Griechische Denker. Griechische Denker: Eine Geschichte der antiken Philosophie [4. Aufl. Nachdr. der Ausg. 1922-1931]
 9783110876635, 9783110024999

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GRIECHISCHE DENKER EINE GESCHICHTE

DEE ANTUEN PHILOSOPHIE VON

THEODOR G O M P E R Z

ERSTER BAND

VIERTE AUFLAGE AUSGABE LETZTER HAND B E S O R G T VON H. G O M P E R Z

v

Iwl BEBLIN UND LEIPZIG 1922 VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER

VERLEGER

WALTER DE GRUTTER & CO. / VORMALS G. J. GÖSCHENSCEE VERLAGSHANDLUNG / J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG GEORG REIMER / KARL J. TRÜBNER / VEIT & COMP.

Unveränderter photomechanischer Nachdruck 1973

ISBN 3 11 002499 3 © 1922/73 by Walter de Gruyter Co., vormals J. Goschen'scbe Verlagshmdliing — J. Guttcntag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. TrOboer — Veit St Comp., Berlin 30 Printed in the Netherlands Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung, sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfuhren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

DEM ANDENKEN MEINER MUTTER (19/12 1792-30/4 1881)

WIDME ICH DIESEN BAND

Inhalt Erstes Buch: Die Auffinge. Einleitung Erstes Kapitel: Die altjonischen Naturphilosophen Zweites Kapitel: Orphische "Weltbildungslehren Drittes Kapitel: Pythagoras und seine Jünger Viertes Kapitel: Die Fortbildung der pythagoreischen Lehren Fünftos Kapitel: Der orphisch-pythagoreische Seelenglaube . Zweites Buch: Ton der Metaphysik zur poeittren Wissenschaft Erstes Kapitel: Xenophanes Zweites Kapitel: Parmenides Drittes Kapitel: Die Jünger des Parmenides Viertee Kapitel: Anaxagoras F ü n f t e s Kapitel: Empedoktes Sechstes Kapitel: Die Geschichtsschreiber Drittes Buch: Pas Zeitalter der Aufklärung. Erstes Kapitel: Die Ärzte Zweites Kapitel: Die atomistischen Physiker Drittes Kapitel: Die Ausläufer der Naturphilosophie . . . Viertes Kapitel: Die Anfänge der Geisteswissenschaft . . . Fünftes Kapitel: Die Sophisten Sechstes Kapitel: Protagoras von Abdera Siebentes Kapitel: Gorgias von Leontini Achtes Kapitel: Der Aufschwung der Geschichtswissenschaft Anmerkungen

Seite

3—36 37—66 67—82 82—93 . 93—102 . 102—126 129—136 137—152 152—172 172—187 187—210 210—224 227—261 261—307 . 307—315 . 316—342 342—363 363—392 393—408 . 408—425 426—499

zur ersten Auflage. Der Verfasser unternimmt es,

ein

neues Gesamt-Gemälde des

Wissensgebietes zu entwerfen, dessen Stoff zu mehren und dessen Probleme zu sichten er im Laufe mehrerer Jahrzehnte angelegentlich bestrebt war. Das auf drei Bände veranschlagte Werk, in welchem der Verfasser aus seiner Lebensarbeit die Summe zieht, soll den weiten Kreisen der Gebildeten zugänglich sein. Der Standpunkt, den er einnimmt, ist nicht der irgendeiner einseitigen und ausschließlichen Schule. Er bemüht sich, den verschiedenen antiken Denkrichtungen, von denen jede ihr Teil zu dem Gesamtbau der modernen Geistesbildung beigesteuert hat, gleichmäßig gerecht zu werden, sie allesamt unbefangen zu betrachten und billig zu beurteilen. Die Darstellung soll sich von einem nicht allzu dürftigen kulturhistorischen Hintergrund abheben und ein subjektives Gepräge nur insoweit tragen, als die Hervorhebung des Wesentlichen eine möglichst scharfe, die Scheidung des Bleibenden und Bedeutsamen von dem Gleichgültigen und Vergänglichen eine möglichst durchgreifende sein soll. Aus der Geschichte der Religion, der Literatur und der Einzelwissenschaften werden dem Werke solche Ausschnitte einverleibt werden, die für das Verständnis der spekulativen Bewegung, ihrer Ursachen und Wirkungen unentbehrlich sind. Die Grenzlinien, welche diese Gebiete trennen, erscheinen dem Verfasser durchweg als fließende. Das Ideal, das ihm vor Augen steht, ließe sich nur in einer erschöpfenden Gesamtgeschichte des antiken Geisteslebens vollständig verwirklichen. Der gelungenen Ausführung solch eines gewaltigen Unternehmens gegenüber wird der gegenwärtige, ungleich bescheidenere Versuch gern als überholt und veraltet gelten. Der zweite Band soll gleich dem vorliegenden ersten aus drei Büchern bestehen, deren Aufschriften lauten werden: „Sokrates und

Vorwort

die Sokratiker", „Platon und die Akademie", „Aristoteles und seine Nachfolger". Der Schlußband soll über die „ältere Stoa", über den „Garten Epikurs" und über „Mystik, Skepsis und Synkretismus" handeln. Um den Umfang des Werkes nicht allzusehr anzuschwellen, mußten Quellen-Belege die knappste Gestalt annehmen und mußte mit Hinweisen auf die neuere Literatur überall gekargt werden, außer dort, wo die Darstellung des Verfassers am meisten, und dort, wo sie am wenigsten originell ist, wo ihm mithin die Verpflichtung erwächst, seine enge Abhängigkeit von Vorgängern zu bekennen oder seine tiefgreifende Abweichung von herkömmlichen Auffassungen zu begründen. Schließlich mag es zur Entschuldigung, nicht nur zur Beschönigung der Mängel dieses Werkes seinem Verfasser erlaubt sein, sich ein Wort anzueignen, das einst G u s t a v e F l a u b e r t an G e o r g e S a n d geschrieben hat: „Je fais tout ce tjue je peux continudlcment pour clargir ma cercelle et je travaille dans la sincerity de man coenr; le restc ne dopend de ·>>

."

W i e n , im September 1895.

Vorwort zur zweiten Auflage. Die zweite Auflage unterscheidet sich nicht gar erheblich von der ersten. Einige kleinere Irrtümer werden berichtigt, ein paar Aufstellungen, die sich als unhaltbar erwiesen haben, sind getilgt und den Anmerkungen nicht allzu wenige Zusätze einverleibt worden. Diese beziehen sich zum größten Teil auf neu zutage gekommenes Quellenmaterial, wie denn der Fragmenten-Bestand des Heraklit, des Pherekydes und Demokrit durch einige, zum Teil sehr wichtige Funde der jüngsten Zeit bereichert worden ist. Inwieweit das in der Vorrede der ersten Auflage enthaltene Programm in der Ausführung modifiziert worden ist, ersieht der Leser aus dem Vorwort des zweiten Bandes. W i e n, im Juli 1902.

Vorwort

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Vorwort zur dritten Auflage. Das Verhältnis dieser Auflage des ersten Bandes zu ihrer Vorgängerin ist demjenigen nicht unähnlich, das zwischen dieser und der ersten Auflage bestanden hat. Ein Unterschied ist jedoch vorhanden. Der Berichtigungen und Verbesserungen gibt es diesmal wohl mehr als früher; zu Zusätzen hingegen, die einer Bereicherung des Quellenmaterials ihren Ursprung verdanken, hat die gelehrte Arbeit der letzten Jahre so gut als keinen Anlaß geboten. Polemische Erörterungen hat der Verfasser trotz mancher Verlockungen nach Tunlichkeit gemieden. W i e n, im Herbst 1Q10. Th. Gomperz.

Vorwort zur vierten Auflage. Am 29. August 1912 starb Theodor Gomperz und sein letzter Wille übertrug mir Sorge und Verantwortung für seine schriftstellerische Hinterlassenschaft. Bei der nunmehr nötig gewordenen neuen Ausgabe der „Griechischen Denker" hoffe ich die oft geäußerten Wünsche meines Vaters am besten zu erfüllen, wenn ich nur solche Änderungen vornehme, von denen ich sicher zu sein glaube, daß er selbst ihnen, zugestimmt hätte. Daher habe ich an dem T e x t des Werkes vor allem jene Änderungen vorgenommen, die mein Vater selbst in sein Handexemplar eingetragen hatte. Ferner wurden einige offenkundige Versehen berichtigt, ein paar dem Mißverständnis ausgesetzte Stellen verdeutlicht, hier und da sprachliche Unebenheiten geglättet. Auch wurden einige wenige Bemerkungen gestrichen, für die es in der Überlieferung des Altertums an jedem Beleg zu fehlen schien. Nach denselben Grundsätzen verfuhr ich bei der Bearbeitung der A n m e r k u n g e n . Namentlich die umfangreiche Erweiterung der Anmerkung l zu S. 325 sowie die der Anmerkung l zu S. 243, welche Roschers Ansicht vom Alter der Hippokratischen Schrift von der Siebenzahl ablehnt, rühren noch vom Verfasser selbst her. Darüber hinaus aber trachtete ich, die Anmerkungen dem Gebrauch dadurch handlicher

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Vorwort

anzupassen, daß ich die Belege zu den Angaben des Textes auch dort anführte, wo der Verfasser dies unterlassen hatte. Die Verweise auf die alten Schriftsteller wurden insgesamt überprüft und, wo es notwendig schien, nach den neuesten erreichbaren Ausgaben richtiggestellt. Insbesondere wurde für alle Stellen, die in Diels' „Fragmenten der Vorsokratiker" verarbeitet sind, auch auf dieses wichtige Handbuch verwiesen. Auf die Anführungen aus neueren Schriftstellern wurde ein ähnliches Verfahren angewandt, freilich nur, soweit dadurch nicht die Aufwendung übermäßiger Zeit und Mühe erfordert worden wäre. Diese meine Zusätze zu den Anmerkungen wurden durch Einschließung in eckige Klammern kenntlich gemacht. Neuere Veröffentlichungen über die in diesem Bande behandelten Denker, die mein Vater nicht genannt hatte oder die erst nach seinem Tod erschienen sind, habe ich mit Bedacht n i c h t nachgetragen, auch wo sie so bedeutsam Neues brachten, wie das von Diels in den Berl. Sitzungsberichten 1916, 931 ff. besprochene neue Bruchstück aus Antiphons Buch über die Wahrheit oder Karl Reinhardts neue Deutung der parmenideischen „Scheinlehre" („Parmenides und die Geschichte der griechischen Philosophie", Bonn 1916): wie Th. Gomperz über diese Dinge gedacht hätte, getraue ich mir nicht zu erraten; wer aber die neuen Veröffentlichungen bloß überblicken oder sich über deren Inhalt kurz unterrichten will, wird doch zu den bewährten Handbüchern von Ueberweg-Praechter und Zeller-Nestle greifen müssen. Die von meinem Vater gewählte Umschreibung der griechischen Namen habe ich beibehalten, da er sich mit Bedacht für sie entschieden hatte; auch das scheinbar Folgewidrige dürfte dabei einer Absicht entsprungen sein. Aus ähnlichen Gründen habe ich auch die Unterscheidungszeichen aus den früheren Auflagen möglichst unverändert herübergenommen. Endlich ergreife ich diese Gelegenheit, den Fachgenossen die unwillkommene Mitteilung zu machen, daß von Th. Gomperz' „Auswahl philologischer und philosophiegeschichtlicher kleiner Schriften H e l l e nika", Band III (bearbeitet von mir) und Band IV (bearbeitet von Christian Jensen) zwar seit Jahren durckfertig vorliegen, daß jedoch ihre Veröffentlichung unter den gegenwärtigen Umständen n i c h t in Aussicht gestellt werden kann. W i e n , 8. September 1921. H. G o m p e r z .

Berichtigungen. S. 20, Z. 2, lies: (bei den Indern). S. 296, Überschrift, lies: Demokrits optische Theorien.

E r s t e s Buch.

Die Anfänge. To one small people it was given to create the principle of Progress. That people was the Greek. Except the blind forces of Nature, nothing moves in this world which is not Greek in its origin. Sir Henry Sumner Maine.

G o m p e r z , Griechische Denker. I. 4. Aufl.

Einleitung. He Anfänge deckt das Dunkel ihrer Kleinheit oder ihrer Unscheinbarkeit. Sie entziehen sich der Wahrnehmung, oder sie entschwinden der Beachtung. Auch zu geschichtlichen Ursprüngen kann man nur schritt- und stufenweise emporsteigen, gleichwie man einen Stromlauf zu seiner Quelle zurückverfolgt, die im Waldesschatten sprudelt. Diese Stufen oder Schritte heißen Schlüsse. Sie sind von zweifacher Art, je nachdem sie von Wirkungen oder von Ursachen ihren Ausgang nehmen. Die ersteren, Rückschlüsse im eigentlichen. Sinne, suchen aus dem Dasein und der Artung von Wirkungen das Dasein und die Artung von Ursachen zu ermitteln. Sie sind unentbehrlich, aber vielfach trüglich. Denn während jede Ursache für sich genommen stets dieselbe Wirkung hervorbringt, so gilt doch keineswegs die umgekehrte Behauptung. Nicht jede Wirkung wird jedesmal von derselben Ursache erzeugt; die Erscheinung, welche man „Vielzahl der Ursachen" genannt hat, spielt im Natur- wie im Geistesleben eine weitreichende Rolle. Höhere Sicherheit gewährt das entgegengesetzte Verfahren. Dieses faßt die Ursachen ins Auge, die offenkundig vorliegenden oder tatsächlich nachweisbaren großen und greifbaren Faktoren, welche die Vorgänge, die es aufzuhellen gilt, beeinflußt haben müssen und bei welchen nur das Maß dieses Einflusses einen Gegenstand der Frage bilden kann. Der Vortritt gebührt in unserem Falle, wo es sich um die Anfänge des höheren geistigen Lebens eines Volkes handelt, den Verhältnissen seiner räumlichen Ausbreitung und der Beschaffenheit seiner Wohnsitze. Hellas ist ein m e e r u m f l o s s e n e s B e r g l a n d . Gering ist die Ausdehnung seiner Flußtäler, vergleichsweise gering die Fruchtbarkeit seines Bodens. Schon in diesem Verein von Umständen sind einige Grundzüge der eigentümlich hellenischen Entwickelung vorgebildet. Vor allem: etwaigen dahin verstreuten Kulturkeimen war Dauer, Stetigkeit und Mannigfaltigkeit der Pflege gesichert. Der Sturm der Eroberung, der über ein schutzloses Flachland ungehemmt hinwegbraust, pflegt sich an Gebirgswällen gleichwie an den Mauern einer Festung zu brechen1. So viele Bergkantone, so viele mögliche Stätten eigenartiger Bildung, so •l :;:

Land und Leute

viele Sitze eines stark ausgeprägten Sonderlebens, welches für die reiche, vielgestaltige Gesittung Griechenlands so ersprießlich wie für die staatliche Zusammenfassung seiner Kräfte verhängnisvoll werden sollte. Der kantonalen Erstarrung, wie z. B. das ganz binnenländische Arkadien sie aufweist, bot die beispiellos reiche Küstenentwickelung das heilsamste Gegengewicht. Einem Flächengehalte, der kleiner ist als jener Portugals, steht eine Küstenlinie, größer als diejenige Spaniens, gegenüber. Auch ward die Vielseitigkeit der Begabung dadurch nicht wenig gesteigert, daß die verschiedensten Nahrungs- und Berufszweige im engsten Räume beieinander saßen, daß Familien von Schiffern und Hirten, von Jägern und Ackerbauern fortwährend miteinander verschmolzen und somit einen Inbegriff sich wechselseitig ergänzender Anlagen und Fähigkeiten auf die Nachfahren vererbten. Die „Dürftigkeit" aber, „welche in Hellas von Anbeginn zu Hause war", hat sich als die heilsamste Mitgift erwiesen, welche eine gütige Fee ihm in die Wiege legen konnte. Sie hat in dreifacher Rücksicht die Kultur aufs mächtigste gefördert: als ein Sporn, der zur Anspannung aller Kräfte trieb; als ein weiterer Schutz gegen Eroberung, da das verhältnismäßig arme Land, wie dies schon der tiefdenkendste Geschichtschreiber des Altertums1 in betreff Attikas angedeutet hat, als eine wenig begehrenswerte Beute erscheinen mußte; schließlich und hauptsächlich als ein gewaltiger Antrieb zu Handel, Seeverkehr, Auswanderung und der Anlage von Pflanzstädten. Die hafenreichsten Buchten des griechischen Mutterlandes öffnen sich nach Osten, wo auch dichtgesäete Inseln und Inselchen gleichsam Schrittsteine bilden, die zu den alten asiatischen Kultursitzen hinüberleiten. Griechenland blickt gewissermaßen nach Osten und Süden, während sein Rücken dem — vor alters gesittungsarmen — Westen und Norden zugekehrt ist. Dieser Gunst des Schicksals hat sich noch eine ganz besonders glückliche Fügung zugesellt. Das staatlich machtlose, aber gewinn- und wagelustige, die Meere kühn durchkreuzende Handelsvolk Phöniziens erscheint wie dazu ausersehen, zwischen dem jungen Griechenland und den Trägern einer uralten Kultur zu vermitteln. So wurden den Hellenen die Elemente der Gesittung aus Babylon und Ägypten zugeführt, ohne daß diese Übertragung um den Preis der Unabhängigkeit erkauft werden mußte. Wieviel stetiger und ungebrochener dadurch die Entwickelung des begnadeten Landes geworden ist, wie viele Opfer an Volkskraft ihm erspart blieben, dies mag, wenn es not tut, ein Blick auf das Geschick von Kelten und Germanen lehren, welchen Rom seine höhere Gesittung zugleich mit der Knechtung gebracht hat, oder auf das traurige Los der Naturvölker, welche in unseren Tagen von

Bedeutung der Kolonien

dem übermächtigen Europa den Segen der Kultur empfangen haben, der ihnen vielfach zum Fluche geworden ist. Von entscheidendem Einfluß auf das griechische Geistesleben waren jedoch die K o l o n i e n1. Solche wurden zu allen Zeiten und unter jeder Regierungsform gegründet. Die kämpf durchtobte Königszeit sah vielfach alte Ansiedler vor nachwandernden Stämmen aus ihren Sitzen weichen und jenseits des Meeres eine neue Heimat suchen. Die Geschlechterherrschaft, welche ganz und gar auf dem dauernden Verband von Grundbesitz und adeliger Abstammung beruhte, mußte den verarmten Edelmann, den geborenen Unruhstifter, häufig in die Fremde entsenden und dort mit neuem Landbesitz ausstatten. Andere Opfer der nie ruhenden Parteifehden folgten nach. Bald galt es, dem erstarkenden Seehandel feste Stützpunkte, dem aufblühenden Gewerbefleiß die Zufuhr von Rohstoffen, der wachsenden Volksmenge Bezugsquellen der Nahrungsmittel zu sichern. Dieselbe Auskunft diente vor allem in der Demokratie der Versorgung der Besitzlosen und der Beseitigung der Übervölkerung. So entstand frühzeitig jener weit ausgebreitete Gürtel griechischer Pflanzstädte, der vom Land der Donischen Kosaken bis in die Oasen der Sahara2 und vom Ostgestade des Schwarzen Meeres bis an die Küste Spaniens reichte. Wenn man das von Hellenen besiedelte Süditalien Großgriechenland genannt hat, so verdient die Gesamtheit jener Siedelungen das „größere Griechenland" zu heißen. Die bloße Zahl und Mannigfaltigkeit der Kolonien hatte bereits die Aussicht, daß etwaige dahin gelangende Gesittungskeime einen ihrer Entwickelung günstigen Boden finden würden, aufs erheblichste gesteigert. Eine weitere unabsehbare Steigerung dieser Aussichten ergibt sich aus dem Wesen der Siedelungen und der Art ihrer Gründung. Zur Anlage von Pflanzstädten wurden die für wirtschaftliches Gedeihen geeignetsten, vielversprechendsten Küstenpunkte ausgewählt. Es sind junge, kraft- und mutvolle Männer, welche mit Vorliebe in die Ferne ziehen und ihre überlegenen Eigenschaften auf zahlreiche Nachkommen vererben. Auch sind es nicht die geistig Zurückgebliebenen, die am Herkömmlichen und Veralteten Haftenden, die der Heimat ohne dringendste Not den Rücken kehren. Ferner erfolgten jene Wanderungen zwar in der Regel untel· der Leitung einer einzelnen Stadtgemeinde, aber trotzdem häufig mit betr^chtlichem fremden Zuzug. Zur also bewirkten Kreuzung der Stämme gesellte sich zumeist, da ungleich mehr Männer als Frauen auszogen, die Beimengung nicht-hellenischen Blutes. So viele Kolonien, so viele Versuchsstätten, in welchen griechisches mit nicht-griechischeni Volkstum in wechselnden Verhältnissen zusammengeschmelzt und das Erzeugnis auf

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Zeitalter der Tyrannis

seine Widerstands- und Leistungsfähigkeit geprüft ward. Der Sinn der Auswanderer erhob sich leicht über die Schranken örtlicher Satzungen, dumpfen Stammesaberglaubens und nationaler Engherzigkeit. Die Berührung mit fremden Kulturen, selbst wenn diese keine hochentwickelten waren, mußte den geistigen Gesichtskreis beträchtlich erweitern. Die Volkskraft wuchs rasch empor, der Volksgeist erstarkte durch das Ringen mit neuen, schwierigen Aufgaben. Hier galt der Mann mehr als seine Abkunft, die Tüchtigkeit fand reichen Lohn, die Untüchtigkeit war hart gebettet und schlecht geschirmt. Die Macht der bloßen Überlieferung, der gedankenlosen Routine war dort im schnellen Sinken begriffen, wo alles nach Neuordnung und Neugestaltung der wirtschaftlichen, staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse verlangte. Manche Pflanzungen erlagen freilich dem Andrang feindlicher Hintersassen, in anderen ward die Eigenart der Ansiedler durch das Übergewicht der Eingeborenen erdrückt. Im großen und ganzen aber blieb der pietätvoll behütete, nicht selten durch Nachschübe verstärkte Zusammenhang mit der Mutterstadt und dem Mutterland innig genug, um allen Teilen den Segen einer im höchsten Maße fruchtbaren Wechselwirkung zu erhalten. Die Kolonien waren das große Experimentierfeld des hellenischen Geistes, auf welchem dieser unter der denkbar größten Mannigfaltigkeit von Umständen seine Fähigkeiten erproben und die in ihm schlummernden Anlagen entfalten konnte. Jahrhundertelang hat der frische, fröhliche Aufschwung kolonialen Lebens gewährt; auf den meisten Gebieten ist die alte Heimat von den Tochterstädten überflügelt worden; fast alle großen Neuerungen sind von diesen ausgegangen; es kam die Zeit, in welcher auch die sinnige Vertiefung in die Rätsel der Welt und des Menschenlebens hier eine dauernde Stätte und nachhaltige Pflege finden sollte. 2. Es gibt einen Abschnitt der hellenischen Geschichte, welcher mit dem Ausgang unseres Mittelalters die auffallendste Ähnlichkeit besitzt. Hier und dort haben gleichartige Ursachen gleichartige Wirkungen hervorgebracht1. Den großen Entdeckungsreisen, welche den Beginn der Neuzeit einleiten, steht eine außerordentliche Erweiterung des geographischen Horizontes bei den Griechen gegenüber. Der ferne Westen und der ferne Osten der damals bekannten Welt verlieren ihre nebelhaften Umrisse; an die Stelle sagenhafter Verschwommenheit tritt sicheres und bestimmtes Wissen. Bald nach 800 wird von Milet aus die Ostküste des Schwarzen Meeres besiedelt (Sinope ist 785, ein Menschenalter später Trapezunt gegründet), bald nach der Mitte des Jahrhunderts erfolgen

Soziale Wandlungen

von Euböa und Korinth aus die ersten griechischen Niederlassungen auf Sizilien (734 Syrakus); ehe das Jahrhundert zu Ende geht, hat das hochstrebende Milet an den Mündungen des Nilstroms festen Fuß gefaßt. Dieser Drang in die Ferne schließt dreierlei in sich. Er beweist rasche Volkszunahme im Mutterland und in den älteren Ansiedlungen, einen beträchtlichen Aufschwung der Handels- und Gewerbetätigkeit, endlich erhebliche Fortschritte der Schiffsbaukunst und verwandter Zweige der Technik. Die Handelsflotten werden fortan durch Kriegsflotten geschirmt; see- und kämpf tüchtige, hochbordige Fahrzeuge mit drei Reihen von Ruderbänken werden erbaut (zuerst für die Samier 703), Seeschlachten werden geschlagen (die erste 664), das Meer gewinnt für das griechische Kulturleben, für friedlichen und feindlichen Verkehr die höchste Bedeutung. Zu gleicher Zeit wird dem Handelsbetrieb durch die Geldprägung ein neues und hochwichtiges Organ geschaffen. Als Verkehrsmittel und Wertmesser genügen nicht mehr kupferne „Kessel" und „Dreifüße" 1 , so wenig als die „Rinder" der grauen Vorzeit. Das Edelmetall verdrängt diese älteren und roheren Behelfe. Gold und Silber waren längst schon von Babyloniern und Ägyptern in Stab- und Ringform zu Markte gebracht und mindestens von den ersteren auch mit einem das Gewicht und den Feingehalt verbürgenden staatlichen Merkzeichen versehen worden. Nunmehr erlangt das zweckdienlichste, weil zugleich wertvollste und dauerbarste Tauschmittel seine bequemste Gestalt, indem es als geprägte Münze von Hand zu Hand rollt. Die bedeutsame Erfindung, welche die jonischen Phokäer (um 700) von den Lydern entlehnt hatten, erleichtert und steigert den Handelsverkehr in nicht geringerem Maße als der im späten Mittelalter von jüdischen und lombardischen Kaufleuten in Aufnahme gebrachte Wechselbrief. Ein nicht minder tiefgreifender Wandel vollzieht sich in der Kriegführung. Neben dem Reiterdienst, der in dem gras- und kornarmen Lande stets ein Vorrecht reicher Grundbesitzer blieb, kommt jener der „Hopliten", des ungleich zahlreicheren schwerbewaffneten Fußvolkes, zu erhöhter Geltung, ein Umschwung von ähnlicher und nicht weniger folgenreicher Art, als jener, Welcher bewaffnete Schweizer Bauern über burgundische und österreichische Ritter den Sieg gewinnen ließ. Neue Schichten des Volkes sind zu Wohlstand und Bildung aufgestiegen und von starkem Selbstgefühl erfüllt. Neben den alten Landgeschlechtern regt ein rüstiges Bürgertum seine junge Kraft und trägt immer unwilliger das Joch der adeligen Herren. Der Widerspruch zwischen realen Machtverhältnissen und rechtlichen Befugnissen birgt hier wie immer den Bürgerkrieg in seinem Schoß. Der Klassenkampf entbrennt, reißt auch den arg be-

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Literarische Neuerungen

drückten, mehrfach der Leibeigenschaft verfallenen Bauernstand mit sich fort und erzeugt ein Geschlecht von Gewaltherrschern, die aus den Rissen und Spalten der zerklüfteten Gesellschaft emportauchen, die geltenden Ordnungen teils brechen, teils beiseite schieben und ein zumeist zwar kurzlebiges, aber keineswegs folgenarmes Regiment begründen. Orthagoriden, Kypseliden, Peisistratiden, ein Polykrates und manche andere lassen sich den italienischen Machthabern des ausgehenden Mittelalters, den Medici, Sforza, Visconti vergleichen, wie die Parteifehden jener Epoche an den Streit der Zünfte und der Geschlechter erinnern. Das Dunkel des Ursprungs und der zweifelhaften Berechtigung der neugeschaffenen Fürstenhäuser soHte der Glanz überstrahlen, welcher von kriegerischen Unternehmungen und Bündnissen mit fremden Herrschern, von großartigen Werken des gemeinen Nutzens, von stolzen Prachtbauten und Weihgeschenken ausgeht und welchen der den nationalen Heiligtümern gewidmete Schutz und die den Pflegern der schönen Künste gewährte Gunst erhöhen. Die dauerndste Wirkung dieses geschichtlichen Zwischenspiels ist aber eine andere: die Beschwichtigung des Ständehaders, der Sturz der Adelsherrschaft ohne gleichzeitigen Zusammenbruch des Gemeinwesens, die Erfüllung der bald wiederhergestellten alten Verfassungsformen mit einem neuen und reicheren Inhalt. Die „Tyrannis" ist die Brücke, welche zur gemäßigten und schließlich zur voll entfalteten Volksherrschaft hinüberleitet. Mittlerweile floß der Strom der geistigen Bildung in einem zugleich breiteren und tieferen Bett als vordem. Der Heldengesang, der jahrhundertelang an jonischen Edelhöfen zum Spiel der Laute erklungen war, verstummt allmählich. Neue Dichtungsarten treten auf den Plan, unter ihnen solche, welche den Dichter nicht mehr hinter seinem Stoff verschwinden lassen. Die subjektive Poesie beginnt. Und wie sollte es anders sein? Ist doch die Zahl derjenigen beträchtlich gewachsen, deren Dasein nicht mehr im festen Geleis ererbter Ordnungen dahinrollt. Die Wechselfälle des staatlichen und die ihnen entspringende Unsicherheit des wirtschaftlichen Lebens verleihen dem Schicksal des einzelnen buntere Mannigfaltigkeit, seiner Eigenart schärferes Gepräge; sie erhöhen seine Selbstätigkeit und steigern seine Zuversicht. Er beginnt als Mahn- und Scheltredner, als Tadler und Berater zu seinen Stadt- oder Parteigenossen zu sprechen, seinen Hoffnungen und Enttäuschungen, seiner Freude und seiner Trauer, seinem Grimm und seinem Hohn in bewegter Rede Luft zu machen. Dem vielfach auf sich selbst gestellten, nur auf die eigene Kraft bauenden Individuum erscheinen auch seine privaten Anliegen bedeutsam genug, um sie auf den Markt der Öffentlichkeit zu

Erweiterung des Gesichtskreises

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tragen. Er schüttet sein volles Herz vor seinen Mitbürgern aus, er ruft sie als Richter an in seinen Liebes- und in seinen Rechtshändeln, er heischt ihr Mitgefühl für die Kränkungen, die er erlitten, für die Erfolge, die er errungen, für die Genüsse, die er errafft hat. Auch die Stoffe der älteren Dichtungsarten werden von einem neuen Geist beseelt. Die Götterund Heroensage wird von den Meistern des Chorgesanges in mannigfacher, nicht selten in widerspruchsvoller Weise behandelt1. Neben dem Streben der Lehrdichter nach ordnender und ausgleichender Zusammenfassung des Verschiedenartigen geht hier vielfacher Wechsel in der Gestaltung des Überkommenen, in der Beurteilung der Taten und der Charaktere der Helden und Heldinnen einher; Vorliebe und Abneigung heften sich an einzelne derselben, oft ohne Rücksicht auf geheiligte Überlieferungen. So lösen sich denn mächtige, selbstbewußte Persönlichkeiten in immer größerer Zahl von dem Hintergrunde der einförmigen Menge ab. Mit der Gewohnheit eigenartigen Wollens und Empfindens erstarkt auch die Fähigkeit selbständigen Denkens, welches an einer immer reicheren Fülle von Gegenständen betätigt und geübt wird. 3. Der Grieche hatte allezeit ein scharfblickendes Auge auf die Außenwelt gerichtet. Die treue Wiedergabe sinnfälliger Vorgänge macht einen Hauptreiz der homerischen Gedichte aus. Nunmehr beginnt er statt mit Tönen und Worten auch mit allmählich geschulter Hand Gestalten und Bewegungen nachzubilden. Die alten Kulturnationen, vor allen das formsichere, naturfrohe, von launiger Schalkheit erfüllte Volk der Ägypter ist hierin sein vornehmster Lehrmeister gewesen.2 Allein auch für die Beobachtung menschlicher Art und Sitte ward immer neuer Stoff gewonnen. Mit der Leichtigkeit des Reisens mehren sich die Anlässe desselben. Nicht nur der nach stets neuem Gewinn ausspähende Kaufmann, auch der landflüchtige Totschläger, der im Bürgerkrieg besiegte und verbannte Parteikämpfer, der unstete, seinen Wohnsitz oftmals wechselnde Siedler, der abenteuernde Geselle, dessen Lanze dem Meistbietenden feil ist, der heute das Brot des assyrischen Königs ißt und morgen den ägyptischen Gerstentrank durch die durstige Kehle jagt, der an den fruchtbehangenen Geländen des Euphrat so heimisch ist wie im Wüstensande Nubiens — sie alle sind Mehrer der Landes- und Volksund somit auch der Menschenkunde.3 Was einzelne geschaut, vernommen und ihren Volksgenossen mitgeteilt hatten, dies floß wie in großen Sammelbecken an den Punkten zusammen, an welchen Angehörige aller Stämme und Städte sich häufig begegneten oder in regelmäßigen Zeitabschnitten miteinander verkehrten. Ersteres gilt vorzugsweise von der

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Orakel und Nationalspiele

Orakelstätte zu Delphi, das letztere von den periodisch wiederkehrenden Festversammlungen, unter welchen jene zu Olympia die erste Stelle einnahm. Unter den steil aufragenden Felswänden, welche das Heiligtum des pythischen Apollo beschatteten, trafen Bürger und Vertreter ganzer Staatswesen aus allen Teilen des Mutterlandes und des Kolonialgebietes ohne Unterlaß zusammen, neben welchen mindestens seit der Mitte des siebenten Jahrhunderts bisweilen Sendboten fremdländischer Könige erscheinen. Sie alle kamen, den Gott zu befragen; die Antwort empfingen sie jedoch zumeist von der aufgehäuften, durch Priesterhände klug gesichteten Erfahrung ihrer Vorgänger. Auch verließen nur wenige die romantische Bergschlucht, ohne überdies aus der persönlichen Berührung mit Wallfahrtsgenossen reiche Anregung und Belehrung geschöpft zu haben. Die Anziehungskraft der glänzenden Spiele, welche im breiten Flußtal des Alpheios gefeiert wurden, wuchs von Generation zu Generation; das Festprogramm wurde durch die Aufnahme neuer Arten von Wettkämpfen stetig erweitert; der Zufluß der Besucher, die anfänglich nur den umliegenden Landschaften entstammt waren, ist, wie die (seit 776 bekannt werdenden) Siegernamen zeigen, aus immer weiteren Kreisen der hellenischen Welt erfolgt. Zum Austausch der Nachrichten und Erkundigungen gesellte sich hier die wechselseitige Beobachtung und die Erörterung der in den mannigfachen Bezirken des vielgeteilten Landes bestehenden Einrichtungen, der weit voneinander abweichenden Bräuche, Sitten und Glaubenslehren. Der Vergleichung folgte die Beurteilung, dieser das Nachdenken über die Gründe der Verschiedenheit und das Bleibende im Wechsel, das Suchen nach allgemein gültigen Maßstäben des Handelns und des Glaubens. So hat eine geschärfte und bereicherte Beobachtung zur komparativen Betrachtung, diese zur Kritik und vertieften Reflexion geführt. Von dieser Quelle ward im Laufe der Zeiten manch ein stolzer Strom gespeist; ihr entsprang unter anderem die Spruchdichtung, die Schilderung menschlicher Charaktertypen, die Worte der Weisheit, welche tiefdenkende Bürger und weltkundige Staatslenker in bunter Fülle ausstreuten. Der Ausbreitung des neuen Bildungserwerbs diente das beschwingte Vehikel des Gedankenaustauschs, welches die Schreibkunst darbietet. Die Schrift war unter Griechen freilich schon seit lange heimisch gewesen. Konnte doch der innige Verkehr mit Phöniziern, welchen die homerischen Gedichte schildern, kaum stattfinden, ohne daß der gewitzte griechische Kunde von dem kananäischen Kaufmann, den er so häufig bei der Anfertigung von Aufzeichnungen betreffen mußte, diesen wunderbaren Behelf der Aufbewahrung und Mitteilung des Gedachten entlehnt hätte

Entlehnung der Schreibkunst

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Ja, schon vordem mußte sich wenigstens ein Teil der Hellenen im Besitz der Schreibkunst befinden. Denn die jüngst auf cyprischen Denkmälern zutage getretene Silbenschrift ist so schwerfällig und unbeholfen, daß ihr Gebrauch der Annahme der bequemen semitischen Buchstabenschrift ebensowenig nachgefolgt sein kann wie etwa die Anwendung der Streitaxt jener der Flinte. Allein eine geraume Frist hindurch fehlte es an einem zugleich handlichen und leicht zu beschaffenden Beschreibstoff. Erst der Aufschwung, welchen der Handelsverkehr mit Ägypten unter der Herrschaft des Königs Psammetich I. nahm (bald nach 660), ließ diesen Mangel ergänzen. Das in dünne und biegsame Streifen zerteilte zarte Mark der Papyrusstaude lieferte nunmehr ein diesem Zweck in kaum zu übertreffender Weise dienstbares Mittel. Mit Schriftzeichen bedeckte Blätter flogen fortan von Stadt zu Stadt, von Landschaft zu Landschaft, von Jahrhundert zu Jahrhundert; der Umlauf der Gedanken wird beschleunigt, der Stoffwechsel des geistigen Lebens erhöht, die Stetigkeit der Bildung gefördert, in kaum geringerem Maße, als dies beim Anbruch unserer Neuzeit durch die Erfindung des Buchdruckes geschehen ist. Neben den mündlichen, Ohr und Sinn des Hörers gefangen nehmenden Vortrag der Gedichte tritt allgemach der stille Genuß derselben durch den einsamen, unbestochenen, mit Bedacht erwägenden, mit Muße vergleichenden, mit Mißtrauen prüfenden Leser. Bald sollte die literarische Mitteilung auch die letzte ihr noch anhaftende Fessel, jene der gebundenen Rede, abstreifen; die Anfänge der Prosaschriftstellerei sind nicht mehr ferne. 4. Die Westküste Kleinasiens ist die Wiege der griechischen Geistesbildung. Vor allem der Landstrich, welcher die Mitte des von Norden nach Süden sich erstreckenden Küstensaumes einnimmt, und die anliegenden Inseln. Hier hat die Natur ihre Gaben mit vollen Händen ausgestreut, und die sie empfingen, waren Angehörige des jonischen, das ist des .allseitigst begabten hellenischen Stammes.1 Die Herkunft der Jonier liegt im Dunkeln. Die älteste griechische Bevölkerung des Mutterlandes — so urteilt einer der besten Kenner des Gegenstandes — war eine den Joniern homogene; die Achäer stellen schon eine zweite Schicht dar, die sich auf die jonische lagerte wie später die dorische auf die achäische. Noch vor dem Eindringen der "Achäer hatte sich die jonische Stammesgruppe vom Festland aus nach Osten über die Inseln ausgebreitet und war in ihre neue asiatische Heimat gelangt. Den erweckenden und befruchtenden Einfluß, welchen die Berührung mit fremden, vorgeschritteneren Nationen ausübt, haben sie als kühne Seefahrer sowohl als durch

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Das Schicksal Joniens

den regen Verkehr mit ihren Hintersassen in stärkstem Maß erfahren1. Auch der Segen der Blutmischung mit anderen kräftigen Rassen, wie Karer und Phönizier es waren, ist ihnen zuteil geworden und hat die Mannigfaltigkeit ihrer Begabung ohne Zweifel mächtig gesteigert. Von der Erstarrung, welche die kantonale Abgeschlossenheit in ihrem Gefolge hat, waren sie unter allen Griechen am weitesten entfernt. Aber freilich auch des Schutzes ermangelten sie, welchen ein dürftiges und von Bergen umhegtes Land seinen Bewohnern bietet. Die Nähe hochentwickelter und staatlich geeinter Kulturvölker brachte zugleich ihrem geistigen Leben die gewaltigste Förderung und ihrer politischen Selbständigkeit die schlimmste Gefährdung. Den verheerenden Einfallen der ungesitteten Kimmerier folgte die Eroberung durch Lyder und Perser, welche einem Teil des Volkes das Joch der Fremdherrschaft auflegte, einen ändern in die Ferne trieb, während das Eindringen orientalischer Üppigkeit seine mannhafte Kraft langsam aber sicher unterwühlte. Das Ergebnis dieser sich kreuzenden günstigen und ungünstigen Einflüsse war ein wunderbar rascher, aber vergleichsweise kurzer Kulturaufschwung. Der nur allzubald fallenden Frucht entsanken Samenkörner, welche von den dem Fremdjoch entfliehenden Auswanderern weithin getragen und zumal in dem schützenden Nährboden Attikas sicher geborgen wurden. Das Fazit dieser nur wenige Jahrhunderte dauernden Entwickelung war ein gewaltiges: die Vollendung des Heldengesanges, das Gedeihen der vorhin erwähnten neuen Dichtungsarten, welche die Erbschaft des Epos antraten, die Anfänge des Betriebes der Wissenschaften und der philosophischen Reflexion. Auf die alte Frage der Menschen nach dem, was „sie selbst und Gott und Welt bedeuten", erfolgten neue Antworten — Antworten, welche allmählich diejenigen verdrängten oder umgestalteten, die ihnen bis dahin der r e l i g i ö s e G l a u b e erteilt hatte. 5. Die Religion der Griechen ist ein Gefäß, welches edle Geister mit dem lautersten Gehalt erfüllt haben. Ihre Gestalten wurden von Dichtern und Bildnern zu Mustern der reinsten Schönheit verklärt. Sie ist jedoch aus denselben Wurzeln entsprossen, welchen allüberall auf Erden eine unübersehbare Fülle teils schöner oder heilsamer, teils häßlicher oder schädlicher Geistesgebilde entkeimt ist2. Der Zug unserer Gedanken ist ein zwiefacher. Sie gehorchen dem Gesetz der Ähnlichkeit und jenem der Aufeinanderfolge. Gleichartige Vorstellungen und nicht minder solche, welche gleichzeitig oder in unmittelbarer Folge in unser Bewußtsein treten, erwecken einander gegenseitig. Die Erinnerung an einen fernen Freund z. B. zaubert uns nicht

Ursprung der Religionsvorstellungen

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nur sein Bildnis vor die Seele; auch die Räume, in denen er zu weilen, die Geräte, mit denen er zu hantieren pflegte, leisten uns einen ähnlichen Dienst. Der Wirksamkeit dieser Gesetze, die man gemeiniglich die Gesetze der Ideenassoziation nennt, entspringt unmittelbar und unfehlbar jene Auffassung von Naturvorgängen, welche man als V e r l e b e n d i g u n g der N a t u r bezeichnen kann. So oft dem Naturmenschen eine Bewegung oder ein sonstige Wirkung entgegentritt, die entweder durch ihre Ungewöhnlichkeit oder durch ihre enge Verknüpfung mit seinen Interessen einen genügend starken Eindruck auf seinen Geist hervorbringt, um die Assoziationstätigkeit desselben lebhaft anzuregen, so oft das geschieht, wird er nicht umhin können, die betreffenden Vorgänge als die Ausflüsse einer Willenstätigkeit anzusehen — aus keinem ändern Grunde, als weil die Verbindung von Willenstätigkeit mit Bewegungen und mit Wirkungen irgendwelcher Art die einzige ist, welche er und welche der Mensch überhaupt aus unmittelbarer innerer, täglich und stündlich erneuter Erfahrung kennt. Die aus dieser inneren Erfahrung entspringende Assoziation wird durch die Beobachtung anderer lebender Wesen fortwährend verstärkt. In Wahrheit sind Wirkungen jeder Art und absichtsvolles Wollen in unserem Geist so häufig verknüpft worden, daß wir dort, wo das eine Glied des Paares auftaucht, auch das andere Glied anzutreffen erwarten — eine Erwartung, welche allmählich durch anders geartete Erfahrungen, zumal durch die langsam errungene Herrschaft über die Natur, in engere Grenzen gebannt wird, die aber dort, wo die verkettende Kraft der Vorstellungen durch starke Affekte genährt oder durch gegenteilige spezifische Erfahrung nicht ausreichend gehemmt wird, oder wo das zweite Assoziationsprinzip, das der Ähnlichkeit (hier eines unbeabsichtigten mit einem beabsichtigten Vorgang) verstärkend hinzutritt, gelegentlich alle Dämme durchbricht und den Kulturmenschen, mindestens für Augenblicke, dem Urmenschen gleichstellt. Es sind dies Fälle, in welchen es uns vergönnt ist, die Wahrheit jenes Erklärungsprinzipes gleichsam experimentell festzustellen. Denn freilich sind wir nicht mehr dem Wilden gleich geneigt, einen bloß ungewohnten Vorgang in der angegebenen Weise auszulegen und einen uns unbekannten Mechanismus, etwa eine Taschenuhr oder ein Geschütz, für ein belebtes Wesen zu halten. Auch Blitz und Donner, eine Seuche oder einen vulkanischen Ausbruch führen wir nicht ohne weiteres auf die Wirksamkeit solcher Wesen zurück. Allein so oft uns ein unerhörter Glücksfall zustößt oder ein beispielloses Unglück uns mit jäher Gewalt trifft, zumal wenn die erkennbaren Ursachen des Ereignisses zu der erzielten Wirkung nicht in angemessenem Verhältnis zu stehen scheinen, ja selbst dann, wenn das

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Verlebendigung der Natur

Begebnis ein an sich geringfügiges, aber sein Auftreten (wie bei den seltsamen Fügungen eines Glücksspiels) ein jeder Berechnung spottendes ist — in diesen und ähnlichen Fällen drängt sich auch dem wissenschaftlich Gebildeten, wenigstens momentan, der Gedanke an ein absichtsvolles Walten auf, selbst wenn er mit der waltenden Macht, deren Eingreifen er wahrzunehmen glaubt, ganz und gar keine bestimmte Vorstellung zu verbinden weiß. Mit dem Gottesglauben in der Gestalt, welche dieser heutzutage bei Gebildeten erlangt hat, haben derartige Anwandlungen nichts zu schaffen. Denn nicht nur wird auch der Ungläubige von ihnen berührt; selbst der Gläubige wird zumeist völlig außerstande sein, diese seinen Geist durchzuckenden Ahnungen mit den Begriffen in Einklang zu bringen, die er in betreff der Natur und Wirksamkeit eines höchsten, weltlenkenden Wesens sich selbst gebildet oder von ändern überkommen hat. So darf man denn in diesem „Alräunchen des Aberglaubens", welches gelegentlich in der Brust eines jeden spukt, das verblaßte und verschrumpfte Abbild der allgewaltigen Stamm-Mutter erblicken, aus deren Schoß einst eine ungezählte Menge vielgestaltiger und farbenbunter Vorstellungen entsprossen ist. Andiesen ersten Schritt der Religionsbildung schließt sich unvermerkt ein zweiter an. Zu der Annahme, daß eine Wirkung der Ausfluß einer Willenstätigkeit sei, tritt die Wahrnehmung hinzu, daß eine Reihe häufig wiederkehrender Wirkungen an ein und dasselbe Naturobjekt gebunden ist. Somit werden ebendiese als die belebten, willensbegabten Urheber jener Vorgänge gelten. Und ihnen als den Trägern der nach menschlichem Muster wirksam gedachten Willenstätigkeit werden menschliche Antriebe und Neigungen, menschliche Affekte und Absichten zugeschrieben. Sie werden angestaunt und bewundert, vor allem aber, je nachdem die von ihnen ausgehenden Wirkungen nützliche oder schädliche, heilsame oder unheilvolle sind, geliebt oder gefürchtet. Und wenn sie, wie dies bei den großen Naturgegenständen, die das Leben der Menschen nachhaltig beeinflussen, zumeist der Fall ist, der Reihe nach Wirkungen der einen wie der ändern Art hervorbringen, so wird der Mensch sich gedrängt fühlen, ihre Gunst zu erringen, ihr Wohlwollen zu befestigen, ihre etwaige feindselige in eine ihm wohlgeneigte Gesinnung zu verwandeln. Er wird den Himmel zu bewegen suchen, statt zerstörenden Unwetters befruchtenden Regen auf die Erde zu senden; er wird die Sonne zu vermögen trachten, daß sie ihm statt versengender Hitze milde Wärme spende, die Flüsse, daß sie nicht seine Wohnstätten verheeren, sondern sein schwankes Boot geduldig auf ihrem Rücken tragen. Er wird die machtvollen Wesen, die sein Dasein beherrschen,

Geister und Dämonen

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durch dieselben Mittel zu gewinnen streben, die er seinen irdischen Herren gegenüber so dienlich erfunden hat: durch Bitten, durch Danksagungen, durch Darbringungen. Er wird ihre gnadenreiche Huld erflehen, ihnen für die Wohltaten danken, die sie ihm erwiesen, und ihre Verzeihung erbitten, wenn er ihren Unmut erregt zu haben wähnt. Mit einem Worte, er wird beten und opfern, beides in den Formen, welche eine vermeintliche Erfahrung ihm als die wirksamsten gezeigt hat; er wird einen Kultus und eine Religion besitzen. Diesen Verehrungsobjekten, die wir N a t u r f e t i s c h e nennen dürfen, gesellen sich alsbald Scharen von Geistern und Dämonen zu. Es sind dies weder völlig unkörperliche, noch auch grobkörperliche Wesen. Zu dem Glauben an ihr Dasein gelangt der primitive Mensch, dem alle feineren Unterscheidungen des wissenschaftlichen Denkens fremd sind, auf Grund einer d r e i f a c h e n Reihe von Schlüssen — Schlüsse, die er aus wirklichen oder vermeintlichen äußeren W a h r n e h m u n g e n , aus Tatsachen des inneren oder G e m ü t s l e b e n s und endlich aus Beobachtungen zieht, zu welchen der Ü b e r g a n g vom L e b e n zum T o d e bei Menschen und Tieren den Stoff darbietet. Daß es Dinge gibt, die unsichtbar und ungreifbar, aber darum nicht weniger gegenständlich sind, dies lehrt den Urmenschen der Duft jeder Blume glauben; der Wind — dessen stoffliche Natur ihm nur halb bekannt ist — gibt ihm Kunde von Dingen, die empfunden, aber nicht geschaut werden. Verblüffend und verwirrend wirkt auf ihn die Wahrnehmung von Schatten, welche die Umrisse eines Gegenstandes zeigen, ohne körperliche Greifbarkeit zu besitzen. Noch mehr die auch mit Farben versehenen Reflexbilder, die auf einer Wasserfläche erscheinen. In beiden Fällen gewahrt er etwas, was den körperlichen Objekten genau gleicht und doch des Versuches spottet, es zu ergreifen und zu betasten. In noch höherem Maße wird er von Traumbildern befremdet. Diese glaubt er mit all seinen Sinnen wahrzunehmen; sie stehen leibhaftig vor ihm, und dennoch: er findet die Tür seiner Hütte beim Erwachen so fest verschlossen, wie sie es vorher war. Vor ihm sind — er kann nicht daran zweifeln — Menschen, Tiere, Pflanzen, Steine, Geräte aller Art gestanden, er hat sie gesehen, gehört, betastet, während sie doch nicht in voller körperlicher Wirklichkeit in seine, sie oftmals räumlich gar nicht fassende, Wohnstätte eingegangen sind. Es waren — so schließt er — den Düften, den Winden, den Schatten, den Reflexbildern vergleichbare Wesen, es waren S e e l e n der Dinge.1 Bisweilen verlangen und gebieten die Traumphänomene auch eine andere Art der Auslegung. Der Träumende empfängt nicht immer die Besuche fremder Personen- oder Sachseelen, er

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Sack- und Menschenseelen

glaubt häufig, große Räume durchmessen und mit weit Entfernten in deren Heimat verkehrt zu haben. Er schließt daraus, daß ein Etwas, diesmal seine eigene Seele oder eine seiner Seelen (denn der Glaube an eine Mehrheit von solchen ist ebenso begreiflich als weitverbreitet), seinen Körper zeitweilig verlassen hat. Dieselben Erfahrungen mit demselben Gefolge von Schlüssen werden ihm durch die Zustände vermittelt, die wir Halluzinationen nennen, und die ebenso wie schwere, aufregende Träume von den bald durch langes Fasten, bald durch plötzliche Übersättigung überreizten Nerven des unregelmäßig ernährten Wilden gar häufig erzeugt werden. Diese Seelen oder Essenzen der Dinge stehen zwar mit diesen selbst in engster Verbindung; was ihnen widerfährt, übt auch auf diese ihre Wirkung. Auf den Schatten eines Menschen zu treten, gilt noch in unserem Volksglauben für verpönt; das Krokodil, welches nach dem Wasserbild eines am Ufer Befindlichen schnappt, hat — so meint ein Volksstamm Südafrikas — auch das Urbild in seine Gewalt bekommen1; was Traumbilder tun oder erleiden, ist für ihre Urbilder von wesentlichstem Belange. Allein zu ungleich größerer Macht, zu eigentlicher Selbsttätigkeit gelangt die Seele im Glauben der Völker zunächst durch eine zweite Reihe von Erwägungen, die nicht im Gebiete der Sinneswahrnehmung, sondern in jenem der Willensvorgänge wurzeln. Solange das innere Leben des Urmenschen im Geleise gleichmäßiger Gewohnheit abläuft, findet er sich wenig veranlaßt, über Sitz und Ursprung seines Wollens und Strebens nachzudenken. Aber wenn sein Blut in heftige Wallung gerät, wenn er von innerer Erregung glüht und erzittert, dann empfängt er von seinem pochenden Herzen wie von selber die Belehrung, daß diese Gegend seines Körpers der Schauplatz von Vorgängen ist, die er nach dem Lichte seiner Einsicht und der ihm zu Gebote stehenden Analogien auszumalen sich gedrungen fühlt. Je stärker und plötzlicher die Wandlung ist, deren er sich bewußt wird, um so weniger wird er, der jede besondere Wirkung mit einem besonderen Wesen zu verknüpfen gewohnt ist, sich des Eindruckes erwehren können, daß ein solches in seinem Busen wirkt und waltet. Und wenn ihn nun gar ein übermächtiger Affekt ergreift, wenn z. B. der Zornmut seine Brust durchtobt und ihn eine wilde, vielleicht bald schwer beklagte Bluttat verüben läßt, oder umgekehrt, wenn er im Begriffe steht, eine solche zu vollziehen, und ein jäh auftauchnder Impuls seinen erhobenen Ann wieder sinken macht — in solchen Augenblicken wird sich ihm der Glaube an ein oder mehrere, in ihm oder außer ihm schaltende Wesen, die ihn zum Handeln antreiben oder davon zurückhalten, mit unwiderstehlicher Gewalt aufdrängen.

Fortdauer der Seele

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Der triebkräftigste Keim des Seelenglaubens liegt jedoch in den Umständen beschlossen, welche das Erlöschen des individuellen Lebens begleiten. Wieder sind es die Fälle plötzlichen Wechsels, welche auf den Beobachter den tiefsten Eindruck hervorbringen und seinem Denken gleichsam die Bahn vorzeichnen. Gliche das Sterben stets einem langsamen Hinwelken und schließlichen Entschlummern, wäre der Tote immer bis zur Unkenntlichkeit verändert, vielleicht hätten die aus dem Aufhören des Lebens gezogenen Schlüsse eine sehr verschiedene Gestalt gewonnen. Allein der Leichnam zeigt gar häufig kaum irgendwelche äußere Veränderungen, der eben erst noch Vollkräftige ist mit einemmal ein stiller Mann geworden. Woher — so fragt der Beschauer — stammt die ungeheure, die entsetzliche Wandlung? Ein Etwas, so lautet die Antwort, das ihm Leben und Bewegung verlieh, ist aus dem Sterbenden gewichen; das Fehlen der soeben noch an ihm wahrnehmbaren Kräfte und Eigenschaften wird als ein Abgang im eigentlichen Sinne, als räumliche Entfernung gedeutet. Und da der seinem Ursprung nach so rätselhafte, warme Hauch, der allezeit aus dem lebenden Körper hervordrang, erloschen ist, welcher Gedanke liegt näher, als daß eben mit ihm die Quelle der nunmehr stillstehenden Lebensvorgänge versiegt sei? Gewaltsame Tötungen, bei welchen das Leben dem Körper zugleich mit dem aus der Wunde fließenden Blut zu entströmen scheint, erwecken mitunter den Glauben, daß der rote Saft der Träger des Lebens sei. Bei manchen Völkern gilt das Bild in der Pupille, welches aus dem brechenden Auge des Sterbenden schwindet, als der Erzeuger der Belebung und Beseelung. In der Regel bleibt jedoch dem Hauch, dem Atem, dem Luftstrom, welcher aus dem Innern des lebenden Organismus hervorquillt, diese Rolle vorbehalten, wie denn der ungeheuren Mehrzahl der Worte, welche in den verschiedensten Sprachen „Seele" und „Geist" bezeichnen, diese Grundbedeutung eignet. Die A b l ö s b a r k e i t der Seele vom Leibe ward schon in den beiden nebeneinander hergehenden Deutungen der Traumphänomene vorausgesetzt; ihre z e i t w e i l i g e T r e n n u n g gilt als die Ursache der Ohnmacht, des Scheintodes, der Ekstase, gleichwie das Eindringen einer fremden Seele in den Körper (als Besessenheit) krankhafte Zustände aller Art: Wahnsinn, Krämpfe usw. am passendsten zu erklären scheint. Im Tode aber wird die Scheidung der beiden Elemente als eine dauernde und endgültige angesehen. Daß das luftartige Wesen, welches den Leib verlassen hat, zugleich mit diesem untergehe, diese Annahme wird durch nichts nahegelegt. Ganz im Gegenteil: das Bild des geliebten Toten will nicht von uns weichen; mit anderen Worten: seine Seele umschwebt uns. Und wie sollte uns G o m p e r z , Griechische Denker. I. 4. Aufl.

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Ahnenkultus

das wundernehmen? Muß sie doch an der trauten Stätte ihres Wirkens, an den Gegenständen ihrer Zuneigung und ihrer Zärtlichkeit solange als möglich zu haften trachten. Sollte darüber noch ein Zweifel bestehen, die so häufig in nächtlicher Stille den Zurückgebliebenen erscheinende Traumgestalt des Geschiedenen würde ihn verscheuchen. Mit der Annahme von Geist- oder Seelenwesen, welche ihre Verbindung mit dem menschlichen und wohl auch dem tierischen Körper überdauern, war zweierlei gegeben: eine neue, den Naturfetischen beigeordnete Klasse von Verehrungsobjekten und ein Musterbild, nach welchem die Einbildungskraft zahlreiche andere selbständig bestehende oder zeitweilig in eine sichtbare Wohnstätte eingehende Wesen schuf und gestaltete. An Veranlassungen, ja an drängenden Beweggründen zu jenem Kultus und zu diesen Schöpfungen hat es dem Naturmenschen nicht gefehlt. Ist doch seine Abhängigkeit von äußeren Umständen die denkbar größte, das Verlangen, das ihn auf Schritt und Tritt umgebende Dunkel zu lichten, nicht minder stark als sein Unvermögen, diesem Begehren eine tatsächliche Befriedigung zu gewähren. Krankheit und Gesundheit, Hungersnot und Überfluß, Erfolg und Mißerfolg in Jagd, Fischfang und Krieg folgen einander in buntem Wechsel. Der Wunsch des primitiven Menschen, die sein Gedeihen bedingenden Faktoren zu erkennen und zu beeinflussen, wird nur von seiner Unfähigkeit übertroffen, diesen Anforderungen in vernunftgemäßer Weise zu entsprechen. Ein Maximum von Wissensbedürftigkeit jedes Einzelnen geht mit einem Minimum wirklichen Wissens Aller Hand in Hand; das von allen Seiten gestachelte, kaum irgendwo gehemmte Spiel der Phantasie ist geschäftig, die ungeheure Lücke auszufüllen, mit einem Aufwand von Schaffenskraft, von welchem wir uns kaum eine ausreichende Vorstellung bilden können. Hat doch die Kultur mit dem Schirmdach, das sie über den Menschen breitet, zugleich eine Scheidewand errichtet, die ihn von der Natur trennt. Die natürlichen Verehrungsobjekte wachsen ins Unbegrenzte. Wald und Wiese, Busch und Quell sind von ihnen erfüllt. Dennoch können sie dem Bedarf des Urmenschen auf die Dauer nicht genügen. Erscheint doch Glück und Unglück, Erfolg und Mißerfolg nicht immer an Objekte der sinnlichen Wahrnehmung gebunden. Oder welches von diesen mochte es wohl verschuldet haben, daß das soeben noch in reicher Fülle vorhandene Jagdwild plötzlich selten ward, daß der oft besiegte Feind sich mit einemmal als übermächtig erwies, daß Lähmung die Glieder fesselte oder Wahnsinn den Geist umnachtete? Mochte immerhin jeder äußerlichste Umstand, der dem hilflosen Denken eine augenblickliche Richtung gab, als untrüglicher Wegweiser gelten;

Dreifache l'erehrungsobji'kte

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mochte jedes zufällige Neben- oder Nacheinander als ein festbegründetes ursächliches Band erscheinen; mochte beispielsweise ein bis dahin unbekanntes Tier, das zur Zeit, da eine verheerende Seuche ausbrach, zum erstenmal aus dem Dickicht emporgetaucht ist, sofort als Urheber des Übels betrachtet und demgemäß verehrt und begütigt werden1 —: der Durst des Naturmenschen nach Kenntnis der segen- und unsegenbringenden Wesen, sein Heils- und Hilfsbedürfnis ward nimmermehr gestillt. So rief man denn jene um Beistand an, die sich schon im Leben als fürsorgliche Schützer und Schirmer erwiesen hatten, die Geister der abgeschiedenen Blutsverwandten, der Eltern, der Vorfahren1'. Der A h n e n k u l t u s erwuchs und neben ihm die Anbetung von Geistwesen, die nicht in Naturobjekte gebannt sind, sondern mit bestimmten Verrichtungen und Vorkommnissen verbunden gedacht werden, von S c h u t z - und P l a g e g e i s t e r n aller Art. Die somit gewonnenen d r e i Kreise von Verehrungobjekten durchschnitten einander in mannigfacher Weise; ihre Insassen begannen aufeinander zu wirken und ineinander überzugehen. Nichts natürlicher, als daß die vom Duft der Sage umwobene Gestalt eines fernen Ahnen, des Vorvaters eines ganzen Stammes oder Volkes, den großen Naturfetischen an Würde gleichgestellt und bisweilen mit einem derselben, z. B. dem Himmel, verschmolzen ward, gerade wie es umgekehrt geschehen ist, daß eine Nation oder ein hervorragendes Geschlecht den Himmel oder die Sonne als seinen Erzeuger ansah und verehrte. Nichts begreiflicher, als daß Natur- und selbst Kunstgegenstände, die nicht auf Grund sichtbarlich von ihnen ausgehender gewaltiger Wirkungen, sondern nur durch ihre Fremdartigkeit, ihre seltsame Gestalt oder Farbe oder durch ihre zufällige Verknüpfung mit einem denkwürdigen Ereignis die Aufmerksamkeit der Menschen erregt haben, als Wohnsitze von Ahnen- oder sonstigen Geistern gelten, als solche Anbetung genießen und so gleichsam zu s e k u n d ä r e n F e t i s c h e n werden. Nichts verständlicher endlich, als daß Geister oder Dämonen, die ursprünglich an keinem festen Sitze haften, infolge einer Ähnlichkeit, sei es des Namens, sei es der Eigenschaften, gelegentlich mit irgendeinem Naturfetisch verwechselt werden und schließlich mit diesem zu e i n e m Wesen zusammenwachsen. Nimmermehr kann aus derartigen, mehr oder minder vereinzelten Vorkommnissen geschlossen werden, daß irgendeine der drei großen Klassen von Verehrungsobjekten, etwa die der Naturfetische oder die der freien Dämonen, dem Glauben eines Volkes von Haus aus fremd und ein durchweg später und abgeleiteter Bestandteil desselben sei. Die Folgerung wäre nicht minder verkehrt, als wenn

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Griechische Götter

man aus der wohlbezeugten Verehrung von Tieren als solchen oder aus der noch heutzutage innerhalb eines großen Kulturvolkes bei den Indern vielfach beobachteten Vergötterung von Menschen schließen wollte, daß diese die einzigen oder auch nur die vornehmsten Quellen religiöser Vorstellungen seien. Jenen Wandelprozeß im einzelnen verfolgen, den Kern einer Kultgestalt aussondern und von nachträglichen Zutaten scheiden zu wollen, dies ist stets ein schwieriges, gar häufig ein aussichtsloses Beginnen. Allein daß solche Umwandlungen stattgefunden und den Gang der Religionsentwicklung aufs nachhaltigste beeinflußt haben, steht darum nicht minder fest. Doch an dieser Stelle ziemt es unserer Betrachtung, wieder in den bescheideneren Sonderpfad zurückzulenken, von dem sie ausgegangen ist. 6. Die griechischen Götter, die im Olymp um Zeus' Thron versammelt sind, die dem Gesang Apolls und der Musen lauschen und aus goldenen Pokalen Nektar schlürfen, die in Kriegsabenteuer und Liebeshändel aller Art verstrickt sind — wie wenig gleichen sie doch den frühesten und rohesten Erzeugnissen des religionsbildenden Triebes. Hier gähnt eine Kluft, die schier unüberbrückbar scheinen mag. Dieser Schein ist jedoch ein trügerischer. Dem genau Aufmerkenden zeigen sich bald so zahlreiche Zwischenstufen und Übergangsglieder, daß er kaum zu sagen weiß, wo die eine Wesenreihe anfängt und die andere aufhört, wo insbesondere der Naturfetisch endet und der menschenartige Gott beginnt. Vom obersten der olympischen Götter, von Zeus, sagt uns die vergleichende Sprachwissenschaft, daß er ursprünglich nichts anderes war als der Himmel selbst. Darum „regnet" er, darum schleudert er Blitze, darum versammelt er die Wolken. Die Erdgöttin heißt noch bei Homer bald die „breitbrüstige", bald die „breitstraßige" und schillert so chamäleonartig zwischen zwei einander widerstreitenden Auffassungen. Wenn ein alter theologischer Dichter1 die „Erde" „hohe Berge" und auch den „gestirnten Himmel" erzeugen läßt, damit dieser sie rings umschließe, wenn die dem Himmel vermählte Erde den „tiefwirbeligen" Okeanos und diesem Tethys die „Ströme" gebiert, da stehen wir noch mit beiden Füßen im Bereiche bloßer Naturverehrung. Aber wenn der „schönfließende" Xanthos bei Homer-' in seinem Gemüt erzürnt, als Achill sein Bett mit Leichen füllt, wenn er, von dem durch den Götterschmied Hephaestos entzündeten Feuer schwer bedrängt, Gefahr läuft zu versiegen und seinen Lauf hemmt, um dem Brande zu entrinnen, während er zugleich die weißarmige Hera, die ganz menschenartig gedachte Gemahlin des Götterkönigs, um Beistand gegen das wilde Treiben ihres

V'ermenschlichung der Götter

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Sohnes anfleht —: ist es da nicht, als ob uns zwei grundverschiedene Arten religiöser Gebilde gleichzeitig vor Augen lägen, zwei Gesteinsschichten vergleichbar, die eine Erdumwälzung regellos durcheinander gewirrt hat? Die Frage nach der Ursache dieser Wandlung, die sich bei Griechen nicht weniger als bei zahlreichen anderen Völkern vollzogen hat, läßt sich etwa wie folgt beantworten. Das Wirken des Assoziationstriebes, welches zur Naturbelebung geführt hat, war an sich dazu angetan, die Verehrungsobjekte mehr und mehr zu vermenschlichen. Der Gedankenverknüpfung zwischen Bewegungen und Wirkungen einerseits, menschlichen Willensantrieben andererseits, schloß sich vorerst jene zwischen Willensantrieben und dem Inbegriff menschlicher Affekte und endlich auch zwischen diesem und der äußeren Menschengestalt sowohl als der Gesamtheit menschlicher Lebensverhältnisse an. Gehemmt wurde diese Entwickelung so lange, als der halb tierische, nur dem Gebot der Notdurft gehorchende, von wirklichen und eingebildeten Gefahren unablässig geängstigte Mensch sich selbst nicht würdig und bedeutend genug erschien, um jene übermächtigen Gewalten nach dem Ebenbilde seiner dumpfen Ohnmacht zu formen. Die allmählich erwachsenden Anfänge der Kultur wirkten nivellierend, der Abstand zwischen jenen Höhen und diesen Tiefen begann sich zu verringern. Es hat wohl niemals ein Volk gegeben, welches sich die großen Naturpotenzen als wurzel- und beerensuchende, halbverhungerte Wilde gedacht hat. Allein ein im Besitz reicher Jagdgründe befindlicher Stamm mag wohl von himmlischen Jägern sprechen, wie der germanische Wotan einer ist; und dem altindischen Herdenbesitzer gilt der Himmelsgott als ein Hirte, dessen Kühe die Wolken sind. Das unter der Gunst äußerer Umstände erwachende Streben nach Klarheit, Bestimmtheit und Folgerichtigkeit der Begriffe tritt verstärkend hinzu. So vage, verschwommene und widerspruchsvolle Vorstellungen, wie ein schmerzemfindender oder ein durch Zeugung entstandener Strom es ist, sie werden die Ausnahme, wo sie vordem die Regel waren. Ob Ahnenkultus oder Fetischismus früher vorhanden war, dies läßt sich vielleicht nicht mit Sicherheit entscheiden. Allein der Dämonismus mußte, so alt er auch sein mag, mit der steigenden Arbeitsteilung und Ausgestaltung des Lebens an Ausdehnung gewinnen; denn die Anlässe der Dämonenbildung, die Beschäftigungen und Lebenslagen der Menschen haben sich vervielfältigt. Die frei waltenden Geister setzen aber dem Gestaltungsdrange geringeren Widerstand entgegen als die natürlichen Verehrungsobjekte, und sie geben bald das Muster ab, nach welchem auch diese gebildet werden. Nichts hinderte und manches

