedenen Antidiskriminierungsgesetzen und der Beratung der Regierung in Menschenrechtsfragen, kann sie sich mit allen Handlungen und Praktiken, die mit Menschenrechten unvereinbar sein könnten, befassen. 787 Gemeint ist dabei nicht nur staatliches Handeln, sondern vor allem auch das Handeln Privater, beispielsweise von Arbeitgebem.788 Zielsetzung einer Beschwerde wegen eines Menschenrechtsverstoßes ist es, den Betroffenen eine gegenüber einem gerichtlichen Verfahren weniger bürokratische und kostengünstigere Möglichkeit der Genugtuung zu geben.789 Als "Menschenrechte" im Sinne des Gesetzes sind in Art. 3 (1) und (4) des Human Rights and Equal Opportunity Commission Act, 1986 unter anderem die im Internationalen Pakt über bürgerliche und politsche Rechte genannten definiert, so wie sie für Australien anwendbar sind. Da in dessen Art. 19 auch Meinungsfreiheit geschützt ist, kann eine Beschwerde grundsätzlich auch auf einen Verstoß gegen die Meinungs- bzw. Kommunikationsfreiheit gestützt werden. Allerdings sind die Feststellungen von HREOC nicht durchsetzbar: Im Falle von Gesetzen hat die Kommission lediglich beratende Funktion790 und für die Durchsetzung von Feststellungen der Kommission in sonstigen Fällen hat der High Court 786 Die Kommission wurde durch den Human Rights and Equal Opportunity Commission Act, 1986 errichtet. Mit geplanten einschneidenden Änderungen der HREOC befaßt sich kritisch Boniface D. J., Does Anyone Really Know Where We're Going? Changes to the Human Rights and Equal Opportunity Commission, 4 ( 1997) AJHR 206. 787 Vgl. Art. 11 Human Rights and Equal Opportunity Commission Act, 1986. 788 Hier zeigt sich wieder die etwas andere Auffassung von Grundrechten als die das gesellschaftliche Leben der Bürgerinnen und Bürger untereinander beherrschende Grundregel, vgl. Anm. 705. Eine sehr interessante Untersuchung der Praxis der HREOC findet sich bei Devereu.x: A., Human Rights By Agreement?, A Case Study ofthe Human Rights and Equal Opportunity Commission 's Use of Conciliation, (1996) Aus Disp Res J 280. 789 Das Beschwerdeverfahren faßt zusammen: Rädler P., Verfahrensmodelle zum Schutz vor Rassendiskriminierung, 1999, 153ff. Siehe auch Race Discrimination Commissioner, Racial Discrimination Act 1975: A Review, 1995, Kap.14, 299ff. 790 Vgl. Art. II (e) Human Rights and Equal Opportunity Commission Act, 1986.

204

1. Kap.: Die Rechtslage in Australien

entschieden, daß dies ein Verstoß gegen die Verfassung wäre, da dann einem Organ, das kein Gericht sei, eine gerichtliche Funktion zukäme.791 In der Praxis befaßt sich HREOC vor allem mit Verstößen gegen Gesetze, die die Meinungsfreiheit beschränken, wie racial vilification (Rassenverhetzung), also Fällen des Mißbrauchs von Meinungsfreiheit, nicht aber mit Verstößen gegen die Meinungsfreiheit selbst. Im Verfahren vor HREOC findet dabei keine Abwägung der konfligierenden Werte (beispielsweise Meinungsfreiheit und Ehre) statt, sondern man geht davon aus, daß der Gesetzgeber bei Erlaß der jeweiligen Antidiskriminierungs-/Antiverhetzungsgesetze bereits die richtige Abwägung getroffen hat. Das Resultat der gesetzgebensehen Abwägung wird dann lediglich ausgeführt. Die mangelnde Abwägung der verschiedenen Grundrechtspositionen untereinander im Einzelfall ist der Nachteil von einzelnen Antidiskriminierungsgesetzen gegenüber einem Grundrechtskatalog. Eine weitere Frage ist, ob zusammen mit der Einführung eines (einfachgesetzlichen) Grundrechtskatalogs, die Möglichkeit der Beschwerde zu HREOC bei Verstoß gegen die dort genannten Grundrechte zugestanden werden würde. Um dem Grundrechtsschutz etwas Gewicht zu verleihen, wäre ein solcher Schritt sicher wünschenswert.

B. Internationale Rechtsschutzmöglichkeiten Nur erwähnt werden kann in diesem Rahmen, daß den australischen Bürgerinnen und Bürgern auch internationale Gremien zur Durchsetzung von Grundrechten offenstehen. Zur Durchsetzung der Meinungsfreiheit sind hier insbesondere die Individualrechtsschutzmöglichkeiten792 nach dem Ersten Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu nennen, dem Australien am 25. September 1991 beigetreten ist.793 791 Brandy v. Human Rights and Equal Opportunity Commission (1995) 127 ALR 1. Eine Analyse der Entscheidung findet sich bei: Omar 1., Darkness on the Edge of Town: The High Court and Human Rights in the Brandy Case, 2 (1995) AJHR 115. 792 Einen Überblick über die völkerrechtlichen Individualbeschwerdemöglichkeiten bietet TomuschatCh., in: Wolfrum R. (Hrg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. Auflage, 1991, 551 ff. 793 Das Protokoll ist für Australien seit 25. Dezember 1991 in Kraft. Eine Übersicht über die sich durch das Protokoll ergebenden Möglichkeiten findet sich bei: International Protection of Human Rights, Reform, (Sommer 1992) Nr. 63, 31 und Caleo Ch., Implications of Australia's Accession to the First Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights (1993) 4 PLR 175. Die Individualbeschwerdemöglichkeiten nach Art. 14 der Rassendiskriminierungskonvention (CERD) stehen australischen Bürgern seit 28. Januar 1993 offen. Vgl. dazu Pritchard S., Breaking the national sound barrier: communication with the CERD and CAT Committees, 5 (1999) AJHR 67. Eine Beschwerde im Meinungsfreiheitsbereich könnte sich also auf Art. 5 Abs. 1 (d) (viii) CERD stützen. Zum CERD-Ausschuß allgemein sie-

III. Rechtsschutz

205

Unter den Voraussetzungen von Art. 19 IPBüPR794 und der Art. 2 ff des Fakultativprotokolls können australische Bürger(innen) und sonstige der Herrschaftsgewalt Australiens unterstehende Personen - also beispielsweise Personen mit Status als permanent resident - daher die Verletzung ihrer Meinungs- und Meinungsäußerungsfreiheit rügen. Seit dem Beitritt wurde die Beschwerdemöglichkeit zwar genutzt,795 allerdings nicht in Fragen der Meinungsfreiheit. Abgesehen davon, daß eine solche Mitteilung die bereits in Art. 19 Abs. 3 IPBüPR selbst vorgesehenen Schranken überwinden müßte, ist auch die rechtliche Bindungswirkung von Auffassungen des Menschenrechtsausschusses für die Signatarstaaten umstritten.796 Jedenfalls entfalten sie keine unmittelbare Bindungswirkung im nationalen Recht und sind daher für die einzelnen Bürger(innen) nicht direkt vollstreckbar. Eine weitere Frage ist, ob Australien aufgrund der mangelnden innerstaatlichen rechtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten gegen den Pakt verstößt.797 Art. 2 Abs. 3 IPBüPR sieht vor, daß die Vertragsstaaten ihren Bürger(inne)n wirksame Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stellen müssen. Aufgrund der obigen Ausführungen zu den geringen Rechtsschutzmöglichkeiten798 liegt ein Verstoß Australiens nahe. Der Menschenrechtsausschuß hat bereits in einer Auffassung - allerdings ohne Bezug zur Meinungsfreiheit - einen Verstoß Australiens deswegen festgestellt.799 In Australien herrscht daher ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen nationalem und internationalem Recht. 800 Australien ist zwar Mitglied vieler internationaler Menschenrechtsabkommen. Diese wurden aber häufig und insbesondere auf dem he Wolfrum R., The Committee on the Elimination of Racial Discrimination, 3 (1999) Max Planck UNYB 489. 794 Zur Umsetzung der Pflichten nach Art. 19 IPBüPR siehe Australia's Second Report Under Article 40 of the International Covenant on Civil and Political Rights, Februar 1987, 183 ff. 795 Darunter der bekannte Toonen- Fall (Mitteilung 488/1992; Auffassungen vom 31. März 1994 A/49/40 Bd. 11/226), der sich gegen eine Vorschrift im lasmanischen Strafgesetzbuch wandte, die Homosexualität unter Strafe stellte. Insgesamt wurden bis Ende Oktober 1998 24 auf den IPBüPR gestützte Mitteilungen gegen Australien eingereicht, siehe dazu Hearn J., Individual Communications under international human rights treaties: an Australian Government perspective, 5 (1999) AJHR 44. 796 Siehe dazu z. B. Evatt E., Reflecting on the roJe of international communications in implementing human rights, 5 ( 1999) AJHR 20 (35). 797 So z. B. Caleo Ch., Implications of Australia 's Accession to the First Optional Protocol to the International Covenant on Civil and Political Rights ( 1993) 4 PLR 175 ( 181 ). 798 Siehe oben S. 200. 799 A v. AustraUen 560/1993 vom April1997. Der Ausschuß war der Auffassung, daß dem Beschwerdeführer, einem kambodschanischen Bootsflüchtling und Asylbewerber gegen seine Inhaftierung nur eine rein formelle Beschwerdemöglichkeit offenstand, das Gericht aber nicht in der Sache über die Inhaftierung entscheiden konnte und somit die Anforderungen des Pakts an die Vertragsstaaten nicht erfüllt waren. Siehe zum ganzen auch Evatt E., Reflecting on the roJe of international communications in implementing human rights, 5 ( 1999) AJHR 20 (v. a. 25; 27 ff). 800 Zum Verhältnis der australischen Länder zum internationalen Recht vgl. Whitlam G., State Rights v World Values, 25 (1995) UWALR 1.

206

I. Kap.: Die Rechtslage in Australien

Gebiet der Meinungsfreiheit nicht in nationales Recht inkorporiert. 801 Aufgrund der auch in Australien vorherrschenden dualistischen Theorie haben die internationalen Abkommen daher keine direkte innerstaatliche Auswirkung. 802 Lediglich indirekt fließen sie zuweilen in die Auslegung der Statuten und die Weiterentwicklung des common law mit ein. 803 Nicht alle sehen dieses Spannungsverhältnis jedoch als negativ an. Aus Sicht einer eigentlich grundrechtsfreundlichen Stimme in der Literatur ist dieser Mangel an nationalem Rechtschutz begrüßenswert, da man so die Entscheidungen über Menschenrechte nicht den Richtern überlassen müsse und die Gefahr der Nachahmung des ihrer Meinung nach negativen amerikanischen Vorbilds ausgeschlossen werde. Ein einfachgesetzlicher Grundrechtskatalog zusammen mit dem völkerrechtlichen Rechtsschutz nach dem Ersten Fakultativprotokoll sei ausreichend. Wer glaube, Opfer eines Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot oder einer unzulässigen Freiheitsbeschränkung zu sein, könne sich an den Menschenrechtsausschuß wenden.S04 Im Ergebnis würde dies bedeuten, daß übernationaler, nicht durchsetzbarer Grundrechtschutz dem durchsetzbaren, australischen vorgezogen würde. Ein nicht-australisches, nicht vom Volk gewähltes Gremium- wenn auch "ohne Zähne" -dürfte dem australischen demokratisch gewählten Parlament widersprechen, nicht aber die australischen obersten Richter. 805 Es scheint, daß hier wieder die Grundeinstellung des 801

S.46.

Bislang gab es zwei Versuche, den IPBüPR zu inkorporieren (1973 und 1985), vgl. oben

802 Vgl. dazu auch Kirby M., Domestic imp1ementation of international human rights norms, 5 (1999) AJHR 109. 803 Beispielhaft sei zu diesem Themenkomplex nur verwiesen auf: Kirby M., The Australian Use of International Human Rights Norms: From Bangalore To Balliol- a View from the Antipodes, 16 ( 1993) UNSWLJ 363; ders., The Impact of International Human Rights Norms: 'A Law Undergoing Evolution', 25 (1995) UWALR 30 und Fitzgerald B. F., International Human Rights and the High Court of Australia, I (1994) JCULR 78; Young v. Registrar, Court of Appeal and Another, CA (NSW), No CA 13489 of 1993. unveröffentlicht; Richter Kirby in Lange (1997) 189 CLR 520 (644ft). Im Fall Minister for Immigration and Ethnic Affairs v. Teoh, ( 1995) 128 ALR 353, hatte der High Court entschieden, daß der Abschluß eines internationalen Vertrages eine Aussage der Regierung dahingehend sei, daß sie sich an die darin festgelegten Prinzipien halten wolle, was eine legitime Erwartung der Bürger erlaube, daß die Verwaltung nach diesen Prinzipen handeln werde. Die Regierung ist dieser Entscheidung entgegengetreten, vgl. z. B. Executive Statement on the Effect of Treaties in Administrative DecisionMaking, 8 ( 1997) PLR 120 und Administrative Decisions (Effect of1nternationallnstruments) Bill 1995. Dazu siehe auch Williams G., Human Rights under the Australian Constitution, 1999, S. 20f. Zum ganzen siehe auch Roberts S., Minister of State for Immigration and Ethnic Affairs v. Ah Hin Teoh: The High Court decision and the Govemment's reaction to it, 2 (1995) AJHR 135 und Allars M., One Small Step for Legal Doctrine, One Giant Leap Towards Integrity in Govemment: Teoh' s Case and the Intemationalisation of Administrative Law, 17 (1995) SydLR204. 804 Brennan F., Thirty Years On, Do We Need a Bill ofRights? (1996) 18 Adel LR 123 (153), ders., An Australian Convert From a Constitutional Bill ofRights, 7 (1996) PLR 132 (v. a.134) und ders., Legislating Liberty, A Bill of Rights for Australia?, 1998, v. a. Kap. 9. 805 Gegen einen starken Einfluß des internationalen Rechts über die internationalen Ausschüsse spricht sich aus: Kemp R., International Tribunalsand the Attack on Austra1ian Demo-

III. Rechtsschutz

207

common law-Juristen, die Angst vor richterlichen Entscheidungen in politischen Fragen, zum Tragen kommt. Ob sich diese Auffassung in Australien durchsetzen kann, oder ob das zunehmende Interesse an einem wirksamen Menschenrechtsschutz den Trend umkehrt, muß die Zukunft zeigen.

Insgesamt ist der Rechtsschutz in Grundrechtsfragen und insbesondere auf dem Gebiet der Meinungsfreiheit nur dürftig und bietet viele Ansätze zur Verbesserung. Die Wahrscheinlichkeit, daß Änderungen im Rechtsschutz verabschiedet werden, ist genauso schwer zu bestimmen wie die der Einführung eines Grundrechtskatalogs.806 Aufgrund der miteinander verflochtenen Argumente ist es nicht ausgeschlossen, daß eine Reform gleichzeitig durchgeführt würde. Die gegenwärtigen Anzeichen scheinen für beide Themen aber wenig günstig. Wahrscheinlicher ist es, daß die australischen Bürger und Bürgerinnen die Durchsetzung ihrer Rechte über die internationale Schiene weiter ausbauen werden und daß eine ähnliche Entwicklung auftreten wird wie in England und seinem Verhältnis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.807 Nimmt man allerdings die ersten Jahre seit dem Beitritt Australiens zu den Zusatzprotokollen als Maßstab,808 so ist auch diese Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch.

cracy, Upholding the Australian Constitution, Bd. 5, Proceedings of the Fourth Conference of the Samuel Griffith Society, 1995, 119. 806 Im Zuge der Überlegungen für die Durchsetzung von HREOC- Entscheidungen nach dem Brandy-Fall, gab es auch den Vorschlag, eine eigene Menschenrechtsabteilung bei bestehenden Gerichten einzurichten. Dieser Vorschlag wurde aber bislang nicht verwirklicht. V gl. Race Discrimination Commissioner, Battles Small and Great, The First Twenty Years of the Racial Discrimination Act, 1995, 34. 807 s. jetzt Human Rights Act (UK), 1998, der die Europäische Menschenrechtskonvention teilweise inkorporiert, abgedruckt in: Halsbury's Statutes ofEngland and Wales, 4. Aufl., Bd. 7, Neuausgabe 1999,497. 808 Vgl. dazu Evatt E., Reflecting on the role of international communications in implementing human rights, 5 (1999) AJHR 20 (42).

Zweites Kapitel

Rechtsvergleichende Bewertung I. Einleitung Es sollte betont werden, daß gerade die Natur des australischen implizierten Rechts, das abgeleitet ist aus der Einhaltung der Prinzipien der repräsentativen Regierungsform durch die Verfassung, Vergleiche mit [...] dem deutschen Recht der freien Rede schwierig, und vielleicht sogar gekünstelt macht. 1 [... ]in der Praxis ähnelt der Standpunkt des High Court stark den Freiheiten, die in der Menschenrechtsgesetzgebung in verschiedenen Jurisdiktionen wie zum Beispiel [...] Europa geschützt sind. 2

Die beiden Zitate verdeutlichen in anschaulicher Weise die Schwierigkeiten, mit denen sich eine Rechtsvergleichung zwischen Deutschland und Australien auf dem Gebiet der Meinungsfreiheit konfrontiert sieht: Sie muß eine Brücke schlagen zwischen den theoretischen Vorgaben, die sich zumindest auf den ersten Blick nur schwerlich überhaupt in vergleichbare Formen fassen lassen und den praktischen Ausprägungen, die, soweit bereits entwickelt, sich häufig nur gering von den deutschen unterscheiden. Zwischen diesen beiden Eckpfeilern einen Wertungsansatz zu finden, ist Aufgabe dieses Teils der Arbeit. Dabei kann es nicht darum gehen, die beiden rechtlichen Lösungen für die Meinungs- bzw. Kommunikationsfreiheit als ganzes einander gegenüberzustellen und pauschal zu beurteilen. Dies wäre schon aufgrund der großen zeitlichen Divergenz in der Entwicklung der kommunikationsgrundrechtliehen Dogmatik ein wenig fruchtbares Unterfangen, müßten doch viele Punkte, die in Australien noch nicht Gegenstand der Debatte waren, Spekulation bleiben. Denn während die deutsche Rechtsprechung durch eine Vielzahl von Einzelfallen gekennzeichnet ist, geht es in Australien bislang noch vordringlich um grundsätzliche Fragen. 1 It should be emphasised that the very nature ofthe Australian implied right, derivedfrom the Constitution's adherence to the principles ofrepresentative government, makes comparisons with [. ..] German free speech law difficult, perhaps even artificial. Barendt E., Free Speech in Australia: A Comparative Perspective, 16 (1994) PLR 149. 2 [. . . ]in practice the High Court' s position closely resembles the freedoms proteered in Human Rights legislation in various jurisdictions such as [ .. .] Europe. Iones M., Free Speech Revisited: The Implications of Lange & Levy, 4 ( 1997) AJHR 188.

II. Bemerkungen auf dem Gebiet der Gewährleistung und des Schutzes

209

Den jeweiligen rechtsdogmatischen Hintergrund respektierend, werden vielmehr einzelne, zum Vergleich besonders geeignete Themen im Grundlagenbereich vorgestellt, beleuchtet und vorsichtig bewertet. 3 Im Anschluß daran werden die so gewonnenen Erkenntnisse durch einen direkten Vergleich ausgesuchter Grundlagenentscheidungen des High Court und des Bundesverfassungsgerichts angewandt und "praktisch" veranschaulicht.

II. Vergleichende Bemerkungen auf dem Gebiet der Gewährleistung und des Schutzes von Meinungs- und Kommunikationsfreiheit A. Rechtsnatur Beginnt man einen Vergleich im Bereich der Gewährleistung der Meinungs-bzw. Kommunikationsfreiheit, so sticht zunächst die Frage nach der Rechtsnatur der gewährleisteten Freiheit als deutlichster Unterschied ins Auge. Ausgangspunkt ist dabei auf der deutschen Seite die Meinungsfreiheit als Grund-/Menschenrecht! und auf australischer Seite die implizierte Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik als Beschränkung der Gesetzgebungskompetenz. Neben dem offensichtlichen Unterschied im ungeschriebenen Charakter der Freiheit hat das australische Recht dabei einen grundlegend anderen Ansatz als das deutsche. Im Unterschied zu letzterem, wo die Bürger und ihre Individualrechte im Mittelpunkt stehen,5 geht das australische Recht von der Sichtweise des Parlaments aus: Primär steht die Gesetzgebungskompetenz des Parlaments im Vordergrund, die möglicherweise durch die implizierte Freiheit beschränkt ist, nicht ein Grundrecht der Bürger, das durch staatliches Handeln verkürzt wird. Die Frage in Australien ist nicht: "wie weit geht die Grundrechtsgarantie?", sondern "wie weit geht die Kompetenz des Parlaments?"6 Die Definition erfolgt vom System her, nicht von den Bürgern; Ausgangspunkt ist immer die Gesetzgebungsbefugnis. Die mit der deutschen Meinungsfreiheit korrespondierende Kommunikationsfreiheit ist also in Australien nicht eigentlich als Grundrecht konzipiert, sie ist, wie viele immer wieder betonen, kein "volles" Grundrecht mit umfassendem Schutzzweck, sondern vielmehr eine "Minimalfreiheit", die weniger den Bürgern zur Abwehr gegen den Staat als der Erhaltung des demokratischen Systems dient. 3 Für das australische Recht wird dabei die zusammenfassende Definition aus S. 128 ff zugrundegelegt, soweit nicht auf abweichende Meinungen ausdrücklich Bezug genommen wird. 4 Vgl. Pieroth B./Schlink B., Grundrechte Staatsrecht II, 14. Aufl., 1998, Rn. 57ff. 5 Vgl. Art. 1 Abs. 1 und 2 sowie die Präambel des Grundgesetzes. 6 Vgl. z. B. Richter Brennan in Theophanous 182 (1994) CLR 104 (148).

14 Pittrof

210

2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

Am besten läßt sich der Unterschied mit folgendem Schema verdeutlichen: Deutschland Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. I GG) (geschütztes Grundrecht als Ausgangspunkt)

beschränkt durch Gesetze nach Art. 5 Abs. 2 GG

-..

(Schranken)

AustraUen Gesetzgebungskompetenz (z. B. Art. 51 (5) Verfassung) (Recht des Parlaments als Ausgangspunkt)

--

beschränkt durch implizierte Kommunikationsfreiheit (Schranke)

Abbildung 2: Unterschiedliche Ansatzpunkte hinsichtlich Rechtsnatur Im australischen Verfassungssystem wirkt die Freiheit der politischen Kommunikation als verfassungsimmanente, materielle Schranke der Gesetzgebungskompetenz, ihr Schutzcharakter tritt in den Hintergrund und wird allenfalls indirekt als Reflex für die Bürger bedeutsam. Stehen in Deutschland die (meisten) Grundrechte unter einem Gesetzesvorbehalt, so stehen in Australien daher umgekehrt die Kompetenzen des Gesetzgebers unter einem "Freiheitsvorbehalt".7 Diese Dogmatik von der Kommunikationsfreiheit als Kompetenzbeschränkung weist Ähnlichkeiten mit der Lehre von den Grundrechten als negative Kompetenznormen aufS. Sie unterscheidet sich von letzterer, nach der die Grundrechte zwar vom Standpunkt des Gesetzgebers betrachtet werden, abertrotzdieses Perspektivenwechsels ihre Qualität als subjektive Rechte der einzelnen beibehalten und nur die Kehrseite der Medaille beleuchtet wird, insofern, als die australische Dogmatik immer vom Standpunkt des Gesetzgebers und des Systems, also von einer objektivrechtlichen Sichtweise und nie von einer subjektiven Betrachtungsweise ausgeht.9 Ein verfassungsrechtlich geschütztes subjektives Recht der einzelnen gibt es nicht, so daß der Bezugspunkt notwendigerweise anders ist: Ist Bezugspunkt in DeutschDazu näher unten S. 236 ff. Vgl. Hesse K., Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Auf!., 1995, Rn. 290ff. 9 Deutlich zeigt sich die objektivrechtliche Sichtweise, das Denken aus Richtung der Beschränkung des Parlaments, auch daran, daß die wenigen geschriebenen Vorschriften mit Grundrechtscharakter ebenfalls oft als "ausdrückliche Beschränkungen" (express Iimits) bezeichnet werden. Siehe z. B. BlackshieldT., No Very Enthusiastic Belief, paper presented at a Symposion at Macquarie University, Sydney, 1995, 11 (zitiert nach dem Manuskript des Verfassers). 7

8

II. Bemerkungen auf dem Gebiet der Gewährleistung und des Schutzes

211

land das subjektive Recht der einzelnen Person, so ist es in Australien das objektive Gut des politischen Prozesses. Um im Bild zu bleiben: in Australien ist die subjektive Kehrseite der Medaille (noch) ungeprägt. 10 Dies ist der wesentliche Unterschied, der aus der Verschiedenartigkeit der Rechtsnatur von Grundrecht und Kompetenzbeschränkung folgt: 11 Auf australischer Seite steht die objektive/institutionelle Komponente im Vordergrund, 12 während in Deutschland mindestens im Grundsatz die individualrechtliche betont und diese durch eine objektivrechtliche ergänzt wird. 13 Die deutsche Meinungsfreiheit hat eine individualrechtliche und eine demokratische Komponente, 14 während implizierte "Rechte" in Australien nur eine objektiv-demokratische Funktion innehaben. Die implizierte Kommunikationsfreiheit in Australien ist nur Funktionsgrundrecht15 im Sinne der funktionalen Grundrechtstheorie, 16 während die Meinungsfreiheit in Deutschland sowohl Menschen- als auch Funktionsgrundrecht istP 10 Diese besondere Rechtsnatur der implizierten Kommunikationsfreiheit sollte offensichtlich die Akzeptanz der Rechtsfonbildung durch den High Court steigern, denn in einer Hochburg der Parlamentssouveränität kommt eine Akzeptanz nur dann überhaupt in Betracht, wenn der Anschein der gesetzgebensehen Kompetenzanmaßung, der durch die Entwicklung subjektiver Rechte verstärkt würde, so gering wie möglich gehalten wird. 11 Neben dem offensichtlichen Unterschied, der sich aus dem ungeschriebenen Charakter der australischen Freiheit ergibt. 12 Vgl. auch das Votum von Präsident Mason in Cunliffe (1994) 182 CLR 272 (300) (siehe S. 150) in dem er betont, daß eine Abwägung der öffentlichen Interessen stattfinden müsse. 13 Vgl. auch Barendt E., Free Speech in Australia: A Comparative Perspective, (1994) 16 SydLR 149 ( 161 ). Natürlichhatdie Bedeutung derobjektiv-rechtlichen Komponente in Deutschland stark zugenommen und mindestens die gleiche Bedeutung wie die subjektive erreicht, vom Grundgedanken her stellt die individualrechtliche Idee aber nach wie vor den Kern dar. 14 Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts siehe nur BVerfGE 7, 198 (208), BVerfGE 42, 133 (139); aus der Literatur siehe dazu z.B. Herzog R., in: Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, An. 5 GG Rn 3 ff. 15 Die Betonung des Formellen, Verfahrensrechtlichen ist in Australien eine häufige Erscheinung: Das common law beispielsweise versucht eher indirekt über prozessualen Schutz Freiheiten zu gewähren, als materiell Grundrechte zur Verfügung zustellen. Dazu Gaze B./ Jones M., Law, Libeny and Australian Democracy, 1990, 30ff. Vgl. als weiteres Beispiel auch The Australian Communist Party and Others v. The Commonwealth and Others (1951) 83 CLR 1. In diesem Uneil ging es um die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes zum Verbot der Kommunistischen Panei. Im Vordergrund standen dabei nicht die Rechte der Panei oder ihrer Mitglieder, wie Kommunikationsfreiheit oder Meinungsfreiheit, sondern formelle Erwägungen zur Zuständigkeit des Bundes. 16 Twomey A., Theophanous v. Herald and Weekly Times Ltd; Stephens v. West Australian Newspapers Ltd, (1994) 19 Melb Univ LR 1104 (1113) sieht es bereits als positiv an, daß der High Court nunmehr die Rolle des Volkes im demokratischen System anerkannt hat, da bislang nur das Parlament seine eigene Redefreiheit als notwendig für die Demokratie angesehen habe. Vgl. Böckenförde E., Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, 1529 (1534f), der vor der Gefahr des politischen Prozesses als Bezugspunkt warnt, da es so leicht zum politischen Dezisionismus kommen könnte (ibid. 1535). Eine Warnung, die denen der Kritiker der australischen Freiheit nicht unähnlich ist, vgl. S.166. 17 s. z. B. Bleckmann A., Staatsrecht II- Die Grundrechte, 4. Aufl., 1997, 788ff.

14*

212

2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

Im Vergleich mit dem deutschen Recht ergeben sich als Konsequenz des Unterschieds im Wesen von Meinungsfreiheit und Kommunikationsfreiheit noch eine Reihe von Folgeunterschieden. Konsequenz der einseitig objektiv-rechtlich geprägten Dogmatik bezüglich der Rechtsnatur der Kommunikationsfreiheit ist einmal, daß die Freiheit der politischen Kommunikation, anders als die deutsche Meinungsfreiheit, kein Abwehrrecht gegen den Staat ist, sondern für die Bürger lediglich eine Art Abwehrreflex bewirkt. Dies gilt insofern, als sich eine unzulässige Einschränkung der Freiheit als Verfassungswidrigkeit der dann nicht mehr von der Kompetenz gedeckten Gesetze niederschlägt und so eine Freistellung der Betroffenen von dem freiheitsverletzenden Gesetz herbeiführt. Anders als in Deutschland können sich die Bürger Australiens daher nicht auf "ihr" Grundrecht der freien Meinungsäußerung berufen, sondern lediglich eine durch unzulässige Verkürzung des von der Verfassung impliziert geforderten Rechts auf freie Kommunikation in politischen Angelegenheiten hervorgerufene Kompetenzüberschreitung des Parlaments rügen. Die implizierte Freiheit der politischen Kommunikation ist nicht direkt einklagbar. 18 Weitere Konsequenz der besonderen Rechtsnatur dieser implizierten Freiheit ist, daß nicht wie in Deutschland, wo alle drei Gewalten gemäß Art. 1 Abs. 3 GG auf die Grundrechte verpflichtet sind, die Verletzung der Freiheit durch staatliches Handeln allgemein gerügt werden kann, sondern grundsätzlich nur die Verletzung durch die Legislative. Die Exekutive ist an die Freiheit nur soweit gebunden, wie sie ihr Handeln aus der Gesetzgebungskompetenz der Legislative ableitet, also beispielsweise bei Verordungen. Die Judikative ist vom Prinzip her nicht an die Freiheit gebunden.19 Auch das begriffliche Verständnis der beiden Freiheiten unterscheidet sich in Deutschland und Australien und deutet auf den unterschiedlichen Ursprung der Freiheit hin. So wie in der australischen Rechtsprechung bislang entwickelt, handelt es sich um einen vom Staat bzw. von der Verfassung gewährten Freiraum der Bürger, damit eine Veifassungsfreiheit, 20 nicht aber um eine vorstaatliche Freiheit, die dem Bürger unveräußerliche Rechte gewährt. 18 s. dazu auch Richter McHugh in Albert Langer ( 1996) 186 CLR 302 (343; Fn. 86). 19 In den Entscheidungen zur Drittwirkung wurde dieses Prinzip durchbrochen, da auch die

Judikative bei der Entwicklung des common law künftig auf die Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik achten muß. Möchten Bürger gegen eine diese nicht beachtende Entscheidung vorgehen, können sie aber nach wie vor nicht eine Verletzung der Freiheit durch die Judikative einklagen, sondern müssen, wie bei sonstigen Revisionen auch, einen Irrtum bei der Rechtsauslegung, der hier in der Nichtbeachtung der Freiheit liegt, geltend machen. 20 z. B. Theophanous v. Herald and Weekly Times Ltd 182 (1994) CLR 104 (146; Richter Brennan), siehe S. 87.

