Griechische Bildhauer an der Arbeit [4. Aufl. Reprint 2016] 9783110833805, 9783110031379


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GRIECHISCHE BILDHAUER AN DER ARBEIT
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
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Griechische Bildhauer an der Arbeit [4. Aufl. Reprint 2016]
 9783110833805, 9783110031379

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GRIECHISCHE

BILDHAUER

AN D E R

ARBEIT

G R I E C H I S C H E BILDHAUER AN DER A R B E I T VON

CARL BLÜMEL

VIERTE

AUFLAGE

WALTER DE G R U Y T E R & CO • B E R L I N

Druck von Walter de Gruyter «Sc Co., Berlin \V aö Printed in Germany Archi v-Xr. 31 73 53

i. Grabrelief der M y n n o

I

N D E N JAHREN, als man auf der Akropolis von Athen am Erechtheion baute und der Parthenon gerade vollendet worden war, wurde einem Bildhauer, dessen Namen wir nicht mehr kennen, der aber auch an den Wunderwerken griechischer Skulptur des perikleischen Athen mitgearbeitet hatte, ein bescheidener Grabstein in Auftrag gegeben (i). Unten in der Stadt war die Mynno gestorben. Sie wurde an der Straße, die zum Piräus herabführte, begraben. Das Denkmal, das die Verwandten ihr setzen konnten, durfte nicht viel kosten; es ist deshalb auch nur 60 cm hoch geworden. Die Giebelbekrönung hat man aus demselben Grunde glatt gelassen, sie bekam nur durch Bemalung, die leider jetzt verblichen ist, Schmuck und Gliederung. In dem Relieffeld, das ohne Einfassung blieb, ist die Verstorbene bei ihrem häuslichen Tun dargestellt. Mynno sitzt neben dem Korb für die Wolle und hält in der rechten Hand eine Spindel; der Rocken, den man in der erhobenen linken Hand erwartet, muß nur gemalt gewesen sein. Ganz in ihre Arbeit vertieft, blickt sie still sinnend vor sich hin. Das Mädchen trägt kurz geschnittenes Haar und die übliche Kleidung, einen gegürteten Chiton mit dem Himation darüber. Auf dem oberen Rand des Reliefs stehen die Reste des Namens, die man zu Mynno zu ergänzen hat. Da der Name des Mannes oder Vaters nicht beigefügt ist, kann Mynno keine Vollbürgerin gewesen sein. Sie war eine arme Zugewanderte oder Sklavin. Aber das hinderte nicht, daß auch sie ein Grabdenkmal bekam, das in seiner einfachen Menschlichkeit, in seiner Ruhe und stillen Heiterkeit sich neben die Gestalten aus dem Parthenonfries stellt. Man suche einmal in der Geschichte ein Volk, wo selbst eine Dienerin ein Grabdenkmal bekam, das von hoher Kunst geadelt war. Und dann suche man eine andere Kunstepoche, in der eine Stele wie die der Mynno eine untere Grenze bildhauerischen Könnens darstellte. Diese nie wieder erreichte künstlerische Durchdringung eines ganzen Volkes bis in die untersten Schichten hat einen sehr hohen Stand handwerklichen Könnens mit zur Voraussetzung. Es lohnt sich deshalb auch, möglichst viel davon zu erfahren, wie der griechische Bildhauer gearbeitet hat, und wodurch sich seine Arbeitsmethoden von denen späterer Künstler unterschieden haben. Wie können wir heute nach fünfundzwanzig Jahrhunderten überhaupt noch feststellen, wie ein griechischer Bildhauer gearbeitet hat? Aus den antiken Schriftstellern erfahren wir das nicht. Was Bildhauer, wie zum Beispiel der große Polyklet im 5. Jahrhundert vor Chr. darüber geschrie7

ben haben, ist leider verloren, und was sich sonst verstreut in der antiken Literatur findet, stammt nicht von Fachleuten, sondern von Historikern und Literaten. Es ist meist so anekdotenhaft und auch wieder nur für den Laien bestimmt, daß sich so gut wie nichts daraus entnehmen läßt. Wichtig sind allerdings gelegentliche Angaben in den Inschriften und bildliche Darstellungen von Bildhauern bei der Arbeit. Aber die Hauptsache bleiben doch die Kunstwerke selbst und in erster Linie natürlich solche, an denen die Spuren der Meißelfuhrung noch erkennbar und nicht durch saubere Glättung der Oberfläche weggewischt sind. Man muß die Verwendung der verschiedenen Werkzeuge an den Bildwerken selbst sehen lernen und damit die Vorstellung von der Arbeitsweise des Bildhauers verbinden können. Schwierig ist das nicht, weil heute noch dieselben wenigen Meißel benutzt werden wie in der Antike. Anders war aber der Arbeitsablauf und in ihm die Anwendung der verschiedenen Werkzeuge. Jede Zeit hat ihre eigene Art, Formen zu sehen und zu bilden, und immer stand das Werkverfahren in unmittelbarer Abhängigkeit von der jeweiligen Formanschauung. Der Vielfalt der Formungsmöglichkeiten entspricht in der Bildhauerei eine große Zahl von Verwendungsarten der wenigen Hauptformen der Werkzeuge. Diesen in den verschiedenen Zeiten und verschiedenen Stadien der Arbeit nachzugehen, dazu bietet sich uns noch in den Resten der antiken Plastik ein so reiches Material, daß sich wenigstens in den Grundzügen die Verfahren des antiken Bildhauers und ihre Entwicklung im Verlauf der Jahrhunderte übersehen lassen. Hinzu kommt, daß die feste und einheitliche handwerkliche Tradition bei den Griechen uns gestattet, von einer Arbeit, bei der wir einen Teil des Werdeganges verfolgen können, auf andere ähnliche Werke derselben Zeit Rückschlüsse zu ziehen. Allgemein gültige Regeln wird man trotzdem nur mit allem Vorbehalt aufstellen, weil man immer mit gelegentlichen Abweichungen und Schwankungen rechnen muß, die sich schon allein bei Werken verschiedener Qualität ergeben. Zudem wird nicht nur jede Schule, sondern sogar jede Werkstatt aus ihrer Erfahrung heraus und für das von ihr bearbeitete Material besondere technische Eigenheiten entwickeln. Aber es geht hier auch gar nicht um solche letzte Feinheiten, deren Aufzählung durch eine Anhäufung zahlloser Einzelbeobachtungen nur ermüden würde. Das, worauf es ankommt, ist, ein Gesamtbild vom Werdegang plastischer Kunstwerke in den verschiedenen Zeiten griechischer Kunst von der ersten rohen Anlage im Stein bis zu ihrer Vollendung zu gewinnen. 8

Da gibt es zunächst viele Stücke, die der Künstler während der Arbeit hat liegen lassen. Es ist der Abfall der antiken Bildhauerei, der aber deshalb nicht von den schlechtesten Bildhauern zu stammen braucht. Oft zeigt sich erst nach wochen- und monatelanger Arbeit, daß der Marmorblock in seinem Innern Fehler aufweist, die man ihm im Steinbruch nicht ansehen konnte. So treten plötzlich Risse auf, spröde Stellen, die abblättern und ein Weiterarbeiten nicht lohnend erscheinen lassen. Ein anderes Mal haben äußere Ereignisse die Vollendung verhindert. Ein Ort, wie beispielsweise Delos, wird im Kriege zerstört, die Bevölkerung fortgeführt, die Arbeitsstätte des Bildhauers bleibt verödet liegen, seine angefangenen Arbeiten kommen unter die Erde und werden erst in unseren Tagen durch Ausgrabungen wieder ans Licht gebracht. Manches Stück mag auch nie fertig geworden sein, weil der Bildhauer starb und sich keiner fand, der nach seinem Tode die Arbeit hätte zu Ende führen können. Nur der Fall, an den man vielleicht zunächst denkt, wenn man von unfertigen Bildhauerarbeiten hört, daß nämlich der Bildhauer die Weiterarbeit aufgibt, weil er den Block hoffnungslos verhauen hat, ist sicher sehr selten gewesen. Natürlich wird jeder Steinmetz auch einmal einen Fehler machen, es gibt aber so viele Möglichkeiten, diesen Schaden wieder auszugleichen, daß bei einiger Geschicklichkeit meist darüber hinwegzukommen ist. Denn nur in den frühen Stadien der Arbeit, wo der Bildhauer größere Stücke von seinem Block löst, können auch derbere Fehlhiebe vorkommen. Aber zu diesem Zeitpunkt hat er noch viele Möglichkeiten, das wieder gutzumachen; während bei weiter fortgeschrittenen Arbeiten ein Verhauen oder das Absplittern eines zu großen Stückes kaum mehr möglich ist. Nicht weniger lehrreich als diese unfertigen Bildhauerarbeiten sind Skulpturen, an denen nur bestimmte Teile vernachlässigt sind, weil man sie nach der endgültigen Aufstellung nicht mehr sah. Solche Partien sind selten ganz roh gelassen, der Bildhauer hat meistens nur die letzte mühevolle Feinarbeit und Glättung sparen wollen. Die Grenze des Fertigen gegen das Unfertige ist dabei nie ganz scharf gezogen, weil der Bildhauer auf diesen Randstreifen mit dem nächst feineren Werkzeug eigentlich nie an derselben Stelle einsetzt. Und so geben diese Ränder oft einen Querschnitt durch die letzten, besonders wichtigen Schichten der Arbeit. Aber selbst an fertigen Skulpturen sind die Spuren der Meißelarbeit gelegentlich nicht ganz verwischt. Auch wenn nur mehr wenig erkennbar ist, so genügt das oft, um damit den Anschluß an die früheren Stadien unfertiger Arbeiten derselben Technik zu gewinnen. 9

N

ICHT WEIT von der Nordspitze der Insel Naxos bei dem Dorf Komiaki liegt in einem antiken Steinbruch am Abhang eines Hügels die unvollendete Kolossalstatue eines griechischen bärtigen Gottes (2—4). Man muß sie sich aufrechtstehend denken, der linke Fuß ist ein wenig vorgesetzt, beide Arme liegen bis zu den Ellenbogen am Körper an. Von dort sind sie dann gerade nach vorn gestreckt. Die Gewandung ist in großen Flächen nur eben angedeutet. Am Kopf sind die Augen leicht eingetieft. Die Nase wird durch eine breite, flache Erhöhimg bezeichnet. Durch den Kopf und die Brust ziehen sich einige tiefe Risse; sie könnten der Grund gewesen sein, daß man die Statue unvollendet im Bruch liegen ließ. Sicher ist das allerdings nicht, ebensogut können Regen und Sonne, Frost und Erdbeben im Laufe der Jahrhunderte diese Schäden bewirkt haben. Es müßte dann durch äußere Anlässe wie Krieg, Geldmangel oder den Tod des Auftraggebers die weitere Ausführung unterblieben sein. Wahrscheinlich haben wir in der Gestalt einen Dionysos zu erkennen, der natürlich nicht an der Stelle, wo er gearbeitet wurde, aufgestellt werden, sondern in einem Heiligtum in der Nähe, vielleicht sogar auf einer der Nachbarinseln als Weihgeschenk seinen Platz finden sollte. Erstaunlich sind die Ausmaße dieses Riesen. Er ist fast u m lang, seine Brustbreite beträgt 1,70 m, die Länge des Oberarms fast 2 m. Aufgestellt würde er mit seinem ganzen Oberkörper die Häuser des Dorfes Komiaki hoch überragen. Man muß sich einmal vorstellen, wie wenig die Bildhauer bei der Arbeit von dieser mächtigen, liegenden Statue noch dazu an einem steil abfallenden Bergabhang übersehen konnten. In der Seitenansicht ist sie auch heute nur als Ganzes zu photographieren, wenn man mehrere Aufnahmen aneinander setzt. Da die Griechen trotzdem die Arbeit in dieser horizontalen Lage bewältigen konnten, so ergibt sich daraus, daß sie wie für ein Bauwerk genau vorher festgelegte Maße und Proportionen gehabt haben müssen, die sie auf diesen Steinkoloß übertrugen. Die Vorarbeit im Steinbruch sollte natürlich in erster Linie den riesigen Marmorblock verkleinern. Bei einem Transport der ganzen unbehauenen Steinmasse aus dem Bruch hätten die Bildhauer sicher mit dem doppelten, wenn nicht dreifachen Gewicht rechnen müssen, was bei dieser Größe und in so schwierigem Gelände sehr viel bedeutete. In einem anderen Steinbruch auf Naxos bei dem Ort Flerio im Bezirk Tragea liegt eine unfertige nackte Jünglingsfigur (5) in einem etwas fortgeschrittenerem Zustand, ebenfalls noch an dem Ort, an dem sie gebrochen 10

2 u. 3. K o l o s s a l s t a t u e im S t e i n b r u c h a u f N a x o s

wurde. Denn auch diese Arbeit ist so gewichtig, daß man sich jeden unnötigen Transport ersparen mußte. Aufgerichtet wäre sie 5,55 m hoch, ihre Breite beträgt 1,45 m. Der stehende nackte Jüngling hat das linke Bein etwas vorgesetzt, die Arme liegen seitlich fest am Körper an. Am Kopf fehlt noch jede Angabe von Nase, Mund und Augen; alles ist nur eben in großen Massen angelegt. Die Arbeit muß ebenso wie der riesige Dionysos noch in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts vor Chr. entstanden sein. Schon sehr viel weiter ausgeführt ist die Kolossalstatue eines Widderträgers (6—8), die man in der Westmauer der Akropolis von Thasos gefunden hat. Der Körper war dreimal gebrochen, unterhalb der Brust, in Höhe der Knie und über den Füßen. Jetzt hat man ihn wieder zusammengesetzt und aufgerichtet. Seine Größe beträgt 3,50 m, also nur ein Drittel des naxischen Riesen. Wieder steht die nackte Figur in der üblichen archaischen Schrittstellung mit vorgesetztem linken Bein ruhig da, in einer Haltung, die die griechischen Künstler zweifellos ägyptischen Statuen abgesehen haben. Der rechte Arm, der jetzt zum großen Teil fehlt, lag seitlich am Körper an. Der linke hält einen jungen Widder vor die Brust

8. K o p f des W i d d e r t r ä g e r s v o n T h a s o s

gepreßt. Das Haar ist am Kopf durch ein Band zusammengehalten und fällt in acht Strähnen nach vorn und nach hinten über Brust und Rücken. Aufgegeben wurde die Arbeit wahrscheinlich wegen der großen Risse in der linken Kopfhälfte, die über die Brust bis herab zum Kopf des jungen Widders reichen. Sicher hätten es Bildhauer und Spender nie gewagt, ein so fehlerhaftes Stück in dem heiligen Bezirk des Gottes aufzustellen. Dieser Widderträger von Thasos, wahrscheinlich ein Büd des Gottes Apollon, ist von den drei unfertigen Statuen sicher die früheste, sie gehört in den Anfang des 6. Jahrhunderts vor Chr. und ist eins der ältesten uns erhaltenen großen Marmorwerke von der Hand eines griechischen Bildhauers.

