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German Pages 166 Year 2020
Florian Priesemuth Grund und Grenze des Verstehens
Schleiermacher-Archiv
Herausgegeben von Notger Slenczka und Andreas Arndt, Jörg Dierken, Lutz Käppel, André Munzinger
Band 32
Florian Priesemuth
Grund und Grenze des Verstehens Theologie und Hermeneutik im Anschluss an Friedrich Schleiermacher
zugl.: Dissertation, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 2019
ISBN 978-3-11-067930-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-068459-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-068472-8 ISSN 1861-6038 Library of Congress Control Number: 2019955849 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Vorwort Friedrich Schleiermacher gilt als Vordenker der Hermeneutik wie der modernen Theologie. In welcher Weise er das komplexe Verhältnis von Hermeneutik und Theologie konzipiert, wird im Folgenden ebenso diskutiert wie das Potential dieser Verhältnisbestimmung für die protestantische Theologie der Gegenwart. Diesem Buch liegt meine Dissertationsschrift zu Grunde, die ich am 4. Juli 2019 an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg verteidigt habe. Ich danke Prof. Dr. Jörg Dierken (Halle), der die Arbeit von Beginn an mit dem ihm eigenen Sinn für die Verbindung von Pragmatischem und Spekulativem begleitet hat. Er hat das Erstgutachten verfasst. Für die weiteren Gutachten und ihre Anregungen danke ich Prof. Dr. Dirk Evers (Halle) und Prof. Dr. Rochus Leonhardt (Leipzig). Der maßgebliche Impuls für meine Beschäftigung mit Schleiermacher geht auf Prof. Dr. Ulrich Barth (Halle) zurück. Ein stetiger wie wohlwollender Widerspruch ist sein genuiner Beitrag zur vorliegenden Verhältnisbestimmung von Hermeneutik und Kritik. Gefördert wurden meine Studien der Ev. Theologie und Philosophie durch das Ev. Studienwerk Villigst. Das Promotionsstudium hat die Ev. Landeskirche Anhalts dadurch unterstützt, dass sie mich 2016 als Inspektor des Reformierten Convicts in Halle in ihren Dienst aufgenommen hat. Seit 2018 hat sie mich darüber hinaus in ein berufsbegleitendes Gastvikariat in die Ev.-ref. Domgemeinde Halle (EKM) entsandt. Besonderer Dank gilt den Herausgebern der Reihe „Schleiermacher-Archiv“ (SchlA) für die Aufnahme meiner Arbeit und dem Verlag De Gruyter für die professionelle Betreuung. Den systematisch-theologischen und philosophischen Kolloquien und Sozietäten in Berlin, Halle und Leipzig danke ich für die Möglichkeit einige der folgenden Überlegungen gemeinsam zu diskutieren. Der Internationalen Schleiermacher-Gesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Religionsphilosophie (DGR) und dem Netzwerk für Hermeneutik und Interpretation (NHI) am Institut für Hermeneutik und Religionsphilosophie der Universität Zürich danke ich für die Einladungen, bei ihren Veranstaltungen zu einzelnen Aspekten meines Projekts zu sprechen. Zuletzt danke ich meiner Frau, Annemarie Priesemuth, die das vollständige Manuskript durchgesehen hat. Ich hoffe, dass dieses Buch dazu beitragen kann, das Verhältnis von Hermeneutik und Theologie in systematischer Hinsicht weiter zu erhellen. Halle (Saale) zu Erntedank 2019 Florian Priesemuth
Inhalt 1 Einleitung – Verstehen verstehen 4 Verstehen und Sprache Verstehen als Methode 5 Verstehen als Praxis 6 8 Verstehen der Bibel 9 Verstehen von Religion I
Theoriedimensionen von Schleiermachers Sprachphilosophie A Zeichen und Sprache 14 19 B Sprechen und Sprache 23 C Sprache in dreifacher Relation Darstellung 25 27 Ausdruck Appell 33
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36 Schleiermachers allgemeine Hermeneutik A Die Kunst des Verstehens von Sprachzeichen 42 B Verstehen von Sprechen und Sprache C Kritik des Verstehens 46
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51 III Hermeneutische Konkretionen A Über Verständlichkeit und Unverständlichkeit. Schleiermachers 52 Rezensionen Schleiermacher als Theoretiker der Verständlichkeit. Über den Stil (1790/91) 53 Charakterisieren. Die Rezensionstheorie des Athenaeums 55 „Von Feinheit und Ironie“. Schleiermachers Rezensionen für das Athenaeum 57 Stoff und Form. Schleiermachers Rezension der Schlegelschen Rezensionen 58 Hermeneutik bei Friedrich Schlegel und Schleiermacher 60 61 . Unverständlichkeit . Besserverstehen 62 . Kritik 62 63 Schleiermacher als Literaturkritiker B Systematische Philosophie. Schleiermachers Platonstudien 64 Ausgang vom Nichtverstehen. Zur Kritik bisheriger Übersetzungen 65 Friedrich August Wolf. Das Vorbild der Kritik 66 Vom Ganzen her. Die Hermeneutik der Platonübersetzung 67
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Inhalt
Philosophie als System. Der Platon der 69 Philosophiegeschichtsvorlesungen Platon als Ethiker. Das Platonbild der Kritik der Sittenlehre 72 Schleiermacher als Übersetzer Platons 75 Die Entdeckung des Deuteropaulinismus. Hermeneutik und neutest77 amentliche Exegese „Das eigentliche Ziel“. Hermeneutik und exegetische Theologie 77 Die allgemeine Auslegungskunst in der Einleitung zum Neuen 81 Testament 83 Ein Kanon im Kanon. Das Paulusbild der Einleitungsvorlesung „Eine ziemlich schlecht fingirte Schrift“. Die Kritik am 1 Tim 86 Ein „deutliches Beispiel der Worte des Erlösers“. Das Paulusbild in ausgewählten Predigten 88 91 Schleiermacher als Neutestamentler 92 Theorie und Praxis
C
D
IV Kunst und Kritik. Grund und Grenze protestantischer Schrifthermeneutik 94 95 A Die Schrifthermeneutik der Glaubenslehre 106 B Grenzen singularisierender Schrifthermeneutik Die Singularisierung des historischen Jesus 108 112 Die Singularisierung des geglaubten Christus C Grenzen pluralisierender Schrifthermeneutik 114 114 Unkritische Pluralisierung 119 Pluralisierung zwischen Kunst und Kritik V
Grund und Grenze hermeneutischer Theologie 126 A Die Hermeneutik der „Hermeneutischen Theologie“ im 20. Jahrhundert 127 128 B Gegenwärtige hermeneutische Religionsphilosophie C Hermeneutische Theologie im Anschluss an Schleiermacher
136 Literaturverzeichnis Schriften von Friedrich D. E. Schleiermacher 138 Weitere Literatur Personenregister
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Einleitung – Verstehen verstehen Die Vergilschen Dichtungen über die Landwirtschaft kann niemand verstehen, er sei denn fünf Jahre Ackermann gewesen. Die Briefe Ciceros kann niemand verstehen, er habe denn 25 Jahre in einem großen Gemeinwesen sich bewegt. Die Heilige Schrift meine niemand genugsam geschmeckt zu haben, er habe denn hundert Jahre lang mit Propheten wie Elias und Elisa, Johannes dem Täufer, Christus und den Aposteln die Gemeinden regiert. Versuche nicht diese göttliche Aeneis, sondern neige dich tief anbetend vor ihren Spuren! Wir sind Bettler, das ist wahr. (Martin Luther, WA 48, 421)
Verstehen ist keineswegs selbstverständlich. Weder stellt es sich notwendigerweise ein, noch lässt es sich zwangsweise generieren oder voraussetzen. Auch der Versuch das Verstehen zu verstehen stößt immer wieder an Grenzen. Friedrich Schleiermacher bringt diese Probleme auf den Begriff: Verstehen ist eine Kunst. Als Kunst im Sinn des griechischen Wortes technē beschreibt Schleiermacher damit eine Kunstfertigkeit und nicht bloß wie der heute gängige Sprachgebrauch das Produkt künstlerischer Praxis. Verstehen ist damit auch nicht willkürlich. Es bleibt rückführbar auf eine Methode und damit partiell nachvollziehbar. Es lässt sich in Frage stellen, warum etwas so und nicht anders verstanden wird. Schleiermachers Hermeneutik ist eine Kunstlehre des Verstehens. Ein solches Verstehen ist offen für Kritik. Es ermöglicht sie allererst und ist zugleich auf sie angewiesen. Ohne offenzulegen, wie etwas verstanden wird, kann ein Verständnis nicht sinnvoll kritisiert werden. Und ob man wirklich etwas verstanden hat, zeigt sich erst im kritischen Gespräch darüber, was man verstanden hat. Indem Schleiermachers Hermeneutik ihre Verfahrensweisen transparent hält, vermeidet sie hermetisch zu werden. Und indem sie ihre Ergebnisse der Kritik aussetzt, bleibt sie anderem Verstehen gegenüber anschlussfähig. Mit den Stichworten ‚Kunst‘ und ‚Kritik‘ ist die Grundspannung der Schleiermacherschen Hermeneutik benannt, die durch eine Rekonstruktion seiner Theorie des Verstehens herausgearbeitet und für die Frage nach der gegenwärtigen Bedeutung der Hermeneutik für die Theologie fruchtbar gemacht werden soll. In Anlehnung an die kantische Redeweise von Grund und Grenze der Erfahrung, lassen sich bei Schleiermacher Kunst und Kritik als Grund und Grenze des Verstehens ausweisen und für ein Verstehen des Verstehens fruchtbar machen. https://doi.org/10.1515/9783110684599-001
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Einleitung – Verstehen verstehen
Wenn im Folgenden dem Verhältnis von Hermeneutik und Theologie im Anschluss an Friedrich Schleiermacher nachgegangen werden soll, ist eine systematische Fragestellung leitend. Was trägt die seine Hermeneutik bestimmende dialektische Spannung von Kunst und Kritik für die Beurteilung der verschiedenen Hermeneutikbegriffe aus, die in der gegenwärtigen systematischen Theologie diskutiert werden? Dabei kommen der Hermeneutikbegriff der neutestamentlichen Exegese ebenso in den Blick wie die Frage nach der Rolle der Schrifthermeneutik in der Dogmatik und schließlich auch die Rede von einer Hermeneutik der Religion beziehungsweise ein Verständnis der gesamten Theologie als Hermeneutik. Um diese verschiedenen Felder miteinander zu verbinden ist zunächst eine systematische Rekonstruktion dessen geboten, was im Folgenden den vergleichenden Bezugspunkt darstellen soll: die Hermeneutik Friedrich Schleiermachers. Diese ist durch Wilhelm Dilthey zu klassischem Rang in der Geschichte der Hermeneutik gelangt.¹ Schleiermacher wurde zum Wegbereiter oder gar Erfinder der allgemeinen Hermeneutik gemacht. Auf Grundlage unterschiedlicher Editionen der Hermeneutikvorlesung folgten primär philosophisch motivierte Interpretationen, die Schleiermacher ins Verhältnis zum Hermeneutikverständnis Gadamers (Heinz Kimmerle) oder des französischen Strukturalismus (Manfred Frank) setzten.² Philosophiegeschichtliche Einordnungen der Schleiermacherschen Hermeneutik dagegen haben seinen Ansatz entweder als Synthese der bisherigen Hermeneutik interpretiert (Harald Schnur, Reinhold Rieger) oder ihn als Systematisierer der Hermeneutik Friedrich Schlegels gelesen (Manuel Bauer).³ Mit der 2012 von Wolfgang Virmond besorgten Edition der Vorlesungen Hermeneutik und Kritik in der Kritischen Gesamtausgabe (KGA II/4) ist die Möglichkeit gegeben, die bisherigen Interpretationen neu zu prüfen. Dabei soll Schleiermachers Hermeneutik nicht nur in ihren philosophischen Kontexten, sondern auch in ihren literaturwissenschaftlichen, philologischen und theologischen Anwendungsfeldern interpretiert und gewürdigt werden. Werkgenetische Fragestellungen nach den Motiven für Veränderungen im Entwurf und die Fragen nach möglichen Einflüssen auf Schleiermacher werden dabei zugunsten der systematischen Untersuchung zurückgestellt. Versucht man sich Schleiermachers Hermeneutik zu vergegenwärtigen, hilft es sich zunächst klarzumachen, was sie nicht ist: eine Theorie der nonverbalen Kommunikation. Schleiermacher stellt in seiner Kunstlehre des Verstehens ganz auf Rede ab, gesprochene Sprache in einem bestimmten kommunikativen Kontext. Als Rede interpretiert lassen sich auch schriftliche Texte verständlich machen. Kunstgemäßes Verstehen ist bei Schleiermacher sprachlich verfasst. Um nachzuvollziehen, wie ein Vgl. Dilthey, Die Entstehung der Hermeneutik; Ders., Das Leben Schleiermachers. Vgl. Kimmerle, Schleiermachers Hermeneutik vor dem Hintergrund seines spekulativen Denkens; Frank, Das individuelle Allgemeine. Vgl. Schnur, Schleiermachers Hermeneutik und ihre Vorgeschichte im 18. Jahrhundert; Rieger, Interpretation und Wissen; Bauer, Schlegel und Schleiermacher.
Einleitung – Verstehen verstehen
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solches Verstehen von Sprache gelingen kann, lohnt es sich das Verhältnis von Sprache und Hermeneutik auch hinsichtlich der Funktion der Sprache für Schleiermachers Kommunikationstheorie und Semiotik zu untersuchen. Hier zeigt sich, dass die Sprache für Schleiermacher ein multiperspektivisches Phänomen ist. Das Verstehen von Sprache wird sich als Schlüssel zum Verständnis von Schleiermachers allgemeiner Theorie des Verstehens ausweisen lassen. Kunst und Kritik des Verstehens werden im Kontext der allgemeinen Hermeneutik zunächst als Beitrag zum Verstehen von Sprache interpretiert. Schleiermachers Überlegungen zur Sprache stehen am Beginn der folgenden Untersuchungen (I. Kapitel). Insofern bei Schleiermacher keine Sprachphilosophie in systematischer Gestalt vorliegt, muss sie als solche zunächst aus der Vielfalt der Quellen erschlossen und in eine systematische Gestalt überführt werden. Seine allgemeine Hermeneutik, die dem Verstehen von Sprache dienen soll, lässt sich dann als Vermittlung der verschiedenen Dimensionen seines Nachdenkens über Sprache darstellen (II. Kapitel). Die hier herauszuarbeitende Aufeinanderbezogenheit von Kunst und Kritik sucht zwischen den Dimensionen der Sprache zu vermitteln. Verschiedene Anwendungsbereiche von Schleiermachers Hermeneutik (III. Kapitel) zeigen, wie praxisbezogen diese Kunstlehre des Verstehens ist, aber auch wie kritikwürdig die Ergebnisse seiner konkreten Verstehensbemühungen sind. Durch alle Anwendungsgebiete zieht sich das Gegenüber von kreativen und limitativen Verfahren. Dem Verhältnis von protestantischer Theologie und einer Reihe von verschiedenen systematisch-theologischen Hermeneutikbegriffen sind die beiden letzten Kapitel gewidmet, die die Valenz der von Schleiermacher aufgezeigten Grundspannung zwischen Kunst und Kritik für die protestantische Schriftlehre (IV. Kapitel) und Religionshermeneutik bzw. hermeneutische Theologie herausstellen (V. Kapitel). Die Art und Weise, wie Schleiermacher das Verstehen versteht, – dass dieses wohlverstanden nie ohne Grund und ohne Grenze ist, – lässt sich, wie gezeigt werden soll, produktiv auf das Verstehen biblischer Texte und religiöser Deutungen übertragen. Es ergeben sich durch eine solche Lesart Schleiermachers Impulse für eine hermeneutische Theologie, die nicht einfach an die „Hermeneutische Theologie“ Theologie der protestantischen Theologie des 20. Jahrhunderts anschließt, sondern in konstruktiv-kritischer Weise über dieses Konzept wie auch über Schleiermachers eigenen Ansatz hinausweisen. Die folgenden Abschnitte der Einleitung (1. bis 5.) bieten eine knappe Zusammenschau der Methodologie und Beweisziele der sich dann anschließenden Hauptkapitel (I. bis V.). Eine Übersicht über die jeweilige Forschungsliteratur wird jeweils am Anfang der Hauptkapitel geboten. Aufgrund der Fülle an Literatur und mit dem Stichwort Hermeneutik verknüpfter Arbeiten, kann es hier nur um eine exemplarische Auswahl gehen.
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Einleitung – Verstehen verstehen
1 Verstehen und Sprache Sprache ist für Schleiermacher Gegenstand semiotischer, semantischer und kommunikationstheoretischer Überlegungen. Da die Gedanken zur Sprache über sein gesamtes Werk verteilt sind und sich in unterschiedlichen Quellen, überwiegend in Vorlesungsmanuskripten und -nachschriften, finden, wird im I. Kapitel ein systematisierender Zugriff gewählt, der die verschiedenen Äußerungen erstmals in einer Gesamtdarstellung bündelt. Zur Rekonstruktion dieser drei Theoriedimensionen von Schleiermachers Sprachphilosophie, Semiotik, Semantik und Kommunikationstheorie bietet sich die Sprachtheorie Karl Bühlers an.⁴ Bühler entfaltet eine Sprachtheorie, die in der Lage ist die Vielzahl mit der Sprache befasster wissenschaftlicher Disziplinen zu integrieren.⁵ Seine Axiome sind als Grundannahmen einer interdisziplinären und multiperspektivischen Sprachtheorie angelegt. Für die Erschließung der Theoriedimensionen der Sprache bei Schleiermacher bieten sich drei dieser Axiome besonders an: der Zeichencharakter der Sprache, die Differenz von Sprechen und Sprache und die dreifache Relationalität von konkreten Sprachereignissen. Bühler begründet seine Sprachtheorie semiotisch. Die Sprache ist eine Form des Zeichens. Zeichen eignet ein Verweischarakter, der in seiner allgemeinsten Form durch die bereits in der Scholastik herausgearbeitete Als-Struktur gekennzeichnet ist: Etwas steht für etwas. Schleiermachers Begriff ‚Symbolisieren‘ lässt sich von diesem Ausgangspunkt, einer allgemeinen Zeichenstruktur der Sprache, her interpretieren. Aus der akademischen Lehrtradition steht hier das Bezeichnungsvermögen (facultas signatrix) im Hintergrund. Die Zeichentheorie stellt auch für Schleiermacher die Rahmentheorie seines Sprachverständnisses dar. Die Differenz von Sprechen und Sprache gehört für Bühler und spätestens seit Wilhelm von Humboldt und Ferdinand de Saussure zu den Grundunterscheidungen der Sprachtheorie. Auch für Schleiermacher lässt sich Sprache weder auf den reinen Akt des Sprechens, noch das Mittel und Produkt des Sprechens einschränken. Sprache ist für ihn immer sowohl einzelne Handlung als auch vorgegebene Struktur. Eine Variante des semiotischen Dreiecks, die für die Relationshinsichten der Sprache entwickelt wurde, ist Karl Bühlers Organon-Modell.⁶ Das konkrete Sprachereignis hat eine Darstellungs-, Ausdrucks- und Appelldimension. Schleiermacher legt den Fokus seiner Sprachtheorie auf die Darstellungs- und Ausdrucksdimension. Sprache wird bei ihm – mit Bühler gesprochen – somit primär als Symbol und Signal betrachtet.
Vgl. Innis, Art. Karl Bühler (1879 – 1963); Ders., Bühler and his followers. Vgl. Bühler, Axiomatik der Sprachwissenschaften und Ders., Sprachtheorie. Weiterführend zu Bühlers Sprachtheorie vgl. Eschbach, Bühler-Studien und Ders., Karl Bühler’s Theory of Language.
2 Verstehen als Methode
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Die Multiperspektivität des Phänomens Sprache stellt die Herausforderung einer jeden Kunstlehre dar, die solche Sprache zu verstehen sucht. Schleiermacher hat sich in seiner allgemeinen Hermeneutik genau dieser Aufgabe gestellt.
2 Verstehen als Methode Die Interpretation von Schleiermachers allgemeiner Hermeneutik im II. Kapitel darf wie auch das I. Kapitel zur Sprachphilosophie primär systematisch verfahren, da bereits eine Reihe von Interpretationen vorliegen, die die verschiedenen Vorlesungen diachron untersucht haben.⁷ Ich will dagegen zeigen, wie sich die Anlage der Schleiermacherschen Hermeneutik aus ihren sprachphilosophischen Voraussetzungen entwickeln lässt. Seine Hermeneutik ist eine Methodenlehre des Verstehens, deren Methodenschritte sich aus seinen sprachphilosophischen Annahmen herleiten. Aus der Zeichenhaftigkeit der Sprache, die durch ihre Als-Struktur für Mehrdeutigkeit offen ist, folgt ein kunstgemäßer Gebrauch der Sprache genauso wie ein kunstgemäßes Verstehen. Keine Rede kann ein bestimmtes Verständnis erzwingen, wie auch kein Hermeneut für sein Verständnis zwingende Evidenz einfordern kann. Die Hermeneutik ist in ihrer Anwendung frei und nicht unter Gesetze zu bringen. Das macht das Verstehen für Schleiermacher zur Kunst. Schleiermachers allgemeine Hermeneutik folgt zudem der sprachtheoretischen Unterscheidung von Sprachhandlung und Sprachgebilde, wenn sie Sprache einerseits als Ausdruck und andererseits als Darstellung interpretiert. Schleiermacher unterscheidet zwei Interpretationsarten im Verstehen, die grammatische und die technischpsychologische Interpretation. Sprache als Gebilde folgt einer bestimmten Grammatik, von der aus sie verstanden werden kann. Sie ist dabei aber im Verstehen nie von ihrem Sprecher zu lösen, den zu verstehen die Aufgabe der technisch-psychologischen Seite des Verstehens bildet. Trotz der Kenntnis von Sprache und Sprecher gelingt das Verstehen nicht immer. Der Ausgangspunkt des Verstehens ist für Schleiermacher aus methodischen Gründen das Missverständnis. Als Korrektiv steht der Hermeneutik daher die Kritik in ihren drei Gestalten als philosophische, historische und philologische Kritik gegenüber. Mit dem auf diese Weise näherbestimmten Begriff von Hermeneutik als Kunst im Gegenüber zur Kritik ist die im Titel der vorliegenden Arbeit angedeutete Dialektik zwischen kreativer und limitativer Seite des Verstehens mit Blick auf die Schleiermachersche Konzeption eingeholt. Ihre Erschließungskraft wird dann zunächst in Bezug auf Schleiermachers eigene hermeneutische Arbeiten und ferner für verschiedene gegenwärtige Hermeneutikbegriffe zu prüfen sein.
Eine Reihe von Interpretationen bündelt der Sammelband von Arndt/Dierken, Friedrich Schleiermachers Hermeneutik.
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Einleitung – Verstehen verstehen
3 Verstehen als Praxis Mit Fallstudien zur Literaturkritik, Platonübersetzung und Bibelhermeneutik werden im III. Kapitel drei Arbeitsfelder Schleiermachers im Verhältnis zu seiner allgemeinen Hermeneutik untersucht, in denen seine wissenschaftliche Bedeutung bis heute in Literaturwissenschaft, Philologie und Theologie gewürdigt wird. Gegenüber einer in der Forschung mitunter vertretenen Überbetonung eines einzelnen dieser Arbeitsgebiete als dem ursprünglichen Anwendungsort seiner Hermeneutik sollen hier die Zusammenhänge in Schleiermachers unterschiedlichen hermeneutischen Arbeitsfeldern herausgearbeitet werden. Im Bereich der Literaturkritik ist Schleiermacher vor allem als Mitarbeiter der Zeitschrift Athenaeum bekannt. Dieses von den Schlegel-Brüdern initiierte literarische Experiment übt seit je her eine besondere Faszination für die literaturwissenschaftliche Romantikforschung aus. Hier soll der Frage nachgegangen werden, wie das Verhältnis der Rezensionen, die Schleiermacher für die Zeitschrift verfasst hat, zu seiner Hermeneutik einzuschätzen ist.⁸ Dazu werden Schleiermachers Rezensionen für das Athenaeum mit Besprechungen für andere Zeitschriften verglichen und die Hermeneutiken von Friedrich Schlegel und Schleiermacher gegenübergestellt. Insbesondere Schleiermachers Rezension der Schlegelschen Charakteristiken und Kritiken ist für dieses Verhältnis aufschlussreich. Es lässt sich zeigen, dass der Einfluss Friedrich Schlegels auf die Schleiermachersche Hermeneutik insgesamt weit weniger groß ist, als vielfach angenommen wird. Ein zweites Anwendungsgebiet der Schleiermacherschen Hermeneutik ist seine Platonübersetzung.⁹ Die entstandene Werkausgabe wird nach wie vor in der Altphilologie und Philosophie gewürdigt und in revidierten Fassungen nachgedruckt. Bekanntlich gilt seine Einschätzung der Chronologie der Dialoge heute als überholt. In der Übersetzung hat er jedoch Wegweisendes geleistet.¹⁰ Weil aber in die Datierungsfragen hermeneutische Überlegungen einfließen, müssen die chronologische Einordnung der Texte und ihre Übersetzung hier zusammen untersucht werden. Schleiermacher gibt in seinen Einleitungen zu den einzelnen Dialogen, vor allem aber in einer Einleitung zu dem gesamten Übersetzungsprojekt hierzu wichtige Hinweise. Neben der Frage, wie sich die hier ausgeführten hermeneutischen Überlegungen zu seiner allgemeinen Hermeneutik verhalten, soll auch kurz der Platonrezeption Schleiermachers in ausgewählten Teilen seines Oeuvres nachgegangen werden. Wenn auch Schleiermacher Hermeneutik und Auslegung im Sinne einer Anwendung des Verstandenen methodisch strikt getrennt haben wollte, lohnt sich dieser Seitenblick,
Zum Verhältnis von Schleiermacher und Friedrich Schlegel vgl. Bauer, Schlegel und Schleiermacher; Michel, Ästhetische Hermeneutik und frühromantische Kritik und Zovko, Verstehen und Nichtverstehen bei Friedrich Schlegel. Vgl. Käppel, Schleiermachers Hermeneutik zwischen zeitgenössischer Philologie und „Phaidros“-Lektüre und Scholtz, Platonforschung und hermeneutische Reflexion bei Schleiermacher. Vgl. dazu den Aufsatzband Cercel/Serban, Schleiermacher and the Question of Translation.
3 Verstehen als Praxis
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um etwas von der Bedeutung der Platonstudien für das Denken Schleiermachers anzudeuten. Ein drittes Feld der hermeneutischen Konkretionen stellt die neutestamentliche Exegese dar. Aufgrund des bisherigen Editionsstandes kann diesem Bereich weniger Beachtung geschenkt werden, als er für Schleiermachers Leben und Werk hatte. Als Professor der Theologie und als Prediger hat er der neutestamentlichen Exegese große Teile seiner Wirksamkeit gewidmet.¹¹ Welche Maximen hier für ihn leitend waren, erschließe ich über seine theologische Enzyklopädie, die Kurze Darstellung des theologischen Studiums. Danach wähle ich mit seinem Paulusbild ein exemplarisches Anwendungsgebiet aus, das sich aufgrund der mit der Paulusforschung verbundenen hermeneutischen Probleme besonders anbietet.¹² Paulus tritt im Neuen Testament als Briefautor und als Figur in der Apostelgeschichte auf. Dass es zwischen verschiedenen Formen der Darstellung seiner Biographie und seiner Theologie gewisse Differenzen gibt, war auch der älteren neutestamentlichen Forschung bekannt. Schleiermacher arbeitet insbesondere inhaltliche und sprachliche Unterschiede zwischen einzelnen Briefen heraus und kommt in seinem Sendschreiben an Gaß zu dem Schluss, dass der 1 Tim nicht von Paulus selbst verfasst worden ist. Die hier zugrundeliegenden hermeneutischen Überlegungen werden auch mit Blick auf seine Einleitungsvorlesung zum Neuen Testament nachgezeichnet. Ein Ausblick auf das Paulusbild ausgewählter Predigten rundet die Darstellung ab.¹³ Schleiermachers literarische Kritik, Platonübersetzung und Exegese geben zusammengenommen einen Eindruck seiner vielseitigen hermeneutischen Arbeitsfelder. Es sind Studien, in denen sein facettenreicher Blick auf hermeneutische Probleme ihm zu einem Verstehen verhilft, das vielleicht nicht immer in seinen Ergebnissen, aber in seiner Methode von Interesse für die gegenwärtige Hermeneutik sein kann. In den Fragen nach einer vorbildlichen Rezensionspraxis, einer Chronologie der Dialoge Platons oder der Deuteropaulinenforschung wird Schleiermacher heute allenfalls als eine Station der Forschungsgeschichte gehandelt.Was die Offenlegung der mit diesen Themengebieten verbundenen hermeneutischen Probleme angeht, sind seine Studien dagegen von kaum zu überbietender Tiefenschärfe und systematischer Klarheit.
Vgl. Herms, Schleiermachers Verständnis der exegetischen Theologie und Helmert, Schleiermachers exegetische Theologie. Vgl. Patsch, Die Angst vor dem Deuteropaulinismus. Vgl. Trillhaas, Schleiermachers Predigt und das homiletische Problem und Ders., Der Berliner Prediger.
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Einleitung – Verstehen verstehen
4 Verstehen der Bibel Über die Rekonstruktion des Schleiermacherschen Hermeneutikkonzepts hinaus soll die Erschließungskraft der Vermittlung von Kunst und Kritik auch für die gegenwärtige protestantische Schriftlehre ausgewertet werden.¹⁴ In der gegenwärtigen Pluralität der evangelischer Schrifthermeneutiken scheint die Beschäftigung mit einem klassisch-modernen Denker ein bereits überholter Rückschritt zu sein. Dagegen ist es das Anliegen der vorliegenden Studie zu zeigen, dass Schleiermachers Verstehenslehre auch in der Vielzahl der gegenwärtigen protestantischen Schrifthermeneutiken helfen kann, hermetisch gewordene Ansätze aufzubrechen und sich selbst der Kritik entziehende Schrifthermeneutiken zu kritisieren. Dies soll an ausgewählten exemplarischen Positionen deutlich werden. Versteht sich Schrifthermeneutik als Kunstlehre, kann sie ihre Ergebnisse wissenschaftlich kontrolliert ausweisen und kritisch ins Gespräch bringen. Dabei muss sie ihren spezifisch theologischen Charakter nicht aufgeben, sondern profiliert herausarbeiten. Deutlich wird dies darin, wie Schleiermacher in seiner Glaubenslehre die materialdogmatische Funktion der Hermeneutik für die Theologie bestimmt. Sein spezifischer Neuansatz bei der Interpretation der Inspirationslehre hat ihre Pointe gerade nicht in einer exklusiven Offenbarungslehre, sondern in einer Verbindung von Christologie, Pneumatologie und Ekklesiologie. Kritisch anzumerken sind dabei ihre soteriologische Verengung und die bei ihm daraus resultierende Abwertung des Alten Testaments.¹⁵ In der Pluralität der gegenwärtigen Schrifthermeneutiken kann der Rückgriff auf Schleiermachers Hermeneutik in doppelter Weise orientieren. Er verweist einerseits auf den künstlerischen Charakter aller Verstehensvollzüge und bindet selbige andererseits an eine kritische Methode. Mit den Stichworten ‚Kunst‘ und ‚Kritik‘ lassen sich im Anschluss an Schleiermacher auch Grund und Grenze gegenwärtiger protestantischer Schrifthermeneutik bestimmen. Von Schleiermacher her sind daher diejenigen Schrifthermeneutiken zu kritisieren, die in der hermeneutischen Arbeit deren kunstgemäßen Charakter zurückstellen oder gar negieren. Daneben sind solche Schrifthermeneutiken zu kritisieren, die bereits das Ergebnis des gelingenden Verstehens zu kennen meinen und sich von daher resistent gegenüber verschiedenen Formen von Kritik wähnen. Schleiermachers Theologie verweist auf eine allgemeine Hermeneutik. Welche Relevanz eine Theorie des Verstehens für eine protestantische Schriftlehre hat, die sich um einen reflektierten Umgang mit ihren Methoden und Forschungsgegenständen bemüht, soll das IV. Kapitel zeigen. Diese Intention teilen auch die Studien von Gräb, Die unendliche Aufgabe des Verstehens und Ders., Schleiermachers Beitrag zu einer Hermeneutik der Religion. In der gegenwärtigen Theologie hat sich an diese Kritik an Schleiermacher eine Diskussion um die Bedeutung der theologischen Hermeneutik angeschlossen. Auslöser dieser Debatte war Notger Slenczka, der seine Studien zum Thema in Vom Alten Testament und vom Neuen versammelt hat.
5 Verstehen von Religion
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5 Verstehen von Religion Auch in der religionstheoretischen Debatte protestantischer Prägung findet der Hermeneutikbegriff Verwendung. Hierbei werden texthermeneutische Überlegungen auf eine Hermeneutik des Lebens, der Existenz, des Erlebens, des Gefühls, der Stimmung oder der Erfahrung übertragen. Schleiermachers bleibend gültiger Beitrag zur neuzeitlichen Beschreibung von Religion sind seine Impulse zu einer deutungstheoretischen erlebnis- bzw. erfahrungsbezogenen Religionstheorie.¹⁶ In der gegenwärtigen religionsphilosophischen Debatte um den Deutungsbegriff spiegeln sich einige Probleme, die auch das kunstgemäße Verstehen von Texten mit sich bringt. Im V. Kapitel kann ebenfalls die im Anschluss an Schleiermacher nachgezeichnete Spannung von Kunst und Kritik zu einer systematischen Klärung der verschiedenen Positionen fruchtbar gemacht werden. Wenn sich die Religionstheorie auf die allgemeine Hermeneutik beruft, sollte sie sich auch die Rückfragen der allgemeinen Hermeneutik gefallen lassen. Wenn sie in dieser Weise Grund und Grenze des Verstehens von Religion reflektiert, kann die Religionsphilosophie einer hermeneutischen Theologie im Anschluss an Schleiermacher den Weg bereiten. Im Sinne eines Ausblicks soll am Schluss der Arbeit die Idee einer so verstandenen hermeneutischen Theologie skizziert werden.
Vgl. Grove, Deutungen des Subjekts.
I Theoriedimensionen von Schleiermachers Sprachphilosophie Mit der Sprache beginnt der Mensch, denn die erste Vernunftentwikklung offenbart sich durch sie; und mit der Sprache endet er, denn der Philosoph hat seine Bestimung ganz erfüllt, wenn er seine Entdekkungen in der Sprache fixiert hat. (Pädagogik (1813/14), KGA II/12, 296)
Zum Thema Sprache finden sich in Schleiermachers Werk eine Reihe von Hinweisen und Andeutungen, aber keine ausgearbeitete Theorie, obwohl dem Phänomen in verschiedenen Kontexten durchaus eine zentrale Rolle zukommt. Wie seine Überlegungen zur Sprache systematisch zusammengefasst werden können, ist nach wie vor eine offene Frage der Schleiermacherinterpretation.¹⁷ Bislang hat die Forschung Schleiermachers Überlegungen zur Sprache unter den drei Perspektiven a) Semantik, b) Kommunikationstheorie und c) Semiotik untersucht, wobei jeweils bestimmte Texte Schleiermachers im Fokus standen: für die Semantik die Hermeneutik, für die Kommunikationstheorie die Dialektik und für die Semiotik ebenfalls die Hermeneutik. Der folgende Forschungsüberblick folgt diesem Dreischritt. Zunächst wurde (a) Schleiermachers Semantik ausgehend von seiner Hermeneutik zu erschließen versucht. In Abgrenzung zu den Arbeiten Wilhelm Diltheys hat Heinz Kimmerle in seiner Dissertation Die Hermeneutik Schleiermachers (1957) die These aufgestellt, Schleiermacher sei zunächst von der Identität von Sprache und Denken ausgegangen, die dann auch Niederschlag in seiner frühen Hermeneutik und ihrer Unterscheidung von grammatischer und technischer Interpretation gefunden habe. Später sei er von dieser Identitätsthese abgewichen und zu der von Dilthey beschriebenen primär psychologischen Auslegung übergegangen, bei der die Sprache lediglich als Ausdrucksmittel des Individuellen diene. Hans-Georg Gadamer hat in seinem Aufsatz Das Problem der Sprache in Schleiermachers Hermeneutik (1968) die Beobachtungen Kimmerles zur Bedeutung der Sprache für die Hermeneutik aufgenommen. Gadamer kritisiert an Schleiermacher, dass dieser in seiner Analyse der Bedeutung der Sprache für das Verstehen aber nicht weit genug gegangen sei. Nicht vom Individuellen her, wo Gadamer in der Tradition Diltheys den Ausgangspunkt von Schleiermachers Sprachverständnis ausmacht,
So auch Thouard, Die Sprachphilosophie der Hermeneutik, 85: „Angesichts der Tatsache, dass die Rezeption der Hermeneutik Schleiermachers meist von einer sehr spezifischen Auffassung seiner Sprachphilosophie mitbestimmt wurde, ist eine nähere Erforschung seiner Sprachkonzeption wünschenswert, ja gar erforderlich, um seine Philosophie angemessen zu verstehen und zu würdigen. Eine solche bleibt dennoch bis heute aus.“ https://doi.org/10.1515/9783110684599-002
I Theoriedimensionen von Schleiermachers Sprachphilosophie
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sondern vom Allgemeinen in der Sprache ausgehend komme es zum Verstehen. Gadamer gewichtet die überindividuelle Seite der Sprache stärker als die individuelle und sieht die Akzente bei Schleiermacher genau entgegengesetzt verteilt. Manfred Frank kritisiert die einseitig auf die Rolle des Individuellen bezogenen Interpretationen der Hermeneutik Schleiermachers und setzt dagegen eine Rekonstruktion der Wechselbezogenheit von allgemeiner Sprache und individuellem Denken. Dass die Sprache in dieser Gegenüberstellung am Ort des Allgemeinen steht, verweist indirekt auch auf die Sprachphilosophie Heideggers und Gadamers. Frank zielt in Das individuelle Allgemeine (1977) auf eine Harmonisierung von Schleiermachers Sprachauffassung mit dem Strukturalismus. Harald Schnur Schleiermachers Hermeneutik (1994) ist den sprachphilosophischen Voraussetzungen der Hermeneutik Schleiermachers nachgegangen. Er verwendet dazu ein idealtypisch-dualistisches Schema: Schleiermacher stelle eine Mittelposition zwischen „Bibelhermeneutik“ und „ästhetisch-literarischer Hermeneutik“ dar. Die „Bibelhermeneutik“ sei durch einen instrumentell-rhetorischen Sprachbegriff, den Ausgang vom Einzelnen und eine zeichen- bzw. bedeutungstheoretische Orientierung gekennzeichnet, die „ästhetisch-literarische Hermeneutik“ dagegen durch einen medialen Sprachbegriff, den Ausgang vom Ganzen und eine verstehenstheoretische Orientierung. Die Studie von Schnur macht deutlich, welche Relevanz die zugrundeliegende Semantik für die Hermeneutik Schleiermachers hat, wenn auch Schnurs sprachphilosophische Gegenüberstellungen stark von Schleiermachers eigener Selbststilisierung geprägt sind. Es hat sich gezeigt, dass die von der Hermeneutik ausgehenden Studien Schleiermachers Sprachverständnis in eine zweistellige Semantik einschreiben, in der Sprache und Denken wechselseitig aufeinander bezogen sind. Sowohl für die historische Kontextualisierung wie auch für die Vergegenwärtigung von Schleiermachers Sprachverständnis werden hierbei dualistische Theoriemodelle herangezogen. Im Folgenden soll die gängige Interpretationsperspektive dahingehend modifiziert werden, Schleiermachers Überlegungen zur Sprache nicht mit einer zweistelligen, sondern mit einer dreistelligen Semantik zu vergleichen. Neben der Hermeneutikforschung ist das Thema Sprache auch (b) in der Interpretation von Schleiermachers Dialektik aufgegriffen worden. Schleiermacher fasst Dialektik als dialogisches Gespräch und damit als sprachliche Kommunikation auf. Eine Reihe von jüngeren Arbeiten bündelt der Aufsatz Wahrheit, Dialog und Sprache in Schleiermachers Dialektik (2003) von Jan Rohls, der zeigen kann: Die Genese des Wissens ist von Schleiermacher im Anschluss an Platon als ein kunstgemäßes Gespräch gedacht. Jedes Gespräch ist in Ermangelung einer Universalsprache an einen bestimmten kommunikativen Kontext, einen „Sprachkreis“, gebunden. Einen besonderen Akzent auf das Thema Sprache in der Dialektik hat Rudolf Odebrecht in der von ihm besorgten Ausgabe der Dialektik gelegt, in der die Reinschrift der Vorlesungseinleitung von 1831 erstmals mit aufgenommen ist. In der Einleitung des Herausgebers (1942) hält er fest: „Die Stadienentwicklung der Entwürfe [der Dialektikvorlesung] vollzieht sich unter zunehmender Dominanz des Postulates, daß
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zwischen Denken und Reden der innigste Zusammenhang besteht, dem auch das „reine“ Denken unterliegt; und daß Dialektik, ihrem eigentlichen Wortsinn entsprechend, als Kunst der Gesprächsführung zu begründen ist.“¹⁸ Einen Fokus auf die Funktion der Sprache in der Dialektik setzen auch Christoph von Sigwart Schleiermachers Erkenntnißtheorie (1857) und die Dissertation Studien zur Dialektik Friedrich Schleiermachers (1954) von Karl Pohl, die Schleiermacher in einer Linie mit Platon und im Vergleich zu Hegel, Humboldt und Herder interpretiert. Wesentliche Einsichten der Dissertation fasst sein Aufsatz Die Bedeutung der Sprache für den Erkenntnisakt (1954) zusammen. Explizit nimmt der Titel der Studie von Udo Kliebisch Transzendentalphilosophie als Kommunikationstheorie (1981) die These auf, Schleiermachers Dialektik sei eine Kommunikationstheorie. Kliebisch betont die Rolle der Sprache in der Dialektik gegenüber der Interpretation Falk Wagners in Schleiermachers Dialektik (1974),¹⁹ der Odebrechts Gewichtung des Themas als Überbewertung betrachtete.²⁰ Für Wagner ist Schleiermachers Dialektikbegriff nicht „auf das Gespräch als solches, sondern das Bewußtsein von der Zweideutigkeit eines Gedankens“ bezogen.²¹ Dass in dieser Lesart die Bedeutung der Sprache für die Dialektik zu kurz komme, kritisiert auch HansRichard Reuter Die Einheit der Dialektik Friedrich Schleiermachers (1979).²² Die Dialektik als eine Theorie der auf Wissen zielenden Kommunikation zu interpretieren, erweitert den Blick auf Schleiermachers Sprachverständnis: Sprache, so lässt sich zusammenfassen, hat eine wesentliche Funktion in der intersubjektiven Kommunikation. Jedes Gespräch bewegt sich in einem bestimmten kommunikativen Kontext, an welchen sowohl die Sprache als auch die Sprecher gebunden sind, diesen aber auch zugleich mitgestalten. Diese Zwischenstellung zwischen Gemeinschaft und Individualität arbeitet Denis Thouard Schleiermacher (2007) heraus.²³ Schleiermachers Gedanken zur Kommunikationstheorie finden sich keineswegs nur in der Dialektik. Sie ist einem bestimmten Kommunikationsziel, dem Streben nach Wissen, gewidmet. Vielfach wurde auch hier die Hermeneutik Schleiermachers herangezogen. Im Anschluss an Odebrecht gilt die Hermeneutik der Mehrzahl der Interpreten als Gegenüber zur Dialektik. Auf die Frage nach dem Verhältnis von Dialektik und Hermeneutik wird später zurückzukommen sein. Um im Folgenden Schleiermachers Gedanken zur Kommunikationstheorie zusammenzustellen, muss auch hier – wie in Bezug auf die Semantik – die Quellenbasis erweitert werden. So spiegeln sich zentrale Einsichten seiner Kommunikationstheorie etwa auch in der Pädagogik.
Odebrecht, Einleitung des Herausgebers, XX. Zur Rolle der Sprache in der Dialektik vgl. Kliebisch, Transzendentalphilosophie als Kommunikationstheorie, 127– 137. Vgl. Wagner, Schleiermachers Dialektik, 58. Wagner, Schleiermachers Dialektik, 31. Kursivierung wie im Original. Vgl. Reuter, Die Einheit der Dialektik Friedrich Schleiermachers, 23 f. Vgl. Thouard, Schleiermacher, 189 – 262.
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Neben Semantik und Kommunikationstheorie ist in der Forschung (c) auch nach der Rolle der Sprache in Schleiermachers Semiotik gefragt worden. Rainer Volp hat in Die Semiotik Friedrich Schleiermachers (1982) das Verhältnis von philosophischer Theorie und theologischer Praxis auf semiotischer Grundlage beschrieben. Er urteilt: „Es ist erstaunlich, daß weder die Erforschung der Semiotik noch die des Werkes von Schleiermacher den unzeitigen Vorkämpfer dieser umfassenden Wissenschaftsmethodik bislang würdigte“.²⁴ Sein Aufsatz bietet eine Reformulierung einer Reihe zentraler Überlegungen Schleiermachers im Kontext der semiotischen Diskussion. Reinhold Rieger wendet den Blick in Interpretation und Wissen (1988) auf die semiotischen Vordenker Schleiermachers. Er kategorisiert zunächst die Modelle von Leibniz,Wolff, Baumgarten, Lambert und Meier als „semiotischen Rationalismus“, die Theorien von Hamann, Herder und Jean Paul als „semiotischen Realismus“ und die Konzepte von F. Schlegel, Novalis und Schleiermacher als „semiotischen Idealismus“. Rieger verwendet ein Synthesemodell, bei dem Schleiermacher als Ergebnis der Verbindung bisheriger Semiotiken erscheint. Wenn auch die Durchführung der semiotischen Untersuchung bei Rieger eine ähnliche Schwäche hinsichtlich Schleiermachers Selbststilisierung hat wie die oben bereits vorgestellte Studie von Schnur, so ist doch hier wie bei Volp der semiotische Zugang in Bezug auf Schleiermachers Sprachverständnis erhellend. Es wird deutlich, dass für Schleiermacher Sprache im Zusammenhang mit anderen Zeichen und deren Verwendung steht. Der Forschungsüberblick zur Semantik, Kommunikationstheorie und Semiotik hat gezeigt, dass Schleiermacher einen multiperspektivischen Zugang zum Phänomen Sprache sucht. Daher bietet es sich an, nicht von einer Theorie der Sprache, sondern von Theoriedimensionen seiner Sprachphilosophie zu sprechen. Keine der Dimensionen erhebt den Anspruch das Phänomen vollständig zu beschreiben. Die Dimensionen bilden aufeinander bezogene, nicht aber vollständig aufeinander abbildbare Betrachtungsweisen. Eine Sprachtheorie des 20. Jahrhunderts, die Semantik, Kommunikationstheorie und Semiotik in überzeugender Weise zu integrieren im Stande ist, stammt von Karl Bühler.²⁵ Bühler kann in den Bereichen Sprachphilosophie, Kommunikationswissenschaft und Semiotik klassische Geltung beanspruchen.²⁶ Seine besondere Leistung liegt in der Verbindung von empirischer Sprachforschung und allgemeiner Sprachtheorie. Im Sinne von regulativen Ideen, die alle Arten der Sprachforschung leiten können, entwickelt er seine Axiomatik der Sprachwissenschaften.²⁷
Volp, Die Semiotik Friedrich Schleiermachers, 114 f. Ich konzentriere mich auf seine „Axiomatik“, die sich in leicht veränderter Weise in Bühler, Axiomatik der Sprachwissenschaft und im ersten Kapitel von Bühler, Sprachtheorie findet. Vgl. Eschbach, Bühler-Studien; Ders., Karl Bühler’s Theory of Language und zur wissenschaftshistorischen Einordnung vgl. Vonk, Gestaltprinzip und abstraktive Relevanz. Vgl. Innis, Art. Karl Bühler (1879 – 1963); Ders., Bühler and his followers. Vgl. Bühler, Sprachtheorie, 9.12– 24.
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Drei dieser Axiome eignen sich, um das Sprachverständnis Schleiermachers, das dieser selbst nicht in einer Theorie zusammengeführt hat, in eine systematische Form zu überführen. Die semiotische Dimension der Sprache lässt sich als ihr (A) Zeichencharakter auf den Begriff bringen. Der kommunikationstheoretischen Dimension der Sprache entspricht die (B) Unterscheidung von Sprechen und Sprache und den drei semantischen Relationen der Sprache das prominente (C) Organon-Modell, das Sprache als Darstellung, Ausdruck und Appell beschreibt.
A Zeichen und Sprache Das genus proximum der Sprache ist für Karl Bühler das Zeichen. Traditionell wird die Sprache in der Scholastik durch einen Verweischarakter des Typs aliquid stat pro aliquo gekennzeichnet.²⁸ Etwas steht für etwas. Dabei sind Zeichen und Bezeichnetes nicht austauschbar. Die Stellvertretungsrelation ist nicht umkehrbar. Das Bezeichnete steht nicht notwendig auch für das Zeichen. Bühler hält fest: Wo immer eine Stellvertretung vorliegt, da gibt es wie an jeder Relation zwei Fundamente, ein etwas und noch ein etwas, was die Betrachtung auseinanderhalten muß. Wenn nun hic et nunc ein Konkretum als Vertreter fungiert, so kann stets die Frage erhoben werden, kraft welcher Eigenschaften es die Vertretung erhielt und in die Vertretung eingeht, die sie erfüllt. Es muß also stets eine zweifache Bestimmung dieses Konkretums möglich sein,von denen die eine absieht von der Funktion des Vertretenden Vertreter zu sein, um es so, um es als das zu bestimmen, was es für sich ist oder wäre. Die zweite Auffassung dagegen sucht und findet an ihm diejenigen Eigenschaften, an welche die Vertretung gebunden ist. Im Falle des Zeichenseins sind es immer nur abstrakte Momente, kraft derer und mit denen das Konkretum „als“ Zeichen fungiert. Ich habe diesen sprachtheoretisch grundlegenden Tatbestand als das Prinzip der abstraktiven Relevanz bezeichnet (…).²⁹
Ein Zeichen ist nur durch eine solche Abstraktionsleistung ein Verweis auf Bezeichnetes. Das sinnlich wahrnehmbare Sprachphänomen, der Laut, ist mit dem, wofür es steht, nicht identisch. In dieser Unterscheidung liegt eine grundlegende semiotische Einsicht der Sprachtheorie, deren Vermittlung Bühler als „Prinzip abstraktiver Relevanz“ beschreibt.³⁰ Jedes Wortzeichen steht in unterschiedlichen Verweiszusammenhängen, weshalb man Sprache mit Bühler auch ein mehrstufig zeichenhaftes Phänomen nennen kann.³¹ Die Mehrstufigkeit der Zeichen folgt aus der Fülle von möglichen Abstraktionshinsichten des Phänomens Sprache.Verschiedene Abstraktionsgrade müssen sich
Wilhelm von Ockham verwendet dafür das Verb ‚supponere‘. Vgl. Bühler, Sprachtheorie, 40, FN 1. Zur Zeichentheorie des Mittelalters vgl. Meier-Oeser, Die Spur des Zeichens. Bühler, Sprachtheorie, 40. Kursivierung wie im Original. Vgl. Ders., Axiomatik der Sprachwissenschaft, 28 f. Vgl. Bühler, Axiomatik der Sprachwissenschaft, 33 ff.104 ff. und Ders., Sprachtheorie, 28.40.42.44. Bühler, Sprachtheorie, 40.
A Zeichen und Sprache
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dabei keineswegs ausschließen, sondern bilden zusammengenommen eine Fülle von Verweiszusammenhängen. Sprache als Zeichen zu interpretieren, eröffnet eben jene verschiedenen Verweiszusammenhänge, wenn man beachtet, dass dasselbe Zeichen Unterschiedliches bezeichnen kann. Als Theoriedimension der Sprachphilosophie erschließt die Semiotik ihre anderen Dimensionen. Die im Folgenden zu entfaltenden kommunikationstheoretischen sowie die semantischen Dimensionen der Sprache lassen sich als Näherbestimmungen der Semiotik von sprachlichen Zeichen auffassen, was es im Einzelnen noch zu zeigen gilt (B und C). Auch Schleiermacher beschreibt die Verweisdimension von Sprache unter Rekurs auf die akademische Schultradition als Bezeichnen. Bezeichnungsvermögen (facultas signatrix) wurde die Leistung des Verstandes genannt, auf Vorstellungen mithilfe von Zeichen zu verweisen. Durch die Wörter pflegen wir andern unsere Gedancken zu erkennen zu geben. Und also sind sie nichts anders, als Zeichen unserer Gedancken, daraus nemlich ein anderer dieselbe erkennen kan.³²
Im Folgenden soll Schleiermachers Begriff des Symbolisierens als eine Weiterführung der Lehre vom Bezeichnungsvermögen interpretiert werden. Damit, dass Schleiermacher Sprache als eine Form des Symbolisierens bestimmt, nimmt er die schulphilosophische Tradition auf, Sprache mithilfe einer allgemeinen Zeichentheorie, einer Semiotik, zu beschreiben. Sprache wurde als ein Thema von philosophischer Bedeutung in der Forschung zur deutschen Aufklärung lange unterschätzt. Dabei wurde eine Perspektive der Aufklärungskritik übernommen, wie sie exemplarisch in der Kantkritik bei Hamann und Herder gefunden werden kann.³³ Ohne Zweifel haben Hamann und Herder der Sprache eine bisher nicht dagewesene zentrale Rolle in der Philosophie eingeräumt.³⁴ Von daher aber von einem Fehlen der Sprachphilosophie in der deutschen Aufklärung auszugehen, wird dem begrifflichen und systematischen Potential der in diesem Kontext entwickelten Überlegungen zum Thema Sprache nicht gerecht.³⁵ Um der begrifflichen Fassung der semiotischen Dimension von Sprache in der Wolffschen Schulphilosophie nachzugehen, zeichne ich kurz den dort entwickelten Zeichenbegriff in seinem Verhältnis zur Sprache nach.
Vgl. Wolff, Dt. Logik, 151 [2. Kap., §1]. Exemplarisch für diesen Vorwurf gegenüber Kant ist Villers, Das Problem der Sprache bei Kant. Zu Herders Sprachverständnis vgl. Coseriu, Geschichte der Sprachphilosophie, Bd. 2, 17– 64; Gaier, Herders Sprachphilosophie und Erkenntniskritik; Gesche, Johann Gottfried Herder: Sprache und die Natur des Menschen; Hassler, Sprachtheorien der Aufklärung, 69 – 74; Heintel, Herder und die Sprache; Leventhal, The Disciplines of Interpretation, 140 – 234 und Kim, Sprachtheorie im 18. Jahrhundert, 113 – 188. Zur Sprachphilosophie der Aufklärung vgl. Hassler, Sprachtheorien der Aufklärung; Kim, Sprachtheorie im 18. Jahrhundert; Livschitz, Language and Enlightenment und Meyer, Zeichen-Sprache.