II. Bemerkungen auf dem Gebiet der Gewährleistung und des Schutzes

213

Das Grundgesetz hingegen erkennt die Grundrechte in Art. 1 Abs. 2 als dem Staat vorausliegend an. 21 Ihr Rang im Rechtsgefüge ist somit höher als der der australischen Freiheit, die keinen Vorrang vor der Macht des Staates besitzt und vom verfassungsändernden Gesetzgeber wieder abgeschafft werden kann. 22 Akzeptiert man diese Unterschiede als Grundlage und Ausgangspunkt, so lassen sich doch in diesem Rahmen eine Reihe Gemeinsamkeiten feststellen: Zwar hat im australischen System die individualrechtliche Komponente der deutschen Meinungsfreiheit keine Entsprechung, doch ist die deutsche demokratische Komponente der Meinungsfreiheit der australischen Freiheit nicht unähnlich. Beide Rechtsordnungen berufen sich auf die Notwendigkeit der freien Meinungsäußerung für das Funktionieren der Demokratie. Ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung für das Bundesverfassungsgericht für die "freiheitlich-demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend",23 so ist für den australischen High Court die Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik "ein unentbehrlicher Begleitumstand des Systems der repräsentativen Regierungsform, das die Verfassung schafft". 24 Beide Gerichte führen die Notwendigkeit der freien Meinungsäußerung für die demokratischen Strukturen als Begründung für die starke Stellung und den Vorrang der Freiheit im jeweiligen Rechtssystem an. Das Bundesverfassungsgericht benutzt sie beispielsweise um die Wechselwirkungslehre zu begründen, 25 während der High Court damit die Existenz der Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik stützt. Auch das in der Literatur von Ridder26 begründete Verständnis von Art. 5 als "öffentlicher Meinungsfreiheit" weist große Ähnlichkeit mit der australischen Deutung der Kommunikationsfreiheit auf. Auch hier steht, wie in Australien, die Funktion der Meinungsfreiheit in der Gesellschaft im Vordergrund. Ebenso wird hier die Notwendigkeit der freien Meinungsbildung des Volkes für den Fortbestand des demo21 s. auch BVerfGE 7, 198 (205). Bindend für die staatliche Gewalt sind allerdings gemäß Art. 1 Abs. 3 GG nur die im Grundgesetz positivierten. 22 s. dazu auch die Bezeichnung der Wertordnung des Grundgesetzes als "Wertrangordnung" durch das BVerfG im Lüth-Urteil. BVerfGE 7, 198 (215). 23 BVerfGE 5, 85 (205). 24 An indispensable incident ofthat system ofrepresentative government which the Constitution creates [ ...] Lange v. Australian Broadcasting Corporation (1997) 189 CLR 520 (559). 2s BVerfGE 7, 198 (208). 26 Ridder H., Meinungsfreiheit, in: Neumann F. u. a. (Hrg.) Die Grundrechte, Bd. II, 1954, 243 vor allem 249ff. Ridder stützt seine Begründung auch in erheblichem Umfang auf Art. 21 GG. Vgl. auch die starke Betonung der objektiven Elemente bei Hojfmann-Riem W., in: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, Bd. 1, Art. 1-37, 2. Autl., 1989, Art. 5. Interessanterweise benutzt Hoffmann-Riem dabei den Ausdruck "Kommunikationsfreiheit" (vgl. Art.5 Rn3).

214

2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

kratischen Staates gesehen und damit der institutionelle Charakter der Freiheiten des Art. 5 GG begründet. 27 Umgekehrt finden sich in einigen australischen Einzelvoten sogar dem deutschen Recht ähnliche individualrechtliche Ansätze. Im Unterschied zum allgemeinen Konzept von der "Minimalfreiheit" scheint Richter Murphys Konzeption von implizierten Freiheiten in seinen Minderheitsvoten der Frühphase eher der eines "Vollgrundrechts", wenn auch eines ungeschriebenen, zu entsprechen. Interessanterweise hatte er auch eine duale Vorstellung von Grundrechten: er sah sie zum einen als Individualrechte und zum anderen zugleich als dem öffentlichen Interesse dienend,28 sehr ähnlich der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, das der Meinungsfreiheit eine individualrechtliche und eine demokratische Komponente zuweist.29 Ebenfalls nicht unbekannt ist im deutschen System das Verständnis der in Australien entwickelten Kommunikationsfreiheit als Verfassungs- und nicht als vorstaatliche Freiheit. Es entspricht dem Verständnis von Grundrechten als staatlich gewährter Freiraum der spätkonstitutionellen deutschen Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts. Jo Insgesamt ergibt sich daher, daß der australische Freiheitsbegrifftrotz andersartiger Rechtsnatur nicht völlig von der deutschen Meinungsfreiheit verschieden ist, sondern daß die australische Freiheit bislang nur eine "Teilmenge" der deutschen umfaßt und sich ihre Entwicklung und die ihres Verständnisses unter umgekehrten Vorzeichen ereignen. Folgte die Entwicklung des deutschen Grundrechtsverständnisses eher liberalen Ideen, so steht bei der australischen Kommunikationsfreiheit mehr ein pragmatisches Denken im Vordergrund. Entwickelte sich in Deutschland zuerst die individualrechtliche Komponente der Meinungsfreiheit und danach die objektivrechtliche Komponente, so hat die verfassungsrechtliche Kommunikationsfreiheit in Austraben zunächst mit der demokratischen Komponente begonnen und derzeit noch keine individualrechtliche Ausrichtung. Man wird abwarten müssen, ob auch in Austraben eine individualrechtliche Deutung der Kommunikationsfreiheit hinzukommt.

27 Zusammenfassend siehe Herzog R., in: Maunz/Dürig!Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 GG Rn4. 28 Mil/er v. TCN Channel Nine Pty Ltd, 161 ( 1986) CLR 556 (582). Siehe S. 60. 29 BVerfGE 7, 198 (208)- Lüth-Urtei!. 30 Pieroth B./Schlink B., Grundrechte, Staatsrecht II, 14. Auflage, 1998, Rn 35.

II. Bemerkungen auf dem Gebiet der Gewährleistung und des Schutzes

Deutschland

AustraUen

individualrechtliche Komponente

demokratische Komponente

215

Abbildung 3: objektive und individualrechtliche Komponente der Meinungsfreiheit

B. Reichweite des Schutzbereiches Beim Vergleich der Reichweite des Schutzbereiches der beiden Freiheiten fallt auf, daß sich diese nicht völlig decken. Der Schutzbereich der australischen Kornmunikationsfreiheit ist einerseits enger und andererseits weiter als der des Art. 5 Abs.1 Satz 1 GG. Der Schutzbereich der Kommunikationsfreiheit ist enger, da er nur soweit geht, wie von der Verfassung gefordert, d. h. es gibt keinen umfassenden Schutzbereich, der dann wieder beschränkt wird, sondern die Freiheit existiert von vomeherein nur in einem beschränkten Umfang. Sind in Deutschland zunächst alle Meinungen vom Schutzbereich des Grundrechts erfaßt und werden dann evtl. gemäß den Schrankenbestimmungen begrenzt, so fallen in Australien von vomherein nur solche Meinungen, die als politische Kommunikation zu verstehen sind, in den Schutzbereich. Ist der Umfang des Schutzbereiches der Kommunikationsfreiheit in diesem Sinne enger als derjenige der deutschen Meinungsfreiheit, so ist ihr Schutzbereich insofern weiter als der deutsche, als die Kommunikationsfreiheit Kommunikation allgemein, nicht nur Meinungen schützt. Konkret heißt das, daß nicht wie im deutschen Recht eine Unterscheidung zwischen Meinung und Tatsache getroffen wird und letztere aus dem Schutzbereich herausfallen kann,31 sondern daß alle Arten von 31 s. dazu vor allem die ältere Literatur z. B. Hamann A./Lenz H., Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, 3. Auf!., 1970, Art.5 Anm. B 1; RidderH., Meinungsfreiheit, in: Neumann F. u. a. (Hrg.) Die Grundrechte, Bd. II, 1954, 243 (264 f). Ridder will auch nur "wahrhaftigen" Meinungsäußerungen Grundrechtsschutz gewähren. Das Bundesverfassungsgericht hat demgegenüber einen weiten Meinungsbegriff, läßt aber dennoch einige Äußerungen aus dem Schutzbereich herausfallen, vgl. z.B. BVerfGE 65, 1 (41); 61, 1 (8).

216

2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

Äußerungen als Kommunikation angesehen werden. Die in Deutschland oft- weil schwer durchführbar- kritisierte und als künstlich angesehene Abgrenzung32 entfcillt dadurch. Auch Tatsachenaussagen werden von der Kommunikationsfreiheit geschützt. Anders als das deutsche braucht das australische Recht daher auch nicht zwischen Meinungs-, Informations-, Rundfunk- und Pressefreiheit unterscheiden, denn es kann alles unter den Mantel der Kommunikationsfreiheit bringen.33 Schwierige Abgrenzungen und Überschneidungen entfallen dadurch. Die zeitliche Reichweite hingegen scheint in beiden Rechtsordnungen gleich zu sein. Durch die Lange-Entscheidung wurde geklärt, daß auch in Australien die Freiheit zeitlich unbegrenzt und nicht nur auf bestimmte Wahlperioden beschränkt gilt. Keinen Unterschied gibt es ferner in der Form der geschützten Äußerung. Wie in Deutschland ist auch in Australien non-verbale Kommunikation wie Gesten oder Bilder geschützt. 34 Zwar gibt die grundgesetzliche Formulierung "in Wort, Bild und Schrift" anders als im australischen Recht einen abschließenden Rahmen vor, dieser wird jedoch in der Rechtsprechung und Lehre weit ausgelegt. 35 Daher unterscheidet sich die deutsche Rechtslage nicht von der richterrechtlichen australischen. Anders als bei der Rechtsnatur der Freiheiten ergibt sich im Schutzbereich kein Bild von (australischer) Teil- und (deutscher) Gesamtmenge; die beiden Rechtsordnungen bilden vielmehr zwei getrennte Mengen, denen aber eine Schnittmenge gemeinsam ist. AustraUen

Deutschland

politische Meinungen alle Meinungen

alle polit. Kommunikation

Zeitl. Geltungsbereich, Äußerungsform

Abbildung 4: Vergleich des Schutzbereiches 32

s. z. B.: Herzog R., in: Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 GG

Rn 51.

Dazu siehe auch unten S. 255. Vgl. Levy, S.ll8ff. 35 s. z. B. Herzog R., in: Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 GG Rn 60ff insb. 73. 33

34

li. Bemerkungen auf dem Gebiet der Gewährleistung und des Schutzes

217

Im Ergebnis wird sich der Unterschied kaum auswirken, da die Äußerungen, die nicht in den australischen Schutzbereich fallen, in Deutschland häufig wirksam beschränkt werden.

C. Inhaltliche Bestimmung der geschützten Freiheit Da die Rechtsprechung in Australien noch keine große dogmatische Schärfe entwickelt hat, ist ein Vergleich auf inhaltlichem Gebiet besonders schwierig. Ohne auf Feinheiten einzugehen, lassen sich aber doch einige Aussagen treffen. Der besondere Charakter der Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik als Minimalfreiheit bedingt ihre inhaltlichen Grenzen und damit den Unterschied zum deutschen Recht, das keine Differenzierung nach dem Meinungsinhalt kennt, denn von Verfassungs wegen ist in Australien nur politische Kommunikation erforderlich und deshalb auch nur sie geschützt. Die Verfassung erfordert nur die repräsentative Demokratie, und der Inhalt der Freiheit wird daher auch aus diesem Prinzip gespeist. Durch diesen Filter ist die australische Kommunikationsfreiheit inhaltlich enger als in Deutschland, wo die Verfassung keine Einteilung in politische und nicht-politische Meinung vornimmt. Auf den zweiten Blick jedoch erweist sich der Unterschied als weniger deutlich, als man auf den ersten annehmen möchte. Dies ergibt sich aus zwei Gründen: Zwar ist die Rechtsprechung in Australien noch zu neu, als daß sich eine zur Beurteilung ausreichende Kasuistik herausgebildet hätte, doch läßt sich zum einen bereits jetzt sagen, daß "politische" Kommunikation eher weit verstanden wird und im wesentlichen alles erfaßt, was die öffentliche Meinung in irgendeiner Weise berührt. Es bleibt also nur ein vergleichsweise kleiner Teil im privaten und möglicherweise im kommerziellen Bereich (soweit er nicht in irgendeiner Form mit politischen Äußerungen in Verbindung gebracht werden kann), der inhaltlich nicht von der implizierten Freiheit gedeckt ist. 36 Geht man dabei davon aus, daß im deutschen Recht ein Teil der Rede im privaten Bereich zwar grundsätzlich geschützt, jedoch durch das einfache (z. B. Beleidigungs-) Recht wirksam beschränkt ist, so unterscheiden sich die beiden Rechtssysteme zumindest vom Ergebnis her nur wenig. Zum anderen vermindert sich der Unterschied dadurch, daß auch in der Rechtsprechung des BVerfG die öffentliche Meinung einen höheren Stellenwert einnimmt, als die nur im Privaten bleibende und zum Zwecke der privaten Auseinan36 Das Bundesverfassungsgericht schützt dagegen auch kommerzielle Aussagen in ihrem kommunikativen Gehalt nach Art. 5. Vgl. z. B. BVerfGE 30, 336 (352); 21, 271 (278ff). Siehe nunmehr auch die detaillierte Aussage des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz von kommerziellen Aussagen im sog. "Benetton-Fall", NJW 2001,591 mit Anm. Fezer, K-H., Imagewerbung mit gesellschaftskritischen Themen ... , NJW 2001, 580. Vgl. dazu auch Degenhart Ch., Meinungs- und Medienfreiheit in Wirtschaft und Wettbewerb, in: Leßmann H. u. a. (Hrg.), Festschrift für RudolfLubes zum 65. Geburtstag, 1989, 287 und FriaufK. H./Höfling W., Meinungsgrundrechte und Verfolgung von wirtschaftlichen Belangen, AfP 1985, 249.

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2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

dersetzung genutzte. Insbesondere im Lüth-Urteil hob das Bundesverfassungsgericht die Stellung einer Meinung als "Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage" hervor und sprach ihr eine Vermutung für ihre Zulässigkeil zu. 37 Mögen auch die Hintergründe verschieden sein - in Deutschland steht eher das Ideelle, der geistige Meinungskampf als Lebenselement der freiheitlichen Staatsordnung, 38 in Australien dagegen stehen mehr die praktischen, von der Verfassung für das Regierungssystem aufgestellten Erfordernisse im Vordergrund - so zeigt sich doch, daß sich hinter den Formulierungen "politische Rede" und "öffentliche Meinung" ein sehr ähnliches Konzept verbirgt. In beiden Ländern genießen Äußerungen, die ideell oder praktisch der Demokratie dienen, in der Praxis einen höheren Rang und werden eher geschützt als private Äußerungen.39 Zudem gab es auch in Deutschland die Tendenz, die Verbindung von Meinungsfreiheit zum Demokratieprinzip zu betonen und nur noch politische Meinungen schützen zu wollen. 40 Bei genauerem Hinsehen ergeben sich also starke Parallelen zwischen den beiden Ländern, so daß sich die Mengen der beiden Rechtssysteme bei der inhaltlichen Bestimmung fast decken.

D. Freiheitsberechtigung und Freiheitsverpflichtung Einen der interessantesten Vergleichspunkte stellt die Frage nach den Grundrechtsberechtigten und den Grundrechtsverpflichteten dar, vor allem wegen der Frage der Drittwirkung der Grundrechte allgemein und der Meinungs- bzw. Kommunikationsfreiheit im besonderen. 37 BVerfGE 7, 198 (212). Aus der Literatur siehe dazu z.B. DegenhartCh., in: Bonner Kommentar, Kommentierung zu Art. 5 Rn. 130 a. Vor einer Einteilung in politische und nicht politische Meinungen hingegen warnt Böckenförde E., Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, 1529 (1535), da dies die Gefahr des politischen Dezisionismus berge. Seine Warnung hat Ähnlichkeit mit der Kritik an der Rechtsfortbildung durch den High Court, vgl. oben S. 166ff. 38 BVerfGE 7, 198 (208), BVerfGE 5, 85 (205); siehe auch Schmitt Glaeser W., Die Meinungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ( 1972) 97 AöR 60 (79 f). 39 Die Begründungen dafür unterscheiden sich zwar insoweit, als in Deutschland nicht nur die demokratische Notwendigkeit, sondern auch die Überlegungen mit einfließen, daß die betroffenen Personen sich selbst des Schutzes der Privatsphäre begeben haben und daß bei die Öffentlichkeit betreffenden Äußerungen das Treffen der Person meist im Hintergrund steht, während in Australien die objektiven Verfassungserfordemisse, insbesondere die Wahlen betreffend, im Vordergrund der Begründung stehen. (Vgl. für die deutsche Seite BVerfGE 54, 129 ( 138); 7, 198 (212), für die australische Seite Richter Deane und Toohey in AC1V ( 1992) 177 CLR 106 (169).) Für das Ergebnis ist dies aber nicht relevant. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Art. 3 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, der ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Wahlen und der Meinungsäußerungsfreiheit herstellt. 40 Vgl. Ridder H., Anm. 31. Kritisch dazu Herzog R., in: Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 GG Rn. 55 e.

II. Bemerkungen auf dem Gebiet der Gewährleistung und des Schutzes

219

1. Freiheitsberechtigte Bereits die grundsätzliche Trägerschaft von Meinungsfreiheit und Kommunikationsfreiheit unterscheidet sich zwischen Deutschland und Australien. Ist die deutsche Meinungsfreiheit ein "Jedermann"-Grundrecht und können sich so nicht nur deutsche Staatsbürger und Staatsbürgerinnen, sondern alle Menschen darauf berufen, so ist die australische implizierte Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik hinsichtlich des Kreises ihrer Berechtigten beschränkter. Zwar wurde über die Freiheitsberechtigten noch nicht bindend entschieden, geht man jedoch von den obiter-Aussagen aus,41 so umfaßt der Kreis der Berechtigten mindestens alle wahlberechtigten Australier, da ihre Kornmunikationsfreiheit in jedem Fall für den Erhalt des repräsentativen Systems, so wie z. B. in den Wahlvorschriften verankert, nötig ist. Für Nicht-Australier und nicht wahlberechtigte australische Staatsbürger wirkt die Freiheit mindestens als Reflex der Freiheit der berechtigten australischen Staatsbürger, die mit ihnen kommunizieren. Dies würde auch für die zahlreichen Einwohner mit permanent residence gelten. Es könnte allerdings argumentiert werden, daß man für sie eine Ausnahme machen muß, da sie aufgrund ihrer dauernden Ansäßigkeit in Australien zwar nicht zum Bundesvolk gehören, aber die Meinungsbildung in Australien doch erheblich beeinflussen können. Erscheint die Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik auf den ersten Blick von der Formulierung her also abstrakter, so erweist sich bei näherem Hinsehen, daß die Freiheit sehr wohl auf Berechtigte bezogen ist, auch wenn sie keine Formulierungen wie "jedermann" oder ähnliche Formulierungen enthält. Diese Berechtigten sind lediglich noch nicht exakt abgegrenzt, und es ist durchaus möglich, daß sich die Kommunikationsfreiheit durch die Kasuistik allmählich zur "Jedermann"-Freiheit entwickelt. In der Frage des Grundrechtsschutzes juristischer Personen des öffentlichen Rechts unterscheiden sich die beiden Rechtssysteme, mindestens was die Meinungsfreiheit betrifft, nicht. Zwar gibt es auch zum Verhältnis implizierte Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik und staatliche Organe noch keine höchstrichterlichen Entscheidungen, jedoch läßt sich vom Zweck der implizierten Kommunikationsfreiheit her begründen, daß staatliche Organe nicht von der Kommunikationsfreiheit "profitieren" dürfen. Die Kommunikationsfreiheit dient der Stärkung und Erhaltung der repräsentativen Demokratie, wie sie von der Verfassung gefordert ist. Dafür ist das Kommunizieren der Bürger und Bürgerinnen, nicht aber das der staatlichen Organe erforderlich, die bereits aufgrund ihrer staatlichen Funktionen Äußerungsmöglichkeiten haben. Zur Erhaltung einer freien Wahl müssen die staatlichen Organe nicht über Politik kommunizieren, denn sie treffen keine Wahlentscheidung und ihre Tätigkeit ist gerade der Gegenstand der 41

Vgl. S. 135.

220

2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

politischen Kommunikation. Es würde absurd anmuten, wenn die Objekte der Kommunikation für sich selbst Kommunikationsfreiheit in Anspruch nähmen. Auch einige Entscheidungen, die auf einfachgesetzlicher Ebene ergangen sind, können als Hinweis gegen die Freiheitsberechtigung staatlicher Organe gewertet werden: In einer Entscheidung des Gleichberechtigungstribunals (Equal Opportunity Tribunal) von New South Wales wurde einem Gemeinderatsmitglied keine (common law) Redefreiheit zuerkannt.42 In mehreren umgekehrt gelagerten Fällen, wo staatliche Organe behaupteten, "Opfer" der Meinungsfreiheit anderer zu sein, wurde ihnen die Klageberechtigung in Beleidigungsklagen abgesprochen. Dabei argumentierte man u. a. damit, daß die staatlichen Organe als solche keine Ehre bzw. keinen Ruf hätten, der geschützt werden müsse. Die Möglichkeit einer Beleidigungsklage für staatliche Organe würde die Redefreiheit zu sehr beschränken.43 Auch daraus läßt sich schließen, daß man einer Grundrechtsträgerschaft staatlicher Organe wie in Deutschland eher zurückhaltend gegenübersteht. 42 Wagga Wagga Aboriginal Action Group & Others v. Eldridge ( 1995) EOC 92-70 I. In dem Fall ging es um rassistische Äußerungen eines Mitglieds des Gemeinderates in bezug auf die Ureinwohner Australiens. Obwohl der Beschwerdegegner sich auf seine Stellung als Gemeinderatsmitgliedberufen hatte, ging das Tribunal auf diese Problematik nicht direkt ein, sondern meinte eher allgemein, daß die Redefreiheit keinen Rechtfertigungsgrund darstelle. Daraus läßt sich auf eine Zurückhaltung bei der Zuerkennung von Äußerungsfreiheit an staatliche Organe schließen. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die deutsche Entscheidung des VGH München (NVwZ 1995, 503), der feststellte, daß sich eine Gemeinde (hier durch den Ersten Bürgermeister handelnd) gegenüber dem Bürger nicht auf Meinungsfreiheit berufen könne. 43 Ballina Shire Council v Ringland (1994) 33 NSWLR 680 (2: I Entscheidung des Supreme Court (Court of Appeal) of New South Wales gegen die Klagebefugnis eines Gemeindesrats). Diese Entscheidung stützte sich sehr auf die Entscheidung Derbyshire County Council v. Times Newspapers Ltd and Others ( 1993) 2 WLR 449 des englischen House ofLords, der sie sich im wesentlichen anschloß. Vgl. zur australischen Entscheidung die Besprechung bei Maher L., Defamation, Free Speech and Local Govemment Politics, 3 ( 1995) Torts LJ 116. In der unveröffentlichten Entscheidung NSW Aboriginal Land Council & Others v. Alan Iones & Others, SC NSW, 17. March 1998, CA 40541/97; S 20217/97, die mit einem Stimmenverhältnis von 2:1 ergangen war, wurde einem Verwaltungsorgan für Landrechte der Ureinwohner (Aboriginal Land Council) ebenfalls die Klageberechtigung für Beleidigungsklagen abgesprochen, da es auch - trotz seiner besonderen Funktionen - zu den staatlichen Organen zu zählen sei. Die Aussagen in denfree speech-Urteilen, daß auch die Tatigkeiten der politischen Führer der Ureinwohner Gegenstand politischer Kommunikation und ihre Diskussion zur freien Meinungsbildung nötig seien (Theophanous (1994) 182 CLR 104 (124); PräsidentMason, Richter Toohey, Richterin Gaudron), lassen vermuten, daß auch der High Court in einem möglichen Fall mit Kommunikationsfreiheitsbezug den Land Councils eine durch Beleidigungsrecht einklagbare Ehre absprechen und sie als staatliche Organe im weitesten Sinne einstufen würde. Zur Thematik staatliche Organe und Beleidigungsklageberechtigung siehe auch: Meek M., Defamation- Local authorities- Not able to sue for libel in respect of goveming or adminis-trative reputation, 66 (1992) ALJ 382 und Mullany N.J., "Goveming Reputation" and Local Govemment Corporations, 111 (1995) LQR 206.

li. Bemerkungen auf dem Gebiet der Gewährleistung und des Schutzes

221

2. Freiheitsbindung Auch die Frage nach den Verpflichteten der Freiheit faßt das australische System enger als die Grundrechtsbindung in Deutschland gesehen wird. Während in Deutschland durch Art.l Abs. 3GG alle staatliche Gewalt, also auch die Judikative, auf die Grundrechte und damit auch auf Art. 5 GG verpflichtet ist, so betrifft die implizierte Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik von ihrer Natur als Kompetenzbeschränkung her nur die Legislative und die Exekutive, die richterliche Gewalt ist nicht gebunden. Dieses Prinzip wurde in den Theophanous, Stephens und Lange-Urteilen durchbrochen, in denen festgelegt wurde, daß das common law mit der Verfassung einschließlich ihrer implizierten Freiheiten übereinstimmen müsse. Damit ist faktisch auch die Judikative, die das Richterrecht setzt, an die Freiheit gebunden. 44 Diese Durchbrechung war eine der Ursachen für die Stürme der Entrüstung, die diese Entscheidungen auslösten. Es scheint in Austraben allgemein eine gewisse Angst zu herrschen, daß Grundrechte, sollten sie eingeführt werden, auch die Judikative binden könnten und auf diese Weise Private ihre Ansprüche nicht mehr durchzusetzen vermöchten, da sich die Richter gehalten sähen, die Grundrechte in ihre Erwägungen mit einzubeziehen.45 Diese mögliche Drittwirkung in beiden Ländern wird im Anschluß untersucht. Festzuhalten bleibt zunächst, daß sich die Grundrechts-/Freiheitsverpflichtungen insoweit unterscheiden, als die Judikative prinzipiell nur in Deutschland an die Grundrechte und damit die Meinungsfreiheit gebunden ist, faktisch aber in Australien ebenfalls eine Freiheitsbindung der Judikative geschaffen wurde, so daß die Situation in der Praxis ähnlich ist. 3. Drittwirkung Verlief die Rechtsprechung zur Drittwirkung von Grundrechten/-freiheiten zunächst stark unterschiedlich, so hat durch die Lange-Entscheidung eine Annäherung stattgefunden, so daß die beiden Systeme diesbezüglich nunmehr viele Parallelen aufweisen. Die Ausgangslage stellt sich dabei folgendermaßen dar: 44 Zu den weiteren Auswirkungen dieser Entscheidungen bzgl. Drittwirkung siehe gleich unten. 45 Vgl dazu z. B. den S. 46 vorgestellten vom Law Council ofAustralia entworfenen Grundrechtskatalog, der ebenfalls nur die Legislative und die Exekutive binden soll (cl. 8). Siehe auch die Besprechung der Charter of Rights and Freedoms von Ward N., An Australian Charter of Rights and Freedoms, Some thoughts on the implications for media law (1995) 2 AMLR 145.

222

2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

Auf deutscher Seite sieht das Grundgesetz vom Grundsatz her keine direkte Drittwirkung vor. Dies ergibt sich vor allem aus Art.l Abs. 3 GG, der nur die öffentliche Gewalt bindet.46 Das mangels eigener Grundrechtserfahrung von der US-amerikanischen Grundrechtsdogmatik geprägte bzw. abgeschreckte australische Rechtsdenken lehnt ebenfalls eine Wirkung von Grundfreiheiten zwischen Privaten ab, insbesondere wenn diese Drittwirkung nicht vom Gesetzgeber, sondern von Richtern eingeführt wurde.47 Der Gedanke, daß sich die durch das common law getroffene Abwägung zwischen Ansprüchen Privater durch einen einseitigen "verfassungsrechtlichen Eingriff' zu Gunsten einer Partei verschieben könnte, verursacht bei vielen Unbehagen. Auch das Konzept der impliziert von der Verfassung geforderten Kommunikationsfreiheit verlangt nicht zwingenderweise nach einer unmittelbaren Drittwirkung der Freiheit, da sie vom Grundsatz her nur die Legislativkompetenz beschränkt. Ausgehend von diesen ähnlichen Prinzipien stellt man fest, daß in beiden Ländern durch richterrechtliche Fortentwicklung eine mittelbare Drittwirkung der Meinungsfreiheit bzw. Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik angenommen wurde. In Deutschland war dafür das Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts48 bahnbrechend, wo ein Einwirken der Grundrechte und der durch sie geschaffenen Wertordnung bei der Auslegung des bürgerlichen Rechts vor allem über die Generalklauseln postuliert wurde. In Australien wurde die Drittwirkung vor allem in den Theophanous-, Stephensund Lange-Urteilen relevant, wobei die beiden ersten Fälle sogar eine direkte Drittwirkung49 entwickelten, die erst in der letztgenannten Entscheidung auf eine mittelbare Drittwirkung zurückgestuft wurde. In Theophanous und Stephens wurde festgestellt, daß die durch die Verfassung implizierte Kommunikationsfreiheit einen Rechtfertigungsgrund gegenüber Beleidigungsklagen biete und darüber hinaus einen beleidigungsrechtlichen Rechtfertigungsgrund modifiziere. Die Modifikation des beleidigungsrechtlichen qualified privilege ist eine mittelbare Drittwirkung der Kommunikationsfreiheit, da das einfache Recht hier im Lichte der Verfassung ausgelegt bzw. geschaffen wird. Durch diese freiheits46 H. M., siehe nur Pieroth B./Schlink B., Grundrechte Staatsrecht II, 14. Autl., 1998, Rn. 173 ff, a. A. BAG st. Rspr. seit BAGE 1, 185 (193). 47 Vgl. nur Ward N., Anm. 44. Dies zeigt sich vor allem auch in der Entrüstung gegenüber den Urteilen der Hochphase 1994, siehe oben S.166. 4s BVerfGE 7, 198 (v.a.205f). 49 Knies W., Auf dem Weg in den "verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat"?, in: Burmeister J. u. a. (Hrg.), Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Klaus Stern, 1997, 1155 (1175) ist der Ansicht, daß durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts inzwischen eine unmittelbare Geltung der Grundrechte geschaffen wurde.