Schon von diesen drei Statuen läßt sich ein Gesetz für die griechische Bildhauerarbeit ablesen, das mehrere Jahrhunderte gültig bleibt und erst in hellenistischer Zeit langsam seine Wirksamkeit verliert. Es ist bemerkenswert und durchaus kein Zufall, daß man an diesen drei Statuen schon alles Wesentliche erkennen kann, obwohl noch recht viel bis zu ihrer endgültigen Fertigstellung zu tun übrig blieb. Das liegt daran, daß jede griechische Skulptur der Frühzeit in jedem Stadium der Arbeit etwas unbedingt Einheitliches und in ihrer Art Fertiges ist. Der griechische Bildhauer geht von vier Seiten an seinen Block heran und zieht mit seinem Meißel eine dünne Steinschicht nach der anderen herunter; und bei jeder Schicht, die er von der Statue ablöst, kommen jedesmal einige wenige neue Formen hinzu. Das Ausschlaggebende dabei, ist aber, daß der griechische Bildhauer jedesmal eine ganze Schicht rings um den Block herunternimmt. Er arbeitet niemals an einem Bein, einem Arm oder einem Kopf für sich, sondern er hat immer das Ganze im Auge, und die Figur ist in jedem Stadium der Arbeit ein Ganzes. Da darf sich keine Einzelheit während der Arbeit vorwitzig zu früh hervorwagen; da sind die Augen ebenso wichtig wie eine Locke der Haare oder der große Zeh am Fuß. Alles ist ein Teil des Ganzen und geht vollkommen im Ganzen auf. So wird von dem Bildhauer dieselbe Figur, angefangen von dem viereckigen Block, bis zu ihrer endgültigen Fertigstellung mindestens hundertmal ganz modelliert, zu Anfang nur mit wenigen Formen, dann immer reicher, runder und lebendiger bis zum endlichen Abschluß. Ist es da wohl verwunderlich, daß von einer solchen griechischen Skulptur soviel Energien ausstrahlen, da der Bildhauer sie bei jeder Schicht immer wieder neu durchdacht und gleichsam mit neuen Kräften geladen hat! An den drei Kolossalstatuen von den Inseln Naxos und Thasos hatte der Bildhauer bereits eine gewaltige Arbeit geleistet, als sie unfertig liegengelassen werden mußten. In großen Formen sind die Gestalten bereits aus dem Stein herausgelöst, die Proportionen von Kopf, Körper und Gliedmaßen sind festgelegt, die Skulptur ist bereits zu einem organischen Gebilde entwickelt. Wie die Vorstufen dazu ausgesehen haben müssen, kann man an drei kleineren Marmorarbeiten ablesen, die schon unmittelbar nach Beginn der Arbeit unfertig liegen geblieben sind. Beim Heiligtum der Artemis Orthia in Sparta wurde das Bruchstück von einem unfertigen Marmorreiter (9) gefunden, das nur 20 cm hoch, 16 cm breit und 6 cm dick ist. Auf der glattgeschnittenen Seitenfläche des Frag16

9. B r u c h s t ü c k e i n e r aus

Reiterstatuette

Sparta

ments erkennt man die eingeritzte Vorzeichnung des Pferdekörpers, auch die Zügel sind schon durch feine Linien angedeutet, und nun ist der Künstler gerade dazu übergegangen, diese Pferdesilhouette aus dem Stein herauszumeißeln. Vorn und unten ist der Marmor genau entlang der Außenlinie beschnitten. Am Pferdekopf und auf dem Rücken hat der Künstler die vorgezeichnete Umrißlinie noch nicht ganz erreicht. Das Pferd sollte auch einmal einen kleinen Reiter tragen. Der Körper ist leider weggebrochen, nur von seinem Knie hat sich am Rücken des Tieres eine Spur der Vorzeichnung erhalten. Ganz ähnlich hat ein attischer Bildhauer aus einem Marmorblock von 2,10 m Höhe, der bei Dionyso am Nordabhang des Pentelikon in der Nähe eines alten Steinbruchs gefunden wurde, eine stehende nackte 2 Eliiinel, Griecli. Bildhauer 17

io. J ü n g l i n g s f i g u r v o m

Pentelikon

männliche Gestalt ganz im Rohen zugehauen (io). Er arbeitete zunächst nur an dem Hauptumriß der Vorderansicht. Beide Arme der Statue Hegen fest am Körper an, und wenn auch schon das leicht vorgesetzte linke Bein in Andeutung vorhanden ist, so wirkt der Block in diesem ersten Stadium noch flach wie ein Brett. Die Arbeit von den Seitenansichten ist nur eben erst in Angriff genommen, der Umriß von vorn war aber zunächst das Wichtigste. Auch diese Arbeit ist unfertig geblieben, weil es sich zeigte, daß der Marmor fehlerhafte Stellen aufwies und Stücke abblätterten. So ist es auch gekommen, daß das ganze Gesicht, die rechte Schlüter und das Glied weggebrochen sind. Wie in diesen frühen Stadien der Arbeit auch langsam die Seitenansichten in die Arbeit miteinbezogen werden, zeigt eine andere, nur 48 cm hohe und 12 cm breite, ebenfalls bei Dionyso gefundene Statuette eines Mannes (11). Auch sie ist noch nicht über den ersten rechteckigen Zu-

schnitt herausgekommen; aber die Seitenansicht zeigt doch schon, wie der Bildhauer sich darum bemüht, die Rückenlinie der Gestalt zu formen» die Vorderansicht ist nicht mehr allein die Hauptsache. Ein gutes Stück weiter fortgeschritten ist ein lebensgroßer männlicher Torso, dem beide Beine bis über die Knie fehlen (12 u. 13). Der Block ist jetzt noch 1,02 m hoch, er wurde auf der Insel Naxos ganz in der Nähe des riesigen Dionysos von einem Bauern in seinem Acker gefunden und später in das Athener Nationalmuseum geschafft. Der Bildhauer hat die Figur von vorn, hinten und den beiden Seiten in großen, rechtwinklig aufeinanderstoßenden Flächen angelegt und geht nun gerade dazu über, ab-

2*

11. Jünglingsstatuette vom Pentelikon

rundend diese Hauptflächen miteinander zu verbinden und weiter in sich zu gliedern. Dabei sind ihm alle feineren Einzelheiten noch ganz gleichgültig. Die Masse des Haares, das nach hinten in den Nacken herabfällt, ist ganz ungegliedert. Im Gesicht erkennt man wohl schon eine Andeutung der Nase und der Augenhöhlen, aber alles bleibt zunächst ganz unbestimmt. Der Bildhauer legt sich in diesem frühen Stadium nicht auf bestimmte Formen fest.

1 2 u. 13. T o r s o von der I n s e l N a x o s

14- T o r s o von der I n s e l N a x o s

15. G e f ä l s c h t e r T o r s o

Vor allem kann man an diesem Torso, der nicht jahrhundertelang im Freien gelegen hat, sondern unter der Erde, und deshalb an der Oberfläche auch nicht verwittert ist, die Meißelarbeit in allen Einzelheiten erkennen. So einfach wie die ganze Anlage der Gestalt ist auch das Werkzeug, mit dem sie geschaffen wurde. Der Bildhauer hat nur einen bronzenen Spitzmeißel benutzt, den er immer wieder senkrecht zum Block ansetzte. So sehen wir denn auch ein kleines Loch neben dem andern. Es ist selbstverständlich, daß der griechische Bildhauer in den frühen Stadien der Arbeit einen stärkeren Meißel, vielleicht auch einen Spitzhammer benutzte und langsam zu einem immer feineren Werkzeug über-

ging, bis er schließlich alles so durchgeformt hatte, wie es beabsichtigt war. Das wäre an sich nichts Besonderes. Noch nie haben Bildhauer eine Marmorskulptur zunächst anders als mit einem spitzen Eisen bearbeitet. Was an dem Torso auffällt, ist die recht feine Spitzeisenarbeit und vor allem die Art, wie der Meißel ganz regelmäßig, immer nur senkrecht zur Oberfläche, angesetzt worden ist. Man sieht nur ganz selten Meißelfurchen, die von dem schräg angesetzten Spitzmeißel herrühren. Diese Art der Arbeit wird man leichter verstehen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Grieche noch keinen gehärteten Stahl kannte, vielmehr mit weichen Bronzemeißeln arbeiten mußte, die sehr schnell stumpf wurden. Die feine Spitzmeißelarbeit an unserem Torso ließ sich auch noch mit einem recht stumpfen Meißel durchführen. Es kam ja nur darauf an, mit diesem Werkzeug kleine Teile der Marmoroberfläche soweit zu zermürben, daß sie absplitterten. Dieses Bestoßen mit dem spitzen Eisen setzte der Grieche solange fort, bis er die Oberfläche mit Schmirgel und Bimsstein glatt reiben konnte. Das war eine sehr mühevolle Arbeit, die viel Geduld erforderte und es schließlich doch nicht immer fertig brachte, daß einzelne, etwas zu tief gegangene Spitzeisenhiebe vollständig verschwanden. So sehen wir auch oft, daß gerade frühgriechische Skulpturen von oben bis unten mit kleinen Löchern in der Oberfläche übersät sein können, die keineswegs spätere Verletzungen, sondern in der Hauptsache zu tief gegangene Spitzeisenhiebe sind. Sie wurden einfach bei der Glättung nicht mehr ganz getilgt. Oft ist auch durch die Spitzeisenarbeit der Marmor an der Oberfläche zermürbt und wittert deshalb leicht aus. An einem schönen männlichen Torso (14), der auch von der Insel Naxos stammt und jetzt im Berliner Alten Museum steht, sieht man diese Reste der Spitzeisenarbeit in Form von kleinen Löchern besonders gut; sie verteilen sich über die ganze Oberfläche des Körpers. In dieser Art der Marmorbehandlung liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen griechischer und späterer Steinmetztechnik. Alle Marmorarbeiten in Ausstellungen und in Museen mit neuerer Kunst haben eine alabasterweiße, durchscheinende Oberfläche, die der Laie als Selbstverständlichkeit von jeder Marmorarbeit fordert. Eine griechische Skulptur würde er meist gar nicht für Marmor halten, weil ihre Oberfläche undurchsichtig, körnig, gelblichgrau und fast wie einfacher Kalkstein aussieht. Das hat seinen Grund nur in der Verschiedenheit der Materialbehandlung bei der Bearbeitung. Wenn man den Marmor mit senkrechten 22

16. W e i h r e l i e f e i n e s B i l d h a u e r s

Spitzmeißelhieben, wie es der Grieche tut, bearbeitet, werden die feinen Kristalle des Steins manchmal bis zu zwei Zentimetern Tiefe zerdrückt, verlieren ihre Lichtdurchlässigkeit, und der Stein bekommt das stumpfe Aussehen. Dieses sogenannte Prellen des Marmors vermeidet der moderne Bildhauer. Nur am Anfang seiner Arbeit geht er mit senkrechten Spitzeisen- oder Spitzhammerhieben dem Stein zu Leibe. Später werden die Schläge dadurch weicher, daß er das Eisen etwas schräg ansetzt, und wenn er schließlich der Oberfläche seiner Skulptur nahekommt, nimmt er ein flaches Eisen, das ungefähr wie ein Stemmeisen aussieht, und zieht damit ganz vorsichtig die letzten Schichten herunter, ohne den Marmor zu prellen. Darauf folgt dann eine sorgfältige Politur, und der Marmor bekommt das glänzende, durchsichtige Aussehen, das jedem Laien für den Marmor so charakteristisch zu sein scheint. Welche Art der Oberflächenbehandlung die schönere ist, darüber zu streiten wäre ein müßiges Beginnen. Aber gerade dieser Pfirsichflaum der Marmoroberfläche, der nach weitgehender Spitzeisenarbeit fast jedes Körnchen lebendig erscheinen läßt, dem Marmor eine samtweiche Tiefe gibt, und in diesem Maße nur der griechischen Skulptur eigen ist, wäre bei einer Behandlung mit dem Schlageisen wie weggewischt. Bei dieser überragenden Bedeu-

tung der Spitzeisenarbeit in der griechischen Plastik wirkt es fast wie ein Symbol, wenn ein griechischer Bildhauer auf einem Weihrelief, das er der Gottheit in Dankbarkeit weihte, ganz schlicht seinen Spitzmeißel neben dem Schlegel zeigte (16). Das waren seine beiden Hauptwerkzeuge, mit denen er seine Lebensarbeit schuf. Sie verdienten es, auf diese stille Art geehrt zu werden. Die weitgehende Spitzeisenarbeit hat der Grieche bei seinen Lehrmeistern in der Steinarbeit, den Ägyptern, Babyloniern und Assyriern gelernt, die ihre sehr harten Gesteine wie Granit oder Basalt nur auf diese Art in mühevollster Zermürbungsarbeit der Oberfläche bewältigen konnten. Was aber der Granit vom Ägypter forderte, gaben die Griechen dem sehr viel weicheren Marmor durch Jahrhunderte hindurch in gewissenhafter Unterordnung unter eine sehr kluge und dem Material gerecht werdende Tradition. Überdies sollte man nie vergessen, daß die griechische Skulptur einmal farbig war. Es bedarf wohl keines besonderen Hinweises, daß ein Farbauftrag zu einer stumpfen Oberfläche besser paßt und auf ihr haftet als auf einer glatten Politur. Diese Unterschiede zwischen griechischer Spitzeisenarbeit mit darauf folgender Glättung durch Schmirgel oder Bimsstein und dem Verfahren der römischen und neueren Bildhauer mit ausgiebiger Flacheisenarbeit bei ängstlichem Vermeiden des Prellens werden uns heute oft gar nicht mehr recht bewußt. Wir haben uns an das Aussehen griechischer Skulpturen gewöhnt und finden es selbstverständlich, daß sie anders aussehen müssen als römische und neuere Arbeiten. Das ist jedoch zu bedauern und war nicht immer so, wie eine kleine Geschichte zeigt, die der englische Archäologe Casson aus Oxford in seinem Buch 'The technique of the early greek sculpture' S. 201 erzählt. Als im Jahre 1816 die Parthenonskulpturen in London zum Kauf angeboten wurden, sprach sich Richard Payne Knight einer Königlichen Kommission gegenüber dahin aus, daß diese Marmorwerke nicht mit Schlageisen und Raspel geglättet, sondern einfach über der Spitzeisenarbeit poliert seien. Da man aber an wirklich griechischen Arbeiten wie dem Laokoon noch sehen könne, daß sie mit dem Flacheisen und der Raspel geglättet seien, so schloß er daraus, daß die Parthenonskulpturen nicht griechisch sein könnten. Er hielt sie vielmehr für römische Arbeiten aus hadrianischer Zeit. Payne Knight hatte damit tatsächlich etwas sehr Richtiges beobachtet, nur war der Schluß, den er zog, falsch. Der Laokoon ist eine ungefähr 350 Jahre spätere Arbeit als die Skulpturen vom Parthenon und nähert 24

17- W e r k z e u g e d e s B i l d h a u e r s a) Spitzmeißel b) Schlageisen, flaches Eisen c) Rundmeißel d) Zahneisen e) Stockhammer f ) Spitzhammer g, h) Raspeln i) Laufender Bohrer k) Bohrer 1) Brustleier, Brustwinde

l8. K n i e n d e D i e n e r i n a u s d e m O s t g i e b e l v o n O l y m p i a

sich schon so sehr der römischen Arbeitsweise, daß bei ihm auch schon die Glättung der Oberfläche nicht mehr der an Werken klassischer Zeit entspricht. Wenn es jemand geben sollte, der an den Parthenonskulpturen den beschriebenen Arbeitsprozeß nicht wahr haben will, so braucht man ihn nur auf die Giebelfiguren vom Zeustempel in Olympia (18) und vom alten Apollontempel in Delphi zu verweisen, an denen die Rückseiten unfertig geblieben sind, wodurch der Arbeitsablauf an den letzten Schichten frei zutage liegt. Hier steht in der Mitte der Rückseite eine Arbeit mit dem spitzen Eisen, wie man sie an allen unfertigen griechischen Skulpturen

