218 66 3MB
German Pages 107 [108] Year 1973
Grundlagen der Sprecherziehung von
Dr. Jörg Jesch
Mit 8 Abbildungen
Zweite, um ein Nachwort vermehrte Auflage
w DE
Sammlung Göschen Band 4122
Walter de Gruyter Berlin · New York · 1973
ISBN 3 11 004405 6 © C o p y r i g h t 1973 by W a l t e r de G r u y t e r & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. G u t t e n t a g , V e r l a g s b u c h h a n d l u n g , G e o r g Reimer, Karl J . T r ü b n e r , Veit & Comp., 1 Berlin 30, Alle Rechte, i n s b e s o n d e r e
das
Recht
der
Vervielfältigung
und
Verbreitung
sowie
der
Über-
setzung, v o r b e h a l t e n . Kein Teil des W e r k e s darf in irgendeiner F o r m ( d u r c h F o t o k o p i e , Mikrofilm oder ein anderes V e r f a h r e n ) o h n e schriftliche G e n e h m i g u n g des Verlages reproduziert oder unter
Verwendung
elektronischer
Systeme
verarbeitet,
vervielfältigt
Printed in G e r m a n y . Satz u n d D r u c k : Saladruck, 1 Berlin 36.
oder
verbreitet
werden.
Inhalt Seite
Α. Sprechbildung I. Atemschulung 1. D i e
4
Sprechatmung
4
2. G r u n d s ä t z e
12
3. A t e m ü b u n g e n
13
II. Stimmbildung
15
1. B a u u n d F u n k t i o n des K e h l k o p f e s
15
2. S t i m m e i n s a t z
19
3. R e s o n a n z
21
4. S t i m m a n s a t z
22
5. I n d i f T e r e n z l a g e
25
6. G r u n d s ä t z e
26
7. S t i m m ü b u n g e n
28
III. Lautbildung
31
1. B u c h s t a b e n w e r t
und
Lautwert
32
2. K o a r t i k u l a t i o n
33
3. V o k a l e u n d K o n s o n a n t e n
34
4. B e s o n d e r e S c h w i e r i g k e i t e n
in d e r B i l d u n g s w e i s e
38
5. L a u t b i l d u n g s ü b u n g e n 6. G e m e i n g c l t u n g
und
45 Formstufe
47
B. Sprechleistung I. Der Ausspruch II. Das Lesen 1. S i n n f a s s e n d e s a) L a u t u n g ,
52 56
Lesen
56
Betonung,
b) G l i e d e r u n g
und
Sprcchart
58
Abstufung
62
2. T e x t n o t i e r u n g
67
3. L e i t s ä t z e
70
4. L e s e f e h l e r
70
5. Ü b u n g . s h i n w c i s c 6. H i n w e i s e
zum
72 Dichtungssprechen
73
III. Das freie Sprechen 1. D a s
77
Sprechdcnken
78
2. Fehl f o r m e n
80
3. Ü b u n g s h i n w e i s e
81
Nachwort Anmerkungen Literaturverzeichnis
. . . .
89 95 101
Α. S p r e c h b i l d u n g
I. Atemschulung 1. Die
Sprechatmung
„Ohne Atmung gibt es kein Leben, keine Stimme; ohne richtiges, d. h. naturgemäßes Atmen, kein ästhetisches, gesundes Sprechen und Singen." 1 Diese Meinung vertreten die meisten Fachleute auf dem Gebiete der Stimm- und Sprechbildung. Sobald sich aber der Interessent bemüht, einen näheren, genaueren Einblick in Theorie und Praxis der Atemschulen zu gewinnen, steht er vor einem kaum zu überblickenden Gewirr der verschiedensten, oft gegensätzlichen Lehrmeinungen. — Es ist hier nicht der Ort, diese verschiedenen Richtungen zu beschreiben, ihre Bedeutung zu erörtern und gegeneinander abzuwägen. Einen umfassenden Überblick gewährt die ausführliche Darstellung von J. L. Schmitt. 2 Trotz der gegensätzlichen Anschauungen kann man heute aber sagen, daß die Atmungsfunktionen, die f ü r die Sprechbildung von Bedeutung sind, erforscht wurden und als Grundlage f ü r den Ausbau entsprechender Lehrmethoden dienen können. Die Tatsache, daß jede sinnvolle Stimm- und Sprechbildung von einer zweckmäßigen Atemführung ausgehen muß, bleibt unbestritten. Der n a t ü r l i c h e V o l l a t e m ist das Ziel aller Atemübungen. Um seine Voraussetzungen und seinen Ablauf im Funktionszusammenhang erkennen und beobachten zu können, ist es zunächst einmal notwendig, die wichtigsten physiologischen und psychologischen Gegebenheiten darzustellen, die dem Atmungsvorgang zugrunde liegen. Wir geben im folgenden eine knappe Darstellung von Bau und Funktion der Atmungsorgane. 1 F . S c h w e i n s b e r g : S t i m m l i c h e A u s d r u c k s g c s t a l t u n g im D i e n s t e d e r K i r c h e ; H e i d e l b e r g 1946, S. 98. 2 J . L . S c h m i t t : A t e m h e i l k u n s t ; 2. A u f l . , M ü n c h e n — B e r l i n , B e r n — S a l z b u r g 1956.
I. Atemschulung
5
Von großer praktischer Bedeutung f ü r die Stimmbildung ist die Tatsache, daß der Atmungsvorgang primär, d. h. ontogenetisch und phylogenetisch, den lebenswichtigen Gasaustausch im Körper bewirkt. Mit der Luft wird Sauerstoff aufgenommen, und bei der Ausatmung wird das im Stoffwechselprozeß entstandene Kohlendioxyd abgegeben. Die Sprechfunktion der Atmung (respiratio phonatoria) tritt in der Entwicklung des Menschen als Gattung und als Einzelwesen erst später hinzu. Die Sprechatmung ist sozusagen als „Superstruktur" über die Primärfunktion der lebenserhaltenden Atmung gesetzt. Eine Reihe von stimmlichen und sprecherischen Fehlleistungen geht darauf zurück, daß sich die neuen Aufgaben der Stimmgebung und Artikulation nicht mehr im Rahmen der ursprünglichen Möglichkeiten halten. „Es wird daher zu den wichtigsten Aufgaben einer modernen pädagogischen Stimmbehandlung gehören müssen, alle methodischen Maßnahmen auf die physiologischen Grundlagen der Phonation zurückzuführen, um dann die Superstruktur systematisch unter steter Beachtung der Primärgesetzlichkeiten darauf neu aufzuhauen."3 Die in der wissenschaftlichen Literatur häufig getroffene Unterscheidung zwischen Sprechatmung (respiratio phonatoria) und Ruheatmung (respiratio muta) erscheint nach neueren Untersuchungen 4 als zu ungenau und irreführend und kann daher in der Praxis im wesentlichen außer acht gelassen werden. Der Nutzen stummer Atemübungen beschränkt sich darauf, daß auf diese Weise zunächst einmal der körperliche Vorgang des Atmungsablaufes erkannt werden kann. Atmungs-, Stimm- und Artikulationsvorgänge stehen beim Sprechen in einem so engen Funktionszusammenhang, daß getrennte Übungen nicht sinnvoll sind. 3 H . - H . W ä n g l e r : L e i t f a d e n der pädagogischen S t i m m b e h a n d l u n g ; 2. erw. u n d u m g e a r b . Aufl., B e r l i n - C h a r l o t t e n b u r g 1966, S. 8. 1 Vgl. J . L. Schmitt, a. a. O . , und die Z u s a m m e n f a s s u n g in E. A d e r h o l d : Sprecherziehung des Schauspielers, G r u n d l a g e n u n d M e t h o d e n ; Berlin 1963, S. 52 ff.
6
Α. Sprechbildung
Wenn sich allerdings Störungen der Sprechatmung aus generellen (meist psychogen bedingten) Störungen der stummen Atmung ergeben, können sie vom Sprecherzieher meist nicht mehr günstig beeinflußt werden. Solche Funktionsveränderungen, die von psychischen Störungen herrühren, gehören schon in den Aufgabenbereich des Psychotherapeuten. Im Normalfall ist die Atmung einmal als ursprüngliche Funktion der bewußten und willkürlichen Beeinflussung entzogen, andererseits kann sie aber auch bewußt gesteuert werden. Das betrifft sowohl zeitlich wie räumlich den Einatmungs- wie auch den Ausatmungsvorgang. Eine genaue Darstellung der zentralnervösen Steuerungsvorgänge ist hier nicht erforderlich. Zum äußeren Atemapparat zählt J. L. Schmitt den gesamten menschlichen Körper vom Schädel bis zum Becken. Wir beschränken uns hier auf die Funktionsdarstellung der Luftwege und der Atmungsmuskulatur. — Zu den oberen Luftwegen gehören die Nasenhöhle, die Mundhöhle und die Kehle; zu den unteren die Luftröhre, die Verzweigung der Bronchien und die Lunge. Beim Einatmen ermöglicht der Mund-Rachen-Weg ein schnelleres Einziehen der Luft. Allerdings bringt der reine, flach-ziehende Mundatem auch manche Gefahren mit sich. Jeder kann sich davon überzeugen, wenn er einmal mit geöffnetem Mund schnell einatmet. Der kalte Luftstrom trocknet den Mund- und Rachenraum bis in den Kehlkopf hinein aus. Räusperzwang und klebriger Mund sind die Folgen. — Dagegen bietet der reine Nasenatem unübersehbare Vorteile. Die relativ trockene und kalte Außenluft strömt durch die großflächigen Nasenräume mit ihren Schleimhäuten, wird gereinigt, erwärmt und angefeuchtet. Außerdem bewirkt der Nasenatem noch andere, weniger bekannte, aber f ü r die Sprechstimme günstige Vorgänge: der engere Weg fordert eine verstärkte Zugwirkung des Zwerchfells; die Nase kann also geradezu zum natürlichen Gegenspieler des Zwerchfells werden und dessen Tätigkeit verstärken. Damit verbunden ist auch eine f ü r die Stimm-
I. Atemschulung
7
gebung günstige Tiefstellung des Kehlkopfes. Außerdem wirkt sich der durch die Nasenenge regulierte Luftstrom vorteilhaft auf die Einstellung der Stimmlippen aus. Aus all diesen Gründen wird häufig die Forderung erhoben, beim Sprechen nur durch die N a s e einzuatmen. — Die Sprechpraxis zeigt aber, daß der reine Nasenatem in den seltensten Fällen ausreicht, daß man dabei sehr leicht außer Atem gerät. Sprechsituation und Sinngliederung erfordern oft schneller eine größere Luftmenge als man nur durch die N a s e einholen kann. Eine kombinierte Mund- und Nasenatmung, wie sie hie und da als Ausweg vorgeschlagen wird, ist nur sehr schwer konsequent durchzuführen. Wir können daher — allerdings nur in den Fällen, in denen verstärkter Luftbedarf vorliegt — empfehlen, vorsichtig durch den Mund einzuatmen. Ein leichtes, löffeiförmiges Anheben der Zunge setzt dabei die Gefahren des Mundatmens herab. Ein Versuch zeigt, daß die einströmende Luft auf diese Weise schon im Vordermund, vor allem an der Unterzunge, präpariert wird. Uberall dort, w o die Sprechsituation Zeit f ü r tiefere Pausen läßt, sollte man wieder zur Nasenatmung übergehen. Beim Gesamtvorgang der Atmung spielen nun verschiedene K r ä f t e zusammen. Unsere Lungen, die den größten Teil des Brustraumes einnehmen, können sich nicht von selbst ausdehnen. Sie liegen luftdicht an der umgebenden Innenwand des Brustraumes und folgen seiner Erweiterung (Einatmung) oder seiner Verengung (Ausatmung). Diese Größenveränderungen des Brustraumes werden durch verschiedene Muskelgruppen herbeigeführt. — Bei der Einatmung ziehen sich diese Muskeln auf einen bestimmten Nervenreflex hin zusammen, die Wände des Brustraumes weiten sich, und es entsteht ein V a k u u m . In diesen R a u m mit verdünnter Luft strömt nun durch die Öffnung der Luftröhre die Außenluft ein, die Lunge füllt sich. — Die Erweiterung des Brustraumes bei der Einatmung kann in verschiedenen Richtungen erfolgen, die für die Stimmgebung nicht alle gleich zweckmäßig sind.
8
Α. Sprechbildung
Die sogenannte Schulter- bzw. Schlüsselbeinatmung, bei der durch das Heben des Schultergürtels der gesamte Atemapparat nach oben gezogen, die Halsmuskulatur angespannt und dadurch die Kehlkopftätigkeit beeinträchtigt werden, ist f ü r das Sprechen unzweckmäßig. Die Atemmöglichkeiten werden dabei eher vermindert, die Stimmgebung ist stark beeinträchtigt. Die wichtigste Atembewegung, die Erweiterung nach unten und in die Breite, geht vom Zwerchfell aus. Das Zwerchfell bildet die Trennwand zwischen Brust- und Bauchhöhle. Es liegt quer im Körper und wölbt sich in seiner Ruhelage (Ausatmung) kuppeiförmig weit in den Brustraum hinauf. Seine einzelnen Muskelfasern entspringen im ganzen U m f a n g des Körpers den Innenwänden des Unterleibes und den Rändern der unteren Rippen. Bei der Einatmung ziehen sich die Zwerchfellmuskeln zusammen, die Kuppel wird nach unten abgeflacht und dadurch das Volumen des Brustraumes etwa um ein Drittel vergrößert, das jetzt von der einströmenden Außenluft gefüllt wird. Bei der Ausatmung nimmt das Zwerchfell seine gewölbtere Lage wieder ein, das Volumen der Brusthöhle verkleinert sich, und die Luft kann wieder aus der Lunge entweichen. Diese A u f - und Ab-Bewegung kann nicht unmittelbar gefühlt werden. Während des Bewegungsablaufes erfolgt ein ständig wechselnder Druck auf die Organe der Bauchhöhle, dessen Auswirkung man — besonders im entspannten Liegen — am Heben und Senken der Bauchdecke beobachten kann. Diese Atembewegung des Zwerchfells wird unterstützt durch die bewegliche seitliche U m w a n d u n g des Brustraumes, durch die Rippen. Der Abstand besonders der unteren Rippenbögen voneinander kann durch Bewegungen der Wirbelsäule und durch die Tätigkeit der Zwischenrippenmuskeln verändert werden. Diese Beweglichkeit der Rippen ermöglicht eine Erweiterung der Brusthöhle nach den Seiten und nach vorne.
I. Atemschulung
9
Abb. la
Abb. lb
ι frei
nach
Abb. 1 a und 1 b Die A t e m b e w e g u n g : a) Zwerchfell in Ausatmungsstellung b) Zwerchfell in Einatmungsstellung c) Durch die Abflachung v e r g r ö ß e r t e r B r u s t r a u m F. Scbveinsbcrg: Stimmliche Ausdrucksgestaltung im Dienste Kirche; 1946, S. 102)
der
Alle beschriebenen Einzelbewegungen bei der Erweiterung des Brustkorbes sind nun im Idealfall aufeinander abgestimmt. Sie wirken miteinander bei der Bereitstellung der Luftmenge für das Sprechen. Bei dem aktiven Vorgang des Einatmens setzt die Bewegung von unten her an: das Zwerchfell senkt sich, unterstützt durch die Erweiterung der Flanken und des unteren Brustkorbes. Die Wölbung der Bauchdecke als Reaktion auf die Zwerchfellsenkung wird dabei sehr schnell wieder durch den Zug der sich hebenden Rippenbögen ausgeglichen. Sehr wichtig f ü r die gesamte Vollatembewegung (also des Einatmens u n d Ausatmens) ist die Lungenbewegung. Viele Mißverständnisse und Irrtümer auf dem Gebiete der Atemtheorie und Atemschulung haben sich daraus ergeben, daß die erhebliche Elastizität des Lungengewebes nicht beachtet wurde. A. Stampa 5 vergleicht den Lungenkörper sehr einleuchtend mit einer Gummiblase, die — mit den Wandungen der Brusthöhle verwachsen — sich mit ihnen erweitert, die Luft einströmen läßt und sie dann wieder durch ihre eigene Zusammenziehungskraft heraustreibt. Diese „Retraktionskraft" der Lunge ist keine Muskelkraft, sondern eine mechanische Energie, die nur durch den Gegens
A . S t a m p a : Atem, Sprache u n d Gesang; Kassel 1956, S. 22.
10
A. Sprcchbildung
Zug der gesamten Einatmungsmuskulatur becinflußt werden kann. Die Muskulatur wirkt also als ständiger Antagonist der Lunge. Da die Tätigkeit dieses Antagonisten nie ganz nachläßt, bleibt die Lunge auch stets mit einem gewissen Anteil an Restluft (ca. 1,5 Liter der Vitalkapazität) gefüllt. „Diese Gegenspannung der Einatmungsmuskulatur gegen den Lungenzug setzt zum ersten Male bei der Geburt ein und hört nicht auf bis zum Tode." 6 Das Zusammenspiel verschiedener K r ä f t e auch bei der Ausatmung wird uns noch bei der Darstellung des Stützvorganges beschäftigen. Für die Praxis können wir daraus schließen, daß es nie sinnvoll ist, den gesamten Ablauf der Atmung in verschiedene Teilbereiche oder Richtungen (ζ. B. Brust-, Flanken- oder Bauchatmung) zu zerlegen und einzeln zu üben. Wichtig ist, daß der natürliche Ablauf der Vollatmung am eigenen Körper erfahren wird und daß Atemübungen im Normalfall mit Stimm- und Sprechübungen verbunden werden. Der Wert stummer Atemübungen f ü r die sprecherische Praxis ist umstritten. Sie sollten im wesentlichen therapeutischen Zwecken vorbehalten bleiben. Bevor wir nun darstellen, worauf es bei der Sprechatmung besonders ankommt, soll auf die Gefahren einiger Fehlformen hingewiesen werden. Psychische Einflüsse können den natürlichen Atemvorgang beeinträchtigen oder empfindlich stören. In einem solchen Falle sind spezielle therapeutische Maßnahmen erforderlich. — Fehler in der Körperhaltung und Atem- bzw. Stimmfehler bedingen einander häufig. Hier helfen in vielen Fällen schon Haltungskorrekturen und gewisse Entspannungsübungen. 7 — Viele andere Fehlformen ergeben sich aus bestimmten Lebensgewohnheiten (sitzende Lebensweise, wenig Bewegung), aus atemphysiologisch ungünstigen Schönheitsidealen (Wespentaille, stramme „Brust-rausBauch-rein"-Haltung) oder aus Unkenntnis der Vorgänge s
E b e n d a , S. 23.
7
Vgl. J . F a u s t : A k t i v e E n t s p a n n u n g s b e h a n d l u n g ; 4. Aufl., S t u t t g a r t 1949.
11
I. Atemschulung
im eigenen Körper. — Einen knappen Überblick über die häufigsten Atemfehler gibt A. Schoch: „1. Fehlform: Brustraum und Zwerchfell haben keine Gegenbewegung. Beim Einatmen hebt sich mit dem Brustkorb auch das Zwerchfell nach oben, und der Bauch zieht sich ein. Beim Ausatmen sinken Brustkorb und Bauch schlaff nach unten, und das Gewicht des Oberkörpers läßt die Mitte hervorquellen. 2. Fehlform: Engbrüstige Atmung aus Bequemlichkeit; Zwerchfell, Flanken, Bauch und Teile des Brustkorbes bleiben unbeweglich. Nicht selten ist dies die Alltagshaltung, während die vorige die Atmung auf Befehl ist. 3. Fehlform: Bei der Einatmung werden die Schultern hochgezogen oder der Kopf zurückgeneigt. Das Brustbein ist eingesunken, die Zwerchfellbewegung kaum noch vorhanden. 4. Fehlform: H a r t e Muskelverspannung in Oberbauch, Bauch, Taillengegend verhindert durch Verkrampfung jede Zwerchfelltätigkeit. Hochatmung im Brustraum. 5. Fehlform: Jede einseitige Teilatmung, ζ. B. reine Zwerchfell- und Bauchatmung oder Flankenatmung, genauso wie ausschließliche Rücken-, Brust-, Schlüsselbein- oder sonstige Atmung . . . muß als fehlerhaft angesehen werden." 8 Betrachten wir nun weiter die Vorgänge, die f ü r die Stimm- und Sprechatmung von Bedeutung sind. Bei aller äußeren Ähnlichkeit mit der Primärfunktion der Atmung (der Versorgung des Körpers mit Sauerstoff) sind hier doch ganz neue Gesetzlichkeiten wirksam. Primär w a r die E i n atmung wichtig. Beim Sprechen ist die optimale N u t z u n g des A u s atemstromes notwendig. Auf seine Steuerung, Gliederung und Regelung kommt es nun an. Die Ausatmung 8 A . Schoch: „ A t m e n " in „ G r u n d l a g e n der Schauspielkunst atmen, sprechen, fechten, schminken"; H a n n o v e r 1965, S. 49.
/
bewegen,
12
Α. Sprechbildung
erfolgt beim Sprechen ja nicht mehr passiv, sondern sie wird geradezu zur Ausdrucksfunktion, da der Sprecher sie in Gliederung und Stärke der jeweiligen Sinnschrittgliederung und der Redelage a n p a ß t . Die normale Fähigkeit, etwa 20—25 Sekunden lang auszuatmen, genügt zunächst f ü r das Sprechen vollauf. D a r ü b e r hinaus tritt aber beim Sprechen — bedingt durch die verschiedenen Laute, die Tonstärke u n d die Tonhöhe — ein sehr rascher Wechsel im Atembedarf ein. Die optimale Einstellung des Sprechers auf diese wechselnden A n f o r d e r u n g e n w ä h r e n d des Sprechaktes ist das sogenannte S t ü t z e n . Die Ansichten über Bedeutung u n d Funktion der Atemstütze (ital. Appoggio) in Theorie und Praxis sind sehr unterschiedlich. In diesem R a h m e n können die verschiedenen Meinungen nicht dargelegt werden. Aber das allen gemeinsame Ziel, das mit dem Stützen erreicht werden soll, ist eine Sicherung und Verlängerung des Ausatemstromes und seine günstigste Einstellung auf S t i m m f ü h r u n g und Artikulation. Durch die Stütze soll der oben geschilderte Antagonismus zwischen der Einatmungsmuskulatur und der Zusammenziehungskraft der Lunge geregelt werden. G a n z allgemein gesagt, k o m m t es darauf an, w ä h r e n d der tönenden Ausatmung die Einatmungshaltung der beteiligten Muskelgruppen ohne K r a m p f möglichst lange beizubehalten, die normale Entspannungsbewegung entsprechend den stimmlichen A n f o r d e r u n g e n bremsend zu führen. Wie die Einatmung soll die Ausatmung v o n unter her erfolgen. D a es sich hier um einen besonders komplexen Vorgang handelt, ist es dringend erforderlich, die übende Entwicklung des neuen Muskelgefühls n u r u n t e r der Anleitung eines sachkundigen Lehrers vorzunehmen. Die Gefahren der Verspannung oder des Einübens einer Fehlhaltung sind sonst zu groß. 2.
Grundsätze
Grundsätzlich sind bei der Sprechatmung folgende P u n k t e zu beachten: a) Es geht nicht d a r u m , eine besondere Atemkunst oder
I. Atemschulung
13
einen speziellen Kunstatem zu entwickeln, sondern der natürliche Vollatem soll als Grundlage aller Stimm- und Spredafunktionen wieder ausgebaut und eingeübt werden. b) Für die Einatmung wird grundsätzlich der Nasenweg empfohlen. Nur in Fällen verstärkten Luftbedarfes während des Sprechaktes kann zusätzlich vorsichtig durch den Mund eingeatmet werden. c) Jede Mitbewegung der Schulter- und Halspartie ist zu vermeiden. Stattdessen beginnt die Einatmungsbewegung aus der Tiefe, vom Zwerchfell her, und setzt sich dann in der Weitung der Flanken und des unteren Brustkorbes fort. d) Während der tönenden Ausatmung, bei der im Vergleich zur raschen, zügigen Einatmung der Atemstrom verlängert, gegliedert und reguliert werden soll, muß die Entspannungsbewegung der Atmungsmuskulatur möglichst gebremst geführt werden. Wie bei der Einatmung beginnt die allmähliche Entspannungsbewegung von unten, vom Zwerchfell her, und setzt sich langsam nach oben hin fort. e) In der Körperhaltung soll alles vermieden werden, was einem lockeren Ablauf dieser Bewegungen entgegenwirkt.
3.
Atemübungen9
a) Anregung der Tiefatmung: In flacher Ruhelage wird zunächst einmal ohne Nachdruck ausgeatmet — ruhiges, entspanntes Warten auf den Einatmungsimpuls — die Einatmungsbewegung kommen lassen. Die Richtung des ersten Einatemzuges denken wir uns nicht nach vorne oder oben, sondern nach hinten, gegen den Punkt, wo die Wirbelsäule in das Becken mündet. — Ist das Einatmungsbedürfnis auf seinem Höhepunkt, schlürfen wir durch leicht zusammen9 W i r w e i s e n nochmals d a r a u f hin, daß A t e m ü b u n g e n eigentlich n u r ganz i n d i v i d u e l l u n t e r A n l e i t u n g eines L e h r e r s d u r c h g e f ü h r t w e r d e n s o l l e n . D i e f o l g e n d e n A n r e g u n g e n und Ü b u n g e n sollen n u r ein Beispiel d a f ü r geben, w i e m a n z u m a n g e s t r e b t e n Ziel, d e m n a t ü r l i c h e n V o l l a t e m , k o m m e n k a n n . Z u m w e i t e r e n A u s b a u der A t e m ü b u n g e n e m p f e h l e n w i r die Übungsbücher v o n H . - H . W ä n g l e r , a . a . O . , u n d E. W o l f / E . A d e r h o l d : Sprecherzieherisches Übungsbuch; B e r l i n 1 9 6 0 .
14
Α. Sprechbildung
gelegte Lippen die Luft, von unten her füllend, tief in die Bauchgegend hinein: die Bauchdecke hebt sich, die Flanken und der untere Brustkorb weiten sich. — Jedes Erweitern nach oben hin muß ausgeschlossen bleiben. — Man braucht sich dabei gar nicht übermäßig vollzupumpen: jede übertriebene Vollatmung führt zu Verspannungen. — Die eingesogene Luft wird einen Augenblick locker gehalten; die Einatmungsbewegung ist stehengeblieben. — Dann wird die Einatmungshaltung losgelassen, die Luft strömt ohne Druck aus dem Mund. — Danach wird der Mund geschlossen, der Einatmungsimpuls wieder ruhig abgewartet usw.; immer in der Reihenfolge: passiv aus, Wartepause, tief füllen, Bereitschaftspause, von unten her aus. Dieser Bewegungsablauf sollte so lange im entspannten Liegen durchgeführt werden, bis sich das Muskelgefühl in den verschiedenen Phasen eingeprägt hat. Dann kann im Stehen, im Gehen, später auch im Sitzen weitergeübt werden. Beim Aufrichten muß immer wieder die Haltung überprüft werden: behindernd wirken hohles oder gekrümmtes oder straff aufgerichtetes Kreuz, Hochziehen der Schultern, Vorschieben oder Beugen des Kopfes. b) Locker aufgerichtet wird nun die Ausatmungsphase ausgebaut. Hier setzen auch schon die Stimmübungen ein: Die Luft strömt als stimmloser oder stimmhafter Reibelaut aus (/-; 5-; sch-) — zunächst gleichmäßig in immer längeren Abschnitten; dabei die Luft möglichst sparsam abgeben (hilfreich ist hier die Als-ob-Vorstellung: ich atme gar nicht aus, vielmehr strömt die Luft wieder in mich zurück). — Die Einatmungsmuskulatur wird dabei möglichst lange in der Einatmungsstellung gehalten; erst allmählich entspannt sie sich von unten her. — Dann wird der gleichmäßige Luftstrom in einzelne Stöße zerlegt (stimmhaft oder stimmlos 7 7 7 ; 's 's ' s ; 'sch 'sch 'sch). — Dann kann der Luftstrom auf stimmloser oder stimmhafter Spirans an- und abschwellend geführt werden. — Schließlich kann der bruchlose Wechsel zwischen stimmloser und stimmhafter Spirans (ζ. B. f—>w) geübt werden. Auf diese Weise werden Atembewe-
15
II. Stimmbildung
gungen geübt, die dann für Gliederung und Modulation im Sprechen notwendig sind. c) Wenn durch diese Vorübungen Ablauf und Funktion des Vollatems vertraut sind, empfiehlt es sich, ihn schon im Sprechvorgang zu erproben und weiter zu sichern. — Einfache Texte, in die man sich zunächst noch die Atempausen vor den Sinnschritten einzeichnen kann, werden als Atemübungen gelesen, d. h. einatmend wird ein Textabschnitt überblickt und dann ausatmend zunächst halblaut, später lauter gesprochen.