II. Bemerkungen auf dem Gebiet der Gewährleistung und des Schutzes

223

freundliche Auslegung wirkt die Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik indirekt auf das Privatrechtsverhältnis zweier Parteien im Zivilprozeß ein. Weitergehend ist hingegen der verfassungsrechtliche Rechtfertigungsgrund. Hier greift die Freiheit direkt in ein Privatrechtsverhältnis ein, indem sie der beklagten Partei eine weitere, dem einfachen Recht fremde Abwehrmöglichkeit gegen die Klage verschafft und die Beklagtenseite dabei einseitig unterstützt. Es handelt sich daher um eine unmittelbare Drittwirkung der Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik. In einer Verfassung, die kein ausgewogenes Grundrechtssystem, sondern eigentlich nur eine implizierte Freiheit kennt, ist das neben der allgemeinen Problematik der Drittwirkung von Grundrechten auch deshalb problematisch, weil dadurch die Gefahr besteht, daß die ebenso schützenswerten Rechte der anderen Partei zu kurz kommen. Wenn in Deutschland Grundrechte auf Privatrechtsverhältnisse einwirken, dann gibt es auf beiden Seiten eine verfassungsrechtliche Dimension, denn es stehen sich auf beiden Seiten Grundrechte gegenüber. Auf dem Gebiet der Meinungsfreiheit ist beispielsweise eine Abwägung mit dem Recht der Ehre der anderen Partei durch die Schrankenbestimmung in Art. 5 GG und das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. l Satz l GG abgeleitete Persönlichkeitsrecht bereits in der Verfassung angelegt. Die Grundrechte beider Seiten müssen dann zu einer praktischen Konkordanz geführt werden.5° Im Unterschied zur deutschen Abwägung der Rechtsgüter auf gleicher Ebene51 stellte sich in Australien, wo bislang nur die Existenz der Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik bindend festgestellt wurde, also nur die Kommunikationsfreiheit geschützt ist, das Verfassungsrecht auf eine Seite des Rechtsstreits und es fand keine Abwägung der verschiedenen Rechtsgüter auf Verfassungsebene statt. Vielmehr griff die Verfassung in die getroffene Abwägung des common law ein und korrigierte sie einseitig zu Gunsten der Freiheit. Mag das Ergebnis dabei durchaus wünschenswert sein, da die common law-Abwägung freiheitsunfreundlich war, so führt die Methode dennoch zu einer Abwägungsschieflage zwischen den Ebenen des Verfassungs- und des einfachen Rechts, die Kritik berechtigt macht.52 50 Zu Schwierigkeiten bei dieser Abwägung im Einzelfall und zur Kritik am Bundesverfassungsgericht in dieser Hinsicht vgl. Grimm D., "Wir machen das Meinungsklima nicht", Antworten auf die Kritik an der Ehrenschutz-Rechtsprechung des BVerfG, ZRP 1994, 276. 51 Vgl die Ausführungen in Lüth BVerfGE 7, 198 (211). Siehe zur Abwägung Güter unterschiedlichen Ranges auch die Auseinandersetzung mit der Smendschen Lehre zu den "Allgemeinen Gesetzen" in: Schwark E., Der Begriff der "Allgemeinen Gesetze" in Artikel 5 Absatz 2 des Grundgesetzes, 1970 (48ft). Siehe dazu auch unten S. 235. 52 Dabei darf nicht übersehen werden, daß die Kritik in Australien hauptsächlich auf anderen Erwägungen beruhte, nämlich dem Mißtrauen gegenüber den in "politischen" Fragen ent-

224

2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung Deutschland

I

Persönlichkeitsrecht

Verfassungsrecht

I

I

I

Meinungsfreiheit

I

Beleidigungsklage einfaches Recht

Kläger

I I ~ Beklagter I • I Rechtfertigungsgrund

I

AustraUen

impl. Kommunikationsfreiheit

Verfassungsrecht

--

Beleidigungsklage

commonlaw

I

Kläger

I .. defence

Beklagter

L

Abbildung 5: Einwirkung des Verfassungsrechts auf das einfache Recht Durch die Abschaffung des verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrundes im Lange-Fall bleibt nunmehr lediglich die mittelbare Drittwirkung der Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik bei der Auslegung des qualified privilege. Aber auch dadurch ist die Problematik nicht völlig aufgehoben, denn auch bei der mittelbaren Auswirkung kann sich ein verfassungsrechtlicher Einfluß zugunsten nur eines Rechtsgutes in eine Schieflage auswirken. scheidenden Richtern. Auch in Deutschland gibt es Stimmen, die die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte als einseitig sehen. Siehe z. B.lsensee J., Bundesverfassungsgericht- quo vadis?, Festvortrag, Verhandlungen des einundsechzigsten Deutschen Juristentages 1996, Bd. 11/1, H5 (H 18).

II. Bemerkungen auf dem Gebiet der Gewährleistung und des Schutzes

225

Unabhängig von dieser unterschiedlichen Auswirkung der Meinungsfreiheit bzw. der Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik auf das einfache Recht, gibt es jedenfalls in beiden Ländern eine richterrechtlich geschaffene mittelbare Drittwirkung dieser beiden Freiheiten. Da in Deutschland diese Ausstrahlungswirkung aus der objektivrechtlichen Bedeutung der Grundrechte abgeleitet wird,53 verwundert es nicht, daß auch in Australien, wo die Freiheit ausschließlich einen objektiven Charakter hat, eine solche mittelbare Drittwirkung existiert. 54 In beiden Systemen hat die mittelbare Drittwirkung zu einer Konstitutionalisierung des einfachen Rechts geführt. In Deutschland ist dies mittlerweile fast zu einer Selbstverständlichkeit geworden. In Australien hingegen, wo die Entwicklung noch sehr neu und außerdem die Doktrin der Parlamentssouveränität noch in den Köpfen der Juristen und Juristinnen verankert ist, herrscht noch immer eine gewisse Scheu vor dieser Entwicklung.55 Allerdings scheint man sich mittlerweile mit der mittelbaren Drittwirkung abgefunden zu haben. Man hat eine implizierte Kornmunikationsfreiheit mit gewissen Auswirkungen akzeptiert. Es läßt sich voraussehen, daß in einigen Jahrzehnten die Kasuistik diesbezüglich ebenso detailliert sein wird wie in Deutschland.

E. Art des Schutzes Grundrechtsschutz kann auf drei Ebenen erfolgen: auf der verfassungsrechtlichen, der einfachgesetzlichen und der völkerrechtlichen. Gab es in Australien lange Zeit praktisch nur den einfachgesetzlichen Schutz, gewann dann ab Mitte der siebziger Jahre das Völkerrecht an Bedeutung hinzu, das zunächst das einfache Gesetzesrecht56 beeinflußte und dann Anfang der neunziger Jahre auch eigene Klagemöglichkeiten eröffnete, so scheint durch den grundrechtsbewußtereD High Court nunmehr auch die verfassungsrechtliche Ebene (die in der Verfassung vorhandenen Vorschriften betreffend) wiederbelebt bzw. (implizierte Rechte betreffend) neu eröffnet zu sein. BVerfGE 7, 198 (205). Vgl. das Votum von Präsident Mason, Richter Toohey und Richterin Gaudran in Theophanous 182 (1994) CLR 104 (128). 55 Dabei darf man nicht übersehen, daß auch in Deutschland anfangs solche Scheu vor der Konstitutionalisierung des Privatrechts herrschte. Beispielsweise bei der Diskussion um die Gleichberechtigungsformulierung in Art. 3 Abs. 2 GG gaben einige zu bedenken, daß die völlige Gleichberechtigung weite Teile des BGB ungültig machen würde, siehe Prantl H., Die Mütter des Grundgesetzes, SZ vom 16. Mai 1989, 10. Und auch die Drittwirkung war anfangs in Deutschland nicht unumstritten, vgl. z. B. Nipperdey H., Boykott und freie Meinungsäußerung, DVBI. 1958,445 (446ff). 56 Vgl. z. B. Racial Discrimination Act, 1975 der zur Erfüllung der Verpflichtungen AustraIiens nach der Rassendiskriminierungskonvention erlassen wurde. s. dazu auch: Race Discrimination Commissioner, Racial Discrimination Act 1975: A Review, 1995. 53

54

15 Pittrof

226

2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

Für die Meinungsfreiheit bedeutet dies, daß sich deren Schutz in Deutschland wie in Australien auf drei Ebenen abspielt, wobei die einzelnen Ebenen in den beiden Ländern unterschiedliches Gewicht einnehmen. In Deutschland stehen das Verfassungsrecht und das einfache Recht57 im Vordergrund, der internationale Schutz, der hier aufgrund der zusätzlichen europarechtlichen Ebene sogar noch mehr Möglichkeiten böte, tritt daneben eher zurück. Auf der australischen Seite hingegen wurde bislang vor allem die einfachrechtliche Ebene betont. Dies läßt sich auf die Doktrin der Parlamentssouveränität zurückführen, die den Schutz von Grundrechten allgemein am besten in der Hand des Gesetzgebers sieht, der beim Erlaß von Gesetzen die gerechteste und beste Abwägung zwischen den verschiedenen Gütern treffen könne. Durch die neue Rechtsprechung zur implizierten Kompetenzbeschränkung wurde auch die verfassungsrechtliche Ebene ins Rampenlicht gerückt. Obwohl gegenwärtig eine weitere Expansion durch den High Court nicht wahrscheinlich ist, ist aufgrund der höheren Effektivität des nationalen Rechtsschutzes zu erwarten, daß in Zukunft der verfassungsrechtliche Schutz von Kommunikation mehr im Vordergrund stehen wird. Anders als man wegen des Fehlens eines Grundrechtskatalogs vermuten könnte, spielte das internationale Recht beim Schutz der Meinungsfreiheit und bei Grundrechten allgemein keine tragende Rolle, sieht man von der Tatsache ab, daß internationale Verträge das einfache Gesetzesrecht im Antidiskriminierungsbereich stark beeintlußt haben. Bestehende internationale Beschwerdemöglichkeiten sind mangels Bekanntheitsgrad bisher nur in geringem Maße genutzt worden und scheinen erst langsam als Rechtsschutzmöglichkeiten in Betracht gezogen zu werden. Jedenfalls für die Kommunikationsfreiheit wird die Ebene des Völkerrechts aufgrund des nunmehr bestehenden verfassungsrechtlichen Schutzes keine wesentliche Rolle spielen. Neben der unterschiedlichen Gewichtung der drei Ebenen besteht eine weiterere Divergenz in der Art des Schutzes in der Tatsache, daß in Deutschland die Meinungsfreiheit im Grundgesetz positiviert ist, in Australien hingegen die Freiheit der politischen Kommunikation nur von der Verfassung impliziert wird, also ungeschrieben ist. Wo in Deutschland gleich mit der Interpretation von Art. 5 GG und dessen Auswirkungen begonnen werden kann, muß in Australien erst die Vorfrage, inwieweit die Kommunikationsfreiheit überhaupt existiert, gestellt und das Bestehen der Kommunikationsfreiheit begründet werden. Dieser Unterschied führt dazu, daß die Kommunikationsfreiheit, was ihre Existenz, ihren Schutzbereich und ihre Schranken betrifft, auf den ersten Blick weit mehr von den Richtern abhängig ist als die deutsche Meinungsfreiheit. Auch diese Beurteilung ist aber nur auf den ersten Blick so zutreffend, denn führt man sich den Text des Grundgesetzes vor Augen und vergleicht ihn mit der in der Kasuistik entwickelten Deutung der Meinungsfreiheit, so stellt man fest, daß auch 51 Hier sind z. B. die Pressegesetze der Länder oder die Verfahrensgesetze, die das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten vorsehen, zu nennen.

111. Vergleichende Bemerkungen im Bereich der Begrenzung

227

in Deutschland die richterliche Beurteilung, insbesondere was die Wechselwirkungslehre betrifft, die den Grundrechten erst die einschneidende Wirkung gab, die Entwicklung der Meinungsfreiheit entscheidend geprägt hat. Insgesamt ist die Art des Schutzes von Grundrechten in Australien indirekter als in Deutschland und bestand bislang vor allem aus auf dem common law basierenden Verfahrens- und institutionellen Garantien,58 wie der der Unabhängigkeit der Richter oder der Unschuldsvermutung. Auch der jetzige durch die Verfassung implizierte Schutz der Kommunikationsfreiheit kann als indirekter angesehen werden, denn die Freiheit der politischen Kommunikation ist nur "Mittel zum Zweck". Sie soll nicht um ihrer selbst willen geschützt werden, sondern um des Systems der repräsentativen Demokratie wegen. Das verfassungsmäßige Regierungssystem soll gesichert werden und lediglich indirekt die dafür erforderliche Kommunikationsfreiheit

111. Vergleichende Bemerkungen im Bereich der Begrenzung der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit A. Rechtliche Einordnung und Inhalt der Schrankenbestimmungen Ein Vergleich der Schranken von Meinungsfreiheit und Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik gestaltet sich deshalb schwierig, weil die Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik in Australien, wie bereits dargestellt, eigentlich selbst eine Schranke ist, nämlich eine Schranke der Gesetzgebungskompetenz. Die Freiheit wirkt nicht primär als Schutz sondern als Schranke. Der daraus entstehende Schutz ist nur eine Reflexwirkung für die Bürger. In Australien steht die Frage im Vordergrund, wie eine Gesetzgebungskompetenz durch die Freiheit beschränkt wird, nicht die Frage, wie die Freiheit selbst begrenzt wird. Die Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik fungiert selbst als verfassungsimmanente Beschränkung der Kompetenz des Gesetzgebers. Die Frage nach den Schranken der Freiheit ist eher als Frage nach ihrer Reichweite definiert. Auch die Formulierung "soweit von der Verfassung gefordert" betrifft eher die Existenz der Freiheit, als daß sie Grenzen aufstellt. Anders als die deutsche Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. I GG trägt die australische Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik ihre Grenzen dadurch (mindestens teilweise) in sich. 58

15*

Siehe dazu auch oben Fn. 15.

228

2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

Als weiterer Unterschied fallt auf, daß die Schranken in Deutschland vom Grundgesetz generell-abstrakt vorgegeben sind, während das australische Gericht sich seinen Maßstab erst erarbeiten muß. Zwar überläßt die deutsche Verfassung die Ausformung der Schranken dem Gesetzgeber, trifft aber dennoch auch selbst konkrete Aussagen zu den Schranken (Ehrenschutz, Jugendschutz) und gibt damit den Richtern eine gewisse Richtungsweisung an die Hand, die in Australien aufgrunddes ungeschriebenen Charakters der Freiheit nicht vorhanden ist. Zwar ist auch in Deutschland die Auslegung des Begriffs "allgemeine Gesetze" dem Gericht überlassen, es hat jedoch bei der Entscheidungsfindung gewisse Anhaltspunkte aus der Gesamtschau der Verfassung und aus der historischen Entwicklung, die in Australien (noch) fehlen. Das deutsche Gericht kann daher deduktiv entscheiden, das australische muß induktiv seine Entscheidung am Einzelfall erarbeiten. Gibt es also in der Verfassung keine Richtlinien für die Grenzen der Freiheit wie im deutschen Recht und behält man im Auge, daß man, wenn man von Beschränkung der australischen Kommunikationsfreiheit spricht, eigentlich die Beschränkung einer Schranke meint,59 so ergeben sich doch bei Gegenüberstellung der vom Bundesverfassungsgericht als "allgemeine Gesetze" anerkannten Vorschriften60 mit denen, die in den australischen Urteilen als mögliche Beschränkungen genannt sind,61 inhaltlich viele Ähnlichkeiten. Beide Iisten beispielsweise Staatsschutz oder Ehrenschutz auf. Umgekehrt können auch in Deutschland Beschränkungen aus dem demokratischen Prinzip tließen.62 Allerdings stehen Beschränkungen der Kommunikationsfreiheit in Australien nicht unter dem gleichen Begründungszwang wie in Deutschland. Da die Kommunikationsfreiheit eine Verfassungsfreiheit ist und somit dem Staat nicht vorangeht, sondern von ihm gewährt wird, kann dieser Beschränkungen der Kommunikationsfreiheit leichter rechtfertigen.63

B. Kriterien zur Bestimmung der Grenzen Auch bei der Gegenüberstellung der australischen und der deutschen Prüfungskriterien für die Verfassungskonformität von freiheitsbeschränkenden Gesetzen las59 Um diesem Unterschied Rechnung zu tragen, werden die "Schranken" der australischen Kommunikationsfreiheit im folgenden als "Begrenzung" bezeichnet. Für den Vergleich der Prüfungskriterien wirkt sich der Unterschied nicht aus. 60 Vgl. dazu die Aufstellung bei Herzog R., in: Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 GG, Rn. 276. 61 Z. B. Richterin Gaudran in ACTV (1992) 177 CLR 106 (217). 62 s. z. B. Herzog R., in: Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 GG, Rn.IO, Böckenförde E. (Anm.16) 1538. 63 Vgl. Böckenfö rde E. (Anm.16) 1530; 1532.

111. Vergleichende Bemerkungen im Bereich der Begrenzung

229

sen sich Parallelen feststellen. Im folgenden werden dabei neben dem jetzigen Lange-Maßstab auch die in den früheren Urteilen entwickelten Maßstäbe, die schließlich in Lange konsolidiert wurden, zum Vergleich herangezogen. Die in den verschiedenen australischen Voten postulierten Prüfungsstandards lassen sich in folgende drei Gruppen einteilen: Zum einen den Sonderrechts- oder Inzidenzbeschränkungstest, zum anderen die Unterscheidung nach Kommunikationsinhalt und Kommunikationsart und zum dritten eine Notwendigkeits-/Geeignetheits-Nerhältnismäßigkeitsprüfung. Dabei werden die Tests der ersten und zweiten Gruppe fast durchwegs mit einer Untergruppe der dritten Gruppe verbunden. In Lange kristallisierten sie sich zu einem Test heraus.

1. Erste Gruppe Die erste Gruppe von Tests unterscheidet danach, ob das die Freiheit beschränkende Gesetz direkt auf die Kommunikation und die darin enthaltene politische Aussage zielt oder ob die Beschränkung der Freiheit nur inzident zur Erreichung eines anderen Zieles notwendig ist, wobei in ersterem Fall das Gesetz nicht bzw. nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, im zweiten Fall bei Erfüllung einer Art Notwendigkeits-Nerhältnismäßigkeitsprüfung der dritten Gruppe verfassungsgemäß ist. Dieser Inzidenzbeschränkungsmaßstab taucht bereits in einigen Voten der Frühphase64 auf, gewinnt in der Hochphase65 und der frühen Konsolidierungsphase66 zunehmend an Bedeutung und fließt schließlich in den Lange-Maßstab ein. Letzterer hat in seinem ersten Punkt als Unterpunkt b)67 die Voraussetzung, daß das zu bewertende Gesetz nicht direkt auf die Beschränkung der Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik abzielt. Im ganzen gleicht dieser Test sehr der Sonderrechtslehre der Weimarer Zeit,68 wie sie auch in die vermittelnde Ansicht des Bundesverfassungsgerichts69 eingeflossen ist. Wie die Sonderrechtstheorie zur Auslegung des Begriffs "allgemeine Gesetze" in Art.ll8 WRV, sieht er es für die Gültigkeit eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes als entscheidend an, daß das Gesetz nicht speziell auf Äußerungen zielt, sondern 64 Richterin Gaudron in Nationwide ( 1992) 177 CLR 1 (95) und Richter Deane und Toohey in Nationwide (1992) 177 CLR 1 (76) und in ACTV (1992) 177 CLR 106 (169). M s. die Voten von Richter Brennan in Theophanous (1994) 182 CLR 104 (151), Richter Deane in Cunliffe (1994) 182 CLR 272 (339), Richterin Gaudran in Cunliffe (1994) 182 CLR 272 (388f), Richter Toohey in Cunliffe (1994) 182 CLR 272 (380-384), Richter Brennan in Cunliffe (1994) 182CLR 272 (324). 66 s. das Votum von Richter Brennan in Albert Langer (1996) 186 CLR 302 (318). 67 s. oben S. 164. 68 Siehe z. B. Rothenbücher K., Das Recht der freien Meinungsäußerung, VVdStRL, Heft 4, 1928,6 (20). 69 BVerfGE 7, 198 (209f).

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2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

allgemein gehalten ist und dabei die Kommunikationsfreiheit nur inzident betrifft. Stellt die deutsche Sonderrechtslehre eher auf die Allgemeinheit des Gesetzes ab und der australische Maßstab eher auf die bloße Inzidenzberührung der Kommunikationsfreiheit, so ist doch das Ziel des Tests insoweit das gleiche, als verhindert werden soll, daß bestimmte Äußerungen als solche verboten werden können. Mit dem Inzidenzbeschränkungstest verwandt ist der Gesetzeszwecktest, wie er insbesondere seit der Konsolidierungsphase70 betont wird. Er besagt, daß sich die Gesetzmäßigkeit der Beschränkung nach dem Zweck des betreffenden Gesetzes bestimmt. Dieser muß legitim sein, d. h. er darf zum einen nicht auf die in der Kommunikation enthaltene Aussage zielen und zum anderen auch keine anderen nicht legitimen Zwecke verfolgen. Spätestens seit Lange muß er darüber hinaus mit der Förderung/Erhaltung des demokratisch-repräsentativen Systems vereinbar sein. Der Zweckmaßstab überschneidet sich mit dem Sonderrechtsmaßstab insoweit, als ein Gesetzeszweck, der sich direkt gegen eine Meinung/Kommunikation richtet, in aller Regel nicht als legitim gesehen werden kann. Er geht aber noch darüber hinaus, da auch ein nicht direkt gegen Kommunikation zielender Gesetzeszweck aus anderen Gründen nicht legitim sein kann. Auch der Test des legitimen Gesetzeszweckes findet sich im deutschen Recht ebenso wie im australischen. Das Bundesverfassungsgericht prüft bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem konkurrierenden, zu schützenden Rechtsgut, ob der Gesetzeszweck, d. h. der Schutz dieses Rechtsgutes, legitim ist.71 Somit ergeben sich auch hier Übereinstimmungen.

2. Zweite Gruppe Die zweite Gruppe von Maßstäben, die zwischen Eingriffen in den Kommunikationsinhalt und solchen in die Kommunikationsmodalitäten unterscheidet, hatte am Anfang Anhänger, 72 setzte sich dann aber nicht durch. Sie besagt, daß Gesetze, die den Inhalt von Kommunikation beschränken, nur im Ausnahmefall bei zwingenden Rechtfertigungsgründen verfassungsgemäß sind. Gesetze, die die Art und Weise der Kommunikation regeln, müssen hingegen einem Abwägungsprozeß bzw. einer Art Verhältnismäßigkeitstest unterzogen werden. 70 s. die Voten in Muldowney (1996) 186 CLR 352 (366f- Richter Brennan; 370f- Richter Toohey; 373 f - Richterin Gaudron; 375- 378 - Richter Gummow und zustimmend Richter McHugh) und in Levy (1997) CLR 579 (597ff- Richter Brennan; 610f- Richter Toohey; 613 f- Richter Gummow; 627- Richter McHugh; 647- Richter Kirby). 71 Vgl. BVerfGE 7, 198 (209f); BVerfG JZ 1986, 491 mit Anm. Hoffmann-Riem W., JZ 1986,494. 72 s. Präsident Mason in AC1V (1992) 177 CLR 106 (143) und in Cunliffe (1994) 182 CLR 272 (299), sowie Richter McHugh in AC1V (1992) 177 CLR 106 (235).

III. Vergleichende Bemerkungen im Bereich der Begrenzung

231

Wie die Tests der ersten Gruppe sucht auch die Unterscheidung zwischen Kornmunikationsinhalt und Kommunikationsmodalitäten eine Zensur der politischen Aussagen zu verhindern. Obgleich nicht direkt in den Lange-Kompromiß eingeflossen, so kann das in diesem Test aufgestellte Kriterium doch nach wie vor bei der Frage der Geeignetheit und dem Angepaßtsein eine Rolle spielen. Auch in Deutschland wird zwar nicht zwingend als Prüfungskriterium vorgesehen, ob die Beschränkung den Äußerungsinhalt oder eher den Modus betrifft. Dies wird aber in die Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und anderen Rechtsgütern dennoch mit einbezogen. Ähnlich dem oben genannten Maßstab wird eine Beschneidung des letzteren eher als verfassungsgemäß betrachtet als ein Eingriff in die Äußerung einer Meinung an sich.73 3. Dritte Gruppe Die dritte Gruppe von Prüfungskriterien umfaßt drei Untergruppen. Sie zieht sich in verschiedenen Formen durch alle Urteile und ist die am häufigsten angewandte. Oft tritt sie im Zusammenhang mit einer der oben genannten Maßstäbe der ersten und zweiten Gruppe auf.

a) Untergruppen Während fast durchgehend ein Teil der Richter einen Notwendigkeitstest74 (reasonably necessary) forderte, andere einen Verhältnismäßigkeitstest75 (proportionality) postulierten und in einer dritten Gruppe von Voten ein Geeignetheits-/Angepaßtseinstest76 (reasonably appropriate and adapted) befürwortet wurde, so entschied sich das Gericht im Lange-Kompromiß für den Geeignetheitsmaßstab, wies aber So z. B. BVerfGE 42, 143 (149ft), BVerfGE 42, 163 (170f). Richter Deane und Taahey in Natianwide (I992) I77 CLR I (77); in AC1V (1992) I77 CLR I06 (174?); Richter Deane in Theaphanaus (I994) I82 CLR I04 (170); in Cunliffe (1994) I82 CLR 272 (339). 75 Richter Brennan inAC1V (1992) I77 CLR 106 (150f); in Theaphanaus (1994) I82 CLR 104 (152); inCunlijfe (1994) 182 CLR 272 (324); RichterTaahey inMcGuinty (1996) I86 CLR I40 (215), Richter Toahey in Kruger (1997) I90 CLR I (92). 76 Richterin Gaudran inNatianwide (I992) I77 CLR 1 (95); inAC1V (1992) 177 CLR 106 (2I8). Richter Brennan in Theaphanaus (I994) I82 CLR I04 (I 52); Präsident Masan in Cunlijfe (I994) 182 CLR 272 (300); Richter Deane in Cunliffe (I994) I82 CLR 272 (339); Richterin Gaudran in Cunliffe (1994) 182 CLR 272 (388); Richter Brennan in Cunlijfe (1994) 182 CLR 272 (324); Richterin Gaudran in McGuinty (1996) 186 CLR 140 (222); Präsident Brennan in Albert Langer (1996) 186 CLR 302 (318); RichterToahey und Richterin Gaudran in Albert Langer (1996) 186 CLR 302 (334); PräsidentBrennan inMuldawney (1996) 186 CLR 352 (366f); Richter Taahey in Muldawney (1996) 186 CLR 352 (373); Richterin Gaudran in Muldawney (1996) 186 CLR 352 (375-378); Präsident Brennan in Levy (1997) 189 CLR 579 (597ft); Richterin Gaudran in Levy (1997) 189 CLR 579 (618f); Richter Kirby in Levy (I997) 189 CLR 579 (644ft). 73

74

232

2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

darauf hin, daß die Unterschiede gering sind. Richterin Gaudron setzte kurze Zeit später im Kruger-Fall erstmals den Geeignetheits- und den Verhältnismäßigkeitstest ausdrücklich gleich,77 nachdem einige Voten bereits früher den Notwendigkeitsund den Verhältnismäßigkeitstest nebeneinander gestellt und verbunden hatten. 78 Betrachtet man die verschiedenen Spielarten einzeln, so wird deutlich, daß die Unterschiede meist marginal sind. Verlangt der Notwendigkeitstest, daß das beschränkende Gesetz nicht über das hinausgeht, was für die demokratische Gesellschaft oder für den Schutz von berechtigten Ansprüchen von Individuen bei vernünftiger Betrachtungsweise nötig ist, so fordert der Geeignetheitsmaßstab, daß das beschränkende Gesetz für seinen legitimen Zweck bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet und ihm angepaßt ist, und der Verhältnismäßigkeitstest, daß es zum Gesetzesziel verhältnismäßig ist. Versteht man die Verhältnismäßigkeit als Mittel-Zweck Relation,79 so ist bei diesen drei Formulierungen lediglich ein terminologischer Unterschied festzustellen, denn sowohl der Notwendigkeits- als auch der Geeignetheitsmaßstab fordern eine Mittel-Zweck-Prüfung als Kriterium für die Wirksamkeit der Gesetze. Bei ersterem soll nur ein für den Zweck (demokratische Überlegungen, lndividualanspruchsschutz) nötiges Mittel (Gesetz) verfassungsgemäß sein. Beim zweiten muß das Mittel (beschränkendes Gesetz) für den legitimen Zweck (d. h. ein anderes geschütztes Rechtsgut) geeignet und ihm angepaßt sein. Ein geringer Unterschied liegt lediglich im Zweck, da der im Notwendigkeitsmaßstab postulierte Zweck zumindest auf den ersten Blick begrenzter erscheint als die beiden anderen, bei denen der Zweck nur "legitim" sein muß. Da der Zweck der "demokratischen Gesellschaft und Erhaltung der Rechte anderer" aber weit ausgelegt werden kann, kann man vermuten, daß der Unterschied in der Praxis nicht nennenswert ist. So verwundert es nicht, daß man im Lange-Kompromiß schließlich die am häufigsten verwendete Formulierung "bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet und angepaßt" übernahm und die Vernachlässigbarkeit der unterschiedlichen Terminologie betonte.

b) Vergleich

Ein Vergleich bietet sich bei der zuletzt dargestellten Gruppe von Prüfungskriterien auf zwei Ebenen an: einmal die deutsche, nationale aber zusätzlich auch die internationale und hier insbesondere in Gestalt der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). (1997) 190 CLR 1 (128). Voten von Richter Deane in Theophanous (1994) 182 CLR 104 (170); von Richter Brennan und Präsident Mason in Cunliffe (1994) 182 CLR 272 (324 bzw. 300). 79 Zur Rolle der Verhältnismäßigkeit s. a. S. 238. 77 78