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Die Semiotik der aristotelisch-scholastischen Tradition wird über Leibniz, Wolff und A. G. Baumgarten weiterentwickelt.³⁶ Das sprachliche Zeichen ist Repräsentant einer Vorstellung. Exemplarisch lässt sich Georg Friedrich Maiers allgemeine Hermeneutik heranziehen, die auf einer allgemeinen Zeichentheorie gründet.³⁷ Für Maier ist Sprache eine Form von Zeichen unter anderen. In seinem Versuch einer allgemeinen Auslegungslehre (1757) unterscheidet er natürliche und willkürliche Zeichen.³⁸ Sprache sei eine Kombination von Zeichen, bei der die Bedeutungen der einzelnen Zeichen miteinander verbunden werden: Ein Ausdruck (terminus) ist ein Zeichen der Erkenntnis; und ein solcher Ausdruck, welcher gewöhnlicher Weise in einer menschlichen Stimme besteht oder welcher gehört werden kann, heißt ein Wort (vocabulum). Eine Rede (oratio) ist eine Reihe Worte, welche Vorstellungen bedeuten, die miteinander verbunden sind. Schriftliche Zeichen (characteres strictissime dicti) sind sichtbare Züge, wodurch Ausdrücke bezeichnet werden, und eine Schrift (scriptum) ist ein Inbegriff schriftlicher Zeichen, wodurch eine Rede bezeichnet wird.³⁹
Die hier von Maier präzise bestimmte Terminologie steht auch bei Schleiermachers Semiotik im Hintergrund. Sprache ist für Schleiermacher wie für die Hermeneutiken der Aufklärung eine Form des Bezeichnens. So haben seine Ausführungen zur Sprache in Psychologie ihren Ort da, wo Schulphilosophie das Bezeichnungsvermögen verhandelt hat: an der Schwelle zwischen Sinnes- und Erkenntnisvermögen.⁴⁰
Wolff, Dt. Metaphysik, 160 [§292]: „Ein Zeichen ist ein Ding, daraus ich entweder die Gegenwart, oder die Ankunft eines andern Dinges erkennen kann, das ist, daraus ich erkenne, daß entweder etwas wirklich an einem Orte vorhanden ist, oder daselbst gewesen, oder auch etwas daselbst entstehen werde.“ Zur Sprachtheorie Wolffs vgl. Cataldi Madonna, Die unzeitgemäße Hermeneutik Christian Wolffs’; Ricken, Leibniz, Wolff und einige sprachtheoretische Entwicklungen in der deutschen Aufklärung, 20 – 41 und Ungeheuer, Sprache und symbolische Erkenntnis bei Wolff. Baumgarten, Metaphysica, 192 [§347]: „Medium cognoscendae alterius existentiae signum (Zeichen) est, signia finis signatum (das Bezeichnete). Hinc signum est signati principium cognoscendi & nexus inter signum & signatum significatius (der Zusammenhang der Zeichen) est, signoque tribus significatus (die Bedeutung) dicitur (vis, potestas).“ Zu Maiers Semiotik vgl. Beetz, Georg Friedrich Meiers semiotische Hermeneutik; Scholz, Verstehen und Rationalität, 51– 60; Ders., Die allgemeine Hermeneutik bei Georg Friedrich Maier und Kubik, Die Symboltheorie bei Novalis, 25 – 39. Zu den allgemeinen Auslegungslehren der Aufklärungsphilosophie vgl. Alexander, Hermeneutica Generalis und Ruth, Hermeneutica universalis. Der Ausdruck „hermeneutica universalis“ findet sich u. a. bei Baumgarten, Metaphysica, 192 [§349]. Maier, Versuch einer allgemeinen Auslegungskunst, 14 [§28]: „Der bezeichnende Zusammenhang zwischen dem Zeichen und seiner Bedeutung hängt entweder zunächst von der Willkür desjenigen ab, der sich des Zeichens bedient, oder von dem anderweitigen Zusammenhange des Zeichens mit der bezeichneten Sache. Ist das letzte, so ist das Zeichen ein natürliches Zeichen (signum naturale); ist das erste, so ist‘s ein willkürliches (signum arbitrarium), welches ein künstliches Zeichen ist (signum artificiale), wenn es nach den Regeln einer Kunst eingerichtet ist.“ Vgl.Wolff, Dt. Metaphysik, 161 [§293 f.]; Baumgarten, Metaphysica, 192 f. [§350]. Maier, Versuch einer allgemeinen Auslegungskunst, 42 [§103]. Vgl. Psychologie (1818), 441– 447; Psychologie (1830), 513 – 519; Psychologie (1833/34), 539 – 544. Zur Interpretation der Sprachtheorie im Kontext der Psychologie vgl. Coseriu, Geschichte der Sprach-
A Zeichen und Sprache
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Schleiermacher übernimmt die überkommene Einteilung verschiedener Vermögen nicht, sondern spricht stattdessen von Tätigkeiten der Seele in einem Prozess der Verknüpfung produktiver und rezeptiver Vollzüge. Bezeichnungs- und Erkenntnisvermögen werden damit nicht mehr voneinander getrennt und unterscheiden sich von den sinnlichen Tätigkeiten des Bewusstseins durch die stetige Begleitung mit Selbstbewusstsein.⁴¹ Die Zeichentheorie rückt bei Schleiermacher eng mit der Theorie des Geistes zusammen. Es gibt für ihn keine primär vernunftbestimmte Tätigkeit, die sich nicht der Abstraktion mithilfe von Zeichen bedient. Die enge Verbindung von vernunftbestimmtem Handeln und der Verwendung von Zeichen reflektiert Schleiermacher vor allem in seiner Ethik. Schleiermacher verwendet hier die Begriffe ‚Bezeichnen‘ und ‚Symbolisieren‘ wechselweise.⁴² Schleiermacher geht davon aus, dass Sprache verständlich ist, insofern die bei allen Menschen identische Vernunft die Natur in einer Weise symbolisiert, die durch einen analogen semiotischen Prozess nachgebildet werden kann. Auch der Schleiermachersche Symbolbegriff knüpft an die philosophische Tradition an. Bekanntlich findet sich der hier sehr weit gefasste Ausdruck bei Aristoteles in einem der meistinterpretierten semiotischen Sätze: Nun sind die Äußerungen unserer Stimme ein Symbol für das, was unserer Seele widerfährt, und das, was wir schriftlich äußern, für die Äußerungen unserer Stimme.⁴³
Mit dem Symbolbegriff verbindet sich im Anschluss an Leibniz auch eine erkenntnistheoretische Dimension der Sprache. Wolff spricht von „figürlicher Erkenntnis“, einer Übersetzung von cognitio symbolica, im Unterschied zur anschaulichen Erkenntnis.⁴⁴ Lambert verwendet den Ausdruck „symbolische Erkenntnis“ statt „figürliche“⁴⁵ und bestimmt das Verhältnis von Denken und symbolischer Erkenntnis in einem Abhängigkeitsverhältnis notwendiger Verknüpfung, wenn er festhält, „daß die symbolische Erkenntnis uns ein unentbehrliches Hülfsmittel zum Denken ist.“⁴⁶
philosophie, Bd. 2, 187– 291; Diederich, Schleiermachers Geistverständnis, 128 – 133; Huxel, Ontologie des seelischen Lebens, 145 ff. und Schlenke, Geist und Gemeinschaft, 54– 59. Vgl. Psychologie (1833/34), 544. Vgl. Ethik (1814/16), 430 ff. Aristoteles, Peri Hermeneias, Kap. 1, 16 a 3 f. Zur Kommentierung dieser zentralen Passage der aristotelischen Semiotik vgl. ebd., 134– 151. Wolff, Dt. Metaphysik, 173 f. [§316]. Vgl. Baumgarten, Metaphysica, 326 [§619] und Eberhard, Allgemeine Theorie des Denkens und Empfindens, 117 ff. Zu Schleiermacher und Eberhard vgl. Herms, Herkunft und Oberdorfer, Geselligkeit. Lambert, Neues Organon, Bd. 2, 473 [§22]: „Man nennt die symbolische Erkenntnis auch figürlich (…).“ Zu Lamberts Semiotik: Kubik, Die Symboltheorie bei Novalis, 40 – 50; Schiewer, Cognitio symbolica; Simon, Johann Heinrich Lamberts Zeichenkunst als Weg zur Kritik und Scholz, Verstehen und Rationalität, 60 – 64. Zum hier anschließenden Symbolbegriff in der Romantik vgl. Sørensen, Symbol und Symbolismus und Schwering, Symbol und Allegorie in der deutschen Romantik. Lambert, Neues Organon, Bd. 2, 470 [§12].
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I Theoriedimensionen von Schleiermachers Sprachphilosophie
Diese enge Verbindung von Denken und Symbolisieren nimmt auch Schleiermacher an, wenn er auch die Unterscheidung zwischen Anschauen und Symbolisieren in der Vernunfttätigkeit vermeidet. Anschauende Erkenntnis und symbolische Erkenntnis sind für ihn nicht zu trennen. Entsprechend gibt es für ihn weder reine Anschauung noch reine Symbolisierung. Schleiermacher bevorzugt eine Theorie der Wechselwirkung, die primär natur- und primär vernunftbestimmtes Handeln in Beziehung setzt. Der Begriff ‚Symbolisieren‘ fungiert in seiner Ethik im Gegenüber zum ‚Organisieren‘ als Gliederungselement für das prominente güterethische Quadrupel von individuellem und allgemeinem Organisieren und Symbolisieren:
allgemeines individuelles
Symbolisieren
Organisieren
Wissen Kunst
Staat Familie
Die Sprache hat ihren Ort in diesem Schema im allgemeinen bzw. identischen Symbolisieren. Sprache ist im Gegenüber zum Geld, dem allgemeinen Organisationsmittel, das allgemeine Mittel des Symbolisierens.⁴⁷ Schleiermacher geht hinsichtlich des identischen Moments dieses Symbolisierens von einer gemeinschaftlichen Identität des Denkens aus, die sich in gemeinschaftlich-identischer Sprache äußert. Ich zitiere den einschlägigen Abschnitt: Der Vernunftgebrauch der Natur soll nun hervortreten theils mit dem Charakter der Identität, theils mit dem der Eigenthümlichkeit. Erstens indem die Handlung als eine absolut gemeinschaftliche gesezt wird. Hierzu gehört zweierlei: sie muß gesezt werden als für alle von demselben Gehalt, und sie muß wirklich aus den Gränzen der Persönlichkeit heraustreten und Anderen angehören. Jenes, das Erkennen unter der Voraussetzung der Gültigkeit und des gleichen Gehaltes für alle, heißt Denken. Dieses aus der Persönlichkeit Herausgehen und sich Aeußern heißt Sprechen.⁴⁸
Mit dem Fokus auf das gemeinschaftliche Handeln ist die identische Dimension des symbolisierenden Handelns angesprochen. Schleiermacher macht zwei Voraussetzungen dieses identisch-symbolisierenden Handelns aus: den für alle selben „Gehalt“ und das „Heraustreten der Persönlichkeit“. An einer späteren Stelle kommt er auf diesen Zusammenhang zurück und identifiziert ihn mit dem Bezeichnungsvermögen:
Vgl. Stoellger, Der Symbolbegriff Schleiermachers. Bei Käfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 191– 198 kommt diese Bedeutung der Sprache für das Symbolisieren nicht in den Blick. In diesem identischen Moment ist die Sprache analog zum Geld in der Kultursphäre des identischen Organisierens. Vgl. Arndt, Tauschen und Sprechen und Bolz, Friedrich D. E. Schleiermacher: Der Geist der Konversation und der Geist des Geldes. Brouillon (1805/06), 97.
B Sprechen und Sprache
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Das allgemeingültige Identische ist das Product der Vernunft an sich. Aber soll es ein solches wirklich werden durch die Thätigkeit des Einzelnen, so muß es die Thätigkeit aller Einzelnen sein, also heraustreten für sie, um in die überzugehn. Damit es aber auch ihre That werde, muß es auch in ihnen selbst gebildet werden, und also muß jenes Heraustreten nur ein Aufruf zum Nachbilden sein, d. h. Bezeichnung.⁴⁹
Sprache kann theoretisch nicht erfasst werden, wenn sie ohne ihren mehrstufigen Verweischarakter beschrieben werden soll. Indem Schleiermacher den Begriff ‚Symbolisieren‘ in der Ethik zum Oberbegriff seiner Überlegungen zur Sprache macht, öffnet er sein Sprachverständnis hin zu einer allgemeinen Semiotik.⁵⁰
B Sprechen und Sprache Mit den Begriffen Sprechen und Sprache verbindet sich die Unterscheidung in der Beschreibung von Sprache als Tätigkeit der Produktion oder als Produkt dieser Tätigkeit. Karl Bühler schlägt hierfür das doppelte Begriffspaar ‚Sprachhandlung‘ und ‚Sprachwerk‘, ‚Sprechakt‘ und ‚Sprachgebilde‘ vor.⁵¹ Eine erste Unterscheidung verläuft zwischen (I) subjektbezogenen und (II) subjektentbundenen, intersubjektiv fixierten Phänomenen. Eine zweite betrifft den Grad der Formalisierung in der Sprachforschung, wobei er eine (1.) niedere von einer (2.) höheren Formalisierungsstufe abhebt. Es ergibt sich ein Viererschema:⁵²
. .
I
II
Handlung Akt
Werk Gebilde
Unter einer Sprachhandlung ist im aristotelischen Sinne die Praxis des Sprechens gemeint. „Denn jedes konkrete Sprechen steht im Lebensverbande mit dem übrigen sinnvollen Verhalten eines Menschen; es steht unter Handlungen und ist selbst eine Handlung.“⁵³ Die Unterscheidung von Sprachhandlung und -werk ist von der kate-
Brouillon (1805/06), 161. In der Ethik 1812/13, 305 wird diesem semiotischen Prozess ein allgemeiner Schematismus zugrundegelegt: Die „Uebertragung aus einem Bewußtsein auf das andere (…) ist bedingt dadurch, daß der Act als ein ursprünglich Inneres ein Aeußeres werde, welches, wie es für den Hervorbringenden als Ausdruck erscheint, jedem Anderen dastehe als Zeichen, wodurch er vermöge der Identität des Schematismus das Inere oden den ursprünglichen Act erkenne.“ Vgl. Ethik (1816), 584 ff. So auch Volp, Die Semiotik Friedrich Schleiermachers, 132 ff. Bühler, Sprachtheorie, 48 ff. Ders., Axiomatik der Sprachwissenschaft, 48 ff. unterscheidet zunächst nur zwischen ‚Sprechhandlung‘ und ‚Sprachgebilde‘. Bühler, Sprachtheorie, 49. Bühler, Sprachtheorie, 52. Vgl. Ders., Axiomatik der Sprachwissenschaft, 59 – 68.
20
I Theoriedimensionen von Schleiermachers Sprachphilosophie
gorialen Differenz von Praxis und Poiesis geleitet. Bühler verdeutlicht diese Unterscheidung am Spielen des Kindes: Die ersten Illusionsspiele des Kindes haben zum Thema das Handeln der Erwachsenen, die späteren Werkspiele des Kindes haben zum Thema die Herstellung von dem, was Menschen machen. Es ist ein großer, greifbarer Unterschied (…), denn bei jenem wird am Material nur flüchtig und symbolisierend angedeutet, was mit ihm und an ihm geschehen sollte. Dann aber kommt das Kind weiter und lernt (was gar nicht selbstverständlich ist) das Produkt seines Tuns als Werk zu sehen.⁵⁴
Damit ist bereits das zentrale Merkmal des Sprachwerks markiert: „Das Sprachwerk als solches will entbunden aus dem Standort im individuellen Leben und Erleben des Erzeugers betrachtbar und betrachtet sein. Das Produkt als Werk des Menschen will stets seines Creszenz enthoben und verselbständigt sein.“⁵⁵ Auf der höheren Formalisierungsstufe ist jede Sprachhandlung wie jede andere Handlung auch Teil eines bestimmten Handlungsfeldes, das man auch als Aktionsfeld bezeichnen kann. Dieses ist durch die innere und äußere Situation gekennzeichnet, die sich mit Bühler auch als Bedürfnis und Gelegenheit bestimmen lassen. Sprache betrachtet als Sprechakt ist vor diesem Hintergrund als Phänomen einer Aktgeschichte interpretierbar.⁵⁶ Unter Absehung von dieser subjektbezogenen Sprachbetrachtung stellt das Sprachgebilde die zweite höhere Formalisierung der Sprache dar. In Auseinandersetzung mit Saussure, für den ‚langue‘ ein konkreter Gegenstand sei, betont Bühler die Idealität der Sprache als Sprachgebilde: „Sprachgebilde sind platonisch gesprochen ideenartige Gegenstände, sie sind logistisch gesprochen Klassen von Klassen wie die Zahlen oder Gegenstände einer höheren Formalisierungsstufe des logistischen Denkens.“⁵⁷ Eine zentrale Frage in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dieser sprachtheoretischen Differenz ist die Näherbestimmung ihrer Aufeinanderbezogenheit. Auch Wilhelm von Humboldts bekannte Gegenüberstellung von ‚energeia‘ und ‚ergon‘ und Ferdinand de Saussures Unterscheidung von ‚parole‘ und ‚langue‘ arbeiten sich an dieser Differenz von subjektbezogener und intersubjektiv fixierter Betrachtung der Sprache ab.⁵⁸ Bühler kommt zu einem abwiegenden Urteil, dass auch die Grenze des gegenwärtig-populären sprachphilosophischen Interesses an Sprechakttheorien aufzeigt:
Bühler, Sprachtheorie, 53. Vgl. Ders., Axiomatik der Sprachwissenschaft, 60. Bühler, Sprachtheorie, 53 f. Vgl. Bühler, Sprachtheorie, 56. Bühler, Sprachtheorie, 60. Vgl. Ders., Axiomatik der Sprachwissenschaft, 68 – 75. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus und Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Zu Schleiermacher und Humboldt vgl. Ringleben, Die Sprache bei Schleiermacher und Humboldt.
B Sprechen und Sprache
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Sprachgebilde gebrauchen um intersubjektiven Verkehr oder zum Aufbau eines einmaligen Sprachwerkes, sie zu gebrauchen wie alle andern Sprachgenossen ist das eine; und ihnen die im Sprachbau selbst vorgesehene Bedeutungspräzision von Fall zu Fall und darüber hinaus ihnen da und dort eine einmalig modifizierte Bedeutung verleihen, ist das andere. Und weil dies zweierlei ist, so kann man nicht, wie es die logischen Untersuchungen versuchen, vom Akt her das Ganze der Bedeutungslehre bewältigen.⁵⁹
Die Einschränkung gilt aber auch in die andere Richtung. Die „Gebildelehre und mit ihr das soziale Moment der Sprache“ sind für Bühler einer subjektiven Akttheorie derselben logisch vor- oder zumindest logisch gleichgeordnet.⁶⁰ Genau in diese Mittelposition zwischen subjektiver und intersubjektiver Sprachbetrachtung lässt sich auch Schleiermachers Sprachverständnis einordnen. Schleiermacher hat wie auch sein Zeitgenosse Humboldt einen Schwerpunkt auf die subjektive Sprachhandlung gelegt. Auch er will – wie in der Schulphilosophie üblich – die geschriebene Sprache über das Sprechen erfassen, Schriftsprache wird von ihm in der Tradition Platons gegenüber der gesprochenen Sprache als sekundär beurteilt.⁶¹ Damit bleibt die intersubjektive Dimension der Sprache aber keineswegs ausgeblendet. Bereits in den Reden findet sich eine Reflexion auf den Doppelcharakter der Sprache. Er nennt Sprache einerseits ein Produkt der Handlung, andererseits ein Erzeugnis der Zeit bzw. der Geschichte: Jede Äußerung, jedes Werk des menschlichen Geistes kann aus einem doppelten Standpunkte angesehen und erkannt werden. Betrachtet man es von seinem Mittelpunkte aus nach seinem innern Wesen, so ist es ein Produkt der menschlichen Natur, gegründet in einer von ihren notwendigen Handlungsweisen oder Trieben, oder wie Ihr es nennen wollt, denn ich will jetzt nicht über Eure Kunstsprache richten; betrachtet man es von seinen Grenzen aus, nach der bestimmten Haltung und Gestalt, die es hier und dort angenommen hat, so ist es ein Erzeugnis der Zeit und der Geschichte.⁶²
Als naturhafte und musikalische Seite der Sprache begegnet diese Unterscheidung im Zusammenhang der Frage nach der Gestaltung des Sprachunterrichts in der Pädagogik. ⁶³ Keine der beiden Seiten darf ausgeblendet werden. Eine besondere Rolle in Überlegungen zur Sprache bei Schleiermacher spielt die Muttersprache. Ihr kommt eine zentrale Rolle in der Entwicklung des Kindes, insbesondere für dessen Intelligenz zu. Die enge Verbindung von Sprache und Denken, die Schleiermachers ganzes Werk durchzieht, fasst er hier prägnant in der Formulierung zusammen:
Bühler, Sprachtheorie, 69. Bühler, ebd. Zu Platons Schriftkritik vgl. Wieland, Platon und die Formen des Wissens. Reden über die Religion, KGA I/2, 198. Vgl. Crouter, The „Reden“ and Schleiermacher’s Theory of Language. Vgl. Pädagogik (1820/21), KGA II/12, 522 f.
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I Theoriedimensionen von Schleiermachers Sprachphilosophie
Das Denken ist eine sehr allgemeine und im Einzelnen bedeutende Operation, wird aber nur vermittelst der Sprache verrichtet, und alles Gedachte hat seinen natürlichen Ort nur in der Sprache, worin es gedacht ist, und kann auch nur in dieser in demselben Grade fruchtbar sein. Denn jede Sprache ist eine eigentümliche Weise des Denkens, und das in einer Sprache Gedachte kann nicht in einer anderen auf dieselbe Art wiedergegeben werden.⁶⁴
Interpretiert man die Dialektik als Kommunikationstheorie, lässt sich an Schleiermachers Begriff ‚Sprachkreise‘ die Differenz von Sprechen und Sprache deutlich machen. In seiner Reinschrift zur Vorlesungseinleitung reflektiert Schleiermacher mit diesem Begriff die Bedeutung der relativen Gemeinsamkeit in der Sprache für die Verallgemeinerbarkeit der Dialektik: Die Dialektik kann sich nicht in einer und derselben Gestalt allgemein geltend machen, sondern muß zunächst nur aufgestellt werden für einen bestimmten Sprachkreis; und es ist im voraus zuzugeben, daß sie in verschiedenem Maaß werde anders gestellt werden müssen für jeden anderen.⁶⁵
In der Erläuterung dieser These geht Schleiermacher auf die Frage nach einer ursprünglich einheitlichen Sprache ein. Sein Ausgangspunkt ist „das Getrenntsein der Menschen durch die Verschiedenheit der Sprachen“.⁶⁶ Damit verbunden sei auch eine Grenze der Nachvollziehbarkeit im Denken mit der Grenze der Übersetzbarkeit erreicht: Kommen nun solche Ausdrükke vor denen in einer andern Sprache keiner entspricht, welcher genau denselben Werth hätte: so ist auch zwischen beiden eine unaustilgbare Differenz im Denken gesezt.⁶⁷
Schleiermacher folgert daraus eine Relativierung des Wissens in doppelter Hinsicht: einerseits für die Verbreitung der Ergebnisse der Dialektik auf dem Gebiet eines Sprachkreises und andererseits für die Auswirkung desselben auf den Sprachkreis einer individuellen Person. Ersteres nimmt die Beobachtung wechselnder Begriffe in der Genese des Wissens im Gebiet intersubjektiver Sprache auf.⁶⁸ Letzteres ist besonders im Blick auf die Bildung subjektiven Sprechens interessant. Schleiermacher bildet zwei schematische Typen im Umgang mit individuellen Sprachkreisen:
Pädagogik (1820/21), KGA II/12, 362. Dialektik, KGA II/10.1, 401. Vgl. Dialektik, KGA II.10/2, 400 f. Dialektik, KGA II/10.1, 402. Vgl. Dialektik, KGA II/10.2, 479. Vgl. auch die Akademierede: Ueber die verschiedenen Methoden des Übersetzens, KGA I/11, 70. In den Nachschriften der Dialektikvorlesungen und einer Akademierede findet sich der Abweis der von Leibniz intendierten Universalsprache. Vgl. Dialektik, KGA II/10.2, 159 f.633 und Dialektik, KGA I/11, 707– 724. Dialektik, KGA II/10.1, 403. Vgl. Dialektik, KGA II/10.2, 336. Vgl. auch Dialektik, KGA II/10.1, 58.
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Der Sprachkreis, den jeder sich selbst bildet, ist offenbar der Ausdrukk seiner Person, d. h. seiner eigenthümlichen Art als Denkender zu sein. Je mehr er nun alles in diesen hineinzuziehen strebt, um desto mehr betrachtet er sein eigenthümliches als das Maaß und die Ordnung des Denkens überhaupt oder auch umgekehrt, und dies ist das Zeichen eines beschränkteren Sinnes für das abweichende und ihm fremdere Denken. Je mehr hingegen ein solcher von der allgemeinen Freude an dem reinen Denken an sich ausgeht, um desto mehr wird er das gemeinsame in dem verschiedenen und das ausgleichende in dem streitigen aufsuchen und anerkennen mithin seine Richtung ursprünglich auf die verschiedenen Sprachkreise haben.⁶⁹
In der Nachschrift der Dialektikvorlesung von 1818/19 findet sich im Zusammenhang der Ausführungen zur Begriffskonstruktion eine längere sprachphilosophische Reflexion. Das Ziel dieser Passage ist es, die Grenze einer rein individuell gedachten Begriffsbildung aufzuzeigen. Die individuelle Begriffskonstruktion erfolgt immer auch im Zusammenhang der Begriffskombination. Das Begriffspaar Konstruktion und Kombination gliedert den gesamten zweiten Teil der Dialektikvorlesung. Schleiermacher unterscheidet zwei „Perioden der Sprachbildung“: den Prozess des Schematisierens und den Prozess des Einteilens.⁷⁰ In der ersten Periode kommt es zunächst nur zu einem „inneren Bild“, das für sich noch kein Denken ist. Dieses „innere Bild“ dränge auf Entäußerung. Doch erst im Akt des Versprachlichens werde aus diesem Schema ein Denken, indem es als Wort gefasst und in bestimmte Verhältnisse zu anderen Begriffen eingeteilt wird.⁷¹ Als ein an Sprachkreise gebundenes Denken, das subjektive Schematisierungen kombiniert, beschreibt Schleiermacher die intersubjektive Dimension der Sprache. Seine Sprachtheorie darf daher nicht auf eine Theorie der individuellen Sprache begrenzt werden. Vielmehr hat seine Beschreibungsweise der subjektiven und intersubjektiven Sprachdimension gerade durch das zugrundeliegende Wechselwirkungsprinzip bleibende Überzeugungskraft. Die Differenz von Sprechen und Sprache hat sich als ein zentrales Moment von Schleiermachers Sprachphilosophie ausweisen lassen. Sprache ist immer zugleich Mittel und Produkt des Denkens.
C Sprache in dreifacher Relation Dass sich der Verweischarakter sprachlicher Zeichen im Wesentlichen in drei semantischen Relationen bewegt, kann als Grundannahme der Semiotik gelten. Häufig
Dialektik, KGA II/10.1, 407. Vgl. Dialektik, KGA II/10.2, 302 f. Vgl. Dialektik, KGA II/10.2, 304.628 f. Zum Schemabegriff in der Dialektik vgl. Schmidt, Wahrnehmung und Schema.
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wird vom semiotischen Dreieck gesprochen. Karl Bühler nimmt diese drei Relationen in sein Organon-Modell der Sprache auf.⁷² Bühler interpretiert dafür den Satz: Jemand spricht mit jemandem über die Din⁷³ ge. Daraus ergibt sich das Schema:⁷⁴
Das Sprachzeichen ist einerseits Darstellung. Sprache spricht über Dinge, genauer über Gegenstände oder Sachverhalte. Bühlers Beispiel ist der Satz: „Es regnet.“, mit dem ein spezifischer Sinneseindruck korreliert, den einer dem anderen mitteilt. Andererseits ist Sprache auch Ausdruck. Jemand Bestimmtes spricht und nicht irgendwer. Damit ist eine zweite Perspektive angesprochen: die Ausdrucksdimension der Sprache, die Bühler auch Kundgabe nennt. Und drittens ist mit dem anderen Jemand ein Gegenüber für die Semantik von Sprache konstitutiv. Der Verweischarakter der Sprache zu diesem Gegenüber ist der Appell. Als die auf den Hörer ausgerichtete Dimension der Sprache lässt sich diese dritte auch als die Appelldimension bezeichnen. Bühler bezieht sich auf Platon, wenn er festhält „die Sprache sei ein organum, um einer dem anderen etwas mitzuteilen über Dinge.“⁷⁵ Die hierbei entstehenden Relationen sind für Bühler keineswegs kausal im Sinne eines Reiz-Reaktions-Schemas zu verstehen, das seiner Meinung nach dem Phänomen der Sprache nicht gerecht wird. Sprache wird über die Relation von Sender und Empfänger allein ebenso wenig erfasst, wie nur durch die Beziehung von Laut und Gegenstand.⁷⁶ Das Organon-Modell soll daher alle drei Relationen bündeln, ohne zugleich eine Unwucht in das austarierte Nebeneinander der Beschreibungsdimensionen zu bringen. Alle drei Relationen, Darstellung, Ausdruck und Appell, haben ihr eigenes Recht und sind nicht aufeinander zurückzuführen. Es ergibt sich folgendes Schema:
Eine Übersicht über gängige Benennungen der Relationsdimensionen des semiotischen Dreiecks gibt Eco, Zeichen. Vgl. Bühler, Sprachtheorie, 24 ff. Vgl. Bühler, Sprachtheorie, 25. Vgl. Ders., Axiomatik der Sprachwissenschaft, 94. Bühler, Sprachtheorie, 24. Vgl. ebd., 1.11. Vgl. Bühler, Sprachtheorie, 25 – 28.
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Schleiermacher, so wird im Folgenden deutlich, arbeitet besonders die Darstellungsund Ausdrucksdimension der Sprache heraus. Bereits in den Reden notiert er: Unsere Meinungen und Lehrsätze können wir andern wohl mitteilen, dazu bedürfen wir nur Worte, und sie nur der auffassenden und nachbildenden Kraft unseres Geistes: aber wir wissen sehr wohl, daß das nur die Schatten unserer Anschauungen und unserer Gefühle sind, und ohne diese mit uns zu teilen, würden sie nicht verstehen, was sie sagen und was sie zu denken glauben.⁷⁷
Die Appelldimension der Sprache wird von Schleiermacher nicht eigens theoretisch eingefangen. Sie soll sich vielmehr durch eine vertiefte Beschäftigung mit den anderen beiden Dimensionen von selbst ergeben.
1 Darstellung Die Darstellungsdimension der Sprache ist diejenige Näherbestimmung ihrer Verweisfunktion, die bereits in der antiken Philosophie besondere Beachtung findet. Sprache ist in der Lage, auf Gegenstände oder Sachverhalte zu verweisen. Das hat die Sprache mit anderen Zeichen durch ihre Abstraktionsleistung gemein. Seit Platon wird mit dieser Funktion der Sprache die Frage nach der Ähnlichkeit von Lauten und bezeichneten Gegenständen bzw. Sachverhalten anhand der Unterscheidung von Naturlaut und Konventionssprache behandelt. Für Bühler steht wie für die Mehrheit der Sprachtheoretiker fest, dass diese Zuordnungen, „wie immer sie motiviert sein mögen, immer nur kraft einer Konvention“ vorliegen.⁷⁸ Sein Organon-Modell fasst er darum auch als einen Beitrag dazu auf, die „unbestrittene Dominanz der Darstellungsfunktion der Sprache einzugrenzen.“⁷⁹ Schleiermacher zieht dagegen zur Abgrenzung seiner Sprachtheorie gegenüber einem rein konventionalistischen Modell eine ontologische Beschreibung der Sprache heran. Insbesondere in der Dialektik, aber auch in der Ethik wird das Wissen als eine Form der Sprache beschrieben, die mit dem Sein übereinstimmt.
Reden über die Religion, KGA I/2, 250. Bühler, Sprachtheorie, 30. Kursivierung wie im Original. Bühler, Sprachtheorie, 30.
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Mehrfach wird in der Dialektik betont, dass es sich beim Denken um eine „Thätigkeit“ handelt und dass die Bezugsgröße des Denkens nicht durch dieses selbst gesetzt wird. Letzteres wendet sich gegen eine „spekulative“ bzw. skeptische Auffassung des Denkens, gegen die Schleiermacher ein relatives Recht einer realistischen Position geltend machen möchte.⁸⁰ Seine Grundannahme lautet: alles Denken hat seinen Gegenstand im Sein.⁸¹ Ohne einen damit gemeinten gemeinsamen Gegenstandsbezug allen Denkens wäre kein Wissen möglich.⁸² Diese beiden Elemente des Denkens, Prozesscharakter und Gegenstandsbezug, sieht Schleiermacher auch in der Sprache. Das Wort kann erstens „als Zeichen oder den Ausdruck des Seyns, und zweitens als Thun im Ausdruck des Gedankens oder Verknüpfungsmittel der Gedanken“ gelten.⁸³ Mit dem Verhältnis von Sprache und Sein ist von Schleiermacher das Thema des ersten überlieferten sprachphilosophischen Traktats überhaupt angesprochen, Platons Kratylos. Der Dialog kreist bekanntlich um die Frage, ob Sprache als bloße Konvention der Sprecher zu verstehen sei oder ob Sprache in gewisser Weise Anteil am Sein habe. Schleiermachers Einleitung zu seiner Übersetzung macht als dessen Zentrum aus, dass „die Sprache ein Kunstwerkzeug des Dialektikers ist, und das Benennen der Natur der Dinge gemäß geschehen müsse“.⁸⁴ Schleiermachers Sprachverständnis versucht beide Aspekte zu wahren.⁸⁵ Das Symbolisieren ist immer erst aufgrund gegebener Anschauung möglich. Und ohne eine stabile Harmonie von Anschauung und Denken gäbe es kein Wissen. Wissen ist gegenüber dem Denken durch die Subtraktion des individuellen Elements gekennzeichnet. Dies sei es, „wodurch das Gebiet des Wissens beschränkt wird, kraft dessen nämlich im Denken jeder ein anderer ist als der andere. […] Sofern etwas hiervon überall ist wird kein [Denk‐] Act volkommen sondern nur nach Ausscheidung dieses Elementes der Idee des Wissens entsprechen.“⁸⁶ Wissen ist damit für Schleiermacher vom Denken durch den Grad an Allgemeinheit unterschieden. Beide, Denken und Wissen, sind auf das Sein bezogen. Das identische Element des Denkens aber wird im Wissen das bestimmende:
Vgl. dazu Dialektik, KGA II/10.1, 109 – 113. Vgl. Dialektik, KGA II/10.1, 93.231 passim. An diesem Punkt sperrt sich Schleiermachers Auffassung gegen eine zu passgenaue Parallelisierung mit strukturalistischen Positionen, worauf bereits Szondi, Schleiermachers Hermeneutik heute, 123 hingewiesen hat. Dialektik, KGA II/10.2, 326. Über die Philosophie Platons, 230. Vgl. zum Kratylosbezug auch in den Schriften aus der Berliner Zeit (1800 – 1802), KGA I/3, 354 [30.]. Im Notizheft Gedanken V, Schriften aus der Berliner Zeit (1800 – 1802), KGA I/3, 324 [165.] notiert Schleiermacher: „Kratylos und Phaidros bleiben die beiden Platonischen Dialoge, welche ich erneuern muß.“ Zu Schleiermachers Kratylos-Rezeption vgl. Pohl, Studien zur Dialektik Friedrich Schleiermachers, 117– 125. Dialektik, KGA II/10.1, 231. Vgl. Dialektik, KGA II/10.1, 190.
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Dasjenige Denken ist ein Wissen, welches a. vorgestellt wird mit der Nothwendigkeit daß es von allen Denkensfähigen auf dieselbe Weise producirt werde; und welches b. vorgestellt wird als einem Sein, dem darin gedachten, entsprechend.⁸⁷
Das Wissen ist für Schleiermacher wie auch das Denken in ständigem Werden zu begreifen. Es ist relativ hinsichtlich seiner Konstruktion und Kombination, wie der zweite Teil der Dialektikvorlesungen ausführt. Das Werden des Wissens ist relativ zu der Sprache, in der es sich bildet.⁸⁸ Was für Wissen als dem Ideal der Erkenntnis gilt, trifft bei Schleiermacher auch für alle anderen Formen der Erkenntnis zu. Alles menschliche Denken ist Symbolisieren und in seiner allgemeinen Form sprachlich verfasst. Ohne gemeinsame Relate, auf die sich in der Sprache bezogen wird, ist Sprache ebenso wenig denkbar wie ohne gemeinsame Formen der Darstellung. Die Sprachforschung lässt offen, ob es je eine nach Ähnlichkeitsgesichtspunkten gestaltete Zuordnung von Sprache zu ihren Gegenständen und Sachverhalten gegeben hat.⁸⁹ Auch für Schleiermacher erschöpft sich die Sprache nicht in Nachahmung, wie er am Beispiel der kindlichen Sprachentwicklung in seiner Pädagogik veranschaulicht: Das Sprechen kommt rein von innen heraus und ist keineswegs eine bloße Nachahmung, sondern mehr Freiheit, als man glaubt. Denn die Kinder bilden sich ihre eigenen Zeichen, die nicht Verstümmelungen, sondern ursprüngliche Produktionen sind. Auf diese darf man jedoch keinen so hohen Wert legen wie manche, die daraus die Natursprache bilden wollen, denn man kann in keinen ersten Versuchen die Vollendung der Sprache erkennen wollen. Wahrscheinlich sind die ersten allgemeinen Vorstellungen auch anders als diejenigen, worauf unsere Begriffe basiert sind und so bezeichnen die Kinder ihre Vorstellungen auch anders, bis sie die Muttersprache verstehen.⁹⁰
Die hier angesprochene Freiheit führt von der Darstellungs- weiter zur Ausdrucksdimension der Sprache.
2 Ausdruck Die Ausdrucksdimension der Sprache für die Sprachtheorie fruchtbar gemacht zu haben wird gemeinhin Schleiermachers Zeitgenossen Hamann und Herder zugesprochen. Es geht um die Einsicht, dass sich die Verweisdimension der Sprache nicht nur auf den repräsentierten Gegenstand, sondern immer zugleich auch auf ihren Sprecher bezieht. Karl Bühler nennt diesen Aspekt der Sprache auch „Kundgabe“. Bühler betont: Jemand spricht und nicht irgendwer. Er ist der „Täter der Tat des Sprechens, der
Dialektik, KGA II/10.1, 90. Vgl. auch Gelegentliche Gedanken über Universitäten, KGA I/6, 22 f. 47. Vgl. Bühler, Sprachtheorie, 30. Pädagogik (1820/21), KGA II/12, 461.
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Sender als Subjekt der Sprachhandlung“.⁹¹ Die Frage nach dem Woher des konkreten Sprachereignisses verbindet sich mit dem Wer der individuellen Sprachhandlung. Der Ausdrucksdimension und ihrem Verhältnis zur Darstellungsdimension der Sprache hat Schleiermacher besondere Aufmerksamkeit geschenkt.⁹² Deutlich wird in der Ethik das individuelle Symbolisieren von dem allgemeinen Symbolisieren in der Sprache unterschieden. ‚Individuelles Symbolisieren‘ ist Schleiermachers Begriff für primär ausdrucksbezogene Zeichenhandlungen, für die er Kunst und Religion hält. Daraus folgt dann schematisch: Sprache korreliert mit dem Wahrnehmen, wie Gefühl mit Gesang.⁹³ Aber auch die Sprache hat eine Ausdrucksdimension. Als die identische Form der Semiose ist Sprache für Schleiermacher verständliches Denken, dem Ausdrucks- und Darstellungsfunktion zukommt: Das „System von organischen Bewegungen, welche zugleich Ausdruck und Zeichen sind der Acte des Bewußtseins als erkennenden Vermögens unter dem Charakter der Identität des Schematismus, ist die Sprache.“⁹⁴ Schleiermachers Sprachphilosophie leistet einen eigenständigen Beitrag zum Aufweis der Bedeutung der sprachlichen Ausdrucksdimension. Dieser zeichnet sich besonders durch Reflexion des Verhältnisses von Darstellungs- und Ausdrucksdimension aus. In der Ethik problematisiert Schleiermacher die Leistungsfähigkeit von Sprache in Bezug auf unterschiedliche Formen des Erkennens. Im Brouillon wird zwischen übertragbarem und unübertragbarem Erkennen differenziert: Das Erkennen tritt aber auch hervor auf der anderen Seite [im Unterschied zur Sprache] mit dem Charakter der Eigenthümlichkeit d. h. der Unübertragbarkeit. Das nennen wir im eigentlichen Sinne Gefühl.⁹⁵
Ich möchte an dieser Stelle nicht auf die komplexe Frage eingehen, was Schleiermacher genau unter ‚Gefühl‘ versteht.⁹⁶ In der zitierten Passage aus dem Brouillon ist es als unübertragbares Erkennen bestimmt. In der Psychologie ist der Gesang und nicht die Sprache dem Gefühl zugeordnet. Inwiefern lässt sich also überhaupt von der Ausdrucksdimension der Sprache bei Schleiermacher sprechen? Die Grenze zwischen Gesang und Sprache ist fließend. Jede Form von Sprache hat für Schleiermacher auch musikalische Elemente.⁹⁷ Und der Schlüsselbegriff seiner
Bühler, Sprachtheorie, 31. Kursivierung wie im Original. Jørgensen, Das religionsphilosophische Offenbarungsverständnis des späten Schleiermacher, 121– 139 geht dieser Dimension der Sprache bei Schleiermacher unter dem Stichwort „Selbstoffenbarung“ nach. Vgl. auch Schlenke, Geist und Gemeinschaft, 200 – 211. Vgl. Psychologie (1818), 443. Vgl. Ästhetik (1819), 12. Vgl. Ethik 1812/13, 305. Brouillon 1805/06, 97. Vgl. Ethik 1812/13, 310 ff.; Ethik 1814/16, 441 ff.; Ethik 1816, 589 ff. Vgl. Cramer, Die subjektivitätstheoretischen Prämissen von Schleiermachers Bestimmung des religiösen Bewusstseins; Barth, Die subjektivitätstheoretischen Prämissen der ‚Glaubenslehre‘; Grove, Gefühl und Selbstbewusstsein und Großhans, Alles (nur) Gefühl? Vgl. Ästhetik (1819), 12.18.
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Ausdruckstheorie, wie er sie vor allem in seiner Ästhetik entwickelt, ist nicht ‚Gefühl‘ sondern ‚Stimmung‘: „alle Künste [sind] insgesamt Ausdruck der Stimmung“.⁹⁸ Eine Näherbestimmung der Art des Ausdrucks in den Künsten ist die „von der Stimmung ausgehende freie Production“.⁹⁹ Sprache kann neben ihrer Funktion für das zum Wissen strebende allgemeine Erkennen auch zum Medium des individuellen Darstellens werden. Die beiden hier in der Ethik zugeordneten Kultursphären sind Kunst und Religion. Welche Rolle hat also die Sprache in Schleiermachers Theorie des künstlerischen und religiösen Ausdrucks?¹⁰⁰ In der Ästhetik wird das Gegenüber von Sprache und Denken mehrfach als Folie des allgemeinen Symbolisierens verwendet, um das individuelle Symbolisieren davon zu unterscheiden, andererseits aber auch Analogien aufzuzeigen. Wie die Sprache sind etwa auch die Formen der Kunst nicht von sich aus allgemein verständlich, wenn sich Ton und Geberde zum unübertragbaren eigenthümlichen Gefühl verhalten sollen wie Sprache zum Denken. Allein dieser Gegensaz ist auch nur relativ, und in der Wirklichkeit immer beide Glieder vereint, wie denn auch die Sprache nur in gewissen Grenzen, und innerhalb dieser in sehr verschiedenen Graden verständlich ist.¹⁰¹
Hier ist Sprache ein Beispiel aus einer anderen Kultursphäre. Als Medium der Kunst kommt Schleiermacher auf die Sprache im Zusammenhang der Poesie zu sprechen. Für die Poesie ist das Organ die Sprache. (…) Er [der Poet] hat eine ähnliche Duplicität wie der Maler; wenn er bloß mit der Musik der Sprache spielt, fällt er aus der Kunst, aber auch wenn er nur die Gedanken mitteilen will und die Sprache verstummt.¹⁰²
Das Verstummen der Sprache ist ein starkes sprachliches Bild für ein Fehlen der Ausdrucksdimension in der Sprache oder wie Schleiermacher auch sagen kann, der „Musik der Sprache“. Die Beschreibungssprache für die Ausdrucksdimension der Sprache ist konsequent der Musik entlehnt. In der Weihnachtsfeier (1806/1827) hält Schleiermacher ein literarisches Plädoyer für die Bedeutung der Musik bei der Mitteilung religiöser Stimmungen: Bald hatte sie Alle zu andächtigen Zuhörern, und als sie geendet hatten, geschah es, wie immer, daß religiöse Musik zuerst eine stille Befriedigung und Zurükgezogenheit des Gemüthes bewirkt. Es gab einige stumme Augenblikke, in denen aber Jeder wußte, daß eines Jeden Gemüth liebend auf die Uebrigen und auf etwas noch Höheres gerichtet war.¹⁰³
Vgl. Ästhetik (1819), 17. Vgl. Grove, Der Grundton aller unserer Gefühle. Ästhetik (1819), 18. Zur Kunsttheorie Schleiermachers vgl. Lehnerer, Die Kunsttheorie Friedrich Schleiermachers; Käfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“; Mädler, Kirche und bildende Kunst in der Moderne und Müller, Ästhetische Religiosität und Kunstreligion, 193 – 213. Ästhetik (1819), 12. Ästhetik (1819), 58. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 50.
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Von den theologischen Reden, bei denen die Sprache an die Stelle der Musik bzw. des Gesangs rückt, findet nur eine einzige Rede positiven Widerhall bei den Hörerinnen. Und das Ende des Buches gibt der Musik das letzte Wort. Der lang ersehnte Freund Josef trifft ein, möchte auf eine eigene Rede verzichten und fordert zum gemeinsamen Gesang auf.¹⁰⁴ Er betont insbesondere auch die Rolle der Musik für die Darstellung der Frömmigkeit: Bedenkt nur, welche schönen Töne sie [die Frauen] Euch würden gesungen haben, in denen alle Frömmigkeit Eurer Reden weit inniger gewohnt hätte, oder wie anmuthig aus dem Herzen voll Liebe und Freude sie mit Euch geplaudert hätten; was Euch anders würde behagt und erquikt haben, als diese feierlichen Reden. (…) Der sprachlose Gegenstand verlangt oder erzeugt auch mir eine sprachlose Freude, die meinige kann wie ein Kind nur lächeln und jauchzen.¹⁰⁵
Dass der Text in hohem Maße eine Wertschätzung der Musik ausspricht und deren psychologische Bedeutung würdigt, wird mehr als deutlich: „Was das Wort klar gemacht hat, muß der Ton lebendig machen, unmittelbar in das ganze innere Wesen als Harmonie übertragen und festhalten.“¹⁰⁶ Die Ausdrucksdimension der Sprache hat Schleiermacher auch in den Monologen (1800) literarisch verarbeitet. ¹⁰⁷ Hier steht in Frage, wie die Kommunikation von Individualität in der Sprache überhaupt möglich ist. Die Überlegungen in der dritten Rede der Monologen beginnen mit einer Kritik an der Sprache: Es dienet freilich der Zauber der Sprache auch nur der Welt nicht uns. Sie hat genaue Zeichen und schönen Ueberfluss für Alles was im Sinn der Welt gedacht wird und gefühlt; sie ist der reinste Spiegel der Zeit, ein Kunstwerk, worin ihr Geist sich zu erkennen giebt. (…) Wie lange hindert sie den Geist zuerst, dass er nicht kann zum Anschaun seiner selbst gelangen!¹⁰⁸
Gegen die Sprache der Welt, der abgesprochen wird das eigene Selbst zu spiegeln, führt Schleiermacher zunächst die Sitte als Merkmal des inneren Geistes an.¹⁰⁹ Diese gelte es ganz nach der eigenen Persönlichkeit zu entwickeln. Wie zunächst mit der Sitte solle man dann auch mit der Sprache verfahren: Es bilde nur jeder seine Sprache zum Eigenthum und zum kunstreichen Ganzen, dass Ableitung und Uebergang, Zusammenhang und Folge der Bauart seines Geistes genau entsprechen, und die Harmonie der Rede der Denkart Grundton, den Accent des Herzens wieder gebe.¹¹⁰
Vgl. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 97 f. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 97. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 64. Zum Thema Individualität vgl. Barth, Das Individualitätskonzept der ‚Monologen‘; Dierken, Individualität und Identität, 188 – 196 und Lee, Der Begriff der Individualität beim frühen Schleiermacher, 95 – 116. Monologen, KGA I/3, 37. Monologen, KGA I/3, 38 f. Monologen, KGA I/3, 38.
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Wenn Sitte und Sprache in dieser Weise individuell gestaltet würden, ließe sich bereits aus einem kurzen Gedanken das Individuelle erkennen. Dieses individuelle Verhalten und Sprechen kann aber nur im Rahmen der allgemeinen Sitte und Sprache ihre relative Eigenständigkeit entwickeln: Dann giebts in der gemeinen noch eine heilige und geheime Sprache, die der Ungeweihte nicht deuten noch nachahmen kann, weil nur im Innern der Gesinnung der Schlüssel liegt zu ihren Charackteren.¹¹¹
Diese Passage ist ein Aufruf zur gelebten Individualität, zur kunstvollen Gestaltung des Handelns und Sprechens und zugleich eine Aufforderung zur intendierten Unverständlichkeit. Diese „heilige und geheime Sprache“ ist zwar Teil der allgemeinen Sprache, aber bewusst nicht mehr allgemein verständlich. Nur demjenigen, der im „Innern der Gesinnung“ der „Denkart Grundton, den Accent des Herzens“ kennt, erschließt sie sich. Verstehen und Nachbildung stehen auch hier im engsten Verhältnis. In der Ethik hatte Schleiermacher das identische Symbolisieren als Grundlage der Sprache ausgewiesen. Eine Geheimsprache, die zwar im Gewand einer allgemeinen Sprache auftritt, aber nicht verstanden werden will, kann auch nicht verstanden werden. Bereits in seinem frühen Text Über den Stil (1790/91) hat Schleiermacher Empfehlungen zur besseren allgemeineren Verständlichkeit gegeben.¹¹² Einerseits darf Sprache nicht so individuell sein, dass sie zu einer Geheimsprache wird, die niemand außer dem Sprecher verstehen kann. Andererseits kann auch eine vollständig über-individuelle Sprache die Handlungsdimension der Sprache nicht fassen. Auch in seiner Theologie hat Schleiermacher eine Theorie des Gefühlsausdrucks in religiöser Sprache entwickelt. Die Dogmatik als Glaubenslehre ist der Versuch einer Überführung von frommen Gemütszuständen in allgemeine christliche Glaubenssätze. Die einschlägigen Passagen aus der Einleitung der Glaubenslehre, die dem Verhältnis von Frömmigkeit und Dogmatik nachgehen, ziehe ich hier heran, um die Grenzen der Sprache für das individuelle Symbolisieren im Bereich der Religion auszuleuchten.¹¹³ Für die „frommen Gemütszustände“ nimmt Schleiermacher an, dass sie Bewegungen des Selbstbewusstseins sind, die sich je nach Grad ihrer Bestimmtheit äußern, zunächst „am unmittelbarsten und ursprünglichsten mimisch durch Gesichtszüge und Bewegungen, sowol Töne als Gebehrden“.¹¹⁴ Die Selbstreflexion, in der sich der
Monologen, KGA I/3, 38 f. Vgl. Über den Stil, KGA I/1, 363 – 390. Siehe Kap. III – A 1.) Schleiermacher als Theoretiker der Verständlichkeit. Eine Interpretation der Paragraphen sucht man bei Richter, Die Religion in der Sprache der Kultur vergeblich. CG², KGA I/13.1, 127 [§15.1, Erläuterung].
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Mensch seines eigenen Bewusstseins gewahr wird, ist für Schleiermacher immer auch sprachlich verfasst. Allein wir können uns kaum einen so niedrigen Entwikklungspunkt des menschlichen Geistes und eine so mangelhafte Ausbildung und einen so sparsamen Gebrauch der Sprache denken, daß nicht zugleich auch schon Jeder, nach der Stufe der Besinnung auf welcher er steht, sich in seinen verschiedenen Zuständen selbst Gegenstand werden sollte, um die in der Vorstellung aufzufassen und in Form des Gedanken festzuhalten.¹¹⁵
Hier sehen wir die Verbindung von Sprache und Denken in ihrer Funktion als Ausdruck des bestimmten Selbstbewusstseins. Es lässt sich kein Zustand des Menschen denken, in dem dieser nicht in der Form des Denkens auf sich bezugnimmt. Allein wenngleich das Denken auch innerlich nicht ohne den Gebrauch von Sprache vonstatten geht: so giebt es doch, solange es bloß innerlich bleibt, schwankende Zustände dieses Verfahrens, welche zwar einigermaßen den Gegenstand bezeichnen, nur so jedoch, daß weder Begriffsgestaltung noch Begriffsverknüpfung, das Wort Begriff auch im weitesten Sinne genommen, fest genug ist um sich mittheilen zu lassen.¹¹⁶
Diese Passage wäre missverstanden, wenn man sie gegen eine sprachliche Verfasstheit des Denkens lesen wollte. Es geht vielmehr um eine Hinführung zu dem, was Schleiermacher unter einem Glaubenssatz versteht: eine allgemein mitteilbare und über den unreflektierten bloßen Ausdruck der Frömmigkeit hinausgehende Sprache. Auch hier wird deutlich, dass Sprache bei Schleiermacher mehr als eine bloße Darstellung des Denkens ist. Das fromme Selbstbewusstsein, das sich, so Schleiermachers These, zunächst weder im Medium des Denkens noch der Sprache konstituiert, findet klarere Bestimmtheit im Modus der Selbstreflexion und der damit verbundenen sprachlichen Artikulation. Das Maß der Bestimmtheit führt zur These des folgenden Paragraphen: „Dogmatische Sätze sind Glaubenssätze von der darstellend belehrenden Art, bei welchen der höchst mögliche Grad der Bestimmtheit bezweckt wird“.¹¹⁷ Das Spektrum der Ausdrucksdimension der Sprache wird von Schleiermacher umfassend reflektiert. Besonders in den Kultursphären der Kunst und der Religion finden sich mit der Poesie und der Glaubenslehre Formen der Sprache, in denen der Bezug der Sprache auf den Sprecher eigens reflektiert wird. Eine Brückenfunktion zwischen Kunst und Religion hat die Musik, der Schleiermacher in der Weihnachtsfeier eine herausgehobene Bedeutung für die Kommunikation der Religion einräumt. Wie aber steht es um die dritte Dimension des semiotischen Dreiecks? Welche Rolle spielt der Appell in Schleiermachers Sprachverständnis?
CG², KGA I/13.1, 128 [§15.1, Erläuterung]. CG², KGA I/13.1, 128 [§15.1, Erläuterung]. CG², KGA I/13.1, 130 [§16, Leitsatz].
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3 Appell Mit der Verweisdimension auf den Hörer eines konkreten Sprachereignisses ist eine dritte Relation benannt, die neben der Darstellungs- und Ausdrucksdimension für die Sprache wesentlich ist. Karl Bühler nennt diese Dimension der Sprache den Appell. Die Handlungsdimension der Sprache ist nicht nur durch eine Näherbeschreibung des Handelnden, sondern auch durch seine Wirkung auf den Hörer zu charakterisieren. Er ist „Empfänger als Angesprochener (…) als Adressat der Sprechhandlung“.¹¹⁸ Bei Schleiermacher wird der Hörerbezug der Sprache in eine Verhältnisbestimmung der Sprache zu ihrem Kontext eingegliedert. Dabei unterscheidet er zwei Aspekte. Der Kontext der Psychologie des Sprechers steht parallel zum Kontext der geistigen Welt, in der er lebt und für die er spricht. Die Redeweise von unterschiedlichen Kontexten der Sprache bildet damit zwei unterschiedliche Verweisfunktionen der Sprache ab. Die Frage nach dem Wer der Sprache lässt offen, für wen gesprochen wird. Der Hinweis auf die geistige Welt hält die wichtige Beobachtung fest, dass eine konkrete Sprachhandlung nicht nur von einem einzelnen Hörer gehört werden kann und für diesen gedacht ist. Philosophie und Kulturwissenschaften sind spätestens mit dem linguistic turn auf den performativen Charakter der Sprache aufmerksam geworden. Diese Dimension der Sprache ist von der Sprachhandlung im Sinne der oben eingeführten Differenz von Sprechen und Sprache zu unterscheiden. Dort ging es um die gesprochene Sprache im Unterschied zu ihrer allgemeinen Struktur. Hier ist mit der Sprache als Handlung ihre Verortung in einen bestimmten Adressatenkreis im Blick. Zur Appellfunktion der Sprache finden sich Überlegungen in der Vorlesung zur Pädagogik (1820/21). Sie stehen im Zusammenhang einer Veränderung der Methoden in der Erziehung. Bestimmten Entwicklungsperioden sind spezielle Methoden der Pädagogik zugeordnet. Dabei ist das Einteilungskriterium das Sprachvermögen in Analogie zur wachsenden Selbstständigkeit: die ganze Entwicklung des Menschen auch nach der Periode der Erziehung ist ein beständiges Innebekommen der Sprache, und wir unterscheiden die Menschen selbst, je nachdem sie dieselbe mehr oder weniger innehaben.¹¹⁹
Hier begegnet ein Hinweis zum Zusammenhang von Sprache und Gehorsam, der zugleich die Sprache mit ihrer Appellfunktion von anderen primär dem Ausdruck dienenden Zeichenhandlungen abhebt: Alle Verständigungsmittel vor der Sprache, das Pantomimische und Musikalische, sind mehr auf das Gefühl [gerichtet], aber das Wesen der Sprache ist der Begriff, woran auch der Gehorsam gebunden ist. Denn die Vorschrift muss in ihrem bestimmten Maße verstanden sein[.]¹²⁰
Bühler, Sprachtheorie, 31. Pädagogik (1820/21), KGA II/12, 457. Pädagogik (1820/21), KGA II/12, 457 f.