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Sieg des Polytheismus

forderte dazu auf (man denke an das vorhin über „Besessenheit" Bemerkte), die Dämonen den Seelen gleich in Leiber eingehen zu lassen; und was bei ihnen geschah, ward bald auf die Naturfetische übertragen. An die Stelle von willens- und bewußtseinsbegabten Naturobjekten und zum Teil an ihre Seite treten Geister oder Götter, die in äußeren Gegenständen nur ihren Wohnsitz haben und sich ihrer als Werkzeuge bedienen. Der also in einem Außending bloß wohnhaft gedachte, nicht mehr mit ihm verschmolzene Gott wird von dem Schicksal desselben unabhängiger; auch seine Wirksamkeit wird sich nicht durchweg in jener des Naturdinges erschöpfen; er wird einen Ü b e r s c h u ß von F r e i t ä t i g k e i t gewinnen. Ein lehrreiches Beispiel solchen Wandels bieten uns die anmutigen weiblichen Gestalten dar, welche die Griechen als Nymphen verehrt haben. Der homerische Lobgesang auf Aphrodite1 kennt Baumnymphen, die an dem Reigentanz der Unsterblichen teilnehmen und sich im dunklen Schatten der Höhlen dem Hermes und den Silenen in Liebe gesellen. Allein die „Tannen" und „hochwipfligen Eichen", in denen sie hausen, sind zugleich noch mehr als ihre Wohnstatt. Denn die nur halbgöttlichen Wesen entstehen, erwachsen und sterben zugleich mit ihnen. Andere Nymphen unterliegen nicht mehr dem gleichen Verhängnis; sie bewohnen zwar Quellen, schöne Haine und grasreiche Auen, allein sie zählen zu den Unsterblichen selbst und fehlen nicht im großen Rat der Götter, wenn Zeus diesen in seinen glanzvollen Hallen versammelt. Wir dürfen hier wie folgt schließen. Es gab eine Zeit, in welcher der Baum selbst als belebt galt und Verehrung genoß. Ihr folgte eine andere Epoche, in der man als die Trägerin seines Lebens ein eigenes, von ihm ablösbares, aber doch mit seinem Schicksal eng verknüpftes Wesen ansah. Schließlich zerreißt auch dieses Band, das göttliche Wesen wird gleichs a m frei u n d s c h w e b t f o r t a n , s e l b s t u n z e r s t ö r b a r , über den vergänglichen Einzel dingen, denen es v o r s t e h t . Dieser letzte und entscheidende Schritt ist zugleich derjenige, welcher den Polytheismus endgültig an die Stelle des Fetischismus gesetzt hat. Reste des letzteren haften dann nur noch an einigen großen, in ihrer Art einzigen Naturobjekten, wie die Erde, die Gestirne und der fabelhafte Okeanos es sind. Und auch hier treten den alten, vom Zuge der Vermenschlichung wenig ergriffenen Gestalten mehrfach andere, unter dem Einfluß der neuen Strömungen geformte Bildungen zur Seite. Wie es freie Dämonen gibt, die ganzen K l a s s e n von Verrichtungen vorstehen, so fällt auch den von ihren Einzelobjekten entbundenen Niiturgeistern eine verwandte Aufgabe zu; sie werden zu

Homerischer Götterglaube

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dem, was man mit einem treffenden Ausdruck Art-Götter genannt hat, zu Wald- und Gartengöttern, Quell- und Windgöttern usw. usw. Gefördert ward dieser Umschwung, vom Einfluß des Dämonismus abgesehen, durch die fortschreitende Einsicht in die gesetzmäßige Gleichartigkeit ganzer Reihen von Wesen; er gewährte dem Verallgemeinerungstriebe des menschlichen Geistes eine erste Genugtuung, während dem künstlerischen Bildungs- und Gestaltungsdrang aus der Freitätigkeit der Götter ein schier unerschöpflicher Stoff erwachsen ist. Die hier namhaft gemachten Bedingungen, auf welchen die fortschreitende P e r s o n i f i z i e r u n g und die ihr nachfolgende Idealisierung der göttlichen Gewalten beruht, waren im griechischen Volk im allerreichsten Maße vorhanden. Das Bedürfnis nach klarer Bestimmtheit der Vorstellungen mag zur ursprünglichen Ausstattung der hellenischen Geistesart gehören; die in dem größten Teil dieser Lande herrschende Helligkeit der Luft und Heiterkeit des Himmels, die scharfumrissenen Bergformen, die oft so weiten und doch zumeist begrenzten Horizonte haben sicherlich die ursprüngliche Anlage wesentlich gesteigert. Der Schönheitssinn mußte aus Landschaftsbildern, in welchen alle Elemente der Naturschönheit gleichmäßig vertreten und im engsten Raum vereinigt waren, aus dem Anblick schneeiger Gipfel und lachender Fluren, ernster Bergwälder und blumenbedeckter Wiesen, aus entzückenden Fernsichten und weiten Seeausblicken immer neue Nahrung saugen1. Der Erfindungsgeist, der Kunsttrieb und die Lust zum Fabulieren endlich, welche1 sich später auf den mannigfachsten Gebieten in einer endlosen Fülle einander drängender Schöpfungen betätigt haben, sie mußten sich des ersten Stoffes, der sich ihnen darbot, bemächtigen und von ihm die ihnen anderweitig noch versagte Befriedigung verlangen. Den Fortgang dieser Wandlungen im einzelnen zu verfolgen, dies wird uns durch die Beschaffenheit der uns erhaltenen Literaturdenkmale in hohem Grade erschwert. Man glaubte wohl ehedem in den homerischen Gedichten Erzeugnisse des Kindesalters des griechischen Geistes vor Augen zu haben. S c h l i e m a n n s Spaten hat diesen Wahn zerstört3. Eine hohe materielle Kultur hat in Ostgriechenland, auf den Inseln und am kleinasiatischen Küstensaum jedenfalls bald nach der Mitte des zweiten Jahrtausends geherrscht; die äußere Lebensgestaltung, welche die homerischen Dichter schildern, ist das Ergebnis einer vergleichsweisen langen, auf starker Einwirkung Ägyptens und des Orients beruhenden Entwickelung. Auch die Fürsten und Edlen, deren Tafelireuden der Vortrag jener Gesänge würzen sollte, und die In reichgeschmückten, mit Metallplatten beschlagenen, mit Friesen von blauem

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Verweltlichung der Religionsbegriffe

Glasfluß auf glänzend weißem Alabastergrund und mit kunstvoll skulpierten Decken verzierten Hallen schmausten und aus Goldbechern von getriebener Arbeit tranken — sie sind von allem Uranfänglichen gar weit entfernt. Die Gewalt der Leidenschaft freilich ist in ihrer Brust noch ungebändigt. Sonst hätte nicht der unersättliche Zorn Achills oder Meleagers einen Lieblingsgegenstand der dichterischen Darstellung gebildet. Wir werden an die Epoche gemahnt, die das Nibelungenlied entstehen sah, und in welcher aus der Fremde eingedrungene Verfeinerung der Lebensformen und des Geschmackes auf die noch ungebrochene Urkraft leidenschaftlichen Empfindens traf. Allein die scheue Furcht, die der primitive Mensch vor den übergewaltigen Naturmächten hegt, war längst aus den Gemütern gewichen. Die von stolzer Zuversicht erfüllten, vor der Not des Lebens sicher geborgenen Edlen hatten das Dasein der Götter mehr und mehr nach dem Muster des eigenen Daseins gestaltet. Der Olymp war ein Spiegelbild ihres prunkvollen und vielfach tumultuarischen Treibens geworden. Niemals wieder sind Götter und Menschen in so trauliche Nähe zusammengerückt, wobei die ersteren den letzteren nicht wenig von ihrer Würde, diese jenen gar viel von ihrer Schwäche mitteilten. Die Tugenden, welche man den Göttern zuschrieb, waren diejenigen, welche tapfere, trotzige, in der Freundschaft wie im Haß stetig ausharrende Krieger am höchsten zu schätzen wissen. Sie werden gleich diesen von starken individuellen Antrieben bewegt; das Band der Pflicht ist fast immer ein persönliches Treuverhältnis; in der Iliade wenigstens erscheinen sie nur ausnahmsweise als Hüter des Rechtes überhaupt. Ihren Schützlingen, die ihnen reiche Gaben spenden, den Städten, die ihnen prächtige Tempel weihen, den Stämmen und Geschlechtern, denen sie von alters her gewogen sind, stehen sie als treue Helfer unermüdet und unentwegt zur Seite. Sittliche Bedenken beirren sie hierin wenig; selbst Gewandtheit in Diebstahl und Meineid verleihen sie ihren besonderen Günstlingen. Von Recht oder Unrecht, von der Güte der Sache, der sie ihren Beistand leihen, ist selten die Rede. Wie könnten sonst mit gleichem Eifer und gleicher Hingebung die einen von ihnen den Troern, die anderen den Griechen sich hilfreich erweisen? Wie könnte selbst in der Odyssee, in welcher ethische Gesichtspunkte stärker hervortreten und das Schicksal der Freier geradezu wie ein göttliches Strafgericht erscheint, dennoch Poseidon den Dulder Odysseus mit unauslöschlichem Grimm verfolgen, Athene ebendemselben in jeder Fährlichkeit rettend und ratend beispringen?1 Nur dem Machtspruch des obersten oder Himmelsgottes fügen sie sich, wenngleich gar häufig widerstrebend und nicht ohne vorher alle Mittel der List

Seltenheit der Menschenopfer

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und des Truges erschöpft zu haben. Auch ruht die Gewalt des himmlischen Oberherrn — hierin augenscheinlich ihrem irdischen Vorbild gleichend — keineswegs auf dem unerschütterlichen Grunde des Gesetzes; sieht er sich doch nicht selten genötigt, die Befolgung seiner Gebote durch Drohungen, ja selbst durch gewalttätige Mißhandlung zu erzwingen. Eine einzige unverrückbare Schranke ist dem widerspruchsvollen Streben und Trachten der Himmlischen gesetzt: die dunkle Schicksalsmacht, das Verhängnis (die Moira), welchem Götter so wenig wie Menschen zu entrinnen vermögen und in dessen Anerkennung sich eine erste dämmerhafte Ahnung der Gesetzmäßigkeit alles Natur-Geschehens kundgibt. So erscheint denn in den ältesten Denkmälern des hellenischen Geisteslebens, \velche wir besitzen, die Vermenschlichung der Götter bereits bis zu der äußersten Grenze fortgeschritten, welche mit anbetender Verehrung überhaupt noch vereinbar ist. Ja, an einzelnen Punkten wird auch diese Grenze überschritten. Jenes Liebesabenteuer des Ares und der Aphrodite, welches die Phäaken ergötzt und zu lauter Heiterkeit hinreißt, zeigt eine Verweltlichung der Religionsbegriffe, die sich — gleich dem ausschließlichen Schönheitskult des Cinquecento — kaum über weite Volkskreise hätte verbreiten können, ohne den Ernst religiösen Glaubens in seinem innersten Kern zu schädigen. Wer sich von den Schauern der ältesten griechischen Religion ergreifen lassen will, darf diese nicht im Rahmen des höfischen Epos aufsuchen. Weltfreude und Weltlust, das hochgemute Behagen eines gesteigerten Daseins haben hier die finsteren Seiten des Glaubens in den Hintergrund gedrängt und, wenn der Ausdruck erlaubt ist, durch ihren Glanz überstrahlt. Dieser Sachverhalt erhellt am deutlichsten aus eben den vereinzelten Vorkommnissen, welche ihm zu widersprechen scheinen. Der homerische Mensch glaubt sich immer und überall von Göttern umgeben und von ihnen abhängig. Alles Gelingen und Mißlingen, jeder glückliche Speerwurf, jedes Entrinnen des Feindes, wird der freundlichen oder feindlichen Einwirkung eines Dämons zugeschrieben; jeden sinnreichen Anschlag, jeden heilsamen Ratschluß hat ihm ein solcher in die Brust gelegt, jede sinnbetörende Verblendung hat er ihm gesendet. Die Huld der Himmlischen zu gewinnen, ihre Ungunst abzuwenden, darauf ist all sein Trachten gerichtet. An Notlagen der schwersten Art fehlt es nicht in den wechselvollen Kämpfen, welche insbesondere die Ilias uns vorführt. Dennoch wird den Göttern niemals das kostbarste der Besitztümer dargebracht, über welche der Opfernde zu verfügen hat — der Mensch selbst. Das M e n s c h e n o p f e r ,

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Totenopfer

welches der Religion der Griechen so wenig als jener der meisten übrigen Völker fremd ist und das hier bis in die hellsten geschichtlichen Zeiten hineinragt, es fehlt in dem Kulturbild, welches die homerischen Gesänge vor uns aufrollen1. Oder vielmehr der grause Brauch wird in ihnen einmal erwähnt, aber es ist dies ganz eigentlich die Ausnahme, welche die Regel bestätigt. Bei der pomphaften Leichenfeier, welche Achill dem über alles geliebten Patroklos zu Ehren rüstet2, werden neben zahlreichen Schafen und Rindern, neben vier Rossen und zwei Lieblingshunden zwölf trojanische Jünglinge zuerst geschlachtet und dann zugleich mit der Leiche des gefallenen Busenfreundes verbrannt. Die Form der Darbringung (das völlige Verbrennen der Opfer) ist eben jene, welche uns aus dem späteren Ritual als die im Dienst der Unterirdischen übliche bekannt ist. Die Leiche wird zunächst vom Blut der geschlachteten Tiere und Menschen umrieselt, die Seele wird als anwesend und durch die ihr dargebrachten Gaben geletzt und geehrt gedacht; Achill erfüllt damit, dies ruft er der Seele des Geschiedenen, da sie ihm nächtens erscheint, und wieder bei der Bestattung selbst zu, ein feierliches Gelöbnis. Allein seltsam genug: die Schilderung des entsetzlichen Vorgangs zeigt nichts von jener sinnfälligen Breite und Anschaulichkeit, die wir mit Recht die epische nennen und für Homer so bezeichnend finden. Der Dichter gleitet vielmehr, man möchte sagen mit absichtlicher Hast, über das Gräßliche hinweg. Es ist ihm und seinen Hörern innerlich fremd geworden, es erscheint wie das Erbstück einer einst lebendigen, nunmehr erstorbenen Welt von Vorstellungen und Empfindungen. Diesen Eindruck verstärken andere naheliegende Wahrnehmungen. Von Totenopfern blutiger gleichwie unblutiger Art, von Mordsühne, von Seelenund Ahnendienst und von der gemeinsamen Voraussetzung all dieser Kulthandlungen, dem Glauben an das Fortleben machtvoller, aus der Grabestiefe hefaus mit gespenstischer Gewalt wirkender und darum stets neue Begütigung heischender Wesen zeigen uns die homerischen Dichtungen im übrigen kaum irgendeine Spur. Die Leiber werden allerdings von den Seelen überdauert, aber diese weilen fast ausschließlich im fernen, unterirdischen Totenreich als „kraftlose Häupter", als schwirrende Schatten, als blutlose Schemen, die nichts wirken und wenig bedeuten. Ganz anders in späterer und ganz anders — so können wir sicheren Funden und nicht minder sicheren Schlüssen vertrauend hinzufügen — in noch früherer Zeit. Es tut not, bei diesem für die Geschichte des Seelenglaubens und der Religion überhaupt so wichtigen Punkte zu verweilen.

V urhomerischer Seelenkult

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7. Jene Opferung von Gefangenen oder Sklaven ist eine uraltertümliche und zugleich eine noch heutzutage weitverbreitete Bestattungssitte. Wenn die Skythen einen ihrer Könige beerdigten, so erdrosselten sie eine Kebsfrau desselben, desgleichen fünf Sklaven (den Leibkoch, den Mundschenk, den Kammerdiener, einen Roßknecht und einen Türsteher) und begruben diese ebenso wie seine Lieblingspferde mit ihm; außerdem gaben sie ihm eine Fülle kostbaren Gerätes, goldener Trinkschalen usw. ins Grab mit. Nach Ablauf eines Jahres wurden weitere fünfzig erlesene Sklaven erdrosselt, auf die gleiche Anzahl getöteter Rosse gesetzt und mit diesen wurde der Grabhügel wie mit einer Ehrenwache umstellt1. Mit der Aufzählung ähnlicher Bräuche, denen auch die indische Witwenverbrennung entstammt, ließen sich viele Blätter und Bogen füllen. Sie zeigen selbstverständlich eine lange Reihe von Abstufungen, vom Wilden und Barbarischen bis zum Zartsinnigen und Verfeinerten. Den Menschenopfern reihen sich Tieropfer, diesen Trankopfer und sonstige unblutige Darbringungen an. Güsse von Milch, Haarlocken und Blumenkränze empfängt in den Dramen des Äschylos und Sophokles das Grab des Agamemnon zu Mykenä. Die ebendaselbst neuerlich entdeckten, aus grauer Vorzeit herrührenden Königsgräber haben uns Überreste von weit wirksameren und vielsagenderen Opfergaben gezeigt: Tier- und auch Menschenknochen nebst einer Unzahl der wertvollsten Waffen, Trinkgefäße und anderer Gerätschaften2. Auch bekunden diese gleichwie das zu Orchomenos in Böotien aufgedeckte Kuppelgrab durch die daselbst befindlichen Altäre, daß die Seelen der Verstorbenen ganz eigentliche Verehrung und Anbetung genossen. Der Ahnen- und Seelenkult, der kaum irgendeinem Volke gefehlt hat, ist noch heute unter den tiefstehendsten Wilden aller Erdteile so verbreitet wie im hochgesitteten China, von dessen Staatsreligion er den wesentlichsten Bestandteil ausmacht. Auch im Glauben der Völker arischer Zunge nimmt er eine hervorragende Stelle ein, bei Griechen nicht weniger wie bei Römern, denen die Ahnengötter „Manes", oder bei Indern, denen sie „pitaras" heißen". So oft in Athen eine Familie erlosch, galt dies auch darum für unheilvoll, weil die Vorfahren derselben nunmehr der ihnen gebührenden Ehren verlustig wurden. Das ganze Volk und alle die zahlreichen, konzentrischen Kreisen vergleichbaren Gemeinschaften, aus walchen es sich zusammensetzte, beteten zu wirklichen oder vermeintlichen Ahnherren; und so tief wurde dieses Bedürfnis empfunden, daß selbst Berufsgenossenschaften, Zünfte oder Innungen einen gemeinsamen Stammvater erdichteten, wenn sie keinen besaßen. Diese Neigung hängt mit den Ursprüngen von Staat und Gesellschaft, die zunächst nur als

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Ionische

Weltfreudigkeit

erweiterte Familienkreise galten, eng zusammen. Hier kümmert uns nur ihre tiefste Wurzel: die Annahme des Fortlebens der Seelen als mächtiger, Glück und Unglück der Lebenden nachhaltig beeinflussender Wesen. Den Ursprung dieses Glaubens haben wir bereits kennengelernt; die Wandlungen, die er erfahren hat, werden uns späterhin beschäftigen; jetzt gilt es nur, einen die geschichtliche Einsicht trübenden Mißverstand zu beseitigen. Daß die Seelen bei Homer sich zu blassen, wirkungslosen Schatten verflüchtigt haben, und daß der ihnen geweihte Kult und die aus demselben erwachsenen Bräuche demgemäß in jenen Gesängen so gut als verschollen sind, dies hätte angesichts des Zeugnisses, welches die vergleichende Völkerkunde liefert, niemals die Meinung aufkommen lassen sollen, daß uns im Epos die älteste Gestalt dieses Teiles der hellenischen Religion vor Augen liege. Die Funde, welche aus der Kulturperiode stammen, die man jetzt die mykenische nennt, haben den letzten Rest jedes noch möglichen Zweifels zerstreut. Welche Ursachen es waren, die diesen sicherlich nicht nur zeitlich, sondern auch örtlich begrenzten, ja zunächst wahrscheinlich auf bestimmte Volksklassen beschränkten Wandel der Religionsvorstellungen erzeugt haben, diese Frage läßt sich zurzeit nur durch Vermutungen beantworten. Man hat der in jener Epoche zur Herrschaft gelangten Verbrennungssitte und der an sie geknüpften, deutlich ausgesprochenen Vorstellung, daß die verzehrende Flamme den Leib endgültig von der Seele scheide und diese in das Reich der Schatten verbanne, hierbei einen maßgebenden Einfluß zugeschrieben.1 Die räumliche Trennung der Kolonisten von den Ahnengräbern und den dazu gehörigen Kultstätten des Mutterlandes mag kaum weniger in Rechnung zu ziehen sein. Von erheblichem Belang ist aber jedenfalls der allem Finstern und Düstern abgeneigte weltund lebensfrohe Sinn, der die homerischen Dichtungen überhaupt durchwaltet und der alles Unheimliche und Spukhafte nicht minder als alles Unschöne und Fratzenhafte aus seinem Gesichtskreise zu entfernen liebt. Nicht nur die Seelengespenster, auch gespenstische Gottheiten, wie Hekate eine ist, ungeheuerliche Dämonen wie die fünfzigköpfigen und hundertarmigen Riesen, rohe und grause Urweltsagen wie jene von der Entmannung des Uranos, treten in den Hintergrund; Unholde von der Art der „Rundaugen" (Kyklopen) erfahren eine mehr spielende und humorvolle Behandlung2. Darf dort wie hier der mählich erstarkte Schönheitssinn und das von der fortschreitenden materiellen Kultur getragene urkräftige Lebensbehagen als der vornehmste Faktor gelten? Oder sollten wir in der Tat berechtigt sein, dem Volksstamm, welcher

Mythische Naturerklärung

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Philosophie und Naturwissenschaft geschaffen hat, bereits in jener frühen Zeit die Anfänge verstandesmäßiger Aufklärung beizumessen? Mit anderen Worten, ist es der geniale Leichtsinn oder der geniale Lichtsinn des jonischen Stammes, den wir für die bei Homer erkennbare Umgestaltung der Seelenvorstellungen in erster Reihe verantwortlich machen dürfen? Die Frage läßt sich zur Stunde nicht mit Sicherheit entscheiden. Daß sie überhaupt gestellt werden kann, dies wird der jüngst auf diesem Forschungsgebiete betätigten Geistesschärfe und analytischen Kraft eines hervorragenden Zeitgenossen (Erwin Rohde, f 1898) verdankt. 8. Die Vermenschlichung der Natur hat nicht nur dem allmählich zum Kunsttrieb geadelten Spieltrieb der Phantasie einen schier unerschöpflichen Stoff geliefert. Auch dem wissenschaftlichen Sinn, dem Verlangen nach Lichtung des ungeheuren Dunkels, in dessen Mitte wir leben und atmen, bot sie die früheste Befriedigung. In Wahrheit ist die unwillkürliche, dem ungehemmten Walten der Ideenassoziation entspringende Voraussetzung, daß die Vorgänge der Außenwelt den Antrieben willensbegabter Wesen entstammen, an sich zugleich eine Antwort auf die unvermeidliche Frage nach dem Warum und Woher der Erscheinungen — eine Art von Naturphilosophie, die in dem Maße, als die Beobachtung eine immer größere Zahl von Phänomenen umspannt und die Gestalten der als Lebewesen angesehenen Naturpotenzen eine stets schärfere Ausprägung erfahren, unendlicher Ausdehnung fähig ist. Der Urmensch ist nicht nur ein Dichter, der an die Wahrheit seiner Dichtungen glaubt, er ist in seiner Art auch ein Forscher; und der Inbegriff von Antworten, die er auf die sich ihm unablässig aufdrängenden Fragen erteilt, verdichtet sich mehr und mehr zu einem allumfassenden Gewebe, dessen einzelne Fäden wir Mythen nennen. Beispiele von solchen bieten uns die Volkssagen aller Zeiten und Nationen, zum Teil in auffälligster Übereinstimmung, zum Teil in nicht minder bezeichnendem Widerspruch. Die zwei größten Himmelskörper gelten fast sämtlichen Völkern als ein zusammengehöriges Paar, sei es von Gatten, sei es von Geschwistern; und unzählbar sind die Sagen, durch welche die Phasen des Mondes als Wanderungen der Mondgöttin, die gelegentlichen Verfinsterungen von Sonne und Mond als Folgen teils eines häuslichen Zv/istes, teils der feindlichen Nachstellungen von Drachen und Ungeheuern ihre Erklärung finden1. Warum verliert die Sonne im Winter ihre Kraft? Weil der Sonnengott (Simson) — so antwortet der Semite — sich von der als sinnbetörende Verführerin gedachten Nachtgöttin beschwatzen und seines glänzenden Haarschmuckes berauben

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Prozeß der Personifikation

ließ; ist erst mit den langen Locken (den Strahlen) seine Stärke von ihm gewichen, so wird er ohne Mühe geblendet. Dem alten Inder gelten die Wolken als Kühe; werden sie gemolken, so strömt der labende Regen herab; bleibt das erquickende Naß lange Zeit aus, so sind es böse Geister, welche die Kuhherden geraubt und in Felsenhöhlen geborgen haben. Der Himmelsgott (Indra) muß im Sturm herniederfahren, um die Herden aus ihrer Haft zu befreien und den Räubern zu entreißen. Das furchtbare Schauspiel, welches ein feuerspeiender Berg den Blicken des Naturmenschen darbietet, erscheint diesem ohne weiteres als das Werk eines in den Tiefen der Erde hausenden Dämons. Oar viele Völker begnügen sich mit dieser Erklärung, aber eines oder das andere stellt sich die weitere Frage: Wie ist es geschehen, daß ein soviel vermögender Dämon in die unterirdische Finsternis gebannt ward? Die nahezu selbstverständliche Antwort lautet: Er ist im Kampf mit einem noch mächtigeren Wesen unterlegen. So die Griechen, denen Typhon und Enkelados als überwundene, für ihre Vermessenheit schwer gestrafte Gegner des großen Himmelsgottes gelten. Die Erde bringt immerdar Früchte aus ihrem Schoß empor; wie sollte sie nicht ein weibliches Wesen sein, und wer anders könnte sie befruchtet haben, als der über ihr ausgespannte Himmel, der den lebenerweckenden Regen zu ihr herabsendet? Der allverbreitete Mythos hat mannigfache Ausgestaltungen erfahren. Warum — so fragen Maoris und Chinesen, Phönizier und Griechen — sind die Gatten nunmehr soweit voneinander entfernt, statt, wie es einem Liebespaare ziemt, in traulicher Nähe beisammen zu wohnen?8 Die Bewohner Neuseelands antworten mit der Erzählung wie es den Sprößlingen Rangis (des Himmels) und der Papa (der Erde) an Raum gebrach, so lange diese innig vereinigt waren. Da entschlossen sie sich denn endlich, der bedrückenden Enge und dem auf ihnen lastenden Dunkel zu entrinnen, und einem von ihnen, dem mächtigen Gott und Vater der Forste, gelang es nach manchen vergeblichen Anstrengungen seiner Brüder, das Elternpaar gewaltsam auseinanderzusprengen. Allein die Liebe der Gatten hat die Trennung überdauert. Aus der Brust der Mutter Erde steigen noch immer sehnsüchtige Seufzer zum Himmel empor, welche die Menschen Nebel nennen; und den Augen des betrübten Himmelsgottes entquellen gar häufig Tränen, welche die Menschen Tautropfen heißen. Die sinnige und hochpoetische Sage der Bewohner Neuseelands liefert uns den Schlüssel zum Verständnis eines ähnlichen, aber ungleich roheren, uns nur fragmentarisch überlieferten griechischen Naturmythos. Die Erde — so erzählt uns Hesiod2 — war bedrückt und beengt durch die gewaltige Zahl ungeheurer Sprößlinge,

Ursprung des Übels

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welche der Himmel mit ihr erzeugt hatte, die er aber nicht ans Licht gelangen ließ, sondern in ihre Tiefen hinabdrängte. Aufseufzend unter der sie beschwerenden Last, ersinnt sie einen tückischen Anschlag, dessen Ausführung sie einem ihrer Söhne anvertraut. Mit scharfgeschliffener Sichel verstümmelt Kronos den Vater Uranos, setzt seinen weiteren Zeugungen ein Ziel, hindert ihn, der Gaia wieder „sich weithin über sie breitend" in Liebe zu nahen, und schafft — so dürfen wir hinzufügen — dadurch Raum für die bis dahin in ihren Schoß hin abgedrängten Söhne und Töchter. Der Prozeß der Personifikation — soviel konnten wir bereits erkennen — macht nicht bei Gegenständen Halt, er erstreckt sich auf Kräfte, Eigenschaften und Zustände. Die Nacht, die Finsternis, der Tod, der Schlaf, die Liebe, die Begierde, die Verblendung — sie alle gelten auch den Griechen als individuelle Wesen, deren Persönlichkeit freilich in ungleichem Maße ausgestaltet ward. Die einen sind zu voller Verkörperung gelangt, während andere sich von ihrem begrifflichen Hintergrunde nicht mehr abheben, als ein Flachrelief von seiner Wand. Auch die zwischen diesen Kräften oder Zuständen obwaltenden Beziehungen werden nach menschlichem oder tierischem Vorbild gedeutet; die Ähnlichkeit z. B. als das Band der Verwandtschaft — der Tod und der Schlaf sind Zwillingsbrüder —, die Aufeinanderfolge als Abstammung; so ist der Tag der Sprosse der Nacht oder umgekehrt. Alle Gruppen gleichartiger Wesen erscheinen — und diese Denkstufe hat auch unserer Sprache tiefe Spuren eingedrückt — als Sippen, Gattungen oder Geschlechter. Die Gewohnheit endlich, einen dauernden Sachverhalt oder stets wiederkehrende Vorgänge der Außenwelt durch mythische Fiktionen zu erklären, führt dazu, auch die großen Rätsel des Menschendaseins und des Menschenschicksals in gleicher Weise zu lösen. Warum — so fragt in trüber, von Pessimismus angehauchter Zeit der Grieche — werden die Güter des Lebens von seinen Übeln überwogen? Die Frage setzt sich ihm sofort in die andere um: Welches Ereignis und welche Person hat das Übel in die Welt gebracht? Seine Antwort gleicht im wesentlichen derjenigen, die ein moderner Franzose, der zahlreiche Verbrechen bis zu ihrem letzten Quellpunkte verfolgt hat, in die Worte faßte: „Suchet das Weib!"1 Allein der alte Hellene hat seine Anklage des schwächeren und reizvolleren Teiles der Menschheit in die Gestalt eines angeblichen einmaligen Begebnisses gekleidet. Er erzählt uns, wie Zeus zur Strafe für den Feuerraub des Prometheus und die ihr entspringende Überhebung der Menschen im Verein mit den anderen Göttern ein mit allen Reizen geschmücktes Weib, die

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Hesiodos von Askra

Stamm-Mutter aller Frauen, geschaffen und zur Erde gesandt hat. Ein andermal erscheint dem über dieselbe düstere Frage grübelnden Griechen die Neugier oder Wißbegier als die Wurzel alles Übels. Hätten uns die Götter — so sagt er sich — mit allen Gutem gesegnet, alle Übel in ein Gefäß verschlossen und uns eindringlich gewarnt, dieses zu öffnen, die menschliche, vor allem die weibliche Neugier hätte des göttlichen Verbotes nicht geachtet. Beide Mythen verschmelzen zu einem: das von den Göttern mit allen Gaben der Verlockung ausgestattete Weib (Pandora, die „Allgabe") ist es, welches, von Neugier gestachelt, den Deckel der verhängnisvollen Truhe lüftet und seinen verderblichen Inhalt entschlüpfen läßt. Wieder überrascht uns die wunderbare Gleichartigkeit des mythischen Schaffens bei den verschiedensten Völkern. Oder tut es not, an die verwandte Sage der Hebräer von Eva („der Erzeugerin") und den verhängnisvollen Folgen ihrer frevelhaften Neugier zu erinnern? 9. Die Fülle der Mythen, die Menge der Götter, sie mußten den Sinn der Gläubigen zuletzt verwirren und ermüden. Glich der Naturwuchs der Sagenwelt doch einem pfadlosen Urwald, dessen alte Stämme stets neues Rankwerk überwuchert. Die lichtende Axt war hier vonnöten, und es sollte an der nervigten Faust nicht fehlen, welche sie zu führen wußte. Bauernkraft und Bauernverstand haben das gewaltige Werk vollbracht. Vor uns steht der älteste Lehrdichter des Abendlandes, H e s i o d o s aus Askra in Böotien (8. Jahrhundert v. Chr. G.), der Sohn einer Landschaft, in welcher die Luft minder leicht und der Menschensinn minder heiter war als in anderen Teilen von Hellas: ein Mann von klarem, aber etwas schwerem Geiste, in Haus- und Feldwirtschaft wohl erfahren und auch in Rechtshändeln bewandert, von vergleichsweise geringem Schwung der Einbildungskraft und noch geringerer Weichheit des Gemütes — gleichsam ein Römer unter Griechen. Dem Verfasser der „Werke und Tage" war nüchterne Verständigkeit, die strenge Ordnungsliebe und der peinliche Sparsinn eines guten Hauswirts eigen, der an glatte, runde Rechnung gewöhnt ist, den jeder Widerspruch stört und der allen Überfluß meidet. In diesem Geiste nimmt er auch, man möchte sagen, das Inventar der Götterwelt auf, reiht jede der übermenschlichen Gestalten in das Gefüge seines Fachwerks ein und in den festen Rahmen genealogischen Zusammenhanges. Er beschneidet die üppigen Triebe der epischen Dichtung, bringt die uralten, zum Teil nur mehr halbverstandenen Überlieferungen des Mutterlandes und des niederen Volkes auch dort, wo sie Unschönes und Un-

Hesiods Theogonie

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geschlachtes bieten, wieder zu Ehren, und schafft so in seiner „Theogonie" ein im großen und ganzen in sich wohlgeschlossenes, nur selten von echter Poesie durchleuchtetes, kaum jemals von wahrer Lebensfreude durchwärmtes Gesamtbild. Schon das frühe Altertum liebte es, die Namen Homers und Hesiods als derjenigen, welche den Griechen ihre Götterlehre gegeben haben, zu paaren1. In Wahrheit sind die beiden Gegenfüßler. Die fessellos waltende, durch Widersprüche der Sage wenig beirrte Phantasie jonischer Sänger ist der hausbackenen, systematisierenden Weisheit des böotischen Landmannes nicht weniger entgegengesetzt als der stolze, gehobene Lebensmut ihrer adeligen Hörer sich von dem düstern Sinn der gedrückten Bauern und Ackerbürger abhebt, für welche Hesiod gedichtet hat. Die „Theogonie" enthält zugleich eine Kosmogonie, die „Götterentstehung" schließt die Weltentstehung in sich. Uns kümmert hier vorzugsweise die letztere, und wir lassen zunächst dem Lehrdichter das Wort. Zuerst — so verkündet er uns — entstand das C h a o s , dann die breitbrüstige Gaia (Erde), ferner der Eros, der schönste der Götter, der den Sinn der Menschen wie der Unsterblichen bezwingt und die Kraft ihrer Glieder löst. Aus dem Chaos ging das Dunkel und die schwarze Nacht hervor. Aus der Verbindung beider entsprang der lichte Äther und die Hcmera (Tag). Die Gaia erzeugte zuvörderst aus sich selbst den gestirnten Himmel (Uranos), desgleichen die hohen Berge und den Pontos (das Meer); dann im Verein mit Uranos den die Erde umfließenden Strom Okeanos und eine lange Reihe von Sprößlingen, darunter — neben gewaltigen Ungetümen einer- und fast allegorisch zu heißenden Wesen andererseits — die Kyklopen genannten Blitzgötter sowohl als die große Meergöttin Tethys. Aus der Vermählung· des Okeanos und der Tethys gehen die Quellen und Flüsse hervor; zwei andere Kinder des Himmels und der Erde erzeugen den Sonnengott, die Mondgöttin und die Morgenröte. Die letztere gebiert dem, Sterngott (Astraeos), der gleich ihr ein Enkel des Himmels and der Erde ist, die Winde, ferner den Morgenstern und die übrigen leuchtenden Sterne des Himmels. Ein Teil dieser Darlegung zeigt das Gepräge kindlicher Einfalt und bedarf kaum eines Wortes der Erläuterung. „Das Kleinere geht aus dem Größeren hervor"; darum sind die Berge aus der Erde erwachsen, darum steht der gewaltige Okeanos zu den geringeren Strömen und Flüssen im Verhältnis des Vaters zu seinen Söhnen, darum ist der kleine Morgenstern der Sohn der weithin verbreiteten Morgenröte; und was sollten die übrigen Sterne anderes sein als seine Brüder? G o m p e r z , Griechische Denker. I. 4. Aufl.

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Gedankengehalt der Theogonie

Minder selbstverständlich ist es, daß der Tag aus der Nacht entspringt. Denn auch die entgegengesetzte Vorstellung ist an sich zulässig; und in Wahrheit fragt ein altindischer Hymnendichter, ob der Tag vor der Nacht, oder die Nacht vor dem Tag geschaffen sei1. Allein die durch Hesiod vertretene Meinung darf vielleicht die naturgemäßere heißen. Erscheint uns doch die Finsternis als ein an sich dauernder, keiner Erklärung bedürftiger Zustand, während die Helligkeit jedesmal durch ein besonderes Ereignis hervorgerufen wird, es sei dies nun der Aufgang der Sonne, der Blitz des Gewitters, oder die durch Menschenhand erfolgende Entzündung einer Flamme. Sind es insoweit gleichsam Urgedanken des grübelnden und sinnenden Menschengeistes, die vor uns liegen und uns ihre eigene Geschichte erzählen, so steht es einigermaßen anders in betreff des wichtigsten Teiles dieser Darstellung, desjenigen, der den eigentlichen Weltursprung schildert. Hier befremdet uns zunächst die Kürze und Dürre der Darlegung. Chaos, Gaia, Eros — die drei treten wie mit dem Glockenschlag nacheinander aus den Kulissen hervor. Kein Wink belehrt uns über den Grund ihres Auftretens. Ein nacktes „dann aber" knüpft die Entstehung der Erde an jene des Chaos; w i e diese zu denken sei, ob die Erde aus dem Chaos hervorgehe oder nicht, und wenn ersteres, durch Vermittelung welcher Prozesse — dies wird uns mit keinem Sterbenswörtchen verraten. Kein Wort auch darüber, was der Liebesgott an so hervorragender Stelle zu bedeuten habe2. Es liegt freilich nahe genug zu sagen: damit Zeugungen stattfinden können, muß vorerst das ihnen zugrunde liegende Zeugungs- oder Liebesprinzip in die Welt getreten sein. Allein warum macht der Lehrdichter davon im folgenden nicht den mindesten Gebrauch? Warum deutet er den beabsichtigten Zusammenhang mit keiner Silbe an? Ja, warum — so dürfen wir weiter fragen — verschleiert er ihn vielmehr? Lassen doch die Beiworte, die dem Eros hier erteilt werden, und die Art, wie er an einer späteren Stelle neben Himeros (der Begierde) im Gefolge der Aphrodite erscheint, an alles andere eher denken, als an das gewaltige, lebenschaffende, weltbildende Urwesen, welches hier allein an seinem Platze ist und dem wir allerdings in anderen kosmogonischen Versuchen wieder begegnen werden — in Versuchen, die uns auch sein Entstehen und die Aufgabe, die es zu erfüllen hat, deutlich werden erkennen lassen. Eines ist sonnenklar. Wer den Prozeß der Weltbildung in so summarischer, die wesentlichsten Punkte nur obenhin streifender Weise schildert, wie Hesiod, der ist durch eine weite Kluft von denjenigen getrennt, welche das ungeheure Rätsel mit dem ganzen Auf-

Das Chaos

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gebot ihrer kindlichen Denkkraft zu lösen bemüht waren. Er gibt uns eine bloße Hülse und Schale, die einst einen lebendigen Inhalt geborgen haben muß; denn sonst wäre sie nicht vorhanden, so wenig als die Muschel ohne das Muscheltier, das sie vordem erzeugt und bewohnt hat. Wir blicken in ein Herbarium von Gedanken, deren Wachstum und allmähliche Entfaltung zu belauschen uns nicht mehr vergönnt ist. An die Stelle der unmittelbaren Wahrnehmung muß ein Schlußverfahren treten, dessen Ausgangspunkt die Bedeutung der vom Dichter wohl nur mehr mit halbem Verständnis gebrauchten Namen bildet. Aus diesen Namen haben wir den Gedankenprozeß zu erschließen, dessen Rückstand und Niederschlag sie darstellen. Gefördert werden wir hierbei durch die Erwägung verwandter Erscheinungen, die uns bei anderen Völkern sowohl als bei den Griechen selbst aufstoßen. Das Wesen des Eros haben wir bereits in Kürze gekennzeichnet. Es gilt zunächst, die Bedeutung des Chaos zu begreifen. Dasselbe kommt dem leeren Raum so nahe, als das sinnende Grübeln des primitiven Menschen den spekulativen Begriffen fortgeschrittener Denker sich zu nähern vermag. Jener versucht es, sich einen Urzustand auszumalen, der dem gegenwärtigen Weltzustand so fern als möglich steht. Die Erde mit allem, was sie trägt und enthält, war einst noch nicht vorhanden; auch die Himmelsdecke fehlte. Was bleibt dann übrig? Ein aus der höchsten Höhe in die tiefste Tiefe sich Erstreckendes, eine nach beiden Seiten hin unermeßliche Fortsetzung des allezeit zwischen Himmel und Erde gähnenden Leeren. Die Babylonier nennen es „Aps ü", den Abgrund, oder „Tiämat"1, die Tiefe, den Skandinaviern heißt es „ginnunga gap" (the yawning gap), das klaffende Leere — eine Bezeichnung, deren zweiter Teil mit unserem „gaffen" zusammenhängt, während der erste aus derselben Wurzel stammt, der unser „Gähnen" entsprungen und aus welcher auch das griechische „Chaos" gebildet ist. Diese gähnende Leere, diese klaffende Tiefe wird überdies dunkel oder finster gedacht, aus dem einfachen Grunde, weil der Voraussetzung gemäß, aus der diese ganze Vorstellung erwachsen ist, noch keine der Quellen, welche uns Licht spenden, vorhanden war. Dieser Umstand hat es auch bewirkt, daß die Einbildungskraft des Betrachters weit mehr in der Tiefe als in der Höhe des Chaos weilt, da das Bild der letzteren in seinem Geiste mit Licht und Glanz nahezu unauflöslich verschwistert ist. Dieses Chaos nimmt für ihn den ganzen Raum ein, den er kennt oder vermutet und mit welchem sein Geist sich zu beschäftigen gewohnt ist. Dean über die Erde und ihren Anhang, die mit den Himmelslichtern versehene, über sie ausgespannte

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Personifizierte Abstraktionen

Decke, reicht weder sein Wissen noch sein Denken; ja selbst sein Ahnen und sein neugieriges Fragen schweift nicht weiter. Er ist am Ende seines Witzes angelangt, wenn er den Abstand zwischen Himmel und Erde sich ins Unermeßliche verlängert denkt. Die beiden anderen Dimensionen des Raumes kümmern ihn wenig, weshalb es denn gleichmäßig verfehlt scheint, ihn denselben eine endliche oder eine unendliche Ausdehnung beimessen zu lassen. So hat denn Hesiod nicht nur das Inventar völlig naiver Volkssagen, sondern auch jenes der ältesten spekulativen Versuche aufgenommen. Letzteres freilich in so roher und unvollständiger Weise, daß seine wenigen Andeutungen uns nur über das Vorhandensein jener Versuche schon zu seiner Zeit und ihre allerallgemeinsten Umrisse vergewissern können. Ihren genaueren Inhalt werden wir aus späteren Aufzeichnungen, freilich nur mit annähernder Sicherheit, zu ermitteln trachten. Dort wird auch der geeignete Ort sein, die Denkstufe, welcher jene Versuche angehören, eingehender zu kennzeichnen. Doch wollen wir von Hesiod nicht scheiden, ohne noch auf eine Seite seiner Darstellung hinzuweisen, die gleichfalls ein mehr spekulatives Gepräge trägt. Eine Anzahl der Wesen, die er uns vorführt und in seine Genealogien verflicht, zeigt wenig oder gar nichts von jener lebensvollen Ausgestaltung, welche den Erzeugnissen naiven Volksglaubens eigen zu sein pflegt1. Daß z. B. „lügenhafte Reden" jemals ernstlich als persönliche Wesen gegolten haben, wird schwerlich jemand glauben können. Und doch erscheinen diese inmitten der Nachkommenschaft der Eris (des Streites), welche nicht minder die „mühevolle Arbeit", die „tränenreichen Schmerzen", die „Schlachten und Metzeleien" in sich schließt. Nicht anders steht es mit den Sprößlingen der Nacht, zu welchen nicht nur vergleichsweise lebensvolle mythische Figuren wie eben die Eris, der Schlaf und der Tod, die Moiren (Schicksalsgöttinnen) usw., sondern auch bloße schemenhafte Personifikationen zählen, wie das „verderbliche Alter" und der „Betrug" es sind — der letztere offenbar darum, weil er das Licht scheut, das erstere aus keinem anderen Grunde, als weil alles Widerwärtige und Unerfreuliche zur Domäne des Dunkeln und Finstern zu gehören scheint, etwa wie auch wir von „schwarzen Sorgen" oder „trüben Gedanken" sprechen. Wieweit Hesiod auch hier von Vorgängern abhängig ist, wer wollte dies entscheiden? Doch wird man in den rein gedankenhaften Zutaten vielleicht am ehesten den Ausfluß seiner eigenen Geistesart erblicken dürfen.

Erstes Kapitel. Die alt-jonischen Naturphilosophen. \ em gedeihlichen Aufschwung der Spekulation mußte der Erwerb von Einzelkenntnissen vorangehen. Hier war den Hellenen das Los lachender Erben zugefallen. Wenn der Chaldäer am kristallklaren Himmel Mesopotamiens den Lauf der Gestirne beobachtete, wenn der Ägypter das von den Fluten des Nilstroms zugleich verwüstete und befruchtete Ackerland vermaß, um die Höhe der darauf entfallenden Steuerleistung festzustellen, wenn jener den Verfinsterungen der großen Himmelskörper das Erfahrungsgesetz ihrer Wiederkehr abfragte, dieser zum Behuf der Feldvermessung eine die Anfänge der Geometrie in sich schließende Reißkunst schuf1 — so stand der eine wie der andere, ohne es zu wissen und zu wollen, im Dienste griechischer Wissenschaft. Und hier ist wieder einer und vielleicht der höchsten Schicksalsgunst zu gedenken, welche dem hellenischen Volke zuteil ward. Die ersten Schritte auf der Bahn wissenschaftlicher Forschung sind, soweit geschichtliche Kunde reicht, nirgend anderswo getan worden, als wo ein organisierter Priester- und Gelehrtenstand die hierzu erforderliche Muße mit der ebenso unentbehrlichen Stetigkeit der Überlieferung vereinigt hat. Allein eben dojrt sind die ersten Schritte gar häufig die letzten geblieben, weil die also gewonnenen wissenschaftlichen Lehren durch ihre Verquickung mit religiösen Satzungen nur allzuleicht gleich diesen zu leblosen Dogmen erstarren. Das Gängelband, dessen das Kind nicht erraten kann, wird zu einer die Bewegung des Mannes drückenden und hemmenden Fessel. Da war es denn für den unbehinderten geistigen Fortschritt des Griechenvolkes ein gleich segensreicher Glücksfall, daß seine Kulturvorgänger eine organisierte Priesterschaft besaßen, und daß ihm selbst eine solche stets gefehlt hat. So war der künftige Träger der wissenschaftlichen Entwickelung der Menschheit zugleich im Besitz der Vorteile und befreit von den Nachteilen, welche das Dasein eines gelehrten Priesterstandes in seinem Gefolge hat. Auf die Vorarbeit von Ägyptern und Babyloniern gestützt, konnte der griechische Genius einen von jedem Hemmnis freien Aufschwung nehmen und einen Flug wagen, der ihn zu den höchsten Zielen tragen sollte. Das Verhältnis, welches zwischen dem Schöpfer der eigentlichen verallgemeinernden Wissenschaft und seinen zwei Kultur-

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Das Stoff problem

vorfahren bestand, die ihm den hierzu nötigen Rohstoff lieferten und vorbereiteten, darf uns den Vers Goethes ins Gedächtnis rufen: „Prophete rechts, Prophete links, das Weltkind in der Mitten." Der Zuwachs an Naturerkenntnis und -beherrschung, welcher den Griechen in diesen Jahrhunderten zuteil ward, erzeugte eine zwiefache Reihe von Wirkungen. Auf religiösem Gebiete ward die Auffassung des Weltalls als eines Tummelplatzes zahlloser launenhafter und sich wechselweise durchkreuzender Willensvorgänge mehr und mehr unterwühlt; die Unterordnung der vielen Einzelgötter unter den beherrschenden Willen eines obersten Lenkers der Geschicke ward in diesem Bereiche der Ausdruck stetig wachsender Einsicht in die Gesetzmäßigkeit des Naturlaufs. Der Polytheismus neigte mehr und mehr dem Monotheismus zu — eine Wandlung, deren einzelne Phasen uns späterhin beschäftigen sollen. Die genauere Kenntnis und die vertiefte Beobachtung der Naturprozesse regte aber gleichzeitig zu Spekulationen über die Beschaffenheit der stofflichen Faktoren an; die Welt der Götter, der Geister und Dämonen fesselte nicht mehr ausschließlich das Auge des Naturerklärers. Die Kosmogonie begann sich von der Theogonie loszuringen. Das S t o f f p r o b l e m trat in den Vordergrund der Betrachtung. Gibt es so viele ihrem Wesen nach grundverschiedene Stoffe, als die sinnlichen Verschiedenheiten der Dinge uns glauben machen wollen? Oder ist es möglich, diese unendliche Vielheit auf eine kleinere, vielleicht eine sehr kleine Zahl, wenn nicht gar auf eine Einheit zurückzuführen? Sollte die Pflanze, die ihre Nahrung aus Erde, Luft und Wasser zieht und selbst wieder dem Tier zur Nahrung dient, während tierische Auswurfstoffe wiederum die Pflanze ernähren helfen, die schließlich gleich dem Tierleib in jene erstgenannten Stoffe zerfällt — sollten diese im steten Kreislauf befindlichen Wesen einander wirklich innerlich fremd und nicht vielmehr bloße Umgestaltungen ursprünglich gleichartiger Stoffe oder gar e i n e s Stoffes sein? Ist die Welt aus einem solchen und nicht aus dem bloßen Leeren, dem Chaos oder Nichts hervorgegangen und kehrt sie wieder in ihn zurück? Läßt sich für die Reihenfolge dieser Formwandlungen eine allgemeingültige Norm erkennen und feststellen? Von dieser Art waren die Fragen, welche jetzt die tiefer denkenden, mit den Anfängen positiver Wissenschaft vertrauten Geister zu beschäftigen begannen. Ein Keim derartiger Spekulationen ist freilich selbst den homerischen Gedichten nicht völlig fremd. Man denke an jene Stellen, in welchen Wasser und Erde als die Bestandteile bezeichnet werden, in welche der Menschenleib sich auflöst, und noch mehr an jene, die den Okeanos den Urquell aller Dinge oder eben diesen

Grund- oder Urstoffe

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mit der ihm zugesellten Wassergöttin Tethys das Elternpaar nennen, welchem alle Götter entsprungen sind1. Hier berühren sich die Nachklänge des uranfänglichen Fetischismus mit den Vorläufern der positiven Naturwissenschaft. Allein nicht nur ward jenen Vorstellungen jetzt jede mythische Hülle abgestreift, sie selbst wurden mit unerbittlicher Folgerichtigkeit weiter- und bis zu ihren letzten Konsequenzen fortgebildet. Zwei Hauptgedanken der modernen Chemie treten in Sicht, bedeutsam an sich, doppelt bedeutsam in ihrer Vereinigung: das Dasein von Grundstoffen und die Unzerstörbarkeit des Stoffes. Zum Glauben an die letztere führte eine doppelte Reihe von Erwägungen. Konnte der Stoff, wie der Kreislauf des organischen Lebens dies zeigte, aus so mannigfachen Wandlungen unversehrt hervorgehen, wie nahe lag da der Gedanke, daß er überhaupt unverwüstlich und seine Vernichtung stets nur eine scheinbare sei! Andererseits wies die geschärfte Beobachtung auch bei solchen Prozessen, die einer eigentlichen Vernichtung am meisten zu gleichen schienen, wie bei dem Auftrocknen erhitzten Wassers oder bei dem Verbrennen fester Körper, Reste und Rückstände in der Gestalt von Wasserdunst, von Rauch und Asche auf, welche die Vermutung aufkommen ließen, daß eine eigentliche Zerstörung, eine Verwandlung des Stoffes in Nichts auch in diesen Fällen nicht statthabe. Begegnet uns hier eine geniale Vorwegnahme moderner Lehren, deren volle Wahrheit erst die großen Chemiker des achtzehnten Jahrhunderts, allen voran L a v o i s i e r , mit der Wage in der Hand erhärtet haben, so überflog an einem anderen Punkte die Spekulation der jonischen „Physiologen" die Ergebnisse der heutigen Wissenschaft. Ihr kühner Gedankenflug machte nicht bei der Annahme einer Vielzahl unzerstörbarer Grundstoffe Halt; er kam erst bei der Vorstellung zur Ruhe, daß alle stoffliche Vielheit aus einem einzigen Grund- oder Urstoffe hervorgehe. Hier war — so darf man füglich sagen — die Unerfahrenheit die Mutter der Weisheit. Der einmal geweckte Drang nach Vereinfachung glich einem in Bewegung geratenen Steine, der unaufhaltsam fortrollt, bis er auf ein Hindernis trifft. Er schritt von der endlosen Fülle zur begrenzten Mehrzahl, von dieser zur Einzahl vor; er ward auf seinem Wege nicht durch unbequeme Tatsachen gehemmt, die ihm Schranken setzen und ein gebieterisches Halt zurufen konnten. Und so war der ungestüme Kindersinn jener Frühzeit zy einer Einsicht gelangt, die jetzt wieder nach Überwindung zahlloser Schwierigkeiten der gereiften und geläuterten Wissenschaft aufzudämmern beginnt. Hegen doch die vorgeschrittensten unter den Naturforschern unserer Tage wieder den Glauben, daß jene siebenzig und etliche Elemente, welche die heutige Chemie tatsächlich kennt, nicht die endgültigen

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Thaies von Milet

Ergebnisse der Scheidekunst, sondern nur zeitweilige Haltepunkte auf dem Wege der fortschreitenden Zerlegung der Stoffwelt darstellen1. 2. Als der „Ahnherr" dieser ganzen Richtung wird T h a i e s von M i l e t genannt2. Dieser außerordentliche Mann war das Produkt einer Rassenkreuzung; griechisches, karisches und phönizisches Blut floß in seinen Adern. Ihm war demgemäß die volle Vielseitigkeit des jonischen Wesens eigen, und das Bild, das die Überlieferung von ihm entwirft, schillert in den verschiedenartigsten Farben. Bald gilt er ihr als der Typus des weltfremden, ganz in seine Forschung versunkenen Weisen, der in einen Brunnen stürzt, während er die Sterne des Himmels betrachtet; ein andermal läßt sie ihn seine Kenntnisse zu Zwecken persönlichen Gewinns verwerten; wieder ein andermal seinen Volksgenossen, den kleinasiatischen Joniern, einen erstaunlich staatsklugen und weitschauenden Rat erteilen, der auf nichts Geringeres abzielt, als auf die Schaffung einer den Griechen jener Zeit völlig unbekannten Einrichtung, nämlich eines ganz eigentlichen Bundesstaates. Er war ohne Zweifel zugleich Kaufmann, Staatsmann, Ingenieur, Mathematiker und Astronom. Seine reiche Bildung hatte er auf weiten Reisen erworben, die ihn nach Ägypten geführt haben, wo er auch dem Problem der Nilschwelle sein Nachdenken widmete. Die schwerfällige, stets nur auf die Lösung einzelner Probleme gerichtete Reißkunst der Ägypter hat er zuerst zur deduktiven, auf allgemeinen Sätzen beruhenden eigentlichen Geometrie erhoben. Einige der elementarsten Theoreme dieser Wissenschaft tragen noch heute seinen Namen. Nicht unglaubhaft klingt die Nachricht, daß er seinen ägyptischen Lehrmeistern die von ihnen vergeblich gesuchte Methode an die Hand gab, die Höhe der himmelragenden Wunderwerke ihrer Heimat, der Pyramiden, zu messen. Er wies sie darauf hin, daß zu jener Tageszeit, zu welcher der Schatten eines Menschen oder eines anderen leicht meßbaren Gegenstandes seiner wirklichen Größe gleichkommt, auch der Schatten der Pyramiden nicht länger und nicht kürzer sein kann als deren wirkliche Höhe. Der babylonischen Wissenschaft (mit deren Elementen er in Sardes vertraut werden mochte)3 entlehnte er das Gesetz der periodischen Wiederkehr der Verfinsterungen, welches ihn in den Stand setzte, die totale Sonnenfinsternis vom 28. Mai 585 zum höchsten Erstaunen seiner Landsleute vorherzusagen. Denn unmöglich kann er, dessen Vorstellung von der Gestalt der Erde noch eine kindlich naive war — hielt er sie doch für eine flache Scheibe, die auf Wasser ruht —, solch eine Einsicht auf theoretischem Wege gewonnen haben4. Auch seine Witterungs-

Fortbildung der Urstoff lehre

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Prognosen, die er geschäftlichen Zwecken dienstbar machte und die es ihm ermöglichten, eine ungewöhnlich reiche Olivenernte vorherzusehen und durch die Pachtung zahlreicher Ölpressen zu seinem Vorteil auszubeuten, stammen wahrscheinlich aus derselben Quelle1. Die astronomischen Kenntnisse, die er erwarb, kamen der Schiffahrt seiner Heimat zugute, deren Bürger damals Seefahrt und Handel in weiterem Umfange als alle anderen Griechen betrieben. Er verwies sie auf den kleinen Bären, als das Sternbild, welches den reinen Norden am genauesten bezeichnet. Ob er Bücher geschrieben hat, steht dahin; schwerlich hat er seine Lehre vom Urstoff auf diesem Wege bekanntgemacht. Denn A r i s t o t e l e s kennt sie zwar, nicht aber ihre Begründung, und spricht von dieser im Ton unsicheren Mutmaßens2. Weil die Nahrung von Pflanzen und Tieren feucht sei und somit auch die Lebenswärme dem Feuchten entspringe, und ferner weil auch der pflanzliche und tierische Same diese Beschaffenheit habe — darum, so meint Aristoteles, dürfte Thaies das Wasser, als das Prinzip alles Feuchten, für den Urstoff erklärt haben3. Ob diese Erwägungen ihn in Wahrheit beeinflußt haben, oder ob und inwieweit er von älteren Spekulationen, einheimischen wie fremden, abhängig war, ist uns zurzeit mindestens ebeso unklar wie sein Verhältnis zu den göttlichen Dingen4. Die Urstofflehre erlaubte und forderte eine dreifache Fortbildung. Die Stelle, welche Thaies dem Wasser in der Stufenreihe der Stoffe anwies, konnte nicht unangefochten bleiben. Es konnte nicht fehlen, daß auch anderen der weitverbreitetsten wirklichen oder vermeintlichen Stoffe, zumal dem flüchtigsten und dem gewaltigsten derselben (der Luft und dem Feuer) Anwälte erstanden, welche den dem flüssigen Element zuerkannten Vorrang bestritten. Ferner mußte sich dem Tiefblick eines genialen Geistes der Gedanke aufdrängen, daß die uranfängliche Form des Stoffes eher hinter und jenseits der gegenwärtig wahrnehmbaren Artungen desselben als im Kreise dieser selbst zu suchen sei. Endlich war in der Urstofftheorie ein Keim von Skepsis enthalten, der früher oder später seine volle Entfaltung finden mußte. Denn wenn die Lehre für Thaies vielleicht noch nicht mehr besagte, als daß alle Dinge aus dem Urwasser hervorgehen und wieder in dasselbe zurückkehren, so mußte sie doch unfehlbar allmählich die Bedeutung gewinnen, daß nur die Urform des Stoffes die wahre und wirkliche, alle anderen aber bloße täuschende Sinnenbilder seien. Und sobald man einmal annahm, daß z. B. Eisen oder Holz in Wahrheit nicht dies, sondern Wasser oder Luft seien, wie sollte der also geweckte Zweifel an der Gültigkeit des Sinnenzeugnisses an dieser Stelle haltmachen?

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Anaximandros von Milet

3. Den zweiten dieser Gedankenwege hat A n a x i m a n d r o s (geb. 610) betreten1. Der Sohn des Praxiades, ein Milesier gleich Thaies und diesem wahrscheinlich als Freund und Jünger nahestehend, kann als der eigentliche Schöpfer der griechischen und somit der abendländischen Naturwissenschaft gelten. Er zuerst hat den Versuch gewagt, den ungeheuren Fragen nach der Entstehung des Weltalls, der Erde und seiner Bewohner auf wissenschaftlichem Wege nahezutreten. Gewaltig war in ihm der Sinn für Identität, die Fähigkeit, tiefverborgene Analogien zu erkennen, und mächtig das Bestreben, aus dem Augen- und Sinnfälligen das der Wahrnehmung Entrückte zu erschließen. So kindlich manche seiner tappenden und tastenden Versuche sind, so ehrfurchtgebietend steht er vor uns da als ein Bahnbrecher und Pfadfinder, dessen Gedankengänge wir leider vielfach nur aus dürftigen und abgerissenen, zum Teil auch widerspruchsvollen Berichten zu folgern vermögen. Seine Schrift: „Über die Natur" — die erste bereits in Prosa abgefaßte Darlegung wissenschaftlicher Lehren, welche die griechische Literatur besaß und, ach, nur allzufrüh verlor — war die reife Frucht eines von tiefem Nachdenken erfüllten, zum Teil auch den Staatsgeschäften gewidmeten Lebens. Erst kurz vor seinem Tode, im Alter von dreiundsechzig Jahren (547) entschloß er sich zur Veröffentlichung jenes Werkes, aus welchem nur wenige Zeilen und kein einziger abgeschlossener Satz auf uns gekommen sind. Mannigfach und im höchsten Grade verdienstvoll waren die Vorarbeiten, die er durch jene letzte Leistung gekrönt hat. Er zuerst hat den Griechen eine Erdtafel und eine Himmelskugel geschenkt. Mit der Anfertigung der ersteren zog er, dessen Name nicht unter jenen der Forschungsreisenden glänzt, die Summe aus all den Nachrichten, welche in seiner jonischen Heimat, dem Ausgangspunkt zahlreicher, bis an die Grenzen der damals bekannten Welt reichender Land- und Seefahrten, in größerer Fülle als in jedem anderen Teile Griechenlands zusammenströmten. Landkarten wurden auch im alten Ägypten angefertigt, aber sie beschränkten sich auf die graphische Wiedergabe einzelner Bezirke2; der umfassende Gedanke einer Erdkarte war den Bewohnern des Niltals fremd geblieben, gleichwie es ihnen, die weder weite Seereisen unternahmen noch entlegene Pflanzstädte besaßen, an dem hierzu erforderlichen Material gebrach. Als ein charakteristischer Zug der anaximandrischen Erdtafel wird uns die Annahme eines rings von Land umschlossenen Meerbeckens und eines wieder das Land umgürtenden äußeren Meeres genannt. Von Hilfsmitteln der mathematischgeographischen und der astronomischen Forschung hat der Vater der wissenschaftlichen Erdkunde ohne Zweifel den von den Babyloniern er-

Himmelslehre des Anaximander

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fundenen Gnomon („Weiser") gekannt — einen Stift, der auf einer horizontalen Unterlage ruht, und dessen zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten wechselnde Schattenlänge und richtung zur Bestimmung des wahren Mittags jeder beliebigen örtlichkeit, desgleichen zur Ermittelung der vier Kardinalpunkte und der beiden Sonnensolstitien ausreicht. Solch einen Gnomon soll unser Melesier nach der Überlieferung, die freilich einmal seinen, ein andermal den Namen seines Nachfolgers Anaximenes nennt, zu Sparta aufgestellt haben1. Als Urheber neuer mathematischer Sätze kennt ihn die Geschichte der Wissenschaft nicht, während ihm allerdings eine zusammenfassende Darstellung geometrischer Lehren zugeschrieben wird. Jedenfalls fehlte es ihm nicht an mathematischer Schulung, wie dies seine — für uns freilich zurzeit nicht völlig sicher verständlichen — Angaben über die Größe der Himmelskörper beweisen2. Als Astronom hat Anaximander zuerst mit den kindlichen Vorstellungen der Urzeit nahezu vollständig gebrochen. Die Erde gilt ihm zwar noch nicht als Kugel, aber ebensowenig als flache, auf einer Unterlage ruhende und von dem Himmelsgewölbe wie von einer Glocke bedeckte Scheibe. Die Sonne ließ er nicht mehr allabendlich in den die Erde umkreisenden Okeanos versinken und auf diesem Wege vom Westen zum Osten gelangen. Sollte eine stetige und regelmäßige Bewegung die Tatsache erklären, daß die Sonne und die übrigen Gestirne am Osthimmel auftauchen, nachdem sie am Westhimmel untergegangen waren, so blieb nichts übrig, als sie unterhalb der Erde die Kreisbewegung fortsetzen zu lassen, welche sie oberhalb des Horizontes vor unseren Augen vollziehen. Unterstützt ward diese Annahme durch die Wahrnehmung, daß die dem Pol benachbarten Sternbilder niemals untergehen, sondern eine Kreisbewegung beschreiben. Somit mußte die himmlische Halbkugel, die wir sehen, in Wahrheit die Hälfte einer vollständigen Kugel ausmachen. Dem Himmelszelt, das sich über unseren Häuptern wölbt, ward ein zweites unter unseren Füßen gegenübergestellt. Der Erde ward die in endlose Tiefen reichende Unterlage, auf der sie hatte ruhen sollen, geraubt; sie mußte frei im Räume schweben. Statt als flache Scheibe wurde sie als ein Säulenstück oder ein Zylinder gedacht, der nur dann ein sicheres Gleichgewicht besitzen konnte, wenn der Durchmesser seiner Grundfläche beträchtlich größer war als seine Höhe. Das Verhältnis von 3 : l war eine' diesem Zweck entsprechende Annahme, welche sich dem alten Denker wahrscheinlich durch ihre Einfachheit empfahl. Den Schwebezustand der tamburinförmigen Erde aber suchte er durch ein gar wundersam klingendes Räsonnement zu begründen: es sei der gleiche Abstand des Erdkörpers von allen Teilen der Himmels-

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UrstoHlehre des Anaximander

kugel, der ihr ruhiges Beharren bewirke. Darin liegt einerseits, daß die Schwere für ihn nicht mit einem Zuge nach unten identisch sein konnte. Andererseits läßt die Form des Schlusses unseren Milesier als den ersten Vorläufer jener Metaphysiker erscheinen, welche das Gesetz der Trägheit statt auf Erfahrung lieber auf aprioristische Gründe zu stützen vorzogen. „Ein ruhender Körper" — so sagt man — „kann nicht in Bewegung geraten, wenn nicht irgendeine äußere Ursache auf ihn einwirkt; denn wenn er es täte, so müßte er sich entweder nach oben oder nach unten, nach vorn oder nach rückwärts usw. bewegen1." Da aber kein Grund vorhanden sei, warum er das eine eher als das andere tun sollte, so könne er sich überhaupt nicht bewegen. So hat denn auch schon A r i s t o t e l e s , der jenes Argument des alten Denkers zugleich geistreich und irrig nennt, die ruhende Erde des Anaximander mit einem Hungernden verglichen, der verderben müsse, weil er keinen Grund habe, eher nach den rechts als nach den links, nach den vor ihm als nach den hinter ihm in gleicher Entfernung liegenden Speisen zu langen. Doch nunmehr tut es not, den anaximandrischen Versuch einer Kosmogonie ins Auge zu fassen. Wir haben bereits anläßlich der hesiodischen Theogonie die uralte Lehre von einem anfänglichen chaotischen Zustand des Weltganzen kennengelernt. Dort ward darauf hingewiesen, daß die Vorstellung eines Chaos durch die grenzenlose Erweiterung der Leere zustande kam, die zwischen Himmel und Erde gähnt. Zugleich mußten wir bemerken, daß jene primitiven Denker hierbei von den drei Dimensionen des Raumes nur eine, die Höhe oder Tiefe, ins Auge faßten, unbekümmert darum, welche Bewandtnis es mit der Länge und Breite habe. Konsequent fortgebildet mußte derselbe Gedanke an die Stelle eines klaffenden Spalts den nach allen Richtungen unbegrenzten Raum setzen, und diesen, von Stoff erfüllt, stellte Anaximander in Wahrheit an den Anfang alles Werdens. Welcher aber war dieser schrankenlos ausgedehnte Urstoff? Keiner — so könnten wir antworten — von den Stoffen, die wir kennen-1. Denn diese, die unablässig ineinander über- und wieder auseinander hervorgehen, erschienen ihm als gewissermaßen gleichwertige und gleichberechtigte Faktoren, wenigstens insoweit, daß keiner von ihnen die Stelle eines Urahns oder Erzeugers aller übrigen beanspruchen konnte. Das Urwasser des Thaies vor allem erwies sich als völlig ungeeignet, diese Rolle zu spielen. Setzt sein Dasein doch bereits Wärme, d. h. nach der Denkweise jenes Zeitalters Wärmestoff oder Feuer voraus. Denn Festes wird in Flüssiges durch Schmelzung verwandelt, d. h. durch Erhitzung oder durch Zufuhr von Feuerstoff. Auch das Luftartige,

Kosmogonie des Anaximander

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der Wasserdunst z. B., wird durch die Einwirkung des Feuers auf das Flüssige erzeugt. Somit konnte an der Spitze aller Einzelbildungen nur das Feste und das Feurige zu stehen scheinen. Der zwischen ihnen obwaltende Gegensatz aber ließ sie als ein Paar gelten, dessen einander wechselseitig ergänzende Glieder gleichzeitig ins Dasein treten sollten. So ließ denn Anaximander in der Tat diese als „das Kalte" und „das Warme" durch eine „Aussonderung" aus der anfänglichen, alle stofflichen Besonderheiten in sich fassenden Urmaterie hervorgehen. Wie er aber des weiteren die endlose Fülle der Einzelstoffe entstanden dachte, ist uns unbekannt. Doch darf man vermuten, daß eine fortschreitende „Aussonderung" aus den Grundformen der Materie den soeben geschilderten Vorgang fortzusetzen bestimmt war1. Doch dem sei, wie ihm wolle: jedenfalls lagerten sich die von einer Wirbelbewegung ergriffenen Stoffe in dem Verhältnis ihrer Schwere und Dichte um- und übereinander. Den innersten Kern bildete die Erde, ihre Oberfläche war von Wasser bedeckt, dieses umgab eine Luftschicht, und diese wieder ward, wie „der Baum von der Rinde", von einem Feuerkreis umschlossen3. Hier drängte sich dem systematischen Geist des Milesiers ein zwiefaches Problem auf. Die Erde macht noch heute den Kern dieses Baues, die Luft seine äußere Umhüllung aus. Das Wasser aber bildet nicht mehr eine gleichmäßige Decke der Erde, das Feuer ist nur mehr an einzelnen, wenn auch zahlreichen Punkten des Himmels sichtbar. Woher stammt — so fragte er sich — diese Störung der vorausgesetzten gleichmäßigen Urausteilung der Stoffe? Er beantwortete die Frage wie folgt. Das gegenwärtig vorhandene Meer ist nur mehr ein Rest der ursprünglichen Wasserdecke; die durch die Sonnenwärme bewirkte Verdunstung hat im Laufe der Zeit den Umfang des Meeres eingeschränkt. Eine Stütze dieser Annahme lieferten geologische Beobachtungen, die ein Zurückweichen der See an vielen Punkten des mittelländischen Beckens in der Tat erkennen ließen3. Mochte es die Wahrnehmung von Deltabildungen, mochte es die Auffindung von Seemuscheln auf trockenem Lande sein: Anaximander zog jedenfalls aus derartigen Vorkommnissen die weittragendsten, seine Lehre stützenden Schlüsse. Der Feuerkreis aber sollte einst, wohl im Fortgang jener Wirbelbewegung, geborsten sein. Dieselbe Kraft riß nach seiner Meinung auch Luftmassen mit sich fort, die hierdurch verdichtet wurden ujid die Feuermassen umschlossen4. Die also entstandenen, Feuer bergenden Lufthülsen dachte er sich in Gestalt von Rädern. An diesen waren der Mündung eines Blasebalgs ähnliche Öffnungen angebracht, aus welchen fortwährend Feuer hervorströmt. Wie gelangte er zu dieser Vorstellung? Die Antwort darf wohl also lauten: Sonne, Mond und