III. Vergleichende Bemerkungen im Bereich der Begrenzung

233

aa) Vergleich mit der EMRK Die größte Ähnlichkeit weisen die australischen Tests mit dem der EMRK auf. 80 Vor allem der Notwendigkeilstest mit seinem Kriterium der "Notwendigkeit in einer freien Gesellschaft" ist sehr an die EMRK und ihre Auslegung angelehnt. Auch die EMRK verwendet in Art. I 0 Abs. 2 als Voraussetzung für die Einschränkung der Meinungsfreiheit die Formulierung "in einer demokratischen Gesellschaft[ ... ] notwendig". Bei der Auslegung des Begriffs "notwendig" zeigen sich weitere Übereinstimmungen: Wurde das Kriterium "notwendig in einer demokratischen Gesellschaft" in Art. I 0 Abs. 2 EMRK durch die Konventionsorgane anfangs als dann erfüllt angesehen, wenn ein dringendes soziales Bedürfnis bestehe,81 so ist das die gleiche Formulierung, die Richter Deane in Theophanous zitiert, und sehr ähnlich der von Richterin Gaudran in Cunliffe und Kruger verwendeten vom "dringenden öffentlichen Interesse". In beiden Systemen muß auch das Eingriffsziellegitim sein; die EMRK stellt dafür einen Katalog auf, dessen Inhalt dem der beispielhaft in den australischen Voten genannten legitimen Zielen entspricht, was wiederum auf einen Rückgriff der australischen Richter auf die europäische Konvention schließen läßt. 82 bb) Vergleich mit nationalem Recht Bei Vergleich auf nationaler Ebene stellt man fest, daß in beiden Rechtssystemen eine Mittel-Zweck-Prüfung, wenn auch auf unterschiedlicher Stufe, stattfindet.83 Das Bundesverfassungsgericht betont, daß ein Schrankengesetz, wenn es verfassungsgemäß sein soll, geeignet und notwendig bzw. erforderlich sein muß.84 Dies entspricht mit leichtem terminologischen Unterschied der australischen Formulierung "bei vernünftiger Betrachtungsweise notwendig" (reasonably necessary) des Notwendigkeilstests und der Formulierung "bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet und angepaßt" (reasonably appropriate and adapted) des Geeignetheitstests. Die von Richter Brennan für den Verhältnismäßigkeilsmaßstab aufgestellten PrüVgl. die Voten die sich ausdrücklich auf den EGMR berufen, oben S.73 und 81. Vgl. die Zusammenfassung der Interpretationsentwicklung bei Frowein J. A./Peukert W., Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., 1996, Vorbem. zu Art. 8-11, Rn 15 ff. 82 Vgl. z. B. das Votum von Richter Deane in Theophanous (1994) 184 CLR 104 (179), RichterBrennanlehnte in Theophanous (1994) 182 CLR 104 (l62f) im Ergebnis wegen der unterschiedlichen Rechtsnatur der Freiheiten des Art. 10 EMRK und der australischen Kornmunikationsfreiheit eine analoge Anwendung zwar ab, aber gesteht zu, daß sich die Tests sehr ähnlich sind. 83 Zum Unterschied siehe unten S. 238. 84 s. z. B. BVerfGE 59, 231 (265). 80 81

234

2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

fungsschritte entsprechen fast denen des Bundesverfassungsgerichts: Spricht der australische Richter von Prüfung des Ausmaßes der Beschränkung, des Wesens des anderen Rechtsinteresses und der Verhältnismäßigkeit der Beschränkung zum Interesse,85 so prüft das Bundesverfassungsgericht die Geeignetheil und Erforderlichkeil zur Bewirkung des angestrebten Schutzes und die Angemessenheil des Verhältnisses zwischen den Einbußen an Freiheit und dem erreichten Schutz.86 Auch Präsident Mason spricht ähnlich davon, daß zur Feststellung der Geeignetheil/des Angepaßtseins die Verhältnismäßigkeit von Belastung und Zielerreichung geprüft werde und dafür eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an Kommunikationsfreiheit und dem konkurrierenden öffentlichen Schutzgut stattfinden muß.87 Vergleicht man die im Lange-Test zusammengefaßten Prüfungsschritte mit der vom Bundesverfassungsgericht für "allgemeine Gesetze" angewandten Formel,88 so ergibt sich eine Ähnlichkeit, was Funktion und Inhalt betrifft. Sowohl die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts als auch der in Lange gefundene Kompromiß stellen zwischen den im jeweiligen Land vorhandenen verschiedenen Meinungen eine vermittelnde Lösung dar. Der Test des Bundesverfassungsgerichts vermittelt zwischen der Sonderrechts- und der Abwägungslehre; der Maßstab des High Court zwischen den verschiedenen Strömungen in den früheren Urteilen des Gerichts. Inhaltlich prüfen beide zunächst, ob der Zweck des einschränkenden Gesetzes legitim ist, und nehmen dann eine Art Abwägung vor. 89 Ein Unterschied ergibt sich allerdings daraus, daß in Australien bei der Bestimmung des legitimen Zweckes eine Prüfung der Vereinbarkeil mit dem demokratischen System im Vordergrund steht, während das Bundesverfassungsgericht in einer weiteren Auffassung betont, daß der Zweck der "Schutz eines ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgutes" sein müsse. Mangels ausreichender Kasuistik ist es noch zu früh zu sagen, ob sich aus diesen unterschiedlichen Formulierungen auch tatsächlich verschiedene Auslegungen ergeben. Vom Wortlaut her könnte man aber annehmen, daß in Australien wieder die objektive Komponente ein größeres Gewicht hat als der Schutz subjektiver Rechte. Zieht man allerdings die früheren Voten heran, in denen bereits beispielhaft aufgezählt wurde, welche Gesetze (u. a. auch die die dem Schutz von Individualrechten 85

Z. B. Theophanous (1994) 182 CLR 104 (152).

86 Z. B. JZ 1986,491. 87 Cunliffe (1994) 182 CLR 272 (300). Selbst Richter Dawson spricht in Cunliffe von Ab-

wägung (363 t). 88 Also alle Gesetze, die nicht eine Meinung als solches verbieten, sondern dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsgutes dienen. Siehe z. B. BVerfGE 7, 198 (209); JZ 1986, 491. Kritisch zu dieser Formel Frowein J. A., Reform durch Meinungsfreiheit, 105 AöR (1980), 169 (181 ff). Vgl. ferner Bettermann K. A., Die allgemeinen Gesetze als Schranken der Pressefreiheit, JZ 1964,601. 89 Vgl. zu den Prüfungsschritten des Bundesverfassungsgerichts auch Hoffmann-Riem W., Anmerkung zu BVerfG I BvL 15/84, JZ 1986, 494, dereine Einteilung in die Prüfung der Legitimität des Gesetzeszwecks und des Regelungsansatzes befürwortet.

111. Vergleichende Bemerkungen im Bereich der Begrenzung

235

dienen) als vereinbar angesehen werden können, und bezieht man die Anwendung des Lange-Maßstabes in Levy ein, so läßt sich sagen, daß der Maßstab wohl eher weit verstanden und auch z. B. der Ehrenschutz als zur Bewahrung des demokratischen Systems nötig angesehen wird. Zum anderen liegt ein Unterschied darin, daß die Abwägung in Austraben zwischen dem Eingriffsziel und dem im Gesetz geregelten Zweck erfolgt, in Deutschland hingegen findet die eigentliche Abwägung zwischen dem Eingriffsziel und den Einbußen bei der Meinungsfreiheit statt, nachdem die Geeignetheit und die Notwendigkeit des Mittels festgestellt wurde.90 Das australische Recht macht also die deutsche dritte Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die sog. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn, nicht mehr mit, sondern kennt nur die Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinn. Der australische Richter ist somit zurückhaltender in der Einmischung in die legislative Entscheidung. Ob dieser Unterschied in der Abwägung auch in der Praxis tatsächlich bestehen bleiben wird, ist noch ungeklärt. Auch das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder betont, daß bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung Zurückhaltung geboten und dem Gesetzgeber ein Spielraum zu lassen ist.91 Bezieht man wiederum die Auslegung in Levy mit ein, so wollen z. B. die Richter Toohey und Gummow92 eine Abwägung zwischen der Kommunikationsfreiheit und dem Eingriffsziel erreichen, was wieder auf eine großzügige Auslegung des Prüfungskriteriums schließen läßt. Bezieht man weiter das erste Kriterium des LangeTests mit ein, wonach der Zweck mit dem demokratischen System vereinbar sein muß, so erhält man über dieses eine indirekte Abwägung zwischen dem Gesetz und dem Eingriff in die Meinungsfreiheit, da zur Vereinbarkeit auch gehört, daß die Kommunikation nicht so weit beschnitten wird, daß die demokratische Meinungsbildung nicht mehr möglich ist. cc) Vergleich mit der Smendschen Auffassung vom Begriff der "allgemeinen Gesetze" Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Auslegung des Begriffs der "Allgemeinen Gesetze" durch Smend und die Kritik daran durch Schwark.

Smend versteht unter "Allgemeinen Gesetzen" solche, die ein gesellschaftliches Gut schützen, das wichtiger ist als die Meinungsfreiheit, und bezieht dabei auch Werte wie Sittlichkeit, öffentliche Ordnung und Staatssicherheit mit ein, die als solche nicht in der Verfassung, sondern nur einfachgesetzlich normiert sind. 93 90 So auch Richter Brennan in Theophanous (1994) 182 CLR 104 (163) zum Unterschied im Vergleich zum EGMR. 9t s. z.B. BVerfG JZ 1986,491. 92 (1997) 189 CLR 579 (610f; 613f). 93 Smend R., Das Recht der freien Meinungsäußerung, VVdStRL, Heft 4, 1928, 44 (51 ff).

236

2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

Schwark kritisiert daran zurecht, daß auf diese Weise verfassungsrechtlich verbürgte Rechtsgüter und solche, die nur einfachgesetzlich geschützt sind, vermengt und dadurch der Rangunterschied, den die Verfassung getroffen hat, indem sie den Schutz bestimmter Rechtsgüter den einfachen Gesetzen überließ, verwischt werde.94

In Australien entspricht die Wertung in der Lösung des High Court nun eben dieser Smendschen Auffassung. Begünstigt durch die verfassungsmäßige Situation in Australien - Fehlen eines Grundrechtskatalogs und nur ungeschriebene Kommunikationsfreiheitsverbürgung -ergibt sich in der Abwägung, wie sie in den verschiedenen Urteilen vorgenommen wird, eine Vermischung von Verfassungsrechtsgütern- z. B. der Kommunikationsfreiheit oder allgemein des "von der Verfassung geforderten demokratischen Systems" - mit dem einfachen Recht, insbesondere im common law geschützten Rechtsgütern- wie beispielsweise dem Ehrenschutz oder der im Verbot von aufrührerischen Äußerungen konkretisierten Staatsintegrität Insbesondere Richterin Gaudron betonte immer wieder,95 daß die bestehenden "allgemeinen Gesetze" (sie!) eine Beschränkung der Kommunikationsfreiheit indizierten, wobei sie unter "allgemeine Gesetze" Konkretisierungen des einfachen Rechts- Gesetzesrecht und common law -, wie sie bereits vor dem "Aufkommen" der Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik bestanden, faßt. Das Wort "allgemein" ist also nicht wie im deutschen Art. 5 Abs. 2 GG als einschränkendes qualifizierendes Adjektiv zu verstehen, sondern im Sinne von "gewöhnlichem Recht" aufzufassen. Hieran wird deutlich, daß die dort geschützten Rechtsgüter der verfassungsrechtlichen Kommunikationsfreiheit gleichgestellt werden und so der Rangunterschied, der im übrigen nicht thematisiert wird, ähnlich wie bei Smend verschwimmt. In den späteren Urteilen wird dann über das Kriterium "Erfordernis zur Bewahrung einer demokratischen Gesellschaft" indirekt ein verfassungsrechtlicher Mantel für eigentlich nur auf der einfachgesetzlichen Ebene geschützte Rechtsgüter geschaffen, da dieses Erfordernis in der Verfassung impliziert ist. Auf diese Weise wird zumindest eine gewisse Gleichrangigkeit zwischen den einzelnen Rechtsgütern hergestellt.

C. "Schranken-Schranken" oder die australische Wechselwirkungslehre Die oben erörterte Frage des unterschiedlichen Ranges von Rechtsgütern ist auch für das Thema der Schranken-Schranken relevant: 94 Schwark E., Der Begriff der "Allgemeinen Gesetze" in ArtikelS Absatz 2 des Grundgesetzes, 1970, 50 ff. 95 Z. B. in Nationwide ( 1992) 177 CLR I (95); die Freiheit ist "eine, die im wesentlichen von den allgemeinen Gesetzen abhängig ist" in ACTV (1992) 177 CLR 106 (217).

lll. Vergleichende Bemerkungen im Bereich der Begrenzung

237

Anders als in Deutschland gewinnt man aus manchen Voten den Eindruck, daß in Australien die Kommunikationsfreiheit nicht über den einfachen Gesetzen steht, sondern vielmehr ihnen gleichgestellt ist. Die Frage, ob beschränkende Gesetze wegen der überragenden Bedeutung der Freiheit wieder in ihrem Lichte auszulegen sind, und damit die Thematik der Schranken-Schranken stellt sich nicht. 96 Die Frage in Australien lautet eher: wie weit muß die Kommunikationsfreiheit beschränkt werden, damit das System der Verfassung funktioniert? Nicht jedoch: wie weit muß das System beschränkt werden, damit es der Freiheit gerecht wird? Die Definition der Schranken erfolgt also vom System her und hat nicht die Freiheit als Ausgangspunkt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Dogmatik, in die die Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik in Australien gebettet ist, als eine Art "umgekehrte Wechselwirkungslehre" dar: die Gesetzgebungsbefugnis wird von der Freiheit beschränkt, diese ist aber nicht so weitgehend, daß sie andere, dem Lange-Maßstab entsprechende, legitime Gesetze verhindert. Denn die Freiheit muß im Sinne der von der Verfassung geforderten repräsentativen Demokratie, der auch sie entspringt, ausgelegt werden. Der graphische Vergleich mit der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Wechselwirkungslehre, nach der die Meinungsfreiheit (u. a.) durch die in Art 5 Abs. 2 GG genannten allgemeinen Gesetze beschränkt wird, die allgemeinen Gesetze aber wieder im Lichte der Bedeutung der Meinungsfreiheit ausgelegt werden müssen,97 stellt sich wie folgt dar: Tabelle 1 Schranken-Schranken Schutzobjekt

Beschränkung

Schranke der Beschränkung

Deutschland

Meinungsfreiheit

allgemeine Gesetze

u. a. Grundrecht selbst

AustraUen

Gesetzgebungskompetenz

Kommunikationsfreiheit

mit repräsentativer Demokratie vereinbares Gesetz

Aus dem Schema läßt sich entnehmen, daß die Schranken-Schranken der "australischen Wechselwirkungslehre" eher dem deutschen qualifizierten Gesetzesvorbehalt, also den deutschen Schranken entsprechen. Die australischen Begrenzungen 96 Eher wird das einfache Recht umgekehrt bei der Auslegung der Verfassung herangezogen. Siehe z. B. Richter Brennan in Nationwide (1992) 177 CLR 1 (44 f) bezüglich der Frage, ob die Verfassung eine Beschränkung der Gesetzgebungsbefugnis impliziert. Eine Art Wechselwirkung zwischen common law und Verfassung befürwortete auch schon Dixon 0., The Common Law as an Ultimate Constitutional Foundation, 31 (1957) AU 240. 97 s. z. B. Lüth-Urteil BVerfGE 7, 198 (208).

238

2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

entsprechen der in Deutschland im Vordergrund stehenden geschützten Freiheit. Die australische Freiheit stellt eine Beschränkung für die Gesetzgebungsbefugnis dar; die Gesetzgebungskomptenz steht umgekehrt unter einem Freiheitsvorbehalt Da nicht jede Freiheit die Befugnis des Gesetzgebers beschränkt, sondern nur eine solche Freiheit, die zur Bewahrung des Systems der repräsentativen Demokratie nötig ist, und vom Umfang her die Beschränkung nur so weit reicht, wie die Freiheit zur Bewahrung benötigt wird, handelt es sich ähnlich der deutschen Terminologie vom "qualifizierten Gesetzesvorbehalt" um einen "qualifizierten Freiheitsvorbehalt".98 Dieser verschiedene Ansatz ist neben der Rechtsnatur der wichtigste Unterschied in der Freiheitsdogmatik beider Länder. In Australien gibt es daher keine eigentlichen Schranken-Schranken der Kommunikationsfreiheit im deutschen Sinne. Man könnte zwar die Geeignetheitsprüfung,99 die die australische Dogmatik für die Verfassungsmäßigkeit eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes verlangt, aus den Voraussetzungen für die Verfassungsmäßigkeit herausziehen. Dies wäre aber gekünstelt, zum einen, da die Geeignetheilsprüfung in Australien als Teil der Voraussetzungen für eine Einschränkung der Freiheit- und nicht als Beschränkung der Beschränkung - gesehen und auch so behandelt wird, zum anderen da man dadurch unter Zugrundelegung der australischen Dogmatik eine "Schranken-Schranken-Schranke" schaffen würde, also eine Beschränkung der Schranken-Schranken, die die zu große Beschneidung der Gesetzgebungskompetenz durch die Kommunikationsfreiheit verhindert. Auch andere Begrenzungen der Beschränkung der Freiheit sind nicht ersichtlich.

D. Die unterschiedlichen Rollen der Verhältnismäßigkeitsprüfungen Der deutlichste Unterschied zwischen der deutschen Verhältnismäßigkeit und der australischen Geeignetheitsprüfung liegt, wie oben gezeigt, darin, daß die Verhältnismäßigkeit in Deutschland eine Schranken-Schranke darstellt, der in Australien verwendete Geeignetheitsmaßstab hingegen ein Teil der Beschränkung der Freiheit ist. Das australische Verfassungsrecht kennt zwar inzwischen auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, 100 jedoch ist die Funktion der australischen Verhältnismäßigkeit 98 Vgl. Richter Brennan in Leask v. The Commonwealth of Australia 187 (1996) CLR 579 (593), der meinte, die Kompetenzbeschränkung durch die implizierte Freiheit müsse als Qualifizierung der Kompetenz angesehen werden. Auch in Deutschland werden qualifizierte Gesetzesvorbehalte nicht unbedingt als Schranken-Schranken gesehen, vgl. Pieroth B./Schlink B. (Anrn. 46) Rn. 278. 99 Zu den unterschiedlichen Rollen der Geeignetheits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung siehe gleich unten. 100 Mit dem Thema Verhältnismäßigkeit im australischen Recht befassen sich beispielsweise Fitzgerald B., Proportionality and Australian Constitutionalism, 12 (1993) U Tas LR263;

111. Vergleichende Bemerkungen im Bereich der Begrenzung

239

eine andere: In Australien wird sie vorwiegend zur Feststellung, ob ein Gesetz unter eine Gesetzgebungsbefugnis fällt, benutzt, in Deutschland im Bereich der Gesetzgebung zur Klärung der Frage, ob die Beschränkung eines Grundrechts verfassungsgemäß ist. 101 Zwar steht in beiden Fällen die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen im Raum, in Australien wird die Verhältnismäßigkeit aber einen Prüfungsschritt früher angesetzt als in Deutschland, nämlich bei der Frage, ob der Bund überhaupt formell die Gesetzgebungskompetenz besitzt, und nicht erst bei der Frage, ob er das Gesetz aus anderen Gründen, beispielsweise wegen unzulässiger Freiheitsbeschneidung, materiell nicht erlassen darf. Insgesamt wird die Verhältnismäßigkeilsprüfung in Australien nur zurückhaltend angewandt, was, ebenso wie das Widerstreben ein dem common law fremdes Konzept102 einzuführen, auf die allgemeine Abneigung gegen "politikbetreibende" Richter zurückzuführen ist. 103 Im Zusammenhang mit implizierten Rechten wird ihre Anwendung zwar eher für richtig gehalten, 104 aber auch hier ist eine offizielle Gleichstellung mit dem Geeignetheilstest nur vereinzelt105 erfolgt. Sie wird allerdings als Konzept von wachsendem Einfluß auf das australische Recht gesehen. 106 Vertritt man wie oben die Ansicht, daß der australische Geeignetheilstest eine ähnliche Funktion wie die Verhältnismäßigkeilsprüfung ausübt, so hat sich dieser Einfluß bereits manifestiert. Bis das australische Recht in diesem Punkt die gleiche Prüfungsdichte erreicht hat, bedarf es aber noch vieler Einzelfalle. Es scheint, daß das, was in Deutschland als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips gesehen wird, in Australien eher als Verstoß gegen die Gewaltenteilung empfunden wird, da das Verhältnismäßigkeilsprinzip eine Abwägung erfordert, was wieder der subjektiven Beurteilung von politischen Überlegungen durch die Richter Raum gibt. Diesbezüglich wird sich eine gewisse Zurückhaltung der australischen Juristen gegenüber der Verhältnismäßigkeit auch in Zukunft nicht auflösen. Dabei darf nicht übersehen werden, daß auch in Deutschland durchaus ähnliche Bedenken gegen den Kirk J., Constitutional Guarantees, Characterisation and the Concept of Proportionality, 21 ( 1997) Melb Univ LR I und Lee H. P., Proportionality in Australian Constitutional Adjudication, in: Lindeil G. (Hrg.), Future Directions in Australian Constitutional Law, Essays in honour of Professor Leslie Zines, 1994, 126. 101 Daß in Deutschland darüberhinaus die Verhältnismäßigkeit bei der Verwaltung eine große Rolle spielt, ist für den Vergleich nicht relevant und wird deshalb in diesem Zusammenhang nicht erörtert. 102 Man könnte jedoch das Konzept der "Vernünftigkeit" (reasonableness) als mindestens teilweise analog zum Verhältnismäßigkeilsprinzip sehen. So H artley T. C., The Foundations of EC Law, 4. Auflage, 148. 103 So z. B. auch Richter Kirby zum Thema Verhältnismäßigkeit in Leask v. The Commonwealth of Australia 187 (1996) CLR 579 (634f). 104 Vgl. Leask v. The Commonwealth of Australia 187 (1996) CLR 579 (593 ff Richter Brennan; 614 Richter Toohey). 105 Siehe Richterin Gaudran oben S. 162. 106 Z. B. Richter Kirby in Levy (1997) 189 CLR 579 (646).

240

2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

wenig verbindlichen Verhältnismäßigkeitsmaßstab bestehen 107 und insofern also die beiden Rechtssysteme doch nicht so weit voneinander entfernt liegen. Wie bereits bemerkt, besteht ein weiterer Unterschied der Systeme in der Tatsache, daß in Australien nur die Verhältnismäßigkeit zwischen dem beschränkenden Gesetz und seinem Zweck, in Deutschland aber noch zusätzlich die Verhältnismäßigkeit des beschränkenden Gesetzes zur verursachten Beschränkung der Freiheit untersucht wird. Diese weitere deutsche Stufe der Verhältnismäßigkeit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) bedingt auch eine größere Gefahr der Einmischung in gesetzgebensehe Entscheidungen, da hierbei das in Frage stehende Gesetz strengerer Prüfung, die im Ergebnis auf eine Abwägung zweier Rechtsgüter hinausläuft, unterzogen wird als bei einer Abwägung der Geeignetheit für den Zweck. Gerade unter diesem Gesichtspunkt ist es nicht verwunderlich, daß die australische Rechtsprechung den Geeignetheilsmaßstab der Verhältnismäßigkeitsprüfung unter dem Gesichtspunkt der Funktionsteilung zwischen richterlicher und gesetzgeberischer Gewalt vorzieht. Der unterschiedliche Ansatz wird z. B. im Votum von Richter McHugh in Levy besonders deutlich: Bei seiner Abwägung am Schluß des Votums 108 spielt die Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik keine Rolle; in Deutschland wäre Meinungsfreiheit bei der Abwägung ein Hauptgesichtspunkt gewesen.

IV. Weitere Vergleichspunkte A. Verfassungswandel Die implied-rights-Rechtsprechung des High Court ist ein klassisches Beispiel für einen Verfassungswandel, wie er auch in Deutschland wieder verstärkt Beachtung findet. 109 Unter Verfassungswandel wird dabei in der Regel eine inhaltliche Änderung der Verfassung ohne Veränderung des Wortlauts verstanden. 110 Dabei steht man in Deutschland, nicht zuletzt wegen der in jüngerer Zeit verstärkt entbrannten Kontroversen um Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, der Verfassungsänderung ohne Textkorrektur inzwischen eher kritisch gegenüber. 111 s. z. B. Pieroth B./Schlink B. (Anrn. 46, S. 222) Rn 293. (1997) 189 CLR 579 (627). 109 Vgl. Waller Ch., Hüter oder Wandler der Verfassung? Zur Rolle der Bundesverfassungsgerichts im Prozeß des Verfassungswandels, 125 (2000) AöR 517 (518f) und die Nachweise dort in Fn4. 110 Vgl. Hesse K., Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Auflage, 1995 Rn39. 111 Vgl. Walter Ch. (Anrn. 109) 519f. 107

10s

IV. Weitere Vergleichspunkte

241

In Australien wurde zwar weniger die Theorie des Verfassungswandels an sich hinterfragt, 112 dafür aber der konkrete Verfassungswandel hinsichtlich implizierter Freiheiten, repräsentativer Demokratie und Volkssouveränität um so heftiger angeprangert.113 Die Kritik ist nicht verwunderlich angesichts des Ausmaßes der inhaltlichen Änderung, das in dieser Form wohl einzigartig ist und das auch in Deutschland zu ähnlichen Protesten geführt hätte. 114 - Man stelle sich vor, das Grundgesetz enthielte keine Grundfreiheiten und das Bundesverfassungsgericht hätte 50 Jahre nach Inkrafttreten plötzlich entschieden, es gäbe aber eine implizierte Meinungsfreiheit. Der Verfassungswandel in Australien war die Antwort auf eine starre, der Veränderung unzugängliche Verfassung. Und auch in Deutschland scheint das Interesse an Verfassungsfortschreibung durch Verfassungswandel besonders seit Beendigung der Diskussionen um eine umfassende Verfassungsreform wieder zugenommen zu haben.115 Es zeigt sich also insoweit eine Übereinstimmung, als in beiden Ländern der durch die Rechtsprechung ausgelöste Verfassungs wandet, sei es als Alternative oder als Ausweg, die Antwort auf mangelnde Verfassungsänderung im Wege des eigentlichen Verfassungsänderungsverfahren sind. 116 In beiden Ländern sind die obersten, mit der Verfassungsinterpretation betrauten Gerichte die beschleunigenden Kräfte für Veränderungen im Verfassungsdenken. Daß der Verfassungswandel in Deutschland heute eher still vor sich geht und oft erst rückblickend zu erkennen, 117 in Australien dagegen zumindest in seinen Spitzenzeiten sehr deutlich und offen ist, mag insofern nicht verwundern, als hierzulande ein Wandel durch kleine Änderungen der Grundrechtsinterpretation stattfinden kann, die bei der Fülle an grundrechtsbezogenen Entscheidungen nicht auffallen mögen. In Austraben hingegen kann sich das Gericht nicht hinter einer Grundrechtskasuistik oder gar einem Grundrechtskatalog verstecken, so daß zumindest in diesem Bereich den Verfassungsinhalt wandelnde Entscheidungen offensichtlich sind. 112 Mit dem Verfassungswandel in Australien befaßt sich jedoch Coper M., The People and the Judges: Constitutional Referendumsand Judicial Interpretation, in: Lee H.P./Winterton G. (Hrg.), Australian Constitutional Perspectives, 1992,73. 113 Vgl. oben S. 166. 114 Vgl. dazu unten S. 249. 115 So Walter Ch. (Anm.109) 519f. 116 Besonders deutlich wird der Verfassungswandel als Alternative zur Verfassungsänderung in der McGinty-Entscheidung. Das Referendum von 1988 enthielt auch einen Vorschlag zur Festschreibung der Stimmwertgleichheit Nach dessen Scheitern versuchte man nun über eine High Court-Entscheidung das gewünschte Ergebnis herbeizuführen. Indem er die Klage mehrheitlich verwarf, machte der High Court auch deutlich, daß er beim Verfassungswandel zukünftig Zurückhaltung ausüben wolle. 117 Z. B. Lerche P., Stiller Verfassungswandel als aktuelles Politikum, in: Spanner H. u. a. (Hrg.), Festgabe für Theodor Maunz zum 70. Geburtstag, München 1971, 285ff; Hesse K. (Anm. 110) Rn.46.

16 Pittrof

242

2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

Bei all dem darf nicht übersehen werden, daß auch der mit dem Lüth-Urteil eingeleitete Wandel eine ähnlich offene Veränderung des Grundrechtsdenkens durch Verfassungsinterpretation darstellte 118 mit dem Unterschied, daß dies zu einem Zeitpunkt stattfand, zu dem das Grundgesetz noch vergleichsweise neu war, während die australische Verfassung bei Beginn des Verfassungswandels bereits 90 Jahre bestand, was den Wandel in Australien noch mehr der Kritik aussetzte. 119 Die beiden Verfassungsentwicklungen weisen somit interessante Parallelen auf, deren Ursprung auf eine ähnliche Problematik zurückgeht.