19- M ä n n l i c h e r T o r s o aus A t h e n

beobachten kann, und diese gespitzten Flächen gehen an den Rändern ohne jeden Übergang in die Glättung der Vorderseite über. Auf dem Rand vom Unfertigen zum Glatten sind höchstens einmal ein paar zu tief gegangene Spitzeisenhiebe stehen geblieben, die die Politur mit Schmirgel und Bimsstein nicht mehr ganz weggenommen hat. Auch an einem kleinen Torso eines vorgebeugten Mannes (19) im Nationalmuseum in Athen geht auf der unfertigen Rückseite die Spitzmeißelarbeit unmittelbar in die geglättete Oberfläche über; nicht eine Spur des Schlageisens läßt sich feststellen. Ganz anders ist das Bild an allen kaiserzeitlichen Skulpturen, soweit ihre Rückseite unfertig geblieben ist. Hier vollzog sich die Glät27

20. A r c h a i s c h e r J ü n g l i n g s k o p f

28

Archaischer

Jünglingskopf

tung in verschiedenen, deutlich nebeneinander abgesetzten Schichten, von denen eine auf die andere bei der Arbeit folgte, die sich aber am Übergang vom Fertigen zum Unfertigen nicht mehr ganz deckten. Da sieht man in der Mitte die übliche, wenn auch recht grobe Spitzeisenarbeit, dann zu beiden Seiten einen Streifen mit Zahneisenspuren, dann einen Streifen Schlageisenarbeit und schließlich die Spuren der Raspel. Es ist ungefähr die Abfolge von Werkzeugspuren zur Glättung der Oberfläche, wie sie auch jeder modernen Skulptur eigen ist. Der Torso eines nackten Mannes auf Abbildung 15 gibt sich als frühgriechische Arbeit, auch an ihm kann man an kleinen Einzelheiten erkennen, daß er nicht ganz fertig geworden ist. An diesem Stück fehlen die Spuren des Spitzeisens ganz. Dafür ist die Oberfläche sehr sauber mit einem Zahneisen aufgerauht. Die Beurteilung des Stückes ist höchst einfach. Es ist eine moderne Fälschung. Der Bildhauer hat nicht gewagt, den Marmor zu prellen, weil er auf der Schule immer davor gewarnt worden ist. Nun sah aber sein schön kopierter Torso so unantik wie nur möglich aus. Da hat er dann, um eine antike Oberfläche vorzutäuschen, nachträglich alles mit einem Zahneisen wieder aufgerauht. Täuschen kann er damit aber nur einen Laien. Man muß sich immer wieder darüber wundern, wie wenig sich bis jetzt auch bessere Fälscher mit den einfachsten Gesetzen der antiken Marmorbearbeitung vertraut gemacht haben. Gewöhnlich arbeiten sie ihre Fälschungen nach ganz modernen Verfahren und versuchen dann nachträglich, den Stücken durch künstliches Zerstören der Oberfläche ein altes Aussehen zu geben, was gewöhnlich nicht gelingt, weil immer noch genug von der modernen Oberfläche übrig bleibt, um sie zu verraten. Die Münchener Glypthotek besitzt den archaischen Kopf (20 u. 21) einer nackten Jünglingsstatue aus der Mitte des 6. Jahrhunderts vor Chr., der auch auf einer der griechischen Inseln entstanden sein soll. Er ist in einem weit vorgeschrittenen Stadium der Arbeit unfertig hegen gebheben. U m den Kopf mit den hinten und an den Seiten lang herabfallenden Haaren war oben eine Binde herumgelegt, für die man noch den Einschnitt sieht. Die Haarsträhnen hinter dem Ohr, die in der Seitenansicht am besten sichtbar sind, wurden nur eben angedeutet. Die linke Seite ist weit weniger ausgeführt als die rechte, Ohr und Haar bilden hier eine einfache glatte Fläche. Stirn und Wangenpartie sind schon mit Schmirgel und Bimsstein fast fertig geglättet, und wie gewöhnlich erkennt man auf diesen Flächen, überall als hellere Punkte verstreut, einzelne zu tief gegangene 30

22. A p o l l o n aus d e m W e s t g i e b e l v o n O l y m p i a

Hiebe des spitzen Eisens. Die stark hervortretenden Augen sind in den Einzelheiten noch nicht durchmodelliert, die Angabe der Augenlider fehlt vollständig. Am rechten Auge und Ohr sind die Spuren eines feineren Spitzmeißels erkennbar, daneben sieht man auch die Spuren eines anderen Werkzeugs. In den Haarpartien der rechten Kopfseite und in der linken Augenhöhle finden sich mehrmals vier bis fünf Rillen nebenein31

ander, sie deuten auf die Arbeit mit einem Zahneisen hin. Dieses Werkzeug ist eigentlich nichts anderes als ein vervielfachtes feines Spitzeisen, und seine Verwendung ist auch ungefähr dieselbe. Der Bildhauer der griechischen Frühzeit setzt es fast nur zu kurzen, fast senkrechten Hieben an. Die Zahneisenarbeit folgt gewöhnlich auf den Spitzmeißel, um Unebenheiten zusammenzuziehen und einzuebnen. Oft leistet sie auch nur eine Hilfe für das Auge des Steinmetzen, um bei der Arbeit verschiedene

27. H a n d w e r k e r b e d i e n t den l a u f e n d e n B o h r e r

Flächen, die alle zunächst gleichmäßig mit dem Spitzeisen angelegt sind, klar gegeneinander abzusetzen, so zum Beispiel das Haar gegen die Haut des Gesichts oder ein Stück des Gewandes gegen nackte Teile des Körpers. Die frühgriechische Bildhauerei verwendet gelegentlich auch das Schlageisen, allerdings nicht zum Glätten der Oberfläche, sondern immer nur da, wo es gilt, gewissen Stellen durch scharfe Schnitte einen besonderen Akzent zu verleihen und sie aus der weicheren Umgebung herauszuheben. So werden die Augenlider durch Schlageisenarbeit scharf vom Augapfel getrennt, auch die Lippen bekommen damit einen klaren Umriß, vor allem will aber der Bildhauer feine und zierliche Haarsträhnen oder reiche ornamentale Zickzackfalten am Gewand wie ein ziseliertes Ornament herausarbeiten. Dasselbe gilt für Inschriften; die scharfen Ecken und Kanten der einzelnen Buchstaben sind nur mit diesem Werkzeug klar in den Marmor einzuschneiden. Besonders lehrreich für die Anwendung der Schlageisenarbeit ist die rechte, für den Beschauer zum größten Teil nicht sichtbare Kopfhälfte des Apollon im Westgiebel von Olympia (22). Sie zeigt deutlich, wie weit diese Skulptur mit dem Spitzmeißel gearbeitet wurde. In die rauh gelassenen Teile des Hinterkopfes wurden seitlich ohne alle Übergänge die einzelnen Haarsträhnen fest und eckig mit dem Schlageisen eingegraben. 34

28. D a r s t e l l u n g der S a g e der D a n a e m i t T i s c h l e r am l a u f e n d e n

Bohrer

Der Künstler kann auch ein Rundeisen verwenden, das mit seiner abgerundeten Schneide schräg zum Stein angesetzt flache, rundliche Furchen zieht. Mit ihm sind gelegentlich Haarwellen oder auch das gleichmäßig feine Faltengeriesel an der Gewandung mancher Mädchengestalten gearbeitet. Nie aber würde der Bildhauer mit einem solchen Eisen an nackte Teile des Körpers herangehen, dafür wird ausschließlich das Spitz- und Zahneisen verwendet. Die griechische Skulptur der frühklassischen Zeit bringt keine Änderung in der Verwendung dieser Werkzeuge. Das zeigt das unfertige Jünglingsköpfchen vom Delion auf Paros (23 u. 24). Es ist nur 15 cm hoch und steht unmittelbar vor seiner Vollendung. Die gesamte Oberfläche ist gespitzt, im Gesicht ist bereits mit der Glättung begonnen worden. Nur am Haarband, am Rand des Haares, an den Augen und im Mund hat der Bildhauer mit dem Schlageisen einige Schärfen eingezeichnet. Auch im Gesicht des fertigen Köpfchens vom Asklepieion (25 u. 26) erkennt man in der etwas körnigen Oberfläche noch die feine Arbeit des spitzen Eisens, während die zierlich gedrehten Haarringe und Löckchen sowie Augenlider und Mund mit einem messerscharfen Schlageisen ausgearbeitet sind. Wahrscheinlich von den Zimmerleuten und Tischlern haben die Bildhauer für ihre Steinarbeit auch den Bohrer übernommen. Es ist das denk3*

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bar einfachste Werkzeug, eigentlich nur ein scharfes Schlageisen, das vorn in eine kurze Spitze ausläuft; man dreht es zwischen den flachen Händen wie einen Quirl und bohrt damit Löcher in den Stein. U m nun hinter einen solchen Bohrer einen stärkeren Druck setzen zu können, wird ihm gewöhnlich die geschwungene Form unserer Tischlerbohrer mit einem großen runden Knauf gegeben. Er kann dann von dem Bildhauer vor die Brust gestemmt und mit der Hand gedreht werden. Heute nennen unsere Bildhauer dieses Werkzeug Brustleier oder Brustwinde. Hat man mit diesem Werkzeug an Stellen, wo man gezwungen ist, sehr tief in den Stein hineinzugehen, verschiedene Löcher vorgebohrt, so gewinnt man dadurch den großen Vorteil, daß man das Spitzeisen sehr viel tiefer ansetzen und auf diese Weise größere Stücke des Steins loslösen kann, als wenn man nur langsam mit dem Spitzeisen allein vordringt. Vor allem lassen sich lange schmale Faltentiefen mit dem Bohrer leichter als mit jedem anderen Werkzeug bewältigen, indem man ein Bohrloch neben das andere setzt. Die kleinen zwischen den Löchern stehengebliebenen Stege werden zum Schluß mit dem Spitzeisen beseitigt. Ein solcher Bohrer ist an den Olympiaskulpturen zuweilen so tief eingedrungen, daß er seine Spuren noch auf der Oberfläche der fertigen Arbeiten zurückgelassen hat. In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts sind an griechischen Skulpturen gelegentlich auch schon die Spuren eines laufenden Bohrers nachweisbar. Bei diesem Werkzeug ist der eigentliche Bohrer in eine Holzrolle eingelassen, an der außen ein starkes Gewinde angebracht ist. Bohrer mit Rolle sind drehbar in einen kräftigen Handgriff eingelassen. U m das Gewinde wird eine Schnur gelegt, die in einen Metallbogen eingespannt ist, den der Bildhauer mit der rechten Hand am Griff faßt. Durch eine geigende Bewegung wird die Rolle mit Bohrer in schnelle Drehungen versetzt, geführt wird der Bohrer mit der linken Hand an dem Griff über der drehbaren Rolle. Auf einer Gemme des Britischen Museums (27) hantiert ein Arbeiter mit diesem Werkzeug. Wenn auch kein Bildhauer dargestellt ist, sondern wahrscheinlich ein Gemmenschneider, so zeigt diese Gemme doch die Handhabung dieses Bohrers recht deutlich. Auch auf einer Vase in Boston mit einer Darstellung der Sage der Danae arbeitet ein Tischler an dem Deckel eines hölzernen Kastens mit demselben Werkzeug (28). Mit einem solchen Bohrer kann der Bildhauer leichter als mit jedem Meißel in alle Faltentiefen und Unterhöhlungen hineinkommen. Die aufgeregten und komplizierten Gewanddraperien der späteren grie36

chischen Kunst wären ohne ihn nicht denkbar. Seine Anwendung dehnt sich immer weiter aus; es bleibt nicht bei der Ausbohrung von Faltentiefen, man beginnt mit ihm auch die Haare zu durchfurchen, die Augenlider zu unterhöhlen, man verwendet ihn an Reliefs gelegentlich wie einen Zeichenstift, indem man mit ihm tiefe Furchen als Umrißlinien zieht. Schließlich muß noch ein letztes Werkzeug, die Raspel, erwähnt werden; sie ist einer Feile sehr ähnlich und hinterläßt auf dem Marmor feine, unregelmäßige Kratzspuren. An frühen griechischen Skulpturen findet man sie vom Bildhauer häufig an Stellen verwandt, die für einen Farbauftrag vorbereitet wurden. Ihre Verwendung hat sich später verallgemeinert, sie wurde das Werkzeug zum Glätten der Oberfläche und vertrat die Stelle von Schmirgel und Bimsstein. Besonders deutlich kann man diese Raspelarbeit auf der Rückseite eines kleinen männlichen Torsos (41) beobachten, der am Fuß der Akropolis von Athen beim Herodestheater gefanden wurde und sich jetzt im Berliner Museum befindet.

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IE BIS J E T Z T behandelten unfertigen Skulpturen gehörten sämtlich der griechischen Frühzeit an. Es waren gerade aufgerichtete, straffe Körper, übersichtlich in ihrem Aufbau. Bei allen Gestalten lagen die Hauptachsen der Gliedmaßen immer parallel zu einer Seitenwand des ursprünglich quadratischen Blockes. Der Bildhauer konnte jede dieser Figuren von vorn, von hinten und den Seiten sich zu Beginn seiner Arbeit auf dem Marmor vorzeichnen und dann die Gestalt schichtenweise aus dem Stein herauslösen. So arbeitete schon zwei Jahrtausende früher der Bildhauer in Ägypten, bei dem der griechische Künstler die Grundlagen für die Steinbildhauerei gelernt hatte. Da trat dann am Anfang des 5. Jahrhunderts vor Chr. eine einschneidende Wendung ein. Der griechische Künstler lernte die starre Frontalität seiner Gestalten durchbrechen und mit Hilfe der Erfindung der Perspektive jede Figur in jeder Drehung darstellen. Damit kam etwas ganz Neues in die Welt. In Griechenland wurde mit dieser genialen Erfindung der Grundstein gelegt zu dem großen Gebäude der abendländischen Kunst. Die griechischen Bildhauer müssen beim Durchbruch dieser Entwicklung auf große Schwierigkeiten gestoßen sein, weil es galt, eine Unzahl neuer Beobachtungen in der Anlage und weiteren Gestaltung ihrer Skulpturen mit zu verarbeiten. Wenn der frühgriechische Bildhauer von den vier Hauptansichten des Blockes an seine Arbeit heranging und die Skulpturen in großen Flächen zuschnitt, -so lag jeder seiner Meißelhiebe in einer fest umgrenzten Ebene. Wenn er dann weiter durch kleinere Flächen zwischen den vier großen Hauptebenen die vermittelnden Übergänge schaffte, so waren das auch wieder Flächen mit festen Grenzen. Erst langsam kam er zu Rundungen und weicheren Übergängen, die sich in ihrer Begrenztheit auch leicht übersehen ließen. Die Schwierigkeiten wuchsen aber gewaltig, als der Bildhauer es sich nicht mehr an diesen vier Hauptansichten genügen ließ und er neben einer beherrschenden Vorderansicht noch viele andere Ansichten in seiner Figur vereinigte. Bei dieser Vielansichtigkeit entglitten ihm die festen Anhaltspunkte und Flächen, auf denen er früher seine Figur aufgebaut hatte. Es durfte für ihn jetzt eigentlich gar keine ebenen Flächen, sondern nur noch Rundungen geben. Die Plastik wurde für ihn während der Arbeit zu einer Summe der verschiedensten Umrisse. Vorstellungen von Flächen, aber jetzt von Flächen, die in den verschiedensten Richtungen gegeneinander gelagert sind, werden ihm wohl noch Hilfe gewesen sein. Aber der wirklich feste Halt mußte für ihn jetzt immer eine von den vielen Umriß38