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I Theoriedimensionen von Schleiermachers Sprachphilosophie
Es folgt eine Passage, in der Schleiermacher sich die Frage vorlegt, was in der Erziehung vor dem sprachlich verfassten Gehorsam dessen Funktion übernimmt.¹²¹ Anders formuliert: welchen nicht-sprachlichen Handlungen in der Erziehung kommt ebenfalls eine Appellfunktion zu? Schleiermacher subsumiert dazu unterschiedliche Tätigkeiten unter dem Begriff der ‚Erhaltung‘. In dieser erziehungspsychologischen Reflexion über den Zusammenhang von Sprache und Gehorsam zeigt sich, dass der Appell für Schleiermacher seinen Ort innerhalb seines pädagogischen Konzepts hat. Erstes Ziel seiner Pädagogik ist: „die persönliche Eigentümlichkeit des Einzelnen herauszulocken.“¹²² Damit geht für Schleiermacher die Ausprägung einer eigenen Sprache einher, wie sie als unerreichbares Ideal bereits in den Monologen angedeutet worden ist. Die Vorschrift bedarf eines Verstehens, das sich nicht im Bereich der Darstellung und des Ausdrucks erschöpft. Mit dieser Beobachtung teilt Schleiermacher eine zentrale Einsicht der neueren Sprachtheorie, entfaltet dafür aber keine eigene Interpretationstechnik. Seine pragmatischen Überlegungen bleiben der Polarität von Repräsentation und Ausdruck verhaftet. Das lässt sich gut an seinen Bemerkungen zu „Sprachgebieten“ nachvollziehen, die sich in der Einleitung der Glaubenslehre im Zusammenhang des Verhältnisses von Frömmigkeit und Dogmatik finden. Die Erläuterungen zu Sprachgebieten dienen in der Glaubenslehre einer Näherbestimmung von Glaubenssätzen als Sätze „darstellend belehrender Art“.¹²³ Was damit gemeint ist, soll durch die Unterscheidung von drei Sprachgebieten, der dichterischen, rednerischen und darstellend belehrenden Sprache, verständlich gemacht werden. Es ist gewissermaßen eine Miniatur verschiedener Appelle: Der dichterische Ausdrukk ruht ursprünglich immer auf einem rein von innen heraus erhöhten Lebensmoment einem Moment der Begeisterung; der rednerische auf einem von außen erhöhten, einem Moment des bewegten Interesse, welches auf einen bestimmten einzelnen Erfolg ausgeht. Jener ist rein darstellend und stellt in allgemeinen Umrissen Bilder und Gestalten auf, die jener Hörer sich auf seine eigenthümliche Weise ergänzt. Der rednerische ist rein bewegend, und hat es seiner Natur nach am meisten mit solchen Sprachelementen zu thun, welche das mehr und minder aufnehmend in größerem und geringerem Umfang können aufgefaßt werden, zufrieden, wenn sie nur im entscheidenden Augenblick das höchste leisten, gesezt auch daß sie hierin sich selbst erschöpfend in der Folge geringer erschienen. (…) Denken wir uns aber das Auffassen und Aneignen des in diesen beiden Gestalten ursprünglich gegebenen auch an die Sprache gebunden und durch dieselbe mittheilbar: so wird dieses nicht wieder die dichterische Form haben können, noch auch die rednerische, sondern unabhängig von dem, was in jenen beiden das Momente war, und ein sich gleich bleibendes Bewusstsein ausdrükkend, wird es (…) eben jenes Dritte, das didaktische, darstellend belehrende, von jenen beiden zurükkbleibend und aus ihnen zusammengesezt als ein abgeleitetes und zweites.¹²⁴
Vgl. Pädagogik (1820/21), KGA II/12, 458 f. Pädagogik (1820/21), KGA II/12, 393. CG², KGA I/13.1, 130 [§16, Leitsatz]. CG², KGA I/13.1, 130 f. [§16.1, Erläuterung].
C Sprache in dreifacher Relation
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Schleiermachers Gedanken zu Sprachgebieten lassen sich als eine Gattungstheorie interpretieren. Die aus Platons Politeia bekannte Unterscheidung der Redeweisen von Darstellung und Erzählung wird hier aufgenommen und in ihrer Mischform als didaktische Rede benannt.¹²⁵ Dazu trägt Schleiermacher noch eine Differenz zwischen der Momentbezogenheit dichterischer und rednerischer Sprache und dem Bleibenden ein, das sich in didaktischer Sprache ausdrücken soll. Das Ergebnis zeigt, dass die didaktische Sprache ähnlich wie in den Überlegungen zum Gehorsam in der Pädagogik nicht von der Hörerrelation, sondern von der Darstellungs- und Ausdrucksrelation ausgeht. Die Wechselseitigkeiten, auf die solche Verhältnisse von Befehlsgeber und -empfänger sowie zwischen Lehrenden und Lernenden angewiesen sind, werden von Schleiermacher nicht in die pragmatische Dimension von Sprache eingetragen. Schleiermachers Zugänge zum Thema Sprache sind vielseitig. Er verortet die Sprache im breiteren Kontext der Zeichentheorie und kann mit seinen Gegenüberstellungen von Individualität und Allgemeinheit in der Sprache einerseits die Differenz von Sprachhandlung und Sprachgebilde abbilden, andererseits aber auch die Darstellungs- und Ausdrucksrelation der Sprache einfangen. Im Zentrum seiner multiperspektivischen Sprachtheorie steht ihre allgemeine Seite. Es fällt auf, dass Sprache in der Ethik das allgemeine Symbolisieren bestimmt und vor allem in der Psychologie und Pädagogik der Musik gegenübergestellt wird. Zugleich gibt es mit der musikalischen Seite der Sprache, ihrem Lautcharakter, aber auch Gemeinsamkeiten mit der Musik. Der Vergleich mit der Sprachtheorie Karl Bühlers hat im Bereich des Appellcharakters der Sprache gezeigt, dass Schleiermacher in der Pädagogik zwar einen Zusammenhang zwischen Gehorsam und Sprache herausgearbeitet hat und in der Glaubenslehre Sprachgebiete im Sinne von Gattungen unterscheiden kann, die Verwendung von Sprache aber letztlich von ihrer Genese trennt. Die Appellfunktion der Sprache bleibt ihrer Darstellungs- und Ausdrucksdimension nachgeordnet. Über die Theoriedimension der Sprachphilosophie lassen sich im Folgenden Aufbau und Methode der Schleiermacherschen Hermeneutik erschließen, „weil [für jene] doch am Ende alles vorauszusezende und alles zu findende Sprache ist.“¹²⁶
Platon, Politeia, 3, 392c–398b. Vorlesungen zur Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 39.
II Schleiermachers allgemeine Hermeneutik Verstehen ist ein Begriff der wol von Wenigen verstanden wird. (Friedrich Schleiermacher, KGA I/2, 45)
Wären alle sprachlichen Äußerungen eindeutig, bräuchte es keine Hermeneutik. Wie aber kommt es zu divergierenden Verständnissen? Liegt es an der Begrenztheit einzelner Sprachen oder den Fähigkeiten ihrer Sprecher? Das Ideal einer eindeutigen Sprache scheint entgegen aller in diesem Bereich unternommenen Versuche ebenso unplausibel wie das eines eindeutigen Sprachgebrauchs. Der Mehrdimensionalität der Sprache muss eine ihr angemessene Theorie ihres Verstehens korrespondieren. Um von mehrdeutigen Sprachzeichen zu einem bestimmten Verständnis zu kommen, sind – nach Schleiermacher – unterschiedliche methodisch kontrolliert aufeinander bezogene Interpretationsschritte nötig. Die drei Dimensionen der Überlegungen Schleiermachers zur Sprache, die das I. Kapitel herausgearbeitet hat, die Semiotik, Semantik und Kommunikationstheorie, sind die zentralen Herausforderungen einer allgemeinen Theorie des Verstehens. Die verschiedenen Interpretationsschritte in Schleiermachers Hermeneutik lassen sich im Folgenden von diesen Dimensionen her erschließen. Gegenüber der bisherigen Forschung zu Schleiermachers Hermeneutik hat dieser Zugriff den Vorzug, das Thema Sprache nicht nur einer bestimmten Interpretationsrichtung, der grammatischen Interpretation, zuzurechnen. Zudem hat sich die Quellenlage zu Schleiermachers Hermeneutik in den letzten Jahren deutlich verbessert. Die Vorlesungen zur Hermeneutik sind die primären Quellen zur Rekonstruktion der allgemeinen Hermeneutik. Aus der lange verhältnismäßig unsicheren Quellenlage resultierten eine Reihe von Studien zu diesen Vorlesungen, die nun auf der Grundlage der Edition der Vorlesungen in der Kritischen Gesamtausgabe (2012) neu zu prüfen sind.¹²⁷ Die Quellenbasis lässt sich durch die Hinzunahme der Kurzen Darstellung des theologischen Studiums (1811/1830) ergänzen, der ersten Veröffentlichung des Autors, in der das Thema Hermeneutik explizit reflektiert wird. Eine dritte Quelle, die ebenso wie die Kurze Darstellung zentrale Thesen der Hermeneutik Schleiermachers bündelt, sind die beiden Akademiereden Über den Begriff der Hermeneutik (1829). Damit überholt sind die Editionen und zum Teil auch die Interpretationen von Friedrich Lücke (1838), Heinz Kimmerle (²1974) und Manfred Frank (1977). Es soll hier nicht im Einzelnen untersucht werden, wie der Stand der Edition der Vorlesungen die unterschiedlichen Interpretationen geprägt und begrenzt hat. Neben dem veränderten Editionsstand lässt sich auch ein jeweils eigener philosophischer Hintergrund der Interpretationen ausmachen. Sei es etwa bei Kimmerle die Kritik an Gadamers
Ich zitiere die Vorlesungen zur Hermeneutik und Kritik im Folgenden unter der Angabe des von Virmond besorgten Bandes der Kritischen Gesamtausgabe (KGA II/4). https://doi.org/10.1515/9783110684599-003
II Schleiermachers allgemeine Hermeneutik
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Schleiermacherdeutung oder bei Frank der Vermittlungsversuch Schleiermachers mit dem Strukturalismus. Der Forschung diente lange Diltheys Die Entstehung der Hermeneutik (1900) als erste Referenz. Hinsichtlich (a) der Geschichte der Hermeneutik, (b) ihrer Rolle für die Geisteswissenschaften und (c) ihrer Synthesefunktion bisheriger philosophischer Positionen arbeitet sich die Forschung bis heute an Diltheys Einschätzung ab. Unter besonderer Berücksichtigung zahlreicher Quellen aus der protestantischen Theologie entwickelt Dilthey (a) eine Genealogie neuzeitlicher Hermeneutik, an deren Ende Schleiermachers Konzeption stehe. Erst er verbinde „die Virtuosität philologischer Interpretation mit echtem philosophischem Vermögen“.¹²⁸ Eine solche Hermeneutik „soll gegenüber dem beständigen Einbruch romantischer Willkür und skeptischer Subjektivität in das Gebiet der Geschichte die Allgemeingültigkeit der Interpretation theoretisch begründen“.¹²⁹ Sie ist für Dilthey „Hauptbestandteil der Grundlegung der Geisteswissenschaften.“¹³⁰ Joachim Wach, ein Schüler Diltheys, hat in seinem dreibändigen Werk Das Verstehen (1926) Schleiermacher ebenfalls eine bedeutende Rolle in der allgemeinen Hermeneutikgeschichte eingeräumt: „er war der erste, (…) der aus einem inneren Zusammenhang eine umfassende Lehre vom Verstehen entwickelt hat.“¹³¹ Wach hat noch stärker als Dilthey die Rolle der psychologischen Interpretation gewichtet: Schleiermacher habe zuerst „die Aufgabe der psychologischen Interpretation klar, umfassend und eindrücklich bestimmt“.¹³² Kritisch wendet sich HansGeorg Gadamer in Wahrheit und Methode (1960) gegen Diltheys Interpretation von Schleiermachers Verstehenslehre: „Er [Schleiermacher] wollte lehren, wie man Rede und schriftliche Überlieferung zu verstehen hat (…). Daher war seine hermeneutische Theorie von einer Historik, die den Geisteswissenschaften als methodologisches Organon dienen konnte, noch weit entfernt.“¹³³ Aber auch für Gadamer ist die psychologische Interpretation die maßgebliche Innovation in Schleiermachers Hermeneutik: Schleiermacher stelle „neben die grammatische die psychologische (technische) Interpretation und in dieser [der psychologischen] liegt sein Eigenstes.“¹³⁴ In seiner auch mit der Erschließung weiteren Quellenmaterials verbundenen Dissertation Die Hermeneutik Schleiermachers vor dem Hintergrund seines spekulativen Denkens (1957) hat Gadamers Schüler Heinz Kimmerle gegenüber der psychologischen Interpretation die Bedeutung der grammatischen Interpretation für Schleiermachers Hermeneutik betont. Sein Ergebnis, eine frühe und eine späte Hermeneutik mit einer unterschiedlichen Gewichtung der zwei Interpretationsarten anzunehmen, konnte sich aber in der Forschung nicht durchsetzen. Theodor Holzdeppe Jørgensen schlägt in Das religi-
Dilthey, Die Entstehung der Hermeneutik, 326. Ebd., 331. Ebd., 331. Wach, Das Verstehen, Bd. 1, 86. Ebd., 94. Gadamer, Wahrheit und Methode, 185. Ebd., 174.
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II Schleiermachers allgemeine Hermeneutik
onsphilosophische Offenbarungsverständnis des späten Schleiermacher (1977) vor, Schleiermachers allgemeine Hermeneutik als einen Versuch zu lesen, die Selbstoffenbarung fremder Individualität zu verstehen. Er beschränkt sich dazu auf die psychologische und technische Interpretation der Hermeneutik und setzt diese mit seinem Verständnis der Ästhetik in Beziehung.¹³⁵ Manfred Frank Das individuelle Allgemeine (1977) kritisiert die einseitige Rezeption von Schleiermachers Hermeneutik als einer psychologisierenden Auslegung. Er stellt Schleiermachers Konzept in die Nähe strukturalistischer Positionen, wobei die aktualisierende Lesart gegenüber der historisch-distanzierten Rekonstruktion überwiegt. Ein anderes Erbe von Diltheys Interpretation bearbeitet Gunter Scholtz in Ethik und Hermeneutik (1995). Ihm geht es (b) um die Rolle der Hermeneutik für die Geisteswissenschaften, wie sie von Dilthey in Aufnahme und von Gadamer in Abgrenzung von Schleiermacher bestimmt wurde. Scholtz macht deutlich, dass die philosophische Ethik und nicht die Hermeneutik Schleiermachers dessen Theorie der Geisteswissenschaften entfaltet. Ein drittes Erbe Diltheys ist (c) die systematische Verortung der Stellung Schleiermachers in der Geschichte der Sprachphilosophie. Hatte Dilthey Schleiermachers Hermeneutik als ideale Verbindung von Philologie und Philosophie charakterisiert, findet sich auch in einer ganzen Reihe von Forschungen die These einer Synthese zweier Strömungen, etwa bei Wilhelm Gräb Die Entdeckung der Universalität des hermeneutischen Problems (1984), Reinhold Rieger Interpretation und Wissen (1988) und Harald Schnur Schleiermachers Hermeneutik und ihre Vorgeschichte (1994). Die neueren Forschungen zur Hermeneutik der Aufklärung führen bei Oliver R. Scholz Jenseits der Legende (2001) zu einer neuen Bestimmung von Schleiermachers Rolle in der Hermeneutikgeschichte. Wenn im Folgenden Schleiermachers Hermeneutik vor dem Hintergrund seines Sprachverständnisses interpretiert wird, soll nicht eine bestimmte Interpretationsart, ihre wissenschaftstheoretische Bedeutung oder die Frage ihrer hermeneutikgeschichtlichen Prägung im Zentrum stehen, sondern ihre Erschließungskraft für das Verstehen von und durch Sprache. Analog zu den im IV. Kapitel entwickelten Dimensionen der Sprachphilosophie Schleiermachers ergibt sich für seine allgemeine Verstehenslehre ein multiperspektivischer Zugang. Seine allgemeine Hermeneutik kann (A) als ein Verstehen des Verweischarakters von Sprachzeichen gefasst werden. Die Mehrdeutigkeit der Zeichen rechtfertigt verschiedene Interpretationsschritte, deren Anwendung und Gewichtung im Verstehen den Kunstcharakter der Hermeneutik ausmachen. Sodann lässt die Hermeneutik sich (B) als ein Verstehen von Sprechen und Sprache beschreiben. In der Unterscheidung von grammatischer und technisch-psychologischer Interpretation ordnet diese Differenz Schleiermachers Hermeneutik. Mit der Kritik (C) erhält die
Vgl. Jørgensen, Das religionsphilosophische Offenbarungsverständnis des späten Schleiermacher, 139 – 189.
A Die Kunst des Verstehens von Sprachzeichen
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Hermeneutik ein bleibendes Gegenüber. In den verschiedenen Formen der Kritik findet das hermeneutische Verstehen seine Grenzen in der Angewiesenheit auf seine Nachbardisziplinen.
A Die Kunst des Verstehens von Sprachzeichen Prominent ist der Satz, mit dem Schleiermacher sein Vorlesungsmanuskript 1809/10 beginnt: „Die Hermeneutik beruht auf dem Factum des Nichtverstehns der Rede.“¹³⁶ Schleiermacher macht das Nichtverstehen von gesprochener Sprache zum methodischen Ausgangspunkt seiner Hermeneutik. Nicht, weil generelles Missverstehen herrsche, sondern weil es vor einem vereinzelten Verstehen bewahren soll. Es genügt nicht, ein einzelnes Sprachzeichen nur für sich zu verstehen. Jedes Wort, jeder Satz und jeder Text sind Teil einer Fülle von Verweiszusammenhängen. Alle Formen von Nichtverstehen entstehen seiner Ansicht nach durch fehlende Rekonstruktion dieser Zusammenhänge.¹³⁷ Hier spielt eine Abgrenzung gegen die bisherige Hermeneutik hinein, in der man sich mit dem „dunklen Eindruk des Einzelnen“¹³⁸ begnügt habe. Dagegen stellt Schleiermacher das methodische Verfahren vom wechselseitigen Verstehen des Einzelnen und des „Ganzen“¹³⁹ bzw. „Zusammenhangs“¹⁴⁰. In der Vorlesung von 1819 und den Akademiereden verwendet Schleiermacher für den Bezug von Einzelnem und Ganzem die Ausdrücke „comparativ“ und „divinatorisch“.¹⁴¹ Das komparative Verfahren schließt vergleichend vom Ganzen auf das Einzelne und das divinatorische Verfahren entwirft aus dem Eindruck eines Einzelnen das Ganze. Er kann diese Unterscheidung auch „qualitatives“ und „quantitatives“ Verstehen nennen und Geschlechtern zuordnen: „Das Verstehn ist (…) ein zwiefaches, qualitativ und quantitativ.“¹⁴² Die erste sei die „weibliche“ und die zweite die „männliche Stärke“¹⁴³. Beide Methoden seien ihrerseits aufeinander bezogen.
Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 73. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 6.38.73.126 f.165.216 f.382 f.484 f.762.768 f. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 9. Für eine Vereinzelung des Verstehens votiert Stoellger, Missverständnisse und die Grenzen des Verstehens, 232– 236, wenn er – in einer überbietenden Interpretation Schleiermachers – den Ausgang der Hermeneutik vom Missverstehen als einem Anders- und nicht einem Besserverstehen sucht. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 39.78.82.104.108.129.131.156.202.220.224 f. passim. Akademievorträge, KGA I/11, 625 – 637. In Bezug auf den ntl. Kanon KGA I/6, 376 [§136]. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 29.77.82.359.871.920. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 157; Akademievorträge, KGA I/11, 616 – 619.630.634.636. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 76.290 f. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 157.311. Diese Differenz innerhalb der Erkenntnis findet sich bei Hartlieb, Geschlechterdifferenz im Denken Schleiermachers nicht. Sie fokussiert stattdessen die Unterscheidung von „weiblicher Religion“ und „männlicher Theologie“.
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II Schleiermachers allgemeine Hermeneutik
Handelt es sich bei diesem Wechselverhältnis um einen Zirkel? Anders als Ast, der dezidiert von einem Zirkel als Grundsatz des Verstehens und Erkennens ausgeht¹⁴⁴, ist Schleiermacher hier vorsichtiger: Ich muß also das ganze Gebiet erst kennen, wenn ich das Einzelne verstehen will. Das erscheint nun wieder als ein Cirkel (…). Wie ist der Cirkel aufzulösen? So, daß wir sagen, eine gewisse Kenntniß des Einzelnen haben wir schon in der Kenntnis der Sprache und der gemeinschaftlichen Combinationsgesetze. Das ist gerade soviel als nöthig ist, um eine allgemeine Kenntniß des Ganzen zu erhalten, wenn wir auch bloß das Einzelne durchgehen.¹⁴⁵
Schleiermacher möchte offenbar einen Zirkel vermeiden, indem er die Übersicht über das Ganze eines Textes, also das divinatorische Verfahren, als den ersten Schritt der Interpretation bestimmt. Dieser Eindruck des Ganzen entsteht intuitiv.¹⁴⁶ Er stellt sich nicht notwendig ein und bildet ein Kontingenzmoment im Verstehensakt.¹⁴⁷ Verstehen, so Schleiermachers These, ergibt sich nicht von selbst. Es vollzieht sich durch ein Verfahren, für welches Regeln aufgestellt werden können, deren Anwendung ihrerseits aber nicht mehr in Regeln gefasst werden kann. Alles Verstehen einer Rede oder Schrift ist, weil dazu eine selbstthätige Production gehört nach Gesezen, deren Anwendung nicht wieder auf Geseze zu bringen ist, eine Kunst.¹⁴⁸
Der zitierte Satz aus der Kurzen Darstellung eröffnet dort den Abschnitt zur Hermeneutik.¹⁴⁹ Er enthält eine Begriffsbestimmung von Hermeneutik als einem Verstehen, das mit „Rede oder Schrift“ einen bestimmten Gegenstand hat und durch die Qualifikation der Hermeneutik als „Kunst“ näherbestimmt ist.¹⁵⁰
Dilthey, Das Leben Schleiermachers, 708. Bauer, Schlegel und Schleiermacher, 316 f. sieht im „hermeneutischen Zirkel“ das Zentrum von Schleiermachers „romantischer Auslegungslehre“ (ebd., 334). Dagegen ist mit Danneberg, Schleiermacher und die Hermeneutik, 239 darauf hinzuweisen, dass sich bei Schleiermacher weder die Rede von einem „hermeneutischen Zirkel“ noch eine Beschreibung des Verstehens als Zirkel findet. Wenn überhaupt kann nur von einem „scheinbaren Zirkel“ die Rede sein. So auch Maraldo, Der Hermeneutische Zirkel, 31. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 225. Vgl. zum „Zirkel“ ebd., 365 f.607.729 und zur kursorischen Lektüre ebd., 497. Als „errathen“ findet sich die Tätigkeit der Sache nach bereits im Notizheft Gedanken I, Schriften aus der Berliner Zeit (1800 – 1802), 8 [11.]. Der Geschichte der Denkfigur gehen Hamacher, Hermeneutische Ellipsen und Maraldo, Der Hermeneutische Zirkel nach. In Bezug auf Schleiermacher schlägt Maraldo vor, einen „Zirkel“ in der Hermeneutik und in der Dialektik zu unterscheiden, ebd., 19 – 61. Kurze Darstellung (1811), KGA I/6, 275; vgl. Kurze Darstellung (1830), KGA I/6, 375 [§132]. Eine genauere Bestimmung der Funktion der Hermeneutik in der Kurzen Darstellung erfolgt unter Kap. III – C. Vgl. Kurze Darstellung (1811), KGA I/6, 275; Kurze Darstellung (1830), KGA I/6, 375; Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 75 f.122.201. Zu Schleiermachers Kunstbegriff vgl. Odebrecht, Schleiermachers System der Ästhetik und Lehnerer, Die Kunsttheorie Friedrich Schleiermachers.
A Die Kunst des Verstehens von Sprachzeichen
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In seinen Notizen zur Hermeneutik (1805 und 1809/10) notiert er: „Die bisherigen Behandlungen der Hermeneutik gehen aus von der Kunstlosigkeit des Verstehens das nicht eher Kunst bedarf bis es auf Nonsens gestoßen ist.“¹⁵¹ Die Hermeneutiken bis Mitte des 18. Jahrhunderts würden sich auf die Interpretation einzelner Stellen konzentrieren. Ein solches Vorgehen sei „kunstlos“, da es verkenne, dass Hermeneutik sich auf das Ganze des Verstehens erstreckt.¹⁵² Schleiermacher sieht in seinem Konzept eine entgegengesetzte Maxime in Geltung: das Verstehen als vollständige Rekonstruktion.¹⁵³ Ziel seiner Hermeneutik ist ein vollkommenes Verstehen. Dass man überhaupt etwas versteht, übt sich seit der Kindheit.¹⁵⁴ Worum es aber in der Hermeneutik geht, ist ein „Verstehen im höchsten Sinne“¹⁵⁵. Hier begegnet mehrfach die prominente Formulierung: „den Schriftsteller besser verstehen als er sich selbst“¹⁵⁶. Dieser Satz ist nicht einseitig hinsichtlich eines psychologisierenden Verstehens zu interpretieren, sondern meint das vollständige Rekonstruieren der Entstehungsbedingungen eines Satzes. Näherhin beschreibt Schleiermacher diesen Schritt als ein erhötes Verständniß von dem inneren Verfahren der Dichter und anderer Künstler der Reden von dem ganzen Hergang der Composition vom ersten Entwurf an bis zur lezten Ausführung. Ja ist überhaupt etwas wahres an der Formel, die höchste Vollkommenheit der Auslegung sei die einen Autor besser zu verstehen als er sich selbst von sich Rechenschaft geben könne so wird wol nur eben dieses damit gemeint sein können.¹⁵⁷
Im Hintergrund steht eine Theorie des unbewussten Schaffens.¹⁵⁸ Der Autor selbst ist nicht in der Lage, die Umstände der Textproduktion zu rekonstruieren. Indem die Hermeneutik genau dies leistet und nur so zum Verstehen kommt, erweist sie sich als Kunst. Da sich sowohl die Sprache als auch der Autor letztlich jedoch nicht in Gänze verstehen lassen, bleibt die Aufgabe des Verstehens ohne Abschluss. Wiederholt spricht Schleiermacher daher vom Verstehen als einer „unendlichen Aufgabe“¹⁵⁹.
Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 16. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 126.161.163.357 f.; Akademievorträge, KGA I/11, 601– 607. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 6.38.74 f.127.728. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 20.44.74.82. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 74. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 39.50.67.75.114.128.219.341.488.Vgl. Zweites Sendschreiben, 367. Akademievorträge, KGA I/11, 618. Das Zitat zeigt zum einen, dass es sich um eine übernommene Formel handelt und meldet zugleich Bedenken über eine mögliche Missverständlichkeit an. Vgl. Priesemuth, Besserverstehen. Vgl. Kant, KdrV, 421 (A 314/ B 370) und Ders., KdU, 193 f. (B 181– 183). Zur Theorie des unbewussten Schaffens: Dilthey, Das Leben Schleiermachers, 707 f. Eine problemgeschichtliche Einordnung, die weniger genieästhetische Aspekte, sondern hermeneutikgeschichtliche Kontinuitäten betont, bei Danneberg, Besserverstehen. Zu Schleiermacher ebd., 691– 695. Vgl. Ders., Schleiermacher und die Hermeneutik, 240 – 252. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 6.56.129.132.219.228.359.385.467.567.611.
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II Schleiermachers allgemeine Hermeneutik
Mit der Rede von wechselseitigem Verstehen von Einzelnem und Ganzem kann Schleiermacher eine zentrale Einsicht der Interpretationstheorie beschreiben: Sprachzeichen sind immer kontextuell. Sie stehen in verschiedenen Verweiszusammenhängen, die zum Zweck des Verstehens berücksichtigt werden müssen. Welche Zusammenhänge jeweils zu berücksichtigen sind, lässt sich nicht durch eine Regel angeben. Die Kunst des Verstehens besteht in einer Verbindung verschiedener Interpretationstechniken, die ihrerseits bestimmte Dimensionen der Sprache erschließen.
B Verstehen von Sprechen und Sprache Da das Ziel aller Auslegung darin besteht, jeden einzelnen Gedanken mit seinem Verhältniß zur Idee des Ganzen zugleich richtig aufzufassen, und so den Akt des Schreibens nachzuconstruiren (…) Jede Schrift kann nur vollkommen verstanden werden durch die Kenntniß der Literatur, der sie angehört, des Zeitalters und besonders des Publicums, für welches sie geschrieben wurde, und der besondern Beziehungen, aus denen sie hervorgegangen ist.¹⁶⁰
Dieses Zitat aus der Kurzen Darstellung benennt verschiedene Interpretationsweisen, die in der Hermeneutik zusammenkommen sollen. Das Gegenüber von Sprache bzw. Schrift und Sprecher bzw. Schreiber lässt sich, wie im Folgenden zu zeigen ist, als Organisationsprinzip der Hermeneutik Schleiermachers ausmachen.¹⁶¹ Die Hermeneutik folgt damit in ihrem Aufbau der sprachtheoretischen Differenz von Sprechen und Sprache. Die individuelle Natur der Sprache ist Darstellung einer bestimmten Modification des Anschauungsvermögens. […] Der Charakter als individuelle Natur ist ebenfalls eine bestimmte Modification des Denkvermögens.¹⁶²
Aus der kantischen Differenz von Anschauen und Denken in ihrer gleichzeitigen Bezogenheit aufeinander folgt bei Schleiermacher eine Zweiteilung der Hermeneutik.¹⁶³ Man könnte von einer Zweistämmigkeit des Verstehens sprechen. Schleiermacher arbeitete kontinuierlich an seiner Hermeneutik, eine abschließend ausgearbeitete Darstellung der Hermeneutik hat er indes nicht vorgelegt.¹⁶⁴ Die
Kurze Darstellung (1811), KGA I/6, 276; vgl. Kurze Darstellung (1830), KGA I/6, 377 [§140]. Von zwei Seiten der Interpretation als dem Organisationsprinzip der Hermeneutik Schleiermachers spricht auch Birus, Zwischen den Zeiten. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 55. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 196. Darauf hat bereits Lange, Historischer Jesus und dogmatischer Christus, 86 aufmerksam gemacht. Abgesehen von den Akademievorträgen von 1829 hat Schleiermacher bekanntlich auch nicht explizit zur Hermeneutik veröffentlicht. Vermutlich war das Kompendium von 1809/10 für eine Ver-
B Verstehen von Sprechen und Sprache
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Einteilung in zwei Interpretationsarten lässt sich dennoch durchgehend verfolgen. Er arbeitet über die verschiedenen Vorlesungen hinweg mit wechselnden Begriffen, die zunächst in den Notizen von 1805 und 1809/10 zwei Seiten der Interpretation unterscheiden und auch den Aufbau der Vorlesung gliedern: „grammatische“ und „historische Interpretation“. Diese kann er auch „objektive“ und „subjektive Interpretation“ nennen.¹⁶⁵ Gemeint ist eine Unterscheidung der Hermeneutik im Hinblick auf das Verstehen der Schrift und das Verstehen des Schriftstellers.¹⁶⁶ Statt „historischer“ oder „subjektiver Interpretation“ verwendet Schleiermacher auch den Ausdruck „technische Interpretation“.¹⁶⁷ Was ihm dabei vor Augen steht, kann er auch „umgekehrte Gramatik“ und „umgekehrte Composition“¹⁶⁸ oder auch „philologisches“ und „künstlerisches Verstehen“¹⁶⁹ bzw. ein „Verstehen zur Sprache“ und „zum Gedanken des Denkenden hin“¹⁷⁰ nennen. Ab der Vorlesung 1809/10 und in den Akademiereden von 1829 bezeichnet er die beiden Teile als „grammatische“ und „psychologische Interpretation“.¹⁷¹ In den Randbemerkungen 1828/32 findet sich die „technische Interpretation“ als ein Teil der „psychologischen“.¹⁷² Beide Interpretationen sind stets aufeinander bezogen.¹⁷³ Keine ist ohne die andere möglich und zum Verstehen gehören immer beide. So ergibt sich eine zirkuläre Verbindung: „Man muß den Menschen schon kennen um die Rede zu verstehn, und doch soll man ihn erst aus der Rede kennen lernen.“¹⁷⁴ Der erste Teil der Hermeneutik geht davon aus, dass Text oder Rede als Teil der Sprache zu verstehen sind. Jedes Verstehen ist somit zu einem Teil Sprachverstehen.¹⁷⁵ Es geht darum, alles Gesprochene und Geschriebene primär von der Sprache her unter Absehung ihres Sprechers bzw. Schriftstellers anzusehen.¹⁷⁶ Dabei ist „der Redende
öffentlichung vorgesehen, das ihm aber verlorenging und auch heute nur über die der Forschung lange unbekannte Nachschrift von Twesten erhalten ist. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 6.199 f. In den Notizen von 1805 und 1809/10 findet sich auch die Überlegung einer Dreiteilung des Vorlesungsaufbaus, der mit dem Gemeinsamen von Schriftsteller und Leser beginnt, bevor die Eigenheiten von Schriftsteller und Leser thematisiert werden. Diese Dreiteilung hat er dann nicht weiter verfolgt. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 9. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 8.38 passim. In Bezug auf das Verhältnis von grammatischer und technischer Interpretation greift Schleiermacher die Redeweise von „niederer“ und „höherer Hermeneutik“ auf. Er verwendet sie zunächst als Zitat, verwirft sie aber ab 1819 zugunsten einer engen Bezogenheit der beiden Weisen der Interpretation aufeinander, um nicht einer von beiden zu starke Priorität einzuräumen. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 38.76.121.367. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 31.39. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 75. Vgl. Kurze Darstellung (1830), KGA I/6, 379 [§148]. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 75.120 passim. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 75.121.419; Akademievorträge, KGA I/11, 612. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 169.882.890.948. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 38.75 f.101.121 f. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 25.54. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 28.54.81 f. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 16.38.54.
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II Schleiermachers allgemeine Hermeneutik
ganz als Organ der Sprache gedacht“¹⁷⁷. Das Ziel der grammatischen Interpretation ist es, „aus der Sprache und mit Hülfe der Sprache den bestimmten Sinn einer gewissen Rede zu finden“¹⁷⁸. Innerhalb der grammatischen Interpretation besteht das Verfahren aus zwei aufeinander bezogenen Schritten, indem einerseits aus dem Gebrauch die Bedeutung und andererseits aus der Bedeutung der Gebrauch bestimmt wird.¹⁷⁹ Sprache ist für Schleiermacher in gewisser Weise unabhängig vom Sprecher, der sich ihrer als Mittel bedient. Schleiermacher unterscheidet unterschiedliche Sprachen, wobei er von einer „absoluten Verschiedenheit“¹⁸⁰ unter ihnen ausgeht. Der Gedanke einer Universalsprache, wie ihn etwa Leibniz kannte, ist ihm fremd. Forschungen zu sprachvergleichender Grammatik beurteilt er skeptisch. Schleiermacher warnt davor, davon auszugehen, eine Sprache verstanden zu haben. Denn das grammatische Verstehen bleibt wie das Verstehen im Allgemeinen unabgeschlossen. Die zweite Seite der Interpretation, die nun primär den Autor unter Absehung der Sprache fokussiert, trägt bei Schleiermacher wie bereits oben bemerkt unterschiedliche Bezeichnungen. Ich verwende im Folgenden den Ausdruck „technischpsychologische Interpretation“ und greife damit die innere Differenzierung auf, die Schleiermacher in den Randbemerkungen von 1828/32 einträgt. Der Gegenstand der technisch-psychologischen Interpretation ist der Künstler unter Absehung von der Sprache.¹⁸¹ Von ihm aus wird die Sprache als „Organ des Menschen“¹⁸² betrachtet. Ziel der technisch-psychologischen Interpretation ist die Konstruktion der Einheit des Menschen¹⁸³ bzw. seines „Geistes“¹⁸⁴. Diese Einheit im Sinne einer individuellen Eigenheit des Menschen in der Form seiner Sprache nennt Schleiermacher „Stil“.¹⁸⁵ Die technisch-psychologische Interpretation lässt sich als eine Rekonstruktion der intentio auctoris verstehen. Es geht Schleiermacher dabei aber nicht um die Gemütsverfassung des Autors, sondern darum, den Sinngehalt der Rede oder Schrift, die Intention des Autors, nachzuvollziehen.¹⁸⁶
Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 50.54.75 f.368. Statt „Organ“ kann er die Sprache auch als „Medium“ bezeichnen, vgl. Akademievorträge, KGA I/11, 612. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 39. Vgl. ebd., 79. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 44.54.80. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 46. Vgl. ebd., 59. Hermeneutik und Kritik, Vgl. KGA II/4, 16.38.54.76. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 54. Vgl. ebd., 75. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 54.101. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 121. Schleiermacher veranschaulicht die Eigentümlichkeit des Geistes lebensweltlich, wenn er feststellt, „das Gespräch über das Wetter z. B. wird eine andere geistigere Wendung bekommen, wenn ein geistreicher Mensch dabei ist.“ (Hermeneutik und Kritik, KGA II/ 4, 371). Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 31.55.57.102 f.156.304– 306.426. Den Begriff „Intention“ zur Rekonstruktion der Absicht der psychologisch-technischen Interpretation übernehme ich von Wobbermin, Schleiermachers Hermeneutik, 145. Wobbermin sucht Schleiermacher gegen die Kritik der Dialektischen Theologie zu verteidigen, indem er ihr die Vernachlässigung eben jener Autorenintention bei der Schleiermacherinterpretation vorwirft.
B Verstehen von Sprechen und Sprache
divinatorisch komparativ
grammatisch
technischpsychologisch
Stil Sprache
Gedanke Geist
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Die später vorgenommene innere Differenzierung der technisch-psychologischen Interpretation trägt die Differenz von einzelnem Moment und ganzem Leben im Blick auf den Autor und den Zusammenhang der Rede bzw. des Textes in einen bestimmten Gedankengang ein: Rekapitulation des relativen Gegensazes zwischen psychologisch und technisch. Erstere mehr das Entstehen der Gedanken aus der Gesamtheit des Lebensmoments, lezteres mehr Zurükführung auf ein bestimmtes Denken oder Darstellenwollen woraus sich eine Reihe entwickelt.¹⁸⁷
Innerhalb der grammatischen Interpretation nennt Schleiermacher das divinatorische Moment „Sprachtalent“ und innerhalb der psychologisch-technischen Interpretation „Menschenkenntniß“. Beides kann nicht gelernt und durch Regeln vollzogen werden, was den Kunstcharakter des Verstehens maßgeblich bestimmt.¹⁸⁸ In der Ausdifferenzierung zwischen technischer und psychologischer Interpretation benennt Schleiermacher auch die jeweils zugrunde liegende Methodik anders. In der technischen Interpretation ist es das Wechselverhältnis von „Meditation“ und „Composition“¹⁸⁹ und in der psychologischen Interpretation die Identifikation des Hauptgedankens, des „Einfalls“, und der Nebengedanken.¹⁹⁰ Das Ergebnis der Ausdifferenzierungen lässt sich in folgender Übersicht zusammenfassen:
divinatorisch komparativ
grammatisch
technisch
psychologisch
Stil Sprachtalent Sprache
Meditation Menschenkenntniß Composition
Einfall Nebengedanken
Das Wechselverhältnis von Sprechen und Sprache lässt sich somit nicht durch eine Hermeneutik erfassen, die nur auf eine der beiden Dimensionen der Sprache abstellt. Schleiermacher entwickelt mit seinen zwei Interpretationsarten ein theoretisches Sensorium, das die Sprache für das Verstehen sowohl als Mittel der Kommunikation von denkenden Subjekten als auch als intersubjektive Kommunikationsstruktur erschließen kann.
Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 169. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 370.468 f. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 887.890.911.936.950 ff. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 910.936.
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II Schleiermachers allgemeine Hermeneutik
Schleiermachers Hermeneutik ist – mit anderen Worten – eine Umkehrung von Grammatik und Poetik. So würdigt etwa der Literaturwissenschaftler Peter Szondi die Erschließungskraft dieser Hermeneutik: In der Umkehrung wird hinter das erstarrte Regelsystem beider Disziplinen [Grammatik und Poetik] wie auch hinter ihre Hypostasierung des Gegebenen zurückgegangen und sowohl nach den Voraussetzungen und Bedingtheiten als auch nach der Interdependenz der Fakten, nach ihrer Dialektik, gefragt. Dem aber verdankt sich die Überwindung des Positivismus. Hermeneutik, so verstanden, ist ein Instrument der Kritik.¹⁹¹
C Kritik des Verstehens Schleiermacher hat seine allgemeine Hermeneutik auf das Engste mit einer Disziplin verbunden, die er Kritik nennt. Die philologische Kritik, der Schleiermacher seit 1826 einen eigenen Teil seiner Hermeneutikvorlesungen widmet, grenzt den Text bzw. die Rede als den Gegenstand der Hermeneutik ein. Dabei ist sie auf die Hermeneutik angewiesen: „Hermeneutik und Kritik nacheinander als verwandt, so nämlich daß die Ausübung einer jeden die andere voraussezt.“¹⁹² Da Hermeneutik immer geübt werden muss, die Kritik aber danach strebt, sich überflüssig zu machen, kann es Hermeneutik ohne Kritik, nicht aber Kritik ohne Hermeneutik geben.¹⁹³ Innerhalb der Kritik unterscheidet Schleiermacher wiederum zwischen höherer und niederer Kritik – analog zu den zwei Seiten der Hermeneutik.¹⁹⁴ Bildlich gesprochen kann Schleiermacher auch sagen: „Die Kritik ist mit ihren beiden Zweigen auf die beiden Seiten der Hermeneutik und die ihr correspondierenden Disciplinen gepfropft.“ ¹⁹⁵ Die zwei Seiten der Hermeneutik und der Kritik sind ihrerseits wieder von anderen Disziplinen abhängig: von der Philologie und der Kunst.¹⁹⁶ In der Akademievorlesung Über Begriff und Einteilung der philologischen Kritik (1830) lassen sich philosophische bzw. doctrinale, historische und philologische Kritik unterscheiden. ¹⁹⁷ Eine Schwierigkeit der Schleiermacherinterpretation besteht in der Unterscheidung dreier Kritikbegriffe.¹⁹⁸ Da Schleiermacher auch für die Be-
Szondi, Schleiermachers Hermeneutik heute, 130 (= Szondi, Einführung in die literarische Hermeneutik, 190 f.). Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 161. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 184; Akademievorträge, KGA I/11, 650. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 185.367.453.625 f.734.1005.1011 f.1016 f.1024; Akademievorträge, KGA I/11, 646. Schleiermacher betont die Verbindung und Zusammengehörigkeit beider Formen der Kritik. Ebd., 647 f. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 116. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 119 f. Vgl. Über Begriff und Einteilung der philologischen Kritik, 653. Vgl. Priesemuth, Kritik und Hermeneutik in der Kurzen Darstellung. Von einer „quadruplizitären Struktur“ geht dagegen Schmidt, Die Kunst der Kritik, 109 f. aus.
C Kritik des Verstehens
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ziehungen der unterschiedlichen Kritiken zueinander von Wechselverhältnissen ausgeht, verkompliziert sich die Verhältnisbestimmung der Kritik zur Hermeneutik. Neben der philologischen Kritik sind auch die philosophische und historische Kritik auf die Hermeneutik bezogen, wenn auch in einem anderen Sinne. Anders als die philologische Kritik bestimmt die historische Kritik nicht den zu verstehenden Text, sondern den geschichtlichen Kontext. Der philosophischen Kritik ist die dialektische Bestimmung der Begriffe vorbehalten. Das Verhältnis von philosophischer Kritik und Hermeneutik führt auf den Zusammenhang von Hermeneutik und Dialektik, den es im Folgenden näher zu untersuchen gilt. Aber wir müssen doch die Hermeneutik an die Philosophie anknüpfen und so ist sie denn auch immer der Logik angereiht. Als die Philosophen aber die angewandte Logik vertrieben, wurde die Hermeneutik heimathlos und ist es noch.¹⁹⁹
Ein klassisches Problem der Schleiermacherforschung ist die Verhältnisbestimmung von Hermeneutik und Dialektik. Im Folgenden möchte ich eine von Baumgartens Metaphysik geleitete Interpretation vorschlagen.²⁰⁰ Meine These ist, dass Schleiermachers technische Disziplin der Hermeneutik ihr Gegenüber im technischen Teil der Dialektik hat, deren Zweiteilung in Heuristik und Kombinatorik sich auch in der Hermeneutik wiederfindet. Schleiermacher hat bekanntlich bei Baumgartens Schüler Johann August Eberhard in Halle studiert, der Baumgartens Metaphysik seinen Vorlesungen zugrunde legte und sie für diesen Zweck auch neu herausgegeben hat. Baumgarten unterscheidet im Abschnitt über das Bezeichnungsvermögen die Charakteristik (allgemeine Zeichenlehre) in Heuristik (Lehre der Erfindung von Zeichen) und Hermeneutik (allgemeine Auslegungslehre). Innerhalb der Heuristik hat auch die Kombinatorik bei Baumgarten ihren Ort. Schleiermacher übernimmt die Termini ‚Heuristik‘ und ‚Kombinatorik‘ für die technische Seite der Dialektik, wobei er beide Verfahren in einem Wechselverhältnis nebeneinander ordnet.²⁰¹ Die Hermeneutik bestimmt er in der Ethik als technische Disziplin zwischen Natur- und Geschichtsphilosophie oder, wie er auch sagen kann,
Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 195. Der einschlägige Paragraph zum Bezeichnungsvermögen lautet: „Scientia signorum est (semiotica, semiologie philosophica, symbolice) CHARACTERISTICA (die allgemeine Zeichen-Kunst), eaque I. HEURISTICA (die erfindende) de inueniendis signis, tam PRIMITIVIS (einfache), quae non habent signa pro partibus, quam DERIVATIVIS (zusammengesetzte), quae ex signis sunt composita. Horum modus compositionis essentiae signati si sit similior, sunt ea ESSENTIALIA (wesentliche). Heuristica signorum deriuatiurum est COMBINATORIA (die verbindende). II. HERMENEUTICA (die deutende), de cognoscendis signorum signatis. Haec HERMENEUTICA UNIVERSALIS (allgemeine Auslegungs-Kunst) est.“ Baumgarten, Metaphysica, §349. Zur Rolle der Sprache in diesem Teil der Dialektik vgl. Kap. I – C 1.
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II Schleiermachers allgemeine Hermeneutik
zwischen Physik und Ethik. In der Ethik findet sich folgende Einordnung der Hermeneutik zwischen analytischer und synthetischer Methode: Von Seiten der Sprache angesehen entsteht … die technische Disciplin der Hermeneutik daraus, daß jede Rede nur als objective Darstellung gelten kann, inwieweit sie aus der Sprache genommen und aus ihr zu begreifen ist, daß sie aber auf der anderen Seite nur entstehen kann als Action eines Einzelnen, und als solche wenn sie auch ihrem Gehalte nach analytisch ist, doch von ihren minder wesentlichen Elementen aus freie Synthesis in sich trägt. Die Ausgleichung beider Momente macht das Verstehen und Auslegen zur Kunst.²⁰²
Von hier aus lässt sich das Gegenüber von Dialektik und Hermeneutik präziser fassen. Hermeneutik als technische Disziplin in der Ethik steht der technischen Seite der Dialektik gegenüber.²⁰³ Die Methodik der Hermeneutik, die Verbindung von divinatorischen und komparativen Verfahren in beiden Interpretationsrichtungen, ist als Gegenüber zur Heuristik und Kombinatorik in der Dialektik angelegt. Im Unterschied zur schulphilosophischen Tradition beschränkt Schleiermacher die Charakteristik in Dialektik und Hermeneutik auf sprachliche Zeichen. In der Ethik, in der das Symbolisieren als Oberbegriff vernünftigen Handelns im Gegenüber zum Organisieren gefasst wird, sind auch nichtsprachliche Zeichen im Blick.²⁰⁴ Das individuelle Symbolisieren wirft damit auch die Frage nach einer Hermeneutik nichtsprachlicher Zeichen auf.²⁰⁵ Schleiermachers Hermeneutikvorlesungen aber sind dem Verstehen von Rede und Text gewidmet, bei denen immer auch ein gewisser Allgemeinheitsgrad gewahrt bleiben muss, um verständlich zu sein. In den Monologen und im Blick auf das Verhältnis von Sprache und Religion haben sich von daher auch Grenzen der Sprache und ihres Verstehens ausmachen lassen. Das Bezeichnungsvermögen, das in der Schulphilosophie im Bereich der unteren Erkenntnisvermögen den oberen am nächsten steht, wird bei Schleiermacher, der mit Kant an der wechselseitigen Bedingung von Anschauung und Denken festhält, ohne dem Denken apriorischen Status zuzusprechen, als Vollzugsform des Wechselverhältnisses von Natur und Vernunft gefasst. Die oberen Erkenntnisvermögen werden in das identische Bezeichnen, das er deshalb auch Erkennen nennen kann, integriert und damit aus ihrer Unabhängigkeit von sinnlicher Anschauung gelöst. Der Gottesgedanke beispielsweise kommt so einerseits als Inbegriff des allgemeinen Symbolisierens, als Totalitätsbegriff der Idee des Wissens, und andererseits in der Religion als Totalitätsbegriff des individuellen Symbolisierens in den Blick.²⁰⁶ Den technischen Disziplinen stellt Schleiermacher in der Ethik die kritischen Disziplinen zur Seite. Die Hermeneutik als technische Disziplin hat ihr Gegenüber in
Ethik 1812/13 [Braun], 356. Darauf hat meines Erachtens zuerst Wagner, Schleiermachers Dialektik, 30, FN 15 hingewiesen. Zum Begriff des Symbolisierens vgl. Kap. I – A. Zum individuellen Symbolisieren vgl. Kap. I – C 2. Gegen eine in der theologischen Schleiermacherforschung häufige Vermischung der unterschiedlichen Funktionen des Gottesgedankens wendet sich Barth, Wissen – System – Gefühl.
C Kritik des Verstehens
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dieser Hinsicht in der kritischen Disziplin, der philologischen Kritik, der auch die Kritikvorlesungen gewidmet sind.²⁰⁷ Es ergeben sich also mit der philologischen Kritik und der technischen Seite der Dialektik zwei Disziplinen, die bei Schleiermacher der Hermeneutik auf je eigene Art gegenüber stehen. Der Vorzug der dargelegten Interpretation des Verhältnisses von Hermeneutik und Dialektik im Kontext der schulphilosophischen Terminologie liegt damit in der Präzisierung der Wechselverhältnisse der einzelnen Disziplinen.Weder ist die Hermeneutik der Dialektik oder der philologischen Kritik als Ganze entgegengesetzt, noch verhelfen interpretatorische Mischformen wie „hermeneutische Dialektik“ oder „hermeneutische Kritik“ zur Klärung. Auch Hermeneutik und Dialektik bzw. philologische Kritik in der Figur der Wechselwirkung zusammenzufassen, kann die spezifischen Differenzen der Disziplinen nicht pointieren. Der Ausgangspunkt für die Frage nach dem wissenschaftssystematischen Ort der Hermeneutik ist in der philosophischen Ethik zu suchen, „denn für das Ethische war nicht er [Schleiermacher] der Romantik, sondern die Romantik ihm verpflichtet.“²⁰⁸ Der Ertrag des vorangegangenen Kapitels lässt sich wie folgt summieren: Zunächst wurde (A) der Hermeneutik als einem Verstehen von Sprachzeichen nachgegangen. Ihre Bestimmung als Kunstlehre nimmt das Kontingenzmoment im Erschließen von Interpretationskontexten auf, die Schleiermacher auch divinatorisch nennen kann. Zugleich vollzieht sich das Verstehen immer auch durch den Vergleich innerhalb bestimmter Verstehenskontexte. Schleiermacher unterscheidet (B) im Sinne der Differenz von Sprechen und Sprache in der Hermeneutik die grammatische und psychologisch-technische Interpretation. Mit der philologischen Kritik steht (C) der Hermeneutik eine Disziplin gegenüber, auf die sie angewiesen ist, wenn sie etwas Bestimmtes zu verstehen sucht. Die Hermeneutik wird erst durch die Kritik zu einem reflektierten Verstehen, wie auch die Kritik erst durch die Hermeneutik überhaupt etwas kritisieren kann. Neben der philologischen Kritik ist auch die historische und philosophische Kritik maßgeblich am kunstgemäßen Verstehen beteiligt. So ist die Hermeneutik als technische Disziplin der Ethik immer auch auf den technischen Teil der Dialektik, Heuristik und Kombinatorik, bezogen. Die Begriffe ‚Kunst‘ und ‚Kritik‘ prägen maßgeblich Schleiermachers Hermeneutikverständnis. Auf Grundlage dieses Spannungsverhältnisses lässt sich die Bedeutung der Hermeneutik Schleiermachers auch für die gegenwärtige protestantische Schrifthermeneutik ausweisen. Dieses Anliegen wird im IV. Kapitel dieser Arbeit verfolgt. Auch im V. Kapitel wird darauf, dann allerdings unter Bezug auf das Ver-
Den in Hermeneutik und Kritik, KGA II/4 edierten Kritikvorlesungen ist bisher in der Schleiermacherforschung mit Ausnahme von Arndt, Hermeneutik und Dialektik; Ders., Hermeneutik und Kritik im Denken der Aufklärung und Schmidt, Die Konstruktion des Endlichen kaum nachgegangen worden. Eine eingehende Untersuchung des Einflusses von Friedrich Schlegels Kritikverständnis auf Schleiermacher steht noch aus. Zu Schlegels Kritikbegriff vgl. Arndt / Zovko, Einleitung, in: Dies., Friedrich Schlegel – Schriften zur kritischen Philosophie. Haym, Die Romantische Schule, 927.
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II Schleiermachers allgemeine Hermeneutik
hältnis von Religionstheorie und Hermeneutik, zurückzukommen sein. Das hier anschließende III. Kapitel geht ausgewählten Konkretionen Schleiermachers Hermeneutik nach, in denen sich die in den Hermeneutikvorlesungen theoretisch entfalteten Überlegungen praktisch umgesetzt finden.
III Hermeneutische Konkretionen Eine Theorie des Verstehens muss sich in der hermeneutischen Praxis bewähren. Anders als in der unter seinen Zeitgenossen prominenten Hermeneutik von Ernesti trennt Schleiermacher die „Darlegung des Verständnisses“²⁰⁹ des Verstandenen und die Hermeneutik voneinander. Dass Schleiermacher selbst in dreien seiner Arbeitsgebiete seine Hermeneutik explizit zur Anwendung bringt, kann hier zum Anlass genommen werden, diese in exemplarischen Fallstudien zu seiner Literaturkritik, Platonübersetzung und Bibelhermeneutik zu untersuchen. Es handelt sich um Anwendungsfälle seiner allgemeinen Hermeneutik – um Spezialhermeneutiken im Sinne konkreter Anwendungsfelder der allgemeinen Verstehenslehre.²¹⁰ Dabei soll deutlich werden, welch wichtige Bedeutung der Hermeneutik in unterschiedlichen Arbeitsgebieten Schleiermachers zukommt. In ihrer Zusammenschau zeigt sich, dass für Schleiermacher nicht eines der Anwendungsfelder für sich allein genommen in ausgezeichneter Weise die hermeneutische Praxis repräsentiert, sondern alle drei gemeinsam als Anwendungsbereiche seiner allgemeinen Hermeneutik interpretiert werden können. Es verwundert nicht, dass Schleiermachers hermeneutische Arbeiten Forschungsgegenstand nicht nur in philosophischen, sondern auch in literaturwissenschaftlichen, (alt‐)philologischen und theologischen Arbeiten geworden sind. Ich gehe auf die Forschung im jeweiligen Unterkapitel ein. Am Anfang des folgenden dritten Kapitels steht die Untersuchung (A) der Rezensionen. Danach folgen (B) die Platonstudien und (C) die neutestamentliche Exegese. Der Ertrag dieses Kapitels wird abschließend (D) in einer Verhältnisbestimmung von Theorie und Praxis der Hermeneutik Schleiermachers zusammengefasst.
Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 73.119. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 115.127.360 f. https://doi.org/10.1515/9783110684599-004
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III Hermeneutische Konkretionen
A Über Verständlichkeit und Unverständlichkeit. Schleiermachers Rezensionen In einer polemischen Schrift gegen Geheimrat Schmalz, die den Untertitel „Auch eine Recension“ trägt, schreibt Schleiermacher: Sie wissen vielleicht nicht, daß ich bisweilen Vorlesungen halte über die allgemeinen Grundsätze der Auslegungskunst. Diese Kunst aber hängt in ihrer Anwendung nun gar zu sehr von der Art ab, wie die Kunst zu reden und zu schreiben ausgeübt wird. Daher bin ich sehr darauf aus, zu zeigen, wie bei guten Schriftstelern auch das schwierige sich mit Sicherheit löset, die Fehler der schlechten aber die Auslegung erschweren, und wie man deshalb bei Zeiten darauf bedacht sein muß, Hülfsmittel und Ergänzungen von allen Seiten zusammenzusuchen. Lassen Sie sich nun gefallen zu hören, was ich in dieser Hinsicht in Ihrer Schrift gefunden habe.²¹¹
Es muss hier nicht weiter ausgeführt werden, wie sich Schleiermacher in diesem Text gegen Schmalz auslässt. Für die Frage nach den Anwendungsgebieten der Hermeneutik drängt sich stattdessen die Untersuchung der Methodologie seiner Rezensionen auf, die in diesem Zitat explizit mit der Hermeneutik in Zusammenhang gebracht werden. Dieser Zusammenhang ist dazu von besonderem Interesse, wenn man Schleiermacher im Kontext der Berliner Frühromantik zu verorten sucht. Zu Schleiermachers frühesten veröffentlichten Schriften gehören vier Rezensionen für das Athenaeum, der Zeitschrift seiner Freunde August Wilhelm und Friedrich Schlegel. Seine anderen Buchbesprechungen, die in verschiedenen Zeitschriften erschienen sind, variieren im Verhältnis zu den Athenaeum-Rezensionen stilistisch und methodisch. Schleiermacher daher auf einen bestimmten Rezensionsstil zu reduzieren greift ebenso zu kurz, wie seine Rezensionstätigkeit aus dem Kontext der jeweiligen Zeitschrift zu lösen. Wie bei Willy Michel Ästhetische Hermeneutik und frühromantische Kritik (1982) und Jure Zovko Verstehen und Nichtverstehen bei Friedrich Schlegel (1990) wurde in der Forschung oft mit einem Vergleich der Hermeneutiken Schleiermachers und Friedrich Schlegels gearbeitet, der mit der These einer Beeinflussung Schleiermachers durch Schlegel verbunden ist. In diesem Zusammenhang ist Manuel Bauer in seiner Dissertation Schlegel und Schleiermacher (2011) auch der Rezensionspraxis Schleiermachers nachgegangen. Auch Bauer nimmt einen maßgeblichen Einfluss Friedrich Schlegels auf die Hermeneutik Schleiermachers an. Diese These ist im Folgenden zu überprüfen. Ich möchte dazu die Rezensionstheorie des Athenaeums nachzeichnen und diese dann mit den Rezensionen Schleiermachers für das Athenaeum vergleichen. Besonders die programmatischen Texte Friedrich Schlegels, mit dem Schleiermacher eng befreundet war und in seiner ersten Berliner Zeit zeitweise zusammenwohnte, sind
Kleine Schriften (1796 – 1833), KGA I/14, 132 f. Zu den Umständen der Auseinandersetzung zwischen Schmalz und Schleiermacher vgl. Wolfes, Öffentlichkeit und Bürgergesellschaft, Bd. 2, 71– 97.
A Über Verständlichkeit und Unverständlichkeit. Schleiermachers Rezensionen
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hier zu berücksichtigen. Von hier aus ist auch über die Athenaeum-Rezensionen hinaus nach dem Einfluss Friedrich Schlegels auf die Hermeneutik Schleiermachers zu fragen. Anhand der Begriffe ‚Unverständlichkeit‘, ‚Besserverstehen‘ und ‚Kritik‘ möchte ich Gemeinsamkeiten und Differenzen in den Hermeneutikkonzepten beider Denker herausarbeiten, die sich gegen die falsche Alternative – Schlegel als Vordenker Schleiermachers oder Schleiermacher als alleiniger Erfinder seiner Hermeneutik – richten. Ich beginne (1.) bei Über den Stil mit einem Text, der Schleiermachers Überlegungen zur Verbesserung von Verständlichkeit festhält. Ich möchte ihm hier (5.) Schlegels prominenten Abschlussessay des Athenaeums Über die Unverständlichkeit gegenüberstellen, mit dessen Analyse zum Zweck eines Vergleichs von Schlegels und Schleiermachers Hermeneutiken das Kapitel schließt. Im Zentrum stehen (3.) die Interpretationen der Schleiermacherschen Athenaeum-Rezensionen vor dem Hintergrund (2.) des Rezensionsstils des Athenaeums und (4.) Schleiermachers Rezension der Schlegelschen Charakteristiken und Kritiken.
1 Schleiermacher als Theoretiker der Verständlichkeit. Über den Stil (1790/91) Mit dem Stilbegriff widmet sich bereits einer der frühesten Texte Schleiermachers einem zentralen Begriff seiner späteren Hermeneutik.²¹² Ich bespreche den Text hier im Zusammenhang der Rezensionen, weil er ein Verständlichkeitsideal expliziert, das einen Kontrast zur Hermeneutiktheorie des Athenaeums bildet. Insofern Schleiermacher sowohl vor als auch – wie noch zu zeigen ist – nach seiner Zusammenarbeit mit Schlegel auf dieses Ideal zurückgreift, muss dessen Einfluss auf Schleiermacher mindestens relativiert werden. Schleiermacher beginnt mit einer Definition: „Styl ist Kunst des Ausdruks unserer Vorstellungen.“²¹³ Hintergrund der Stiltheorie ist hier die Kritik an der Möglichkeit unmittelbarer Kommunikation. Nichts von dem was wir in unsrer Seele gewahr werden, es sei Gedanke, Begriff oder Empfindung läßt sich unmittelbar mittheilen, sondern zu allem haben wir Zeichen nöthig; Darstellung einer Sache durch Zeichen nennt man Ausdruk, und der gute Styl ist also die Kunst des Ausdruks unserer Vorstellungen, die Kunst unsre Vorstellungen durch Zeichen deutlich zu machen.²¹⁴
Der in der Kritischen Gesamtausgabe erstmals vollständig zugängliche Text beinhaltet einige der zentralen Elemente Schleiermachers Hermeneutik. Vgl. Jugendschriften, KGA I/I, LXI und Bauer, Schlegel und Schleiermacher. Jugendschriften, KGA I/I, 359. Zu Schleiermachers Stilbegriff vgl. Mädler, Kirche und bildende Kunst in der Moderne, 185 – 191. Jugendschriften, KGA I/I, 365.
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III Hermeneutische Konkretionen
Dass Schleiermacher hier auch sprachliche Zeichen im Blick hat, machen seine Beispiele deutlich: „Zum Styl gehört also zu finden: die rechten Zeichen für das bezeichnete, die rechten Bezeichneten für die Bezeichnung[,] Wahl der Worte, Stellung der Worte; Wahl der Säze[,] Stellung der Säze“.²¹⁵ Zwei Ziele lassen sich ausmachen, die zusammen die „Absicht des Stils“ bilden: Verständlichkeit und Interesse.²¹⁶ Schleiermacher benennt zur Erreichung dieser Ziele zwei Mittel für guten Stil: Klarheit und Angemessenheit. Klar sei ein Ausdruck, wenn über dessen Sinn kein Zweifel besteht und angemessen, wenn er keine falschen Nebenvorstellungen hervorruft.²¹⁷ In Schleiermachers Essay finden sich fünf Punkte, die den Nutzen eines guten Stils auszeichnen. Erstens die Darlegung seiner Gedanken vor sich selbst. Etwas niederzuschreiben hat eine ordnende und klärende Funktion für den Schreibenden. Das Ziel ist es den Gedanken „ein kenntliches Gewand umzuwerfen und sie in eine Ordnung zu stellen worin man sie leichter übersehn kann.“²¹⁸ Zweitens nutzt ein guter Stil auch dem Leser, der hier zwar als wohlwollend-verständnisvoll angenommen wird, doch aber durch schlechten Stil verunsichert würde. „Wer sich zu sehr auf das Gefühl einer gleichgestimten Seele verläßt, der ist niemals sicher, selbst von seinem besten Vertrauten so ganz verstanden zu werden“.²¹⁹ Drittens gilt das Gesagte nicht nur für die schriftlichen, sondern auch für alle mündlichen Äußerungen. Viertens führt eine höhere Sensibilität für den Stil auch zu einer ästhetischen Würdigung eines Textes und im Modus der ästhetischen Kritik lässt sich auch Texten schlechteren Stils etwas abgewinnen: „so gibt uns die Vergleichung deßen was wir lesen mit den Regeln der Schreibart eine Beschäftigung und ein Vergnügen, wo wir sonst weder ein noch das andre gefunden haben würden.“²²⁰ Fünftens und letztens nimmt Schleiermacher noch einmal den Gedanken des ersten Punktes auf und vertieft ihn. Unser eigenes Denken wird durch guten Stil klarer. „Wenn das Verhältniß unserer Gedanken zu ihren Zeichen in unsrer Seele nicht ganz deutlich bestimmt ist, (…) ist [es] uns am Ende eben so schwer uns selbst recht zu verstehn als unsern Sinn andern deutlich zu machen.“²²¹ Anhand dieses Stilbegriffs entfaltet Schleiermacher eine Theorie der Verständlichkeit. Er arbeitet Kriterien für guten Stil heraus, der sich dadurch auszeichnet, dass Vorstellungen durch klare Ausdrucksweisen deutlich werden. Wie sehr Schleiermacher begrifflich der Schulphilosophie der deutschen Aufklärung verhaftet ist, wird hier sichtbar. Das Idealbild ist ein Zusammenstimmen von Denken und Sprechen, das dazu verhelfen soll sich selbst und andere besser zu verstehen. Wie aber verhält sich
Jugendschriften, KGA I/I, 359. Vgl. Jugendschriften, KGA I/I, 359.369. Vgl. Jugendschriften, KGA I/I, 359.367 f. Jugendschriften, KGA I/I, 366. Jugendschriften, KGA I/I, 366. Jugendschriften, KGA I/I, 367. Jugendschriften, KGA I/I, 367.
A Über Verständlichkeit und Unverständlichkeit. Schleiermachers Rezensionen
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ein so gefasstes Besserverstehen zur Verstehenstheorie des Athenaeums und zu den Schleiermacherschen Rezensionen in dieser Zeitschrift?
2 Charakterisieren. Die Rezensionstheorie des Athenaeums Die Rezensionen des Athenaeums brachen in vielfacher Hinsicht mit der gängigen zeitgenössischen Rezensionpraxis. August Wilhelm Schlegel hatte selbst viele Jahre für die in Jena erschienene Allgemeine Literatur-Zeitung (ALZ) als Rezensent gearbeitet. Die Rezensionsprinzipien der ALZ sollen hier kurz angedeutet werden, um den spezifischen Ansatz des Athenaeums dagegen zu profilieren.²²² Die ALZ rezensiert für ein allgemeines Publikum und versteht sich als Stimme desselben.²²³ Die Besprechungen sind anonym verfasst und die zugrundeliegenden Rezensionsstile sind vielseitig. Als besonders vorbildlich gelten ein sachlicher Ton und eine Orientierung an Standards der jeweiligen Textgattung. Ein Herausgeber koordinierte die Redaktion ohne erkennbar in die inhaltliche Ausrichtung der Zeitschrift einzugreifen. Anders im Athenaeum: August Wilhelm und Friedrich Schlegel präsentieren sich nicht als Herausgeber, sondern Autoren ihrer Zeitschrift. Ihr Titel lautet entsprechend: „Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm und Friedrich Schlegel“. Den deutlichsten Bruch mit der ALZ und der bisherigen Rezensionspraxis stellt die Veröffentlichung einer Liste der Rezensionen dar, die August Wilhelm Schlegel in der ALZ veröffentlicht hat.²²⁴ Der Autor macht sich seine Arbeit zu eigen, indem er seine Anonymität aufgibt. Dies ist zugleich ein Affront gegen das Konzept der anonymen Rezension überhaupt. Wie sieht nun aber die Alternative aus? Die Rezensionen im Athenaeum sind ihrem Selbstverständnis nach ebenso künstlerisch wie die besprochenen Werke. Der Rezensent wird so zum Poeten. Die Trennlinien zwischen Philosophie und Poesie, zwischen Komposition und Kritik verschwimmen.²²⁵ Als prototypisch gilt in der For-
Vgl. die gattungsgeschichtliche Studie von Urban, Kunst der Kritik. Zur ALZ vgl. Matuschek, Organisation der Kritik. Einen Vergleich mit dem Athenaeum sucht Napierala, Archive der Kritik. Die Auflistung findet sich als Anhang zu Athenaeum 3,1 (1800). Den Plan dazu schildert August Wilhelm Schlegel Schleiermacher in einem Brief am 16.12.1799. Briefwechsel 1799 – 1800, KGA V/3, 302, Brief Nr. 754, 30 – 32. Vgl. Lyceum-Fragment Nr. 117, KFSA II, 162: „Poesie kann nur durch Poesie kritisiert werden. Ein Kunsturteil, welches nicht selbst ein Kunstwert ist, entweder im Stoff, als Darstellung des notwendigen Eindrucks in seinem Werden, oder durch eine schöne Form, und einen im Geist der alten römischen Satire liberalen Ton, hat gar kein Bürgerrecht im Reiche der Kunst.“ Etwas unklarer ist das AthenaeumFragment Nr. 403, KFSA II, 241: „Die echte Rezension sollte die Auflösung einer kritischen Gleichung, das Resultat und die Darstellung eines philologischen Experiments und einer literarischen Recherche sein.“ Zur Rezensionspraxis im Athenaeum vgl. Behler, Athenaeum. Geschichte einer Zeitschrift und die neueren Arbeiten von Urban, Kunst der Kritik und Kall, „Wir leben jetzt recht in Zeiten der Fehde“, 303 –
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III Hermeneutische Konkretionen
schung Friedrich Schlegels Rezension von Goethes Wilhelm Meister, die Schlegel selbst ironisch seinen „Übermeister“ genannt hat. Schlegels Wilhelm Meister-Rezension steht am Ende des zweiten Heftes des Athenaeums. Der Text enthält eine Rechtfertigung des eigenen Interpretationsstils, die zugleich eine Spitze gegen die gängige Rezensionspraxis ist: Denn dieses schlechthin neue und einzige Buch [Goethes Wilhelm Meister], welches man nur aus sich selbst verstehen lernen kann, nach einem aus Gewohnheit und Glauben, aus zufälligen Erfahrungen und willkürlichen Forderungen zusammengesetzten und entstandnen Gattungsbegriff beurteilen; das ist, als wenn ein Kind Mond und Gestirne mit der Hand greifen und in sein Schächtelchen packen will.²²⁶
Gegen den hier kritisierten Typus von Rezension, der vermeintlich allgemein gültige Kriterien zur Beurteilung des Werkes heranträgt, stellt Schlegel die Methode, das Buch sich selbst beurteilen zu lassen.²²⁷ Die Durchführung ist dabei konsequent von einem ironisch-überbietenden Stil gekennzeichnet. Schlegels Ausdruck für diese Form der Auseinandersetzung ist „Charakterisieren“.²²⁸ In einem Fragment notiert er: „Wer Goethes Meister gehörig charakterisierte, der hätte damit wohl eigentlich gesagt, was jetzt an der Zeit ist in der Poesie. Er dürfte sich, was poetische Kritik betrifft, immer zur Ruhe setzen.“²²⁹ Damit ist in mehrfacher Hinsicht der Bruch deutlich geworden, den das Athenaeum zur bisher üblichen Rezensionspraxis vollzieht.²³⁰ Der Rezensent tritt nicht mehr als Stimme eines allgemeinen Publikums, sondern als individueller Interpret auf, der sich in seiner Beurteilung nicht mehr an kontingenten Beurteilungsmaßstäben, sondern an den durch das rezensierte Werk selbst vorgelegten inhaltlichen wie formalen Ansprüchen orientiert. In welcher Weise folgt nun Schleiermacher diesem Konzept in seinen Athenaeum-Rezensionen und welchen Einfluss hat diese Rezensionstheorie auf seine Hermeneutik? 391. Zur Literaturkritik der Schlegelbrüder vgl. Dierkes, Literaturgeschichte als Kritik und SchenkLenzen, Das ungleiche Verhältnis von Kunst und Kritik. Zum allgemeineren Begriff der Kunstkritik vgl. Käfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 172– 174 und noch immer Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik. Schlegel, KFSA II, 133. Schlegel, KFSA II, 133 f.: „Glücklicherweise ist es eben eins von den Büchern, welche sich selbst beurteilen, und dem Kunstrichter sonach aller Mühe überheben.“ Vgl. Athenaeum-Fragment Nr. 439, KFSA II, 253: „Eine Charakteristik ist ein Kunstwerk der Kritik ein visum repertum der chemischen Philosophie. Eine Rezension ist eine angewandte und anwendende Charakteristik, mit Rücksicht auf den gegenwärtigen Zustand der Literatur und des Publikums. Übersichten, literarische Annalen sind Summen oder Reihen von Charakteristiken. Parallelen sind kritische Gruppen. Aus der Verknüpfung beider entspringt die Auswahl der Klassiker, das kritische Weltsystem für eine gegebne Sphäre der Philosophie oder Poesie.“ LyceumFragment Nr. 120, KFSA II, 162. Die Kritik der Zeitgenossen am Athenaeum und seinen Autoren ließ nicht lange auf sich warten. Vgl. Albrecht, Friedrich Nicolais Kontroverse; Härtl, „Athenaeum“-Polemiken und Wistoff, Die deutsche Romantik in der öffentlichen Literaturkritik.
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3 „Von Feinheit und Ironie“. Schleiermachers Rezensionen für das Athenaeum Mit seinen vier Rezensionen und einzelnen Beiträgen zu den Fragmenten ist Schleiermacher neben Hülsen und Novalis einer der wenigen Autoren, den die Brüder Schlegel in ihrer Zeitschrift mitarbeiten ließen. Schleiermachers Rolle als vertrauter Mitarbeiter zeigt sich unter anderem darin, dass er nach Friedrich Schlegels Umzug nach Jena mit dem Kontakt zum Verleger der Zeitschrift, Heinrich Fröhlich, beauftragt worden ist.²³¹ Hier sollen die Rezensionen hinsichtlich der Frage nach der zugrundeliegenden Hermeneutik ausgewertet werden. Dabei sind sie mit dem bereits skizzierten Rezensionsstil der Schlegels zu vergleichen. Schleiermachers vier Rezensionen sind Werken der zeitgenössischen Philosophen Kant, Garve, Engel und Fichte gewidmet. Bereits in der Form zeigt sich ein Spiel mit der Gattung. Während die Rezensionen von Kant und Garve noch im klassischen Gewande einer Besprechung auftreten, verwendet der Text über Engel eine Briefform und die Fichte-Rezension mündet in einen Dialog eines imaginierten Lesers von Fichtes Bestimmung des Menschen mit sich selbst. Auch inhaltlich schließen Schleiermachers Rezensionen für das Athenaeum an den Gestus der Zeitschrift an. Alle drei Besprechungen haben ironisch-überbietenden Charakter und wenden die in den rezensierten Texten vorgebrachten Ansprüche gegen die Texte und ihre Autoren. So heißt es über Kant, dass seine Schrift „nicht als Anthropologie, sondern als Negation aller Anthropologie, als Behauptung und Beweis zugleich, daß so etwas nach der von Kant aufgestelten Idee durch ihn und bei seiner Denkungsart gar nicht möglich ist, absichtlich hingestellt“ sei²³² und in der Sammelrezension über Garves Schriften, sie zeigten: „den Kampf eines redlichen Willens mit einem kleinen Gemüth, und eines kleinen Geistes mit großen Gegenständen, die er am liebsten zersplittern möchte, um sie nur umfassen zu können: ein Kampf der (…) bis zur wehmüthigen Theilnahme rührend ist.“²³³ Oder in der Engel-Rezension: „So viel Papier zu verschwenden, um so höchst triviale Dinge zu sagen (…): gröber und arroganter und schlechter läßt sich nichts denken“.²³⁴ Fichtes Bestimmung hält Schleiermacher für eine „Vorbereitung zu einer künftigen beßeren Popularität“ der fichteschen Philosophie.²³⁵ Die positive Resonanz, die Schleiermachers Texte bei den Schlegels erfahren haben, lässt sich erklären, wenn man die herausgestellten Ähnlichkeiten in der gemeinsamen Rezensionspraxis zu Grunde legt.²³⁶ Schleiermacher selbst schreibt, dass
Davon zeugen z. B. Briefwechsel 1799 – 1800, KGA V/3, 179 f., Brief Nr. 692 und ebd., 188 f., Brief Nr. 698. Schriften aus der Berliner Zeit (1796 – 1799), KGA I/2, 366. Schriften aus der Berliner Zeit (1800 – 1802), KGA I/3, 67. Schriften aus der Berliner Zeit (1800 – 1802), KGA I/3, 229. Schriften aus der Berliner Zeit (1800 – 1802), KGA I/3, 238. Friedrich Schlegel schrieb etwa über die Fichte-Rezension: „In der That, nie hab ich so etwas gesehn oder gehört, von philosophischer Recension nämlich.“ Briefwechsel 1800, KGA V/4, 179, Brief
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III Hermeneutische Konkretionen
er sowohl beim Verfassen als auch im Nachhinein seine Mühe mit den Rezensionen hatte,²³⁷ was einerseits auf seine mangelnde Routine als Rezensent zurückgehen kann, andererseits aber auch mit seiner Vermutung verbunden ist, dass kaum jemand abgesehen von ihm selbst diese Texte verstehen könne.
4 Stoff und Form. Schleiermachers Rezension der Schlegelschen Rezensionen Schleiermacher hat die von den Brüdern Schlegel 1801 herausgegebene Sammlung Charakteristiken und Kritiken, die auch einige ihrer im Athenaeum veröffentlichten Rezensionen enthält, für die Erlanger Literatur-Zeitung rezensiert.²³⁸ An den Beginn seines Textes stellt er eine Problematisierung der Rezension von Rezensionen. Die abgedruckten Rezensionen seien aber keinesfalls als normale Rezensionen zu verstehen, weshalb der Grundsatz, eine Rezension nicht weiter zu rezensieren, hier nicht gelten könne: man würde sehr Unrecht thun, diese Maxime [Rezensionen nicht weiter zu rezensieren] auf eine Sammlung wie diese anzuwenden, wo ganz andere Dinge als gewöhnliche Recensionen zu suchen sind, und wo dasjenige, was ursprünglich unter diesem Namen gieng, die Aehnlichkeit mit der beliebten Form größtentheils abgelegt hat, und, aus dem incognito heraustretend, sich als etwas Höheres zeigt.²³⁹
Auf die hier angedeuteten Unterschiede der Schlegelschen Rezensionspraxis zu „gewöhnlichen Recensionen“ ist bereits oben im exemplarischen Vergleich des Athenaeums mit der ALZ eingegangen worden. Interessant ist, dass sich Schleiermacher der gewöhnlichen Rezensionsform bedient, um die Texte zu rezensieren, deren unkonventionellem Stil er in seinen Arbeiten für das Athenaeum ja noch selbst gefolgt ist. Das Ergebnis seiner Auseinandersetzung ist eine differenzierende Kritik. Er bestimmt das allgemeine Ziel der vorliegenden Arbeiten wie folgt: [Es] zweckt alles darauf ab, der aufgestellten Fo[r]derung zu genügen, daß nicht etwa nur der Inhalt mitgetheilt, sondern der Werth und Charakter bestimmt werde. Hierzu gehört wesentlich, daß das Verhältniß des Stoffs zur Form klar vor Augen gelegt. Und ausgemittelt werde, ob diese Vereinigung, welche die eigentliche Empfängniß eines Kunstwerkes ist, zur guten Stunde und der
Nr. 922, 4 f. und A. W. Schlegel, Briefwechsel 1800, KGA V/4, 207, Brief Nr. 933, 12 f.: „Das über die Bestimmung ist dagegen ein Meisterstück von Feinheit und Ironie, Parodie und schonender, respectueuser Architeufeley.“ Vgl. Briefwechsel 1799 – 1800, KGA V/3, 118 f., Brief 901 und Briefwechsel 1801– 1802, KGA V/5, 138 f., Brief Nr. 1069, 33 – 36: „Ich erinnere mich noch mit Schmerzen, daß ich vier Wochen um und um zugebracht hatte, ehe ich mir die Bestimmung des Menschen so zu eigen gemacht hatte, daß ich den wunderlichen Senf darüber schreiben konnte, der im Athenäum steht.“ Einen Überblick über diese Sammlung gibt Endres, Charakteristiken und Kritiken. Schriften aus der Berliner Zeit (1800 – 1802), KGA I/3, 401.
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Natur gemäß geschehen sei, und ob sich an diesem ursprünglichen Punkt alles organisch angebildet habe.²⁴⁰
Schleiermacher beurteilt die in der Sammlung enthaltenen Rezensionen ausgehend vom Prinzip des Zusammenstimmens von Form und Inhalt.²⁴¹ In Friedrich Schlegels Rezension des Wilhelm Meister etwa findet er dieses hermeneutische Prinzip kaum berücksichtigt, wenn er den Text auch in anderer Hinsicht, nämlich als Vorarbeit zu einer noch ausstehenden „Theorie des Romans“, zu würdigen weiß.²⁴² Als problematisch kennzeichnet Schleiermacher die Ausgriffe der Kunstkritik in andere Felder der Kritik.²⁴³ Darunter fällt das „Zurückgehen auf den Schriftsteller selbst, der Schluß auf seinen philosophischen Charakter aus den seinen Werken zu Grunde liegenden Maximen, und die Winke, daß vieles Dargestellte aus ihm, dem Darstellenden selbst, hergenommen sey.“²⁴⁴ Daraus folgen für Schleiermacher: „[d]er ganz polemische Ton, den das als kritisch angekündigte Verfahren sehr bald annimmt, der Schein von Animosität, der von da an durch das Ganze hindurchgeht, und eine gewisse Einseitigkeit der Ansicht“.²⁴⁵ Auch der Fragmentstil der Autoren wird als kaum verständlich problematisiert. Besonders kritisch ist auch Schleiermachers Urteil über die Fortsetzung des Lessing-Aufsatzes von Friedrich Schlegel, der dem am Beginn aufgestellten Ideal des Zusammenstimmens von Form und Inhalt nicht entspreche.²⁴⁶ Schleiermacher folgt in dieser Rezension nicht der im Athenaeum intendierten unendlichen Fortschreibung des Kunstwerks durch dessen Kritik. Seine Rezension der Schlegelschen Rezensionen stellt deren besonderes Profil gegenüber der gängigen Rezensionspraxis heraus und benennt mit dem Form-Inhalt-Schema ein Kriterium, das seine Kritik an den Texten allgemein nachvollziehbar macht. Seine Würdigung des Rezensionsstils der Brüder Schlegel ist damit als grundsätzlich wohlwollend, aber nicht unkritisch zu charakterisieren.²⁴⁷ In dieser Rezension schwingt auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Rezensionspraxis für das Athenaeum und der darin impliziten Hermeneutik mit.²⁴⁸
Schriften aus der Berliner Zeit (1800 – 1802), KGA I/3, 401. Selbiges Kriterium findet sich auch in Schleiermachers Rezension von Friedrich Schlegels Lucinde, vgl. Schriften aus der Berliner Zeit (1800 – 1802), KGA I/3, 220. Schriften aus der Berliner Zeit (1800 – 1802), KGA I/3, 402 f. Zum Kritikbegriff bei Schlegel und Schleiermacher vgl. unten Kap. III A – 5.) Hermeneutik bei Schlegel und Schleiermacher. Schriften aus der Berliner Zeit (1800 – 1802), KGA I/3, 403. Schriften aus der Berliner Zeit (1800 – 1802), KGA I/3, 404. Schriften aus der Berliner Zeit (1800 – 1802), KGA I/3, 410 f. Zusammen mit der Anzeige schreibt Schleiermacher dem Herausgeber Mehmel: „Aus der Anzeige der Charakteristiken werden Sie wenigstens sehen daß ich auch bei den Arbeiten meiner Freunde den Tadel der mir gegründet scheint nicht verschweige.“ Briefwechsel 1801– 1802, KGA V/5, 209, Brief Nr. 1098, 3 – 6. Pointiert fasst Meckenstock, Einleitung des Herausgebers, Schriften aus der Berliner Zeit (1800 – 1802), KGA I/3, CXII zusammen: „Schleiermacher wollte mit seiner Rezension zum einen die im
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Die späteren Rezensionen Schleiermachers folgen methodisch dem herkömmlichen Stil, zunächst ein inhaltliches oder formales Ideal aufzustellen, an dem das zu besprechende Werk dann gemessen wird.²⁴⁹ So fragt die Zöllner-Rezension nach der notwendigen Reform der preußischen Pädagogik und die Jenisch-Rezension nach der gegenwärtigen Religionsphilosophie.²⁵⁰ In den Besprechungen von Spalding und Sack vergleicht Schleiermacher diese Bücher mit den seinerzeit gängigen Erwartungen an diejenige Gattung, die diese Texte vorgeben zu sein: eine Biographie und eine Predigt.²⁵¹ Alle genannten Rezensionstexte Schleiermachers sind anonym veröffentlicht worden. Eine Ausnahme ist die Jenisch-Rezension, die mit einer Begründung der Aufgabe der Anonymität des Rezensenten einsetzt. Schleiermacher macht hier deutlich, dass er in der zu besprechenden Schrift mehrfach direkt kritisiert wird und er daher auch als Rezensent nicht in wünschenswerter Neutralität urteilen kann. Wie weit liegt eine solche Überlegung von dem Rezensionskonzept des Athenaeums entfernt! Die unterschiedlichen Stile innerhalb der Schleiermacherschen Rezensionspraxis, die wesentlich auf die Rezensionsstile der jeweiligen Zeitschriften zurückgehen, lassen sich m. E. nicht auf eine einheitliche Hermeneutik durchsichtig machen. Wenn im Folgenden der in der Forschung vielbesprochenen Frage nach dem Einfluss der Schlegelschen Hermeneutik auf Schleiermacher nachgegangen wird, will ich besonders auf die Differenzen ihrer Hermeneutikkonzeptionen eingehen, denen in der Forschung bisher verhältnismäßig wenig Beachtung geschenkt wurde.
5 Hermeneutik bei Friedrich Schlegel und Schleiermacher Dass Schleiermacher sich in seinen Rezensionen für das Athenaeum von dem Rezensionsstil der Zeitschrift leiten lassen hat, lässt weiter nach dem Einfluss Fried-
Frühromantikerkreis verbreitete gegenseitige publizistische Unterstützung leisten und zum andern die eigene literaturästhetische Stellung präzisieren, indem er die Schlegelschen kritischen Studien nicht als normale Rezensionen, sondern als Artikulation des romantischen Literaturkonzepts würdigte und an diesem Anspruch maß.“ Eine Ausnahme bildet die Rezension von Fichtes Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters, die ganz im Stile seiner ersten Fichte-Rezension geschrieben ist und so auch hätte im Athenaeum stehen können. Vgl. Schriften aus der Hallenser Zeit (1804– 1807), KGA I/5, 121– 152. Vgl. Schriften aus der Hallenser Zeit (1804– 1807), KGA I/5, 1– 25.103 – 117. Zu Spaldings Lebensbeschreibung lautet der erste Satz: „Den gewöhnlichen Leser einer Biographie läßt hier Vieles vermissen.“ Schriften aus der Hallenser Zeit (1804– 1807), KGA I/5, 29. Zur Schrift „Ein Wort der Ermutigung (…)“ von Sack schreibt Schleiermacher: „Der Vf. [Sack] erklärt sich selbst dahin, diese Schrift solle ein Ersatz dafür seyn, daß ihm seine Gesundheit unter diesen Umständen nicht erlaubt habe die Kanzel zu betreten. Daher weiß auch Rec. [Schleiermacher] das Ganze nicht besser zu beschreiben, als wenn er es mit der Form und Art einer Predigt vergleicht“. Schriften aus der Hallenser Zeit (1804– 1807), KGA I/5, 245.
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rich Schlegels auf die Schleiermachersche Hermeneutik insgesamt fragen.²⁵² Anhand dreier zentraler Begriffe möchte ich das Verhältnis von Schlegel und Schleiermacher im Folgenden untersuchen: Unverständlichkeit, Besserverstehen, Kritik. Es lassen sich für alle drei Begriffe und den damit verbundenen hermeneutischen Überlegungen bei beiden Autoren Parallelen finden, die sich bei genauerer Betrachtung aber als Differenzen erweisen. Insofern eignen sie sich als Vergleichspunkte.
5.1 Unverständlichkeit Friedrich Schlegels Essay Über Unverständlichkeit beschließt das Zeitschriftenprojekt der Brüder Schlegel. Der Text ist die Wiederaufnahme eines bereits begonnenen Aufsatzes, den Schlegel für diesen Zweck als passend befindet und umarbeitet. Er liest sich als ein Reflex auf die Resonanz, die die Zeitschrift erfahren hat, und als Rechtfertigungsversuch, der in einen Vorwurf gekleidet wird. Der Vorwurf lautet: „Unverstand der Verständigen“²⁵³ und die Rechtfertigung: „ich wollte zeigen, daß man die reinste und gediegenste Unverständlichkeit gerade aus der Wissenschaft und der Kunst erhält, die ganz eigentlich aufs Verständigen und Verständlichmachen ausgehn, aus der Philosophie und Philologie“.²⁵⁴ Nach einer Besprechung einzelner Beiträge der Zeitschrift, die auf besonderes Unverständnis gestoßen sind, räumt Schlegel dem Unverständlichkeitsvorwurf ein gewisses Recht ein: Ich habe es schon indirekt eingestehen müssen, daß das ATHENAEUM unverständlich sei, und weil es mitten im Feuer der Ironie geschehen ist, darf ich es schwerlich zurücknehmen, denn sonst müßte ich ja diese selbst verletzen.²⁵⁵
Die Begründung der Unverständlichkeit durch prinzipielle Ironie ist eine Provokation für ein Verständlichkeitsideal, wie es Schleiermacher einige Jahre früher in Über den Stil entwickelt hatte. Nimmt Schleiermacher in seiner Hermeneutik den Schlegelschen Begriff ‚Unverständlichkeit‘ auf? Die prominenteste Formulierung Schleiermachers zum Stichwort ‚Unverständlichkeit‘ steht wie bereits zitiert am Beginn seines Manuskripts zur Hermeneutikvorlesung 1809/10: „Die Hermeneutik beruht auf dem Factum des Nichtverstehns der Rede.“²⁵⁶ Dabei geht es Schleiermacher wie auch Schlegel um eine Kritik bisheriger hermeneutischer Praxis. Schleiermachers Gegenbild in der Hermeneutikvorlesung ist eine Stellenhermeneutik, die nicht das Verstehen als Ganzes, sondern nur an einzelnen Stellen zum Problem macht. Das Ideal einer unverständlichen Darstellungs Zu Schlegels Hermeneutik vgl. Bolz, Der Geist und die Buchstaben. Schlegel, Über die Unverständlichkeit, KFSA II, 363. Schlegel, Über die Unverständlichkeit, KFSA II, 364. Eine Interpretation von Schlegels Rede vom Nichtverstehen, die nicht auf den ironischen Kontext Bezug nimmt, findet sich bei Bolz, Der Geist und die Buchstaben, 96 f. Schlegel, Über die Unverständlichkeit, KFSA II, 370. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 73.
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form findet sich ebenso wenig wie ironischer Stil oder Reflexionen zum Thema Ironie. Der bewusst unverständliche Stil des Athenaeums bleibt für Schleiermacher hinsichtlich seiner weiteren Rezensionen ohne nachweislichen Einfluss. Auch in Bezug auf den Begriff der Unverständlichkeit in Schleiermachers Hermeneutik lassen sich allenfalls Parallelen hinsichtlich der Konfrontation mit der überkommenen Hermeneutik ausmachen. Unverständlichkeit ist für Schleiermacher ein methodischer Ausgangspunkt seiner Hermeneutik, für Schlegel dagegen notwendige Darstellungsform seiner ironisch-überbietenden Kritik.
5.2 Besserverstehen Ein zweites Theorem wird im Zusammenhang des Verhältnisses der Hermeneutik von Schlegel und Schleiermacher gern herangezogen: das Besserverstehen. Ich kann hier für das Schlegelsche Verständnis des Besserverstehens auf die Ausführungen zum Stil der Rezensionen des Athenaeums und insbesondere auf seine Wilhelm Meister-Rezension zurückverweisen.²⁵⁷ Schleiermacher übernimmt den Begriff aus der Hermeneutik der Aufklärung. Beide Konzepte teilen das Ideal der Nachkonstruktion, wobei das produktive Element des Schlegelschen Besserverstehens – das Fortbilden des Kunstwerkes durch sein Verstehen – bei Schleiermacher zurücktritt. Wenn Schleiermacher von Verstehen als Kunst spricht, steht ihm ein regelgeleitetes Verfahren vor Augen, nicht aber eine über eine Rekonstruktion hinausgehende künstlerische Produktivität. Wenn auch beide Autoren über das Besserverstehen als Ziel ihrer Hermeneutiken sprechen, ist dieses im Detail anders gefasst. Schleiermacher versteht besser, indem er möglichst vollständig rekonstruiert, Schlegel, indem er das Kunstwerk zu einer unendlichen Weiterentwicklung öffnet.
5.3 Kritik Zuletzt wende ich mich dem Kritikbegriff zu. Bei Friedrich Schlegel steigt ‚Kritik‘ zu einem Zentralbegriff seiner Philosophie auf.²⁵⁸ Eine vergleichbare Bedeutung hat der Kritikbegriff bei Schleiermacher nicht. Einschlägig sind vor allem seine Vorlesungen zur philologischen Kritik und der Akademievortrag zu Begriff und Einteilung der philologischen Kritik. Schleiermacher differenziert gegenüber Schlegel unterschiedliche Arten von Kritik mit jeweils bestimmten Funktionen. Es lassen sich drei ineinander verschränkte Typen ausmachen: die philosophische, historische und philologische
Bolz, Der Geist und die Buchstaben, 107 interpretiert Friedrich Schlegel: „Das Besserverstehen bezieht sich auf die Realität des Diskurses in seiner Buchstäblichkeit und die paradoxale Mitteilung des Darstellungslosen, nicht auf die Intentionen des Autors“. Zu Schlegels Kritikbegriff vgl. Arndt/Zovko, Einleitung; Bolz, Der Geist und die Buchstaben, 109 f.; Dierkes, Literaturgeschichte als Kritik, 88 – 145; Reents, Art. Kritik und Röttgers, Kritik und Praxis, 115 – 138. Einschlägig ist v. a. Schlegels dritter Aufsatz zu Lessings Vom Wesen der Kritik.
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Kritik.²⁵⁹ Die Hermeneutik ist als Gegenüber der philologischen Kritik angelegt, mit der sie auch in den Vorlesungen zusammensteht. In der Rezension der Charakteristiken und Kritiken hatte Schleiermacher den Brüdern Schlegel eine mangelnde Differenzierung zwischen unterschiedlichen Arten der Kritik vorgeworfen. Für Friedrich Schlegel ist jede philologische Kritik auch philosophisch und jede philosophische Kritik philologisch. Wie auch für Schleiermacher ist die Kritik immer mit der Hermeneutik verbunden. In der Bestimmung des Verhältnisses von Kritik und Hermeneutik, hinsichtlich des Stellenwertes der Kritik für ihre Philosophie sowie in der Praxis der Kritik zeigen sich dann aber die Unterschiede der beiden Kritiker. Zusammenfassend lassen sich im Vergleich der hermeneutischen Konzepte von Friedrich Schlegel und Schleiermacher Gemeinsamkeiten in den verwendeten Begrifflichkeiten ausmachen, die genauer betrachtet jedoch zur Explikation unterschiedlicher Verstehenstheorien dienen. Schleiermachers „literarische Ehe“ mit Friedrich Schlegel hatte ihre literarischen Auswirkungen unter anderem in der gemeinsamen Arbeit im Athenaeum, ist aber in ihrer Bedeutung für Schleiermachers Hermeneutik von geringerer Relevanz als bestimmte Stichwortverknüpfungen vermuten lassen.
6 Schleiermacher als Literaturkritiker Etwa die Hälfte der veröffentlichten Rezensionen Schleiermachers erschien im Athenaeum, der Zeitschrift der Brüder Schlegel. Der hier programmatisch vorgetragene hermeneutische Neuansatz in der Rezensionspraxis findet sich auch in Schleiermachers Arbeiten für die Zeitschrift durchgeführt. Der naheliegenden Frage nach einem Einfluss von Friedrich Schlegel auf Schleiermachers Hermeneutik wurde durch einen Vergleich exemplarischer Theoreme nachgegangen. Es zeigen sich eine Reihe gemeinsamer Begriffe, die jedoch in den Theoriemodellen unterschiedlich zum Tragen kommen. Die These einer Vorwegnahme der Schleiermacherschen Hermeneutik durch Friedrich Schlegel lässt sich von daher auch in ihrer schwächeren Variante, der Annahme einer maßgeblichen Initiation der hermeneutischen Überlegungen Schleiermachers durch Schlegel, nicht halten. Dazu müssten sowohl die spezifischen Unterschiede ihrer beiden Hermeneutiken als auch die Uneinheitlichkeiten innerhalb der Schleiermacherschen Rezensionspraxis ausgeblendet werden.
Zu dieser Typisierung der Schleiermacherschen Kritikbegriffe vgl. Priesemuth, Kritik und Hermeneutik in der Kurzen Darstellung.
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B Systematische Philosophie. Schleiermachers Platonstudien Schleiermacher eröffnet den ersten Band seiner Platonübersetzung mit dem Satz: „Die Grundsäze, nach denen diese Uebersezung gearbeitet ist, wird Jeder leicht erkennen“.²⁶⁰ Eben diese Grundsätze will ich im Folgenden anhand seiner Einleitung zur Platonübersetzung rekonstruieren, die Schleiermacher den einzelnen Einleitungen in die Dialoge vorangestellt hat. Ich lese diesen Text als Reflexion der in seiner Übersetzung angewandten Hermeneutik. Schleiermachers Platondeutung wird in ihrem Einfluss auf Schleiermachers Denken in der Forschung unterschiedlich gewichtet. Während etwa Hans-Georg Gadamer in seinem Aufsatz Schleiermacher als Platoniker (1969) eine Reihe von Bezügen aufzeigt, schätzt Andreas Arndt Schleiermacher und Platon (1998/2013) die Wirkung Platons auf Schleiermacher geringer ein. Für den Vergleich mit anderen Platoninterpretationen sei hier auf die Arbeiten von Thomas Alexander Szlezák Friedrich Schleiermacher und das Platonbild des 19. und 20. Jahrhunderts (2004), Schleiermachers ‚Einleitung‘ zur Platonübersetzung von 1804 (1997), Theo Kobusch Die Dialogische Philosophie Platons (1997), Jan Rohls „Der Winckelmann der griechischen Philosophie“ (2000), Christoph Asmuth Interpretation – Transformation (2006) und Theo Hermans Schleiermacher and Plato (2015) hingewiesen. Der letztgenannte Text findet sich in dem Aufsatzband Friedrich Schleiermacher and the Question of Translation (2015), in dem Larisa Cercel und Adriana Serban Schleiermachers Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersetzens mit den gegenwärtigen Übersetzungswissenschaften ins Gespräch gebracht haben. Für die hier zugrundeliegende Frage nach dem Verhältnis von Hermeneutik und Platonübersetzung kann in dem Band auf den Aufsatz von Christian Berner Das Übersetzen verstehen (2015) und auf die Studien von Wolfgang Virmond Der fiktive Autor (1984), Lutz Käppel Schleiermachers Hermeneutik zwischen zeitgenössischer Philologie und „Phaidros“-Lektüre (2006) und Gunter Scholtz Platonforschung und hermeneutische Reflexion bei Schleiermacher (2012) hingewiesen werden. Hier soll zunächst (1.) der methodische Ausgangspunkt von Schleiermachers Platon-Übersetzungsprojekt anhand der Kritik der bisherigen Übersetzungen untersucht werden. Sodann ist (2.) kurz auf Schleiermachers Lehrer und späteren Kollegen Friedrich August Wolf und seine altphilologische Methodik einzugehen, der hier als maßgeblicher Impulsgeber Schleiermachers gewürdigt wird. Dann gilt es (3.) Schleiermachers Chronologie und die zugrundeliegende thematische Ordnung der platonischen Dialoge zu skizzieren. Einige Parallelen im methodischen Zugriff lassen sich auch (4.) in Schleiermachers Philosophiegeschichtsvorlesungen erkennen. Abschließend will ich (5.) nach Schleiermachers Auslegung Platons sowie der Rezeption Platons in Schleiermachers eigener Philosophie fragen. Dabei lassen sich wesentliche
Platons Werke, KGA IV/3, 7.
B Systematische Philosophie. Schleiermachers Platonstudien
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Elemente des von ihm rekonstruierten philosophischen Systems Platons in Schleiermachers eigenem Systementwurf ausmachen.
1 Ausgang vom Nichtverstehen. Zur Kritik bisheriger Übersetzungen Bereits der Plan einer Neuübersetzung von Platons Gesamtwerk gemeinsam mit Friedrich Schlegel ist mit hermeneutischen Überlegungen verbunden.²⁶¹ Den Stand der Platonforschung schildert Schleiermacher als ein falsches oder gar nicht vorhandenes Verstehen des Philosophen: Denn in vielfacher Hinsicht hat wohl unter allen, die es von jeher gegeben, kein Philosoph ein solches Recht gehabt jene nur zu allgemeine Klage anzustimmen über das falsch oder gar nicht verstanden werden, als eben der unsrige. (…) So daß jene Zufriedenheit etwas unreif zu sein scheint, welche behauptet, wir könnten den Platon schon jetzt besser verstehen, als er sich selbst verstanden habe.²⁶²
Ein wirkliches Besserverstehen könne in Bezug auf Platon noch nicht behauptet werden. Nicht- oder Falschverstehen des Autors sei der überwiegende Stand der Forschung. Damit ist auch gesagt, dass eine methodisch kontrollierte Platoninterpretation, die den Ansprüchen von Schleiermachers Hermeneutik genügt, noch nicht vorliegt. Das Ziel des Übersetzers ist es, dem Leser die seiner Meinung nach bisher vernachlässigte technisch-psychologische Interpretation mithilfe seiner Einleitungen zu erschließen.²⁶³ Im Blick auf die Leser der Übersetzungen heißt es: Von der Philosophie des Platon selbst soll aber absichtlich, wäre es auch noch so leicht mit wenigem abgethan, hier vorläufig nichts gesagt werden, indem der ganze Endzwekk dieser neuen Darlegung seiner Werke dahin geht, durch die unmittelbare genaue Kenntniß derselben allein jedem eine eigene, sei es nun ganz neue oder wenigstens vollständigere, Ansicht von des Mannes Geist und Lehre möglich zu machen.²⁶⁴
Es ist die „Ansicht von des Mannes Geist und Lehre“, die vor Unverständnis bewahrt werden soll. Schleiermacher benennt zwei wesentliche unter seinen Zeitgenossen
Die Anregung zum Übersetzungsprojekt ging nach Briefwechsel 1799 – 1800, KGA V/3, 101, Brief Nr. 640, 9 – 11 von Schlegel aus. Zu Schlegels Plänen zur Arbeitsteilung zwischen einer von ihm verfassten Einleitung und einer von Schleiermacher am Schluss der Übersetzungen stehenden Charakteristik Platons vgl. Briefwechsel 1799 – 1800, KGA V/3, 412, Brief Nr. 808, 25 – 33. Dieser Plan wird dann später von Schlegel zu Gunsten einer vorgezogenen Begründung der Anordnung geändert. Vgl. Briefwechsel 1800, KGA V/4, 188, Brief Nr. 928, 37– 43. Im Juni 1803 zieht sich Schlegel dann aus dem Übersetzungsprojekt zurück. Vgl. Briefwechsel 1802– 1803, KGA V/6, 362, Brief Nr. 1490. Nachdem der Verleger Frommann das Projekt aufgab, übernahm Schleiermachers Freund Georg Reimer die verlegerische Betreuung. Vgl. Briefwechsel 1802– 1803, KGA V/6, 392– 394, Brief Nr. 1503. Platons Werke, KGA IV/3, 19. Schleiermacher hatte hier vor allem die Studie von Tiedemann, Dialogorum platonis vor Augen. Platons Werke, KGA IV/3, 18 f.
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gängige Missverständnisse. Ein gängiges Vorurteil der zeitgenössischen Platonforschung, das auch in den Einleitungen zu den einzelnen Dialogen immer wieder begegnet, sei die These, dass Platon in seiner Argumentation, seinen Themen und Begriffen schwanke. Dies weist Schleiermacher aufs Schärfste zurück: Ein solches Urteil nun ist nichts anderes, als ein verkleidetes Geständniß des gänzlichen Nichtverstehens der platonischen Werke, und zwar vorzüglich um ihrer Form willen, wobei nur der Grund des Gefühles verkannt, und anstatt ihn in dem Beurteilenden zu suchen, in das Beurtheilte gesezt wird.²⁶⁵
Sein Gegenargument greift eine Form-Inhalt-Unterscheidung auf und lässt sich auf den oben bereits erhobenen Vorwurf einer bisher vernachlässigten technisch-psychologischen Interpretation beziehen. Ein einheitliches Bild des zu Beurteilenden – in diesem Fall Platons – ergebe sich erst, wenn man das Beurteilte, die einzelnen Dialoge, über die Form hinaus auf einen gemeinsamen Inhalt hin befragt. Ein zweites gängiges Missverständnis sei es, die eigentliche Philosophie Platons wäre nicht in seinen Schriften erhalten oder diesen zu entnehmen.²⁶⁶ Dagegen hält Schleiermacher die Rezeption Platons insbesondere durch Aristoteles, in der keine anderen als die in den überlieferten Schriften behandelten Themen zu erkennen sind.
2 Friedrich August Wolf. Das Vorbild der Kritik Es ist deutlich geworden, dass es methodische Überlegungen sind, die Schleiermacher und Schlegel zu ihrem Übersetzungsprojekt motivierten. Als Vorbild galten ihnen dabei mit großer Wahrscheinlichkeit die Homerstudien Friedrich August Wolfs.²⁶⁷ In seiner Vorlesung über die Encyclopädie der Alterthumswissenschaft hat Wolf je ein eigenes Kapitel zum Begriff der Hermeneutik und der Kritik entfaltet, in dem er – anders als Schleiermacher – auch die einschlägige zeitgenössische Literatur vorstellt
Platons Werke, KGA IV/3, 22. Dieser auch im 20. Jahrhundert wieder aufgekommenen Forschungsmeinung galt Schleiermacher als größter Gegner. Vgl. Steiner, Zur Kontroverse um Schleiermachers Platon und Szlezák, Friedrich Schleiermacher und das Platonbild des 19. und 20. Jahrhunderts. Wolf, Prolegomena zu Homer. Schleiermachers hermeneutische Einsicht in Bezug auf Platon wie Kobusch, Die Dialogische Philosophie Platons als einen Impuls Friedrich Schlegels zu interpretieren, greift meines Erachtens nicht weit genug. Zu Wolfs Hermeneutik vgl. Patsch, Friedrich August Wolf und Friedrich Ast: Die Hermeneutik als Appendix zur Philologie, 77– 88. Patsch, ebd., 87 f. urteilt über Wolfs Verhältnis zu Schleiermacher: „Nicht als ‚Vorläufer‘ Schleiermachers (Wach) ist Wolf von historischem Interesse, sondern als der letzte bedeutende Vertreter einer Auslegungskunst, für die Verstehen und Auslegung – Fleiß vorausgesetzt – kein wirkliches Problem darstellen, weil Hamonie herrscht zwischen Autor, Werk und Interpreten, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Buchstabe und Geist.“
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und kommentiert.²⁶⁸ Angewandt finden sich diese allgemeineren Überlegungen in seinen Studien zu den Homer-Überlieferungen, die er einer gründlichen philologischen Kritik unterzogen hat. Ganz ähnlich zu Schleiermachers zwei Maximen der Hermeneutik will auch Wolf seine Arbeit als eine strengere von einer laxeren Methode unterschieden wissen. Dabei stellt er zunächst Kriterien auf, anhand derer er die authentischen Überlieferungen sondiert und interpretiert. Auch die Annahme einer Grundidee, aus der sich das weitere Werk entwickelt, findet sich sowohl bei Wolf als auch bei Schleiermacher. Wolf sieht diesen Ausgangspunkt in dem poetischen Werk Homers darin, dass „schon der erste Verfasser der Dichtung den Faden des epischen Grundgedankens bis zu einem gewissen Grade ausgesponnen hat.“²⁶⁹ Die Prolegomena geben so über die hermeneutischen Kriterien und damit über die methodische Kontrolle seines philologischen Verfahrens Auskunft. Schleiermacher verfährt ganz ähnlich mit Platon.²⁷⁰ Auch er sondiert eine Grundidee, um einen Kanon von authentischen Texten zu identifizieren. Das auch Schleiermacher prägende Selbstbild einer dabei zugrundeliegenden vollständigen Rekonstruktion der Enstehungsbedingungen des Textes ist bereits in der Analyse seiner allgemeinen Hermeneutik nachgezeichnet worden.
3 Vom Ganzen her. Die Hermeneutik der Platonübersetzung Schleiermacher geht von einem echten und zugleich für die Platoninterpretation wichtigsten Kern von Texten aus, den er durch die aristotelische Rezeption gesichert sieht.²⁷¹ Diese Texte gelte es im Zusammenhang darzustellen und alle weiteren auf Authentizität zu prüfen. Er verwendet dazu ein dreiteiliges Verfahren:
Vgl. Wolf, Vorlesung über die Encyclopädie der Alterthumswissenschaft, 271 ff. Friedrich Wolf, Prolegomena zu Homer, 146. Wie Lutz Käppel gezeigt hat, lässt sich auch Schleiermachers Herakleitos als eine Konkretion seiner Hermeneutik lesen. Auch hier beginnt Schleiermacher damit „ein Verfahren zu entwerfen, Regeln auszumitteln und sich zu entschließen, wo man zunächst festen Fuß fassen soll“. Herakleitos, KGA I/6, 107. Für die Heraklitstudie stützt sich Schleiermacher v. a. auf die Überlieferungen bei Platon und Aristoteles. Diese bilden „die einzige sichere Grundlage, worauf eine Darstellung Herakleitischer Lehre beruhen kann, und das richtige Verfahren scheint zu sein, daß man, lediglich von diesen ausgehend, die übrigen Bruchstükke (…) in dem Maaß für ächt anerkenne und benuze, als sie mit jenen zusammenhangen oder wenigstens übereinstimmen“. Herakleitos, KGA I/6, 110 f. Das sind im Einzelnen: Phaidros, Protagoras, Parmenides, Theaitetos, Sophist, Politikos, Phaidon, Philebios, Staat, Timaios und Kritias.Vgl. Platons Werke, KGA IV/3, 45. Zum Aufbau der Einleitung vgl. Notiz Nr. 31, Schriften aus der Berliner Zeit (1800 – 1802), KGA I/3, 354. Einen Vergleich Schleiermachers mit der zeitgenössischen Platonforschung von Tiedemann und Tennemann sowie eine kritische Würdigung bietet Szlezák, Schleiermachers ‚Einleitung‘ zur Platonübersetzung von 1804.