B. Verfassungsinterpretation 1. Interpretationsmethoden Vehikel für den Verfassungswandel in Australien war ein Wandel in den Auslegungsmethoden des Gerichts. Mit denfree-speech-Urteilen läuteten die australischen Richter die Abkehr vom bislang vorherrschenden strengen Rechtspositivismus ein, denn in den Urteilen wird mindestens von einigen Richtern auf übergreifende Prinzipien bzw. der Verfassung zugrundeliegende Prinzipien zurückgegriffen und nicht am geschriebenen Wort festgehalten. 120 Die beiden Rechtssysteme unterscheiden sich bei den Auslegungsmethoden darin, daß in Deutschland das Bundesverfassungsgericht bereits von Anfang an eher eine breitere Auswahl an Auslegungsmethoden heranzog, die neben den klassischen Methoden wie die teleologische, grammatische und historische auch die verfassungskonforme Auslegung umfaßten. Außerdem war es vordringlich mit der Thematik der Auslegung einfacher Gesetze allgemein 121 und im Lichte des Verfassungsrechts122 befaßt, und nicht mit der Theorie der Auslegung der Verfassung selbst, während man in Australien mit dem bestehenden oder nicht bestehenden Unterschied zwischen Auslegung einer Verfassung und Auslegung einfacher Gesetze beschäftigt zu sein schien. 123 Vgl. z. B. Herzog R. (Anm. 27) Rn. 256ff. Dies auch innerhalb des Gerichts: vgl. dazu Richter Dawson in Theophanous (1994) 182 CLR 104 (192). 120 Auch in Deutschland herrschte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem in der Nazizeit, eine rechtspositivistische Auffassung vor. Die starke Grundrechtsbindung der staatlichen Gewalt ist die Antwort des Grundgesetzes darauf. 121 s. z.B. BVerfGE 11, 126 (129ff), BVerfGE 1, 299 (312). 122 Z. B. BVerfGE 7, 198 (208)- Lüth. 123 Zwar ist auch in Deutschland nicht unbestritten, daß für die Verfassung bzw. die Grundrechte eine andere Auslegungsmethode zu verwenden ist als für das einfache Recht, insbesondere das Privatrecht. Siehe dazu z. B. Starck Ch., Praxis der Verfassungsauslegung, 1994, 22f. 11s

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IV. Weitere Vergleichspunkte

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In Australien dagegen herrschte, beruhend auf dem Hintergrund des Rechtsgedankens des legalism, lange Zeit124 einseitig die Auslegungsmethode des literalism vor, was eine gewisse Enge und geringen Spielraum für die Auslegungsmöglichkeiten bedeutete. Nach deutschem Verständnis ist literalism eine Mischung aus grammatischer und systematischer Auslegung. 125 Die in Deutschland zusätzlich angewandte teleologische Auslegung wurde in Australien bis zu den implied rights-Entscheidungen kaum verwendet. Erst seit etwa zehn Jahren und insbesondere durch die implied rights-Fälle zeigt sich ein Wandel in der Methode des Gerichts, der den Verfassungswandel erst möglich machte. Nunmehr treten "dynamische" und "statische" Verfassungsauslegung als Gegenspieler auf. 126 Dabei entspricht letztere in ihrer Form des originalism weitgehend dem, was in Deutschland als "subjektive Theorie" (Auslegung nach dem historischen Willen des Gesetzgebers) 127 verstanden wird. Der "dynamischen" Verfassungsauslegung entspricht im deutschen System eher die "objektive Theorie", die nicht den ursprünglichen Willen der gesetzgebenden Organe als Maßstab nimmt und dadurch ein für alle mal statisch festlegt, sondern den im Gesetz objektivierten Willen heranzieht12s und damit mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bietet. Grund für den Wandel in Australien war vor allem die Reformunfreundlichkeit des literalism, die dem Recht als Instrument für Veränderung nicht gerecht wird.I29 Die historische Auslegung bereitete in Deutschland insofern wenig Schwierigkeiten, als der Parlamentarische Rat als Verfassungsgeber angesichts des NationalsoAllerdings hat dies bei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts keine große Rolle gespielt. 124 Mindestens seit dem sog. Engineers' case (1920) 28 CLR 129. Zur Auslegung in Australien siehe auchZines L., The High Court and the Constitution, 4.Aufl., 1997, Kap.17. Der frühere Präsident des High Court, Sir Owen Dixon, bezeichnete in seiner Antrittsrede "strikten und völligen Legalismus" (strict and complete legalism) als die einzige sichere Richtschnur zu juristischen Entscheidungen in großen Konflikten: Swearing in of Sir Owen Dixon as Chief Justice (1952) 85 CLR xi (xiv). Siehe weiter zur Bedeutung des Engineers' case allgemein: Craven G. 'The Engineers' Case: Timefora Change?, Upholding the Australian Constitution, Bd.8, 1997, 73 undNethercoteJ., The Engineers' Case: Seventy Five Years On, Upholding the Australian Constitution, Bd. 6, 1995, 239. Zur Verfassungsauslegung allgemein siehe Williams G., Human Rights under the Australian Constitution, 1999, 69ff. 125 Eine gute Definition und kritische Analyse des literalism findet sich bei CravenG., The Crisis ofConstitutional Literalism in Australia, in: Lee H.P./Winterton G., Australian Constitutional Perspectives, 1992, 1. Seiner Meinung nach rührt der literalism aus der Tatsache, daß die Verfassung ursprünglich ein britisches Gesetz war, das wie alle Gesetze eben nach dem Wortlaut interpretiert werde. (ibid. 2 f). 126 Vgl. dazu z.B. die Voten von Richter Deane undDawson in Theophanous. Einen "evolutionären Originalismus" (evolutionary originalism) als Zwischenlösung vertritt Kirk J., Constitutional Interpretation and a Theory of Evolutionary Originalism, 27 ( 1999) Fed LR 323. 127 Vgl. BVerfGE 11 , 126 (129f). 128 Vgl. Hesse K. (Anm. 8) 54; siehe auch: Ehmke H., Prinzipien der Verfassungsinterpretation, VVdStRL, Bd. 20, 1963, 53 (57 ff). 129 So auch Craven G. (Anm. 125) 14. 16*

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2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

zialismus von einer starken Stellung der Grundrechte in der Verfassung ausging. Der australische Verfassungsgeber hingegen ging zwar auch von einer starken Stellung der Grundrechte aus, jedoch außerhalb der Verfassung (durch das Parlament). 130 Mit den Entscheidungen zum implizierten Recht näherten sich die Auslegungsmethoden des High Court an die des Bundesverfassungsgerichts an. Es zeigt sich, daß das australische Gericht nunmehr auch die Verfassung als "logisch-teleologisches Sinngebilde" sieht, "dessen Einheit durch allgemeine Grundsätze und Leitideen [... ] gewährleistet" 13 1 ist, ähnlich wie es für das Bundesverfassungsgericht zusammengefaßt wurde. Zwar hat der High Court dies bislang nur auf das Prinzip der repräsentativen Demokratie angewandt, es sind aber dennoch ähnliche Entwicklungen erkennbar. Das australische Gericht kommt von der rigiden Auslegungsmethode des Wortlauts ab und wird kreativer. 132 In der deutschen wie in der australischen Literatur hat das Thema Auslegungsmethoden zu kontroversen Diskussionen geführt, allerdings zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Waren in Deutschland die "Höhepunkte" Anfang der sechziger Jahre 133 und wird das Thema in jüngerer Zeit wieder aufgegriffen, 134 so findet man in Australien die kontroversesten Diskussionen in den letzten 10 Jahren, in denen sich die Gespaltenheil des High Court als Thema in der Literatur fortsetzte. 135 Insbesondere die historische/genetische Auslegungsmethode hat in Deutschland nie eine gleich große Rolle wie in Australien gespielt. Vom Bundesverfassungsgericht scheint sie bislang nur als unterstützend angesehen worden zu sein, nie hat es wie in Australien ein Votum alleine auf den Willen der Verfassungsgeber gestützt. 136 Dies ist - sieht man von der zeitlichen Divergenz ab im Hinblick auf die Auslegungsmethoden der eigentliche Unterschied zwischen den beiden Ländern.

130 Patapan H., The Dead Hand of the Founders? Original Intent and the Constitutional Protection of Rights and Freedoms in Australia, 25 (1997) Fed LR211 (v. a. 231 ff). 131 Schneider P., Prinzipien der Verfassungsinterpretation, VVdStRL, Bd. 20, 1963, 1 (13). 132 s. dazu auch: Detmold M. J., The New Constitutional Law, 16 Syd LR 228. 133 s. z. B. Schneider P., Prinzipien der Verfassungsinterpretation, VVdStRL, Bd. 20, 1963, 1 (mwN9). 134 Aldunate Lizana E., Die Auslegung des Verfassungsrechts als politisches Recht: Die Funktion der Verfassungstheorie als Element der Theorie der Verfassungsauslegung, Dissertation, Saarbrücken, Februar 1997. 135 s. z. B. Goldsworthy J., Originalism in Constitutional Interpretation, 25 (1997) Fed LR 1 und die Widerlegung von Detmold M. J., Original Intentions and the Race Power, 8 (1997) PLR 244. 136 s. zur Rolle der historischen Auslegung: Schneider H.-P., Der Wille des Verfassungsgebers. Zur Bedeutung genetischer und historischer Argumente für die Verfassungsinterpretation, in: Burmeister J. (Hrg.), Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Klaus Stern zum 65. Geburtstag, 1997, 903.

IV. Weitere Vergleichspunkte

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2. Weitere Themen zur Auslegung Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Ländern besteht die Auslegungsabfolge betreffend darin, daß die australische Rechtsprechung einen Schritt vor der Auslegung der Freiheit ansetzen muß und sich aufgrunddes ungeschriebenen Charakters zunächst die Frage nach der Begründung der Existenz und der Definition der ungeschriebenen Kommunikationsfreiheit stellt, zu deren Beantwortung die Verfassung als ganzes interpretiert werden muß. Erst wenn dies bestimmt ist, beginnt die eigentliche Interpretation des implizierten Rechts, für die allerdings bereits durch seine Definition- "wie von der Verfassung gefordert"- Grenzen gesetzt sind. Aufgrund dieses anderen Ansatzes verlagerte sich zumindest anfangs der Schwerpunkt der Auslegung in Australien um eine Stufe nach vorne. Geht es dort bei der Suche nach Ausmaß und Bestehen des implizierten Rechts um die Interpretation der Verfassung insgesamt, durch die dann die Freiheit bestimmt wird, so befaßt man sich in Deutschland mit der Auslegung des bestimmten, die Freiheit enthaltenen Artikels und bezieht die Verfassung als Ganzes bzw. die Stellung des Artikels innerhalb der Verfassung zusätzlich mit ein. Schlagwortartig läßt sich dies mit "freiheitsorientierter Gesamt-Verfassungsauslegung" (Australien) bzw. "verfassungsorientierter Freiheitsauslegung" (Deutschland) zusammenfassen. Ein anderer Unterschied besteht darin, daß in Deutschland die Auslegungsmethoden für die Verfassung innerhalb des Bundesverfassungsgerichts nie offen kontrovers waren, während in Austraben die verschiedenen Auslegungsmethoden auch und gerade innerhalb des Gerichts 137 umstritten waren. Dies beruht wohl auch darauf, daß das Bundesverfassungsgericht nie berufen war, in derart bedeutendem Ausmaß über staatstragende Prinzipien als ungeschriebenes Verfassungsrecht zu entscheiden. Außerdem mußte Deutschland im Nationalsozialismus die schmerzliche Erfahrung des Versagens des Rechtspositivismus machen, so daß dieser als Auslegungsmethode nicht mehr in Frage kam. Weiter wird in Deutschland die Verfassungsinterpretation eher deduktiv als Verfassungskonkretisierung, als Herausarbeitung von Prinzipien138 gesehen, während in Australien die Verfassung, wie bei anderen Gesetzen auch, für den Einzelfall ausgelegt wird und das Bestimmen von Prinzipien als Aufgabe des Gesetzgebers und der Politik und damit grundsätzlich als richterfremd gesehen wird.

137 V gl. dazu z. B. wieder die Voten von Richter Deane und Dawson in Theophanous. Craven G. (Anm. 125) 32 bezeichnet die Methodologie des High Court als "zunehmend in einem Zustand der Unordnung" (increasingly in a state of disarray) befindlich. 138 So Schneider H.-P., Der Wille des Verfassungsgebers. Zur Bedeutung genetischer und historischer Argumente für die Verfassungsinterpretation, in: Burmeister J. (Hrg.), Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Klaus Stern zum 65. Geburtstag, 1997,903 (904t).

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2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

C. Grundlegende Verfassungsprinzipien Auf dem Gebiet der grundlegenden Verfassungsprinzipien bestehen aufgrundder Zugehörigkeit zu verschiedenen Rechtskreisen naturgemäß große Unterschiede. Aber gerade hier liegt der Schwerpunkt des Verfassungswandels durch die implied rights-Fälle, durch den sich die australische Konzeption der deutschen angenähert hat. Dies betrifft insbesondere das der Verfassung zugrundeliegende Souveränitätskonzept und das damit verwandte Demokratieverständnis, das zur Begründung der Existenz der Redefreiheit und ihrer Rolle in der Verfassungsgesamtheit herangezogen wurde und der Theorie des implizierten Rechts zugrundeliegt.

1. Repräsentativprinzip und Demokratieverständnis Lag in Australien lange Zeit, wie im englischen Mutterland, die Betonung auf dem Prinzip der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament (responsible government), 139 so hob man in den implied rights-Fällen mehr das repräsentative Prinzip (representative government) 14Q hervor. Dies bedeutete freilich keine Aufhebung des einen Prinzips zu Gunsten des anderen, da die beiden Prinzipien einander nicht ausschließen, sondern ergänzen. 141 Es demonstriert aber einen Wechsel in der Prinzipienrangfolge. Stand bislang beim Prinzip der parlamentarischen Verantwortlichkeit das Parlament im Vordergrund, so rückt das repräsentative Prinzip die Repräsentierten, das Volk, in den Mittelpunkt. Durch die Betonung der repräsentativen Demokratie wurde der Repräsentativcharakter des australischen Verfassungssystems hervorgehoben, gewann das Volk innerhalb der Verfassung an Gewicht. 142 Neben der Auswirkung auf die Parlamentssouveränität 143 hat diese veränderte Sichtweise zur Folge, daß die Rechte des Volkes, die aus dem Repräsentativcharakter fließen, mehr zur Geltung kommen. Zwar werden diese "Rechte" rein objektivrechtlich begründet, es zeigt sich aber doch ein langsames Entfernen vom rein funktionellen Verfassungsrecht. Eine Parallele zwischen Deutschland und Australien besteht also darin, daß beide das repräsentative Prinzip als Verfassungsgrundlage sehen. Dennoch sind die AusVgl. Engineers' Case (Anm.l24) 146f. Verschiedene Modelle der repräsentativen Demokratie untersucht Parmore G., Making Sense of Representative Democracy and the Implied Freedom of Political Communication in the High Court of Australia, Three Possible Models, 7 ( 1998) Griffith LR 97. 141 Das Beipiel Deutschland zeigt, daß sich repräsentative Demokratie und Verantwortlichkeit der Regierung nicht ausschließen. 142 Ähnlich McDonaldL., The Denizens ofDemocracy: The High Court and the Free speech cases, (1994) 5 PLR 160 (v. a. l77). Siehe auch Blackshield A., The Implied Freedom ofCommunication, in: Lindeil G. (Hrg.), Future Directions in Australian Constitutional Law, Essays in honour of Professor Leslie Zines, 1994, 232. 143 Dazu gleich unten. 139

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IV. Weitere Vergleichspunkte

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prägung und die Auswirkung des Prinzips insofern unterschiedlich, als zum einen anders als in Deutschland in Australien nur ein minimales Prinzip der repräsentativen Demokratie von der Verfassung gefordert wird, zum anderen dieses aber seit der richterrechtlichen Grundrechtsrevolution viel stärker im Vordergrund steht als das in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG enthaltene Prinzip. Interessant ist im Vergleich weiter, daß beide Rechtssysteme in Fällen der Redefreiheit die Demokratie als Begründung heranziehen: in Australien spricht man von der "Notwendigkeit der Kommunikationsfreiheit für die repräsentative Demokratie", in Deutschland davon, daß die Meinungsfreiheit "für die freiheitlich-demokratische Grundordnung schlechthin konstituierend" ist. Beide sehen also die durch die jeweiligen Freiheiten gewährleistete öffentliche Meinung als grundlegend und lebenswichtig für die demokratische Ordnung an und privilegieren sie gegenüber anderen Äußerungen.144 Die Systeme unterscheiden sich aber darin, daß in Australien vor allem die Existenz der Kommunikationsfreiheit mit deren Notwendigkeit für die repräsentative Demokratie begründet wird, in Deutschland hingegen die Bedeutung der Freiheit der öffentlichen Meinung meist bei der Bestimmung von Beschränkungen der Meinungsfreiheit zum Tragen kommt. Außerdem steht in Australien der Repräsentativgedanke mehr im Vordergrund als das demokratische Prinzip an sich, wohingegen in Deutschland die demokratische Ordnung die Hauptbegründung für freiheitsfreundliche Argumente darstellt.

2. Volkssouveränität Hatte man in Australien, wo es keine dem Art. 20 Abs. 2 GG entsprechende Vorschrift gibt, auch nach der Einführung der Verfassung noch der Lehre Diceys von der Parlamentssouveränität angehangen, 145 ohne sich zu verdeutlichen, daß bereits eine geschriebene, nicht-flexible Verfassung, zumal die eines bundesstaatlich verfaßten Gemeinwesens durch die Kompetenzverteilung zwischen Bundes- und Gliedstaaten, eine Einschränkung der Parlamentssouveränität bedeutete, 146 so zeichnet sich mit den free speech-Fällen ein Paradigmenwechsel hin zur Volkssouveränität als 144

Siehe auch Schmitt Glaeser W. (Anm. 38) vor allem 102ff, Degenhart Ch. (Anm. 37)

Rn.130a.

145 Vgl. z. 8. Richter Dawson in: ACTV (1992) 177 CLR 106 (181) und aus der älteren Literatur Dixon 0 ., The Law and the Constitution, CCIV (1935) LQR 590. 146 Schon Dicey selbst erkannte, daß Föderalismus, ein Supremat der Verfassung und die Vorherrschaft der Judikative in der Verfassung bedeutete: Dicey A., Introduction to the Study of the Law of the Constitution, 10. Autl., 1959, 144 u. 175. Kritik an der uneingeschränkten Übernahme der Parlamentssouveränität findet sich z. 8. auch bei Galligan 8., Parliamentary Responsihle Government and the Protection of Rights, 4 ( 1993) PLR 10. Siehe auch Ross A., Diluting Dicey, (1989) 6 Auckl Univ U 176.

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2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

Verfassungsprinzip ab. 147 Die Theorie wird an die Verfassungswirklichkeit des föderativ verfaßten Staates angepaßt und die Widersprüchlichkeit der Theorie zugunsten der Volkssouveränität aufgelöst. Bereits Richter Murphy hatte in den achtziger Jahren in einigen Urteilen einen Trend dahingehend erkennen lassen. 148 In den Entscheidungen zur Kommunikationsfreiheit wird richterlich erstmals indirekt die Lehre von der Parlamentssouveränität angegriffen und durch die hervorgehobene Stellung der repräsentativen Demokratie und damit des Volkes die Volkssouveränität in den Blickpunkt gestellt. Das repräsentierte Volk rückt in den Vordergrund, die Verfassung wird dem Volk zurückgegeben. 149 Allgemein zeichnet sich eine Entwicklung ab, daß nicht bloße staatsorganisatorische Überlegungen, sondern ganz dem Locke'schen-ldeaP 50 entsprechend mehr der Mensch im Vordergrund steht. 151 Allerdings müssen die rechtlichen Konstruktionen, die das erreichen, noch auf dem Boden der staatsorganisationsrechtlich orientierten Vorschriften festgemacht werden. Das dadurch hervorgerufene Spannungsfeld macht deutlich, mit welchen Schwierigkeiten die australische Verfassungsfreiheitsdogmatik zu kämpfen hat 152 und warum sie mit Konstruktionen arbeiten muß, die bei grundrechtsverwöhnten Juristen eher Kopfschütteln hervorrufen. Durch die Hinwendung zur Volkssouveränität neigt sich die australische Verfassung jetzt auch hinsichtlich dieses Verfassungsprinzips dem Grundgesetz zu. Auf der anderen Seite kennt man auch in Deutschland das Prinzip der parlamentarischen Demokratie, in der dem gewählten Parlament als einzigem direkt legitimierten Staatsorgan auf manchen Gebieten mehr Rechte eingeräumt werden, z. B. bei 147 Siehe oben S. 176. Sehr anschaulich dazu: McDonald L. (Anm. 142). Siehe auch Smallbone D. A., Recent Suggestions of an lmplied "Bill of Rights" in the Constitution, Considered AsPart of A General Trend in Constitutionallnterpretation, (1993) 21 Fed LR254. 148 Nachweise dazu finden sich bei McDonald L. (Anm. 142) 168f (Fn. 54). 149 So auch McDonald L. (Anm. 142) 197. In Levy versuchte der Kläger sogar bereits aus dieser neugewonnenen Volkssouveränität vom Parlament nicht derogierbare Rechte des einzelnen abzuleiten, (1997) 189 CLR 579 (634). Dies verdeutlicht, daß es einen Trend zu mehr "Selbstbewußtsein" des einzelnen gegenüber dem Staat bzw. Parlament gibt. 150 Locke J., Two Treatises of Government, v. a. Buch II, An Essay Conceming the True Original, Extent, and End of Civil Govemment, Kapitell, Of the State of Nature. Vgl. auch Wright H., Sovereignty of the People- the New Constitutional Grundnorm?, 26 (1998) FedLR 165 (167ff). 151 Außer in den implied-rights-Fällen kann man auch in manchen Aufsätzen einen mehr "menschenorientierten" Ansatz erkennen, s. z. B. Detmold M.J., The New Constitutional Law, (1994), 16 Syd LR228 (247ff). 152 Hier mag ein Blick auf das EU-Recht angebracht sein, in dem sich auch erst allmählich ein Grundrechtsdenken herausgebildet hat. Dies geschah vor allem durch den EuGH und die Grundrechte auf europarechtlicher Ebene sind daher- sieht man von der Sonderstellung der EMRK ab, die der EuGH ebenfalls heranzieht,- vor allem ungeschriebenes Recht. Es finden sich also einige Parallelen zur Situation in Australien. Im Unterschied zum High Court konnte sich der EuGH aber auf die Grundrechte in den Verfassungen der einzelnen Mitgliedsstaaten stützen und die EMRK in seine Erwägungen einbeziehen.

IV. Weitere Vergleichspunkte

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der parlamentarischen Kontrolle durch Gesetzesvorbehalt Allerdings kennt das deutsche Verfassungssystem keinen Parlamentsabsolutismus, keine Parlamentssouveränität Das Bundesverfassungsgericht hat das so ausgedrückt: Aus dem Grundsatz der parlamentarischen Demokratie darf nicht ein Vorrang des Parlaments und seiner Entscheidungen gegenüber den anderen Gewalten als ein alle konkreten Kompetenzzuordnungen überspielender Auslegungsgrundsatz hergeleitet werden. 153

Eine gewisse Verwandtschaft der Systeme, die sich beide parlamentarische Demokratien nennen, ist dennoch nicht zu übersehen und hat sich durch die Hinwendung des australischen Systems zur Volkssouveränität noch verstärkt.

D. Bundesverfassungsgericht und High Court als "Ersatzgesetzgeber"J54 Betrachtet man die heftige Kritik am High Court im Rahmen der implied rightsFälle, Iss die ihm vorwirft, er maße sich Kompetenzen des Parlaments an, so drängt sich ein Vergleich mit den wieder vermehrt zu findenden Äußerungen, das Bundesverfassungsgericht betätige sich als "Ersatzgesetzgeber", geradezu auf. Beflügelt durch einige Urteile mit sehr detaillierten Vorgaben an den Gesetzgeber hat besonders in jüngerer Zeit die Kritik am Bundesverfassungsgericht wieder Konjunktur, wie sich an vielen Veröffentlichungen zum Thema ablesen läßt. 1S6 Vergleicht man die Argumente, mit denen die "gesetzgeberische Tätigkeit" des Bundesverfassungsgericht kritisiert wird, mit jenen, denen sich der High Court nach den imp/ied-rights-Fällen gegenübersah, so sind die Hauptargumente sehr ähnlich, ja fast gleichlautend. Mußte sich das Bundesverfassungsgericht bereits in der Anfangszeit massive Kritik des damaligen Bundesjustizministers Dehler gefallen lassen, 157 so sind in den BVerfGE 49, 89 (125). Vgl. dazu das Thema der 14. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gesetzgebung (DGG): "Der Richter als Ersatzgesetzgeber". Eine Zusammenfassung der Tagung findet sich bei Heins D., Der Richter als Ersatzgesetzgeber, ZRP 1995, 149 sowie bei Burghart A., Der Richter als Ersatzgesetzgeber, ZG 1995, 80. Der Tagungsbeitrag ist abgedruckt unter Söllner A., Der Richter als Ersatzgesetzgeber, ZG 1995, I. 155 Siehe oben S. 166. Siehe zuletzt Craven G., The High Court of Australia, A Study in the Abuse ofPower, 22 (1999) UNSW LJ216 und ders., Judicial Activism in the High Court-A Response to John Toohey, 28 (1999) UWALR 214 (v. a. 221 f). 156 s. z. B. die Beiträge in: Burmeister J. u. a. (Hrg.), Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Klaus Stern, 1997, Kapitellll und Badura P. (Hrg. ), Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung, Festschrift für Peter Lerche, 1998 sowie die Beiträge Scholz R., Das Bundesverfassungsgericht: Hüter der Verfassung oder Ersatzgesetzgeber?, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 16/99, 16. April 1999, 3; Kerscher H., Übergriffe auf Bonner Hoheitsgebiet, SZ vom 20./21. Februar 1999, 2 und Kerscher H. im Gespräch mit Pieroth B., Das Gericht hat seine Grenzen überschritten, SZ vom 20./21. Februar 1999. 157 V gl. 98. Sitzung des Bundesrates am 18. Dezember 1952, Stenographischer Bericht 599 (C). Eine Zusammenfassung der "Dehler-Affaire" findet sich bei Knies W., Auf dem Weg in 153

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2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

letzten Jahren Argumente wie, das Bundesverfassungsgericht habe durch Vorschriften an die Politik seine Kompetenz überschritten und die Rolle des Gesetzgebers usurpiert 158 bzw. eindeutig in die gesetzgebensehe Gestaltungsfreiheit eingegriffen, 159 das Entwickeln politischer Lösungen sei nicht Aufgabe der (Verfassungs-) Gerichte, 160 oder das Gericht habe die vom Grundgesetz festgelegte Gewaltenteilung verändert, 161 wieder häufig zu hören. Sind sich die Kritik und das geäußerte Unbehagen bei der verfassungsgerichtlichen Rechtsfortbildung in Deutschland und Australien somit sehr ähnlich- in beiden Rechtssystemen sieht man die Gratwanderung zwischen politischer Streitigkeit und politischer Rechtsstreitigkeit 162 - so besteht dennoch ein gradueller Unterschied, der im wesentlichen wieder auf den unterschiedlichen rechtssystematischen Hintergrund zurückzuführen ist. Dieser graduelle Unterschied zeigt sich darin, daß in Deutschland nicht grundsätzlich das Entscheiden des Bundesverfassungsgerichts über politische Gegenstände in Frage steht, sondern das Bundesverfassungsgericht meist nur dann ins Kreuzfeuer der Kritik gerät, wenn es die Grenzen seiner Kompetenz - zumindest in den Augen des/der jeweiligen Verfassers/in - überschreitet. Es wird in der Regel nicht das Prinzip an sich, sondern nur die Anwendung kritisiert. Die Diskussion ist zwar insgesamt heftig, aber weniger polarisiert zwischen den verschiedenen Gewalten. Es wird durchaus anerkannt, daß auch die Politik mit an "Kompetenzüberschreitungen" des Bundesverfassungsgerichts schuld ist, wenn sie versucht, die Verfassungsgerichtsbarkeit zu instrumentalisieren. 163 den "verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat"?, in: Burmeister J. u.a. (Hrg), Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Klaus Stern, 1997, 1155 (1155f). Knies weist auch daraufhin, daß es bereits in der Weimarer Republik Stimmen gab, die die Expansion der Justiz zu Lasten des demokratischen Gesetzgebers kritisierten (ibid. 1156). Dies und auch das frühliberale deutsche Staatsdenken, das die gewählten Volkvertreter über alle anderen Institutionen stellen und von jeglicher Kontrolle freihalten wollte (vgl. Ridder H. [Anm. 26] 253 f), ist dem australischen Denken sehr ähnlich. 158 Pieroth B. im Gespräch mit Kerscher H., Das Gericht hat seine Grenzen überschritten, SZ vom 20./21.2.1999, 2. 159 Scholz R., Karlsruhe im Zwielicht - Anmerkungen zu den wachsenden Zweifeln am BVerfG, in: Burmeister J. u. a. (Hrg), Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Klaus Stern, 1997, 1201 (1209). 160 Bertrams M., Verfassungsgerichtliche Grenzüberschreitungen, in: Burmeister J. u. a. (Hrg), Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Klaus Stern, 1997, 1027 ( 1039). 161 Sondervotum von Richter Böckenförde BVerfGE 93, 121 (165); hierkam die Kritik sogar aus den eigenen Reihen des Gerichts! 162 In Australien sprach der Präsident des High Court, Latham, bereits 1942 in The State of South Australia and Another v. The Commonwealth of Australia and Another, 65 (1942) CLR 373 (409) vom Unterschied zwischen ,,political controversy" und "legal controversy". In Deutschland sprach z. B. Ehmke H., Prinzipien der Verfassungsinterpretation, (1963) 20VVdStRL 53 (65ff) vom Verfassungsrecht als "politischem Recht". 163 s. z. B. Bertrams M., Verfassungsgerichtliche Grenzüberschreitungen, in: Burmeister J. u. a. (Hrg), Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Klaus Stern, 1997, 1027 ( 1030; I 039). Siehe auch Ehmke H., Prinzipien der Verfassungsinterpretation, VVdStRL Band 20, 1963, 53 (98).

IV. Weitere Vergleichspunkte

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Auch ist in Deutschland die Kritik nicht nur auf die "Gesetzgebungstätigkeit" des Bundesverfassungsgerichts konzentriert, sondern betrifft ebenso angebliche "Übergriffe" in die Fachgerichtsbarkeit, 164 was in Australien deshalb nicht zutrifft, weil der High Court kein eigenständiges Verfassungsgericht ist, sondern seine Verfassungsgerichtsbarkeit neben der ihm zugewiesenen obersten Fachgerichtsbarkeit ausübt. Die eigentliche Möglichkeit des judicial review durch das Bundesverfassungsgericht auch bei politischen Rechtsstreitigkeiten wurde in Deutschland nie richtig in Frage gestellt. Durch ihre Verankerung im Grundgesetz (Art. 93, Art. I 00) ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle von Gesetzen auch vom Prinzip her zunächst der Diskussion entzogen, da das Grundgesetz damit selbst die Gewaltenteilung durchbricht.165 Auch wurden dem Bundesverfassungsgericht von Verfassungs wegen bereits mehr "politische" Aufgaben zugeteilt (z. B. beim Parteienverbot nach Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG), 166 wodurch ebenfalls eine gewisse Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes vorgegeben ist. Anders ist die Situation in Australien. 167 Hier wird zwischen Legislative/Exekutive und Judikative polarisiert, den "demokratischen Zweigen" der Staatsgewalt, als die oft nur die Legislative und die Exekutive bezeichnet werden, werden die Gerichte gegenüber gestellt. 168 Im Gefüge der demokratischen Organe bleiben die Gerichte daher meist außen vor. Die Judikative scheint im Konzept der Demokratie nicht eingeschlossen - Demokratie exklusive der nicht-demokratisch gewählten 164 Siehe z. B. lsensee J. (Anm. 52) H 16; Klein H., Gedanken zur Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Burmeister J. u. a. (Hrg), Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Klaus Stern, 1997, 1135 (1139ff). 165 Siehe Knies W., Auf dem Weg in den "verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat"?, in: Burmeister J. u. a. (Hrg), Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Klaus Stern, 1997, 1155 (1159f). 166 Auch in Australien gab es zwar eine Entscheidung zum Verbot der Kommunistischen Partei (The Australian Communist Party and Others v. The Commonwealth and Others (1951) 83 CLR 1), doch fällt ein Parteiverbot nicht in die originäre Zuständigkeit des High Court. Vielmehr hatte das Parlament ein Gesetz zum Verbot der Kommunistischen Partei erlassen, über dessen Wirksamkeit das Gericht dann entscheiden mußte und die es mangels Kompetenz des Parlamentes verneinte. s. a. Winterton G., The Significance of the Communist Party Case, (1992) 18 Melb Univ LR630. 167 Eine frühe Kritik amjudicial reviewfindet sich bereits bei Lane P. H., Judicial Review or Government by the High Court, 5 (1966) SydLR203. 168 Siehe z. B. Stone A., Incomplete Theorizing in the High Court, Review Essay: Cass R Sunstein, Legal Reasoning and Politica/ Conflict, 26 (1998) Fed LR 195 (197; 200) unter Berufung auf Sunstein; Lindeil G. J., Recent Developments in the Judicial Interpretation of the Australian Constitution, in: ders. (Hrg.), Future Directions in Australian Constitutional Law, Essays in honour of Professor Leslie Zines, 1994, I (38); sehr deutlich auch Craven G., Retlections on Judicial Activism: More in Sorrow than in Anger, Upholding the Australian Constitution, Bd. 9, 1997, 187 (203). Vereinzelt wird bereits ein Umdenken gefordert, so z. B. McDonald L. (Anm. 142) 182 ff. Mit der Frage, ob die richterliche Verwerfung von Legislativakten mit dem Demokratieprinzip zu vereinbaren sei, befaßt sich auch: Wood D., Judicial Invalidation of Legislation and Democratic Principles, in: Sampford Ch./Preston K. (Hrg.), Interpreting Constitutions, Theories, Principles and Institutions, 1996, 169.