II. Stimmbildung
1. Bau und Funktion des
Kehlkopfes
Im vorhergehenden Kapitel wurde schon mehrmals darauf hingewiesen, daß Atmung und Stimme in engem Funktionszusammenhang stehen. Die menschliche Stimme entsteht durch das Zusammenwirken vieler Organtätigkeiten. Der Kehlkopf ist also nicht das einzige Stimmorgan des Menschen. Sein Bau ist sehr kompliziert, seine Funktion ζ. T. noch nicht genügend erforscht. Wir begnügen uns hier damit, auf die wichtigsten Tatsachen hinzuweisen, deren Kenntnis für den sinnvollen Einsatz von Stimmübungen von Bedeutung ist. Auch der Kehlkopf dient primär nicht der Stimmerzeugung, sondern seine ursprüngliche Aufgabe ist es, zusammen mit dem Kehldeckel, durch Taschenband- und Stimmlippenverschluß die Lunge vor eindringenden Fremdkörpern zu schützen. Dieser Vorgang ist beim Schlucken besonders deutlich zu beobachten: die Zunge zieht sich nach hinten, das Zungenbein senkt sich, der Kehldeckel kippt nach unten und die Taschenlippen legen sich über die verschlossenen Stimmlippen; die ganze Kehle wird verengt, der Kehlkopf geschlossen und durch die Haltemuskulatur gehoben. Diese Schluckeinstellung ist die ungünstigste Haltung für die Stimmerzeugung, und wir können hier schon die Anwei-
16
Α. Sprechbildung
sung geben, daß bei der gesunden Stimmführung alle Verengungs- und Verschlußtendenzen vermieden werden müssen. Statt dessen sollte darauf geachtet werden, die Zunge möglichst weit nach vorne zu verlagern, den Kehlkopf tief zu stellen und die Kehle zu weiten. Der Kehlkopf schließt die Luftröhre nach oben hin ab. Er besteht aus einem gelenkigen, in sich sehr beweglichen Knorpelgerüst. Er ist durch Muskelbänder nach oben mit dem Zungenbein und nach unten mit dem Brustbein verbunden. Ein kompliziertes Muskelgeflecht ermöglicht die vielfältigen Bewegungen und Einstellungen der Kehlkopfknorpel zueinander. Aufsicht
(nach
Ch.
Winkicr:
Durchschnitt
A b b . 2 K e h l k o p f von h i n t e n Deutsche Sprechkunde und Sprecherziehung;
1954, S.
199)
Der Ringknorpel bildet die Basis des Kehlkopfgerüstes. Wie sein N a m e sagt, u m f a ß t er die ganze Öffnung ringförmig und hat Ähnlichkeit mit einem Siegelring, dessen
II. Stimmbildung
17
Petschaft nach hinten weist. Über dem Ringknorpel, und mit ihm durch zwei hornartige Fortsätze gelenkig verbunden, liegt der Schildknorpel, dessen pflugartige Form wir am Hals abtasten können. Auf der nach hinten liegenden Platte des Ringknorpels sitzen zwei kleine, pyramidenförmige Knorpel, die sogenannten Stellknorpel, die in verschiedene Richtungen beweglich sind und durch diese Bewegungen die Stimmlippentätigkeit beeinflussen. Die Stimmlippen sind vorne und an den Seiten am Schildknorpel und hinten an den Stellknorpeln angewachsen. Sie werden heute Stimmlippen genannt, weil es sich dabei nicht, wie ursprünglich angenommen, um flache Bänder handelt, sondern um wulstförmig einander gegenüberliegende Muskelkörper. Durch entsprechende Bewegungen der Kehlkopfknorpel können die Stimmlippen gespannt und entspannt werden. Dabei öffnet oder verschließt sich die zwischen ihnen liegende Stimmritze (Glottis). Durch die Stimmlippenbewegung wird das sogenannte „primäre Tonprodukt" 1 0 erzeugt. Der menschliche Stimmklang entsteht erst im Ansatzrohr, dem Innenraum von den Stimmlippen bis zu den Mundlippen und der Nasenöffnung. Hier werden die Schallschwingungen, die von den Stimmlippen ausgehen, resonatorisch verstärkt; außerdem entstehen hier durch charakteristische Form- und Größenveränderungen die jeweiligen Sprachlaute. Die Vorgänge bei der Tonerzeugung durch die Stimmlippenbewegung werden verschieden erklärt. Zwei entgegengesetzte wissenschaftliche Theorien (die myoelastische und die neuro-muskuläre) liegen für die Erklärung dieser Bewegung vor. Wir gehen hier nicht näher darauf ein und schließen uns der älteren, noch nicht widerlegten myoelastischen Theorie an, nach der bei der Tonbildung die Stimmlippen passiv bleiben. Aktiv ist nur die ausströmende Luft. Die neuro-muskuläre Theorie besagt, daß die Frequenzerzeugung durch aktive Schwingungen der Stimmlippen erfolgt. 10
F. Schweinsberg, a. a. O . , S. 123.
Α. Sprechbildung
18 2
Λ
3
Abb. 3 F o r m e n der S t i m m r i t z e (schematisch): a) S d i i l d k n o r p e l , b) S t c l l k n o r p e l , c) S t i m m l i p p e n 1. b e i d e r E i n a t m u n g 2. b e i m F l ü s t e r n 3. b e i d e r S t i m m g e b u n g
Bei der Einatmung treten die Stimmlippen durch eine entsprechende Bewegung der Stellknorpel auseinander und lassen die Luft ungehindert durchstreichen. Zur Stimmgebung werden die beiden einander so weit genähert, daß sie einen schmalen Längsspalt mit parallelen Seitenbegrenzungen bilden. Auf diese Einstellung trifft von unten die Ausatmungsluft: die Stimmlippen werden von diesem Luftdruck auseinandergetrieben und schwingen gleich danach wieder in ihre alte Lage zurück. Durch diese „rhythmischen Gegenschlagbewegungen" 11 wird die Luft oberhalb und unterhalb der Glottis in periodische Schwingungen versetzt; dies f ü h r t schließlich zur Erzeugung eines Tones, dessen Frequenz der Stimmlippenschwingung entspricht.
Abb. 4 Schematische D a r s t e l l u n g der Stimmlippenbewegung: a) S t i m m l i p p e n , b) A t e m l u f t b
Bei diesem Ton ist die S t i m m g a 11 u η g (Tenor, Sopran, Alt usw.) abhängig von der Länge der Stimmlippen, die T o n h ö h e von der Zahl der Öffnungen und Verschlüsse pro Sekunde (in den Grenzen der Stimmgattung); das Ausmaß der Öffnungsbewegung, die Schwingungsbreite, bedingt die S t ä r k e der Stimme; die Art, in der die Stimmlippen vor der Luftabgabe aneinanderliegen, bzw. einander gegenüberstehen, bedingt die Art des S t i m m e i η s a t ζ e s. 11
E . A d e r h o l d , a. a. O . , S. 123.
II. S t i m m b i l d u n g
19
2. Stimmeinsatz In der Stimmbildung ist auch schon beim Stimmeinsatz jenes von Wängler formulierte Kriterium der „physiologischen Zweckmäßigkeit" zu beachten: „Physiologisch richtig ist all das, was bei relativ geringstem Kraftaufwand optimalen Nutzeffekt herbeiführt. Dem entspricht, daß viel K r a f t a u f w a n d bei verhältnismäßig kleiner Wirkung in Hinsicht auf das gesetzte Ziel physiologisch falsch ist." 12 Der Stimmeinsatz, also die A r t des Überganges der Stimmlippen vom schwingungslosen Zustand in die Stimmgebung, ist von großer Bedeutung für die Güte der Stimme. Wir können die verschiedenen Einsätze nach dem akustischen Eindruck oder nach der Art des Entstehens unterscheiden. Beim g e h a u c h t e n Einsatz beginnt die Luftabgabe schon, bevor sich die Stimmlippen zur Stimmgebung genähert haben. Vor dem Einsetzen des Stimmklanges hört man einen deutlichen Hauchlaut. N o r m a l und richtig ist dieser Einsatz im Deutschen nur bei Wörtern, die mit h anlauten. Wenn auch sonst nur mit diesem Einsatz gesprochen wird, d. h. wenn es nie zu einem richtigen „Schwingverschluß" 13 der Stimmlippen kommt, und ständig wilde Luft entweicht, klingt die Stimme verhaucht. Ihre Tragfähigkeit ist stark beeinträchtigt. Oft kommt ein solcher Sprecher mit der Atemluft nicht aus, weil er auch in den Pausen nach einzelnen Wörtern und Sätzen unkontrolliert weiter ausatmet; er ist meist nicht fähig, einen Text in sinnvolle Sprecheinheiten aufzugliedern. Häufig f ü h r t ein gehauchter Einsatz auch zu andauernden Stimmschäden. Beim w e i c h e n oder l e i s e n Einsatz beginnt die Luft erst zu strömen, wenn sich die Stimmlippen ohne Druck einander dicht genähert haben. Stimmlippenschwingung und Luftstrom beginnen zur gleichen Zeit mit einem leisen, elastischen Einsatz. Diese Form des Stimmeinsatzes ist so12 H.-H. 1961, S. 9.
Wängler:
L e i t f a d e n der pädagogischen S t i m m b e h a n d l u n g ;
Berlin
13 H . G e i ß n e r : „ S p r e c h e n " in „ G r u n d l a g e n d e r S c h a u s p i e l k u n s t / b e w e g e n , a t m e n , s p r e c h e n , f e c h t e n , s c h m i n k e n " ; H a n n o v e r 1965, S. 78.
20
A. Sprcchbildung
wohl für den Klang als auch für die Gesundheit der Stimme am günstigsten. Beim h a r t e n oder f e s t e n Stimmeinsatz liegen die Stimmlippen zu Beginn in Verschlußstellung. Die ausströmende Atemluft sprengt diesen Verschluß, und es ist — je nach Stärke des Verschlusses und des Luftdruckes — ein mehr oder weniger lautes Knacken (der sogenannte „Glottisschlag") zu hören. Dieser Stimmeinsatz birgt die größten Gefahren für die gesunde Stimme in sich. D e r Ubergang vom physiologischen, d. h. noch unschädlichen, zum pathologischen, d. h. stimmschädigenden, Glottisschlag ist für den Laien oft sehr schwer zu erkennen. — Beim physiologischen Sprengeinsatz wird die Öffnungsbewegung dadurch gesteuert, daß der K e h l k o p f möglichst tief steht und die Stimmlippen sich nicht krampfartig zusammenpressen. Auch die richtig geführte Atmungsbewegung und eine allgemeine Lockerheit der Halsmuskulatur sind hierfür wichtig. Zu hören ist dann kein scharfes oder rauhes Knacken wie beim pathologischen Sprengeinsatz, sondern nur ein leichter „ A b k n a l l " 1 4 , wie man ihn mit den Stimmlippen auch ganz selbständig durchführen kann. Besonders für das laute Sprechen und für das R u f e n sollte der physiologische Glottisschlag beherrscht werden. D e r ständige, womöglich zu häufige Gebrauch des Glottisschlages beansprucht die Stimmlippenbänder aber sehr. Akute und chronische Erkrankungen sind fast stets die Folge. Diese Erkrankungen können sich über anhaltende Heiserkeit durch Entzündungen bis zur Funktionsunfähigkeit der Stimmlippen durch Knötchenbildung und Vernarbungen entwickeln. Viele Sprecherzieher und Stimmpädagogen halten daher den Glottisschlag überhaupt für gefährlich und empfehlen da, w o im Deutschen ein klarer Neueinsatz der Stimme notwendig ist, den weichen Einsatz ohne Hauch oder Knackgeräusch (ζ. B. bei allen vokalisch 11 H . F e r n a u - H o r n : P r i n z i p und M e t h o d e der Übungsbehandlung bei S t ö rungen der Sprech- und R u f s t i m m e ; K o n g r . B e r . F r a n k f u r t a. M . 1938, S . 250 bis 253. Berichte über den internationalen K o n g r e ß für Singen und Sprechen in F r a n k f u r t a. M . , 1 9 3 8 ; München—Berlin 1939.
II. Stimmbildung anlautenden Wörtern und Silben wie: 'und 'er 'eilte wärts; ' ab' arbeiten). 3.
21 'ab-
Resonanz
Der im Kehlkopf gebildete Stimmton erhält seine für den einzelnen Sprecher charakteristische Klangfarbe, Fülle und Tragfähigkeit durch die Resonanzfähigkeit des Ansatzrohres. Unter Resonanz verstehen wir das „Mitschwingen eines begrenzten Luftraumes" 1 5 , in diesem Falle der Rachenhöhle, der Mundhöhle und der Nasenhöhle, wodurch das primäre Tonprodukt der Stimmlippen verstärkt und charakteristisch geformt wird. Die Güte eines Stimmklanges hängt aber nicht nur, wie häufig angenommen wird, von der resonatorischen Beeinflussung ab, sondern ist zunächst von dem primären Ton bestimmt. Ein verhauchter oder gepreßter Primärton ist auch durch Resonanz nicht zu verbessern, denn Resonanz bedeutet ja ein Mitschwingen in der Frequenz des Frequenzerzeugers. Grundeigenschaften des Stimmklanges, die tatsächlich von der Resonanz herrühren, sind die Klangfülle und die Tragfähigkeit. Das Vibrationsgefühl, das man etwa beim Summen eines m an den Lippen, den Nasenflügeln, der Nasenwurzel, vielleicht auch an der Stirn und am Brustbein bemerkt, ist übrigens nicht mit Resonanz gleichzusetzen. Sehr häufig wird hier Ursache mit Wirkung verwechselt und von Stirnoder von Brustresonanz gesprochen. Das spürbare Vibrieren der Außenwände ist nur ein Zeichen dafür, daß in den inneren Hohlräumen starke Schwingungen stattfinden. Ziel jeder Stimmbildung soll es nun sein, die günstigsten und zweckmäßigsten Einstellungsbewegungen der Resonanzräume zu finden, einzuüben und dadurch Klangfülle wie Tragfähigkeit der Stimme zu verstärken. Jede Verengung des Ansatzrohres (Zusammenschnüren desSchlundes, Zurückfallen der Zunge, Verengungen im Nasenraum) beeinträchtigt diese Elemente des Stimmklanges entscheidend. 15
F. Schweinsbcrg, a. a. O . , S. 145.
22
Α. Sprechbildung
4. Stimmansatz Weitung des gesamten Ansatzrohres ist eine Hauptaufgabe der stimmbildnerischen Arbeit. Im Ansatzrohr wird der primäre Ton erweitert, klanglich angereichert, und zugleich werden hier die sehr verschiedenen Sprachlaute geformt. Die Formung des von den Stimmlippen erzeugten primären Tonproduktes zu den wechselnden Klängen der menschlichen Sprache (ζ. B. der Vokale und der Konsonanten) nennt man S t i m m a n s a t z . Um die stimmhygienisch und klangästhetisch beste Haltung und Bewegung des Ansatzrohres beschreiben zu können, sollen zunächst seine wichtigsten Funktionen genannt werden. Querschnitt durch den Schädel ( A n s a t z r o h r ) Die .weichen' Teile sind einfach schraffiert, die ,harten" Teile sind schraffiert. Abb. 5 a) N a s e n h ö h l e b) M u n d h ö h l e c) Rachenhöhle d) G a u m e n m i t Z ä p f d i e n e) Z u n g e f) Kehldeckel g) K e h l k o p f
doppelt
Seine verschiedenen Einstellungen werden durch die Beweglichkeit einzelner Teile ermöglicht: die Weitung der
II. Stimmbildung
23
Kehle kann variiert, die Muskelspannung von Rachenwand, Mundboden und Wangen kann verändert werden; das Gaumensegel kann entweder die Mundhöhle oder die Nasenhöhle voneinander absperren; die Mundöffnung kann beträchtlich erweitert oder verengt werden; die Art der Öffnung wird von der Formung der Lippen bestimmt; die stärkste Bewegungsvariation läßt sich mit der Zunge durchführen. Beim Sprechen sind nun alle diese Bewegungsvorgänge beteiligt. Von ihrer Genauigkeit hängt die Deutlichkeit der Aussprache ab, von ihnen wird die charakteristische Klangfärbung der persönlichen Sprechart jedes Menschen und die jeweilige Sprechart in den verschiedenen Sprechsituationen geprägt. Schließlich hängt die Gesundheit der Stimme von dem zweckmäßigen Ablauf dieser Bewegungsvorgänge ab. Schwierigkeiten können sich dadurch ergeben, daß ja auch das Ansatzrohr eine Primärfunktion hatte und hat, nämlich das Aufnehmen, Zerkleinern und Schlucken der Nahrung. Fast alle Bewegungen, die bei diesem Vorgang durchgeführt werden, haben eine für die Tonbildung ungünstige Tendenz. Eine Reihe von sprecherischen Fehlformen läßt sich daraus erklären, daß Teilbewegungen des Ansatzrohres ähnlich wie beim Kau- und Schluckakt ablaufen: der Schlund verengt sich, die Zunge zieht sich zurück und drückt dabei den Kehldeckel herunter, die Zahnreihen sind geschlossen, der Mund nur schwach geöffnet. J e nach Grad und Art der Bewegungstendenz des Ansatzrohres auf die Primärfunktion hin kommen dabei gepreßte, geknarrte oder geknödelte Klänge zustande. Um diese stimmschädigenden und unschönen Fehlformen zu vermeiden, wird häufig die Anweisung gegeben, man solle „vorne sprechen". Diese Anweisung ist aber zu ungenau, weil es einfach nicht möglich ist, etwa gutturale Laute wie g oder k vorne zu sprechen. Als Hilfsvorstellung ist diese Richtungsanweisung für den Stimmansatz, wie die Erfahrung zeigt, aber doch wirksam. Besonders dann, wenn dadurch erreicht wird, daß die Weite des Ansatzrohres nicht durch Zungenrücken und Zungengrund verengt wird,
24
Α. Sprechbildung
wenn der Zungenkörper vielmehr bei allen Artikulationsabläufen die Tendenz nach vorne hat. Die Grundhaltung des Ansatzrohres als Ausgangsbasis für die Lautbildung wird als „Lautungsgrundlage" 16 bezeichnet, als Ausgangshaltung, aus der eine entsprechende Bewegungs t e η d e η ζ entspringt. Lautungsgrundlage und daraus entspringende Bewegungstendenz sind nun in den verschiedenen Sprachen sehr unterschiedlich. Während ζ. B. das deutsche Wort Ball deutlich im Vordermund artikuliert wird, entsteht das englische Wort ball aus einer Artikulationsbewegung im Hintermund. „Die deutsche Hochlautung greift die Silben, wo es die Laute irgend gestatten, nach vorn, so daß der Sprecher wohl den Eindruck hat, die Lautung spiele sich überhaupt nur im Bereich der Lippen und der Vorderzunge ab — das sog. Vornesprechen". 17 Zur Lautungsgrundlage des H o c h d e u t s c h e n (schon bei den verschiedenen deutschen Mundarten gibt es erhebliche Abweichungen) gehört weiter eine leichte, entspannte Öffnung des Kiefers. Um die Ruhelage, bei der die Zahnreihen etwa 1 cm voneinander entfernt sind, pendelt beim Sprechen der Kiefer ohne jeden Krampf. Jedes übermäßige Bewegen des Kiefers führt zu hinderlichen Verspannungen. Ein Grund dafür ist übrigens häufig die Anweisung: „Mach beim Sprechen den Mund auf!" Von ganz besonderem Einfluß auf die Klangwirkung und Deutlichkeit des Sprechens ist außerdem der Lippenraum, der Vorraum des Mundes. Auch hier dürfen keine Verspannungen und Verengungen auftreten. Vielmehr müssen Vorstülpung und Breitzug der Lippen (ζ. B. beim u bzw. beim i) möglichst elastisch und deutlich durchgeführt werden. Verkrampfungen im gesamten Ansatzrohr sind häufig schon an mangelhafter Lippenbeweglichkeit abzulesen. Die Stellbewegung des Gaumensegels ist weniger leicht zu beeinflussen. Hier orientiert man sich am besten am 19 Ch. Winkler: Deutsche Spredikunde 1954, S. 204. 17 Ebenda, S. 205.
und Sprecherziehung;
Düsseldorf
II. Stimmbildung
25
Klang. Ein völliger Abschluß der Mundhöhle erfolgt nur bei den Nasalen; ein Abschluß der Nasenhöhle bei den Verschluß- und Reibelauten. Ein Nasalieren gibt es in der Hochlautung nicht. In der Lautungsgrundlage ist hier das Gaumensegel angehoben, es verschließt aber den Mundraum nicht völlig. Ein gewisser Grad an Nasalität, der nicht mit Näseln zu verwechseln ist, bezieht den Nasenraum als Resonanzraum bei der Bildung des Stimmklanges mit ein.
Abb. 6 Stark schematisierte D a r s t e l l u n g der Gaumensegelbewegung: a) L u f t r ö h r e b) M u n d h ö h l e c) N a s e n h ö h l e d) Gaumensegel e) G l o t t i s
Eine Klangverstärkung, besonders die Fernwirkung der Stimme, wird dadurch unterstützt. — Das pathologische geschlossene Näseln ist zu hören, wenn die Nasenräume durch Schwellungen (bedingt durch Erkältung oder Wucherungen) verstopft sind. Das organisch (Gaumenspalte) oder funktionell (Veluminsuffizienz ζ. B. nach Infektionskrankheiten) bedingte offene Näseln entsteht dadurch, daß beim Sprechen die Luft vor allem durch die Nase entweicht. In beiden Fällen ist meist durch einen operativen Eingriff und durch anschließende spezielle Obungsbehandlung eine Besserung zu erreichen. 5. Indifferenzlage In diesem Zusammenhang ist noch ein Gesichtspunkt zu nennen, dessen Beachtung nicht nur zu Beginn, sondern während der ganzen Arbeit am Stimmklang und an der persönlichen Sprechart sehr wichtig ist. — Jeder Mensch hat eine natürliche Sprechstimmlage, die sogenannte „Indifferenzlage". Sie liegt im unteren Drittel des gesamten
Α. Sprechbildung
26
Stimmumfanges, der etwa zwei Oktaven umfaßt. Diese Indifferenzlage bewegt sich — bei ruhiger Sprechart — in einem Bereich von etwa 4—5 Tönen in dem Tonbezirk, „der bei geringstem Kraftaufwand der Kehlkopfmuskulatur und bei geringstem Energieaufwand erzeugt wird." 18 Beim Sprechen wird immer wieder — entsprechend der jeweiligen Ausdruckslage — diese sogenannte „Sprechquint" nach oben oder unten hin erweitert. Für die Stimmgesundheit ist es nun wichtig, daß diese entspannte und alle Resonanzmöglichkeiten ausnutzende Mittellage beibehalten wird. Modulationsreichtum und Tragfähigkeit sind hier am größten. Der Sprecher muß sich daran gewöhnen, unabhängig von der Tonstärke, der Lautheit der Stimme, diese Indifferenzlage einzuhalten. Gerade beim lauteren Sprechen, etwa in akustisch ungünstigen, großen Räumen oder beim Rufen, besteht die Gefahr, daß die bequeme Mittellage überschritten wird, daß sich der Sprecher auf einer zu hohen Tonhöhe festschreit. Wird ein solches Uberhöhen des Stimmtones bei übertrieben starker Anspannung der stimmgebenden Organe zur Gewohnheit, so treten sehr bald Überanstrengungen und Schädigungen der Stimme auf. Wichtig ist nun, daß der Sprecher eine Vorstellung von seiner Indifferenzlage hat. Diese entspannte Normallage läßt sich verhältnismäßig leicht feststellen. Die Antwort auf eine harmlose Frage (ζ. B. nach der Uhrzeit) kommt meist in der Indifferenzlage. Wenn kein gewohnheitsmäßiges verspannt überhöhendes Sprechen vorliegt, führt ein solches Zurückrufen durch eine alltägliche Frage meist zur Normalisierung. Der gefährdete Sprecher lernt es so, sich seiner Normaltonhöhe bewußt zu werden. 6.
Grundsätze
a) Die Stimme und das Sprechen entstehen aus einem engen Funktionszusammenhang vieler Organtätigkeiten: aus Bewegungen der Atmungsmuskulatur, der Luftröhre, des Kehlkopfes und des Ansatzrohres. Fehlfunktionen in 18
F. Schweinsberg, a. a. O . , S. 163.
II. Stimmbildung
27
einem Gebiet wirken sich sofort auf den gesamten Ablauf aus. Andererseits kann sinnvolle Übungsarbeit an einem Teilbereich die anderen Gebiete positiv beeinflussen (ζ. B. ist das Geschehen im Inneren des Kehlkopfes durch Atemund Artikulationsübungen zu beeinflussen). b) Grundsätzlich sind alle Verengungs- und Verschlußtendenzen zu vermeiden. c) Wir empfehlen den weichen oder leisen Stimmeinsatz, bei dem Ausatmung und Stimmlippenbewegung miteinander koordiniert zur gleichen Zeit einsetzen. d) Das Ansatzrohr kann seine Doppelaufgabe als Resonator und als Organbereich der Sprachlautbildung am besten erfüllen, wenn seine Bewegungen nicht durch Kaubzw. Schluckspannungen beeinträchtigt werden. e) Von der Lautungsgrundlage des Deutschen werden die Silben und Laute nachvorne gegriffen. Leichte Öffnung des Kiefers und elastisch ausgeprägte Lippenbewegung bei Anhub der Vorderzunge ermöglichen das „Vornesprechen". f) Unabhängig von der Lautstärke der Stimme sollte beim Sprechen u n d Üben immer wieder darauf geachtet werden, daß die entspannte Mittellage, die sogenannte Indifferenzlage, beibehalten wird. Ziel der Sprechbildung ist es, eine leistungsfähige, modulationsreiche Stimme heranzubilden. Panconcelli-Calzia beschreibt dieses Ziel zusammenfassend wie folgt: Eine Stimme läßt sich als gut bezeichnen, „wenn sie ausschließlich unter Inanspruchnahme der für die jeweilige Leistung nötigen Muskulatur in harmonischem Ausgleich der Atmungs-, Kehlkopf- und Ansatzrohrfunktion gebildet wird. Die gute Stimme hört sich frei von Nebengeräuschen, Druck, Dauer-Fehl-Überspannungen an, klingt in jeder Höhe beliebig kräftig oder leise, weittragend, fließt resonanzreich, weich und anstrengungslos. Ein weiteres Merkmal der guten Stimme ist, daß sie, abgesehen von der physiologischen Müdigkeit, keine pathologischen Erscheinungen aufkommen läßt. J e nachdem sich eine Stimme diesem
28
Α. Sprechbildung
Ideale, diesem Typus mehr oder weniger nähert, ist ihre Güte zu beurteilen." 19 7.