linien sein. Jeder Meißelhieb mußte möglichst im Zusammenhang mit einem Gesamtumriß gesehen werden. Aus diesem Grunde war es für einen Künstler bei der Arbeit von Giebelskulpturen eine Hilfe und keine Mehrarbeit, wenn er auch die Rückseiten dieser Skulpturen, obwohl man sie niemals sah, wenigstens in großen Zügen, mitanlegte. So ist bei der knieenden Mädchenfigur (18) aus dem Ostgiebel von Olympia der Unterschied zwischen Vorder- und Rückseite in der Ausführung gar nicht so groß. Es fehlt eigentlich nur die letzte, sehr mühevolle Glättung über der Spitzeisenarbeit. Ein solches Vorgehen war bei dem Werkverfahren dieser Zeit, wie ich schon erwähnte, einfach erforderlich, um den Figuren auch in den Schräg- und Seitenansichten ihr künstlerisches Gleichgewicht geben zu können. Schon eine ganz oberflächliche Ausführung der Rückseite genügte dabei dem Bildhauer für seine Vorstellung. Die kubische Vollform war dadurch erreicht, die Ausführung von Einzelheiten hätte ihm darüber hinaus nicht mehr viel helfen können. Wenn der griechische Künstler der archaischen Epoche bei seiner Meißelarbeit jedesmal alle vier Ansichten zu einem gewissen Abschluß bringt, ehe er an die nächste Schicht herangeht, muß der Bildhauer der klassischen Zeit mit seinem Meißel einmal um die ganze Figur herumgehen, ehe er die nächste Schicht angreift. Wenn dann einige Jahrzehnte nach den Olympiaskulpturen die Giebelfiguren vom Parthenon an ihrer Rückseite nicht nur angelegt, sondern sogar fertig gearbeitet wurden, freilich weniger ins Einzelne gehend als die Vorderseiten, so entsprach das den weitgehenden formalen Forderungen, die man jetzt zu stellen gelernt hatte. Man hätte die Giebelfiguren in ihren Massen nie so fein abstimmen können, wenn bei der Arbeit die Rücken- und Teile der Seitenansicht ausgefallen wären. Es handelt sich da um rein technische Erfordernisse, man konnte nur so und nicht anders diese Skulpturen aus dem Stein heraus entwickeln. Die Keime zu dieser Kunst stecken latent schon in den archaischen Bildwerken. Wenn die griechischen Künstler Skulpturen aus Stein schon in der Frühzeit frei aufstellten, auf alles Stützwerk und jede architektonische Verbundenheit verzichteten, im Gegensatz zu der ganz anderen Einstellung der Ägypter, war damit eigentlich schon der erste und wichtigste Schritt zu einer Plastik getan, die alle Ansichten berücksichtigte und mit dem Kontur als einem ihrer wichtigsten Hilfsmittel arbeiten mußte. Bei stark bewegten Figuren mußte der Bildhauer nun auch Vorsorge treffen, daß er sich nicht in seinem Marmorblock verirrte. Es mußte zu39

nächst ein Modell in Wachs oder Ton aufgebaut werden; um es haltbar zu machen, wurde ein Stuck- oder Gipsabguß davon gemacht, und erst dann konnte die eigentliche Arbeit im Stein beginnen. Ein griechisches Vasenbild auf einer attischen Kanne zeigt ein solches Tonmodell. Die Göttin Athena in eigener Person modelliert ein Pferd (29). Sie hat es sich als ausübende Künstlerin bequem gemacht. Damit man sie aber trotzdem als Göttin erkennt, mußte sie den Helm mit dem hohen Busch auf dem Kopf behalten. Die anderen Waffen hat sie abgelegt und den Mantel wie einen Schurz umgehangen, um die Hände bei der Arbeit freizuhaben. Die Göttin modelliert das Pferd aus Ton. Ein großer Klumpen des Materials hegt vor ihr auf dem Boden, einen kleineren hält sie in der linken Hand bereit, während die rechte gerade am Maul des Tieres formt. Die Arbeit ist schon recht weit fortgeschritten, trotzdem fehlt noch der untere Teil des rechten Hinterfußes. Die Tonfigur steht auf einem niedrigen Sockel, den man sich aus Holz gezimmert denken muß. Links oben an der Atelierwand hängen einige Zimmermanns- und Tischlerwerkzeuge, nämlich eine Bügelsäge und ein Drillbohrer mit dem zugehörigen Fidelbogen. Um den Modellierton recht lebendig zu charakterisieren, hat der Vasenmaler das Pferd und die beiden Tonklumpen einfach mit Tonschleim angemalt. Man hat vermutet, daß Athena auf diesem Vasenbild das trojanische Pferd entwirft. Diese Erklärung ist wohl etwas allzu gesucht, wahrscheinlich hat der Maler gar nicht an die Sage gedacht, sondern Athena einfach als Schutzherrin der Künstler und Handwerker zeigen wollen. Die Göttin formt als Bildhauerin selbst ein Pferd, wie sie ihr häufig in Bronze oder Marmor auf der Akropolis von Athen geweiht wurden. Wie entstanden nun die Modelle, die der griechische Bildhauer für größere Marmorarbeiten brauchte? Zunächst wurde eine kleine Modellskizze in Wachs oder Ton angefertigt, die aber nur dazu da war, den Aufbau der großen Modelle überhaupt erst zu ermöglichen. Ein lebensgroßer Kopf in feuchtem Ton hat allein das Gewicht von über einem halben Zentner. Deshalb ist für größere Modelle ein schweres, oft bis in die Finger verästeltes Erzgerüst nötig, um das ungeheure Gewicht des Tons zu stützen. Diese Gerüste lassen sich während der Arbeit nicht mehr verändern oder einfach verbiegen, sondern sie müssen auf Grund der Modellskizzen bis in alle Einzelheiten vorher berechnet werden. Das ist eine außerordentlich schwierige Arbeit, die ein großes Maß technischer Erfahrungen zur Voraussetzung hat. Wenn nun diese großen Modelle 40

aufgebaut sind, so kann der Bildhauer zunächst noch gar nichts damit anfangen, weil sie wegen ihres Riesengewichts und wegen ihrer Empfindlichkeit völlig unbeweglich sind. Der Bildhauer muß sie aber während der Arbeit ständig bewegen können. Sie müssen immer da stehen, wo er sie gerade braucht, und sie müssen sich vor allem immer in das Licht rücken lassen, wo die Steinmetzen an den Modellen das sehen können, was ihre Arbeit gerade erfordert. Deshalb müssen von diesen großen Modellen zunächst Teilformen in Gips oder Stuck hergestellt werden. In diesen Negativformen beginnt dann noch einmal die Durcharbeit aller Figuren auf formale Feinheiten. Und erst der Ausguß aus diesen Formen bringt dem Bildhauer die endgültigen Modelle, nach denen die Arbeit im Marmor beginnen kann. Diese Modelle werden hohl gegossen wie Terrakotten, sie besitzen die erforderliche Festigkeit, lassen sich im Atelier beliebig bewegen und, wenn es nötig ist, auch wieder in Teile zerlegen. Gerade das Letztere ist besonders wichtig. Man stelle sich einmal vor, ein Bildhauer arbeitete im Atelier oben an dem Kopf des Zeus aus dem Ostgiebel von Olympia. Könnte es wohl für ihn genügen, wenn unten auf einem Tisch sein Modell stünde ? Er würde es nur von fern aus der Vogelperspektive sehen, aber damit wäre ihm nicht geholfen. Er kann an diesem Kopf nur arbeiten, wenn auf hohem Gerüst unmittelbar neben ihm ein Abguß so aufgestellt ist, daß er ihn jederzeit bequem in die Lage bringen kann, die er jeweils braucht. Und selbst dann sind die Schwierigkeiten immer noch groß genug, weil der Bildhauer meist so dicht vor seiner Arbeit steht, daß ihm gerade bei größeren Figuren meist die Übersicht über das Ganze fehlt. Wie soll er da ohne große Modelle oder Teilmodelle in Originalgröße die Proportionen des Ganzen richtig treffen? Schließlich kann er von seinem hohen Gerüst nicht ständig herunterund wieder hinaufklettern. Man kann Giebelgruppen für einen Tempel nicht einfach nach kleinen Modellskizzen improvisieren. Sie erfordern eine Präzisionsarbeit, bei der es auf Millimeter ankommt. Wenn diese Gruppen im Giebel richtig zueinander stehen sollen, wobei die Zwischenräume zwischen den einzelnen Figuren ebenso wichtig sind wie die Figuren selbst, wenn alle Überschneidungen für den tief unten vor dem Tempel stehenden Beschauer ein harmonisches Bild ergeben sollen, so ist das nur zu erreichen, wenn man schon die Modelle einmal in die Tempelgiebel bringen konnte, um an Ort und Stelle ihre Wirkung zu überprüfen. 42

Die Arbeit in den Negativformen, die vorher erwähnt wurde, ist von verschiedenen modernen Bildhauern aus der Beschäftigung mit griechischer Skulptur für den antiken Arbeitsgang erschlossen worden und findet darin ihre Bestätigung, daß man vielen griechischen Terrakottaformen, die uns erhalten sind, noch deudich ansieht, daß sie nicht nur Abgüsse von Ton- oder Wachsmodellen sind, sondern daß die Negativform selbst vom Künstler noch eingehend nachgearbeitet worden ist. Die letzte Feinheit und runde Fülle der Formen, die aneinander stoßen, ohne daß dazwischen Löcher entstehen, ist durch Antragen an das weiche Modell, wobei schon der leichteste Druck eines Fingers eine Vertiefung hinterläßt, kaum zu erreichen. Man kommt dazu erst durch die Arbeit im Negativabguß aus Gips; in diesem festeren Material werden alle Buckel in der Form zum Verschwinden gebracht, was zur Folge hat, daß am ausgegossenen Modell die Löcher fehlen. Gerade bei großen Modellen hat die Arbeit in den Negativteilformen ihre besondere Bedeutung. Es läßt sich im besten Atelier gar nicht einrichten, daß alle Teile eines großen Modells, das wegen seiner Schwere fast unbeweglich ist, während der Arbeit im Ton gut beleuchtet sind. Solche Partien lassen sich dann in den Stückformen mühelos in das richtige Licht rücken und bekommen jetzt ihre letzte Durchformung. An den kleinen tarentinischen Negativformen und ihren Gipsabgüssen (30—33) wird jedem auffallen, daß man sich bei der Hohlform direkt Mühe geben muß, sie als solche zu sehen. Immer wieder erscheinen die Darstellungen rundplastisch, nur in umgekehrter Beleuchtung wie die Ausgüsse aus den Formen. Das ist nun aber nicht nur in den Photographien der Fall, sondern vor den Originalen ergeht es einem genau ebenso. So wird man verstehen können, daß ein Bildhauer bei einiger Übung in diesen Negativen sicher und ruhig arbeiten kann. Vor allem wird man das von den griechischen Künstlern annehmen dürfen, die als Gemmen- und Stempelschneider mit so großer Virtuosität im Negativ zu arbeiten verstanden. Der Bildhauer hat dabei einmal den Vorteil, daß er in einem beständigen und festen Material arbeitet, bei dem das Schmieren und Verwischen des weichen Tones fehlt. Dann sieht man auch schon an dem Negativ des nackten Knabenkörpers, wie alle Wölbungen viel runder und organischer erscheinen. Der Ausguß aus der Form wirkt daneben fast flach. Da aber der Künstler immer nur das an seinem Modell gestalten kann, was er wirklich klar sieht, kommt er bei dem Streben nach letzter Verfeinerung der Form ganz von selbst zu dieser Arbeit im Negativ. 43

32 u. 33- J ü n g l i n g . T o n f o r m aus T a r e n t m i t A u s g u ß

Wenn heute ein Bildhauer vor der Aufgabe steht, ein größeres Modell in Marmor oder Stein zu übertragen, kann er sich eine Maschine in sein Atelier bringen lassen, die ihm die Arbeit des Punktierens abnimmt. Er kann aber auch selbst mit Hilfe von drei Zirkeln Punkt für Punkt die Lage seines Modells im Stein durch genaue Messungen fesdegen. Dieses moderne Meßverfahren zur Übertragung eines Modells in den Stein beruht auf dem geometrischen Grundsatz, daß drei Punkte immer in einer Ebene liegen müssen und man von diesen drei Punkten aus einen vierten im Raum durch Messungen genau bestimmen kann. Der Bildhauer legt zunächst an seinem Modell und dementsprechend in dem Stein, aus dem die Skulptur herausgemeißelt werden soll, drei Hauptpunkte fest. Bei einer einfachen stehenden Figur setzt er gewöhnlich den ersten Punkt auf den Kopf, die beiden anderen am rechten und linken Ende der vorderen Plinthenseite. Von diesen drei Hauptpunkten aus ist jeder beliebige Punkt auf der Vorderseite des Modells mit Zirkeln meßbar und kann auch demgemäß im Stein festgelegt werden. Für die Rücken-

und Seitenansichten wird man ebenfalls zunächst am Modell und dann auch am Stein weitere Hauptpunkte aufsuchen, um mit ihnen neue Hilfspunkte zu ermitteln. Schon bei einem Porträtkopf kann der Bildhauer bis zu drei- und vierhundert Punkte setzen, bei einer ganzen Figur natürlich noch sehr viel mehr, so daß die Entfernung von einem Hilfspunkt zum andern oft nur wenige Millimeter beträgt. So kann eine im wahrsten Sinne des Wortes mechanische und phantasielose Arbeit geleistet werden.