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Dreierlei aber ist es, was hierbei vornehmlich in Betrachtung kommt: die Eigentümlichkeit der Sprache, ein gewisses gemeinschaftliches Gebiet des Inhalts, und die besondere Gestalt, in welche Platon ihn auszubilden pflegt.²⁷²
Mit der Terminologie der Hermeneutikvorlesungen sind es die grammatische, technische und psychologische Interpretation, die hier zur Anwendung kommen. Da diese Verfahren bereits eingehend erörtert wurden, fokussiere ich mich jetzt auf ihren Ertrag in Bezug auf die Platonüberlieferung. Schleiermachers Ergebnis ist eine werkgenetische Interpretationshypothese, die von drei Perioden ausgeht.²⁷³ Zunächst wird der Endpunkt der Entwicklung in denjenigen als sicher authentisch geltenden Schriften ausgemacht, die „eine objektive wissenschaftliche Darstellung enthalten“.²⁷⁴ Diesen Texten attestiert er „inneren Charakter der höchsten Reife und des ernsten Alters“.²⁷⁵ Den interpretatorischen Schlüssel findet Schleiermacher in den gemeinsamen Themen mit allen früheren Dialogen. Es sind allesamt Untersuchungen „über das Wesen der Erkenntnis überhaupt und der Idee der Wissenschaft auf die in jenen Werken behandelten Gegenstände, den Menschen selbst und die Natur.“²⁷⁶ Schleiermacher spricht sich vehement gegen eine Frühdatierung dieser Texte aus, da eine solche Zuordnung seiner Grundüberzeugung von der Philosophie Platons widersprechen würde, „daß man bei dem eigentlichen Philosophieren nicht von einer zusammengesetzten Darstellung, sondern von den einfachen Prinzipien ausgehn müsse.“²⁷⁷ Diese Prinzipien sieht er in einigen Dialogen gegeben, die sich durch „einen ganz eigentümlichen Charakter der Jugendlichkeit“ auszeichnen.²⁷⁸ Analog zu der vorherigen Gruppe finden sich für Schleiermacher in allen anderen Texten „überall mancherlei Beziehungen auf diese als frühere […] und auch wenn man nur auf die einzel[n] en Gedanken sieht, diese alle in ihnen am jüngsten erscheinen.“²⁷⁹ Gemeint sind Ausführungen „von der Dialektik als der Technik der Philosophie, von den Ideen als ihrem eigentlichen Gegenstande, also von der Möglichkeit und den Bedingungen des Wissens.“²⁸⁰
Platons Werke, KGA IV/3, 46. Vgl. Notiz Nr. 48, KGA I/3, 357. Auch Friedrich Schlegel geht im Briefwechsel mit Schleiermacher von drei Perioden aus, ohne jedoch ein anderes Kriterium als einen gewissen Reifeprozess und innere Ähnlichkeiten einzelner Texte herauszuarbeiten. Vgl. Platons Werke, KGA V/4, 353 – 359, Brief Nr. 993, 74– 240. Platons Werke, KGA IV/3, 53. Schleiermacher nennt den Staat, Timaios und Kritias. Platons Werke, KGA IV/3, 53. Platons Werke, KGA IV/3, 53. Platons Werke, KGA IV/3, 55. Platons Werke, KGA IV/3, 55. Gemeint sind Phaidros, Protagoras und Parmenides. Platons Werke, KGA IV/3, 56. Platons Werke, KGA IV/3, 56.
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Eine dritte Gruppe von Texten füllt „den Zwischenraum zwischen diesem und dem konstruktiven, indem sie von der Anwendbarkeit jener Prinzipien, von dem Unterschied zwischen der philosophischen Erkenntnis und der gemeinen in vereinter Anwendung auf beide aufgegebene reale Wissenschaften, die Ethik nämlich und die Physik, fortschreitend reden.“²⁸¹ Damit ist das hermeneutische Programm und dessen Ertrag in der Platonübersetzung umrissen. Mithilfe des in den Hermeneutikvorlesungen reflektierten Verfahrens wird eine werkgenetische These über den Zusammenhang der Werke Platons entwickelt, die kritisches Potential zur Beurteilung der Echtheit einzelner Texte freisetzt. Der inhaltlichen Auseinandersetzung Schleiermachers mit der Philosophie Platons, aus der sich diese werkgenetische These speist, will ich im Folgenden weiter nachgehen.
4 Philosophie als System. Der Platon der Philosophiegeschichtsvorlesungen Die Beurteilung des Einflusses der Platonstudien auf die Philosophie Schleiermachers ist in der Forschung umstritten.²⁸² Mir scheint sowohl das Abstreiten einer Rezeption der Philosophie Platons durch Schleiermacher wie auch eine Überbewertung ihres Einflusses wenig plausibel. Ich möchte Schleiermachers Platonbild als einen Spiegel zentraler Gedanken seines eigenen Philosophieverständnisses interpretieren. Bereits Schleiermachers Hallenser Lehrer Johann August Eberhard, bei dem er auch die einschlägige Philosophiegeschichtsvorlesung besucht hat, sah in Platons Philosophie kritisches Potential für die zeitgenössischen Debatten.²⁸³ Er präsentiert in seiner Philosophiegeschichte nach einem kurzen Abriss der Biographie eine Übersicht der Schriften und dann eine Thesenreihe zur theoretischen und eine zur praktischen Philosophie Platons. In der platonischen Erkenntnistheorie sieht Eberhard eine Kritik an apriorischem Vermögen, einem zentralen Thema seiner Auseinandersetzung mit der kantischen Philosophie. In der Ethik findet sich in Eberhards Platondeutung das Ziel der Vervollkommnung des Menschen, das auch bei Eberhard im Anschluss an die Leibniz-Wolffsche Schulphilosophie in seiner Sittenlehre von zentraler Bedeutung ist. Schleiermacher übernimmt diesen aktualisierenden Umgang mit der platonischen Philosophie von Eberhard. Seine Platondeutung dient ihm gleichfalls zur Kritik zeitgenössischer Entwürfe, was sich insbesondere in der Kritik der Sittenlehre zeigen lässt. Ich bleibe aber zunächst bei Schleiermachers Philosophiegeschichte. In seinem Manuskript zu den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie findet sich eine eigenständige Neuordnung des Stoffes gegenüber der Vorlesung Eberhards.²⁸⁴ Schleiermacher präsentiert keine Übersicht zu Leben und Werk Platons, sondern konzen
Platons Werke, KGA IV/3, 56. Vgl. Arndt, Schleiermacher und Platon und Lamm, The art of interpreting Plato. Eberhard, Allgemeine Geschichte der Philosophie. Vgl. auch Tennemann, Geschichte der Philosophie.
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triert sich ganz auf die Philosophie. Dazu gliedert er seine Darstellung nach der oben bereits skizzierten dreiteiligen Systematik. [Platon] ist als erster systematischer Philosoph anzusehen. […] Alles bei Platon in einem gewissen Maß vorgestellt. Nichts ganz abgesondert für sich allein. Physik geht im ‚Timaios‘ von der Ethik aus, Ethik geht überall auf Physik zurück. Beide stützen sich auf die Dialektik welche wiederum nirgend anders vorhanden ist als in Verbindung mit einem von beiden realen Zwecken.²⁸⁵
Es ist auffällig, dass diese Dreiteilung des philosophischen Systems in Dialektik, Physik und Ethik sich auch im philosophischen Werk Schleiermachers wiederfindet und auch die in der Schleiermacherforschung gängige Einteilung seines Wissenschaftssystems bildet.²⁸⁶ Lassen sich abgesehen von dieser formalen Beobachtung auch inhaltliche Nähen ausmachen? Ich konzentriere mich dazu auf die Ausführungen zu Platons Dialektik und Ethik.²⁸⁷ Die Dialektik stehe bei Platon der Sophistik gegenüber: Um die Falschheit zu entdecken, muß man im Besitz der wahren kombinatorischen Kunst sein. Diese nannte Platon Dialektik, weil Denken und Reden die alten nicht trennen konnten und noch jeder Disput lebendiges Gespräch war.²⁸⁸
Auch Schleiermacher geht in seiner Dialektikvorlesung der Genese von Wissen nach und trennt, wie wir oben gesehen haben, Denken und Reden nicht. Auch in der inneren Einteilung der Dialektik folgt Schleiermacher dem Vorbild Platons: Er [Platon] teilt sie [die Dialektik] in zwei Teile, Zu wissen, was verknüpft werden kann und nicht, und Zu wissen, wie geteilt und zusammengefaßt werden kann.²⁸⁹
Ich sehe hier eine Analogie zum zweiten, technischen Teil der Schleiermacherschen Dialektik, die in Heuristik und Kombinatorik aufgeteilt ist. Abgesehen vom Aufbau finden sich aber auch inhaltliche Nähen. Ein zentrales Anliegen Schleiermachers ist es, skeptische Einwände in der Dialektik abzuweisen. Zugleich würdigt Schleierma-
Geschichte der Philosophie, 98. Vgl. auch Über den Wert des Sokrates als Philosophen, KGA I/11, 210. Friedrich Schlegel hat Platon in seinen Philosophiegeschichtsvorlesungen abgesprochen ein System entwickelt zu haben. Vgl. Schlegel, Die Entwicklung der Philosophie in zwölf Büchern, KFSA XII, 207– 226. Vgl. bereits Gadamer, Schleiermacher als Platoniker, 378.383. Prägend für die Schleiermacherforschung wirkt Birkner, Schleiermachers Christliche Sittenlehre. Andere Einteilungsformen, die insbesondere den Ort der Psychologie im Wissenschaftssystem zu bestimmen suchen, haben Herms, Menschsein im Werden und Schmidt, Die Konstruktion des Endlichen vorgeschlagen. Bekanntlich hat Schleiermacher selbst keine Physik konzipiert und dazu auf die Vorlesungen seines Kollegen und Freundes Steffens verwiesen. Vgl. Twesten, Einleitung, in: Grundriß der philosophischen Ethik, XCVII. Geschichte der Philosophie, SW III/4.1, 99. Geschichte der Philosophie, SW III/4.1, 99.
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cher die Argumentation Platons gegen die Sophisten und deren „Einwendung […] hergenommen von der unvermeidlichen Subjektivität aller Erkenntnis, welche sie [die Sophisten] in Widerspruch setzten mit ihren Ansprüchen auf allgemeine Gültigkeit“:²⁹⁰ Die Lösung beruhte eigentlich auf der physischen Theorie von der Harmonie des erkennenden und erkennbaren, rein dialektisch aber demonstrierte er [Platon] sie an der Prozedur des Lehrens, welches nämlich kein Hervorbringen sei, sondern ein Hervorrufen eines ursprünglich schon vorhandenen.²⁹¹
Eine solche Harmonie von Sein und Denken vertritt Schleiermacher im Anschluss an die leibniz-wolffsche Schulphilosophie ebenfalls. Auch der Gottesgedanke als höchste Einheit der Begriffe hat sowohl in Platons als auch in Schleiermachers Dialektik seinen Ort. Er [Platon] scheint die Idee der Gottheit teils rein dialektisch aufgeweckt zu haben, teils durch Teleologie, die nur die unvollkommne Scheidung ist zwischen formalem und realem. Von jener Seite auf die Idee der Gottheit gekommen zu sein zeigt gewiß, wie jede hellenische Philosophie theistisch sein muß, da der Theismus durch die bloße Polemik gegen die skeptische Antiphilosophie schon heraustrat. Und eben so gewiß ist es der Triumph der Philosophie. Denn für die Naturerklärung oder die Sittengesetze die Gottheit als fremdes zu Hilfe zu nehmen zu müssen, ist immer mißlich für den Zweck und herabwürdigend für die Wissenschaft.²⁹²
Als Abschluss der Kritik der hier „Antiphilosophie“ genannten Sophistik interpretiert Schleiermacher Platons Gottesgedanken. Auch in seiner Dialektik begegnet der Gottesgedanke in spezifisch philosophischer Funktion.²⁹³ In der philosophischen Ethik berücksichtigt Schleiermacher den schlichten Verweis auf Gottes Gebote nicht. Dass der Gottesgedanke der philosophischen Ethik nicht fremd gegenübersteht, ist für ihn eine Einsicht Platons. In Schleiermachers Interpretation von Platons Ethik ist für jene die Idee des Guten der leitende Gedanke. [Ethik] führt auf die Grundidee des guten. Absolut ist eben dieses die Gottheit, über das ideale und reale hinaus. Als Identität aber der Totalität mit der Einheit besteht das gute aus den fünf im ‚Philebos‘ aufgestellten Momenten, wo die Lust nichts anderes ist, als die in Gefühl gesetzte Harmonie der einzelnen Lebenserscheinungen mit der Idee des Lebens. Die Idee des guten geht auf in der anderwärts aufgestellten der Ähnlichkeit mit Gott, denn die Weltbildung ist harmonisch und ganz für alle Momente dasselbe, nur daß die Lust sich lediglich auf das vereinzelte Leben bezieht.²⁹⁴
Geschichte der Philosophie, SW III/4.1, 101. Geschichte der Philosophie, SW III/4.1, 101. Geschichte der Philosophie, SW III/4.1, 103. Vgl. Barth, Wissen – System – Gefühl. Geschichte der Philosophie, 108.
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Die Zentralstellung der Frage nach der Idee des Guten und die Identifikation des höchsten Guts mit der „Harmonie der einzelnen Lebenserscheinungen mit der Idee des Lebens“ entspricht Schleiermachers philosophischer Ethik, in der er der Güterlehre die größte Bedeutung einräumt und sie als eine Kulturtheorie verschiedener Lebensbereiche entfaltet. Die Durchführung des Ansatzes bei Platon beurteilt Schleiermacher abgesehen von der Staatsphilosophie allerdings als unzureichend.²⁹⁵ Besonders kritisch wird die mangelnde ethische Würdigung der Familie angemerkt.²⁹⁶ Die Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie bieten eine Zusammenschau der Ergebnisse von Schleiermachers Platonstudien. Wenn man sie mit seiner eigenen Philosophie vergleicht, werden eine Reihe von Parallelen sichtbar, die den formalen Aufbau des philosophischen Systems sowie grundlegende Prinzipien der einzelnen philosophischen Disziplinen betreffen.
5 Platon als Ethiker. Das Platonbild der Kritik der Sittenlehre Sowohl in den Einleitungen zu Platons Werken als auch in den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie waren die Bezüge auf Schleiermachers eigene Philosophie implizit. In der Kritik der Sittenlehre findet sich zwar auch keine Entfaltung der philosophischen Ethik mit expliziten Bezügen auf Platon, wohl aber eine eigenständige Kritik bisheriger Entwürfe. Die Rolle, die die platonische Ethik im Rahmen dieser Kritik einnimmt, zeigt, welche Bedeutung sie für Schleiermachers philosophisches Denken überhaupt hat.²⁹⁷ Die Vorrede informiert über die gewünschten Leser des Buches. Wie auch in seinen Rezensionen verzichtet Schleiermacher auf jede Art von Zitat oder Literaturverweis: „Denn die Kundigen, welche in den Quellen zu Hause sind, werden ohne Zweifel, was jedesmal gemeint ist, herausfinden.“²⁹⁸ Genau so wird auch mit den Verweisen auf Platon verfahren.²⁹⁹ Die Einleitung erläutert die Absicht des Buches, die Wissenschaftlichkeit der Ethik durch eine Kritik ihrer wissenschaftlichen Form zu erweisen. Den Gegenstand seiner Untersuchung grenzt Schleiermacher auf diejenigen Entwürfe der Sittenlehre ein, die systematischen Charakter haben. Damit meint er solche, die „das menschliche Handeln unter einer Idee betrachten, nach der, was darin ihr angemessen ist, aus-
Geschichte der Philosophie, 108: „außer dem Staat ist alles übrige ethische nur elementarisch.“ Geschichte der Philosophie, 109 f.: „da er [Platon] in der Geschlechtsverbindung das individuelle nicht sah, und er von der ethischen Idee der Familie gar keine keine Anschauung hatte.“ Vgl. Herms, Platonismus und Aristotelismus in Schleiermachers Ethik. Kritik der Sittenlehre, KGA I/4, 31. Der Apparat der KGA ist daher von kaum zu überschätzendem Nutzen. Zur Orientierung hilft die Inhaltsanalyse in der Ausgabe von Braun, CI–CXXVIII.
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schließend und ohne Ausnahme als gut gesezt, als böse aber eben so Alles mit ihr unvereinbare verworfen wird.“³⁰⁰ Als eine der „ersten und treflichsten Arbeiten dieses Feldes“ würdigt Schleiermacher die Ethik Platons.³⁰¹ Dieser habe zwar sein System nicht vollendet, „welcher aber verdiente wohl genannt zu werden, wenn dieser ausgeschlossen sein sollte?“³⁰² Die zitierten Sätze der Einleitung weisen bereits die Hochachtung des Kritikers Schleiermacher für die platonische Gestalt der Ethik aus. Ihr kritisches Potential entfaltet die Platoninterpretation dann in der Durchführung. Das erste Buch, die Kritik der Prinzipien, beginnt mit der Frage nach dem Verhältnis von Ethik zur Idee einer Wissenschaftslehre. Schleiermacher kontrastiert hier zeitgenössische Versuche – Kant und Fichte – mit den Ansichten Spinozas und Platons. Die Frage nach einer gemeinsamen Wurzel von Logik, Physik und Ethik bzw. theoretischer und praktischer Philosophie sei berechtigt, aber „nur denen bis izt vielleicht gelungen […], welche objektiv philosophirt haben, daß heißt von dem Unendlichen als dem einzigen nothwendigen Gegenstande ausgegangen sind.“³⁰³ Und das seien Spinoza und Platon. Platon wird Spinoza gegenüber sogar noch vorgezogen, da er eine Theorie des höchsten Wesens nicht erst wie Spinoza durch die Ethik „zu rechtfertigen und zu bewähren“ sucht, sondern in diese integriert.³⁰⁴ Bei Platon „erscheint das unendliche Wesen nicht nur als seiend und hervorbringend, sondern auch als dichtend, und die Welt als ein werdendes, aus Kunstwerken ins Unendliche zusammengeseztes Kunstwerk der Gottheit.“³⁰⁵ In dem ethischen Streben nach Ähnlichkeit mit diesem Gott sieht Schleiermacher gegenüber Spinoza „eine noch festere Anknüpfung der Ethik an die oberste Wissenschaft.“³⁰⁶ Im zweiten Buch, der Kritik der Begriffe, die an die Kritik der Prinzipien anschließt, wendet sich Schleiermacher nacheinander dem Pflicht-, dem Tugend- und zuletzt dem Güterbegriff zu. In den Ausführungen wird deutlich, dass Schleiermacher besonders letzteren in der gegenwärtigen Sittenlehre vernachlässigt sieht und ihm eine zentrale Funktion für die Ethik zuweist.³⁰⁷ Auf Platon kommt er wie auch in der Kritik der Prinzipien am Schluss zu sprechen: Am reinsten aber nicht nur von Fehlern, sondern auch am vollständigsten findet sich dieser Begriff [das höchste Gut], wenn auch gleich nur unterentwikelt, in der Sittenlehre des Platon. Denn so dachte er sich die Gottähnlichkeit des Menschen als das höchste Gut, daß so wie alles Seiende ein Abbild ist und eine Darstellung des göttlichen Wesens, so auch der Mensch zuerst
Kritik der Sittenlehre, KGA I/4, 37. Kritik der Sittenlehre, KGA I/4, 37. Kritik der Sittenlehre, KGA I/4, 37. Kritik der Sittenlehre, KGA I/4, 66. Kritik der Sittenlehre, KGA I/4, 65. Ebd. Kritik der Sittenlehre, KGA I/4, 66. Kritik der Sittenlehre, KGA I/4, 190 f.
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zwar innerlich sich selbst, dann aber auch äußerlich, was von der Welt seiner Gewalt übergeben ist, den Ideen gemäß gestalten sollte, und so überall das Sittliche darstellen.³⁰⁸
Bis in die Begrifflichkeit hinein finden sich in dieser Passage Nähen zu Schleiermachers Ethik, in der die Ausführungen über das höchste Gut bekanntlich bewusst an den Anfang der Ethik gestellt werden. Der von Platon übernommene Darstellungsbegriff wird dann in den zwei Handlungstypen des Organisierens und Symbolisierens ausdifferenziert. Was den Tugendbegriff angeht findet sich Platon auch wieder gemeinsam mit Spinoza als Vehikel der Kritik an den übrigen Entwürfen, die zumeist vier Formen der Tugend unterscheiden. Platon dagegen versucht „zu zeigen, daß sich die ganze Tugend unter jeder dieser Formen darstellen lasse; welchem ihm auch […] vollkommen gelingt […]. Daher das Berufen auf diese Darstellungen aller weitern Prüfung über den wissenschaftlichen Werth der vier Begriffe überhebt.“³⁰⁹ Auch Schleiermachers eigene Entfaltung der Tugendlehre unterlässt einen Ausgang von vier Grundformen. Und auch in der Pflichtenlehre kommt das nun bereits bekannte Schema zur Anwendung, da auch hier, „was die einzelnen Begriffe betrifft, nur Plato und Spinoza durch ihre kräftige und durchgeführte Polemik gegen die eingeführte ethische Sprache sich als preiswürdige Ausnahmen sogleich ankündigen.“³¹⁰ Auch das dritte Buch, die Kritik der ethischen Systeme, stimmt in die Hochschätzung des Platon ein: „So daß auch hier wieder nur Platon und Spinoza mit einigen richtigen Andeutungen übrig bleiben. Der erste [Platon], indem er bei dem Bestreben jeder einzelnen wahren Volkommenheit die ganze Sittlichkeit darzustellen, sie auch darstellt im Wissen“.³¹¹ Darin vermittelt Platon für Schleiermacher zwischen „eudämonistischen“ und „praktischen“ Entwürfen.³¹² Der Anhang des dritten Buches wartet schließlich mit einem typisierenden Dreischritt bisheriger Gestalten der Sittenlehre auf. Es verwundert nicht, dass auch hier Platon nach der „rhapsodischen“ und der „dogmatischen“ Methode am Ende der Reihe steht und einen eigenen Typ verkörpert: Die dritte Methode aber ist die heuristische, und Platon der einzige Meister, der sie in ihrer Vollkommenheit aufgestellt hat. Ihr Wesen nun besteht darin, daß sie nicht von einem festen Punkt anhebend nach einer Richtung fortschreitet, sondern bei der Bestimmung jedes Einzelnen von einer skeptischen Aufstellung anhebend durch vermittelnde Punkte jedesmal die Principien und das Einzelne zugleich darstellt, und wie durch einen elektrischen Schlag vereinigt.³¹³
Kritik der Sittenlehre, KGA I/4, 200. Kritik der Sittenlehre, KGA I/4, 251 f. Kritik der Sittenlehre, KGA I/4, 264. Kritik der Sittenlehre, KGA I/4, 304 f. Vgl. Kritik der Sittenlehre, KGA I/4, 303 f. Kritik der Sittenlehre, KGA I/4, 349.
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Dass sich Schleiermacher selbst an diesem Ideal in der Ausgestaltung seiner philosophischen Ethik orientiert hat, braucht an dieser Stelle nicht weiter belegt zu werden. Darüber hinaus scheint mir auch hinsichtlich des Verhältnisses der Wissenschaften untereinander für Schleiermacher der Eindruck der Philosophie Platons maßgeblich. Für Schleiermacher kann gelten, was er über Platon schreibt: dass dieser nicht nur die einzelne Wissenschaft nur als ein organisches Ganzes hervorbringen will, in welchem alle Theile sich gleichzeitig und verhältnimäßig bilden, sondern auch […] jede einzelne Wissenschaft nur als einen Theil des Ganzen betrachtet.³¹⁴
Von hier aus lässt sich, wenn man der These von der Vorbildfunktion Platons für die Philosophie Schleiermachers folgt, im Blick auf dieses Zitat die Streitfrage der Schleiermacherforschung nach der Vorordnung einer der in den Philosophievorlesungen entfalteten Wissenschaften – der philosophischen Ethik und der Dialektik – beilegen. Die Wissenschaften stehen auch für Schleiermacher in einer Teil-GanzesRelation, in der keine der anderen vorgeordnet ist. Im Durchgang durch die Kritik der Sittenlehre sind die Bezugnahmen auf Platon als Ergebnisse einer intensiven Aneignung der Ergebnisse der Platonstudien interpretiert worden. Zusammen mit Spinoza, dessen Rezeption in der Schleiermacherforschung mehrfach untersucht worden ist, gilt Platon in allen drei Büchern der Kritik der Sittenlehre und damit in methodischer, begrifflicher wie systematischer Hinsicht als vorbildlich. Die gegen die Zeitgenossen Kant und Fichte gerichtete Kritik wird durch einen Vergleich mit Platon gewonnen. Selbst gegenüber Spinoza werden ausgehend von Platon Vorbehalte artikuliert. Schleiermachers Platonbild ist damit ein gutes Beispiel für die Aneignungsmomente, die aus Schleiermachers Theorie des Besserverstehens in der Praxis folgen.
6 Schleiermacher als Übersetzer Platons Die Idee einer vollständigen Übersetzung der Werke Platons ist für Schleiermacher und Schlegel von hermeneutischen Überlegungen und der damit verbundenen Kritik an bisherigen Übersetzungen und Interpretationen getragen. Die Einleitung des ersten Bandes von Schleiermachers Übersetzung expliziert die diesem opus magnum zugrundeliegende Interpretationsmethode, die der Methodik der Hermeneutikvorlesungen entspricht, und mündet in eine These zum inneren Zusammenhang der Werkgeschichte, aus der dann Kriterien zur Prüfung der Echtheit des Überlieferungsbestandes abgeleitet werden. Die Charakterisierung der platonischen Philosophie in den Philosophiegeschichtsvorlesungen und die Ausführungen zur Form der platonischen Ethik in der Kritik der Sittenlehre erhellen die Ergebnisse von Schleiermachers Platonstudien, in Kritik der Sittenlehre, KGA I/4, 350.
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III Hermeneutische Konkretionen
sofern sich hier ihre Aneignung durch den Übersetzer spiegelt. Ob hier allerdings wirklich Platon verstanden wurde, darf offen bleiben. Ein wichtiger Beitrag zu seinem besseren Verständnis waren Schleiermachers Platonstudien ohne Frage. In einem Brief an Georg Reimer schreibt Schleiermacher: „Es ist nicht nur am Plato selbst gar Vieles aufzuklären, sondern der Plato ist auch der rechte Schriftsteller um überhaupt das Verstehen anschaulich zu machen“.³¹⁵
Brief Nr. 1542, KGA V/7, 3.
C Die Entdeckung des Deuteropaulinismus
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C Die Entdeckung des Deuteropaulinismus. Hermeneutik und neutestamentliche Exegese Schleiermacher hat seine Hermeneutikvorlesungen zunächst zugleich als eine Vorlesung zur Hermeneutik des Neuen Testaments konzipiert. Auch nachdem er das Recht erhielt an der Philosophischen Fakultät zu lehren, blieb das Neue Testament exemplarischer Gegenstand seiner Hermeneutikvorlesungen und Zeit seines Lebens als Exeget und Prediger Gegenstand seiner theologischen Arbeit. Die exegetischen Arbeiten von Schleiermacher sind in der bisherigen Forschung verhältnismäßig wenig beachtet worden. Eine Zusammenschau und Würdigung aller veröffentlichten Schriften Schleiermachers zur Exegese bietet Johannes Conradi Schleiermachers Arbeit auf dem Gebiete der neutestamentlichen Einleitungswissenschaft (1907). Zu verweisen ist ferner auf die Aufsätze von Günter Meckenstock Schleiermachers Bibelhermeneutik (2001), Eilert Herms Schleiermachers Verständnis der exegetischen Theologie (2006), Christine Helmert Schleiermachers exegetische Theologie (2006), Simon Gerber Hermeneutik als Anleitung zur Auslegung des Neuen Testaments (2015) und Hermann Patsch Hermeneutica sacra in zweiter Potenz? (2015). Den Zusammenhang von Hermeneutik und Paulusdeutung thematisiert Patsch in Die Angst vor dem Deuteropaulinismus (1991). Zur Hermeneutik der Predigten ist nach wie vor auf Wolfgang Trillhaas Schleiermachers Predigt und das homiletische Problem (1933) zurückzugreifen. Ich möchte zunächst (1.) anhand seines Kompendiums zur theologischen Enzyklopädievorlesung, der Kurzen Darstellung des theologischen Studiums, die Funktion der Hermeneutik für die neutestamentliche Exegese im Rahmen des Schleiermacherschen Theologieprogramms bestimmen. Im nächsten Schritt wende ich mich dann (2.) der Einleitungsvorlesung zum Neuen Testament zu und konzentriere mich dabei (3.) auf die methodologischen Hinweise darin und exemplarisch auf das dort entfaltete Paulusbild. Schleiermacher ist bekanntlich der erste Kritiker der Authentizität des 1 Tim. Die dazu einschlägige Publikation, das Sendschreiben an Gaß, werte ich (4.) mit Blick auf deren implizite Methodik aus. Das Kapitel schließt (5.) mit Überlegungen zum Paulusbild in Schleiermachers Predigten und der Frage, wie sich das Paulusbild in Exegese und Predigt zueinander verhalten. Ich bündele die Ergebnisse des Kapitels (6.) in einem kurzen Fazit zu Schleiermachers neutestamentlicher Exegese.
1 „Das eigentliche Ziel“. Hermeneutik und exegetische Theologie Die exegetische Theologie ist in der Kurzen Darstellung als ein Teilgebiet der historischen Theologie ausgewiesen. Sie befasst sich mit den Schriften, aus denen sie ein von allen äußeren Einflüssen freies Bild des Christentums konstruieren kann, das eine
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normative Darstellung des Wesens des Christentums enthält (§103).³¹⁶ Die Schriften des Urchristentums, die eine solch „reine“ Darstellung des Urchristentums enthalten, bestimmt und interpretiert sie als Kanon der christlichen Kirche (§104). Das Verstehen dieser Texte ist die Hauptaufgabe der Hermeneutik, die das Zentrum der exegetischen Theologie bildet (§138). Zugleich muss aber die exegetische Theologie ihren Gegenstand, den Kanon, immer auch erst bestimmen (§106). In dieser Bestimmung des Kanons liegt die Aufgabe der Kritik (§110). Hermeneutik und Kritik sind in der exegetischen Theologie wechselseitig aufeinander bezogen. Ohne die Kritik hätte die Hermeneutik keinen Gegenstand des Verstehens und ohne die Hermeneutik fehlten der Kritik Kriterien zur Bestimmung des Kanons. Schleiermacher sieht in der Hermeneutik des Neuen Testaments einen Anwendungsfall einer allgemeinen Hermeneutik: „Die protestantische Theologie kann keine Vorstellung vom Kanon aufnehmen, welche bei der Beschäftigung mit demselben die Anwendung dieser Kunstlehre ausschlösse.“³¹⁷ Hier werden katholische und altprotestantische Konzepte der neutestamentlichen Spezialhermeneutik abgelehnt, die eine freie Untersuchung des Kanons behindern:³¹⁸ „Beyerstern [sc. der Theologie als spezieller Hermeneutik] nothwendig geworden durch Zusammenschmelzung der Schriftsteller in einen Codex, und die daraus entstandene dogmatische Exegese und andere Misbräuche.“³¹⁹ Schleiermachers Interpretation der Inspirationslehre schließt die allgemeine Hermeneutik dezidiert ein: „Die Neu Testamentliche Hermeneutik ist also auch durch die Inspiration keine specielle“³²⁰. Erst im Durchgang durch die Hermeneutik erweisen sich bestimmte Texte als inspiriert, d. h. als eine ursprünglich-normative Darstellung des Christentums: „Das sie [sc. die Bücher] heilig sind weiß man nur dadurch, daß man sie verstanden hat.“³²¹ Es wäre aber nun wiederum verfehlt, davon auszugehen, dass Schleiermacher für den neutestamentlichen Kanon keine spezielle Hermeneutik vorsieht: „Haben nicht die heiligen Bücher vermöge ihrer besondern Beschaffenheit auch eine besondere Hermeneutik? Allerdings. Aber das Besondre ist nur zu verstehn durch das Allgemeine.“³²²
Die Paragraphenzählung richten sich nach der zweiten Auflage (1830). Zu Schleiermachers Wesensbestimmung des Christentums vgl. Schröder, Die kritische Identität des neuzeitlichen Christentums. Kurze Darstellung, KGA I/6, 376. Zu Schleiermachers allgemeiner historischer Hermeneutik vgl. Osthövener, Zur historischen Hermeneutik bei Schleiermacher und Gerber, Schleiermachers Kirchengeschichte. Diese Wendung lehnt sich an das berühmte Programm Johann Salomo Semlers an, der zu Schleiermachers Studienzeiten in Halle lehrte. Zu Semlers Hermeneutik vgl. Schröter, Aufklärung durch Historisierung und Barth, Das Verstehen von Geschichte. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 74. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 164. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 37. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 37.
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Schleiermacher spricht von zwei möglichen Organisationsformen der neutestamentlichen Hermeneutik, die jeweils das Verhältnis von allgemeiner Hermeneutik und neutestamentlicher Spezialhermeneutik auf andere Weise zur Darstellung bringen: „Die allgemeine Hermeneutik kann entweder ganz hervortreten, so daß das specielle nur als Corollarien erscheint, oder umgekehrt kann das specielle zusammenhängend organisiert, und auf die allgemeinen Grundsäze dann nur zurükgewiesen werden.“³²³ Den ersteren Aufbau, dem auch die Gliederung der vorliegenden Rekonstruktion folgt, strebt Schleiermacher an (§137). Den zweiten betrachtet er als den bei seinen geschichtlichen Vorläufern üblichen.³²⁴ Auch der Aufbau der Paragraphen zur Hermeneutik führt von der allgemeinen Hermeneutik zur neutestamentlichen Spezialhermeneutik. Hier kann nun die Hermeneutik des Kanons in ihrer Wechselbeziehung von allgemeiner Hermeneutik, neutestamentlicher Spezialhermeneutik, höherer und niederer Kritik als das Herzstück der exegetischen Theologie entfaltet werden. Um die Differenz zwischen protestantischer und katholischer Kanonhermeneutik herauszustellen, unterscheidet Schleiermacher in der Kurzen Darstellung und in der Kommentierung der zweiten Auflage zwischen „wirklichem Kanon“ und der „Idee des Kanons“.³²⁵ Beide als identisch anzusehen, entspricht der katholischen Position, während die protestantische den Unterschied zwischen beiden bleibend in Frage stellt: „Ob der wirkliche Kanon der Idee entspricht, ist bey uns [sc. den Protestanten] Gegenstand der Untersuchung.“³²⁶ Es wurde bereits dargelegt, dass Schleiermacher mit dem Begriff „Kanon“ die ursprünglich-normativen Quellen über das Urchristentum hinsichtlich der in ihm enthaltenen Darstellung des Wesens des Christentums fasst. Im Folgenden gilt es, die Funktion der Hermeneutik in Bezug auf den Kanon so präzise wie möglich zu rekonstruieren, indem die Bestimmung und die Interpretation des Kanons als die spezifischen Funktionen von Kritik und Hermeneutik in der exegetischen Theologie ausgewiesen werden, die ihrerseits wechselseitig aufeinander bezogen sind.³²⁷ Hierbei ist auch auf das Verhältnis von AT und Kanon, einem Spezialfall der Kanonhermeneutik Schleiermachers, einzugehen. Der Gliederung Schleiermachers folgend beginne ich mit der Kritik. Das Verfahren, mit dem die Kritik den Kanon bestimmt ist durch die Verschränkung von höherer und niederer Kritik charakterisiert.³²⁸ Die höhere Kritik hat ihre Aufgabe in der Ent-
Kurze Darstellung, KGA I/6, 376 [§138, Erklärung]. ThEnz (Strauß), 130. Kurze Darstellung, KGA I/6, 272 [2.]; ThEnz (Strauß), 103. ThEnz (Strauß), 103. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 320.452.627 f.667.697.730.872.992 f. Ähnlich wie gegenüber der Rede von höherer und niederer Hermeneutik äußert Schleiermacher einen Vorbehalt gegenüber der Verwendung der überkommenen Begriffe „höhere“ und „niedere Kritik“. Kurze Darstellung, KGA I/6, 370 [§118, Erklärung]. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 367.453.734.
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III Hermeneutische Konkretionen
scheidung darüber, ob eine Schrift zum Kanon gehört oder nicht (§110). Die niedere Kritik zielt auf die Rekonstruktion der ursprünglichen Textfassung einzelner Stellen (§118). Eine wechselseitige Bezogenheit von höherer und niederer Kritik zeigt sich an den Stellen, wo die Rekonstruktion einer ursprünglichen Textfassung sich hinsichtlich des normativen Charakters der Schrift auswirkt (§121). Die äußeren und inneren Grenzen des Kanons sind nicht abschließend bestimmbar. Das Problem der Bestimmung der äußeren Grenze des Kanons ist die Unsicherheit über Zeit und Personen des Urchristentums (§106). Diese Grenze markiert die Unterscheidung von kanonischen Schriften und apostolischen Vätern (§107). Die innere Grenze des Kanons wird dadurch problematisch, dass das Wesen des Christentums, der „Begriff der normalen Dignität“³²⁹, nicht abschließend bestimmbar ist und damit auch die Bestimmung des Kanons eine unendliche Aufgabe darstellt (§§121/ 122).³³⁰ Gleichermaßen stößt die Hermeneutik des Kanons in Bezug auf dessen innere und äußere Grenzen auf Probleme (§135). Die spezifische Sprache des Urchristentums zu verstehen, ist die erste Herausforderung. Bekanntlich geht Schleiermacher von der genuinen Eigenständigkeit und Unableitbarkeit einer christlichen Sprache aus. Dazu notiert er in den Notizen für die Hermeneutikvorlesungen: „Das Christentum hat Sprache gemacht.“³³¹ Aber auch die äußere Grenze des Kanons ist problematisch, da die Kontexte, in denen die Schriften entstehen, dem Interpreten nicht anders als über die Schriften selbst zugänglich sind, „weil die Umstände und Verhältnisse, welche den Gedankengang modificiren, uns großentheils unbekannt sind, und erst aus den Schriften selbst müssen errathen werden.“³³² Neben diese Probleme der inneren und äußeren Auslegung tritt noch die Schwierigkeit, den Kanon als Ganzes, aber auch jede darin enthaltene Schrift jeweils für sich als eigenständige Größe zu betrachten (§136). So bleibt das Verstehen des Kanons, die eigentliche Funktion der exegetischen Theologie, eine unendliche Aufgabe (§145). Ein Spezialfall der Kanonhermeneutik Schleiermachers ist das Verhältnis von Altem Testament und neutestamentlichem Kanon. Er geht davon aus, dass das Alte Testament nicht Teil des christlichen Kanons sein kann, da es keine genuin christlichen Gedanken enthalte (§115).³³³ Zugleich kann er von der Notwendigkeit der Aussonderung des Alten Testaments aus der Bibel absehen, weil er einen doppelten Kanonbegriff einführt, der zum einen einen kritisch ermittelten und zum anderen einen geschichtlich überlieferten Kanon meint (§114).
Kurze Darstellung, KGA I/6, 367 [§108]. Vgl. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 699. Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 17. Im Ersten Entwurf (1805) notiert Schleiermacher: „Lob der Religion als eines bildenden Sprachgeistes.“ (Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 38). Im Manuskript von 1819 nennt er es die „neue Begriffbildende Kraft des Christenthums“ (Hermeneutik und Kritik, KGA II/4, 124). Vgl. ebd., 205 f.268.375.508 – 511.793 – 806.869. Kurze Darstellung, KGA I/6, 376 [§135, Erklärung]. Vgl. Einleitung zum Neuen Testament, SW I/8, 25 – 28.
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Der kritisch ermittelte Kanon muss dabei nicht mit dem historisch überlieferten identisch sein. So sind auch kritisch ermittelte Teile des Kanons außerhalb des historisch überlieferten Kanons denkbar.³³⁴ Das Verhältnis von Hermeneutik und exegetischer Theologie, wie es in der Kurzen Darstellung entfaltet ist lässt sich in drei Punkten zusammenfassen. Erstens ist die Hermeneutik die zentrale Methode der exegetischen Theologie.³³⁵ Den neutestamentlichen Text als solchen zu interpretieren, bedarf dabei zweitens einer Spezialhermeneutik, die sich nicht durch eine besondere Methodik, sondern durch das spezifische Interesse des Theologen auszeichnet, der den Text interpretiert. Die Interpretation der einzelnen neutestamentlichen Schriften in ihrem Zusammenhang als Kanon zu verstehen, ist drittens die genuine Aufgabe der Hermeneutik im Kontext der exegetischen Theologie.
2 Die allgemeine Auslegungskunst in der Einleitung zum Neuen Testament Die Vorlesungen zur Einleitung ins Neue Testament, die G.Wolde für seine Kompilation der Vorlesung in den Sämtlichen Werken (1845) vorlagen, hat Schleiermacher im Sommer 1829 und im Winter 1831/32 wöchentlich jeweils fünfstündig gehalten. Der Herausgeber hatte einen Entwurf zur Vorlesung von 1829, Collectaneen aus Schleiermachers eigener Hand sowie drei Nachschriften der Vorlesung von 1831/32 von unterschiedlicher Qualität vor sich. Seiner Ausgabe liegen größtenteils die Vorlesungsnachschriften der zweiten Vorlesung zugrunde.³³⁶ Eine heutigen Ansprüchen entsprechende kritische Edition der Vorlesung steht noch aus. Im Blick auf die bisherige Quellenlage lässt sich Folgendes festhalten. Schleiermacher gliedert seine Vorlesung in drei Teile: 1.) Allgemeine Einleitung ins Neue Testament, 2.) Spezielle Einleitung zu den einzelnen Teilen des Neuen Testaments und 3.) Von dem literarischen Zusammenhang und den Quellen des Neuen Testaments. Voraus schickt er für hermeneutische Fragen besonders weiterführende Vorbemerkungen zu Begriff, Inhalt und Methode einer Einleitung ins Neue Testament. Den Einstieg in die Vorlesung bildet die Aufgabenbegrenzung einer Einleitungsvorlesung. Unter Bezugnahme auf den Begriff der Einleitungswissenschaft wird eine Analogie zur Sprach- und Geschichtskunde hergestellt, die Voraussetzung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit einem jeden Werk ist. Ebenso werden in der Ein-
Vgl. Schütte, Christlicher Glaube und Altes Testament bei Friedrich Schleiermacher; Smend, Die Kritik am Alten Testament und Slenczka, Das Alte Testament als Problem des Kanonbegriffs. Zum Verhältnis von Christentum und Judentum bei Schleiermacher vgl. Beckmann, Die fremde Wurzel, 31– 135. So bereits Lemme, Das Verhältnis der Dogmatik zu Kritik und Auslegung der Heiligen Schrift nach Schleiermacher, 35: „Seine [Schleiermachers] Exegese zeigt auf Schritt und Tritt die Grundsätze der Hermeneutik.“ Einleitung ins neue Testament, SW I/8, Vorwort des Herausgebers, XVf.
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III Hermeneutische Konkretionen
leitung zum Neuen Testament andere Wissenschaften vorausgesetzt. Schleiermacher nennt explizit die Sprachkunde des Griechischen und die allgemeine Hermeneutik.³³⁷ In unserem Zusammenhang ist das Verhältnis zu letzterer von besonderem Interesse. Zur Abgrenzung des Themas der Vorlesung hält Schleiermacher fest: Soll das Studium des neuen Testaments auf wissenschaftliche Art getrieben werden, so muß auch das Verständniß auf kunstmäßige Weise herbeigeführt werden. Jeder wissenschaftliche Leser desselben muß also mit bestimmten allgemeinen Regeln der Auslegungskunst bekannt sein. Dies wäre eine allgemein philologische Disciplin, die Hermeneutik; die also ebenfalls vorausgesetzt wird und nicht in unsre Einleitung gehört.³³⁸
Des Weiteren grenzt Schleiermacher eine Spezialhermeneutik und eine Spezialkritik des Neuen Testaments als eigene Wissenschaften gegen die Intention seiner Vorlesung ab. Dass die Grundsätze der Hermeneutik und Kritik hier nicht expliziert werden, darf aber keineswegs so verstanden werden, als seien sie für die Einleitungsvorlesung unerheblich. Das Neue Testament ist für Schleiermacher, wie bereits gezeigt wurde, in seinen Vorlesungen zur Hermeneutik und Kritik das vorzügliche Anwendungsbeispiel. In der technischen Interpretation ist das Ziel der Einleitungsvorlesung die Rekonstruktion des spezifisch christlichen Gedankenkreises der Autoren: Wollen wir da [im Bezug auf die neutestamentlichen Schriften] die Regeln der Auslegungskunst richtig anwenden, so müssen wir vorher wissen, welcher der Complexus der Gedanken war, worin die Schriftsteller versirten, was davon national war, was einem besondern Kreise angehörig, und was aus dem Verhältnisse, woraus das Christentum entstand, aus dem Verhältnisse der Jünger zu Christo, zu erklären ist.³³⁹
Die Imagination der ursprünglichen Leserschaft des Textes ist ein weiteres hermeneutisches Mittel: Wir denken uns die ursprünglichen Leser irgend einer der Zeit nach bedeutend entfernten Schrift. Wenn wir diejenigen unterscheiden, auf welche der Verfasser besonders Rücksicht genommen, so müssen wir sagen: jede Schrift muß so eingerichtet sein, daß sie von denen vollkommen verstanden werden kann, für welche sie ursprünglich bestimmt ist; auf andere braucht der Schriftsteller in seiner Composition nicht Rücksicht zu nehmen.³⁴⁰
Ziel der Vorlesung insgesamt ist nicht das Darstellen einer normativen Auslegung, sondern das Einüben der Studierenden in die Auslegungskunst im Nachvollzug der Anwendung der Hermeneutik durch den Dozenten. Die Hermeneutik als Kunstlehre
Zu den exegetischen Vorlesungen und zum darin entfalteten Jesusbild Schleiermachers vgl. Lange, Historischer Jesus, der auch kurz die hermeneutischen Grundlagen zusammenfasst, vgl. ebd., 83 – 100. Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 3. Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 5 f. Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 6 f.
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kann nur durch die je eigene Praxis und nicht durch reine Wiederholung angeeignet werden: Aber fragen wir: wie kommt jemand dazu, sich eine eigene Methode der Auslegung zu bilden? So werden wir auf die Auslegungskunst als solche zurückgewiesen. Aber es ist ein bedeutender Unterschied zwischen dem Besitz dieser allgemeinen Principien und einer Sicherheit und Gleichförmigkeit in der Anwendung derselben auf ein gegebenes Einzelnes.³⁴¹
Schleiermacher macht also im Rahmen der methodischen Überlegungen seiner Einleitungsvorlesung zum Neuen Testament den Bezug auf seine Hermeneutik explizit. Lassen sich aber in der Durchführung auch Anwendungen hermeneutischer Grundsätze erkennen?
3 Ein Kanon im Kanon. Das Paulusbild der Einleitungsvorlesung Ein Beispiel, an dem sich die Anwendung von Schleiermachers Hermeneutikkonzeption exemplarisch zeigen lässt, sind Schleiermachers Einleitungen zu den paulinischen Briefen. Die Texte werden im Rahmen der besonderen Auslegung der neutestamentlichen Texte aus chronologischen Gründen zuerst verhandelt. Durch die vermeintlich einheitliche Verfasserschaft bilden sie für Schleiermacher eine hinsichtlich ihrer Herkunft und Gattung eigenständige Größe im Kanon. Mit der Frage nach ihrer Authentizität als Briefe des Paulus legt sich Schleiermacher eine der bleibend zentralen Fragen der neutestamentlichen Wissenschaft vor. Auch hier ist der Stil der Vorlesung argumentierend, insofern die Beurteilungen der einzelnen Briefe hinsichtlich ihrer Authentizität nicht als allgemein gültig, sondern als methodisch kontrolliert nachvollziehbare Hypothesen ausgewiesen werden. Wie auch in den Vorüberlegungen der Vorlesung zeigt sich hier der Anspruch, die Hörer der Vorlesung zu selbstständig urteilenden Auslegern des Neuen Testaments zu erziehen. Die beiden mehrfach von Schleiermacher herangezogenen Einleitungen von de Wette und Eichhorn bieten weder eine Reflexion der Aufgabe einer Einleitungsvorlesung noch einen expliziten Verweis auf die hier Anwendung findende Hermeneutik. De Wette stellt seinem Lehrbuch eine „Theorie der Kritik des neutest. Textes“ voran, in der er die niedere Kritik verhandelt.³⁴² Die Frage nach der Entstehung des Kanons wird bei de Wette rein historisch als Geschichte des Textes aufgefasst.³⁴³ Bei Eichhorn wird die Konstitution des Kanons nicht eigens behandelt. Die Informationen zu den einzelnen Büchern des Neuen Testaments werden in beiden Werken hinsichtlich ihrer hermeneutischen Methode kaum durchsichtig gemacht, die
Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 21. De Wette, Lehrbuch, 69 – 83. De Wette, Lehrbuch, 36 – 69.
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III Hermeneutische Konkretionen
Gliederung der Texte ist durch strenge Paragraphengliederung erheblich leichter nachvollziehbar. Zahlreiche Stellenverweise werden für jeden Paragraphen beigefügt. Im Vergleich zu zeitgenössischen Einleitungsvorlesungen wird deutlich, dass sich Schleiermachers Methodologie weniger durch die Innovation ihrer Ergebnisse als durch die Explikation des diesen Ergebnissen zugrundeliegenden Verfahrens auszeichnet. Die exemplarische Anwendung der Hermeneutik hat ein didaktisches Ziel, das seine Grundlage in seinem Wissenschafts- und hier insbesondere Theologieverständnis hat. Die Auslegungskunst ist eine von ihrer Anwendung her zu begreifende Disziplin. Ein eigenständiges Urteil über den Kanon oder die paulinischen Briefe bildet sich nicht einfach in der Übernahme von Lehrmeinungen, sondern durch eigene gründliche Exegese. Gewissermaßen sind die paulinischen Briefe ein Kanon im Kanon, insofern sich hier eine Reihe der Interpretationsprobleme, die für das Neue Testament insgesamt gelten, für eine kleinere Schriftengruppe wiederfinden: die Frage nach der Einheitlichkeit ihres Inhalts, der Autorenschaft und der Bedeutung für die ursprüngliche wie auch die gegenwärtige Leserschaft. Für die Beurteilung der Authentizität der Briefe werden im Wesentlichen folgende Kriterien in Anschlag gebracht: 1.) die Chronologie, 2.) der Anlass, 3.) eine Übereinstimmung mit dem Paulusbild der Apostelgeschichte und 4.) ein Vergleich der Sprache. Dass es sich hier um eine Anwendung der Schleiermacherschen Hemeneutikkonzeption handelt, ist schnell einzusehen. Der zu verstehende Autor – hier Paulus – ist wesentlich über seine Persönlichkeit und eine ihm eigene Sprache zu verstehen, die sich anhand der Quellen rekonstruieren lässt. Mit den Mitteln der höheren Kritik werden die Quellen sondiert und auf ihren Wert für die paulinische Theologie hin befragt. Besonders herausstellen möchte ich Schleiermachers Argumente gegen die paulinische Verfasserschaft des 1 Tim, da er hier bekanntlich als einer der ersten Theologen überhaupt begründete Zweifel vorgetragen hat. Schleiermachers Ausgangsfrage in der Einleitung zu den historischen Briefen lautet: „Woher bewährt sich diese Sammlung als solche?“³⁴⁴ Weil über die Art und Weise der Entstehung der Sammlung kaum etwas bekannt ist, wird die Frage nach der Authentizität der Briefe methodisch zentral: „Da wir aber von der Art, wie die Sammlung zu Stande gekommen ist, gar Nichts eigentlich wissen, so müssen wir das Zeugniß der Authentie aus der Wahrscheinlichkeit hernehmen, mit welcher diese Briefe für paulinisch gehalten werden.“³⁴⁵ Die Quellen zur Erschließung eines „Bildes von seiner Person“³⁴⁶ sind seine Briefe und die Apostelgeschichte. Eine erste Frage, die für die Frage nach der Echtheit der Briefe zu klären ist, ist die Chronologie der Vita Pauli und seiner Briefe.³⁴⁷ Schleiermacher unterscheidet drei Phasen: „1. von seiner Bekehrung bis zu seinem Uebergange nach Europa, 2. von dort
Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 120. Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 120. Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 122. Vgl. Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 125 – 133.
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bis zu seiner Gefangennehmung, 3. von dieser bis zu seinem uns unbekannten Ende.“³⁴⁸ Er lässt offen, ob Gal oder Tit in die erste Phase gehören. Zur zweiten zählt er 1 Thess, 1 Kor, 2 Kor und Röm. Zur dritten werden Eph, Phil, Kol, Phlm und 2 Tim gerechnet. Ein zweiter Durchgang durch die Briefe ist von den Fragen nach einem bestimmten Anlass bzw. einer Gelegenheit der Briefe geleitet. Hier unterscheidet er „1. solche welchen eine Nothwendigkeit, bestimmte Gegenstände zur Sprache zu bringen, zum Grunde liegt; 2. solche, die aus guter Gelegenheit entstanden, aber sich auf bestimmte Verhältnisse zwischen Schreibenden und Lesenden beziehn; 3. solche, die bei guter Gelegenheit ohne bestimmte Motive und ohne solche stattfindende Verhältnisse bloß aus dem Impetus des Lehrens im Allgemeinen geschrieben sind.“³⁴⁹ Er verwendet dafür die Begriffe Geschäftsbrief und Gelegenheitsbrief, wobei letzterer nochmals nach seinem Zweck entweder zur „freundschaftlichen Herzensergießung“ oder „Verkündigungsrede“ Verwendung findet.³⁵⁰ Als Geschäftsbriefe beurteilt Schleiermacher 1 Kor, 2 Kor, Gal, 2 Thess, Phlm, Tit und 1 Tim. Für die Gelegenheitsbriefe der ersten Art stehen Phil und 2 Tim, für die zweite Eph, Kol, 1 Thess und Röm. Als äußere Merkmale der Authentizität gelten Schleiermacher zudem die Zitationen der Briefe in frühchristlicher Zeit. Das Ergebnis ist ein fortschreitender Sammlungsprozess, „daß die Sammlung der paulinischen Briefe erst allmählig zusammengekommen ist, da daß immer die des Marcion, wiewohl nicht vollständig, die älteste ist, die wir nachweisen können.“³⁵¹ Ein dritter Schritt vergleicht die Schilderungen der Apostelgeschichte mit denen der Briefe hinsichtlich innerer Merkmale der Authentizität.³⁵² Schleiermacher fasst hier als Ergebnis zusammen: „Das Wesentliche nun, was aus der Apostelgeschichte über Paulus erhellen kann, ist dieses: daß er aus einem leidenschaftlichen Verfolger des Christenthums plötzlich ein Verkündiger geworden, und daß er vorherrschend die Richtung genommen, das Christenthum unter die Heiden zu bringen. Dies giebt einen sehr bestimmten Charackter, der sich in seinen Briefen wieder abspiegeln muß; und je mehr das geschieht, desto stärker ist die Ueberzeugung von ihrer Aechtheit.“³⁵³ In Bezug auf dieses innere Kriterium und die in der Apostelgeschichte genannten Wirkungsstätten des Paulus werden jetzt die Briefe im Einzelnen geprüft. Am Ende des Kapitels über die paulinischen Briefe steht eine abschließende Charakterisierung der Persönlichkeit des Paulus.³⁵⁴ Nacheinander werden seine Bildung im rabbinischen Judentum, sein Verständnis des mosaischen Gesetzes, seine Auffassung der Auferstehung Christi und der Geist-Fleisch-Gegensatz besprochen.
Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 129. Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 134 f. Vgl. Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 135. Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 141. Vgl. Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 142– 181. Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 147. Vgl. Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 181– 192.