Stimmübungen
Auch hier sollen nur einige richtungsweisende Beispiele gegeben werden. Grundsätzlich sollten auch die Stimmübungen nur unter der hörenden und beobachtenden Kontrolle eines Lehrers individuell eingesetzt werden. Die H i n weise auf geeignete Ubungsliteratur sollen helfen, sich ein genaueres Bild von der Zielsetzung der oft sehr verschiedenen Lehr- und Arbeitsmethoden zu verschaffen. a) Bei allen Übungen muß darauf geachtet werden, daß die Stimme in der Indifferenzlage bleibt. Die Tendenz, ständig zu überhöhen, ist ein Zeichen f ü r Verspannungen. b) L o c k e r u n g s - u n d Entspannungsübungen sollten Atem- und Stimmübungen immer einleiten. Vor allem auf die E n t k r a m p f u n g der Hals- und Schulterpartie ist zu achten. Lockeres Rollen der Schultern und des Kopfes helfen hier oft schon. Eine ausführliche Beschreibung und Begründung solcher Übungen bringen Wolf/Aderhold 2 0 oder F. Gerathewohl 2 1 mit Bezug auf R. Bode 22 und J. Faust. 23 c) R e s o n a n z ü b u n g e n werden mit stimmhaften Konsonanten und Vokalkombinationen durchgeführt. Besonders Summübungen mit Nasalen sind hier geeignet. — Bei jeder Übung unbedingt den Atemrhythmus (passiv aus — tief füllen — Bereitschaftshaltung — stützende Luftabgabe) beachten ! Ζ. B.: m,n in Tönen der unteren Mittellage lang halten (aber nur so lange, wie man ein locker-gefülltes Gefühl hat) — lockere Kiefer — kit" P a n c o n c e l l i - C a l z i a : D i e S t i m m a t m u n g . D a s N e u e — das A l t e ; N o v a Acta L e o p o l d i n a 18, Leipzig 1956, S. 28. 20 A . a. O . , S. 19 ff. 21 F. G e r a t h e w o h l : Richtiges Deutschsprechen — ein sprechkundliches Übungsbuch; 8. Aufl., H e i d e l b e r g 1955, S. 14 f. 22 R . Bode: Ausdrucksgymnastik; München 1925. 23 A . a. O . ; S t u t t g a r t u. Leipzig 1939.
II. Stimmbildung
29
zelndes Vibrationsgefühl im Lippenbereich und um die Nasenflügel ist zu verspüren; m, η in Gleittönen (von oben nach unten) ; m, η in Schwelltönen (leise — lauter — leise) oder Gleitton mit Schwellton (hoch, leise —» lauter, tiefer) ; m-n-rj aneinandergehängt zum Klingen gebracht — vom m über das η zum y und wieder zurück. Eine dem Kauen ähnliche, aber locker geführte Bewegung entsteht dabei. — Halten des Vibrationsempfindens. — Abwandlung der Übung wie in den vorhergehenden Beispielen; Nasalkombination mit Vokalwechsel (unter den gleichen Bedingungen wie in den vorhergehenden Übungen: nan — nan . . J mom — mom . ../ nama anam .. J no — ne — na . . . usw. Weitere Resonanzübungen bei Wängler 24 , Winkler 25 und Wolf/Aderhold. 26 d) Übungen zum S t i m m e i n s a t z : Beim Einüben des weichen Einsatzes kommt es ganz besonders auf das exakte Zusammenspiel von Atemführung, Stimmlippenbewegung und auf die Form des Ansatzrohres an. Gerade hier ist eine Reihe von'bewährten Übungsmethoden entwickelt worden. Eine nähere Beschreibung von Einsatzübungen nach den verschiedenen Methoden geben Wolf/Aderhold. 27 Auch die „Weitungsübungen" bei Wängler 28 sind sehr zu empfehlen. — Hier nur ein Hinweis darauf, wie gewohnheitsmäßig harter Stimmeinsatz abgeübt werden kann: 21 2:
A . a. O . , 1966, S. 78 if.
C h r . W i n k l e r : Sprechtechnik f ü r Deutschschweizer; Bern 1934, S. 28 ff. u. 39 ff. 28 A . a. O . , S. 33 ff. — H i e r w e r d e n vor allem Übungsbeispiele aus der sog. „ K a u m e t h o d e " gebracht. — V g l . : M. O r t h m a n n : Sprechkundliche B e h ä n d ' lung f u n k t i o n e l l e r S t i m m s t ö r u n g e n ; H a l l e 1956. 27 A . a. O . , S. 37 ff. 28 A . a. O . , 1966, S. 83 ff.
30
Α. Sprechbildung
Man setzt zunächst am besten mit stimmhafter Konsonanz ein: ζ. B. wa — we — wi — wo — wu — wau — wei. . . oder entsprechend mit stimmhaftem s oder mit η usw. — Von dieser Einstellung aus gelingt es meist, den weichen Einsatz auch auf den Vokaleinsatz zu übertragen. In ganz hartnäckigen Fällen empfiehlt sich ein kurzes Vorschieben eines h, das immer mehr verkürzt wird, bis der folgende Vokal genau, aber leicht und elastisch einsetzt. Daraus darf sich aber in keinem Falle ein Verhauchen entwickeln. e) A n s a t z ü b u n g e n : Wichtig ist dabei vor allem die Einübung der Lautgriffe nach vorne hin bei möglichst großer Weitung der Kehle. Hilfreich ist hier zunächst die Bewegung des sogenannten Höflichkeitsgähnens: bei geschlossenem Mund wird die Luft gähnend durch die Nase eingezogen — der Kehlkopf senkt sich, die Kehle weitet sich. Diese geweitete und gelockerte Ausgangshaltung empfiehlt sich auch bei Resonanz- und Einsatzübungen. — Als Vorübung hat auch die sogenannte „PleuelÜbung" eine recht günstige Wirkung: die Zungenspitze liegt hinter den unteren Schneidezähnen, der Zungenkörper wird vorgeschnellt und dann wieder in die Ausgangslage zurückgenommen. Bei allen Ansatzübungen ist immer wieder eine Kontrolle der Zungenlage durchzuführen (möglichst weit vorn, mit der Spitze an den unteren Schneidezähnen). Die folgenden Beispiele f ü r Ansatzübungen bauen auf der Erkenntnis auf, daß ein Laut von seinen Nachbarlauten in seiner Bildungsart und seiner Bildungsstelle beeinflußt wird. Um das Nach-vorne-Greifen der Laute zu verstärken, übt man daher am besten mit Lautverbindungen aus den vorderen beiden Artikulationsgebieten. So ist es möglich, die Bewegungstendenz der Artikulation allmählich nach vorne zu verschieben. ζ. B. bi — be — ba — bo — bu — bä — bö — bii — bau — beu . . . ni — ne .. . usw. oder döto, doto . . . papa, papa . ..
III. Lautbildung
31
schischu, schiscbu . . . usw. oder pli, pie, pia . .. plim, plarn, plum... usw. (beliebig nach dem oben geschilderten Prinzip kombiniert). Die Folgelaute müssen lückenlos aneinander angeschlossen werden. Sie können entweder in einer Tonhöhe oder auf Gleitton bzw. Schwellton artikuliert werden. Auch Annäherung an den Sprechtonfall (größere Variation in Lautheitsund Höhenunterschieden) ist hier möglich. Weitere Ansatzübungen vor allem bei Wängler. 2 9
III. Lautbildung In den beiden vorhergehenden Kapiteln wurden der Anteil und die Bedeutung der Atmung und das Entstehen des Stimmtones als Voraussetzungen f ü r das Zustandekommen des menschlichen Stimmklanges erläutert. Hier soll nun der Vorgang geschildert werden, der das Wesen der menschlichen Sprechsprache ausmacht: die Bildung der verschiedenen Sprachlaute. Wenn dabei vorübergehend kaum noch Hinweise auf Atmungsvorgang und Stimmklangbildung erfolgen, so bedeutet das keinesfalls, daß die Lautbildung ein von den beiden Grundfunktionen unabhängiger Vorgang ist. Auch hier handelt es sich um einen Teil des ganzheitlichen Gestaltungsablaufes, der in engem Funktionszusammenhang mit den anderen steht. Im Kapitel über die Stimmklangbildung wurde schon auf die Bedeutung des Ansatzrohres und seine Fähigkeit, verschiedene charakteristische Formeinstellungen durchzuführen, als Bedingung f ü r die Lautung hingewiesen. Dort wurde auch die dem Deutschen typische Lautungsgrundlage beschrieben: die Ausgangshaltung der Organe des Ansatzrohres, von der der Bewegungsablauf der Artikulation ausgeht oder ausgehen sollte, wenn Stimmgesundheit und Lautreinheit angestrebt werden. 25
A. a. O . , 1966, S. 86 ff.
32
Α. Sprechbildung
1. Buchstabenwert und Lautwert Zunächst muß festgestellt werden, daß die Beziehung zwischen Buchstabenwert und Lautwert immer wieder zu Mißverständnissen führt. Man spricht ζ. B. von der „Aussprache" des Deutschen mit der Vorstellung, es handele sich dabei darum, die schriftlich niedergelegte Abfolge von Buchstaben beim Sprechen laut werden zu lassen. In Wirklichkeit ist aber das Schriftbild nur ein sehr unvollkommenes, oft verwirrendes Abbild der Lautungsvorgänge. Zwar ist im Deutschen die Entsprechung von Lautwert und Buchstabenwert erheblich größer als etwa im Englischen oder Französischen, doch die Abweichungen sind noch recht groß. Die Entwicklung der Schriftsprache folgte ganz anderen, sprechfernen Gesetzlichkeiten und Ubereinkünften, die hier nicht näher erläutert werden müssen. Ein H a u p t g r u n d f ü r die Diskrepanz zwischen Buchstabe und Laut ist darin zu sehen, daß man die Buchstaben der lateinischen Sprache, die ja nur für diese selbst galten, übernahm, ohne daß neue, spezifische Zeichen f ü r den deutschen Lautstand entwickelt wurden. Ein paar Beispiele sollen den Unterschied zwischen Buchstabenwert und Lautwert verdeutlichen: das ch ist Zeichen für zwei verschiedene Laute (für den hellen ich-Laut und für den dunklen ach-Laut) und hat mit dem sonstigen Klang der beiden Buchstaben c und h nichts mehr zu tun; das 5 klingt verschieden in den Wörtern es, Besen und Stern; die Buchstabenverbindung ng wird immer als einheitlicher Nasallaut [η] gesprochen; in dem Wort zerlegen haben alle drei e verschiedenen Lautwert; der gleiche Buchstabe a in sagen und Sack klingt in beiden Wörtern verschieden. Da also unsere Schriftzeichen nicht ausreichen, um den bei weitem vielfältigeren Lautstand unserer Sprache wiederzugeben, wurden verschiedene Systeme von phonetischen Umschriften entwickelt, von Lautschriften, die die einzelnen Lautwerte genauer bezeichnen. Die heute am häufigsten gebrauchte und am weitesten verbreitete Umschrift ist die
III. Lautbildung
33
internationale Lautschrift (IPA). Die f ü r die Aussprache des Deutschen maßgeblichen Aussprachewörterbücher, der der SIEBS 3 0 und der D U D E N - B a n d VI 3 1 , geben bei der Darstellung der Ausspracheregeln u n d der Beispiele den Lautstand mit dieser Umschrift wieder. Jeder, der sich über Ausspracheregeln informieren möchte, sollte diese L a u t schrift lesen können. Auch wir verwenden sie in unseren Ausführungen. Ein schriftliches Fixieren des Lautstandes m u ß aber mehr oder weniger unvollkommen bleiben. Z u r ganz genauen Demonstration von Lautwerten k a n n man heute ja die elektro-akustische Schallaufnahme einsetzen, die am besten geeignet ist, den Gesamtklang festzuhalten u n d wiederzugeben. D a h e r werden Bücher, die sich der Aussprache widmen, heute auch in zunehmendem M a ß e durch entsprechende Plattenbeispiele akustisch illustriert 3 2 . 2.
Koartikulation
Wenn die Bildung einzelner Laute einer Sprache beschrieben und ihr Lautstand e r f a ß t werden soll, ist noch eine andere Erscheinung zu beachten, die beim Bewegungsablauf der Artikulation a u f t r i t t . Im Schriftbild folgt ein Buchstabe dem anderen. Die Reihe ist deutlich voneinander abgesetzt und unterschieden. Aus dem Nacheinander verschiedener Schriftzeichen ergeben sich Silben und Wörter. Beim Sprechen gehen die Artikulationsbewegungen ineinander über. Die Artikulation eines Lautes w i r d beeinflußt von der des vorhergehenden oder des folgenden Lautes. Wir nennen diesen Vorgang K o a r t i k u l a t i o n . 30 Siebs: Deutsche Hochsprache (Bühnenaussprache); hrsg. v . H . de Boor u. P . Diels, 18. Aufl., Berlin 1961. 31 D U D E N — Aussprachewörterbuch; bearb. v. M. M a n g o l d u. P . Grebe, M a n n h e i m 1962. 32 C . u. P . M a r t e n s : P h o n e t i k der deutschen Sprache; 1. praktische Aussprachelehre, München 1961; 2. Übungstexte zur deutschen Aussprache, M ü n chen 1962; 3. Deutsche Aussprache (Schallplatte), München o. J . — H . - H . W ä n g l e r : G r u n d r i ß einer P h o n e t i k des Deutschen, m i t einer allgemeinen E i n f ü h r u n g in die P h o n e t i k ; m i t einer Sprachplatte, M a r b u r g 1960. — J . Jesch: SIEBS Deutsche Hochsprache, 3 Schallplatten, Berlin 1965.
2
Jesch,
Sprecherziehung
34
Α. Sprechbildung
Die W i r k u n g der K o a r t i k u l a t i o n haben wir uns schon bei den Übungen zum Stimmansatz zunutze gemacht (s. S. 30). Die Artikulation ist also nicht als Summe von Einzeleinstellungen und -bewegungen anzusehen, sondern als ein miteinander verwobenes Geflecht von Dauerbewegungen. Es ist daher nicht sinnvoll, ja gar nicht möglich, die Bildung eines Lautes losgelöst v o n seinen Nachbarlauten zu beschreiben. Seine Q u a l i t ä t u n d Q u a n t i t ä t sind abhängig von der Koartikulation. So k a n n m a n ζ. B. nicht sagen, wie ein unbedingt richtiges offenes u zu sprechen ist. Die Wörter und, Hund, Mutter und Druck haben z w a r alle ein kurzes, offenes u, aber alle vier sind nach ihrem Bildungsort u n d entsprechend der Bildungsart der vorhergehenden wie der folgenden Lautverbindungen verschieden. Wir können daher in der Beschreibung der Lautbildung und bei den anschließenden Übungsbeispielen nicht von absolut richtigen Lautwerten, sondern n u r von Annäherungswerten ausgehen. 3. Vokale
und
Konsonanten
Zunächst wollen w i r einige typische Merkmale der Vokale u n d Konsonanten herausstellen, die die U n t e r scheidung der Laute voneinander ermöglichen. W i r folgen in dieser Beschreibung, deren Kenntnis f ü r den Einsatz der Lautbildungsübungen wichtig ist, im wesentlichen der von H . - H . Wängler 3 3 getroffenen Einteilung. Laute können unterschieden werden nach ihrem Artikulationsort, nach dem O r g a n , das die Artikulation ausführt, und nach der A r t der Artikulation. Artikulationsort: Lippengebiet — 1. Lippenlaute (p)u, 2. Lippen-Zahnlaute ( f ) 33
H . - H . W ä n g l e r : A t l a s d e u t s c h e r S p r a c h l a u t e ; 2. A u f l . , B e r l i n 1961. W i r b e s c h r ä n k e n u n s h i e r auf d i e N e n n u n g eines B e i s p i e l l a u t e s . E i n e a u s f ü h r l i c h e r e D a r s t e l l u n g f o l g t a u f S. 33. 34
III. Lautbildung
35
Vorderzungengebiet — 1. Zahnlaute (t), 2. Zahndammlaute (n), 3. Laute am harten Gaumen (sch) Hinterzungengebiet — 1. Laute am weichen Gaumen (k), 2. Zäpfchenlaute (r), 3. Rachenlaute (ach-L&ut). Artikulierendes Organ: Lippen; vordere, mittlere und hintere Zunge; A r t der A r t i k u l a t i o n : Öffnung, Enge, Verschluß, Nasalität, Art und G r a d der Stimmhaftigkeit. Die
Vokale
Kennzeichen aller Vokale ist ihre Stimmhaftigkeit. Die Zungenspitze bleibt in Kontakt mit den unteren Schneidezähnen, der Nasenraum ist vom Gaumensegel fast verschlossen. Die Vokale unterscheiden sich durch die unterschiedliche Mundöffnung, die Art der Lippenstellung und die Bewegung des Zungenrückens. Für die Sprecherziehung, bei der die jeweils mögliche Bildungsstelle von Interesse ist und die Hervorbringung des Lautes charakterisiert werden muß, bietet sich die vereinfachende Darstellung der Vokallautung nach der jeweiligen Zungenbewegung an. Danach können wir die Grundvokale in drei Gruppen einteilen: die Vorderzungen vokale (ä, ö, i, e, ä), die Mittelzungen vokale (a,Murmel-d) und die Hinterzungenvokale (u und o). Die „Richtungstendenz" der ganzen Zunge wird in einem für die Sprecherziehung sehr brauchbaren Schema von Wängler dargestellt 3 5 . Hier werden das Gaumengebiet und die Bewegung des Zungenrückens (von vorne nach hinten — entsprechend von links nach rechts) in der Abbildung 7 gezeigt. Die Umschrift der im Schema dargestellten Vokale und Umlaute gibt weitere Unterscheidungsmöglichkeiten a n : die Unterscheidung in offene und geschlossene sowie in kurze 35
2*
A t l a s deutscher S p r a c h l a u t e ; a . a, O . , S. 3 4 .
36
A. Sprcchbildung 9
und lange Lautungsformen. Diese Unterscheidung reicht allerdings bei den e-Lauten, wie wir zeigen werden, nicht aus. Beim a-Laut können wir in der Praxis von der bei Wängler angeführten Trennung zwischen einer offeneren und einer geschlosseneren Form absehen 36 . In der Hochlautung treten die vier Unterscheidungsmerkmale meist in der Kombination lang-geschlossen und kurz-offen auf. Auf Besonderheiten im Schwierigkeitsgrad und in der Bildungsweise einiger Vokale, Umlaute und Diphthonge soll in einem speziellen Abschnitt eingegangen werden. Die Konsonanten Während die Vokale als stimmhafte öffnungslaute bezeichnet wurden, entstehen die Konsonanten dadurch, daß dem Atemstrom im Ansatzrohr Hemmstellen, Verengungen oder Verschlüsse als Widerstand entgegengesetzt werden. Formung der Lippen, Einstellung der Zahnreihen, Bewegungen der Zunge und des Gaumens sind auch hier Voraussetzungen für die Bildung der charakteristischen Geräusche und Klänge. Die Konsonanten sind für die Deutlichkeit und für die Tragfähigkeit der Sprechstimme von größter Bedeutung. Sie sind zwar nicht so schallstark und modulationsfähig wie die Vokale, Umlaute und Diphthonge, aber sie geben diesen den notwendigen H a l t ; sie bilden sozusagen ein variables Gerüst, das die Vokalklänge umfaßt. Durch die38
S. auch SIEBS, a. a. O . , S. 36.
37
III. Lautbildung
Stir Cirihaft lo!
Lippengebiet
m
b
Ρ
pf
V
Vorderzungengebiet
η
d
t
ts
zj
Hauchlaut
Stimmhaft 1 los
Reibelaute
Fließlaute
Verschlußlaute
beriebenc Verschlußlautc
Nasenlaute
sen wechselnden Halt wird der Lautstrom gegliedert und akzentuiert. Eine Großgliederung der Konsonanten nach ihrer akustischen Eigenschaft in zwei Gruppen ergibt sich, wenn man sie nach ihrer Stimmhaftigkeit bzw. Stimmlosigkeit einteilt. Stimmhaft sind die Konsonanten, bei denen zur Verschluß- oder Engenbildung die Stimmlippen in Tätigkeit treten. Stimmlos dagegen sind die, bei denen während der charakteristischen Formveränderung des Ansatzrohres die Glottis geöffnet bleibt. Auch bei der Kennzeichnung der Konsonantenbildung können wir für die sprecherzieherische Praxis bei der vereinfachenden Gliederung der Artikulationsgebiete in drei typische Bereiche bleiben: dem Lippengebiet, dem Vorderzungengebiet und dem Hinterzungengebiet. Bildungsstelle und Bildungsart der Konsonanten im Deutschen werden im folgenden Schema37 übersichtlich dargestellt:
f I, S 1 ' r ç
h
»
Hinterzungengebiet
5
g
k
X
R
Wie bei den Vokalen verzichten wir darauf, die Bildung jedes einzelnen Konsonanten genau zu beschreiben. Den Interessenten verweisen wir auf das hervorragende Bild37 C h . W i n k l e r : Deutsche Sprechkunde und Sprecherziehung; a. a. O . , S. 210 (leicht v e r ä n d e r t ) .
Α. Sprechbildung
38
material, das H.-H. Wängler in seinem „Atlas deutscher Sprachlaute" veröffentlicht und kommentiert hat. Hier werden für die Bildung aller deutschen Sprachlaute die typischen Lippenstellungen, die Form des Ansatzrohres und der Abdruck der Zunge am Gaumen während der Bildung des Lautes wiedergegeben. Einige Besonderheiten und die häufigsten Fehlformen in der Lautbildung der deutschen Aussprache sollen im folgenden Abschnitt beschrieben werden.
4. Besondere
Schwierigkeiten
in der
Bildungsweise
Beurteilungskriterien bei der Darstellung besonderer Schwierigkeiten und möglicher Fehlformen sind einmal stimmhygienische und zum anderen klangästhetische Gesichtspunkte, wie sie im SIEBS und im DUDEN zur Begründung der hochsprachlichen Norm angegeben sind.
Vokale
a
Der Mittelzungenvokal a bietet in Sprecherziehung und Stimmbildung die größten Schwierigkeiten. Schon die Bezeichnung „Mittelzungenvokal" ist nur eine sehr ungenaue Umschreibung, denn dieser Vokal kann nur mit flacher Zungenlage und verhältnismäßig großer Kieferöffnung richtig gebildet werden. Die Form des Ansatzrohres bei der Bildung des a ist — bis auf die Weitung und Öffnung — wenig typisch; es gibt keine besondere Hemm- oder Formungsstelle, an der sich der Sprecher orientieren könnte (wie etwa die deutliche Lippenstülpung bei o und u). Daher finden wir hier auch die meisten Fehlformen. Fast alle Mundarten haben eine typische Deformierung des α (ζ. Β. Gutturalisierung: Hebung der Hinterzunge und dadurch Verdumpfung zum Knödelklang im Bayrischen — „Wos host g'sogt?"; oder Palatalisierung: Hebung der Vorderzunge und dadurch Aufhellung zu einem flacheren oder breiteren Klang im Norddeutschen — „eine ängenehme Läge").
III. Lautbildung
39
A b e r nicht nur in M u n d a r t e n und in mundartlich gef ä r b t e r Umgangssprache w i r d das a häufig falsch gebildet. D e r K l a n g des a bei einzelnen Sprechern ist für den Sprecherzieher ein wichtiger H i n w e i s darauf, ob Fehler im S t i m m ansatz vorliegen und wodurch sie verursacht werden. G e rade die gewohnte Bewegungstendenz der Zunge ist bei der Bildung dieses Lautes sehr schnell am K l a n g zu hören. — Bei den Ü b u n g e n zum a - L a u t ist a u f eine möglichst flache Zungenlage und auf das ständige E i n h a l t e n des Zungenk o n t a k t e s mit den unteren Schneidezähnen zu achten. e 1. 2. 3. 4.
I n der H o c h l a u t u n g unterscheiden w i r vier e - L a u t e : das lange geschlossene [ e : ] (ewig, fehlen, schwer), das lange offene [ ε : ] (zählen, Käse, spät), das kurze offene [ ε ] (Esche, Wäsche, messen), den M u r m e l l a u t [ a ] (Vorsilben he-, ge-; Endsilben
-el, -em, -en).
-er,
B e i der Bildung dieser verschiedenen e - L a u t e ist eine Fülle v o n F e h l f o r m e n zu beobachten, die sich aus der historischen Entwicklung dieser Laute, aus der verschiedenen Schreibweise, aus der Beeinflussung der L a u t u n g durch das Schriftbild und aus herrschenden Sprechmoden oder verbreiteten Nachlässigkeiten erklären lassen. — W i r sagen nur kurz, wie die häufigsten F e h l f o r m e n vermieden werden können: Z u 1. D a s lange geschlossen [ e : ] d a r f nicht zu sehr verengt und aufgehellt werden (nicht lieben statt leben); es d a r f aber auch nicht zu offen gesprochen werden (Ehre nicht
wie Ähre).
Z u 2. D a s lange offene [ ε : ] d a r f nicht geschlossen gesprochen werden (nicht Seele statt Säle). Z u 3. D a s kurze offene [ ε ] hat fast dieselbe Lautbildung wie das lange offene [ ε ι ] . K u r z e s geschriebenes e f ä l l t in der L a u t u n g mit dem kurzen geschriebenen ä zusammen (also Felle wie Fälle). D a b e i ist eine Aussprache zu ver-
40
Α. Sprechbildung
meiden, die sich dem «-Laut nähert (also hätte nicht wie hatte). Zu 4. Der Murmelvokal [θ] ist zwar sehr tonschwach, er wirkt aber noch als Klangträger von unbetonten Silben. Hier ist darauf zu achten, daß im Bestreben, deutlich zu sprechen, die schwachtonigen Vor- oder Nachsilben nicht auf einmal übermäßig verstärkt und aufgehellt werden (nicht [behalten], sondern [bghaltan]). Der häufigere Fehler ist aber hier, daß aus Nachlässigkeit dieser Murmelvokal überhaupt nicht mehr gesprochen wird (also statt entgegensehen etwa entgegnsen). Deutlichkeit der Artikulation und Tragfähigkeit des Sprachklanges werden durch diesen weit verbreiteten Fehler empfindlich beeinträchtigt. o, u Der reine Klang der o-Laute und der u-Laute wird häufig durch zu schwache Lippenbewegung verändert. Hier ist eine deutliche Lippenstülpung und -rundung notwendig. ei, au, eu Die Diphthonge ei, au, eu werden häufig — besonders in einzelnen Mundarten — übermäßig gedehnt oder auseinandergezogen. In der Hochlautung sollen sie fast wie ein Laut in einere kurzen Gleitbewegung gesprochen werden. So entsteht ei (ai, ey, ay) durch eine Gleitbewegung vom a zu einem sehr kurzen geschlossenen e [a —» e] ; das au durch eine entsprechende Bewegung vom a zu einem sehr kurzen geschlossenen o [a —» o] ; das eu (äu) durch ein Gleiten vom offenen o zu einem sehr kurzen geschlossenen ö [o-> 0 ] . Vokaleinsatz Schwierigkeiten und Ungenauigkeiten treten erfahrungsgemäß auch bei den vokalischen Silbenanlauten auf. Daher sei noch einmal darauf hingewiesen, daß alle Vokale im Anlaut eines Wortes oder einer Silbe neu, aber leicht und
III. Lautbildung
41
ohne Knackgeräusch (Glottisschlag) eingesetzt werden müssen (also nicht Ver ein oder über all, sondern Ver ein und über all — oder nicht mit offenen Armen aufnehmen, dern mit 'offenen 'Armen
son-
'aufnehmen).