34. B i l d h a u e r mit L o t v o r H e r m e

Es wird oft wochen- und monatelang nur gemessen und gebohrt. Mit Kunst hat diese Tätigkeit nichts zu tun. Der Stein behält bis zum Schluß das unerfreuliche Aussehen eines Schwammes, da die höchsten Stellen am Modell Punktierlöcher im Marmor sind. Eine solche unfertige Arbeit läßt die kommenden Formen nicht erkennen im Gegensatz zur freien Bildhauerarbeit, bei der schon im ersten Stadium das Kunstwerk in großen Zügen dasteht und auch weiterhin fast bei jedem Meißelhieb schöpferische Arbeit zu leisten ist, die fortwährend die ganze künstlerische Aufmerksamkeit voll in Anspruch nimmt. Die Beschreibung dieses modernen Meßverfahrens kann so kurz ausfallen, weil es keine antike Skulptur gibt, für die sich nachweisen ließe, daß sie nach dem heute üblichen Punktiersystem mit den drei Zirkeln gearbeitet worden wäre. Es finden sich auch an fertigen und unfertigen antiken Skulpturen gelegentlich Meßpunkte, sie sind aber nie sehr zahlreich, weil die antiken Meßverfahren zur Übertragung eines Modells in den Stein bis in die römische Kaiserzeit hinein recht primitiv geblieben sind. Sie werden auch heute noch gelegendich von Bildhauern angewandt, aber nur noch ganz selten bei der Steinarbeit, sondern meist nur zur Übertragung einer kleinen Modellskizze in die endgültige Größe. Der Künstler befestigt dann an hervorspringenden, bereits festgelegten Stellen der beiden Modelle Lote, mißt zunächst an dem kleinen Modell die Ent-

35- Bildhauer mit Lot vor einem M o d e l l

fernung des Punktes, den er übertragen will, horizontal bis zu einem der Lote und dann an diesem aufwärts bis zu seinem Befestigungspunkt. Diese beiden Maße rechnet er in das Verhältnis des größeren Modells um und überträgt Lotmaß und horizontales Stichmaß auf das große Modell. Auch auf diesem einfachen Wege lassen sich Meßpunkte finden, sie sind aber naturgemäß weniger genau, weil sich ein Senkblei beim Messen leicht bewegt. Dieses Meßverfahren mit dem Lot hat der antike Bildhauer ebenfalls gekannt. Auf einer frühgriechischen Gemme (34), die sich jetzt im Metropolitan Museum in New York befindet, ist ein nackter Mann dargestellt, der vor einer Herme sitzt. In seiner rechten Hand hält er ein Stäbchen und ein Lot, das er an der Herme herabfallen läßt. Seine linke Hand greift etwas tiefer nach dem Lot, wohl um es zur Ruhe zu bringen. Sicher zeigt diese Darstellung einen Bildhauer bei der Arbeit, und zwar vor einem Modell in weichem Material vielleicht für einen Bronzeguß, darauf deutet das Modellierstäbchen hin, das er in der rechten Hand hält. Hätte ihn der Gemmenschneider bei der Steinarbeit darstellen wollen, würde er ihm sicher Meißel und Schlegel in die Hände gegeben haben. Noch deutlicher wird eine ähnliche jüngere Darstellung auf einem Karneol in der Sammlung zu Gotha (35). Links steht etwas gebückt ein nackter Mann; er hält wieder in der rechten Hand ein Stäbchen und ein Lot, seine linke

greift ebenfalls etwas tiefer nach der Schnur. Ein zweites Senkblei hängt ihm über dem Rücken. Vor ihm kniet eine jüngere Gestalt auf einem säulenartigen Gestell; es ist sicher sein Tonmodell auf dem Modellierbock. Man kann sich vorstellen, daß der archaische Künstler, der für seine Steinskulpturen sicher noch keine Modelle brauchte, mit dem Lot in erster Linie den streng symmetrischen Aufbau seiner Arbeit überprüfen wollte. Von diesem einfachen Loten mußte man auch zu den ebenso einfachen horizontalen Stichmaßen kommen, sobald man einmal soweit war, daß man für eine Steinplastik zunächst ein Modell herstellte. Jeder Bildhauer nimmt bei der Arbeit beständig Maße, zunächst nur mit dem Auge, dann greifbarer mit zwei Fingern der Hand und schließlich mit dem Lot oder einer gewöhnlichen Schnur. Das ist ein ganz selbstverständliches Hilfsmittel, das jeder Bauarbeiter, Tischler und Schiffsbauer ebenso gebraucht. Wenn nun der Bildhauer auf dem jüngeren geschnittenen Stein nicht nur ein Lot in den Händen, sondern noch ein zweites über dem Rücken trägt, so kann darin vielleicht ein Hinweis liegen, daß das vor ihm stehende Modell nicht für den Bronzeguß bestimmt war, sondern in Stein übertragen werden sollte. Er würde dazu dann das zweite Lot gebrauchen. Eine besonders lebendige Vorstellung von der Art, wie ein griechischer Künstler aus dem ersten Jahrhundert vor Chr. sein Modell mit Hilfe eines Meßverfahrens in den Stein übertrug, vermittelt die unfertige Jünglingsstatue, die man auf der delischen Nachbarinsel Rheneia gefunden hat (36). Sie ist über 400 Jahre jünger als die frühgriechischen unfertigen Arbeiten von Naxos, Paros, Thasos und aus Attika. Der große Unterschied springt sofort in die Augen. In diesen Jahrhunderten hat sich die Formanschauung der, Künstler gewandelt und damit auch die ganze Art, eine Figur anzulegen. Zunächst stehen an dieser Jünglingsstatue verschiedene Stadien der Arbeit nebeneinander. Es finden sich alle Übergänge vom feinsten Zahneisen bis zum gröbsten Spitzmeißel. Das einheitliche Aussehen dieser Skulptur wird dadurch stark beeinträchtigt. Archaische Stücke wirken daneben, auch wenn sie ebenso unfertig sind, viel organischer und übersichtlicher. Zudem ist diese Statue nicht mehr rund aus dem Stein heraus gemeißelt; es wurde zunächst nur die Vorderseite in Angriff genommen, während man die Rückseite in dem rechteckigen Stein stehen ließ, obwohl der Bildhauer zweifellos die Absicht hatte, eine Rundskulptur zu meißeln. So liegt der Fall hier, verglichen mit den Olympiaskulpturen, gerade umgekehrt. Der Bildhauer dort 48

36. J ü n g l i n g s s t a t u e von der I n s e l R h e n e i a 4

B l ü n i e l , (jrriecli. UililhiimT

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strebte in seinen Giebeln nur eine Reliefwirkung an, er gibt aber dennoch den einzelnen Figuren möglichst die ganze kubische Vollform wenigstens während der Arbeit, um selbst die Formen in ihrem Zusammenhang besser zu verstehen. Der Bildhauer von Rheneia kommt dagegen wie Michelangelo bei den Statuen seiner Sklaven vom Juliusgrab über das Relief zur Rundskulptur. Dabei braucht er dann, um die jeweilige Tiefe festzustellen, die er von den Seiten in frühen Stadien der Arbeit nur schwer überprüfen konnte, ein Meßverfahren mit festgelegten Meßlöchern, die er von seinem Modell abmißt. Über der Stirn der Jünglingsstatue von Rheneia steht eine ungefähr faustdicke, viereckige Bosse, die später abgearbeitet werden sollte. Sie trägt drei Bohrlöcher, denen zwei weitere am unteren Teil der Statue entsprechen. Das erste liegt in einem viereckigen Loch zwischen den Füßen, das zweite am äußeren Rand des linken Fußes, ein drittes ist wahrscheinlich zusammen mit dem vorderen Teil des rechten Fußes weggebrochen. Auf dem Bauch der Statue, an der Grenze zwischen dem zweiten und dritten Spitzmeißelstreifen finden sich 16 runde Vertiefungen von etwa 3 cm im Durchmesser und 2 cm Tiefe. Sie sind mit einem Rundmeißel herausgearbeitet. Diese eigenartigen Spuren lassen sich sehr einfach erklären. Der Bildhauer spannte zwischen den Löchern der Kopfbosse und den drei Löchern am Fuß der Statue Schnüre; dasselbe muß er vorher an seinem Gipsmodell getan haben. Und nun nahm er während der Arbeit zunächst am Modell und dann am Stein seine Höhenmaße und danach horizontal von den Schnüren aus seine Stichmaße bis in die Tiefe der verschiedenen Rundmeißellöcher auf dem Bauch und der linken Hüfte der Figur. Dies Verfahren bedeutet insofern eine Weiterentwicklung über das primitive Loten der Gemmendarstellungen hinaus, als dieser Bildhauer nicht nur ein Lot benutzt, sondern drei verschiedene Schnüre, und diese nicht mehr frei herabhängen läßt, sondern sie auch unten an der Statue befestigt. Der Bildhauer kann natürlich von diesen feststehenden Schnüren aus viel genauere Maße nehmen als von einem Lot, das leicht in Schwingungen gerät. Nun kann man sich vorstellen, daß ein Bildhauer an seinem Modell und an entsprechenden hervorspringenden Punkten seiner Steinarbeit Lote anbringt und von dort aus auf tief gelegene Teile seiner Arbeit Stichmaße nimmt, nur um zu sehen, wieviel ihm an der erforderlichen Tiefe fehlt. Solche Stichmaße wären ihm auch dann schon eine große Hilfe, 52

wenn er sie auch nicht wie an der Statue von Rheneia durch Löcher fest markiert. Das ist auch tatsächlich geschehen. Bei einer Reihe von Köpfen aus den Giebeln und Metopen vom Zeustempel in Olympia haben sich diese Lotbossen selbst oder Reste von ihnen über der Stirn einiger Figuren erhalten. Dieses Meßverfahren muß demnach schon in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts vor Chr. in Gebrauch gewesen sein. Der bärtige am Boden sitzende Seher aus dem Ostgiebel von Olympia (37) trägt die starke Bosse noch auf der Stirn. Vielleicht ist sie stehen geblieben, weil man sie später irrtümlich für einen Teil der. Frisur hielt. Der kniende Lapith aus dem Westgiebel von Olympia (39), der einen Kentauren würgt, zeigt in die Stirn hineinragend vorn eine Bruchfläche zwischen den Stirnlöckchen. Ohne Zweifel haben sich hier die Reste einer schlecht abgearbeiteten Bosse erhalten. Der Platz dafür konnte gar nicht passender gewählt werden; gerade für manche schwierigen und tiefliegenden Formen, an einer Stelle, wo sich überdies zwei Figuren überschneiden, war dadurch dem Bildhauer die Möglichkeit gegeben, Stichmaße zu nehmen. Auch an den Olympiametopen scheint der Bildhauer sich feste Haltepunkte für Lote vorgemerkt zu haben. Die Heraklesköpfe auf der Löwen- und Stymphalidenmetope (38) zeigen über der Stirn einen länglichen Einschnitt in der Masse des Haares, der gerade so groß ist, daß man das Daumenglied mit der Lotschnur hineindrücken konnte. Der Bildhauer rechnete auch hier mit dem späteren Farbauftrag, der diesen kleinen Einschnitt für den tief unten vor dem Tempel stehenden Beschauer völlig verschwinden ließ. Aber nicht nur für das Loten allein konnten dem Bildhauer diese festen Punkte nützlich sein. Er wird von ihnen aus mit Hilfe der Lotschnur auch manche anderen Maße genommen haben. Auf sehr große Genauigkeit kam es ihm dabei nicht an, weil er in dieser Zeit seine Figur im übrigen noch frei aus dem Stein heraus entwickelte. Dieses Meßverfahren mit dem Lot ist in der römischen Zeit weitergeführt worden. Es hat sich in Athen am Fuß der Akropolis eine Reihe kleinerer Figuren gefunden, die der Bildhauer unvollendet gelassen hat und die alle dieselbe Anordnung von Punkten zeigen. Immer stehen bei diesen Arbeiten je zwei Meßpunkte senkrecht übereinander, zum Beispiel an einem nur 35 cm hohen männlichen Torso (41), der sich jetzt im Berliner Museum befindet. Die Vorderseite ist etwas verrieben, während man an der Rückseite noch jeden Strich der Raspel deutlich erkennen kann. Meßpunkte haben sich erhalten: zwei auf der Brust, zwei auf dem Rücken, 53

Torso eines Mannes, Athen

auf dem rechten Glutäus und auf dem linken Oberschenkel. Auch diese Punkte müssen mit dem Lot gesetzt sein, aber nun nicht in der Art, daß der Bildhauer wie an der Jünglingsstatue von Rheneia von einer Kopfbosse aus lotet und dann seine Stichmaße nimmt. Wie man sich die Arbeitsmethode dieses Künstlers vorzustellen bat, veranschaulicht die nebenstehende Zeichnung (42). Über einem Modell ist ein rechteckiger Rahmen angebracht mit einer abgeteilten Skala von 1 — 1 1 . Bei jeder Zahl findet sich ein kleiner Einschnitt in dem Rahmen, und so kann der Bildhauer das Lot, das in der Mitte des Rahmens befestigt ist, bald bei der einen Zahl und bald bei der anderen herabfallen lassen, um danach seine Stichmaße zu nehmen. Voraussetzung für seine Arbeit ist natürlich, daß er denselben Rahmen mit Lot über dem Steinblock anbringt, aus dem die Skulptur herausgehauen werden soll. Mit einem solchen Rahmen, vielleicht auch nur mit einem einfachen Brett, an dem er seine Lote anbinden konnte, muß der Bildhauer die Punkte an dem kleinen unfertigen Torso gesetzt haben. Wenn er dabei möglichst mehrere Punkte senkrecht übereinandersetzte, so ist das eine vernünf42. M e ß v e r f a h r e n tige Sparsamkeit; er wollte möglichst mehrere mit d e m L o t Punkte mit demselben Lot setzen. Dieses Messen und Loten hatte für den Bildhauer zunächst einmal den Zweck, bei komplizierteren Figuren eine sichere Übertragung des Modells in den Stein zu gewährleisten. Noch bei den Olympiaskulpturen ist es natürlich ebenso wie bei allen archaischen Skulpturen, daß der Künstler schichtenweise mit dem Spitzmeißel die Skulptur aus dem Stein heraus entwickelt. Dabei hilft ihm das Loten den Weg finden. Er kontrolliert die Richtung einzelner Flächen gegeneinander und vor allem die Tiefe besonders wichtiger Punkte. Die weitere Verfeinerung dieser Meßmethoden hat dann aber in römischer Zeit dazu gefuhrt, dieses alte umständliche aber künstlerisch wertvolle Verfahren vollkommen zu beseitigen. Der Bildhauer überträgt wie bei dem kleinen Torso aus Athen von seinem Modell einige wichtige

Meßpunkte in den Stein, und nun entwickelt er nicht langsam schichtenweise seine Figur aus dem Block, sondern schlägt mit einem schweren Meißel oder Spitzhammer durch die ersten fünfzig Schichten hindurch bis zu seinen Meßpunkten. Hier beginnt dann erst seine eigentliche künstlerische Tätigkeit, die nur mehr darin besteht, eine letzte dünne Schicht von seiner Figur herunterzuziehen. Das macht er gewöhnlich nicht mit dem Spitzmeißel, sondern mit einem Schlageisen. Da ihm seine Meßpunkte sichere Wegweiser sind, kann er sich mit sauber begrenzten Teilen beschäftigen, ohne immer das Ganze der Figur übersehen zu müssen. Die geistige Anspannung bei der Arbeit wird stark herabgesetzt, ohne daß dadurch die rein äußerliche Richtigkeit leidet. Schwer leidet dabei aber die künstlerische Kraft der Leistung. Wohin das führt, zeigt am besten eine unfertige Gruppe im Nationalmuseum zu Athen, die den jugendlichen Dionysos in Begleitung eines jungen Satyrn zeigt (43). Die Arbeit ist nur 1 7 cm hoch; sie wurde in Athen unterhalb der Akropolis an der Umfassungsmauer des Olympieions gefunden. Das Motiv der Gruppe ist in der römischen Kaiserzeit sehr beliebt gewesen, man findet es häufig als freistehende Arbeit, aber ebenso oft auch als Schmuck von Gerätestützen verwendet. Der Gott legt seinen rechten Arm über den Kopf, den linken auf die Schultern seines Begleiters, der zu ihm aufblickt. Die beiden Gestalten sind zu drei Vierteln von vorn aus dem Marmor herausgeschält. Im Stein stecken nur noch die Rücken und die beiden Satyrarme. Die Umrisse der beiden Jünglingsfiguren sind scharf in den noch stehengebliebenen Stein eingegraben. Die Oberfläche der Körper mit den regelmäßigen Flacheisenspuren ist deutlich abgesetzt von den roh gelassenen, noch stehengebliebenen Steinresten. Sehr sorgfältig sind auch einige Meßpunkte gesetzt, zum Beispiel im Haar des Dionysos, auf dem Schwertbein, über seinem rechten und linken Knie, beim Satyr auf der rechten Brustseite und auch über beiden Knien. Das ist alles sehr sauber und ordentlich gearbeitet. Man hat das Gefühl, daß dieser Bildhauer gar keine Fehler machen kann. Aber alles bleibt kühl und akademisch. Der Künstler ist fast zu einem etwas ängstlichen Kopisten seines eigenen Modells geworden.