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Entstehung organischer Wesen

Sterne kreisen um die Erde; Feuermassen aber, die im Weltraum regelmäßig umlaufen, entsprachen keiner bekannten Analogie, während die Umdrehung von Rädern eine Sache alltäglicher Wahrnehmung war. Hierdurch traten konkrete Gegenstände an die Stelle abstrakter Bahnen, und das fragliche Problem ward ungemein vereinfacht. Solange die Räder bestanden und der ihnen erteilte Bewegungsanstoß dauerte, war der Umlauf der Gestirne gesichert. Die Verfinsterungen der großen Himmelskörper endlich erklärte er durch Verstopfungen, welche die Mündungen des Mond- und des Sonnenrades gelegentlich erleiden. Auch das Rätsel der organischen Schöpfung hat den auskunftreichen Geist des Milesiers beschäftigt1. Die ersten Tiere sollen aus dem Meeresschlamm entstanden sein — wohl hauptsächlich darum, weil der Tierleib aus festen und flüssigen Bestandteilen zusammengesetzt ist, weshalb schon im homerischen Zeitalter, wie wir sahen, Wasser und Erde als seine Elemente gegolten haben. Doch mag auch der Reichtum der See an Lebewesen aller Art, desgleichen die Auffindung der Überreste vorweltlicher Seetiere diese Annahme begünstigt haben. Ferner hat Anaximander jenen Urtieren stachelige Rinden geliehen, welche sie bei dem Übergange von der See zum Lande abwarfen — eine Hypothese, auf welche ihn die Metamorphose, die manche Insektenlarven erleiden, geführt haben mag. Es ist kaum zweifelhaft, daß er in den Nachkommen jener Wassertiere die Vorfahren der Landtiere erblickt hat, und ihm somit eine Ahnung der modernen Deszendenztheorie nicht völlig fremd war. Genauer hat er sich über den Ursprung des Menschengeschlechtes ausgesprochen. Die ersten Menschen nach Art der Mythologen ohne weiteres der Erde entsprießen zu lassen, daran hinderte ihn, wie wir erfahren, insbesondere die nachfolgende Erwägung. Der hilflose, mehr als jedes andere Wesen andauernder Pflege bedürftige menschliche Säugling hätte sein Leben — auf natürlichem Wege mindestens — nicht zu fristen vermocht. Darum suchte er nach Analogien, welche dieses Rätsel zu lösen geeignet waren. Er fand eine solche in dem volkstümlichen Glauben, daß die Haifische die aus ihren Eiern gekrochenen Jungen verschlucken, von neuem ausspeien, wieder in sich aufnehmen und diesen Vorgang solange wiederholen, bis das junge Tier die zur Fortführung eines selbständigen Daseins erforderliche Stärke gewonnen hat. In ähnlicher Weise sollten die Ahnherren des Menschengeschlechtes im Innern von Fischleibern entstanden sein und dieselben in gereifter Kraft verlassen haben. Ob der Glaube der Babylonier an das einstige Dasein von Fischmenschen unsern Weisen beeinflußt hat, ist eine zurzeit wenigstens nicht lösbare Frage3. Doch wie immer Anaximander das Entstehen der einzelnen Welten,

Weltperioden

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der einzelnen Stoff-Formen, der einzelnen Wesen und Dinge zu erklären versucht haben mag: E i n e s stand ihm unerschütterlich fest; daß nämlich alles Entstandene dem Untergang geweiht sei. Als „unentstanden und unvergänglich" galt ihm allein der Urstoff, aus dem alles hervorgegangen und in den alles zurückzukehren bestimmt sei. Auch erfüllte ihn diese Überzeugung mit einer Befriedigung, die wir eine sittlich-religiöse nennen dürfen. Jede Sonderexistenz erschien ihm als ein Unrecht, als eine Usurpation, für welche die sich wechselseitig verdrängenden und vertilgenden Wesen „Buße und Strafe erleiden müssen nach der Ordnung der Zeit", Die Zerstörbarkeit der Einzeldinge, die Hinfälligkeit und Sterblichkeit der Lebewesen, der Kreislauf des Stoffes erweiterte sich in seinem Geiste zur Anschauung einer allumfassenden Naturordnung, welche ihm zugleich als eine allumfassende Rechtsordnung gegolten hat. Alles was besteht, so konnte er mit Mephistopheles ausrufen, ist wert, daß es zugrunde geht. Als „göttlich" erschien ihm einzig der anfanglose, kraftbegabte Stoff, der allein „unsterblich und nicht alternd" ist. Als zwar göttliche, aber weil entstandene darum auch vergängliche Wesen, gleichsam als Götter zweiter Ordnung galten ihm die einzelnen Welten oder Himmel, die jedenfalls nacheinander, vielleicht auch nebeneinander einen langdauernden, aber immer nur zeitweiligen Bestand gewinnen1. Durch welche Prozesse sie immer wieder in den Mutterschoß der Urmaterie zurücksinken, wird uns nicht gesagt; vermuten aber darf man, daß gleichwie „Aussonderungen" aus dem Urwesen sie ins Dasein gerufen haben, so die Mischungen und Verbindungen der Stoffe es sind, welche im Laufe langer Weltperioden jedem Sonderdasein ein Ziel setzen und allmählich wieder alles in die ungeschiedene Einheit des ursprünglichen Allwesens zurückführen, freilich nur damit dieses seine unerschöpfliche Lebenskraft in immer neuen Bildungen bewähre, seine unüberwindliche Obmacht in immer neuen Zerstörungen betätige. 4. Der dritte der großen Milesier, A n a x i m e n e s , der Sohn des Eurystratos (gestorben zwischen 528 und 524), hat seine Schritte wieder in die von Thaies eröffnete Bahn zurückgelenkt2. Statt des Wassers ist es die Luft, die jetzt für das Urprinzip erklärt wird, der alles entstammt „was da war, was da ist und was sein wird"3, und die so ganz und gar die Erbschaft des verdrängten Herrschers übernimmt, daß nunmehr sie es ist, welche der wieder als flache Scheibe gedachten Erde zur Unterlage dienen soll. Die Bevorzugung, welche Anaximenes der Luft angedeihen ließ, ist nicht eben schwer erklärlich. Ihre größere Beweglichkeit und ihre größere Ausbreitung war es augenscheinlich, die ihr den Vorrang vor

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Anaximenes von Milet

dem flüssigen Element zu sichern schien. Die erste dieser Eigenschaften wird von Anaximenes selbst in dem einzigen Bruchstück, das wir von seiner — „in einfacher, ungekünstelter" Prosa abgefaßten — Schrift besitzen, ausdrücklich betont. Und da der Stoff nach der gemeinsamen Lehre all dieser Denker, der sogenannten jonischen Physiologen, die Ursache seiner Bewegung in sich selbst trägt, was war da natürlicher, als daß der beweglicheren Form desselben, eben jener, welche im organischen Leben als die Trägerin der Lebens- und Seelenkraft galt (man denke an Psyche = Hauch), der oberste Rang zugesprochen wurde? Hat doch unser Philosoph den den Tier- und Menschenleib angeblich zusammenhaltenden Lebenshauch selbst mit der die Welt zu einer Einheit zusammenschließenden Luft verglichen1. Und was ihre Ausbreitung anlangt, so konnten Erde, Wasser und Feuer gleichsam als Inseln in dem sie rings umflutenden Ozean der Luft, der „allverbreiteten", erscheinen, die überdies in alle Poren und Zwischenräume der übrigen Stoffe eindringt und alle Teilchen derselben umspült. Seinem Vorgänger gleich schrieb er dem Urstoff unbegrenzte Ausdehnung und unablässige Bewegung zu; die übrigen Stoff-Formen aber ließ er aus ihm durch einen Vorgang entstehen, welchen er nicht der spekulativen Phantasie, sondern der realen Beobachtung entnahm. Er hat — und dies bildet seinen unvergänglichen Ruhmestitel — zuerst eine „wahre Ursache", eine vcra causa im Sinne Newtons für den letzten Grund aller stofflichen Veränderung erklärt. Nicht mehr tritt bei ihm wie bei Anaximander das „Warme" und das „Kalte" durch den rätselhaften Prozeß der „Aussonderung" aus dem Urstoffe hervor, sondern die V e r d i c h t u n g und die V e r d ü n n u n g , also verschiedene Arten der Lagerung sind es, welche den verschiedenen Stoff-Formen ihr Sondergepräge verleihen. In dem Zustand gleichmäßigster Verteilung, gewissermaßen in ihrem Normalzustand, sei die Luft unsichtbar, in ihrer feinsten Verteilung werde sie zu Feuer, bei fortschreitender Verdichtung hingegen gehe sie in den flüssigen und schließlich in den festen Zustand über. A l l e S t o f f e , dies liegt in dem Wortlaut jenes Fragmentes, s i n d an s i c h fähig, in jeden der Aggregatzustände überführt zu w e r d e n , mag uns dies bisher gelungen sein oder nicht-'. Die Größe dieser wissenschaftlichen Errungenschaft wird jedem einleuchten, der sich erinnert, daß dieselbe erst vor hundert Jahren, nicht ohne schwere Kämpfe, zum Gemeingut auch nur der vorgeschrittensten Forscher geworden ist. Und ferner: wären unsere Sinne fein genug — dies darf man zwischen den Zeilen lesen —, so würden wir in all diesen Wandlungen dieselben Stoffteilchen, bald näher aneinander tretend, bald weiter

Rückschritt in der Himmelslehre

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auseinander gerückt erkennen. So bezeichnet die Lehre des Anaximenes eine Vorstufe der Atomistik, demnach jener Auffassung der Stoffwelt, welche, sie mag nun die letzte Wahrheit enthalten oder nicht, jedenfalls bis auf unsere Tage ein Denkbehelf von unerschöpflicher Ergiebigkeit gewesen ist. Wenig verschlägt es neben diesen unsterblichen Verdiensten, daß Anaximenes seine Theorie auch auf kläglich mißdeutete Versuche zu stützen bemüht war. So glaubte er eine Bekräftigung seiner Grundlehre darin zu erblicken, daß der den verengten Lippen entfahrende Luftstrom kalt, der der weit geöffneten Mundhöhle entströmende Hauch aber warm ist1. Angesichts des ungeheuren Fortschrittes, welchen die Stofflehre durch die allumfassende Induktion des Anaximenes erfahren hat, erwartet man zunächst, einer ähnlichen Vervollkommnung auch der astronomischen Lehren zu begegnen. Allein diese Erwartung wird getäuscht. Es tritt uns hier zum erstenmal das Schauspiel entgegen, welches die Geschichte der Wissenschaften uns immer und immer wieder vor Augen führt. Die induktive und die deduktive Forschung stehen zwar nicht, wie zumal B u c k l e s Darstellung in neuester Zeit viele glauben ließ, in einem prinzipiellen Gegensatz; allein die vornehmsten Träger der einen dieser Forschungsrichtungen entbehren oft in auffälligem Maße der zulänglichen Begabung für die andere. Auch boten die weit ausgreifenden Schlüsse, die verwegenen Gedankenkonstruktionen eines Anaximander seinem nüchterneren, am Boden der Tatsachen fester haftenden Nachfolger gar viele leicht zu erspähende Blößen. Dieser war scharfsichtig genug, um sich bei einer kindlichen Hilfshypothese, wie es die Erklärung der Verfinsterungen durch zeitweilige Verstopfungen des Sonnen- und Mondrades ist, nicht zu beruhigen; allein er war auch nicht weitsichtig genug, um die kühne Vorwegnahme der Attraktionslehre, welche den Schwebezustand der Erde rechtfertigen sollte, in ihrer Berechtigung zu erkennen und weiter zu bilden. So wirkten die Mängel und die Vorzüge seines kritisch prüfenden, aber mit geringerer konstruktiver Phantasie begabten Geistes zusammen, um ihn von der durch seinen Vorgänger erreichten Höhe wieder um einige Schritte herabzuführen. Der Rückkehr zu der primitiven Vorstellung von der Erde als einer auf einer Unterlage ruhenden Platte haben wir bereits gedacht. Damit hängt es zusammen, daß die Sonne sich des Nachts nicht unter der Erde, sondern nur seitlich, „wie die Mütze um den Kopf", um sie bewegen sollte. Ihre Unsichtbarkeit während der Nachtstunden aber ward durch die Voraussetzung im Norden gelegener, sie verdeckender Berge oder durch die Annahme erklärt, daß sie sich nächtens weiter als tagsüber von der Erde entferne*. G o m p e r z . Griechische Denker. I. 4. Aufl.

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Herakleitos von Ephesbs

Die Einzelheiten seiner ziemlich rohen Gestirnlehre sollen uns nicht verweilen. Als ein Lichtpunkt derselben sei die Behauptung vermerkt, daß die leuchtenden Gestirne von dunkeln erdartigen Körpern begleitet werden, eine Behauptung, die augenscheinlich das Eintreten der Verfinsterungen durch V e r d e c k u n g e n — also grundsätzlich richtig — erklären sollte. Unter seinen Versuchen, meteorologische und andere Naturerscheinungen (den Schnee, den Hagel, den Blitz, den Regenbogen, die Erdbeben und auch das Meerleuchten) zu ergründen, überraschen uns einige, vor allem die Erklärungen des Schnees und des Hagels, durch ihre teils annähernde, teils vollständige Richtigkeit, andere sind zwar grundfalsch, aber zugleich höchst geistreich und von großer prinzipieller Bedeutung1. Das Räsonnement, welches seiner Erklärung des Meerleuchtens zugrunde liegt, dürfen wir also ergänzen. Wenn die Luft im Zustande feinster Verteilung zu Feuer wird und somit brennt und leuchtet, so werden ihr diese Eigenschaften nicht erst in jenem Verteilungszustand gleichsam anfliegen, sondern ihr überhaupt innewohnen und unter günstigen Umständen auch sonst erkennbar werden. Nun wird auch die an sich geringe Leuchtkraft eines Körpers wahrnehmbar, wenn er sich von einem ungewöhnlich dunklen Hintergrund abhebt. Einen solchen bildet zur Nachtzeit die Wassermasse des Meeres, und diese Folie bewirkt es, daß die Luftlamellen, welche in die durch Ruderschläge geschaffenen Lücken der Meereswogen eindringen, hell und leuchtend erscheinen. Hier dämmert zum erstenmal der Gedanke auf, daß die Eigenschaften der Körper nicht sprunghaft wechseln — ein Gedanke, den wir später mit äußerster Strenge festgehalten und (als qualitative Konstanz des Stoffes) von den jüngeren Naturphilosophen durchweg werden behauptet sehen. Mit Anaximander endlich stimmt Anaximenes in der Annahme von Weltperioden und von gleichsam sekundären, d. h. aus dem „göttlichen" Urstoff entstandenen und daher wohl auch vergänglichen Göttern überein2. 5. Fern vom lärmenden Marktgewühl und den dröhnenden Werften Milets, im Schatten eines Heiligtums ist die Lehre des H e r a k l e i t o s erwachsen3. Es ist dies der erste nicht rechnende, nicht messende, nicht zeichnende und nicht hantierende Weltweise, dem unsere Umschau begegnet, — ein spekulativer Kopf, dessen wunderbar zu nennende Geistesfülle uns noch heute labt und nährt, zugleich auch ein bloßer Philosoph im minder erfreulichen Sinne des Wortes, das heißt ein Mann, der in keinem Fache Meister ist und über alle Meister zu Gericht sitzt. Zahlreiche Überreste seines tiefsinnigen, in gleichnisreicher und nicht durch-

Heraklit und der Volksglaube

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weg ungekünstelter Sprache verfaßten Werkes und wenige, aber bedeutsame Lebensnachrichten bringen uns die imponierende Gestalt des „Dunklen" näher als die irgendeines seiner philosophierenden Vorgänger und Zeitgenossen. Frühzeitig freilich war auch die Sage geschäftig, ihre Fäden um das Haupt des „weinenden" Philosophen zu spinnen. Sein Geburts- und Todesjahr sind uns unbekannt; seine „Blüte" ward um die neunundsechzigste Olympiade (504—501 v. Chr. G.) angesetzt, wahrscheinlich auf Grund eines zeitlich bestimmbaren Ereignisses, an welchem er beteiligt war. Denn der Nachkomme der Stadtkönige von Ephesos, der selbst auf das Amt des Priesterkönigs Anspruch hatte, darauf jedoch seinem Bruder zuliebe verzichtete, griff ohne Zweifel mehrfach in die Geschicke seiner Heimat tätig ein, wie er denn den Stadtfürsten Melankomas zur Niederlegung seiner Herrschaft bewogen haben soll1. Die Abfassung seines Werkes aber kann wegen der politischen Verhältnisse, die es voraussetzt, kaum vor 478 erfolgt sein. Einsamkeit und Naturschönheit waren die Musen Heraklits. Der stolze, von unbändigem Selbstvertrauen erfüllte Mann war zu keines Meisters Füßen gesessen. Allein wenn der sinnende Knabe auf den zauberisch schönen, von beinahe tropisch üppigem Pflanzenwuchs bedeckten Höhen umherschweifte, die seine Vaterstadt umkränzen2, da stahl sich manch eine Ahnung des All-Lebens und der in ihm waltenden Gesetze in seine wissensdurstige Seele. Die großen Dichter seines Volkes hatten seine kindliche Phantasie genährt und mit prächtigen Bildern ausgestattet, aber seinem reif gewordenen Sinne boten sie kein dauerndes Genügen. Denn schon war, vornehmlich durch Xenophanes, der Zweifel an der Wirklichkeit der mythischen Gebilde geweckt, schon war ein höheres Ideal in empfängliche Seelen gesenkt worden, hinter welchem die in menschliche Lüste und Leidenschaften getauchten homerischen Götter weit zurückstanden. Nicht hochgeehrt, nein, „aus den öffentlichen Vorträgen verbannt und mit Ruten gepeitscht" möchte er den Dichter sehen, der im Verein mit Hesiod (um mit dem Historiker Herodot zu sprechen) den Griechen ihre Götterlehre geschaffen hat. Allen Gestaltungen des Volksglaubens steht er gleich feindselig gegenüber: der Bilderanbetung, die nichts anderes sei, als ob man „mit Mauern schwatzen wollte", den Sühnopfern, die e i n e Befleckung durch die andere ersetzen, gleich „als ob jemand, der in Schlamm getreten, sich wieder mit Schlamm abwaschen wollte", dem „schamlosesten" Treiben des Dionysoskults nicht weniger als den „unheiligen Weihen" der Mysterien. Auch das „Vielwissen" Hesiods — „dem die meisten als ihrem Lehrer folgen" — schmäht er nicht minder als jenes des philo-

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Heraklits Menschenverachtung

sophierenden Mathematikers Pythagoras, des weltweisen Rhapsoden Xenophanes, des Geschichtsschreibers und Geographen Hekataeos. Er hat von diesen allen gelernt, aber keinem gibt er sich zu eigen. Ein Wort des warmen Lobes hat er nur für die schlichte Lebensweisheit des Bias übrig. Von Anaximander war er nachhaltig beeinflußt worden, und er stattet ihm seinen Dank ab, indem er ihn so wenig als Thaies und Anaximenes unter die geschmähten Meister des Vielwissens einreiht, „das den Geist nicht bildet". Alles Beste aber glaubt er sich selbst zu verdanken; denn „so vieler Reden" er „vernommen, keiner ist zu wahrer Einsicht gelangt". Steht er so den Dichtern und Denkern teils mit finsterem Grimme, teils mit kühlem Mißtrauen gegenüber, wie tief muß seine Geringschätzung für die Masse des Volkes sein! Und in der Tat, wie Keulenschläge hageln seine Scheltworte auf diese nieder: „Sie stopfen sich den Wanst wie das Vieh" und „Zehntausende wiegen einen Trefflichen nicht auf". Wie sollte der „Pöbelschmäher"1 sich um die Gunst der Menge beworben haben und auch nur auf Gemeinverständlichkeit der Darstellung bedacht sein? An wenige Erlesene wendet sich seine Rätselweisheit, unbekümmert um die vielen, welche den Hunden gleichen, die „den anbellen, den sie nicht kennen", oder auch dem Esel, der „Bündel Heu dem Golde vorzieht". Er sieht den Tadel vorher, welcher die orakelhafte Form und den düsteren Inhalt seines Werkes treffen wird; aber er begegnet ihm durch den Hinweis auf die ruhmreichsten Vorbilder. Auch der pythische Gott „sagt nicht aus und verbirgt nicht, sondern er deutet an"; und „die Stimme der Sibylle, die mit rasendem Munde Unfrohes, Ungesalbtes und Ungeschminktes verkündet", dringt durch die Jahrhunderte vermöge des Gottes, der aus ihr redet. Und der späte Lohn genügt ihm vollauf; denn „ e i n e s wählen die Trefflichen statt alles ändern, nie verlöschenden Nachruhm". Die Menschenverachtung unseres Weisen fand reiche Nahrung an den staatlichen und sittlichen Zuständen seiner Heimat. Seit mehr als einem halben Jahrhunderte lastete das Fremdjoch auf den kleinasiatischen Griechen. Es war kein übermäßig drückendes; ward doch die Zugehörigkeit zu dem an sich losen Gefüge des persischen Feudalreiches hier vielfach durch einheimische Fürstenhäuser vermittelt. Allein es wäre mit Wunderdingen zugegangen, wenn der Verlust der nationalen Unabhängigkeit nicht ein Sinken des öffentlichen Geistes und ein Überwuchern der Privatinteressen bewirkt hätte. Auch war der Boden für derartige Verfallserscheinungen von langer Hand vorbereitet. Der reichere Lebensgenuß und die verfeinerte Sitte des Orients hatte zugleich mit der Roheit auch die Strenge des alt-

Heraklits Originalität


S. 107—115

l sungsbed rfnis, Unterweltstrafen usw. bei den Thrakern ganz und gar nicht nachgewiesen sind. 107 1) Vgl. das oben in der Anm. zu S. 70 2) erw hnte Sammelwerk Comparettis. Buddhistische Parallelen zum Vorangehenden findet man bei Rhys Davids, Buddhism, its history and literature, p. 161. 108 1) W e s e n der E r i n y e n : vgl. Rohde, Psyche 1 2 270 und die weitere Ausf hrung Rhein. Mus. 50, S. 6 = Kleine Schriften II 229. 109 1) Ober diese rohen Vorstellungen von jenseitiger Gl ckseligkeit vgl. Dieterich a. a. O. S. 79/80. Eben die von ihm angef hrten zahlreichen Parallelen, denen ich noch die breite (den verschiedensten altindischen Quellen entnommene) Ausf hrung bei Muir, Sanscrit Texts V 307 ff. beif gen m chte, lassen den Schlu auf thrakische Herkunft der orphischen Dogmen als beraus gewagt erscheinen. 2) H y p n o s e : ber Anwendung derselben in der asketischen Meditation der Buddhisten vgl. H. Kern, Der Buddhismus und seine Geschichte in Indien ( bersetzt von Jacobi) I 502. — Belege f r das Folgende findet man in Rohdes Psyche II2 14 f., bei Eduard Meyer, Geschichte des alten gyptens S. 87, in Fr Lenormants Artikel „Eleusis" (Daremberg u. Saglio, Dictionnaire des antiquites), bei Dieterich, De hymnis orphicis capitula quinque p. 38. 110 1) S n d e n b e k e n n t n i s : vgl. Maspero, Bibliotheque Egyptol. II 469 ff. Zwei Punkte des Bekenntnisses, Z. 18—19, habe ich aus Brugsch, Steininschrift und Bibelwort S. 253/4 hinzugef gt, eine nach Versicherung von Sachkundigen v llig statthafte Kontamination, da das negative S ndenbekenntnis in verschiedenen Texten mannigfache Varianten aufweist. ber dieses vgl. jetzt auch Maspero in seiner Histoire ancienne etc. p. 191. 111 1) P l a t o n s W o r t : Timaeus p. 22 B. 112 1) A b s c h e u vor B l u t v e r g i e e n : vgl. Aristoph. Fr sche 1032: Όρφευς μεν γαρ τελετάς θ' ήμΐν κατέδειξε φόνων τ' ά-έχεσθαί

[FVS. 66 Α 11].

2) Zu D i k e und N o m o s vgl. die Orphica mehrfach, vor allem Frg. 33; 125,1; 126 Abel [vgl. FVS. 66 B 14], 113 1) Freilich hatten (nach Herodot V 67) schon in dem Kult dieses Adrastos gerade auch seine „Leiden" eine bedeutsame Rolle gespielt. 114 1) V e r f a s s e r a l t o r p h i s c h e r G e d i c h t e : vgl. Rohde, Psyche

Ha ice [und FVS. 5 und 66 A 1]. 115 1) S o n n e n s t u b c h e n nach Aristot.de anima I 2 [FVS. 45 B 40]. 2) H i n n e i g u n g zum M o n o t h e i s m u s nach Cicero, de deorum natura I 27 [und FVS. 29, 6]. 3) D u a l i s m u s nach Aetius bei Stob us, Eklogen 1 1 = Doxogr. Gr. 302 [FVS. 45 B 14—15]. 4 ) A t m u n g d e r W e l t : Aristot. Phys. IV 6 p. 213* 22 [FVS. 45 B 30], wo ich αυτό lese und πνεύματος (wie auch Chaignet zweifelnd vorschlug) tilge. — W e l t e n t s t e h u n g : Aristot. Metaphys. XIV 3 p. 1091» 13 [FVS. 45 B 26]; vgL Stob. Eel. I 21,8 (I 189. 7 W.) [FVS. 32 B 7]. 5) u e r u n g des E u d e m o s : [Frg. 51] p. 73/4 Spengel [FVS. 45 B 34]. Dieselbe Lehre ist neuerlich wieder vorgebracht worden von Blanqui, Le Bon und vornehmlich von Nietzsche.

Zu Buch I, Kap. 5, S. 118—122

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118 1) ber das W e l t j a h r der B a b y l o n i e r vgl. LenormantBabelon, Histoire de l'Orient V9 175. Einigerma en verschieden Berossus bei Syncellus (C. M ller Fragm. hist. Gr. II 498 f.) 2) P e r i o d i s c h e V e r b r e n n u n g e n und berflutungen. Vgl. Seneca quaest. nat. III 29, desgl. Censorinus de die nat 18, 11. ber den ganzen Gegenstand vgl. jetzt J. Bidez: Berose et la grande annee in den Melanges Paul Fredericq, Br ssel 1904. 3) „ D o p p e l t e s V e r d e r b e n . " Vgl. Doxogr. Gr. 333, 7 fi. [FVS. 32 A 18]. 4) Die hier bek mpfte Meinung ist diejenige Zellers, Philos. d. Gr. I 8 443 [= I e 550]: „Wenn die Gestirne wieder den gleichen Stand haben wie fr her, soll auch alles andere in denselben Zustand zur ckkehren und mithin auch die gleichen Personen unter den gleichen Umst nden wie ehedem vorhanden sein." 119 1) T h e o p h r a s t . Vgl. Engelbrecht im „Eranos Vindobonensis" S. 129. Die Kenntnis einzelner S tze der babylonischen Astronomie mag man den Pythagoreern zuschreiben, gleichwie Heraklit mit der astrologischen Grundlehre bekannt war, was eben Engelbrecht a. a. O. S. 126 erwiesen hat. Es ist jedoch ein gar weiter Weg von hier bis zu der Annahme, da altgriechische Philosophen, da insbesondere die Pythagoreer oder ein irgend namhafter Teil derselben in einer Fundamentalfrage, die mit der gesamten Weltauffassung aufs engste zusammenh ngt, den Babyloniern einfach Gefolgschaft geleistet oder vielmehr deren astrologisches System bis in seine u ersten Konsequenzen verfolgt und weiter ausgebildet haben sollten. Man darf hinzuf gen, da eben Eudemos, der gelegentlich Religionslehren der Ph nizier und der (zoroasIrischen) Magier ber hrt ([Frg. 117] p. 171 Spengel), ganz der Mann dazu gewesen w re, solch einen Zusammenhang zu kennen und anzudeuten. 121 1) H i p p a s o s von Metapont. Vgl. Aristot. Metaphys. I 3 und Theophrast, Doxogr. Gr. 475/6, auch Aetius ebd. 283/4 [FVS. 12 A 5 und 8 A 7]. 122 1) Vgl. zu diesem ganzen Abschnitt die Sammlung und Er rterung der Bruchst cke in der in Wittenberg 1893 erschienenen Beilage zum Programm des dortigen Gymnasiums: A l k m a e o n von K r o t o n von Julius Sander. Desgleichen Wachtier, De Alcmaeone Crotoniata [1896 und jetzt FVS. 14]. Gewisserma en wieder entdeckt ward Alkmeon und seine Bedeutung durch Philippson in seinem Buche "Υλη άν^ρω^ίνη, Berlin 1831. Man beachte z. B., was er S. 20/1 ber eine von allen Fr heren bersehene Theophrast-Stelle bemerkt. — Ich schreibe den Namen des Krotoniaten Alkmeon, weil diese Namensform die durch die Inschriften allein bezeugte ist (' Αλκμέων, nicht Άλχμα(ων). Vgl. Naucks Tragiker-Fragmeate2 p. 379. Das Pro mium seines Buches bei Laert. Diog. VIII 83 [FVS. 14 B 1]. Ich habe die Schlu worte bersetzt, als ob nicht ως δ' άνθρώποις τεκμαίρεσαι, was mir unm glich scheint, sondern ως δ' ίνθρωπον τεκμαίρεσθαι geschrieben st nde. Nachfolgen mochte etwa ein S tzchen wie έχει που ώδε. 2) G e h i r n das Z e n t r a l o r g a n nach Theopr. de sensibus § 26 = Doxogr. Gr. 507 [FVS. 14 A 5]. 3) [Chalcid. in Tin. 279 Wrobel = FVS. 14 A 10]. 29*

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Zu Buch I, Kap. 5, 8. 123—125

123 1) Die M e i n u n g , da d e r m n n l i c h e S a m e aus dem R c k e n m a r k s t a m m e , ist nicht nur griechisch, sondern auch indisch und persisch, vgl. Darmesteter, Sacred books of the East. IV 1641. 2) L e h r e v o n d e r G e s u n d h e i t u n d d e r K r a n k h e i t : vgl. Doxogr. Gr. 442 [FVS. 14 B 4], Dazu die vielumstrittene Lehre von den Gegens tzen nach Aristot. Metaphys. I 5 [FVS. 14 A 3]. 3) Die Ankl nge bei G e b e r entnehme ich Berthelots Aufsatz in der Revue des deux mondes 1893 S. 551: Quand il y a equilibre entre leurs natures (es ist von den vier Elementen und den vier Grundeigenschaften des Warmen und Kalten, des Trockenen und Feuchten die Rede), les choses deviennent inalterables . . . Tel est encore le principe de l'art medical, applique la guerison des maladies." Berthelot erkennt hier griechische Einfl sse an, ohne eben an Alkmeon zu erinnern. Allerdings hat Alkmeon die vier hier erw hnten Grundqualit ten nicht als einzige namhaft gemacht. Doch treten sie schon bei Aristoteles in einem Zusammenhang, der die Beeinflussung durch Alkmeon klar erkennen l t, ausschlie lich hervor (vgl. Sander a. a. O. S. 31). Desgleichen in der Schrift des Polybos, De natura hominis [3—4] (Oeuvres d'Hippocrate VI 38 Littre). Am unverkennbarsten scheint hier die Einwirkung Alkmeons [c. 2] p. 36: πολλά γα'ρ εστίν εν τφ σώματι ένεόντα, 3 δκπ' αλλήλων παρά φύσιν θερμαίνηταί τε καΐ ψύχηται καΐ ξηρα(νηταί τε καΐ ί>γραίντ/ται, νούσους τίκτει. Da Alkmeon ein Vorl ufer des Hippokrates ist, hat schon Littre (I 562) klar erkannt. 4) Alkmeons Einzellehren ber die Sinne bei Theophrast a. a. O., dann bei Aetius und Areios Didymos in Doxogr. Gr. 223, 404 und 406 f. [FVS. 14 A 5—6; A 8—10]. Dazu kommen treffende Bemerkungen von Diels, Gorgias und Empedokles, Berliner Sitzungsberichte, April, 1884 S. 11/2 und Hermes XXVIII 421 A. 2, wo brigens der Verweis auf Aristoteles de generat. animal. II 6, 744» 7 (statt 363« 7) zu lauten hat. Sehr merkw rdig ist (worauf mich Kollege B hler aufmerksam gemacht hat) die bereinstimmung der Sehtheorie des Alkmeon mit jener indischen, die am vollst ndigsten in der NyayaVa seshika -Lehre ausgearbeitet ist. Darnach besteht das Sehorgan aus „F e u e r"; dieses vereinigt sich mit dem Objekte und nimmt dessen Gestalt an. Der so erzeugte Eindruck wird vom „inneren Organe", dem manas, aufgenommen und dem atman, der eigentlichen Seele, zugetragen. 124 1) P s y c h o l o g i e des Alkmeon, nach Theophrast a. a. O. § 25 = Doxogr. Gr. 506 [FVS. 14 A 5], erg nzt durch Platons Ph don %b [FVS. 14 A 11], auch Ph dros 249b. Ober die Nachwirkung bei Aristoteles vgl. (nach Hirzels Vorgang) Sander a. a. O. S. 25/6, insbesondere mit R cksicht auf Analytica post. II 19 [100» 3 ff.]. 2) den Beweis f r die U n s t e r b l i c h k e i t s. bei Aristot. de anima I 2 [FVS. 14 A 12]. 125 1) Platon: im Ph dros 245°. 2) Die B e w e i s f h r u n g f r die V e r g n g l i c h k e i t des K rpers bei Aristot. probl. 17, 3 [FVS. 14 B 2]. Von Alkmeons Erkl rung des Schlafes und des Todes durch das teilweise, bez. vollst ndige Zur ckweichen des Blutes (offenbar aus dem Zentralorgan, vgl. Doxogr. 435, 11 ff. [FVS. 14 A 18]) bemerkt Jules Soury: La theorie du sommeil et de la mort d'Alcmeon, une des plus anciennes sans doute, est encore aujourd'hui, sous la forme de

Zu Buch II, Kap. l, S. 129

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Panemie cerebrale, la plus repandue (Le Systeme nerveux central. Structure et functions, histoire critique des theories et des doctrines, Paris 1899, I p. 5). Zum zweiten Buch. Das Moto entnehme ich Helmholtz, Das Denken in der Medizin (Vorträge u. Reden II 189).

Zu Buch II, Kap. 1. 129 1) Die Überreste der Schriften der Eleaten findet man vereinigt bei Mullach, Aristotelis de Melisso Xenophane et Gorgia disputationes cum Eleaticorum philosophorum fragmentis etc., Berlin 1845. Jenes angeblich aristotelische Buch (neu herausgegeben von O. Apelt, Teubner 1888, in dem Sammelband Aristotelis quae feruntur de plantis etc., seither von Diels in den Abhdlgn. d. Berl. Akademie 1900) — ist das Werk eines späten, in manchen Punkten schlecht unterrichteten Peripatetikers, was nach langen Verhandlungen der Gelehrten endlich feststeht. Die Schrift auch nur für das Werk Theophrasts zu halten, dem die vatikanische Handschrift sie beilegt, und dem auch der sonst so wohlunterrichtete Simplicius, Phys. 22, 26 D., sie zuerkannt zu haben scheint, ist insbesondere wegen der darin enthaltenen Angaben über Anaximander (975b 21 [FVS. 20 A 5], vgl. auch das verkehrte ebd. Z 16) ganz und gar unmöglich. Ergänzungen zu Mullachs Fragmentsammlung (in der Zenon nicht vertreten ist), soweit Xenophanes in Betracht kommt, bei Ferdinand Dümmler (Rhein. Mus. XLII S. 139/40 = Kl. Sehr. II 482 f.) und N. Bach (Jahrb. f. wiss. Kritik 1831, I 480). Vgl. auch des Verfs. Beiträge zur Kritik u. Erklärung griech. Schriftsteller III (Wiener Sitzungsber. 1875 S. 570 ff.). Des Xenophanes, Parmenides und Empedokles literarische Überreste hat Karsten gesammelt und erläutert in seinem Werke: Philosophorum Graecorum veterum . . . operum reliquae, Amsterdam 1830—38; neuerlich, 1901, Diels: Poetarum philosophorum fragmenta (vorher: Parmenides' Lehrgedicht griech. u. deutsch 1897). Die wenig zahlreichen Bruchstücke des Xenophanes jetzt Vorsokratiker S. 44—52 [11 B]. X e n o p h a n e s . H a u p t q u e l l e n : Laert Diog. K 18 ff. [FVS. 11 A 1], ferner Aristoteles, Clemens von Alexandrien, Sextus Empiricus. In der C h r o n o l o g i e des Xenophanes ist von den Selbstzeugnissen, welche die Fragmente enthalten, in zweiter Reihe von der Tatsache auszugehen, daß er des Pythagoras und seiner wieder Heraklit gedacht hat. Er verließ fünfundzwanzigjährig die Heimat (Frg. 24 [FVS. 11 B 8]); die Auswanderung mochte sehr wohl durch die persische Eroberung (545 vor Chr. Geb.) veranlaßt sein, zumal aus dem Frag. 17 [FVS. 11 B 22] nahezu sicher erhellt, daß sie jedenfalls nicht v o r diesem Zeitpunkt erfolgt ist. Ist diese Kombination richtig, so war er 570 geboren und da er nach dem Ausweis von Frg. 24 mindestens ein Alter von 92, nach Censorinus de die natali 15, 3 [FVS. 11 A 7] von mehr als 100 Jahren erreicht hat, so läßt sich auch die Angabe des Geschichtschreibers Timaeos (bei Clemens Alexandr. Stromat. [I 64] 353 Pott. [= II 40, 20 St.; FVS. 11 A 8], Xenoph. habe zur Zeit Hierons I. (478—467) gelebt, aufrechterhalten. 2) Der ä r m l i c h e R h a p s o d e . Seine Dürftigkeit bezeugt das Apophthegma im Gnomolog. Paris, ed. Sternbach, Krakau 1895, No. 160 wo

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Zu Buch II, Kap. l, S. 130—134

Xenophanes aui die Frage des Hieron, wie viele Sklaven er besitze, antwortet: „Zwei, und auch diese kann ich kaum erhalten." [Vgl. FVS. 11 A 11.] Solch eine Anekdote w re nicht in Umlauf gekommen, wenn er zu den reichlich honorierten Vertretern des Rhapsodenberufes gez hlt h tte. Vgl. auch Frg. 22 = Vorsokratiker 47, 10 ff. [11 B 6]. — Die Schilderung der rtlichkeit beruht auf pers nlicher Anschauung des Verfassers. — Der „ e i n s a m r a g e n d e T u r m " hei t Torre di Velia uad stammt nicht aus dem Altertum. 130 1) [Zum Folgenden vgl. FVS. 11 B 11; B 15; B 2]. 2) Den hier ausgef hrten Gedanken verdankt der Verfasser einem mit Hermann Usener zur Zeit des Wiener Philologentages (Mai 1893) gepflogenen Gespr che. 131 1) [FVS. 11 A 13]. 132 1) A r i s t o t e l e s : Metaphys. I 5 [FVS. 11 A 30] und dazu Timon bei Sextus Hypotyp. Pyrrhon. I 224 [FVS. 11 A 35; die Theologie des Xenophanes 11 B 23—26]. 133 1) Xenophanes hat vordem als der lteste griechische Monotheist gegolten. Die entscheidenden Argumente dagegen hat Freudenthal in seiner Schrift „ ber die Theologie des Xenophanes", Breslau 1886, der unsere Darstellung viel verdankt, vorgebracht und siegreich erh rtet, wenngleich Zeller das Verdienst besitzt, manche schw chere Beweisgr nde Freudenthals (vgl. Deutsche Literaturzeitung vom 13. Nov. 1886 und Archiv II l ff.) beseitigt zu haben. — N a c h b i l d u n g des E u r i p i d e s : Hercules 1343 [FVS. 11 C 1] verglichen mit Pseudo-Plutarch Stromat. bei Euseb. Praep. evang. I 8, 4 [FVS. 11 A 32]. Ausschlaggebend gegen den vermeintlichen Monotheismus des Xenophanes ist schon der eine Vers: ε!ς θεός £ν τε θεοΰκ χαΐ άν$ρώπ πολλά είναι < και τραχέα > καϊ τον αυτόν < χυλόν μετ > έχειν λείου κοί τραχέος -/.τέ).

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Zu Buch ΠΙ

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Ka

l>· 2> s· 294—297

294 1) Die Anf hrungen aus Ernst Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung7 [Kap. IV 4, 9] S. 467. 2) ber die theologischen Lehren Demokrits handelt vornehmlich Sext. Emp. adv. math. IX l 19 u. 24 [FVS. 55 B 166; A 75]; auch Tertullian Ad nation. II 2 [FVS. 55 A 74], von Zeller gewi mit Recht zusammengestellt mit Eustathios zu Odyssee XII 63 [bzw. 65; FVS. 55 B 25]. Bemerkenswert ist seine rationalisierende Erkl rung der Eingeweideschau Cicero de divinat. II 30 [vgl. FVS. 55 A 138], die k rzlich Ihering, Vorgesch. d. Indoeurop er 448 geradezu f r die richtige erkl rt hat. So wenig davon die Rede sein kann, so bezeichnend ist der Erkl rungsversuch f r Demokrit, der auch sonst darauf ausgeht, in religi sem Brauch und Glauben einen realen Untergrund zu finden, und der ebenso G ttererscheinungen wie bedeutungsvolle Traumgesichte nicht f r blo e Fiktionen hielt. Ebenso hat er in den G ttern des Volksglaubens mi verst ndliche und durch Dichterwillk r mi deutete Bezeichnungen der Naturfaktoren und auch moralischer Kr fte erblickt: vgl. Clemens Protrept. VI 68, p. 59 Pott. [= I 52, 16 St.]; auch desselben Stromat. V 103, 709 P. [= II 394, 21 St.; FVS. 55 B 30] (Zur Herstellung der korrupten Worte ist auch Eusebius heranzuziehen: Praep. ev. XIII c. 13 § 27 p. 675», III 332 Gaisf.) und Laert. Diog. IX 46 [FVS. 55 A 33]. „ ber Demokrits D monenglauben" handelt Diels im Archiv VII 154—157. 295 1) Theophrasts Darstellung und Kritik der demokritischen Erkenntnislehre in Doxogr. 513 ff. [FVS. 55 A 135]. ber Demokrits und Leukipps Seelenatome und die Rolle der Atmung vgl. Aristot De anima I 2, 403b 31 ff. [FVS. 54 A 28]. 296 1) Vgl. Doxogr. 390, 19 ff. [FVS. 55 A 117]. Auf die Fortdauer der Allbeseelungstheorie hinzuweisen ist insbesondere darum von Belang, weil die meisten Darsteller die hylozoistische Denkart viel zu fr h, zumeist schon mit Anaxagoras und Empedokles, erl schen lassen. 2) Aristoteles de an. II 7 [FVS. 55 A 122]. 297 1) Diese u erungen verzeichnet Sext. Emp. adv. math. VII 135ff. [FVS. 55 B 9—10]; ferner Laert. Diog. IX 72 [FVS. 55 B 117]. Vortrefflich handelt ber „Demokrits angebliche Leugnung der Sinneswahrheit" neuerlich A. Brieger, Hermes XXXVII 56 ff. Vom h chsten Interesse ist das erst k rzlich im Original uns zug nglich gemachte Bruchst ck Demokrits; vgl. H. Sch ne, Eine Streitschrift Galens gegen die empirischen rzte, Berliner Sitz.-Ber. 1901 LI S. 5. [FVS. 55 B 125]. Hier sprechen die Sinne den Geist an mit den Worten: τάλαινα φρήν, ταρ' τ'μέων λββοΰσα τάς τηχτείς ήμε'ας κ«τα-

βαλλεις: πΐώαα τοι το κ^τα'ίίλτ,αα. Sie werfen damit dem kritischen Geiste vor, da er durch das Verwerfen des Sinnenzeugnisses gleichsam den Ast abs gt, auf dem er sitzt. Demokrits Bild ist der Palaestra entnommen; es wird an zwei Ringer gedacht, von denen der eine den ndern niederwirft, aber zugleich mit ihm zu Boden st rzt. Gern w te man, was Demokrit den Geist antworten lie . Doch schwerlich etwas anderes, als da das Mi trauen gegen die Sinne dort am Platze ist, wo ihre Aussagen sich widersprechen (d. h. inbetreff der sekund ren Eigenschaften), da hingegen ihr bereinstimmendes Zeugnis, so inbetreff des K rperlichen und seiner prim ren oder Grundeigenschaften, unangefochten bleibt und die Grundlage der Erkenntnis ausmacht.

Zu Buch III, Kap. 2—3, S. 208—308

477

298 1) Plut. adv. Col. 4, 1108f [FVS. 55 B 156]. 299 1) [FVS. 55 A 134]. 2) Die Aussprüche über die echte und dunkle Erkenntnis verzeichnet gleichfalls Sext Emp. adv. math. VII 138 f., Vorsokratiker 389, 16 if. [55 B 11]. 301 1) Des Aristoteles kritische Bemerkung liest man Phys. VIII l, 252a—b [vgL FVS. 55 A 65]. Damit vgl. man die diesmal ganz unaristotelisch klingenden Äußerungen Theophrasts über Platon, die Proklos zum Timaeos, p. 176 der Baseler Ausgabe = II 120 Diehl, artführt (auch in Doxogr. 485, 13 ff.). 302 1) Der Vorwurf des Aristoteles Metaphys. I 4 Ende [FVS. 54 A 6. — Briefe Decades' an Mersenne: bes. jene vom 22. Juni 1637 (?), 11. Oktober u. 15. November 1638, Oeuvres ed. Adam et Tannery I 392, II 380 u. 433; vgl. auch die Briefe vom November oder Dezember 1632, April 1634 u. Dezember 1638, Oeuvres I 261, I 287, II 466 und] Dühring, Kritische Gesch. der allg. Prinzipien d. Mechanik 109—112. 2) Die tadelnden Äußerungen des Aristoteles liest man Phys. II 4, 196a 24 ff. [FVS. 55 A 69] und De generat. animal. V. 8, 7891> 2 [vgl. FVS. 55 A 66]. 304 1) Vgl. vor allem Hippolyt I 13 [FVS. 55 A 40], gut verwertet mit dem Bemerken, daß Demokrit „den geozentrischen Standpunkt bereits prinzipiell überwunden" hat, von Löwenheim (Archiv VII 246). 305 1) M e t r o d o r v o n C h i o s; bei Stobaeus eclog. I 4% = I p. 199, l Wachsmuth [FVS. 57 A 6]. 306 1) Über die ethischen Fragmente Demokrits vgl. Lortzings so betiteltes Berl. Gymn.-Progr. 1873; Hirzel, Demokrits Schrift ) ·'- ; (Hermes XIV 354 ff.); Natorp, Die Ethika des Demokritos 1893 (besprochen von Diels in Deutsche Lit.-Zeitung 1893 Nr. 41). Weniges, aber augenscheinlich Echtes bietet über Demokrits Ethik Laert. Diog. IX 45 [FVS. 55 A 1]. Mit „Wohlgemutheit", „Wohlsein" und „Gefaßtheit" habe ich die demokritischen Ausdrücke , . 3; und ^ wiedergegeben. [Der Gedankengang der Schrift über die Wohlgemutheit rekonstruiert nach Hirzel a. a. O.; vgl. FVS. 55 B 174 u. 235, dann B 3, B 189, B 191, B 286 (auch B 223—224, B 245, B 283—285), endlich B 297]. Das S. 306 unten angeführte Bruchstück, erhalten bei Stob. florU. 46, 48 [M. = IV 5, 48 (IV 211) Hense; FVS. 55 B 266], hat der Verf. herzustellen versucht in seinen „Beitr. z. Kritik u. Erklärung griech. Schriftsteller" III 26 (= Wiener Sitz.-Ber. 1876, 586) und seine Herstellung gegen Diels verteidigt Beiträge VIII 22 f. [ebenda 1905].

Zu Buch III, Kap. 3. 308 1) D i o g e n e s von A p o l l o n i a . Über ihn handelt unter Anführung seines Proömiums, im übrigen sehr unzulänglich, Laert. Diog. IX 57 [FVS. 51 A 1]. Die Fragmente bei Schorn (s. zu Anaxagoras) und Fr. Panzerbieter, Diogenes Apolloniates, Leipz. 1830. Jetzt Vorsokratiker 333—340 [51 B]. Ein großes anatomisches" Bruchstück verdanken wir Aristoteles Hist, anim. III, 2, 51 lb 30 ff. [FVS. 51 B 6]. Es handelt über den Verlauf der Adern ohne Unterscheidung von Venen und Arterien und unter Verkennung der zentralen Stellung des Herzens; vgl. Krause, Gnesener Gymn.-Progr. Ostern 1909, Diogenes von Apollonia II S. 12. Über ihn vgl. ferner Chr. Petersen, Hippocratis nomine quae circumferuntur scripta etc. (Hamburger Gymn.-

478

Zu Buch III,

Kap. 3, S. 310—314

Progr. 1839), Diels' fr her erw hnten Vortrag ber Leukipp und Demokrit, dessen Aufsatz „Leukippos und Diog. v. Apoll". (Rhein. Mus. XLII l ff.) und „ ber die Exzerpte von Menons latrika" (Hermes XXVIII 427 ff.). Das Hauptzeugnis jenes Theophrasts: Doxogr. 477, 5 [FVS. 51 A 5. — Zum Folgenden vgl. 51 C l, C 2, C 4; dann B 1—3]. 310 1) ber die Schreibung dieser leicht verderbten Stelle [FVS. 51 B 5] vgl. unsere „Beitr. z. Kritik u. Erkl rung" usw. I 39, Wiener Sitz.-Ber. 1875, 271 [= Hellenika I 204. — Das Folgende nach FVS. 51 B 4; B 7—8]. 311 1) Die „Himmelslehre" (μετεωρολογία) gleichwie die Schrift περί ανθρώπου φύσεως hat Simplicius — dem wir wieder fast alle Bruchst cke verdanken — nicht mehr gesehen, sondern nur in dem Hauptwerk erw hnt gefunden: Phys. p. 151 Diels [FVS. 51 A 4]. 2) Die u erung ber Homer bei Philodem, ber Fr mmigkeit S. 70 meiner Ausgabe [FVS. 51 A 8]. 3) Da von ihm die Stoiker „in ihrer Wahrnehmungslehre und auch in der Embryologie" abh ngen, sucht zu erweisen D mmler, Akademika 113. Ebenderselbe a. a. O. 225 und au er ihm Weygoldt (Archiv I 161 ff.) behandeln des Diogenes Beziehungen zu einigen Schriften der hippokratischen Sammlung. 312 1) Theophrasts [Darstellung] seiner Seelenlehre De sens. 39 ff.; Doxogr. 510 ff. [FVS. 51 A 19; die daran gekn pfte] Kritik [ebenda 46 ff.; Doxogr. 512 f.]. 313 1) Der aus den „Wolken" angef hrte Vers 828 lautet also: Δίνος βασιλεύει τον Δι" έξεληλακώ; [FVS. 51 C 1], wiederholt 1471; au erdem vgl. 380 f. 2) H i p p o n. Die Bruchst cke der ΠανοΊΐται bei Kock, Attic, comic, fragg. I 60 ff. — Das einzige Bruchst ck des Hippon in Les scolies Genevoises de Plliade ed. Nicole (Genf 1891) I 198 vertritt die damals viel verhandelte Meinung, da das Wasser aller Quellen und Brunnen aus dem Meere stamme. VgL dar ber Diels in Berl. Sitz.-Ber. 1891, 575 ff. („ ber die Genfer Fragmente des Xenophanes und Hippon"); jetzt Vorsokratiker 225 f. [26 B 1]. 3) Die u erung des Aristoteles Metaphys. I 3 und De anima I 2 [FVS. 26 A 7; 21 A 4]. Meine Auffassung beruht auf der Kombination des von Aristoteles Met. I 3, vom Kommentator Alexander zu dieser Stelle (p. 21, 17 Bonitz) [= 26, 21 Hayduck; FVS. 26 A 6] und von Hippolyt I 16 (Doxogr. 566, 20) [FVS. 26 A 3] Bemerkten. Des letzteren lehrreiche Mitteilung erlaubt erst, Hippon in die eklektische Bewegung des Zeitalters einzuf gen, w hrend die kahle und allzu knappe u erung des Aristoteles denselben als einen seltsam versp teten Nachz gler des Thaies erscheinen lie . 4) A r c h e l a o s . Vgl. Laert. Diog. II 16—17; ferner Theophrast in Doxogr. 479 f., Aetius (ebend. 280), Hippolyt I 9 (ebend. 563) u. A.; vgl. Vorsokratiker 323—325 [47 A 1—18]. 314 1) Des M e t r o d o r o s allegorische Homererkl rung habe ich auf Grund der kurzen Bemerkung des Lexikographen Hesychios Αγαμέμνων τον αίθέρα Μητροοωρος άλληγορικώς wiedergewonnen aus VolL Hercul. Coll. altera VII 90 (zuerst mitgeteilt in der Wochenschrift „Academy", 15. I. 1873, dann in „Nachlese" S. 14 = Hellenika I 104). Dies und weniges andere Vorsokratiker

Zu Buch

, Kap. 3—4, S. 315—321

479

326 [48, 1—6]. Vgl. auch Nestle, Philologus 1907, 503 ff. und Carolus Reinhardt, De Graecorum theologia capita duo, Berlin 1910, S. 72 und 79. 315 1) Das Wort Renans über Philons Schriftdeutung: Histoire du peuple d'Israel V 349. Über Theagenes und seine Nachfolger vgl. Bergk, Oriech. Lit.Gesch. I 264 u. 891. 2) Des Theagenes Apologie erwähnt ein Scholion zu Ilias XX 67. Er, dessen Blüte (oder Geburt: !) von Tatian adv. Graec. c. 31 in die Zeit des Kambyses, d. h. zwischen 529 und 522, gesetzt wird, stand dem Xenophanes somit zeitlich nicht weniger als örtlich nahe [FVS. 72, 2; 72, 1]. 3) Von Demokrits Anteil an der allegorisierenden Auslegung war bereits die Rede, für Anaxagoras bezeugt dasselbe eine ohne jeden Grund verdächtigte Überlieferung bei Laert. Diog. II 11 [FVS. 46 A 1].

Zu Buch III, Kap. 4. 317 1) Hier und auch im folgenden Kapitel habe ich einiges aus meinem alten Aufsatz „Die griechischen Sophisten" (Deutsche Jahrb. f. Politik u. Literatur, April 1863) teils wörtlich, teils mit manchen Zusätzen und Verbesserungen wiederholt. 318 1) Über das Eindringen f r e m d e r K u l t e vgl. M. Clerc, Les meteques Atheniens (Paris 1893) 118 ff. (Die Fremdenliebe der Athener, auch den Göttern gegenüber: Strabo X 3, 18, p. 471). Vgl. Foucart, Les associations religieuses chez Les Grecs (Paris 1873) 57. 320 1) C h a r o n d a s . Die Frage nach dem Zeitpunkt seines Wirkens zuletzt von Busolt, Griech. Geschichte I 2791 [= P 4267], leider auch nicht in abschließender Weise behandelt. Aristoteles über ihn: Politik II 12. Sein Vormundschaftsgesetz bei Diodor XII 15. 321 1) F a c h s c h r i f t s t e l l e r e i . Die Kochkunst des Mithaikos bei Platon, Gorgias 5181». Aus einem versifizierten Werk dieser Art von Philoxenos dem Leukadier teilt Athenäos I p. 5b einiges mit. Demokrits Bücher über Taktik und Waffenkampf im Schriftenverzeichnis bei Laert. Diog. IX 48 [FVS. 55 A 33]; ebendort seine Schriften über Malerei und über Landwirtschaft angeführt. (Als völlig grundlos gelten mir Gemolls Zweifel an der Echtheit des letztgenannten Werkes, Untersuchungen über die Quellen . . . der Geoponica, Berlin 1883, S. 125.) Des Herodikos von Selymbria Diätetik mehrfach erwähnt von Platon, in den hippokratischen Schriften, bei Galen usw., zuletzt im Londoner Papyrus. Den Simon nennt als seinen Vorgänger Xenophon in der kleinen Schrift . . Ein umfangreiches Bruchstück (bearbeitet von W.. Oder) Rhein. Mus. LI, 67—69. Lasos von Hermione, der am Hof der Peisistratiden lebte, wird von Suidas der älteste Musiktheoretiker genannt. Daß Dämon, dessen Persönlichkeit und Bedeutung allgemein bekannt sind, auch schriftstellerisch über Musik gehandelt hat, scheint mir insbesondere nach den Anführungen bei Philodem (vgl. des Veits Schrift „Zu Philodems Büchern von der Musik", Wien 1885, 10) zweifellos. Büchelers Vorbehalt (Rhein. Mus. XL 309 ff.) kann jenen Stellen gegenüber kaum standhalten. Von Hippias wird später die Rede sein. Über den Maler Agatharchos, der über die Ausschmückung der Bühne geschrieben hat, vgl. Vitruvs Vorrede zum 7. Buche, § 11 [FVS. 46 A 39]; ebend. auch über Anaxagoras. Sophokles hat die Technik des Bühnenwesens vervollkommnet und jedenfalls über den Chor geschrieben

480

Zu Buch III, Kap. 4, S. 322—326

(Suidas s. v.). Über Polyklets Kanon vgl. Galen de Hippocr. et Plat, placitis V, 448 Kühn [= 426 Müller; FVS. 28 A 3]; das einzige kleine Bruchstück in Philons Mechanic, syntaxis ed. Schöne IV, 50, 5 ff. [FVS. 28 B 2]. Eine — wie es scheint, nicht ganz unansehnliche — Bibliothek über die Weissagungskunst wird vom Redner Isokrates or. 19, 5 erwähnt. Über Hippodamos von Milet handelt Aristoteles Pol. II 8 [u. VII 11; FVS. 27, 1—2]. Zur Fachschriftstellerei gehören auch die mathematischen, astronomischen und rhetorischen Handbücher, deren hier nicht besonders Erwähnung geschehen ist. 322 1) Moschion Frgm. 6 in Naucks tragic. Grace, fragg.2 p. 813. Das große Bruchstück des „Sisyphos" des Kritias ebend. 771 [FVS. 81 B 25]. Die Schrift des Protagoras „Über den Urzustand" erwähnt bei Laert. Diog. IX 55 [FVS. 74 A 1]. Die platonische Nachbildung im Dialog Protagoras 320" ff. [FVS. 74 C 1]. 324 1) Georg Forster: in „Cook, der Entdecker", Einleitung, V 67 f. der Ausgabe von Gervinus [Leipzig 1843]. 325 1) Lockes Abhandlungen „Of government" im 4. Bande seiner sämtlichen Schriften [Works, 9"». ed., London 1794]. Hauptstellen [Buch II, Kap. 8, §§ 102, 106, 112] p. 398; 400; 405. [§ 103] p. 398 die merkwürdige Äußerung: „so at best an argument from what has been to what should of right be has no great force". — „Der Naturzustand ist für Locke eine historische Wahrheit. Er hat einmal in einer längst entschwundenen Zeit unter den Menschen wirklich bestanden . . . . Anders Rousseau. Einen Naturzustand, sagt er, hat es nie gegeben. Ein Naturzustand hat nicht einmal vor der Sintflut bestanden. Denn Gott hat schon die ersten Menschen erleuchtet und mit seinen Geboten vertraut gemacht" (Robert Redslob, Die Staatstheorien der französischen Nationalversammlung von 1789, Leipzig 1912, S. 33 f. unter Anführung von Stellen aus dem Discours sur l'inegalite, Introduction [die freilich Rousseaus wahre Meinung kaum treu wiedergeben dürften]). Vgl. auch S. 35: „Nicht der historische Ursprung des Staates soll aufgedeckt werden, sondern sein ethischer Grund." Dazu Anführung aus dem Contrat social [Buch I, Kap. 1]: „Comment ce changement s'est-il fait? Je l'ignore. Qu'est-ce qui peut le rendre legitime? Je crois pouvoir resoudre cette question". — Die Geschichte der Vertragstheorie behandelt in eingehendster Weise Otto Gierke, Johannes Althusius . . .2, Breslau 1902, S. 96 ff. 326 1) Marsilius von Padua: dessen „Defensor pacis" handschriftlich veröffentlicht 1346; abgeschlossen ward jedoch das Buch vor dem 11. Juli 1324, vgl. O. Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen im MittelaLter IP 349. Ein denkwürdiger Satz [Pars I] cap. XII [Ed. princeps, Basel 1522, Fol. e 2, recto]: „Convenerunt enim homines ad civilem communicationem propter commodum et vitae sufficientiam consequendam et opposita declinandum". Ein anderer: „Quia . . . nemo sibi scienter nocet aut vult iniustum, ideoque volunt omnes aut plurimi legem convenientem communi civium conferenti" (im Sinne des griech. = Nutzen). 2) Über die älteren mittelalterlichen Formen der Lehre vom Gesellschaftsvertrag vgl. H. v. Eicken, Gesch. u. System d. mittelalterl. Weltanschauung [Dritter Teil II l, S.] 356 ff. — Wenn noch Friedrich Gentz den Satz niederschrieb: „Der ursprüngliche Vertrag" liegt „einer jeden bürgerlichen Gesellschaft zum Grunde", so hat er ihm doch den Gegen-Satz beigefügt: „Der ur-

Zu Buch 1Π, Kap. 4, S. 327—337

481

spr ngliche Vertrag . . . ward . . . nirgends wirklich geschlossen" (Biesters Berlin. Monatsschrift 1793 II S. 535 ff.). Als der letzte Vertreter der freilich schon eingreifend modifizierten Urvertags-Theorie kann Karl Welcker (t 1869) gelten; vgl. Bluntschli, Gesch. d. allg. Staatsrechts2 S. 538. 327 1) Platon Staat II 358°. — Epikur bei Laert Diog. X 150 und Lucrez V 1017 ff. und 1141 ff. [Da Lucrez hier wirklich auf Demokrit fu t, hat seither sehr wahrscheinlich gemacht K. Reinhardt, Hermes XLV11 (1912), 492 ff.]. 2) J. S. M i l l : Essays on some unsettled questions of political economy, London 1844, S. 157. 328 1) Heraklit ber bios und bios: Frgm. 66 Byw. (= 48 Diels). 329 1) Demokrits Argumente f hrt Proklos an in seinem Kommentar zum platonischen Kratylos p. 6 der Ausgabe von Boissonade [c. 16, p. 6, 20 Pasqu.; FVS. 55 B 26]. 331 1) Epikur: die Hauptstelle bei Laert. Diog. X 75 f. Au er Lucrez V 1026 ff. Bernays und Origines c. Gels. [I 24] p. 18 sq. Spencer [= I 74, 15 Koetsch.] vgl. jetzt vor allem den Stein von Oenoanda in Bull, de corr. hellenique 1897 S. 391 f. [= Frg. X—XI, p. 17 William]. 333 1) Darwin, The expression of the emotions 258 u. 261 f. [= 2 267 u. 270]. 334 1) A r c h e l a o s . Vgl. au er Laert. Diog. II 16 f. auch Hippolyt I 9 (Doxogr. 564, 6 ff.) [FVS. 47 A 1; A 4]. 335 1) Euripides: Frgg. 920 u. 168 Nauck". Alkidamas: Oratores Att. (ed. Turic.) II 154. 2) Bardesanes. Exzerpte bei Euseb. Praep. ev. VI 10 [II 79 ff. Oaistard]. Der syrische Text in Curetons Spicilegium Syriacum. In diese Kategorie geh rt auch das Bruchst ck in „The Flinders Petrie Papyri" I No. 9 (Dublin 1891). 3) Herodot: III 38 (man beachte auch die Beflissenheit, mit der er II 35 den Gegensatz zwischen gyptischen und griechischen Sitten bis ins einzelnste durchf hrt). Eine verwandte, stark ausgesprochene Tendenz beherrscht die Schilderungen des mittelalterlichen Reisenden John de Maundeville. Pindars von Herodot angef hrtes Bruchst ck [Frg. 169] bei Bergk. Poet. lyr. Gr. I4 439. — Die n chste Anf hrung ist den sogenannten, in dortscher Mundart abgefa ten Λι*λέ;ει; entnommen (Opusc. moral, coll. Orelli II 216 = Mullach Fragm. philos. Gr. I 546b, neu herausgegeben von E. Weber in Philol. hist. Beitr ge f r Curt Wachsmuth 53 ff.; jetzt Vorsokratiker 6 W, 24 [81, 2, § 18]). Dazu vgl. Rohde Kleine Schriften I 327 ff. und D mmler, Akademika 250; hierzu meine Bemerkungen in Deutsche Lit.-Zeitg. 1889 Sp. 1340. 336 1) Euripides: Ion 854 ff. und Frgm. 336 Nauck*. — Hippias bei Platon, Protag. 337° [FVS. 79 C 1]. 337 1) Zu dem, was wir ber die innere Verwandtschaft der von Kallikles vertretenen Doktrin mit heraklitischen Gedanken bemerkt haben, stimmt gar wohl der direkte Anklang von Gorgias 490*: πολλάκις άρ, εΤς φρενών μυρίων μη φρονοΰν-ιυν κρίίττων εστί und dann wieder: εί δ εΓς των μυρίων -/ρει'ττων an Heraklit Frg. 113 Β. = 49 D.: εΓ; έμοι μ-iptot, εάν ίριττος f(, ein Anklang, der brigens auch im Altertum nicht unbemerkt geblieben ist, vgl. Olympiodori scholia in Plat. Gorg. p. 267 ed. Jahn in Jahns Jahrb. XIV. Suppl.-Band (Leipzig 1848). Bergks Mutma ung (Gr. Lit.-Gesch. IV 447), Kallikles sei eine durchsichtige Maske f r Charikles, einen namhaften Oligarchen jener Zeit, G o m p e r z , Griechische Denker. I. 4. Aufl.

31

482

Zu Buch III,

Kap. 4, S. 338—340

d rfte schwerlich richtig sein. Die leichte Namensver nderung h tte keinen Zweck erf llt, da daneben eine Anzahl von Angaben ber die Pers nlichkeit des Mannes auftreten (vgl. insbesondere 487C), die, wenn sie auf das Original nicht pa ten, abgeschmackt gewesen w ren und im anderen Falle Platons Absicht vereitelt h tten. Als ein Sophistenhasser erscheint Kallikles Oorg. 520", WO er auf die Frage: οί>·Αθΰν άκοΰεις τοιαύτα λεγόντων των φ α σ χ ό ν τ ω ν π α ι δ ε ύ ε ι ν ά ν ο ρ ώ π ο υ ς είς ά ρ ε τ ή ν ; antwortet: ?γωγε, άλλα τι αν λέγοις α ν θ ρ ώ π ω ν π ε ρ ί οδδενδς αξίων; 338 1) Die Anf hrungen aus dem „Qorgias" beziehen sich auf 483Θ f. und d 492 . Das dazwischen stehende Wort ber die Herrschaft der M chtigeren r hrt von Haller her [Restauration der Staatswissenschaft P 375], gegen den Hegel in seiner Rechtsphilosophie [§ 258] (Ges. Werke VIII 316 ff.) ebenso lebhaft als geistreich polemisiert 339 1) D i a g o r a s von M e l o s . Erhalten sind uns von diesem f nf zwei verschiedenen Dichtungen entnommene Verse bei Philodem ber Fr mmigkeit S. 85 meiner Ausg. [= P. L. Gr. III* 562 Bergk], au erdem ebendort der Titel einer dritten Dichtung. Diese Verse atmen die fr mmste Gesinnung und lassen die Meldung eines Scholions zu Aristoph. W lk. 830, des Sext. Emp. adv. math. IX 53 und des Suidas s. v. glaubhaft erscheinen, ein ungestraft gebliebenes Unrecht, dessen Opfer er war, habe seinen G tter- oder Vorsehungsglauben ersch ttert. Von Prosaschriften werden uns zwei Titel genannt, die άποπυργίζοντες und die Φρΰγιοι λόγοι (Suid., Tatian or. ad Or. cap. 27), die wahrscheinlich dasselbe Werk bezeichnen, in dem er den Mysterienglauben verspottet und die sp ter euhemerislisch genannte historisierende G tterauffassung dargelegt zu haben scheint (n heres bei Lobeck, Aglaoph. 370 f.). Eine pr zise Zeitangabe bietet nur die Meldung Diodors, XIII 6 Ende, die Athener h tten im Jahre 415/4, zur Zeit der gewaltigen Aufregung, die der Hermokopidenfrevel und verwandte Vorg nge erregt haben, einen Preis auf seinen Kopf gesetzt. Dem widerspricht nicht die Andeutung in der Rede des Ps.-Lysias gegen Andokides [c. 17], die nach Bla , Att. Beredsamkeit P 562, im Jahre 399 verfa t ward. Schwieriger ist es, die Anspielung in Aristoph. W lk. 830 damit zusammenreimen, nach welcher die unfromme Gesinnung des Dichters schon im Jahre 423 (oder 418) ein Gegenstand allgemeiner Kenntnis gewesen sein mu . Vollends verwirrend ist die Angabe des Suidas, der seine Bl te in die 78. Olympiade versetzt und ihn zugleich durch den (damals noch ungeborenen!) Demokrit aus der Sklaverei befreit sein l t. Auch Eusebios gew hrt keine Hilfe, da er Diagoras einmal unter die Naturphilosophen rechnet, ein andermal mit dem Lyriker Bakchylides verbindet und seine Bl te dort ia die 75., hier in die 78. Olympiade fallen l t (Chronik II 102f. Sch ne). Der Anekdote bei Cicero De nat. deor. III 89 und bei Laert. Diog. VI 59, der zwischen Diagoras und dem Kyniker Diogenes schwankt, mag ebenso im Vorbergehen gedacht sein wie der spa haften Widerspr che, in welche Cicero sich verwickelt (a. a. O., verglichen mit De nat. deor. I 2 und I 117). Neuerlich behandelt die Zeitfrage v. Wilamowitz (Textgeschichte der griech. Lyriker, Abhdlgn. der G ttinger Gesellsch. d. Wiss. N. Folge IV, 3, 80 ff.). 340 1) Herodot: I 32. Euripides: Frg. 285. Dann Herodot III SO if., Euripides Frg. 810, Schutzflehende 911 ff. und Frg. 1027 Nauck*.