Konsonanten r In der Hochsprache stehen das Zungen-r und das Z ä p f chen-r gleichberechtigt nebeneinander. Ursprünglich gab es im Deutschen nur das Zungen-r. Erst später, unter dem Einfluß des Französischen, entstand als Ersatzbildung das Zäpfchen-r, das heute in der Umgangssprache sehr weit verbreitet ist. Gegen das Zungen-r wird häufig eingewandt, es sei zu umständlich in der Bildung, behindere den natürlichen Fluß des Sprechens und klinge überhaupt zu „dramatisch". Selbst auf der Bühne wird heute das Zungen-r weitgehend vermieden. Dagegen ist zu sagen, daß das richtige Zungen-r, bei dem die Zungenspitze nur etwa 2—3mal anschlägt, durchaus nicht den Sprechfluß stört und daß es dem Z ä p f chen-r auf jeden Fall aus stimmhygienischen Gründen vorzuziehen ist (es unterstützt im Lautungsablauf den „Griff nach vorne"). Stimmschädigende Fehlformen und auch klangliche Verfärbungen treten dagegen beim Zäpfchen-r sehr leicht auf. Vor allem ist darauf zu achten, daß es nach kurzem Vokal nicht zum gutturalen Reibelaut — zum ach-Laut — wird (also dort nicht wie Docht) .und daß es nach einem Vokal nicht vokalisiert wird (z. B. nicht Vadeaba, sondern Verderber). ng Die Buchstabenverbindung ng bzw. nk ist als einheitlicher Nasal zu sprechen (also [lar)] oder [baijk] und nicht [lank] oder [bank]).
42
A. Spredibildung h
Das h als Hauchlaut (ohne Reibegeräusch) wird nur im Anlaut vor betontem Vokal und in den Silben -hafl und -heit gesprochen (Herz, herzhaft, Hoheit). Das sogenannte Dehnungs-^ bleibt stumm (nahe = [na:a], sehen = [zeian], Ehe = [eia]). Man hört das Dehnungs-Ä oft, wenn sich ein Sprecher — in Anlehnung an das Schriftbild — bemüht, besonders schön oder deutlich zu sprechen. s Beim s-Laut sind die meisten Fehlbildungen (Sigmatismen) zu beobachten. Die Sigmatismen (Formen des Lispeins) werden einmal dadurch verursacht, daß das 5 eine sehr genaue Einstellung der Zunge verlangt, und zum anderen dadurch, daß Kinder erst nach dem Zahnwechsel die richtige Bildungsweise lernen. Außerdem hängt sein richtiger Klang (möglichst hoch, fein und spitz) davon ab, welche Formeinstellungen die notwendigen Organe des Ansatzrohres — die Lippen, die Zahnreihen und die Zunge — durchzuführen in der Lage sind. Wir nennen hier nur die zwei wichtigsten Artikulationsweisen des richtigen 5-Lautes: einmal mit der Zungenspitze hinter den unteren Schneidezähnen; der Luftstrom wird dabei durch eine Längsrille des Zungenrückens in die vordere Enge zwischen Zahndamm, Schneidezähnen und Zungenspitze geblasen. Zum anderen kann aber auch die Zungenspitze hinter den oberen Schneidezähnen liegen, und so die Luft an die Engstelle geführt werden. Bei beiden 5-Formen sind die Lippen wie beim Lächeln leicht geschürzt. Das stimmhafte 5 wird in derselben Artikulationsstellung wie das stimmlose mit Stimmton gesprochen. Stimmhaft ist der s-Laut vor Vokalen und zwischen stimmhaften Lauten zu sprechen (singen, Wiese, langsam). Die vorwiegenden Fehleinstellungen, die zum Lispeln führen, sind: a) starkes Anstemmen der Zungenspitze an die Zähne, b) die Zungenspitze drängt sich zwischen die
III. Lautbildung
43
Zahnreihen, c) die Luft wird über den Zungenrücken nicht nach vorne, sondern seitlich an eine Reibeenge geführt. 3 8 sch Der 5cÄ-Laut wird in vielen Mundarten verändert. Auch Lippenträgheit führt hier zu Unreinheiten. Er soll immer dunkel und voll mit kräftiger Lippenstülpung und löffeiförmig angehobener Zungenspitze gesprochen werden. Der zc/j-Reibelaut (Zungenspitze unten und Lippenbreitzug) muß deutlich vom sch unterschieden werden (Kirsche nicht wie Kirche; Löscher nicht wie Löcher). st und sp sind in der Hochsprache im Anlaut immer [ J t ] bzw. [ J p ] zu sprechen (Stein, Spiel), im In- und Auslaut dagegen immer wie [st] bzw. [sp] (Rast, Raspel). Die Verschlußlaute p, t, k — b, d, g Die stimmlosen und stimmhaften Verschlußlaute werden mundartlich (besonders in mitteldeutschen Mundarten) sehr oft verändert oder miteinander verwechselt. Allgemeine Laschheit der Artikulationsbewegungen macht sich hier stark bemerkbar und beeinträchtigt die Verständlichkeit, denn die Verschlußlaute bilden einen wesentlichen Bestandteil des Lautgerüstes im Artikulationsablauf. Die stimmlosen Verschlußlaute p, t, k sind mit kräftiger Verschlußsprengung zu sprechen. Sie sind im Anlaut vor betontem Vokal wie im Auslaut scharf, aber kurz behaucht. Die stimmhaften Verschlußlaute b, d, g sind im Silbenanlaut stimmhaft zu sprechen, d. h. der lockere Verschluß wird stimmhaft gelöst; im Auslaut dagegen werden sie stimmlos, verhärtet und behaucht wie die stimmlosen Verschlußlaute. Folgt aber dem so verhärteten Verschlußlaut eine Silbe, die mit stimmhafter Konsonanz anlautet, so fällt die Verschlußsprengung nicht mehr so stark aus (graben — Grab/Grabmal; bilden — Bild!Bildnis). Die -ig geschriebene Silbe im Auslaut wird nicht gesprengt, sondern wie ich gesprochen; folgt dem -ig aber ein 38 Vgl. H . Krech: Die Behandlung gestörter S - L a u t e / Sprechkundliche Beiträge zur T h e r a p i e der Sigmatismen; H a l l e 1955.
44
Α. Sprechbildung
Vokal oder ein zweiter ich-Laut in der nächsten Silbe, so bleibt das g Verschlußlaut (ewig, Ewigkeit, aber ewige, ewiglich). Lautangleichungen Wir haben schon darauf hingewiesen (S. 33 f.), wie sehr im gesamten Artikulationsablauf die Laute und Lautverbindungen durch ihre lautliche Nachbarschaft beeinflußt werden. Das trifft nicht nur f ü r die einzelne Silbe oder das einzelne Wort zu, sondern die Koartikulation kann sich im gesamten Ausspruch auswirken. Gerade Wortblöcke (s. S. 64) werden auf diese Weise artikulatorisch zusammengefaßt. In nachlässiger Alltagssprache kann das verheerende Folgen f ü r die Verständlichkeit haben. Auf der anderen Seite wirkt es starr und unnatürlich, wenn Lautangleichungen strikt vermieden und die Silben und Wörter buchstabengetreu nebeneinandergesétzt werden. Gerade f ü r die Wortund Silbengrenzen werden daher mögliche Lautangleichungen in der Hochsprache zugelassen, um bei aller Deutlichkeit und Klangreinheit ein Höchstmaß an natürlichem Redefluß zu ermöglichen: a) Beim Zusammenstoß verschiedenartiger Verschlußlaute darf keiner ausfallen; beide werden gesprengt und behaucht ( A b t also nicht [at], sondern [apt]). b) Stoßen in zusammengesetzten Wörtern an der gleichen Stelle gebildete Konsonanten zusammen, so werden diese Laute nicht getrennt, sondern verbunden, aber nicht zusammengezogen (Stadttor, Rückkehr, Schiffahrt, Waschschüssel; grob beschimpfen, viel leisten). c) Folgt einem stimmlosen Laut ein gleich gebildeter stimmhafter, so setzt an der Silbengrenze mit dem neuen Atemdruck der Stimmton ein. Beide Laute behalten zwar ihre Qualität und Quantität, werden aber nicht voneinander getrennt (und da, das Schiff wenden, den Preis senken).
III. Lautbildung
45
d) In festen Lautverbindungen von Verschlußlauten und Reibelauten wird nicht auf Hauch, sondern auf den Reibelaut gesprengt (Pferd, Zoll, Matsch, Echse, Hexe, Qual, Raps). e) Treffen verschiedenartige Reibelaute zusammen, so fließt zwar der Atem ohne Absetzen weiter, doch wird an der Silbengrenze die Artikulationsstellung rasch und deutlich verändert (unnaussprechlich; weder Fisch noch Fleisch). 5. Lautbildungsübungen Der Ubungsstoff f ü r die Lautbildungsübungen ist nahezu unerschöpflich. Die große Anzahl der Ubungssammlungen entspricht dieser Tatsache. Wir werden einige davon nennen, deren sinnvolle Verwendbarkeit wir selbst erprobt haben. Ein solcher Hinweis genügt. Es ist nicht notwendig, hier eine neue Sammlung zusammenzustellen. Wir möchten nur darlegen, worauf es uns bei den Lautbildungsübungen ankommt, welche Übungsprinzipien und -methoden wir befürworten und welche wir nach den neueren sprechkundlichen Erkenntnissen ablehnen. Im vorhergehenden Abschnitt wurde auf einige Regeln der Hochlautung hingewiesen und angedeutet, welche richtigen Bildungsmöglichkeiten es f ü r einzelne Laute gibt. Eine absolute Richtigkeit in der Lautbildung ist aber gar nicht möglich oder erstrebenswert. Es kommt vielmehr darauf an, den einzelnen Laut so richtig auszusprechen, daß dadurch die klare Unterscheidung von Wortbedeutungen ermöglicht wird. Diese kleinsten Lautmerkmale, die zur Unterscheidung von Bedeutung dienen, nennt man in der Sprachwissenschaft P h o n e m e . So ergeben sich die unterschiedlichen Wortbedeutungen der Wörter lange, Länge, Lunge nur dadurch, d a ß sie durch die vokalischen Phoneme a, ä, u unterschieden sind. Konsonantische Phoneme sind die einzigen Unterscheidungsmerkmale der drei Wörter Sund, Hund, Mund.
46
Α. Sprechbildung
Jedes gute Übungsbuch wird auf diesem „phonematischen Gesichtspunkt" 39 aufbauen. Es wird Beispiele zusammenstellen, mit denen die unterscheidenden Merkmale einzelner Phoneme in der lautlichen Gegenüberstellung geübt werden können (ζ. B. Tür — Tier; heilen — heulen; Gabel — Kabel; Fechter — Wächter). Auch die Vorgänge der Koartikulation sollten in einem guten Übungsbuch an entsprechenden Beispielen bewußt gemacht werden, denn viele Schwierigkeiten, die der Hörer bei der Unterscheidung von Wortbedeutungen haben kann, ergeben sich aus der koartikulierenden Verflechtung von Lauten (ζ. B. heroisch reiten — heroisch schreiten; Fleisch haben — Fleisch schaben). Grundsätzlich sollte man Lautbildungsübungen nie mit einzelnen Lauten oder Silben durchführen, sondern gleich Wörter, Wortreihen, Wortblöcke oder ganze Sätze heranziehen, die wirklich eine Bedeutung haben und deren Sinn durch genaue Unterscheidung im Lautlichen herausgearbeitet werden muß. Die alte mechanistische Sprechtechnik exerzierte mit einzelnen Lauten oder sinnlosen Lautgruppen. Der technische Ablauf einzelner Laute wurde so lange für sich geübt, bis der Sprecher ihn beherrschte. Wir lehnen eine solche S p r e c h t e c h n i k als Selbstzweck ab, denn sowie ein so geschulter Sprecher zum sinn- und ausdrucksvollen Sprechen zurückkehren will, steht ihm seine gekünstelt oder unnatürlich klingende Aussprache im Wege, oder die alten Fehler tauchen wieder auf. Solche mechanistischen Übungen mit sinnleerem Textmaterial fügen sich nicht in den ganzheitlichen Vorgang des Sprechens ein und bleiben daher an der Oberfläche. — Wir raten in diesem Zusammenhang dringend von der Verwendung des sogenannten „Kleinen Hey" 4 0 ab, der heute immer noch sehr verbreitet ist und in dem die 3S H . G e i ß n e r : Sprechen in „Grundlagen der Schauspielkunst / bewegen, atmen, sprechen, fechten, s c h m i n k e n " ; H a n n o v e r 1965, S. 91. 40 J . H e y : D i e K u n s t der Sprache ( D e r kleine H e y ) ; M a i n z und Leipzig o. J .
47
III. Lautbildung
sinnleeren Zungenturnübungen noch zusätzlich pseudopoetisch verbrämt werden. Übungen mit nach bestimmten Gesichtspunkten zusammengestellten sinnlosen Laut- und Silbenreihen können aber in der Stimmbildung (s. S. 30 f.) oder in der Sprachtherapie (ζ. B. bei der Behandlung von Sigmatismen) gut eingesetzt werden. Sie sind hier als Vorübungen, als Hilfsmittel ohne Selbstzweck zu betrachten. Als technische Vorübung, zum Einsprechen und zur Steigerung der Geläufigkeit .kann man auch ab und zu sinnlose Lautscherze — wie etwa einzelne Zungenbrecher — verwenden. Dadurch erübrigen sich aber nicht die Übungen mit sinnvollen Texten. Wir nennen hier noch einige Verfasser von Übungsbüchern, die vorwiegend sinnbezogenes Übungsmaterial zusammenstellen 41 : V. Balser-Eberle, F. Gerathewohl, K.-L. H a r t h , Krumbach-Balzer, W. Kuhlmann, F. Lockemann, I. Weithase, Ch. Winkler, E. Wolf/E. Aderhold. 6. Gemeingeltung
und
Formstufe
Bei der Beschreibung der Lautbildung sowie ihrer Besonderheiten und Schwierigkeiten haben wir die „ideale N o r m " 4 2 der Hochlautung als Kriterium vorausgesetzt, ohne nähere Erläuterungen beizufügen. Am Schluß dieses Kapitels sollen daher noch einige Gesichtspunkte erörtert werden, die die G e m e i n g e l t u n g der Rede, d . h . ihre allgemeine Verständlichkeit betreffen, und die bei der Wahl der jeweiligen F o r m s t u f e , d. h. dem Grad der Annäherung an die Hochlautung, von Bedeutung sind. Wir gehen dabei nicht auf die Vielfalt der Sprachformen und -stufen ein, die sich aus dem Verhältnis von Schriftsprache und Mundart ergibt, sondern beschränken unsere Betrachtung auf die verschiedenen Lautungsformen in der gesprochenen Sprache. " D i e genauen Titel dieser Übungsbücher sind im Literaturverzeichnis mit dem Zusatz (O) angegeben. 12 D U D E N , a. a. O . , S. 28.
48
A. Sprechbiidung
Wir alle sprechen f ü r gewöhnlich in U m g a n g s l a u t u n g . Diese Lautungsform wird in den meisten Fällen im gesamten deutschen Sprachgebiet verstanden. Sie ist aber bei jedem einzelnen Sprecher von individuellen, regionalen und sozialen Eigenarten gefärbt und variiert, entspricht außerdem der jeweiligen Redelage (s. S. 53) und der Redeabsicht. Es gibt also eine unübersehbare Vielzahl von Formen der Umgangslautung. Jeder genaueren Beschreibung 43 sind sehr bald Grenzen gesetzt. Für unseren Zweck erübrigt sie sich. Es gibt verschiedene Richtungen, auf die sich die U m gangslautung, besser gesagt die Umgangslautungen, hin entwickeln können; sie sind abhängig von der Formungsfähigkeit und vom Formungswillen des Sprechers. Diese Richtungen sind durch die Begriffe M u n d a r t , H o c h s p r a c h e und G o s s e n s p r a c h e angegeben. Aber „kaum je einmal spricht der Deutsche reine Mundart, Hochsprache oder gar Gossensprache, sondern fast immer bewegt sich seine Rede zwischen diesen Typen: mehr oder minder gemeinsprachlich, mehr oder minder hochsprachlich. In diesem Mittelbereich der Umgangssprache bleibt alles gleitend und darum schwer faßbar". 4 4 Reine Mundarten (oder Dialekte) sind heute immer seltener zu hören. Die starke Vermischung aller Bevölkerungskreise (Nachkrieg, Verkehrsdichte, Lösung der Bodenständigkeit) und das lautliche Vorbild von Film, Funk und Fernsehen, das bis in den entferntesten O r t wirksam ist, haben dazu beigetragen, die reinen Mundarten zurückzudrängen. Ihre Reste leben weiter in den verschiedenen lautlichen und melodischen Färbungen der Umgangslautung. — Wir enthalten uns hier bewußt einer bewertenden Stellungnahme dieser Entwicklung vom Sprech- und spracherzieherischen Standpunkt aus und bleiben bei der bloßen Beschreibung der Formungstendenzen von der Umgangslautung aus. » S. D U D E N , a. a. O . , S. 42 ff. 44 C h . W i n k l e r : Deutsche S p r e d i k u n d e und Sprecherziehung; a . a . O . , S. 259.
III. Lautbildung
49
Den abwertenden Begriff „Gossensprache" können wir anwenden, wenn kaum noch ein Formungswillen in der Lautung zu hören ist, wenn Trägheit und Nachlässigkeit in der Artikulation die Verständlichkeit übermäßig stark beeinträchtigen. Vor allem der schon beschriebene Vorgang der Koartikulation macht sich hier negativ bemerkbar. D a ß zur Bezeichnung dieser Unterform ein abwertender Begriff verwendet wird, läßt deutlich werden, wie sehr allgemeine Verständlichkeit, also Gemeingeltung, als erstrebenswertes Ziel angesehen wird. Diese Unterform ist auch meist ein Zeichen f ü r die Unfähigkeit des betreffenden Sprechers, in einer entsprechenden Redelage (ζ. B. öffentliche Rede oder Dichtungsvortrag) eine höhere Formstufe der Lautung anzusetzen. U m nun eine „ideale N o r m " f ü r die größte Gemeingeltung und die höchste Formstufe aufstellen zu können, war es nötig, eine allgemein gültige Regelung zu treffen, die zwar keinen Anspruch darauf erhebt, „die chaotische Vielfalt der wirklich gesprochenen Sprache widerzuspiegeln" 45 , sondern die ein Ziel, einen Orientierungspunkt für die Entwicklung der Umgangslautungen auf die Hochlautung hin angibt. Eine auf Allgemeinverständlichkeit und hohe Formstufe hinzielende Pflege der deutschen Aussprache wurde in der Geschichte der gesprochenen deutschen Sprache zuerst dort nötig, wo sich Sprecher mit anspruchsvollen Sprachwerken an einen weiteren Hörerkreis wandten: in der Verstragödie auf der deutschen Bühne der Klassiker. Aus dieser N o t wendigkeit heraus gab Goethe in seinen „Regeln f ü r die Schauspieler" (1803) auch Anweisungen dafür, wie eine solche „reine deutsche M u n d a r t " zu erlangen sei. Diese und andere Anregungen in seiner Zeit wurden aufgegriffen und weiterentwickelt 46 . 18 9 8 erschien zum ersten Male das von Th. Siebs und seinen Mitarbeitern in systematischer Arbeit zusammengestellte Buch „Deutsche Bühnenaussprache". « D U D E N , a. a. O . , S. 28. " S. I. W e i t h a s e : Z u r Geschichte der gesprochenen deutschen Sprache; 2 B d e . , Tübingen 1961.
50
Α. Sprechbildung
Man ging hier zwar zunächst von der Aussprache des Deutschen in der hohen Verstragödie auf der Bühne aus, um gültige und ausgleichende Regeln für die Bühne aufstellen zu können, 1922 wurde aber dem alten Titel der Untertitel „Hochsprache" hinzugefügt und damit das ausgesprochen, was seine Autoren von Anfang an beabsichtigt hatten, nämlich allgemein gültige, feste Anhaltspunkte und Richtlinien f ü r die Lautung des Deutschen zu geben. Die letzte Ausgabe von 1961 trägt den Haupttitel „Deutsche Hochsprache" und den Untertitel „Bühnenaussprache". Diese Entwicklung zeigt, wie sehr sich das Buch als verbindliches Aussprachewörterbuch der deutschen Sprache durchgesetzt hat. Der Titel ist zwar noch nicht eindeutig, denn der Begriff „Hochsprache" u m f a ß t ja Schriftsprache u n d Hochlautung, während sich das Buch nur der Hochlautung widmet. Das von M. Mangold bearbeitete Aussprachewörterbuch des D U D E N hält an den im SIEBS niedergelegten Normen fest und beschreibt nur in der Einführung einige Grundzüge einer „gemäßigten" Hochlautung. Dieser Punkt in der Entwicklung der deutschen Hochlautung wird sicher kein Endpunkt sein. In Fachkreisen wird weiter darüber diskutiert, ob und in welchem Maße der tatsächlichen Entwicklung der gesprochenen Sprache auf eine insgesamt niedrigere Form hin Rechnung getragen werden soll 47 . — Für die sprecherzieherische Praxis und für die Vertreter der redenden Berufe behält der SIEBS nach wie vor seine Bedeutung. Bei den sprecherzieherischen Lautbildungsübungen geht es darum, die Fähigkeit zu entwickeln, einmal möglichst allgemeinverständlich zu sprechen, und zum anderen, die der jeweiligen Redelage entsprechende Formstufe realisieren zu können. Die Wahl der Formstufe ist für den Lesenden von Stil und Ausdruck seiner Textvorlage abhängig. Ohne einen allgemein gültigen Orientierungspunkt, wie ihn die 47 Vgl. Beiträge zur deutschen Ausspracheregelung; hrsg. v. H . Kredi, Berlin 1961.
I I I . Lautbildung
51
Regeln der Hochlautung geben, wäre das nur sehr schwer möglich. Der häufig zu hörende Einwand, daß die Regeln der Hochlautung zu einem starren, unnatürlichen und unpersönlichen Sprechen anleiten 48 , wird gegenstandslos, wenn man sich immer wieder klar macht: es handelt sich dabei nicht um eine Reglementierung, sondern um eine hilfreiche Orientierung über die einzuschlagende Richtung von der jeweiligen Umgangslautung her. Unsere Skizze, die sich im Gegensatz zu einer ähnlichen Skizze von Ch. Winkler 49 jeder wertenden Darstellung enthält, soll noch einmal deutlich machen, in welche Richtungen sich die Lautungsformen von der Umgangslautung her entwickeln können. Formstufe und Gemeingeltung dienen dabei als Koordinaten. ^
GEMEINGELTUNG
48 D i e s e r V o r w u r f ist auch m e i s t gegenüber Sprechern z u h ö r e n , d i e nach M e t h o d e n mechanistischer „ S p r e c h t e c h n i k " a u s g e b i l d e t w u r d e n . 4 i C h . W i n k l e r : Deutsche S p r e c h k u n d e u n d S p r e c h e r z i e h u n g ; a . a . O . , S . 256.
Β. S p r e c h l e i s t u n g I. Der Ausspruch Nachdem wir im ersten Teil unserer Ausführungen die leiblichen Grundlagen der menschlichen Rede erläutert haben, sollen nun ihre Funktion und Wirkungsweise als Mittel geistiger und psychischer Kommunikation betrachtet werden. Die lange Entwicklung des Sprachgebrauches, die in ständigem Fluß bleibt, hat dazu geführt, daß einem Sprecher in jeder Sprachgemeinschaft eine Fülle von Grundformen, ein Zeichensystem von Wörtern und syntaktischen Mustern, zur Verfügung stehen. Wie er sich dieser Mittel bedient, hängt einmal von seiner Aussageabsicht und zum anderen davon ab, wie weit und wie sicher er sie beherrscht. Das gesprochene Wort kann in dreierlei Hinsicht für Sprecher und Hörer bedeutsam werden. — K. Bühler hat in seinem „Organonmodell" 5 0 der Sprache diese drei Grundfunktionen des Ausspruchs zusammengefaßt dargestellt: Die Sprachzeichen stehen einmal in einem Beziehungsgeflecht, das sich auf den Gegenstand der Rede bezieht, also Sinnzusammenhänge durch Lautgebilde darstellt: die D a r s t e l l u n g . Zum anderen können bestimmte Merkmale des Ausspruchs darüber Auskunft geben, wie der Sprecher zu dem ausgesagten Inhalt, dem Redegegenstand, steht; er gibt dies durch charakteristische Schallmerkmale seiner Rede einem Hörer kund: die K u n d g a b e . Schließlich können Darstellung und Kundgabe von einem Hörer aufgenommen werden, auf ihn einwirken und bestimmte sprachliche oder handlungsmäßige Reaktionen auslösen: die Auslösung. Darstellung, Kundgabe und Auslösung können in ihrer Funktion von Ausspruch zu Ausspruch sehr verschieden stark hervortreten. Aber immer, wenn mit der Absicht gesprochen wird, von einem oder mehreren Hörern im wei50
K. Bühler: Spraditheorie; Jena 1934, S. 28.
I. Der Ausspruch
53
testen Sinne verstanden zu werden, in lebendiger Rede und Gegenrede, sind alle drei wirksam. Wir kommen darauf noch bei unserer Darstellung des nachgestaltenden und des freigestaltenden Sprechens zurück. Verfolgen wir nun an einem Beispiel die Entstehung des Ausspruchs in der Sprechhandlung 51 als Grundlage für die Beschreibung umfassenderer Sprechleistungen. Wir sprechen hier ausdrücklich nicht vom Satz als syntaktische Einheit grammatischer Prägung, sondern vom Ausspruch als schöpferische Leistung der Eigensprache. Diese Beschreibung der Ausspruchsentstehung kann die tatsächlichen Vorgänge, die äußerst vielschichtig und wechselnd sind, nur annähernd und grob vereinfachend nachzeichnen. Besonders die Vorgänge im Sprecher, die zum Ausspruch führen, sind noch nicht eindeutig geklärt. Bei dieser Gelegenheit sollen auch einige wichtige sprechkundliche Termini am Beispiel erläutert werden. In einem Gespräch zwischen zwei Freunden am Vorabend einer Skitour in die Berge geht es um die Frage, ob es am nächsten Tage schneien wird. Der beliebig herausgegriffene Gesprächsausschnitt lautet: A : „Es wird nicht schneien." B: „Glaubst du das wirklich?" A : „Da bin ich ganz sicher." Mit der Nennung der Gesprächspartner und der Situation, in der das Gespräch vor sich geht, ist die erste Voraussetzung der Rede, die H a n d l u n g s l a g e , gegeben (Umstände von Raum, Zeit, Parner und Zweck). — Einer der beiden Redepartner stellt die Behauptung auf: „Es wird nicht schneien." Aus dieser Vorrede des Gesprächspartners ergibt sich i n . dieser Handlungslage eine neue R e d e l a g e als zweite Voraussetzung des nun folgenden, antwortenden Ausspruchs. In dieser Redelage wirken sowohl die sprach-inhaltliche Darstellung (Sinn der Behauptung) als auch die Stimmungslage des ersten Sprechers als 51 W i r f o l g t e n d a b e i d e m entsprechenden Abschnitt über die Ausspruchsentstehung bei C h . W i n k l e r : Deutsche S p r e c h k u n d e u n d S p r e c h e r z i e h u n g ; a . a . O . . S. 44.