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III Hermeneutische Konkretionen
Zu dieser Zusammenfassung der Persönlichkeit des Paulus tritt am Schluss eine Charakterisierung der Sprache der paulinischen Briefe hinzu.³⁵⁵ Gerade die Pastoralbriefe weichen in Sprache und Stil von den anderen Briefen ab. Wenn wir uns die große Menge von untergeschobenen Schriften betrachten, die es wirklich gab, und berücksichtigen, wie Paulus von jeher großen Ansehn in der Kirche genoß: so wäre es wirklich zu verwundern, wenn ihm keine Schrift untergeschoben wäre. (…) [So] läßt sich sehr gut denken, daß er, wenn er keine Zeit hatte, nur den Hauptinhalt gab, und die Ausführung einem Freunde übertrug, hernach aber den Brief durchsah und als den seinigen anerkannte. So kann es beim Epheserbrief gewesen sein; bei 1. Tim. aber kann man sich dies nicht so denken, sondern hier muß das Andere eingetreten sein, daß er von einem ganz Andern untergeschoben ward und nur aus paulinischen Gedanken und in seine Situation hinein geschrieben.“³⁵⁶
Mit seinen Zweifeln an der Authentizität des 1 Tim ist Schleiermacher im Sendschreiben an Gaß an die Öffentlichkeit getreten. Wird hier ein analoger hermeneutischer Zugriff gewählt?
4 „Eine ziemlich schlecht fingirte Schrift“. Die Kritik am 1 Tim Schleiermachers kritische Überlegungen zum 1 Tim sind zugleich als persönliches Sendschreiben wie auch als öffentliche Schrift konzipiert.³⁵⁷ Der Verfasser betont bereits gleich am Beginn die Vorzüge dieser doppelten Adressatenschaft. Er kann bestimmte gemeinsame Ansichten mit dem Adressaten voraussetzen, die er nicht mehr eigens ausführen muss. Dazu gehört auch die hermeneutische Methode. Das folgende längere Zitat enthält Verweise auf das Verhältnis von allgemeiner Hermeneutik und neutestamentlicher Spezialhermeneutik sowie die oben bereits in der Einleitungsvorlesung vorgestellten Kriterien für die Authentizität einzelner Schriften: Denn warlich, das sollte mir schlecht gefallen, wenn ich nun erst allerlei Vorreden machen müßte, über die Befugniß zu einer solchen Untersuchung, und mich höflich entschuldigen bei Vielen, daß ich schlechthin nichts davon verstehe, warum wol die Neustestamentischen Bücher in irgend einer Hinsicht irgend anders sollten behandelt werden als andere, oder welches andere Maaß man anlegen sollte, um über einen Verdacht gegen ihre Aechtheit zu entscheiden, als bei andern alten Schriften, sondern daß ich für diese Sammlung keine andere Regel wüßte, als für andere, welche die alten Grammatiker gemacht haben, daß nemlich nicht die Sammlung sondern nur jede einzelne Schrift als ein Ganzes anzusehen ist, und für sich selbst stehen und Beweis führen muß wem sie angehöre, dabei aber auch die übrigen derselben Sammlung als Zeugen anführen kann und annehmen muß.³⁵⁸
Vgl. Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 192– 194. Einleitung ins neue Testament, SW I/8, 194. Sendschreiben an Gaß, KGA I/5, 153 – 242. Sendschreiben an Gaß, KGA I/5, 158.
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Die Einleitung der exegetischen Schrift, die allgemeinere Überlegungen zur Methode enthält, endet mit der bleibenden Frage nach der Autorenschaft einzelner kanonischer Texte. Weil ihre Verfasserschaft aufgrund der Quellenlage letztlich nicht bestimmbar ist, bleiben bestimmte kanonische Texte fortwährend Gegenstand der Kritik: Aber wenn dem nun auch so wäre, liebster Freund und wir nie erführen wem eigentlich der zweite Brief Petri angehört und die beiden lezteren des Johannes, und die Apokalypsis und der Brief an die Hebräer, andere noch unentschiedenen Fragen zu geschweigen: so weiß ich nicht warum es nicht besser sein sollte dies alles nicht zu wissen, aber der kritischen Kunst, indem die Aufgabe offen gehalten wird, und der Preis gewonnen werden kann, die Möglichkeit, daß sie es entdekken könne, übrig zu lassen, als über dies und manches andere aus ganz unzureichenden Gründen die Untersuchung für abgeschlossen zu erklären, so daß wir es gar nicht mehr mit Sicherheit erfahren können.³⁵⁹
Die Einleitung des Sendschreibens bündelt damit eine Reihe von zentralen Motiven der Schleiermacherschen Hermeneutik: das Verhältnis von allgemeiner Hermeneutik und neutestamentlicher Spezialhermeneutik, die Grundzüge der Kritik sowie die bleibende Aufgabe der exegetischen Arbeit am Kanon. Wie sieht nun die Argumentation im konkreten Fall aus? Als erstes sichtet Schleiermacher die frühchristlichen Quellen, wendet also das Kriterium der äußeren Merkmale an.³⁶⁰ Als zweites führt er einen Vergleich mit den Reden des Paulus in der Apostelgeschichte und anderen Briefen an.³⁶¹ Insbesondere sind die beiden anderen Pastoralbriefe 2 Tim und Tit hier zentrale Referenzen. Nun schließt eine Auswertung der spezifischen Sprache des Briefes an.³⁶² Wort für Wort werden einzelne Formulierungen des Briefes geprüft, um dabei eine Vielzahl von hapax legomena sowie sprachliche Ähnlichkeiten zu 2 Tim und Tit herauszuarbeiten. In einem Zwischenfazit schreibt Schleiermacher: Doch ich erstaune, indem ich sehe, wie lange diese Uebersicht, die nur vorläufig sein solte uns verweilt hat, und ich sollte mich wol lieber mancher gelegentlichen Bemerkung enthalten haben um nur das was ich eigentlich beabsichtige näher zusammenzustellen. Indeß Verdacht muß es Ihnen doch eingeflößt haben, bei einem Schriftsteller dessen Sprachschaz bekanntlich so sehr beschränkt ist, und in einem Aufsaz der wenn er ihm ja zugeschrieben werden sollte nur als ein höchst flüchtig hingeworfener müßte angesehen werden, diese vielen zum Theil an die Stelle gewohner Lieblingsausdrükke tretenden ganz fremden Wörter, die man ordentlich als ein Streben nach Neuheit in der Sprache ansehn müßte, und dieses doch wieder armselig und sich oft wiederholend, recht wie es von einem Zusammenstoppler der alles nur aus wenigen sparsamen Quellen nimmt zu erwarten ist.³⁶³
Sendschreiben an Gaß, KGA I/5, 160. Vgl. Sendschreiben an Gaß, KGA I/5, 161 f. Sendschreiben an Gaß, KGA I/5, 162– 165. Sendschreiben an Gaß, KGA I/5,165 – 204. Sendschreiben an Gaß, KGA I/5, 186.
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III Hermeneutische Konkretionen
Drittens prüft Schleiermacher Anlass und Form des Briefes. Dabei will er keine Theorie über die unterschiedlichen Formen der Briefe wie Lehrbrief, Gelegenheitsbrief usw. voraussetzen, sondern diese ganz aus dem Studium der Quelle entwickeln: Nicht daß ich etwa eine ganze Gattung umfassend Ihnen eine Theorie in dem gewöhnlichen Sinne aufstellen und Regeln geben wollte, und dann zeigen der Brief wäre nach diesen eben schlecht; sondern wir wollen uns nur zunächst an die Verhältnisse jener Zeit und jener Menschen halten, und sehen wie sich ihre Zuschriften der Natur der Sache nach gestalten mußten, damit uns nur deutlich werde, ob wir einen wirklichen natürlichen Brief, oder nur eine unter dieser Form ziemlich schlecht fingirte Schrift vor uns haben.³⁶⁴
Die exegetische Arbeit am 1 Tim, so lässt sich zusammenfassen, ist beispielhaft für Schleiermachers Bibelhermeneutik und für seine Hermeneutik überhaupt. Die einleitenden methodischen Hinweise und die Argumentation des Sendschreibens haben sich in einer Linie mit den hermeneutischen Überlegungen in der Einleitungsvorlesung und den Ausführungen zu den paulinischen Briefen lesen lassen. Es finden sich in der Schrift eine Reihe zentraler Thesen zum Verhältnis von allgemeiner Hermeneutik und neutestamentlicher Hermeneutik und zur Funktion der Kritik in der Exegese. In der Durchführung der Argumentation werden wie auch in der Einleitungsvorlesung gefordert frühchristliche Zeugnisse sowie innere und äußere Kriterien der Authentizität geprüft. Um den Eindruck der Hermeneutik von Schleiermachers Paulusbild abzurunden folgt nun ein Seitenblick in seine Predigten.
5 Ein „deutliches Beispiel der Worte des Erlösers“. Das Paulusbild in ausgewählten Predigten Schleiermachers Predigten sind ein Ertrag seiner Bibelhermeneutik. Der zentralen Frage, welche Funktion der biblische Text jeweils für die unterschiedlichen Predigttypen hat, kann hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden.³⁶⁵ In seinen Vorlesungen zur Praktischen Theologie argumentiert er für eine relative Bindung der Predigt an den Bibeltext: „Der Text darf nicht verschwinden, weil er die äußere Gewährleistung für die Kirchlichkeit der Rede liefert.“³⁶⁶ Was die konkrete Art dieses Schriftbezugs angeht, spricht sich Schleiermacher für einen großen Interpretationsspielraum aus. Man solle „im Schriftgebrauch nicht zu enge Grenzen sezen.“³⁶⁷ Im Ersten Sendschreiben an Lücke (1829) findet sich eine Kurzfassung seiner Auffassung von einer protestantischen Predigt:
Sendschreiben an Gaß, KGA I/5, 204. Vgl. Trillhaas, Schleiermachers Predigt; Ders., Der Berliner Prediger; Bogun, Darstellendes und wirksames Handeln bei Schleiermacher, 7– 30.71– 128. Praktische Theologie, SW I/13, 233. Praktische Theologie, SW I/13, 235.
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Jene [die Katholiken] machen alle christliche Ansprache zu Belehrung, und zwar nicht nur in so fern, als dem Volke die Schrift, in fremder Sprache gegeben und fremden Sitten entsprossen, erst muß aufgeschlossen werden, sondern um zu versuchen, wie weit es sich durch allmählige Uebergänge in jenen Zusammenhang von Ideen einführen läßt. Uns Andern [den Protestanten] kommt es immer nur an auf eine klare und belebende Darstellung der gemeinsamen inneren Erfahrung (…) wir dienen unseren Brüdern nur dadurch, daß wir denselben [den Besitz der Frömmigkeit] ihnen genauer darlegen und Freude daran, so wie Sorge dafür bei ihnen erwecken.³⁶⁸
Wie bereits in der Exegese wähle ich auch aus den Predigten einen kleinen Ausschnitt des umfänglichen Oeuvres aus. Da der Fokus bereits auf das Paulusbild gelegt wurde, bieten sich diejenigen Predigten an, in denen der Predigttext einem Paulusbrief entnommen ist. Schleiermacher konnte einzelne Verse der paulinischen Briefe in ganz unterschiedlicher Weise auslegen. In den selbst veröffentlichten Predigtbänden, die überwiegend in themen- und anlassbezogene Predigten enthalten, fungiert Paulus als Stichwortgeber zur Entfaltung eigener Gedanken zum Thema bzw. zum Anlass der Predigt. Eine Auslegung von Predigttexten im Kontext der jeweiligen Briefe findet sich überwiegend durch Nachschriften erhaltenen Predigtreihen an der Berliner Dreifaltigkeitskirche. Schleiermacher war als reformierter Prediger frei von Perikopenordnungen und predigte regelmäßig einzelne neutestamentliche Texte Perikope für Perikope in einer Predigtreihe. Für die Frage nach dem Ertrag der Bibelhermeneutik in Schleiermachers Predigten und für das hier entfaltete Paulusbild sind die Predigtreihen zu den Briefen von besonderem Interesse, die Schleiermacher für paulinisch gehalten hat: zwei Reihen zu Phil, sowie zu 1 Thess und Kol.³⁶⁹ Anders als in themen- oder anlassbezogenen Predigten interpretiert Schleiermacher in diesen Predigtreihen die Predigttexte im Kontext der jeweiligen Briefe und gibt Hinweise auf die in der Forschung vermutete biographische Situation des Verfassers Paulus. So leitet Schleiermacher die Predigtreihe zum Philipperbrief, die als Sonntagnachmittagspredigten nach Trinitatis 1817 gehalten wurden mit einer Gegenwartsübertragung ein: Es ist ein großer Beweis der Vortrefflichkeit und Göttlichkeit der heiligen Schrift, daß wir oft, nicht nur an abgerissenen Stellen, sondern selbst in großen Abschnitten, wie sie im natürlichen, geschichtlichen Zusammenhange sind, solche Aehnlichkeit mit dem Zustande derer, für welche und an welche die heiligen Schriften geschrieben sind, und dem unsrigen finden, als ob dieselben für uns gemacht seyn schienen.³⁷⁰
Dieser Satz nimmt mit der Formulierung „abgerissene Stellen“ Bezug auf Schleiermachers üblichen Umgang mit dem Predigttext und bildet so eine Hinführung zum Projekt einer kontinuierlichen Textauslegung eines „großen Abschnittes“. Die diesem Erstes Sendschreiben, KGA I/10, 319 f. Vgl. die Predigtreihe zu 1 Thess in Predigten 1826 – 1827, KGA III/10 und zu Kol in Predigten 1830 – 1831, KGA III/12. Predigten 1816 – 1819, KGA III/5, 153.
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III Hermeneutische Konkretionen
Vorgehen zugrundeliegende hermeneutische Maxime ist die Analogie zwischen den ersten Lesern der neutestamentlichen Texte und der gegenwärtigen Gemeinde. Als Grundlage einer Predigt ist die Erbauung der Predigthörer das erklärte Ziel der Auslegung. Schleiermacher fährt fort: Darum wird es auch erbaulich seyn, einen ganzen Abschnitt in seinem geschichtlichen Zusammenhange in den Nachmittagspredigten, nachdem der Kreis unserer christlichen Feste für dieses Kirchenjahr beschlossen ist, zu betrachten. [I]ch möchte dazu den Brief Pauli an die Gemeine zu Philippi, welche ihm vorzüglich lieb war, nicht nur weil er sie selbst auf jener seiner merkwürdigen Reisen gestiftet hatte, und dabei zuerst für das Evangelium des Herrn litt, sondern auch weil sie alles mögliche that, sowol das Wort des Herrn in seiner Lebendigkeit unter sich zu erhalten, als auch dasselbe immer weiter ausbreiten und befördern zu helfen. Uebrigens schrieb er diesen Brief aus dem Gefängniß zu Rom, worin er wahrscheinlich starb.³⁷¹
Dass hier neutestamentliches Einleitungswissen eingebunden wird, indem Schleiermacher über die vorbildlich erbaute Adressatengemeinde und die Lebenssituation des Paulus informiert, ist eine Besonderheit der Predigtreihen gegenüber anderen Predigten zu Predigttexten aus dem Corpus Paulinum. In der Phil-Predigtreihe kann sich Schleiermacher auch vom einzelnen Wortlaut des Briefes lösen und ein allgemeines Paulusbild zeichnen. So sagt er in der zweiten Predigt der Reihe: Wenn wir im [A]llgemeinen das Benehmen des Apostels betrachten, so finden wir, daß er gar nicht auf sich selbst gesehen, nicht auf den Ausgang, den diese seine Widerwärtigkeiten für ihn selbst haben könnten, viel mehr giebt er zu erkennen, daß er nicht wisse, wie dies für ihn ablaufen werde. Er selbst war immer gewiß, daß ob er nun aus seiner Gefangenschaft befreit, oder in seiner Gefangenschaft unterdrückt würde, daß der Erlöser denoch hoch gepriesen werde an seinem Leibe, es sey nun durch Leben oder durch Tod. (…) Dies sehen wir an dem Apostel. Er ist uns ein deutliches Beispiel von den Worten des Erlösers.³⁷²
Paulus dient Schleiermacher als Beispiel für ein vorbildliches christliches Leben. Hier, in der zweiten Predigt, zeigt Schleiermacher diesen in Paulus’ Umgang mit seiner Gefangenschaft. Zugrunde liegt die bereits eingangs in der ersten Predigt erklärte Frage nach der Ähnlichkeit der gegenwärtigen Lage und der Lebenssituation des Paulus. In der dritten Predigt, die der Todessehnsucht des Paulus gewidmet ist fragt Schleiermacher: „wie steht es mit uns, und in wie fern können wir uns vergleichen mit dem Apostel?“³⁷³ Auch in späteren Predigten findet sich dieser hermeneutische Zugriff. Eine Passage über das Verhältnis der Liebe gegenüber Einzelnen und der Liebe in der Gemeinde stellt ebenfalls die Vorbildfunktion des Apostels heraus.³⁷⁴ In der Abschlusspredigt der Reihe bündelt sich dieses Bild des Apostels:
Predigten 1816 – 1819, KGA III/5, 153. Vgl. Predigten 1822– 1823, KGA III/7, 15. Predigten 1816 – 1819, KGA III/5, 166. Predigten 1816 – 1819, KGA III/5, 181. Vgl. Predigten 1822– 1823, KGA III/7, 44. Predigten 1816 – 1819, KGA III/5, 227 f. Vgl. Predigten 1822– 1823, KGA III/7, 329 f.
C Die Entdeckung des Deuteropaulinismus
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Von dem Einzelnen, M[eine] F[reunde], da fordert der Apostel, was er auch von sich selbst sagt, daß er allem Guten, was irgend eine Tugend oder ein Lob ist, nachstrebe und über alles, was nicht eine Thorheit ist, nachdenke. Das ist das Lehrreiche, was wir aus den Worten des Apostels schöpfen können. (…) Und dies ist erst der wahre und volle Begriff der christlichen Heiligung.³⁷⁵
Unter den Stichworten ‚Erbauung‘ und ‚Heiligung‘ lässt sich das Programm der PhilPredigtreihe 1817/18 zusammenfassen. Schleiermacher stellt diesen Zusammenhang an den Schluss der letzten Predigt: Alle Erbauung und Rede über die Worte des Apostels sollte dahin abzwecken, immermehr das lebendige Streben in uns hervorzubringen, allem Guten nachzustreben und durch Gottes Gnade zu einem solchen Bewußtseyn und zu einer solchen Herrschaft des Geistes über das Fleisch zu gelangen, daß wir uns nur als Werkzeuge Gottes betrachten und immer näher rücken dem Ziele, das uns durch Christus ist vorgestreckt worden. Alles um hierzu etwas beizutragen, dazu mögen diese Betrachtungen aus dem Briefe des Apostels gereicht haben!³⁷⁶
An dieser Stelle kann der Seitenblick auf die Predigten Schleiermachers abgebrochen werden. Die Untersuchung der Phil-Predigtreihe 1817/18 hat mit der Analogisierung der Lesersituation der ersten Adressaten und der Gegenwart ein grundlegendes hermeneutisches Prinzip der Predigten freigelegt. Paulus wird in Schleiermachers Auslegungen zum Vorbild des christlichen Lebens im Sinne der Heiligung. Die Predigten sollen ihre Hörer erbauen und zu eben solchem Leben in der Heiligung motivieren. Exegese und Predigt sind für Schleiermacher wie die allgemeineren Begriffe „Verstehen“ und „Auslegung“ aufeinander bezogen, sie fallen dabei aber keinesfalls zusammen. Beide haben ihre jeweils spezifischen Aufgaben. So hat das Paulusbild der Exegese eine andere Funktion als das Paulusbild der Predigten. Die zum Zweck des Verstehens der Briefe gewonnenen Einsichten zur Biographie und Sprache des Paulus fließen ein in das Bild des auch für die Gegenwart mustergültigen Christen. Die hermeneutische Arbeit darin besteht in der Frage, in welcher Hinsicht Paulus auch für die Gegenwart als mustergültiger Christ gelten kann. Der Zweck der Darstellung des christlichen Lebens unter Verwendung der neutestamentlichen Texte motiviert die exegetische Arbeit und unterscheidet sie lediglich von ihrer Abzweckung, nicht jedoch von der verwendeten Methode von der Arbeit historischer Wissenschaften.
6 Schleiermacher als Neutestamentler Schleiermachers Exegesen umfassen große Teile seines wissenschaftlichen und kirchlichen Werkes. Mit Blick auf die zugrundeliegenden hermeneutischen Grund-
Predigten 1816 – 1819, KGA III/5, 370. Der Schlusssatz der 1822/1823 gehaltenen Phil-Predigtreihe lautet: „So laßt uns denn wie der Apostel sagt, Gutes thun, und nicht müde werden, damit wir auch erndten ohn Aufhören.“ Predigten 1822– 1823, KGA III/7, 662. Predigten 1816 – 1819, KGA III/5, 373.
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III Hermeneutische Konkretionen
sätze zeigt sich der methodisch-systematische Zusammenhang der unterschiedlichen Arbeitsgebiete. Das Verhältnis von Exegese und Predigt wurde hier exemplarisch an dem jeweiligen Paulusbild untersucht und hinsichtlich der hermeneutischen Prinzipien befragt. Dabei zeigt sich, wie Schleiermacher die neutestamentliche Exegese unter Rückgriff auf eine allgemeine Hermeneutik konzipiert und durchführt. Die exegetischen Arbeiten zu 1 Tim und die Platonübersetzung entstehen zur gleichen Zeit. Beide Projekte sind für ihn von wesentlicher Bedeutung für sein wissenschaftliches Selbstverständnis. So schreibt er an seinen Freund und Verleger Georg Reimer: „Neben dem Platon arbeite ich an einer theologisch kritischen Schrift über den 1ten Brief an den Timotheus; sie soll meine eigentliche theologische Laufbahn eröffnen“.³⁷⁷ Als Anwendungsgebiete der Hermeneutik sind für Schleiermacher die Übersetzungsarbeit und die Exegese besonders im Blick. Platon wie Paulus sind für ihn nicht nur Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, sondern auch Identifikationsfiguren und Vorbilder, was sich an seinem eigenen philosophischen Werk ebenso ablesen lässt wie an seinen Predigten. Die Exegese ist damit eine der wichtigsten Konkretionen von Schleiermachers Hermeneutikkonzept. An seinen Jugendfreund Gaß schreibt Schleiermacher über seine Paulusstudien: „Den Apostel hoffe ich nun bald so gut zu verstehen als den Platon selbst.“³⁷⁸
D Theorie und Praxis Hermeneutik ist nie ohne Praxisbezug. Auch Schleiermachers allgemeine Theorie des Verstehens ist aus hermeneutischer Praxis gewonnen und auf diese anzuwenden. Schleiermacher hat in seiner Hermeneutikvorlesung immer auch Beispiele zumeist aus der Exegese, zum Teil aber auch aus seiner Arbeit am Platon angeführt. Seine Rezensionstätigkeit zeigt darüber hinaus, dass sich die Praxis der Hermeneutik keineswegs auf antike Quellen beschränkt. Die Hermeneutik übt sich, wie es die Vorlesungen mehrfach ausdrücklich sagen, in jedem Gespräch. Aus der Zusammenschau unterschiedlicher Anwendungsgebiete lässt sich eine Überbewertung einzelner Teilgebiete für die Genese der Schleiermacherschen Hermeneutik relativieren. Schleiermacher hat sowohl literarische, philologische und theologische Vorbilder, die er in seiner Hermeneutik verbindet. Die Hermeneutikgeschichte hat diese Bezugnahmen gern mit dem auch von Schleiermacher selbst artikulierten Überbietungsgestus rekonstruiert. Hat man diese Bezugnahmen aber der Sache nach vor Augen, relativiert sich Schleiermachers Innovationskraft. Die systematischen Konsequenzen allerdings, die sein Spachverständnis (s. Kap. I) und seine
Brief an G. A. Reimer. Halle, nach Mitte November 1806. Briefwechsel 1806 – 1807, KGA V/9, 206. Brief an J. C. Gaß. Halle, Ende Juni/Anfang Juli 1806. Briefwechsel 1806 – 1807, KGA V/9, 58.
D Theorie und Praxis
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Hermeneutikvorlesungen verbinden (s. Kap. II), sowie die in diesem Kapitel nachvollzogenen Anwendungen seiner Hermeneutik sind das Ergebnis einer beeindruckenden Leistung von hermeneutischer Theorie und Praxis. Bleibende Bedeutung für die Geschichte der Literarkritik haben Schleiermachers Beiträge zum Athenaeum. In der Altertumswissenschaft und Philologie werden die Arbeiten zu Platon und Heraklit als Klassiker gehandelt und die Theologie hat Schleiermacher unter anderem auch in der neutestamentlichen Forschung einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Deuteropaulinismus zu verdanken. Die Bedeutung von Klassikern muss sich immer auch in der Gegenwart erweisen. Schleiermacher als Klassiker der Hermeneutik für die gegenwärtige systematische Theologie darzustellen, ist das Ziel der folgenden Kapitel.
IV Kunst und Kritik. Grund und Grenze protestantischer Schrifthermeneutik Das hermeneutische Bewußtsein ist solange unvollständig, als es die Reflexion der Grenze hermeneutischen Verstehens nicht in sich aufgenommen hat. (J. Habermas, Der Universalitätsanspruch der Hermeneutik, 133)
Die Hermeneutiken in den einzelnen Teildisziplinen der Theologie gehen von verschiedenen Verstehenskonzepten aus. Alt- und neutestamentliche Hermeneutiken treten neben gesamtbiblische und kontextuelle Hermeneutiken, Geschichtshermeneutik und Diskurstheorie, Text-, Hörer- und Situationshermeneutik neben die Hermeneutik gelebter Religion, die Hermeneutik des Daseins, des Lebens oder des Ereignisses, des Sinns beziehungsweise der Orientierung am Wort Gottes. Es kann im Folgenden nicht darum gehen, die genannten Stichworte und die damit verbundenen Konzepte im Einzelnen vorzustellen. Der Rekurs auf Schleiermachers Schrifthermeneutik soll stattdessen zu einer kritischen Prüfung des in der Theologie mitunter unscharf verwendeten Hermeneutikbegriffs und zur Klärung der Aufgabe protestantischer Schrifthermeneutik verhelfen. Ein erster Schritt dazu ist mit der Untersuchung der Hermeneutik in Schleiermachers neutestamentlicher Exegese bereits im vorangegangenen III. Kapitel geleistet worden. Dabei hatte sich gezeigt, dass in der Spezialhermeneutik der exegetischen Praxis seine allgemeine Hermeneutik zur Anwendung kommt.³⁷⁹ Welche Funktion die Hermeneutik im Zusammenhang der Schleiermacherschen Dogmatik hat, lässt sich aber erst (A) durch eine Interpretation der Glaubenslehre zeigen. Darüber hinaus sollen (B und C) in Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Entwürfen zur Schriftlehre Kriterien für eine protestantisch-theologische Hermeneutik im Anschluss an Schleiermacher gewonnen werden. Das Tableau der vertretenen Konzeptionen kann dabei anhand der unterschiedlichen Deutungen des Weihnachtsfestes in Schleiermachers Weihnachtsfeier veranschaulicht werden.
Explizit zum hier zu untersuchenden Thema äußert sich die Studie Das Verhältnis der Dogmatik zu Kritik und Auslegung der Heiligen Schrift nach Schleiermacher (1874) von Ludwig Lemme. Er arbeitet den Zusammenhang zwischen Schleiermachers Exegese und seiner Schriftlehre heraus und fordert in seiner kritischen Würdigung eine größere Bedeutung der Lehre von der Heiligen Schrift in der Dogmatik. https://doi.org/10.1515/9783110684599-005
A Die Schrifthermeneutik der Glaubenslehre
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A Die Schrifthermeneutik der Glaubenslehre Theologische Schrifthermeneutik kann nach Schleiermacher diejenige Kunstlehre des Verstehens heißen, die in ihrer Methode der allgemeinen Hermeneutik folgt und diese in den Dienst der Theologie stellt. Sie ist damit nicht durch einen besonderen Gegenstand oder eine eigenständige Interpretationstechnik, sondern durch ihre bestimmte Absicht von der allgemeinen Hermeneutik unterschieden.³⁸⁰ Es wurde bereits deutlich, dass es ein besonderes Interesse am Christlichen ist, das die neutestamentliche Exegese im Unterschied zu einer rein historischen Untersuchung der Texte motiviert. In der Glaubenslehre entfaltet Schleiermacher die Bedeutung dieser Hermeneutik für die Dogmatik. Traditionell wurde die Schriftlehre sowohl in den Prolegomena im Kontext der Offenbarung als auch unter den Heilsmitteln verhandelt. Schleiermachers Glaubenslehre betont den zweiten, soteriologischen Aspekt der Schriftlehre nachdrücklich, indem er in den Prolegomena nur kurz und dann ausführlich unter den Heilsmitteln auf die Schriftlehre zu sprechen kommt. Eine Interpretation letzterer Passagen tut gut daran, die komplexe systematische Komposition zu berücksichtigen, in welcher Schleiermacher die Schriftlehre mit seiner Pneumatologie und Ekklesiologie verbindet. Es genügt dabei nicht, Schleiermachers Verortung der Schrifthermeneutik in der Glaubenslehre allein durch die Abgrenzung von der vorherigen traditionellen Stellung des Lehrstücks in den Prolegomena zu interpretieren. Auch die konstruktive Funktion, die der Hermeneutik in Schleiermachers Entwurf zuwächst, muss berücksichtigt werden. Wie sich die Hermeneutik in die Systematik seiner reifen Theologie in der Glaubenslehre einfügt, wurde in einer Reihe von Arbeiten untersucht, die ihren Schwerpunkt auf die Interpretation (a) der Pneumatologie oder (b) der Ekklesiologie gelegt haben und in diesem Zusammenhang auch auf die Schriftlehre eingehen. Zu nennen wären zunächst (a) einige Arbeiten zu Schleiermachers Geistbegriff. Wilfried Brandt wirft Schleiermacher in Der Heilige Geist und die Kirche bei Schleiermacher (1968) vor, dass er die Schrift nicht konsequent genug als Christusoffenbarung auffasse: „Zwar steht Christus heute im Wort der Schrift nicht der Kirche mit ihrem Gemeingeist gegenüber; denn dies Wort war ja schon Wort des Gemeingeistes und ist also – wenigstens potentiell – immer schon Wort des Gemeingeistes und ist also – wenigstens potentiell – immer noch unser eigenes Wort. Aber Christus selbst war doch ursprünglich dem Gemeingeist der Kirche voraus, er war der erste.“³⁸¹ Schleiermachers Verhältnisbestimmung von Christologie und Pneumatologie wird hier pneumatologisch interpretiert und dann christologisch kritisiert. Ähnlich gelagert ist die
Anders z. B. Steiger, Die Hermeneutik als dogmatisches Problem, 7: „Die Theologie hat auf Grund ihres Gegenstandes eine einzigartige und ganz bestimmte Beziehung zum Verstehen des Menschen aufzuzeigen, welche weder ein Sonderfall allgemeiner Verständnisbezüge noch ein schlechthin unmöglicher Bezug für das Verstehen überhaupt ist und sein will.“ Schleiermacher gilt Steiger als Ausgangspunkt eines „transzendentalen Ansatzes“ in der Hermeneutik. Vgl. Ebd., 9 – 26. Brandt, Der Heilige Geist und die Kirche bei Schleiermacher, 215.
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IV Kunst und Kritik. Grund und Grenze protestantischer Schrifthermeneutik
offenbarungstheologische Kritik an Schleiermachers theologischer Hermeneutik bei Theodor Holzdeppe Jørgensen Das religionsphilosophische Offenbarungsverständnis des späten Schleiermacher (1977), der in seiner Studie von der Wortwerdung Gottes auf das Verstehen Christi zusteuert. Die Sprachwerdung Gottes müsse stärker die Wechselseitigkeit in der Sprache herausarbeiten und insbesondere auch die Christologie einbeziehen, die bei Schleiermacher der Gotteslehre untergeordnet sei. Für Martin Diederich Schleiermachers Geistverständnis (1999) unterläuft Schleiermachers Schriftlehre die paulinische Unterscheidung von Buchstabe und Geist, wenn er Gemeingeist und das Wort auseinanderhalte: „Das Wort ist für ihn [Schleiermacher] nicht bereits selber ein sich von dem toten Buchstaben Ablösendes, so daß eben in dieser Bewegung des Ablösens selber der Geist sich gegenwärtig macht.“³⁸² Das Geistverständnis, das Diederich aus dem Gesamtwerk Schleiermachers zu rekonstruieren versucht, sei dahingehend defizitär, dass der Geist sich nicht in der Sprache objektiviere. Diese Kritik an Schleiermachers Geist- und Sprachverständnis nimmt Anleihen an der Schleiermacherdeutung seines Lehrers Joachim Ringleben. Dorothee Schlenke konzentriert sich in „Geist und Gemeinschaft“ (1999) auf eine Interpretation des Geistbegriffs in der Glaubenslehre und zeigt hellsichtig die komplexen Verbindungen auf, mit denen das Lehrstück in die Systematik des Werkes eingeflochten ist. Eine Schlüsselrolle spielt dabei das von ihr „Erste-Jünger-Argument“, nach dem „im christlich-frommen Bewußtsein als Gefühl keine Differenz zwischen Anfang (erste Jünger) und Fortbestehen (aktuelle christliche Frömmigkeit) aufgemacht werden kann.“³⁸³ Schlenke findet diese Kontinuitätsthese letztlich nicht überzeugend, wodurch sich in der materialen Durchführung der Pneumatologie und damit auch im Bereich der Schriftlehre ihrer Ansicht nach Unstimmigkeiten ergeben. So vermisst sie bei Schleiermacher etwa die paulinische Verbindung von Auferstehung und Geistgabe oder Ansätze zur Integration trinitarischer Gotteslehre in seine Pneumatologie.³⁸⁴ In der Forschung zu Schleiermachers Pneumatologie begegnet mehrfach der Vorwurf einer Spiritualisierung der Hermeneutik. Der Einwand steht in gewisser Analogie zur Verengung von Schleiermachers Position in der allgemeinen Hermeneutik. War dort die psychologische Interpretation zum Zentrum seiner Hermeneutik ausgerufen worden, so wird in der Theologie eine Loslösung der Hermeneutik von historischer Kontextualisierung und theologischen Inhalten unterstellt. Als Beleg dient vielfach die berühmte Passage aus den Reden: Jede heilige Schrift ist nur ein Mausoleum der Religion, ein Denkmal, daß ein großer Geist da war, der nicht mehr da ist; denn wenn er noch lebte und wirkte, wie würde er einen so großen Wert auf den toten Buchstaben legen, der nur ein schwacher Abdruck von ihm sein kann? Nicht der hat
Diederich, Schleiermachers Geistverständnis, 274. Schlenke, „Geist und Gemeinschaft“, 286. Vgl. Schlenke, „Geist und Gemeinschaft“, 452.
A Die Schrifthermeneutik der Glaubenslehre
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eine Religion, der an eine heilige Schrift glaubt, sondern der, welcher keiner bedarf, und wohl selbst eine machen könnte.³⁸⁵
Schleiermacher wendet sich in den Reden allerdings nicht, wie Jochen Hörisch in Die Wut des Verstehens (1998) behauptet hat, prinzipiell gegen eine Verbindung von Religion und Hermeneutik.Vielmehr bestimmt Schleiermacher die Funktion der heiligen Schrift für die Religion in der Glaubenslehre genauer als in den Reden, in denen er zunächst nur die paulinische Differenz von Buchstabe und Geist einschärft. Besondere Beachtung hat in der Forschung neben der Pneumatologie auch (b) die Ekklesiologie der Glaubenslehre erfahren, in der auch die Schriftlehre mitverhandelt wird. Wilhelm Christe sieht die Schriftlehre in Kirche und Welt (1996) von der Welt beeinflusst: „An zwei Punkten greift nach Schleiermacher die Welt – überwiegend negativ – in die Gestalt der Schrift ein: Der eine Punkt ist die Kanonbildung. (…) Der andere Punkt betrifft die Kanonizität und Stellung des Alten Testamentes.“³⁸⁶ Nicht durch die Welt, sondern durch die Christologie sieht Christoph Dinkel Kirche gestalten (1996) in der Schriftlehre einen Rahmen für die gesamte Ekklesiologie Schleiermachers aufgespannt: „Um der Wahrung der Identität der christlichen Kirche Willen ist sie (…) die Norm für alle auf sie folgenden Darstellungen des christlichen Glaubens und verbindliche Richtschnur für Lehre, Verkündigung und Leben der Kirche.“³⁸⁷ In seiner Interpretation der Eschatologie in der Glaubenslehre kommt auch Martin Weeber in Schleiermachers Eschatologie (2000) auf die theologische Hermeneutik zu sprechen. Er bestimmt die Funktion der Schrift für die Kirche als „Instanz, welche in zuverlässiger Kontinuität die Darstellung der Persönlichkeit Christi präsent hält.“³⁸⁸ Die Verortung des Lehrstücks in der Ekklesiologie ist für Weeber die Folge eines spezifisch protestantischen Kirchen- und Glaubensbegriffs.³⁸⁹ Michael Moxter sieht den Grund für die Umstellung des Lehrstücks darin, dass Schleiermacher „auf diese Weise Raum für einen neuen Typ der Prolegomena, der Einleitung in die Glaubenslehre“ gewinnt.³⁹⁰ Im Unterschied zu den bisher genannten Arbeiten haben Ulrich Barth Christentum und Selbstbewusstsein (1983) und Jörg Dierken Glauben und Lehre (1996) die Glaubenslehre primär unter systematischen Perspektiven interpretiert, die nicht aus der Theologie Schleiermachers selbst gewonnen werden. Dabei gelingt es ihnen Schleiermachers theologische Hermeneutik in der Glaubenslehre sowohl der pneumatologischen als auch der ekklesiologischen Funktion nach einzuordnen. Barths Dissertation versucht Schleiermachers Dogmatik auf eine subjektivitätstheoretische Grundlage zu stellen. Christologie und Soteriologie werden darin als Identitäts- und
Reden über die Religion, KGA I/2, 242. Christe, Kirche und Welt, 143 f. Kursivierungen wie im Original. Dinkel, Kirche gestalten, 71. Weeber, Schleiermachers Eschatologie, 55. Vgl. Weeber, Schleiermachers Eschatologie, 66. Moxter, Schrift als Grund und Grenze von Interpretation, 160, FN 44.
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IV Kunst und Kritik. Grund und Grenze protestantischer Schrifthermeneutik
Differenzprinzip religiöser Selbstauslegung verstanden. Die Ekklesiologie – und darin auch die theologische Hermeneutik – „formuliert das Limitationsprinzip religiöser Selbstauslegung, indem sie die wechselseitige Begrenzung des Prinzipiierten als eine notwendige Bedingung dafür angibt, daß das Prinzipiierte die Prinzipienfunktion des Identitätsprinzips darzustellen vermag.“³⁹¹ Auch in der Habilitation von Jörg Dierken Glauben und Lehre (1996) ist der Übergang von der Christologie zur Pneumatologie und Ekklesiologie von entscheidender Bedeutung für das Verhältnis von Glaubensvollzug und Glaubenslehre. Erst durch die Verbindung von Vollzugs- und Sozialitätsdimensionen des Glaubens kann Schleiermachers Glaubenslehre eine Reihe von theorieimmanenten Problemen umgehen: „In diesem Überschritt wird nicht nur der Mangel an Bestimmtheit kompensiert, der mit der vollendeten Kräftigkeit des Gottesbewußtseins im Erlöser einhergeht, sondern es wird auch die Ungeschichtlichkeit korrigiert, in der faktisch die geschichtliche Entfaltung des Christentums durch die schlechterdings transparente Individualität seines Stifters gipfelt.“³⁹² In Bezug auf die Schrift spricht Dierken von einer „lebendigen Veränderlichkeit“ durch die Integration von Hermeneutik und Kritik. Die Funktion der Schrift für die Glaubenslehre bestehe darin, die „Unwandelbarkeit der Kirche“ in „ihrer weltbedingten Wandelbarkeit zu verbürgen.“³⁹³ Jörg Lauster hat in Prinzip und Methode (2004) die theologische Hermeneutik Schleiermachers mit Blick auf die Geschichte der protestantischen Schriftlehre in der Neuzeit untersucht und dabei vor allem „die Höhe des Problembewußtseins seiner Erörterungen“ gewürdigt, die „zuvor kaum und nachher selten erreicht wurde.“³⁹⁴ Die in Lausters Buch aufgemachte Grundspannung von (protestantischem) Schriftprinzip und (historischer) Methode sei auch in Schleiermachers Theologie durch einen ambivalenten Umgang mit historischer Kritik gegeben, die einerseits hoch geschätzt werde, andererseits aber prinzipiell unabhängig von Theologie und Religionstheorie angelegt sei.³⁹⁵ Noch breiter angelegt ist die Einordnung Schleiermachers in den Kontext der christlichen Schrifthermeneutik und Bekenntnisbildung bei Jan Rohls Schrift, Tradition und Bekenntnis (2013), der kenntnisreich und pointiert im Rahmen seiner Ideengeschichte des Christentums Quellen von der Antike bis in die Gegenwart vorstellt. Bereits Joachim Wach nahm Schleiermachers theologische Hermeneutik im zweiten Band seiner Studie Das Verstehen (1929) zum Ausgangspunkt seiner Darstellung theologischer Hermeneutiken des 19. Jahrhunderts: „Wie ein Berg, den man sich zu erklimmen bemüht hat, wenn man nach der Niederung fortschreitend, sich von ihm entfernt, noch einmal in seiner ganzen Größe und Mächtigkeit den sich von ihm Entfernenden beeindruckt, so wird, im Fortgang unserer Betrachtungen, immer wieder einmal das gewaltige Massiv des Schleiermacherschen Systems in der Ferne
Barth, Christentum und Selbstbewusstsein, 105 [6.1113]. Dierken, Glauben und Lehre, 398 f. Dierken, Glauben und Lehre, 402 f., FN 127. Lauster, Prinzip und Methode, 49. Vgl. Lauster, Prinzip und Methode, 64 f.
A Die Schrifthermeneutik der Glaubenslehre
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auftauchen und manchen kleinen Gipfel und Hügel, auf den uns unsere Wanderung führt, überragen.“³⁹⁶ Aus der Forschungslage ergibt sich für die Interpretation der Schriftlehre in der Glaubenslehre die Aufgabe, die Schrifthermeneutik Schleiermachers in ihren christologischen, soteriologischen und ekklesiologischen Zusammenhang einzuordnen. Es wird zudem zu prüfen sein, wo die Grenzen von Schleiermachers theologischer Schriftlehre liegen. Dem Aufbau des zweiten Bandes der Glaubenslehre folgend ist die soteriologische Funktion der Schrift in ihrer Bedeutung für die Christologie zu suchen. Vor diesem Hintergrund kann dann das Verhältnis der Schriftlehre zur Pneumatologie und zur Ekklesiologie näher bestimmt werden.³⁹⁷ Die Heilige Schrift ist Heilsmittel, weil sie „Zeugniß von Christo“³⁹⁸ gibt. Der gesamte zweite Band (§§86 – 169) der Glaubenslehre ist als Gnadenlehre, als Soteriologie, angelegt. Dieser Gnadenlehre untergeordnet sind alle anderen hier vorzustellenden Lehrbestände.³⁹⁹ Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Christologie (§§92– 105) zu, deren Lehre von Person und Werk Christi die weiteren Ausführungen der Soteriologie strukturieren. Schleiermachers Christologie übt Kritik an der Zwei-Naturen-Lehre, in der traditionellerweise die Voraussetzungen des Heilswerkes Christi durch eine Näherbestimmung der Person Jesu Christi erläutert werden. In der Glaubenslehre wird die Lehre von der Person Christi (§§93 – 99) ganz in den Dienst der Soteriologie gestellt: „Die eigenthümliche Thätigkeit und die ausschließliche Würde des Erlösers weisen auf einander zurükk, und sind im Selbstbewußtsein der Gläubigen unzertrennlich eines.“⁴⁰⁰ Statt des Naturbegriffs verwendet Schleiermacher den platonischen Ausdruck „Urbild“: „so mußte er [der Erlöser] als geschichtliches Einzelwesen zugleich urbildlich sein (…), und jeder geschichtliche Moment desselben zugleich das urbildliche in sich tragen.“⁴⁰¹ Die Verbindung von Person und Werk Christi sieht Schleiermacher in der Urbildlichkeit des Erlösers. Er ist Urbild, indem er in unüberbietbarer Weise in Gemeinschaft mit Gott lebt und die Gläubigen mit in dieses Gottesverhältnis hineinnimmt: „Wir haben die Gemeinschaft mit Gott nur in einer solchen Lebensgemeinschaft mit dem Erlöser, worin seine schlechthin unsündliche Voll-
Wach, Das Verstehen, Bd. 2, 47. Die folgenden Zitate und Paragraphenzählungen beziehen sich auf die 2. Auflage der Glaubenslehre [CG²]. Zum Vergleich der Auflagen vgl. Junker, Das Urbild des Gottesbewußtseins. CG², KGA I/13.2, 309 [§127, Leitsatz]. Vgl. zum Folgenden Brandt, Der Heilige Geist und die Kirche bei Schleiermacher, 60 ff.; Lauster, Prinzip und Methode, 50 – 52; Schlenke, „Geist und Gemeinschaft“, 282 ff. und Weeber, Schleiermachers Eschatologie, 48 – 73. Zur werkgeschichtlichen Entwicklung der Christologie Schleiermachers vgl. Lange, Historischer Jesus oder mythischer Christus und Braungart, Mitteilung durch Darstellung. CG², KGA I/13.2, 38 [§92, Leitsatz]. CG², KGA I/13.2, 41 [§93, Leitsatz].
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IV Kunst und Kritik. Grund und Grenze protestantischer Schrifthermeneutik
kommenheit und Seligkeit die freie aus sich herausgehende Thätigkeit darstellt, die Erlösungsbedürftigkeit des Begnadigten aber die freie in sich aufnehmende Empfänglichkeit.“⁴⁰² Folglich ist die Soteriologie nichts anderes als die lehrhafte Explikation des Wirkens Christi durch seine Urbildlichkeit. Die die Struktur der folgenden Teile der Glaubenslehre bestimmende teleologische Entwicklung von Entstehen, Bestehen und Vollenden des individuellen wie gemeinschaftlichen christlichen Lebens wird mit Christi Erlösungs- und Versöhnungswerk (§§100 f.) verbunden. Schleiermacher sieht sich in einer Mittelposition zwischen einer supranaturalistisch-„magischen“ und einer rationalistisch-„empirischen“ Auffassung. Erstere führe alle Wirksamkeit Christi ganz auf seine Göttlichkeit zurück und sei daher doketisch. Die zweite beschränke sich auf wahrnehmbare Folgen des Wirkens Christi etwa im Bereich der Sittlichkeit. Schleiermacher möchte dagegen Göttliches und Menschliches durch seine Theorie der Urbildlichkeit auch in Christi Wirken vereint wissen. So ist die individuelle Erlösung genauso an die Vereinigung der Gemeinschaft der Gläubigen gebunden wie umgekehrt die gemeinschaftliche Vervollkommnung der Seligkeit nicht ohne den Glauben des Einzelnen zu denken ist. Erlösung und Versöhnung bedürfen einander. Daher ist trotz des Einstiegs mit der auf den einzelnen Christen bezogenen Seite der Soteriologie keineswegs eine Vorgängigkeit der individuellen vor der sozialen Seite des Christseins angenommen. Die wechselseitige Verschränkung der verschiedenen Teile der Soteriologie muss von ihrer christologischen Begründung her interpretiert werden, von der sich Schleiermachers weitere Ausführungen herleiten. Eine Schlüsselrolle für die Sortierung der traditionellen Heilsmittel in seiner Soteriologie nimmt Schleiermachers Interpretation der Drei-Ämter-Lehre (§§102– 105) ein. Die bereits in der Verbindung von Erlösungs- und Versöhnungswerk beschriebenen Wechselwirkungen werden hier weiter ausdifferenziert. Auch das Heilswerk der drei Ämter soll nicht jeweils nur für sich, sondern immer im Zusammenhang mit den anderen beiden Ämtern wirksam sein. In der Kirche als Leib Christi spiegelt sich für Schleiermacher diese Lehre in verschiedenen Handlungsfeldern. Mit jedem Amt Christi korrelieren in der Ekklesiologie zwei Aufgaben der Kirche. Es ergibt sich das folgende Schema: Amt Christi
Bestehen der Kirche (§§ – )
Prophet (§)
Von der heiligen Schrift (§§ – ) Vom Dienst am göttlichen Wort (§§ – )
Priester (§)
Von der Taufe (§§ – ) Vom Abendmahl (§§ – )
König (§)
Vom Amt der Schlüssel (§§ – ) Vom Gebet im Namen Jesu (§§ – )
CG², KGA I/13.2, 35 [§91, Leitsatz].
A Die Schrifthermeneutik der Glaubenslehre
101
Aufgrund der hier angezeigten Verbindung von Prophetenamt Christi und Schriftlehre, soll Schleiermachers Interpretation dieses Lehrstücks kurz umrissen werden. Es finden sich hier bereits einige wichtige Weichenstellungen für seine theologische Hermeneutik. Das Christusbild der Schriftlehre darf aus systematischen Gründen für Schleiermacher kein anderes sein, als dasjenige, das Christus selbst gelehrt und gelebt hat. Der Leitsatz lautet: Das prophetische Amt Christi besteht im Lehren, Weissagen und Wunderthun.“⁴⁰³ Der hermeneutische Zugang, den Schleiermacher zur Erörterung der Heilswirksamkeit Christi in diesem Amt wählt, nimmt Bezug auf seine allgemeine Verstehenslehre. Christi Lehre,Weissagung und Wunder sollen aus einem gemeinsamen Anfangsgrund heraus verstanden werden: „die Verkündigung des Reiches Gottes war beides Lehre und Weissagung; und wie eben das Reich Gottes selbst das eigentliche durch Christum vollbrachte Wunder ist, die Erfüllung aber auch gleich mit der Verkündigung anfing, so war alles dreies in einem und demselben Keim, und wir können es nur vereinzeln in der weiteren Entwicklung dieses Keimes.⁴⁰⁴
Nach einem solchen gemeinsamen „Keim“ hatten die Urbildtheorie in der Christologie, aber auch die psychologische Interpretation der allgemeinen Hermeneutik gefragt. Aus diesem „Keim“ soll nun auch alle christliche Lehrbildung erwachsen. Die „Lehre Christi“ und die „Lehre von Christo“ dürfen nicht voneinander getrennt werden, da dies eine mögliche Vervollkommnung der Lehre wäre, die die besondere Bedeutung Christi in Frage stellen würde.⁴⁰⁵ Jesus Christus ist Gipfel und Ende der Prophetie, der Weissagungen und der Wunder. Alle drei alttestamentlichen Motive sind für Schleiermacher in Christi Leben und Wirken in unüberbietbarer Weise vereint. Bereits hier zeichnet sich der systematische Grund für Schleiermachers Umgang mit dem Alten Testament in der Schriftlehre ab. Die Lehre Christi ist allein durch sein Leben und Wirken zu verstehen, die allein das Neue Testament überliefert. Der christliche Glaube ist ein durch Christus bestimmter Glaube, in dem allein das Urbild Christi heilswirksam ist. Das gilt dann auch für das Wirken des Heiligen Geistes.⁴⁰⁶ Dieser darf folglich nichts anderes sein, als diejenige Art und Weise, in der Christinnen und Christen sich in ihrem Glauben und Leben von Christus bestimmen lassen. Die individuelle Heiligung tritt nach Außen durch gemeinsame Aktivität:
CG², KGA I/13.2, 123 [§103, Leitsatz]. CG², KGA I/13.2, 123 f. [§103.1, Erläuterung]. Vgl. CG², KGA I/13.2, 124– 128 [§103.2, Erläuterung]. Zu den hier übersprungenen Paragraphen der individuellen Soteriologie vgl. Schmidtke, Wiedergeburt und Heiligung. Zum Verhältnis von Pneumatologie und Christologie vgl. Diederich, Schleiermachers Geistverständnis, 178 – 220.
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IV Kunst und Kritik. Grund und Grenze protestantischer Schrifthermeneutik
Alle im Stande der Heiligung lebenden sind sich eines innern Antriebes, im gemeinsamen Mitund gegenseitigen Aufeinanderwirken immer mehr Eines zu werden als des Gemeingeistes des von Christo gestifteten neuen Gesammtlebens bewußt.⁴⁰⁷
Dieser „Gemeingeist“ ist nichts anderes als der Heilige Geist (§123).⁴⁰⁸ Damit stellt sich Schleiermacher gegen eine aus der Lehre von der Trinität abgeleitete Pneumatologie.⁴⁰⁹ Seine Pneumatologie ist vielmehr christologisch – streng genommen soteriologisch – angelegt. Das muss gerade auch in Bezug auf die Unterordnung der Pneumatologie unter die Ekklesiologie (§§115 – 163) festgehalten werden. Die Ekklesiologie Schleiermachers geht dabei keineswegs von einer Gegenüberstellung von Kirche und Welt aus, wie die Überschrift des Abschnittes „Von der Beschaffenheit der Welt bezüglich auf die Erlösung“ auch interpretiert wurde.⁴¹⁰ Es handelt sich lediglich um Aussagen „über Beschaffenheiten der Welt, nämlich nur für das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl und in Beziehung auf dasselbe.“⁴¹¹ Von einem Gegenüber von Kirche und Welt kann an dieser Stelle keine Rede sein. Kirche ist für Schleiermacher vielmehr diejenige Form von Gemeinschaft, in der Christinnen und Christen in der Welt leben: „Alles was durch die Erlösung in der Welt gesezt wird, ist zusammengefaßt in der Gemeinschaft der Gläubigen, in welcher sich alle Wiedergebohrne immer schon finden; (…) der christlichen Kirche.“⁴¹² Auch wenn es richtig ist, dass Schleiermacher seine Hermeneutik in der Ekklesiologie verhandelt, liegt eine entscheidende Präzisierung darin, dass sie nicht unter der Überschrift „Entstehung der Kirche“, sondern unter „Bestehen der Kirche“ zu finden ist. Zur „Entstehung der Kirche“ nach dem Tod Jesu gehören für Schleiermacher die Lehren von der Erwählung und vom Heiligen Geist.⁴¹³ Die Heilige Schrift ist folglich nicht eine Voraussetzung der beständigen Tätigkeit Christi oder des Heiligen Geistes, sondern eine Folge ihrer beständigen soteriologischen Wirksamkeit in der Welt. Bereits aus dieser systematischen Anlage des Lehrstücks ergibt sich so die These des Eröffnungsparagraphen:
CG², KGA I/13.2, 278 [§121, Leitsatz]. Gegen Brandt, Der Heilige Geist und die Kirche bei Schleiermacher, 49: „Den Begriff des Heiligen Geistes entwickelt Schleiermacher nicht aus dem frommen Bewußtsein, sondern er nimmt ihn aus der Schrift.“ Vgl. CG², KGA I/13.2, 288 f. [§123.1, Erläuterung]. Gegen Christe, Kirche und Welt, 2 f., der einen vierfachen Weltbegriff im Anschluss an Josef Ratzinger in seine Schleiermacherinterpretation einträgt. CG², KGA I/13.1, 194 [§30.1, Erläuterung]. CG², KGA I/13.2, 229 [§113, Leitsatz]. Zur Ekklesiologe in der Glaubenslehre vgl. Dinkel, Kirche gestalten, 63 – 85. Zum Verhältnis von Pneumatologie und Ekklesiologie vgl. Diederich, Schleiermachers Geistverständnis, 221– 285.