Zv, Buch III, Kap. 4—5, S. 340—343

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2) Der V e r g l e i c h der G e i s t e s b i l d u n g mit dem Feldbau im ps.-hippokratischen Νόμος [c. 3] (IV 640 L.) und Antiphont. Soph. Frg. 134 Bla = Vorsokr. 602, l ff. [80 B 60]. Wie abgegriffene M nzen erscheinen die Begriffe Naturanlage, Unterricht, Erkenntnis, bung bereits bei Thukydides I 121. Die hierher geh rigen u erungen des Protagoras werden uns sp ter besch ftigen. „Bildung" und „Naturanlage" vereinigt auch der Vf. der ps.hippokratischen Schrift „Von der Kunst" [c. 9 Ende], VI 16 L. [= S. 48 Gomp.2]. Ferner vgl. Demokrit (?) Frg. mor. 130 (Mullach; es scheint von Natorp und Diels verworfen zu sein), desgl. 133 Mull. = Vorsokratiker 398, 3 ff. [55 B 33], womit man vergleichen mag Frgm. trag, adesp 516 gleichwie Kritias Frg. 6 Bergk = 616, 16. Vorsokratiker [81 B 9]. Nachkl nge all dieser Er rterungen bei Isokrates Rede 13, 17 f. und bei Plat. Phaedr. 269d. 341 1) P h a l e a s von Chalkedon bei Aristot. Politik II 7 [FVS. 27, 1]. Seine Zeit l t sich mit ann hernder Sicherheit dadurch bestimmen, da er j nger war als Hippodamos (der π ρ ώ τ ο ς των μη πολιτευόμενων ένε/είρησέ τι περί πολιτείας ειπείν της αρίστης a. a. O. c. 8) und doch augenscheinlich lter als Platon. In dem aristotelischen Bericht ber das Staatsideal des H i p p o d a m o s kann ich die Worte ωετο δ' είδη και των νόμων είναι τρία μόνον · περί ων γαρ αϊ δίκαι γίνονται, τρία ταΰτ' είναι τον άριδμόν, δβριν βλάβην θάνατον nur

auf S t r a f g e s e t z e beziehen. Nicht nur weist αϊ δίχαι auf diese Auslegung hin; auch die drei angegebenen Kategorien k nnen lediglich einer Einteilung des Strafrechts zugrunde liegen. Endlich war Hippodamos soweit davon entfernt, die Wohlfahrtsgesetzgebung aufzuheben oder einzuschr nken, da er sie vielmehr ber das gew hnliche Ma hinaus erweitert hat. Und davon abgesehen, wo blieben denn sonst die Verfassungs- und Verwaltungsgesetze? wo das Zivilrecht? In so eingeschr nktem Sinne gebraucht Aristoteles das Wort νόμοι auch dort, wo er Drakon und mit wenig ver nderten Worten Pittakos einen Urheber νόμων αλλ* ου πολιτείας nennt (Pol. II 12, 12741* 15—19). Was jenes μόνον ausschlie en soll, wissen wir nicht; etwa die Bestandteile des Kriminalrechts, bei denen die Verletzten oder auch die Verletzenden andere als menschliche Wesen sind? 2) Die aristophan. Persiflage in den ,Fr schen* v. 892 f.: αίθηρ έμόν βόσκημα κβΐ γλώττης στρόφιγξ | καΐ ζ ό ν ε σ ι χ αϊ μ υ κ τ η ρ ε ς ό σ φ ρ α ν τ ή ρ ι ο ι .

Zu Buch III, Kap. 5. 342 1) Da Gorgias und Hippias bei festlichen Anl ssen den Purpurrock getragen haben, erz hlt Aelian Var. hist XII, 32 [FVS. 76 A 9]. ber das gleichartige Auftreten der Rhapsoden vgl. Platon oder Ps.-Platon im Ion 530*. Mehr" Detail, wenn auch mit l ppischer Begr ndung, gibt Eustathios zur Ilias I Anfg., p. 6, 7. Die Schilderung eines reichgeschm ckten Rhapsoden, freilich aus grauer Vorzeit, bietet Nikolaos Damasc. (Fragm. hist. Gr. III 395, Frg. 62). 2) Zur Aufnahme des Z e i c h e n u n t e r r i c h t s gab der sikyonische Maler Pamphilos den Ansto , der im Plutos des Aristophanes (aufgef hrt 388) v. 385 erw hnt wird. Vgl. Hermann-Bl mner, Privat-Altert mer S. 342 u. 473. 343 1) P r o t a g o r a s von A b d e r a im gleichnamigen platonischen Dialog 318" [FVS. 74 A 5]. Damit vgl. man das sehr hnliche Ziel, das der Redner Isokrates seiner Unterweisung steckt or. 15 § 304 f., auch die Art wie 31*

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ZM Buch HI, Kap. B, S. 344—347

Xenophon wenigstens den Verkehr des Sokrates mit jungen Leuten ansieht (Memor. I 2, 64). 344 1) Freie Darstellung nach Platon im soeben angef hrten Dialog. 346 1) Sch tzbare Zusammenstellungen ber den Gebrauch des Wortes Sophist gab schon im Altertum der Rhetor Aristides [or. 46] II 407 Dindorf [FVS. 73b, 1], Aeschylos und Sophokles gebrauchen das Wort von geschickten Musikern (s. die Belege in den Spezial-W rterb chern), au erdem nennt Aeschylos den Prometheus einen solchen, v. 62 und 943 Kirchho [ = 6 2 und 944 W.], an letzterer Stelle nicht ohne eine gewisse Bitterkeit. Pindar spricht so von Musikern und Dichtern (Isthm. 5, 28). Der Komiker Kratinos befa t alle Dichter, Homer und Hesiod Inbegriffen, unter dieser Bezeichnung (σοφιστών σμήνος: Frg. 2, Att. com. Fragm. I 12 Kock). Bei Athenaeos XIV 621 f. hei en so die Schauspieler des possenhaften Lustspiels. Die sieben Weisen hat der Historiker Androtion Sophisten genannt (Aristid. a. a. O.). So redet auch Herodot implicite wenigtens von Solon I 29, desgleichen von Pythagoras IV 95 [FVS. 4, 2]. Diogenes von Apollonia nannte seine Vorg nger Sophisten nach Simplic. Phys. 151, 26 Diels [FVS. 51 A 4]. Den Gegensatz zum Laien und Alltagsmenschen bildet der Sophist bei Isokrates, Helena 9; vgl. auch Ad Nicocl. 13 und Ad Demonic. 51 (freilich von zweifelhafter Echtheit). In nicht minder ehrenvollem Sinne gebraucht die Benennung Alkidamas sogleich im Eingang seiner Rede „ ber die Sophisten". — Der Volksbeschlu des Diopeithes bei Plutarch, Leben des Perikles cap. 32 [FVS. 46 A 17]. 2) ber Geringsch tzung der Handwerker Herodot II 167. ber das thebanische Ausschlie ungsgesetz Aristot. Polit. III 5 (1278» 25). ber Platons und Aristoteles' Geringsch tzung der Erwerbst tigkeit wird sp ter gehandelt werden. Hier nur ein paar vorl ufige Proben: τους φαύλους τε xort χεφοτέχνας liest man in Platons Staat III 405a; ή δε βελτίστη πόλις ου ποιήσει βάναυσον πολίτην sagt Aristot. Polit. III 5, 1278» 8. 347 1) Zur Verspottung der Redenschreiber vgl. was ber die Verh hnung des Antiphon durch den Komiker Platon [Frg. 103; I 269 Kock] in den pseudoplutarchischen Vit. X orator, l, p. 833« (= II 1015 D bner) und in vagerer Weise von Philostratos, Vit. sophist. I 15, 2 (II 16, 4 Kayser) gemeldet wird. ber Isokrates vgl. Bla , Att. Beredsamkeit II2 14 und, worauf dieser ebd. 21 hinweist, Ps.-Plutarch a. a. O. 4, p. 837b (= 1020, 20 D bn.). Man beachte auch das Behagen, mit welchem des Isokrates Sch ler Theopomp in Photios' Bibliothek cod. 176 p. 120t> 34 Bekk. sich seiner materiellen Unabh ngigkeit r hmt, die ihn davor bewahrt habe, um Lohn Reden schreiben und als Sophist Unterricht erteilen zu m ssen. 2) ber L o r d B y r o n , der Walter Scott verspottete, weil er um Lohn schreibe und „f r seine Brotherren arbeite", vgl. Brandes' Hauptstr mungen usw. IV 190. Was ich ber die Begr nder der Edinburgh Review sage, entnehme ich u erungen Lord Jeffrey's; vgl. Cockburn's Life of Lord Jeffrey I 133, 136 u. II 70 (Edinburg 1852). Allbekannt ist R o u s s e a u s Abneigung gegen das Schriftstellerhandwerk; s. dessen Confessions Buch 9, [Absatz 2]. — „Im 16. Jahrhundert" — so bemerkt Scherer, Poe k 122 (1888) — „waren die Buchh ndlerhonorare noch nicht fest eingef hrt; es war noch zweifelhaft, ob es ehrenvoll sei, ein Honorar anzunehmen."

Zu Buch ΠΙ, Kap. 5, S. 347—349

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Um sich die antike Denkweise zu vergegenw rtigen, vergleiche man das dem Isokrates (a. a. O.) beigelegte Wort ό'τε και ίδών τον μισθόν άρι^μούμενον είπε δάκρυσα; ως „ έ π έ γ ν ω ν έ μ α υ τ ό ν νυν τούτοις πεπ ρ α μ έ ν ο ν " mit Xenophon (Memor. I 2, 6): τους δε λαμβάνοντας της ομιλίας μισίόν ά ν δ ρ α π ο δ ι σ τ ά ς ε α υ τ ώ ν άπεκάλει —. Nicht minder schlagend ist die bereinstimmung zwischen der u erung Platons (Staat IX 590C): βαναυσία τε και χειροτεχνία δια τί, οίει, ό ν ε ι δ ο ς φέρει; und jener Xenophons Cyneg. 13, 8: άρκεϊ έκάστφ σοφιστήν κλη^ήναι ο εστίν ό ν ε ι δ ο ς παρά γε τοις ευ φρονοϋσιν. Aus diesem Gesichtspunkte ist es zu erkl ren, wenn Xenophon Memor. I 6, 13 [FVS. 80 A 3] seine Sophistenmi achtung in den krassen Worten an den Tag legt: καΐ την σοφία ν ωσαύτως τους μεν αργυρίου τψ βουλομένφ π ω λ ο ΰ ν τ α ς (man denke an jenes ίΐεπραμένον des Isokrates!) σοφιστάς ώσπερ πο'ρνους άποκαλοΰσιν, w hrend freilich derselbe Xenophon unter Sophisten wieder die Philosophen schlechtweg versteht Mem. I, 1 11: ό καλούμενος υπό των σοφιστών κόσμος und IV 2, 1: γράμματα πολλά συνειλεγμένον ποιητών τε καΐ σοφιστών των εύδοκιμωτάτων. Und wenig anderes bedeutet es, wenn Platon den auf den Unterricht des Protagoras so eifrig erpichten jungen Hippokrates, „den Sohn eines gro en und reichen Hauses", auf die Frage, ob er wohl selbst Sophist werden wolle, mit einem entschiedenen Verneinen und einem Err ten antworten l t (Protag. 312a). Um hier nicht irre zu gehen, lese man sofort, was Plutarch in der Lebensbeschreibung des Perikles (cap. 2) bemerkt: „Kein wohlveranlagter J ngling wird, weil er den olympischen Zeus oder die argivische Hera gesehen hat, ein Phidias oder Polyklet, oder weil er sich an den Werken eines Anakreon, Philetas oder Archilochos erg tzt hat, einer von diesen zu sein w nschen." 3) Vgl. Platons Gorgias 485^: μετά μειρακίων εν γωνία τριών η τεττάρων ψιθυρίζοντα. Die Worte sind an Sokrates gerichtet, passen aber, wie man l ngst bemerkt hat, ungleich besser als auf diesen auf Platon selbst.

348 1) Auf diese bei der Er rterung der hier verhandelten Frage vernachl ssigte Stelle (Lysis 204») hat J. S. Mill in seiner Besprechung des Groteschen Platonwerkes aufmerksam gemacht. (Dissert, and Discuss. Ill 295 = Ges. Werke XII 46). Im Menon 85b werden die Geometer Sophisten genannt. 2) [Hippias: FVS. 79 A 11—12; C 1. — Prodikos: ebd. 77 A 2; A 13—14]. ber die Geringf gigkeit von Sophisten-Honoraren spottet Platon Apolog. 20b—c, auch Kratyl. 384t> [FVS. 77 A 11]; die H he solcher Entlohnung wird ihnen vorgeworfen ebd. 391b—c [FVS. 74 A 24] und anderw rts. 349 1) Auf die Wandlung in der Gebrauchsweise des Wortes Sophist bei Platon selbst hat zuerst und bisher wohl allein H. Sidgwick (im Journal of philology IV p. 288 ff.) hingewiesen. Dieser wertvolle Aufsatz („The Sophists") bildet wohl die bedeutendste Erg nzung, welche Grotes mehr ber hmte als ernstlich beachtete Behandlung dieses Gegenstandes, die Sidgwick mit Recht α historical discovery of the highest order nennt, bisher gefunden hat. Allerdings wird die Sophistik schon im fr hen Gorgias unter die Schmeichelk nste gereiht; aber dasselbe Los trifft dort auch die Rhetorik mit Inbegriff der gesamten Poesie! Wenn der Euthydem nicht ein Alterswerk Platons ist, so steht er doch an der Spitze jener Dialoge, in welchen Antisthenes und die Megariker die Zielscheibe des Angriffs bilden. In der Stufenleiter der Wesen endlich, welche die Seelenwanderungslehre des nicht allzu sp t verfa ten Phaedros kennt, nimmt der Sophist eine ziemlich tiefe Stelle ein; aber er wird hier mit dem Volksredner

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Zu Buch III,

Kap. 5, S. 300—354

gepaart! Dürfen wir das nicht insgesamt Ausnahmen nennen, welche die Regel bestätigen? 350 1) Die aristotelische Verwendung des Wortes Sophist kann jedermann aus Bonitzens trefflichem Index entnehmen. 351 1) Die Belege für das hier Gesagte bieten Isokrates Philipp. 12, Aristides a. a. O., Polyb. XII 8, Plutarch, Leben Alexanders cap. 28 [FVS. 59 A 4], 53 u. 55, auch „Neue Bruchstücke Epikurs" veröffentlicht vom Verf. in Wiener Sitz.-Ber. 1876 S. 91 f. (7 f. des Sonderdruckes), Lucian de morte Peregrini § 13. — Über den Gebrauch des Wortes Sophist in der römischen Kaiserzeit findet man schätzenswerte Mitteilungen bei Hatch, Griechentum u. Christentum, S. 73 Anm. der deutschen Ausgabe. Ganz ähnlich wie Platon über die großen Honorare der Sophisten spotten Kirchenschriftsteller, zumal Justin und Tatian, über jene der heidnischen Philosophen und Rhetoren ihrer Zeit (s. Renan, Origines du Christianisme VI 483 ff.). 2) Als bedauerlich gilt es mir, daß, nachdem vorzugsweise durch Grotes Bemühen das Wort Sophist eine festbegrenzte Bedeutung gewonnen hatte, nunmehr wieder die vieldeutige Verwendung dieses Ausdrucks namhafte Vertreter findet. So, wenn Kritias nach dem Vorgang des Philostratos unter die Sophisten gereiht wird (von Diels und v. Wilamowitz), desgleichen wenn Euripides und Thukydides Sophisten heißen (vgl. v. Wilamowitz, Aristoteles und Athen. I 175, II 6 u. I 117). Am weitesten geht in der Ausdehnung dieser Begriffe mein geehrter Kollege H. v. Arnim in seinem neuen wertvollen Büchlein „Die politischen Theorien des Altertums" (Wien 1910). „Die Sophistik" — so schreibt er S. 20 — „d. h. die attische Aufklärungsbewegung des 5. Jahrhunderts" usw. Wenn wir das Wort „Sophistik" in diesem vielumfassendem Sinne verwenden, dann müssen, nebenbei bemerkt, außer Thukydides und Euripides auch Anaxagoras und Demokrit zu ihren Vertretern zählen. (Die in dem Worte „attisch" liegende Beschränkung stimmt nicht wohl zu der Tatsache, daß die Hauptfiguren dieses Kreises, ein Protagoras, Hippias, Prodikos, nichtattischen Ursprungs waren.) Wir geben zu bedenken, daß die hier besprochene Ausweitung dieser Bezeichnungen es uns schwer macht, und, wenn sie durchdringen sollte, geradezu unmöglich machen wird, von dem fraglichen geschichtlichen Phänomen, d. h. von der B e r u f s k l a s s e der enzyklopädischen Lehrer jenes Zeitalters, von den ihnen als Berufsgenossen gemeinsamen Eigenschaften, den Bedingungen und Erfolgen ihres Wirkens u. dgl. m. in verständlicher Weise zu handeln, v. Arnim selbst kann nicht umhin, sogleich im nächsten Satze von den „Sophisten" zu sagen, daß sie sich „anheischig machten, ihre Schüler zu Rednern und Staatsmännern zu erziehen". 352 1) Der Schrift „Von der Kunst" hat der Vf. eine umfangreiche Abhandlung gewidmet, die in diesem und dem nächstfolgenden Abschnitt mehrfach verwertet ist (Die Apologie der Heilkunst, Wiener Sitz.-Ber. 1890 No. IX; 2. Aufl. Verlag von Veit & Comp., Leipzig 1910). 354 1) Über P r o d i k o s vgl. man vor allem Welckers durch stoffliche Reichhaltigkeit und durch Unbefangenheit der Auffassung gleich sehr ausgezeichnete Abhandlung „Prodikos von Keos, Vorgänger des Sokrates" (Rhein. Mus. f. Philol. I, wiederabgedruckt in dessen „Kleinen Schriften" II 393 ff.); demnächst Cougnys wertvolle kleine Schrift: De Prodico Ceio, Socratis

Zu Buch III, Kap. 5, S. 356

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magistro et antecessore, Paris 1857. Eigentliche Bruchst cke des Prodikos besitzen wir nicht, da man die drei Sentenzen bei Stobaeus Floril. X 34 u. LXIV 28 Mein. [= III 10, 34 (III p. 416, 13) u. IV 20, 65 (IV p. 468, 9) Hense; letztere = FVS. 77 A 7] und bei Plutarch De sanit. praec. c. 8 [p. 126 [FVS. 77 A 4*>] das im Text Mitgeteilte berliefert. Wie von Aeschines wird Anaxagoras auch vom Geschichtsschreiber Diodor, und zwar in einer ganz tendenzlosen u erung, Sophist genannt XII 39, 2: Άναςοιγόραν τον σοφιστήν, διδάϊκαλον οντά Περικλέους, ως άσεβοΰντα εις τους θεούς έσυκοφάντουν [FVS. 46 Α 17]. ber des Prodikos Einflu auf die Kyniker vgl. au er Welker insbesondere D mmler, Akademika an vielen Stellen. Seine zwei naturphilosophischen Schriften erw hnt mit einer geringf gigen und berdies nicht w rtlichen Mitteilung daraus Galen [De elem. I 9] I 487 K hn [= 54, 21 Helmr.], [De virt. phys. II 9] II 130 K. [= III 195, 17 Helmr.; FVS. 77 B 3—4] und [In Hippocr. de alim. III 17] XV 325 K. Besch ftigung mit der natura rerum wird ihm im Verein mit Protagoras und dem Rhetor Thrasymachos auch zugeschrieben von Civero De orat. III 128 [FVS. 77 B 3]. An Beeinflussung des Thukydides glaubt AntyUos bei Marcellinus in der vit. Thuc. § 36 [FVS. 77 A 9] (vgl. auch Spengel, Artium scriptores p. 53 f.). Die wenigen Worte und S tze, die uns von Prodikos erhalten sind, verzeichnet Diels in den Vorsokratikern 567 ff. [77 B]. 356 1) Euripides: Schutzflehende 196 ff.: — ελεξε γαρ τις, ως τ* χείρον« — τζλείω βροτοίσίν έσ-t των άμεινόναιν. Die tiefe Stimme des Prodikos erw hnt Platon Protag. 316ft, wo auch auf seine Kr nklichkeit angespielt wird [FVS: 77 A 2]. Die ernste Lebensauffassung der Keer deutet Platon an ebd. 341e; anderes bei Welcker, Rh. Mus. I 614. Die Schilderung der Lebens bel und das daran gekn pfte Gleichnis im pseudo-platonischen Axiochos 366° ff. [FVS. 77 B 9]. Zum N chstfolgenden vgl. ebenfalls Axioch. 369^; die verwandte u erung Epikurs bei Laert. Diog. X 125. Hier ist ein Vorbehalt vonn ten. Die zuletzt angef hrten u erungen sind UHS durch den pseudo-platonischen Axiochos vermittelt. Es ist dies ein vergleichsweise sp tes Literaturerzeugnis, ber dessen sprachliche Form K. F. Hermann, Gesch. u. System d. platonischen Philosophie S. 583, noch allzu glimpflich urteilt, wenn er sie zwar unplatonisch, aber gro enteils echt attisch findet. D.as Schriftchen stammt vielmehr aus nachalexandrischer Zeit, wie das geradezu m a s s e n h a f t e Vorkommen unplatonischer und unattischer Wortformen und Konstruktionen kl rlich zu beweisen scheint. Da nun die dem Prodikos dort beigelegten Gedanken zum Teil bei Sp teren (wie bei dem Kyniker Krates, bei Epikur und scheinbar wenigstens auch bei Bion von Borysthenes) wiederkehren, so mag man zuv rderst zweifeln, ob der Autor des Axiochos und diese

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Zu Buch III,

Kap. 5, S. 356

Schriftsteller wirklich aus einer gemeinsamen Quelle oder ob nicht er vielmehr aus ihnen geschöpft habe. Für die letztere Alternative haben sich manche ältere und neue Gelehrte, am entschiedensten und in eingehendster Erörterung kürzlich H. Feddersen (Über den ps.-plat. Dialog Ax., Cuxhavener RealschulProgr. 1895) ausgesprochen. Nach reiflichster Erwägung vermag ich diesem Urteil nicht beizupflichten. Die Möglichkeit freilich, daß der Autor des Axiochos einen oder den anderen Gedanken oder Gedankenspan dem alten Sophisten mit Unrecht beigelegt habe, läßt sich nicht unbedingt ausschließen. Wer jedoch die Hauptstücke: die Durchmusterung der verschiedenen Lebensstufen und den Wucher-Vergleich im Axiochos und dann in seinen vermeintlichen „Quellen" sorgfältig liest und gegeneinander hält, der wird den Eindruck nicht abweisen können, daß die Darstellung im ps.-platonischen Dialog die Merkmale voller Ursprünglichkeit an sich trägt. Dort wird z. B. das sukzessive Erlöschen von Lebensverrichtungen, der dem Gesamttod des Organismus voraneilende Teiltod einzelner Organe gar passend mit Pfändungen verglichen, d. h. mit erzwungenen Teilzahlungen, durch die der ungeduldige Gläubiger sich für die Verzögerung der Gesamtzahlung schadlos hält. Äußerlich ähnlich, aber im Grunde ganz verschieden ist der von Bion herrührende Vergleich der Altersbeschwerden mit den Anstalten, die der Hauseigentümer trifft, um die säumige Mietspartei zum Räumen der Wohnung zu veranlassen, wie Wegnahme der Türe, Verschließung des Brunnens u. dgl. m. Hier wird auf den W i l l e n des Mietsmannes eingewirkt, es wird ihm das fernere Verbleiben unerträglich gemacht. Und da dem rücksichtslosen Verfahren des Vermieters das grausame Vorgehen der Natur entspricht, so muß wie in jenem Falle das V e r l a s s e n der W o h n u n g so in diesem das V e r l a s s e n des L e b e n s in Rede stehen. So ist es in der Tat. Vom S e l b s t m o r d handelt, den Selbstmord empfiehlt im Falle so schwerer Heimsuchung Bion an der beireffenden Stelle (bei Teles [p. 15, 11 Hense], beziehentlich bei Stobaeus Florileg. V 67 Mein. = [III l, 98] III 46, 6 Wachsmuth-Hense). Je geringer wir nun vom Verfasser des Axiochos denken — und von ihm hoch zu denken haben wir nicht den mindesten Anlaß —, um so weniger werden wir es ihm zutrauen, daß er das in seiner Art glänzende Gleichnis des Bion so geschickt umgeprägt und einem wesentlich verschiedenen Zwecke dienstbar gemacht hat. In weitere Einzelheiten einzugehen müssen wir uns hier versagen. Da jedoch die Abfassung des Dialogs, so spät wir sie auch ansetzen mögen, doch fast sicherlich nicht in eine Zeit fällt, in der des Prodikos Schriften, insbesondere die „Hören", an die wir vornehmlich zu denken haben, bereits verschollen waren, so kann mindestens darüber kaum ein Zweifel bestehen, daß was dem Prodikos in den Mund gelegt wird, dem Grundcharakter seiner Lebensansicht wohl entsprach. Es fügt sich in Wahrheit dem Bilde passend ein, das uns der Herakles-Apolog, einzelne platonische Äußerungen und das unverdächtige Zeugnis des, soweit die Sprache ein Urteil gestattet, dem Axiochos an Alter überlegenen Dialogs „Eryxias" vermittelt haben. (Übrigens darf ich mich hier der Übereinstimmung mit Zeller, Phil, der Griech. P, 1124 A. 2 [= I" 13925] erfreuen.) 2) „Herakles am Scheidewege": mitgeteilt von Xenophon Memorab. II l, 21 [FVS. 77 B 2]. Über das schon von Athenäos XII Anfg. [p. 510] als solches erkannte sophokleische Vorbild [Frg. 334] vgl. Nauck, Frag. trag. Gr. * p. 209. Die Nachwirkung des Apologs behandelt sehr eingehend Cougny a. a.

Zu Buch III, Kap. , S. 357—361

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O. 79 ff.; einiges Neue darüber bei Dieterich, Nekyia 191. Unter den „Hören" will Cougny a. a. O. 38 nicht ohne Wahrscheinlichkeit die verschiedenen Lebensalter verstehen. — Lob des Landbaues: ein solches konnte man der Andeutung des Themistios: , or. XXX p. 422 Dindorf [FVS. 77 5] entnehmen. Doch hat dagegen jüngst, vielleicht nicht mit Unrecht, Einsprache erhoben Kalbfleisch in der dem Vf. gewidmeten Festschrift S. 94—96. — 357 1) Die Lehre von den g l e i c h g i l t i g e n D i n g e n wird eingehend dar- und dem Prodikos beigelegt im ps.-platonischen Eryxias [p. 397d; FVS. 77 B 8], womit man vergleiche Platons Euthydem 279 ff. 2) U r s p r u n g des G ö t t e r g l a u b e n s : H a u p t s t e l l e n bei Philodem über Frömmigkeit, 71 und 75 f. meiner Ausg. (meine Restitution jetzt vervollständigt von Diels, Hermes XIII 1; daraus ein Sätzchen bei Cicero de nat deor. I 118) und Sext. Emp. adv. math. IX 18, dazu 39 u. 52 [FVS. 77 B 5]. 3) J. H. Voß, Mythol. Forschungen I 62. 4) Über Persäos vgl. Philodem a. a. O. 5) Über H i p p i a s vgl. die Zusammenstellung bei C. Müller, Fragm. historic. Gr. II 59—63. Den Namen eines Fragmentes verdient nur No. 6 daselbst, überliefert durch Clemens Strom. VI 15, 745 Pott. [= II 434, 19 St.; FVS. 79 B 6], zuletzt behandelt in meinen Beiträgen zur Kritik und Erklärung IV 13 f. (Wiener Sitz.-Ber. 1890 Abh. IV) [= Hellenika I 288 f.]. Die Schilderung der Persönlichkeit bietet der platonische Hippias minor und der vielleicht pseudo-platonische Hippias maior [FVS. 79 A 6—11]; vgl. auch Platons Protag, [bes. 337 ff.; FVS. 79 C 1], ferner Philostr. Vit. sophist. I 11 = II 13 f. Kayser [FVS. 79 A 2]. Über seine Leistungen als Geometer urteilt Tannery, Pour 1'hist. de la science Hell. 247: „Hippias d'Elis fut un mathematicien remarquable." Näheres darüber bei Altaian, Greek geometry etc. 191. 358 1) Über L. B. Alberti vgl. Burckhardt, Cultur der Renaissance I4 152 [= I" 153]. 359 1) Der Zweifel an der Verläßlichkeit des Olympionikenverzeichnisses wird von Plutarch geäußert, Numa c. l [FVS. 79 B 3], dem neuerlich Mahaffy, Problems in Greek history 68 u. 225 ff. zustimmt. [Das Folgende nach FVS. 79 B 4; B 6; B 9; B 2; C 1; A 12; A 9—10]. 360 1) Manche wertvolle Bemerkung über den positiven Gehalt und den weitreichenden Einfluß seiner Lehren bietet Dümmler in den Akademika. Die wenigen kleinen Bruchstücke Vorsokratiker 583 ff. [79 B]. 2) Über A n t i p h o n vgl. vor allem H. S a u p p e, De Antiphonte sophista, Göttinger Univ.-Progr. 1867, dann die Sammlungen der Bruchstücke in den Oratores Attici (ed. Turic.) II 146 ff.; im Anhange zu Blaß, Antiphontis orationes * 130 ff. und Vorsokratiker 591 ff. [80 B]; auch A. Croiset im Annuaire de {'association pour l'encouragement des etudes Grecques 1883, 143 ff. — [Das Folgende nach FVS. 80 B l, wo auch die vom Verf. vorausgesetzte Lesart verzeichnet ist]. Spuren eines naiven Realismus: vgl. des Verfs. „Apologie der Heilkunst"8 S. 20. 361 1) Zur „Kunst der Tröstungen" [FVS. 80 A 6] vgl. Buresch, Consolat. hist, crit p. 72 ff. Über Stil und Inhalt der Schrift „Vom Gemeinsinn" vgl. Philostratos Vit. sophist. I 15, 4 (H 17 Kays.) [FVS. 80 B 44»], über die Schreibart Antiphons überhaupt Hermogenes [de ideis II 11, 7], Rhet. Gr.

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Zu

Buch 111, Kap. 5—6, S. 361—363

415 Spengel [= 412, 8 Rabe; FVS. 80 A 2. Im unmittelbar Folgenden benutzt: FVS. 80 B 52; B 61; B 59]. Dem, was Sauppe über die Beeinflussung des Antiphon durch seine naturphilosophischen Vorgänger bemerkt hat (a. a. O. p. 9 if.), fügen wir noch hinzu, daß uns Frg. 94 Bl. [FVS. 80 B 23] einen Anklang an empedokleische Lehren zu zeigen scheint. Hat nämlich Antiphon die gegenwärtige Weltordnung als die „jetzt herrschende" bezeichnet, so stimmt dies genau zu dem, was sich aus sorgfältiger Erwägung der empedokleischen Überreste ergibt: daß nämlich der jetzige Weltzustand, in welchem die Elemente überwiegend von einander getrennt sind, unter dem Zeichen nicht der „Freundschaft", sondern des in Aufnahme begriffenen „Zwistes" steht. Vergleiche auch Frg. 105 Bl. [FVS. 80 B 32], wo das Meer eine Ausschwitzung genannt wird, mit dem empedokleischen . 165 Stein [FVS. 21 B 55]. Mit wohlberechtigtem Mißtrauen hat schon Sauppe a. a. O. die beiläufige Bemerkung des Origenes behandelt, der Verfasser der habe „die Vorsehung aufgehoben" (adv. Cels. IV c. 25) [FVS. 80 B 12]. Wir pflichten seiner Ansicht, Origenes habe jene Meinung „interpretando et concludendo" aus der Schrift des A. herausgelesen, vollständig bei. Auf Anerkennung der Gottheit weist jedenfalls nicht nur Frg. 108 Bl. [FVS. 80 B 48], sondern auch, wie gleichfalls Sauppe zweifellos richtig erkannt hat, Frg. 80 Bl. [FVS. 80 B 10] hin. Daß die zwei so heterogenen Figuren des Wahrsagers und des agressiven Freigeistes hier in einer Person vereinigt waren, ist, wenn nicht völlig unmöglich, so doch in so hohem Grade unwahrscheinlich, daß jene Meldung weit besser verbürgt sein müßte, um glaubhaft zu scheinen. Die Aufhebung der Vorsehung mochte ein Kirchenschriftsteller in jedem naturphilosophischem Versuch der Welterklärung erblicken, zumal in einem solchen, der nach Art des Empedokles die zweckmäßige Einrichtung der organischen Wesen auf natürliche Ursachen zurückführt. 2) Der Zuwachs an Fragmenten einer Sophistenschrift wird dem Protreptikos des Jamblichos verdankt (ed. Pistelli 95 ff.) [FVS. 82]. Blaß, der die Abfassungszeit und die Eigenart dieser Bruchstücke zum erstenmal erkannt und erwiesen hat (Kieler Festprogramm 1889), glaubte in dem Sophisten Antiphon ihren Verfasser erkannt zu haben. Diese Annahme, die auch ich für begründet hielt, ist seither mehrfach bezweifelt und von einem ehemaligen Schüler, R. Töpfer, auf Grund einer eindringenden sprachlichen Analyse endgiltig beseitigt worden (Arnauer Gymn.-Progr. 1901/2). — [Das Folgende nach FVS. 82, 2, 3 u. 6, 1]. 3) Grotes Ansicht bündig zusammengefaßt von einem Rezensenten (William Smith), dessen „gedrungene Wiedergabe" der Geschichtschreiber Griechenlands selbst billigend anführt (History of Greece VHP 549s; vgl. The personal life of G. G. 231). 362 1) Antiphons Bruchstück über Erziehung: [FVS. 80 B 60]; vgl. Anm. 2 zu S. 342.

Zu Buch III, Kap 6. 363 1) Über P r o t a g o r a s vgl. Laert. Diog. IX 50 f. [FVS. 74 A 1]. Die wenigen uns geretteten Bruchstücke seiner Schriften, sowie die sonstigen Mitteilungen über ihn sind gesammelt und weitläufig besprochen in Johannes Preis Quaestiones Protagoreae, Bonn 1845, und A. J. Vitringas Disquisitio de

Zu, Buch III, Kap. 6, S. 364-365

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Prot. vila et philosophia, Groningen 1852, endlich Vorsokratiker 525 ff. [74]. — Von naturwissenschaftlichen Studien des Prot. sind uns schwache, aber, wie ich meine, nicht unsichere Spuren erhalten. Vgl. Cicero De oratore III 128 [FVS. 77 B 3]; Dionys. ber Isokrates l (p. 536 Reiske = I 55 Usen.-Radermacher); Eupolis in den „Schmeichlern" Fr. 146 und 147 (I 297 Kock) [FVS. 74 A 1; A 11]. Das Schriftenverzeichnis bei Laert. Diog. IX 55 beschr nkt sich nicht nur auf die „erhaltenen" B cher (συ>ζόμενι βιβλία); es fehlt darin sogar das noch von Porphyrios gelesene metaphysische Hauptwerk. — Da er den Thuriern Gesetze gegeben habe, meldet Herakleides Pontikos bei Laert. Diog. IX 50. Die im Text angedeutete Vermutung ber die Art dieser Gesetzgebung habe ich in meines verstorbenen juristischen Kolkgen Franz Hofmann Beitr gen z. Gesch. d. gr. u. r m. Rechts, Wien 1870, S. 93 f. genauer begr ndet. Mir war darin, wie ich jetzt bemerke, M. H. E. Meier, Opusc. I 122, zuvorgekommen. Sch tzbare Bemerkungen ber diese Gesetzgebung bietet A. Menzel, Protagoras als Gesetzgeber von Thurii, Leipzig 1910 [Berichte d. Sachs. Ges. d. Wiss. 62/7]. Da Pr. Thurii pers nlich besucht habe, ist nicht berliefert, darf aber als h chstwahrscheinlich vorausgesetzt werden. ber die Bauanlage der Stadt vgl. Diod. XII 10, ber Hippodamos die Belege bei Schiller, De rebus Thuriorum p. 4 [jetzt FVS. 27, 2—4]. Da Empedokles in Thurii bald nach dessen Gr ndung geweilt hat, meldet Apollodor in noch erhaltenen Versen seiner Chronik: Laert. Diog. VIII 52 [FVS. 21 A 1]. Herodots, den Aristoteles Rhet. III 9 [1409* 27] Thurier nennt, Aufenthalt daselbst ist allbekannt. 364 1) „Gliederung der B rgerschaft", dar ber vgl. Diodor XII 11. — Das Bruchst ck ber Perikles bei Plutarch, Consol. ad ApolJon. 33 [p. 118«] (= 141, 52 D bn.) [FVS. 74 B 9]. 365 1) Der Ankl ger des Pr. ist jetzt mit hoher Wahrscheinlichkeit wiedererkannt worden in einem zu Eleusis aufgefundenen Reiterdenkmal (vgl. Bruckner in Athen. Mitt. XIV 398 ff.; anders Kaibel, Stil u. Text d. κολιτεί* Ά»η·«·*(ων 186). Wird dieser Pythodoros (von Laert. Diog. IX, 54) einer der Vierhundert genannt, so erblicke ich mit manchen Anderen hierin nur eine n here Bezeichnung der Person des Ankl gers, nicht des Zeitpunktes der Anklage. Denn gar gering ist die Wahrscheinlichkeit, da in jener kurzen oligarchischen Zwischenherrschaft (411) die Gerichte fungiert und ein halbes Tausend Heliasten (die, wie der Proze des Sokrates zeigt, bei Asebieklagen erforderliche Zahl) zusammenberufen worden sei. Es stehen aber jener Annahme noch weit gewichtigere Gr nde entgegen. Platon legt dem Protagoras im gleichnamigen Gespr ch 317° [FVS. 74 A 5] die Worte in den Mund: „es ist keiner von euch, dessen Vater ich nicht den Jahren nach sein k nnte". Hierbei mu te Platon, der diesmal die Zeitrechnung zu verwirren nicht den mindesten Anla hatte, zu allermeist an Sokrates denken. Da nun dieser (t 399) kaum — denn die Lesart τ:λείω έβδομήκοντα Apolog. 17d darf wohl als unanfechtbar gelten — nach 471 geboren sein kann, freilich aber a'uch nicht viel fr her, da sonst die Abrundung auf 70 Jahre im Kriton 52« unstatthaft w re: so gelangen wir f r die Geburt des Protag, sp testens auf 485, noch wahrscheinlicher aber auf das unmittelbar oder das n chst vorangehende Jahr. Dazu stimmt auch die thurische Gesetzgebung (443), mit der Pr. (der zu ungef hr 30 Jahren den Sophistenberuf ergriff, vgl. Platon Menon 91« [FVS. 74 A 8]) doch nicht wohl betraut werden

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Zu Buch ΙΠ, Kap. 6, S. 365—368

konnte, ehe er durch eine l ngere Berufst tigkeit ein erhebliches Ansehen erworben hatte. Da nun ApoHodor ihn 70 Jahre alt werden l t (nahe an 70 sagt Platon a. a. O.), so ergibt sich die Notwendigkeit, seinen Tod, der jener Anklage unmittelbar gefolgt sein soll, mehrere, etwa 5—6 Jahre vor 411 anzusetzen. Daraus erw chst uns nun die M glichkeit, einige Verse des euripideischen „Palamedes" (Frg. 588 N2) auf Protagoras zu beziehen. Man hatte in ihnen schon im Altertum mit Rechf eine Anspielung (Laert. Diog. II 44), wenn auch mit Unrecht eine solche auf den Tod des (16 Jahre nach der Auff hrung des Dramas hingerichteten!) Sokrates erkannt. Auch ein anderer Dialektiker, n mlich Zenon, wird mit Palamedes verglichen (von Platon im Phaedr. 261d [FVS. 19 A 13], — weil jener ζανεπιϊ-ήμων war, sagt der Scholiast), und wie naheliegend die Erinnerung an jene mythische Figur bei diesem Anla war, k nnen Xenophons Worte, Mem. IV 2, 33 lehren: τούτον γαρ δη πάντες ΰμνοΰσιν ως δ ί ά σ ο φ ί α ν φ θ ο ν η θ ε ί ς ... άπώλετο. (Zu άηδόνα Μουσών vergleicht nach brieflicher Mitteilung I. Hilberg Philostratos, V. Soph. I 21, 3 u. II 10, 5 = II 29, 20 u. 93, 20 Kayser.) Ob der Dichter auch in seinem Ixion des verstorbenen Freundes gedacht hat (Philochoros bei Laert. Diog. IX 55), steht dahin. 2) Die zwei ersten der auf die E r z i e h u n g bez glichen Bruchst cke s. bei Stob us, Floril. 29, 80 M. = III 29, 80 (III 652) Hense, und Cramer, Anecd. Par. I 171 [FVS. 74 B 10; B 3]; das dritte ist erst k rzlich aus der von Lagarde 1858 ver ffentlichten syrischen bersetzung der ps.plutarchischen Schrift π. ασκήσεως gewonnen worden (B chelcr u. Gildemeister im Rhein. Mus. XXVII 526 ff.) [FVS. 74 B HJ. Durch Diels' G te habe ich Kenntnis von einem neuen auf Erziehung bez glichen angeblichen Bruchst ck des Pr. erlangt, ver ffentlicht in Sachaus Inedita Syriaca praef. V [FVS. 74 B 12]. Der leere Wortprunk dieser Rede l t kaum an Echtheit denken, um so weniger, als ein dort erhaltenes gleichartiges Bruchst ck, das den Namen des Anaxagoras an der Stirn tr gt, dem Klazomenier noch un hnlicher sieht als das erstere dem Abderiten [FVS. 46 B 23]. — ber des Pr. Sprachstudien vgl. Laert. Diog. IX 52 u. 53; ferner Aristot. Poet c. 19, Rhet. III 5, Sophist, elench. c. 14 [FVS. 74 A 27—29] und die Scherze in den „Wolken" des Aristophanes 658 ff. [FVS. 74 C 3. „Sprachrichtigkeit": Phaedr. 267« = FVS. 74 A 26; vgl. die gleichlautende Aufschrift einer demokritischen Schrift FVS. 55 B 20*]. 367 1) ber Pr. als Anh nger der Satzungstheorie vgl. des Verfs. Apologie der Heilkunst2 102 f. 368 1) Den Keim der hier angedeuteten Theorie findet man bei Wilhelm von Humboldt (Lettre M. Abel-Remusat sur la nature des formes grammaticales etc., Paris 1827; Werke VII S. 304 [= Ges. Schriften I 5, 262]): La distinction des genres des mots . . . appartient entierement a la partie imaginative des langues. Entwickelt ward dieser Keim von Jakob Grimm, Deutsche Grammatik, Buch HI, Cap. 6. Vgl. III 344 ff. [= IIP 342 ff.]: „Das grammatische Genus ist demnach eine in der Phantasie der menschlichen Sprache entsprungene Ausdehnung des nat rlichen auf alle und jede Gegenst nde". Von zwei Seiten ist diese Theorie angefochten worden. Die einen wollten in Form-Analogien den einzigen hierbei wirksamen Faktor erblicken; andere glaubten im grammatischen Genus nur eine Unterart einer allgemeineren Unterscheidung zwischen Starkem und Schwachem, T tigem und Leidendem

Zu Buch III, Kap. 6, S. 368-374

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erblicken zu sollen. Eine, soweit der Verfasser zu urleilen vermag, wohlgelungene Verteidigung der Grimmschen Ansicht bietet R the in der Vorrede zur neuen Auflage des III. Bandes der Deutschen Grammatik, p. XXI—XXXI. 2) Die d r e i W o r t e sind ί)ώρας, πόρπας und στύρας 369 1) Vgl. das Schriftenverzeichnis bei Laert. Diog. IX 55. — [Zwei S tze der Schrift „Von der Kunst": c. 5 Ende, S. 42, 8 Gomp.2]. 2) Vgl. Plutarch, Leben d. Perikles c. 36 [FVS. 74 A 10]. Die Quelle, Stesimbrotos ist im n chsten Satze genannt. 370 1) ber Tierprozesse vgl. vor allem Karl von Amira, Tierstrafen und Tierprozesse in den Mitt. d. Inst. f. st. Gesch.-Forschung XII 545 ff., die Zeitschrift „Ausland" 1869, 477 ff., Miklosich, Die Blutrache bei d. Slaven (Aus den Wiener Denkschriften 1887) S. 7, Tylor, Prim. Cult. I 259, Zend-Avesta [Vendid d XIII 5, 31] Sacred books of the East IV 159, Zitelmann in Rhein. Mus. XLI 129 ff., endlich Sorel, Proces contre les animaux etc., Compiegne 1877, p. 16. Das von Usener, G tternamen S. 193, angef hrte Buch, C. d'Addossio, Bestie delinquent!, ist mir unbekannt geblieben. Hegels Bemerkung in seiner Gesch. d. Philosophie II (Werke XIV) S. 29. Die Stelle aus Platons Protagoras liest man 324b. ber Tierprozesse hat j ngst auch E. P. Evans, The criminal prosecution and capital punishment of animals (London 1906) gehandelt.. — Zu S. 370, Z. 17 vgl. Neuf ans de souvenirs d'un ambassadeur I 457. Zu diesem, dem Grafen H bner, sagte der Kaiser Napoleon am 6. Febr. 1856: Dans l'Etat du Pape il se passe des choses incroyables; pres de Bologne un chien est condamne mort. 371 1) Der erste Satz seines G tterbuches bei Laert. Diog. IX 51. 2) Der Wink Lobecks in der „Auswahl aus Lobecks akademischen Reden", herausg. v. A. Lehnerdt, 189: Protagoras wurde „des Atheismus angeklagt, weil er die Erkennbarkeit Gottes durch die Vernunft geleugnet". 372 1) ber seine Art der Honorareinforderung vgl. Plat. Protag. 328b—c [FVS. 74 A 6] und Aristot. Nikom. Ethik IX l [p. 1164» 24] (wo der Eid allerdings nicht erw hnt wird). 2) ber «ίτ,λότηί (Dunkelheit, mangelnde Sinnf lligkeit) vgl. Apol. d. Heilk.2 131 f. So gut als gleichwertig mit άδηλον wird Αφανές gebraucht. 373 1) Renans Worte entnehmen wir seinen „Feuilles detachees" p. XVI f. 2) Die drei Titel der protagoreischen Hauptschrift bei Porphyries (ap. Euseb. Praep. ev. X 3, 25 = II 462 f. Gaisford) [FVS. 74 B 2], bei Platon, The tet 161° und bei Sext. Emp. adv. math. VII 60. Die Hauptstelle angef hrt im The tet 152* [FVS. 74 B 1] und bei Laert. Diog. IX 51. 374 1) Goethes u erung [vom 2. August 1807] bei Riemer, Briefe von und an Goethe, S. 316 [= Biedermann, Goethes Gespr che II1 180]. 2) ber die Deutung des Satzes hat der Verfasser eingehend gehandelt: Apologie der Heilkunst2 22 ff. Seine Vorg nger in der generellen Auffassung des Ausspruchs sind Peipers, Die Erkenntnistheorie Platons S. 44 ff., Laas, Neuere Untersuchungen ber Protagoras (in Vierteljahrschrift f. wissensch. Philosophie VIII 479 ff.) und Halbfa , Die Berichte des Platon und Aristoteles ber Protagoras . . . kritisch untersucht (in Fleckeisens Jahrb., Suppl. XIII, 1832). Des Vf.s Argumente wurden teils verst rkt, teils modifiziert von W. Jerusalem, Zur Deutung des Homo-mensura-Satzes (Eranos Vindobonensis 153 ff.). — [Die Stelle aus der Schrift „Von der Kunst": c. 2 = FVS. 80 B 1].

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Zu Buch III, Kap. 6, S. 377—381

377 1) Aristoteles: nämlich Metaphys. III 2, 997»> 35—998* 4 [FVS. 74 B 7], Die Anführung aus Mill, bezieht sich auf Logic B. II, Kap. 5, § l (Ges. Werke II» 260, vgl. 289 ff.). 2) Sir John Herschel, Essays [London 1857] p. 216; Helmholtz in der Academy vol. I, p. 128 ff. (12. Febr. 1870) und Populäre Aufsätze1, Heft 3, S. 26 [= Vorträge u. Reden II* l ff.]. 378 1) [Theät. 151« ff.; FVS. 74 B 1]. 380 1) „Im Traume": Theätet 201de. — Aus der umfangreichen TheätetLiteratur seien hervorgehoben Schleiermachers Einleitung; Bonitz, Plat. Studien2, insbesondere S. 46—53 [= 3 49—56]; Dümmler, Antisthenica p. 56 ff. (Kl. Sehr. I 59 ff.) und Akademika 174 ff. 381 1) Timon: Frg. 48 [Wachsmuth] (Corpusc. poes. ep. Gr. ludibundae II 163) [= 5 Diels (Poet. Philos. Frgg. 185); FVS. 74 A 12]. 2) Aristoteles: Metaphys. IV 4, 1007*> 22 ff.; IV 5, 1009» 6 ff. [FVS. 74 A 19]; X l, 1053» 35. — Platon Kratyl. 385« f. [FVS. 74 A 13]. Den Sprachkriterien zufolge ist der Kratylos nicht jünger, sondern, wenn auch nur um weniges, älter als der Theätet (vgl. Dittenberger, Hermes XVI 321 ff., und Schanz, ebd. XXI 442 ff.). Man wird schwerlich verfehlen, diesen Sachverhalt gegen die S. 379 f. vorgetragene Auffassung des Theätet ins Feld zu führen. Allein davon abgesehen, daß der wahrscheinlich nicht beträchtliche zeitliche Abstand zwischen den zwei Dialogen die Möglichkeit nicht ausschließt, daß Platon schon mit dem Theätet beschäftigt war, als er den Kratylos veröffentlichte, von dieser und anderen naheliegenden Möglichkeiten abgesehen, behaupte ich ja keineswegs, daß nur die Anlage des Theätet es seinem Vf. gestattete, den Homo-mensura-Satz in der von ihm dort beliebten individualistischen Weise auszulegen. Es war dies der geeignetste Ort hierfür, da diese Auslegung der breit ausgeführten Darlegung der fiktiven protag. Erkenntnislehre den Boden bereiten half. Nichts hinderte aber, dieselbe an irgend einer anderen Stelle, an der nur eben nicht die historische Figur des Prot. in so voller Beleuchtung auftritt, wie es im gleichnamigen Gespräche der Fall ist, vorzubringen und so beiläufig zu erwähnen, wie es eben im Kratylos geschieht. Daß diese Deutung als eine Folgerung aus der in den protagoreischen Worten unmittelbar enthaltenen Aussage: a l l e r W a h r n e h m u n g l i e g t ein W i r k l i c h e s zu G r u n d , abgeleitet werden kann, habe ich ja bereitwillig eingeräumt. Daß die subjektivistische Lehre in jenem Satze unmittelbar enthalten sei, und daß das Absehen des Sophisten auf sie gerichtet war, dies werde ich gleichfalls zugeben, sobald jemand meine Argumente gegen die herkömmliche Auffassung des Satzes widerlegt hat. Dazu hat jedoch keiner meiner Kritiker auch nur einen Versuch gemacht. Im übrigen vgl. man zu dem S. 381 f Gesagten Apol. d. Heilkunst2 162 ff. Höchst bedauerlich ist es, daß uns über die Polemik des Demokrit gegen Protagoras nur eine vereinzelte Notiz bei Sext. Emp. adv. math. VII 389 [FVS. 55 A 114] erhalten ist. Vgl. darüber Apol. d. Heilk.2 164. Hinzuzufügen wäre noch, daß Platon im Euthydem 286° [FVS. 74 A 19], wo er die Lehre (des Antisthenes), es gebe kein , auf Protagoras und „noch Ältere" zurückführt, kaum den Homo-mensura-Satz, der doch immer als durch seine Neuheit verblüffend geschildert wird, im Auge haben kann. Zum Schluß sei noch auf die mit unserer Auffassung nahezu vollständig übereinstimmende Paraphrase des Hermias, Irrisio gent. philos. c. 9, Doxogr.

Zu Buch 111, Kap. 6, S. 383—386

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653 [FVS. 74 A 16] hingewiesen: Πρωταγόρας . . φάσκων * ορός και κρίσις των πραγμάτων ό άνθρωπος, και τα μεν ΰποπ(πτοντα ταΐς αίσοήσεσιν εστίν πράγματα, τα δε μη όποπί-τοντα ουκ εστίν εν τοις είδεσι της ουσίας. Auch dar ber Vgl. ApoL d. Heilk.2 162 f.

383 1) Vgl. Laert. Diog. IX 51; Eurip. Frg. 189 N.»; Isocrat. or. 10 Anfg. Nur Seneca, Epist. moral 88,43 [FVS. 74 A 20] hat den Satz so verstanden, als ob die zwei λο'γοι einander gleichwertig w ren. Dies liegt, wie schon Bernays (Rhein. Mus. VII 467 = Ges. Abh. I 120) erkannt hat, keineswegs im Wortlaut jener u erung. Zu allem berflu geh rt diese Lehre Pyrrhon und Arkesilaos an (vgl. Laert. Diog. IX 61 und Sext. Empir. Pyrrh. hyp. I 10; Euseb. Praep. ev. 14, 4, 15 — III 430 Qaisf.). Zum Folgenden vgl. Diderot, [Entretiens entre d'Alembert et Diderot, gegen Ende,] Oeuvres completes (ed. Assezat) II 120; Bain, J. S. Mill, A criticism p. 104; Mill, Dissert, and. Discuss. Ill 331 (Werke XII 73); Goethe, Gespr che mit Eckermann P 241 [11. April 1827]. 384 1) Aristoxenos: bei Laert. Diog. III 37 [FVS. 74 B 5]; n heres dar ber ApoL'd. Heilkunst2 171 f. 2) Timon: Frg. 10, p. 109 W. [= Frg. 47, p. 196 D.; FVS. 74 A 1]. Zum Folgenden vgl. Simplicius zu Aristot. Phys. VII 5, p. 1108, 18 ff. Diels [FVS. 19 A 29]. 385 1) Wenn Laert. Diog. IX 55 dem Prot. eine τέχνη εριστικών zuschreibt und 51 an den Satz von den δύο λόγοι die Bemerkung kn pft: οΓς καϊ συνηρώτβ, so kann uns weder das eine noch das andere von der protagoreischen Dialektik einen anderen Begriff als jenen geben, der aus der platonischen Darstellung hervorgeht. Da niemand sich selbst jemals Eristiker genannt hat, sondern dies allezeit ein Schm hwort blieb (vgl. z. B. Isocr. or. 10 Anfg.: l περί τάς Ιριδας διατρ(βοντες), so k a n n jener Buchtitel n i c h t von Protag, selbst herr hren. Zeigte aber das Buch — wohl seine τέχνη oder Lehrschrift der Rhetorik — hohes argumentatives Geschick und unterrichtete es in der Kunst, Reden f r und gegen eine These zu halten, so war dies f r unseren Kompilator oder vielmehr f r seine Gew hrsm nner Grund genug, ihm jene Bezeichnung beizulegen. 2) Wenn ich den „Sophistes" einen der „sp testen Dialoge" Platons nenne, so befinde ich mich im Einklang mit der gro en Mehrzahl, der heutigen Platonforscher. Da jedoch ein so bedeutender Kenner wie Zeller diesem Urteile widerstrebt, so w rde ich gewi nicht unterlassen, dasselbe zu begr nden, wenn hierzu nicht ein sp terer Abschnitt dieses Werkes ungleich geeigneter w re. 386 1) Die hier besprochene Stelle des platonischen Sophistes (232 gefallen lassen m ssen. Es ist dies der einzige Punkt, inbetreff dessen ich die in meinem oft genannten Buch enthaltenen Aufstellungen modifizieren zu sollen geglaubt habe. Da der dort aufgef hrte argumentative Bau durch die Entfernung dieser morschen St tze keinen Schaden leidet, ist gleichfalls meine feste Oberzeugung. Vgl. die 2. Auflage der Apologie der Heilkunst (Leipzig 1910), S. 169 f. Von „ A n t i l o g i e n

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£» Sitck III, Kap. 6—7, S. 389—393

gegen die τέχναι im allgemeinen" (Diels, Vorsokratiker2 538 f. [= II3 231 zu Z. 4]) vermag ich im platonischen Texte nichts zu entdecken. Warum ich niemandem weniger als eben dem Protagoras einen Angriff auf die Gesamtheit der K nste zutrauen kann, und wie wenig Einw rfe gegen die einzelnen Werkmeister Zweifel an i'em Best nde der von ihnen vertretenen K nste voraussetzen, dies habe icn an jenem Orte eingehend dargelegt. — [Aus der Schrift „Von der Kunst" zun chst benutzt: c. 8 Schi., c. 9 SchL, c. 9 Anfg., c. 2—3 Anfg.; dann weiterhin: c. 13 (p. 56, 7 Qomp.2), c. 6 SchL, c. 3. — Cabanis: Du degre de certitude de la Medecine, bes. p. 112 f.; 1241; 1601 der Ausgabe Paris, An XI — 1803]. 389 1) Aristoteles: Rhet. II 24 Ende [FVS. 74 A 21]. — Zum Folgenden vgl. Plat. Apol. 23d und Isocr. or. XV 15 u. 30. Vgl. hierzu die vortrefflichen Bemerkungen Grotes, Hist, of Greece VHP 499 f. Den Gebrauch, der gemeiniglich von der aristophanischen Burleske gemacht wird, die den δίκαιο; und den άδικος λόγος redend einf hrt, verurteilen in entscheidender Weise Grotes Worte: „If Aristophanes is a witness against any one, he is a witness against Sakrales, who is the person singled out for attack in the ,Clouds'. But these authors (genannt sind im Texte Ritter und Brandis), not admitting Aristophanes as an evidence against Solcrates whom he does attacf, nevertheless quote him as an evidence against men like Protagoras and Gorgias whom he does not attack."

390 1) Vgl. insbesondere Aristot. Rhet. I l (1355»—b) dann Platon im Gorgias 456d, ferner Sext. Emp. adv. math. II 44, Philodem in seinen rhetorischen Schriften mehrfach IVoll, rhet I 20, 9; 25, 32; 345, 1; II 142, 7 Sudhaus] (die Stellen besprochen vom Vf. in der Zeitschr. f. d. st. Gymn. 1866, S. 697 ff.), desgleichen Chrysipp [Frgg. log. et phys. Nr. 129 (Sto. Vet. Frgg. II 39) Arnim] bei Plutarch De stoic, repugn, c. 10, p. 1037*> = Mor. 126S, 37 ff. D bn., endlich Aristot. Rhet. II 26 Anfg. u. III 18 Ende. 391 1) Aristoteles: Rhet. I Ende; ferner vgl. Anm. l zu S. 372; dann Plat. Protag. 35K 392 1) [Rat des Aristoteles: Poet. c. 17]. Ober des Protag, rhetorischen Unterricht vgl. die Belegstellen bei Frei, Quaest. Protag, p. 150 ff. [Suidas s. v.; Laert. Diog. IX 51 u. 53; FVS. 74 A 3—4; A 7; A 20—21; A 26; B 5—6], Das Gleichnis aus Quintilian Instit oraL II, l, 12.

Zu Buch III, Kap. 7. 393 1) Das Leben des G o r g i a s hatten Hermippos und Klearchos in ihren Lebensbeschreibungen dargestellt (Athen. XI 505

· 7~8> 8· 406—410

Definitionsversuche Demokrits und der Pythagoreer erwähnt Arist. Met. XIII 4,. 1078»> 19 ff. [FVS. 55 A 36]. Vgl. auch Autolycus de sphaera etc. ed. Hultsch, Leipz. 1885, p. 2 u. p. 48 sowie die dem Thaies bei Jamblich. in Nicomachi arithm. introduct. über zugeschriebene Definition der Zahl (p. 10 Pistelli), mit den Bemerkungen von Hultsch, BerL philol. Wochenschr. v. 15. VI. 1895 Sp. 775. [Ethische Difinitionen der Pythagoreer: FVS. 45 B 4]. Über die frühesten Phasen des Betriebs der Geometrie belehrt uns das unschätzbare Bruchstück Eudems (Frgm. coll. Spengel [Nr. 84] p. 113 ff.), desgleichen der älteste uns erhaltene geometrische Beweis (des Hippokrates von Chios, Mitte des 5. Jahrh.) bei Simplic in Phys. 60 ff. Diels [FVS. 30, 3]. Des Qorgias Definition der Rhetorik: Orat. Att. II 130b 18 [vgl. FVS. 76 A 28]. Die Definition der Farbe bei Plato, Meno 76d [FVS. 76 B 4], wo ich gegen Diels, Oorg. u. Emp. 8 (350), der das Verständnis der Definition sonst wesentlich gefördert hat, halten möchte. — Ferner vgl. (nach Hirzel im Hermes X 254 f. und Dümmler, Akademika 33) Plato, Tim. 67° und Phileb. 58» ff. [FVS. 76 A 26], 406 1) Des A l k i d a m a s Rede „Ober die Sophisten" jetzt im Anhang zu Antiphontis orationes2, herausgeg. von Blaß, Leipz. 1881. Seinen erwähnt Laert. Diog. VIII 56. Über P o l o s als Naturkundigen vgl. Plato, Qorg. 465«. 2) Über das Grabmal des Isokrates vgl. Ps.-Plut. Vit X orat. IV [p. 838 7. Das z e h n t e und letzte Buch beginnt mit einer Wendung, deren unvermittelte Schroffheit sofort eine Rechtfertigung erfährt. Der Kampf wider die Poesie als die Erzfeindin der vernunftbegründeten Lebensordnung wird wieder aufgenommen. Er könne jetzt „wirk-

Neuerlicher Angriff

auf die Poesie

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samer" geführt werden, weil die „Einteilung der Seele" und — so dürfen wir hinzufügen — die Darlegung der Ideenlehre vorangegangen ist. Der Poesie werden die übrigen nachahmenden Künste beigesellt. Sie alle bieten nur unvollkommene Spiegelbilder des Wirklichen. Nicht Wahrheit, sondern Schein, und zwar einen Schein, der nicht bloß um eine, sondern um zwei Stufen von der Wahrheit abliegt. Wenn z. B. der Schreiner Tische und Betten anfertigt, so ahmt er damit das Urbild oder die Idee des Tisches und des Bettes nach, die nur einmal vorhanden ist, und von der wir sagen dürfen, daß die Götter sie geschaffen haben. Der Maler, der solch ein Erzeugnis abkonterfeit, liefert somit in Wahrheit nur das Abbild eines Abbildes, und ein gar trügerisches überdies, da der Tisch und das Bett, von der Seite und von vorn, von nah oder von fern angesehen, einen verschiedenen Anblick gewähren. Man möchte glauben, daß die Behandlung der Lust- und Glücksfrage im neunten Buch, die ja ebenfalls Schattenbilder von Schattenbildern erkennen ließ, in Platons Geiste nachklingt. Ihre Schärfe erhält diese die Aufgaben der Kunst und der Wissenschaft unzulänglich scheidende und den Bereich der (bloß als Nachahmung angesehenen) Kunst arg verengende Darstellung vom Vorwalten des e t h i s c h e n Gesichtspunkts. Wogegen Platon vornehmlich ankämpft, das ist die seinem moralischen Ideal widerstrebende, die Sinnlichkeit verklärende, das Gemüt auflockernde Wirkung der schönen Künste, zumal der Poesie, und vor allem der, schon von H o m e r begründeten, tragischen Dichtung. Diese „bewässert und nährt" die Seelenelemente, die es „auszutrocknen" gilt. Die Bitterkeit dieses Angriffs ist größer als die sprichwörtliche des Bürgerkriegs. Platon liegt nicht nur mit seinem Volk, er liegt mit sich selbst im Streit. Ein nahezu unerhörtes Schauspiel, zu dem erst unsere Gegenwart wieder eine überraschende Parallele bietet.1 Der größten Künstler einer, der sich die Kunstliebe mit Gewalt aus dem Herzen reißt! Schmerzerfüllt bekennt er, wie schwer es ihm falle, die von Jugend auf für H o m e r gehegte Verehrung niederzuringen. Aber die Wahrheit fordere Opfer. Mit Staunen gewahren wir übrigens von neuem die Versatilität des platonischen Geistes. Um die Poeten zu erniedrigen, erhöht er die Sophisten. Die Geringschätzung, mit der er dieser Männer sonst gedenkt, sie ist für den Augenblick vergessen. Hätte H o m e r oder H e s i o d — so lautet eines seiner Argumente — seiner Umgebung durch Weisheit so viel zu nützen verstanden wie etwa P r o t a g o r a s oder P r o d i k o s , man hätte sie gleich diesen hoch geehrt und hätte sie nicht als bettelhafte Rhapsoden ihr Leben beschließen lassen. Allein auch sie haben nur „Schattenbilder der Tugend" und in Wirklichkeit nichts als Ergötzung dargeboten. Höher als alle Ergötzung steht jedoch die Lebensführung, das „gewaltige Ringen", von dessen Ausgang es abhängt, ob der Mensch gut wird oder schlecht

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Die „Siegespreise" der Gerechtigkeit

(vgl. S. 267), die Sorge um die Erhaltung der „Staatsordnung in der Seele" — ein Bild, das am Schlüsse des neunten Buches aufgetaucht war und in dieser seiner Fortsetzung mit Vorliebe festgehalten wird. So beglückwünscht sich denn Platon schließlich dazu, die Dichter aus seinem Staate verbannt zu haben. Soll nicht „Lust und Leid" statt der Vernunft und des Gesetzes herrschen, so dürfe wenig mehr als r e l i g i ö s e Poesie geduldet werden, nichts als Hymnen zum Preise der Götter und Lobgesänge zu Ehren trefflicher Männer! Religiöse Gedanken und deren mythische Ausführung bilden auch den Schluß des „Staates".1 Ehe Platon zu diesem gelangt, vollzieht er eine bemerkenswerte Umkehr. Sokrates läßt sich „das Darlehen zurückerstatten", das die Mitunterredner von ihm erborgt hatten — das Zugeständnis nämlich, daß der Gerechte sowohl als der Ungerechte vor Göttern und Menschen verborgen bleibe. Dieser Voraussetzung bedurfte es, um den innerlichen oder Glückswert der Tugend und ihres Gegenteils, abgelöst von allen äußerlichen Zutaten, zu bestimmen, um die Gerechtigkeit an und für sich mit der Ungerechtigkeit an und für sich streng und scharf vergleichen zu können. Doch das Gespräch soll nicht zu Ende gehen, ohne daß dem Gerechten auch die ihm vorerst vorenthaltenen „Siegespreise" zugesprochen werden. Denn wie sollte es geschehen, daß unser Tun in Wahrheit den Göttern verborgen bleibt? Und auch von den Menschen wird der Gerechte zumeist nur zeitweilig verkannt, schließlich aber wird er sowohl wie der Ungerechte je nach ihrem Wert und Unwert richtig beurteilt, dann aber auch belohnt und bestraft werden. Es folgt eine mythische Darstellung, als deren angeblicher Urheber der anderweitig völlig unbekannte Pamphylier Er, der Sohn des A r m e n i o s, genannt wird. Dessen Seele habe, nachdem er den Tod auf dem Schlachtfelde gefunden, dem Totengericht beigewohnt, nach zwölf Tagen aber sei sie wieder in seinen unverwest gebliebenen Körper zurückgekehrt und von den Göttern dazu erkoren worden, den Menschen Kunde zu bringen von den Schicksalen, die ihrer harren. Er hat jene Wiese gesehen, auf der die Wege der vom Himmel Herab- und von der Unterwelt Hinansteigenden sich begegnen; er hat an der Quelle geweilt, aus der die Seelen den Trunk des Vergessens schlürfen; er hat sie auch unter Blitz und Donner, während die Erde bebte, als Sternschnuppen davonfliegen sehen. Er hat es geschaut, wie der Spalt der Unterwelt unter gewaltigem Brüllen sich schloß, wenn die schlimmsten Übeltäter ans Licht zu gelangen strebten. Vor allem war er Zeuge der L e b e n s w a h l , die von den nach „tausendjähriger Wanderung" einer neuen Einkörperung Entgegengehenden getroffen wird. N i c h t d e r D ä m o n (das Lebensschicksal) e r k ü r t s i c h d e n M e n s c h e n , sondern der M e n s c h seinen Dämon. S e i n e W a h l ist

War Platon ein Vorläufer moderner Sozialisten und Kommunisten?