Β. Sprechleistung
54
Kundgabe (Hoffnung) auslösend auf die Reaktionen des Hörenden und nun Antwortenden. Diese Reaktionen laufen zunächst im Hörenden ab und führen zur Antwort, zu einem neuen Ausspruch. „Zunächst spielen sich im Sprecher allerlei Gefühls- und Willensvorgänge ab, die eine bestimmte seelische Lage, die A u s d r u c k s h a l t u n g , zeitigen." 52 In diesem Falle sind es Zweifel und Skepsis gegenüber der Behauptung des Gesprächspartners A. Daraus entwikkelt sich die inhaltliche Vorstellung von dem nächsten Ausspruch, der Ei η f a l l . Er gibt eine noch ungeformte Zielvorstellung von dem, was geantwortet werden soll. Unter dem Einfluß der Ausdruckshaltung wird nun dieser Einfall denkend verarbeitet. In dieser Phase, die zur Entwicklung einer M e i n u n g führt, sind sicher auch schon sprachliche Kategorien beteiligt: „Der Gedanke drängt zur Formulierung, und die Bildung des Sprechers durch die Sprache präformiert sein Denken." 53 Immer unter dem Einfluß der Ausdruckshaltung wird nun diese Meinung in Syntax und Wortwahl sprachlich gestaltet. — Nehmen wir an, diese Meinung („sicher sagt er das nur so, um mich zum Mitkommen zu bewegen") und diese Ausdruckshaltung (Zweifel) des Sprechers Β führen zu der Formulierung des neuen Ausspruchs: „Glaubst du das wirklich?" Damit ist ein T e x t entstanden, der für den Gesprächspartner A etwas bedeutet und der nun durch die Sprachlaute realisiert werden kann. In Wirklichkeit existiert dieser Text natürlich überhaupt nicht für sich. Zum wirklichen Ausspruch gehört, daß sich die Meinung des Sprechers in einer beziehungsvollen B e t o n u n g der Lautreihe im Text niederschlägt und so dem Ausspruch seinen auf Redelage und Handlungslage bezogenen S i n n gibt; hier ist es die Form und die Betonung des Fragesatzes. — Aber auch die Ausdruckshaltung wirkt sich noch einmal in der S p r e c h a r t aus. Der Fragesatz zeigt in 52 5J
C h . W i n k l e r : Deutsche Sprechkunde und Sprecherziehung; a. a. O . , S. 45. E b e n d a , S. 43.
I. Der Ausspruch
55
seiner Färbung den Ausdruck des Zweifels mit den entsprechenden Schallmerkmalen. Lautung, Betonung und Sprechart bilden im Ausspruch einen Komplex, der nur in unserer Beschreibung auseinandergefächert und getrennt voneinander dargestellt wurde, um die verschiedenen Ursprünge zu zeigen. „Die Lautung dient der Sprache, die Betonung gestaltet mehr oder minder bewußt die Bedeutung zum Sinn, die Sprechart fließt vorwiegend unbewußt in den Wortlaut ein. Der so entstandene sinnträchtige A u s s p r u c h schafft schließlich die n e u e Redelage".54 Diese neue Redelage, die durch darstellende und kundgebende Verwendung von Sprachzeichen entstand, könnte jetzt in unserem Beispiel wieder eine Reaktion des hörenden Gesprächspartners A auslösen (etwa den neuen Ausspruch: „Da bin ich ganz sicher") usw. Trotz der Vereinfachung und Vergröberung bei dieser exemplarischen Darstellung der Ausspruchsentstehung lassen sich daraus doch auf das Verhalten des Sprechers beim nachgestaltenden und selbstgestaltenden Sprechen wichtige Schlüsse ziehen. Hier ergeben sich auch Ansatzpunkte, die für die sprecherzieherische Praxis von großer Bedeutung sein können. Wenn wir nun im folgenden genauer auf zwei wichtige Gebrauchsweisen des Sprechens, auf die Sprechleistungen des Lesens und des freien Sprechens eingehen, so geschieht das in der Absicht, einige Anregungen und Hinweise für den Sprecher zu geben, der bereits sprechen kann, seine Fähigkeiten und Fertigkeiten auf diesem Gebiet aber weiter ausbilden möchte. Die genaue Beobachtung und Erforschung der sprachlichen Entwicklung beim Kind, das noch sprechen lernt, kann dabei wichtige Aufschlüsse geben. Darauf können wir allerdings nicht näher eingehen. Es gibt in diesem Zusammenhang auch noch viele unerforschte Gebiete. Trotzdem können unsere Ausführungen vielleicht auch dem Lehrenden einige nützliche Hinweise für die sprech"
C h . W i n k l e r : Deutsche Spredikunde und Sprecherziehung; a. a. O . , S . 45.
56
Β. Sprechleistung
erzieherische Ausrichtung des muttersprachlichen Unterrichts geben. Die Literaturangaben sollen gerade den Lehrenden zu einer intensiveren Beschäftigung mit den angedeuteten Fragen und zu einer Umsetzung in die pädagogische Praxis anregen. II. Das Lesen 1. Sinnfassendes Lesen Wir gehen auch bei der Darstellung der Leseleistung im wesentlichen von der sprechkundlichen Leselehre Ch. Winklers 55 aus, deren Umsetzung in die sprecherzieherische Praxis im Unterricht mit Vertretern aller redenden Berufe, mit Studenten und Schülern immer wieder erprobt wurde. Im allgemeinen wird heute vorausgesetzt, daß ein Mensch, der die Grundschule abgeschlossen hat, lesen kann. Die Lehrpläne der Schulen geben für die verschiedenen Altersstufen Unterrichtsziele an, die den Erwerb dieser Fähigkeit in sich einschließen. In der Praxis wird aber häufig beim Erlernen des Lesens nur darauf geachtet, daß der Schüler sinnvolle Zusammenhänge in einem Text erkennt und versteht, und nicht darauf, daß er auch lernt, einen Text vorzulesen, d. h. die Schallform eines Textes zu erschließen und wiederzugeben. Dadurch könnte in vielen Fällen durch das Lesen ein vertieftes Textverständnis erreicht werden. Man begnügt sich oft damit, einen Text einfach ablesen zu lassen, ist zufrieden, wenn es dabei nicht allzusehr holpert oder zu viele Versprecher gibt. Ab und zu wird versucht, mit Anweisungen wie: „Du mußt mehr betonen!" oder „Du mußt ausdrucksvoller lesen!" gegen den üblichen „Leseleierton" anzugehen. Kein Lesender kann aber mit solchen Anweisungen etwas anfangen. Die Folgen sind eher Verkrampfungen und Fehleinstellungen, wie sie sich etwa im aufgesetzten „Ausdruckslesen" zeigen. 55 C h . W i n k l e r : Lesen als Sprachunterricht; R a t i n g e n 1962.
3. eingehend Überarb.
Aufl.,
II. Das Lesen
57
Unsere Erfahrungen mit mehr oder weniger erwachsenen Sprechern geben ein erschreckendes Bild von dem, was in der Schule beim Erlernen des Lesens versäumt wurde. Auch bei Erwachsenen ist häufig ein monotones oder sinnwidrig betonendes, hastiges oder stockendes, durch falsche Pausen zerstückeltes Ablesen eines Textes zu hören, das ein hörendes Verstehen nahezu unmöglich macht. Die Schuld dafür ist aber nicht nur in den methodischen Versäumnissen des Leseunterrichts zu suchen, sondern auch darin, daß der Sprechende sich einseitig am Schriftbild mit seiner sprechfernen Zeichensetzung orientiert. Oft gehen Lesefehler und Leseschwächen auch mit einer allgemeinen Ausdrucksschwäche oder Ausdrucksscheu Hand in Hand. Die Fähigkeit — oder auch nur der Wille — sich seinen Hörern ganz zuzuwenden, einen Text so vorzulesen, daß er auch verstanden wird, ist einfach verkümmert. Welche Aufgabe übernimmt nun die Sprecherziehung in dieser Situation? — Es geht ihr nicht darum, irgendwelche neuen Betonungsregeln zu entwickeln und zu üben oder gewisse Kunstgriffe anzupreisen. Es kommt uns vielmehr darauf an, einen Weg zu zeigen, wie der Leser es lernen kann, in einem Text nicht nur das begrifflich Darstellende zu sehen und wiederzugeben, sondern wie er mit Hilfe aller klanglichen Elemente den geschriebenen Text in lebendige Rede umzusetzen vermag. Dabei sind nicht Klangschönheit oder Lautreiheit das Wichtigste. Vielmehr sollen Lautung, Betonung und Sprechart „in ihrer deutenden Mittlerrolle zwischen Text und Sinn für das Verstehen des Lesers"5® und des Hörers ausgenutzt werden. Wir nennen diese Art zu lesen das „sinnfassende Lesen". Es ist nur möglich in Verbindung mit dem lauten Lesen. In diesem Zusammenhang müssen wir einem möglichen Mißverständnis vorbeugen, das sich aus der Bezeichnung „sinnfassendes Lesen" ergeben könnte und auch schon ergeben hat 57 . Mit dieser Bezeichnung soll das sinnfassende si
C h . W i n k l e r : Lesen als Sprachunterricht; a. a. O . , S. 15. Z . B. C h . Zacharias: E i n f ü h r u n g in die Sprecherziehung / Ein L e i t f a d e n f ü r L e h r e r s t u d e n t e n ; Berlin 1964, S. 90 ff. 57
58
Β. Sprechleistung
Lesen nicht einem A u s d r u c k s l e s e n gegenübergestellt werden. Die alte, häufig wiederholte Anschauung, man könne einen Text einmal nur dem Sinne nach wiedergeben, ihn dann aber auch noch mit Ausdruck lesen, beruht auf einem grundlegenden MißVerständnis. Es ist nur die Eigenart des jeweiligen Textes (etwa sachlich-berichtender Zeitungsartikel, Streitschrift, Landschaftsbeschreibung, Märchen oder hymnisches Gedicht — um einige Beispiele beliebig herauszugreifen), die bestimmt, welche Wirkungsweise des Sprachgebildes vorherrscht und welche zurücktritt: die Darstellung, die Kundgabe oder die Auslösung. Im sinnfassenden Lesen werden alle diese möglichen Wirkungsweisen ihrer Wertigkeit entsprechend wiedergegeben. Dabei kann man natürlich nur andeuten oder stärker ausgestalten. Das richtet sich ganz nach der Absicht, die der Sprecher mit seinem Vorlesen verbindet. a) Lautung, Betonung,
Sprechart
Wie wird nun beim sinnfassenden Lesen der Sinn eines Textes für den Hörer gedeutet? — Gehen wir wieder von einem Beispiel aus: Nehmen wir einmal an, unser Text lautet: „Er trägt einen Hut." — Wie dieser schlichte Aussagesatz gelesen wird, hängt ganz davon ab, welche Bedeutung er trägt oder welche Bedeutung ihm gegeben wird. Es liegt am jeweiligen Kontext, welche Lautung, Betonung und Sprechart eingesetzt werden, um seinen Sinn im Wortlaut auszusprechen. Alle drei erscheinen, wie wir schon gezeigt haben, im Ausspruch gleichzeitig in wechselndem Zusammenwirken und unterschiedlicher Wertigkeit. Es gibt also unzählige Möglichkeiten des Einsatzes von. Lautung, Betonung und Sprechart, von denen wir nur einige nennen wollen. Zur L a u t u n g : Die Lautreihe dieses Satzes könnte ζ. B. sehr undeutlich, in der niedrigsten umgangssprachlichen Formstufe, oder mit stärkerer Annäherung an die Hochlautungsnorm artikuliert werden.
II. Das Lesen
59
Zur B e t o n u n g : Jedes Wort dieses Satzes könnte betont werden: „er trägt einen Hut — er trägt einen Hut — er trägt einen Hut — er trägt einen Hut". — Durch jede Veränderung in der Betonung erhält der Satz einen anderen Sinn. Sprechen wir den Satz laut mit den verschiedenen Betonungen, so können wir unschwer feststellen, daß mit der Bezeichnung „Betonung" verschiedene Schallmerkmale gemeint sind. Vergleichen wir nun zwei Arten der Betonung dieses Satzes miteinander:
1.
er
trägt
einen Hut.
(und nicht sie)
o
2.
er
trägt
einen Hut.
(und keine Mütze)
Zur Gestaltung der Lautreihe beim Aussprechen eines Sinnes wirken im wesentlichen drei Betonungselemente zusammen. Einmal die Abstufung durch Druck- und Lautheitsunterschiede (wir markierten sie im Beispiel mit einem Punkt). Dieser Abstufung dient auch die Tonhöhenbewegung in ihrem entsprechenden Auf und Ab (bei uns als steigende oder fallende Linie nachgezeichnet). Außerdem tritt noch eine temporale Gliederung durch Pausen, Verzögerungen oder Beschleunigungen in den Dienst der Sinndeutung (bei uns zunächst nur durch einen einfachen Längsstrich für die leichte Verzögerung nach dem betonten „er" im 1. Beispiel angegeben). Schon hier ist zu sehen, daß die bloße Anweisung, mehr zu betonen, nicht ausreicht, daß eher Verwirrung gestiftet werden kann, wenn keine Klarheit über das gemeinsame Wirken der verschiedenen Betonungselemente besteht. — Auf die Abstufung und die Gliederung kommen wir im folgenden noch einmal zurück.
Β. Sprechleistung
60
Zur S p r e c h a r t : In ihr zeigt sich die charakteristische Ausdruckshaltung unseres Textes. Sie entspringt jeweils dem Kontext bzw. der Redelage, entzieht sich aber weitgehend der analysierenden Beschreibung. Aber auch sie ist ein Element des Tones, der beim Lesen den Sinn des Textes deutet. Die Sprechart beeinflußt Betonung und Lautung. So wird unser Text mit der Betonung „er trägt einen H u t " anders klingen, wenn er wütend oder gleichgültig gesprochen wird. Die Schallelemente, die auf einen Hörer als Charakteristika für „wütend" oder „gleichgültig" wirken, sind aber so komplex und so vielen Variationsmöglichkeiten unterworfen, daß sie sich — nicht nur in diesem Rahmen — der genauen Beschreibung entziehen. Für die Sinngestaltung beim Lesen hilft in der sprecherzieherischen Praxis häufig schon die Arbeit an den verschiedenen Betonungs- und Gliederungselementen. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt für das Verständnis der Vorgänge beim nachgestaltenden und beim selbstgestaltenden Sprechen, also hier beim Lesen und beim freien Sprechen, ist die Tatsache, daß der Sprecher nie völlig neu gestaltet, sondern daß ihm bei jedem Ausspruch eine Reihe von Intonationsmustern, eine Fülle von grammatischen Formungsmöglichkeiten aus dem Zeichensystem seiner Muttersprache zur Verfügung stehen. Das, was er sagen will, und die Art, wie er es sagen will, wird auch mit Hilfe dieser vorgegebenen sprachlichen Mittel gestaltet. Im Normalfall bewegt er sich sprechend immer im Rahmen dieser zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Beim Lesen sind im Text schon der Inhalt und die grammatische Form vorgegeben. Aufgabe des Sprechers ist es hier, das Typische der jeweiligen Klanggestalt zu erkennen und den „traditionellen Tonfall der Satzarten" 58 zu berücksichtigen. Wir haben zwei solche Tonbögen mit den entsprechenden Höhenbewegungen schon bei den beiden Beispielsätzen gezeigt (S. 59). Da aber, wie wir an dem Beispiel zeigten, gleichzeitig andere Betonungselemente mit58
C h . W i n k l e r : Deutsche Sprechkunde u n d Sprecherziehung; a . a . O . , S. 231.
61
II. Das Lesen
wirken, sprechen wir im folgenden besser vom „rhythmischmelischen ,Spannbogen' des Ausspruchs" 59 . Solche Spannbögen fassen die einzelnen Glieder der Rede zu Schritten oder Abschnitten zusammen. Wenn von einem traditionellen Tonfall der Satzarten gesprochen wird, so heißt es nicht, daß dem Sprecher nur ein starres Schema von Spannbögen zur Verfügung steht, sondern vielmehr, daß die Aussagerichtung aus einer typischen Tonhöhenbewegung spricht, die sich auf ein bestimmtes Ziel hin bewegt. So können wir f ü r den rein darstellenden Aussagesatz im Deutschen einen typisch steigenden, dann fallenden Spannbogen feststellen. Man spricht hier auch von Spannungsast und Lösungsast. Ζ. B.:
Der Wunsch
ist der
Vater
des Gedankens.
Im ersten Teil bis zur leichten Staupause nach „Wunsch", im sogenannten Spannungsast, wird die Erwartung des Hörers auf die Aussage des Textes geweckt; im zweiten Teil, im sogenannten Lösungast, wird die Erwartung durch den sinntragenden Schwerpukt des Satzes erfüllt, der meist gegen das Ende der Aussage rückt. Wir gingen davon aus, daß dieser Aussagesatz mit möglichst neutraler Ausdruckshaltung gesprochen wird. Die in sich abgeschlossene Sinnaussage eines solchen Spruches kam uns dabei entgegen. Stellen wir uns aber eine Redelage vor, in der die Ausdruckshaltung nicht mehr so neutral bleibt, in der dieser Spruch etwa achselzuckend, wegwerfend, gleichgültig gesagt wird, so ist leicht festzustellen, daß der Spannbogen in anderer Richtung verläuft; Gliederung und Abstufung können dabei sehr verschieden eingesetzt werden. Der „traditionelle Tonfall" der Frage, das Hinaufstreben des Spannbogens, ist nur in der Entscheidungsfrage, die mit ja oder nein beantwortet werden kann, zu hören: 58
C h . W i n k l e r : Lesen als Sprachunterricht; a. a. O . , S. 19.
Β. Sprechleistung
62
es schneit?
oder
schneit es?
In der durch ein Fragefürwort eingeleiteten Ergänzungsfrage: „Wann hat es geschneit?" ähnelt der Spannbogen dem des Aussagesatzes, wenn die Frage in relativ neutraler Ausdruckshaltung gesprochen wird:
/
Wann hat es geschneit? Sowie man die Frage aber etwa staunend ausspricht, wird der „typische" Spannbogen sofort verändert:
/
Wann hat es geschneit? Mit diesen beiden Beispielen, dem Aussagesatz und dem Fragesatz, sollte für das lesende Nachgestalten eines Textes noch einmal darauf hingewiesen werden, daß es zwar sogenannte Normalformen auch in der Klanggestalt gibt, daß sich daraus aber keine festen und allgemeingültigen Betonungsregeln ableiten lassen. Das Wissen um die typische Tonhöhenbewegung etwa eines Aussagesatzes oder einer bestimmten Form des Fragesatzes kann für den Leser wohl sehr hilfreich sein, es reicht aber für das sinnfassende und sinngestaltende Lesen nicht aus.
b) Gliederung und Abstufung Viele Lesefehler lassen sich daraus erklären, daß es dem Leser nicht mehr gelingt, die sprechmäßige Gliederung und die Betonungsabstufung im Text zu erkennen und wiederzugeben, und daß er sich statt dessen starr an die den Schrifttext gliedernden Interpunktionszeichen hält, die doch
II. Das Lesen
63
p r i m ä r grammatische Gliederungszeichen sind u n d nicht immer f ü r das Sprechen gelten. Womöglich steht er dabei noch unter dem Eindruck schulischer Leseanweisungen wie: „Beim P u n k t wird die Stimme gesenkt, beim K o m m a bleibt sie in der Schwebe." — Wir wollen daher im folgenden die wichtigsten Gliederungs- und Abstufungsmöglichkeiten beschreiben, die sich sowohl in der Eigensprache als auch beim sinnfassenden Lesen ergeben. Ein kleines Experiment soll uns dabei helfen. Wir schreiben den Text der Lessingschen Fabel: „Der sterbende Löwe" 6 0 einmal ohne jedes Interpunktionszeichen u n d geben n u r einige, f ü r den Sinn wichtige Einschnitte durch einen größeren Abstand a n : 1. Beispiel 1 Ein alter Löwe lag kraftlos in seiner H ö h l e und e r w a r tete den T o d Die Tiere deren Schrecken er bisher ge3 wesen w a r bedauerten ihn nicht sie freuten sich vielmehr daß sie seiner los w u r d e n Einige von ihnen die er 5 sonst verfolgt hatte wollten nun ihren H a ß an ihm auslassen Der arglistige Fuchs k r ä n k t e ihn mit beißenden 7 Reden der Wolf sagte ihm die ärgsten Schimpfworte der Ochs stieß ihn mit den H ö r n e r n das wilde Schwein 9 verwundete ihn mit seinen H a u e r n und selbst der träge Esel gab ihm einen Schlag mit seinem H u f e Das edle 11 P f e r d allein blieb schweigend stehen und tat ihm nichts obgleich der Löwe seine Mutter zerrissen hatte Willst 13 du nicht f r a g t e der Esel dem Löwen auch eins hinter die O h r e n geben D a s P f e r d antwortete Ich halte es 15 f ü r niederträchtig mich an einem Feinde zu rächen der mir nicht mehr schaden kann. Das Lesen w i r d zunächst einige Schwierigkeiten bereiten. Es ist zu ungewohnt. Außerdem gibt die I n t e r p u n k t i o n eben doch gewisse H i l f e n , wenn m a n sie nicht als allein ausschlaggebend f ü r die Gliederung mißversteht. Bei einem neuen Versuch, den Text sinnfassend zu lesen, 60 Z i t i e r t n a c h : L E B E N S G U T / E i n deutsches L e s e b u c h f ü r h ö h e r e S c h u l e n ; h r s g . v . E . K i r s c h / P . R o h b e c k / A . B e r g m a n n , 2. T e i l , F r a n k f u r t — B e r l i n — B o n n 1962, S. 232.
64
Β. Sprechleistung
merken wir, daß sich bestimmte Wortgruppen zusammenschließen und sich auf diese Weise eine Art Feingliederung ergibt (z.B. ein alter Löwe [1] der arglistige Fuchs [6] mit beißenden Reden [6—7] das edle Pferd allein [10—11] eins hinter die Ohren geben [13—14] usw.). Diese Abschnitte werden in einem Zug, sozusagen wie ein Wort ausgesprochen, natürlich ohne daß dabei lautliche Verschleif ungen auftreten; Lautangleichungen sind dagegen möglich. Wir sprechen hier von W o r t b l ö c k e n . Der stärkste Ton liegt immer gegen Ende des Blockes. Unsere Beispiele zeigen, daß diese kleinsten Einheiten der zusammenhängenden Rede sich mit der syntaktischen Gliederung der Aussage decken. Werden diese Wortblöcke beim Lesen des Textes nicht erkannt und sprechend auseinandergerissen, so ist das ein Zeichen dafür, daß der Leser selbst den Text nicht oder nur teilweise versteht. Dadurch ist das Sinnverständnis beim H ö r e r stark behindert. Es kommt also darauf an, die Wörter, die im Textzusammenhang einen solchen Block bilden, auch in einem Zuge auszusprechen. Wenn wir nun unseren Text — weiterhin ohne Interpunktionszeichen — in folgender Anordnung schreiben, stellen wir fest, daß das sinnfassende Lesen kaum noch Schwierigkeiten bereitet: 2. Beispiel 1 Ein alter Löwe lag kraftlos vor seiner Höhle 2 und erwartete den Tod 3 Die Tiere deren Schrecken er bisher gewesen war 4 bedauerten ihn nicht 5 sie freuten sich vielmehr daß sie seiner los wurden 6 Einige von ihnen die er sonst verfolgt hatte 7 wollten nun ihren H a ß an ihm auslassen 8 Der arglistige Fuchs kränkte ihn mit beißenden Reden 9 der Wolf sagte ihm die ärgsten Schimpfworte 10 der Ochs stieß ihn mit den Hörnern 11 das wilde Schwein verwundete ihn mit seinen Hauern 12 und selbst der träge Esel gab ihm einen Schlag mit seinem H u f e
II. Das Lesen
13 14 15 16 17 18 19
65
Das edle Pferd allein blieb schweigend stehen und tat ihm nichts obgleich der Löwe seine Mutter zerrissen hatte Willst du nicht fragte der Esel dem Löwen auch eins hinter die Ohren geben Das Pferd antwortete Idi halte es für niederträchtig mich an einem Feinde zu rächen der mir nicht mehr schaden kann. Warum wird durch diese Anordnung des Textes, die wir nur zu Demonstrationszwecken vornahmen, das Lesen wesentlich erleichtert? Es handelt sich, wie wir später sehen werden, durchaus nicht um eine Zeileneinteilung, die immer von Interpunktionszeichen vorbestimmt ist. Schon die ersten vier Zeilen zeigen das. Unser Versuch, den wir an jedem beliebigen Text anstellen können, läßt erkennen, daß sich ein Ausspruch (z. B. Zeile 3—5 im Beispiel 2) in verschiedenen Teilschritten entwickelt. Hier sind es drei Schritte. Jeder dieser Schritte läuft auf eine eindeutige Sinnbetonung zu, gibt eine Aussage zum Sinn des Ganzen und vollzieht sich in einem typischen Tonbogen. Wir nennen daher diese Gliederungseinheit der Rede S i n n s c h r i t t . Länge, Untergliederung und Bauformen eines Sinnschrittes können sehr unterschiedlich sein (vgl. Zeile 14 und 19 im Beispiel 2). Ein wichtiges Merkmal jedes Sinnschrittes ist, daß er gleichzeitig Atemeinheit bleiben muß. Der Leseversuch am 2. Beispiel zeigt, daß jedes Zwischenatmen in der Zeile, also im Sinnschritt, den Sinnzusammenhang empfindlich stört. Bei schlechten Lesern ist dieses sinnwidrige Atmen fast durchweg zu beobachten. Man kann sogar im fortlaufenden Text diese sogenannte „Atemprobe"®1 durchführen, um die verschiedenen Sinnschrittgrenzen festzustellen: überall dort, wo man beim Lesen eines Textes atmen kann, ohne die Sinneinheit zu zerstören, ist ein Sinnschritt zu Ende, und ein neuer schließt sich an. Das bedeutet übrigens nicht, daß man vor jedem Sinnschritt neu einatmen 81
3
C h . W i n k l e r : Lesen als Sprachunterricht; a. a. O . , S. 49.
J e s c h , Sprecherziehung
66
Β. Sprechleistung
muß. Wenn der Atemvorrat ohne Z w a n g ausreicht, können auch mehrere Schritte hintereinander — durch leichte Staupausen voneinander getrennt — ausgesprochen werden. Dies ist sicher im zweiten Beispiel beim Übergang von Zeile 1 zu Zeile 2, vielleicht auch von Zeile 3 zu Zeile 4 möglich. Beim Überlesen des Textes stellen wir neben der Gliederung in Wortblöcke und Sinnschritte noch eine dritte, schon genannte Einheit fest: den Ausspruch. Im Sinnschritt sahen wir die wichtigste, weil sinntragende, Redeeinheit, im Ausspruch, sofern er sich über mehr als einen Schritt erstreckt, werden mehrere solcher Schritte unter einem Spannbogen zu einer umfassenderen Sinneinheit zusammengefaßt:
• x \ / · 1 Die Tiere, deren Schrecken er bisher gewesen war, | bedauerten ihn nicht; | sie freuten sich vielmehr, 1 daß sie seiner los wurden.||
Bei diesem Ausspruch ist der Spannbogen des Aussagesatzes im wesentlichen beibehalten. Auch die Schwerebetonung gegen Schluß auf „los w u r d e n " ist eindeutig gegenüber den anderen Schweren hervorgehoben. Die Stimme senkt sich am Ende zu einem einschneidenden Tiefschluß. Dieser große Spannbogen wird aber durch die verschiedenen Teilbögen der Sinnschritte aufgegliedert, erweitert, variiert. Ihre Tonhöhenbewegung läßt sie nicht als isolierte Abschnitte im Ausspruchsganzen erscheinen, sondern fügt sich, immer auf den G a n g der Ausspruchsentwicklung verweisend, in den großen Spannbogen ein. D a s geschieht manchmal auch da, wo der S a t z in seiner grammatischen Struktur schon einen Abschluß hat, etwa bei dem Semikolon.