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2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

Judikative. Anders als in Deutschland wird die Judikative oft als undemokratisch und nicht als für die Demokratie notwendig bezeichnet. Die Judikative erscheint, wenn sie sich gegen die Entscheidung des gewählten Parlaments stellt, eher als "Feind der Demokratie" und nicht, wie in Deutschland, als die Hüterio der Verfassung und der darin enthaltenen Demokratie. Daß gerade das Nichtgewähltsein der Richter und damit die Garantie ihrer Unabhängigkeit, die es vermag, auch unpopuläre Entscheidungen zu erlassen und so eine für das kontinuierliche Bestehen von Demokratie notwendige Minderheit zu sichern, ein wichtiger Bestandteil der Demokratie ist, wird dabei oft übersehen. Auf dieser Grundlage basierend werden viele weitere Schlüsse gezogen, die dann in Kritik am High Court münden, sollte er entgegen dieser Grundlage Urteile fallen. So sei es Aufgabe der Gerichte, sich dem Gesetzgeber unterzuordnen. 169 Zwar gesteht auch das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einen Entscheidungsspielraum zu, 170 eine völlige Unterordnung unter den Gesetzgeber steht aber nicht in Frage und würde den dem Bundesverfassungsgericht zugewiesenen Aufgaben nicht gerecht. Anders als in Deutschland ist die Stellung des High Court in Verfassungsfragen insofern nicht so stark in der Verfassung verankert, als Art. 76 171 der Australischen Verfassung zwar die Gerichtsbarkeit des High Court in Verfassungsstreitigkeiten vorsieht, dies aber nur in Form einer Zuständigkeit des Parlaments faßt, ein solches Gesetz zu erlassen, 172 und nicht die Rechtsprechungsbefugnis selbst verleiht. Die "Verfassungsgerichtsbarkeit" des High Court hängt also mindestens teilweise vom Parlament ab, woraus einige eine schwächere Stellung des High Court in Verfassungsfragen ableiten. 173 In Deutschland wird inzwischen (in Grenzen) die "Ersatzgesetzgebung" durch Gerichte vielfach als notwendig akzeptiert. 174 Die besondere fachliche Qualifikation 169 Tucker D., Representation-Reinforcing Review: Arguments about Political Advertising in Australia and the United States, (1994) 16 Syd LR274 (282ff). 11o Vgl. z. B. BVerfG NJW 1986,491. 171 Art 76 der Verfassung lautet: Das Parlament kann Gesetze erlassen, die die originäre Gerichtsbarkeit auf den High Court übertragen, betreffend alle Angelegenheiten (i.) die nach dieser Verfassung entstehen oder ihre Auslegung betreffen [ ... ] The Parliament may make laws conferring originaljurisdiction on the High Court in any matter(i) Arising under this Constitution, or involving its interpretation: [ ...]. 172 Das Gesetz wurde in Form des Judiciary Act, 1903 erlassen. Vgl. dort Art. 30 (a). 173 Tucker D. (Anm. 169) 282. 174 Söllner A., Der Richter als Ersatzgesetzgeber, ZG 1995, I (v. a. 8). Vgl. auch die Stellungnahmen von Bundesverfassungsrichtem: Ein Gegengewicht zu den Defiziten demokratischer Parteipolitik, ZRP Rechtsgespräch mit Prof. Dr. Dieter Grimm, ZRP 2000, 72 und "Die Politik versteckt sich gern hinter dem BVerfG", ZRP-Rechtsgespräch mit der Präsidentin des BVerfG Prof. Dr. Jutta Limbach, ZRP 2000, 351.

IV. Weitere Vergleichspunkte

253

der Richter und Richterinnen im Gegensatz zu vielen Parlamentariern und Parlamentarierinnen wird hervorgehoben und wiege viele der Nachteile auf. 175 Interessant ist in diesem Zusammenhang noch die Argumentationskette von Söllner: 116 Er geht davon aus, daß Richter unter einem Entscheidungszwang (Rechtsverweigerungsverbot) stünden, der auch die richterliche Rechtsfortbildung 177 rechtfertige. Dieser sei zwar nicht ausdrücklich im Grundgesetz artikuliert, ergebe sich aber aus dem Rechtsstaatsprinzip. Dem Argument, man würde dieses Rechtsverweigerungsverbot zuerst in das Rechtsstaatsprinzip hineinlesen, um es dann, nun mit Verfassungsrang versehen, wieder herauszulesen, widerspricht er, da das Rechtsverweigerungsverbot bei Erlaß des Grundgesetzes vom Verfassungsgeber als selbstverständlich vorausgesetzt worden sei. Jeder Gesetz- und Verfassungsgeber regele nur das, was ihm aus der historischen Situation heraus notwendig erscheine und nehme dabei auf vorhandene Gegebenheiten bezug, was auch im Fall des Rechtsverweigerungsverbotes so gewesen sei. Diese Argumentationskette klingt sehr ähnlich den in Australien von den "progressiven" Richter/innen und Verfasser/innen verwendeten Argumenten, die auch meinten, daß die Verfassungsgeber von bestimmten Voraussetzungen ausgegangen seien, beispielsweise die Einhaltung der Grundrechte durch das Parlament oder die Implikation der Freiheiten. 178 Genau wie dem deutschen Argument, man würde das Rechtsverweigerungverbot zunächst in das Rechtsstaatsprinzip hineinlesen und dann mit Verfassungsrang wieder herauslösen, 179 kann dies auch den australischen (insbesondere den intentionalistischen) Gegnern entgegengehalten werden, die behaupten, man würde zuerst das Prinzip der repräsentativen Demokratie in die Verfassung hineinkomplimentieren, um dann daraus mit Verfassungsrang ein Recht auf Kommunikationsfreiheit wieder abzuleiten.

E. Verhältnis des Grundrechtsschutzes in Bund und Ländern Die jeweilige Grundrechtssituation auf Bundesebene der beiden Staaten spiegelt sich auf der Landesebene wieder. Während in Deutschland alle Landesverfassungen, direkt oder aus dem Grundgesetz rezipiert, 180 eine Verbürgung der Meinungsm Heins D., Der Richter als Ersatzgesetzgeber, ZRP 1995, 149 (150). Söllner A. (Anm.l74) 7f. 177 Er bezieht sich dabei auf richterliche Rechtsfortbildung allgemein, nicht nur auf die Verfassungsgerichtsbarkeit. 178 Richter Deane in Theophanous (1994) 182 CLR 104 (169ff); Parapan H. (Anm.l30) vor allem 232. 179 Söllner A. (Anm.l74) 7f. 180 Vgl. zur Rezeption von Bundesgrundrechten, die sehr anschauliche Darstellung von DietleinJ., Die Rezeption von Bundesgrundrechten durch Landesverfassungsrecht, 1995 AöR, Bd. 120, März 95, I. Vgl. auch Stern K., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, 1994, § 93 Bundes- und Landesgrundrechte in den deutschen Verfassungen. 176

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2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

freiheit enthalten, so findet sich in Austraben wie in der Bundesverfassung in keiner Landesverfassung eine geschriebene Garantie der Kommunikationsfreiheit Zwar ist dies noch nicht für alle Gliedstaaten entschieden, aber es läßt sich sagen, daß zumindest die Landesverfassungen, die in irgendeiner Weise die repräsentative Demokratie verankern, auch eine implizierte Kommunikationsfreiheit wie die Bundesverfassung enthalten. Wie in Deutschland, so genießen auch die australischen Gliedstaaten grundsätzlich Verfassungsautonomie, wobei diese sogar noch stärker als in Deutschland ausgeprägt ist. Dies resultiert zum einen daraus, daß der australische Bund von vomherein weniger Kompetenzen gegenüber den Ländern hat, als es in der Bundesrepublik der Fall ist. Zum anderen, und dies ist der Hauptgrund, beruht es darauf, daß das Grundgesetz den Landesverfassungsgeber mehr bindet, als dies in Australien geschieht: Art. 1 Abs. 3 GG verpflichtet nach h. M. auch den Landesverfassungsgeber auf die Bundesgrundrechte, 181 Art. 28 Absätze 1 und 3 GG verlangen die Homogenität der verfassungsmäßigen Ordnungen, Art. 31 GG schreibt den Vorrang von Bundes- vor Landesgesetzen vor und Art. 142 GG bestimmt die Weitergeltung von Landesgrundrechten, die mit den Bundesgrundrechten übereinstimmen. Auf australischer Seite hingegen findet sich nur Art. 109 der australischen Verfassung, der den Vorrang von Bundes- vor Landesgesetzen bestimmt, und Art. 117, der den Ländern die Diskriminierung von Bewohnern und Bewohnerinnen der anderen Bundesländer verbietet, ihnen aber kein Diskriminierungsverbot für ihre Landesverfassung vorschreibt. Für die verfassungsmäßige Ordnung der Länder gibt es keine Vorschriften. 182 Die Verfassungsräume von Commonwealth und States sind in Australien also unabhängiger von einander als in Deutschland; es herrscht kein Homogenitätsgebot Während die Verfassungsordnungen von Bund und Gliedstaaten in Austraben parallel verlaufen, ist der Föderalismus in Deutschland eher auf Kooperation ausgerichtet. 183 Obwohl sie auch in Deutschland autonom sind, ist die Autonomie der Länder faktisch begrenzt. Für den Grundrechtsschutz bedeutet dies, daß die Erstreckung von durch die australische Bundesverfassung implizierten Rechten auf die Länder nicht wie in Deutschland gleichsam eine Selbstverständlichkeit ist, sondern erst begründet werden muß, 184 was in den ersten Fällen oft nicht in der wünschenswerten AusführlichDietlein J. ibid. 2. Vgl. McGinty (1996) 186 CLR 140 (216). Sogar bei den Überlegungen zur Abschaffung der Monarchie und dem Übergang zur Republik wurden die Verfassungsräume getrennt. Die Erläuterung zum Gesetzesentwurf besagte ausdrücklich, daß es zwar wünschenswert sei, daß die Länder auch Republiken würden, daß es ihnen aber selbstverständlich völlig freistehe, ob und wann sie dies täten. Constitution Alteration (Establishment of Republic) Bil/1999, Schedule 3 Punkt 5 und Explanatory Memorandum 13.11-13.13. 183 Siehe dazu King C. M., Centralized Administration in a Federal State: Co-operative Federalism in Australia viewed from a German Perspective, in: Fürst W. u. a. (Hrg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, 1987, Bd. 2, 1077 ( v. a. 1078 f). 184 Auch die wenigen geschriebenen grundrechtsähnlichen Vorschriften richten sich fast alle nur an den Bund. 181

182

IV. Weitere Vergleichspunkte

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keit geschah. In den späteren Fällen war man dazu aufgrund der starken Kritik insgesamt immer weniger geneigt, sondern versuchte die Thematik über die lmplikationen durch die Landesverfassungen selbst zu lösen.185 Man versuchte offensichtlich, den kritischen Stimmen wenigstens auf einem Gebiet nachzugeben. Ob heute noch die Auswirkung der Bundesverfassung auf den Landesgesetzgeber eine richterliche Mehrheit finden würde, bleibt offen, jedenfalls eine begrenzte, soweit für das "Funktionieren" der in der Bundesverfassung vorgesehenen repräsentativen Demokratie nötig, wird man aber bejahen müssen. Eine Implikation dahingehend, daß sich die Bundesverfassung so auswirke, daß sie auch eine Implikation in den Länderverfassungen bewirke, scheint nicht in Erwägung gezogen worden zu sein. 186 Insofern ähnelt die Situation der deutschen, wo das Grundgesetz nicht verlangt, daß die Länder Grundrechte einrichten, sondern nur daß sich die Bundesgrundrechte auf das Landesrecht auswirken.

F. Meinungs-/Kommunikationsfreiheit im Verhältnis zu anderen Grundfreiheiten Betrachtet man die Meinungsfreiheit bzw. die Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik in bezugauf andere Grundfreiheiten, so fallt auf, daß es in Australien keine klare Abgrenzung zwischen den einzelnen Freiheiten gibt. Dies liegt natürlich zum einen an der nicht schriftlich festgelegten Natur der implizierten Freiheiten und daran, daß wohl nur eine begrenzte Anzahl von implizierten Rechten in der Verfassung enthalten und auch diese noch nicht alle richtermehrheitlich "entdeckt" sind. Zum anderen rührt es aber auch vom gegenüber der deutschen Meinungsfreiheit weiteren Begriff "Kommunikationsfreiheit" her. Dieser umfaßt alle Spielarten von Kommunikationen sowie inhaltlich Tatsachenberichte, so daß eine Abgrenzung zu anderen Freiheiten wie z. B. Informations-, Rundfunk-, Presse- oder Versammlungsfreiheit nicht zwingend erforderlich ist. In Deutschland hingegen, wo neben der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG die speziellen Grundrechte existieren, erscheinen die einzelnen Grundfreiheiten zumindest durch die Rechtsprechung und Lehre deutlich umrissen und stellen eine klare Struktur dar, was nicht ausschließt, daß in vielen Sachverhalten mehrere Grundrechte gleichzeitig einschlägig sein können. Eben diese Berührungspunkte der Freiheiten werden aber in Deutschland und Australien gleich gesehen und unterscheiden sich nicht. So halten z. B. die High Iss Vgl. z.B. McGinty, oben S.191.

Vgl. aber Carney G., The Implied Freedom of Political Discussion- Its Impact on State Constitutions, 23 ( 1995) Fed LR 180 ( 198), der diese Möglichkeit unter Berufung auf die Voten von Richter Deane und Toohey in Nationwide untersucht. 186

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2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

Court-Richter, die in Kruger 181 die Vereinigungsfreiheit und die Freizügigkeit anerkennen, diese für ein notwendiges Korrelat der Kommunikationsfreiheit, wie auch in Deutschland die enge Verbindung zwischen beiden anerkannt wird. 188

Die geringe dogmatische Basis der australischen Verfassungsfreiheiten scheint den australischen Klägern mehr Flexibilität zu verschaffen. So konnten die Kläger in Cunliffe mit der Kommunikationsfreiheit argumentieren, wo die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit im Fall eigentlich eine Frage der Berufsfreiheit gewesen wäre. Auf der anderen Seite ist die Nichtexistenz eigenständiger, weiterer Freiheiten natürlich insoweit ein Nachteil, als man oft nur mit juristischer Akrobatik einen Bezug zur Kommunikationsfreiheit herstellen kann, der dann allenfalls am Rande paßt. Insgesamt ist dieser Bereich, der eng mit der unterschiedlichen Rechtsnatur von Grundrecht und Verfassungsfreiheit zusammenhängt, das Gebiet, in dem die beiden Länder die größten Unterschiede aufweisen. Dabei beinhalten sowohl die flexible australische als auch die deutsche, klar strukturierte Lösung Vor- und Nachteile, ohne daß man eine eindeutige Aussage treffen könnte.

G. Rechtsfolgen von Verletzungen der Freiheit Gemeinsame Rechtsfolge einer gesetzgebensehen (bzw. bei Verordnungen exekutiven) Verletzung von Meinungs- bzw. Kommunikationsfreiheit ist zunächst die Verfassungswidrigkeit ex tune der verletzenden Gesetze bzw. Vorschriften. Das Bundesverfassungsgericht versucht dabei zunächst ein Gesetz verfassungskonform auszulegen und erklärt es erst dann für verfassungswidrig, wenn dies nicht möglich ist. Im Regelfall ist dann das Gesetz ex tune nichtig. Zwar ist die Praxis in Australien noch nicht gefestigt, aber es ist eine ähnliche Handhabung erkennbar. Auch im Nationwide-Fall hatten einige Richter die Möglichkeit eines reading down des Gesetze - sozusagen das australische Äquivalent der deutschen verfassungskonformen Auslegung - untersucht, dann aber im Endergebnis verneint. Wenn auch über die Wirkung eines verfassungswidrigen Gesetzes noch nicht bindend vom High Court entschieden wurde, 189 so läßt sich doch aus den bisherigen Entscheidungen eine Praxis ableiten, die der des Bundesverfassungsgerichts gleicht. 190 Denn Siehe S. 126. Siehe nur als Beispiel: Ridder H., Meinungsfreiheit, in: Neumann F. u. a. (Hrg.), Die Grundrechte, Bd. II, 1954, 248. 189 So Richter McHugh in Peters and Another v. Attorney-General (NSW) and Another (SCCA NSW) (1988) 84 ALR 319 (331 ). 190 Siehe zum verwandten Problemkreis prospective overruling, also ob frühere Gerichtsentscheidungen mit sofortiger Wirkung für ungültig erklärt werden müssen oder ob man ihnen noch eine gewisse "Auslaufzeit" zubilligen kann, auch die Entscheidung Ha and Another v. The State ofNew South Walesand Others; Walter Harnmond & Associates v. The State ofNew South Wales, HCA Nr. S 45 und S 165/1996 vom 5. August 1997, gefunden im Internet 187

188

IV. Weitere Vergleichspunkte

257

auch der High Court sieht eine Unwirksamkeit der Gesetze oder Exekutivakte ab initio als Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit an, da sonst der Verfassung nicht umfassend Geltung verschafft werde. 19 1 Somit unterscheiden sich die beiden Rechtssysteme nicht in den Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit ex tune von Gesetzen und Exekutivakten, wobei sich prinzipiell die Verfassungswidrigkeit sowohl auf Verletzung von Freiheiten als auch auf andere Gründe stützen kann. Zu weit wären in Australien allerdings die Übergangsregelungen und Vorgaben an den Gesetzgeber, die das Bundesverfassungsgericht manchmal erläßt, um nicht durch die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes ein Vakuum entstehen oder ein noch Unerwünschteres Gesetz weiter in Kraft sein zu lassen. 192 Einen solch eklatanten Eingriff in die gesetzgebensehe Befugnis durch den High Court, sei er auch noch so notwendig, würde nicht geduldet und auch vom High Court selbst, derbereits mit der Auslegung der Verfassung im Rahmen der implizierten Rechte sehr weit vorgeprescht war, nicht gewagt. In dieser Frage zeigt sich wieder deutlich der unterschiedliche rechtssystematische Hintergrund der beiden Länder. In Australien hat die Parlamentssouveränität bei diesem Thema die Oberhand.193 In Deutschland hingegen hat- wenn auch oft unter heftiger Kritik 194 - aufgrundseiner starken Stellung in der Verfassung letztlich das Bundesverfassungsgericht die stärkere Position. Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß eine Verletzung der Freiheit durch die richterliche Gewalt, also durch Urteile, zumindest nach der derzeitigen Definition http://www.austlii.edu.au/au/cases/high-ct/unrep332.html (unveröffentlicht). Der High Court hat letzteres verneint. 191 Vgl. The State ofSouth Australia and Another v. The Commonwealth and Another (1942) 65 CLR 373 (408) [PräsidentLatham]. Eine gute Analyse der Konsequenzen von Verfassungswidrigkeit findet sich bei Campbell E., Unconstitutionality and its consequences, in: Lindeil G., Future Directions in Australian Constitutional Law, 1994. Die Nichtigkeit von Anfang an läßt sich auch auf den Rechtspositivismus, der bei der Verfassungsinterpretation vorherrschte, zurückführen. So auch Richter McHugh in: Peters and Another v. Attorney-General (NSW) and Another (SC-CA NSW) 84 (1988) ALR 319 (333). 192 So z. B. die Entscheidungen zum Abtreibungsrecht (BVerfGE 39, 1) oder im Steuerrecht (NJW 1999, 557; 1999, 561; 1999; 565). 193 Ein Beispiel dafür, daß der High Court nicht gewillt ist, dem Gesetzgeber "Vorschriften" zu machen, findet sich in den jüngsten Entscheidungen zum sogenannten cross-vesting scheme. Hierbei handelte es sich um eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern, die in bestimmten Bereichen dem Bund die Gerichtsbarkeit der Länder und umgekehrt den Ländern die Gerichtsbarkeit des Bundes übertrug. Die Entscheidungen in Re Wakim; Ex parte McNally & Another, Re Wakim ; Ex parte Darvall; Re Brown & Others; Ex parte Amann & Another und Spinks & Others v. Prentice [1999] HCA 27 vom 17. Juni 1999 erklärten den Teil der Gesetzgebung, in dem die Länder ihre Gerichtsbarkeit in bestimmten Bereichen auf den Bund übertrugen, für verfassungswidrig, was großes Entsetzen auslöste, da nunmehr unter anderem Rechtsunsicherheit bestand, was bereits ergangene Urteile betraf, und eine Überflutung der Gerichte der Länder befürchtet wurde. Trotz dieser weitreichenden Folgen findet sich in den Urteilen kein einziger Hinweis an den Gesetzgeber, wie er das Problem lösen könne, geschweige denn eine Übergangslösung. 194 Vgl. oben S.249. 17 Pittrof

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2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

der implizierten Freiheit als Beschränkung der Gesetzgebung begrifflich nicht möglich ist und damit auch keine Rechtsfolgen auslösen kann. Faktisch führt ein unter Nichtbeachtung der Kommunikationsfreiheit erlassenes, also rechtlich fehlerhaftes Urteil in der Revisionsinstanz natürlich zur Aufhebung des Urteils. Dies ist aber keine direkte Rechtsfolge einer Freiheitsverletzung durch die Richter, sondern nur Folge der Fehlerhaftigkeit der Entscheidung. 195 Im Punkt des Schadensersatzes wegen Grundrechtsverletzung unterscheiden sich die beiden Länder nicht. Ein nach australischem Verständnis mit einem "Vollgrundrecht" einhergehender Schadensersatz für dessen Verletzung ist bei der implizierten Kommunikationsfreiheit, da sie nur Kompetenzbeschränkung ist, nicht möglich. 196 Mit Ausnahme von Eigentumsverletzungen (Art. 14 Abs. 3 Satz 2ff GG) gewährt auch das Grundgesetz wie sein australisches Pendant keinen Schadensersatz für Verletzung eines Grundrechts, obwohl es seine Grundrechte als "Vollgrundrechte" begreift. Auch die deutsche Vorschrift in Art. 34 GG spricht keinen Schadensersatz im eigentlichen Sinne zu, sondern regelt vielmehr die Haftungsüberleitung auf den Staat, setzt aber voraus, daß eine Haftung bzw. Schadensersatzpflicht bereits besteht. Die in Australien immer wieder erwähnte zwangsläufige Schadensersatzpflicht bei Verletzung von "Vollgrundrechten" trifft im Falle Deutschlands somit nicht zu. 197 Ob dies wirklich die notwendige Folge für ein Vollgrundrecht ist, wovon häufig unter Berufung auf die USA ausgegangen wird, 198 ist schon im Hinblick auf die USA, wo sich eine Schadensersatzmöglichkeit erst im Laufe der Zeit herauskristallisiert hat, fraglich. 199 Jedenfalls aber im Hinblick auf das deutsche Grundrechtssystem, dem eine direkte Schadensersatzforderung wegen einer Grundrechtsverletzung mit Ausnahme von Art. 14 fremd ist, das seine Grundrechte aber dennoch als "volle" Garantien begreift, wird man eine Verallgemeinerung dahingehend, daß Grundrechtsgarantien, wenn sie "Vollrechte" sind, bei Verletzung notwendigerwei195 In Deutschland hingegen kann eine Verfassungsbeschwerde auch direkt auf die Verletzung der Meinungsfreiheit durch ein Gericht gestützt werden. (Art. 93 Abs. I Nr. 4 a iVrn § 90 Abs. 1 BVerfGG). I% Für Australien siehe dazu die Kruger-Entscheidung [(1997) 190 CLR 1 (93; 124f].- Selbstverständlich gibt es in beiden Ländern unabhängig von der Verfassung zivilrechtliche Schadenersatzrnöglichkeiten; in Australien action in tort, action for breach of contract, in Deutschland die Vorschriften über die Amtspflichtverletzung in § 831 BGB iVrn Art.34GG. 197 Interessanterweise hatte die Paulskirchenverfassung von 1849 (abgedruckt in: Dürig G./ Rudolf W. (Hrg.), Texte zur Verfassungsgeschichte, 2. Aufl., 1979) neben einer Entschädigung für Eigenturnsentzug (§ 164 II) auch eine Entschädigung für Freiheitsentzug festgesetzt (§ 138 V). Einige Stimmen in der Literatur halten die Einführung einer solchen Bestimmung auch im Grundgesetz für wünschenswert, so z. B. Kühne 1.-D., 150 Jahre Revolution von 1848/49- ihre Bedeutung für den deutschen Verfassungsstaat, NJW 1998, 1513 (1517). Entschädigung für Freiheitsentzug ist bislang nur über das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vorn 8. März 1971 (BGBI. I S. 157) möglich. 198 Vgl. Lange (1997) 189 CLR 520 (563). 199 Bivens v. Six UnknownNamedAgentsofFederal Bureau ofNarcotics (1971)403 U.S. 388.

IV. Weitere Vergleichspunkte

259

se einen Schadensersatzanspruch nach sich ziehen, ablehnen müssen.200 Die australische Ansicht macht einen weiteren Grund für die Scheu vor der Einführung eines Grundrechtskatalogs deutlich: man befürchtet, daß mit der Einführung eines Grundrechtskatalogs auch große Schadensersatzverpflichtungen auf Australien zukommen. Unabhängig davon, ob es von Verfassungs wegen gerechtfertigt wäre, durften die Richter schon deshalb auf keinen Fall soweit gehen, ein volles ungeschriebenes Recht einzuführen, und mußten stets betonen, es handele sich nicht um ein volles Recht, sondern um eine Beschränkung der Gesetzgebungskompetenz.

H. Rechtsschutz- und Durchsetzungsmöglichkeiten Wichtige Unterschiede bestehen bei den Rechtsschutz- bzw. den Durchsetzungsmöglichkeiten für Grundrechte allgemein und der Meinungsfreiheit bzw. der Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik im besonderen. Die Unterschiede liegen dabei hauptsächlich in den zur Verfügung stehenden Verfahren, weniger in der Klagebefugnis, wobei bezüglich des Verfahrens nochmals in nationale und internationale Rechtsschutzmöglichkeiten zu unterteilen ist. Sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene stehen den deutschen Bürgern und Bürgerinnen mehr Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung als den australischen. International gibt es zwar in beiden Ländern die Möglichkeit einer Individualbeschwerde nach Art. 1 des Ersten Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte,201 in Deutschland steht aber darüber hinaus noch zusätzlich die Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK zur Verfügung.202 In beiden Ländern scheinen die internationalen Möglichkeiten auf dem Gebiet der Meinungsfreiheit aber nur eine geringe praktische Bedeutung zu haben. In Australien ist eine Zunahme der internationalen Beschwerden im Bereich der Kommunikationsfreiheit durch die Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik unwahrscheinlicher geworden, da durch sie national an Schutz gewonnen wurde. National haben beide Länder zwar gemeinsam, daß mangels Existenz auf verfassungsrechtlicher Ebene auch keine Durchsetzungsmöglichkeit eines Schadenser200 Auch die EMRK kennt allerdings die Entschädigung bei Grundrechtsverletzungen, vgl. Art.41 EMRK. 201 Das Fakultativprotokoll trat für Deutschland am 25.11.1995, also erst knapp zwei Jahre nach Australien, in Kraft. 2o2 Natürlich steht bei Verstoß gegen die Unionsgrundrechte/-freiheiten darüberhinaus auch der Weg zum EuGH nach Art. 230 Abs. 4 EGV offen. Hinsichtlich Meinungsfreiheit hat dies bislang aber noch keine Rolle gespielt. Zum Verhältnis von nationalem und Unionsgrundrechtsschutz s. a. Nettesheim M., Art. 23 GG, nationale Grundrechte und EU-Recht, NJW 1995, 2083.

n•

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2. Kap.: Rechtsvergleichende Bewertung

Satzanspruches wegen Verletzung der Kommunikationsfreiheit besteht, allerdings sind die sonstigen Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten in Deutschland breiter und direkter als in Australien. Abgesehen davon, daß es in Deutschland auch möglich ist, gegen Grundrechtsverletzungen durch die Gerichte vorzugehen,203 ist die "Palette" der Rechtsschutzmöglichkeiten insofern umfassender, als einzelne Bürger und Bürgerinnen sowohl eine Grundrechtsverletzung durch den Gesetzgeber direkt mit der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr.4 a GG als auch indirekt über eine inzidente Normenkontrolle nach Art.lOO Abs. 1 GG204 rügen können. In Australien dagegen gibt es keine Verfassungsbeschwerde, sondern es bleibt den Rechtssuchenden nur die inzidente Rüge in einem anderen Verfahren. 205 Dabei kann aber nicht direkt ein Verstoß gegen die Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik, sondern nur ein Überschreiten der Gesetzgebungsbefugnis durch Verstoß gegen die Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik gerügt werden. Auf der anderen Seite gibt es in Australien auf einfachgesetzlicher Ebene mehr Beschwerdemöglichkeiten als in Deutschland. Wahrend es in Deutschland auf dieser Ebene außer den üblichen Klagen, bei denen die Meinungsfreiheit indirekt eine Rolle spielen kann, keine eigenen Möglichkeiten gibt, Verletzungen zu rügen, gibt es in Australien zusätzlich die Beschwerde zur Human Rights and Equal Opportunity Commission (HREOC), die sich u. a. auch auf eine Verletzung des in Art 19 IPBüPR niedergelegten Rechts auf freie Meinung stützen kann.206 Diese Verfahren haben aber keine bindende Wirkung und ähneln eher den Schlichtungsverfahren bei Beleidigungsklagen,207 bieten dafür aber die Möglichkeit einer unbürokratischeren und in der Regel schnelleren Konfliktlösung, wie sie in Deutschland nicht vorgesehen ist. In der Klagebefugnis hingegen sind die beiden Systeme vergleichbar. Beide lehnen eine Popularklage ab und verlangen ein spezielles Interesse. In Deutschland 203 Vgl. den auch Gerichte umfassenden Begriff der ,.öffentlichen Gewalt" in Art. 93 Abs. I Nr.4aGG. 204 Soweit auch das Gericht von der Verfassungswidrigkeit überzeugt ist und damit vorlegen muß. Der Kläger oder die Klägerin kann aber in jedem Fall die Verfassungswidrigkeit geltend machen und eine Vorlage anregen. 205 Siehe oben S. 200. Gemäß Art 40 des Judiciary Act, 1903 kann dabei auch die Verweisung an den High Court beantragt werden. Diese ist jedoch nicht zwingend. 206 Art.20 (l)(b) iVm Art.11 (1)(f), Art. 3 (1) und Schedule 2 HumanRights and Equal Opportunity Commission Act, 1986. zrn Siehe oben S. 203. An dem Verfahren wird auch eine andere Einstellung zu Menschenrechten deutlich. Man versteht ihre Verwirklichung nicht nur als Aufgabe des Staates sondern gerade auch der einzelnen im Zusammenleben untereinander. So stehen sich in vielen HREOC- Verfahren nicht Staat und Einzelperson, sondern aufbeiden Seiten Bürger gegenüber. Vgl. auch den Entwurf zu einer Bill ofRights in New South Wales, der auch nichtstaatliche Stellen an die Grundrechte binden möchte, siehe oben S.184.