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f r e i . U n s c h u l d i g a n a l l e m Ü b e l i s t d i e G o t t h e i t (vgl. S. 287 und 362). Der finsteren Schilderung der Höllenqualen, der die Schuldigen, vor allem ruchlose Tyrannen, anheimfallen, stehen auch heitere und humorvolle Züge gegenüber. So wählt sich O d y s s e u s , der Hochberühmte, aber Vielgewanderte und Vielgeplagte, für sein nächstes Erdenleben ein bescheidenes, kleinbürgerliches Dasein. Das Ganze ist ein Mischgebilde orphischer und pythagoreischer Mythen. Den letzteren gehört der Übergang von Menschenseelen in Tierkörper, und umgekehrt, an (vgl. S. 326 und 340). Aus Schwänen und anderen tonkundigen Vögeln werden Menschen. Die Seele des Demagogen T h e r s i t e s hingegen nimmt die Gestalt eines Affen an. A i a s und A g a m e m n o n , die so Schweres erduldet, wollen dem Kreis der Menschen entfliehen; der düstere Aias wählt den Leib eines Löwen, der königliche Agamemnon jenen eines Aars. Echt platonisch aber ist die Lehre, die aus all diesen Schaunissen gezogen wird: „eisenfest müsse man an der Meinung festhalten", daß das schlechtere Los dasjenige ist, welches die Seele dazu bringt, ungerecht zu werden. Um alles andere kümmere man sich nicht. An dieser Überzeugung dürfe man selbst in der Unterwelt nicht irre werden und sich auch dort nicht blenden lassen von „Reichtümern und anderen Übeln solcher Art", auf daß man nicht „dem Streben nach Tyrannenherrschaft und ähnlichen Missetaten verfalle, durch die man vieles und unheilbares Übel erzeugt und selbst noch größeres erleidet".1

Dreizehntes Kapitel. Platons Moral-, Staats- und Gesellschafts-Ideal. Ion den zwei Aufschriften des großen Werkes: „Über das Gerechte" und: „Die Staatsverfassung" oder „Der Staat" hat die 'zweite den Sieg davongetragen. Einen stärkeren Eindruck als der ethische hat der sozialpolitische Gehalt der Schöpfung Platons hervorgebracht. Indem auch wir diesen voranstellen, werden wir wenigstens mittelbar der Absicht ihres Urhebers gerecht: wir dringen von der Schale zum Kern seines Ideals vor. Keine Frage wird an den Sachkundigen zurzeit häufiger gerichtet, als die, ob Pläton ein Vorläufer moderner Sozialisten und Kommunisten war. Die Antwort hat zu lauten: j a und n e i n . Neben den in die Augen fallenden Übereinstimmungen gibt es hier Abweichungen der tiefst-

394 In Platans Idealstaat lebt die große Masse in heilsamer

„Knechtschaft"

greifenden Art. Was jene Bewegung für die Gesamtheit des Volkes erstrebt, wird von Platon nur für seinen höheren oder herrschenden, den Krieger- oder Wächterstand, in Aussicht genommen. Für die große Masse, für die Ackerbau und Handwerk treibenden Klassen bleibt mit der herkömmlichen Familienordnung auch die alte Wirtschaftsordnung unverändert bestehen. Ja von einer Emanzipation dieses Standes ist so wenig die Rede, daß er vielmehr den höheren Klassen die Subsistenzmittel zu liefern verpflichtet wird und in ein Verhältnis strengster Abhängigkeit zu ihnen tritt — ein Verhältnis, bei dessen Bezeichnung selbst das Wort „Knechtschaft" nicht gemieden wird, wenngleich damit nur eine der Masse selbst zum Heil gereichende Bevormundung gemeint ist.1 Ein deutliches Bild von der Lage dieser also bevormundeten Klassen wird uns nicht geboten. Platon schweigt, und sein Schweigen ist ein beredtes. Er verliert, wie man richtig bemerkt hat, die unteren Stände im Verlauf der Darstellung ganz und gar aus den Augen; er will, daß sie gut und gerecht regiert werden; im übrigen gewinnen sie ihm so geringen Anteil ab, daß er es vergißt, sich über die Einzelheiten dieser Regierungsweise zu äußern. Nur so viel erfahren wir gelegentlich, daß die Norm strenger Arbeitsteilung auch für die Handarbeiter zu gelten habe, und daß „Reichtum" nicht weniger als „Armut" von ihnen fernzuhalten sei, damit sie weder der Arbeitslust noch der Arbeitskraft verlustig werden.2 Sonst begnügt sich Platon damit, sie mit dem niedrigsten Seelenteile zu vergleichen, es für unmöglich zu erklären, daß sie, sich selbst überlassen, zu einer auch nur für sich selbst heilsamen Lebensführung gelangen könnten, und einmal die Frage zu erörtern, nicht o b , sondern w a r u m sie Geringschätzung verdienen. Diese Geringschätzung floß aus verschiedenen Quellen. Auch der bloße Geburtsstolz und Standeshochmut hat einen Anteil daran. Er bildet nur eine Unterströmung, aber keine unwirksame, in Platons Geiste. Der vielen sein eigenes Geschlecht verherrlichenden Äußerungen, insbesondere im „Charmides", erinnern sich unsere Leser. Die Impietät des zum Ankläger seines Vaters gewordenen E u t h y p h r o n (vgl. S. 283) gilt als um so greller, weil jener den Tod eines bloßen „Taglöhners" verschuldet hatte. Noch mehr befremdet uns eine Stelle des „Gorgias", in der über einen „Mechaniker", der durch die Herstellung von Kriegsmaschinen seine Vaterstadt vor dem drohenden Untergang bewahrt hat, nichtsdestoweniger, eben weil er ein Handwerker ist, mit wegwerfender Mißachtung gesprochen wird.3 Brutales Verfahren gegen Sklaven mißbilligt Platon im „Staat" einmal mit der Begründung, daß der wahrhaft Gebildete sie zu sehr verachte, um sich gegen sie zu erzürnen. Übrigens ist von einem Sklavenstand im Idealstaat nicht ausdrücklich die Rede; nur das Verbot, griechische Kriegsgefangene zu Sklaven zu machen, läßt erkennen, daß Platon in betreff der Barbaren kein derartiges Bedenken hegte. Gehört

Für den Herrenstand gilt die kommunistische Lcbensordnung

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doch jenes Verbot zu einer Reihe völkerrechtlicher Normen, die darin übereinstimmen, daß die damals unter Hellenen üblichen Härten der Kriegführung (Verwüstung des Landes, Niederbrennen der Wohnstätten usw.) lediglich Barbaren gegenüber zur Anwendung kommen sollen. Der Krieg von Hellenen gegen Hellenen solle niemals den Charakter dauernder Feindseligkeit, sondern nur den einer vorübergehenden Züchtigung besitzen, einer Exekution, die lediglich die Schuldigen, nicht die Masse der Bevölkerung trifft. Begründet wird aber die Verachtung der niederen Stände sowohl als der Sklaven vorzugsweise mit ihrem Mangel an Muße und der nur durch diese ermöglichten höheren Geistesbildung. Die letztere — die andauernde Pflege der Musik, der Gymnastik und der Wissenschaften — bildet den eigentlichen Rechtstitel des herrschenden Standes, der hierin einigermaßen an den Orden der Pythagoreer erinnert. Ihren Abschluß erhält die Erziehung der Angehörigen dieses Standes durch die kommunistische Lebensordnung. Kein über das Maß des Unerläßlichen hinausgehender Sonderbesitz wird gestattet. Die Einkünfte sollen den ausreichenden Lebensunterhalt verbürgen, aber keinen Überschuß gewähren. Selbst nicht als Schmuck oder als Geräte soll Gold und Silber in Verwendung stehen. Der Besitz eigenen Landes oder eigener Häuser könnte die Mitglieder des Herrenstandes zwar zu tüchtigen „Haushältern und Landwirten", nicht aber zu guten „Wächtern" machen.1 Es fehlt hierbei nicht jede Anlehnung an geschichtliche Vorbilder. Einen Herrenstand, der nicht nur die Beschäftigung mit Handel und Handwerk, sondern selbst mit dem Ackerbau mied, haben Sparta und Kreta gekannt. Auch A n s ä t z e zu kommunistischer Lebensführung weist Sparta auf, wo es z. B. dem Jäger gestattet war, fremden Vorratskammern seinen Bedarf zu entnehmen — ein Zug, an den die platonische Vorschrift anklingt, die Vorratskammern nicht zu verschließen.2 An -die lakedämonischen und kretischen Männermahle (Syssitien), die das Lagerleben auch im Frieden fortsetzen, brauchen wir kaum zu erinnern. Diese modifiziert Platon in einer Weise, die dem Familienleben vollends den Garaus macht. Selbst während des Bestandes der oben besprochenen Zeitehen ist ein häusliches Zusammenleben so gut als ausgeschlossen. Nicht nur die Kinder fehlen von früh auf dem Elternhause. Auch die Frauen, die an den gemeinsamen Mahlen teilnehmen, und überdies Stellungen im Heere sowohl als in der Beamtenschaft bekleiden, können nicht einmal als zeitweilige Lebensgefährtinnen ihrer Gatten gelten. Welche Beweggründe, so fragt'man sich, haben Platon zu diesen grundstürzenden Neuerungen bestimmt? 2. Einen Teil der Antwort hat er uns selbst geliefert. Er fürchtet, der mit unbeschränkter Macht ausgestattete Herrenstand könnte diese

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Platon befehdet die Individualität

mißbrauchen; seine Mitglieder könnten Hunden gleichen, die sich an der ihrer Hut anvertrauten Herde vergreifen, ja sie könnten aus Hunden. zu Wölfen werden.1 Hier hängt in der Tat alles aufs engste zusammen. Soll die höchste Geistesbildung allein herrschen, ohne irgendeine Kontrolle von Seiten der als zu ihr nicht befähigt erachteten Untertanen und doch ohne irgendwelche Ausbeutung derselben, so müssen anderweitige Bürgschaften für den richtigen Machtgebrauch geschaffen werden, Den Wegfall von Verfassungsschranken sollte der Wegfall all der Antriebe begleiten, deren Zügelung Verfassungsformen dienen. Gemäßigt werden diese Antriebe durch die auf dieses Ziel gerichtete Erziehung, deren Einfluß Platon fast so hoch veranschlagt wie H e l v e t i u s. Es gereicht jedoch seinem gesunden Sinn zur Ehre, daß sein Vertrauen auf diesen Einfluß nicht ins Grenzenlose ging. Er glaubte nicht an die A l l m a c h t der Erziehung. Den ausreichenden Schutz vor Mißbrauch der Herrschaft fand er demgemäß nur in der A b w e s e n h e i t a l l e r S o n d e r i n t e r e s s e n der Herrschenden, in der Beseitigung von Familie und Privateigentum. In dieser Begründung liegt sicherlich ein gut Teil Wahrheit. Daß es nicht die ganze Wahrheit ist, dafür läßt sich ein bündiger Beweis erbringen. In den „Gesetzen" hat Platon dem Absolutismus der philosophischen Herrscher entsagt; er hat sich zu einem Kompromiß bequemt, welches Verfassungsschranken einführt und sogar der Volksmasse einen Anteil an der Regierungsgewalt einräumt. An dem kommunistischen Ideal hält er aber trotzdem, wenngleich er auf seine Verwirklichung verzichtet, unentwegt fest. „Frauengemeinschaft, Kindergemeinschaft, Vermögensgemeinschaft", das erklärt er auch jetzt für das beste. Noch immer ist sein Bemühen darauf gerichtet, „das sogenannte B e s o n d e r e allenthalben aus dem Leben auszumerzen. . . . Loben und tadeln sollen soviel als irgend möglich alle insgesamt dasselbe, sich über dasselbe freuen und grämen". Mit äußerster Emphase wird das „Gemeinleben" verherrlicht — eine Verherrlichung, deren Kehrseite die Forderung bildet, die dem Gemeinleben widerstrebende „Meisterlosigkeit" unter den Menschen, ja selbst unter den Haustieren, auszurotten. Dieses Streben nach „Vereinheitlichung" des Gemeinwesens geht weit über die Absicht hinaus, die Quellen des Unfriedens im öffentlichen Leben zu verstopfen.2 Platon befehdet ganz eigentlich die Individualität, und zwar gleich sehr die Vielartigkeit der Individuen wie die innerliche Mannigfaltigkeit des Einzelnen. Das letztere erhellt aufs deutlichste aus dem Bilde, das er vom „Demokraten", d. h. von seinen athenischen Zeitgenossen, entwirft. „Buntheit" und „Vielgestaltigkeit", das sind die schlimmsten Vorwürfe, die er gegen diesen Menschentypus erhebt, der gleichsam eine „Musterkarte" aller möglichen Seelenverfassungen in sich enthalte (vgl. S. 384).

Demokratie erscheint ihm als Anarchie

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Der „Demokrat" ist — so ungefähr lauten Platons Worte — ein Spielball jeder flüchtigen Laune. Heute schwelgt er in Wein und Tafel· musik, morgen fastet er bei Wasser und Brot. Heute turnt er, daß ihm der Schweiß von der Stirne rinnt, morgen ergibt er sich dem dolce far nie nie. Einmal spielt er sich als Philosoph auf, dann wieder als Staatsmann. Da springt er denn in der Versammlung von seinem Sitz empor und spricht und tut, was ihm durch den Sinn fährt. Sticht ihm der Ruhm eines Generals in die Augen, so wird er zum Strategen; flößt ihm der Gewinn eines Spekulanten Neid ein, so versucht er sich in Geschäften. Kurz, es ist keine Ordnung und keine Zucht in seinem Treiben, und eben darum gilt ihm sein Leben als „so frei, so süß, so selig".1 Wer erkennt hierin nicht das Zerrbild eben der Glanzgestalt, welche die Leichenrede des P e r i k l e s in unvergänglichen Farben geschildert hat (vgl. S. 32)? Der Gegenstand ist derselbe, oder doch nahezu derselbe; einige Schritte ist Athen freilich seither von der errungenen Höhe herabgeglitten; aber was sich weit gründlicher geändert hat, das ist der Standpunkt des Beschauers. Die Vielseitigkeit der Anlagen, die Mannigfaltigkeit ihrer Betätigung, die geniale Eigenart der Individuen — sie sind für Platon nicht vorhanden; in dem, was wir bewundern, erkennt er nur anarchische Regellosigkeit, pfuschendes Halbwissen und dilettantisches Unvermögen. Die Sorge hingegen, welche einige der besten Männer des 19. Jahrhunderts erfüllt hat, die Furcht vor sich immer mehr vergrößernder Entfernung von dem perikle'ischen Ideal, vor der Annäherung an chinesische „Allerweltsgleichheit" — sie ist Platon völlig fremd geblieben.2 Er nimmt in dem Bilde seines Zeitalters nur den Schatten wahr und erstrebt mit allen Kräften seiner heißen Seele die Verwirklichung eines neuen Musterbildes, ohne die Gefahren zu ahnen, welche auch dieses Ideal in seinem Schöße trägt. Auch des Zusammenhanges zwischen Platons ethisch-politischem Ideal und seiner Ideenlehre ist nicht zu vergessen. Jedes Einzelding und Einzelwesen gilt ihm als das unzulängliche Abbild eines vollkommeneren Allgemeinen. Wie konnte ihm da an der Erhaltung des „Besonderen", an der Vervielfältigung der Abarten solcher Unvollkommenheit und damit auch an der Individualität etwas gelegen sein? Ferner erachten wir Modernen individuelle Mannigfaltigkeit auch darum als heilsam, weil mit der Vielartigkeit eingeschlagener Wege die Aussicht auf Fortschritt, auf Erzielung einer uns noch unbekannten Vollkommenheit wächst. Platon hingegen mußte in den individuellen Verschiedenheiten lediglich H e m m n i s s e der Verwirklichung des Ideals erblicken, das ihm als ein endgültiges erscheint und dessen Bild ihm scharf und sicher umrissen vor der Seele steht.

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Aristokratische Elemente in Platans

Lebensauffassung

3. Nicht umsonst sind die „Wächter" halb Philosophen und halb aristokratische Krieger. Jedes dieser seiner Elemente hat dem platonischen Ideal seine Spuren aufgedrückt. Die athenischen Oligarchen, der Kreis, zu welchem Platon und seine Familie gehörten, waren „Lakonerfreunde". Unter den tatsächlich bestehenden Lebensordnungen seiner Zeit und seines Volkes stand die spartanische seinem Herzen am nächsten. Die Ehrfurcht vor dem Alter, die strenge Zucht der Jugend, die hohe Wertschätzung musikalischer, gymnastischer und kriegerischer Bildung, die Verachtung alles Banausischen, alle diese Züge sind dem platonischen und dem spartanischen Ideal gemeinsam. Ein K r i t i a s und ein C h a r m i d e s haben in diesem Betracht wohl nicht anders gedacht und empfunden als ihr der Philosophie ergebener junger Verwandter. Durch seine aristokratische Herkunft bedingt ist auch der starke Akzent, den Platon auf die „Vornehmheit" legt — ein Vorzug, der bei ihm mehrfach unter den Kardinaltugenden erscheint, ohne daß diese seine Stellung begrifflich gerechtfertigt würde. Ebenso zählt das Gegenteil der Vornehmheit, die Kargheit, Kleinlichkeit oder Illiberalität, zu den von Platon am meisten verachteten Eigenschaften.1 Die Überzeugung, daß der Betrieb von Erwerbsgeschäften nicht umhin kann, dieses Laster zu züchten, befestigt das ihm, man möchte sagen, angeborene Widerstreben gegen jede solche Betätigungsweise. Eine Stelle der „Gesetze" ist in dieser Rücksicht gar lehrreich. Sie zeigt einen Anlauf zu billigerer Beurteilung des Handels, zur Anerkennung seiner wohltätigen, wirtschaftliche Gegensätze ausgleichenden Wirksamkeit. Dort wird für einen Augenblick die Voraussetzung aufgestellt, daß die „allerbesten Männer" oder ihnen ebenbürtige Frauen durch eine Schicksalsfügung genötigt wären, das Wirtsgeschäft zu betreiben, dem von langer heißer Wanderung Ermüdeten oder dem in ungastliche Gegenden Verschlagenen die ersehnte Erfrischung und das vermißte Obdach zu bieten. Dann würde sich der Handel in seinem besten Lichte zeigen.2 Allein der Gedanke wird sofort fallen gelassen. Der Glaube, daß derartige Beschäftigungen unedle Gewinnsucht, die Neigung zu Betrug und Übervorteilung hervorrufen, ist zu fest gewurzelt, um jene Voraussetzung nicht als eine „lächerliche" erscheinen zu lassen. S c h i l l e r s Distichen „Der Kaufmann" wäre Platon unverständlich gewesen. Zu dem Ruf nach „Zucht und Ordnung" gesellt sich jener nach „Ebenmaß und Schönheit" (vgl. S. 279 f.). Dieser dringt aus der Seele des schönheitsliebenden Künstlers und zugleich des pythagore'isierenden Philosophen, der die Herrschaft der Regel, der Symmetrie, der Harmonie und des Rhythmus in der Mathematik, in der Akustik und vor allem in der Astronomie kennen und bewundern gelernt hat. Nicht minder heischt der sokratische Moralist, daß dem Gebote der Vernunft, genauer gesprochen: der durch die Vernunft erhärteten Nützlichkeit, im-

Platan und die Utilitarier

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weigerlich Gehorsam geleistet werde. Aus der Verschmelzung dieser Elemente entstand in Platon jenes ihm eigentümliche I d e a l v o n innerer, mit Hingabe an die Wissenschaft gepaarter Ordnung, von Selbstbeherrschung, von Festigkeit, R u h e , F a s s u n g und G e l a s s e n h e i t . Die Sophrosyne steht ihm in Wirklichkeit am höchsten, wenngleich Gerechtigkeit die Einzeltugend ist, welche am häufigsten dazu verwendet wird, die Gesamttugend zu bezeichnen. Die Begriffsbestimmung, die von der Gerechtigkeit gegeben wird, paßt in Wahrheit genauer auf die Sophrosyne. „Gerecht ist jeder von uns — so heißt es an einer Stelle des „Staates" — in dessen Innerem Jegliches das Seine tut."1 Wie nahe berührt sich doch diese mit einer der im „Charmides" vorgebrachten Definitionen der Sophrosyne (vgl. S. 241 und 243 f.). Was uns als Gerechtigkeit dargeboten wird, ist, streng genommen, die V o r b e d i n g u n g der Gerechtigkeit. Aber eben diese ist für Platon wertvoller als das, was durch sie bedingt wird. Ihm hat die Darstellung des Ideals durch die Persönlichk e i t jedes Einzelnen noch mehr bedeutet als dessen Leistung für die Gesellschaft. Die U t i l i t a r i e r nennen Platon mit Stolz einen der Ihrigen. Und sie haben ein Recht dazu. Betont er doch den Nützlichkeitsgrundsatz an entscheidenden Stellen mit einem nicht zu überbietenden Nachdruck. Mit tiefer Befriedigung konnte B e n t h a m s Jünger G r o t e an die Spitze seines Werkes über Platon dessen Ausspruch stellen: „Denn das ist das schönste Wort, das je gesprochen ward und jemals gesprochen werden wird: das Nützliche ist schön, und das Schädliche ist häßlich."2 Um jedoch diesen Satz nicht einseitig auszulegen, muß man ihn durch die sokratisch-platonische Grundlehre von der Nützlichkeit, d. i. der beglückenden Kraft, des Guten oder Schönen ergänzen. Vertieft man sich darein, so gewinnt man einen Augenblick lang den Eindruck, als ob Platons Gedanken sich im Kreise drehten: Das Nützliche ist schön, und dann wieder: Das Schöne ist nützlich! Allein so steht es in Wahrheit nicht. Solange sein Geist sich im Bereiche der Mittel bewegt, ist es Platon mit jener utilitarischen Lehre voller Ernst. Sein oberster Maßstab ist dann die Z w e c k d i e n l i c h k e i t , und einem Einspruch von Seiten des Gefühls ist er, wie wir bald genugsam sehen werden, gar wenig zugänglich. Im Gebiet der Z w e c k e aber (oder, um ganz genau zu sprechen, der Zwecke und der höchsten, ihnen direkt untergeordneten Mittel) kann Platon gar nicht anders, als de-r Stimme seines Gefühls gehorchen. Er so wenig als irgendein anderer Denker. Und nur wenig bedeutet es, ob der eine ein Ideal verkündet, der andere die individuelle oder kollektive Glückseligkeit zum obersten Maßstab erhebt. Denn w a s uns beglückt, das läßt sich nur zum kleinsten Teil durch objektive Kriterien feststellen,

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Die soziale Nützlichkeit und das Ideal

zum weitaus größeren Teil entscheidet darüber ohne jede Möglichkeit einer Berufung das Gefühl. Am Beginne des vierten Buches des „Staates" wird ein Zweifel geäußert, ob das von allen gemeiniglich hochgeschätzten Gütern entblößte Leben der Wächter diese zu beglücken geeignet sei. Dem Zweifel wird, wenn auch nicht ohne einen Vorbehalt („es sollte mich nicht wundern, wenn sie trotz alledem die glückseligsten wären"), stattgegeben, der hierauf gegründete Einwurf aber mit dem Bemerken abgetan, es handle sich nicht darum, diesen e i n e n Stand, sondern den gesamten Staat so glücklich als möglich zu machen. Gegen diese Bemerkung hat schon A r i s t o t e l e s wohlbegründete Einwände erhoben.1 Doch Platon hat uns jeden Zweifel erspart, indem er schon in der Mitte des fünften Buches auf den Gegenstand zurückkommt, jenen Vorbehalt wieder aufnimmt und ihn in der allernachdrücklichsten Weise vertritt. Nachdem er nämlich die Herrlichkeit des Gemeinlebens, das unter den Wächtern bestehen soll und das durch den Wegfall aller dem Mein und Dein entspringenden Zwistigkeiten, Gehässigkeiten, Eifersüchteleien, auch Gewalttaten und Rechtsstreite gekennzeichnet wird (sowie auch durch das Fehlen der Schmeichelei und all der kleineren der Ungleichheit entspringenden Übel), in enthusiastischer Weise gefeiert hat, erklärt er das Leben der Wächter für das a l l e r g l ü c k s e l i g s t e , das es nur geben könne. Der Vergleich der beiden Stellen bedeutet einen lehrreichen Fingerzeig. An der ersten von ihnen erweist Platon dem Prinzip sozialer Nützlichkeit seine ehrlich gemeinte Reverenz; an der letzteren huldigt er mit überströmender Inbrunst seinem Ideale. Denn entscheidend ist hier sein begeistertes W o h l g e f a l l e n am Gemeinleben. Er besaß keine Wage, um die Güter und die Übel dieses und des Sonderlebens gegeneinander abzuwägen. Was die Wagschale in seinem Inneren zugunsten des ersteren senkte, das war die seiner erkenntnistheoretischen Bevorzugung des Allgemeinen entsprechende heiße Sehnsucht nach Vertilgung alles die Menschen Besondernden und Trennenden, nach einem Zustand, in dem sie „nichts anderes ihr eigen nennen als ihren Körper" — eine letzte Schranke, vor der der Einigungstrieb, man möchte sagen, wider Willen halt macht.2 Dürfen wir da nicht voraussetzen, daß die rationell-utilitarische Begründung bisweilen nur ein Na c h g e d a n k e Platons ist, daß ästhetisch-moralische Bevorzugungen die eigentlich treibenden Kräfte seines reformatorischen Eifers sind? So eben in betreff der Frage, anläßlich welcher der oben angeführte Ausspruch erfolgt, in Ansehung der Frauenfrage. Die reiche, allseitige Entwicklung der zumal in der athenischen Gesellschaft aufs äußerste verkümmerten Anlagen des Weibes, die Erhebung desselben aus tiefster Unwissenheit und einer an Hörigkeit

Züge von Härte und Strenge

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grenzenden Abhängigkeit zu Wissensmacht und stolzer Selbständigkeit, kurz der Zauber des i d e a l e n F r a u e n t y p u s , der vor seinem geistigen Auge stand und welchem sich die durch Gymnastik leiblich voll entwickelten und um ihrer Schönheit willen gepriesenen spartanischen Frauen zum mindesten annäherten — der Wunsch, die sprichwörtliche Dreistigkeit der Frauen, wie die spartanische Halb-Emanzipation sie gezeitigt hatte, durch reife Bildung zu adeln und zu selbstbewußter Würde zu verklären — all das wog in Platons Seele wohl ebenso schwer wie die rationellen Betrachtungen, auf die er seine Neuerung stützt: wie die, auch von A n t i s t h e n e s verwerteten, Analogien des Tierlebens und wie die in den „Gesetzen" begegnende Erwägung, daß die herrschende Gesellschaftsordnung die Hälfte der verfügbaren Kräfte brachliegen läßt und sie dem Dienste des Gemeinwesens entzieht.1 5. Das Bild des Moralisten Platon wäre unvollständig, wenn ihm die Züge von Härte und Strenge fehlten, die uns so auffällig und die für Platons Eigenart so bezeichnend sind. Die Heilkunst will er auf Chirurgie und die Behandlung akuter Krankheiten eingeschränkt wissen. Die damals neuartige diätetische Medizin, die das Leben kränklicher Personen künstlich verlängert, schilt er eine „Pflegerin von Krankheiten". Seinen vollen Beifall gewinnt hingegen der Mann aus dem Volke, der raschen Tod oder rasche Heilung sucht, der „keine Zeit hat, krank zu sein". Eine behutsame Lebensweise, ängstliche Schonung, die z. B. die Entblößung der zur Abhärtung bestimmten Körperteile, des Hauptes und der Füße, ausschließt — all das ist ein Gegenstand seines heftigen Widerwillens.* Der physischen Abhärtung geht die moralische zur Seite. Die Tragödie wird zumeist aus dem Grunde verworfen, weil sie den Mitleidsgefühlen und damit der Gemütsweichheit reiche Nahrung zuführt. Wer dem Schicksal der Bühnenhelden Tränen zollt, der mindert sein Vermögen, das eigene Ungemach ohne Erschütterung zu tragen. An Starrheit grenzende Seelenruhe ist es, die Platon — hierin augenscheinlich wie in der Befehdung der Poesie die eigene Natur bekämpfend — in allen Schicksalslagen zu bewahren rät; und gar fern liegt ihm der Gedanke, man könnte L. B. beim Verlust von Angehörigen oder Freunden nicht nur zuviel, sondern auch zuwenig trauern. Die Art, wie er bei der Behandlung solcher Fragen lediglich darauf bedacht ist, die Willensstärke vor allen ihr von dieser Seite her drohenden Gefahren zu behüten, erinnert an die Kyniker. Eine Begründung der Moral, welche sie in S c h o p e n h a u e r s Weise auf das Miüeid aufbaut, wäre Platon, wie richtig bemerkt ward, unfaßbar gewesen. Ebenso hätte er alle R o u s s e a u s c h e Rührseligkeit gründlich verachtet. Hier vermählt sich das sokratisch-kynische „Selbstgenügen" (Autarkie) mit der in dem Milieu einer kriegerischen Aristokratie erwachsenea G o m p e r z , Griechische Denker. II. 4. Aufl.

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Platan empfiehlt

die Aussetzung lebensuntauglicher Kinder

Lebensansicht. Wenn A r i s t o t e l e s in diesem Betracht von seinem Lehrer merklich abweicht, wenn er auch den sanfteren Empfindungen einen erweiterten Spielraum gönnt, und durch die „Katharsis"- oder Entladungslehre einer „Abfindung" mit diesem Bestandteil der Menschennatur im Leben und in der Kunst das Wort redet, so scheint seine Herkunft aus bürgerlichen Kreisen hierzu nicht wenig beigetragen zu haben. Dieser Unterschied hat in den Schulen fortgedauert. Noch nach zwei Generationen empfing, wer aus der Akademie in den Peripatos übertrat, den Eindruck, als wäre er von Halbgöttern oder Heroen zu Menschen gekommen.1 In e i n e m Punkte waren jedoch P l a t o n und A r i s t o t e l e s völlig einig: in der schonungslosen staatlichen Kontrolle, der sie den Bevölkerungszuwachs unterwarfen. Und zwar in qualitativer nicht weniger als in quantitativer Rücksicht. Die Gefahr der Übervölkerung als einer Quelle der Verarmung und daher auch der dieser entspringenden staatlichen Zerrüttung war für die kleinen, eng umhegten Republiken eine gar beträchtliche. Sie wurde demgemäß schon frühzeitig auch von weitblickenden Gesetzgebern, wie etwa von dem Korinther P h e i d o n , ernstlich ins Auge gefaßt. Verschärft ward diese Gefahr für die herrschende Klasse, deren Einkommen ausschließlich aus dem keiner Vermehrung fähigen Grundbesitze floß.2 Für eben denselben Herrenstand bildete auch die Erhaltung seiner physischen und seelischen Überlegenheit eine Frage von vitaler Bedeutung. Die antike Sinnesart bot hier Auskunftsmittel dar, welchen die moderne Gefühlsweise aufs äußerste widerstrebt. So folgte Platon, indem er die Aussetzung der minder kräftigen und der krüppelhaften Kinder empfahl (vgl. S. 371), zunächst nur dem spartanischen Beispiel. Bloß darin gingen er sowohl als Aristoteles über dieses hinaus, daß sie auch die bloß vermutete Schwächlichkeit der Sprößlinge bejahrterer Eltern dem Untergang, sei es vor der Geburt, sei es nach derselben, weihten. „Für den Staat erzeugen", in dieser mehrfach wiederkehrenden Formel findet die sich hier bekundende platonische Gesinnung ihren kräftigsten Ausdruck. Dabei müssen wir aber die Zwecke von den in Anwendung gebrachten Mitteln aufs strengste unterscheiden. So wenig jemand in unserer Zeit daran denken wird, zu den grausamen Praktiken griechischer Gesetzgeber zurückzukehren, der Ernst der Fortpflanzungsfrage und ihre Bedeutung für die Gesamtheit wird in der Gegenwart immer nachhaltiger anerkannt und die hierbei dem Gemeinwohl wie der Nachkommenschaft schuldige Rücksicht dem Gewissen der Einzelnen (so in betreff der Vererbung schwerer Krankheiten) immer nachdrücklicher eingeschärft. 6. A r i s t o t e l e s hat die Reformentwürfe seines Meisters, einer eingehenden kritischen Besprechung unterzogen.3 Wir greifen aus dieser

Sein Rcfonnplan knüpft an Einrichtungen der griechischen Vorzeit an 403

einige Hauptpunkte heraus und knüpfen unsere Schlußbetrachtungen daran. Überraschend wirkt es, zu sehen, wie Aristoteles der platonischen Gesellschaftsordnung, die er schließlich verwirft, von vornherein gegenübersteht. „Ein gar gutes Ansehen — das sind seine Worte — hat eine derartige Gesetzgebung, und sie erscheint als menschenfreundlich; dadurch empfiehlt sie sich dem, der von ihr hört, und bringt den Eindruck hervor, als werde sie eine wunder wie große wechselseitige Sympathie unter den Menschen erzeugen." Das bezieht sich zunächst auf die Gütergemeinschaft, soll aber ohne Zweifel auch von der unmittelbar vorher erörterten Frauengemeinschaft gelten. Das von diesen Reformen erstrebte Ziel, die „Vereinheitlichung" der Gesellschaft, wird mißbilligt, weil nicht jeder Grad von Einheit für den Staat wünschenswert sei. Dieser besiehe seiner Natur nach aus verschiedenartigen Elementen, und die über ein gewisses Maß hinaus gesteigerte Einheit würde sein Wesen aufheben. Einheitlicher als der Staat müsse das Hauswesen, einheitlicher als dieses der Einzelmensch sein. Neben diesem, man möchte sagen, l o g i s c h e n Einwurf werden nicht wenige Schwierigkeiten namhaft gemacht, die sich aus der Durchführung des platonischen Planes im einzelnen ergeben. Allein die Äußerung eines in strengerem Sinne grundsätzlichen oder e t h i s c h e n Widerstrebens suchen wir bei Aristoteles vergebens. Das ist nicht wenig bemerkenswert und heischt eine Erklärung. Wieder erinnern wir an die schon erwähnte Tatsache, daß das von den Philosophen als nahezu mustergültig erachtete Sparta mindestens Ansätze zu einem praktischen Kommunismus zeigt: die gemeinsamen Männermahle, die in gewissen Grenzen gestattete Benutzung fremder Sklaven, Pferde, Hunde u. dergl. m. All das billigt Aristoteles, ja er empfiehlt ein Weiterschreiten auf diesem Wege.1 Wir dürfen hinzufügen, daß Ansätze auch zu ehelichem Kommunismus bei den Spartanern begegnen, so in der Vertretung eines bejahrten Gemahls durch einen von diesem ausgewählten jüngeren Mann und, um mit X e n o p h o n zu sprechen, „in vielen anderen derartigen Konzessionen". Da nun die sogenannte lykurgische Gesetzgebung nicht sowohl Neues schuf, als uraltertümliche Sitten künstlich festhielt, so ist ein Rückschluß aus ihren Satzungen auf Einrichtungen der griechischen Vorzeit erlaubt. Hier erinnern wir uns der keineswegs mißfälligen Art, in welcher H e r o d o t über die bei dem Volk der Agathyrsen bestehende Frauengemeinschaft berichtet. Ihr Zweck sei, alle Volksgenossen zu „verbrüdern" und „Haß und Mißgunst" aus diesem verwandtschaftlichen Kreise zu verbannen.2 Man darf, so meinen wir, ohne Übertreibung behaupten, daß dem gemeingriechischen, hierin, man möchte sagen, atavistisch angehauchten Empfinden die ausschließliche persönliche Aneignung der Besitztümer und die ihr entspringende Ungleichheit des Besitzes noch nicht in dem

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Aristoteles' Kritik an Platans Idealstaat

Maße, wie es in der modernen Welt üblich ist, als ein Naturgebot gegolten und unbedingte Billigung gefunden hat. Zum Verständnis der platonischen Reform liefert uns die Kritik des Aristoteles auch einen anderen, nicht unwichtigen. Behelf. Ihm und ohne Zweifel auch seinem Lehrer waren ganz eigentlich kommunistische Einrichtungen bei fremden Völkern bekannt. So wenig ist sein Gesichtskreis in dieser Rücksicht eingeengt, daß er bereits verschiedene Arten des Boden-Kollektivismus unterscheidet: erstlich Gemeineigentum und Gemeinwirtschaft, sodann Gemeineigentum am Boden, jedoch Sondereigentum an seinen Erzeugnissen, endlich, gerade umgekehrt, Sondereigentum am Boden, verbunden mit gemeinsamer Nutznießung desselben. Auch Frauengemeinschaft ist ihm bei Stämmen des inneren Afrika bekannt, worin ihm H e r o d o t mit seiner Meldung über eine derartige Institution bei den Agathyrsen, den libyschen Nasamonen und desgleichen bei den asiatischen Massageten vorangegangen ist. So haben denn die für uns verwunderlichsten Züge des platonischen Ideals der Anlehnung an, gleichviel ob wirkliche oder nur vermeintliche, Erfahrungstatsachen nicht ermangelt.1 Desungeachtet waren ihre Vereinigung und die eigenen Zutaten Platons, zumal in betreff des philosophischen Krieger- und Herrscherstandes, befremdlich genug, um seinem Kritiker den rhetorisch gefärbten Ausruf zu entlocken: „man muß auf die lange Zeit und die vielen Jahre achten!"2 Mit anderen Worten: die Welt ist schon sehr alt, und wäre eine derartige Verfassung möglich, so hätte sie schon irgend einmal ihre Verwirklichung gefunden. Es ist dies grundstürzenden Neuerungen gegenüber das stehende und Hauptargument aller konservativen Geister — ein Argument, das auf uns, denen, im Vergleich mit den Menschen des Altertums, ein unendlich erweiterter ethnographischer und historischer Überblick zu Gebote steht, eine weit geringere Wirkung übt. „Unser gegenwärtiges Wesen stellt nur die Kindheit der Menschheit dar", dieser Ruf, den Joseph P r i e s t l e y 1772 ausstieß, hat seither hundertfachen Widerhall gefunden. „Die Paradoxien von heute sind die Gemeinplätze von morgen", diese Wahrheit erstreckt ihre Geltung auf praktische Reformen nicht weniger als auf theoretische Erkenntnisse." Andererseits freilich sind wir uns der Komplikation aller menschlichen Dinge und somit der Unzuverlässigkeit aller auf sie bezüglichen bloß deduktiven Schlüsse in weit höherem Maße bewußt geworden und verlangen darum von tiefgreifenden Neuerungen, daß sie ihre Lebensfähigkeit sowohl als ihre Heilsamkeit nicht durch bloßes Räsonnement, vielmehr durch den tatsächlichen Versuch bewähren. Der Erwartung Platons, die Abschaffung der Sonderfamilie werde ein Gefühl allgemeiner Verbrüderung erzeugen und somit die Kraft des verwandtschaftlichen Bandes über den ganzen also vereinigten Volks-

„Fortschritt" von Platon nicht ins Auge gefaßt

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kreis erstrecken, tritt Aristoteles entgegen. Er bemerkt, daß jenes Gefühl eben durch seine weite Ausbreitung an Macht verlieren würde; er spricht von einer „verwässerten" Verwandtenliebe und meint, daß „ein wirklicher Vetter mehr wert sei als ein Sohn nach der platonischen Manier". Hier ist George G r o t e dem Angegriffenen beigesprungen mit der Erwiderung, daß für die von Platon erstrebten Zwecke auch das sehr verdünnte Gefühl verwandtschaftlichen Zusammenhanges ausgereicht hätte, und daß die Intensität derartiger Sympathien ja mit zu dem gehöre, was jener aus seinem Gemeinwesen verbannt wissen wollte.1 Unwiderlegbar scheint hingegen ein anderer Einwand des Stagiriten. Durch die grundverschiedene Erziehung und Lebensführung des herrschenden und des beherrschten Standes werde sich zwischen diesen eine so tiefe Kluft auftun, daß sie in Wahrheit „zwei, und zwar zwei einander feindliche, Städte in e i n e r bilden würden" — eine Wendung, nebenbei, die sicherlich nicht ohne maliziöse Absicht gar auffällig an das anklingt, was Platon einer seiner „entarteten" Verfassungsformen, der oligarchischen, vorwirft (vgl. S. 383).a 7. Und damit berühren wir den angreifbarsten Punkt des platonischen Entwurfs, insoweit er politischer Art ist: die durch kein Gesetz, keine Verfassungseinrichtung, auch durch keine bloß tatsächlichen Gegenwirkungen eingeschränkte und zugleich bis in das Innerste des Privatlebens dringende Macht der philosophischen Herrscher. Daß solch eine Herrschaft unmöglich dauern konnte, oder daß sie die Wohlfahrt der ihr Anvertrauten von allem Anfang an schädigen mußte, das ist freilich mehr, als sich erweisen läßt. Der theokratische Despotismus des InkaReiches bildet eine unter mehreren Instanzen, die uns zur Bescheidung mahnen.3 Nur so viel läßt sich mit Bestimmtheit behaupten, daß in der ungeheuren Mehrzahl der Fälle staatlichen und gesellschaftlichen Gedeihens irgend ein Spiel antagonistischer Kräfte vorhanden und die Hauptbedingung des Erfolges gewesen ist, während die weder rechtlich noch tatsächlich temperierte Alleinherrschaft e i n e s Standes oder sonstigen Faktors sich kaum jemals als ein nachahmenswertes Muster erwiesen hat. Sicherlich nicht als eine Quelle des Fortschritts. Ein solcher aber war von Platon auch ganz und gar nicht ins Auge gefaßt. Hierin stand sein Ideal gegen die von ihm so arg geschmähte athenische Wirklichkeit gar sehr zurück. Platons „Staat" hätte im platonischen Staat nicht ans Licht treten können, und ebenso wenig ein anderer gleich verwegener Reformentwurf! Ja nehmen wir an, Platon wäre die Verwirklichung seines Ideals gelungen, er wäre ein Mitglied des neuen Gemeinwesens geworden, hätte jedoch allmählich an der Unübertrefflichkeit seiner Einrichtungen zu zweifeln begonnen und neue, gemäßigtere Reformvorschläge zu äußern gewünscht, wie seine „Gesetze" sie wirklich

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Platans „Reibungsscheu"

enthalten: die strenge Zensur seiner „Wächter" hätte ihm dies unbedingt verwehrt. Es tut nicht not, bei dem Bilde der Verknöcherung, der geistigen Erstarrung zu verweilen, welches jene „Pedantokratie" unfehlbar dargeboten hätte, in wundersamem Kontrast zu der nie rastenden, keinen Stillstand kennenden Entwicklung ihres Schöpfers.1 Hier gewahren wir den Zug in Platons geistiger Physiognomie, der für seine Reformarbeit der eigentlich verhängnisvolle ist. Wir nennen ihn mit einem Worte „Reibungsscheu". Dem Schüler des S o k r a t e s ist die Bedeutung der wissenschaftlich geläuterten Intelligenz für das Staatsleben aufgegangen. Darum soll diese dem stumpfen Widerstand der Torheit und der Denkträgheit ein für allemal vollständig entrückt und mit schrankenloser Macht ausgestattet werden. Ganz ebenso auf sozialem und moralischem Gebiete. Die Hingebung an das Gesamtwohl, die Erhebung über den Widerstreit der die Menschen spaltenden Interessen wird in ihrem hohen Wert erkannt; darum hinweg mit allem Sonderleben und mit seinen Organen, dem Privateigentum und der Familie! Die Tapferkeit des Sinnes und die strenge Vernunftgemäßheit der Lebensführung wird von der Gemütsweichheit und der Herrschaft der Phantasie bedroht; darum werden neun Zehntel aller Poesie, als die Hauptbrutstätte dieser Gefahren, über Bord geworfen. Es ist das eine Sinnesweise, welche Platon mit einem hervorragenden Denker unseres Zeitalters teilt. August C o m t e wollte alle schlechten Bücher, ja alle minderwertigen Dichtungen vernichtet, alle unnützen Tier- und Pfianzenarten ausgerottet wissen. Daß manch eine als nutzlos oder auch als schädlich erachtete Spezies sich im Laufe der Zeit als wertvoll erweisen könnte, diese so naheliegende Erwägung hat sein ungeduldiges Streben nach Vertilgung alles Wertlosen nicht beirrt. Dieser Irrtum darf uns als typisch für die auch von Platon vertretene Denkweise gelten. Wie in Wirklichkeit fast mit jedem Gift ein Heilmittel vernichtet würde, so steht es auch im moralischen Bereiche. Eben dieselben Kräfte der Menschennatur sind des nützlichsten Gebrauches und des schlimmsten Mißbrauchs fähig. Wer auf irgend einem Gebiete das vollkommen Gute durch Ausrottung der ihm widerstrebenden Triebe erzielen will, läuft Gefahr, auch die Wurzeln anzutasten, aus denen das Gute selbst hervorwächst. Hier war dem Philosophen einer der von ihm so gründlich verachteten Tragödiendichter, sein älterer Zeitgenosse E u r i p i d e s , weitaus überlegen. Gehört doch diesem der tiefsinnige Ausspruch: „Denn nicht gesondert kann entstehen Gut und Bös; Nein, eine Mischung ist's". Eine Einsicht, der unser Otto L u d w i g einen noch kräftigeren Ausdruck in den Worten geliehen hat: „Mein Schlechtes, ausgeschnitten, Nahm' meines Guten Bestes mit sich fort."2 Und wie menschliche Vernunft bei weitem nicht ausreicht, um das Böse aus seiner Verschlingung mit dem Guten mit unfehlbarer Sicherheit zu lösen, so sind wir mit Antrieben, Vermögen,

Verwirklichung platon. Forderungen duy:h Ritterorden u. Perfektionisten

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Glücksquellen nicht so überreich gesegnet, daß wir in der Verstümmelung und Verarmung unserer Natur statt in ihrer immer wieder erneuten Zucht und Pflege den Weg des Heils erblicken dürften. Das ist in unseren Augen der entscheidende Doppel-Einwurf gegen die platonische Sozialreform — ein Einwurf, der ungleich schwerer wiegt als die der Oberflächlichkeit so geläufige Voraussetzung, daß das Ungewöhnliche notwendig auch ein Unmögliches sei. Dies gilt sicherlich nicht von jener Art des Vermögens-Kommunismus, die Platon für seinen Stand der Wächter fordert. Hierbei kann die Frage außer Spiel bleiben, ob die Gemeinwirtschaft an sich dazu angetan ist, die Privatwirtschaft auf allen Gebieten zu ersetzen. Platons Verlangen ist jedenfalls mehr als einmal verwirklicht worden. Was er heischt, ist nicht die (zurzeit auch keineswegs mehr beispiellose) Vergesellschaftung der Produktionsmittel, da die produzierenden Stände von seiner Reform nicht berührt werden.1 Eine Parallele zu jenem Postulat bietet vielmehr jede Klostergemeinschaft und in größerem Maßstab ein Ritterorden wie der Deutsche dar, dessen Mitglieder durch das Gelübde der Armut dem Sondereigentum entsagt haben, während ihnen eine abhängige, zinspflichrige, aber im übrigen mit schonender Milde behandelte Bauernschaft die Mittel des Unterhalts gewährte. Gehört diese letztere Analogie dem mittelalterlichen Europa an, so ist dem Ehe-Kommunismus des „Staates" im heutigen Amerika eine genau zutreffende Parallele erstanden. Wir denken an die Sekte der „Perfektionisten", die von dem 1811 in Neu-England geborenen John Humphrey N o y e s gegründet ward und zu Oneida im Staate New-York ein volles Menschenalter hindurch ihren Hauptsitz gehabt hat.2 Wir wissen nicht, ob Noyes mit dem platonischen Reformentwurf vertraut war. Die Gestalt, welche die „Stammzucht" (stirpiculture) unter seinen, im Jahre 1874 nahe an 300 Personen zählenden, Anhängern gewonnen hat, zeigt jedenfalls die auffälligste Ähnlichkeit mit dem platonischen Vorbild. Die allein zulässigen Zeit- und Kinderehen wurden durch die Vermittlung des Oberhauptes geschlossen; ihre Zahl und Artung war durch die jedesmalige wirtschaftliche Lage des kommunistischen Gemeinwesens und durch das Streben nach möglichster Vervollkommnung der Nachkommenschaft bedingt; die Ausschließlichkeit und Intensität der Liebesneigung ist als „Ansehen der Person" getadelt, als „sündhafte Selbstsucht" gebrandmarkt worden. 8. Es erfreut, einem Genius wie Platon gegenüber die Rolle des Kritikers mit jener des Lobredners vertauschen zu können. Das ist unser Los, wenn wir uns vom Vermögens- und Ehe-Kommunismus zur Emanzipation der Frauen wenden. Hier wandelt Platon in den Spuren seines großen Lehrers. Das zeigt, von der Übereinstimmung mit

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Die Leistungsfähigkeit der Frau

X e n o p h o n und A n t i s t h e n e s abgesehen (vgl. S. 63), auch der Einklang mit jenem Jünger, der das geringste Maß von Originalität besaß und zugleich als der getreueste Darsteller der Eigenart des gemeinsamen Meisters galt. Hat doch Ä s c h i n e s in seinem Gespräch „Aspasia" dieser bedeutenden Frau eine einschneidende Kritik der herkömmlichen weiblichen Bildungs- und Lebensweise in den Mund gelegt.1 In eben diesem Punkte hat der Verfasser des „Staates" unserem Erachtens die reine und volle Wahrheit, fast ohne jeden Beisatz von Irrtum, ausgesprochen: das weibliche ist das zartere oder schwächere Geschlecht; diese relative Schwäche ist jedoch nur eine durchschnittliche,, da Männer und Frauen, nach ihrer Leistungsfähigkeit geordnet, vielfach eine bunte Reihe bilden würden. Und ferner: qualitative, für die Berufswahl maßgebende Unterschiede der weiblichen und der männlichen Begabung gibt es nicht. Allerdings scheinen diese Sätze einer etwas behutsameren Fassung zu bedürfen. Selbst von jener durchschnittlichen Inferiorität steht es, soweit es sich um Geistesgaben handelt, noch heute nicht fest, daß sie eine letzte unabänderliche Tatsache bildet. Die Versuche, aus der Beschaffenheit des männlichen und des weiblichen Gehirns dahin zielende Schlüsse abzuleiten, haben nicht zu unbestrittenen Ergebnissen geführt. Andererseits ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß sich bei ungehemmter Entwicklung der weiblichen Anlagen Durchschnittsunterschiede auch von qualitativer Art ergeben werden. Nur daß diese niemals ausreichen können, einen Berufszwang für die eine Hälfte des Menschengeschlechts zu rechtfertigen, ist keinem Zweifel unterworfen. Was unbedingt feststeht, ist die Tatsache, daß Frauen in den mannigfachsten Sphären, die ihnen der Zufall der Geburt oder der Umstände gelegentlich eröffnet hat, Tüchtiges und Bedeutendes geleistet haben. Dem gegenüber steht nicht minder die Wahrnehmung aufrecht, daß solche geistige Schöpfungen ersten Ranges, die eine außergewöhnlich andauernde Konzentration erheischen, insbesondere dramatische, musikalische, philosophische oder historische Werke solchen Ranges, bisher von Frauen nicht hervorgebracht worden sind. Allein daraus kann weder für die Art der Erziehung noch für die Freiheit der Berufswahl irgend etwas folgen. Wird doch niemand dazu erzogen, ein S h a k e s p e a r e oder ein D a n t e , ein G a l i l e i oder ein D e s c a r t e s zu werden, und umschließt doch jeder Beruf eine große Mannigfaltigkeit ungleichwertiger Begabungen. Dazu kommt, daß auch jene Erfahrungsregel immer nur als eine vorläufige gelten darf und jeden Augenblick von einer glänzenden Ausnahme durchbrochen werden kann. Haben doch in den letzten Jahrzehnten Frauen auf e i n e m den vorher genannten nahe verwandten Gebiete, dem der Erzählungsliteratur, Werke hervorgebracht, die jenen ihrer männlichen Mitbewerber um nichts nachstehen.

Das Haremsleben der Athenerin

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In der Anwendung dieser obersten Grundsätze freilich besteht ein Unterschied zwischen unseren modernen und den Idealen Platons, der aus der Verschiedenheit der von uns und der von ihm gebilligten Familienordnung fließt. Denn sobald wir an dem Bestand der Sonderfamilie festhalten, ergibt sich naturgemäß für eine große Zahl, wenngleich keineswegs für die Gesamtheit, der Fälle eben jene A r b e i t s t e i l u n g , die Platon im allgemeinen so energisch verfochten und in Ansehung der beiden Geschlechter so entschieden verworfen hat. Nichts ist natürlicher, als daß sich Mütter, insbesondere Mütter zahlreicher und noch in zartem Alter stehender Kinder, der Obsorge für diese widmen und, dadurch an das Haus gefesselt, dessen ihrer geringeren Körperkraft entsprechende Geschäfte besorgen. Besitzt demnach das platonische Frauen-Ideal geringe Aussicht auf v o l l e Verwirklichung, so lehrt doch ein Vergleich zwischen dem Athen des fünften Jahrhunderts und den höchstgesitteten Nationen der Gegenwart, daß die Entwicklung in der von Platon empfohlenen Richtung sich bewegt und ein beträchtlicher Teil seiner Forderungen greifbare Wirklichkeit gewonnen hat. In seinem „Wirtschaftsbuch" entwirft X e n o p h o n ein sicherlich treues Bild von dem Geisteszustand und der Lebensweise athenischer Frauen.1 Der junge Gatte I s c h o m a c h o s bemüht sich, seine kaum dem Kindesalter entwachsene Gemahlin zu einer rührigen, tüchtigen, an Leib und Geist gesunden Hausfrau und Lebensgefährtin zu erziehen. Er muß sie vorerst wie ein scheues Wild zu zähmen, ihrer Verschüchterung zu entreißen und zu sich emporzuheben trachten. Sie hat so gut wie nichts gelernt; nur zu Züchtigkeit und zur Unterwerfung unter den Willen des Gebieters ward sie von der Mutter angeleitet. Außerdem versteht sie zu spinnen und ist im übrigen geneigt, die Arbeit am Webstuhl wie alles andere häusliche Tun den Sklavinnen zu überlassen, müßig umherzusitzen und den Mann dadurch an sich zu fesseln, daß sie die Zimmeriarbe ihrer Wangen durch Schminke verschönt und es an Toilettekünsten aller Art nicht fehlen läßt. (Nebenbei bemerkt: Liebesheiraten waren, da es den Bürgermädchen an jedem Verkehr mit ihren männlichen Altersgenossen gebrach, so gut als unerhört. Den Ehebund schloß die private Konvenienz, welche Platon, hierin weniger gewaltsam als es auf den ersten Blick erscheint, durch das staatliche Interesse zu ersetzen wünschte.) Wie weit ist es von dieser halborientalischen Abschließung zum Leben der — derselben sozialen Schicht angehörigen — Mädchen und Frauen der Gegenwart, denen der Spuit die Wangen färbt, welche Vorträge halten und an öffentlichen Versammlungen teilnehmen, die Bilder malen und Bücher schreiben, denen der Zutritt zu vielen, in Nordamerika zu fast allen Berufen offensteht und die sich immer weiter von der Stufe entfernen, auf der man

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Der „Staat" und die geschichtliche Entwicklung

sie an den Waschtrog und den Nähtisch, in die Küche und die Kinderstube bannte! Auch in anderen Rücksichten ist Platons Musterbild keineswegs eine bloße Utopie geblieben. Wenn heute die Staatsgeschäfte großenteils von einer geschulten B e a m t e n s c h a f t geleitet werden, wenn s t e h e n d e H e e r e eine weit höhere Leistungsfähigkeit bekunden als sie bloßen Bürgermilizen eigen war, wenn die fortschreitende A r b e i t s t e i l u n g die Entfaltung des Gewerbfleißes zu einer im Altertum nicht geahnten Höhe emporhob, so ist Platon — hierin vom sokratischen Intellektualismus und von der Scheu vor athenisch - demokratischem Dilettantismus bestimmt, überdies von ägyptischen und anderen fremdländischen Vorbildern geleitet — ein Vorläufer all dieser späteren Entwicklungen geworden. Freilich nicht ohne gelegentlich mit sich selbst in Widerstreit zu geraten. Wie unvollkommen ist z. B. die Forderung strenger Arbeitsteilung bei seinen „Wächtern" verwirklicht, unter denen mindestens diejenigen, die bis an das oberste Ziel gelangen, der Reihe nach Zivilämter versehen, militärische Befehlshaberstellen bekleiden und der philosophischen Spekulation obliegen sollen. Überraschend ist es auch, daß er der Fachbildung und „Erfahrung" bei den Staatslenkern zwar nicht völlig vergißt, ihr aber doch einen sehr untergeordneten Platz einräumt. Die Geschichte hat ihm hierin nicht völlig unrecht gegeben. Sind doch viele der namhaftesten Politiker Englands mit keiner anderen als einer rein formalen Bildung ausgerüstet an die erfolgreiche Lösung schwieriger Aufgaben geschritten. Und auch der Wechsel in der Bekleidung von bürgerlichen und kriegerischen Ämtern hat die Leistungen der großen anglo-indischen so wenig als die der römischen Staatsmänner beeinträchtigt. Doch wie man auch über manche Einzelheit und selbst über manchen Leitgedanken des uns im „Staate" vorliegenden sozialpolitischen Entwurfes urteilen mag, sein Urheber hat sich ein unvergängliches Verdienst erworben. Ist er doch, den Winken seines Meisters S o k r a t e s folgend, der erste gewesen, der auf menschliche Institutionen das Auge der freien Vernunftforschung geheftet und in den dreifachen Wall des Herkommens, des Vorurteils und des Gewaltmißbrauchs eine Bresche gelegt hat, die zwar oft verengt, aber niemals wieder geschlossen worden ist. Auch der positive Gehalt des platonischen Hauptwerks barg Keime in sich, denen die Entwicklung nicht versagt blieb. Eine Entwicklung, deren Beginn uns zum Teil schon in Platons Alterswerk, den „Gesetzen", vor Augen steht. Dort werden wir jene Gemütshärte, die uns für den Verfasser des „Staates" so bezeichnend schien, nicht mehr in voller Stärke wiederfinden. Auch kann uns das nicht wundernehmen. Sind doch die Widerstände, die dem, was wir jetzt Altruis-

Die Grundthese des „Staates"

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mus oder Solidarismus nennen, den Weg verlegen, bereits im „Staat" erheblich abgeschwächt. Wo es als ein Ideal gilt, daß das Individuum sein Sonderleben so gut als vollständig einbüße, wo jede Schranke, die es von der Gesamtheit abschließt, hinweggeräumt und selbst der Sonderbesitz eines Körpers nur wie ein unvermeidliches Übel hingenommen wird — da ist dem Einströmen altruistischer Gefühle, der Hingabe des Einzelnen an die Interessen seiner Mitmenschen ein weites Bett geöffnet. Solch eine Konsequenz sofort zu ziehen, daran hinderte Platon der hochgespannte Idealismus seiner spät erlöschenden Jugend, dem ein großer Teil jener Interessen, das materielle Wohl und Wehe, das eigene wie das fremde, überhaupt wenig bedeutet hat; in gleichem Sinne wirkte von einer anderen Seite her die Geringschätzung der niederen Volksklassen. Das Alter hat Platons schroffen Idealismus gemildert, die Strenge seines Sinnes erweicht und zugleich, wohl zumeist durch die wachsende Entfernung von dem Einfluß seiner aristokratischen Jugendumgebung, sein Vorurteil gegen Niedriggeborene und selbst gegen Sklaven gemindert. All das wird uns in den „Gesetzen" entgegentreten. Neben solchen Ansätzen zu erhöhtem Altruismus weist indes der „Staat" auch solche zu dessen Widerspiel, zur gesteigerten Wertschätzung des Individuums, auf. Wir denken vor allem an den Vergleich der Einzel-Persönlichkeit mit dem Staat oder der „Poüs'1 und an die Mahnung, das vorgezeichnete Musterbild, wenn seine Verkörperung im Gemeinwesen sich als unausführbar erweisen sollte, doch mindestens im Innern des Einzelnen selbst zu verwirklichen. 1 Der gemeingriechischen Ansicht gegenüber stellt solch eine Mahnung und die ihr zugrunde liegende Parallelisierung einen beträchtlichen Fortschritt in der Richtung dar, welche späterhin die Stoa und schließlich das Christentum eingeschlagen hat. In allen diesen Rücksichten gewahren wir eine nahe Verwandtschaft Platons mit kynischen Doktrinen, an die wir unsere Leser kaum zu erinnern brauchen (vgl. S. 119, 128, 137 f.). 9. Und nun ein Wort über die Grundthese des „Staates", das Zusammenfallen von Glück und Gerechtigkeit! Es scheint angemessen, den kritischen Glossen, mit denen wir einige der hierher gehörigen Ausführungen begleitet haben (vgl. 358, 369), ein abschließendes Urteil nachzuschicken. So lebhaft jeder Wohlgesinnte wünschen muß, den Erweis jener These für erbracht zu halten, so wenig kann sich der parteilos Urteilende der Wahrnehmung entziehen, daß die Stichhaltigkeit der Beweisführung mit der- Großheit der Absicht nicht auf gleicher Huhe steht. Kaum tut es not, der offenbaren Übertreibung zu gedenken, die alle äußeren Güter für nichts erachtet und von Glückseligkeit auch des bis aufs äußerste Verfolgten und durch Folterqualen Gemarterten spricht. Diese übertreibungen hat schon aer nicht minder hochgesinnte,

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Inkommensurable Werte

aber nüchterner denkende A r i s t o t e l e s stillschweigend beseitigt. Doch bilden sie, das dürfen wir hinzufügen, nur die unangemessene Hülle eines an sich wahren und überaus wichtigen Kerngedankens: der Einsicht, daß es für jeden, der ein wie immer geartetes Ideal besitzt, Werte gibt, die man unendliche oder doch mit keinen anderen Werten vergleichbare, also inkommensurable, nennen darf. Lieber den Tod oder jedes Ausmaß äußerer Leiden als die innere Entwürdigung! — das ist keine rednerische Hyperbel, sondern ein Ruf, der sich der Brust jedes irgendwelcher sittlichen Bildung Teilhaften entringt. Die Erkenntnis dessen aber, was das Leben in Wahrheit allein lebenswert macht, ist die Frucht eben der Bildung und Erziehung, die der Einzelne durch die Gesellschaft erfahren hat. Die Möglichkeit solch einer Bildung und Erziehung bietet die Natur des Menschen dar. Ohne solche Anlage wäre diese Einwirkung unmöglich, ohne diese Einwirkung aber würde die in uns schlummernde Anlage allezeit unentwickelt bleiben. Und die Entwicklung ist eine völlig verschiedene, je nach dem Milieu, in welches das Schicksal den Menschen gestellt hat; eine andere z. B. bei Platons Landsleuten, den sklavenhaltenden Griechen, und bei uns, die wir die Sklaverei verabscheuen; eine andere bei Turkmenen oder Beduinen, denen die Räuberei als erlaubt und ehrenhaft gilt, und bei uns, die wir sie als hassenswertes Verbrechen brandmarken und bestrafen. Die soziale Tugend oder die Gerechtigkeit besitzt eine Naturbasis, aber sie ist darum keineswegs ein Erzeugnis der Natur. Der weite Überblick, den uns die Vertrautheit mit zahlreichen grundverschiedenen Gesittungsstufen verliehen hat, grundverschieden vor allem nach den Gegenständen und dem Geltungsbereich moralischer Vorschriften, läßt darüber nicht den Schatten eines Zweifels bestehen. Aber auch Platons ältere Zeitgenossen, ein H e r o d o t , ein H i p p i a s oder der Verfasser der anonymen „Dialexeis", waren darüber bereits völlig im klaren (vgl. I* 335 ff.). Der sokratische, den lautersten Beweggründen entspringende Eifer, die Sache der Gerechtigkeit oder sozialen Tugend auf eine unangreifbare Grundlage zu stellen, hat hier Platon die Helligkeit des Blickes getrübt und ihn offenkundige Tatsachen übersehen lassen. Nur so erklärt es sich, daß er die Gerechtigkeit einmal mit der Leistungsfähigkeit, ein anderes Mal mit dem Gleichgewichte der Seelenkräfte identifizieren zu dürfen glaubte. Wir zögern, ihm zuzugestehen, daß es niemals einen durchaus tüchtigen, in vollem Maße leistungsfähigen und auch innerlich glücklichen Gewaltherrscher, Sklavenjäger oder auch Räuberhauptmann gegeben hat. Ein ganz und gar oder in bestimmten Richtungen antisozial oder menschenfeindlich Gesinnter erleidet durch diese seine Gesinnung an sich und unmittelbar keinerlei Abbruch an seiner Glücks- oder seiner Leistungsfähigkeit. Genauer gesprochen: er erleidet solche Einbuße erst dann, wenn er so vie! altruistisches

Die Brücke zwischen Sozialmoral und seelischer Hygiene

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Empfinden in sich aufgenommen hat, als erforderlich ist, um der inneren Einheit und Ungebrochenheit seiner Sinnesart Eintrag zu tun. Dann entsteht jene Disharmonie oder Zerrüttung, jener innere Unfriede, jener Mangel an seelischem Gleichgewicht, der sein Glück schädigt und sein Leistungsvermögen schwächt und der dem völlig antisozial Gesinnten ebenso fremd ist wie dem von sozialer Gesinnung ganz und gar Erfüllten und Durchdrungenen. Dieser Gedanke, der zwischen Sozialmoral und seelischer Hygiene eine Brücke schlägt, gestattet eine weitaus allgemeinere Fassung. Wird irgend eine in unserem Gemüt vorwaltende Gesinnung zeitweilig überwältigt, so kehrt sie nach Beseitigung der Störung wieder in ihren Besitz zurück, aber begleitet von Unlustgefühlen, die wir je nachdem Bedauern, Widerwillen, Reue oder Gewissensbisse nennen. Und wohl dem, der den Mut besitzt, den scharfen Schmerz durchzukosten und den Kampf der zwei feindlichen Tendenzen bis zum Ende zu bestehen. Andernfalls verwandelt sich das akute Leiden gar leicht in ein chronisches, in ein die Kraft des Fühlens wie des Wollens allgemach aushöhlendes Siechtum. Denn die immer wieder gegen einander aufgebotenen Gefühls- und Willensimpulse schwächen einander ab, nicht weniger als zwei Strömungen, die in einem und demselben Bett in entgegengesetzter Richtung verlaufen. Dieser Prozeß der Abstumpfung wird überdies mittelbar gefördert durch das unwillkürliche Streben nach Vermeidung des Konflikts, d. h. nach Verdrängung der kollidierenden Vorstellungen, ein Streben, das sich kaum auf ein enges psychisches Teilgebiet beschränken läßt, somit den normalen Vorstellungsablauf selber hemmt und dadurch einen Eingriff in die Gesundheit der seelischen Verrichtungen darstellt. Vielleicht gelingt es dereinst, diese der Beobachtung und der Analogie der Naturtatsachen abgewonnenen Ergebnisse durch das psychophysische Experiment mit voller Strenge zu erhärten. Dann wäre die von Sokrates und Platon geahnte Naturbegründung auch der Sozial-Moral, ihre Unentbehrlichkeit für das Wohlbefinden des Einzelnen, in Wahrheit erwiesen. Solch einer viele Mittelglieder in sich schließenden Beweisführung glaubte Platon freilich entraten zu können. Er entzog sich dieser Notwendigkeit, indem er an die Stelle der Ungerechtigkeit selbst die M o t i v e der Ungerechtigkeit gesetzt hat. Der Ungerechte ist ihm der Herrschsüchtige, der Habgierige, der ungezügelter Sinnlichkeit Fröhnende. Diesen Typen stellt er ihre Widerspiele gegenüber und gestaltet so ein Ideal, das den gewaltigsten Einfluß errungen und die höchste Bedeutung für die Menschheit gewonnen hat. Nur das eine kann der unbefangen Urteilende nicht zugestehen, daß es Platon geglückt sei, den höheren Glückswert dieser Typen wirklich, wie er meint, streng zu erweisen (vgl. z. B. S. 389 f.). Daß, wer seine Begierden beherrscht,

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Platans zweiter und dritter sizilischer Auf enthalt

glücklicher ist als der von ihnen Unterjochte, mag unbedenklich zugegeben werden. Daß aber nun auch das kontemplative oder philosophische Leben, welches als das begierdenfreieste in jenes Ideal aufgenommen wird, seinen Träger mehr beglücke als das einer nach außen wirkenden, auf Menschenbeherrschung angelegten Natur, das wird sich nimmermehr durch irgendwelche Argumente erhärten lassen. Hier steht dem Geschmacksurteil und der Anlage eines P l a t o n oder A r i s t o t e l e s das Geschmacksurteil und die Anlage eines P e r i k l e s oder E p a m i n o n d a s gegenüber, und nach einem Schiedsrichter zwischen ihnen wird man vergebens suchen.

Vierzehntes Kapitel. Platons zweiter und dritter sizilischer Aufenthalt. jlaton selbst war nicht allezeit der Beschaulichkeit ergeben. Sein heißer Drang, die Welt zu verbessern, hat nicht immer den weiten Umweg über Schrift und Lehre eingehalten. Zweimal hat er es versucht, in das politische Getriebe einzugreifen.1 Diese Versuche waren nicht von Erfolg gekrönt. Ihr schwerer, schließlich tragisch zugespitzter Mißerfolg hat den Lebensabend des Philosophen verdüstert, seiner Philosophie aber wahrscheinlich gefrommt. Die Fortbildung seiner Staatslehre, wie sie uns im „Staatsmann" und in den „Gesetzen" vorliegt, muß durch jene trüben Erfahrungen beeinflußt sein. Man darf sogar vermuten, daß der Anstoß, den Platon so empfing, sich auch auf andere Teile seines Denksystems fortgepflanzt und' jene schon erwähnte Revision seiner Grundlehren (vgl. S. 228) überhaupt gefördert hat. Auf dem syrakusanischen Königsthrone saß damals (367 v. Chr. G.) D i o n y s i o s II. Sein vertrauter, durch ein dreifaches Verwandtschaftsband mit ihm verknüpfter Berater war D i o n , der hochsinnige Prinz, der zwanzig Jahre vorher mit Platon freundschaftlich verkehrt und von ihm eine durch sein ganzes Leben nachwirkende Anregung empfangen hatte. Es war Dions Einfluß, der den jungen Fürsten bewog, den in der Fülle der Kraft und auf der Höhe des Ansehens stehenden Weltweisen an seinen Hof zu laden. Nebenbei mochte Dionys den Glanz seiner Herrschaft zu erhöhen glauben, wenn er sich mit hervorragenden Denkern und Schriftstellern umgab, gleichwie ein P o l y k r a t e s auf Samos, ein G e l o n und H i e r o n in Syrakus selbst gefeierte Dichter zu Mitgliedern ihres Hofstaates gemacht hatten. In Wahrheit war Platon

Platan am Hofe Dionysios' II.