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E N einschneidenden Unterschied zwischen originalen griechischen Arbeiten des 5. Jahrhunderts vor Chr. und den oft klassizistisch trockenen Kopien der römischen Kaiserzeit zeigt am besten die Gegenüberstellung einiger unfertiger Skulpturen. Im Museum der Insel Aegina steht ein Torso (44 u. 46), der am Anfang des 5. Jahrhunderts vor Chr. entstanden ist, gleichzeitig mit den Kriegern aus den Giebeln des Aphaiatempels, die in die Münchner Glyptothek gekommen sind. Vielleicht sollte er ursprünglich selbst einmal eine solche Giebelfigur werden. Bei dieser Arbeit ist wie bei archaischen Skulpturen nur ein Spitzmeißel verwendet zu einem lebendigen Auf und Ab der verschiedensten Formen, die wie Wellen einer Wasserfläche eine untrennbare Einheit bilden. Auf der Rückseite ist die Wirbelsäule und der Umriß des Schulterblattes durch stärkere Meißelhiebe fast malerisch nur durch die etwas tieferen Schatten der Löcher angedeutet. Sie sind für den Bildhauer eine Art Vorzeichnung für die weitere Arbeit, legen ihn aber in diesem Stadium noch nicht auf bestimmte Formen fest. Es gibt für diesen Bildhauer bei der Arbeit kein Vorn oder Hinten, Oben oder Unten, er kennt nur einen runden, ganzen, organischen Körper. Und dem stelle man einen im Motiv ganz ähnlichen männlichen Torso aus der römischen Kaiserzeit gegenüber (45 u. 47). An dieser Arbeit eines Kopisten steht zunächst einmal Vorder- und Rückseite in verschiedenen Arbeitsstadien, was selbstverständlich darauf hindeutet, daß sie auch gesondert gearbeitet worden sind. Dann findet sich ein Durcheinander der verschiedensten Meißelspuren. Das glatte Schlageisen überwiegt bei weitem die Spitzmeißelarbeit. Schließlich sind alle Einzelformen um Brust und Leib scharf begrenzt und gegeneinander abgesetzt, wobei für den Bildhauer bei der Weiterarbeit jede Bewegungsmöglichkeit unterbunden ist. In der Vorstellung dieses Bildhauers besteht die Skulptur aus aneinandergefügten Flächen. Er sieht nicht mehr wie der Grieche des 5. Jahrhunderts vor Chr. nur einen runden, unteilbaren Körper. Das ist das Wesentliche, nicht etwa die Verwendung des einen oder anderen Meißels. Aber es ist nur ganz natürlich, wenn ein Bildhauer, der in Flächen denkt, auch bei der Arbeit möglichst zu einem flachen Eisen greift. Ein besonders lehrreiches Beispiel für die Arbeitsweise dieser römischen Kopisten ist ein Torso mit Kopf im Akropolismuseum zu Athen (48). Es sollte daraus einmal die Kopie des berühmten die Sandalen lösenden Jünglings werden. Das Original, eine Arbeit des 4. Jahrhunderts aus der lysippischen Schule, war sicher eine Bronze, die aber in der römischen Kaiser62

49- F r a u e n k o p f a u s A t h e n

zeit häufig in Marmor kopiert wurde. Der Kopist war damit vor die Aufgabe gestellt, eine Statue zu meißeln, die ganz auf Rundheit der Formen und sehr viele Ansichten gestellt ist. Er konnte diese Figur nicht einfach in eine Vorder- und Rückseite halbieren, wie wir es eben bei dem Jünglingstorso sahen. Da half er sich mit vielen graphischen Einzeichnungen und zerlegte damit die Figur wie ein Muskelpräparat. Alle diese Einzel-

heiten wurden schließlich sauber zusammengezogen und poliert. Bei einer solchen Skulptur bleibt die Modellierung ganz an der Oberfläche, sie interessiert dementsprechend auch viel weniger. Nichts kann darüber hin-

50. F r a u e n b ü s t e v o n d e r I n s e l

Rheneia

wegtäuschen, daß eine solche Kopie nicht als Organismus langsam in ganzen Schichten aus dem Stein heraus entwickelt wurde. Dieser Bildhauer war sicher sehr geschickt, er wußte vorzüglich mit dem Stein umzugehen. Aber die Schnelligkeit der Arbeit war ihm auch sehr wichtig, und das führte dazu, daß er sich von dem Wesen klassischer Bildhauerei kaum weiter entfernen konnte. 5

l < 1 II I I I I' 1 . < ; . i c t l i . I ' . i l d l u u ' ! •

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5i. J u g e n d l i c h e r K o p f aus A t h e n

Nicht geringer wird der Abstand, wenn man einen unfertigen Kopf der klassischen Zeit mit entsprechenden Arbeiten vergleicht, die einige Jahrhunderte jünger sind. Ein schöner Frauenkopf im Berliner Museum aus der Zeit der Parthenongiebel (49), von dem leider vorn die Stirn abgesprungen ist, blieb gerade in dem Stadium unfertig liegen, als der Künstler daran war, mit Schmirgel und Bimsstein die Oberfläche glatt zu reiben. 66

Unter dem Kinn stehen noch deutlich erkennbar feinere Spuren des spitzen Meißels, und im Gesicht ist die Oberfläche wohl noch rauh, man sieht aber überall, wie daran gerieben worden ist. Nirgends wird man Spuren eines flachen Eisens oder einer Raspel finden. Auch an diesem Kopf wurde wie bei fast allen griechischen Arbeiten die Politur der Oberfläche über der feinen Spitzmeißelarbeit mit Schmirgel und Bimsstein durchgeführt. Ganz anders wirkt daneben eine Frauenbüste (50) aus dem 1. Jahrhundert vor Chr., die von der Insel Rheneia stammt, wo sie wahrscheinlich einmal ein Grab schmücken sollte, und die jetzt im Nationalmuseum in Athen aufbewahrt wird. Gesicht und Hand sind hier breit und hart mit dem Schlageisen angelegt; alle Flächen, besonders an den Augen und der Nase, stehen scharf gegeneinander abgesetzt da. Nur Haar und Gewand zeigen Zahneisenspuren, die tiefen Falten und ebenso die Furchen zwischen den Fingern sind mit dem laufenden Bohrer gezogen. Denselben Eindruck hinterläßt ein jugendlicher Kopf (51), der bei der Enneakrunos am Westabhang der Akropolis gefunden wurde, und sich jetzt ebenfalls im Nationalmuseum in Athen befindet. Die Nase ist abgestoßen, auch die linke Haar- und Wangenpartie hat stark gelitten. Über der Mitte der Stirn ist ein rechteckiges Stück aus der Haarmasse herausgebrochen. Vielleicht hat an dieser Stelle ursprünglich eine Lotbosse gestanden. Die dichte Haarmasse des Kopfes wird durchschnitten von einer tiefen Furche für eine Haarbinde. Das Stück ist sehr hart und unregelmäßig gearbeitet, woran sicher der schlechte Marmor eine gewisse Schuld trägt, der Neigung zum Abblättern zeigt. Spitzeisenarbeit ist nur im Haar, vor allem am Hinterkopf, erkennbar. Alles übrige ist mit scharfen, langen Schlagund Rundeisenhieben gemeißelt. Um das linke Auge herum war die Arbeit schon recht weit fortgeschritten, diese Teile waren schon fast vollkommen geglättet. Nach der Art der groben Arbeit kann der Kopf nur in der römischen Kaiserzeit entstanden sein. Wie auch an fertigen Skulpturen dieser Unterschied zwischen griechischer Spitzmeißelarbeit mit Bimssteinglättung und der viel oberflächlicheren Flacheisenmodellierung späterer Kopisten noch erkennbar bleibt, kann die Gegenüberstellung zweier Köpfe aus dem Westgiebel des Zeustempels von Olympia zeigen. Der jugendliche Lapithenkopf (39) ist ein griechisches Original, mit dem Spitzmeißel gearbeitet und danach durch Reiben mit einem weichen Stein geglättet. Man sieht, wie selbst die feinen Flächen der Augenlider und Brauen eine pralle runde Weichheit besitzen und das ganze Gesicht große organische Formen einer lebens5* 67

52. W a s s e r s p e i e r v o m Olympia

Zeustempel,

kräftigen, jugendlichen Natur. Der Kopf der alten Frau (40) ist ein Ersatzstück in demselben Giebel aus der römischen Kaiserzeit. Die Originalfigur war infolge von Erdbeben oder Blitzschlag aus dem Giebel abgestürzt und mußte durch eine Kopie ersetzt werden. Man sieht, wie die Schlageisenarbeit im Gesicht der alten Frau flach, welk und trocken wirkt. Oft stehen kleine Einzelformen eckig nebeneinander. Die Augenpartien werden unerträglich hart und scharf. Das ist ebenso der Fall bei anderen Köpfen auch von jüngeren Personen, die in derselben Zeit entstanden sind. Auch an zwei Wasserspeiern (52 u. 53) von demselben Zeustempel in Olympia fallen diese Unterschiede zwischen den reichen Formen der Originalarbeit und dem dürftig flachen Ersatzstück sofort ins Auge. In dem kleinen Architektursaal des Pergamonmuseums hatte man deshalb auch, um diese Unterschiede zu zeigen, einen dieser originalen Löwen-

53- W a s s e r s p e i e r v o m Z e u s t e m p e l , O l y m p i a K o p i e der r ö m i s c h e n K a i s e r z e i t

köpfe aus dem 5. Jahrhundert vor Chr. der Kopie aus späterer Zeit zum Vergleich gegenübergestellt. Was es eigentlich bedeutet, eine Figur nur mit Spitzeisenarbeit langsam Schicht für Schicht aus dem Stein heraus zu entwickeln, wie es die frühgriechischen Bildhauer tun, das kommt einem erst in seiner vollen Tragweite zum Bewußtsein, wenn man erfährt, wie lange ein griechischer Künstler an einer solchen Statue gearbeitet hat. Es läßt sich mit Hilfe von Inschriften nachweisen, daß er viel Geduld haben und lange und schwer arbeiten mußte, um zu dieser letzten Feinheit und Ausgeglichenheit seiner Bildwerke zu kommen. Vom Erechtheionfries auf der Akropolis von Athen, der in den Jahren um 420 vor Chr. geschaffen wurde, sind uns Teile der Baurechnung erhalten, die uns über diese Fragen sehr genaue Aufschlüsse geben. Die

Figuren dieses Frieses wurden einzeln gearbeitet, sie sind fast rundplastisch und wurden vor einem Hintergrund aus dunklem, eleusinischem Stein auf den Architrav vor die Friesplatten des Tempels gesetzt. In der Abrechnung, die uns inschriftlich erhalten ist, sind diese Figuren und Gruppen einzeln mit Angabe des Preises aufgeführt. Für einen schreibenden Jüngling und einen neben ihm stehenden Mann erhielt der Bildhauer 120 Drachmen. In dieser Summe war die Herstellung des Modells nicht miteinbegriffen. Diese Gruppe, die einmal 120 Drachmen kostete, ist uns durch einen glücklichen Zufall fast vollständig erhalten (54). Ihre Höhe betrug ursprünglich ungefähr 58 cm. Da nun der Höchsttageslohn zu dieser Zeit eine Drachme betrug und selbst der leitende Architekt nicht höher besoldet wurde, muß die Arbeitsleistung an dieser Gruppe mindestens mit 120 Tagen oder vier Monaten berechnet werden. Abzüge für Materialunkosten kann man von diesen 120 Drachmen auf keinen Fall machen, weü der Marmor geliefert wurde und in der Inschrift gesondert aufgeführt wird. Auch hätte ja ein so kleines Stück Marmor in Griechenland kaum etwas gekostet. Wahrscheinlich entspricht aber die Entlohnung mit 120 Drachmen sogar einer weit längeren Arbeits dauer als vier Monaten. Wir wissen, daß in diesen Baurechnungen nicht jeder Gehilfe mit Namen aufgeführt ist, sondern nur die Bildhauer, die ein größeres Atelier unterhielten, wo sie mit vielen Hilfskräften arbeiteten. Wahrscheinlich verdienten aber die Gesellen eines solchen Meisters längst nicht eine Drachme am Tag wie der leitende Architekt, sondern viel weniger, und dann würden die 120 Drachmen, selbst wenn man einen guten Verdienst für den Meister mit einrechnet, einer Arbeitsdauer von weit über vier Monaten entsprechen. So können Inschriftenzahlen gelegentlich zu einer lebendigen Wirklichkeit werden. Es ist durchaus nicht gleichgültig, ob ein Bildhauer an einer Friesfigur zehn oder sechzig Tage gearbeitet hat. Hinter diesen Zahlen steht eine Wertung künstlerischer Arbeit, die die gesamte Anschauung beeinflußt haben muß. Dasselbe gilt auch für die Modelle, die der griechische Bildhauer der klassischen Zeit für seine Marmorskulpturen anfertigte. Sie entsprachen sicher in ihrer Größe genau der Arbeit im Stein und waren bis in alle Einzelheiten durchgearbeitet. Das beweist wieder eine Bauinschrift, die uns vom Asklepiostempel in Epidauros erhalten blieb. Der Bildhauer Timotheos erhält im 4. Jahrhundert vor Chr. für die Lieferung der Modelle der Giebelgruppen einschließlich der Entwürfe für die Akroterien des Tempels 900 Drachmen, und da die Entlohnung des leitenden Baumeisters 70

54' G r u p p e aus dem E r e c h t h e i o n f r i e s

wie am Erechtheion eine Drachme für den Tag betrug, entspricht diese Summe von 900 Drachmen der Arbeitsleistung eines Mannes von fast 2'¡2 Jahren. Timotheos hat zu dieser Arbeit, weil er sicher Gehilfen beschäftigte, nicht zwei Jahre gebraucht. Das interessiert hier auch nicht. Das, worauf es ankommt, ist nur der Umfang der Arbeit, der sich in der Entlohnung von 900 Drachmen ausdrückt. Es ist ganz unmöglich, daß der Bildhauer eine Bezahlung für 2'/ 3 Jahre bekommen hätte, wenn er nur kleine oberflächliche Modellskizzen geliefert hätte, die in sehr kurzer Zeit herzustellen waren. 71

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S WA R bisher fast nur von der antiken Rundskulptur die Rede, deshalb müssen jetzt noch einige Verbindungslinien zur Reliefplastik gezogen werden, die in mancher Hinsicht ihren eigenen Gesetzen folgt. Nur ein starkes Hochrelief zeigt gegenüber der gleichzeitigen Rundplastik kaum irgendwelche Abweichungen. Man kann ohne weiteres annehmen, daß zum Beispiel die Metopen vom Zeustempel in Olympia oder auch vom Parthenon dieselbe technische Behandlung erfuhren wie die Giebelskulpturen dieser Tempel. Dasselbe gilt für das hellenistische Hochrelief, das in seiner Durchfuhrung weitgehend mit der Rundskulptur übereinstimmt. Am pergamenischen Telephosfries sind größere Teile nicht fertig geworden; sie eignen sich besonders gut zu einem Vergleich mit den vorher behandelten Skulpturen von der Insel Rheneia. Auf einer Reliefplatte (55) ist dargestellt, wie Arbeiter damit beschäftigt sind, den muldenförmigen Kahn und den dazu gehörigen Deckel zu zimmern, in dem Auge, die Mutter des Telephos, auf dem Meer ausgesetzt werden soll. Die tief verhüllte, vorgebeugt sitzende Frau über der Handwerkerszene ist die Königstochter Auge selbst; links schließt sich die Gruppe ihrer Begleiterinnen an. Die obere Hälfte der Platte, die am weitesten in der Arbeit fortgeschritten ist, wurde fast nur mit dem Schlageisen geglättet. Die tiefdurchfurchten Falten der Gewandung der sitzenden Frau sind mit Hilfe des laufenden Bohrers gearbeitet. In der unteren Hälfte des Reliefs zeigen große Flächen regelmäßige Zahneisenspuren, so die ganze Mulde des Kahns, das rechte Bein des Mannes im Hintergrund und der Rücken des vorderen Arbeiters; dagegen sind sein linker Arm und Kopf bereits mit dem Schlag- und Rundeisen bearbeitet. Das linke Bein ist sogar schon fertig geglättet. Wie bei den Skulpturen von Rheneia werden auch am Telephosfries mit Zahn-, Schlag- und Rundeisen die letzten Schichten heruntergemeißelt. Auch die Hilfe des laufenden Bohrers wird nicht verschmäht. Die Klarheit der Gliederung und die Zusammenfassung der Massen bei diesem Relief des 2. Jahrhunderts vor Chr. läßt in diesem Arbeitsstadium nichts zu wünschen übrig und ist der Jünglingsstatue von Rheneia fast überlegen. Das Flachrelief entsteht unter den Händen des griechischen Bildhauers grundsätzlich anders als in einem unserer heutigen Ateliers. Will ein moderner Künstler ein Relief modellieren, so braucht er dazu zunächst eine Holzplatte, auf die er seinen Ton aufträgt. In dieser Masse formt er dann ganz nach Belieben. Ist das Relief in Ton fertig, wird es in Gips 72