A Die Schrifthermeneutik der Glaubenslehre
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Das Ansehen der heiligen Schrift kann nicht den Glauben an Christum begründen, vielmehr muß dieser vorausgesezt werden um der heiligen Schrift ein besonderes Ansehen einzuräumen.⁴¹⁴
Der Glaube an Christus ist theologisch betrachtet kein Ergebnis rationaler Argumentation.⁴¹⁵ Er ist Wirkung des Heiligen Geistes, der alles christliche Handeln in einem durch Christus bestimmten Gesamtleben eint. Interpretiert man die theologische Schriftlehre Schleiermachers vor diesem Hintergrund, wird deutlich, dass alle ekklesiologischen und pneumatologischen Lesarten zu kurz greifen, die nicht die christologisch fundierte Soteriologie Schleiermachers und die Funktion des Lehrstücks in diesem Kontext herausarbeiten. Entsprechend müsste auch eine Kritik an Schleiermachers theologischer Hermeneutik danach fragen, ob der Lehre von der Heiligen Schrift neben ihrer soteriologischen Funktion auch andere Aufgaben in der Explikation des christlichen Bewusstseins zukommen. Der Heilige Geist ist für Schleiermacher wie für das Johannesevangelium ein Hermeneut auf Christus hin. Wie aber wirkt der Geist durch die Schrift? „Die einzelnen Bücher des neuen Testamentes sind von dem h. Geist eingegeben, und die Sammlung derselben ist unter der Leitung des h. Geistes entstanden.“⁴¹⁶ Dieser erste Lehrsatz klingt zunächst nach traditioneller Inspirationslehre: Sowohl die Abfassung als auch die Kanonisierung des neutestamentlichen Kanons sind geistgewirkt.⁴¹⁷ Schleiermacher spricht sich dabei aber dagegen aus, dass die Verfasser der Texte oder die Texte selbst der Grund für ihre theologische Dignität seien. Nicht der Text ist die göttliche Offenbarung, sondern allein Christus. Weil alles, was sie [die heiligen Schriftsteller] lehren, auf Christus zurückgeführt wird: so muß auch in Christo selbst die ursprünglich göttliche Kundmachung alles in den heiligen Schriften Enthaltenen sein (…).⁴¹⁸
Schleiermachers Inspirationslehre geht nicht von der Offenbarung im biblischen Zeugnis i.S. einer Verbalinspiration, auch nicht von einer besonderen Eingebung der Autoren i.S. einer Personalinspiration, sondern von der ausschließlichen Offenbarung in Christus aus: „Die allgemeine Gewohnheit aber, die heilige Schrift auch die Offenbarung zu nennen, verursacht, daß beide Begriffe nicht selten verwechselt werden, was nicht ohne Verwirrung abgehen kann.“⁴¹⁹ Er spitzt damit die Inspirationslehre
CG², KGA I/13.2, 316 [§128, Leitsatz]. In CG1 wird das Lehrstück nicht durch die systematische Funktionsbestimmung der Schriftlehre, sondern mit dessen traditionellem Lehrbestand eröffnet. Vgl. CG1, KGA I/7.2, 218 [§147]. Vgl. CG², KGA I/13.2, 316 f. [§128.1, Erläuterung]. CG², KGA I/13.2, 323 [§130, Leitsatz]. Zum Verhältnis von Hermeneutik und Kritik vgl. Kap. III – C. Vgl. auch Lauster, Prinzip und Methode, 61– 65. CG², KGA I/13.2, 325 [§130.1, Erläuterung]. CG², KGA I/13.2, 324 [§130.1, Erläuterung]. Lauster, Prinzip und Methode, 58 f. sieht in Schleiermacher einen Vertreter der Personalinspiration, insofern er versuche „die fortgesetzte Wirksamkeit
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christologisch zu.⁴²⁰ Das begründet den neuen Ort der Lehre von der Heiligen Schrift im Aufbau der Glaubenslehre. Es ist der in die Gottesbeziehung Christi hineinnehmende Heilige Geist, der den theologischen Umgang mit der Heiligen Schrift leitet. Dass nicht der Geist an die Schrift, sondern die Schrift an den Geist gebunden ist, zeigt eine tendenziell reformierte Prägung von Schleiermachers Hermeneutik.⁴²¹ Für die Einheit der Glaubenden ist dieser gemeinsame Schriftbezug von zentraler Bedeutung. Es ist der gemeinsame Bezugspunkt einer sich als christlich identifizierenden Theologie: Die christliche Gemeinschaft ist ohnerachtet des von ihrem Zusammenbestehen mit der Welt unzertrennlichen Wandelbaren doch immer und überall sich selbst gleich, insofern erstlich das Zeugniß von Christo in ihr immer dasselbige ist, und dies findet sich in der heiligen Schrift und im Dienst am göttlichen Wort (…).⁴²²
Die vielfach kritisierte Fokussierung von Schleiermachers Schrifthermeneutik auf das Neue Testament hat in ihrer funktionalen Bestimmung für die christliche Theologie ihren Grund. Das Alte Testament gibt für Schleiermacher nicht in derselben Weise Zeugnis von Jesus Christus wie das Neue.⁴²³ In seiner Interpretation des prophetischen Amtes Christi hatte sich die Depotenzierung alttestamentlicher Theologie bereits abgezeichnet. In einem „Zusatz“ zur Schriftlehre formuliert er die Konsequenz für seine theologische Hermeneutik:⁴²⁴ Die alttestamentischen Schriften verdanken ihre Stelle in unserer Bibel theils den Berufungen der neutestamentischen auf sie, theils dem geschichtlichen Zusammenhang des christlichen Gottesdienstes mit der jüdischen Synagoge, ohne daß sie deshalb die normale Dignität oder die Eingebung der neutestamentischen theilen.⁴²⁵
Christi im Heiligen Geist mit der Eigenständigkeit und Selbständigkeit des religiösen Bewußtseins der Verfasser zu verbinden.“ Eine Spannung zwischen Schleiermachers exegetischer Methode und seiner Christologie hat bekanntlich David Friedrich Strauß ausgemacht. Einen Vergleich beider Positionen bietet Lange, Historischer Jesus und dogmatischer Christus. Bereits die erste Auflage der Glaubenslehre hatte die Kritik auf sich gezogen, einen urbildlichen und einen historischen Christus zu unterscheiden. Vgl. Erstes Sendschreiben, 314 f. In der lutherischen Hermeneutik wird traditionell die Bindung des Geises an das verbum externum hervorgehoben. Vgl. Steiger, Philologia sacra, 34 f. CG², KGA I/13.2, 309 [§127, Leitsatz]. Auch in dieser Hinsicht lässt sich Schleiermacher in eine reformierte Lehrtradition einzeichnen, die das Neue Testament gegenüber dem Alten höher wertet. Vgl. Steiger, Philologia sacra, 50 – 65. In der ersten Auflage war dieser Zusatz noch nicht explizit auf das Alte Testament zugespitzt, sondern problematisierte allgemeiner das Thema „Integrität der Schrift“ in Bezug auf die Kanonisierung. Vgl. CG1, KGA I/7.2, 229 f. [§149, Zusaz]. CG², KGA I/13.2, 337 [§132, Leitsatz].
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Für die Geschichte des Christentums dagegen sieht Schleiermacher die Schriften des Neuen Testaments in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Sie „sind auf der einen Seite das erste Glied in der seitdem fortlaufenden Reihe aller Darstellungen des christlichen Glaubens; auf der anderen Seite sind sie die Norm für alle folgenden Darstellungen.“⁴²⁶ Als die normierende Darstellungsform des Christlichen bestimmt sie Form und Gehalt aller christlichen Rede. Schleiermacher geht in diesem zweiten Lehrsatz davon aus, dass alle sprachlichen Ausdrucksformen des Christentums sich notwendig am Neuen Testament orientieren: „immer werden wir sagen müssen, daß alles, was sich als Darstellung christlicher Frömmigkeit durch die Sprache in den späteren Zeiten der christlichen Kirche geltend gemacht hat, sich innerhalb derselben ursprünglichen Formen bewegt, oder sich als erläuternde Begleitung an sie anschließt.“⁴²⁷ Auch die Sammlung und nicht nur die Entstehung des neutestamentlichen Kanons wird als ein geistgewirktes Geschehen beschrieben. Schleiermacher fasst dieses Wirken des Heiligen Geistes als ein kollektives Erinnerungsvermögen: Für diese [die Sammlung der kanonischen Schriften] bleibt also kaum eine andere Analogie übrig als die, daß wir uns den Heiligen Geist in der Gedankenwelt der christlichen Gesamtheit auf die selbe Weise schaltend denken, wie jeder Einzelne in der seinigen. Denn jeder weiß seine ausgezeichneten Gedanken zu unterscheiden und so aufzubewahren, daß ihre Vergegenwärtigung sichergestellt wird, die andern aber legt er teils zur weiteren Verarbeitung zurück, oder übersieht auch andere ganz und überläßt es dem Zufall, ob sie sich ihm wieder darstellen werden oder nicht; wie denn auch jeder wohl in den Fall kommt, einige ganz zu verwerfen, teils gleich, wenn sie entstanden sind, teils späterhin. So ist auch die treue Aufbewahrung der apostolischen Schriften ein Werk des göttlichen Geistes, der das, was unverändert bleiben soll, von dem unterscheidet, was sich in der weiteren Entwicklung christlicher Lehre mannigfaltig umgestaltet und dagegen das Apokryphische teils gleich wie es entstanden ist zurückstößt, teils wenigstens bewirkt, daß sowohl diese Art von Produktivität als auch der Geschmack an solchen Produkten sich in der Kirche allmählich verliert.⁴²⁸
Schleiermacher parallelisiert individuelle und kollektive Erinnerung. Alles Erinnern ist selektiv. Aus einer Fülle von Gedanken werden wenige bewusst herausgegriffen, denen dann in der Erinnerung eine normierende Rolle für alle anderen mit ihnen verknüpften Gedanken zukommt. Analog soll auch die bewusste Auswahl der christlichen Erinnerungen in der Sammlung kanonischer Schriften verstanden werden. Der Gemeingeist des Christentums erinnert sich mittels bestimmter Texte, die den unveränderlichen Teil seiner Erinnerung ausmachen. Andere Überlieferungen stehen daneben, sind aber nicht in derselben Weise Teil einer gemeinsamen und einheitlichen Erinnerung. Es handelt sich – folgt man dem griechischen Wortsinn von apo-
CG², KGA I/13.2, 320 [§129, Leitsatz]. Dies übersieht Daur, Die eine Kirche und das zweifache Recht, 162– 179, wenn er den normativen Charakter der Schriftlehre Schleiermachers nur gegenüber dem Katholizismus einräumt und darüber hinaus annimmt, für ihn sei „die Schrift nur Erkenntnisquelle, nicht Erkenntnismaßstab.“ Ebd., 168. CG², KGA I/13.2, 321 [§129.1, Erläuterung]. CG², KGA I/13.2, 329 f. [§130.4, Erläuterung].
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kryph – um den verborgenen Teil der Erinnerung. Der Heilige Geist als christlicher Gemeingeist lässt sich im Anschluss an Schleiermacher als kollektives Gedächtnis beschreiben, dessen einheitliche Erinnerung wesentlich durch den kanonischen Text der Heiligen Schrift bestimmt ist.⁴²⁹ Die Untersuchung der Schrifthermeneutik Schleiermachers hat gezeigt, dass seine Soteriologie den Hintergrund seines hermeneutischen Ansatzes bildet. Die theologische Interpretation der Bibel hat gegenüber den vielseitigen Formen des kirchlichen Lebens eine kritische Funktion. Was als christlich gelten kann, ist an dem biblisch überlieferten Bild Christi zu prüfen. Als kollektives Gedächtnis bewahrt der Heilige Geist ein einheitliches Bild Christi in den kanonischen Schriften des Christentums. Eine theologische Überhöhung der Bibel oder ihrer Verfasser gegenüber der Offenbarung in Christus verspielt diese kritische Funktion für Theologie und Kirche.Wie die Potentiale von Schleiermachers Schrifthermeneutik für die systematische Theologie fruchtbar gemacht werden können, soll im Folgenden untersucht werden.
B Grenzen singularisierender Schrifthermeneutik Die verschiedenen Entwürfe gegenwärtiger Schrifthermeneutik im Protestantismus sind kaum zu überblicken. In fast allen theologischen Disziplinen wird in verschiedener Weise auf Theorien der Hermeneutik Bezug genommen. Es begegnet mitunter der Eindruck, dass das Ergebnis hermeneutischer Arbeit in der Theologie bereits vorab feststeht bzw. nicht durch diese beeinflusst wird. Hier treffen sich dogmatische Verteidiger wie scharfe Kritiker des protestantischen Schriftprinzips. Es handelt sich um Versuche theologische Einsichten oder ein bestimmtes Protestantismusverständnis gegen Kritik zu immunisieren. Ich möchte hierbei von ‚hermetischen Hermeneutiken‘ sprechen. Daneben finden sich eine Reihe von Hermeneutiken, die bewusst auf einen wissenschaftlichen Verallgemeinerungsanspruch ihrer Methode verzichten wollen. Verschiedene kontextuelle Hermeneutiken postulieren damit auf ihre Weise Grenzen des Verstehens, die nicht mehr zu überwinden sind. Gegenseitiges Verstehen über bestimmte Kontexte hinweg soll damit als prinzipiell unmöglich gelten. Ich nenne diese zweite Gruppe ‚posthermeneutische Hermeneutiken‘. Gegenüber diesen protestantischen Schrifthermeneutiken lässt sich von Schleiermacher her Kritik üben, die zudem darüber zu orientieren vermag, was theologische Hermeneutik eigentlich leisten kann und soll. Bereits Schleiermacher war seinerzeit mit rivalisierenden Bibelhermeneutiken konfrontiert. Sein Idealbild des wohlwollenden Nebeneinanders von unterschiedlichem Bibelverstehen schildert die Weih-
Vgl. dazu Kap. IV – C) 2.
B Grenzen singularisierender Schrifthermeneutik
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nachtsfeier (1806).⁴³⁰ Hier konfrontiert er drei Typen protestantischer Hermeneutik in Form eines Dialogs zwischen den drei Sprechern Leonhardt, Eduard und Ernst. Die in den Reden der Männer vorgestellten Christologien bilden drei Grundformen theologischer Hermeneutik. In der Vorerinnerung zur zweiten Ausgabe macht Schleiermacher seine künstlerische Intention explizit: so mag es ein erfreulicher Anblick sein und nicht unwerth als Weihnachtsgabe dargebracht zu werden, wie die verschiedensten Auffassungsweisen des Christenthumes hier in einem mäßigen Zimmer nicht etwa nur friedlich neben einander sind, weil sie sich gegenseitig ignoriren, sondern wie sie sich einander freundlich stellen zur vergleichenden Betrachtung. Und so mag das Büchlein noch einmal versuchen eine günstige Aufnahme und eine das Gute forderne Wirksamkeit zu finden, indem es auf seine Weise daran erinnert, daß der Buchstabe tödtet und nur der Geist lebendig macht.⁴³¹
Die beiden oben genannten Typen der gegenwärtigen Hermeneutik, hermetische und posthermeneutische Hermeneutik, lassen sich mit zweien der Zugänge aus der Weihnachtsfeier parallelisieren und kritisieren. Zugleich findet sich in der Novelle eine dritte Rede, die hier als Beispiel für eine aus Schleiermachers Sicht vorbildliche Hermeneutik gelesen wird. Diese soll im Folgenden als solche ausgemacht und gewürdigt werden. Anhand des Schleiermacherschen Theorieprogramms lassen sich Kriterien zur Beurteilung protestantischer Schrifthermeneutik entwickeln. Mit den bei dieser Kritik zugrundeliegenden Begriffen ‚Kunst‘ und ‚Kritik‘ greife ich auf die im zweiten Kapitel untersuchte allgemeine Hermeneutik Schleiermachers zurück, in welchem ich die dialektische Spannung von Kunst und Kritik in Schleiermachers Verstehenslehre herausgearbeitet habe. Zunächst wende ich mich zwei Typen der hermetischen Hermeneutik zu, der Singularisierung (1.) des historischen Jesus und (2.) des geglaubten Christus. Bei beiden wird, wie gezeigt werden soll, die Rolle der Kunst im Verstehen zu wenig geltend gemacht. Als Beispiele aus der Weihnachtsfeier für diese hermetische Hermeneutiken verwende ich die Reden von (1.) Leonhardt und (2.) Eduard. Der Hermeneutik Schleiermachers wird mitunter vorgeworfen rein singularisierend zu verfahren.⁴³² Zur Begründung wird meist Schleiermachers Methode der Rekonstruktion angeführt und damit die These verbunden, dass nach Schleiermacher
Zur Interpretation vgl. Dilthey, Leben Schleiermachers, Bd. 1, 765 – 798; Hirsch, Schleiermachers „Weihnachtsfeier“, 28 – 47; Lange, Historischer Jesus oder mythischer Christus, 35 – 56 und Hartlieb, Geschlechterdifferenz im Denken Schleiermachers, 22– 56. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 99 f. Die Unterscheidung zwischen singularisierender und pluralisierender Hermeneutik übernehme ich von Marquard, Die Frage nach der Frage, auf die die Hermeneutik die Antwort ist, 129. Zu Marquards Hermeneutik vgl. Leonhardt, Skeptizismus und Protestantismus.
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zum Verstehen lediglich die Produktionsbedingungen von Texten reproduziert werden müssten.⁴³³ Das Gegenbild stellt eine Hermeneutik dar, die ganz auf das Verstehen des Rezipienten abstellt. Im Rahmen der vorliegenden Interpretation der Schleiermacherschen Hermeneutik überzeugt diese Gegenüberstellung nicht. Schleiermachers Rekonstruktionsbegriff ist nicht singularisierend. Seine Hermeneutik ist als Kunst angelegt, eine unter unterschiedlichen geistesgeschichtlichen Kontexten immer wieder neu von Einzelnen zu leistende Technik.⁴³⁴ Ihr Ergebnis kann also nicht bloße Reproduktion sein, sondern führt als künstlerische Technik immer wieder zu anderen Ergebnissen, in denen die Handschrift des interpretierenden Künstlers, seine Sprachund Denkwelt immer mit eingeschrieben wird. Anhand Schleiermachers Verständnisses von Hermeneutik als Kunst lassen sich für die gegenwärtige Hermeneutik Kriterien ableiten, die gegen singularisierend enggeführte Hermeneutiken gerichtet sind: (1) Texte sind deutungsoffen, (2) Verstehen ist unhintergehbar kontextuell und (3) die Perspektive des Hermeneuten bestimmt immer auch die Interpretation mit. Schleiermachers Hermeneutik ist damit nicht nur missverstanden, wenn man sie als singularisierend charakterisiert, sie enthält ihrerseits ein kritisches Potential gegen eine hermetische Hermeneutik. Dies führt dann weiter zur Untersuchung verschiedener Typen pluralisierender Hermeneutiken im anschließenden Unterkapitel (C).
1 Die Singularisierung des historischen Jesus In der Weihnachtsfeier trägt Leonhardt eine Deutung des Weihnachtsfestes vor, die maßgeblich an der historischen Dimension des biblischen Zeugnisses interessiert ist. Das leitende Interesse dieser Interpretation sieht dabei von der eigenständigen künstlerischen Leistung des Interpreten ab, wie im Nachgang Ernst, der zweite Redner, kritisiert: „daß deine Erklärung des Festes mir nicht genügt, wie sie denn überhaupt nur für dein [rein historisches] Bedürfniß eingerichtet war“.⁴³⁵ Leonhardt macht in seiner Rede eine Unterscheidung zwischen zwei Arten der Überlieferung des Weihnachtsfestes aus, der Schrift und der Festkultur. Letzterer schreibt er die größere Bedeutung in der Überlieferung des Festes zu: „Ja so viel kräftiger ist die Handlung als das Wort, daß nicht selten aus festlichen Handlungen, deren wahre Bedeutung verloren gegangen, falsche Geschichten sind erdichtet wor-
Exemplarisch etwa Körtner, Art. Autor III. Systematisch-theologisch, 61: „Die Hermeneutik F.D.E. Schleiermachers ist in starkem Maße produktionsästhetisch ausgerichtet. Die neuere Hermeneutik macht dagegen geltend, dass der Text im Vorgang seiner Verschriftlichung gegenüber dem A[utor] autonom wird, so dass der im Akt des Lesens erschlossene Textsinn nicht mit der Aussageabsicht des A[utor]s identisch ist.“ Vgl. Kap. II – A. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 89.
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den, nie aber umgekehrt.“⁴³⁶ Welcher Überlieferung kann man also hinsichtlich der Historie glauben schenken? Die Gegenwart sei durch eine mangelhafte historische Kenntnis der Person Jesu gekennzeichnet. Abstrakt formuliert Leonhardt das Problem: „Je mehr man überhaupt von einem Gegenstande weiß, um desto bestimmter und bedeutsamer läßt er sich auch darstellen, und je nothwendiger er mit dem Gegenwärtigen zusammenhängt, um desto leichter wird jede Veranstaltung, welche an ihn erinnern soll.“⁴³⁷ Im Zentrum der Theologie der Rede von Leonhardt steht das Gedächtnis der historischen Person Jesu, wie sie in der Theologie kaum Beachtung fände: „das Christenthum will ich allerdings als eine starke und kräftige Gegenwart gelten lassen, aber wie wenig hängt doch Christus, die wirkliche Person, damit zusammen.“⁴³⁸ In einer Art Zwischenfazit Leonhardts findet sich die These von der mangelnden historischen Kenntnis über die Person Jesu als Grund der Bedeutungsaufladung des Weihnachtsfestes: „der erfahrungsmäßige geschichtliche Grund der Sache ist so schwach, daß unser Fest dadurch um so mehr verherrlicht wird, und seine Kraft nahe an das oben Erwähnte gränzt, daß nämlich durch solche Gebräuche bisweilen die Geschichte selbst erst gemacht worden.“⁴³⁹ Das Gedenken des Weihnachtsfestes wird von Leonhardt als Erinnerung eines historischen Ereignisses beschrieben, das durch eine Festkultur überzeichnet wird, die von dem „eigentlichen Ereignis“ wegführt. Bereits früher in der Weihnachtsfeier wird Leonhardt durch Eduard als ein Vertreter der Aufklärungstheologie beschrieben: „Er [Leonhardt] ist eigentlich gar nicht so tief in den Unglauben versunken und hat mit den Aufklärern, zu denen er sich gesellt, wenig gemein.“ Leonhardts scharfes Bewusstsein für eine Unterscheidung zwischen dem historischen Ausgangspunkt des Weihnachtsfestes und dessen kulturellen Anreicherungen ist ein Erbe der Aufklärung. Seine Ausführungen stehen den Auffassungen der anwesenden Frauen entgegen. So sagt etwa Friederike: Nun begreife ich (…) warum er sich so wenig zur Wehre gesezt hat gegen unsere Aufgabe [über das Weihnachtsfest zu sprechen], der ungläubige Schalk, da er im Sinne hatte so ganz gegen ihren eigentlichen Sinn zu reden; zumal ich die Aufgabe ausgesprochen habe, und man wohl sagen kann, er habe mich lächerlich gemacht durch seine Art der Ausführung.⁴⁴⁰
Auch der Leonhardt nachfolgende Redner, Ernst, kritisiert Leonhardt, indem er ein anderes Verständnis des Gedenkens vorträgt, was das Weihnachtsfest ausmacht. Er stellt dabei stärker auf die gegenwärtige Bedeutung des Weihnachtsfestes ab: „Demnach sage ich [Ernst], daß nur zu dessen Gedächniß ein Fest gestiftet wird, durch
Weihnachtsfeier, KGA I/5, 85. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 85. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 85. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 87 f. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 88.
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dessen Vorstellung eine gewisse Gemüthsstimmung und Gesinnung in den Menschen kann aufgeregt werden.“⁴⁴¹ Ernst betont meines Erachtens zu recht, dass Leser und Hörer der Weihnachtsgeschichte ihre eigene Stimmung in ihr Verstehen des Weihnachtsfestes eintragen. Die Texte öffnen einen Interpretationsspielraum, in den in jeweils unterschiedlichen Kontexten die je eigenen Deutungen eingetragen werden. Das Verstehen der Bibel geht nicht darin auf, den historischen Gehalt dessen, wovon sie erzählt, so genau wie möglich zu erfassen.⁴⁴² Für eine solche besondere Gewichtung der Historie für die Schrifthermeneutik steht in der gegenwärtigen Theologie Wolfhart Pannenberg.⁴⁴³ Geschichte wird von Pannenberg gerade nicht wie in der Aufklärung als Korrektiv gegenüber der dogmatischen Tradition, sondern als Heilsgeschichte interpretiert: „In der systematischen Darstellung der christlichen Lehre werden Welt, Mensch und Geschichte als Ausdruck und Zeugnis der Gottheit Gottes in Anspruch genommen. Dabei bildet die Geschichte des Menschen und der Welt die Vermittlung ihres Gegensatzes zu Gott und den Übergang ihrer Verwandlung zum Zeugnis für die Gottheit Gottes.“⁴⁴⁴ Die Deutungsoffenheit der Geschichte und damit auch der biblischen Überlieferung wird bei Pannenberg durch sein Konzept der Universalgeschichte beschränkt.⁴⁴⁵ Die Geschichte beerbt das protestantische Schriftprinzip. Der Ausweg aus der diagnostizierten Krise des Schriftprinzips führt in ein neues Prinzip: das der Universalgeschichte. Pannenberg geht davon aus, dass die Theologie nicht als Spezialwissenschaft von der göttlichen Offenbarung auf Grund der Heiligen Schrift bestehen kann. Sie wird gerade beim Bemühen um das Verständnis der biblischen Schriften hinter diese zurückgeführt auf die Frage nach den Ereignissen, von denen da berichtet wird, und nach der ihnen zukommenden Bedeutung. Sie kann dabei die Bedeutung dieser Ereignisse als ein Handeln Gottes nur im Zusammenhang der Universalgeschichte verstehen, weil nur im Blick auf die Gesamtheit alles Geschehens Aussagen über den einen Ursprung alles Geschehens zu verantworten sind.⁴⁴⁶
Der Einfluss Pannenbergs auf die Gemeinsamen Erklärungen des Ökumenischen Arbeitskreises, die unter dem Titel Verbindliches Zeugnis (1992– 1998) publiziert wurden, zeigt sich in der hier versuchten Annäherung an ein gemeinsames Verständnis der
Weihnachtsfeier, KGA I/5, 89. Das ist ein mögliches Missverständnis der Formel, auf die Weeber, Schleiermachers Eschatologie, 73 Schleiermachers Schriftverständnis bringt: „Die dogmatische Bedeutung der Schrift besteht für Schleiermacher in ihrer historischen Bedeutung.“ Zu Pannenbergs Schriftverständnis vgl. Leonhardt, Skeptizismus und Protestantismus, 235 – 240. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 69. Einen Vergleich Pannenbergs mit verschiedenen anderen Typen theologischer Geschichtsphilosophie bietet Dierken, Heilsgeschichte – Religionsgeschichte – Offenbarungsgeschichte. Pannenberg, Die Krise des Schriftprinzips, 20.
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Funktion der kirchlichen Tradition für die Schriftlehre. Die Geschichte und die kirchliche Tradition stehen eng beieinander. 1992 hält die Gemeinsame Erklärung fest: Die Wahrheit der Schrift bewährt sich nur im Vollzug ihrer Wahrnehmung, so daß ohne solche Wahrnehmung, deren konkreter Ort die Kirche ist, von einer Selbstauslegung der Schrift nicht angemessen die Rede sein kann. Evangelische Theologie teilt diese Ansicht und anerkennt, daß ein adäquater Schriftgebrauch nur in der Kommunikations- und Verantwortungsgemeinschaft der Kirche in der Einheit des Geistes Christi möglich ist.⁴⁴⁷
In einem Abschließenden Bericht (1998) wird die kirchliche Tradition im Protestantismus und insbesondere die Rolle der Bekenntnisse stark gemacht: Die in der evangelischen Kirche geltenden Bekenntnisse sind zwar als norma normata der Heiligen Schrift als der norma normans untergeordnet, sie sind an ihr immer wieder zu prüfen und [in] ihrem Lichte auszulegen. Andererseits bilden die Bekenntnisse ihrerseits eine entscheidende Orientierung für die Schriftauslegung sowohl in der lebendigen Verkündigung der Kirche wie auch in der wissenschaftlichen Theologie. Die Bekenntnisse stellen dabei keine materiale Ergänzung der Heiligen Schrift dar, sondern wollen ihr sachgerechtes Verständnis sicherstellen. In diesem Sinne weiß die evangelische Theologie um eine für sie und die Kirche verpflichtende Funktion nachapostolischer kirchlicher Tradition.⁴⁴⁸
In demselben Dokument wird später für diese Prüfung der Bekenntnisse an der Bibel der Ausdruck „Verbindlichkeitsvorbehalt“ gebraucht.⁴⁴⁹ Wenn man danach fragt, wie man sich diesen Vorbehalt vorstellen soll, verweist der Text auf den Heiligen Geist: „Es ist der Heilige Geist, der ‚unfehlbar‘ – in Gottes Treue zu seiner Verheißung – das gesamtkirchliche Bekenntnis unverirrlich bewahrt, damit alle Glaubenden auf dem Weg der Wahrheit bleiben können.“⁴⁵⁰ Der Geschichts- bzw. Traditionszusammenhang, in den der Text in seiner Entstehung und Auslegung eingewoben ist, wird hier – freilich theologisch reflektierter als in Leonhardts Deutung des Weihnachtsfestes – zum maßgeblichen Kriterium theologischer Schrifthermeneutik. Doch auch die genaueste Rekonstruktion der Entstehungsbedingungen der einzelnen Schriften oder ihrer Inhalte macht nicht das ganze Verstehen des Textes aus. Die Bibel ist (1) wie alle Texte offen für unterschiedliche Deutungen. Wenn Verstehen als Kunst verstanden wird, ist damit auch immer (2) ein eigener kontextueller Zugang des Interpreten verbunden, der seinerseits auf die historisch-kritische Perspektive als Korrektiv angewiesen ist. Diese kritische Funktion wird unterlaufen, wenn ihr Ergebnis bereits vorab geschichtsphilosophisch unterstellt wird. Im Abschließenden Bericht des Ökumenischen Arbeitskreises heißt es: „Von größter Bedeutung ist, daß Exegese und Systematische
Ökumenischer Arbeitskreis, Gemeinsame Erklärung, 392. Ökumenischer Arbeitskreis, Abschließender Bericht, 366. Vgl. Ökumenischer Arbeitskreis, Abschließender Bericht, 379. Ökumenischer Arbeitskreis, Abschließender Bericht, 386.
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Theologie in einen Dialog treten, der davon ausgeht, daß in der geschichtlichen Gestalt des menschlichen Schriftwortes die Wahrheit Gottes selbst bezeugt wird.“⁴⁵¹ Bei Pannenberg wird die Bindung des Schriftverstehens an die Heilsgeschichte eine Form singularisierender Hermeneutik. Wenn davon auszugehen ist, dass biblische Texte Formen des kulturellen Gedächtnisses sind, bedarf es dagegen einer Hermeneutik, die das eigentümliche Vermögen des Gedächtnisses nicht im Sinne einer singularisierenden Reproduktion, sondern als ein produktives Erinnern fasst, das Gegenwärtiges und Vergangenes verbindet.⁴⁵² Dieser je eigene Beitrag des Interpreten zu einer Pluralisierung der Hermeneutik ist (3) ein unhintergehbarer Bestandteil aller Hermeneutik, die sich als Kunstlehre versteht.
2 Die Singularisierung des geglaubten Christus Die dritte Rede zur Deutung des Weihnachtsfestes in Schleiermachers Weihnachtsfeier, die hier einen zweiten Typus hermetischer Hermeneutik veranschaulichen soll, hält Eduard. Er setzt mit einem Vergleich zu Leonhardts Rede ein: Wie nun Leonhardt sich überall auf die mythischen Lebensbeschreiber Christi bezog, und bei ihnen das Geschichtliche aufsuchte: so will ich [Eduard] mich an den mystischen halten, bei dem fast gar nichts Geschichtliches vorkommt (…) Die[s] gibt uns die geistige und höhere Ansicht des Festes. ⁴⁵³
Anders als Leonhardt will Eduard also auf eine mystische Christologie hinaus, für die er das Johannesevangelium als Primärquelle heranzieht. Der Kern der von Eduard entwickelten Theologie findet sich zusammengefasst in der Formulierung: „In Christo sehen wir also den Erdgeist zum Selbstbewußtsein in dem Einzelnen sich ursprünglich gestalten.“⁴⁵⁴ Von hier aus wird dann auch die Bedeutung des Weihnachtsfestes bestimmt: „jeder von uns schaut in der Geburt Christi, seine eigene höhere Geburt an, durch die nun auch nichts anders in ihm lebt, als Andacht und Liebe, und auch in ihm der ewige Sohn Gottes erscheint.“⁴⁵⁵ Eduards Interpretation des Weihnachtsfestes kommt ganz ohne historische Bezüge aus. Der theologische Kern des Festes ist für ihn der spekulative Gedanke der urbildlichen Vereinigung des göttlichen Geistes mit dem Individuum. Das Weihnachtsfest dient der Besinnung auf die eigene „höhere Geburt“. Das Gedenken des Weihnachtsfestes ist damit von jeder Art historischen Bezugs gelöst. Die zugrunde-
Ökumenischer Arbeitskreis, Abschließender Bericht, 356. Vgl. dazu im Folgenden Kap. IV – C) 2. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 94. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 96. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 96.
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liegende Hermeneutik stellt primär auf das verstehende Subjekt ab, dessen Verstehen auf der Ebene der Spekulation verortet ist: der Einsicht in das Verhältnis von Gott und Selbstbewusstsein. Eduards Rede wird durch das Eintreffen des lang ersehnten Freundes Josef unterbrochen. Dieser relativiert alle drei Reden mit seinem Votum: „Alle Formen sind mir zu steif, und alles Reden zu langweilig und kalt. Der sprachlose Gegenstand verlangt oder erzeugt auch mir eine sprachlose Freude.“⁴⁵⁶ Für Josef ist der Gegenstand des Weihnachtsfestes nicht in die Form eines spekulativen Gedankens zu bringen. Die Sprache und das Denken kommen hier an eine Grenze, die das Gefühl der „sprachlosen Freude“ markiert. Es handelt sich – vergleicht man diesen Ansatz mit der Singularisierung des historischen Jesus – um einen Typus singularisierender Hermeneutik, der nicht auf die historische Eindeutigkeit des biblischen Zeugnisses abzielt, sondern die Aufgabe protestantischer Theologie in der begrifflichen Bestimmung ausmacht. Ausgehend von Hegels Kritik an der Subjektivierung des Schriftbezugs tritt gegenwärtig Falk Wagner für diese Option ein.⁴⁵⁷ Hegel hat in seinen Vorlesungen mehrfach das Bild der Bibel als einer „wächsernen Nase“ verwendet: Man hat so, kann man sagen, aus der Bibel eine wächserne Nase gemacht: dieser findet dies, jener jenes darin; ein Festes zeigt sich gleich als unfest, indem es betrachtet wird vom subjektiven Geiste.⁴⁵⁸
Auch der Titel von Wagners kritischer Abrechnung mit dem protestantischen Schriftprinzip nimmt ein Hegelsches Diktum auf: Auch der Teufel zitiert die Bibel (1994).⁴⁵⁹ Der Verweis auf die Bibel allein sei es nicht, was den Protestantismus ausmache. Wie Hegel zielt Wagner darauf ab, daß die Sache des Christentums in ihrer Eigenbedeutung nur erfaßt werden kann durch einen Begriff der Sache selbst, nämlich durch die zunächst logisch-kategorialen Strukturen, von denen jeder Begriff der Sache immer schon implizit oder explizit Gebrauch macht.⁴⁶⁰
In Bezug auf die Schriftlehre zeigt Wagner pointiert die Aporien auf, die mit dem traditionellen Schriftprinzip verbunden sind. Gleichwohl ist die von ihm angebotene Lösung, das Schriftprinzip aufzugeben, eine Absage an die Bedeutung der historischen zugunsten der philosophischen Kritik. Es ist auch eine Absage an (1) die Deu-
Weihnachtsfeier, KGA I/5, 97. Zu Wagners Schriftverständnis vgl. Leonhardt, Skeptizismus und Protestantismus, 240 – 247. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 2, 504.Vgl. Ders., Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Bd. 1, 37. Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Bd. 2, 199. Wagner, Zur gegenwärtigen Lage des Protestantismus, 88 (= Wagner, Auch der Teufel zitiert die Bibel, 253).
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tungsoffenheit der biblischen Texte. Eine solche hermeneutische Weichenstellung, wie sie sich bereits in Kants Unterscheidung von Vernunftreligion und Schiftgelehrsamkeit findet,⁴⁶¹ nimmt – freilich unter anderen Vorzeichen als bei Pannenbergs Konzept der Heilsgeschichte – eine Begrenzung der individuellen Interpretation der Religionsgeschichte an. Die Geschichte der Religion wird bei Wagner – freilich im Detail anders als bei Schleiermachers Eduard – in eine Geschichte der Vernunft bzw. des Geistes eingeschrieben, womit die Texte (2) in ihrer Kontextualität relativiert werden. Das Historische wird auch hier in seinem kritischen Potential einer Geschichtsphilosophie untergeordnet. Die (3) Perspektive des Einzelnen wird in einer Geschichte des Begriffs aufgehoben. Eduards mystische Christologie ist damit auch eine singularisierende Hermeneutik des Weihnachtsfestes. Sie wird in der Weihnachtsfeier Leonhardts rein historischer Deutung gegenübergestellt. Die von Schleiermacher vorgebrachte Kritik an der mangelnden Deutungsoffenheit dieser beiden Ansätze scheint mir nach wie vor gültig. Seitenblicke auf die Überlegungen zur Schrifthermeneutik von Wolfhart Pannenberg und Falk Wagner konnten deutlich machen, dass auch in der gegenwärtigen Theologie versucht wird, das relative Recht der Geschichte und der Vernunft in der Interpretation biblischer Texte einseitig überzubewerten, was zu einer singularisierenden Hermeneutik führt.
C Grenzen pluralisierender Schrifthermeneutik Auf der anderen Seite stehen den singularisierenden Hermeneutiken eine Reihe pluralisierender Hermeneutiken gegenüber. Sie lassen sich im Anschluss an Schleiermacher dahingehend befragen, inwieweit sie kritische Elemente in ihre Schriftlehren integrieren können. Ich wende mich zunächst (1.) den Theorien unkritischer Pluralisierung zu, die ich auch ‚posthermeneutische Hermeneutiken‘ nenne. Auch hier greife ich mit dem Kritikbegriff wieder auf Schleiermachers allgemeine Hermeneutik zurück, um diese Positionen zu kritisieren. Sodann würdige ich wiederum unter Aufnahme einer Rede aus der Weihnachtsfeier (2.) kritisch-pluralisierende Ansätze der protestantischen Schrifthermeneutik.
1 Unkritische Pluralisierung Manchen pluralisierenden Hermeneutikern gilt Schleiermacher als wichtige, aber noch nicht weit genug gehende hermeneutikgeschichtliche Weichenstellung.⁴⁶² Er
Vgl. Kant, Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, B164. Zu Kants Hermeneutik vgl. Matern/Heit/Popkes, Bibelhermeneutik und dogmatische Theologie nach Kant. Vgl. etwa Körtner, Der inspirierte Leser, 95 – 98.
C Grenzen pluralisierender Schrifthermeneutik
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habe trotz seiner Forderung nach einer allgemeinen Hermeneutik noch zu sehr an der Texthermeneutik im engeren Sinne festgehalten und damit die Hermeneutik als ein Verstehen von propositionalen Gehalten missverstanden. Es sei dagegen ganz auf ein Verstehen abzustellen, das die Differenz zwischen Text, Autor und Rezipienten durch einen Verweis auf pluralisierende Diskurse unüberwindbar zu machen sucht.⁴⁶³ Ich fasse diese Positionen als ‚posthermeneutische Hermeneutiken‘ zusammen. Ausgehend von Schleiermachers Bindung der Hermeneutik an einen konkreten Gegenstand des Verstehens, einen schriftlichen Text oder eine mündliche Rede, und seiner Korrelation von Verstehen und Kritik lassen sich Einwände gegen eine rezeptionsästhetische Engführung der Hermeneutik ausmachen: (1) Texte gehen nicht in ihren Wirkungen auf, (2) Verstehen ist nie ohne Objekt und (3) Hermeneutik ist auf Kritik angewiesen. Ein Text ist (1) mehr als das Produkt seiner Leser. In der Schrifthermeneutik vollständig auf die Rezeption eines Textes als Grundlage seines Verstehens zu setzen, kann den Text allenfalls als Ausgangspunkt theologischer Spekulation ansehen. Eine solche Hermeneutik kann dann, wenn sie keine durch den Text gegebenen Korrekturen an ihrem Verstehen zulässt, sehr unterschiedlich ausfallen. Dies wird in einzelnen Varianten posthermeneutischer Theologie geradezu als Ziel propagiert.⁴⁶⁴ Bisweilen drängt sich in der Diversität der Hermeneutiken die Frage auf, ob vom gleichen Text die Rede sei. Unbestimmtheit ist eine notwendige Folge, wenn Texte ganz aus ihrem Entstehungskontext gelöst und in unterschiedliche gegenwärtige Diskurse integriert werden. Das Aneignen der Texte durch den Leser darf – geht man mit Schleiermacher von einer notwendig engen Verbindung von Hermeneutik und Kritik aus – nicht die Kritik vollständig der Hermeneutik unterordnen. Exemplarisch findet sich diese Subordination im Bereich protestantischer Schriftlehre bei Karl Barth: „Es gibt keine besondere biblische Hermeneutik. Aber gerade die allgemein und allein gültige Hermeneutik müßte an Hand der Bibel als Offenbarungszeugnis gelernt werden.“⁴⁶⁵ Dagegen ist von Schleiermacher her einzuwenden: der Gegenstand des Verstehens wird immer auch durch die Hermeneutik mitbestimmt. Das kritische Verfahren geht jeder Hermeneutik voraus und ist auf Grundlage der Ergebnisse der Schrifthermeneutik immer wieder neu einzuüben. Texte erweisen sich in dieser Weise gegenüber ihrer Rezeption als widerständig. Sie können immer auch anders verstanden werden.
Exemplarisch etwa Danz, Art. Rezeption, 502: „Das Sinnverstehen von Texten oder Kunstwerken wird nicht mehr wie in den traditionellen Hermeneutiken als Aufnahme einer fixen, eindeutig bestimmbaren Sinnsubstanz verstanden, sondern diese Sinnsubstanz wird in den individuell gebrochenen und damit notwendig plural zu verstehenden Rezeptionsakt aufgelöst. Der Sinn eines Textes konstituiert sich durch den produktiven Akt des Lesens.“ Vgl. Döbert, Posthermeneutische Theologie. Barth, Kirchliche Dogmatik I/2, 515. Eine neuere Interpretation der Schriftlehre Karl Barths, die diese weniger als „un-“ oder „antikritisch“, sondern eher „nach-“ oder „metakritisch“ verstehen möchte bietet Bergner, Um der Sache willen. Dort finden sich auch Hinweise auf weitere Literatur.
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Auch in den zahlreichen Publikationen Ulrich H. J. Körtners zur protestantischen Schriftlehre ist die Pluralisierung der Schrifthermeneutik durch expliziten Bezug auf rezeptionsästhetische Literaturtheorien angebahnt, steht aber in Spannung zu einem Perspektivwechsel vom Leser zum – um einen Buchtitel Körtners aufzugreifen – inspirierten Leser (1994).⁴⁶⁶ Die Differenz von literarischer und theologischer Hermeneutik wird durch diesen Perspektivwechsel markiert: „Der inspirierte Leser wird zum Autor, welcher die Wahrheit des Mythos neu erfindet.“⁴⁶⁷ In der Einführung in die theologische Hermeneutik (2004) formuliert Körtner: „Der Leser findet sich nur, indem er sich im Akt des Lesens verliert und so eine neue Freiheit gewinnt, welche theologisch gesprochen die Freiheit des Glaubens ist.“⁴⁶⁸ Eine solche „Geburt“ des Lesers aus dem Wort Gottes kann Körtner im Anschluss an Luther auch für die Kirche annehmen.⁴⁶⁹ Seine Anleihen an der Rezeptionsästhetik führen Körtner zur Aufgabe eines singularischen Literalsinns: Erst heutige Ansätze einer literarischen Hermeneutik führen auf Grund ihrer rezeptionsästhetischen Prämissen zu einer radikal pluralisierenden Hermeneutik. Radikal sind sie insofern, als sie die Annahme eines einzigen Literalsinns prinzipiell in Frage stellen und die hermeneutische Sicherstellung der ursprünglichen Intention des Autors für ein unmögliches Unterfangen halten.⁴⁷⁰
An die Stelle des einen Literalsinns rückt bei Körtner im Rahmen protestantischer Theologie das „Wort vom Kreuz“, das „in den Interpretationen nicht aufgeht, sondern ihnen vorausliegt und nicht erst durch sie erzeugt wird.“⁴⁷¹ Und wie bereits bei dem Schritt vom Leser zum inspirierten Leser, folgt auch hier ein Perspektivwechsel, der Körtner fragen lässt, nicht nur „wie sich das Kreuz verstehen lässt, sondern was es von sich selbst her zu verstehen gibt.“⁴⁷² Es wird deutlich, dass Körtner mit dem „Wort vom Kreuz“ ein Kriterium für die Grenze der Rezeptionsästhetik zur Erschließung protestantischer Schrifthermeneutik angibt. Dieses Kriterium wird allerdings weniger kritisch als vielmehr dogmatisch eingeführt.⁴⁷³ Es ist nicht selbst wieder durch Kritik einholbar. Die Bibel stellt damit also wie bei Karl Barths Interpretation der Inspirationslehre ihren eigenen Maßstab des Verstehens, das „Wort vom Kreuz“, das nicht zu verstehen ist, sondern sich selbst zu verstehen gibt. Und – so könnte man ergänzen – auch nicht den Anspruch hat allgemein verständlich zu sein.
Vgl. zu diesem Buch Körtners auch Leonhardt, Skeptizismus und Protestantismus, 267– 275. Körtner, Der inspirierte Leser, 173. Körtner, Einführung in die theologische Hermeneutik, 105. Körtner, Arbeit am Kanon, 58. Körtner, Der inspirierte Leser, 97. Körtner, Arbeit am Kanon, 212. Körtner, Arbeit am Kanon, 213. Vgl. zu Körtners Kritik an Marquards Begriff der „pluralisierenden Hermeneutik“auch Leonhardt, Skeptizismus und Protestantismus, 295 – 309.
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Nicht vom Kreuz, sondern von der Inkarnation her entfaltet Klaas Huizing seine Schrifthermeneutik.⁴⁷⁴ Wie Körtner sucht auch Huizing die Impulse der Rezeptionsästhetik theologisch fruchtbar zu machen. Dabei soll eine leibliche Dimension des Verstehens eine kognitive Engführung des Verstehens vermeiden: „Dem verkopften Subjekt widerfährt die Inspiration verstörend. Unmittelbar evident wird die Inspiration auf dem von Einsicht gerührten Gesicht. Man braucht – wie weiland Paulus – lange, um die errötende Evidenz in eine veritable Theologie zu übersetzen.“⁴⁷⁵ Wie plausibel Huizings Vorschlag ist, das „Gesicht der Schrift“ als eine absolute Metapher (Blumenberg) zu begreifen, braucht hier nicht weiter erörtert werden.⁴⁷⁶ Wie Körtner arbeitet auch Huizing auf der Schwelle zwischen Theologie und Ästhetik und öffnet in seinen Studien einen weiten Horizont pluralisierender Schrifthermeneutik. Dem in seinem Fazit genannten Dreischritt von „Grammatik, Kritik und Hermeneutik“ fehlt in der Durchführung ein wesentliches Element – die Kritik.⁴⁷⁷ Sein schrifthermeneutischer Entwurf trägt den Untertitel „Grammatik und Hermeneutik einer Lese-Theologie“. Dem von ihm beschriebenen „Gesicht der Schrift“ fehlt das Gegenüber. Verstehen ist (2) nie ohne Objekt. Es lässt sich daraufhin befragen, was verstanden wurde und auf welche Weise. Im ersten Kapitel wurde die Sprache als Gegenstand des Verstehens im Zusammenhang der Sprachphilosophie Schleiermachers eingeordnet. Hier zeigte sich, dass Schleiermacher Sprache nicht nur als bloßen Ausdruck von Gedanken oder Gefühlen versteht. Sprache hat immer auch einen objektiven Charakter. Jedes Verstehen muss sich auf diese objektive Dimension des Verstehens gleichermaßen einlassen wie auf die subjektive. Besonders für alle Formen von intersubjektivem Verstehen ist diese Dimension von nicht zu überschätzender Bedeutung. Eilert Herms hat in einer Studie zur Erneuerung durch die Bibel (1994) für einen gemeinsamen Gegenstandsbezug in der protestantischen Schrifthermeneutik plädiert.⁴⁷⁸ Seiner Ansicht nach führt gegenwärtig kein Weg an der Anerkennung der inneren Pluralität der biblischen Texte sowie der Pluralität der verschiedenen Kanonisierungen vorbei. Im Anschluss an Schleiermachers Begriff des „Gesamtlebens“ spricht Herms statt von einem singularisierten Literalsinn oder einer institutionell geleisteten Synthese des Inhalts der Schrift von einem leibhaft-sozialen Lebenszusammenhang, der die „reale Synthese“ ausmacht.⁴⁷⁹ Diese Synthese ist nicht durch den Text, sondern durch „das Selbstbewußtsein des Lebens in der Gemeinschaft des
Vgl. Huizing, Homo legens. Huizing, Homo legens, 177. Vgl. Huizing, Homo legens, 94 ff. Zur Kritik an der theologischen Abzweckung der Theorie der absoluten Metapher vgl. Priesemuth, Blumenberg. Huizing, Homo legens, 223. Zu Herms’ Schriftlehre vgl. Leonhardt, Skeptizismus und Protestantismus, 260 – 267. Vgl. Herms, Erneuerung durch die Bibel, 158 – 173.
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Glaubens an den Gott Israels“ geleistet.⁴⁸⁰ Ursprung dieses Selbstbewusstseins ist die dogmatisch konstruierte „Identität des Gottes, der durch das Geschehen der Selbstoffenbarung dieser seiner eigenen Identität die geschichtliche Bewegung des Glaubens zur Existenz bringt und synthetisiert.“⁴⁸¹ Herms’ Vorschlag, die Pluralität der Schrifthermeneutik durch die Offenbarung des einen Gottes zu begründen, nimmt einige Anleihen an Schleiermachers Konzept der Pluralisierung der Deutungen der Offenbarung des einen Christus, umgeht aber dessen Engführung auf die Christologie und das Neue Testament. Eigentümlich ist allerdings, dass die Bestimmung der „realen Synthese“ bei Herms kaum mehr deutungsoffen geschieht. Gegenüber der von ihm geschilderten „Lebensgewißheit“ kann es seiner Ansicht nach keine Alternativen geben.⁴⁸² Ihre Realität ist damit der Kritik ebenso entzogen wie die theologische Rede von der Selbstoffenbarung des einen Gottes. Hermeneutik ist bei Schleiermacher (3) immer auf Kritik angewiesen. Auf das komplexe Wechselverhältnis von Hermeneutik und Kritik ist bereits im zweiten Kapitel näher eingegangen worden.⁴⁸³ Hier soll die Funktion der Kritik als notwendige Partnerin der Hermeneutik in ihrer Funktion zur Korrektur pluralisierender Schrifthermeneutik betrachtet werden. Wodurch bleibt eine Hermeneutik kritikfähig? Indem sie Rechenschaft gibt über ihren Gegenstand und die zugrundeliegende Methode. Wenn sich die gegenwärtige Schrifthermeneutik hinter den Anspruch der Kritikfähigkeit zurückzieht, verspielt sie den Anspruch einer allgemeinen Hermeneutik und der damit verbundenen wissenschaftlichen Nachvollziehbarkeit.⁴⁸⁴ Pointiert formuliert Karl Barth: „Wir haben uns selbst und wir haben auch jedem anderen, der uns danach fragen sollte, einzugestehen, daß die Bibel Gottes Wort ist, ein analytischer Satz ist, ein Satz, dessen Begründung immer nur in seiner Wiederholung, Umschreibung und Erläuterung, nicht aber in seiner Ableitung aus irgendwelchen übergeordneten Sätzen bestehen kann.“⁴⁸⁵ Eine solche Schrifthermeneutik verpasst nicht nur die wissenschaftliche Anschlussfähigkeit, sondern auch den Bezug zu Leserinnen und Lesern, Hörerinnen und Hörern, deren Rezeption des Textes durch andere Kontexte bestimmt sind. Worin besteht aber das Verbindende in den unterschiedlichen Auslegungen?
Herms, Erneuerung durch die Bibel, 158. Herms, Erneuerung durch die Bibel, 162. Herms, Erneuerung durch die Bibel, 159. In dieser Linie stehen auch die Paragraphen zur Christusoffenbarung (§§13 – 17) in Herms, Systematische Theologie, Bd. 1, 344– 491. Eine Schriftlehre fehlt hier zugunsten einer Kommunikationstheorie der christlichen Daseinsgewissheit. Die Bibel bzw. der biblische Kanon kommt dann sehr knapp in seiner Funktion für die Kirche im Gottesdienst in den Blick. Vgl. Herms, Systematische Theologie, Bd. 1, 971– 973. Vgl. Kap. II – C. Leonhardt, Skeptizismus und Protestantismus, 247– 260 zeigt die mangelnde Berücksichtigung kritischer Elemente in den Entwürfen zur protestantischen Schriftlehre von Gunter Wenz und Wilfried Härle. Barth, Kirchliche Dogmatik I/2, 595.
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2 Pluralisierung zwischen Kunst und Kritik Schleiermachers Hermeneutik entfaltet auch gegenüber den gerade vorgestellten Formen pluralistischer Schrifthermeneutiken ein kritisches Potential. Verstehen ist nicht allein auf die Wirkung von mündlichen oder schriftlichen Texten zu reduzieren. Als Gegenstand des Verstehens kommt dem Text eine gewisse Widerständigkeit im Verstehensprozess zu. Der Hermeneutik ist daher die Kritik gegenübergestellt, die den Gegenstand des Verstehens bestimmt. Dabei bleiben beide Disziplinen aufeinander angewiesen. Weder die Kritik noch die Hermeneutik dürfen im Prozess des Verstehens das letzte Wort haben. Auch protestantische Schrifthermeneutik darf sich nicht in innertheologischen Binnenrationalitäten erschöpfen. In den wissenschaftlichen Diskurs kann sie eine eigene Hermeneutik einbringen, die, wenn sie sich an einer allgemeinen Hermeneutik orientiert, auf Verständnis hoffen darf. Schleiermachers Hermeneutik ist in zweifacher Weise für die gegenwärtige protestantische Schrifthermeneutik vorbildlich. Sie reflektiert die notwendige Spannung von Kunst und Kritik im Verstehen. Damit umgeht sie sowohl singularisierende wie auch pluralisierende Engführungen der Schrifthermeneutik. Ihr Ergebnis ist eine Vermittlungsleistung unterschiedlicher Interpretationsrichtungen und -methoden. In einer Mittelposition steht auch die zweite Rede in der Weihnachtsfeier. In der Rede von Ernst in Schleiermachers Weihnachtsfeier wird die Rezeption des Weihnachtsfestes in der Kultur des Schenkens mit einem inneren Kern des Festes in Verbindung gebracht. Beides, die gegenwärtige Rezeption wie ihr inhaltlicher Kern, sind in der Hermeneutik zu verknüpfen: „Etwas Innerliches muss dabei [beim Schenken] zum Grunde liegen, sonst könnte es weder Wirkung thun, noch auch sonst bestehen“.⁴⁸⁶ Ernst verbindet Elemente der Hermeneutiken seines Vorredners Leonhardt und der Rede von Eduard, die oben beide bereits kurz vorgestellt worden sind. Sein Gedenken des Weihnachtsfestes geht weder im Historischen noch im Spekulativen auf. Er fokussiert damit weder nur Entstehung des biblischen Textes, noch bestimmte rein auf die Adaption des Textes durch die Leser abstellende Interpretationen desselben. Es kommt ihm vielmehr auf die Verbindung einer durch ein kritisches Verfahren gewonnenen Idee und einer mit dieser Idee korrespondierenden Stimmung an. Ernst schließt dabei an den Begriff des Gedächtnisses an, den er aber anders als sein Vorredner Leonhardt verstehen will: „Demnach sage ich, daß nur zu dessen Gedächniß ein Fest gestiftet wird, durch dessen Vorstellung eine gewisse Gemüthsstimmung und Gesinnung in den Menschen kann aufgeregt werden“.⁴⁸⁷ In Bezug auf das Weihnachtsfest identifiziert Ernst die Freude als die mit dem Fest korrespondierende Stimmung: „Die Stimmung aber, welche unser Fest hervorbringen
Weihnachtsfeier, KGA I/5, 91. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 89.