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nicht der einzige, dem solch eine Einladung zuteil ward; auch A r i s t i p p von Kyrene, desgleichen der Sokratiker Ä s c h i n e s hat im Königspalaste Dionysios' II. als Gast geweilt. Platon vergaß die Unbill, die er vom Vater erfahren hatte; er folgte der von drängenden Mahnungen Dions unterstützten Aufforderung des Sohnes und verließ, von einem Gefolge von Schülern begleitet, die Akademie. Es mußte ihm, dessen mächtige Persönlichkeit bereits so viele Gemüter unterjocht hatte, nicht notwendig als ein aussichtsloses Beginnen erscheinen, die von der Hand eines jugendlichen und empfänglichen Fürsten gelenkte hellenische Großmacht in den Dienst der Philosophie zu stellen und sein Staatsideal mit ihrer Hilfe in das Leben einzuführen.1 An Erfahrungen, die solch eine Hoffnung dämpfen konnten, fehlte es ganz und gar; und das Beispiel Spartas mit seiner eigenartigen, damals in vielen Stücken als mustergültig erachteten Verfassung, die man als das Werk eines einzigen planvoll wirkenden Gesetzgebers ansah, schien zur Nacheiferung aufzufordern. Auch entsprachen die ersten Eindrücke diesen hochgehenden Erwartungen. Mit höchster Auszeichnung wurde Platon, den ein festlich geschmückter Hofwagen vom Hafen in die Königsburg brachte, empfangen; bald war Dionysios ein gelehriger Schüler des großen athenischen Meisters geworden. Ein Erziehungskursus begann, an dessen Spitze nach platonischen Grundsätzen die Mathematik stand. Und gar ergötzlich war es zu sehen, wie eifrig die Höflingsschar der von höchster Stelle empfohlenen Mode gehuldigt hat. Alsbald war der Sand der den Palast umgebenden Höie und Gärten mit geometrischen Zeichnungen bedeckt. Wohl mochten ernsie Patrioten nicht minder als intrigante Politiker, allen voran die im Dienste D i o n y s i o s ' I. ergrauten Staatsmänner, mißmutig den Kopf schütteln. Schienen doch die Grundlagen des Staates selbst gefährdet, mag nun P l u t a r c h s Erzählung auf Wahrheit bfruhen oder nicht, daß der von Platons Lehren berauschte fünfundzwanzigjährige Fürst dem anläßlich eines Opfers im Palaste den Himmelssegen auf den unveränderten Fortbestand der Herrschaft herabflehenden Herold ins Wort fiel und jenen Segen als einen Fluch bezeichnete.? Ein athenischer Sophist — so raunte man sich ins Ohr — schickt sich an, Syrakus zu demütigen und zu entmannen und durch die Kraft seines Wortes jenen Triumph zu feiern, der ein halbes Jahrhundert vorher seinen mit dem Aufgebot ihrer ganzen Heeresmacht heranrückenden Landsleuten versagt blieb! Die konservative Partei tat, was sie in ähnlicher Lage allezeit zu tun pflegt: sie reffte die Segel ihres Fahrzeugs und wartete einen günstigen Umschlag des Windes ab. Platon fuhr mittlerweile fort, seines Erzieheramts zu walten und seinen gekrönten Jünger zur Rolle eines philosophischen Herrschers heranzubilden. Man hat gegen ihn den Vorwurf erhoben, daß er den ent-

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Ende des zweiten sizilischen Aufenthalts

scheidenden Augenblick ungenutzt verstreichen ließ. Er hätte, so meint man, die Flitterwochen der philosophischen Begeisterung des jungen Fürsten ausnutzen, die Umwandlung der Regierungsform, die Erteilung einer Verfassung und die Freigebung der von Syrakus unterworfenen griechischen Städte Siziliens erreichen sollen. Man schilt ihn einen unpraktischen Politiker, der sich, statt rasch zuzugreifen, in der Stellung eines Erziehungs- und Gewissensdirektors gefiel. So ungefähr hat George G r o t e geurteilt, indem er sein eigenes politisches Ideal unwillkürlich an die Stelle des platonischen setzte.1 Der Verfasser des „Staates" glaubte nicht an die Allheilkraft politischer Verfassungsformen. Sein Ideal war damals und noch geraume Zeit später der philosophische Absolutismus. Die innere Reformierung des Herrschers galt ihm daher nicht als ein mehr oder minder entbehrliches schmückendes Beiwerk, sondern als der eigentliche Kern der zu leistenden Reformarbeit. Nicht Mangel an Folgerichtigkeit läßt sich ihm vorwerfen, weit eher Mangel an Menschenkenntnis. Dieser Tadel trifft jedoch in geringerem Maße ihn selbst, in weit höherem seinen Mittler und Helfer Dion, der die aufflackernde Begeisterung des jungen Herrschers nicht als bloßes Strohfeuer erkannt hat. Dions Mißgriff sollte sich an ihm selber rächen. Die von P h i l i s t o s , dem aus der Verbannung zurückgerufenen Geschichtsschreiber und Staatsmann, geführte altkonservative Partei spähte eifrig nach Blößen Dions. Was man so· emsig sucht, wird in der Regel gefunden. Den Stoff zur Anklage lieferten aufgefangene Briefe Dions an die karthagischen Feldherren, welche die Herbeiführung eines Friedensschlusses bezweckten und in denen eine verräterische Absicht zu erkennen der Voreingenommenheit nicht schwer fallen konnte. Nichts war leichter, als dem argwöhnischen und der ungewohnten Bevormundung bald überdrüssigen Sinn des Purpurgeborenen vorzuspiegeln, daß seine Entfernung von den Staatsgeschäften und die Machterhöhung Dions der eigentliche Zweck der Berufung Platons sei. Der so geflissentlich geschürte Groll gelangte zum vollen Ausbruch und bereitete dem philosophischen Zwischenspiel in der syrakusanischen Königsburg ein jähes Ende. Doch sollte ihm eine Fortsetzung nicht fehlen. 2. Dion ward verbannt, Platon selbst jedoch nur spät und zögernd entlassen, nicht ohne daß ihm Dionys das Versprechen abnahm, zu gelegener Zeit wieder nach Syrakus zurückzukehren. Platon knüpfte daran die Bedingung, daß auch Dion zu jenem Zeitpunkte — nach der Beendigung eines Feldzugs, der den Monarchen zunächst vollauf in Anspruch nahm — zurückberufen werden sollte.2 Ein Riß jedoch, wie er damals in dem Verhältnis des Herrschers zu seinem älteren Verwandten und Berater erfolgte, besitzt die natürliche Tendenz, sich zu erweitern. In die Vertrauensstellung, welche der Verdrängte eingenommen hat, treten

Der dritte Aufenthalt in Syrakus

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andere ein, die es nicht an Bemühungen fehlen lassen, ihre Stellung zu behaupten. Auch ward Dion im griechischen Mutterlande hoch geehrt, und jeder Achtungsbeweis, der dem Verbannten zuteil ward, so das Ehrenbürgerrecht, das ihm Sparta verlieh, mußte von Dionys als ein ihm erwiesener Unglimpf empfunden werden. Erschien doch Dion, er mochte es wollen oder nicht, wie eine lebendige Anklage gegen seinen königlichen Schwager; war es doch unvermeidlich, daß die Unzufriedenen in Syrakus und die Feinde des Dionysios allerwärts auf den von ihm verstoßenen Prinzen als auf ihren natürlichen Führer blickten. Dion selbst aber hoffte noch auf Versöhnung und drang in Platon, als dieser von neuem an den syrakusanischen Hof geladen ward, der Einladung zu folgen. Auch der an der Spitze des tarentinischen Staatswesens stehende A r c h y t a s unterstützte diese Mahnung, der Platon schließlich widerwillig nachgab. Er, dem über die Sinnesänderung und die philosophischen Studien des Herrschers das Günstigste berichtet ward, bestieg das ihn abholende syrakusanische Kriegsschiff in der Hoffnung, Dion den Weg in die Heimat zu ebnen und so die moralische und politische Wiedergeburt des sizilischen Großstaates vorzubereiten. Die Hoffnung erwies sich wieder als eine trügerische. Ja, der Zwiespalt, den er beizulegen hoffte, ward verschärft. Eben die ausgesprochene Vorliebe, welche Platon für Dion an den Tag legte, soll die Eifersucht des empfindlichen Fürsten wachgerufen haben. Während Dionysios die aus Dions riesigem Vermögen fließenden Einkünfte diesem bisher nicht verkürzt hatte, schritt er nunmehr an die Einziehung seiner Güter. Der enttäuschte Philosoph erkannte die Hoffnungslosigkeit seines Bemühens und wollte die Heimreise antreten. Er ward jedoch mit Auszeichnungen überhäuft, zugleich aber an der Abfahrt verhindert und gleichsam in ehrenvoller Gefangenschaft gehalten. Schließlich verdankte er es den dringenden Vorstellungen des A r c h y t a s , daß er Syrakus verlassen durfte. Er landete im Peloponnes und traf daselbst mit Dion bei den olympischen Spielen zusammen (Juli 360), wo der landesverwiesene Prinz und das hochberühmte Schulhaupt im Mittelpunkt des Interesses der panhellenischen Festversammlung standen. Wenn die Beiden sich den Blicken der Neugierigen entziehen und die abendliche Kühle am Ufer des Alpheios genießen wollten, da fehlte es den lustwandelnden Freunden nicht an mannigfachem Stoff wechselseitiger Mitteilung. Versuchen wir es, einige Brocken ihres Gespräches zu erhäschen. Dem gespannt Aufhorchenden berichtet Platon von den Eindrücken, die sein Neffe S p e u s i p p in den verschiedensten Volkskreisen zu Syrakus empfangen und sorgfältig bewahrt hat. Wenn Dion es beklagt, daß der bereits an der Schwelle des Greisenalters stehende Weise ihm und seiner Vaterstadt ein neues, so schweres und vergebliches Opfer gebracht hat, so versucht es Platon, ihn mit dem Hinweis auf G o m p e r z , Griechische Denker. II. 4. Aufl.

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Dions sisilische Expedition

die Erfolge zu trösten, welche die sein Geleite bildenden Jünger am Königshof errungen und durch die sie das Ansehen der Akademie nicht unwesentlich gesteigert hatten. Er erzählt von dem Erstaunen, das die Vorhersagung einer Sonnenfinsternis (jener vom 12. Mai 360) durch seinen Schüler H e l i k o n von Kyzikos, und von der Bewunderung, die X e n o k r a t e s erregt hatte, als er am „Kannenfest" in dem von Dionys veranstalteten Zechkampf mit echt „sokratischer Stärke" den Sieg davontrug, den Siegespreis aber, einen goldenen Kranz, verschmäht und ihn sofort einem Götterbilde aufs Haupt gesetzt hat. Auch der Freude gedenkt er, die ihm das Zusammentreffen mit dem Knidier E u d s bereitete, der vor mehr als zwei Jahrzehnten, als 23jähriger Jüngling, Athen und die Akademie besucht hatte und seither der angesehenste Astronom des Zeitalters geworden war.1 Mittlerweile drängte die Logik der Tatsachen weiter und weiter. Dionys, der sich von dem schwer verletzten und beraubten Prinzen des Schlimmsten versehen mußte, wollte es nicht dulden, daß dieser im königlichen Palaste selbst noch einen Stützpunkt besaß, der wie dazu bestimmt schien, den Mittelpunkt feindlicher Ränke zu bilden. Dions Gemahlin A r e t e war die Tochter D i o n y s i o s' I. aus dessen Ehe mit A r is t o r n a c h e , der Schwester Dions. Die Thronansprüche der Brüder Aretes hatte einst Dion vertreten, während deren Schwester S o p h r o s y n e zugleich die Halbschwester und Gattin Dionysios II., des Sohnes Dionysios' I. und der Lokrerin Doris, war. Dionysios II. löste nunmehr Dions Ehe und gab Arete wider ihren Willen einem seiner Vertrauten, T i m o k r a t e s , zur Frau. Damit war das letzte Band zwischen den feindlichen Verwandten zerschnitten. Der offene Kampf stand in drohender Aussicht.2 Drei Jahre vergingen mit Vorbereitungen. Dann griff Dion zu den Waffen. Mit einer kleinen Freischar, die großenteils aus peloponnesischen Söldnern bestand und in fünf Kauffahrteischiffen Platz fand, segelte er im August 357 von der Insel Zante nach Sizilien. Zu seinen Gefährten gehörten einige Mitglieder der Akademie, darunter E u d e m o s von Zypern, der nicht mehr zurückkehren sollte und dessen frühes Ende von seinem Freunde A r i s t o t e l e s in Prosa wie in Versen beklagt ward (vgl. S. 55); ferner T i m o n i d e s, dessen tagebuchartige, an S p e u s i p p gerichtete Aufzeichnungen eine Hauptquelle späterer geschichtlicher Darstellungen geworden sind; endlich der Unglücksmensch K a 11 i p p o s.3 Die geringe Streitmacht und der im Flug gewonnene Sieg erinnern' an die Tausend von Marsala und G a r i b a l d i s wundergleiche Eroberung des Königreichs Neapel. Hier wie dort war die Unzufriedenheit des Volkes die stärkste Verbündete des Befreiers. Allein der Wankelmut der Massen, die Dion und seine Schar jetzt mit begeistertem Jubel begrüßten, dann wieder aus der Stadt verwiesen, des-

Sein Ende

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gleichen die Ränke eines persönlichen Gegners, des aus der Verbannung heimgekehrten H e r a k l e i d e s , stellten den errungenen Erfolg bald wieder in Frage, bis Dion endlich den schließlichen Sieg gewann, dessen Früchte er freilich kaum ein Jahr lang genießen sollte. Eine Laune der Weltgeschichte hat es so gefügt, daß aus der Schule des Idealismus ein Realpolitiker der schlimmsten Art hervorgegangen ist. Ein unwürdiges Mitglied des platonischen Kreises, der oben genannte K a 11 i p p o s, hat Dion ermordet (354) und sich selbst, wenn auch nur für eine kurze Spanne Zeit, zum Herrn von Syrakus gemacht. Die Peripetien dieses Kampfes im einzelnen zu verfolgen, ist dem Plane dieses Werkes fremd. Nur die Frage soll uns beschäftigen, ob und wodurch D i o n sein tragisches Ende verschuldet, und ob Platon sich in ihm getäuscht hat. Das wird gegenwärtig mehrfach behauptet, indem die einen in Dion einen gewöhnlichen Ehrgeizling erblicken, der von allem Anfang an nur darauf ausging, sich an die Stelle des Dionysios zu setzen, während andere wähnen, der Machtbesitz habe ihn gar bald berauscht und ihn seinen ursprünglich edlen Absichten entfremdet. Keine dieser Meinungen gilt uns als wohlbegründet. 3. Zwischen Dion und seinen Landsleuten lag vom Anbeginn an ein schweres, kaum zu besiegendes Mißverständnis.1 Mit zweierlei waren die Bewohner der sizilischen Großstadt wohlvertraut: mit der rücksichtslosen Gewaltherrschaft ihrer Monarchen, D i o n y s i o s ' des Vaters und des Sohnes, und mit der nicht minder rücksichtslosen revolutionären Demokratie, die das Wohl der Massen durch Beraubung der Besitzenden erstrebte und nach Gütereinziehung und Landverteilung rief. Was ihnen völlig unbekannt war und kaum verständlich werden konnte, das war ein Staatslenker, dessen Ziel das Volkswohl, dessen Mittel aber eine wohl abgewogene Machtverteilung, ein starkes, dem unmittelbaren Einfluß der Menge nicht rückhaltlos preisgegebenes Regiment war — eine Regierung, deren Tendenz sich in die Devise fassen läßt: Alles für das Volk, wenig durch das Volk. Nichts begreiflicher, als daß die Syrakusaner dem Angehörigen der Herrscherfamilie erhebliches Mißtrauen entgegenbrachten und den demagogischen Künsten eines Volksverführers wie Herakleides standzuhalten nicht vermochten. Solch einem Widersacher war Dion nicht gewachsen. Eben die Eigenschaften, welche ihn zu einem würdevollen Vertreter des Staates im Ausland gemacht, die den Karthagern bei seinen Gesandtschaftsreisen aufs wirksamste imponiert hatten, haben seine Eignung zur Rolle eines Volksführers gemindert: sein verschlossenes, stolzes Wesen, das selbstsichere Auftreten, das ihm (als Prinzen wü; als Philosophen) anhing. Vom Philosophen und Idealisten besaß er auch die übergroße Milde, die Bereitwilligkeit, erlittene Unbill zu verzeihen und zu vergessen, eine Neigung, die er Hera27«

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Moderne Anklagen gegen Dion

kleides gegenüber in einem alle vernünftigen Grenzen überschreitenden Ausmaß betätigt hat. Auch konnte er dieser Tendenz nicht bis zum Ende treu bleiben. Er hatte Herakleides, der ihn verraten hatte und den hinrichten zu lassen sein gutes Recht war, zur Unzeit unter allgemeiner Mißbilligung seiner Anhänger geschont, ihm das verwirkte Leben gelassen, ja ihn als Mitbefehlshaber von neuem an seine Seite gestellt, bis ihm endlich keine andere Wahl blieb, als entweder dem Unwürdigen den Platz zu räumen oder ihn ohne gerichtliches Urteil zu töten. Er tat das letztere und betrat damit die Bahn der Revolution, die alsbald ihn selbst verschlingen sollte. Den toten Dion zum mindesten hat das syrakusanische Volk aufs höchste geehrt und hat durch seine Trauer von dem tiefen Eindruck Kunde gegeben, den die Persönlichkeit des fürstlichen Philosophen trotz aller Mißverständnisse und Mißhelligkeiten in ihm zurückgelassen hatte. Die Hauptanklage, welche moderne Geschichtsschreiber gegen Dion erheben, erachten wir als völlig grundlos. Er weigerte sich, dem von Herakleides vertretenen Wunsch der Bevölkerung beizupflichten und den zu einer Festung ausgebauten Herrschersitz zu schleifen. Für diese Weigerung gab es vielfache und gute Gründe. Jene Schleifung wäre in erster Reihe eine Demonstration gewesen, an der teilzunehmen Dion schon durch das einfache Gebot der Schicklichkeit und Familienpietät verhindert wurde. Jahrzehntelang hatten seine Schwester A r i s t o m a c h e , seine Nichte und Gattin A r e t e in der Burg gethront. Ihre Zerstörung mußte einen Freudentaumel des Volks entfesseln und das Signal zu Kundgebungen bilden, die sich gegen alle Mitglieder der Herrscherfamilie richteten. Dions Aufgabe war es, die Parteien zu versöhnen, nicht dem revolutionären Radikalismus neue Nahrung zuzuführen. Und hätten ihn auch diese Rücksichten nicht bestimmt, die bloße Tatsache, daß sein bitterer und verschlagener Gegner Herakleides der Urheber des Vorschlags war, mußte ihm diesen verleiden und die Entscheidung darüber zu einer Kraftprobe zwischen den sich bekämpfenden Rivalen machen. Die Regierungsform aber, deren Einführung Dion beabsichtigte, war eine aus monarchischen, aristokratischen und demokratischen Elementen gemischte, ein Plan, dessen Übereinstimmung mit Platons reiferen Entwürfen kaum eine zufällige sein kann. Daß sich diese Mitteilung P l u t a r c h s nicht bloß auf Mutmaßungen oder Fiktionen engerer vertrauter Kreise gründet, das lehrt der Umstand, daß Dion „Helfer und Berater" aus der aristokratisch regierten Mutterstadt Korinth herbeirief, eine Tatsache, die wir anzuzweifeln keinen Grund haben und zu der überdies die korinthischen Mustern nachgebildete Münzprägung Dions trefflich stimmt.1 An eben diesem Punkte berührt er sich aufs engste mit T i m o l e o n. Dieser ward zehn Jahre später, nachdem die Syraku-

Dion und Timoleon

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saner mittlerweile die Gewaltherrschaft des K a 11 i p p o s, der zwei S ö h n e D i o n s , des noch einmal zurückgekehrten D i o n y s i o s und schließlich des H i k e t a s durchgekostet hatten, aus Korinth herbeigerufen oder, genauer gesprochen: die Mutterstadt, an weche die Bitte um Ordnung der zerrütteten syrakusanischen Verhätnisse ergangen war, hat den edlen und erprobten Timoleon mit dieser schwierigen Aufgabe betraut. Ihm gelang das Werk, an welchem Dion gescheitert war. Seine mächtige Persönlichkeit siegte im Verein mit den maßvollen Staatseinrichtungen, die er geschaffen hat, über die bedrohlichen Tendenzen, die immer wieder zur Tyrannis hindrängten und in der Tat auch zwanzig Jahre nach Timoleons Tod durch A g a t h o k l e s (316) wieder die Oberhand gewannen. Zwischen der von Timoleon durchgeführten und der von Dion geplanten Verfassungsreform besteht nicht der scharfe Gegensatz, den moderne Historiker zumeist wahrzunehmen glauben. Dem steht schon der gleichartige Ausgangspunkt, die beiden Staatsmännern gemeinsame Anlehnung an das aristokratisch regierte Korinth entgegen. Auch wird diese Vormeinung durch das Wenige bekräftigt, was wir von dem durch Timoleon begründeten Regiment mit einiger Sicherheit wissen: an die Spitze des Staates ward ein aus einem engen Kreise von Familien alljährlich erlöster Priester des olympischen Zeus gestellt, ihm zur Seite aber ein „Rat der 600", den uns die spätere Entwicklung als einen Träger oligarchischer Parteirichtungen zeigt.1 Was die beiden hochgesinnten. Männer und ihr Werk vorzugsweise unterschied, das war, von der so ungleichen Dauer ihrer Wirksamkeit abgesehen, vorerst ihr Temperament, dann aber — und das gilt uns als das Wichtigere — die Verschiedenheit ihrer Lage. Gleichwie die an Siegen reiche, glanzvolle Regierung Ludwigs XIV. es nicht verhindert hat, daß Frankreich am Schlüsse der langen Herrschaft dieses Monarchen aufs tiefste erschöpft und verarmt war, so hat sich Syrakus trotz der errungenen Großmachtstellung und ungeachtet aller Waffenerfolge seiner Fürsten schließlich an den endlosen Kriegen mit Karthago und an dem lange währenden Bürgerzwist verblutet. Gras wuchs auf dem Marktplatz von Syrakus, als Timoleon die Stadt betrat. Demgemäß war der Demos, mit welchem Dion, und derjenige, mit dem Timoleon zu schaffen hatte, nur dem Namen nach derselbe. Mit ungebärdigem Trotze, mit ungezügelter Begehrlichkeit stand er Dion gegenüber; ein fügsames und williges Werkzeug war er in den Händen Timoleons. Dion verlor ein gut Teil seiner Volkstümlichkeit, als er dem wilden Ruf nach Landverteilung keine Folge gab. So konnte er sich, er mochte es wollen oder nicht, unmöglich ganz und gar auf den Demos stützen und des Beistandes auswärtiger Söldner nicht vollständig entraten. Timoleon war der Abgott des Volkes, obgleich er, statt den Grundbesitz unter die Menge zu verteilen, vielmehr kapitalskräftige Kolonisten in großer Zahl

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Die Reihenfolge der platonischen Altersschriften

ins Land zog und die von ihren verbannten Eigentümern verlassenen Häuser nicht etwa verschenkte, sondern um hohe Preise an die Meistbietenden verkaufte. Diese tiefgreifende Verschiedenheit der sozialen und wirtschaftlichen Lage in den beiden so nahe benachbarten Epochen ist bisher, wie wir meinen, nicht genügend beachtet worden und ihre Verkennung hat zu Vergleichen geführt, die Timoleons Haupt mit einem mehr als gebührend hellen Glanz umweben, Dions Gestalt aber in einen unverdient tiefen Schatten rücken.

F ü n f z e h n t e s Kapitel. Platons „Euthydem" und „Parmenides". at D i o n s Unternehmen — so mag manch einer unserer Leser fragen — in der langen Reihe platonischer Schriften keine erkennbare Spur zurückgelassen? Wir glauben eine solche wahrzunehmen, und zwar an jener Stelle des „Staatsmannes", wo das Recht des Wohlgesinnten und zu seiner Aufgabe Befähigten, die Menschen auch gegen ihren Willen zu ihrem Glück zu zwingen und sie aus einer verkehrten in ,eine heilbringende Staatsordnung ihinüberzuleiten, mit einem Eifer, einem Feuer verfochten wird, wie es sich nur an einer aktuell gewordenen Frage zu entzünden pflegt.1 Es wäre erwünscht, hierbei zu verweilen und die Besprechung des „Staatsmanns", des Mittelglieds zwischen dem „Staat" und den „Gesetzen", der Betrachtung des ersteren alsbald folgen zu lassen. Allein das volle Verständnis des Gespräches ließe sich auf diesem Wege nicht erzielen. Ist doch der „Staatsmann" die Fortsetzung des „Sophisten", der seinerseits an den „Theätet" geknüpft ward. Zwei Stücke dieser Trilogie, der „Theätet" und der „Sophist", blicken wieder auf den „Parmenides" zurück, nicht bloß durch vereinzelte Winke und Rückdeutungen, vielmehr dadurch, daß sie ausdrücklich an die fiktive Unterredung erinnern, die der jugendliche S o k r a t e s mit dem greisen P a r m e n i d e s in betreff der Ideenlehre gepflogen hat, und die in dem nach dem eleatischen Denker benannten Gespräche wiedergegeben wird. So muß denn unsere Erörterung dieser ganzen Phase platonischer Schriftstellerei vom „Parmenides" ausgehen, dem wir jedoch noch ein bisher von uns beiseite gesetztes Werk von geringerer Bedeutung voranschicken wollen. Wir meinen den „E u t h y -

Der „Euthydemos" — ein dialektischer Fastnachtsschwank

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d e m", der nach Form und Inhalt einer früheren Periode zuzuweisen ist.1 Einer früheren, aber keiner sehr frühen. Denn die „Sophisten", gegen die Platon in diesem Gespräch zu Felde zieht, sind „Eristiker" (vgl. 1*349 f.), und es ist die Eristik, die hier bekämpft wird. Freilich werden die Auswüchse der Dialektik, mit denen sich der „Euthydem" befaßt, von geringwertigen Alltags-Persönlichkeiten zu Markte gebracht, von einem Brüderpaar, das die Fecht- und Kriegs- sowie die Redekunst mit der Begriffs-Streitkunst vertauscht hat.2 Allein es sind Sokratiker, es ist vor allem A n t i s t h e n e s , den Platon treffen; will, indem er jene Klopffechter schlägt. Die skurrile Art, in der dies geschieht, liefert wieder ein unverächtliches chronologisches Merkmal. Der leichtgeschürzte, an das Possenhafte grenzende Angriff muß der ernsten Bestreitung antisthenischer Lehren vorangegangen sein, welche der „Theätet" und der „Sophist" enthalten. Das gegenteilige Verhältnis würde eine umgekehrte Klimax darstellen, die der Kunstverstand auch eines geringeren Meisters, als Platon es war, zu meiden gewußt hätte. Ein dialektischer Fastnachtsschwank — so möchte man den „Euthydemos" nennen. Was er bezweckt, das verrät uns am deutlichsten das Nachwort. Sokrates' Freund K r i t o n hat die Lykeion genannte Turnstätte verlassen, in welcher die beiden Eristiker ihre Kunststücke zum besten gaben. Unterwegs begegnet ihm ein Rhetor, der seiner Geringschätzung der Eristik Ausdruck gibt und mit dem überlegenen Ton eines Mannes, der in der von ihm geübten Redekunst die wahre Philosophie erblickt, jene Mißachtung auf die Philosophen überhaupt ausdehnt.3 Darin dürfen wir unbedenklich eine der dialogischen Kunstform angepaßte Beziehung auf ein literarisches Vorkommnis erblicken. Derartigen Angriffen auf die Philosophen als „Streitkünstler", wobei P l a t o n , A n t i s t h e n e s und die Megariker unterschiedslos vermengt werden, begegnen wir in manchen Reden des I so k r a t es. Da die Charakteristik jenes im Epilog des „Euthydem" erwähnten Ungenannten in der Hauptsache wie in Einzelzügen — er ist ein Redenschreiber, der des öffentlichen Auftretens nicht gewohnt ist — gleichfalls auf Isokrates paßt, so lag es nahe, anzunehmen, es sei hier eben dieser gemeint. Diese Mutmaßung läßt sich nicht zu voller Sicherheit erheben. Doch mag jener Kritiker, der ohne Groll an den ihm gebührenden Platz gewiesen und dem im übrigen keineswegs alle Achtung versagt wird, Isokrates oder irgendein anderer sein: in diesem Nachspiel darf man jedenfalls den Schlüssel zum Verständnis des Gespräches finden. Ein Angriff der gekennzeichneten Art ist für Platon der Anlaß geworden, seine Sokratik von jener seiner Gegner und Rivalen aufs schärfste zu sondern. E u t h y d e m und D i o n y s o d o r — das oben erwähnte Brüderpaar — liefern ein Zerrbild der zum Teil aus Anregungen, die Z e n o n gegeben hatte,

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Die Trug- und Fangschlüsse des „Euthydem"

erwachsenen, schon von einigen Sophisten geübten, aber erst in der Schule des Sokrates zu voller Entfaltung gediehenen Dialektik. Paradoxe Schlüsse sind hier nicht mehr ein Behelf geistiger Gymnastik; sie sind als Trug- und Fangschlüsse Selbstzweck geworden oder vielmehr Mittel des Gelderwerbs, zunächst dazu bestimmt, zu blenden und zu verblüffen, jenes Gelächter und Beifallklatschen der dichtgedrängten Zuhörer zu erregen, von welchem die Säulen des Lykeion erzittern. Der vorgeblichen Absicht der Brüder, zur Weisheit und Tugend anzuleiten, widerspricht aufs grellste die Frivolität, mit der sie von allem Anfang an die Möglichkeit des Lernens bestreiten, da die Weisen nichts mehr zu lernen brauchen, die Unwissenden aber nichts zu lernen vermögen.1 Das eine Mal wird nämlich „Lernen" im Sinne des Wissenserwerbs überhaupt, das andere Mal im Sinne des hierbei vorkommenden Verwertens eines schon erworbenen Wissens (z. B. des Lesenkönnens beim Auswendiglernen) verwendet. Das Spiel mit dem Doppelsinn der Worte, das stillschweigende Fallenlassen einschränkender Bestimmungen, die Ausnutzung sprachlich möglicher, aber sachlich unzulässiger Konstruktionen, das Summieren von Prädikaten, die zur Bezeichnung völlig verschiedener Beziehungen dienen, die Vertauschung der mannigfachen Bedeutungen des Possessivpronomens — all das und manches andere führt zu einer Reihe von paradoxen Fehlschlüssen, deren Krone und Gipfel wohl die Folgerung ist: Dieser Hund ist dein; er ist ein Vater; folglich ist er dein Vater. Ebenso werden Ergebnisse wie die folgenden erzielt: Wer etwas weiß, ist ein Wissender; ein Wissender kann niemals und nirgendwann ein Unwissender sein; darum wird von dem, der irgend etwas weiß, alles allezeit gewußt. Oder: Abstechen, Zerstückeln, Kochen und Braten kommt dem Koch zu, darum ziemt es, ihn abzustechen, zu zerstückeln, zu kochen und zu braten; oder: Mir gehörende lebende Wesen (Tiere) habe ich das Recht zu opfern und zu verkaufen; Apollon gehört mir (weil er durch einen Familienkult mit mir verbunden ist); er ist ein lebendes Wesen; darum habe ich das Recht, auch den Gott zu opfern und zu verkaufen. Nun ist es eine erlesene Malice Platons, Lehrsätze des A n t i s t h e n e s in den Aberwitz jener Wortverdreher und Begriffsjongleure einzuschmuggeln. So die Behauptung der Unmöglichkeit des Widersprechens und unwahrer Aussagen überhaupt.2 Daß dies ernst und ehrlich gehegte Aporien des Gründers der kynischen Schule waren, kann nicht dem mindesten Zweifel unterliegen (vgl. S. 145 f.). Es ist ein polemischer Kunstgriff Platons, die von ihm geringgeschätzten Doktrinen eines gehaßten Gegners (vgl. S. 142 f.) durch die Umgebung, in die er sie stellt, und durch die Personen, denen er sie in den Mund legt, zu diskreditieren. An Antisthenes läßt uns übrigens schon das erste Auftreten jener eristischen Marktschreier denken. Denn daß sie von der Rhetorik zur

Ziel und Zweck des „Euthydem"

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Dialektik, und zwar erst in vorgerückten Jahren, übergegangen sind, das ist ein Zug, der den zeitgenössischen Leser sofort an Antisthenes erinnern mußte, der einen ähnlichen Weg gewandelt ist und den Platon im „Sophisten" gleichfalls als „spätlernenden Greis" verspottet (vgl. S. 112). Dem Zerrbild steht ein Glanzbild gegenüber. Die Streitgänge der dialektischen Tausendkünstler werden wiederholt von schlichten Unterredungen des S o k r a t e s mit einem der anwesenden Jünglinge abgelöst. Der Lehrgehalt dieser Darlegungen ist ungefähr dieser.1 Alle Güter werden zu solchen erst durch den richtigen Gebrauch. Der Nichtgebrauch läßt sie als toten Besitz bestehen; der Mißbrauch verwandelt sie in Übel, die um so schwerer sind, je größer die Wirkungskraft ist, die ihnen innewohnt. Nun ist der richtige Gebrauch von der Einsicht bedingt und diese somit das einzige unbedingte Gut. Es entsteht die Frage, welches die Natur dieser Einsicht ist. Es gilt als ausgemacht, daß in ihr die Fähigkeit des Hervorbringens mit jener der gehörigen Verwendung des Hervorgebrachten zusammenfallen muß. Das bloße Hervorbringen genügt nicht. Lassen sich doch auch die Meister der hervorragendsten Künste mit bloßen Jägern vergleichen. Wie diese die gewonnene Beute anderen einhändigen, die sie zu gebrauchen verstehen, so muß auch der Feldherr die eroberte Stadt dem Staatsmann überantworten, ebenso der Spezialforscher (z. B. der Mathematiker oder der Astronom) die von ihm ermittelten Lehrsätze dem ihm übergeordneten Dialektiker überliefern. Welche ist nun jene oberste oder „königliche Kunst"? Auf diese Frage erfolgt keine Antwort: wir werden ihr im „Staatsmann" wieder begegnen. Das Bemerkenswerteste an diesen Darlegungen ist der Ton, in dem sie vorgebracht werden. Vom verwirrenden Kreuz- und Querverhör, von jenen betäubenden Schlägen des sokratischen Elenchos, die das Zitterrochen-Gleichnis des „Menon" versihnlicht (vgl. S. 290 und 2Q5f.), von aller Mystifikation und Paradoxie sind wir himmelweit entfernt. Dieselbe Erörterung liefert, beiläufig bemerkt, auch einen sicheren Beweis dafür, daß der „Euthydem" dem „Menon" nachgefolgt ist. Denn während im „Menon" die Frage nach der Lehrbarkeit der Tugend weitläufig verhandelt wird, bejaht sie Sokrates hier ohne weiteres, mit einem kurzen Worte freudiger Zustimmung. Sein freundlicher Zuspruch, seine väterlich aufmunternde Anleitung zur Gewinnung positiver Ergebnisse steht in schroffem Gegensatze zu den unfruchtbaren und abschreckenden Paradoxien der beiden Eristiker. Diese tiefgreifende, wohlberechnete Kontrastwirkung darf als Ziel und Zweck des ganzen Gespräches gelten. Dessen Grundmotiv aber ist die Auseinandersetzung mit anderen, zumal mit den sokratischen Philosophen-Schulen, ein Motiv, das mit steigendem Ernst und wachsender Reife eine Reihe nachfolgender Dialoge beherrscht. Eben hierin liegt zugleich ein unanfechtbares chro-

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Die Szenerie des „Parmenides"

nologisches Merkmal, das uns, wie wir schon bemerkt haben, den „Euthydem" dem „Theätet" und desgleichen den „Parmenides" dem „Sophisten" voranzustellen nötigt. 2. Wer sich vom „Euthydem" zum „ P a r m e n i d e s " wendet, dem bleibt eine gewaltige Überraschung nicht erspart.1 Die überlegene Sicherheit, mit welcher Platon Fehlschlüsse aller Art durchschaut, der sengende Sarkasmus, mit welchem er die Begriffsgaukler verspottet, haben uns nicht darauf vorbereitet, ihn selbst eine dichte Saat von Trugschlüssen ausstreuen zu sehen. Und doch nimmt eine solche, wie selbst die wärmsten Bewunderer Platons zuzugeben nicht umhin können, im Dialog „Parmenides" den breitesten Raum ein. Wie das möglich ist, und möglich, ohne unsere Hochachtung vor Platons Forscherernst zu schmälern, das wird der Einblick in den Bau dieses Werkes zeigen, vielleicht des merkwürdigsten, das Platon geschaffen hat. Unsere Leser sind bereits mit dem starken Familiensinn des Denkers vertraut, der im „Staate" die Familie abzuschaffen unternommen hat; sie kennen das Bestreben des großen Schriftstellers, das Andenken seiner nächsten Verwandten zu verewigen. Diesmal wird sein Halbbruder A n t i p h o n dieser Ehre teilhaft. Ihm spekulative Neigungen zuzuschreiben war jedoch offenbar nicht tunlich, ohne seinem Charakterbild geradezu Gewalt anzutun. So wird er uns denn am Eingang des. Dialogs als das, was er war, als ein Sportsmann vorgeführt, der soeben mit einem Handwerker über die Anfertigung eines Pferdezügels verhandelt. Er hat dereinst, und zwar mehr als einmal, von P y t h o d o r o s , dem Gastfreunde des Eleaten Z e n o n , den Bericht über ein Gespräch empfangen, das P a r m e n i d e s und dieser sein Lieblingsschüler bei ihrem Besuch Athens mit dem noch gar jugendlichen S o k r a t e s gepflogen haben. Da es sich um einen Vorgang der fernen Vergangenheit handelt, ist dieser Bericht aus dritter Hand ein ganz wohlbegründeter Kunstgriff. Nach einigem Zögern willigt Antiphon ein, dem Wunsche des von Platons Brüdern A d e i m a n t o s und G l a u k o n eingeführten K e p h a l o s aus Klazomenä zu willfahren und das von Pythodoros Gehörte mitzuteilen. Das also wiedererzählte Gespräch knüpft an die zenonischen Thesen an (vgl. 1 4 159 ff.), die zu vernehmen Sokrates nebst vielen anderen herbeigeeilt war. Indem Zenon die V e r g e l t u n g , die er an den Gegnern seines Meisters üben wollte, als das Motiv seines Thesenkranzes bezeichnet, deutet Platon bereits den Leitgedanken des ganzen Dialogs an. Bald ergibt sich ein zwangloser Übergang zur platonischen Ideenlehre, die der kaum dem Knabenalter entwachsene Sokrates mit der Zuversicht und dem Ungestüm der Jugend vertritt — ein Dogmatismus, der die Kritik des greisen eleatischen Schulhaupts herausfordert. Eine Reihe von Einwänden gegen die Ideenlehre wird vor-

Seine Absteckung

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gebracht und bleibt im wesentlichen unwiderlegt. Diese Erörterung bildet den ersten, weitaus kürzeren Teil des Gespräches. Damit Sokrates zu größerer Reife herangebildet werde, legt ihm Parmenides wie zur Vorübung eine lange Reihe von Aporien vor, die ihre Spitze gegen nichts anderes kehren als gegen den Kern der eleatischen Einheitslehre! So folgt der platonischen die parmenide'ische Selbstkritik. Hier ist es, wo Platons Subtilität ihren Höhepunkt erreicht, wo wahre und falsche, annehmbare und unstatthafte Argumente in bunter Fülle durcheinander wirbein, wo aus denselben Prämissen einander widersprechende Folgerungen abgeleitet werden und schließlich nichts anderes übrigbleibt als ein Eindruck betäubender Verwirrung. So befremdlich ist dieser Dialog den Kritikern und Auslegern erschienen, daß es weder an den gewaltsamsten Versuchen, ihn zu deuten, gefehlt hat, noch an der Verwerfung seiner Echtheit, noch endlich an der Annahme, daß der die ersehnten positiven Lösungen enthaltende Schluß verloren gegangen sei und wir nur mehr einen Torso besitzen. All dieser Abenteuerlichkeiten enthebt uns diejenige Auffassung des Gespräches, die wir in teilweisem Einklang mit einigen Vorgängern also darlegen möchten. Der „Parmenides" ist das Erzeugnis einer Gärungsepoche im Geiste seines Urhebers. Einwürfe, die vorzugsweise aus dem Lager der Megariker oder Neu-Eleaten und von ihnen beeinflußter Denker kamen, haben Platon im Verein mit eigenem vertieften Nachdenken eine Reihe von Schwierigkeiten offenbart, die seiner metaphysischen Grundlehre anhaften.1 Diese Schwierigkeiten insgesamt zu überwinden, dazu fühlt er sich zurzeit wenigstens nicht imstande. Noch schwerer aber wird es ihm, die Ideenlehre, die mit seiner ganzen Weltansicht verwachsen ist, aufzugeben oder ihr auch nur eine jenen Einwendungen minder ausgesetzte Gestalt zu leihen. Ob dies jemals gelingen werde, steht dahin. Daß aber den Schwierigkeiten, an denen seine Lehre leidet, ebenso große oder noch größere gegenüberstehen, zu deren Besiegung sie die alleinigen Mittel liefert, dessen ist er gewiß. Vielleicht — so mochte er denken — ist eine völlig einwurfsfreie, widerspruchslose Ansicht von den höchsten Dingen zu gewinnen dem menschlichen Geiste überhaupt verwehrt. So faßt er denn, vom lautersten Wahrheitsdrang beseelt, alles, was sich gegen die Ideenlehre vorbringen läßt, zusammen, unbekümmert um die Scheidung der ihm als widerlegbar und der ihm vorerst noch als unüberwindlich geltenden Argumente. Durch diese Aneinanderreihung plausibler Einwürfe gegen die eigene Theorie erkauft er sich das Recht, mit demselben Verzicht auf Sonderung des Haltbaren und des Haltlosen auch all die plausiblen Einwendungen zusammenzufassen, die sich gegen eine andere metaphysische Grundansicht erheben lassen, und zwar gegen die jener Schule, von deren jüngerem Zweige die heftigsten Angriffe

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Einwürfe

gegen die Ideenlehre

gegen die Ideenlehre ausgegangen sind und die zugleich durch Begriffsstrenge den höchsten Rang einnimmt. In dieser Art des „Vergehens", das zugleich nach Platons Weise zu einem Überbieten wird (vgl. S. 245 f. und 348), findet er Trost und Beruhigung. So gleicht der „Parmenides" einer Gerichtsverhandlung, die nach dem Vortrag der Plädoyers (der Anklage und der sich zu einer Gegenanklage gestaltenden Verteidigung) vor der Fällung des Urteilsspruchs vertagt wird. 3. Werfen wir einen Blick auf beide Teile des Gespräches. Der Einwürfe gegen die Ideenlehre gibt es sechs, oder, da zwei von ihnen Spielarten desselben Arguments sind, genauer f ü n f . Dieses Argument, von A r i s t o t e l e s mit dem Kunstausdrucke „der dritte Mensch" bezeichnet, rührt von dem „Sophisten" P o l y x e n o s , einem dem megarischen Kreise nahestehenden Denker, her. Wenn zwei Einzeldinge a1 und a2 ihre Gleichartigkeit einer Form oder Idee A verdanken, an der beide teilhaben oder der sie nachgebildet sind, wem verdankt dann die Gleichartigkeit, die zwischen der Form A und jenen Einzeldingen obwaltet, ihren Ursprung? Bedarf es dazu nicht wieder einer übergeordneten zweiten Form A1, mithin einer dritten Stufe in der Wesenreihe? Und was von A im Verhältnis zu a1 und a2, das gilt wieder von A1 im Verhältnis zu A, und so fort ins Unendliche. Eine andere Aporie liegt in der Frage beschlossen, wie denn die Einzeldinge an den Ideen teilnehmen, wie eine solche, ohne ihre Einheit einzubüßen, in vielen Einzelobjekten anwesend sein kann — eine Schwierigkeit, die auch im späten „Philebos" wiederkehrt, und über welche Platon nach dem Zeugnis des Aristoteles niemals ins reine gekommen ist.1 Die Alternativannahme der N a c h b i l d u n g statt der T e i l n a h m e wird gleichfalls vorgebracht, aber mittelst der einen der beiden Spielarten des zuerst erwähnten Arguments angefochten. Ein weiteres Bedenken ist dasjenige, welches kurzweg das antirealistische heißen kann: ob denn die Ideen überhaupt anderswo als in unserem Bewußtsein vorhanden sind? Hier durchbricht Platon die von ihm gewählte Kunstform. Es widerstrebt ihm augenscheinlich, dem gehaßten Gegner A n t i s t h e n e s , dem Urheber dieser Bedenklichkeit (vgl. S. 142 ff.), auch nur zeitweilig recht zu geben. So läßt er denn Parmenides selbst erwidern, die in unserem Geist vorhandenen Vorstellungen müßten doch, wenn sie anders Wahrheit besitzen, Vorstellungen von e t w a s sein, es müssen ihnen G e g e n s t ä n d e entsprechen. (Es ist das im letzten Grunde ein Appell an das primitive, seine eigene Tätigkeit noch nicht zergliedernde Denken, das sich in der Sprache niedergeschlagen hat.) Den Schluß der Reihe bildet das von Platon selbst als das wichtigste bezeichnete Paar von Einwänden. Selbst das Dasein der Ideen vorausgesetzt, wie sollen sie uns — und hier wird man an Gorgias* Thesenkranz erinnert (vgl. 1*400) — e r k e n n b a r sein? Die zwei

Die Antinomien des „Parmenides"

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Glieder einer Relation gehören stets der gleichen Seinsstufe an: dem Herrn steht der Knecht, dem Knecht der Herr gegenüber; der Herrschaft aber die Knechtschaft, und umgekehrt. So kann auch der Wahrheit an sich oder der Idee der Wahrheit nur die Idee der Erkenntnis, nicht die menschliche Erkenntnis gegenübertreten. Und nicht anders stehe es mit der B e s c h a f f e n h e i t der Beziehungsglieder: die Erkenntnis, welche die höchste, lauterste und vollkommenste ist, kann nur einem ebensolchen Wesen, mithin nicht dem Menschen, sondern nur der Gottheit eignen. Hier dürfen wir uns des „Phädon" und seiner Auffassung der Leiblichkeit als eines Hindernisses ungetrübter Erkenntnis erinnern. Endlich geht dieser ganzen Aporienreihe eine von Sokrates mit gewichtigstem Ernst aufgeworfene Frage voran, die dem Verhältnis der Ideen untereinander, der Möglichkeit ihrer Trennung und Verbindung, gilt. Auf diese Frage hat Platon im „Sophisten" eine Antwort zu erteilen sich angelegentlich bemüht — eine Antwort, deren Keim allerdings schon in unserem Gespräche zu finden ist. In Ansehung des „ m ü h e v o l l e n S p i e l e s", das nach Platons eigenem Wort den zweiten Teil seines Werkes einnimmt, müssen wir uns kürzer fassen.1 Wenn aus dem eleatischen Einheitsbegriff eine Reihe widerspruchsvoller Folgerungen (Antinomien) abgeleitet wird, so ist daran von allem die widerspruchsvolle Natur jenes Begriffes selbst schuld. „Die absolut gefaßte Einheit", so mußten wir schon einmal bemerken, „ist mit jedem Neben- gleichwie mit jedem Nacheinander unverträglich" (I * 158, vgl. auch 168). Sie ist identisch mit der Ausdehnungslosigkeit, der räumlichen wie der zeitlichen. Und doch soll diese Einheit ein Reales, und zwar das einzige Reale, sein, während doch Realität von räumlichem Sein keineswegs streng geschieden wird. So schließt das also verstandene Sein eine Vielheit von Teilen in sich, als absolute Einheit hingegen ist es aller Vielheit bar und ihr entgegengesetzt. Schon Z e n o n hatte diesen inneren Widerspruch erkannt und ihm seine verblüffenden antinomischen Folgerungen abgewonnen. Der Verfasser des „Parmenides" folgt seinen Spuren und überbietet ihn, wobei er seinem dialektischen Übermut die Zügel schießen läßt und sich zumeist daran ergötzt, die Unvereinbarkeit von Einheit und Vielheit, die einen Haupteinwurf gegen die Ideenlehre abgab, in der eleatischen Theorie wiederzufinden. Den Rattenkönig von Widersprüchen, die sich aus der Anerkennung, aber auch aus der Verwerfung, des eleatischen Einheitsbegriffes ergeben sollen, faßt das Schlußwort dahin zusammen, „daß, ob das Eine nun ist oder nicht ist, es selbst und das Andere in bezug auf sich sowohl als auf einander, alles in aller Weise ist und nicht ist, zu sein scheint und nicht scheint." Wahrhafter, glänzender Scharfsinn, gelegentliche bewußte Fehlschlüsse und der dem ganzen Zeitalter gemeinsame Mangel an logischer Schulung vereinigen sich in diesen blendenden, aber er-

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/«t „Parmenidcs" triftige und untriftige Folgerungen nebeneinander

müdenden Erörterungen. Auf diesen Mangel sind, wie die Vergleichung mit anderen Dialogen deutlich lehrt,1 insbesondere zurückzuführen: die Verwechslung des Seins im Sinne des Kopula-Begriffes mit dem Sein im Sinne der Existenz, die Verwechslung von Identität der Art mit Identität der Zahl nach, desgleichen unstatthafte Umkehrungen von Urteilen — drei Denkfehler, die Platon mit G o r g i a s teilt (vgl. l * 398 f. und 401 f.). Ferner die Verwechslung der Realität eines Begriffes mit der Realität „aller ihm möglicherweise unterzuordnenden Gegenstände oder Vorstellungen", ebenso die „Verwechslung von Begriffsvergleichung und Urteil". Die beiden letzteren Irrungen hat ein Zeitgenosse in artiger Weise beleuchtet. Es sind Schlüsse von der Art des folgenden: „Der Begriff , Vogel' ist kein imaginärer, es kommt ihm Sein zu; der Greif ist ein Vogel; also kommt ihm Sein zu." Und: „Reich ist nicht glücklich, d. h. der Begriff ,reich' ist verschieden von dem Begriff ,glücklich'; folglich kann kein Reicher glücklich sein". Ein Versuch der Scheidung des Triftigen vom Untriftigen in diesen Beweisführungen wird nicht unternommen und häitte Platon, wie wir soeben sahen, nur teilweise gelingen können; soweit solche Scheidung auf der damals erreichten Stufe der Denkschulung möglich war, wird sie Lesern und Schülern überlassen. Die Gerichtsverhandlung wird, um bei unserem Bilde zu bleiben, abgebrochen, ehe das Verdikt gefällt ist. Allein ihre Wiederaufnahme steht für jeden, der Platon kennt, in sicherer Aussicht. Und zwar wird sie eine doppelte Gestalt annehmen. Eine ernste, umfassende und tiefgreifende Prüfung fremder metaphysischer Doktrinen wird den indirekten Beweis für die Unentbehrlichkeit der Ideenlehre auf strengere Art zu erbringen trachten; und die Zweifel und Bedenken, von denen Platons Geist erschüttert ist, werden ihn zu Modifikationen seiner Grundlehre vermögen. Die erste dieser Erwartungen hat der „Theätei", die erste und die zweite dessen Fortsetzung, der „Sophist", erfüllt. Ja, je mehr wir uns in die windungsreichen Beweisgänge des „Parmenides" vertiefen, um so sicherer werden wir in ihnen Winke erkennen, die Lehren der platonischen Spätzeit wenn nicht vorwegnehmen, so doch ahnen lassen.2

Sechzehntes

Kapitel.

Der „Theätet" und der „Kratylos". [ h e ä t e t o s , dessen Namen die Geschichte der Mathematik mit Ehren nennt, ist vor Korinth verwundet worden und überdies im Feldlager erkrankt.1 Er wollte in der Heimat sterben und ward zu Schiffe von Korinth in den Hafen von Megara gebracht, wo ihm E u k l e i d e s begegnet und bis über die attische Grenze das Geleit gibt. Nach Megara zurückgekehrt beklagt dieser seinem Genossen und sokratischen Mitschüler T e r p s i o n gegenüber den drohenden Verlust des trefflichen Mannes. Er erinnert sich einer bedeutungsvollen Unterredung, die einst S o k r a t e s mit dem Mathematiker T h e o d o r e s von Kyrene und dessen Schüler T h e ä t e t gepflogen hat, und freut sich des Kennerblicks, mit welchem Sokrates die hervorragende Begabung des Jünglings frühzeitig erkannt hatte. Eukleides ist von der langen Wanderung ermüdet, nicht minder Terpsion, der vom Lande heimgekehrt war. Dieser wünschte schon lange, jene Unterredung kennen zu lernen. Eukleides erklärt sich bereit, seinem Wunsche zu willfahren, und läßt seine Aufzeichnung des Gesprächs, während beide der Ruhe pflegen, von einem Sklaven vortragen. Hier schaltet Platon eine Bemerkung über die Art jener Aufzeichnung ein, die sich über seine künstlerischen Absichten mit einer in der ganzen ausgedehnten Reihe seiner Schriften einzig dastehenden Unumwundenheit verbreitet. Er läßt Eukleides sagen, daß er die erzählende Form mit ihren lästigen Wiederholungen, wie „das sagte ich", „jener stimmte zu" usw., beseitigt und die Gesprächspersonen unmittelbar redend eingeführt habe.2 Diese Ausschaltung des epischen Elements ist in Platons Werken, falls unsere zeitliche Anordnung derselben die richtige ist, eine endgültige geblieben. Ja selbst solch eine kurze Einleitung, ein Vorgespräch vor dem eigentlichen Gespräch, kehrt in den nachfolgenden Schriften nicht mehr wieder. In seinen älteren Erzeugnissen hat der Dichter-Philosoph bald die eine, bald die andere dieser Formen bevorzugt. Der erzählenden Darstellungsweise verdanken wir die Anschaulichkeit, mit welcher uns der „Protagoras" das Treiben im Sophistenheim des K a 11 i a s , der „Charmides" und der „Lysis" das Gebaren der Jünglinge und Knaben an den Turnstätten, das „Symposion" den heitern Verkehr einer Auslese der athenischen Gesellschaft, der „Phädon" die letzten Lebensstunden des S o k r a t e s , der „Staat" d'jts anmutreiche Bild des ehrwürdigen K e p h a l o s vor Augen stellt. Eben die langwierige Komposition des „Staates" aber mußte auch die Unbequemlichkeiten, die der erzählenden Form anhaften, Platon zu deutlichem Bewußtsein bringen. Und diese Erfahrung war es wohl, die

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Ist Erkenntnis Wahrnehmung?

seinen Entschluß gereift hat, all jenes Beiwerk fortan fallen zu lassen und die vordem nur in kleineren Dialogen (wie „Hippias", „Laches", „Euthyphron", „Kriton", „Menon") häufiger, in großen, wie im „Georgias", nur ausnahmsweise gebrauchte dramatische Form nunmehr ausschließlich zu verwenden. Erleichtert ward ihm diese Entscheidung durch das wachsende Übergewicht des rein sachlichen Interesses, durch jene Hinneigung zu bloß didaktischer Mitteilung, welche von der langen Gewohnheit des Lehrens mit Notwendigkeit erzeugt worden ist, vielleicht auch durch das allmählich eintretende Nachlassen künstlerischer Schöpferkraft. Der „Theätet" bezeichnet einen Markstein dieser Entwicklung. Hier nehmen wir vom schaffenden Dichter nicht ohne Wehmut Abschied, um fortan fast ausschließlich dem lehrhaften Schriftsteller zu begegnen, für den der Dialog zuletzt zu einer bloßen, durch kurze und immer seltenere Zwischenreden unterbrochenen Abhandlung wird, während' er freilich durch die immer bewußter und absichtsvoller auftretende Kunst sprachlicher Gewandung zu ersetzen trachtet, was seinen Alterswerken an eigentlich künstlerischer Gestaltung abgeht.1 Der „Theätet" selbst freilich ist noch mit allen Vorzügen einer reifen und reizvollen Komposition geschmückt. Langsam fließt der Strom des Dialogs dahin, wie unbekümmert um das Endziel. Ihn kennzeichnet der Ton zuversichtlich-heiterer Überlegenheit. Früh und scheinbar absichtslos wird die Mahnung eingestreut, keine anderen als rein negative Ergebnisse zu erwarten. Und dieser negativen Kritik, die eine gar einschneidende sein wird, ist von vornherein jeder Anschein von Härte und Unbilligkeit abgestreift. Denn nicht als Kritiker tritt Sokrates auf, sondern als Geburtshelfer, der als Sohn der „ehrsamen und stattlichen" Wehmutter P h ä n a r e t e die Gedanken des jugendlichen, mit den sympathischesten Zügen ausgestatteten Theätet entbindet. Nur weil diesem geistigen Hebammendienst auch die Aufgabe obliegt, totgeborene von lebendigen Sprößlingen zu unterscheiden, erwächst ihm die Pflicht, die von Theätet ans Licht gesetzten Gedanken auf ihre Lebensfähigkeit zu prüfen. 2. Der Schauplatz des Gespräches ist eine Turnschule. Nachdem der von seinem Lehrer Theodoros warm gepriesene Theätet die Gabe der Verallgemeinerung im Bereich der Zahlenlehre bekundet hat, wird er unmerklich dazu geführt, die Frage nach dem Wesen der Erkenntnis zu beantworten. Seine erste Antwort lautet also: E r k e n n t n i s ist W a h r n e h m u n g . Damit ist Sokrates der Anlaß geboten, aus der, man möchte sagen, primitiven Identifizierung von Wahrnehmung und Wissen, aus angeblichen Folgerungen aus dem protagore'ischen Satze vom Menschen als Maß aller Dinge und aus der Erkenntnislehre A r i s t i p p s ein Ganzes zu weben, dieses systematisch auszugestalten, es gegen Einwürfe von mehr oberflächlicher Art zu schützen, ja es in

Die Welifremdheit des Philosophen

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seiner teilweisen Berechtigung anzuerkennen, es aber trotzdem nicht als eine ausreichende Rechenschaft über das Wesen des gesamten Erkenntnisprozesses gelten zu lassen (vgl. S. 188 f. und I * 379 ff.).1 Die Annahme, daß Wahrnehmung Wissen ist, scheint zunächst zu der Folgerung zu führen, daß derselbe dasselbe gleichzeitig weiß und nicht weiß. So wenn jemand Worte einer fremden Sprache vernimmt, diese somit weiß, ihren Sinn jedoch nicht versteht, sie somit nicht weiß. Oder wenn er sich einer gegenwärtig nicht mehr vorhandenen Wahrnehmung erinnert, sie mithin (in einem Sinne) weiß und (in einem anderen Sinne) nicht weiß. Nun kann die Gleichsetzung von Wahrnehmung und Erkenntnis zweierlei bedeuten: entweder daß die Wahrnehmungsfunktion die einzige Erkenntnisfunktion ist (was ein gröbliches Übersehen sogar einer so naheliegenden Funktion wäre, wie die Erinnerung es ist), oder daß der Wahrnehmungsstoff der einzige Erkenntnisstoff sei. Gemeint ist das letztere. Denn indem Platon die erwähnten Einwürfe, welche jene Gleichsetzung im ersten Sinne, d. h. die mangelnde Unterscheidung verschiedener Erkenntnisverrichtungen, in Wahrheit treffen würden, für trügerisch und haltlos erklärt, sagt er uns vernehmlich genug, daß die übrigens wohl von ihm selbst geprägte Formel: „Wahrnehmung ist Erkenntnis" dem Stoff oder Inhalt der Erkenntnis gilt. Sie besagt nichts anderes als: die alleinige Quelle unserer Erkenntnis ist die Sinneswahrnehmung. Ehe er die in dieser Formel verkörperte Theorie bestreitet, räumt Platon die (von A r is t i p p und vielleicht schon von P r o t a g o r a s behauptete) Truglosigkeit, Unabweisbarkeit oder subjektive Wahrheit des jedesmaligen Sinneseindrucks unumwundeni ein. Daraus folge jedoch keineswegs, daß, wie jeder Sinneseindruck, so auch jede Meinung gleich wahr sei; der Unterschied zwischen der Weisheit des einen und der Unweisheit eines ändern Subjekts bleibe darum nicht weniger aufrecht und gebe sich am unzweideutigsten in der richtigen oder unrichtigen Voraussage des Z u k ü n f t i g e n kund. Hier wird die Kritik durch eine Episode unterbrochen, durch einen Vergleich zwischen dem Leben des Philosophen und jenem des mit dem Alltagsmenschen identifizierten Politikers. Mit den stärksten Farben wird die Weltfremdheit des Philosophen ausgemalt, der nicht einmal den Weg zur Agora (zum Marktplatz) kennt, dem Gesetzgebung, Volksbeschlüsse, Wahlumtriebe nichts bedeuten. Wir glauben mit der Behauptung nicht fehlzugehen, daß Platon derartiges nach seiner zweiten sizilischen Reise (367) nicht mehr schreiben konnte. Hätte er sich doch dem höhnenden Zuruf ausgesetzt: „Wärest du deinem Ideal nur treu geblieben; dann hättest du dir und anderen manch eine bittere und beschämende Erfahrung erspart." Auch ein Anklang an den „Phädon" („man trachte so schnell als möglich dem Erdenleben zu entfliehen"), e i n deutlicher Hinweis auf die Ideenlehre — „die Betrachtung der Gerechtigkeit und der Q o m p e r z , Griechische Denker. II. 4. Aufl.

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Sensualismus und Heraklitismus

Ungerechtigkeit an sich" —, endlich die begeisterte Verkündung des Strebens nach Verähnlichung mit der unbedingt gerechten Gottheit gewähren uns Einblicke in Platons Geistes- und Gemütsverfassung zur Zeit, da er den „Theater" geschrieben hat. Mitten in diese Feinheiten des Denkens und des Fühlens spielt ein ziemlich grobkörniger Ausfall auf A n t i s t h e n e s hinein. Dieser mag, durch den „Euthydem" gereizt, mittlerweile sein Pamphlet „Sathon" veröffentlicht und damit die Entgegnung im „Theätet" hervorgerufen haben (vgl. S. 143).1 Ehe Sokrates von der sensualistischen Erkenntnislehre scheidet, wirft er einen Blick auf die philosophische Grundansicht, der er sie entstammt glaubt, auf den H e r a k l i t i s m u s. Dieser befinde sich im Widerspruche mit sich selbst. Hebe er doch nicht nur alles wahrhafte Wissen, sondern bei Lichte besehen selbst alle Wahrnehmung auf durch seine Annahme universeller Bewegung. Hier begeht übrigens Platon einen denkwürdigen Fehlschluß. Er unterscheidet zwei Arten der Bewegung: die Orts- und die Qualitätsveränderung. Nun behauptet er nicht nur, was er mit Fug behaupten durfte, daß der Heraklitismus beide Arten der Veränderung auf weiten Naturgebieten Hand in Hand gehen lasse; er geht weiter und erklärt, daß man unablässige räumliche Bewegung den Dingen nicht zusprechen k ö n n e , ohne ihnen auch unablässige Qualitätsveränderung zuzuerkennen; d e n n s o n s t w ü r d e sich der W i d e r s p r u c h ergeben, daß dasselbe Ding g l e i c h z e i t i g r u h e n d u n d b e w e g t sei. Platon macht sich damit derselben Verfehlung schuldig, die er im „Euthydem" so bitter verspottet hat: des Fallenlassens einer einschränkenden Bestimmung (vgl. S. 424). Denn kein Widerspruch liegt in der Aussage, daß dasselbe Ding in e i n e m Sinne ruhe, in einem a n d e r e n bewegt sei. Der Farbenwechsel, den manche Sterne offenbaren, ist eine Bewegung im qualitativen Sinne. Wer würde darum behaupten wollen, daß jeder Stern, dem der Farbenwechsel abgeht, darum unverrückt an demselben Ort verharren müsse! Tiefer greift die Unterscheidung zwischen den Sinnen als dem Werkzeug, m i t t e l s t dessen, und der Seele, d u r c h welche wir erkennen. Als Objekt bloß dieser letzteren Erkenntnis wird „d a s" (den verschiedenen Sinnesgebieten) „ G e m e i n s a m e " bezeichnet. Mit ungewöhnlicher Wärme stimmt Sokrates diesem Ergebnis zu. Zu jenem Gemeinsamen gehöre das Sein, die Gleichheit und Verschiedenheit, die Einheit und Vielheit, das Schöne und Häßliche, das Gute und Schlechte. Die Sinneswahrnehmung, welche körperliche Affektionen der Seele übermitteln, wird uns sofort von der Geburt an zuteil — wobei, nebenbei bemerkt, die erst allmählich erworbene und doch selbst einen Bestandteil der Sinneswahrnehmung ausmachende Deutung und Auslegung der unmittelbaren Sinneseindrücke übersehen wird —; die Erkenntnis jener

Die Möglichkeit des Irrtums

Kategorien Schulung.

hingegen sei die Frucht langwieriger

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und mühevoller

3. Ein z w e i t e r Definitionsversuch lautet so: D i e r i c h t i g e V o r s t e l l u n g ( M e i n u n g , A n s i c h t ) i s t W i s s e n . D e r richtigen Meinung steht die unrichtige oder der Irrtum gegenüber. Aus dieser Unterscheidung erwächst die Vorfrage: wie ist ein I r r t u m m ö g l i c h ? Eine Frage, der wir schon wiederholt begegnet sind (vgl. 1*401, auch 376) und der Platon hier eine eingehende Untersuchung widmet. Diese darf eine überaus geistvolle, vielleicht auch eine mehr geistreiche als fruchtbare heißen. In wiederholten Anläufen wird die Erklärung des Irrtums versucht; bei keinem dieser Versuche beruhigt sich Sokrates. Der offenbar richtige Gedanke: der Irrtum besteht in einer der Wirklichkeit nicht entsprechenden V e r k n ü p f u n g der Wissenselemente, wird vorgebracht, aufs treffendste illustriert und schließlich dennoch fallen gelassen. Den Grund dieser überscharfen, auch von handgreiflichen Fehlschlüssen nicht freien Kritik müssen wir in jenem Bestreben Platons suchen, welches das Grundmotiv des ganzen Dialogs bildet.1 E s g i l t d e n i n d i r e k t e n B e w e i s f ü r d i e W a h r h e i t der I d e e n l e h r e zu e r b r i n g e n ; darum sollen alle Versuche, ohne die Hilfe dieser Lehre von irgendwelchen der erkenntnistheoretischen Grundtatsachen, darunter auch von der Möglichkeit des Irrtums, ausreichende Rechenschaft zu liefern, als unzureichend erwiesen werden. Dabei läßt es Platon an feinen Unterscheidungen und glänzenden Vergleichen keineswegs fehlen. Der Wissensbesitz wird von Wissenserwerb und Wissensverlust (Lernen und Vergessen) sorglich geschieden. Die Irrtümer der Erinnerung beleuchtet das Bild von der W a c h s t a f e l , die entweder nicht geräumig oder nicht bildsam oder nicht fest genug ist, um die in sie eingegrabenen Eindrücke deutlich aufzunehmen, scharf auseinanderzuhalten und sicher zu bewahren. Die Vertauschung bereits erworbener Erkenntnisse oder die Irrtümer der Reproduktion illustriert das Bild vom T a u b e n s c h l a g , dessen Bewohnerinnen der Besitzer einst insgesamt eingefangen hat, was ihn nicht davor bewahrt, auf der Jagd nach den umherfliegenden Vögeln eine Ringeltaube zu erhäschen, während er einer Holztaube nachstellt. Daß jedoch der Irrtum nicht in der bloßen Vertauschung, in der ungehörigen Verbindung von Erinnerungsbildern oder in der fälschlichen Zuordnung eines gegenwärtigen Sinnenbildes zu einem Erinnerungsbild besteht, gilt Platon vornehmlich darum als erwiesen, weil wir uns ja auch im R e c h n e n irren, also dort, wo unser Denken sich mit bloß Begrifflichem beschäftigt. So weitläufig übrigens dieser Exkurs ist, so kurz wird der Definitionsversuch, von dem er ausgeht, abgetan. Daß die richtige Meinung nicht schon Erkenntnis ist, das beweise die Kunst der Gerichisredner, die in dem 28*

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Bestreitung der antisthenischen Erkenntnislehre

kurzen Zeitabschnitt, den ihr die Wasseruhr zumißt, den Zuhörern oft durch bloße Überredung eine richtige Meinung, damit aber doch gewiß noch kein wirkliches Wissen, über vergangene Vorfälle beibringt. Dadurch ist dem d r i t t e n Definitionsversuch der Weg gebahnt: Erkenntnis ist die mit Erklärung verbundene richt i g e V o r s t e l l u n g . Diese Begriffsbestimmung wird von Theätet ausdrücklich als von einem Anderen vorgebracht bezeichnet, und wer dieser Andere ist, darüber läßt uns die von Sokrates sofort dargebotene Ergänzung keinen Zweifel. Nach der Lehre, auf die hier angespielt wird, gibt es Grundelemente, die nicht Objekte eigentlicher Erkenntnis bilden; diese beziehe sich vielmehr — und damit tritt uns das Gegenstück der oben erörterten Irrtumstheorie vor Augen — nur auf Z u s a m m e n s e t z u n g e n , die mit den Silben, im Unterschiede von den elementaren Sprachlauten, verglichen werden. Unsere Leser erinnern sich dieser Theorie als jener des A n t i s t h e n e s (vgl. S. 144ff.), und sie wissen auch, daß es uns bis auf weiteres nicht vergönnt ist, dessen augenscheinlich höchst bedeutende Doktrin in ihren Einzelheiten kennen zu lernen. Gar bemerkenswert ist auch die Tatsache, daß Platon hier mit der Bekämpfung der antisthenischen Lehre offenbar eine Selbstberichtigung verbindet. Dem „Menon" zufolge wird nämlich die richtige Vorstellung oder Meinung dadurch zu vollwertiger Erkenntnis erhoben, daß sie sich mit ursächlicher Erklärung paart (vgl. S. 293), und im „Symposion" gilt die richtige Meinung nur so lange als eine Zwischenstufe zwischen Unwissenheit und Wissen, als sie nicht — und hier ist die Übereinstimmung auch im Ausdruck eine völlig genaue — von der Fähigkeit der Erklärung begleitet ist (vgl. S. 309).1 Dieses Verhältnis liefert uns einen neuen Beleg für die oft bezweifelte vergleichsweise späte Abfassung des „Theätet". Denn hätte Platon zur Zeit, da er diesen Dialog verfaßte, an jenen Überzeugungen festgehalten, dann hätte er es sicherlich nicht unterlassen, den Unterschied seiner von der antisthenischen Doktrin, der sie zum Verwechseln ähnlich sieht, scharf und klar hervorzuheben. Mit der Bestreitung dieses dritten und letzten Definitionsversuches hat es sich Platon übrigens nicht allzu schwer gemacht. Das griechische Wort, das wir durch „Erklärung" wiedergeben (logos), gestatte eine dreifache Auslegung. Es könne vorerst den sprachlichen Ausdruck bezeichnen; in diesem Sinne aufgefaßt, füge die Erklärung der richtigen Vorstellung nichts Neues hinzu. Man könne zweitens darunter das geordnete Durchgehen oder die Aufzählung der einzelnen Elemente eines Ganzen verstehen; ohne diese sei aber die richtige Vorstellung überhaupt nicht möglich. Letztlich könne unter logos — und hier reicht unser „Erklärung" nicht mehr aus — die Angabe eines Unterschiedsmerkmals verstanden werden; aber auch damit trete zur richtigen Vorstellung

Der Wahrheitskern in der platonischen Kritik des Sensualismus

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keinerlei neue Bestimmung hinzu; denn richtig werde eine Vorstellung erst dann, wenn man die unterscheidenden Merkmale kennt, die das Vorgestellte von einem anderen trennen. Hier glauben wir von Platon an Platon appellieren zu können. „Wenn man richtig vorstellt" — so läßt er D i o t l m a zu Sokrates sprechen — „ohne jedoch R e c h e n s c h a f t d a v o n g e b e n zu k ö n n e n , weißt du nicht, daß das weder Wissen ist ... noch auch Unwissenheit?" Der Verfasser des „Symposion" hat damit eine Unterscheidung anerkannt, die der Verfasser des „Theätet" leugnet und sicherlich mit Unrecht leugnet. Denn Eines ist es, tin getreues Abbild zweier Gegenstände im Gedächtnis zu bewahren, ein Anderes, auf die sie unterscheidenden Merkmale zu achten, sich ihrer deutlich und vollständig bewußt zu sein und demgemäß eine zutreffende und erschöpfende Rechenschaft von ihren Übereinstimmungen und Unterschieden geben zu können.1 Überblicken wir das Ganze des Gespräches, so gewahren wir d r e i Hauptargumente, die Platon gegen die Zulänglichkeit der darin erörterten Erkenntnistheorien ins Feld führt. Als das schwächste derselben darf uns der Hinweis auf die Irrungen gelten, die wir bei der Beschäftigung mit bloßen Zahlen begehen, und die nach Platon eine andere als die in jenen Doktrinen enthaltene Erklärung des Irrtums erfordern. Hier hätten die Urheber dieser Lehren ihrem Angreifer also antworten können: du übersiehst, daß wir die Zahlenabstraktionen stets unter sinnlichen Symbolen vorstellen, und daß in diesem Bereich begangene Irrtümer eben auf der Handhabung jener Symbole zu beruhen pflegen, ja daß sie geradezu durch diese bedingt sind und ausgeschlossen wären, sobald wir mit den reinen Abstraktionen als solchen hantieren könnten. Der ungeübte Rechner, der da sagt: 3 X 6 = 1 6 , oder der 53 mit 35 verwechselt, oder aus der vorangehenden Zahlenreihe ein Zehntausend in Erinnerung hat und es an die Stelle des ihm jetzt vorliegenden Tausend setzt — sie liefern naheliegende Beispiele solcher Irrungen und bilden keineswegs eine Gegeninstanz gegen die Zulänglichkeit der in Frage stehenden Irrtumstheorie. Weit gewichtiger sind die zwei anderen Haupteinwürfe: Wissen oder Erkenntnis bekundet sich vornehmlich durch die richtige Voraussicht künftiger Geschehnisse, und: das „Allgemeine" oder die Kategorien des Seins, der Gleichheit und Ungleichheit, der Einheit und Vielheit, des Guten und Schlechten, des Schönen und Häßlichen sind nicht mit der Sinneswahrnehmung gegeben. Der erste Einwand bildet in Wahrheit eine Unterart des zweiten. Denn das Vermögen der Voraussicht beruht auf der Fähigkeit zur I n d u k t i o n , die ihrerseits im letzten Grunde auf V e r g l e i c h u n g e n gebaut ist. Der Wahrheitskern der beiden Hinweise ist also einfach dieser: nicht nur empfangen und bewahren wir Sinneseindrücke, sondern wir sind auch imstande, sie zu