II. Das Lesen
67
D a ß sich die schriftsprachliche Einheit „Satz" nicht immer mit der sprechsprachlichen Einheit „Ausspruch" decken muß, ist auch noch an einer anderen Stelle im zweiten Beispiel klar zu erkennen. In den Zeilen 8—12 bestehen schon die Sinnschritte aus in sich abgeschlossenen Sätzen. Fünf von ihnen schließen sich beim Lesen zu einem Ausspruch zusammen. 2.
Textnotierung
Die wichtigsten Betonungselemente, mit deren H i l f e der Sprecher den Sinn eines Textes lesend deuten k a n n , sind, wie w i r zeigten: 1. Abstufung durch Druck- und Lautheitsunterschiede, 2. Gliederung durch die sprechmäßigen Abschnitte: W o r t block, Sinnschritt, Ausspruch, 3. Tonhöhenbewegung. Diese Unterscheidung ist — gemessen an der Wirklichkeit — sehr grob. N u r mit einer solchen Vereinfachung läßt sich aber in der Sprecherziehung etwas erreichen. — Für die sprecherzieherische Praxis w u r d e ein V e r f a h r e n entwickelt, das sehr gut geeignet ist, zur Ü b u n g einen Lesetext mit den entsprechenden Betonungselementen in Verbindung zu bringen : die T e x t n o t i e r u n g . Bevor w i r noch einmal zu unserem Beispiel zurückkehren, um d a r a n die Möglichkeiten der Textnotierung zu demonstrieren, geben wir einen Uberblick über die wichtigsten Gliederungszeichen. Wir verweisen im übrigen auf die ausführlichere Zusammenstellung der von Winkler in Anlehnung an F. Saran entwickelten Notierungszeichen. 6 2 . Alle von uns angegebenen Zeichen haben keinen absoluten, sondern nur einen relativen Wert. Sie geben G r a d unterschiede an, die vom O h r gut w a h r n e h m b a r , vom Sprecher ohne Schwierigkeiten nachzuvollziehen sind. • 2 C h . W i n k l e r : Lesen als Sprachunterricht; a. a. O . , S. 41, 43 und 44. 3*
68
Gliederungs-
Β. Sprechleistung
und
Zu 1. a) Überschwere
Abstujungszeichen ·
(möglich beim Sinnkern eines Schrittes; am Satzende meist mit Tonsenkung, im Satz mit Anstieg der Stimme verbunden)
b) Vollschwere / c) Kaumschwere \ Die Wortbetonung und sogenannte leichte Silben brauchen nicht bezeichnet zu werden. Zu 2. a) Absatz oder Schluß (volle Tonsenkung — oft Ritareines Abschnittes dando) b) Ende eines Aus(volle Tonsenkung) spruchs (Tonhebung — oder Ton bleibt c) Sinnschritt in der Schwebe — oder halbe Senkung; wie bei a) u. b) ist eine Atempause möglich) (verschieden starke Stauung, d. h. d) Schrittglied Anhalten des Lautstromes; keine (oft Wortblock) Atempause) Zu 3. Bei unseren Satzbeispielen konnten wir schon feststellen, daß die Tonhöhenbewegung am wenigsten eindeutig zu fassen ist. Audi die erläuternden Bemerkungen zu 1 und 2 zeigten, wie sehr die Tonhöhenbewegung mit den anderen Betonungselementen gekoppelt ist. Wir begnügen uns hier damit, nur die Tonhöhenbewegung am Schluß der einzelnen Sinnschritte zu bezeichnen, die sogenannten „Kadenzen", die die Richtung dieser Bewegung angeben. a) Vollschluß \ b) Halbschluß ν c) Schwebeton — d) Hochschluß / Die Notierung unseres Beispieltextes könnte also wie folgt aussehen. Wir betonen k ö n n t e , denn diese Notie-
II. Das Lesen
69
rung ist nicht zwingend, sondern deutet nur eine der M ö g lichkeiten an, den T e x t sinnvoll vorzulesen: E i n \ l t e r Löwe1
lag kraftlos vor seiner H ö h l e f " und
erwartete den T o d . l ! \ D i e Tiere, 1
deren Schrecken er bis-
her gewesen w a r , f ^ bedauerten ihn nicht; Γ sich vielmehr, 1 ihnen,'
sie freuten
daß sie seiner los wurden.IK Einige von
die er sonst verfolgt h a t t e , f wollten nun ihren
H a ß an ihm auslassen.IK
D e r "arglistige Fuchs' . k r ä n k t e
ihn mit beißenden R e d e n ; [ \ · κ ärgsten Schimpfworte;l Hörnern;
der W o l f ' '
der Ochs
das wilde Schwein' *
seinen H a u e r n , !
V
\
sagte ihm die
.
.
.
.
stieß ihn mit seinen verwundete '
und selbst der träge Esel s
'
ihn
gab ihm einen
Schlag mit seinem Hufe.lf\ D a s edle P f e r d allein' schweigend stehen Γ Löwe1
und tat ihm nichts, f
seine Mutter zerrissen \
r-
f r a g t e der Esel,|
hatte.ll\
mit
blieb
obgleich der
„Willst du nicht", 1
\
\
„ d e m L ö w e n auch eins hinter die Ohren
geben?" i I r
D a s P f e r d. antwortete: \
„Ich ' halte I es f ü r nieder-
trächtig,
mich an einem Feinde zu rächen,
der mir nicht
mehr schaden k a n n . " l h Eine solche N o t i e r u n g k a n n natürlich nur durchgeführt
70
Β. Sprechleistung
werden, wenn man dabei den Text immer wieder prüfend laut liest. Wir sehen darin eine der besten Hilfen für denjenigen, der lesend bemüht ist, die Klanggestalt eines Textes wiederzuentdecken. Das Textnotieren sollte aber nur als Vorübung eingesetzt werden. An ein Vorlesen nach dieser Notierung ist nicht gedacht. Beim Vorlesen ist der Sprecher voll damit beschäftigt, den Text von Sinnschritt zu Sinnschritt atmend zu überblicken und zu sprechen. Beim Vorlesen von schwierigen Texten helfen allerdings kleine Zeichen f ü r die möglichen Atempausen. 3.
Leitsätze
Wir fassen die Gesichtspunkte, die beim sinnfassenden Lesen zu beachten sind, zusammen: a) Man sollte einen Text nur in Sonderfällen (etwa als Vorbereitung einer Interpretation) ohne Zuhörer laut lesen; sonst sollte immer für den Hörer, mit der Absicht, ihm den Text verständlich zu machen, gelesen werden. b) Es gibt keine Trennung zwischen dem Lesen nach dem Sinn und dem Lesen mit Ausdruck. c) Satzzeichen sind keine Tonzeichen; ihr Wert als Gliederungszeichen hängt vom jeweiligen Stil des Textes ab. d) Alle Betonungselemente sollen — wie der Text es verlangt — in den Dienst der Sinngestaltung gestellt werden. e) Die Wortblöcke als kleinste Redeeinheiten sollen wie ein Wort ausgesprochen werden. f) Der Leser überblickt einatmend den kommenden Sinnschritt und spricht ihn dann im Tonrahmen des Ausspruchs mit eindeutiger Sinnschwere aus. 4.
Lesefehler
Wir beschreiben nun noch die häufigsten Fehlformen des Lesens, wie wir sie bei Erwachsenen immer wieder beobachten können. Anregungen zum Vermeiden oder Abüben
II. Das Lesen
71
dieser Fehler wurden in den vorhergehenden Abschnitten gegeben. Auch unsere folgenden Ubungshinweise sollen dabei helfen. Mangelnde
Abstufung
a) Zu wenig betonen: Es ist meist bei ausdrucksschwachen oder ausdrucksscheuen Sprechern zu beobachten, oft verbunden mit Fehlern oder Schwächen in der Atem- und Stimmführung und in der Lautung. Schwereabstufung und die schrittweise Aufgliederung im Spannbogen des Ausspruchs sind sehr schwach ausgeprägt, eben nur angedeutet. Manchmal ist dieser Fehler mit zu schnellem Sprechen verbunden. b) Zu viel betonen: Es ist bei Sprechern zu hören, die einen T e x t mit der Absicht vorlesen, seinen Sinn dem H ö r e r möglichst überdeutlich darzubieten. Aus diesem Bestreben wird Überschwere neben Überschwere gesetzt (ζ. B. „Ein alter Löwe lag kraftlos vor seiner H ö h l e und erwartete den T o d " ) . Ein solches Zuvielbetonen hat aber nicht den gewünschten Erfolg. Statt zu verdeutlichen, wird das ganze Betonungsniveau nur auf eine höhere Ebene verlagert und bleibt da genauso wenig abgestuft wie beim Zuwenigbetonen. Es ist übrigens bezeichnend, daß dieser Fehler vor allem bei Vertretern der sogenannten lehrenden Berufe — etwa bei Lehrern oder Pfarrern — beobachtet werden kann. Bei a) und b) hat der Leser selbst den Sinn des Textes meist verstanden, der H ö r e r dagegen hat große Verständnisschwierigkeiten. E r ist gezwungen, das Gehörte sozusagen noch einmal zurechtzuhören, weil ihm der Leser keine eindeutigen Hinweise auf den Sinn des Textes gibt. Schematische
Endschwere
Dieser Fehler ist sehr weit verbreitet. Zuweilen zeigt er sich sogar noch beim Eigensprechen, offenbar als Folge einer Lesegewohnheit. D e r Leser spricht dabei nicht auf die Sinn-
Β. Sprechleistung
72
schweren zu, sondern bewegt sich in einem Betonungsschema, das sich vor allem bei den Tiefschlüssen der Ausspruchsbzw. Satzenden sinnentstellend auswirkt (ζ. B. „ . . . sie freuten sich vielmehr, daß sie seiner los würden." oder „ . . . obgleich der Löwe seine Mutter zerrissen hatte."). Es handelt sich hierbei entweder um ein Anzeichen dafür, daß der Leser selbst den Sinn des Textes nicht oder nur ungenau erkannt hat, oder um eine Lesegewohnheit, die sich aus der schulischen Anweisung entwickelte: „Beim Punkt wird die Stimme gesenkt." Reihendes
Lesen
Auch diese Fehlform ist ein Zeichen dafür, daß der Sprecher nicht in der Lage oder nicht daran gewöhnt ist, den Text erst Schritt für Schritt einatmend zu überblicken, seinen Sinn zu erfassen und dann wiederzugeben. Die Gliederungsschritte (Wortblock — Sinnschritt — Ausspruch) werden beliebig zerstückelt, so, wie sie der Sprecher gerade aufliest, ausgesprochen und meist durch hastiges Zwischenatmen unterbrochen (ζ. B. „Die Tiere / deren Schrecken / er / bisher gewesen war / bedauerten / ihn nicht / sie freuten sich / vielmehr / daß sie seiner / los wurden"). Alle drei eben beschriebenen Hauptfehler beim Lesen können auch miteinander vermischt auftreten. 5.
Übungshinweise
Man beginnt am besten mit der Arbeit an einzelnen, in sich abgeschlossenen Aussprüchen (ζ. B. Spruch oder Aphorismus), an denen man zunächst die Atem- und Sinnschrittgliederung und dann die Eingliederung der einzelnen Schritte in den umfassenden Spannbogen des Ausspruchs übt. Gelingt dies auch bei schwierigeren Ausspruchsformen, so kann man sich kleineren, in sich abgeschlossenen Texten zuwenden (ζ. B. Anekdote, Fabel, Märchen). Dabei müssen dann zusätzlich die Großgliederung, die Beziehung der einzelnen Abschnitte zueinander und die Entwicklung des Ganzen beachtet werden. Schließlich können schwierigere
II. Das Lesen
73
Prosatexte unterschiedlicher Stilformen übend erarbeitet werden. Eine Möglichkeit für einen solchen aufbauenden Ubungsgang mit Textbeispielen und entsprechenden Aufgaben gibt Ch. Winkler in den früheren Auflagen seines schon zitierten Buches 63 . Ziel dieser sprecherzieherischen Arbeit ist es, den fortgeschrittenen Leser dazu anzuleiten, auch schwierigere Texte beim ersten Vomblattlesen zu erfassen und sinnvoll wiederzugeben. Auf allen Ubungsstufen kann das Notieren eines Textes große Hilfe leisten. Die Textnotierung sollte aber nur als Mittel zur Erarbeitung eines Textes verwandt werden. Grundsätzlich sollte der Sprecher nichts vorlesen, was er nicht selbst verstanden hat. Die Tonbandaufnahme sollte bei dieser Arbeit möglichst oft eingesetzt werden. Durch sie werden die Ergebnisse der Leseleistung wiederholbar und genauer nachprüfbar. Wie wir im letzten Kapitel zeigen werden, kann auch die Arbeit am Eigensprechen zur Verbesserung der Leseleistung beitragen. 6. Hinweise
zum
Dicbtungssprecken
Wenn wir im Anschluß an die knappe Darstellung der wichtigsten Elemente einer sprechkundlichen Leselehre an dieser Stelle noch einige Hinweise zum sprechenden Nachgestalten dichterischer Sprachwerke geben, wollen wir damit nicht in das Wesen der Vortragskunst einführen, sondern nur die Richtung anzeigen, die eine sprecherzieherische Arbeit — aufbauend auf den Grundlagen — einschlagen könnte. Eine Reihe von sprechkundlichen Untersuchungen und Arbeitsbüchern auf diesem Gebiet geben dem Interessenten weitere Hinweise und Hilfen. 6 4 83 Z . B . C h . ' W i n k l e r : L e s e n als S p r a c h u n t e r r i c h t / L e h r e u n d Ü b u n g e n ; 2. A u f l . , R a t i n g e n 1 9 5 2 . S . 5 6 ff. 64 Z . B . E. Drach, H . Geißner, F. Gerathewohl, M . - H . Kaulhausen, W . Kuhlmann, F. Lockemann, V. Mönckeberg, F. T r o j a n , I. Weithase, C h . W i n k l e r . — D i e b e t r e f f e n d e n W e r k e s i n d im L i t e r a t u r v e r z e i c h n i s m i t ( V ) g e k e n n zeichnet.
74
Β. Sprechleistung
Grundsätzlich gilt auch hier, daß eine Trennung zwischen der Wiedergabe von logischen Sinnzusammenhängen und auf der anderen Seite von gefühlsbetonter Ausdrucksgestaltung nicht möglich ist. — Es wäre also falsch, unsere Fabel beim Vortragen jetzt auf einmal mit Gefühl oder mit Ausdruck lesen zu wollen. Im Text sind Ausdruckshaltung und Meinung eng miteinander verbunden. Der Ausdruck braucht also beim sprechenden Nachgestalten nicht d a z u erfunden zu werden. Er ist Bestandteil des Sinnes, der aus diesem Text spricht. Die in der Schrift wiedergegebene Lautreihe eines Textes, durch Interpunktionszeichen oder durch eine versmäßige Rhythmisierung gegliedert, ist gleichsam als Partitur anzusehen, deren rhythmisch-melodische Gestaltungsmerkmale vom Sprecher erkannt und wiedergegeben werden sollen. Um dies zu erreichen, müssen alle Voraussetzungen und Vorstufen berücksichtigt werden, die wir bei der Beschreibung der Ausspruchsentstehung nannten, denn der Text ist ja nichts anderes als die erstarrte Vorform eines Ausspruchs. Dabei ist es unwesentlich, ob es sich um eine so einfache Form der Prosa wie bei unserer Fabel, oder ob es sich um ein hymnisches Gedicht handelt. Die Grundlagen, die in der Leselehre gegeben werden, bleiben auch in der Vortragslehre bestimmend. Oft entstehen beim Dichtungssprechen f ü r den Sprecher nur zusätzliche Aufgaben daraus, daß im sprachlichen Kunstwerk die rhythmischen und melodischen Gestaltungskräfte abgewandelt oder verstärkt werden. — Gerade die lyrischen Vers- und Strophenformen stellen an den Sprecher besondere Anforderungen, auf die wir hier nicht näher eingehen können. Wir kehren noch einmal zu unserem Beispiel zurück. Auch dabei handelt es sich ja schließlich um eine kleine, in sich abgeschlossene, erdichtete Erzählung, deren mündlicher Vortrag vor einer Hörerschaft sich anbietet. Es wird ein Exempel gegeben; die Deutung des eigentlich Gemeinten bleibt dem Hörer überlassen.
II. Das Lesen
75
Verfolgen wir den Weg, den ein Sprecher einschlagen könnte, wenn er den Vortrag dieser Fabel vorbereitet: Erst versucht er, den Text still lesend zu verstehen. Danach sollte nicht gleich mit vollem Einsatz aller gestalterischen Möglichkeiten, sondern zunächst vorsichtig abtastend und immer wieder hörend-probierend die Klanggestalt nachvollzogen werden. In welcher Reihenfolge die besonderen Eigenarten des Textes erkannt und sprecherisch nachgeprüft werden, ist unwichtig. Wichtig aber ist, die Ausdruckshaltung des Textes für die Grundhaltung des Lesenden zu erschließen. In unserem Falle ist es das ruhige Darstellen und Schildern einer fiktiven Szene mit der Absicht, durch die Art des Erzählens zum Hören anzuregen, die Deutung aber dem Hörer zu überlassen. Er soll die Gelegenheit haben, das Gehörte in allen Einzelheiten aufzunehmen, sich zu merken und seinen Schluß — die Lehre, um die es geht — daraus zu ziehen. Diese dem H ö r e r deutlich zugewandte Grundhaltung des nachgestaltenden Lesers ergibt sich auch aus dem klaren, überschaubaren Aufbau des Textes, aus seiner zielstrebigen Entwicklung auf die Schlußpointe hin, die die Moral der Geschichte bringt. Die Spannung des Hörers wird durch die knappe Situationsschilderung zu Beginn erregt, durch die Beschreibung der verschiedenen Reaktionen der Tiergruppe ergänzt und weiter gehalten, bis sie sich in der abschließenden Antwort des Pferdes wieder löst. Das Ganze läuft in ruhigem, gleichmäßigem Fluß; Sprechtempo und Lautstärke werden also zurückgehalten. N u r an einer Stelle, gegen Ende der Aufzählungsreihe, kann das Tempo etwas anziehen. Die lange, gleichförmige Reihe wirkt sonst recht monoton. Die Gliederungspausen nach den einzelnen Aussprüchen sind verhältnismäßig kurz, da die Aussprüche dicht aufeinander bezogen sind und der Höhepunkt, auf den sie hinzielen, erst am Schluß liegt.
76
Β. Sprechleistung
Die Satzzeichen unterstützen hier die sprechmäßige Gliederung. Satz- und Ausspruchsgrenzen fallen immer zusammen. Das verhältnismäßig langsame und nachdrückliche Sprechen könnte die Gefahr mit sich bringen, daß in Wortblöcken wie „der arglistige Fuchs" oder „mit beißenden Reden" eine zu starke Schwerebetonung auf die bestimmenden Attribute gesetzt wird. Dadurch würde der Eindruck des zu sehr lehrhaft Ausmalenden entstehen, der hier nicht am Platze ist. Diese Gruppen sind als Block mit deutlicher Schwerebetonung auf dem letzten Glied zu sprechen. Die Gesamtsprechart ist hier so stark von der Grundhaltung des Erzählers her geprägt, daß die Sprechart in den direkten Reden des Esels und des Pferdes nicht durch übertrieben charakterisierende Schallmerkmale von dem vorhergehenden Text abgesetzt werden darf. Dadurch würde die Geschlossenheit der Fabel zerstört. Es wäre also unsinnig und stillos, zur „Verlebendigung" den Text mit verteilten Rollen (Erzähler, Esel, Pferd) lesen zu lassen. H a t der Sprecher diese und vielleicht noch andere Schallmerkmale gefunden und dabei immer das ganze Werk im Auge behalten, kann er schließlich aus seinem Verständnis und mit seinen Möglichkeiten den Text vortragen. Alle diese Beobachtungen und ihr praktischer Vollzug treten nicht an die Stelle des sinnfassenden Lesens, sondern sie gehören dazu, erweitern und vertiefen es entsprechend den jeweiligen Anforderungen eines dichterischen Textes. Man braucht dabei nicht den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, sondern kann sich in seiner Arbeit auf die wesentlichen Ausdrucksträger und -merkmale beschränken. Sicher sind die Möglichkeiten, einen Text auf diese Weise zu deuten, von Sprecher zu Sprecher verschieden. Die Deutung bleibt immer bis zu einem gewissen Grade subjektiv. Der eben angedeutete Weg einer sprechkundlichen Interpretation, die die Schallform deutet und zu eigenem Nachgestalten führen will, schränkt aber die nur-subjektive Deutung weitgehend ein. Sie bemüht sich ja nicht, eine Schallform zu erfinden, sondern nur darum, sie aus dem
III. Das freie Sprechen
77
Sinn und sprachlichen Material für den Hörer nachzuvollziehen. Die angegebene Literatur zeigt eine Fülle von oft unterschiedlichen Methoden, die dieses Ziel erreichen wollen. Weitgehend besteht aber Einigkeit darüber, daß es auch hier nicht mit dem Aufstellen und Befolgen fester Regeln oder Rezepte getan ist. Ähnlich wie bei den geläufigen literaturwissenschaftlichen Interpretationsmethoden ist der einzuschlagende Weg der Deutung immer von Ausdruck und Form, von Gehalt und Gestalt des sprachlichen Kunstwerkes mitbestimmt. Die verschiedenen sprechkundlichen Methoden geben dem Sprecher Hinweise für die Entwicklung und Ausbildung seines Auffassungs- und Gestaltungsvermögens. Es ist allerdings auch auf diesem Gebiet kaum möglich, autodidaktisch vorzugehen. Ohne Kontrolle und ohne die kritischen und hilfreichen Anregungen eines fachkundigen Lehrers kommt der Anfänger meist nicht sehr weit. III. Das freie Sprechen In diesem Kapitel wollen wir nur die Voraussetzungen für das selbstgestaltende freie Sprechen erläutern und mit den Ubungsanweisungen zum Erwerb der flüssigen und treffenden Rede anregen. Es geht uns dabei lediglich um die Vorstufen einer „Kunst der freien Rede", die als „inhaltlich vorbereitete und gegliederte, dann aber frei vor den Hörern geformte mündliche Mitteilung 65 anzusehen ist. Anleitungen zur Abfassung von größeren Redeformen wie Referat, Sachvortrag oder Uberzeugungsrede können in diesem Rahmen nicht gegeben werden. Vorschläge für die hierzu erforderliche stoffliche Vorbereitung, den Aufbau, die Gliederung und die Abfassung eines Stichwortzettels sind der einschlägigen Fachliteratur zu entnehmen. 66 es M . W e l l e r : Das Buch der R e d e k u n s t / Die M a d i t des gesprochenen Wortes in Wirtschaft, Technik u n d P o l i t i k ; Düsseldorf 1954, S. 89. " S. ζ. Β.: H . Biehle, F. G e r a t h e w o h l , H . E. J a h n u n d M . Weiler. D i e Titel dieser Fachbücher sind im Literaturverzeichnis mit (R) gekennzeichnet.
78
Β. Sprechleistung
1. Das Sprechdenken Beim nachgestaltenden Lesen kann der Sprecher von den im Text fixierten Formulierungen ausgehen; ein neuer Denkprozeß ist nicht notwendig, wenn es darum geht, die Schallform eines Textes zu realisieren. Beim selbstgestaltenden Sprechen dagegen können wir die direkte Entstehung des Ausspruchs verfolgen, wie wir sie in Teil B, Kapitel I unserer Ausführungen beschrieben haben. Trotzdem gilt vieles, was über Prinzip und Methode des sinnfassenden Lesens gesagt wurde, auch für das freie Sprechen. Die Arbeit am nachgestaltenden und am freigestaltenden Sprechen kann also einander ergänzen; nicht zuletzt deshalb, weil die beschriebenen Fehlformen des Lesens ganz ähnlich auch beim freien Sprechen vorkommen. Aus diesem Grunde kann man sich für das freie Sprechen nicht grundsätzlich das Lesen zum Vorbild nehmen. Ausgangspunkt f ü r die Arbeit am freien Sprechen ist die Phase der Ausspruchsentstehung, in der sich aus der Redelage eine Ausdruckshaltung und die Formung des Einfalls zur Meinung sowie deren sprachliche Gestaltung entwickelt. Es ist die Phase, in der Denken und Sprechen in wechselnder Beeinflussung ablaufen. In der Sprechkunde wird diese Verknüpfung von Denken und Sprechen mit dem Begriff S p r e c h d e n k e n umschrieben. Dabei wird das „Denken während des Sprechens und durch das Sprechen" 67 betrachtet. Die psychischen und geistigen Vorgänge, die dabei ablaufen, sind noch weitgehend ungeklärt. Wir können aber aus dem Ergebnis, dem Ausspruch selbst, schon einige Schlüsse auf verschiedene Formen des Sprechdenkens ziehen. Grundsätzlich sind zwei Arten des Sprechdenkens zu erkennen: 1. das „simultane" 6 8 oder „fortlaufende" 6 9 Sprechen und Denken, 2. das „sukzessive" 70 oder „phasenli7 F. S c h w e i n s b e r g : R e d n e r s c h u l u n g ; W e r k h e f t e z u r S p r e c h e r z i e h u n g , d e l b e r g 1948, S. 63. C h . W i n k l e r : Lesen als S p r a c h u n t e r r i c h t ; a. a . O . , S. 31. «» E . D r a c h : D i e r e d e n d e n K ü n s t e ; L e i p z i g 1926, S. 15 ff. 70 Ch. Winkler, ebenda.
Hei-
III. Das freie Sprechen
79
w e i s e " 7 1 Sprechdenken. In der ersten F o r m sind dem Sprecher der Inhalt und das Ziel seiner A u s s a g e schon bewußt; die sprachliche Gestaltung seiner Meinung erfolgt erst nach Abschluß des D e n k v o r g a n g e s . D i e Ausspruchsplanung liegt also v o r dem Ausspruch. In diesem F a l l e w i r d es dem Sprecher nicht schwerfallen, die einzelnen Sinnschritte seiner R e d e in den T o n r a h m e n des Ausspruchs einzufügen, dem H ö r e r durch A b s t u f u n g und Gliederung seine Meinung eindeutig kundzutun. — I n der zweiten F o r m des Sprechdenkens hat der Sprecher zu Beginn des Ausspruchs meist nur eine ungenaue Zielvorstellung von dem, w a s er sagen will. E r weiß vielleicht schon, w o r a n er a n k n ü p f e n will — an die eigene oder f r e m d e V o r r e d e — , er hat einen E i n f a l l , aber seine Meinung und ihre sprachliche Ausgestaltung findet er erst unter dem Einfluß v o n H a n d l u n g s l a g e und Ausdruckshaltung beim Sprechen und w ä h r e n d der sprachlichen Gestaltung selbst. Η . v. Kleist berichtet sehr anschaulich in der A b h a n d l u n g „ Ü b e r die allmähliche Verfertigung der G e d a n k e n beim R e d e n " 7 2 v o n seinen E r f a h r u n g e n in der Gesprächssituation über diesen V o r g a n g . Anreiz f ü r den P r o z e ß des Sprechdenkens sind dabei die R e a k t i o n e n seiner Gesprächspartnerin. Beide F o r m e n des Sprechdenkens treten in der freien R e d e nebeneinander oder miteinander vermischt a u f . Welche von ihnen w i r k s a m wird, hängt v o n der Sprechgewohnheit eines Sprechers, v o n der Situation, in der er spricht, v o m Inhalt seiner R e d e u n d von dem Ziel ab, das er mit ihr verfolgt. E s ist daher in diesem Z u s a m m e n h a n g nur in sehr beschränktem M a ß e möglich, allgemeingültige H i n weise zu geben. Allgemein kann nur gesagt werden, daß es in der Sprecherziehung d a r a u f a n k o m m t , das Sprechdenken insgesamt anzuregen u n d es in die richtigen Bahnen zu lenken. Wir werden daher in diesem K a p i t e l ausführlichere Übungshinweise geben. E. Drach, ebenda. Η . v . K l e i s t : Ü b e r d i e a l l m ä h l i c h e V e r f e r t i g u n g der G e d a n k e n beim R e d e n ( 1 8 0 6 ) ; v g l . K l e i s t s G e s . W e r k e , h r s g g . v . E . S d i m i d t , B d . 1, S . 25. 71
72
80
Β. Sprechleistung 2.