IV. Weitere Vergleichspunkte

261

muß der Beschwerdeführer oder die Beschwerdeführerio selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein,208 in Australien ein besonderes Interesse nachweisen.209 Hintergrund für die unterschiedlichen Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten sind wieder die verschiedenen Rechtskreise, denen die beiden Länder angehören, und die damit verbundenen unterschiedlichen Einstellungen zum Grundrechtsschutz. Die geringeren Durchsetzungsmöglichkeiten von Verfassungsfreiheiten in Australien sind letztlich Ausprägung des Gedankens der Parlamentssouveränität, mit dem es nicht vereinbar ist, daß andere Instanzen Entscheidungen des gewählten Parlaments verwerfen und sich damit über das Parlament stellen. Außerdem vertraut man darauf, daß es nicht nötig sei, spezielle Rechtsschutzmöglichkeiten einzuführen, da das Parlament im Sinne der Bürger handeln oder andernfalls abgewählt würde. Hüter der Grundrechte und damit zuständig für ihre Verwirklichung ist nach der Lehre der Parlamentssouveränität in erster Linie das Parlament und nicht die Gerichte, was sich in Australien noch in abgeschwächter Form durch die geringen Durchsetzungsmöglichkeiten widerspiegelt.

208 209

St.Rspr. des Bundesverfassungsgerichts; seit BVerfGE 1, 97 (101 t). Dies zumindest nach gegenwärtiger Rechtslage; vgl. S. 201.

Drittes Kapitel

Fallbeispiele im Vergleich Das nachfolgende Kapitel versucht, die oben aufgeworfenen Vergleichsthemen anband konkreter Fallgegenüberstellungen zu fassen und zu veranschaulichen. Dafür wurden vier Themen ausgesucht, zu denen in beiden Ländern parallel Leitentscheidungen ergangen sind. 1 Unter Berücksichtigung der obigen rechtsvergleichenden Bewertung soll dargestellt werden, wie eine mögliche Entscheidung auf dem Gebiet der Äußerungsfreiheit im jeweils anderen Rechtssystem ausgesehen hätte.

I. Wahlwerbesendungen Sowohl in Deutschland als auch in Australien waren die obersten Gerichte mit Entscheidungen zum Thema Wahlwerbung befaßt. In Australien war dies der Australian Capital Television-Fal],2 in dem die Gültigkeit des Political Broadcasts and Political Disdosures Act 1991 in Frage stand. In Deutschland entschied sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Bundesverwaltungsgericht mehrfach über dieses Thema. 3 Da die deutschen Entscheidungen alle eine ähnliche Thematik hatten, soll nur die frühe Entscheidung in BVerfGE 7, 2074 konkret ACTV gegenübergestellt werden, da sie wie ACTV ebenfalls in einem frühen Stadium der Rechtsprechung zu den Grundrechten erging.

A. Sachverhalte 1. ACTV In ACTV hatten mehrere Inhaber von Fernsehlizenzen auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes geklagt, das "politische Werbung" in Rundfunk 1 Kriterien zur Heranziehung von Fällen für die Verfassungsvergleichung finden sich bei Weber A., Zur Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Verfassungsgerichtsbarkeit dargestellt am Beispiel des Schwangerschaftsabbruchs, in: Fürst W. u. a. (Hrg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, 1987, Bd.l, 371 (v. a. 390ft). 2 (1992) 177 CLR 106-ACTV. 3 Siehez.B. BVerfGE 7, 99; 13, 204; 14, 121; 47, 198; 67, 149; BVerwGE 75, 67; 75, 79; s.a. BremStGH NJW -RR 1997,329. 4 Im folgenden Wahlwerbesendung .

I. Wahlwerbesendungen

263

und Fernsehen zu Wahlkampfzeiten untersagte und die Sender zugleich verpflichtete, den Parteien kostenlos Sendezeit zur Verbreitung von "Wahlsendungen" zur Verfügung zu stellen.5 Rechtliche Grundlage für die Verfassungswidrigkeit war dabei ein Überschreiten der Gesetzgebungskompetenz des Parlaments durch Verstoß gegen die implizierte Kommunikationsfreiheit.

2. Wahlwerbesendung In Wahlwerbesendung hingegen hatte ein Landesverband des "Bundes der Deutschen" gegen einen ablehnenden Bescheid des Norddeutschen Rundfunks, in dem dieser sich geweigert hatte, dem "Bund der Deutschen" Sendezeit für Wahlwerbung einzuräumen, Verfassungsbeschwerde erhoben. Rechtliche Grundlage war dabei der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien, der sich aus Art. 3 GG ergibt.

3. Abgrenzung Obwohl sich beide Entscheidungen mit dem Thema Parteienwerbung bei Wahlen in Rundfunk und Fernsehen befassen, so zeigt sich doch bereits bei den Fakten, daß die Schwerpunkte in den Urteilen sehr unterschiedlich gesetzt wurden: Ging es in AC1V um die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes, das die Wahlwerbung beschränken sollte, so stand im deutschen Fall die Chancengleichheit der Parteien im Vordergrund. Die rechtliche Grundlage und mit ihr das politische Für und Wider von Parteiwerbung in Rundfunk und Fernsehen stand nur im australischen Fall im Mittelpunkt, im deutschen Fall wurde die Zulässigkeil von Parteienwerbung im Fernsehen nicht hinterfragt. Obwohl es sich um die gleiche Thematik handelte, war doch der Gegenstand der Verfahren in beiden Ländern verschieden. Dies zeigt sich deutlich, wenn man die Entscheidungen aus der Sicht der Kläger der beiden Fälle betrachtet. Klagte in Deutschland eine Partei gegen eine Rundfunkanstalt, um ein Recht auf Einräumung der Sendezeit durchzusetzen, so klagte in der australischen Entscheidung eine Rundfunkanstalt, um nicht freie Sendezeiten einräumen zu müssen. Die Ziele der Klagen waren somit genau gegenläufig. Dementsprechend erklärt sich auch, daß auf den jeweiligen Kläger bezogen verschiedene Grundrechte im Raum standen. Stand in Wahlwerbesendung der Gleichberechtigungsanspruch der Partei im Vordergrund, so befaßte sich AC1V vorwiegend mit der implizierten Kommunikationsfreiheit, die zwar aufgrundihres objektiv-rechtlichen Charakters nicht direkt, aber über einen Rechtsreflex den Inhabern der Fernsehlizenzen zugute kam. Auch im konkreten Vergleich von Fällen kommt daher die oben angedeutete6 australische Präferenz für die objektiv-rechtliche Seite grundrechtlicher Aspekte zum 5 6

Ausführlicher S. 70. Siehe S. 211.

264

3. Kap.: Fallbeispiele im Vergleich

Tragen. Klagt auf der deutschen Seite eine Partei ihre subjektiven Rechte auf Gleichheit ein, so machen die australischen Rundfunkanstalten nicht ihre (in der Verfassung nicht vorgesehene) Rundfunkfreiheit, sondern vor allem einen Verstoß gegen die objektiv-rechtlich in der Verfassung verankerte implizierte Kommunikationsfreiheit geltend.

B. Das Thema Parteiwerbung in beiden Ländern Das Thema Wahlwerbesendungen wurde in Deutschland bislang überwiegend im Zusammenhang mit der Zuteilung von Sendezeit bzw. Verweigerung der Sendung von Wahlwerbespots diskutiert. Eine grundlegende Diskussion über die Problematik der Parteienwerbung in den audiovisuellen Medien scheint bislang weder in der Literatur noch in der Jurisprudenz ausführlich geführt worden zu sein.7 Dies mag damit zusammenhängen, daß die wichtigsten Klagen auf Zulassung zur Sendung bereits vor dem Beginn des privaten Fernsehens geführt wurden, und so eine Auseinandersetzung mit kommerziellen Wahlwerbesendungen nicht nötig war. In Australien hingegen hatte eine Debatte um die Korruption in der Politik und die mögliche Verhinderung oder Eindämmung der Korruption durch das Abschaffen von Wahlwerbesendungen zunächst zum Verbot von Wahlwerbesendungen durch den Gesetzgeber als Teil eines Anti-Korruptionspaketes8 und dann zur ACTV-Entscheidung geführt. Die ganze Zeit über war das Gesetz von Kontroversen begleitet, wurde die Geeignetheil eines Verbotes zur Korruptionsbekämpfung und die rechtliche Absicherung in Frage gestellt.9 Interessanterweise wurde bei der rechtlichen Diskussion vor der Verabschiedung des Gesetzes auch die Übereinstimmung mit Art. 19 IPBüPR, den Australien unterzeichnet hat, geprüft, die dann bei der eigentlichen ACTV-Entscheidung aber keine Rolle spielte. 10 In Berichten wurde auch ein Vergleich mit der Zulässigkeil von Wahlwerbesendungen im Ausland ge7 Ähnlich Bethge H., Rechtsfragen der Wahlwerbung in Hörfunk und Fernsehen, in: Bekker J. (Hrg.), Wahlwerbung politischer Parteien im Rundfunk, Symposion zum 65. Geburtstag von Ernst W. Fuhr, 1990, 31 (32). In Italien entfaltet sich seit den letzten Europawahlen im Juni 1999 eine ähnliche Debatte, die durch den Regierungsentwurf zum Verbot von Wahlwerbesendungen noch angeheizt wurde. Siehe: D' Alema plant Verbot von Fernseh-Wahlspots, SZ vom 6. August 1999, 6. 8 So die Begründung des Gesetzes im Parlament: Political Broadcasts and Political Disdosures Bill, 1991, Second Reading Speech, House of Representatives 9. Mai 1991, Hansard 3477. 9 s. z.B. Serious Attack on Free Speech, 26Nr.8 (Sept. 1991) Aus Law News 16; Parliament of the Commonwealth of Australia, The Political Broadcasts and Political Disdosures Bill 1991, Report by the Senate Select Committee on Political Broadcasts and Political Disclosures, Parliamentary Paper 486 of 1991, Canberra. 10 Vgl. z. B. Political Broadcasts and Political Disdosures Bill, 1991, Second Reading Speech, House ofRepresentatives 9. Mai 1991, Hansard 3477 (3479); Serious Attack on Free Speech, 26Nr.8 (Sept. 1991) Aus Law News 16(17).

I. Wahlwerbesendungen

265

führt, wobei Deutschland zwar erwähnt, jedoch nicht maßgebend in die Überlegungen mit einbezogen wurde.

Die Begründung für die Handhabung der Parteiwerbung in den beiden Ländern ist also eine andere: Während Hintergrund der australischen Diskussion eher die Korruptionsbekämpfung war, was auch die Verbindung des Wahlwerbeverbots in einem Gesetz mit der "politischen Offenlegung" (political disc/osures) von Parteispenden bestätigt, ging es in Deutschland um die Gewährleistung der Chancengleichheit und der Rundfunkfreiheit

C. ACTV in Deutschland Spannend ist nun die Frage, wie Australian Capital Television in Deutschland entschieden worden wäre, d. h. ob das Gesetz, wäre es hierzulande erlassen worden, vor deutschem Verfassungsrecht Bestand gehabt hätte. 11 Hätte sich der Fall in Deutschland abgespielt, so hätte anders als in Australien nicht die Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik, sondern die Rundfunkfreiheit der Fernsehanstalten des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 GG sowie die Äußerungsfreiheit der Parteien des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. I GG im Vordergrund der juristischen Argumentation gestanden. Dies ist zum einen auf die geringe "Verfügbarkeit" von Grundrechten in der australischen Verfassung, zum anderen aber auch auf die inhaltlich breitere Ausgestaltung der Kommunikationsfreiheit in Australien, die auch (soweit von der Verfassung gefordert) die Rundfunkfreiheil nach deutschem Verständnis umfaßt, zurückzuführen. 12 Im wesentlichen müssen vier Gesichtspunkte des australischen Political Broadcasts and Political Disdosures Act, 1991 vor dem Hintergrund des deutschen Rechts untersucht werden: Als erstes das Verbot von "politischer Werbung" in Wahlkampfzeiten, dann die Einräumung freier Sendezeit zu "Wahlsendungen", weiter die unterschiedliche Gewährung der "freien Sendezeit" an im Parlament vertretene Parteien und andere Bewerber und schließlich die gestalterische Beschränkung der "Wahlsendungen".

1. Das Verbot "politischer Werbung" Das Verbot "politischer Werbung" in Wahlkampfzeiten ist im wesentlichen unproblematisch. Dies gilt zumindest dann, wenn man es im Zusammenhang mit der durch die Gewährung von Sendezeiten zu "Wahlsendungen" gestatteten Ausnahme 11 Um den Rahmen der Arbeit nicht zu überschreiten, konzentriert sich die Untersuchung auf das materielle Verfassungsrecht und läßt die nicht minder interessanten Fragen des einfachen Rundfunkrechts beiseite. 12 Siehe oben S. 255.

266

3. Kap.: Fallbeispiele im Vergleich

sieht und weiter die deutsche Regelung im Rundfunkstaatsvertrag von 1996 berücksichtigt, die in§ 7 Abs. 7 u. a. politische Werbung generell verbietet und nur in Wahlkampfzeiten Ausnahmen zuläßt. 13 Ist das deutsche Verbot damit also sogar weiter gefaßt als das in Frage stehende australische, so muß lediglich die Verfassungsmäßigkeit des deutschen geklärt werden, denn wenn dessen Verfassungskonformität feststeht, muß das australische erst recht verfassungsgemäß sein. Das Verbot politischer Werbung ist vor allem im Hinblick auf die Rundfunkfreiheit und hier insbesondere der privaten Rundfunkveranstalter problematisch, weil zum einen in die gestalterische Freiheit der Rundfunkveranstalter allgemein eingegriffen und zum anderen den Privaten eine mögliche Basis der für ihr Bestehen nötigen Finanzierung entzogen wird. Ist somit ein Eingriff in den Schutzbereich der Rundfunkfreiheit gegeben, so ist dieser Eingriff aber von den Schrankenbestimmungen gedeckt, denn auch die Rundfunkfreiheit unterliegt den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG. Das Verbot ist ein dem Schutz anderer Rechtsgüter, z. B. der Chancengleichheit der Parteien und der zur freien Willensbildung des Volkes notwendigen Meinungsvielfalt, dienendes "allgemeines Gesetz", das nicht gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung gerichtet ist und auch bei Auslegung im Lichte des Grundrechts im Sinne der Wechselwirkungslehre des Bundesverfassungsgerichts Bedenken standhält. Denn weder durch den Eingriff in die gestalterische Freiheit, der vergleichsweise gering ist, noch durch die Beschränkung der Finanzierungsmöglichkeiten, die ebenfalls in kleinem Umfang stattfindet, wird der besondere Wertgehalt des Grundrechts der Rundfunkfreiheit angetastet. 14 Ist somit ein vollständiges Verbot jeglicher Parteiwerbung im Hinblick auf die Rundfunkveranstalter grundgesetzmäßig, so wäre auch ein Verbot nur für die Zeit des Wahlkampfes wie in Australien als "Minus" verfassungsgemäß und würde nicht verfassungswidrig in die Rundfunkfreiheit der Sender eingreifen. Auch ein Recht der Parteien würde nicht verletzt, denn das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, daß die Parteien keinen originären Anspruch auf Zuteilung von Sendezeiten haben. 15 Der Verbotsaspekt des australischen Gesetzes wäre also nach deutschem Recht verfassungsgemäß gewesen und nicht wie in Australien verfassungswidrig. Hier zeigt sich abermals deutlich der Unterschied zwischen der objektivrechtlichen australischen Kommunikationsfreiheit und der auch subjektivrechtlichen deutschen Rundfunk- bzw. Meinungsfreiheit. Das Verbot mag objektiv die Kommunikation § 42 (2) Rundfunkstaatsvertrag 1996. Für die Verfassungsmäßigkeit des Verbots kommerzieller Parteienwerbung auch: BethgeH. (Anm. 7) 37ff; a.A. RickerR., Die Zulässigkeil kommerzieller Parteienwerbung im privaten Rundfunk, ZUM 1989, 499 (503). 15 Siehe z. B. BVerfGE 47, 198 (237). 13

14

I. Wahlwerbesendungen

267

über politische Angelegenheiten beeinträchtigen, ohne daß konkret subjektive Rechte betroffen sind. 16

2. Einräumung von "freien Sendezeiten" Problematischer ist die Einräumung freier Sendezeiten zu Zwecken von "Wahlsendungen". Diese beeinträchtigt wiederum die gestalterische Freiheit der Rundfunkanbieter und die finanzielle Grundlage der privaten Sender,I7 da die Rundfunkbetreiber auf den Inhalt der Wahlwerbesendungen keinen Einfluß haben und einer Finanzierungsquelle verlustig gehen.1s Auch hier bietet sich wieder an, die deutschen Regelungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen und dann mit der australischen zu vergleichen. Der Rundfunkstaatsvertrag 1996 sieht in§ 42 Abs. 2 die Einräumung von Sendezeit im Wahlkampf vor. Allerdings ist diese nicht kostenlos, sondern erfolgt gegen die Erstattung der Selbstkosten. 19 Die Verfassungsmäßigkeit dieser deutschen Vorschrift wird man wie oben bejahen können, denn zwar ist der Schutzbereich der Rundfunkfreiheit betroffen, es handelt sich jedoch um eine wirksame Beschränkung durch ein "allgemeines Gesetz", das dem Schutz eines anderen Rechtsgutes, der Unterstützung des freiheitlich-demokratischen Wahlprozesses, dient, ohne sich gegen eine Meinung im besonderen zu richten. Auch im Sinne der Wechselwirkungslehre hält die Bestimmung der Prüfung stand, denn der Wertgehalt der Rundfunkfreiheit wird nicht angetastet. Die völlig kostenlose Einräumung von Sendezeit, wie sie in Australien vorgesehen war, wäre aber vom GG nicht mehr gedeckt. Abgesehen von möglichen Problemen unter dem Gesichtspunkt des Art.14 GG, wäre es ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Rundfunkfreiheit, wenn die Sender nicht nur partiell auf ihre gestalterische Freiheit verzichten, sondern dafür auch noch selbst aufkommen müßten und, im Falle der privaten Sender, nicht nur auf Einnahmequellen verzichten, sondern die Wahlwerbung aus eigener Tasche finanzieren müßten. Die erzwungene Finanzierung von Wahlwerbespots durch die Privatsender kann nicht mehr als angemessenes Mittel zur Erreichung eines effektiven Willensbildungsprozesses im Wahlkampf angesehen werden. Dieser Teil des australischen Gesetzes, der in Au16 Freilich würde in Deutschland auch der objektivrechtliche Gehalt der Rundfunkfreiheit nicht als beeinträchtigt gesehen werden. 17 In § 43 RStV ist ausdrücklich die Möglichkeit der Werbung als Finanzierungsquelle für Privatanbieter festgehalten. 18 Vgl. dazu auch Hartstein Ru. a., Rundfunkstaatsvertrag, Kommentar zum Staatsvertrag der Länder zur Neuordnung des Rundfunkwesens, 2. Aufl., 1995, Rn. 3 zu § 24 (noch zur alten Fassung des Rundfunkstaatsvertrages). 19 Durch § 42 Abs. 3 RStV wird dies erstmals nur für privaten Rundfunk festgelegt; zuvor war die Formulierung allgemein.

268

3. Kap.: Fallbeispiele im Vergleich

stralien nicht explizit als verfassungswidrig bezeichnet wurde,20 wäre also in Deutschland grundgesetzwidrig. 3. Unterschiedliche Behandlung von Parteien und anderen Bewerbern Einen weiteren Untersuchungsgegenstand stellt die australische Regelung zur Verteilung der "freien Sendezeit" dar. Sie sieht vor, daß das für die Verteilung zuständige Tribunal an alle Parteien, die im Parlament vertreten sind und die in den bevorstehenden Wahlen antreten, 90% der Gesamtsendezeit für Wahlen zuteilen muß. Dabei muß bei der Zuteilung zu den einzelnen Parteien - soweit praktikabel - der Stimmenanteil der jeweiligen Partei bei der letzten Wahl proportional berücksichtigt werden.2 1 Von den restlichen 10 % der Gesamtwahlsendezeit müssen mindestens 5 % an unabhängige Kandidaten, die bereits im Parlament vertreten sind, verteilt werden.22 Sonstigen Personen, Personengruppen oder Parteien kann das Tribunal die maximal übrigen 5% der Gesamtsendezeit zuteilen.23 Benachteiligt sind also zum einen die unabhängigen Kandidaten, da sie sich mit einer geringen Sendezeit zufrieden geben müssen und zum anderen neue Kandidaten und Parteien, da sie keinen Anspruch auf die Zuteilung haben und auch von vorneherein nur einen geringen Anteil an der Sendezeit bekommen können. 24 Ein Vergleich mit der vom Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen gefestigten Rechtsprechung zur Chancengleichheit von Parteien im Wahlkampf25 gern. Art. 3 Abs. I und 3 in Verbindung mit Art. 21 Abs. I GG ergibt auch hier die Verfassungswidrigkeit der australischen Vorschriften. Zwar ist auch in Deutschland eine Abstufung der Sendezeit nach der Bedeutung der Parteien zulässig, insofern würde das australische Gesetz hier also nicht beanstandet. Allerdings gebietet es der Grundsatz der Chancengleichheit, daß nicht einige Parteien von vornherein von der Gewährung von Sendezeit ausgeschlossen werden. Die Tatsache, daß das Grundgesetz den Parteien verfassungsrechtlichen Rang einräumt und sie zur Mitwirkung bei der politischen Willensbildung im Lande beruft, gebietet die Gewährung von angemessener Sendezeit auch an neue Parteien. 26 Unabhängig davon, ob die Gewichtung von 95% zu 5% zwischen etablierten und neuen Parteien/Unabhängigen noch als angemessen angesehen werden kann, müßte jedenfalls die Tatsache, daß die Zuteilung von Sendezeit an neue Wahlteilnehmer vom Ermessen des Tribunals abhängig 20 In Australien wurde das Gesamtkonzept für verfassungswidrig erklärt und vor allem die Verfassungswidrigkeit des Verbots betont. 21 Art.95H. 22 Art. 95L. 23 Art.95M. 24 Dies wurde auch von Präsident Mason in AC1V so gesehen 177 (1992) CLR 106 (146). 25 Z. B. BVerfGE 7, 99; 13, 204; 14, 121; 47, 198; 67, 149; s.a. BVerwGE 75, 67; 75, 79; BremStGH NJW- RR 1997, 329. 26 Siehe nur BVerfGE 7, 99 (109).

I. Wahlwerbesendungen

269

ist, als gegen den Grundsatz der Chancengleichheit verstoßende Differenzierung als verfassungswidrig abgelehnt werden. Auch dieser Aspekt der australischen Regelung würde also gegen das Grundgesetz verstoßen.

4. Gestalterische Beschränkung Schließlich ist der Gesichtspunkt der gestalterischen Beschränkung der "Wahlsendungen" noch vom verfassungsrechtlichen Standpunkt interessant. Zum einen dürfen nur bei der Wahl antretende Kandidaten oder Parlamentsmitglieder in den "Wahlsendungen" zu sehen sein,27 also nicht z. B. ein Parteimitglied, das nicht kandidiert, zum anderen muß die "Wahlsendung" sehr einfach gestaltet sein. Es darf nur eine Person sprechen, von der nur der Kopf und die Schultern gezeigt werden; zusätzliche dramaturgische oder ähnliche Gestaltung durch die vortragende Person oder im Hintergrund sind nicht gestattet.28 Da der RundfunkanbieteT nicht über den Inhalt der Sendungen, die den Parteien zur Verfügung gestellt werden, bestimmen kann, steht hier nicht die Rundfunkfreiheit des Programmanbieters, sondern die Äußerungsfreiheit der Parteien im Raum. 29 In den Schutzbereich des Art. 5 Abs. I Satz I GG ist hier deutlich eingegriffen, da dieser nicht nur verbale, sondern auch Äußerungen in Bildern, Gesten etc. schützt.30 Zweifelhaft ist bereits, ob die Bestimmung noch ein "allgemeines Gesetz" iSv Art. 5 Abs. 2 GG wäre. Zwar dient die Vorschrift gemäß den vom Bundesverfassungsgericht für die Prüfung eines Schrankengesetzes nach Art. 5 Abs. 2 GG aufgestellten Kriterien31 dem Schutz eines anderen, ebenso schutzwürdigen Rechtsgutes, nämlich der Integrität des politischen Systems und der Gleichheit der Parteien, aber sie könnte nach diesem Maßstab insofern als gegen eine bestimmte Meinung gerichtet angesehen werden, als nur die politischen Sendungen von Parteien im Gegensatz zu anderen Sendungen einer solchen Restriktion unterliegen. Allerdings sind alle Parteien, gleich welcher Couleur davon betroffen, so daß man nicht von einer unzulässigen Diskriminierung gegen eine bestimmte Meinung sprechen kann. Die Bestimmung läßt sich also noch in die Kategorie "allgemeines Gesetz" einordnen. Die Vorschrift würde jedoch nicht mehr den Anforderungen der Wechselwirkungslehre und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Nach der Art.95G(d) Art. 95 G(a)-(c), sogenannte ,.talking heads". 29 Die Parteien sind insoweit grundrechtsfähig, da sie hier nicht als Verfassungsorgan betroffen sind, vgl. BVerfGE 7, 99 und die Zusammenfassung der Problematik von Parteien als Grundrechtsträger bei Bleckmann A., Staatsrecht II- Die Grundrechte, 4. Aufl., 1997, § 9 Rn.157ff. 30 Ob auch die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG betroffen ist, soll hier nicht weiter verfolgt werden. 3t BVerfGE 7, 198 (209f). 27 28

270

3. Kap.: Fallbeispiele im Vergleich

Wechselwirkungslehre sind die Beschränkungen eines Grundrechts wiederum im Lichte der Bedeutung des Grundrechtes auszulegen, bei der Meinungsfreiheit ist die wesentliche Bedeutung der Freiheit der Meinungsäußerung in der Demokratie zu berücksichtigen, was bei politischen Äußerungen in der Regel zu einer Vermutung für die freie Rede führt. Bezüglich der australischen Bestimmungen könnte man einwenden, daß hier nur der Modus der Äußerung, nicht aber der Inhalt der Äußerung beschränkt wird und deshalb der Bedeutung der freien Meinungsäußerung kein Abbruch getan wird. Allerdings bestehen Äußerungen nicht nur im Wortgehalt der Aussage, sondern gerade auch in Bildern, Tönen und Klängen, die auch emotionale Nachrichten übermitteln. Diese Möglichkeit der Meinungskundgebung und des Ansprechens von potentiellen Wählern, die in der heutigen extrem visuell orientierten Welt besondere Bedeutung gewinnt, würde den Parteien verwehrt werden, so daß man nicht mehr von bloßer Beschränkung des Modus sprechen kann, sondern bereits der Kern der freien Rede betroffen ist. Auch dem Verhältnismäßigkeilstest hält die australische Bestimmung nicht stand. Die Beschränkung ist zwar ein geeignetes Mittel, man kann aber argumentieren, daß sie zur Erreichung des Zwecks, die Korruption einzudämmen, nicht erforderlich ist. Denn bereits durch das generelle Verbot und die Zuteilung von Sendezeiten kann der Zweck erreicht werden. In jedem Fall wird man aber bei einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne das Mittel-Zweck-Verhältnis als unangemessen bezeichnen müssen, denn eine so einschneidende Beschränkung der Äußerungsfreiheit der Parteien kann nicht als angemessenes Mittel zur Korruptionsbekämpfung gelten, zumal der Zusammenhang zwischen der freien Gestaltung der Wahlwerhesendungen und der Korruption nicht erwiesen ist.32 Die Beschränkung der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit der Parteien wäre hierzulande also ebenso verfassungswidrig. Zusammenfassend läßt sich daher sagen, daß in beiden Rechtsordnungen der Political Broadcasts and Political Disdosures Act, 1991 verfassungswidrig gewesen wäre, wenn auch nicht unbedingt aus den gleichen Gründen. Interessanterweise wird das australische Hauptargument für die Verfassungswidrigkeit, das Verbot der politischen Werbung und der damit verbundene Verstoß gegen die implizierte Kommunikationsfreiheit, in Deutschland nicht als verfassungswidrig angesehen. Deutschland kommt aber aufgrund eines anderen Ansatzes ebenfalls zum gleichen Ergebnis der Verfassungswidrigkeit 33 32 Die Tatsache, daß das Bundesverfassungsgericht nur eine sehr enge Kontrolle von Wahlwerbesendungen durch die Intendanten der Rundfunkanstalten zuläßt, spricht ebenfalls dafür, daß auch hier der Partei ein weiter Gestaltungsspielraum gelassen werden muß. Siehe z. B. BVerfGE47, 198(233ff). 33 Da nur die Punkte b )-d) verfassungswidrig sind, nicht jedoch Punkt a), müßte man sich fragen, ob das Gesetz in Punkt a) aufrechterhalten werden könnte. Offensichtlich ist die Regelung aber als Gesamtpaket geschnürt und ein völliges Verbot von Wahlpropaganda zu Wahlkampfzeiten vom Gesetzgeber nicht gewollt, so daß eine solche Auslegung nicht möglich wäre.