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Platans „Kratylos"

trennen und zu verbinden und desgleichen Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen ihnen festzustellen (vgl. S. 319). Und ebenso bilden auch die neben und mit den Sinneseindrücken auftretenden affektiven Eindrücke, auf welche die von Platon gleichfalls herbeigezogenen Werturteile zurückgehen, einen Fall dessen, was wir mit annähernder Genauigkeit aktive Reaktionen der Seele nennen dürfen. (Unberücksichtigt lassen wir den Seinsbegriff, dessen Vieldeutigkeit zu berühren sich bald ein passender Anlaß bieten wird.) Wir bedienen uns hierbei übrigens, um nicht allzu weitläufig zu werden, der herkömmlichen Ausdrucksweisen. Wollten wir jedes Bild und jede Hypothese geflissentlich fernhalten, so müßten wir z. B., statt von einem seine Sinneseindrücke vergleichenden oder auf Sinnesreize reagierenden Ich zu sprechen, vielmehr sagen: aus dem Nacheinander zweier Sinnesphänomene taucht ein drittes Bewußtseinsphänomen empor, welches die jenen beiden gemeinsamen sowie die sie sondernden Züge enthält. 4. Zu den platonischen Werken, die in erkenntnistheoretischer Rücksicht eine Vorstufe des „Theätet" bezeichnen, gehört, wie der „Menon" und das „Symposion", so auch der „K r a t y l o s".1 Tritt doch in ihm die Theorie, der zufolge jeder Irrtum auf einer Verwirrung oder Vertauschung der Erkenntniselemente beruht, ohne jede Einschränkung und ohne irgendwelche Andeutung: jener Bedenken auf, die wir soeben kennen gelernt haben. Das Gespräch, an welchem außer S o k r a t e s nur dessen treuer Jünger, des reichen K a 11 i a s verarmter Bruder H e r m o g e n e s . undPlatonsJugendlehrer, derHerakliteer Kratylos, teilnehmen (vgl. S.200 und 312), gehört zu den umstrittensten Schöpfungen unseres Philosophen. Wir fassen seine Abzweckung wie folgt auf. A n t i s t h e n e s hatte, wie das von einem Nominalisien nicht anders zu erwarten ist, der Sprache und insbesondere der Bedeutung der Wörter eingehende Beachtung gewidmet, und noch besitzen wir von ihm den Ausspruch: „An der Spitze der Bildung steht die Untersuchung der Wörter".2 Nun faßt Platon das Ergebnis seiner Untersuchung nahe am Schluß des Dialogs also zusammen: „Nicht aus den Wörtern, sondern vielmehr aus sich selbst sind die Dinge zu erforschen und zu ergründen." In welcher Richtung des Antisthenes Namenforschung sich bewegt, was den Inhalt seines aus fünf Büchern bestehenden Werkes „Über Bildung oder über Wörter" ausgemacht hat, das ist uns zu wissen nicht mehr vergönnt. Für Platon aber ist die Bestreitung der ihm prätentiös erscheinenden antisthenischen Thesen jedenfalls der Anlaß geworden, die damals gangbaren Sprachtheorien zu durchmustern und dabei insbesondere die von seinem Lehrer Kratylos und anderen Herakliteern vertretene Theorie von der R i c h t i g k e i t der MD. men zu prüfen. Diese deckt sich nicht durchaus mit dem, was v/ir als die Naturtheorie der Sprache bezeichnet

Die im „Kratylos" erörterten Sprachtheorien

43Q

und behandelt haben (vgl. 1*327 ff.). Sie setzt vielmehr einen durch Weisheit ausgezeichneten, planvoll wirkenden Namengeber voraus. Nicht der Gegensatz von Natur und Satzung, sondern jener zwischen zweckvoller Veranstaltung und willkürlichem Belieben besteht zwischen der heraklitischen und der ihr entgegengesetzten Theorie. Die Stellung, welche Platon der ersteren gegenüber einnimmt, zu erkennen, ist schwer, aber doch nicht unmöglich. Sein Ernst ist hier, wie so oft anderwärts, von einem üppigen Rankwerk des Scherzes und der Ironie verdeckt und überdies durch seine uns so wohlbekannte Neigung zum Überbieten verdunkelt. Allein das wilde und wüste Spiel mit phantastischen Etymologien, das andere getrieben haben und das er selbst ins Maßlose steigert, ist eines, ein anderes sein ernsthafter Glaube, daß der von den Herakliteern vorausgesetzte Zusammenhang zwischen Laut und Bedeutung einst wirklich vorhanden war. So erörtert denn Platon in einer Weise, die nichts von Ironie an sich hat, die symbolische Bedeutung einzelner Laute, sehr ähnlich, wie auch L e i b n i z und Jakob G r i m m dies getan haben; er erkennt in der Nachahmung äußerer Bewegungen durch die Bewegung der Sprachwerkzeuge einen Hauptfaktor der Sprachbildung, einen wirksameren, als die Lautnachahmung oder Onomatopöie es ist.1 Zwischen diesen Einräumungen aber und der Anerkennung der Tatsache, daß die jenen Quellen entstammende Urbedeutung der Wörter für uns zumeist nicht mehr zu enträtseln ist, besteht kein Widerspruch. Denn die Vergieichung griechischer Mundarten hat den Philosophen mit Erscheinungen des Lautwandels bekannt gemacht. Dieser und die von Platon unumwunden zugestandene Mitwirkung eines Elements ganz eigentlicher „Konvention" oder Willkür (der Laune des Sprachgebrauchs, wie wir heute sagen) haben den anfänglichen Laut- und Bedeutungsbestand derart verändert, daß zwischen einst und jetzt eine nicht mehr auszufüllende Kluft gähnt. Stünde es aber auch anders, so wäre die Sprache noch immer kein geeigneter Schlüssel, uns das Wesen der Dinge aufzuschließen. Auch dann wäre es hier wie anderwärts vorzuziehen, die Originale selbst und nicht ihre „Abbilder" ins Auge zu fassen. Und — was die Hauptsache ist — diese würden im besten Falle nur die Erscheinungswelt, die Welt des Werdens, widerspiegeln. Die Erkenntnis der Ideen aber oder der an und für sich seienden Wesenheiten, die Erkenntnis im eigentlichsten Sinne, würde selbst durch das eindringendste Verständnis ursprachlicher Wörter nicht gefördert. Auch den Hinweis auf einen der bestrittenen Theorie anhaftenden Widerspruch hat sich Platon nicht entgehen lassen. Einerseits (und das mag wohl jedenfalls antisthenisch sein) soll im richtigen Gebrauch der Wörter das richtige Denken beschlossen sein, andererseits sollen die Sprachschöpfer selbst in der Zuweisung der Namen an die Dinge bereits richtiges Denken und tiefe

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Der „Sophist" und der „Staatsmann'1

Einsicht bekundet haben.1 Damit glauben wir von dem merkwürdigen, an genialen Lichtblicken reichen Gespräch eine zwar nicht erschöpfende, wohl aber, soweit sie reicht, getreue und von allem Hineingeheimnissen freie Rechenschaft gegeben zu haben. Mit dem „Theätet" verknüpfen den „Kratylos" zahlreiche Fäden. In beiden Dialogen wird A n t i s t he n es angegriffen, in beiden werden seine Aporien inbetreff der Unmöglichkeit des Widersprechens und des Falschredens erörtert; in beiden begegnet auch dieselbe Auslegung des protagore'ischen Satzes vom Menschen als dem Maß aller Dinge; in beiden wird die weitreichende Wirksamkeit der heraklitischen Grundlehre anerkannt; in beiden endlich wird das Treiben der Neu-Herakliteer anschaulich geschildert und launig verspottet.2

Siebzehntes Kapitel. Der „Sophist" und der „Staatsmann". l er Schlußsatz des „Theätet" verheißt eine Fortsetzung. Sokrates fordert seine Mitunterredner auf, am nächsten Morgen wieder zu erscheinen. Das geschieht, und damit nimmt der „Sophist" genannte Dialog seinen Anfang.8 Kaum ist das Gespräch im Gange, an dem auch eine neu eingeführte Person, ein Fremder aus Elea, teilnimmt, und schon wird das dritte Glied des Zyklus, der „Staatsmann",, angekündigt. In Wahrheit auch ein viertes: der „Philosoph". Doch hat es Platon bei der Trilogie statt der geplanten Tetralogie bewenden lassen. Daß er den Bezug auf das unausgeführt gebliebene Vorhaben nicht getilgt hat, rührt vielleicht von seiner wachsenden Gleichgültigkeit gegen Fragen der schriftstellerischen Komposition her, welche diese, die letzte, Phase seines Schaffens kennzeichnet. Dazu gehört es auch, daß er die in der Einleitung des „Theätet" vorausgesetzte Situation in dessen Fortsetzung außer acht läßt und einer etwaigen Weiterführung der Vorlesung im Hause des E u k l e i d e s mit keinem Worte gedenkt. Ja soweit geht jetzt seine Sorglosigkeit in diesen Dingen, daß er an einerStelle des „Staatsmanns" eine Gesprächsperson auf den „Sophisten" wie auf einen Buch-Dialog zurückweisen läßt.* Gar eigenartig ist die Stellung, welche S o k r a t e s in beiden Gesprächen einnimmt. Man möchte ihn einen Ehrenpräsidenten der Verhandlung nennen. Er eröffnet sie im ersten, eröffnet und schließt sie im zweiten Dialog, nimmt aber an ihrem Fortgang keinen Anteil. Das-

Der Sophist ein Angler und ein Jäger

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ist, wie wir meinen, vorerst dadurch bedingt, daß Doktrinen, die in früheren Werken durch den Mund des Sokrates verkündet wurden, hier einen Gegenstand der Kritik bilden. Der Vorteil, den die Wahl der Gesprächsform für Platon mit sich brachte, ihn an keine der vorgebrachten Lehren zu binden, wird durch dieses Zurücktreten seines bisherigen Hauptsprechers wesentlich erhöht. Die Ersetzung des Sokrates durch den eleatischen Fremden aber, der im Kreise um P a r m e n i d e s und Z e n o n aufgewachsen ist, bietet Platon einen neuen Vorteil. Die Kritik auch des Eleatismus, auf die sich ein Hauptabsehen des „Sophisten" richtet, erfolgt in der schonendsten und ehrerbietigsten Weise, zum Teil in der Form einer Selbstberichtigung des Eleaten, was nicht nur Platons persönlicher Gesinnung entspricht, sondern ihm auch als Folie für die sonstige, weit bitterere Polemik dieses Dialogs gar sehr erwünscht ist.1 Der „Sophist" besteht aus zwei scheinbar ganz disparaten Teilen, einer umschließenden „Schale" und einem von dieser umschlossenen „Kern". Das Band, welches beide Teile auch inhaltlich verknüpft, kann jedoch erst dem mit Gang und Inhalt des Gesprächs Vertrauten aufgewiesen werden.2 Das ostensible Ziel der Untersuchung ist die Definition des Sophisten. Mit scheinbarer Unbefangenheit wird, der Schwierigkeit des Gegenstandes gemäß, eine Vorübung vorangeschickt; sie gilt der Begriffsbestimmung des „Anglers". Hierbei wird gar weit ausgeholt. Zuerst wird die gesamte Kunst in die produktive und die aneignende geschieden. Der auf freiwilligem Tausch beruhenden tritt die gewaltsame Aneignung gegenüber. Durch die Unterscheidung der Objekte, der Mittel, auch der Tageszeit der Jagd steigt die Einteilung allgemach bis zum Angler herab. Da zeigt es sich plötzlich, daß die vermeintliche Vorübung bereits in das Herz der Hauptuntersuchung selbst geführt hat Der Angler hat es mit Fischen, der Sophist mit Menschen zu tun; dem Meer, den Flüssen und Seen, in denen der Angler sein Gewerbe treibt, steht die Erde mit ihren „Strömen des Reichtums" und den üppigen „Wiesen der Jugend" gegenüber, die dem Sophisten seinen Unterhalt gewähren. Diesem Wink entsprechend wird jetzt die Landjagd in die Jagd auf wilde und in die auf zahme Landtiere geschieden; zu den letzteren gehört der Mensch. Gewalttätig jagt ihn der Räuber, der Sklavenfänger, der Tyrann und der Krieger; andere bedienen sich des Mittels der Überredung. Deren Kunst wird mannigfach gegliedert, bis eine ihrer Unterarten, nämlich die private, auf Lohngewinn abzielende, durch die Verheißung des Tugenderwerbs überredende Menschenjagd als die Kunst des Sophisten erkannt wird! Ist es möglich, maliziöser zu sein? Allerdings; bleibt doch Piaton hierbei nicht stehen; vielmehr versucht er es in immer neuen, nicht minder gehässigen Anläufen, sich seinem Ziel zu nähern. Zur Tauschkunst gehört auch die des Großhändlers,

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Wie ist Täuschung

möglich?

in welcher der Sophist, der mit Seelen-Nahrungsmitteln von Stadt zu Stadt zieht, seine Stelle findet. Doch kann er denselben Handel auch als seßhafter Krämer betreiben oder als Produzent, der sein eigenes Erzeugnis feilbietet. Allein auch unter jenen Aneignungskünstiern, deren Mittel der Kampf ist, nimmt der Sophist einen Platz ein; seine Waife ist das Wort, dessen Verwendungsart das Streitgespräch. Ferner wird auf eine Reihe von Verrichtungen hingewiesen, deren Abzweckung das Sichten und Scheiden ist. Gilt es hierbei das Ausscheiden des Schlechten und Häßlichen, so erhalten diese Beschäftigungen den gerneinsamen Namen der „Reinigung". Diese wird zweifach gegliedert, je nachdem sie sich auf Körperliches oder auf Geistiges erstreckt. Dem Fegen, Bürsten, Scheuern, Waschen auch unbeseelter Gegenstände tritt die innere Reinigung unseres Leibes zur Seite, welche die Heilkunst und auch die Gymnastik bewirken. Zur seelischen Reinigung gehört unter anderem die Beseitigung der Unwissenheit, die nicht zum mindesten durch den Elenchos, d. h. dadurch erzielt wird, daß der Unwissende seiner Unwissenheit, der Irrende seines Irrtums, durch widerlegende Fragen überführt wird. An diesem Punkte findet es Platon am schwierigsten, die Sophistik von der Philosophie zu scheiden; er versucht es, indem er der ersteren die Prätension der Allwissenheit leiht. Dieselbe Prätension trete, wie im Streitgespräch oder der negativen Eristik, so auch in der positiven Belehrung des Sophisten auf. Hier wird die mit diesem Anspruch behaftete Belehrung um seiner offenkundigen Wesenlosigkeit willen für ein bloßes Spiel erklärt. Sie kann sich nicht auf die Dinge selbst, sondern nur auf ihre Abbilder beziehen. Dadurch wird dieses Spiel genauer als ein Teil der Mimetik oder der Nachbildungskunst bestimmt. Diese zerfällt wieder in eine Kunst, die Ebenbilder, und in eine solche, die bloße Trugbilder erzeugt. Der Sophist wird nunmehr als ein Adept der letzteren, als ein Gaukler oder Täuscher erkannt! 2. Hier verknotet sich der zweite Teil des Gespräches mit dem ersten, der Ernst der Untersuchung mit dem herben Scherze der Polemik, deren Ziel uns sogleich deutlich werden wird. Den Übergang vermittelt die Frage, wie denn Täuschung möglich sei, ob sie nicht die Annahme eines Nicht-Seienden in sich schließe, vor der schon der alte P a r m e n i d e s so eindringlich gewarnt hat (vgl. I 4 141). Der sophistische Gegner — und damit ist A n t i s t h e n e s gemeint — wird es nicht dulden, daß wir das Vorhandensein der „Unwahrheit in Sätzen und Meinungen" und damit das Wissen vom Unwißbaren, vom Nicht-Seienden, behaupten. Das facettenreiche Problem ist schon mehrfach aufgetaucht (vgl. 1 4 376, II 314). Hier müssen wir selbst ihm ernstlich nähertreten, ehe wir weiterschreiten können. Wie gelangen wir,

Das Wesen des Nichtseienden und des Seienden

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so darf man mit Fug fragen, dazu, von dem Irrealen oder Nicht-Seienden zu sprechen und zu handeln? Was ist das Wesen dieses Begriffes? Er geht — so dürfen wir antworten — im letzten Grunde auf den Begriff der A b w e s e n h e i t zurück, der lediglich durch das v e r g l e i c h e n d e U r t e i l gewonnen wird. Ich habe zwei Kreise entworfen und die Mitte des einen mit einem Punkt versehen. Ich vergleiche die beiden Kreise und werde mir ihres Unterschiedes bewußt, des Punkt-Besitzes, den der eine Kreis aufweist, der andere vermissen läßt. Die also ermittelte Abwesenheit, der konstatierte Mangel oder Abgang, eines anderweitig bereits bekannten Positiven, das ist der Kern des Begriffes der Verneinung. Negative Phänomene, einen negativen Erkenntnisstoff gibt es in der Tat nicht; jedes Phänomen ist an sich und unmittelbar etwas Positives. Der entgegengesetzte Anschein entspringt einer naheliegenden Verwechslung. Die K ä l t e z. B. ist ein positiver Gefühlszustand. Warum erscheint sie uns als der negative Gegensatz der W ä r m e ? Doch wohl nur darum, weil solch ein Gegensatz in Wahrheit einerseits im Bereich der Erzeugungsmittel der beiden Gefühlszustände besteht, andererseits im Bereich der objektiven Wirkungen dieser Erzeugungsmittel (z. B. Heizen, Nicht-Heizen — Brennen, NichtBrennen — Transpirieren, Nicht-Transpirieren).1 Platon befreit sich von dem Alpdruck des Nicht-Seidenden, indem er es auf den positiven Begriff des V e r s c h i e d e n e n zurückführt. Das Nicht-Seiende hat stets nur relative Bedeutung; es bezeichnet im Gegensatz zu einem bestimmten Seienden jedesmal ein Anders-Seiendes. Das Nicht-Groß-Seiende zum Beispiel ist entweder das Klein- oder das Mitteigroß-Seiende. Diese letztere Folgerung ist übrigens logisch anfechtbar. Denn, streng genommen, ist das Nicht-Große a l l e s Andere mit alleinigem Ausschluß des Großen, also auch das Gelbe oder das Bittere. Die Bedürfnisse des Lebens und der belehrenden Mitteilung überhaupt führen uns aber in Wahrheit kaum jemals dazu, von der Gesamtheit der Dinge oder der begrifflichen Elemente mit Ausnahme eines einzigen zu handeln; vielmehr dient das Prädikat der Verneinung in der Regel und zumal bei der dialektischen Gliederung oder Einteilung eines Wissensstoffes dazu, aus einer übergeordneten Gattung eine der sie zusammensetzenden Unterarten auszuschließen und so mittelbar den Rest derselben zu umgrenzen. Ist so das Schreckgespenst der absoluten Verneinung gebannt, so drängen sich doch neue Rätselfragen heran, unter welchen die nach dem Wesen des Gegenteils des Nicht-Seienden, des Seienden selbst, die erste Sieüc einnimmt. Zwei Grundansichten treten einander schroff gegenüber: die m a t e r i a l i s t i s c h e und die i d e a l i s t i s c h e . 2 Der ersteren gilt nur das für seiend oder real, „was sich mit Händen greifen läßt", auch die Seele hält sie für etwas Körperliches; unter ihren Vertretern sind sicher-

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Platan ein Vorläufer moderner Energetiker

lieh die atomistischen Physiker zu verstehen. Ihre Gegner haben sich gar vorsichtig in das Bereich des Unsichtbaren geflüchtet; vom Himmel herab führen sie ihre Kämpfe mit den „Erdgeborenen"; nichts anderes erklären sie für real als unkörperliche Wesenheiten oder Urbilder. Mit diesen „Ideenfreunden" hat Platon niemand anderen gemeint als sich und seine Anhänger und dabei einen Humor an den Tag gelegt, der nicht allen Platon-Forschern zugänglich oder glaubhaft war.1 Er wird uns um so verständlicher, je deutlicher wir einsehen, daß der „Sophist" tiefgreifende Modifikationen der Ideenlehre einführt, so daß diese in ihrer älteren Gestalt für ilren Urheber selbst gleichsam etwas Gegenständliches und Geschichtliches geworden ist. An den beiden feindlichen Grundlehren wird nun einschneidende Kritik geübt. Der materialistischen Ansicht wird vorgeworfen, daß sie alles Seelische, alle Seeleneigenschaften, selbst die höchsten und wertvollsten, wie Tugend und Gerechtigkeit, für etwas Nicht-Seiendes oder Irreales erklären müsse. Den „ehrwürdigen und heiligen", aber in ewiger (fast möchte man sagen: in pedantischer) Ruhe verharrenden Urbildern wird die Fähigkeit abgesprochen, die Vorgänge der Erscheinungswelt sowohl als den Prozeß der Erkenntnis zu erklären. Dabei läßt es Platon an wundersamen Irrschlüssen nicht fehlen. Das Erkennen sei ein Tun, das Erkanntwerden somit ein Leiden, was der wandellosen Unbeweglichkeit jener obersten Erkenntnisobjekte widerstreite. Es sind vorzugsweise, wenn auch nicht ausschließlich, die Formen der Sprache, die den Philosophen hier irreführen. Die Passivform bezeichnet einmal das Erleiden einer Einwirkung, ein andermal die Beziehung eines Tuns auf einen durch dieses ganz und gar nicht affizierten Gegenstand. „Die Saite wird geschlagen", „das Kind wird erzogen", das sind Fälle der ersten, „die Sonne wird geschaut", „das Bild wird bewundert", dies sind Fälle der zweiten, von jener ersten völlig verschiedenen Art.2 Und desgleichen braucht der Materialist, wenn er die selbständige Existenz immaterieller Wesen leugnet, darum keineswegs die Realität psychischer Geschehnisse, das Bestehen von Beziehungen oder die Geltung von Nonnen zu bestreiten. Allein der Gesichtspunkt der formal-logischen Korrektheit ist hier wie im Vorigen in der Tat ein mehr nebensächlicher. Der zuletzt angedeutete Mehrsinn des „Seins" ist übrigens Platon selber nicht entgangen. Hat doch das Bedürfnis, diesen Begriff zu klären, ihm einen reicheren Inhalt zu geben und ihn von dem bloßen Substanz- oder Dinglichkeitsbegriffe loszulösen, gewiß einen Anteil an dem Versuche gehabt, der seinen Urheber zum Vorläufer aller modernen Energetiker macht. „W i r k l i c h ist einzig und allein das W i r k e n d e", so können wir, dank dem Tiefsinn der deutschen Sprache, jene wunderbare Äußerung Platons bündig wiedergeben, die wörtlich also lautet: „Ich behaupte nun, daß, was irgendwelche Kraft besitzt, sei es auf ein wie immer geartetes Anderes

Seine Befreiung aus den Banden des Eleatismus

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zu wirken, sei es auch nur das Mindeste, selbst von dem Geringwertigsten, zu erleiden, und wäre es auch, nur ein einziges Mal —, daß all das wahrhaft sei; denn ich bestimme das Wesen des Seienden dahin, daß es nichts anderes ist als Kraft oder Vermögen (dynamis)."1 Auf Grund dieser Begriffsbestimung wird den „Ideenfreunden" das Zugeständnis abgerungen, daß Wirksamkeit und damit auch Bewegung jenen obersten Wesenheiten nicht fehlen könne. Ferner wird diesen Leben, Seele und Einsicht zuerkannt — mittelst eines Gedankensprunges, den die die Werke der platonischen Spätzeit mehr und mehr beherrschende Tendenz veranlaßt hat, die Urprinzipien der Welt als seelische und bewußte zu betrachten.2 Damit hat die Ideenlehre eine Umbildung erfahren, die man nicht unangemessen auch eine Rückbildung nennen könnte. Alle Ontologie, so dürfen wir mit Fug sagen, ist abgeblaßte Theologie (vgl. S. 312). Indem die metaphysischen Wesenheiten wieder Wirksamkeit und Beseelung empfangen, kehren sie gleichsam zu ihrem Ursprung zurück. Es hat sich derselbe Kreislauf vollzogen, den wir schon einmal sich vollziehen sahen (vgl. S. 137 f.). Damit wird auch der Wall, der die Welt des Werdens von jener des Seins geschieden hatte, durchbrochen. B e f r e i u n g a u s d e n B a n d e n d e s E l e a t i s m u s — in dieses eine Wort läßt sich der ganze positive Gedankengehalt des „Sophisten" zusammendrängen. Dieser Befreiungsprozeß spielt sich jedoch auf mehreren Gebieten zugleich ab. Denn Platons Versuch, das ontologische Problem zu lösen, baut sich auf seiner Beantwortung der logischen Fragen auf.3 Die Frage: wie ist U n w a h r h e i t , Irrtum und Täuschung möglich? erweitert sich zu der anderen: wie ist überhaupt eine A u s s a g e möglich? Diesem Problem, das unseren Lesern als das der Prädikation wohlbekannt ist (vgl. S. 138 ff.), nähert sich Platon von der Seite des sprachlichen Ausdrucks.4 Ein Satz oder eine Rede setze zwei Arten von Wörtern voraus: Hauptwörter und Zeitwörter. Keines dieser Elemente ergebe in seiner Vereinzelung eine Rede. Wer Worte wie „geht, läuft, schläft" in noch so langer Folge aneinanderreiht, erziele damit so wenig eine Aussage, wie die Aneinanderreihung von „Löwe, Hirsch, Pferd" usw. eine solche bewirkt. Erst die Verknüpfung beider Elemente, eine Verbindung wie: „der Mensch lernt" oder „der Hirsch läuft", vermittelt eine Aussage. Je nachdem diese Verbindung der Wirklichkeit entspricht oder nicht, ist die Aussage wahr oder falsch. Beide Fälle werden durch die Beispiele „Theätet sitzt" und „Theätet fliegt" zutreffend erläutert. Diese erstmalige Darlegung der elementaren Lehre von Sätzen oder Urteilen war in einem Zeitalter keineswegs wertlos, das weder irgendeine Logik noch eine ausgebildete Grammatik besaß und in welchem zu der, selbst noch bei A r i s t o t e l e s sehr unvollkommenen, Unterscheidung der Redeteile und der Wortformen erst kürzlich, vornehmlich durch P r o t a-

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Die „Gemeinschaft

der Gattungen"

g o r a s, der Grund gelegt war. Gerne wüßten wir, wie sich diese Lehre Platons zu der im „Theätet" geprüften, aber als unzulänglich zurückgewiesenen Theorie verhielt, die gleichfalls alle Wahrheit und allen Irrtum auf Verbindungen zurückführt und die man mit hoher Wahrscheinlichkeit dem A n t i s t h e n e s zuschreibt. Man wird schwerlich fehlgehen, wenn man in dieser Theorie den Keim erblickt, der durch Platons Bemühen zu voller Entfaltung gebracht ward. Es wäre nicht das erste Mal, daß der jüngere Denker auf den älteren, auf dessen Schultern er steht, mit Geringschätzung herabgeblickt hat Die erkenntnistheoretische Grundfrage gilt Platon freilich durch jene sprachliche Analyse noch nicht als gelöst. Ihre eigentliche Lösung kann nach den Voraussetzungen, die sein ganzes Denken beherrschen, nur im Bereich der Ontologie erfolgen, durch den Nachweis, daß den Verbindungen oder Verknüpfungen der eine wahre Aussage zusammensetzenden Wörter auch solche im realen Hintergrunde alles Geschehens, in der Welt der an und für sich seienden Wesenheiten, der gegenständlichen Urbilder oder Formen, entsprechen. Die Ideenlehre, wie ihr Urheber sie zuerst aufgebaut hatte, zeigt ein, man darf sagen, eleatisches Antlitz. Nunmehr macht die Begriffsstarrheit der Begriffsflüssigkeit Platz. Jetzt erklärt Platon, es sei völlig unphilosophisch, „alles von allem abzutrennen", es gebe keine „gründlichere Vernichtung aller vernunftgemäßen Erörterung als das Loslösen eines jeden von allem ändern". Er verkündet die Theorie von der „Verflechtung der Urbilder", von der „Gemeinschaft der Gattungen"; und er legt diese Neuerung mit einem gar feinen Kunstgriff dem eleatischen Fremden in den Mund, gleichsam als sollte dieser dafür Zeugnis ablegen, daß die Abkehr von eleatischer Begriffsstarrheit im Geiste des P a r m e n i d e s selbst erfolgt ist, daß Platon, und nicht etwa die Neu-Eleaten oder Megariker und der mit ihnen verbündete A n t i s t h e n e s , die echten und rechten Erben des großen Ontologen sind.1 Die neue Theorie leugnet nicht, daß es einander ausschließende Ideen gibt, wie etwa die gegensätzlichen Urbilder der Ruhe und der Bewegung; andere und gar viele Ideen aber vermögen es, eine Gemeinschaft miteinander einzugehen, eine Gemeinschaft, welche auch die Teilnahme eines Dinges an einer Mehrheit von Ideen ermöglicht. Auf diesem Wege soll die alte Rätselfrage ihre Lösung empfangen, wie ein Ding mannigfache Eigenschaften besitzen könne, so daß sich sein Wesen nicht in dem Besitz irgend e i n e r Eigenschaft, seine Definition nicht in der Zuteilung irgend e i n e s Prädikats erschöpft. Oder vielmehr, die Doppelirage soll gelöst werden: wie kann e i n Subjekt mannigfache Prädikate besitzen? wie kann e i n Prädikat mannigfachen Subjekten angehören? Der Streitdialektik, wie sie im „Euthydem" sich getummelt hatte, wird der Boden entzogen. Behauptungen wie die, daß der kranke Sokrates ein vom ge-

Platans Dialektik tritt in den Dienst des Weltverständnisses

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sunden, oder daß der weiße ein vom musikalisch gebildeten Sokrates grundverschiedener Mensch sei, daß ferner zwei Wesen, die e i n e Eigenschaft gemein haben, darum in keiner anderen Rücksicht verschieden sein können, fallen zu Boden. Für Einschränkungen, für Vermittlungen, für Übergänge jeder Art wird breiter Raum gewonnen. Sie treten an die Stelle der alten, scharf zugespitzten Begriffsalternativen, wie: wer e t w a s weiß, ist ein Wissender und muß darum a l l e s wissen, oder: es gibt kein Meinen oder Mutmaßen, weil man alles e n t w e d e r weiß o d e r nicht weiß. 3. Und damit glauben wir den Lebensnerv nicht nur dieses einen Dialogs berührt zu haben. Die Altersphase Platons, der Johannistrieb seines Philosophierens, steht leibhaftig vor uns. Es fröstelt den greisen Denker in seinem Ideenhimmel. Sein Geist und sein Herz gewinnen stärkeren Anteil an Einzeldingen, Einzelwesen, Einzelprozessen. Er erkennt die Unzulänglichkeit aller uneingeschränkten Theorien. Jede schroffe Einseitigkeit stößt ihn ab, aller kahlen Verneinung wird er abhold. Allenthalben lugt er nach Kompromissen aus. Er trachtet nach einem Ausgleich zwischen Gegensätzen, sogar zwischen jenen des Seins und des Nichtseins. Wie er in den „Gesetzen" die Verfassungen mischt, so im „Timäos" die Ursubstanzen und im „Philebos" Arten der Lust und der Einsicht. Die neue Wendung hat sich, wenn man genau zusieht, schon im Eingang des „Parmenides" angekündigt.1 Die Relativität der Begriffe der Einheit, der Vielheit usw. wird bereits dort dargelegt, der im „Sophisten" unternommene Versuch, die erkenntnistheoretischen Aporien zu lösen, mindestens in Aussicht genommen. Der ganze Gang jenes Dialogs ist vielleicht schon von der Ahnung beherrscht, daß es nur die absolut gefaßten, keiner Milderung und Vermittlung zugänglichen Begriffe der Einheit, des Seins usw. sind, die uns in das Wirrsal der dort so grell ausgemalten unlösbaren Schwierigkeiten verstricken. Mit alledem hängt es zusammen, daß die Dialektik mehr und mehr in den Dienst des Weltverständnisses tritt. Es gilt jetzt für Platon, sich der bunten Fülle der Erscheinungen zu bemächtigen. Das geschieht mittelst der auf dem Wege der Zweiteilung (Dichotomie) fortschreitenden Besonderung und Klassifikation. Die Natur mit ihren Gattungen und Arten, den mannigfachen Geschlechtern der Tiere, der Pflanzen sowie der unorganischen Bildungen hat hier den Weg gewiesen. Ihren Spuren zu folgen, alle Gegenstände und alle menschlichen Tätigkeiten nach Gruppen zu ordnen und so vom Allgemeinsten zum Besondersten herabzusteigen, oder umgekehrt, das wird die Lust des greisen Platon. Er übt diese Kunst halb scherzhaft-polemisch und nicht ohne einen Anflug von Selbstironie gegenüber dem, was an ihr pedantisch ist, im „Sophisten", mit wachsendem Ernst und an würdigeren

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Das Nicht-Seiende ein selbständiges Prinzip

Gegenständen im „Staatsmann". Ein Komiker-Fragment belehrt uns darüber, daß diese Methode, die man die naturhistorische nennen darf, in der Akademie auch an den ihr gemäßeten Objekten — an Pflanzen und Tieren — geübt ward.1 Aus dieser Schule ist A r i s t o t e l e s hervorgegangen, den wir als Naturhistoriker auf allen Wissensgebieten kennen und bewundern lernen werden. An diese Wendung knüpft sich eine andere. Der Forscher, der sich auf die Erkenntnis der Einzeldinge einläßt, der aus den Höhen abstrakter Allgemeinheit in die Niederungen konkreter Tatsächlichkeit herabsteigt, kann unmöglich fortfahren, den Wertunterschieden eine alles überwiegende Bedeutung beizulegen. Die Sonne der Wissenschaft — das kann er nicht verkennen — leuchtet (um B a c o s Wort zu gebrauchen) über Düngerhaufen wie über Paläste. Einteilungen und Anordnungen, die sich nur auf Unterschiede menschlicher oder gar nationaler Wertschätzung gründen, widerstreiten dem natürlichen System der Klassifikation vielfach bis zum' Lächerlichen. So begreift man es, daß den Verfasser des „Staatsmanns" die Einteilung der Menschheit in Griechen und Barbaren so ungereimt dünkt, wie es jene in Phryger und NichtPhryger wäre. Auch diesem Fortgang zu strenger Wissenschaftlichkeit, der sich übrigens in der vom „Theater" ab stetig fortschreitenden Ausbildung einer fachlichen Nomenklatur deutlich ausprägt, präludiert bereits der „Parmenides". Auf S o k r a t e s ' Erklärung nämlich, er sei oft im Zweifel darüber, ob auch geringwertigen Gegenständen, wie es „Haare, Schmutz oder Schlamm" sind, Ideen oder Urbilder entsprechen, erwidert dort P a r m e n i d e s , Sokrates sei eben noch jung, er werde bei zunehmender Reife diese Frage bejahend beantworten und die Meinung der Menschen geringer achten lernen.2 Doch zurück zum „Sophisten". Noch haben wir eines schwerwiegenden Umstandes zu gedenken. Der Beziehungsbegriff des Verschiedenen harte die absolute Negation ersetzt. Aber er fällt für Platon selbst wieder mit etwas Absolutem zusammen. Das zum „Anderen" oder „Verschiedenen" gewordene Nicht-Seiende ist ihm zugleich ein selbständiges Prinzip, das über alle Dinge ausgebreitet ist, oder genauer: ihnen allen zugrunde liegt. Wir werden diesem Prinzip im „Timäos" unter dem Namen der eigenartig aufgefaßten „Materie" wieder begegnen. Indem Platon so das Nicht-Seiende für ein Seiendes oder Reales erklärt, wirft er den Vorkämpfern formaler Begriffsstrenge, den antiken Herbartianern (vgl. S. 139), welche der Gesamtinhalt des Gespräches zu reizen geeignet war, den Fehdehandschuh hin. „Wir werden nicht ungestraft bleiben" — „wir haben spätlernenden Greisen einen Schmaus bereitet" — in derartigen Wendungen, von denen die letzte unverkennbar auf A n t i s t h e n e s zielt, drückt Platon seine Erwartung bevorstehender Angriffe und zugleich die Geringschätzung seiner Angreifer aus.3 H i e r

Der Schlüssel zum Verständnis des „Sophisten"

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liegt der Schlüssel zum Verständnis des Dialogs als e i n e s G a n z e n . Wir erfassen das Band, welches den äußeren und den inneren Teil des Gesprächs zusammenschließt. Plaion brandmarkt seine Gegner, vor allem seinen persönlichen Feind A n t i s t h e n e s , der ihn selbst in seinem „Sathon" verunglimpft hatte, als Sophisten; und er entwirft in den scheinbar objektiv wissenschaftlichen, in Wahrheit von bitterster Abneigung eingegebenen Definitionsversuchen das denkbar abschreckendste Bild dieses Typus. Er hat dabei weit mehr sokratische Streitdialektiker als die sogenannten Sophisten einer früheren Generation im Auge. Das erhellt trotz des Bemühens, die neuen „Sophisten" und die alten Träger dieses Namens nicht ohne Gewaltsamkeit einem und demselben Begriffe unterzuordnen, aus der Rolle, welche in dieser Schilderung eben die Streitdialektik spielt, die nach dem Ausweis der platonischen Dialoge selbst, eines „Hippias", „Protagoras" und „Gorgias", in dem Bilde, das Platon von den großen alten Sophisten bewahrte, keine in die Augen fallende Stelle eingenommen hat. Gegen die begriffsstarren Megariker und den ihnen nahestehenden Antisthenes richtet sich der Lehrgehalt des Dialogs, und ihrem Gegenangriff kommt Platon durch seine Erörterungen über das Wesen des Sophisten zuvor. Zu der Malice, mit welcher dies geschieht, bietet ein Erzeugnis der neuesten Zeit eine zutreffende Parallele. Ich meine Z ö l l n e r s Buch über „die Natur der Kometen", das an die wissenschaftliche Behandlung seines Gegenstandes „Studien im Gebiete der Psychologie und der Erkenntnistheorie" anreiht, worin unter dem Vorwand, Hemmnisse des wissenschaftlichen Fortschritts darzulegen, heftige persönliche Ausfälle gegen T y n d a l l , H o f m a n n usw. erfolgen.1 Bei Platon handelt es sich übrigens nicht bloß um einen polemischen Kunstgriff. Seine Bitterkeit zieht auch aus dem Ingrimm Nahrung, mit dem man auf die eigenen Jugendfehler zurückblickt. Die Begriffsstarrheit, die er hier an seinen Gegnern geißelt, war ihm selbst nicht immer fremd geblieben. Die fruchtbare Dialektik, die er jetzt zu treiben beginnt, das Organ, mittels dessen er, wie nach ihm sein vornehmster Schüler, sich der ganzen Breite und Weite der Erscheinungswelt zu bemächtigen trachtet, hebt sich scharf ab von der sterilen Dialektik, die den Eintritt in die Erscheinungswelt abzuwehren geeignet ist. Billiger ist es, Schwierigkeiten, mit denen man selbst lange gerungen hat, als ernste und bedeutende anzuerkennen. Allein psychologisch begreiflich ist es, daß man denjenigen, welche die endlich dargebotene Hilfe voraussichtlich verschmähen und fortfahren werden, sich in dem von uns verlassenen Irrgarten zu tummeln —, daß man diesen, sage ich, grollt, ihre Beharrlichkeit als hartnäckigen Trotz verachtet, daß somit die schon früher vorhandene Feindseligkeit sich verschärft G o m p e r z , Griechische Denker. II. 4. Aufl.

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Platons „Staatsmann"

und bis zu jenem Stärkegrad anwächst, von dem die am Schlüsse des Gesprächs zusammengefaßten Definitionen des Sophisten zeugen. 4. Die Früchte, die der „Sophist" verheißen hat, wir pflücken sie im „ S t a a t s m a n n " . 1 Die Abkehr vom Abstrakten zum Konkreten, der helle Einblick in die Komplikation der Wirklichkeit, die ihm entstammende Ablehnung vorschneller Verallgemeinerungen und halber oder unvollständiger Wahrheiten — das sind einige Charakterzüge dieses Werkes. Solchen Merkmalen hoher Reife gesellt sich in der gesteigerten Redseligkeit ein Symptom des beginnenden Greisenalters zu. Platons Ideenfülle ist immer dieselbe, aber seine Herrschaft über seine Gedanken wird allgemach eine minder strenge. An die Verwendung eines Beispiels knüpft sich alsbald ein Exkurs über das Wesen des Beispiels; die Frage nach dem Zuviel und Zuwenig der Erörterung hat eine Untersuchung des Maßbegriffs zur Folge. Auch der „Kultus der Methode" trägt das Seine dazu bei, die Einheitlichkeit des Werkes zu schädigen, nicht minder seinen künstlerischen Reiz zu schmälern, während der gleichsam als ein Gegengewicht gegen die Trockenheit der Klassifikationen eingeschaltete Mythos von der Urzeit den Dialog zwar fesselnder, aber erst recht minder einheitlich gestaltet.2 Die Erörterung (an der außer den Gesprächspersonen des „Sophisten" auch noch eine neue, der jüngere S o k r a t e s , teilnimmt) geht von dem Begriff der Wissenschaft oder Erkenntnis aus. Diese wird in die theoretische und die praktische zerfällt. Die letztere, auch die Kunst des Handwerks genannt, hat es nur mit der Hervorbringung materieller Erzeugnisse zu tun, so daß die königliche oder Herrscherkunst zu unserer Überraschung innerhalb der ersteren Erkenntnisart gesucht wird. Durch deren fortgesetzte Einteilung gelangt man nämlich zur Kunst des Hirten, aus der als eine ihrer Unterarten die Kunst des Herrschers oder Menschenhirten ausgesondert werden soll; und überaus merkwürdig ist es da nun, zu sehen, daß Platon, wie um nicht durch Werturteile bestochen zu werden, seiner neuen, streng szientifischen Methode gehorchend, den Menschen nicht etwa durch seelische Merkmale, wie die Vernunft oder die Götterverehrung, sondern durch ganz äußerliche Kennzeichen, wie die Zweifüßigkeit, die Hörn- und die Flügellosigkeit es sind, allgemach von den übrigen Lebewesen scheidet. Gegen die, wie es scheint, antisthenische Erklärung des Königs als eines Hirten wird geltend gemacht, daß die Obsorge des letzteren sich auf das gesamte Leben der Herde mit Einschluß ihrer Ernährung erstreckt, während der Bereich der königlichen Tätigkeit ein engerer ist.3 Hier schaltet Platon den vorerwähnten wundersamen Mythos ein, der den folgenden Gedanken versinnlicht. Die Menschen befinden sich nicht mehr, gleichwie in der Vorzeit, unter der unmittelbaren Obhut der Gottheit. In wechseln-

Die Ideen treten in den Hintergrund

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den Perioden wird das Weltall von dieser selbst bewegt und dann wieder seiner eigenen Bewegung überlassen. Auch das Menschengeschlecht — das wird in phantasievoller, ja phantastischer Weise ausgeführt — ist gleich seiner Wohnstätte selbständig geworden. Als es, der göttlichen Leitung entratend, dem Untergange nahe war, da wurden ihm von den Göttern die Künste geschenkt, aus deren Gesamtheit es jetzt die Kunst des Staatsmanns auszusondern gilt. Die Schwierigkeit dieser Aussonderung soll eine Vorübung erleichtern, wobei man sich des „Anglers" im „Sophisten" erinnert. Diesmal ist es die „Webekunst", die zum Gegenstand der Übung gewählt wird. Ihre weitläufige Behandlung wirft, ebenso wie weiterhin die der Staatskunst selbst, mehrfachen sachlichen und methodischen Gewinn ab. Man lernt die Hauptverrichtung von mitwirkenden Nebenverrichtungen scheiden; die im „Sophisten" ausschließlich befolgte Methode der Zweiteilung wird als unzureichend aufgegeben; zwischen Arten und bloßen Teilen, die keine Arten sind, wird strenge geschieden.1 Die Frage, ob die Erörterung nicht allzu langwierig sei, führt, wie schon erwähnt, zur Untersuchung des Maßbegriffes. Viel und wenig, groß und klein, diese Worte haben einen doppelten Sinn, einen relativen und einen absoluten. Einmal drücken sie das Ergebnis eines Vergleiches aus — A ist groß oder klein im Verhältnis zu B oder C —; ein andermal ist der Maßstab dem in Frage kommenden Gegenstand selbst entnommen. So beiläufig diese Bemerkung auch erfolgt, so denkwürdig erscheint sie, wenn wir sie mit verwandten Darlegungen im „Phädon", im „Staat" und im „Theätet" vergleichen.2 Von der erkenntnistheoretischen Aporie, wie doch dasselbe Ding zugleich groß und klein, viel und wenig sein könne, ist nicht mehr die Rede. Platon hat eine neue und, wir dürfen wol sagen, höhere Stufe erklommen. Diese und gleichartige Denkschwierigkeiten liegen hinter ihm. Die „Anteilnahme" der Dinge an den Ideen, in welcher vordem deren Lösung gefunden ward, „glänzt durch ihre Abwesenheit", wie denn die an und für sich existierenden Urbilder nach ihrer Erhöhung im „Sophisten" gar auffällig in den Hintergrund treten. Die „Ideen" hat Platon — fast fühlt man sich so zu scherzen versucht — unter Verleihung des Götterranges in den Ruhestand versetzt. Die „mitwirkenden" Künste werden in sieben Klassen geschieden, je nachdem sie Urprodukte, Werkzeuge, Behältnisse, Nahrungs-, Schutz-, Trag- oder Beförderungs- und Ergötzungsmittel liefern — eine Einteilung, die das äußerlich verschiedenartigste unter die Einheit je eines gemeinsamen Zweckes zusammenfaßt, wie denn z. B. Kleider, die Mehrzahl der Waffen und außerdem Stadtmauern zusammen die Klasse der Schutzmittel bilden.3 Der Staatskunst näher stehen, aber doch nur als ihr dienstbare Verrichtungen, die Feldherrnkunst gleichwie die mit einiger Ironie behandelten Leistungen des Wahrsagers und des Priesters. In der 29*

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Das Gesetz ein Surrogat für die einsichtige Regelung aller Einself alle

sich anschließenden Erörterung über die Staatsformen, deren drei gezählt werden: die Einherrschafr, die Mehrherrschaft und die Vielherrschaft (Monarchie, Oligarchie, Demokratie), wird der wirtschaftliche Gesichtspunkt, der in der betreffenden Partie des „Staates" eine so große Rolle spielte, fallen gelassen und für unwesentlich erklärt. Nicht ob Reiche oder Arme, sondern ob Einsichtige oder Einsichtslose das Regiment führen, mache einen eingreifenden Unterschied. Daß nun jemals die Einsicht einer irgend größeren Zahl zuteil werden könne, das wird rundweg geleugnet. Gebe es doch in keiner griechischen Stadt auch nur fünfzig gute Brettspieler, geschweige denn ebensoviele gute Staatsmänner. Auch ob die Herrschaft unter freiwilliger Zustimmung der Beherrschten oder gegen deren Willen geübt wird, auch diese Unterscheidung sei nicht eine wahrhaft belangreiche. Als entscheidend gilt einzig und allein das Maß der Einsicht der Herrschenden, wobei der gute Wille mit dieser wie untrennbar gepaart erscheint, nicht anders als wie im „Staate" die Figur des Philosophen mit der des Gerechten zuletzt in eins zusammenschmilzt. Es folgt die Untersuchung, die den Kern des Dialogs ausmacht, die Verhandlung der Frage nämlich: sind Gesetze notwendig und heilsam? Das wird vorerst geleugnet. Es wird den Gesetzen vorgeworfen, daß sie der Mannigfaltigkeit der Lagen und Fälle nicht gerecht werden können. „Unmöglich kann das durchweg Einfache für das niemals Einfache passen."1 Wenn ein Arzt eine Reise antritt, für die ins Auge gefaßte Dauer seiner Abwesenheit den Patienten schriftliche Anordnungen zurückläßt, dann aber bei seiner unerwartet frühen Heimkehr die Witterungs- und Gesundheitsverhältnisse verändert findet — welch ein Tor wäre er doch, wenn er dem Wechsel der Umstände nicht Rechnung tragen, sondern sich an jene Niederschrift sklavisch gebunden erachten wollte! Aber freilich, wo die vollendete Einsicht fehlt, dort sind Gesetze, „die Frucht langer Erfahrung und das Werk achtbarer Ratgeber", immerhin ein Z w e i t b e s t e s , ein annehmbares Surrogat. Sie lassen sich jenen Vorschriften vergleichen, welche die Gymnastiker den Preiskämpfern erteilen. Es sind das Regeln, welche auf die feiner abstufende, individualisierende Behandlung der Einzelfälle verzichten und in groben Umrissen die der Mehrzahl der Personen regelmäßigerweise zuträgliche Lebensweise vorzeichnen. Hier spricht Platon von einer „ z w e i t e n F a h r t " , von einer neuen Suche nach dem besten Staat. Diese Fahrt wird ihn von dem nichts regelnden philosophischen Absolutismus des „Staates" zu der alles regelnden Legislation der „Gesetze" führen. D i e H ä l f t e d e s W e g e s b e z e i c h n e t d e r „ S t a a t s m a n n " . Oder vielmehr: der Geist seines Verfassers ist schon im neuen Hafen angelangt, während sein Herz noch am alten Ufer haftet. Der Mythos sagte uns, daß wir nicht mehr im goldenen Zeitalter weilen, daß wir auf das Vollkommene verzichten müssen. Platon ist von Pessimismus ange-

Platon gibt die Lehre von der Einheit der Tugend auf

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wandelt, aber in der Entsagung noch lange nicht so weit fortgeschritten wie in den „Gesetzen". Sein Gemüt ist von Bitterkeit erfüllt, und mitten durch die scheinbare Ruhe und Sachlichkeit seiner Ausführungen dringen starke Gefühlstöne, Schmähungen des „Chors von Satyren und Kentauren", der „Gaukler", der „sophistischesten unter den Sophisten". Doch gilt seine Erbitterung nicht mehr in erster Reihe der Demokratie, für die er jetzt weniger Haß als Verachtung empfindet. Sie heißt ihm die unwirksamste und darum die schlechteste der drei Regierungsformen, w e n n diese insgesamt gesetzmäßig gehandhabt werden; im entgegengesetzten Falle mache ihre Schwäche sie zur unschädlichsten und darum besten unter ihnen. Vom Königtum gilt in beiden Richtungen das genaue Gegenteil, während die in der Mitte stehende Aristokratie eine Mittelstellung im Guten wie im Schlimmen einnimmt. Diese veränderte Schätzung der Demokratie hängt augenscheinlich mit dem Niedergang und der Entkräftung der demokratischen Heimat zusammen. Es ist das Athen, welches selbst die Beredsamkeit eines D e m o s t h e n e s nur mehr zu gelegentlichen Kraftanstrengungen zu galvanisieren vermag, die einst stolze Seebeherrscherin, die sich allgemach in das „Mütterchen" verwandelt, das (um mit dem Redner D e m a d e s zu sprechen) „Tränkchen schlürft und in Pantoffeln einherschleicht". Platons heftigste Invektiven scheinen anderen Staaten und anderen Staatsmännern zu gelten.1 Der Gedanke liegt nahe, daß es die Vorgänge auf Sizilien sind, die jetzt sein stärkstes Interesse und seinen nachhaltigsten Unwillen erregen (vgl. S. 422). Der Dialog schließt nicht, ohne daß der Leser eine denkwürdige Selbstberichtigung des Verfassers zu verzeichnen vermöchte. Ihr Gegenstand ist nichts Geringeres als die von Platon so lange festgehaltene sokratische Lehre von der E i n h e i t der T u g e n d . Mit einiger Beflissenheit wird der Anlaß zu dieser Berichtigung gesucht. Es sei eine Hauptaufgabe des Staatslenkers, durch die Ehe die Verbindung ungleichartiger Naturen und mittelst dieser eine Ausgleichung gegensätzlicher Anlagen herbeizuführen. An diesen Rat wird eine „ungewohnte", ja „erstaunliche" und als „ein Wagnis" bezeichnete Darlegung geknüpft: innerhalb der Tugend selbst bestehe eine Art von Unterschied oder vielmehr ein scharfer Kontrast, nämlich der zwischen der Selbstbescheidung (Sophrosyne) und der Tapferkeit.2 Dieser gehe auf den weit allgemeineren, auch in der Körperwelt, in der Erkenntnis und in der Musik obwaltenden Gegensatz der Schärfe, Heftigkeit und Raschheit zur Milde, Stetigkeit und Langsamkeit zurück. In einseitiger Steigerung führe das eine dieser Elemente zur Gewalttätigkeit, ja zur Tollheit, das andere zu Feigheit und Erschlaffung. Die Scheu vor dem, was man die „Inzucht der Temperamente" nennen möchte, ist bemerkenswert genug; noch bemerkenswerter der, man darf sagen, heraklitische Weitblick, mit welchem

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Platans „Philebos"

diese Antithese durch das Doppelreich der Natur und des Geistes verfolgt und die Notwendigkeit des Zusammenbestehens und der Versöhnung der Gegensätze betont wird. Das Bemerkenswerteste aber ist der Bruch mit dem sokratischen Intellektualismus, der sich bei Platon zwar auch früher schon häufig vorbereitet hat und niemals bis zu seinen äußersten Konsequenzen gediehen ist, an unserer Stelle aber wohl in eine größere Tiefe als jemals zuvor oder nachher hinabreicht. Die Selbstberichtigung erscheint im Gewände eines Ausfalls gegen den rückständigen A n t i s t h e n e s , dessen der Begriffsstarrheit entstammende „Wortklauberei" auch an einer anderen Stelle des „Staatsmanns" unverkennbar gemeint und gegeißelt wird. Nirgendwo zeigt sich Platon selbst von solchen Neigungen freier als in diesem Werke, in dem er „mit den Worten es nicht allzu ernst zu nehmen" und vielmehr „die schwierige Sprache der Tatsachen" verstehen zu lernen rät. Seine Befreiung von den Fesseln des Eleatismus ist vollendet; ein Hauch von baconischem, von moderninduktivem Geiste hat ihn gestreift.1

Achtzehntes Kapitel. Platons „Philebos". Jit dem „Sophisten" und dem „Staatsmann" ist der „Philebos" eng verwandt.2 Das kann uns zunächst eine kleine Stileigenheit lehren, die in anderen platonischen Werken vereinzelt, häufiger im „Theätet", in jedem jener drei Gespräche dagegen geradezu massenhaft auftritt. Ich meine Wendungen von der Art wie: „Hier tritt uns dieses Argument entgegen." „Welches?" — „Es ergibt sich dieser Unterschied." „Welchen meinst du?" Die Dialogform ist zu einem ganz äußerlichen, leicht entbehrlichen Behelf geworden. Die langen didaktischen Auseinandersetzungen des „Timäos" und der „Gesetze" stehen in Sicht. Demgemäß fehlt der Persönlichkeit der Mitunterredner auch fast jede ausgesprochene Eigenart. Gar bezeichnend ist es in diesem Betracht, daß der eine bestimmte These, das Prinzip der Hedonik oder Lustlehre, vertretende P h i l e b o s sogleich am Anfang des Gespräches als ermüdet dargestellt wird und in den Hintergrund tritt, um dem farblosen P r o t a r c h os Platz zu machen. Des ersteren stärkere Beteiligung am Dialog hätte diesem eben den Stempel eines wirklichen Meinungsstreites aufgedrückt. Zu einem solchen hat dem Verfasser vielleicht die Lust noch

Macht „Lust" oder „Einsicht" das Wesen des „Guten" aus?

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mehr als die Kraft gefehlt. Darum läßt er S o k r a t e s eigentlich ein Selbstgespräch führen, während Protarch ihn (wie der jüngere Sokrates den eleatischen Fremden im „Staatsmann") nur zur Fortsetzung drängt und um Erläuterungen angeht. Allein nicht nur in formeller Rücksicht steht der „Philebos" jenem Gesprächspaar ungemein nahe. Die alten Aporien, die sich an das Prädikationsproblem geheftet hatten und die im „Sophisten" ihre Lösung fanden, werden als abgetan, ja als „kindliche Schaustücke" und als Hemmnisse der Forschung bezeichnet. Hier wie dort sind die substanziellen Ideen zwar nicht aufgegeben, aber in den Hintergrund gerückt. Hier wie dort zeigt sich Platons Wirklichkeitssinn gleichmäßig erstarkt. Hier wie dort ist der Hauptbehelf der Tatsachenerkenntnis die klassifikatorische Dialektik, die nach dem Vorgang des „Staatsmannes" auf die im „Sophisten" allein herrschende Zweiteilung verzichtet, vor dem Überspringen der (an B a c o s axiomata media erinnernden) „Mittelbegriffe" auf ihrer Hut ist und in unzweideutigen Worten als die Grundlage aller wissenschaftlichen Entdeckungen gefeiert wird.1 Das war sie in der Tat für P l a t o n sowohl als für A r i s t o t e l e s . Denn deren ursächliche Einsichten standen gar sehr hinter ihrem Überblick über das geordnete Nebeneinander der Dinge zurück. War ihnen doch die vornehmste Schule der Kausal-Erkennrnis, die physikalische Forschung, so gut wie verschlossen. Denn nicht nur war die Experimentierkunst an sich wenig entwickelt, auch was von ihr vorhanden war, wurde (hauptsächlich von Platon) als handwerksmäßige Verrichtung verachtet, und beide Denker waren von den besten Physikern des Zeitalters, den Atomisten, durch tiefgreifende Meinungsverschiedenheit getrennt. Im „Philebos" wird aber — und das ist wohl zu beachten — das Einteilungs-Bemühen von dem getragen, was ihm allein wahrhafte Fruchtbarkeit und hohen Wert verleiht: von reicher und feiner B e o b a c h t u n g . Auch die dialektische „Vorübung" fehlt dem „Philebos" nicht. Die Stelle des „Anglers" und der „Webekunst" (vgl. S. 441 u. 451) nehmen die Grundzüge der Phonetik ein: es werden nämlich die Sprachlaute in ihre Arten gegliedert, als welche Stummlaute, Stimmlaute und Geräuschlaute gelten.2 Das eigentliche Thema des Gespräches ist die Frage nach dem Wesen des Guten, genauer nach dem, was eine spätere Zeit das „höchste Gut" genannt hat. Die Fragestellung darf uns befremden. Als die zwei Bewerberinnen um den höchsten Preis treten nämlich, genau wie an einer Stelle des „Staates", die „Lust" und die „Einsicht" auf. Gar nahe liegt der Einwurf, daß die Einsicht selbst, von allen ihren untergeordneten, im Dienste der Lust stehenden Leistungen abgesehen, auch ganz unmittelbar (was niemand besser als Platon weiß) eine Lustquelle ist und daher nicht mit Fug dem allgemeineren Begriffe der Lust gegenübergestellt werden kann. Allein die Identifizierung der Einsicht

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Die vier U rPrinzipien aller Dinge

mit dem Guten war historisch gegeben, als eine Lehre des Sokratikers E u k l ei d e s , dem hierin die Kyniker nahestanden; und anfänglich wenigstens mildert Platon die Schiefe jenes Gegensatzes, indem er seiner Altersneigung gemäß alsbald ein Kompromiß vorschlägt. Weder Lust allein noch Einsicht allein schaffe die Glückseligkeit; diese sei vielmehr die Frucht ihrer „Mischung". Schon dieser, der erste, Schritt der Erörterung vollzieht sich in einer methodisch gar denkwürdigen Weise. Wieder wendet Platon wie am Beginne des „Staates" (vgl. S. 359) die experimentelle oder Differenzmethode an. Er entkleidet im Gedanken das von Lust erfüllte Leben jedes Beisatzes von Intelligenz, das mit Intelligenz gesättigte jeder Zutat von Lust, und vergleicht diese beiden miteinander. Nun beweist er die Unzulänglichkeit des bloß lustvollen Lebens damit, daß diesem mit der Erinnerung und Erwartung wesentliche Lustquellen verschlossen sind. Auch würde das mangelnde Selbstbewußtsein solch ein Wesen nur eine Lust empfinden lassen, wie etwa auch Austern oder anderes derartige Seegetier sie empfinden mag. Die andere Alternative, das ausschließlich intellektuelle, von keinem Hauch der Lust oder auch des Leides gestreifte Leben wird, wohl im Hinblick auf das kynische Ideal, als Apathie bezeichnet und ohne eingehende Zergliederung als für Menschen ungeeignet verworfen. Nachdem die Notwendigkeit der Mischung eingeräumt ist, entsteht die Frage nach dem Wertverhältnis der in sie eingehenden Elemente. Hierzu wird gar weit ausgeholt. Die Untersuchung greift auf die Urprinzipien der Dinge zurück und erkennt deren zunächst zwei: das U n b e g r e n z t e und die G r e n z e . Hierin zeigt sich Platon von Pythagoreern und zumal von dem (wahrscheinlich jüngeren) Zeitgenossen des Sokrates, von P h i l o l a o s, beeinflußt.1 Alles was Intensitätsgrade besitzt, wird — offenbar, weil die Grade ein Kontinuum bilden und immer weiterer Teilung zugänglich scheinen — zum Unbegrenzten gerechnet. Alles Maß und alle Zahl, nicht minder alle Maß- und Zahlbestimmtheit in sich schließenden Begriffe, wie die der Gleichheit, der Verdoppelung usw., gehören zum Bereich der Grenze. Aus der „Mischung" beider Prinzipien geht alle Schönheit und Kraft, alle Ordnung und Gesetzmäßigkeit hervor. So die leibliche Gesundheit oder die Musik, die letztere in der Weise, daß „das Hohe und Tiefe, das Schnelle und Langsame" (also gleichsam der S t o f f des Tonsatzes wie des Rhythmus) durch das begrenzende Maß ihre F o r m oder Gestaltung erhalten. Demnächst wird dies Erzeugnis der Mischung selbst als ein drittes und deren Ursache, da nichts ohne eine solche sei, als ein viertes Weltprinzip anerkannt. Für die Entscheidung der Wertfrage ist damit eine Grundlage gewonnen, indem der Lust wie dem Leid als Unterarten des Unbegrenzten dessen niedrigerer Rang, der zum Bereich der Grenze gehörigen Einsicht die diesem eigentümliche höhere Würde zugesprochen wird. Hier

Gibt es „wahre" und „falsche"

Lust und Unlust?

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erfährt die strenge Gedankenfolge eine Unterbrechung durch einen Hymnus auf den Intellekt als den „König des Himmels und der Erde".1 Wie an einer verwandten Stelle des „Sophisten" und wieder im zehnten Buch der „Gesetze" wird der Naturalismus, die Ansicht, welche die kosmischen Prozesse blindwirkenden Naturkräften zuschreibt und einer weltleitenden Intelligenz entraten zu können glaubt, mit äußerster Schärfe und nicht ohne einen strafenden Seitenblick auf L e u k i p p oder D e m o k r i t verurteilt. Nunmehr erfolgt etwas gar Auffälliges. Lust und Leid, die kurz vorher, abstrakt gefaßt, so darf man sagen, dem Bereich des Unbegrenzten zugeordnet wurden, werden jetzt dem dritten Urprinzip, dem der Gemeinschaft oder des Verbandes, zugeteilt. Es wird damit ihre Bedeutung für konkrete Wesenheiten, zumal für die animalischen, klargelegt, in der Art, daß das Leid als Begleitphänomen der den Verband auflösenden Prozesse, die Lust als Begleiterscheinung seiner Wiederherstellung, unter Vorwegnahme einer K a n t sehen Doktrin, angesehen wird. Dieser, der körperlich bedingten, Lust und Unlust wird die rein seelische Erwartungslust und -unlust, beiden als ein Drittes der Ziistand effektiver Indifferenz gegenübergestellt. Mit diesem letzteren wird das bloß intellektuelle Leben, welches wohl auch das der Götter sein mag, identifiziert und ihm im menschlichen Dasein mindestens die zweite Rangstufe eingeräumt. Es folgen feinsinnige psychologische Erörterungen. Die bloß der Seele eigentümliche Lust sei durch Erinnerung bedingt. Einen Gegenstand derselben können nicht solche Affektionen bilden, die nur den Körper betreffen und, ehe sie zur Seele gelangen, erlöschen. Vielmehr müssen das „Erschütterungen" sein, die den Körper und die Seele durchzucken und die wir „Empfindungen" nennen. Diese werden vom Gedächtnis aufbewahrt; als Erinnerungen sind sie die Quellen einer rein psychischen Lust, die von der aus der Befriedigung körperlicher Begehrungen entspringenden Lust scharf geschieden wird. In die Begehrung gehe freilich gleichfalls ein rein psychisches Element ein, nämlich die auf Erinnerung beruhende Erwartung des Begehrten. Damit sei Lust oder Leid verknüpft, je nachdem die Erlangung des Begehrten erhofft oder .an ihr gezweifelt wird; daneben enthalte die Begehrung aber jedenfalls ein Element der Unlust, das der körperlichen Entbehrung entspringt. An dieser Stelle entsteht die Frage, ob es „wahre" und „falsche" Lust- und Unlustempfindungen gebe.2 Das Problem war offenbar bereits vielfach verhandelt worden. Das erkennt man sowohl aus der Raschheit und Sicherheit, mit der die- Antworten erfolgen, als auch daraus, daß der jugendliche Protarch sich auf das beruft, was er darüber „gehört" hat. Die Unanwendbarkeit der Prädikate „wahr" und „falsch" auf jene Empfindungen wird zunächst mit vortrefflichen, wahrscheinlich aus dem Kreise der Hedoniker stammenden Argumenten behauptet. Nicht

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Platan als wissenschaftlicher Denker und als Moral-Enthusiast

den Affekten selbst seien jene Prädikate zuzusprechen, sondern den Vorstellungen oder Meinungen, denen Lust und Unlust entstammen oder in deren Begleitung sie auftreten. Der wissenschaftliche Denker in Platon liegt indes mit dem Moral-Enthusiasten in Streit und wird schließlich von diesem überwunden. Nicht ohne Gewaltsamkeit wird den wohlbegründeten Einwendungen zum Trotz an jener Unterscheidung festgehalten und es wird als „falsch" ebenso die im Traum empfundene Lust wie auch jener Lustzuwachs bezeichnet, der durch den Gegensatz gegenwärtiger Lust zu einer vorangehenden erheblichen Unlust bedingt ist. Wir verweilen nicht bei diesem (schon von T h e o p h r a s t 1 eindringlich bekämpften) Fehlschluß, der aus Platons auch anderwärts wahrnehmbarem Bestreben erwachsen ist, ethische und ästhetische Bewertungen dem Bereich des subjektiven Gefühles zu entziehen und sie auf vermeintlich objektive Kriterien zu gründen. Ebensowenig soll uns die schon im „Gorgias" begegnende Verwechslung des „Guten" im Sinne moralischer Güte mit dem „Guten" im Sinn eines Gutes oder wertvollen Besitztums kümmern.2 Wir ziehen es vor, aus der Fülle eindringender Beobachtungen und wohlbegründeter Unterscheidungen das Wichtigste hervorzuheben. Kaum irgendwo ist der echt wissenschaftliche Geist in Platon so lebendig und so fruchtbar, wie er sich im „Philebos" zeigt. Denn der Begriffskünstler stützt sich hier auf den Seelenkundigen; die behende und gelenke Dialektik wird diesmal an einem überquellend reichen Erfahrungsmaterial geübt. Dieses tiefernste Streben nach unbefangener Sachlichkeit betätigt sich unter anderem darin, daß Platon die Pfeile seiner Polemik auch gegen „Feinde des Philebos", d. h. wider Gegner der Hedonik, richtet, die ihm augenscheinlich sehr sympathisch sind, in ihrer Bekämpfung der Lustlehre aber über das Ziel zu schießen scheinen, indem sie die Lust überhaupt leugnen und, was als solche gilt, für etwas rein Negatives, für bloße Schmerzlosigkeit, erklären. 3 Wer diese als Vertreter einer „nicht unedlen Sprödigkeit" und zugleich als hochverdiente Naturforscher bezeichneten Denker waren, wissen wir nicht. Doch werden es schwerlich andere als Platon persönlich befreundete Pythagoreer gewesen sein, wobei man zunächst an A r c h y t a s denken möchte. 2. Wir kommen zu den Hauptergebnissen der Untersuchung. Mit packender Anschaulichkeit, mit einer, man darf sagen, erschreckenden Lebenswahrheit wird das Übermaß der den stärksten Trieben entstammenden Genüsse, der heftigsten Arten der Lust, geschildert und schon durch diese Schilderung (überdies aber auch noch durch den Nachweis ihrer vielfachen Vermischung mit heftiger Entbehrungs-Unlust) verurteilt. Ausdrücklich verwahrt sich hier Platon gegen die Zumutung, als habe er diese Bemerkungen auf Philebos, d. h. auf die durch ihn vertretenen Hedoniker, gemünzt. In der Tat bedurften sie dieser Belehrung

Die ästhetischen Elementarempfindungen

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ganz und gar nicht. War doch der „ausnehmend sittenstrenge" E u d o s ebensowenig als der genußliebende A r i s t i p p geneigt, die blindwütige Gier, deren Walten Platon mit so abstoßenden Farben schildert, oder gar die Herrschaft zu preisen, welche die sinnliche Leidenschaft über Geist und Gemüt der Menschen ausübt.1 Unmöglich konnten ihre Anhänger, wenn sie die Lustgefühle auch nur mit den rationellen Maßstäben der Stärke, der Dauer und der Reinheit oder Ungemischtheit maßen, der der Animalität angehörigen Lust eine sehr hohe Rangstufe einräumen, so fern es ihnen auch lag, durch einseitige Ausmalung der hier in Frage kommenden Auswüchse mit Platon der Askese den Weg zu ebnen. Eine Mischung von Lust und Unlust wird auch auf rein seelischem Gebiet anerkannt, in den Affekten des Zorns, der Sehnsucht, des Mitleids usw. Es wird an die Rachsucht erinnert, die nach H o m e r „süßer als Honig" ist, nicht minder an die „tränenreiche Freude", welche die Tragödie gewährt. Ja selbst der Komödie soll, weil wir über die nicht ohne alle Pein wahrgenommenen Fehler und Schwächen auch der uns Befreundeten lachen, solch eine Mischung nicht abgehen. Endlith ist es das Schauspiel der Wirklichkeit selbst, „die Tragödie und Komödie des Lebens", welcher derart gemengte Empfindungen entkeimen.2 Diesen Mischprodukten treten die reinen oder ungemischten Genüsse gegenüber, allen zuvor die hier zum erstenmal ans Licht gezogenen ä s t h e t i s c h e n E l e m e n t a r e m p f i n d u n g e n . Nicht nur partiell und nicht bloß relativ schön, sondern immer, ganz und an und für sich schön seien gewisse Linien und Formen, ferner gewisse Farben und Töne, endlich auch Gerüche, die zwar einigermaßen tiefer gestellt, aber doch um ihrer völligen Leidfreiheit willen unter diese Kategorie gereiht werden. Es folgen die Lustempfindungen, welche die wissenschaftliche Erkenntnis begleiten. Nicht ohne eine den Widerspruch herausfordernde Kühnheit wird die vollständige Reinheit oder Schmerzfreiheit dieser Lustgefühle behauptet und dabei sowohl der Schwierigkeiten des Lernens wie des von Platon selbst, vor allem im „Menon", so drastisch geschilderten Hungers nach positiven Lösungen und des durch das Kreuzverhör erzeugten Mißbehagens vergessen. Platon geht weiter. Er behauptet, daß der kleinste Betrag völlig reiner Lust dem größten Betrag gemischter Lust vorzuziehen sei. Worauf ruht diese Behauptung? Sie wird durch die Wiedereinführung der Kategorie der Wahrheit vermittelt: das Ungemischte, Reine, Echte sei das Wahre. So stützt Platon die einer argumentativen Begründung unzugängliche Bevorzugung auf eine dem Gegenstand fremde (aus dem Gebiete der Erkenntnis herangeholte und dem des Gefühls aufgenötigte) Unterscheidung. Zu demselben Ziele führt ein zweiter Weg. Es wird der Unterschied zwischen Werden und Sein betont. „Wir haben gehört", und zwar von den Hedonikern selbst, daß die

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Logische Gewaltsamkeiten

Lust allezeit ein Werden, niemals ein Sein ist. Damit war offenbar nur gemeint, daß die Lust als Empfindung ein seelischer Vorgang oder Prozeß ist, nicht minder als etwa das Denken oder das Wollen. Alles Werden aber — so wird nun gefolgert — ist Mittel zu einem Sein; darum kann auch die Lust nur Mittel, nicht Zweck und somit kein Teil des Guten sein. Daran reiht sich ein ironischer Dank, der den „feinen Köpfen" für dieses ihr angeblich selbstmörderisches Zugeständnis gespendet wird. Unter seelischem Sein, so mochten sie ihrerseits erwidern, ist doch nichts anderes zu verstehen als ein seelischer Dauerzustand; und somit kann das Argument im besten Falle nur besagen, daß solche Dauerzustände und nicht Momentanempfindungen erstrebenswerte Ziele sind. Dem also verstandenen Einwurf ist aber jene Form der antiken Hedonik gerecht geworden, welche in der „zuständlichen Lust", d. h. in der heiteren Seelenstimmung, das Lebensziel erblickt hat. Wer ferner die Lust für ein Gut erklärt, der müsse — so fährt Platon fort — ein Leben verwünschen, in welchem es nicht Durst oder Hunger und die ändern Unlustempfindungen geben würde, durch welche die entsprechenden Lustempfindungen bedingt sind. Der Einwurf trifft nur jenen Teil der Lustlehre, der sich auf die aus der Befriedigung von Bedürfnissen entspringende Lust bezieht. Und er trifft auch diesen in entscheidender Weise nur unter der Voraussetzung, daß die Befriedigungslust hinter der ihr vorangehenden Entbehrungsunlust quantitativ zurücksteht. Selbst dann konnten die Hedoniker erklären, daß diese Lust zwar kein positives G u t , aber als Minderung des sonst vorhandenen Übels ein gar sehr erstrebenswertes Z i e l sei. Außerdem stand ihnen die Antwort zu Gebote, daß ihre Lehre sich nur auf die tatsächlich gegebene Welt und Menschennatur beziehe, und daß ein hypothetisches, vielleicht gar nicht mögliches, jedenfalls uns unbekanntes und unerkennbares Dasein, wie es jenes hunger- und durstfreie, überhaupt völlig bedürfnislose Leben sei, sich jeder menschlichen Bewertung entziehe. Endlich erscheint hier noch die von uns bereits vorgreifend erwähnte Verwechslung von Gut und Güte, die sich bis zu der Behauptung zuspitzt, daß den Hedonikern selbst der allerbeste Mensch zur Zeit, da er Unlust empfindet, als schlecht und ebenso der schlechteste zur Zeit, da er Lust empfindet, als ein guter gelten müßte. Diese logischen Gewaltsamkeiten werden alsbald wieder von einer Welle strenger Wissenschaftlichkeit abgelöst. Nach der scharfen Prüfung, der soeben die Lust unterzogen ward, wolle man auch der Einsicht, dem Geist und der Erkenntnis keine Schonung erweisen; auch hier gelte es, alles Morsche aufzuspüren und wegzuschneiden; nur das Reinste solle übrig bleiben und mit den reinsten Teilen der Lust verglichen v/erden.