Fehlformen
Wir beschreiben zunächst die häufigsten Fehlformen, die wir an der Sprechleistung des freien Sprechens beobachten können, gehen aber dabei nicht auf die vielfältigen Redehemmungen (Lampenfieber usw.) ein. Faden verlieren Diese Fehlform kann da auftreten, wo der Prozeß des Sprechdenkens in seiner ersten von uns beschriebenen Form abläuft. Die Ausspruchsplanung ist vor dem Beginn des Sprechens abgeschlossen; während des Sprechens verliert der Sprecher aber diesen Plan aus den Augen. Er muß neu einsetzen oder verstummt ganz. Konzentrationsschwäche und starke Empfänglichkeit f ü r Ablenkungen wirken sich so aus. Satzbruch Die zweite Form, das „sukzessive" oder „phasenweise" Sprechdenken, kann oft die Ursache f ü r diese Fehlform sein. Der Sprecher beginnt mit der sprachlichen Ausprägung und hat dabei eine nur ungenaue Zielvorstellung von dem, was er sagen will. Während er spricht, stellt er fest, daß sich die zu Anfang gewählte Form als ungeeignet erweist. Beim Sprechen ist ihm ein neuer, vielleicht besserer Gedanke gekommen, den er jetzt äußern möchte, aber die Formulierung des Anfangs steht ihm dabei im Wege. Er spricht aber trotzdem weiter und gerät dabei meistens mit den grammatischen Bezügen in Konflikt. Reihendes Sprechen Satzbrüche kommen auch beim reihenden Sprechen vor. Diese Fehlform beobachten wir vor allem bei der zweiten Form des Sprechdenkens. Sie ähnelt in der Erscheinungsform dem reihenden Lesen (s. S. 72). Auch die Ursache ist ganz ähnlich: Der Sprecher fängt schon an zu sprechen, obwohl er noch nicht genau weiß, worauf er hinaus will. Dabei muß es aber nicht zu einem Satzbruch kommen.
III. Das freie Sprechen
81
Schließlich k a n n ein solches Sprechen doch zu einem sinnvollen, der Form nach stimmigen Abschluß kommen. Aber die T o n h ö h e n f ü h r u n g , besonders die K a d e n z am Schluß der einzelnen Schritte, ist nicht eindeutig. Sie verweist nicht auf das Ziel, den Sinn des Satzes. Block f ü r Block oder Schritt f ü r Schritt werden n u r mit Tonhebung gesprochen, bis d a n n erst ganz am Ende eine Senkung erfolgt. D e m H ö r e r w i r d dabei k a u m eine Orientierungshilfe gegeben. Der zerstückelte Tonbogen läßt den Sinn des Ausspruchs nur schwer erkennen. Mangelnde
Abstufung
Zuvielbetonen und Zuwenigbetonen können als Fehlf o r m wie beim Lesen (s. S. 71) auch beim freien Sprechen vorkommen. Die Gründe, die dazu führen, sind die gleichen. Überhöhtes
Tempo
Es geht meist mit dem Zuwenigbetonen H a n d in H a n d . Satzbrüche sind auch hier zu beobachten, denn der Sprecher, der ständig mit zu hohem T e m p o spricht, nimmt sich nicht die Zeit, den G a n g des nächsten Ausspruchs planend zu überblicken. Auch die A t e m f ü h r u n g ist dabei oft gestört. Es ist leider keinesfalls so, daß beim Spontansprechen immer „ H a r m o n i e zwischen Atem-, Gedanken- und damit auch Satzlänge" 7 3 herrscht. — Überhöhung des Sprechtempos ist z w a r eine weitverbreitete Zeiterscheinung, aber sie ist bei einzelnen Sprechern besonders stark ausgeprägt, wenn der Wille, sich beim Sprechen mitzuteilen, sich w i r k lich einem oder mehreren H ö r e r n zuzuwenden, v e r k ü m m e r t ist. Die nicht ganz unberechtigte Scheu v o r dem großen Ton k a n n auch ein G r u n d f ü r diese Fehlform sein. 3.
Übungshinweise
Zunächst folgen einige grundsätzliche Vorschläge f ü r das Vermeiden oder Abüben der häufigsten Fehlformen beim 73
E. A d e r h o l d , a. a. O . , S. 56.
82
Β. Sprechleistung
freien Sprechen, und dann beschreiben wir einige Übungen, die die Entwicklung des Sprechdenkablaufes anregen können. Wenn ein Sprecher bei kleineren oder größeren Freisprechaufgaben oft den Faden verliert, sollte er im Ernstfall immer einen Stichwortzettel als Gedankenstütze verwenden. Schon allein das Bewußtsein, daß er sich zur N o t jederzeit wieder mit Hilfe dieses Stichwortzettels in seinem Redeplan zurechtfinden kann, wirkt beruhigend. Ein solcher Stichwortzettel kann schon f ü r die kleineren Freisprechübungen angefertigt werden, sofern es sich nicht um reine Improvisationsaufgaben handelt. Sogar geplante Diskussionsbeiträge können auf diese Weise fixiert werden. — In keinem Fall soll aber der geplante Redetext schriftlich vorformuliert werden. Eine so angelegte Gedächtnisstütze wirkt eher hinderlich. Sie beeinträchtigt den Ablauf des Sprechdenkens und führt entweder zum Auswendigsprechen eines gelernten Textes oder zum bloßen Ablesen. Der Text steht dann zwischen Sprecher und Hörer. Wenn womöglich noch Lesefehler hinzukommen, wirkt dies auf den H ö r e r besonders peinlich und behindert sein Verständnis. Außerdem ist der Sprecher dann kaum mehr in der Lage, sich seinen Hörern direkt zuzuwenden. — In der angeführten Literatur gibt es eine Fülle von Anregungen zur Abfassung eines solchen Stichwortzettels. Jeder Sprecher muß aber durch häufiges Ausprobieren die für ihn geeignete Form einer solchen Gedächtnisstütze herausfinden. Eine gute Übung hierfür ist zunächst das Anfertigen eines Stichwortzettels nach einem gehörten oder gelesenen einfachen Text (Anekdote, Kurzgeschichte) und die anschließende Wiedergabe mit eigenen Worten nach dieser Gedächtnisstütze; dann das freie Entwickeln einer kleinen Erzählung oder eines Berichtes nach diktierten Stichworten. Gerade durch die letzte Übung wird der Sprecher zur Konzentration auf den gedanklichen Ablauf eines vorgegebenen Redeplanes gezwungen. Während das Verlieren des Fadens meist durch den Zusammenbruch eines vorher erdachten Redeplanes verursacht
III. D a s freie Sprechen
83
wird, kommt es zu Satzbrüchen und zum reihenden Sprechen, wenn der Sprecher die Planungsweise im einzelnen Ausspruch nicht oder nur ungenügend beherrscht. Hier kann, wie bei den Übungen zum sinnfassenden Lesen, durch das Erarbeiten des Sinnschrittsprechens geholfen werden. Überhaupt sind gerade bei solchen Fehlern Leseübungen für das freie Sprechen angebracht. — Unabhängig davon, ob das Sprechdenken simultan oder sukzessiv abläuft, sollte darauf geachtet werden, daß die Reihenfolge „Planen — Atmen — Sprechen" immer gewahrt bleibt: der Sprecher überdenkt kurz den Sinn und den ungefähren Ablauf des folgenden Ausspruchs, atmet dabei ein und spricht dann Schritt für Schritt im Tonbogen des Ausspruchs mit eindeutiger Abstufung und Gliederung. — Wenn dieser Ablauf längere Zeit ganz konsequent geübt wurde, sind beim freien Sprechen nur noch sehr selten Satzbrüche oder verschwommene, sinnentstellende Tonführung zu bemerken. — Der Anfänger kann auch seinen Stichwortzettel so abfassen, daß dieser Ablauf gefördert w i r d : er notiert sich stichwortartig die Überleitung, die an die vorhergehende Aussage anschließt, dann das sinntragende Wort oder den wichtigsten Wortblock und schließlich den verbalen Ausdruck für jeden Ausspruch. Für die eigene, der augenblicklichen Redelage entsprechende freie Formulierung bleibt ihm dann immer noch genügend Spielraum. Gerade das Verb ist dabei wichtig. Die Erfahrung lehrt, daß man für das Eigensprechen geradezu sagen k a n n : „Wer das Verb hat, hat den S a t z . " 7 4 — Es empfiehlt sich besonders für den Anfänger, aber auch für den forgeschrittenen Sprecher, kurze, überschaubare Sätze zu formulieren und dabei strikt darauf zu achten, daß in einem Ausspruch jeweils nur ein H a u p t g e d a n k e gebracht wird. Dabei ist es leichter, die Betonungselemente zur Sinngestaltung einzusetzen. Auch der H ö r e r empfindet ein solches überschaubares Sprechen als angenehm. Als Sprecher darf man keine übertriebene Angst vor einer gewissen Primitivität haben. Gemessen an den 74
C h . W i n k l e r : L e s e n als S p r a c h u n t e r r i c h t ; a . a . O . , S . 33.
84
Β. Sprechleistung
stilistischen Möglichkeiten der Schriftsprache, wirkt eine gute freisprachliche Leistung vielleicht primitiv, wenn man sie schriftlich fixiert sieht. Aber beim einmaligen H ö r e n kann man ja auch längst nicht so genau und umfassend aufnehmen wie beim geruhsamen Lesen. Sprecher, die aus berufsmäßiger Sprechgewohnheit zu viel betonen (s. S. 71), sind nur sehr schwer von dieser persönlichen Sprechart abzubringen. Manchmal hilft hier die Tonbandaufnahme einer frei gesprochenen Passage. Beim Abhören der Aufnahme muß dem Sprecher gezeigt werden, daß er mit dieser Art zu betonen das Gegenteil von dem erreicht, was er beabsichtigt. Der Sinn seiner Aussage tritt nicht deutlicher hervor, sondern der Hörer wird irregeführt, übermäßig beansprucht und dadurch schnell ermüdet. Auch ein Abüben vom Lesen her (mit Textnotierungen) kann zum Erfolg führen. Das zu schwache Betonen und das zu schnelle Sprechen können am besten dadurch bekämpft werden, daß dem hastigen Sprecher zunächst einmal die Scheu vor dem freien Sprechen genommen wird. Häufiges Üben und der Hinweis darauf, daß Sprechen nur Sinn hat, wenn es auch verstanden wird, sind dabei notwendig. Ein solcher Sprecher muß erst einige Male die Erfahrung gemacht haben, daß ihm vom Hörer vor allem Wohlwollen entgegengebracht wird, daß die Bereitschaft, ihm zuzuhören und ihn zu verstehen, immer da ist. Erst wenn er sich — auch in seiner äußeren H a l t u n g — seinen H ö r e r n voll zuwendet und sie anspricht, kann er bemerken, wie ihm dieser Kontakt beim freien Sprechen hilft. Der Sprechdenkablauf wird angeregt. Er lernt es, f ü r seine H ö r e r und mit seinen Hörern zu denken und zu sprechen. Das übermäßige Sprechtempo, das die H ö r e r überfordert, mäßigt sich; der Einsatz der Betonungselemente wird f ü r die Hörer verstärkt. — Auch aus diesem Grunde ist es nicht zu empfehlen, ein Manuskript wörtlich auszuarbeiten und dann auswendig vorzutragen oder gar vorzulesen. Der direkte Kontakt in der Dialogsituation wird dadurch erheblich gestört. — Beim zu schnellen Sprechen nützt die Anweisung, langsamer zu sprechen, oft nur
III. Das freie Sprechen
85
sehr kurze Zeit und wird schnell wieder vergessen. Richtiger und erfolgversprechender ist es, auf die eben beschriebene Bedeutung des Hörerbezuges hinzuweisen und die dabei notwendige neue Grundeinstellung des Sprechers in passenden Situationen immer wieder zu üben. — Das Üben in bestimmten Rollensituationen (z.B.: „Sprechen Sie jetzt so, als ob Sie Kinder oder als ob Sie Schwerhörige vor sich haben!" oder „Stellen Sie sich vor, Sie sprächen in einem großen Raum vor einer Versammlung von Studenten!") lehnen wir ab. Es kann zwar zu vorübergehenden Erfolgen führen, in einer Ernstsituation fällt der Sprecher aber sehr bald wieder in seine alten Fehler zurück. Bevor wir einzelne Übungsmöglichkeiten beschreiben, geben wir noch einige allgemeine Anweisungen f ü r das freie Sprechen: Der Sprecher sollte sich, bevor er zu sprechen beginnt, des ruhigen und sicher geführten Atemablaufs vergewissern. Hastiges Atmen ist oft ein äußeres Anzeichen f ü r Erregung. Wird die Atmung schon vor dem Sprechen ruhiggestellt, schwindet meist auch die Nervosität. Ein paar Minuten Konzentration auf den ruhigen Atemablauf können Wunder wirken. In der äußeren Haltung — im Sitzen oder im Stehen — sollen alle Verkrampfungen und Anspannungen ausgeschaltet werden. Sie beeinträchtigen nicht nur die Stimmtätigkeit und die Artikulation, sondern können sich auch auf den Ablauf des Sprechdenkens hemmend auswirken. Begleitgebärden, vor allem mit H ä n d e n und Armen während des Sprechens, sollten nicht unterdrückt werden. Mancher Sprecher braucht einfach eine solche Unterstützung des Sprechdenkens durch äußere Bewegung. Wenn diese Bewegungen allerdings nur Anzeichen f ü r Nervosität sind, sollte man darauf achten, daß sie eingeschränkt werden. — Illustrierende Gebärden (ζ. B. Zeigen einer Fingerspanne statt: „ungefähr 10 cm"; oder Nachzeichnen einer Vasenform mit den H ä n d e n anstelle einer umständlichen Beschreibung) können immer da eingesetzt werden, wo es an Anschauung oder an anderem Anschauungsmaterial fehlt. — Reine Ausdrucksgebärden (ζ. B. Drohen, Zeigen, Arme-
86
Β. Sprechleistung
ausbreiten usw.) sollten dagegen nur mit größter Vorsicht und nie vorgeplant durchgeführt werden. Der Sprecher sollte immer wissen, was und worüber er spricht. Ein bloßes Sprechen um des Sprechens willen ist überflüssig. Übungen zur Entwicklung des Sprechdenkens 73 Wir gehen hier von einfachen Grundformen des freien Sprechens aus und empfehlen, auch in einem Kurs über umfassendere Redeformen (Vortrag, Referat, Überzeugungsrede) von diesen Vorübungen auszugehen, denn auf diese Weise kann schon in Teilbereichen alles beachtet werden, was dann im größeren Redezusammenhang notwendig ist. Fehler und Schwächen eines Anfängers können so abgeübt werden, ohne daß der Sprecher gleich überfordert wird. Hantierendes Sprechen: Es ist als Anfangsübung für sehr gehemmte Sprecher geeignet. Bei der Durchführung einer einfachen Hantierung (ζ. B. Füllfeder füllen, Kämmen) soll alles, was geschieht und was getan wird, in Worte umgesetzt werden. Besonders der verbale Wortschatz wird dadurch aktiviert. Beschreibung: Eine einfache Handlung, die eine andere Person stumm vorspielt, soll genau beobachtet und dann — zur N o t nach Stichworten — mit eigenen Worten beschrieben werden. Genaue Beobachtung und das Finden der treffenden Ausdrücke in der richtigen Reihenfolge sind erforderlich. — Als Objekte für eine Beschreibung eignen sich weiterhin: Gegenstände (ihr Aussehen, ihre Verwendbarkeit, ihre Funktion), technische Vorgänge (Experiment, Gebrauchsanweisung), eine Landschaft, eine Photographie 75 Vgl. die Ubungsanregungen bei E. Essen i n : Deutsche Sprechkunde und Sprecherziehung v . C h . W i n k l e r , a. a. O . , S. 377—401. — E. K u r k a : Z u r A n regung und Pflege des Sprechdenkablaufs als Voraussetzung f ü r die freie R e d e ; Festschrift zum 50jährigen Bestehen der spredikundlichen Arbeit a. d. U n i v . H a l l e - W i t t e n b e r g , hrsgg. v. H . Krech, H a l l e 1956, S. 455—459. — C h . Zacharias, a. a. O . , S. 135—154.
I I I . D a s freie Sprechen
87
oder ein Bild (Raum- oder Flächengestaltung, Verhältnis von Form und Farbe, Ausdruck), ein Mensch oder ein Tier (Aussehen, Verhalten, Ausdruck). Bericht: Der Sprecher berichtet zusammenhängend von einem Erlebnis (ζ. B. Sportveranstaltung, Tagung, Filmoder Theaterbesuch). Erzählen: Hier ist zunächst die einfache Nacherzählung eines gehörten oder gelesenen Textes möglich; dann können selbst erlebte oder frei erfundene Geschichten erzählt werden. Sehr anregend für das Sprechdenken und das lebendige Gestalten ist auch das Erzählen nach Bildreihen (ζ. B. die Bildergeschichten von Wilhelm Busch ohne Untertext) oder das Erzählen der Handlung beim Ablauf eines Stummfilmes. Erörterung: Sie erfordert schon größere Erfahrung im freien Sprechen und erhebliches Abstraktionsvermögen. D a für eignen sich die Begriffsbestimmung (ζ. B. Bestimmung des Unterschiedes von W u t und Zorn oder von M u t und Übermut) oder die Auslegung (ζ. B. einfacher Spruch oder Sprichwort; die hier gegebene konzentrierte oder verkürzte Aussage soll mit eigenen Worten und Beispielen kommentiert und veranschaulicht werden; daran kann sich eine Stellungnahme zu dieser Aussage anschließen). Sehr gute Anregungen für das Sprechdenken in bezug auf den H ö r e r oder den Redepartner sind schließlich die beiden folgenden Gruppenübungen. Stegreifgespräch 7 6 : Aus einer Gruppe werden drei oder vier gewandtere Personen ausgewählt, die nun vor der Gruppe miteinander über einfache Meinungsfragen sprechen (ζ. B . : „Gehen Sie lieber ins Kino oder ins T h e a t e r ? " oder „Sollen verheiratete Frauen noch einen Beruf ausüben?"). Dieses Stegreifgespräch ist übrigens eine hervorragende Möglichkeit, die Diskussionsfreudigkeit auch bei den Zuhörern zu wecken. Stegreifspiel: Gehörte oder gelesene T e x t e oder vorher skizzierte Situationen werden von einer kleinen Gruppe 78
M . K e l b e r : Fibel der Gesprächsführung; 3. Aufl., D a r m s t a d t 1958, S . 30 ff.
88
Β. Sprechleistung
ohne vorhergehende Absprache nachgespielt. Im Dialog, der sich dabei entwickelt, werden selbst die gehemmtesten Sprecher freier und beweglicher. Die genannten Übungen und Beispiele lassen sich mit ein wenig Phantasie weiter ausbauen und variieren. Gerade die Pädagogen haben in allen Fächern reichlich Gelegenheit dazu.
Nachwort D a die zweite Auflage dieses Göschenbandes nur als photomechanischer Nachdruck erscheinen kann, ist es erforderlich, einige Gedanken, Vorschläge und Bedenken zu erwähnen, die sich aus der Entwicklung in den letzten J a h r e n ergeben oder die aufmerksame Leser der ersten Auflage äußerten. Aus den technischen Gründen ist es leider auch nur in den Anmerkungen möglich, einige Gesichtspunkte ergänzend richtigzustellen, die offenbar mißverständlich dargestellt wurden, oder die durch die inzwischen eingetretene Entwicklung einer Revision bedürfen. An dieser Stelle möchte ich nicht versäumen, meinen Kollegen und K r i t i kern für ihre Anregungen zu danken. Aus dem Literaturverzeichnis konnten einige Titel gestrichen werden, weil sie nicht mehr aktuell sind und nicht mehr erscheinen werden. Statt dessen wurden einige Buchund Aufsatztitel aufgenommen, die den neuesten Stand von Sprechwissenschaft, Sprechkunde und Sprecherziehung wiedergeben. Seit dem ersten Erscheinen dieses Bandes sind fünf J a h r e vergangen; eine Zeit, die nicht nur gesellschaftliche und politische Bewußtseinsveränderangen mit sich brachte, sondern in der sich auch Wissenschaft und Lehre gezwungen sahen, alte Grundlagen und Grundsätze zu überdenken und zu revidieren. Auch Forschung und Lehre, die sich mit der gesprochenen Sprache und mit dem sprechenden Menschen befassen, hatten neue Impulse zu verarbeiten. Dies führte und führt zu deutlich sichtbaren Wandlungen in den Grundlagen der Sprecherziehung. Daraus wiederum ergibt sich die Notwendigkeit, Didaktik und Methodik der Sprecherziehung unter neuen Aspekten zu sehen, neue Zielprojektionen für diese Arbeit zu entwerfen. Ansätze dazu sind an einigen Stellen zu erkennen, wenn man die
90
Nachwort
neuesten Arbeiten liest oder Berichte aus der Praxis hört. Ein systematischer Überblick ist zur Zeit aber wohl noch nicht möglich. V o r allem ist es im Augenblick notwendig, die Fülle von Anregungen und Erkenntnissen aufzugreifen, die von benachbarten Wissenschaftsbereichen für Forschung und Lehre auf dem Gebiet der gesprochenen Sprache angeboten werden. Linguistik (vor allem Sozio- und Pragmalinguistik), Kommunikationstheorie, Gruppendynamik, Interaktionspädagogik, Mediendidaktik ·— um nur einige Gebiete zu nennen — wirken sich zunehmend auch auf die Arbeit von Sprechwissenschaft, Sprechkunde und Sprecherziehung aus. V o r diesem Hintergrund könnte der Eindruck entstehen, als sei das, was in dem neuaufgelegten Buch als „Grundlagen der Sprecherziehung" angeboten wird, überholt und veraltet. W i r meinen, daß dieser Einwand zu entkräften ist, wenn man folgende Gesichtspunkte berücksichtigt. Zunächst einmal ist es nötig, deutlicher als bisher den Rahmen abzustecken, in dem diese Darstellung der „Grundlagen der Sprecherziehung" zu sehen und zu verstehen ist. In den „Denkschriften zur Bildungsreform 1 ) werden die drei Bereiche des Gesamtfaches wie folgt charakterisiert: „Sprechwissenschaft erforscht Grundlagen, Struktur und Leistung der Akte sprecherischer Kommunikation, die in diesen — spontanen und reproduzierenden — Akten entstehenden gesprochenen Sprachwerke und die dabei aktualisierte gesprochene Sprache. Sprechkunde beschäftigt sich als angewandte Wissenschaft mit dem Umsetzen der Forschungsergebnisse in die einzelnen Fachgebiete (ζ. B. Formen des Gesprächs, der Rede, der sprecherischen Interpretation) und der Methodologie der Sprecherziehung in diesen Gebieten.
D e n k s c h r i f t e n z u r B i l d u n g s r e f o r m der D e u t s c h e n G e s e l l s c h a f t k u n d e u n d S p r e c h e r z i e h u n g e. V . , S a a r b r ü c k e n 1 9 7 0 .
f ü r Spreclv-
Nachwort
91
Sprecherziehung schließlich als praktischer Teil überträgt die Ergebnisse in die Praxis des Studienganges von künftigen Angehörigen redender Berufe. Die Wechselbeziehung von Theorie und Praxis — Selbsttun als experimentelle Basis und als Kontrollinstanz der Verifikation von Theorie — ist charakteristisch für das Gesamtfach." In den letzten Jahren wurde schon öfter der Versuch angestellt, den gesamten Arbeitskomplex von Sprechwissenschaft, Sprechkunde und Sprecherziehung und ihre Verknüpfung miteinander graphisch zu verdeutlichen. Auch hier kann eine solche Graphik zur richtigen Einschätzung der Verhältnisse und Dimensionen beitragen. Sprech wissen schaft
Spredikundc
I.