Relief aus dem p e r g a m e n i s c h e n T e i e p h o s f r i e s

73

56. R e l i e f m i t K r i e g e r aus N a u k r a t i s

gegossen und dann mit dem üblichen Meßverfahren in den Stein übertragen. Der griechische Bildhauer geht bei seiner Arbeit eigentlich den umgekehrten Weg. Sein Relief wird niemals auf eine Fläche aufgetragen. Der Grieche zeichnet die Figuren auf eine Marmorplatte auf und vertieft um sie herum den Umriß mit der Grundfläche. Im Britischen Museum in London befindet sich ein Relief (56) aus dem 6. Jahrhundert vor Chr., das beim Aphroditeheiligtum von Naukratis gefunden wurde; es ist 36 cm hoch und 30 cm breit. Dargestellt ist ein Krieger mit korinthischem Helm und Speer. Von dem runden Schild am linken Arm sieht man die Innenseite. Da jede Modellierung, Innenzeichnung und Abrundung der Figur fehlt, nur die Beinschienen sind ganz leicht eingeritzt, könnte man die Arbeit für unfertig halten. Wahrscheinlich ist sie es aber nicht, denn die Oberfläche ist ausreichend ge-

57- Relief vom N e r e i d e n m o n u m e n t

glättet. Alles, was jetzt für uns fehlt, war vermutlich vom Künstler durch Bemalung gegeben worden; leider ist sie uns nicht mehr erhalten. Ähnlich wirkt ein unfertiges Stück aus dem Fries vom Nereidenmonument (57) vom Ende des 5. Jahrhunderts vor Chr. Die einzelnen Figuren stehen wie mit einer Säge aus einem Brett geschnitten vor der Ebene des Hintergrundes. Auch hier hat der Bildhauer zunächst die Umrisse in den Stein geritzt und dann den Grund um seine Darstellung herum vertieft. In diesem Relief sollte nun auch die Abrundung und Innenmodellierung der Figuren folgen. Trotzdem hätten sie aber auch im fertigen Zustand sicher noch recht isoliert vor dem Reliefgrund gestanden. Bei einem solchen Relief kann der Hintergrund recht verschieden tief ausfallen, die Figuren bleiben immer in der Vorderfläche der Marmorplatte gebunden. Die höchsten Punkte des Reliefs liegen alle in derselben Ebene. Beim modernen Relief ist das gerade umgekehrt, da ist der Reliefgrund das Festliegende und auf diese Ebene wird die Darstellung beliebig hoch aufgehöht. Sehr viel schwieriger wird für den griechischen Bildhauer das Verfahren, wenn er in seinem Relief mehrere Gründe hintereinander unterscheidet, wie zum Beispiel im Parthenonfries, wo die junge athenische Reiterei sogar in Viererkolonnen dargestellt wird. Er kann da nicht wie am Nereidenmonument sofort bis zum Reliefgrund vorstoßen, sondern muß schichtenweise langsam in die Tiefe gehen und muß bei dieser Arbeit

jedesmal für die folgende Schicht die Vorzeichnung erneuern. Um diese verschiedenen Teile auch während der Arbeit deutlich gegeneinander abzusetzen, bearbeitet er sie möglichst mit verschiedenen Werkzeugen. Besonders schön zeigt dieses Vorgehen ein attisches unfertiges Relief aus dem 4. Jahrhundert vor Chr. im Berliner Museum (58). Zu beiden Seiten eines brennenden Altars stehen zwei männliche Gestalten, die mit einem Mäntelchen bekleidet sind. Jeder von beiden führt ein Pferd am Zügel. Die Darstellung kann nur auf die beiden Dioskuren gedeutet werden. Das Relief wird eingefaßt von dem glatten Rand, der von der Oberfläche der Marmorplatte stehengeblieben ist. Die beiden männlichen Figuren und der Hintergrund rechts oben und in der Mitte um die Pferdeköpfe herum sind mit dem Spitzmeißel bearbeitet. Tiefer liegen schon die Pferdekörper und der Altar. Diese Teile hat der Bildhauer mit dem flachen Eisen zugehauen und zugleich wieder die Umrißlinien scharf nachgezeichnet. Besonders wichtig ist, daß der Kopf des rechten Mannes nach vorn bis in die Ebene des geglätteten Plattenrandes hineinreicht. Vorn im Gesicht ist noch ein Stückchen der ursprünglichen Plattenfläche übrig geblieben. Sicher hat der Bildhauer diese kleine Fläche mit Absicht stehengelassen, um die Verbindung mit der vorderen Ebene des Reliefs festzuhalten. Man kann die Sicherheit und Klarheit, mit der dieses Relief aus dem Stein heraus entwickelt ist, nur aufs Höchste bewundern. Der Stand der beiden Männer, die geringe Verschiedenheit ihrer Körperhaltung ist schon mit den wenigen Meißelhieben in diesem frühen Stadium der Arbeit deutlich gemacht. Der Hauptunterschied gegenüber der Rundskulptur liegt darin, daß der Bildhauer sich im Relief nicht in demselben Maße auf die Spitzeisenarbeit beschränkt, sondern auch häufig zum Schlag- und Rundeisen greift. Ein kleiner Ausschnitt aus dem Parthenonfries (59) kann besser als viele Worte einen Begriff von dem Können und der Beweglichkeit griechischer Bildhauer geben. Auf diesem Plattenstück ist ein Pferdekopf, worauf vor Jahren schon Pernice aufmerksam gemacht hat, ganz eigenartig versteckt. Der Mantel des Reiters ist nämlich aus der Anlage eines Pferdekopfes umgearbeitet worden. Während man bei den anderen Reitern, die dieselbe Tracht tragen, genau erkennen kann, wie und wo der Mantel zusammengehalten wird, gehen hier die Enden unklar ineinander über. Außerdem ist der Mantel so angeordnet, daß der Knüpfpunkt anstatt auf der Brust aufzuliegen, sich weit nach vorn verschoben hat. Auch setzt sich der Mantel merkwürdigerweise hinter dem Kopf des Jünglings über 76

59- Reiter aus dem Parthenonfries

der Mähne des Pferdes fort, ohne daß er eigentlich frei in der Luft flattert. Der Bildhauer dieser Friesplatte hatte nach der ersten Skizze die Mähne des Rosses in kühnem Schwung zu weit nach vorn gefuhrt und dadurch das ganze Vorderteil des Pferdes zu groß angelegt. Bei der Arbeit ist ihm dann der Fehler klar geworden, und er mußte nach einer Abhilfe suchen, weil die Platte schon am Bau versetzt war. Da hat er dann einfach den Pferdekopf in einen Mantel umgearbeitet. Und so gut ist ihm das gelungen, daß man es nur noch bei scharfer Beobachtung überhaupt wahrnimmt. Mit dem letzten griechischen Relief, das hier betrachtet werden soll, schließt sich der Kreis (60). Man fühlt sich sofort an das Grabrelief der Mynno erinnert, und diese Erinnerung täuscht nicht. Auch das kleine, nur eben angelegte Flachrelief entstand in Athen in den Jahrzehnten nach der Vollendung des Parthenonfrieses; möglich, daß es sogar aus demselben Atelier stammt, aus dem das Relief der Mynno hervorging. Auf einer der größten attischen Grabvasen in Athen ist zwischen dem etwas langweiligen und leeren Hauptrelief nach Wegmeißeln des Pferdeschwanzes und eines Schildrandes ohne jede Beziehung zu der ursprünglichen Hauptdarstellung diese Reliefskizze einer sitzenden Frau mit einem dahinterstehenden Mädchen mit leicht eingetieften Linien hingeworfen worden. Die Falten-

Grabvase aus Athen

gebung läßt sich am besten mit einem fast zufälligen Wellengekräusel vergleichen; bald dicht, dann wieder breit und flächig sind mit schmalen Rund- und Flachmeißeln ineinander verschlungene Faltengebilde entstanden, die so ganz auf das feinste Wechselspiel von Licht und Schatten gestellt sind, daß dieses zarte Relief in der Wirkung einer weichen Kohlezeichnung nahe kommt. Bei dieser Mädchengruppe sieht man, wie zunächst das Ganze mit einem sicheren Kontur umrissen ist und wie der Künstler dann langsam zu den Einzelheiten vordringt, immer im Rahmen eines Gesamteindrucks, dem sich alles, ein- und unterordnet. Man kann sich das Entstehen, dieser Skizze an der fertigen Grabvase nur aus einer Künstlerlaune erklären. Es ist ein rasch hingeworfener Einfall, den man wahrscheinlich nicht mehr sah, als man die Grabvase aufstellte, weil die Farbe ihn wieder zugedeckt hatte.

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6i. R e i t e r v o n B r e i t f u r t

A N E I N I G E N unfertigen Skulpturen aus späteren Jahrhunderten läßt sich .zeigen, daß die Entwicklung immer wieder, ob in Italien oder Deutschland, zwangsläufig ähnliche Wege gehen mußte wie in der Antike, was sich dann wieder in einem der jeweiligen Stilstufe entsprechenden technischen Werdegang äußert. So kann man sich bei unfertigen Skulpturen des 13. und 14. Jahrhunderts an die Arbeitsweise frühgriechischer Künstler erinnert fühlen. Die Werke Michelangelos entsprechen in ihrem Werdegang ungefähr denen des griechischen Hellenismus, und Bildhauer der späteren Renaissance arbeiten ganz ähnlich wie Künstler der römischen Kaiserzeit. Einige ganz zufällig herausgegriffene Beispiele können das in überzeugender Weise veranschaulichen. Schon in der römischen Provinzialkunst ging die ausgesprochene Kopistentechnik der hauptstädtischen Kunstindustrie schnell zugrunde, soweit sie überhaupt bis dorthin vorgedrungen war. Man verlernte das komplizierte Punktieren und Messen und alle die überspitzten technischen Feinheiten. Man kam ganz von selbst auf die Anfänge zurück, und damit war dann der Weg wieder frei zu einer wirklichen Plastik. 6

Blümel,

Griech. Bildhauer

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62. K r ö n u n g M a r i a e , O r v i e t o

In der Pfalz hat man zwei große römische Steindenkmäler gefunden, die Reiter von Breitfurt an der Blies (61). Sie wurden 1887 unfertig aus einem verschütteten römischen Steinbruch geborgen und stehen jetzt auf der Freitreppe des Historischen Museums zu Speyer; ihre Höhe beträgt 2,85 m. Vielleicht waren sie Begleitfiguren zu einem großen römischen Grabmonument, das vor seiner Vollendung unfertig liegen bleiben mußte. Möglich auch, daß sie als Imperatorenstatuen das Forum einer Stadt wie Trier oder Metz schmücken sollten. Man könnte dann an den Kaiser Valentinian I (364—375 nach Chr.) und an seinen Sohn Gratian denken. In ihrer Anlage unterscheiden sie sich nicht wesentlich von frühen griechischen Skulpturen, sie wurden von den vier Seiten mit dem einfachen Spitzmeißel aus dem Block heraus entwickelt. Nur in der Klarheit der Gliederung und in der Konsequenz der Formgebung halten sie natürlich den Vergleich mit archaischen Skulpturen aus Griechenland nicht aus.

63. F r a u mit S ä u l e , O r v i e t o

In der Domopera von Orvieto haben sich aus dem 14. Jahrhundert zwei unfertige Skulpturen, die kurz vor der Vollendung stehen, erhalten, eine Krönung Mariae aus der Schule Orcagnas (62), ungefähr 50 cm hoch, und eine sitzende Frau mit einer Säule im Arm (63) von etwa 60 cm Höhe. Sie sind beide ganz ähnlich wie die Olympiaskulpturen rund aus dem Stein herausgelöst. Alle Teile befinden sich in demselben Stadium der Arbeit, was darauf hindeutet, daß der Bildhauer wie in der klassisch griechischen Skulptur jedesmal eine ganze Schicht von seinen Figuren abgearbeitet hat. Einen bedeutenden Schritt weiter in der Entwicklung führen die Sklaven von Michelangelo, an denen genau wie in der späten hellenistischen Skulptur der Gang der Arbeit von einem flachen Relief über ein starkes Hochrelief zur Rundskulptur geht. Dabei ist außerdem noch zu beobachten, wie die frühesten Arbeiten des Meisters am wenigsten reliefmäßig in ihrer Anlage sind. Denn das runde Herausarbeiten einer Skulp-

tur aus dem Stein war auch in der italienischen Kunst das ältere Verfahren genau wie bei den Griechen. Auch die Entwicklung des Reliefs geht dieselben Wege. Aus der Werkstatt des Naumburger Meisters hat sich ein kleines, unfertiges Bogenrelief über einer T ü r im Innern des Ostchors erhalten, eine Darstellung von Christus zwischen Maria und Johannes dem Täufer (64). Die Arbeit wurde fortschreitend von links nach rechts ausgeführt. Die Gestalt des knienden Johannes ist mit feiner Spitzmeißelarbeit erst eben angelegt, ebenso der Unterkörper des Christus in der Mitte, während die Maria links und der Oberkörper und Kopf des Christus schon mit einem flachen Eisen geglättet worden sind. Es ist interessant zu sehen, wie diese an sich nicht sehr bedeutende Arbeit aus dem 13. Jahrhundert, die aber doch der größten Epoche deutscher Plastik angehört, genau ebenso wie eine Skulptur aus der frühen griechischen Zeit ohne Punktierverfahren und fast nur mit Spitzeisenarbeit aus dem Stein heraus entwickelt wurde. Überall sind die großen Massen zusammengehalten, aus ihnen entwickeln sich ganz organisch langsam alle Einzelheiten heraus. In der Bearbeitung unterscheidet sich dieses Relief von einer griechischen Skulptur der Frühzeit nur dadurch, daß in Naumburg die Glättung mit einem flachen Eisen besorgt wurde, während der Grieche die Oberfläche durch Reiben glättete. Das kann seinen Grund in dem anderen Material haben und fällt auch wenig ins Gewicht gegenüber der völligen Übereinstimmung in der Gesamtanlage. Dasselbe gilt von einer unfertigen quadratischen Reliefplatte aus weißem Marmor, die jetzt im Museum von Pisa aufbewahrt wird (65). Sie ist 69 cm hoch und 71 cm breit. Dargestellt ist links oben die Verkündigung, darunter die Geburt Christi und rechts daneben die Anbetung der Hirten. Die Arbeit aus den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts sollte sicher einmal eine Brüstungsplatte für eine Kanzel werden. Das beweist ein Vergleich mit dem Reliefschmuck der Domkanzel in Pisa von Giovanni Pisano und der Kanzel von S. Michele in Borgo aus der Frühzeit des Tino di Camaino. Auch hier wurde wie bei dem griechischen Relief die Darstellung zunächst auf die Marmorplatte gezeichnet und dann der Umriß mit dem Reliefgrund vertieft, wobei die einzelnen Figuren langsam in ihren Massen ohne Zuhilfenahme eine Punktierverfahrens aus dem Stein heraustraten. Daß ein unfertiges Relief aber auch ganz anders aussehen kann, zeigt eine Arbeit, die einmal im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin stand (66). 84