I. Wahlwerbesendungen

271

D. Wahlwerbesendung in Australien Interessant ist nun die Untersuchung unter umgekehrten Vorzeichen, die Frage, ob das deutsche Urteil zur Zuteilung von Sendezeiten an Parteien für Wahlkampfzwecke in Australien ebenso wie in Deutschland gelöst worden wäre. Die Betrachtung muß sich dabei vor allem auf drei Gesichtspunkte konzentrieren: erstens die Frage nach einem originären Anspruch der Parteien auf Einräumung von Sendezeit, zweitens den Grundsatz der Chancengleichheit und schließlich die inhaltliche Kontrolle der Wahlwerbesendungen.34

1. Originärer Anspruch auf Einräumung von Sendezeiten Deutsche Gerichte haben mehrfach bestätigt, daß hierzulande trotz der Einräumung eines Verfassungsranges kein originärer Anspruch der Parteien auf Einräumung von Sendezeiten zu Wahlkampfzwecken besteht.35 In Australien ist dies zwar noch nicht entschieden worden, im folgenden aber einige Überlegungen dazu: Da in Australien die Verfassung den Parteien keinen Verfassungsrang einräumt, steht ihnen folglich auch kein originärer verfassungsrechtlicher Anspruch auf Einräumung von Sendezeit zu. 36 Man könnte aber überlegen, ob nicht als eine Art Reflex aus dem objektiv-rechtlichen Prinzip der repräsentativen Demokratie, wie von der Verfassung gefordert, eine Notwendigkeit auf Einräumung von Wahlwerbungssendezeiten entspringt. Denn fordert die Verfassung die für eine repräsentative Demokratie nötigen freien Wahlen, so müssen auch die Informationen möglichst weit verbreitet und zugänglich sein. In der heutigen Zeit, in der das Fernsehen das am weitesten verbreitete Medium ist, könnte man daher die Notwendigkeit der Zuteilung von Wahlwerbesendungen vertreten.

2. Chancengleichheit der Parteien Auch die Chancengleichheit von Parteien war noch kein separates verfassungsrechtliches Thema in Australien, wurde aber am Rande in AC1V angesprochen. Anders als das Grundgesetz enthält die australische Verfassung weder einen Art. 21 noch einen Art. 3 GG. Auch ein aus der Verfassung abgeleiteter ungeschriebener Anspruch auf Gleichheit wurde nicht von einer Richtermehrheit anerkanntY 34 Letzteres kam freilich erst in späteren Sendezeit-Uneilen, wie beispielsweise BVerfGE 47, 198, zum Tragen, soll aber dennoch hier mit angesprochen werden. Die Untersuchung beschränkt sich, wie bei der deutschen Seite, aber im wesentlichen auf Untersuchungen im Verfassungsrecht. 35 s. z.B. BVerfG NJW 1994, 40; BremStGH NVwZ-RR 1997,329. 36 So auch Barendt E., E1ection Broadcasts in Australia, 109 (1993) LQR 168 (171). 37 Siehe S. 56.

272

3. Kap.: Fallbeispiele im Vergleich

Allerdings könnte man wieder auf das in der Verfassung enthaltene Prinzip der repräsentativen Demokratie zurückgreifen, das freie Wahlen erfordert. Man könnte argumentieren, daß Wahlen nur dann wirklich frei sind, wenn allen Parteien die gleichen Chancen eingeräumt werden, und über diesen Umweg zwar kein "Recht" der Parteien auf Chancengleichheit erreichen, aber durch einen so entstehenden Rechtsreflex zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen und mindestens objektiv-rechtlich die Stellung der Parteien sichern.Js

3. Prüfungsrecht des Senders Was die inhaltliche Freiheit der Gestaltung von Wahlwerbespots betrifft, so ist ein Sender in Australien wohl nicht nur auf ein grobes Prüfungsrecht bei evidenten Verstößen gegen das Strafrecht wie die deutschen39 beschränkt. Zum einen gibt es in Australien kein Parteienprivileg, so daß nur der High Court Parteien für verfassungswidrig erklären könnte. Zum anderen ist in Australien der Veranstalter von Rundfunksendungen neben dem eigentlichen Autor beleidigungsrechtlich verantwortlich.40 Aus diesem Grund wird man ihm ein Prüfungsrecht im Hinblick auf das Beleidigungsrecht nicht verwehren dürfen. Dies läßt sich verfassungsrechtlich damit rechtfertigen, daß die Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik nicht unbeschränkt ist und ein Prüfungsrecht des Senders auf beleidigungsrechtlich relevante Inhalte vor dem Hintergrund der eigenen rechtlichen Haftung des Senders bei vernünftiger Betrachtungsweise eine angepaßte und angemessene Einschränkung darstellt. Wie weit das Prüfungsrecht und damit die Beschränkung der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit gehen darf, muß mangels Anhaltspunkte unbeantwortet bleiben. Es ist jedenfalls nicht so eng wie das deutsche, wird aber auch nicht auf blanke Zensur hinauslaufen dürfen. Auch in diesem umgekehrten Fall kämen die beiden Rechtsordnungen also mindestens teilweise zu ähnlichen Ergebnissen, wobei die Ansätze wieder verschieden sind und das australische Recht im Punkt Prüfungsrecht wahrscheinlich weitergehen würde als das deutsche.

II. Ehrenrührige Äußerungen Ehrenrührige Äußerungen und ihre Wechselbeziehungen mit der Meinungsfreiheit bzw. der Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und 38 Auch Präsident Mason deutete in seinem Votum in AC1V an, daß eine Diskriminierung neuer Parteien nicht gerechtfertigt sei, ließ aber offen, worauf er sich dabei stützt. 177 ( 1992) CLR 106 (146). 39 s. z. B. BVerfGE 47, 198. 40 s. dazu WalkerS., The Law of Joumalism in Australia, 1989, 145.

II. Ehrenrührige Äußerungen

273

der Politik waren in beiden Ländern Gegenstand von Entscheidungen der obersten Gerichte, so daß ein Vergleich lohnend ist. Zur Gegenüberstellung wurden hier zwei frühe Fälle aus dem Deliktsrecht - Theophanous4 1 und Lüth42 ausgewählt, anband derer im jeweiligen Rechtssystem die Drittwirkung entwickelt wurde.43

A. Sachverhalte Anlaß waren in beiden Fällen deliktische Äußerungen, aufgrund derer die Äußernden verurteilt wurden bzw. werden sollten.

1. Theophanous 44 In Theophanous mußte sich der Beklagte aufgrund eines von ihm verfaßten Leserbriefs, der kritische Bemerkungen über einen Abgeordneten und dessen Tätigkeit enthielt, einer zivilrechtliehen Klage stellen. Er verteidigte sich dagegen mit dem Argument, die Behauptungen seien in Wahrnehmung der Freiheit der politischen Kommunikation erfolgt und daher gerechtfertigt.

2. Lüth In Lüth wandte sich der Beschwerdeführer gegen seine zivilrechtliche Verurteilung zur Unterlassung kritischer Äußerungen.45 Er hatte sich in einer Ansprache kritisch über den Wiederaufstieg eines Regisseurs geäußert, der in der Zeit des Nationalsozialismus für das Regime tätig gewesen war, und dies mit einem Boykottaufruf verbunden. Die Zivilgerichte hatten ihn deshalb wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB zur Unterlassung verurteilt. Er begründete die Verfassungsbeschwerde mit seiner in Art. 5 Abs. 1 GG garantierten Meinungsäußerungsfreiheit (1994) 182 CLR 104. BVerfGE 7, 198. 43 Natürlich ist eine Auswahl aufgrund der Fülle der Entscheidungen zum Beleidigungsrecht in Deutschland und insbesondere der Beleidigung von Politikern immer mit einer gewissen Willkür behaftet. Da die australische Jurisprudenz zur Einwirkung des Verfassungsrechts auf das Beleidigungsrecht aber im Detail noch nicht so weit fortgeschritten ist wie die deutsche, erscheint die frühe Entscheidung in Lüth insbesondere wegen ihres grundlegenden Charakters zum Vergleich am geeignetsten. 44 Siehe oben S. 78. 45 Die Verurteilung war aufgrund § 826 BGB erfolgt. 4t

42

18 Pittrof

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3. Kap.: Fallbeispiele im Vergleich

3. Abgrenzung Unterscheiden sich zwar die Fakten der beiden Entscheidungen insofern, als die umstrittenen Äußerungen jeweils eine andere Thematik- Tätigkeit eines Politikers; Tätigkeit eines Regisseurs- und die Äußerungen in Lüth zusätzlich einen Boykottaufruf umfaßten, so ist der wichtigste rechtliche Aspekt, die Einwirkung der Verfassung auf das zivilrechtliche Deliktsrecht, dennoch gleich. Obwohl es in der australischen Entscheidung auch noch um andere Gesichtspunkte, wie eine klarere Definition der Freiheit der politischen Kommunikation, ging, so stand doch die Drittwirkungsproblematik eindeutig im Vordergrund auch des australischen Urteils. Beide Entscheidungen gelangten zu dem Ergebnis, daß das bürgerliche Recht von der Verfassung beeinflußt wird und nicht mit ihr in Widerspruch geraten darf. Dabei ging die australische Rechtsprechung hinsichtlich der Drittwirkung sogar noch weiter als die deutsche, als sie in der Theophanous-Entscheidung eine unmittelbare Drittwirkung der Freiheit der politischen Kommunikation auf das Beleidigungsrecht zuließ.

B. Theophanous in Deutschland Wie wäre in Deutschland entschieden worden; wäre der Schreiber eines Leserbriefs verurteilt worden und hätte sich dann mit der Begründung, die Verfassung wirke auf das Privatrecht ein, an das Bundesverfassungsgericht gewandt? Die Frage soll sowohl unter dem grundsätzlichen Gesichtspunkt der Drittwirkung als auch unter den heute durch zahlreiche Kasuistik verfeinerten Maßstäben zum konkreten Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigungsrecht untersucht werden:

1. Überlegungen zur Drittwirkung Die Drittwirkungsfrage wäre in Deutschland ähnlich gelöst worden. Da auch das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung feststellt, daß das Wertesystem des Grundgesetzes auch das bürgerliche Recht beeinflußt46 und der Zivilrichter bei dessen Auslegung die verfassungsmäßigen Wertentscheidungen zu beachten hat, wäre dieser rechtliche Gesichtspunkt genauso wie in Austraben behandelt worden. Die darüberhinausgehende Schaffung eines verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrundes gegenüber dem Beleidigungsrecht, also eine direkte Einwirkung des Verfassungsrechts auf Privatrechtsverhältnisse, wäre aber in Deutschland nicht mit46

Zuerst BVerfGE 7, 198 (205).

II. Ehrenrührige Äußerungen

275

getragen worden, da das deutsche Recht keine direkte Drittwirkung kennt.47 Es hätte also keinen Rechtfertigungsgrund direkt aus Art. 5 GG gegeben. 48 Ging die Theophanous-Entscheidung insofern noch über das deutsche Recht hinaus, so hat sich der Stand mit der Lange-Entscheidung nivelliert und die beiden Rechtsordnungen kommen in der Frage der Drittwirkung zum gleichen Ergebnis.

2. Konkrete Wechselbeziehung mit dem Beleidigungsrecht In Deutschland wäre nach heutigem Stand49 für die Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Ehrenschutz zunächst zwischen Meinung und Tatsache zu unterscheiden, so daß man vorweg feststellen muß, wie die Äußerungen des Leserbriefs zu klassifizieren sind. Die angegriffenen Passagen lauteten: [... )Ich habe Berichte gelesen, daß er [der Kläger) fürdie meisten Dinge steht, gegen die Australier sind. [ ... )

Er möchte anscheinend, daß Griechen als Einwanderer bevorzugt werden. [ ... ) Der arme alte Arthur Calwell dreht sich bei den idiotischen Possen des Mannes im nach ihm benannten [Parlaments-) Sitz wohl im Grabe um.50

Die angegriffenen Passagen enthalten alle Äußerungen zur Einstellung und zum Verhalten des kritisierten Politikers. Während man aufgrund der Formulierung der ersten Äußerung prima facie annehmen könnte, es handele sich um eine Tatsachenbehauptung, so ergibt sich doch bei näherer Betrachtung der Äußerungen im Zusammenhang des gesamten Leserbriefs, daß es dem Schreiber nicht um die Aufstellung einer Tatsachenbehauptung unter Berufung auf Berichte ging, sondern darum, das Verhalten des Politkers zu kritisieren. Es handelt sich also um eine wertende Äußerung, die auf den angegebenen Berichten beruht, nicht um bloße Information über Vgl die Erörterung in BVerfGE 7, 198 (204ft). Siehe aber Knies W., Auf dem Weg in den.,verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat"?, in: Burmeister J. u. a. (Hrg.), Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Klaus Stern, 1997, 1155 (1174f), der unter Hinweis auf den in NJW 1994, 2749 (2750) abgedruckten Beschluß des Bundesverfassungsgerichts der Ansicht ist, die direkte Drittwirkung der Grundrechte würde nur noch kaschiert. 49 s. dazu z. B. die Übersicht bei Grimm D., Die Meinungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1995, 1697. 47

48

50 [ .. .]

I have read reports that he stands for most things AustraUans are against. [ ... ] He appears to want a bias shown towards Greeks as migrants. [ ...] Poor old Arthur Ca/weil must be spinning in his grave at the idiotic antics ofthe man in the seat named after him. (1994) 182 CLR 104 (118). 18*

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3. Kap.: Fallbeispiele im Vergleich

den Inhalt der genannnten Berichte. Auch die anderen beiden Passagen enthalten wertende Urteile über den Kläger und keine Tatsachen, so daß nach der gegenwärtigen Rechtsprechung eine Abwägung zwischen dem Ehrenschutz und der Meinungsfreiheit vorgenommen würde. Da keine Schmähkritik oder Formalbeleidigung vorliegt und auch kein Verstoß gegen die Menschenwürde gegeben ist, wird kein Vorzug für den Ehrenschutz begründet. Bei der vorzunehmenden Abwägung müßte die grundlegende Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Bildung der öffentlichen Meinung und die sich daraus ergebende Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede bei einem Beitrag zum geistigen Meinungskampf beachtet werden.5 1 Da auch und gerade Leserbriefe, zumal zum Zeitpunkt eines bevorstehenden Wahlkampfes, wie ihn der Leserbriefschreiber im Blick hatte, zum öffentlichen Gedankenaustausch beitragen, würde auch in Deutschland die Abwägung zugunsten der Meinungsfreiheit ausfallen, so daß die beiden Systeme zum gleichen Ergebnis gelangen.

C. Lüth in Australien Umgekehrt stellt sich nun die Frage, ob Lüth nach australischem Recht mit gleichem Ergebnis entschieden worden wäre. Dabei sind zwei Fragenkreise interessant, zum einen, ob sich die Drittwirkung der Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik auch auf andere unerlaubte Handlungen als die Beleidigungsdelikte, beispielsweise ein dem deutschen § 826 BGB entsprechendes Delikt, erstreckt, und zum anderen, ob in Australien der konkrete Fall auch unter der Überschrift "vorsätzliche sittenwidrige Schädigung" oder eher nach Beleidigungsrecht behandelt worden wäre.

l. Überlegungen zur Drittwirkung

Was die Drittwirkungsfrage betrifft, wäre das Ergebnis ähnlich gewesen. In Australien ist zwar die Frage der Drittwirkung bisher nur für das Beleidigungsrecht und nicht auch für sonstige unerlaubte Handlungen wie vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, wie sie in Lüth im Raum stand, entschieden worden. Aber sowohl aus der Theophanous- als auch der Lange-Entscheidung geht eindeutig hervor, daß die Verfassung das gesamte common law und nicht nur das Diffamierungsrecht beeinflußt. Insofern wird grundsätzlich auch das sonstige Deliktsrecht, wie z. B. das dem deutschen § 826 BGB (und § 824 BGB) in etwa entsprechende australische Delikt der injurious falsehood, von der Verfassungsfreiheit beeinflußt werden, sollte es nach australischem Recht für den Fall einschlägig sein.52 51 52

Vgl. BVerfGE 7, 198 (212). Dazu gleich unten.

II. Ehrenrührige Äußerungen

277

Wie dies allerdings konkret geschehen kann, ist offen, da es nunmehr nach Lange keinen direkten verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsgrund mehr gibt, der eingreifen könnte, und qualified privilege, über das das Verfassungsrecht ins Beleidigungsrecht Eingang gefunden hat, nicht als Rechtfertigungsgrund gegen die unerlaubte Handlung der injurious falsehood zur Verfügung steht.53

2. Konkrete Bezüge zum Deliktsrecht Zunächst muß geklärt werden, welches Delikt nach australischem Recht einschlägig ist. Die Klage würde voraussichtlicht nicht auf das dem deutschen § 826 BGB ähnliche Delikt der injurious falsehood gestützt, da dazu folgende Voraussetzungen nötig wären: Unwahrheit der Aussage, Eintreten eines materiellen Schadens und direkte Schädigungsabsicht.54 Da der Kläger hierbei vor allem hinsichtlich des konkreten Schadensnachweises - er hätte nachweisen müssen, daß Leute gerade aufgrund des Boykottaufrufs, nicht in seine Filme gegangen seien und er dadurch einen Schaden erlitten habe - in Beweisschwierigkeiten geraten wäre, hätte er wohl seine Klage eher auf das Beleidigungdelikt aufgebaut. Dem Beklagten hätten hiergegen dann zwei beleidigungsrechtliche Rechtfertigungsgründe zur Seite gestanden: zum einenfair comment und zum anderen qualified privilege.55 Ohne auf die einfachrechtlichen Details einzugehen, mag es genügen, festzustellen, daß in beiden Fällen die Schaltstelle für das Einwirken der Verfassung das Vorliegen von "öffentlichem Interesse" gewesen wäre, das bei beiden Rechtfertigungsgründen verlangt wird. Dabei käme dann die Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik zum Tragen. Da bereits richterlich festgestellt56 wurde, daß an einer politischen Kommunikation ein öffentliches Interesse besteht, wäre der kritischer Punkt, ob die in Lüth angegriffene Ansprache über den mit den Nationalsozialisten zusammenarbeitenden Regisseur als politische Kommunikation einzustufen ist. Die Diskussion ist keinesfalls abgeschlossen und die Definition dafür ist noch im Fluß. Sie wird generell eher weit gehandhabt,57 so daß wegen der politischen Thematik und Brisanz des Themas aus der historischen Situation heraus, trotz der Tatsache, daß es eigentlich um Filme ging, die Einstufung als "politisch" möglich ist. Dies zumindest, wenn man die bei Tätigung der Äußerung noch vorhandene zeitliche Nähe zur Hitlerdiktatur zugrundelegt. Die Entscheidung wäre daher auch im australischen Recht voraussichtlich zum gleichen Ergebnis wie im deutschen gekommen. Siehe dazu Walker S. (Anm. 40) 225. s. dazu Walker S. (Anm. 40) 223 ff. 55 Vgl. oben Anm. 294. 56 Vgl. Lange oben S. ll7. 57 Vgl. dazu oben S. 132. 53 54

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3. Kap.: Fallbeispiele im Vergleich

111. Berufliche Beschränkungen von Rechtsanwälten Weiter bieten sich die Fälle, die in beiden Ländern zur Verfassungsmäßigkeit beruflicher Beschränkungen ergangen sind, zum Vergleich an. Auf australischer Seite ist dies die Cunlijfe-Entscheidung. Auf der deutschen Seite stehen wiederum mehrere Urteile aus diesem Themenkreis zur Verfügung;58 aufgrund der Ähnlichkeit im Bereich der Fakten - Ausübungsbeschränkung bei Rechtsanwälten - wird aber im folgenden nur das Urteil zur Postulationsfähigkeit von Rechtsanwälten im Gebiet der früheren DDR59 gegenübergestellt.

A. Sachverhalte 1. Cunliffe60 Ausgangslage in Cunlijfe war die Klage zweier Rechtsanwälte gegen ein Gesetz zur Einführung eines Systems zur Einwanderungsberatung, das u. a. die gebührenpflichtige Registrierung als Einwanderungsbeistand auch für Rechtsanwälte vorsah, wollten sie über gerichtliche Verfahren hinaus rechtliche Beratung auf diesem Gebiet anbieten. Die Kläger, die bereits vor Erlaß des Gesetzes auf dem Gebiet des Einwanderungsrechts tätig und durch die Vorschrift in ihrer Berufsausübung betroffen waren, machten die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes u. a. wegen Verstoßes gegen die implizierte Kommunikationsfreiheit geltend, da sie ohne Registrierung keine Kommunikation mit dem zuständigen Ministerium usw. führen durften. Die Kläger unterlagen mit 3 : 4 der Richterstimmen.

2. Postulationsfähigkeitsurteil Im deutschen Urteil zur Postulationsfähigkeit war der Beschwerdeführer ebenfalls Rechtsanwalt. Mit der Verfassungsbeschwerde rügte er die Verfassungswidrigkeit des § 78 Abs. 1 und 2 ZPO alte Fassung. Durch eine Gesetzesänderung war die bislang nur in den alten Bundesländern geltende Regelung der Verknüpfung der Postulationsfahigkeit mit der berufsrechtlichen Lokalisierung bei einem Amtsgericht oder dem übergeordneten Landgericht auch auf die neuen Bundesländer ausgedehnt worden. Der Kläger, der seine Kanzlei in den neuen Bundesländern eingerichtet hatte, begründete die Verfassungswidrigkeit der Vorschriften damit, daß sie seine Bess Siehe nur aus neuererZeit: BVerfGE 94, 372 (Werbeverbot für Apotheker), BVerfG 1 BvR 1863/96 v. 24. Juli 1997 (Werbeverbot für Notare), BVerfGE 93, 213 (Zulassung von DDRRechtsanwälten). 59 BVerfGE 93, 362; im folgenden Postulationsfähigkeit. 60 (1994) 182 CLR 272, vgl. oben S. 94.

III. Berufliche Beschränkungen von Rechtsanwälten

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rufsausübung unzulässig beschränkten und somit gegen die Berufsfreiheit nach Art.l2 Abs.l GG verstießen. Das Bundesverfassungsgericht gab dem Kläger Recht. 3. Abgrenzung Ist die faktische Ausgangssituation- jeweils Klage eines Rechtsanwalts auf Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes wegen unzulässiger Berufsausübungsbeschränkung- sehr ähnlich, so zeigt sich ein deutlicher Unterschied im rechtlichen Ansatzpunkt. Konnte sich der Kläger im deutschen Fall direkt auf die Berufsfreiheit berufen und mußte sich nicht auf eine Beschränkung seiner Äußerungsfreiheit, beispielsweise bei der Einreichung von Schriftsätzen an Gerichte außerhalb seines Landgerichtsbezirkes, stützen, so stand den australischen Klägern ein Grundrecht auf Berufsfreiheit nicht zur Verfügung, sondern sie mußten einen Verstoß des Gesetzes gegen die Kommunikationsfreiheit konstruieren. Konnte sich das deutsche Urteil gleich auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung stürzen, so mußte in der australischen Entscheidung zuerst länger erörtert werden, ob der Schutzbereich der Kommunikationsfreiheit betroffen war. Auch im Ergebnis differieren die beiden Fälle: Bekam der deutsche Beschwerdeführer Recht, so wies das australische Gericht die Klage ab. Aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Lösungsansätze, einmal über Kommunikationsfreiheit, im anderen Fall über Berufsfreiheit, ist die Untersuchung des Ergebnisses im jeweils anderen Rechtssystem besonders interessant. Im Vordergrund stehen dabei die unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe der beiden Länder.

B. Cunliffe in Deutschland Hätte sich die Cun/@'e-Situation in Deutschland ereignet, wäre als Prüfungsmaßstab die Berufsfreiheit einschlägig gewesen und hätten die Kläger Art. 12 GG und allenfalls am Rande Art. 5 GG geltend gemacht, da die berufliche Beschränkung eindeutig im Vordergrund stand und Meinungsfreiheit nur inzident betroffen war. 61 Deshalb wird die Prüfung der Rechtslage nach deutschem Recht auch anhand der Berufsfreiheit und nicht anband der Meinungsfreiheit vorgenommen. Bei der Regelung auf dem Gebiet des Einwanderungsrechts handelt es sich für die Rechtsanwälte um eine Beschränkung ihrer Berufsausübung, da sie ihre Tätigkeit der rechtlichen Einwanderungsberatung nur mehr nach einer Registrierung ausüben durften. Eine solche Beschränkung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfas61 Vgl. demgegenüber z. B. die Voten von Richterin Goudron und Richter Deane, die vor dem Hintergrund des multikulturellen Charakters der australische Gesellschaft die Kommunikation mit dem Einwanderungsministerium als zum Kern der politischen Kommunikation gehörend betrachten. (1994) 182 CLR 272 (387 bzw. 341).

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3. Kap.: Fallbeispiele im Vergleich

sungsgerichts nur dann zulässig, wenn sie einem legitimen Zweck dient, das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich bzw. notwendig ist und bei der Gesamtabwägung die Zumutbarkeitsgrenze gewahrt ist.62 Die Regelungen zur Limitierung der Einwanderungsberatung dienten dem Schutz der Einwanderungswilligen vor unsachgemäßem Rat durch unzureichend ausgebildete Personen und hatte so einen legitimen Zweck. Die Registrierungspflicht war für diesen Zweck geeignet, da so für die Ratsuchenden ein gewisser Standard geschaffen wurde. Im Sinne der Dreistufenlehre des Bundesverfassungsgerichts war der Eingriff notwendig, da er der geringstmögliche war. Er erfolgte nur auf der Stufe der Berufsausübung und nicht auf einer Stufe der Zulassungsbeschränkung, was einen stärkeren Eingriff bedeutet hätte. Da sich alle Einwanderungsbeistände registrieren lassen mußten, könnte man zwar an eine Zulassungsbeschränkung denken. Dagegen spricht aber, daß, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Behörden zur Zulassung verpflichtet waren,63 und zudem auch nicht die Zulassung der Rechtsanwälte als Einwanderungsbeistand grundsätzlich in Frage stand, sondern nur die Tatsache, daß sie die Ausübung der Beratung auf dem Gebiet des Einwanderungsrechts nur nach Registrierung fortsetzen durften. Somit stand also nur die Pflicht zur Registrierung in Rede. 64 Da sich die gesetzliche Regelung somit auf der untersten Stufe befand, ist nach der Stufenlehre bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne kein zu hoher Maßstab anzusetzen, sondern nur zu prüfen, ob die Schwere des Eingriffs die Zumutbarkeitsgrenze wahrt. Die Regelung diente dem Schutz landesunerfahrener und rechtsunkundiger Einwanderungsbewerber(-innen) und sollte den Standard und die Qualität der Beratung sichern. Gegenüber diesem Vorteil für die Einwanderungsbewerber und -bewerberinnen und die Behörden, die dadurch vor aussichtslosen Anträgen geschützt werden, was letztlich der Allgemeinheit zugute kommt, ist die Beschneidung der Ausübungsfreiheit als gering und zurnutbar anzusehen und verstößt nicht gegen die Verfassung. Das deutsche Recht wäre also zum gleichen Ergebnis wie das australische gekommen.

C. Die Postulationsfähigkeitsentscheidung in AustraUen Da die australische Verfassung keine Berufsfreiheitsgarantie enthält, wäre die deutsche Regelung in Australien nicht auf ihre dahingehende Vereinbarkeit geprüft worden. Vielmehr hätte man versucht, sie unter die bisher alleine mehrheitlich anerkannte implizierte Kommunikationsfreiheit zu fassen. Ansatzpunkt wäre dabei gewesen, daß die Kommunikation der Rechtsanwälte mit den Gerichten in anderen BVerfGE 71, 183 (196f). Art. 114R - 114Z Migration Act, 1958. 64 Vgl. auch das Kassenarzturteil in BVerfGE 11, 30- wo die Zulassungsregelung als Berufsausübungsregel angesehen wurde. 62 63

III. Berufliche Beschränkungen von Rechtsanwälten

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Bezirken, als denen, in denen sie zugelassen waren, beschränkt würde, da sie keine Klageschriftsätze mit rechtlicher Wirksamkeit mehr einreichen und in der mündlichen Verhandlung keine rechtswirksamen Anträge hätten stellen können. In Frage hätte vor allem gestanden, ob diese Art der Kommunikation überhaupt in den Bereich der in der Verfassung geschützten politischen Kommunikation gefallen wäre und ob die Regelung eine wirksame Beschränkung dargestellt hätte. Bei der Beantwortung dieser Frage muß man danach differenzieren, ob die Entscheidung zur Zeit von Cunliffe, also in der Hochphase, in der die Freiheit am weitesten ausgelegt wurde, oder nach dem Stand des heutigen Rechts beurteilt worden wäre.

1. Postulationsfähigkeitsentscheidung in der Hochphase Zum Zeitpunkt der Hochphase hätte die deutsche Postulationsregelung die besten Chancen gehabt, als von der Verfassung geschützte politische Kommunikation ausgelegt zu werden. Auch in der Cun/i.ffe-Entscheidung sprachen sich vier der sieben Richter dafür aus, daß die offizielle Kommunikation, die im Zusammenhang mit Einwanderungsberatung mit Behörden oder mit den Einwanderungswilligen geführt werde, unter die politische Kommunikationsfreiheit falle. Hier handelte es sich zwar um Kommunikation mit Gerichten, die oft als getrennt von den Verwaltungsbehörden gesehen werden, es herrschte allerdings damals ein Trend zur Ausweitung der Freiheit und teilweise wurde überlegt, ob sie nicht ein volles Grundrecht sei. Einige Voten sprachen sich sogar ausdrücklich für eine Einbeziehung der Gerichte aus.65 Da Eingaben an Gerichte häufig auch gesellschaftspolitische Themen berühren, spricht vieles dafür, daß die Kommunikation mit staatlichen Behörden allgemein als politische Kommunikation eingestuft worden wäre. Nicht leicht zu klären ist aber die Folgefrage einer tatsächlichen Verletzung der Freiheit, da es zum damaligen Zeitpunkt noch keine feste Definition der rechtmäßigen Beschränkungen gab. Entscheidend wäre damals wohl wie bei Cunliffe die Stimme von Richter Toohey gewesen, der sich zwar für die Existenz der Kommunikationsfreiheit ausgesprochen hatte, jedoch im Fall die Beschränkungen als verfassungsgemäß ansah. Im damaligen Votum meinte er, daß die Kläger keine unverhältnismäßige Beschränkung dargetan hätten, was darauf schließen läßt, daß es auch im fiktiven Postulationsregelungsfall auf die Darlegung der Kläger angekommen wäre. Abhängig davon hätte ein Urteil, das sich für die Verfassungswidrigkeit aussprach, durchaus zustande kommen können.

65 s. PräsidentMason in Cunliffe 182 (1994) CLR 272 (298). Vgl. auch den unten in Anm.IO auf Seite293 geschilderten Fall.

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3. Kap.: Fallbeispiele im Vergleich

2. Beurteilung nach heutiger Rechtslage Anders ist die Situation möglicherweise nach heutiger Rechtslage, wobei eine fiktive Lösung des Falles auch hier aufgrund der geringen Kasuistik nur angedeutet werden kann. Fraglich ist nach der heutigen Rechtslage bereits, ob die Postulationsregelung unter die inzwischen etwas zurückhaltender gefaßte Freiheit der Kommunikation über Angelegenheiten der Regierung und der Politik fallen würde. Trotz der engeren Auffassung von der Freiheit ist dies nicht ausgeschlossen. Möglich wäre eine Anlehnung an die Cunlijfe- Voten,6