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soll, ist die Freude“.⁴⁸⁸ Es schließen sich Überlegungen zum Vergleich von Weihnachts- und Geburtstagfreude an. Das der Weihnachtsfreude zugrundeliegende Prinzip sieht Ernst in der spezifisch christlichen Idee der Erlösung: Dies ist also die Beziehung zwischen der Geburt des Erlösers und dem allgemeinen Freudenfest, daß nemlich für Alle, welch nicht wie jene nur im Wechsel der Zeit leben, kein anderes Princip der Freude giebt, als die Erlösung;und von dieser wiederum muß für uns der erste Punkt sein, die Geburt eines göttlichen Kindes.⁴⁸⁹
Das historische Moment der Geburt Jesu wird damit auch in seiner von Leonhardt beanstandeten mangelnden Zugänglichkeit nicht der wesentliche Grund des Weihnachtsfestes. Es ist die Idee der Erlösung, die sich auch mit den begrenzten historischen Informationen in den biblischen Texten verbindet, die das Fest ausmacht: Mögen auch die historischen Spuren, die Sache so in einem niedrigen Sinne kritisch angesehen, noch so schwach sein; das Fest hängt nicht daran, sondern an der nothwendigen Idee eines Erlösers, und darum waren auch jene genug.⁴⁹⁰
Auch die Kultur des Schenkens und damit die gegenwärtige Form der Weihnachtsfeier wird durch eine von der Idee der Erlösung herkommende Freude motiviert. So endet die Rede mit folgendem Appell: Ernst wünscht „Allen die es [Weihnachten] feiern, die rechte Freude an dem wiedergefundenen höheren Leben [das Erlösungsbewusstsein], aus welcher allein alle seine Lieblichkeiten [unter anderem das Schenken] aufblühen.“⁴⁹¹ Ernst erweist sich mit seiner Rede als vorbildlicher Hermeneut im Sinne Schleiermachers. Vor allem seine Hörerinnen zollen ihm die entsprechende Anerkennung. Agnes etwa reagiert wie folgt: „Ich hatte … befürchtet, ich würde dich gar nicht verstehn, dem ist aber nicht so gewesen und du hast es recht schön bestätigt, daß das wirklich religiöse das Wesen des Festes ist.“⁴⁹² Ernst berücksichtigt in seiner Interpretation des Weihnachtsfestes sowohl die Umstände der historischen Genese des Textes, die er mit der Idee der Erlösung in Verbindung bringt, als auch die Situation der gegenwärtigen Hörerinnen und Hörer, indem er diese Idee als das motivierende Zentrum ihrer Festkultur ausweist.⁴⁹³ Es Weihnachtsfeier, KGA I/5, 90. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 91. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 92. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 93. Weihnachtsfeier, KGA I/5, 93. Bereits Mulert, Einleitung, XVI hat darauf aufmerksam gemacht, dass Ernst „ausgesprochenermaßen von der Wirkung, die Christus hervorgebracht hat, auf seine Person zurückschließt, (…) grundsätzlich das Verfahren an[wendet], das später Schleiermachers Christologie in der Glaubenslehre und in den Predigten kennzeichnet.“ Im Ergebnis kann Mulert in allen vier Positionen der Männer in der Weihnachtsfeier Elemente von Schleiermachers Theologie ausmachen. Vgl. Mulert, Einleitung, XXVIII.
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handelt sich bei der Rede von Ernst um eine Miniatur angewandter theologischer Hermeneutik. Theologisches Verstehen darf weder lediglich auf den Begriff, noch die Praxis gelebten Glaubens enggeführt werden. Wie Schleiermacher immer wieder betont hat, ist die Hermeneutik von jedem und jeder selbst zu üben und führt notwendigerweise zu einer Pluralität von Hermeneutiken. Das Ideal, das Schleiermacher in seiner Vorerinnerung zur zweiten Ausgabe der Weihnachtsfeier formuliert hat und auf das oben bereits verwiesen wurde, bleibt nach wie vor gültig: so mag es ein erfreulicher Anblick sein (…), wie die verschiedensten Auffassungsweisen des Christenthumes (…) nicht etwa nur friedlich neben einander sind, weil sie sich gegenseitig ignoriren, sondern wie sie sich einander freundlich stellen zur vergleichenden Betrachtung.⁴⁹⁴
Wenn also bestimmte methodische Kriterien erfüllt werden und die Offenheit für Kritik in einer „vergleichenden Betrachtung“ eingeräumt wird, eröffnet die Kunstlehre der Hermeneutik die Freiheit zur eigenständigen Interpretation verschiedener Aspekte. Dies ist gerade in der protestantischen Theologie eine bleibende Aufgabe. Die Schrifthermeneutik ist eine spezielle Hermeneutik, die – begreift man sie im Anschluss an Schleiermacher – mit einer allgemeinen Hermeneutik nicht nur kompatibel ist, sondern methodisch auf dieser aufbaut. Die Methoden der exegetischen Wissenschaften haben mit der Aufklärung begonnen sich an allgemein-wissenschaftlichen Standards zu orientieren. Für Schleiermacher war dies ein Gebot der reformatorischen Tradition: Wenn die Reformation, aus deren ersten Anfängen unsere Kirche hervorgegangen ist, nicht das Ziel hat, einen ewigen Vertrag zu stiften zwischen dem lebendigen christlichen Glauben und der nach allen Seiten freigelassenen, unabhängig für sich arbeitenden wissenschaftlichen Forschung: so leistet sie den Bedürfnissen unserer Zeit nicht Genüge (…). Meine feste Ueberzeugung aber ist, der Grund zu diesem Vertrage sey schon damals gelegt, uns es thue nur Noth, daß wir zum bestimmteren Bewußtsein der Aufgabe kommen, um sie zu lösen.⁴⁹⁵
Die Art und Weise, wie die gegenwärtige evangelische Dogmatik die Schriftlehre verhandelt, gibt ein weniger einheitliches Bild. Jörg Lauster hat die Entwicklungen der Schriftlehre nach Schleiermacher in der Spannung zwischen Schriftprinzip und historischer Methode nachgezeichnet.⁴⁹⁶ In einer Vielzahl der von Lauster vorgestellten Entwürfe wird die von Schleiermacher geforderte Differenz von Offenbarung in Christus und biblischem Zeugnis zum Verschwimmen gebracht. Die starke Konzentration protestantischer Dogmatik auf die Christologie, die sich ja auch bei Schleier-
Weihnachtsfeier, KGA I/5, 99. Zweites Sendschreiben, KGA I/10, 351. Vgl. auch Oratio, 9 f. Vgl. Lauster, Prinzip und Methode. Eine stärker historisch orientierte Untersuchung bietet Stengel, Sola scriptura im Kontext. Die konstitutive Rolle religiöser Subjektivität in der protestantischen Schriftauslegung arbeitet Leonhardt, Schriftbindung heraus.
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macher aufzeigen ließ, stellt ein verbindendes Kennzeichen der neuzeitlichen Entwürfe dar. Genau diese Engführung führt bei Schleiermacher durch ihre soteriologische Zuspitzung zu einer zu starken Vereinheitlichung des Christusbildes. Die Christologie und in der Folge auch die Schriftlehre Schleiermachers sind der Ambivalenzen beraubt, die traditionellerweise die Hamartiologie einspielt. In der Glaubenslehre wird die Gleichzeitigkeit von Sünden- und Gnadenbewusstsein im Leben der Gläubigen zwar angenommen, findet sich dann aber in den Lehrstücken getrennt verhandelt. Die lutherische Theologie hat demgegenüber in der theologischen Hermeneutik mit der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium sowohl Hamartiologie als auch Soteriologie in der Lehre von der Heiligen Schrift verbunden. Sie vermeidet dadurch sowohl eine soteriologische wie hamartiologische Engführung des Lehrstücks. Hier verbietet sich auch eine einseitige theologische Bevorzugung von Altem oder Neuem Testament, da weder das Alte Testament nur als Gesetz noch das Neue Testament nur als Evangelium – oder umgekehrt – gilt. Versteht man die Bibel als kulturelles Gedächtnis des Christentums legt es sich ohnehin nicht nahe, die Texte des Alten Testaments in ihrer Bedeutung für das Christentum zu relativieren. Kritisch gegen Schleiermacher hat darauf Ulrich Barth aufmerksam gemacht, den dabei ein spezifisch an Schleiermacher anschließendes Motiv leitet: die Ausdruckskraft der alttestamentlichen Texte für die mannigfaltigen Formen gegenwärtiger Religiosität ist kaum zu überschätzen.⁴⁹⁷ Eine Schrifthermeneutik im Anschluss an Schleiermacher tut gut daran, gerade auch die Punkte zu benennen, an denen Schleiermachers Überlegungen nicht oder nicht mehr überzeugen können. Für seine Prognose, das Alte Testament werde nach und nach in seiner Bedeutung für das Christentum zurücktreten, lässt sich heute kaum Anhalt finden. Dass seine methodischen Überlegungen zur Hermeneutik wegen dieser These insgesamt überholt seien, greift zu kurz. Worin die bleibende Bedeutung von Schleiermachers Schriftlehre liegt, soll im Folgenden kurz zusammengefasst werden. Mit den Stichworten Kunst und Kritik, so hat sich gezeigt, lassen sich im Anschluss an Schleiermacher die Grenzen einer hermeneutisch reflektierten Schriftlehre für den Protestantismus aufzeigen. Der Kunstcharakter steht dabei für das individuell kreative, pluralisierende Freiheitsmoment theologischer Interpretation. Den Kunstcharakter des protestantischen Schriftverständnisses betont Jörg Lauster in seinen zahlreichen Publikationen zum Thema nachdrücklich.⁴⁹⁸ Im Zentrum seiner Arbeiten zur Schrifthermeneutik steht der Begriff der Erfahrungsdeutung. Damit wird weder wie bei Herms von einer Einheitlichkeit der Erfahrung ausgegangen, noch wie bei Körtner ein Perspektivwechsel vom Leser zum inspirierten Leser voll-
Vgl. Barth, Subjektphilosophie, Kulturtheorie und Religionswissenschaft. Vgl. Lauster, Religion als Lebensdeutung; Ders., Prinzip und Methode; Ders., Zwischen Entzauberung und Remythisierung; Ders., Schriftauslegung als Erfahrungserhellung.
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zogen. Lauster sieht in biblischen Texten eine Pluralität der Deutungen von Transzendenzerfahrung, die Deutungsangebote für die Erfahrungen der Leser artikulieren. Zudem bleibt der Text in seiner Funktion als kritisches Gegenüber des Lesers erhalten. Das Verstehen eines Textes geht auch für Lauster nicht in seiner Aneignung auf. Seine Studien decken sich mit dem Ergebnis der vorliegenden Untersuchung darin, dass theologische Hermeneutik im Kontext systematischer Spannungen zu beschreiben ist. Im Blick auf das protestantische Schriftprinzip verlaufen diese Spannung zwischen den Begriffen Prinzip und Methode (2004), mit Blick auf die Debatten der Hermeneutischen Theologie im 20. Jahrhundert zwischen Entzauberung und Remythisierung (2008). Die Beschäftigung mit Theorien der Hermeneutik lehrt Skepsis gegenüber verschiedenen Verstehensversuchen genauso wie Respekt vor verschiedenen legitimen Weisen des theologischen Verstehens. Für eine reflektierte Skepsis, die sich selbst nicht absolut setzt, sondern um ihre Bezogenheit auf die Hermeneutik weiß, steht im Anschluss an Schleiermacher der Begriff der Kritik. Rochus Leonhardt hat in Skeptizismus und Protestantismus (2003) für eine konstruktive Aufnahme des Skeptizismus in die protestantische Hermeneutik geworben. In seinem engagierten Schlussvotum heißt es dazu: Eine im Horizont eines hermeneutischen Pluralismus auf biblischer Basis agierende christliche Theologie wird, will sie mögliche neue ‚Krisen des Schriftprinzips‘ vermeiden, den Anspruch preisgeben müssen, mit Hilfe exegetischer Einsichten oder gar der kirchlichen Bekenntnisse über die Sachgemäßheit hermeneutischer Einsichten entscheiden oder gar ‚ewige Wahrheiten‘ dekretieren zu können. Dies mag einen Verlust gewohnter Sicherheit mit sich bringen. Sollen sich aber die biblischen Texte auch unter gegenwärtigen Bedingungen als Grundlage authentischer theologischer Urteilsbildung bewähren, so kann dies angesichts des gegenwärtigen Schweigens der Sprache der Bibel schwerlich anders als durch ergebnisoffene Konzentration auf die Heilige Schrift möglich werden.⁴⁹⁹
Die gegenwärtigen Schrifthermeneutiken haben sich nicht nur von Formen der singularisierenden Hermeneutik, sondern auch von einem Ideal eines vollständigen Verstehens, wie es Schleiermacher noch vertreten konnte, verabschiedet. Es ist in vielen Bereichen der Wissenschaften wichtiger geworden Unverständnis und verschiedene Missverständnisse auszuhalten sowie verschiedene Verständnisse zunächst einmal in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen.⁵⁰⁰ Aus der Beschäftigung mit Schleiermachers Hermeneutik kann in diesen Debatten an die Potentiale allge-
Leonhardt, Skeptizismus und Protestantismus, 321. Die sich an Paul Ricoeur anschließende Hermeneutik der Differenz findet aus diesem Grund auch in der evangelischen Theologie reichen Anklang. Freilich sind auch die hier anschließenden theologischen Entwürfe zur Schrifthermeneutik verschieden. Ob es beispielsweise sinnvoll ist, wie Stoellger, Missverständnisse und die Grenzen des Verstehens das Ziel theologischer Hermeneutik im Aushalten von Missverständnissen in Bezug auf den Anspruch biblischer Texte zu bestimmen, darf in Frage stehen.
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meiner Hermeneutik appelliert werden, die einen methodischen Rahmen für verschiedene legitime Verständnisse bietet. Michael Moxter hat mit der These einer doppelten Funktion der Schrift, als Grund und Grenze der Interpretation, eine Deutung des protestantischen Schriftprinzips vorgeschlagen, die sich gut mit den hier im Anschluss an Schleiermacher entwickelten Grundsätzen theologischer Hermeneutik verbinden lassen.⁵⁰¹ Produktive und limitative Elemente des theologischen Schriftbezugs gehören zusammen, wenn die Hermeneutik weder rein historisch, noch rein normativ verstanden wird. Moxter stellt dazu einer historischen Interpretation, der es lediglich um Kontexte der Entstehung eines Textes geht, eine juristische Hermeneutik gegenüber, in der die normative Geltung eines Textes unabhängig von dessen Entstehungssituation betrachtet wird. Theologische Hermeneutik muss beides leisten. Sie darf den Kanon der Bibel weder vollständig von seiner Entstehungssituation isolieren, noch die normative Autorität der Texte zugunsten einer historischen Relativierung preisgeben. Wenn theologische Hermeneutik in der Lage ist diese Spannung auszuhalten, darf sie mit guten Gründen hoffen verstanden zu werden. So interpretiert bleibt in der Schrifthermeneutik auch das Erbe der aufklärerischen bzw. pietistischen Begriffsprägung ‚Biblische Theologie‘ im Sinne Gablers oder Speners gewahrt. Die hermeneutischen Probleme der im 20. Jahrhundert als ‚Biblische Theologie‘ entstandenen Entwürfe hat Georg Pfleiderer zusammengefasst.⁵⁰² Er diagnostiziert für die Entwicklung nach Karl Barth ein Auseinanderdriften von historischer Kritik, dialektisch-theologischem Denken und religiöser Performanz und fragt, ob die theologische Hermeneutik nicht besser daran täte, den kerygmatisch-biblischen Ansatz zur Gänze zu verabschieden und durch ein Alternativmodell zu ersetzen. Dieses müsste darauf zielen, die in der kerygmatischen Basiskategorie des Wortes Gottes zusammengezogenen Differenzen von Genesis und Geltung, religiöser Erfahrung und theologischer Deutung resp. Wahrheitsbehauptung, nicht zu überspielen, sondern zuzulassen.⁵⁰³
Diesen Aufgaben muss sich die gegenwärtige Schrifthermeneneutik stellen, wenn sie auch einen Beitrag zu einer biblischen Theologie leisten will. Sie kann sich dabei auf die hermeneutischen Überlegungen Schleiermachers zurückbesinnen und noch einmal neu darüber nachdenken, wie sich die Schrifthermeneutik in das Gesamtbild einer hermeneutischen Theologie einfügen kann: Alle seine [Schleiermachers] Ergebnisse und Lösungen sind für uns vergangen, darin ist er ganz und gar historisch geworden. Aber die Fragen, die er gestellt hat, stehen noch immer da und sind nicht besser beantwortet worden; ebenso muß auch seine hinter den Fragen stehende Gesamt-
Vgl. Moxter, Schrift als Grund und Grenze der Interpretation, 164– 168. Vgl. Pfleiderer, Ausbruchsversuche aus der Moderne. Zur Problematik der kerygmatischen Programmatik Biblischer Theologie. Pfleiderer, Ausbruchsversuche aus der Moderne, 180. Pfleiderer würdigt als einen solchen Ansatz Lauster, Religion als Lebensdeutung kritisch.
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haltung die unsere sein: weder eine unverständige Gläubigkeit, noch eine glaubenslose Verständigkeit, sondern beide Seiten in Wahrhaftigkeit einander durchdringend.⁵⁰⁴
Gerdes, Das Christusbild Sören Kierkegaards, 26.
V Grund und Grenze hermeneutischer Theologie Alles Endliche besteht nur durch die Bestimmung seiner Gränzen, die aus dem Unendlichen gleichsam herausgeschnitten werden müßen. (Reden über die Religion, KGA I/2, 213)
Das Verstehen des Verstehens ist mit Schleiermacher längst nicht am Ende. Auch das hier entfaltete Verständnis der allgemeinen Hermeneutik Schleiermachers bleibt notwendig vorläufig. Trotzdem lohnt es sich im Anschluss an Schleiermacher, soweit er hier verstanden worden ist, theologisch weiterzudenken.⁵⁰⁵ Das an Schleiermachers Kunstlehre des Verstehens herausgearbeitete Gegenüber von Kunst und Kritik kann neben der theologischen Schrift- auch für die Religionshermeneutik fruchtbar gemacht werden, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Im Rahmen einer an Schleiermacher orientierten Religionshermeneutik ergibt sich damit auch die Idee einer hermeneutischen Theologie, die sich unter Rekurs auf Schleiermacher im aktuellen religionsphilosophischen Diskurs als anschlussfähig auszuweisen sucht. Dazu soll erstens (A) eine Skizze des Programms der „Hermeneutischen Theologie“ im 20. Jahrhundert geboten werden. Ich folge hier der Darstellung Ingolf Dalferths, einem ihrer profiliertesten Kenner und Kritiker. Die von Dalferth vorgebrachte methodische Kritik an der „Hermeneutischen Theologie“ führt dann weiter zu (B) den gegenwärtigen Positionen der Religionshermeneutik. Hier stelle ich Dalferths eigenem Entwurf die Religionshermeneutik Wilhelm Gräbs und anderer exemplarischer Vertreter gegenüber und systematisiere und kritisiere die Positionen unter Rekurs auf das aus Schleiermachers allgemeiner Hermeneutik entlehnte Gegenüber von Kunst und Kritik. In einem dritten Schritt soll (C) für eine hermeneutische Theologie im Anschluss an Schleiermacher geworben werden, die ihren Grund und ihre Grenze in dem Gegenüber einer kritischen Religionshermeneutik findet.
Dieses Anliegen teile ich unter anderem mit den Autoren der Aufsatzbände Sockness/Gräb, Schleiermacher, the study of religion, and the future of theology und Arndt/Selge, Schleiermacher – Denker für die Zukunft des Christentums. https://doi.org/10.1515/9783110684599-006
A Die Hermeneutik der „Hermeneutischen Theologie“ im 20. Jahrhundert
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A Die Hermeneutik der „Hermeneutischen Theologie“ im 20. Jahrhundert Eine hermeneutische Theologie im Anschluss an Schleiermacher kann nicht einfach an die „Hermeneutische Theologie“ des 20. Jahrhunderts anknüpfen. Deren Erforschung ist ein eigenes Forschungsfeld, auf welches hier nur verwiesen werden kann. Einige Gründe für das Abklingen dieser Strömung hat Ingolf Dalferth zusammengetragen.⁵⁰⁶ In Bezug auf das der hermeneutischen Theologie im 20. Jahrhundert zugrundeliegende Hermeneutikverständnis arbeitet Dalferth auf methodischer Ebene vier Punkte heraus: Sie verwendet (1) ausdrücklich historisch-kritische Methoden im Umgang mit den biblischen Texten. Sie erhebt (2) deren theologisch relevanten Sinn mit literarkritischen Methoden. Sie gebraucht (3) eine Art rezeptionsanalytischer Methode in der Auslegung ihres theologischen Gebrauchs. Und sie rekonstruiert schließlich (4) dogmatisch die Sache dieser Texte als Anredegeschehen im Rahmen des intentionalistischen Paradigmas.⁵⁰⁷
Was Dalferth hier knapp zusammenfasst, ist folgende vierteilige hermeneutische Methode: Im ersten Schritt wird in der „Hermeneutischen Theologie“ die historischkritische Frage nach der intentio auctoris durch die Redeweise vom göttlichen Wortgeschehen ersetzt. Nicht mehr die Absicht des Autors eines biblischen Textes, sondern das durch die Texte wirksame Wortgeschehen wird durch eine so verstandene historisch-kritische Methode erhoben. Das Wortgeschehen ist dabei nicht zwangsläufig mit dem Textsinn identisch, sondern kann sich in einem zweiten Schritt auch selbst in der Verkündigung vergegenwärtigen. Das gepredigte Evangelium hat Vorrang vor seiner schriftlich überlieferten Form und kann letztere sogar erst verständlich machen. Eine solche Vergegenwärtigung des Wortgeschehens ist drittens die Interpretation des je eigenen Lebens unter der Leitdifferenz von Evangelium und Gesetz. Wenn sich der Gläubige selbst im Sinne des Wortgeschehens versteht, begreift er sein Leben in dieser Spannung. Viertens wird dieses gläubige Selbstverstehen mit der dogmatischen Rede von Gesetz und Evangelium identifiziert.⁵⁰⁸ Die „konsequente Exegese“ (Jüngel) versucht so bestimmte dogmatische Grundannahmen auf texthermeneutische und rezeptionsanalytische Weise zu plausibilisieren. Dalferth hat dagegen deutlich gemacht, dass (1.) in einer intentionalen Hermeneutik die Pointe der „Hermeneutischen Theologie“ verloren geht, das Wortgeschehen auf einer anderen Ebene als in der zwischenmenschlichen Kommunikation begreifen zu wollen. Auch steht (2.) die Annahme einer Autonomie der Texte gegenüber der Autorintention der Sache nach gerade jener historisch-kritischen Methode entgegen, als deren Vertreter sich die „Hermeneutische Theologie“ verstehen wollte. Es kommt
Vgl. Dalferth, Radikale Theologie, 99 – 155. Dalferth, Radikale Theologie, 141. Vgl. Dalferth, Radikale Theologie, 142– 145.
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zudem (3.) bei der Verwendung der Kategorien Gesetz und Evangelium zur Beschreibung der Wirkung des Wortgeschehens zu einer Vermischung von literarischen und theologischen Kategorien und (4.) zu einer Vermischung von Zeitebenen in Bezug auf den ohnehin unscharfen Begriff des Wortgeschehens, wenn dieser sowohl den Moment der Abfassung der biblischen Texte als auch den Moment ihres Verstandenwerdens beschreiben soll.⁵⁰⁹ Dalferths Einschätzung der Methodologie der Hermeneutischen Theologie ist nicht unumstritten. Entsprechend werden auch die Potentiale zur Weiterführung ihres Erbes unterschiedlich eingeschätzt.⁵¹⁰ Es soll hier nicht darum gehen, die Debatte weiterzuführen oder die „Hermeneutische Theologie“ in dem gerade skizzierten Sinn fortzuschreiben, sondern eine hermeneutische Theologie zu entwickeln, die die benannten Probleme vermeidet, indem sie auch die Kritik der Religionshermeneutik zu ihrem genuinen Recht kommen lässt.⁵¹¹ Eine solche hermeneutische Theologie weiß sich der historisch-kritischen Methode und deren intentionalem Paradigma im Bewusstsein um dessen Grenzen genauso verpflichtet wie einer dogmenkritischen Grundhaltung.
B Gegenwärtige hermeneutische Religionsphilosophie Verschiedene Religionstheorien der Gegenwart versuchen den Hermeneutikbegriff für die Religionsphilosophie fruchtbar zu machen. Im Anschluss an Schleiermacher lassen sich diese verschiedenen Entwürfe unter Rückgriff auf seine allgemeine Hermeneutik kritisieren. Auch hier kann wieder die dort entwickelte dialektische Spannung zwischen Kunst und Kritik zur Geltung kommen, die auch schon im letzten Kapitel zur protestantischen Schrifthermeneutik orientierende Kraft entfaltet hat. Wenn bei Wilhelm Gräb eine Theorie der Religionshermeneutik mit der Hermeneutik Schleiermachers in Verbindung gebracht wird, so kann damit nicht Schleiermachers Theorie der Text- oder Schrifthermeneutik gemeint sein, der die vorliegende Untersuchung bisher gewidmet war.⁵¹² Es geht Gräb vielmehr um eine hermeneutische Religionstheorie in theologischer Absicht. Sein Akzent liegt auf der subjektiven Seite des religiösen Deutungsvollzugs. Auch die Arbeiten Ingolf Dalferths zum Verhältnis von Hermeneutik und Theologie beschränken sich nicht auf die Text- oder Schrifthermeneutik, sondern greifen auf eine Ereignishermeneutik aus, in der Gott sich selbst den Gläubigen verständlich
Vgl. Dalferth, Radikale Theologie, 145 – 148. Vgl. die Beiträge in Dalferth/Bühler/Hunziker, Hermeneutische Theologie – heute? Dalferth, Radikale Theologie nutzt dafür die Leitdifferenz Glaube/Unglaube. Trowitzsch, Verstehen und Freiheit hat in seiner „theologischen Kritik der hermeneutischen Urteilskraft“ (Untertitel) eine umgekehrte Absicht verfolgt. Vgl. Gräb, Religion als Praxis der Lebensdeutung; Ders., Religion als Deutung des Lebens; Ders., Religion als humane Selbstdeutungskultur; Ders., Schleiermachers Beitrag zu einer Hermeneutik der Religion.
B Gegenwärtige hermeneutische Religionsphilosophie
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macht.⁵¹³ Ohne diesen sich selbst offenbarenden Gott würde die theologische Hermeneutik seiner Ansicht nach ihr Spezifikum gegenüber anderen Hermeneutiken, dem Text- oder Selbstverstehen, verlieren. Beide Autoren können auf ihre Weise konstruktiv an Schleiermachers Überlegungen zur Hermeneutik anschließen und stehen hier exemplarisch für protestantische Entwürfe hermeneutischer Theologie am Anfang des 21. Jahrhunderts. Die Differenzen ihrer Positionen sind offenkundig und auch von den Autoren vielfach selbst explizit gemacht. Lässt sich über den gemeinsamen Rückbezug zu Schleiermacher eine hermeneutische Verständigung herbeiführen? In systematischer Hinsicht soll im Folgenden die an Schleiermachers Texthermeneutik aufgezeigte Spannung zwischen Kunst und Kritik auf die hermeneutische Theologie übertragen werden, die auf einer hermeneutischen Religionstheorie aufbaut.⁵¹⁴ Das Schlüsselthema der neueren hermeneutisch-religionsphilosophischen Debatte ist der Deutungsbegriff. Jörg Lauster möchte anhand dieses Begriffs gar einen Paradigmenwechsel in der protestantischen Theologie erkennen: In der protestantischen Theologie hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten ein bemerkenswerter Paradigmenwechsel ereignet. Die Rede ist von der Einführung des Deutungsbegriffs. Trotz vereinzelt zähem Widerstand ist er inzwischen in verschiedenen theologischen Disziplinen sowie unterschiedlichen Richtungen und Strömungen innerhalb der protestantischen Theologie etabliert.⁵¹⁵
Die Diskussion um den religiösen Deutungsbegriff zeigt einige Analogien zur Texthermeneutik. So wird einerseits die produktiv-künstlerische Dimension religiöser Deutung betont, andererseits deren kritisch-limitative Dimension eingefordert. Gräb setzt auf das individuell-kreative Element religiöser Deutung. Seine religionstheoretischen und -soziologischen Studien zeichnen sich durch eine große Sensibilität für die Pluralität und Diversität religiöser Deutungen in verschiedenen Lebenssituationen aus.⁵¹⁶ In seiner Homiletik räumt er der subjektiven Dimension religiöser Rede eine irreduzible Bedeutung ein.⁵¹⁷ Mit Schleiermacher gesprochen ist es der Kunstcharakter religiöser Deutung, der die Vielfalt individueller religiöser Erfahrungen und Stile ausprägt, die Gräb ins Zentrum seiner Religionshermeneutik stellt. Der „Ausdruck des je eigenen religiösen Erlebens“ komme „als symbol-
Vgl. Dalferth, Die Kunst des Verstehens. Einige Beiträge zu verschiedenen Verhältnisbestimmungen von Hermeneutik und Religion versammelt der Aufsatzband Dalferth/Stoellger, Hermeneutik der Religion. Lauster, Das Programm „Religion als Lebensdeutung“ und das Erbe Rudolf Bultmanns, 101. Kleffmann, Religion als menschliche Deutung, 285 kann von einer „Renaissance des religionsphilosophischen Grundbegriffs der Deutung“ sprechen, urteilt darüber aber ausschließlich negativ. Vgl. Gräb, Religion als Deutung des Lebens. Vgl. Gräb, Predigtlehre, 215: „Letztlich ist die je eigene Subjektivität der Ausgangspunkt wie der Zielpunkt für eine auf religiöse Lebensdeutung ausgehende Predigt.“
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sprachliche Artikulationen der Selbstdeutung religiöser Erfahrung zu stehen.“⁵¹⁸ Mit einer als Kulturhermeneutik verstandenen Religionstheorie sucht er den Dialog mit der Philosophie und den Kulturwissenschaften. Auch bei Christian Danz steht die subjektive Seite im Vordergrund seiner Religionstheorie. Er sieht in einem deutungstheorischen Ansatz die Spannung von substantiellen und funktionalen Religionstheorien überwunden.⁵¹⁹ Im Anschluss an Charles Taylor schlägt er vor, Religion im strikten Bezug auf das sich deutende Selbst zu begreifen: Die Religion hat ihren Ort … allein in dem Geschehen des Sich-Selbst-verständlich-Werdens des Menschen. Die Inhalte einer Religion sind also nichts, was irgendwie unabhängig vom religiösen Akt vorliegt. Vielmehr sind sie Selbstbeschreibungen dieses Geschehens des Sich-Verstehens des Menschen im Selbstverhältnis.⁵²⁰
Das gilt nach Danz auch für den Gottesgedanken: „Der religiöse Gottesgedanke entsteht erst in dem Geschehen des sich in seiner Tiefenstruktur verständlich werdenden Selbstverständnisses und ist die Selbstdarstellung dieses Geschehens.“⁵²¹ Für Danz ist die hermeneutische Struktur der Subjektivität der neuzeitliche Explikationsrahmen religiöser Deutungen.⁵²² Dalferth übt explizit Kritik an diesen Formen von Religionshermeneutik und setzt eine theologische Religionskritik dagegen, eine Deutung Gottes, in der jener sich selbst zu verstehen gibt: Die Frage ist nicht, ob die Theologie mit der Philosophie ins Gespräch kommen soll, sondern von welcher Position aus und mit welchem Selbstverständnis sie das Gespräch sucht.Versteht sie sich selbst als eine Version kulturwissenschaftlicher Beschäftigung mit Religion, die auf diesem Feld mit Religionswissenschaft, Religionshermeneutik oder Religionsphilosophie konkurriert, oder entwirft sie sich selbst als Theologie, die ihr zentrales Thema in der Gottesthematik und nicht in der Religionsfrage hat?⁵²³
Darin sieht Dalferth die Radikalität seiner Theologie, dass sie von Gott her verstanden werden will. Diese Perspektive erlaubt keine Verallgemeinerung auf religionstheoretischer Ebene, weil genau damit die theologische Pointe übergangen würde, dass die Offenbarung Gottes sich im Vollzug eines bestimmten Glaubens, dem Glauben an Jesus Christus, ereignet.
Gräb, Predigtlehre, 220. Vgl. Danz, Religion als Selbstdeutung, 477– 482. Danz, Religion als Selbstdeutung, 489. Was ist aber – ließe sich fragen –, wenn sich das Selbst unverständlich ist? Danz, Religion als Selbstdeutung, 490. Wesentliche Entwürfe neuzeitlicher Religionstheorie untersucht der Sammelband Gräb/Barth, Gott im Selbstbewusstsein der Moderne. Dalferth, Radikale Theologie, 180 f.
B Gegenwärtige hermeneutische Religionsphilosophie
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Dalferths theologische Religionskritik macht mit der Unterscheidung Glaube/ Unglaube einen kritisch-limitativen Zug in seiner hermeneutischen Theologie stark. Wenn die Theologie nicht mehr um ihre eigenen Grenzen weiß, wird sie leicht überheblich. Dalferths bereits oben nachvollzogene Kritik der Tradition der hermeneutischen Theologie zeigt die Zurückhaltung seiner Position gegen eine zu vollmundige Theologie. Seiner Ansicht nach ist die Religionshermeneutik nicht die Aufgabe der Theologie, sondern der kritischen Religionsphilosophie. Er benennt sechs Formen der Kritik:⁵²⁴ (1.) Kritik eines religiösen Realismus, der religiöse Symbole als realistische Beschreibungen verharmlost, (2.) Kritik der Reduktion religiöser Kommunikation auf eine direkte kognitive Mitteilungsform, die die spezifisch indirekten religiösen Mitteilungsformen übersieht, (3.) Kritik philosophischer Grundbegriffe in ihrem Verhältnis zu gelebter Religion, (4.) Kritik an wissenschaftlichen Reduktionismen religiöser Phänomene, (5.) Kritik der Lebenswelt in ihren Tendenzen die religiöse Perspektivierung überzubewerten oder zu unterschätzen und (6.) Selbstkritik der Religionsphilosophie gleich welchem Standpunkt sie sich verpflichtet weiß. Auch Schleiermachers Text- und Schrifthermeneutik konfrontiert das Verstehen mit verschiedenen Arten der Kritik um die Grenze des Verstehens zu markieren. In Bezug auf den Religionsbegriff lassen sich bei Schleiermacher ebenfalls kritische Konturen erkennen. Sein Verständnis von Religion als Deutung des Subjekts ist zugleich eine Interpretation des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls. Religiöse Deutungen und das in ihnen explizierte Gottesverhältnis gehören zusammen.⁵²⁵ Dalferth bringt es auf die bewusst vieldeutige Formel, theologischer Hermeneutik gehe es um das „Verstehen des Verstehens Gottes“.⁵²⁶ Die Religionshermeneutik muss ihren Gottesbegriff mitreflektieren, wenn sie der kritischen Anfrage begegnen will, was eine religiöse von einer nichtreligiösen Deutung unterscheidet.⁵²⁷ In Bezug auf diese Frage bleiben auch die Arbeiten von Dietrich Korsch und Jörg Lauster uneindeutig. Lauster formuliert „Die differentia specifica [religiöser Erfahrung bzw. Deutung] liegt … in der Art der Bedeutsamkeitszuweisung. In den einschlägigen religionstheoretischen Traditionen werden diese vielgestaltigen Deutungsvollzüge perspektivisch unter Begriffe wie Heiligkeit, Transzendenz oder Unbedingtheit subsumiert.“⁵²⁸ Religiöse Deutungen, schreibt Lauster an anderer Stelle, sind Erfahrungen der Evidenz Vgl. Dalferth, Die Wirklichkeit des Möglichen, 113 – 115. Zu Dalferths allgemeinerer Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie vgl. Ders., Gedeutete Gegenwart, 133 – 159. Die Passivität im Deutungsvollzug wie sie etwa Stoellger, Vom Nichtverstehen aus, 88 f. betont, ist nicht erst eine Einsicht der Kritik an religionstheoretischen Deutungstheorien. Auch eine Verkürzung der religionsphilosophischen Deutungstheorien auf reinen Konstruktivismus wie bei König, Unendlich gebildet, 265 – 296.446 f. zugunsten einer „realistischen“ Position führt hier nicht weiter. Vgl. Dalferth, Radikale Theologie, 59. In diesem Punkt sieht auch Körtner, Konsequente Exegese ein bleibendes Erbe der Hermeneutischen Theologie. Lauster, Das Programm „Religion als Lebensdeutung“ und das Erbe Rudolf Bultmanns, 106. Kursivierung wie im Original.
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von Transzendenz, die dazu nötigen die Wirklichkeit religiös zu interpretieren. Lauster möchte mit seiner Position erklärtermaßen eine Mittelposition zwischen einem offenbarungstheologischen und einem subjektivitätstheoretischen Standpunkt vertreten.⁵²⁹ Doch weder wird der einen Seite der so genannte Evidenzcharakter der religiösen Erfahrung einleuchten können, noch der anderen die Verallgemeinerbarkeit der theologischen Deutung zu einer Religionshermeneutik.⁵³⁰ Dietrich Korsch steht wie Lauster für den Versuch eines solchen Mittelwegs. Sein Plädoyer für die enge Verbindung von Religions- und Deutungstheorie entwickelt den Gottesgedanken begründungstheoretisch. Er nimmt einen „Grund der Deutung“ an. Dieser sei „der Grund jeder Annahme von Realität – und daher auch von der Realität als solcher nicht nur faktisch nicht zu trennen, sondern ihr sogar als Grund vorzuordnen, wie er gerade in der Deutung erkannt wird, freilich auch nur in der Deutung als solcher erkennbar ist.“⁵³¹ Auf diese Weise sei der Grund der Deutung „radikal nicht-fiktional“ verstanden.⁵³² Nicht vom „Grund der Deutung“, sondern von Gott spricht Korsch erst im Kontext des Christentums, das in der Selbstbestimmung Gottes durch seine Menschwerdung eine Einladung zur Selbstbestimmung des Menschen auf Gott hin artikuliert.⁵³³ Wird der Gottesgedanke erst im Kontext der Theologie eingeführt, bleibt die Frage offen, ob alle Deutungen religiös zu nennen sind, die auf einen „Grund der Deutung“ reflektieren. Die breite Rezeption des Deutungsbegriffs in der religionsphilosophischen Debatte zeigt seine Deutungsoffenheit. Ausgehend von Schleiermachers Einsicht in die Wechselseitigkeit von Deutung und Kritik ist daran festzuhalten, dass der religiöse Deutungsbegriff des Charakters der Kunst ebenso wie der Kritik bedarf. Einer so verstandenen Religionshermeneutik sollte gleichsam an einer Würdigung der kreativen Dimension religiöser Deutung wie an der limitativen Kritik derselben gelegen sein.
C Hermeneutische Theologie im Anschluss an Schleiermacher Eine hermeneutische Theologie, die von den hermeneutischen wie theologischen Einsichten Schleiermachers geleitet sein will, fordert eine Religionshermeneutik, der das kritische Moment inhärent ist. Religion als Deutung des Subjekts ist nie bloß subjektiv, sondern intersubjektiv vermittelte Gottesbeziehung.
Vgl. Lauster, Religion als Lebensdeutung, 27. Gegen letzteren Einwand macht Lauster, Religion als Lebensdeutung, 175 im Kontext der Bedeutung der Überlieferungsgeschichte des Christentums das Zugeständnis, dass „explizite religiöse Erfahrung an die Vertrautheit mit der christlichen Überlieferung gebunden“ sei. Korsch, Religionsbegriff und Gottesglaube, 251. Korsch, Religionsbegriff und Gottesglaube, 251. Auf eine hier anschließende „realistische“ Kritik der Deutungstheorie zielt auch König, Unendlich gebildet. Vgl. Korsch, Religionsbegriff und Gottesglaube, 268 f.
C Hermeneutische Theologie im Anschluss an Schleiermacher
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In den religionstheoretischen Untersuchungen Ulrich Barths wird diese Gottesbeziehung über den Begriff des unbedingten Sinns thematisch. Schleiermachers Kritik gegenüber der überkommenen theologischen Metaphysik wird hier in transzendentalphilosophischer und sinntheoretischer Absicht weitergeführt. Wie die Schrifthermeneutik ist auch die Religionshermeneutik Ulrich Barths keine unkritische Wiederaufnahme der Überlegungen Schleiermachers. Bereits in seiner Dissertation versucht er eine transzendentalphilosophische Rationalisierung von Schleiermachers Religionstheorie.⁵³⁴ Barths zunächst subjektivitätstheoretisch ansetzende Religionstheorie wird in seinen späteren Studien um stärker intersubjektive Dimensionen erweitert. Dem Deutungsbegriff tritt der Begriff des Erlebens zur Seite. Religiöse Deutung und religiöses Erleben sind untrennbar aufeinander bezogen und nicht einseitig aufeinander rückführbar.⁵³⁵ Das Ergebnis dieser Spannung zwischen Erleben und Deuten ist eine kritische Religionshermeneutik, die als Grundlage einer hermeneutischen Theologie dienen kann.⁵³⁶ Wie Barth mit der Spannung von Erleben und Deuten sucht auch Falk Wagner in Was ist Religion? (1986/²1991) die ganze Breite von Religionsphilosophie, -soziologie, -psychologie, und -theologie zu verbinden. Er setzt dazu auf eine Theorie des Absoluten. Seine suggestive Schlussfrage lautet: „ist die Theologie gut beraten, die behauptete Wahrheit der Religion auf ein Unbedingtes zu gründen, das eingestandenermaßen vom es bedingenden religiösen Bewußtsein abhängt?“⁵³⁷ Wagner, der an Schleiermachers Religionstheorie die „grundlegende Einsicht in die Selbständigkeit der Religion“⁵³⁸ würdigt, möchte nicht im religiösen Bewusstsein allein den Grund religiöser Selbst- und Weltdeutung ausmachen. Er nennt vier Charakteristika religiöser Erfahrung.⁵³⁹ Sie ist (1.) unmittelbar und individuell, sie sieht sich (2.) im Gegensatz zu theoretischer oder praktischer Erfahrung als Affekt, Gefühl bzw. Stimmung, geht (3.) mit einer Erfahrung der Passivität einher, über deren Urheber keine direkten Aussagen gemacht werden können und ist (4.) in tradierten Deutungen vermittelt. Auch Wagner hat die unaufhebbare Verbindung von Religion und Deutung herausgearbeitet, ohne die kritische Perspektive auf Religion zu übergehen. Seine Religionskritik soll vielmehr als eine „philosophische Theo-Logik“ zur Propädeutik der Beschäftigung mit Religion dienen.⁵⁴⁰ Die Religionskritik wird so zur Religionsbegründung, die den Grund der Religion außerhalb des deutenden Subjekts sucht. Jörg Dierken hat in kritischer Weiterführung dieses Konzepts von Falk Wagner darauf aufmerksam gemacht, dass das Gegenüber von Kritik von jener unterscheidbar
Vgl. Barth, Christentum und Selbstbewusstsein. Dieses Wechselverhältnis von Erleben und Deuten in Ulrich Barths Religionstheorie arbeitet Dierken, Religion und Geist, 401– 409 heraus. Vgl. Barth, Was ist Religion? und Ders., Theoriedimensionen des Religionsbegriffs. Wagner, Was ist Religion?, 589. Wagner, Was ist Religion?, 71. Vgl. Wagner, Was ist Religion?, 465 – 469. Vgl. Wagner, Was ist Religion?, 570 ff.
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sein muss.⁵⁴¹ „Religionskritik kann nur dann eine religionsbegründende Funktion einnehmen, wenn aus dem Verhältnis von Religion und Kritik nicht alle Differenzen getilgt sind.“⁵⁴² Dierken kann damit die Kontingenzen aller in der menschlichen Endlichkeit vorgenommenen Kritik in seine Religionstheorie integrieren. Ohne diese Unterscheidung „von Gott und Nicht-Gott, Unendlichem und Endlichem, Divinem und Humanem (…) verschwimmt die Unbedingtheitsdimension der im Selbstverhältnis wurzelnden sinnhaften Verständigung des bewußten Lebens.“⁵⁴³ Bei Schleiermacher wird der Religionsbegriff bekanntlich in einer nichttheistischen Fassung verwendet. Das gibt ihm eine besondere Weite und macht ihn für Religionen anwendbar, die keine theistische Gottesvorstellung kennen. Die von Dierken eingeforderte Differenz ist bei Schleiermacher daher vor allem durch die Unterscheidung von Endlichem und Unendlichem geprägt.⁵⁴⁴ Dierken bringt die hier aufgemachte Grundspannung auf die Begriffe „Metaphysik des Endlichen“ und „Phänomenologie des Unendlichkeitssinns“.⁵⁴⁵ Die Aufeinanderbezogenheit von Hermeneutik und Kritik, die Schleiermacher für die Interpretation von Texten herausgearbeitet hat, muss auch in der Religionshermeneutik gewahrt bleiben. Dafür steht die religionstheoretische Spannung von Erleben und Deuten (Barth) bzw. Metaphysik und Phänomenologie (Dierken). Religiöse Deutungen und ihre Kritik bleiben den Kontingenzen der Endlichkeit unterworfen und sind notwendig unabgeschlossen. Die große Stärke religiöser Symbole liegt genau darin, diese Unbestimmheit nicht in eine einseitige Bestimmtheit zu überführen. Diese Einseitigkeit vermeidet eine theologische Hermeneutik im Anschluss an Schleiermacher, da sie auf einer multiperspektivischen Religionshermeneutik fußt. Das Verstehen von Religion bedarf gleichermaßen der Perspektiven der Religionsphilosophie, Religionsgeschichte, Religionssoziologie und Religionspsychologie. Individuelle und allgemeine Dimensionen der Religion müssen zusammen in den Blick genommen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Eine dafür aufmerksame Theologie, der es gelingt die Perspektiven zu verbinden, ohne sich dabei gegen philosophische, historische und philologische Kritik zu immunisieren, kann mit gutem Recht hermeneutische Theologie im Anschluss an Schleiermacher genannt werden. Es kann einer solchen hermeneutischen Theologie weder darum gehen, Gott so zu verstehen, dass sie sich letztlich gewiss sein kann seinem Willen zu entsprechen, noch kann sie einfach ein bestimmtes Verstehen Gottes annehmen. Es darf ihr ebenso nicht allein um das Verstehen der Gläubigen, sondern muss ihr immer auch um das Verstehen des Glaubens gehen.
Vgl. Dierken, Kritik der Religion, 88 – 90. Dierken, Kritik der Religion, 89. Kursivierung wie im Original. Dierken, Kritik der Religion, 89 f. Vgl. die Schleiermacherinterpretation von Dierken, „Daß eine Religion ohne Gott besser sein kann als eine andre mit Gott“. Dierken, „Daß eine Religion ohne Gott besser sein kann als eine andre mit Gott“, 682.
C Hermeneutische Theologie im Anschluss an Schleiermacher
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Hermeneutischer Theologie geht es mit Dalferth gesprochen um ein „Verstehen des Verstehens Gottes“. Im Sinne Schleiermachers akzentuiert heißt das: Hermeneutische Theologie ist auf eine kritische Religionshermeneutik angewiesen. Sie sucht in der Pluralität religiöser Deutungen nach Differenzen ebenso wie nach verbindenden Elementen.⁵⁴⁶ Die Vielfalt des Glaubens zu achten und Formen der gemeinsamen Kommunikation aufzuzeigen ist ein zentrales Anliegen einer solchen hermeneutischen Theologie. Ob es dabei, wie Schleiermacher noch vermutete, zu einer abschließenden Verständigung kommt, ist unwahrscheinlich. Denn die theologische Deutungspraxis ist wie alle hermeneutische Arbeit eine unendliche Aufgabe. Der Grund für die Unabschließbarkeit der Hermeneutik wie der hermeneutischen Theologie liegt in ihrem Kunstcharakter ebenso wie in ihrer Angewiesenheit auf Kritik. Die Kritik setzt dem Verstehen seine Grenze, den Grund der Möglichkeit zu Verstehen.
Sundermeier, Den Fremden verstehen, 13 hat in einer solchen „Differenzhermeneutik“ die Aufgabe praktischer Hermeneutik bestimmt.
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Personenregister Albrecht, Wolfgang 56 Alexander, Werner 16 Aristoteles 17, 66 f. Arndt, Andreas 5, 18, 49, 62, 64, 69, 126 Asmuth, Christoph 64
Eco, Umberto 24 Eichhorn, Johann Gottfried Endres, Johannes 58 Engel, Johann Jakob 57 Eschbach, Achim 4, 13
Barth, Karl 115, 118, 124 Barth, Ulrich 28, 30, 48, 71, 78, 97 f., 122, 130, 133 f. Bauer, Manuel 2, 6, 40, 52 f. Baumgarten, August G. 13, 16 f., 47 Beckmann, Klaus 81 Beetz, Manfred 16 Behler, Ernst 55 Benjamin, Walter 56 Bergner, Gerhard 115 Berner, Christian 64 Birkner, Hans-Joachim 70 Birus, Hendrik 42 Bogun, Ulrich 88 Bolz, Norbert W. 18, 61 f. Brandt, Wilfried 95, 99, 102 Braungart, Christiane 99 Bühler, Karl 4, 13 f., 19 – 21, 24 f., 27 f., 33, 128 Bühler, Pierre 128
Fichte, Johann Gottlieb 57, 60, 73, 75 Frank, Manfred 2, 11, 36 – 38
Cataldi Madonna, Luigi 16 Cercel, Larisa 6, 64 Christe, Wilhelm 91, 97, 100 – 102 Conradi, Johannes 77 Coseriu, Eugenio 15 f. Cramer, Konrad 28 Dalferth, Ungolf U. 126 – 131, 135 Danneberg, Lutz 40 f. Danz, Christian 115, 130 Daur, Martin 105 De Wette, Wilhelm Martin Leberecht 83 Diederich, Martin 17, 96, 101 f. Dierken, Jörg 5, 30, 97 f., 110, 133 f. Dierkes, Hans 56, 62 Dilthey, Wilhelm 2, 10, 37 f., 40 f., 107 Dinkel, Christoph 97, 102 Döbert, Marcus 115 Eberhard, Johann August
17, 47, 69
https://doi.org/10.1515/9783110684599-008
83
Gabler, Johann Philipp 124 Gadamer, Hans-Georg 2, 10 f., 36 – 38, 64, 70 Gaier, Ulrich 15 Gaß, Joachim Christian 7, 77, 86 – 88, 92 Gerber, Simon 77 f. Gerdes, Hayo 125 Gesche, Astrid 15 Gräb, Wilhelm 8, 38, 126, 128 – 130 Grove, Peter 9, 28 f. Habermas, Jürgen 94 Hamann, Johann Georg 13, 15, 27 Härtl, Heinz 56 Hartlieb, Elisabeth 39, 107 Hassler, Gerda 15 Haym, Rudolf 49 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 12, 113 Heidegger, Martin 11 Heintel, Erich 15 Helmert, Christine 7, 77 Herder, Johann G. 12 f., 15, 27 Hermans, Theo 64 Herms, Eilert 7, 17, 70, 72, 77, 117 f., 122 Hirsch, Emanuel 107 Hörisch, Jochen 97 Huizing, Klaas 117 Humboldt, Wilhelm von 4, 12, 20 f. Huxel, Kirsten 17 Innis, Robert E.
4, 13
Jørgensen, Theodor Holzdeppe
28, 37 f., 96
Käfer, Anne 18, 29, 56 Kall, Sylvia 55 Kant, Immanuel 15, 41, 48, 57, 73, 75, 114 Käppel, Lutz 6, 64, 67 Kim, Dae Kweon 15
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Personenregister
Kimmerle, Heinz 2, 10, 36 f. Kleffmann, Tom 129 Kliebisch, Udo 12 Kobusch, Theo 64, 66 König, Christian 100, 131 f. Korsch, Dietrich 131 f. Körtner, Ulrich H. J. 108, 114, 116 f., 122, 131 Kubik, Andreas 16 f. Lambert, Johann Heinrich 13, 17 Lamm, Julia A. 69 Lange, Dietz 42, 82, 99, 104, 107 Lauster, Jörg 98 f., 103, 121 – 124, 129, 131 f. Lee, Byung-Ok 30 Lehnerer, Thomas 29, 40 Leibniz, Gottfried Wilhelm 13, 16 f., 22, 44, 69 Lemme, Ludwig 81, 94 Leonhardt, Rochus 107 – 114, 116 – 121, 123 Leventhal, Robert S. 15 Livschitz, Avi 15 Lücke, Friedrich 36, 88 Luther, Martin 1, 116 Mädler, Inken 29, 53 Maier, Georg Friedrich 16 Maraldo, John C. 40 Marquard, Odo 107, 116 Matern, Harald 114 Matuschek, Stefan 55 Meckenstock, Günter 59, 77 Meier-Oeser, Stephan 14 Meyer, Anneke 15 Michel, Willy 6, 52 Moxter, Michael 97, 124 Mulert, Hermann 120 Müller, Ernst 29 Napierala, Mark 55 Novalis 13, 16 f., 57 Oberdorfer, Bernd 17 Odebrecht, Rudolf 11 f., 40 Osthövener, Claus-Dieter 78 Pannenberg, Wolfhart 110, 112, 114 Patsch, Hermann 7, 66, 77 Paul, Jean 13, 123 Pfleiderer, Georg 124 Platon 7, 11 f., 21, 24 – 26, 35, 64 – 76, 92 f.
Pohl, Karl 12, 26 Priesemuth, Florian
41, 46, 63, 117
Reents, Friederike 62 Reimer, Georg 65, 76, 92 Reuter, Hans-Richard 12 Richter, Cornelia 31 Ricken, Ulrich 16 Rieger, Reinhold 2, 13, 38 Ringleben, Joachim 20, 96 Rohls, Jan 11, 64, 98 Röttgers, Kurt 62 Ruth, Peter 16 Saussure, Ferdinand de 4, 20 Schenk-Lenzen, Ulrike 56 Schiewer, Gesine Leonore 17 Schlegel, August Wilhelm 6, 52 f., 55, 56 – 60, 63 Schlegel, Friedrich 2, 6, 13, 49, 52 f., 56 – 60, 61 – 63, 65 f., 70, 75 Schlenke, Dorothee 17, 28, 96, 99 Schmalz, Theodor 52 Schmidt, Sarah 23, 46, 49, 70 Schmidtke, Sabine 101 Schnur, Harald 2, 11, 13, 38 Scholtz, Gunter 6, 38, 64 Scholz, Oliver R. 16 f., 38 Schröder, Markus 78 Schröter, Marianne 78 Schütte, Hans-Walter 81 Schwering, Markus 17 Serban, Adriana 6, 64 Sigwart, Christoph von 12 Simon, Josef 17 Slenczka, Notger 8, 81 Smend, Rudolf 81 Sockness, Brent 126 Sørensen, Bengt Algot 17 Spener, Philipp Jakob 124 Steiger, Johann Anselm 104 Steiger, Lothar 95 Steiner, Peter 66 Stengel, Friedemann 121 Stoellger, Philipp 18, 39, 123, 129, 131 Sundermaier, Theo 135 Szlezák, Thomas Alexander 64, 66 f. Szondi, Peter 26, 46
Personenregister
Tennemann, Wilhelm Gottlieb 67, 69 Thouard, Denis 10, 12 Tiedemann, Dieterich 65, 67 Trillhaas, Wolfgang 7, 77, 88 Trowitzsch, Michael 128 Ungeheuer, Gerold Urban, Astrid 55
16
Villers, Jürgen 15 Virmond, Wolfgang 2, 36, 64 Volp, Rainer 13, 19 Vonk, Frank 13
Wach, Joachim 37, 66, 98 f. Wagner, Falk 12, 48, 113 f., 133 Weeber, Martin 97, 99, 110 Wieland, Wolfgang 21 Wistoff, Andreas 56 Wobbermin, Georg 44 Wolde, Georg 81 Wolf, Friedrich August 64, 66 f. Wolfes, Matthias 52 Wolff, Christian 13, 15 – 17 Zöllner, Johann Friedrich 60 Zovko, Jure 6, 49, 52, 62
157