65- R e l i e f m i t V e r k ü n d i g u n g , G e b u r t und A n b e t u n g d e r H i r t e n in P i s a

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66. R e l i e f mit A l l e g o r i e d e s G l a u b e n s

Es ist ein Relief ohne Grundfläche mit der Darstellung einer Allegorie des Glaubens, die Mino da Fiesole zugeschrieben wird. Die Arbeit wirkt schwächlich und dünn, verglichen mit den Reliefs aus Naumburg und Pisa, weil die unfertigen Teile ausdruckslos angelegt sind und von Anfang an nicht genügend auf eine organische Durchbildung des Ganzen hingearbeitet wurde. Kopf und Hals sind bereits bis auf die Politur fertig, während anderes nur im Gröbsten zugehauen ist. Damit fällt während der 87

Arbeit alles in Teile auseinander, ein Fehler, der später nicht wieder gut gemacht werden kann. An sich wäre es schon ein Gewinn, wenn die Betrachtung der unfertigen Skulpturen aus den verschiedenen Zeiten antiker Kunst nur einen Einblick in viele technische Vorgänge gewähren würde, die einmal ein lebendiger Besitz der Bildhauerwerkstätten waren, sich immer wieder vom Meister auf die Lehrlinge und Gehilfen fortvererbten, und dabei wie alles Lebendige sich beständig weiter entwickelten, weil dadurch viele Fragen der plastischen Formanschauung eine anschaulichere und manchmal tiefere Klärung finden können als durch schwierige theoretische Erörterungen. Aber auch für ganz einfache kritische Fragen gibt diese Kenntnis gelegentlich eine brauchbare Hilfe an die Hand. Man kann heute griechische Baureste der klassischen Zeit mit Sicherheit von römischen unterscheiden, weil die technischen Einzelheiten in der Baukunst von Architekten eingehend und sachkundig bearbeitet worden sind. Dagegen stößt man noch gelegentlich auf die größte Unsicherheit, wenn es gilt zu entscheiden, ob eine antike Skulptur ein griechisches Original oder ein Kopie der römischen Kaiserzeit ist. Das beste Beispiel ist der berühmte praxitelische Hermes, den die Ausgräber von Olympia, wie die Tagebücher der Grabung lehren, für ein hellenistisches Werk hielten, der dann durch ein halbes Jahrhundert für das bedeutendste griechische Original des 4. Jahrhunderts vor Chr. galt, der aber nach dem technischen Befund an der unfertigen Rückseite nicht vor dem Ende des 2. Jahrhunderts vor Chr. entstanden sein kann und deshalb auch kein Werk des berühmten Praxiteles ist. Mit technischen Gründen hat man früher in solchen zweifelhaften Fällen kaum zu arbeiten versucht; gewöhnlich kam es zu einem Streit um den künstlerischen Wert der Arbeit, der mit subjektiven Argumenten geführt fast immer unentschieden bleiben mußte. Nur mit aller Zurückhaltung soll schließlich die Frage berührt werden, ob der lebende Bildhauer aus diesen technischen Erkenntnissen für seine Arbeit etwas gewinnen kann. Das wird ganz von der Stellung abhängen, die der Künstler zur antiken Kunst überhaupt einnimmt. Fühlt er sich griechischer Plastik verbunden, so kann er aus jeder guten griechischen Skulptur lernen, und gerade für den Bildhauer wird es fast gleichgültig sein, ob diese Arbeit fertig oder unfertig ist. Sicher wird er als Kenner der bildhauerischen Technik die unfertigen Stücke besonders sachverständig betrachten und für sein eigenes Schaffen auswerten. Daß er da88

bei nie auf den Gedanken kommen kann, griechische Arbeitsmethoden einfach zu übernehmen, ist selbstverständlich, weil er wie kein anderer weiß, daß es ihm genau wie der langen Reihe seiner Vorgänger nicht erspart werden kann, die technischen Hilfsmittel zu entwickeln, die gerade seiner Kunst entsprechen.

67. B i l d h a u e r eine

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B l ü m e l , Grlech. Bildhauer

modelliert

Büste

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VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN Titelseite. Schaleninnenbild mit Hermenschnitzer, dem Vasenmaler Epiktet zugeschrieben. Um 510 v. Chr. Durchmesser 8 cm. Kopenhagen, Nationalmuseum. Corpus Vasorum Antiquorum, Dänemark Bd. 3 Taf. 139, 2 b. 1. Grabrelief der Mynno. Höhe 0,59 m. Nach 430 vor Chr. Berliner Museum Nr. 737. Aufnahme Schwarz. 2-4. Kolossalstatue auf Naxos. Länge 10,45 m - 6. Jahrh. vor Chr. Aufnahmen von Massow. 5. Jünglingsfigur auf Naxos. Länge 5,55 m. 6. Jahrh. vor Chr. Aufnahme des Archäologischen Instituts in Athen. 6-8. Widderträger auf Thasos. Höhe 3,50 m. Anfang des 6. Jahrh. vor Chr. Aufnahmen der École Française d'Athènes. 9. Bruchstück, einer Reiterstatuette aus Sparta. Höhe 0,20 m. 6. Jahrh. vor Chr. London, Britisches Museum Nr. B 476. 10. Jünglingsfigur vom Pentelikon. Höhe 2,10 m. 6. Jahrh. vor Chr. Mélanges Nicole 401 Taf. 1. 1 1 . Jünglingsstatuette vom Pentelikon. Höhe 0,48 m. 6. Jahrh. vor Chr. London, Britisches Museum Nr. B 472. 12-13. Männlicher Torso von der Insel Naxos. Höhe 1,02 m. 6. Jahrh. vor Chr. Athen, Nationalmuseum Nr. 14. Aufnahmen des Verfassers. 14. Jünglingstorso von der Insel Naxos. Höhe 1 , 1 1 m. 6. Jahrh. vor Chr. Berliner Museum Nr. 1555. Aufnahme Treue. 15. Männlicher Torso, Fälschung in England, Privatbesitz. 16. Weihrelief mit Meißel und Schlegel eines Bildhauers. Höhe 0,356 m. New York, Metropolitan Museum. Bulletin 2 1 , 1926, 260 Abb. 6. 17. Werkzeuge des Bildhauers. 18. Kniende Dienerin (O) aus dem Ostgiebel von Olympia. Höhe 1,15 m. Um 460 vor Chr. Olympia, Museum. Aufnahme der Ausgrabungsleitung. 19. Rückseite eines gebeugten nackten Mannes. Erste Hälfte des 5. Jahrh. vor Chr. Athen, Nationalmuseum Nr. 2324. Aufnahme des Archäologischen Instituts in Athen N. M . 1170. 20-21. Jünglingskopf. Höhe 0,142 m. 6. Jahrh. vor Chr. München, Glyptothek Nr. 48. Aufnahmen des Verfassers. 22. Kopf des Apollon aus dem Westgiebel von Olympia. Höhe 0,44 m. Um 460 vor Chr. Olympia, Museum. Aufnahme des Verfassers nach Abguß. 23-24. Jünglingskopf vom Delion auf Paros. Höhe 0,12 m. Um 480 vor Chr. Paros, Museum. Aufnahmen Wagner. 25-26. Jünglingskopf vom Asklepieion auf Paros. Höhe 0,15 m. Um 480 vor Chr. Paros, Museuir. Aufnahmen Wagner. 27. Gemme mit Darstellung eines Handwerkers, der den laufenden Bohrer bedient. London, Britisches Museum Nr. 305. Middleton, The engraved gems of classical times 105 Abb. 2 1 . 28. Rotfigurige Hydria mit Darstellung der Sage der Danae. Um 500 vor Chr. Boston, Museum of Fine Arts Nr. 13.200.

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29. Rotfigurige Kanne aus Athen mit Darstellung der Athena als Bildhauerin. Höhe 0,215 m - Nach 470 vor Chr., dem sog. Panmaler zugeschrieben. Berliner Antiquarium F 2415. Aufnahme Schwarz. 30-31. Tonfoim einer thronenden Göttin aus Tarent mit Ausguß. Höhe 0 , 1 1 m. 5. Jahrhundert vor Chr. Berlin, Antiquarium Nr. 30 990. Aufnahmen Schwarz. 32-33. Jüngling, Tonfoim aus Tarent mit Ausguß. Höhe 0,14 m. 4. Jahrh. vor Chr. Berliner Antiquarium Nr. 3 1 1 1 4 . Aufnahmen Schwarz. 34. Gemme mit Darstellung eines Bildhauers mit Lot vor einer Herme. Größe 0,0131 m. New York, Metropolitan Museum. G. Richter, Catalogue of engraved gems 72 Nr. 89 Taf. 29. 35. Gemme mit Darstellung eines Bildhauers mit Lot vor seinem Modell. Größe 0,0194 m - Sammlung zu Gotha. 36. Jünglingsstatue von der Insel Rheneia. Höhe 1,75 m. 1 . Jahrh. vor Chr. Athen, Nationalmuseum Nr. 1660. Aufnahme des Archäologischen Instituts in Athen Nr. 365. 37. Kopf eines bärtigen Mannes (L) aus dem Ostgiebel von Olympia. Höhe 0,37 m. Um 460 vor Chr. Olympia, Museum. Aufnahme des Verfassers nach Abguß. 38. Herakleskopf aus der Löwenmetope von Olympia. Um 460 vor Chr. Olympia, Museum. Aufnahme Hamann. 39. Kopf des Lapithen (Q) aus dem Westgiebel von Olympia. Höhe 0,365 m. Um .460 vor Chr. Olympia, Museum. Aufnahme Hamann. 40. Kopf einer alten Frau (B) aus dem Westgiebel von Olympia. Höhe 0,34 m. Kopie der römischen Kaiserzeit. Olympia, Museum. Aufnahme Hamann. 4 1 . Männlicher Torso aus Athen. Höhe 0,35 m. 1 . Jahrh. nach Chr. Berliner Museum Nr. 519. Aufnahme Schwarz. 42. Darstellung des Meßverfahrens mit dem Lot. 43. Gruppe des Dionysos mit Satyr. Höhe 0,71 m. Kopie der römischen Kaiserzeit nach einem Original des 4. Jahrh. vor Chr. Athen, Nationalmuseum Nr. 245. Aufnahme Alinari 24233. 44 u. 46. Männlicher Torso. Höhe 0,52 m. Um 480 vor Chr. Museum auf Aegina. Aufnahmen des Verfassers. 45 u. 47. Jünglingstorso. Höhe 0,85 m. Kcpie aus der römischen Kaiserzeit nach einem Original des 5. Jahrh. vor Chr. Athen, Nationalmuseum Nr. 1624. Aufnahmen des Verfassers. 48. Torso eines die Sandalen lösenden Palaestriten. Höhe 0,75 m. Kopie aus der römischen Kaiserzeit nach einem Original des 4. Jahrh. vor Chr. aus dem Kunstkreis des Lysippos. Athen, Akropolismuseum Nr. 1325. Aufnahme des Archäologischen Instituts in Athen. 49. Frauenkopf aus Athen. Höhe 0,33 m. Nach 440 vor Chr. Berliner Museum N r . 607. Aufnahme Schwarz. 50. Frauenbüste von der Insel Rheneia. Höhe 0,57 m. 1. Jahrh. vor Chr. Athen, Nationalmuseum Nr. 779. Aufnahme des Verfassers. 5 1 . Jugendlicher Kopf. Höhe 0,23 m. Arbeit der römischen Kaiserzeit. Athen, Nationalmuseum Nr. 642. Aufnahme des Archäologischen Instituts in Athen A. V. 180 a.

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52. Wasserspeier vom Zeustempel von Olympia. Höhe 0,535 m. Um 460 vor Chr. Pergamonmuseum. Aufnahme Schwarz. 53. Wasserspeier vom Zeustempel von Olympia. Höhe 0,48 m. Kopie der römischen Kaiserzeit. Pergamonmuseum. Aufnahme Treue. , 54. Gruppe eines stehenden und eines vor ihm knienden Mannes aus dem Erechtheionfries. Höhe des Erhaltenen 0,49 m. Letztes Viertel des 5. Jahrhunderts vor Chr. Athen, Akropolismuseum Nr. 1073. Aufnahme des Archäologischen Instituts in Athen. 55. Relief aus dem pergamenischen Telephosfries. Höhe 1,58 m. 2. Jahrhundert vor Chr. Berlin, Pergamonmuseum. Aufnahme des Berliner Museums. 56. Relief mit Krieger aus Naukratis. Höhe 0,36 m. 6. Jahrh. vor Chr. London, Britisches Museum Nr. B 437. 57. Relief aus dem kleinen Fries des Nereidenmonuments von Xanthos. 2. Hälfte des 5. Jahrh. vor Chr. London, Britisches Museum Nr. 908. Aufnahme Mansell 2154. 58. Weihrelief mit den beiden Dioskuren aus Athen. Höhe 0,37 m. 4. Jahrh. vor Chr. Berliner Museum Nr. 730. Aufnahme Treue. 59. Reiter aus dem Parthenonfries. Höhe der Reliefplatte 1,00 m. Um 440 vor Chr. London, Britisches Museum. 60. Attische Grabvase. Höhe 2,12 m. Nach 440 vor Chr. Athen, Nationalmuseum Nr. 835. Conze, Die attischen Grabreliefs II Nr. 1073 Taf. 218/19. 61. Reiter von Breitfurt an der Blies. Höhe 2,85 m. 4. Jahrh. nach Chr. Hildenbrand, Der römische Steinsaal des historischen Museums der Pfalz zu Speyer S. 21 Nr. I Abb. 1 1 . 62. Krönung Mariae aus der Schule Orcagnas. Höhe 0,50 m. 14. Jahrh. Orvieto, Domopera. Aufnahme Homann-Wedeking. 63. Frau mit Säule aus der Schule Orcagnas. Höhe 0,60 m. 14. Jahrh. Orvieto, Domopera. Aufnahme Homann-Wedeking. 64. Bogenrelief mit Deesis. Aus dem Ostchor des Naumburger Doms. 13. Jahrh. Aufnahme Kirsten. 65. Relief mit Verkündigung, Geburt und Anbetung der Hirten. Höhe 0,69 m. Anfang des 14. Jahrhdts. Pisa, Museum. Aufnahme des Kunsthistorischen Instituts in Florenz. 66. Relief mit Allegorie des Glaubens. Mino da Fiesole (1431—84) zugeschrieben. Höhe 1,30 m. Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum Nr. 167. Aufnahme Schwarz. 67. Gemme mit Darstellung eines Bildhauers, der eine Büste modelliert. Höhe 0,0131 m New York, Metropolitan Museum. G. Richter, Catalogue of engraved gems 84 Nr. 118 Taf. 33.

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