Sprecherziehung
Sprechhandeln (rhetorische
Sprechbildung
Kommunikation)
Miteinandersprechen als Meinungsbildung, Entscheidungs-
und
Handlungs Vorbereitung in
Sprechkunst (ästhetische
Atemschulung Stimmbildung Lautbildung Lesen freies Sprechen
Kommunikation)
interpretierende Nachgestaltung von
Dichtung:
Rezitation darstellendes Spiel Hörspiel
F o r m e n des G e s p r ä c h s und der Einzelrede
Vergleicht man die Graphik mit dem Inhaltsverzeichnis des neuaufgelegten Bandes, so wird deutlich, daß die Ausführungen über „Sprechbildung" und „Sprechleistung" tatsächlich Grundlagen für die gesamte sprecherzieherische
92
Nachwort
Arbeit bringen. Eine wichtige Voraussetzung für das Miteinandersprechen in Rede und Gespräch oder für das interpretierende Nachgestalten vorgegebener Texte ist nach wie vor die Beherrschung der beschriebenen Grundfunktionen des Sprechens. Von einigen Lesern der ersten Auflage des Bandes wurde eine eindeutig formulierte Zielangabe für die sprecherzieherische Arbeit vermißt. Eine zusammenfassende und klärende Darstellung der Bedeutung und der Ziele heute vertretbarer Sprecherziehung, der wir uns voll anschließen, bringt I. Schweinsberg-Reichart 2 ) : „Sprecherziehung ist um so wichtiger, je wichtiger aufgrund der Struktur der Gesellschaft das Miteinander-Sprechen f ü r das Zusammenleben ist: mit den modernen akustischen Kommunikationsmitteln wächst die Menge der nur sprechend-hörend vermittelten Informationen bei gleichzeitiger Mobilität der Kommunikationsorte, -partner und -inhalte; die Vielheit der Wechselwirkungen und die Überlagerung von Verhaltenserwartungen führt zu Rollen- und Gruppenkonflikten, die pragmatische Lösungen im Miteinandersprechen verlangen; das Aufeinanderangewiesensein in der industriellen Arbeitswelt erfordert eine Kommunikation, die Sachverhalte durchsichtig zu machen versteht; die demokratisch verfaßte Ordnung basiert nicht allein auf der formalen Mündigkeit aller Bürger. Die noch und immer erneut zu leistende Demokratisierung öffentlicher Bereiche setzt voraus, daß die Bürger über ihre Angelegenheiten reden wollen und können. Sprecherziehung hat daher zum Ziel, daß Menschen miteinander über etwas in gemeinsamer Sprache sprechen können. Sie versucht dadurch zur Erfahrung zu bringen, daß und wie Individuation abhängig ist von Kommunikation; *) S c h w e i n s b e r g - R e i d i a r t , I . : S p r e c h e r z i e h u n g i n : . V o l k s h o c h s c h u l e im W e s t e n ' , H . 4/1970.
in
der
Erwachsenenbildung,
Nachwort
93
der K o m m u n i k a t i o n mit dem Mitteilungswillen u n d dem Sachimpuls (Sprache) die Richtung auf K o o p e r a t i o n zu geben; Pragmatisch formuliert k a n n m a n sagen, Sprecherziehung . . . erzieht zu A u f e i n a n d e r h ö r e n als Voraussetzung f ü r Miteinandersprechen Miteinandersprechen als Voraussetzung f ü r Sich-Verständigen Sich-Verständigen als Voraussetzung für Miteinanderhandeln." Die in dem Band beschriebenen sprechkundlichen G r u n d lagen und die sprecherzieherischen Übungsgänge sollten in diesem Z u s a m m e n h a n g gesehen werden. Es geht auch hier eben nicht um das Erarbeiten einer individuellen sprecherischen H ö c h s t f o r m . In diesem Sinne konzipierte Sprecherziehung ist nicht mißzuverstehen als ein Fitness-Training f ü r Berufssprecher, nur u m zu gewährleisten, d a ß sie beim Sprechen keine allzu großen stimmlichen Verschleißerscheinungen zeigen, d a ß sie akustisch verstanden werden, d a ß sie insgesamt sprechend ihre Person in ein möglichst positives Licht setzen können. Es geht auch nicht um die E n t wicklung stimmlichen Wohlklanges oder die E r f ü l l u n g sprachlicher N o r m e n um ihrer selbst willen. Vielmehr sollen die physischen u n d psychischen Voraussetzungen geschaffen werden, um ungehindert einen situativen P a r t n e r b e z u g a u f n e h m e n zu können. Sprechen und H ö r e n als soziales Verhalten, als wichtige Voraussetzung f ü r die heute in den meisten Berufen lebensnotwendige K o o p e r a t i o n , zwingt auch die Sprecherziehung dazu, nicht mehr nur individualistisch vorzugehen, sondern neue, kollektive Ansätze zu suchen. — Einige der in das Literaturverzeichnis n e u a u f g e n o m m e n e n Titel berichten von solchen Möglichkeiten u n d geben Anregungen f ü r Ü b u n g s f o r m e n zur Erweiterung der k o m m u n i k a t i v e n K o m p e t e n z . D e r Sprecherziehung — besonders im Bereich der Sprechbildung — w u r d e bisher im wesentlichen kompensatorische F u n k t i o n zugeschrieben. Sie folgte einem Ü n t e r richtsprinzip, das sich z u m Ziel setzt, abweichendes oder minder ausgeprägtes sprecherisches Verhalten des Indivi-
94
Nachwort
duums an die Normen oder Erwartungen des bestehenden Bildungssystems anzupassen, um dadurch Chancengleichheit' zu erreichen. Dabei wurde häufig die kommunikative Funktion und Rechtfertigung dieser Arbeit außer acht gelassen. Es w a r z w a r häufig von Hörerbezug und Hörerkontakt die Rede, aber meist nur als zusätzliche, ein wenig von außen kommende Anweisung. Nicht zuletzt deshalb konnte— auch beim Lesen des vorliegenden Bandes — der Eindruck entstehen, d a ß hier im Grunde nur an äußeren Symptomen gearbeitet wurde. Ein konsequentes Abtragen von Sprach- und Sprechbarrieren gelang tatsächlich selten. Wenn die Sprecherziehung zunehmend ihr Ziel im Abbau von Sprechbarrieren sieht, muß sie sich als emanzipatorische Sprecherziehung begreifen, die entweder über den kollektiven oder den individeullen Ansatz durch Kommunikation zur Interaktion führen will. Ein wichtiges, sehr brauchbares Modell zur Entwicklung der Arbeit nach dem emanzipatorischen Prinzip entwerfen Gutt/Salffner 3 ). Dieser Ansatz ist sicher auch auf unseren Bereich zu übertragen. Jedem, der sprecherisch tätig ist, sei die Lektüre dieses Buches und das Umsetzen dieses neuen Unterrichtsprinzips in der eigenen Praxis dringend empfohlen.
8 ) A. Gutt/R. Salffner: Sozialisation und Sprache / Didaktisdie zu emanzipatorisdier Sprachsdiulung; 2. Aufl., Frankfurt/M. 1972.
Hinweise
Anmerkungen Kurze Bemerkungen und Korrekturen beziehen sich auf die entsprechende Seitenzahl in der 1. Auflage des GöschenBandes 1122. Längere Ergänzungen beziehen sich jeweils auf den ganzen Kapitelabschnitt. S. 8 (letzter Abschnitt) eher: ...begleitende Streckbewegung der Wirbelsäule . . . S. 13 (Grundsatz ,c') besser: es ist zwar jede aktive Bewegung der Schulter- und Halspartie zu vermeiden, doch passive Mitbewegungen können sekundär auftreten, wenn es nicht zu Verkrampfungen kommen soll. S. 19 ff. (zum Stimmeinsatz) Es ist zu betonen, daß der pathologische Glottisschlag unbedingt vermieden werden muß. Die physiologische Variante erscheint aber für den klaren Neueinsatz der Stimme im Deutschen wichtig, da es sonst leicht zu einer verwaschenen Artikulation kommt. S. 22 (zur Korrektur-Abb. 5) Die Zeichnung gibt nicht ganz die Normallage des Kopfes wieder. Die Normallage zeigt die Wirbelsäule und damit den Kopf etwas nach vorn geneigt. Zungenkörper und Zungenspitze sollten etwas weiter nach vorn tendieren. Im Medianschnitt ist die Öffnung an der Nase nicht zu sehen. S. 33 (1. Zeile) Korrektur: nicht IPA, sondern API.
Kap. A III Lautbildung: Ein deutlicher Wandel in den Grundlagen und Zielen der Sprecherziehung zeigt sich in dem veränderten Verhältnis zur Hochlautungsnorm und in der Revision dieser Norm selbst.
96
Anmerkungen
Die weitere Entwicklung muß zeigen, ob und in welcher Weise die lautsprachliche Normierung ,Hochlautung' für eine emanzipatorische Sprecherziehung noch relevant ist. Vor allem muß darauf geachtet werden, wo die N o r m als Orientierungshilfe in der therapeutischen' Arbeit mit individuellem Ansatz dienen kann, und ob sie nicht vielleicht eher der Grund f ü r das Entstehen neuer Barrieren innerhalb des Kommunikationsprozesses werden kann. Wenn man sich heute über Entwicklung und Stand der Ausspracheregelung zur gesprochenen deutschen Hochsprache informieren will, stehen drei Standardwerke zur Verfügung (s. Lit.-Verz.): Der SIEBS, 19. Aufl., das Duden-Aussprachewörterbuch und das Wörterbuch der deutschen Aussprache, 2. Aufl. — Alle drei Werke — vor allem der SIEBS und das Wörterbuch der deutschen Aussprache — berücksichtigen in ihren letzten Auflagen eine Entwicklung, die man ganz allgemein in ihrer Tendenz als Reduzierung der idealen N o r m ,reine Hochlautung' in Richtung der Realität gesprochene Sprache' charakterisieren kann. D a bei geht das ,Wörterbuch' entschieden weiter als der SIEBS. U m eine breitere Anwendbarkeit und größere Flexibilität zu ermöglichen, wurde im SIEBS die reduzierte N o r m ,gemäßigte Hochlautung' fixiert. Doch neben der Kodifizierung der gemäßigten Hochlautung wird hier an der ,reinen Hochlautung' festgehalten. Sie soll bewahrt werden „. . . als ein Ideal, das als Maßstab f ü r alles gebildete Sprechen aufgestellt i s t . . . Die gemäßigte Hochlautung erscheint sozusagen als verwirklichte Ideallautung. Der reinen Hochlautung kommt die wichtige pädagogische Aufgabe zu, dazu beizutragen, daß die gemäßigte Hochlautung nicht weiter absinkt in Formen, die land-
Anmerkungen
schaftlichen oder alltagssprachlichen tragen . . ." (SIEBS, S. 7).
97 Charakter
Prinzipielle Einigkeit herrscht in beiden Werken darüber, daß für die gesprochene Sprache als Kommunikationsmittel, bei dem es darauf ankommt, eine möglichst reibungslose Informationsvermittlung für einen breiten und vielgestaltigen Hörerkreis zu gewährleisten, die Normierung auch des lautlichen Kodes unabdingbar ist. Wir schließen uns diesem Prinzip an, betonen aber, daß diese Norm in sprachpflegerischer Absicht nicht absolut gesetzt werden kann. Ziel sprecherzieherischer Arbeit auf diesem Gebiet sollte es vielmehr sein, auf möglichst ausgeprägte Flexibilität der Lautbildung hinzuarbeiten. Denn die kommunikative Kompetenz eines Sprechers zeigt sich sicher auch daran, daß er in der Lage ist, sich in sehr unterschiedlichen Situationen vor unterschiedlichen Hörern auch in seiner Aussprache adäquat zu verhalten. Unter diesen Aspekten müssen die Ausführungen zur Lautbildung in der ersten Auflage dieses Bandes revidiert werden. Wenn es sich beim individuellen Ansatz der sprecherzieherischen Arbeit als notwendig erweist, die Allgemeinverständlichkeit des Sprechers zu erweitern oder seine Fähigkeit zur Formstufenvariation auf die Hochlautung hin zu trainieren, bietet sich am ehesten die flexible N o r m ,gemäßigte Hochlautung' als Richtung an. Einen gut überschaubaren Überblick über die Lautung in dieser Formstufe im Vergleich zur ,reinen Hochlautung' bringt Chr. Winkler in der Einleitung zur 6. Auflage seines Übungsbuches „Lautreines Deutsch". Ein typisches Beispiel dafür, daß sich dieser neue Versuch einer Ausspracheregelung an den wechselnden, offenbar aus der Alltagsrede kommen-
98
Anmerkungen
den Gebrauch angleicht, ist die schwankende Realisation der r-Laute. Es kann hier von der Sprechsituation, von der gewählten Formstufe oder von der koartikulatorischen Nachbarschaft abhängen, welche der vier r-Varianten (Zungen-r, Zäpfchen-r, Reibe-r oder nahezu Vokalisierung) gesprochen wird. „Deutsche Hochlautung", das neueste Übungsbuch zur Lautbildung von Kreuzer/Pawlowski, folgt zwar noch der Aussprachenorm der reinen Hochlautung, wie sie im Duden-Aussprachewörterbuch angegeben wird, es bietet aber in der Anordnung der Ubungsstoffe und in ihrer Ergänzung durch ein Tonbandprogramm eine Fülle von Modifikationsmöglichkeiten für Lautbildungsübungen. Gerade hier zeigt sich, daß der Einsatz moderner audiovisueller Medien auch bei bestimmten sprecherzieherischen Arbeitsgängen zu größerer Effektivität beitragen und manchen sonst leicht ermüdenden Übungsverlauf rationalisieren kann. Zum Einsatz des Sprachlabors auch für andere Ubungsformen bringt mein Aufsatz „Das Sprachlabor im muttersprachlichen Unterricht" einige Anregungen. Abschließend zu dieser Anmerkung sei noch einmal betont, daß Sprecherziehung keinesfalls nur Erziehung zur Hochlautung sein kann (diese Auffassung ist leider immer noch weit verbreitet). Lautbildungsübungen im Rahmen der gesamten Sprechbildung haben vielmehr Hilfsfunktion in der Vorbereitung f ü r die rhetorische und die ästhetische Kommunikation.
Anmerkungen
99
Darstellung Chr. Winklers folgt, herangezogen werden: die im Literaturverzeichnis neuangeführten Arbeiten von O. v. Essen und U. Stötzer. S. 86 ff. Übungen zur Entwicklung des Sprechdenkens: Hantierendes Sprechen: Der entscheidende Wert dieser Übung liegt wohl in dem HintereinanderOrdnen und in der Gewöhnung daran, inhaltliche Glieder in geschlossene sprachliche Einheiten zu fassen. Erzählen: Die Nacherzählung eines sprachlich bereits vorgeformten Textes ist sicher doch nicht einfacher als das freie Erzählen. Freies Erzählen — etwa nach Reizwörtern oder Reizwort-Reihen — fördert eher Spontaneität und Kreativität sprachlich-sprecherischer Gestaltung. Freie Rede: Hervorragende und inzwischen in vielen Situationen bewährte Anregungen zur Entwicklung des situationsbezogenen, kurzen, sachlogisch geordneten und redewirksamen freien Sprechens bringt H . Geißner in seinem Aufsatz „Der Fünfsatz . . ." (s. Lit.-Verz.).
Literaturverzeichnis Außer den im Text zitierten Werken werden hier vor allem umfassendere Arbeiten genannt, die selbst wieder ausführliche Literaturangaben bringen. Übungsbücher sind mit (U) gekennzeichnet, Werke zur Vortragskunst mit (V) und Werke zur freien Rede sowie zu Formen des Gesprächs mit (R). Ein Verzeichnis der Fachliteratur von 1945—1954 veröffentlichte Chr. Winkler in ,Sprechkunde und Sprecherziehung', Bd. 2, Emsdetten 1955, S. 117—142. Hier schließt sich an: H . Geißner, Sprechkunde und Sprecherziehung, Bibliographie der deutschsprachigen Literatur 1955—1965, Düsseldorf 1968. Ein Verzeichnis der wichtigsten, f ü r das Fach relevanten Neuerscheinungen erscheint fortlaufend in den ,Mitteilungen' der Deutschen Gesellschaft für Sprechkunde und Sprecherziehung e. V. Aderhold, E.: Sprecherziehung des Schauspielers / Grundlagen und Methoden; Berlin 1963. Arlt, F.: In den Wind geredet? Schule der Rhetorik; Köln 1970 (R). Balser-Eberle, V.: Sprechtechnisches Übungsbuch / Ein Unterrichtsbehelf aus der Praxis für die Praxis; 4. verb. Aufl., Wien 1959 (Ü). Berendes, J.: Einführung in die Sprachheilkunde; 4. verb. Aufl., Leipzig 1958. Biehle, H . : Stimmkunde für Beruf, Kunst u. Heilzwecke; Sammlung Göschen Bd. 60, Berlin 1955. Redetechnik / Einführung in die Rhetorik; 2. erw. Aufl., Sammlung Göschen Bd. 61, Berlin 1961 (R). Bode, R.: Ausdrucksgymnastik; München 1925. Böhme, G.: Stimm-, Sprach- und Hörstörungen, Jena 1969. Bühler, K.: Sprachtheorie / Die Darstellungsfunktion der Sprache; Jena 1934.
102
Literaturverzeichnis
Brocher, T.: Gruppendynamik und Erwachsenenbildung; Braunschweig 1967. Denkschriften zur Bildungsreform (Universitäten und Hochschulen, Schulen, Vorschulische Ausbildung, Berufliche Aus- und Fortbildung, Erwachsenenbildung) ; hrsgg. v. d. Deutschen Gesellschaft für Sprechkunde und Sprecherziehung e. V., Saarbrücken 1970. Drach, E.: Die redenden Künste; Leipzig 1926 (V). Sprecherziehung / Die Pflege des gesprochenen Wortes in der Schule; 13. Aufl., F r a n k f u r t 1969. D U D E N — Aussprachewörterbuch; bearb. v. M. Mangold u. P. Grebe, Mannheim 1962. Essen, O. v.: Grundzüge der hochdeutschen Satzintonation; 2. Aufl., Ratingen 1964 (U). Faust, J. Aktive Entspannungsbehandlung; 4. Aufl., Stuttgart 1949. Feist, H . : Sprechen und Sprachpflege (Die Kunst des Sprechens); Sammlung Göschen Bd. 1122, 2. verb. Aufl., Berlin 1952. Fernau-Horn, H . : Prinzip und Methode der Ubungsbehandlung bei Störungen der Sprech- und Rufstimme; Kongr. Ber. Frankfurt/M. 1938, S. 250—253. Berichte über den internationalen Kongreß für Singen und Sprechen in Frankfurt a. M. 1938, München-Berlin 1939. Fiukowski, H . : Sprecherzieherisches Elementarbuch; Leipzig 1967 (Ü). Frank-Böhringer, B.: Rhetorische Kommunikation; Quickborn 1963 (R). Geißner, H . : sprechen; in: Grundlagen der Schauspielkunst / bewegen, atmen, sprechen, fechten, schminken; mit Beiträgen v. A. Schoch, H . Geißner, W. Kästner, G. Merg; Reihe „Theater heute", Bd. 22, Hannover 1965. Schallplattenanalysen / Gesprochene Dichtung; Saarbrücken 1965 (V). Der Fünfsatz / Ein Kapitel Redetheorie und Redepädagogik, in: Wirkendes Wort, 4/1968, S. 58—78 (R).
Literaturverzeichnis
103
Rhetorische K o m m u n i k a t i o n , in: Sprache u n d Sprechen, Bd. 2, Ratingen 1969, S. 70—81. Gespräch u n d D e m o k r a t i e / Formen des Gesprächs; in: Film, Bild, Ton, 10/1969, S. 11 — 17 (R). R e d e in der Öffentlichkeit / Eine E i n f ü h r u n g in die R h e t o r i k ; S t u t t g a r t 1969 (R). Z u r D i d a k t i k der rhetorischen K o m m u n i k a t i o n / Modell eines Kurses ,Formen des Gespräches'; in: Außerschulische Bildung, 3. Jg., H . 1/1972 (R). G e r a t h e w o h l , F.: Deutsche R e d e k u n s t : Heidelberg 1949 (R). S p r e c h e n — V o r t r a g e n — R e d e n / Eine E i n f ü h r u n g in die Sprecherziehung; S t u t t g a r t 1955 (R). G u t t , A./Salffner, R.: Sozialisation u n d Sprache / D i d a k tische Hinweise zu emanzipatorischer Sprachschulung; 2. Aufl., F r a n k f u r t / M . 1972. H a r t h , K.-L. : Deutsche Sprechübungen / Mit Ausspracheregeln; 3. Aufl., W e i m a r 1961 (Ü). Gesprochenes Deutsch / Ein Arbeitsbuch über Wesen, Erscheinung u n d Technik gesprochener I n f o r m a t i o n ; W e i m a r 1969. H e y , J . : Die Kunst der Sprache (Der kleine H e y ) ; bearb. v. Reusch, M a i n z 1956. H ö f f e , W . L.: Gesprochene Sprache / Gesammelte Beiträge z u r Phonetik, Sprechkunde und Sprecherziehung; R a tingen 1965. H o f s t ä t t e r , P. R.: G r u p p e n d y n a m i k ; rowohlts deutsche enzyklopädie, Bd. 38. J a h n , H . E.: Rede, Diskussion, Gespräch; Aschaffenburg 1954 (R). Jesch, J . : SIEBS Deutsche Hochsprache; 3 Schallplatten, Berlin 1965. D a s Sprachlabor im muttersprachlichen Unterricht / Versuch einer O r i e n t i e r u n g ; in: Das Sprachlabor und der audiovisuelle Unterricht, Vierteljahresbeilage zu der Zeitschrift ,Die Neueren Sprachen', H . 4/1970. Kaulhausen, M . - H . : Die Gestalt des Gedichtes, seine sprechkundliche I n t e r p r e t a t i o n und Nachgestaltung; Göttingen 1953 (V).
104
Literaturverzeichnis
Kelber, M . : Fibel der Gesprächsführung; 9. Aufl., D a r m stadt 1970 (R). Kleist, H . v . : Ü b e r die allmähliche Verfertigung der Ged a n k e n beim Reden (1806); vgl. Kleists Ges. Werke, hrsgg. v. E. Schmidt, Bd. 1, S. 25. K u h l m a n n , W . : Schule des Sprechens / A t m u n g , Stimmund Lautbildung, Rechtlautung, Betonung. Lesestücke in Lautschrift; Heidelberg 1939 (Ü). Das Verhalten zur Dichtung, erläutert an den Begriffen: Zitieren, Rezitieren, Deklarieren; in: Beiträge zur Sprechkunde, hrsgg. v. Institut f ü r Sprechkunde an der Universität Freiburg i. Br., Freiburg 1964, 2. erg. Aufl., S. 21. R h y t h m u s — M e t r u m ; ebd., S. 37. Krech, H . : Die Behandlung gestörter S-Laute / Sprechkundliche Beiträge zur Therapie der Sigmatismen; H a l l e 1955. Kreuzer, U . / P a w l o w s k i , K . : Deutsche H o c h l a u t u n g / P r a k tische Aussprachelehre (mit T o n b a n d p r o g r a m m ) ; S t u t t gart 1971 (Ü). K u r k a , E.: Z u r Anregung und Pflege des Sprechdenkablaufs als Vorbereitung f ü r die freie Rede; Festschrift zum 50jährigen Bestehen der sprechkundlichen Arbeit a. d. U n i v . H a l l e — W i t t e n b e r g , hrsgg. v. H . Krech, H a l l e 1956, S. 453—461 (R). L E B E N S G U T / Ein deutsches Lesebuch f ü r höhere Schulen; 2. Teil, F r a n k f u r t — B e r l i n — B o n n 1962. L e m m e r m a n n , H . : Lehrbuch der Rhetorik / Die Kunst der Rede und der Diskussion; G o l d m a n n Tb. 1443 (R). Lockemann, F.: Das Gedicht u n d seine Klanggestalt; Emsdetten 1952 (V). Der R h y t h m u s des deutschen Verses / S p a n n k r ä f t e u n d Bewegungsformen in der neuhochdeutschen Dichtung; München" 1960 (V). Luchsinger, R . / A r n o l d , G. E.: Lehrbuch der Stimm- und Sprachheilkunde; 2. Aufl., Wien 1959. Mangold, M.: Laut und Schrift im Deutschen; Duden-Beiträge, H . 3, M a n n h e i m 1961. Martens, C. u. P.: Phonetik der deutschen Sprache;
Literaturverzeichnis
105
1. Praktische Aussprachelehre, München 1961; 2. Übungstexte zur deutschen Aussprache, München 1962; 3. Deutsche Aussprache (Schallplatte), München o. J. Mönckeberg, V.: Der Klangleib der Dichtung; Hamburg 1964 (V). Orthmann, M.: Sprechkundliche Behandlung funktioneller Stimmstörungen; Halle 1956. Panconcelle-Calzia: Die Stimmatmung / Das Neue — das Alte; N o v a Acta Leopoldina 18, Leipzig 1956, S. 28. SIEBS: Deutsche Hochsprache / Bühnenaussprache; hrsgg. v. H . de Boor u. P. Diels, 18. Aufl., Berlin 1961. SIEBS: Deutsche Aussprache / Reine und gemäßigte Hochlautung mit Aussprachewörterbuch; hrsgg. v. H . de Boor, H . Moser u. Chr. Winkler, 19. umgearb. Aufl., Berlin 1969. Schilling, R.: Das kindliche Sprechvermögen / Seine Entwicklung, seine Störung und seine Pflege im Bereich der Erziehung; Freiburg i. Br. 1956. Schmitt, J. L.: Atemheilkunst; 2. Aufl., München—Berlin, Bern—Salzburg 1956. Schweinsberg, F.: Stimmliche Ausdrucksgestaltung im Dienste der Kirche; Heidelberg 1946. Rednerschulung; Werkhefte zur Sprecherziehung, Heidelberg 1948 (R). Schweinsberg-Reichart, I.: Sprecherziehung in der Erwachsenenbildung; in: Volkshochschule im Westen', H . 4/ 1970. Stampa, Α.: Atem, Sprache und Gesang; Kassel 1956. Stötzer, U.: Deutsche Intonation / Langspielplatte mit Beiheft; Leipzig 1965. Trojan, F.: Der Ausdruck der Sprechstimme im Deutschen (mit Schallaufnahmen); Sprechkundliche Arbeiten, hrgsgg. durch das Institut für deutsche Sprechkunde der Univ. Frankfurt/M. v. W. Wittsack, Frankfurt/M. 1954. Deutsche Satzbetonung. Grundsätze und Übungen / Ein Lehr- und Übungsbuch für In- und Ausländer; Wien— Stuttgart 1961 (Ü).
106
Literaturverzeichnis
Ulrich, D.: Gruppendynamik in der Schulklasse; München 1971. Wängler, H . H . : Grundriß der Phonetik des Deutschen (mit einer allgemeinen Einführung in die Phonetik u. mit einer Schallplatte); Marburg 1960 u. 2. Aufl., Marburg 1966. Atlas deutscher Sprachlaute; 3. Aufl., Berlin 1964. Leitfaden der pädagogischen Stimmbehandlung; 2. erw. u. umgearb. Aufl., Berlin-Charlottenburg 1966 (Ü). Weithase, I.: Kleines Vortragsbuch; Weimar 1950 (V). Sprechübungen; 3. Aufl., Weimar 1955 (Ü). Zur Geschichte der gesprochenen deutschen Sprache; 2 Bde., Tübingen 1961. Weller, M.: Das Buch der Redekunst / Die Macht des gesprochenen Wortes in Wirtschaft, Technik und Politik; Düsseldorf 1954 (R). Winkler, Chr.: Gesprochene Dichtung / Textdeutung und Sprechanweisung; Düsseldorf 1958 (V). Die Klanggestalt des Satzes; Duden-Grammatik, Mannheim 1959, S. 599—627. Lesen als Sprachunterricht; 2. Aufl. 1952 u. 3. eingehend überarb. Aufl., Ratingen 1962. Lautreines Deutsch / Obungsstoffe zur Lautbildung, Auf Grund der Neubearbeitung des SIEBS von 1969, mit einer Einleitung; 6. verb. Aufl., Braunschweig 1969 (U). Deutsche Sprechkunde und Sprecherziehung; Düsseldorf 1954. 2., umgearb. Aufl. mit Beiträgen von Oberstudiendirektorin Dr. E. Essen, 1969. Wittsack, W.: Grundgedanken zur deutschen Sprechkunde; Festschrift zum 50jährigen Bestehen der sprechkundlichen Arbeit a. d. Univ. Halle—Wittenberg, hrsgg. v. H . Krech, Halle 1956, S. 371—377. Wörterbuch der deutschen Aussprache; 2. überarb. u. erw. Aufl., Leipzig u. München 1969. Wolf, E./Aderhold, E.: Sprecherzieherisches Übungsbuch; Berlin 1960 (U).
Literaturverzeichnis
107
Zacharias, Ch.: Einführung in die Sprecherziehung / Ein Leitfaden f ü r Lehrerstudenten; Berlin 1964. Die abgebildeten Zeichnungen wurden von H . H . Moewes angefertigt.
SAMMLUNG GÖSCHEN PETER VON POLENZ
Geschichte der deutschen Sprache N e u b e a r b e i t u n g der früheren Darstellung v o n H a n s Sperber 9., überarbeitete Auflage Oktav. 226 Seiten. 1978. Kartoniert D M 16,80 ISBN 3 11007525 3 (Band 2206)
HELMUT HENNE/HELMUT REHBOCK
Einführung in die Gesprächsanalyse 2., verbesserte und erweiterte Auflage Oktav. 330 Seiten. 1982. Kartoniert D M 24,80 ISBN 3 110084619 (Band 2212)
WALTHER VON HAHN
Fachkommunikation - Entwicklung - Linguistische Konzepte - Betriebliche Beispiele Oktav. 182 Seiten. 1983. Kartoniert D M 19,80 ISBN 3 11008765 0 (Band 2223)
HARALD
BURGER
Sprache der Massenmedien Oktav. 334 Seiten. 1984. Kartoniert D M 19,80 ISBN 3 11009759 1 (Band 2225)
Preisänderungen vorbehalten
Walter de Gruyter
w DE
G
Berlin · New York