Der Begriff

der exakten Wissenschaft

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Hier tritt uns nichts Geringeres als der Begriff der e x a k t e n W i s s e n s c h a f t zum erstenmal in voller Klarheit entgegen: der Begriff einer auf „Zählen, Messen und Wägen" gegründeten Erkenntnis.1 Unsere Leser erinnern sich einer beiläufigen Anspielung auf diesen Begriff in Platons „Euthyphron" (vgl. S. 284), der eine Stelle des „Staates" zur Seite geht, nicht minder der Klage eines tiefsinnigen Arztes, daß die Heilkunst auf „Maß, Gewicht und Zahl" verzichten und sich mit der „körperlichen Empfindung" begnügen müsse (vgl. 1*247). Vereinigt erscheinen die drei Mittel exakter Erkenntnis bereits in einem Verse des S o p h o k l e s , der sie Erfindungen des Kulturheros P a l a m e d e s nennt, während sein Vorgänger Ä s c h y l o s dem menschenfreundlichen Titanen P r o m e t h e u s nur die Erfindung der „Zahl" als des „sinnreichsten aller Kunstgriffe" geliehen hat. Der exakten oder maßbestimmenden Erkenntnis tritt im „Philebos" die auf „Schulung der Sinne" beruhende Empirie gegenüber, wobei die bloße Übung oder „Routine" nicht mehr die gleiche Geringschätzung wie im „Gorgias" erfährt.2 Hierauf werden die praktischen Künste, je nachdem sie sich der Präzisionsinstrumente, wie das Richtscheit, der Zirkel, die Meßschnur u/dgl. m. es sind, bedienen oder aber dieses Grades der Genauigkeit entbehren, voneinander gesondert. Noch tiefer greift eine, auch dem „Staat" nicht fremde, Unterscheidung innerhalb der exakten Wissenschaften selbst. Eine andere sei z. B. die Arithmetik, die mit „ungleichen Einheiten", z. B. zwei Rindern oder zwei Heeren, und diejenige, die mit Einheiten hantiert, die nicht den allerkleinsten Unterschied aufweisen. Dasselbe gelte von der Geometrie. In diesem ganzen Bereiche wird somit die reine oder abstrakte Wissenschaft der auf die Sinnendinge angewandten gegenübergestellt; jener wird der weitaus höhere Grad von Strenge und Genauigkeit zugesprochen, und hierin wird sie nur noch von der Dialektik übertroffen, als deren Objekt die unwandelbaren, an und für sich seienden Wesenheiten bezeichnet werden. 3. Ehe die Summe der Erörterung gezogen wird, erfolgt noch ein Rückblick auf den Gang des Gespräches. Philebos, der Vertreter der Hedoniker, hatte in der L u s t das geeignete Ziel für das Tun aller Lebewesen erkannt und damit das Gute identifiziert. Sokrates hatte vorerst behauptet, daß beides nicht zusammenfalle, und daß die von anderen (von E u k l e i d e s und den Kynikern) an die Spitze der Lebensziele gestellte E i n s i c h t an der Natur des Guten mehr Anteil habe als die Lust. Es war ferner zugestanden worden, daß weder die bloße Lust noch die bloße Einsicht zur Glückseligkeit ausreiche, sondern daß es hiezu einer Mischung beider bedürfe. Diese Mischung wird nun vollzogen. Es gilt, aus den zwei Quellen, von denen die eine „gleichsam mit Honig", die andere „mit nüchternem und stählendem Wasser" gefüllt ist, den er-

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Die drei Gestalten des Guten: Schönheit, Wahrheit, Verhältnismäßigkeit

forderlichen Trank in richtigen Verhältnissen zu mischen. Zuvörderst werden die Erkenntnisse insgesamt gemengt: mit den reinsten auch die trüberen; mit denen, die sich auf das Unwandelbare und an und für sich Seiende beziehen, auch jene, welche die Welt des Werdens und Vergehens zu ihrem Gegenstande haben. Die Notwendigkeit, hier nicht allzu wählerisch vorzugehen, wird durch ein drastisches Wort erhärtet: „sonst könnte ja keiner von uns auch nur den Weg nach Hause finden." Anders in betreff der Lustarten. Darüber sollen „der Geist und die Einsicht" selbst entscheiden. Diese erklären nun: bloß die „wahren und reinen" Lustarten sind zuzulassen; „nicht jene, die in den Seelen, welche wir bewohnen, tollen Aufruhr erzeugen, die unser Heranwachsen oft verhindern und unsere Sprößlinge zumeist verderben". So ist die Mischung zur Zufriedenheit der Unterredner vollbracht. Jetzt wird nach den Prinzipien geforscht, die der Mischung vorstehen. Da werden zuerst das M a ß und das richtige Verhältnis als die Ursachen erkannt, ohne welche ja eine angemessene Mischung nicht zustande komme, ja ohne die es überhaupt keine eigentliche Mischung, sondern höchstens ein wirres Durcheinander gebe. Nun gelten aber allenthalben das Maß und die Verhältnismäßigkeit als Schönheit und Tugend, und somit sei die Natur des Guten, der wir nachspüren, in den Bereich der Schönheit entflohen. Dazu geselle sich die Wahrheit, die ja doch in die Mischung mit eingegangen sei. So werde denn das Gute nicht in einer, sondern in drei Gestalten ergriffen, als Schönheit, Wahrheit und Verhältnismäßigkeit. Von neuem entsteht die Frage, ob die Lust oder die Einsicht „dem Besten in Göttern und Menschen", wie hier das „Gute" heißt, näher verwandt sei.1 Man weiß, wie die Antwort ausfallen wird. Mit einer Emphase, die an die emphatischeste Stelle des „Staates" erinnert (vgl. S. 388), wird Protarch eingeladen, allen Nahen sowohl als Fernen die Botschaft zu verkünden, daß die Lust nicht das erste Besitztum und auch nicht das zweite ist. Die 1. Stelle nehme vielmehr das „Maß" ein, die 2. „das Schöne, das Verhältnismäßige, das Vollendete und Ausreichende", die 3 „der Geist und die Einsicht", die 4. „Wissenschaft, Künste und richtige Meinungen", die 5. die von leidvoller Beimischung freien oder reinen Lustarten. (Mit annähernder Genauigkeit kann man unter 1. das Mathematische verstehen, unter 2. dessen Einbildung in die Erscheinungswelt, unter 3. die es aufnehmenden geistigen Faktoren, unter 4. seine Anwendung auf das Bereich objektiver Tatsachen, unter 5. seine Gefühlswirkung mittelst der überwiegend auf Formverhältnissen beruhenden ästhetischen Elementarempfindungen.) „Im sechsten Geschlecht aber", so heißt es mit einer Anspielung auf den Vers einer orphischen Dichtung, „mag unser Lied verstummen".2 Noch einmal wird der Gang der Untersuchung zusammengefaßt und daran die Mahnung geknüpft, dem Zeugnis

Kritische Bemerkungen zum „Philebos"

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„aller Rinder und aller Pferde" weniger zu vertrauen als „den von der philosophischen Muse eingegebenen Reden". 4. Zu gelegener Zeit werden wir an die „Muse" erinnert. Platon unterschied drei Seelen. In seiner Brust hat in der Tat solch eine Dreiheit gewaltet: die Seele des Dichters, des Sittenlehrers und des wissenschaftlichen Denkers. Die Dichterkraft war im Verfasser des „Philebos" noch nicht vollständig erloschen. Doch erschöpft sich ihre Wirkung in der Bewältigung der Aufgabe, die Stimme des Moralisten zu verstärken, der hier, so sehr wie sonst vielleicht nur im „Phädon", von asketischen Tendenzen angewandelt ist. Dieser, man darf sagen, orphisch-pythagorc'ischen Gefühlsströmung begegnet indes die auf strengste Sachlichkeit und sorglichste Genauigkeit abzielende Denkrichtung, die uns vom „Sophisten" und vom „Staatsmann" her so wohl bekannt ist. Ergreifend wirkt es, zu sehen, wie diese beiden Strömungen miteinander ringen und wie Platons heißer Wunsch, sein Ideal nicht bloß zu verkünden und einzuschärfen, sondern auch dessen unbedingte Geltung zu e r w e i s e n , ihn in Widersprüche mit den von ihm selbst zu Beginn des Dialogs vergezeichneten methodischen Regeln verstrickt. Oder könnte man ihn nicht an sein eigenes Mahnwort, die „Mittelbegriffe" nicht zu überspringen und dadurch falschen Verallgemeinerungen zu steuern, dort erinnern, wo er das Extrem der Sinnenlust mit abschreckenden Farben schildert und diesen äußersten Spezialfall zugleich zum Typus aller und jeder Stillung der Naturbedürfnisse erhebt? Und wenn auch die trüberen empirischen Erkenntnisse darum Achtung verdienen sollen, „weil sonst keiner von uns auch nur den Weg nach Hause fände", warum — so möchte man Platon zurufen — mißachtest du die Triebe, die uns den Weg ins Dasein wiesen, die uns darin festhalten und deren Erlöschen der Vorbote unserer Auflösung zu sein pflegt? Wie sehr der dithyrambische Schwung der Schlußreden des „Philebos" der gerade in diesem Gespräche so angelegentlich erstrebten Denkstrenge Abbruch tut, das sieht jeder aufmerksame Leser. Wir heben nur e i n e n Punkt hervor. Die „Verhältnismäßigkeit" wird zur „Schönheit" gerechnet; sie ist also mit dieser identisch oder verhält sich doch zu ihr wie eine untergeordnete Art zur übergeordneten Gattung. In diesem wie in jenem Falle war es unzulässig, sie der Schönheit zu koordinieren, was trotzdem sogleich dort geschieht, wo von den „drei Gestalten des Guten" die Rede ist.1 Der Dialog als ein Ganzes ist nicht sowohl, wie das gangbare Urteil lautet, „dunkel und schwerfällig", als widerspruchsvoll. Zu Beginn ist Platon vom lebendigsten Eifer beseelt, der Theorie, die von dem Luststreben als einem Urphänomen des menschlichen und tierischen Willens ausgeht, um darauf eine Lebensregel zu bauen, volle Gerechtigkeit zu erweisen. Er faßt demgemäß die „Lust" im weitesten Sinn auf,

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Platans „Timäos" und „Kritias"

ersetzt dieses Wort mit seinen einengenden und erniedrigenden Assoziationen gelegentlich durch andere, wie „Freude" und „Genügen", und erwähnt die Lust auch „des Sittsamen an seiner Sittsamkeit oder des Vernünftigen an seiner Vernunftbetätigung."1 Dann jedoch verschlingt sich mit der streng wissenschaftlichen Untersuchung die Bekämpfung des Lustlebens im vulgären Sinne des Wortes; es gelingt Platon weniger und weniger, die beiden Fragen auseinanderzuhalten. Nur die völlig ungemischten und damit dem Bereich der Bedürftigkeit ganz und gar entrückten Lustarten finden Gnade vor seinen Augen; die Naturtriebe hingegen, auf denen die Fortdauer der Individuen und der Gattung beruht, verweist er insgesamt nicht nur an den ihnen gebührenden Platz; er identifiziert sie vielmehr mit ihren extremsten Äußerungen und gelangt schließlich zu jener Diatribe, die selbst vor der Verhöhnung der als Sachwalterin des Genußlebens angesehenen wissenschaftlichen Hedonik nicht zurückscheut. Die Durchsichtigkeit der Ergebnisse und die Sicherheit der Beweisführung schädigt noch ein anderer Umstand. Für Platons Altersphase ist nichts bezeichnender, als die gewaltige Erweiterung seines Horizonts. Schon in den Schlußerörterungen des „Staatsmanns" hat uns der Fernblick überrascht, der menschliche Tendenzen zu kosmischen ausdehnt. Nicht anders im „Philebos". Das „Gute", nach dessen Wesen geforscht wird, ist nicht mehr bloß das Prinzip des menschlichen, sondern zugleich jenes des kosmischen Heils. Die Frage wird demgemäß derart ausgeweitet, daß die Antwort nur mehr aus allerdings allumfassenden, aber eben darum auch inhaltsarmen Abstraktionen bestehen kann. Die Vagheit der Lösungen, desgleichen die falsche oder doch irreleitende Analogie — sie bilden den Schatten jenes Lichtes, das wir heraklitischen Tief- und Weitblick nennen durften. Wir werden in der letzten, der pythagore'isierenden, Phase der Ideenlehre diese Tendenz ihren Gipfel erreichen sehen, ihr vorher aber in der Lehre von Mikroskosmos und Makroskosmos begegnen, die im „Timäos" einen so breiten Raum einnimmt.

Neunzehntes Kapitel. Der „Timäos und der „Kritias". ] in historischer Roman und ein physikalisches Märchen — so darf man den Inhalt dieser zwei Gespräche bezeichnen, ohne gegen die Platon gebührende Ehrfurcht zu verstoßen. Geraume Zeit nach der Vollendung des „Staates" nahm sein Verfasser den fallen gelassenen Faden wieder auf und ging daran, das an sich schon so um-

Das Verhältnis dieser beiden Werke zum „Staat"

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fangreiche Werk durch einen Anbau zu vergrößern.1 Es bekundet sich hier dasselbe Streben nach systematischer Vollständigkeit, nach Erweiterung der ursprünglich ohne den Gedanken an eine Weiterführung geschaffenen Werke, wie bei der Fortsetzung des „Theätet". Die Analogie reicht weiter. Beide Male hat Platon eine Tetralogie geplant, deren letztem Glied jedoch die Ausführung nicht zuteil ward. In unserem Fall ist die Tat noch weiter hinter der Absicht zurückgeblieben, da auch das dritte Stück der Trilogie, der „Kritias", unvollendet blieb, ja inmitten eines Satzes abbricht. „Timäos" und „Kritias" knüpfen an den I n h a l t des „Staates" an, nicht an seine F o r m . Andere Gesprächspersonen treten auf: neben S o k r a t e s der Namensträger des ersteren dieser Dialoge, T i m ä o s , ein um seiner philosophischen Bildung willen gerühmter, hochangesehener Bürger und Staatsmann des unteritalischen Lokri, fast sicherlich ein persönlicher Freund Platons, dem dieser seine Naturtheorien wohl in der Absicht in den Mund legt, damit eine Dankesschuld gegen ihn selbst und gegen andere Vertreter der pythagoreischen Schule abzutragen. Die dritte Person, zugleich der Hauptredner des nach ihm benannten zweiten Dialogs, ist Platons hochgeschätzter Großohm, der unsern Lesern wohlkannte K r i t i a s (vgl. S. 198f. und 239ff.); die vierte H e r m o k r a t e s , welcher der Hauptsprecher in einem gleichnamigen Gespräch sein sollte, für uns gleich diesem selbst ein bloßer Schatten.2 Das sind die Personen, mit welchen Sokrates am Tage vorher eine Unterredung gepflogen haben will, deren Inhalt im Eingang des „Timäos" rekapituliert wird. Er deckt sich in weitem Umfang, aber keineswegs vollständig, mit jenem des „Staates". Diese inhaltlichen Abweichungen haben ebensosehr wie die Verschiedenheit der hier und dort genannten Gesprächsteilnehmer die Verwunderung der Ausleger erregt und manche von ihnen zu Hypothesen geführt, die uns als abenteuerliche gelten. Wir glauben, den einen wie den ändern Umstand aus den Absichten, die Platon bei der Abfassung des „Timäos" und des „Kritias" geleitet haben, in befriedigender Weise erklären zu können. Dem Verfasser des „Staates" ward der Vorwurf nicht erspart, daß er eine Utopie geschaffen, ein der Verwirklichung unfähiges Staats- und Gesellschaftsideal entworfen habe. Ein Echo dieser übrigens selbstverständlichen Klage tönt uns noch aus der Kritik entgegen, der A r i s t o t e l e s das Werk seines Meisters unterzogen hat (vgl. S. 404). Daneben erklang ein anderer Vorwurf, von dem uns K r a n t o r , ein Enkelschüler Platons, der älteste Kommentator des „Timäos", Kunde gibt: Platon sei den heimischen Traditionen untreu geworden und habe sich zu einem Schüler der Ägypter gemacht, wobei die Spötter ohne Zweifel an die kastenartige Gliederung des platonischen Musterstaates dachten. Zu diesen von außen kommenden Anklagen gesellte sich sicherlich ein Gefühl d o m p e r z , Griechische Denker. H. 4. Aufl.

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Idealisierung der athenischen Vorzeit

des Mißbehagens in Plaions eigener Brust. Der Sproß eines uralten adeligen Hauses, der Nachkomme der attischen Könige, konnte sich nicht in der Rolle eines grundstürzenden Neuerers, eines klügelnden „Sophisten" gefallen, als der er ja in der Tat eben um seiner Staatsreform willen dem I s o k r a t e s gegolten hat (vgl. S. 332). Diesem Chor von anklagenden Stimmen antwortete Platon mit einer Darstellung, die ihre Vorwürfe entkräften und zugleich seinem Heimatsgefühl, der Pietät für die Vaterstadt, die er so oft zu schelten nicht umhin gekonnt hatte, eine glänzende Genugtuung gewähren sollte. Diese Darstellung setzte sich aus Wahrheit und Dichtung zusammen, doch in der Art, daß auch die Fiktion nicht eine ganz und gar willkürliche: war und der Täuschung anderer ein gut Teil Selbsttäuschung voranging. Platon glaubte wesentliche Züge seines Staatsideals in der grauen Vorzeit seiner Heimat wiederzufinden. Schon mehrmals konnten wir wahrnehmen, wie sich ihm die geschichtliche Perspektive verschoben hat, und wie er halb unwillkürlich dazu gelangt ist, eine Spiegelung seines Zukunftsbildes in der Vergangenheit zu erblicken (S. 381, vgl. auch 395). Dieser Glaube fand in historischen Tatsachen oder doch in gangbaren Meinungen über diese einen gewissen Anhalt, einen Stützpunkt für die ganz eigentlich sagenbildende Tätigkeit, die das nur halb Bekannte den Bedürfnissen des Gemüts gemäß färbt, ergänzt und ausgestaltet. Platons „Wächter", sein von aller niedrigen Sorge freier, allen unedlen Beschäftigungen entrückter, die Volksmasse väterlich leitender und hütender Herrenstand, war einer echten Aristokratie, zumal dem verklärten Bild einer solchen, wie es in den Überlieferungen altadeliger Familien selbst fortlebt, keineswegs unähnlich. Gesteigert ward diese Ähnlichkeit, wenn man die zum praktischen Kommunismus hinneigenden Sitten und Einrichtungen Spartas für uralt griechisches Gemeingut hielt und sie der athenischen Vorzeit gleichfalls zusprach. Selbst die kastenartige Scheidung der Volksklassen ermangelte in dieser nicht jedes Vorbilds. Zum mindesten war der Glaube an die einstige scharfe Sonderung der Stände weit verbreitet, wie denn auch A r i s t o t e l e s in der „Staatsverfassung der Athener" deren drei, die Eupatriden oder Adeligen, die Landbauern und die Handwerker, kennt, und zwar als mit politischen Gerechtsamen ausgestattete Volksteile, deren jeder an der Wahl der zehn Archonten einen verhältnismäßigen Anteil besaß.1 Selbst eine so waghalsige Neuerung, wie es seine Emanzipation der Frauen war, mußte Platon nicht notwendig als ein bloßes Erzeugnis der sokratischen „Denkerwerkstatt" gelten, um die Sprache des A r i s t o p h a n e s zu sprechen; nicht „Wölkenkuckucksheim", sondern das Athen seiner Ahnen war, so meinte er, die Stätte ihres Ursprungs. Die Schutzgöttin der Stadt, die „Vorkäiüpferin Ä t h e r a", die auf der Höhe der Burg mit Speer und Schild

Die quasi-experimentelle Bewahrheitung der platonischen Idcalstaats-Lchrc 467

gerüstet thronte, war ihm diesmal die Bürgin seines Glaubens. Sie lieferte ihm den Beweis dafür, daß dereinst „die kriegerischen Beschäftigungen Männern und Frauen gemein waren"; und wenn sogar die vor allen als unweiblich geltenden kriegerischen, warum nicht auch alle anderen? 1 Z w e i Folgerungen ergeben sich aus dem Gesagten mit Notwendigkeit. In der Rekapitulation der Idealverfassung des „Staates", die Platon der Schilderung ihres vermeintlichen, der vorhistorischen athenischen Urzeit angehörigen Gegenbildes voranschickt, mußten die Züge fehlen, an deren Vorhandensein in jener Urzeit er weder selbst glauben noch seine Leser glauben machen konnte. Darum mußte dieser Auszug dort abbrechen, wo die wissenschaftliche Ausbildung der „Wächter", wo der ihre Tätigkeit krönende Betrieb der Dialektik, wo die all diese Forderungen begründende und vertiefende Wissenschaftslehre einsetzt. Und ebenso mußten als Teilnehmer an dem neuen und darum auch an dem ihm angeblich vorangegangenen früheren Gespräche Männer eingeführt werden, welche den gewandelten Absichten des Verfassers entsprachen. Deshalb ist vor allem von G l a u k o n und A d e i m a n t o s , den Brüdern Platons, nicht mehr die Rede; sie machen gewissermaßen dem K r i t i a s Platz, seinem einer früheren Generation angehörenden Großoheim, der jene auf die athenische Vorgeschichte bezüglichen Mitteilungen in frühem Knabenalter von seinem hochbetagten Großvater, dem älteren K r i t i a s, vernommen haben will, der sie seinerseits wieder dem mit seinem Vater D r o p i d e s eng befreundeten, weitgereisten und geschichtskundigen Gesetzgeber und Dichter S o l o n verdankt. 2. Der quasi-historischen Bewahrheitung geht die quasi-experimentelle zur Seite. Ein erstaunliches Unterfangen, dessen Verständnis uns nicht leicht fällt. Der bereits erwähnten Rekapitulation läßt nämlich Sokrates die Bemerkung folgen, es ergehe ihm ähnlich wie dem Betrachter eines schönen Gemäldes; wie diesen, so wandle auch ihn die Lust an, die Gestalten, an denen sein Blick sich geweidet hat, nicht nur ruhend zu sehen, sondern sie in Bewegung zu versetzen.2 Gerne würde er von Kämpfen des Musterstaates, von seinem Verhalien gegen andere Staaten, von ruhmreichen Leistungen seiner Bürger vernehmen. Das ist das Stichwort, auf welches Kritias wartet, um jene Erzählung zum Besten zu geben, die angeblich auf Solon und auf dessen Gewährsmänner, auf ägyptische Priester, zurückgeht, welche sie wieder uralten Aufzeichnungen entlehnt haben sollten. Damit beginnt die wundersame Mär von den Bürgern des Athen der grauen Vorzeit. Es genügt Platon nicht, seinen und seiner Landsleute Vorfahren Einrichtungen zu leihen, die den von ihm ersonnenen des „Staates" in wesent30*

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Der Sieg Ur-Athens über die Bewohner der Atlantis

liehen Zügen gleichen; es genügt ihm nicht, den wider ihn erhobenen Vorwurf des „Ägyptisierens" dadurch abzuwehren, daß er die Ägypter zum entlehnenden Teil macht. Er weiß auch von den Großtaten der Ahnen, vor allem von dem wunderbaren Siege zu berichten, den seine Vaterstadt vor 9000 Jahren über die Bewohner der A t l a n t i s , einer im westlichen Meere gelegenen und seither versunkenen Insel, errungen hat. Diese Erzählung wird im „Timäos" begonnen und im „Kritias" fortgesetzt, aber nicht beendigt. Welcher, so dürfen wir fragen, war der Zweck, den Platon mit dieser überkühnen Fiktion verfolgt hat? Kein Zweifel, die „Lust zu fabulieren" ist im Dichter-Philosophen an sich groß; sie findet in den lehrhaften Werken seiner Spätzeit nicht mehr am Aufbau des Dialogs, an der Ausmalung der Szenerie, an der farbenreichen Charakteristik der Gesprächspersonen, an dem Wechselspiel mannigfach gearteter Reden jene Befriedigung, die ihr z. B. im „Symposion" oder im „Phädros", im „Gorgias" oder im „Protagoras" gewährt ward. Wir begreifen es, daß sie sich nunmehr ein eigenes Bett gräbt und gleichsam zu einer Neben- oder Sonderströmung im Geiste Platons wird. Damit haben wir wohl eine prädisponierende, nicht aber die eigentlich erzeugende Ursache des rätselhaften Vorgangs aufgedeckt. Platon ist auch im Greisenalter kein bloßer Märchenerzähler geworden. Die Fabelei dient sicherlich einer lehrhaften Absicht; und welche diese war, das wird uns nicht undeutlich durch des Sokrates Wunsch verraten, die Idealgestalten des „Staates" gleichsam in Aktion zu setzen. Es galt in noch wirksamerer Weise, als der Vergleich der Einrichtungen des Idealstaates mit denen Ur-Athens es vermochte, die Zweifel zu besiegen, die gegen die Lebensfähigkeit jener Gestalten, gegen die Ausführbarkeit und Heilsamkeit jenes Entwurfs geäußert worden waren, nicht minder verwandte Bedenken, die in Platons eigenem Geist erwacht waren, niederzuschlagen. Das klingt befremdlicher, als es in Wahrheit ist. Hier kommt unserem Verständnis eine moderne Parallele zu Hilfe. Ein hochbegabter französischer Romanschriftsteller des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts hat in seinem „Experimentellen Roman" gar ernstlich die Überzeugung ausgesprochen, durch die lange Reihe seiner fiktiven Erzählungen die Psychologie gefördert zu haben, sie in höherem Maße gefördert zu haben, als das jedem feinund tiefsinnigen Beobachter der Menschennatur zu gelingen pflegt.1 Er glaubte durch die streng folgerichtige Ableitung der Handlung aus den ihr zugrunde gelegten, auf „menschliche Dokumente" aufgebauten Charakteren etwas dem Experiment des Naturforschers nahe Verwandtes, eine wahrhaft wissenschaftliche Leistung vollbracht zu haben. Platons Absehen war, so meinen wir, auf etwas ganz Ähnliches gerichtet, in einer Selbsttäuschung, die in dem einen Falle nicht unbegreiflicher ist als in dem anderen, befangen, übersah er das Element

Die Schilderung des atlantischen Weltreichs

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von Willkür, das seiner Schilderung unter allen Umständen anhaften mußte. Gewiß hätte er sich in der Fortsetzung des „Kritias" aufs redlichste bemüht, Charaktere und Handlungen darzustellen, wie sie sich ihm aus seinen Prämissen, aus den im Idealstaat verwirklichten Einrichtungen und Erziehungsweisen, mit Notwendigkeit zu ergeben schienen. Mit der idealen Schönheit der Charaktere, mit der Trefflichkeit ihres Handelns hätte er den Beweis für die Gediegenheit der geplanten Institutionen, für die Würdigkeit der gesteckten Ziele und für die Tauglichkeit der diesen dienenden Mittel zu erbringen geglaubt. Mit anderen Worten: er hätte seiner Fiktion jene Aufgabe zugewiesen, welche der Naturforscher durch die experimentelle Bewahrheitung eines auf deduktivem Wege gewonnenen Ergebnisses zu erfüllen pflegt. Platon hat das kaum begonnene Unternehmen im Stich gelassen. Wohl aus keinem anderen Grunde, als weil der echt wissenschaftliche Sinn in ihm trotz alledem zu stark war, weil er solch ein auf arger Selbsttäuschung beruhendes Unterfangen zwar ersinnen, aber nicht ausführen konnte, ohne seiner trügerischen Natur gewahr zu werden. So besitzen wir denn nicht den in Aussicht genommenen Bau selbst, sondern nur die Vorhalle, die zu ihm führen sollte: die Schilderung jenes gewaltigen Weltreichs, das von P o s e i d o n gegründet und von seinen Nachkommen, je zehn verbündeten Königen, verwaltet wurde — ein Reich, das durch die Güte des Klimas und die Fruchtbarkeit des Bodens, durch den Reichtum an Edelmetallen, durch die Großartigkeit seiner Wasserbauten und durch die Pracht seiner Tempel und Paläste alle Länder der Erde überbot, das seine Herrschaft über die (Afrika und Asien zusammengenommen an Umfang übertreffende) Insel Atlantis hinaus auf viele dahinterliegende Eilande und auf Teile des westlichen Festlandes selbst erstreckte, ja sie durch Eroberung bis an die Grenze Ägyptens in Afrika und in Europa bis an jene Italiens erweitert hatte.1 Inwieweit diese platonische Fiktion auf dem Grunde von Volkssagen ruht, inwiefern der Glaube an das Dasein eines ausgedehnten Westlandes der Voraussetzung einer nicht völlig ungleichmäßigen Verteilung der Landmassen über die östliche und westliche Halbkugel entstammt ist, inwieweit endlich die jetzt urkundlich beglaubigte Tatsache eines vom Westen her erfolgten Einbruchs erobernder „Seevölker" in Libyen und Ägypten an der Ausgestaltung dieser Vorstellung einen Anteil hat — über all das sind uns nur unsichere Vermutungen gestattet. 3. Doch wie dem auch sein mag, der historische Roman bildet nur die Umrahmung der Naturtheorien Platens. Über diese zu berichten ist eine nicht durchaus erfreuliche Aufgabe. Steht doch ihre Fruchtbarkeit in umgekehrtem Verhältnis zu ihrer Dunkelheit. Als so rätselvoll hat der Inhalt des „Timäos" allezeit gegolten, daß der Streit über

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Platan und die Naturforschung

seine Auslegung schon in der ersten Generation der platonischen Schule begonnen und bis auf den heutigen Tag gewährt hat.1 Erst in späten Jahren ist der Philosoph an die Naturforschung herangetreten; eben darum hat er diesen Teil seines Systems dem schon vollendeten, alle anderen Stücke seines Gedankenbaues umfassenden „Staat" als eine Ergänzung nachgeschickt. Auch dann hat er, wie er uns ausdrücklich sagt, die Naturerkenntnis nur als eine Nebenbeschäftigung, als eine Art von Zeitvertreib, betrachtet und behandelt.2 Daß wir hier überdies auf die Grenzen seiner Begabung stoßen, ist offenkundig. Noch offenkundiger, daß sich Platon durch Verschmähung der auf diesem Gebiete am meisten wirksamen Methoden die zu wertvollen Ergebnissen führenden Wege selbst versperrt hat. Ja in dieser Abkehr von den heilbringenden Forschungsweisen ist der „Timäos" noch über den „Staat" hinausgeschritten. Wird das E x p e r i m e n t im „Staat" belächelt (vgl. S. 375 f. u. 455), so wird es im „Timäos" verworfen. Anläßlich eines der Farbenlehre angehörigen, von Vorgängern unternommenen physikalischen Versuches wird das Experiment als ein Übergriff in das Bereich des Göttlichen, gleichsam als eine Überhebung des Menschengeistes bezeichnet. Damit war das wichtigste Hilfsmittel der Naturforschung nicht mehr bloß mißachtet, sondern als ein religiöser Frevel verpönt worden. Die Anknüpfung der Naturtheorien an den Roman der Atlantis ist eine äußerliche und recht sehr gewaltsame. Die Erzählung solle nicht fortfahren, ehe die Menschenentstehung geschildert ist, und diese setze wieder die Weltentstehung voraus!3 Allein das Band, das diese Teile des Werkes im Geiste seines Urhebers zusammenschloß, ist ein ungleich innigeres und festeres. Vom Wesen der Gerechtigkeit war die Untersuchung im „Staat" ausgegangen; zu ihm kehrt sie auf weiten Umwegen im „Timäos" zurück. Die Ethik erhält einen kosmischen Unterbau.4 Die ganze Natur wird ethisiert, und zwar in folgender Weise. Die Analogie zwischen Individuum und Staat genügt Platons weit und weiter ausgreifendem Geiste nicht mehr; sie dehnt sich zur Analogie zwischen dem Menschen und dem Universum aus. Die Gerechtigkeit ward, wie unsere Leser sich erinnern, auf das richtige Verhältnis zwischen den drei Teilen der menschlichen Seele zurückgeführt. Diesem entsprach das richtige Verhältnis der drei Stände des Idealstaates. Jetzt erweitert sich Platons Umblick ins Unermeßliche. Die Dreiteilung wird auf die Weltseele erstreckt, und von dem angemessenen Verhältnis dieser drei Teile wird der Bestand des Universums abhängig gedacht. Ward vordem die Gerechtigkeit als die Grundlage menschlicher Glückseligkeit angesehen, so wird sie gleich dem „Guten" des „Philebos" jetzt als die Basis des kosmischen Heils erkannt. Und desgleichen gilt die gesamte organische Welt in ihren Wandlungen als

Platans Weltbild

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von der Vorherrschaft und der Minderung der Gerechtigkeit bedingt. Diese Wandlungen bilden eine absteigende Linie; der zuerst ins Dasein getretene M a n n sinkt allmählig durch moralische Entartung zunächst zum W e i b e , dann zum T i e r und innerhalb der Tierreihe immer tiefer, bis zur P f l a n z e , hinab. Das ist der Kern der platonischen Deszendenzlehre — einer D e s z e n d e n z l e h r e im ganz eigentlichen Sinne, während die moderne Abstammungstheorie, da sie eine a u f s t e i g e n d e Stufenfolge von Lebewesen annimmt, vielmehr eine A s z e n d e n z l e h r e heißen könnte.1 Dieselbe Norm wie für die Gattung gilt auch für den Einzelnen. „Durch Verlust und Erwerb der Einsicht und der Unvernunft" sinken die höheren zu niedrigeren und steigen die niedrigeren mittelst der Seelenwanderung gelegentlich wieder zu höheren Wesen empor. Es ist die orphische Lehre von dem „Sündenfall der Seele", die hier im Verein mit der pythagoreischen Metempsychose zu einer weltumfassenden Theorie ausgeweitet wird. Orphik, Pythagore'ismus und Sokratik reichen sich die Hand zum Aufbau einer Ansicht vom Kosmos, die durch Größe und Erhabenheit des von ethischen Antrieben beherrschten Denker-Dichters ebenso würdig ist, wie sie durch den Mangel an tatsächlicher Begründung unser Befremden erregt; ein Befremden, das jedoch bald durch die nachfolgenden Überlegungen gemindert wird. Durch seine religiöse Sinnesweise von den Atomisten getrennt und dadurch der einzigen damals zugänglichen Schule des echten Naturverständnisses beraubt, konnte Platon kaum anderen als pythagoreischen Lehrmeistern folgen, von denen er zwar die Strenge der Ableitung, den Sinn für Harmonie und Ordnung, nicht aber Verschmähung der Willkür in den Grundannahmen zu lernen vermochte. Er selbst war deduktiver Mathematiker, aber ganz und gar nicht induktiver Physiker. Seine Physik war, wie man mit Recht bemerkt hat, Biologie, und seine Biologie ward zur ethisch gefärbten Psychologie. So entstand ihm ein Weltbild, das durch innere Übereinstimmung, durch strenges Ebenmaß, endlich durch ethische Abzweckung den Sinn gefangen nimmt, aber jeder wahrhaften Erfahrungsgrundlage ermangelt. Dieses Weltbild gilt es nunmehr ins Auge zu fassen. Platon erklärt im „Timäos", nur „glaubhafte Meinungen", nicht gesicherte Erkenntnisse darbieten zu können.2 Wie dem Autor, so ergeht es auch seinem Interpreten. Er kann keine sichere, nur eine mehr oder weniger wahrscheinliche Auslegung vorbringen. Mitunter nicht einmal diese, sondern nur einander widerstreitende Deutungen, die er dem Leser zur prüfenden Auswahl vorzulegen sich bemüßigt sieht. An die Spitze seiner Darlegung stellt T i m ä o s einen Schöpfungsakt der hier gleichwie im „Sophisten" und im „Staatsmann" „Werkmeister", „Vater" und „Erzeuger" genannten obersten Gottheit.3 Diese schafft eine Weltseele, durch deren Besitz die Welt zu einem Organis-

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Die Entstehung der Welt

mus wird: als solcher heißt sie bald ein lebendes Wesen, bald auch eine „selige Gottheit". Einen Keim dieser bereits im „Philebos" laut gewordenen Auffassung kann man schon im orphischen Mlythos vom Weltei, ferner in einem Gleichnis des A n a i m e n e s erkennen (vgl. IM8 und 78); vorgebildet ist sie auch in der pythagoreischen Lehre vom Atemholen der Welt (vgl. I* 115). Auch des X e n o p h a n e s Allgeist kommt der platonischen Weltseele nahe genug (vgl. I4132). Doch besteht hier ein bemerkenswerter Unterschied. Der Pantheismus des Xenophanes schließt jede Transzendenz aus. Der in der übersinnlichen Welt der Ideen heimische Geist Platons hingegen konnte die Welt für beseelt, ja für eine Gottheit halten, ohne darum auf eine über der Welt stehende, sie schaffende und, lenkende oberste Gottheit zu verzichten. Jener Schöpfungsakt ist ein zwiefacher. Nach dem Vorbilde der Ideen ward die vernunftbegabte Weltseele, nicht minder aber ihre Hülle, der Welt-Körper oder Himmel, geschaffen. Da die Gottheit gut ist, so wollte sie, daß alles gut sei, und hat es denn auch „nach Möglichkeit" so geordnet. Nach Möglichkeit!1 Ein schwerwiegendes Wort, das auf Schranken der göttlichen Macht hinweist. In der Tat wird ein dem Guten widerstrebendes, „Notwendigkeit" genanntes Prinzip namhaft gemacht, das von der Vernunft begütigt und beschwichtigt, aber nicht überwunden worden sei. Neben diesem und dem Vernunftprinzip wird noch ein drittes anerkannt, die „Ursache der ungeordneten Bewegung", welche ursprünglich in der räumlichen Welt gewaltet und von der Gottheit zur Ordnung herübergeleitet worden ist. Hier tritt unserem Verständnis die erste große Schwierigkeit entgegen. Mit dem Himmel oder dem Welt-Körper, so heißt es an einer anderen Stelle, ist die Zeit entstanden, wobei wir wieder, mindestens leise, an orphische Kosmogonien gemahnt werden (vgl. I*72).2 Wie läßt sich dieser Ausspruch mit der Annahme jener, der Schaffung des Welt-Körpers vorangehenden ungeordneten Bewegung, somit eines schon vorher in der Zeit verlaufenden Prozesses vereinigen? Groß war hier die Ratlosigkeit antiker Erklärer. Einen scharfsinnigen Lösungsversuch kennt bereits A r i s t o t e l e s : Platon rede von einer „Entstehung" der Welt und der Zeit, nicht anders als wie man geometrische Figuren vor den Augen der Lernenden „entstehen" läßt, nur zum Behuf der V e r d e u t l i c h u n g , ohne dabei an ein reales Entstehen oder an ein Nacheinander des in Wirklichkeit nebeneinander Bestehenden zu denken. (Man ziehe eine Linie, füge in einem bestimmten Winkel eine andere an sie, und was dergleichen mehr ist.) Mit Recht hat Aristoteles diese Auskunft eine unzulängliche genannt. Mehr Scheinbarkeit besitzt ein zweiter antiker Versuch, den man in Kürze und in moderner Terminologie also wiedergeben kann: Platon meine mit der „ungeordneten Bewegung"

Die V r mater ie

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in Wahrheit nicht eine dereinst vorhandene aktuelle Bewegung, sondern stelle unter diesem Bild eine T e n d e n z dar, einen allezeit wirksamen. W i d e r s t a n d gegen die geordnete Bewegung, der nur zum Behuf der Veranschaulichung als ein vormals von jeder Schranke befreiter, selbständig in die Erscheinung tretender Faktor geschildert wird. Gern möchte man sich mit dieser Auskunft befreunden. Ihr steht jedoch der Umstand im Wege, daß genau dieselbe Darstellung im „Staatsmann" begegnet und es gar wenig wahrscheinlich ist, daß ein Autor sich zweimal, und in ganz verschiedenem Zusammenhange, derselben uneigentlichen und irreleitenden Ausdrucksweise bedient hat. Man wird also wohl annehmen müssen, daß Platon das Wort „Zeit" nicht in unserem Sinne gebraucht, sondern darunter eben die an den Bewegungen des Himmels (beziehungsweise der Himmelskörper) m e ß b a r g e w o r d e n e Zeit versteht. 4. Wir haben von der uranfänglichen ungeordneten Bewegung gesprochen. Welches aber ist der Gegenstand dieser Bewegung? Das ist ein Punkt, über den sich Platon nicht mit voller Deutlichkeit erklärt hat. Sollen wir ihm aber darum mit einer Anzahl neuerer Ausleger die Ungereimtheit zutrauen, er nehme eine Bewegung ohne ein Bewegtes an? Platon erkennt vielmehr, so verstehen wir ihn, ein ursprünglich form- und qualitätsloses Substrat jener Bewegung und aller Werdeprozesse an, eine U r m a t e r i e , die er mehrmals die „Pflegerin", dann wieder den „Schoß" oder die „Mutter" alles Werdens nennt. Dieses „schwierige und dunkle", der vollsten Realität entbehrende Etwas aber, dem gegenüber er seine Ratlosigkeit ebenso freimütig als emphatisch bekennt, mit dem bloßen Räume zu identifizieren, davon ist er so weit entfernt, daß er vielmehr die Annahme des leeren Raums für eine unstatthafte erklärt und diesen aus seinem Weltbilde ganz und gar verbannt hat.1 Somit bedeutet der Schöpfungsakt für Platon nicht eine Schöpfung aus dem Nichts. Geschaffen wird der Kosmos, d. h. die geordnete Welt, indem der Demiurg oder Werkmeister dem Formlosen Gestalt, dem Ordnungs- und Regellosen Regel und Ordnung verleiht. Und nun, ehe wir weiterschreiten, noch ein Wort über den D e m i u r g e n selbst. Da sein Wesen ganz und gar in Güte besteht, so liegt die Frage nahe, ob und wie er sich denn von der im „Staat" an die Spitze aller Wesenheiten gestellten Idee des Guten unterscheide. Er unterscheidet sich überhaupt nicht von ihr, so lautet eine wohlerwogene und wie folgt begründete Antwort.2 Wäre nämlich der Demiurg mit der Idee des Guten nicht identisch, so würde er an ihr Anteil nehmen oder ihr nachgebildet sein und stünde somit tiefer als sie, was seiner stark betonten Stellung als oberste Gottheit widerspricht. Somit scheint die vollständige

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Der Demiurg und sein Verhältnis zur Idee des Guten

Identifikation des Demiurgen mit der Idee des Guten kaum abzuweisen. Ihr stellt sich jedoch wieder ein der Beachtung wertes Hindernis in den Weg. Als wirksamste Potenz freilich und nicht bloß als ein ruhendes Urbild ward die Idee des Guten bereits im „Staat" verstanden, mittelst einer Erhöhung ihres Wesens, welche der Rest der Ideen erst im „Sophisten" erfährt (vgl. S. 445). Nun ist es aber Platon mit der durch den Demiurgen vollzogenen Weltbildung zweifelsohne voller Ernst. Denn daß die Welt „geworden" ist und nicht von Ewigkeit her besteht, das versichert er inmitten mancher Zweifel und Vorbehalte im Tone dogmatischer Gewißheit. Wie ließ sich aber — so müssen wir uns fragen — solch eine Schöpfertat, die ein einzelner Akt und nicht etwa eine stetige Einwirkung ist, einer Idee, d. h. einer objektivierten Eigenschaft, und sei sie auch die höchste von allen, beimessen? Wir wissen keine andere Antwort als diese: Die Erhöhung oder Verklärung, genauer gesprochen: die Vergöttlichung, der Ideen hat in Platons Geiste weitere und weitere Fortschritte gemacht. Nicht nur heißen ihm die Ideen an einer Stelle des „Timäos" geradezu „ewige Götter"; die Namen „Urheber", „Erzeuger", „Vater" begegnen, wie schon bemerkt, bereits im „Sophisten" und im „Staatsmann" ganz ebenso wie im „Timäos". Sie bezeichnen, so dürfen wir jetzt sagen, dort wie hier dasselbe Prinzip, das im „Staate" als die „Idee des Guten" erscheint. Sie dienen nicht einem bloßen Kostümwechsel; sie sind nicht gewählt, um Platons wahre Meinung zu verschleiern, sondern weil jenes höchste göttliche Prinzip für sein Bewußtsein einen Zuwachs an Persönlichkeit und damit, wie eben die Weltbildungslehre des „Timäos" zeigt, auch das gewonnen hat, was wir in einem ändern Zusammenhange einen „Überschuß an F r e i t ä t i g k e i t " nannten (vgl. I 4 22). Wie die großen Naturfetische für die alten Hellenen, so sind die Ideen für Platon gleichsam über sich selbst hinaus gewachsen. Nicht eine bewußte Anbequemung an die populäre Theologie werden wir daher vorauszusetzen haben. Allerdings verschweigt Platon zum mindesten etwas, wie seine Äußerung lehrt: „den Urheber und Vater dieses Alls zu entdecken, ist schwierig, und w e n n m a n ihn e n t d e c k t h a t , ihn a l l e n zu o f f e n b a r e n , u nm ö g l i c h".1 Damit brauchte er aber, so meinen wir, nichts anderes sagen zu wollen, als daß er von der für ihn zu einer göttlichen Person gewordenen Verkörperung des Guten jede irgend entbehrliche anthropomorphische Zutat ferngehalten und dadurch dieses Urprinzip dem, was dem gemeinen Bewußtsein als eine Gottheit gilt, recht sehr unähnlich gemacht hat. Dem Volksglauben steht übrigens Platon im „Timäos" innerlich fremder als sonst irgendwo gegenüber. Das zeigt die von Ironie nicht freie Äußerung: den gangbaren Behauptungen in betreff der Götter der Mythologie fehle jeder Hinweis auf zwingende oder auch nur wahrscheinliche Gründe; allein dem Gesetz und dem Her-

Die böse Weltseele

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kommen sei gläubige Folge zu leisten. Was ihn von der Volksreligion zurückstößt, ist jedoch nicht deren Polytheismus. Denn auch s e i n e oberste Gottheit steht nicht allein da; sie ist umgeben von der Schar der „ewigen Götter", der Ideen; sie erzeugt die „selige Gottheit", die da Kosmos heißt, und nicht minder die von einem Feuergewand umhüllten Seelen der Gestirne. Und nicht nur neben und unter dem Gott der Güte, auch ihm gegenüber stehen machtvolle Potenzen, die wir zum Teil schon kennen gelernt haben als „Notwendigkeit", d. h. als eine dunkle, dem Guten widerstrebende Urmacht, und als die unregelmäßig wirkende oder „erratische Bewegungsursache". Vereinigt und gesteigert werden diese Gewalten in den „Gesetzen", wo der „wohltätigen" Weltseele geradezu eine ihr feindliche und „das Entgegengesetzte vermögende" gegenübertritt.1 Diesen Teil der platonischen Theologie gilt es um so nachdrücklicher hervorzuheben, da er von den Geschichtsschreibern der Philosophie oftmals ignoriert, bisweilen sogar geleugnet worden ist. „Fort also mit jener bösen Weltseele!" So hat kein Geringerer als August B o e c k h ausgerufen und damit ein hochwichtiges Bestandstück der platonischen Götterlehre, zum größeren Ruhme ihres Urhebers, wie er augenscheinlich meinte, angetastet.2 Und doch gereicht es dem Dichter-Denker zu nicht geringer Ehre, daß seine schönheitstrunkene Künstlerseele ihn gegen die Übel der Welt nicht blind gemacht, und daß er zugleich folgerichtig genug gedacht hat, um angesichts des Vorhandenseins des Übels die Allgüte der Gottheit nicht mit ihrer Allmacht vereinbar zu finden. Jene Güte konnte nur dann eine an sich schrankenlose heißen, wenn die Verwirklichung ihrer Absichten auf Schranken und Hemmnisse stieß. Auch hat die mit den Jahren wachsende Erfahrung im Verein mit dem allmählichen Schwinden des jugendlichen Sanguinismus die Macht des Übels in Platons Augen nicht unwesentlich gesteigert. Dafür sprechen die schon am Schluß des „Staates" geäußerten Zweifel an der Realisierbarkeit des dort entworfenen Gesellschaftsideals, Zweifel, die im „Staatsmann" einen stärkeren und in den „Gesetzen" den stärksten Ausdruck finden. Nichts natürlicher daher, als daß Platons durch trübe Erfahrungen verdüsterte Lebensansicht ihren Schatten auch auf sein Weltbild wirft und daß demgemäß die dem Guten oder, da dies für Platon dasselbe ist, die der Regel und Ordnung widerstrebenden Gewalten in diesem Bild zugleich einen breiteren Raum einnehmen und sich mehr und mehr zu einem einheitlichen Prinzip verdichten. Schon im „Theater" war jedem Guten wie sein Schatten ein Übel beigesellt.3 Aber es ist dort nur vom Erdenleben, nicht vom kosmischen Dasein die Rede. Im „Staatsmann" wechseln die Perioden der universellen „Unordnung" noch mit jenen der Ordnung und der uneingeschränkten Herrschaft der göttlichen

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Die Schöpfung

der Weltseele

Güte. Im „Timäos" erscheint das Üble bereits als eine zwar gebändigte, aber stetig wirksame Macht, die jedoch mannigfache Namen trägt und noch nicht auf die Einheit eines obersten Prinzips zurückgeführt ist. Ein solches mußte übrigens den Tendenzen der platonischen Altersphilosophie gemäß ein seelisches sein. Was Wunder nun, daß Platon in seinem spätesten Werk auch diesen letzten, von seiner ganzen Entwicklung geforderten Schritt gewagt und neben die gute Weltseele ihr offenkundiges Widerspiel gesetzt hat? Wir dürfen hinzufügen, daß Platons pessimistische Tendenz in manchen Einzelausführungen weit stärker hervortritt als in ihrer prinzipiellen, theologisch-metaphysischen Fassung. Denn während der bösen Weltseele geringere Kraft als der guten beigelegt wird, und die ihr entsprechenden Prinzipien im „Timäos" nur den Rang störender, aber nicht vorwaltender und das Gute besiegender Kräfte einnehmen, zeigt die unseren Lesern schon bekannte Zoogonie oder Deszendenzlehre mit ihrem stetigen Herabsinken des Menschen zu immer niedrigeren Daseinsstufen ein geradezu pessimistisches Antlitz. Und zwar, wohlgemerkt, ohne den Ausblick auf eine dereinstige, mehr als ausnahmsweise Wiedererhebung, ein Ausblick, welcher der für Platon vorbildlichen orphischen Lehre vom „Sündenfall der Seele" nicht gefehlt hat. Auch die Schöpfung der Weltseele, um zu dieser zurückzukehren, erfolgt nicht aus dem Nichts.1 Es ist nicht sowohl eine Schöpfung im eigentlichen Sinne, als eine Mischung — ein Begriff, den wir schon im „Philebos" kennen gelernt haben. Hier berühren wir den abstraktesten, man darf wohl auch sagen: den abstrusesten, Teil der platonischen Philosophie. Den Gegenstand der Mischung bilden zwei Ursubstanzen, und zwar werden diese zunächst miteinander, dann in einem zweiten Gang auch mit dem Produkt der ersten Mischung gemengt. Diese zwei Ursubstanzen sind unseren Lesern nicht mehr völlig unbekannt. In dem soeben genanten „Philebos" erscheinen sie unter dem Namen der „Grenze" und des „Unbegrenzten". Im „Timäos" tragen sie andere Benennungen. Sie heißen „das Dasselbige" und „das Andere" (wobei die letzte Bezeichnung an den „Sophisten" erinnert), auch das „Unteilbare" und das „Teilbare"; und schon Platons Schüler haben hier auch von der „Einheit" und „dem Großen und Kleinen" oder der „Zweiheit" gesprochen.2 Es sind dies von Platon fortgebildete pythagoreische Gedanken, die uns zum Teil an die „Tafel der Gegensätze" mahnen. Der Substanz der Ideenwelt steht die Substanz der Körperwelt gegenüber. Das Wandellose und sich selbst Gleiche, zugleich als die begrenzende, formende, zusammenfassende Einheit angesehen, das ist das Prinzip des Guten. Sein Widerspiel, das Prinzip der Veränderung, der Verschiedenheit, der Teilung und Zersplitterung, ist das Prinzip des Bösen. Hier darf man der platonischen Staats- und Sittenlehre nicht völlig vergessen.

Parallelisierung des Mikro- mit dem Makrokosmos

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Alle Mannigfaltigkeit auszulöschen, die Einheit weit über das bloße Bedürfnis des staatlichen Friedens hinaus zu verwirklichen, das konnten wir als das mit intensivstem Eifer erstrebte Ziel der platonischen Gesellschaftsordnung erkennen. Wieder sehen wir, wie sich dem greisen Philosophen der geistige Horizont ins Grenzenlose erweitert hat, wie ihm die Prinzipien des menschlichen Wohles und Wehes mit kosmischen Prinzipien zusammenfließen und wie diese wieder in den Bereich des Überweltlichen ihre Wurzeln schlagen. Nach der im frühen Altertum vorwaltenden Lehre von der Erkenntnis des Gleichen durch das Gleiche wird das Einheitsprinzip der Weltseele, wie wir kurz sagen wollen, zugleich der Träger der Vernunfterkenntnis, das Zweiheitsprinzip der der Meinung; das Objekt jener höheren Erkenntnis sind die Ideen, jenes der niedrigeren die sinnlich wahrnehmbaren Dinge. Am dunkelsten bleibt die aus der Mischung der beiden Ursubstanzen hervorgegangene Wesenheit. Diesem ihrem Ursprung gemäß muß sie ein Mittleres darstellen. Als ein Mittleres zwischen den Ideen und der Körperwelt hat Platon im „Staat" die mathematischen Formen bezeichnet. So wollte denn ein Teil seiner Nach c olger den Inbegriff eben'dieser Formen auch hier verstanden wissen.1 Die Bezeichnung dieses Mittleren als „Substanz" oder „usia" par excellence und die Natur der Mischung im „Philebos" (vgl. S. 456) machen es uns einigermaßen wahrscheinlicher, daß darunter das zu verstehen ist, was man in allerdings unplatonischer Terminologie die Einbildung der Form in den Stoff oder vielmehr das Prinzip dieser Einbildung nennen möchte. Aus denselben Elementen wie die Weltseele wurden die Seelen der Gestirne und der auf Erden heimischen Wesen gebildet. In dem zuerst allein geschaffenen oder, richtiger, aus den stofflichen Elementen gebildeten; Menschen wurden dem unsterblichen, zuvörderst auf einen Fixstern versetzten, Seelenteil zwei andere sterbliche Seelen beigesellt. Diese Dreiheit der vernünftigen oder Kopf-, der mutartigen oder Brustund der Begierden- oder Unterleibsseele ist uns nicht mehr unbekannt (vgl. S. 341 und 367). Neu ist uns aber die durchgreifende Parallelisierung des Mikro- mit dem Makrokosmos. Wir heben einen Punkt hervor, der für Platons poetisch-konstruktive Art nicht wenig bezeichnend ist: wo wir vergleichen, dort hat Platon identifiziert. Auch wir mögen den Gang der Gestirne, die in wandellosem Gleichmaß ihre vorbestimmten Bahnen ziehen, mit dem wohlgeordneten, durch keinen Hauch des Affekts getrübten Fluß vernunftvoller Gedanken vergleichen. Für den Verfasser des „Timäos" sind menschliche Vernunftgedanken geradezu regelmäßige Rotationen innerhalb des als ein Abbild der Himmelskugel betrachteten Menschenhauptes. Desgleichen sollen die Vernunftgedanken der Weltseele auf Bewegungen seines Identitäts- oder Einheitselements beruhen, die sich in der Ebene des Himmelsäquators

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Platans naturphi'iosophische

Methode

vollziehen, während die unsicheren Meinungen oder Vorstellungen auf Bewegungen des zweiten, des Elements des „Andersseins", zurückgeführt werden, die in der Ebene der zum Himmelsäquator schräg gelagerten Ekliptik verlaufen. Wie die Vernunft zur Meinung, so verhält sich der immer sich selbst gleiche Umschwung des Fixsternhimmels zu der Bewegung der von „Wendungen und Irrgängen" nicht freien Wandelsterne. Doch wir haben uns eines Vorgriffs schuldig gemacht. Gilt es doch vorerst den Leib der Weltseele, den materiellen Kosmos, und, sein Entstehen ins Auge zu fassen. 5. „Platon hat die Natur vermathematisiert" — so lautet ein ätzendes Spottwort antiker Kritiker.1 In der Tat geht die Naturphilosophie des „Timäos" allenthalben von der Voraussetzung mathematischer und ihr entspringender rhythmischer Regelmäßigkeiten aus, auch in solchen Bereichen, in welchen die moderne Wissenschaft Derartiges zu entdecken kaum versucht und niemals vermocht hat. Den Philosophen leitet hier ein ästhetisches oder quasi-ästhetisches Bedürfnis und zugleich die Zuversicht, daß die Natur diesem Bedürfnis überall ein volles Genüge leiste. Es ist nicht schwer, die Grundlosigkeit dieser Erwartung und die Willkür der ihr entspringenden Methode zu durchschauen und zu geißeln. Schwerer ist es, das Element von Berechtigung, das ihr innewohnt, zu erkennen. Die wohlbegründete Ahnung allwaltender Gesetzmäßigkeit konnte bei Platon so wenig als bei seinen pythagoreischen Vorgängern jene Art der Befriedigung finden, auf die sie in Wahrheit Anspruch erheben darf, da die hierbei vorausgesetzten kausalen Einsichten jenen Denkern fehlten, und „es war immerhin (wie wir schon einmal bemerken mußten) besser, wenn man die Gesetzmäßigkeit dort, wo sie nicht vorhanden ist, als wenn man sie überhaupt nicht suchte" (vgl. P 99). Auch können moderne Beispiele wie jenes des großen Johannes K e p l e r und seines Mysterium cosmographicum lehren, daß die Grenze zwischen dem fast spielerischen Aufsuchen bloß scheinbarer Regelmäßigkeiten und der grundlegenden Erkenntnis vielumfassender Naturgesetze bisweilen eine fließende ist. Verhängnisvoller war eine andere Seite von Platons naturphilosophischer Methode. Er hat mit der Forderung des „Phädon", alle Forschung unter den Gesichtspunkt „des Besseren" zu stellen (vgl. S. 342), vollen Ernst gemacht und dieses ideologische Verfahren auch dort angewandt, wo das Bessere nicht einfach das Regelmäßigere, sondern das nach menschlicher oder nach spezifisch griechischer Lebensansicht Vorzüglichere oder gar nur das von Platons persönlichem Geschmack Bevorzugte war. Sein Werkzeug ist hier wie dort die aprioristische Deduktion, die bestenfalls von einem beliebig herausgegriffenen Stück der Erfahrung aus ihre weitreichenden Fäden spinnt.

Die 4 Elemente u. d. ihnen entsprechenden Stereo-metrischen Grundformen

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Das Weltwesen, so ungefähr heißt es, sollte in die Erscheinung treten. Zu diesem Behufe mußte es sichtbar und tastbar werden. Die Sichtbarkeit erforderte Licht, die Tastbarkeit Erde. Bei diesen zwei Elementen konnte es aber nicht sein Bewenden haben. Denn um sie zur Einheit zusammenzuknüpfen, bedurfte es eines proportionalen Verhältnisses. Dieses erheischte das Vorhandensein von Mittelgliedern. Und zwar einer Zweizahl von solchen, da bei kubischen oder Körperzahlen solch eine Proportion — das Warum ist ein vielumstrittenes Problem der „Timäos"-Erklärung — nicht durch ein, sondern nur durch zwei Mittelglieder bewirkt werden kann. Nämlich nicht nach dem Schema a- : ab = ab : b2, sondern vielmehr nach dem ändern: a3 : a 2 b = a E b : ab2 = ab 2 : b 3 .» Auf dem Wege dieser Deduktion gelangt Platon zur empedokle'ischen Vierzahl der Elemente, indem Wasser und Luft jene geforderten Mittelglieder in der Proportion der Grundstoffe abgeben. Wie Wasser zur Erde, so soll sich Luft zum Wasser und Feuer zur Luft verhalten und die Reihe: Erde, Wasser, Luft, Feuer soll den Fortgang von dem geringsten zum höchsten Maß der Beweglichkeit darstellen. Die Eigenart der vier Elementarstoffe aber wird auf die ihrer Urbestandteile, und zwar auf deren geometrische Beschaffenheit, zurückgeführt. Hierin soll Platon dem P h i l o l a o s gefolgt sein, der der abderitischen Atomistik eine pythagoreische entgegengesetzt zu haben scheint.2 Den vier Elementen wurden als Grundformen vier von den fünf regelmäßigen Körpern zugewiesen: der Erde der Würfel, dem Feuer das Tetraeder (auch „Pyramide" schlechthin genannt), der Luft das Oktaeder, dem Wasser das Ikosaeder. Das Dodekaeder endlich hatte Philolaos dem himmlischen Feuer oder Äther zugeordnet, während Platon, wohl um die Vierzahl der Proportionsglieder nicht zu überschreiten, vielleicht auch um die Fünfecke des Dodekaeders zu meiden, von diesem Element absah, freilich um in der letzten Phase seines Philosophierens es wieder aufzunehmen. 3 . Kaum braucht es gesagt zu werden, daß es die züngelnde Gestalt der Flamme ist, welche den Urbestandteilen des Feuers die Pyramidenform zuerkennen ließ, sowie daß der Würfel um seiner Schwerbeweglichkeit willen als die Grundform des Erdelements galt. Läßt sich nun jede der sechs Seiten des Kubus in zwei gleichschenklige rechtwinklige Dreiecke zerlegen, so sind die Seitenflächen der drei übrigen vermeintlichen Grundkörper aus rechtwinkligen Dreiecken, die die Hälften gleichseitiger Dreiecke bilden, zusammengesetzt; darum sollten diese drei (Wasser, Luft und Feuer) ineinander übergehen können, während die radikale Verschiedenheit der Erd-Dreiecke diesem Element eine Sonderstellung anwies. Die Rätselfrage, ob Platon das Innere seiner Urkörper leer oder womit er es erfüllt dachte, läßt sich kaum anders als dahin beantworten, daß jene kleinsten Dreiecke ungeformte Urmaterie

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Aphoristische Konstruktion des Kosmos

umschlossen, deren Annahme auch noch durch mehrere andere sonst unlösbare Probleme der „Timäos"-Physik gefordert wird.1 Die UrDreiecke selbst aber galten als jeder Veränderung entrückt und spielten in der platonischen Physik die Rolle, welche L e u k i p p und D e m o k r i t ihren Atomen vorbehalten hatten.2 Platons Verhältnis zu den Atomisten. ist übrigens ein eigenartiges. Er kennt ihre Theorien, er entlehnt ihnen hie und da eine einzelne Hypothese, aber er verhält sich im großen und ganzen zu ihrer Weltansicht schroff ablehnend und verschmäht als ein Mittel seiner Abwehr auch nicht den Spott und den Wortwitz; wie er denn in der Bestreitung einer unendlichen Vielzahl von Welten von dem Doppelsinn eines griechischen Wortes, das zugleich „unendlich" und „unkundig" bedeutet, wiederholten Gebrauch macht. Aus den also a priori konstruierten Elementen wird nunmehr ebenso a priori der Kosmos konstruiert.3 Weil die Kugelform die vollkommenste der Gestalten ist, muß sie dem vollkommensten der körperlichen Wesen, dem Universum, eignen. Damit wird das gerechtfertigt, was der Blick auf die Himmelswölbung dem wahrnehmenden Auge zeigt. Ja Platon legt sogar die Ursachen dar, warum der Kosmos, obgleich er ein lebendes Wesen ist, der Extremitäten und des Mundes entraten könne. Ersteres darum, weil ihm von allen denkbaren Bewegungsarten nur die vollkommenste, der Umschwung um sich selbst, gestattet sei; letzteres, weil er, der alles in sich schließt, keine Nahrung von außen aufnehmen könne, wie denn auch seine Fortdauer dadurch verbürgt sei, daß ihn nicht gleich anderen Wesen ein außer ihm Befindliches mit Krankheit oder sonstiger Schädigung bedroht. Verwandte Gedanken hat in unseren Tagen Gustav Theodor F e c h n e r geäußert. 6. Es ist nicht die Aufgabe dieses Werkes, alle irrigen Meinungen auch großer Geister zu verbuchen. Nur was davon zu ihrer oder ihres Zeitalters Kennzeichnung dienlich oder für den Werdegang der Wissenschaft aufschlußreich ist, soll hier eine Stelle finden. Dahin gehört der in Platons astronomischen Lehren erkennbare Keim der S p h ä r e n t h e o r i e , die alsbald üppig aufgeschossen ist, in dieser ihrer ausgebildeten Gestalt die Jahrhunderte, ja die Jahrtausende, überdauert hat und selbst von K o p e r n i k u s noch nicht aufgegeben ward.* Diese Theorie kann im Vergleich mit der philola'ischen Himmelslehre zugleich ein Rückschritt und ein Fortschritt heißen. Ein Rückschritt darum, weil sie die Gestirne an feste Träger heftete und sich damit von der tatsächlichen Wahrheit weiter entfernte als die Doktrin jener Pythagoreer, die bereits dazu gelangt waren, die Sterne frei im Räume schwebend zu denken. Als ein Fortschritt aber darf die Sphärentheorie darum gelten, weil sie ein an sich dazu wohlgeeignetes und beträchtlicher weiterer Vervollkommnung fähiges Mittel abgab, die auf die Gestirnbewegungen

Die Anfänge der Sphärentheorie

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wirkenden Kraftimpulse mit Treue und Genauigkeit abzubilden. Gemeinsam war dieser und der Lehre des P h i l o l a o s das Bestreben, von welchem alle wissenschaftliche Astronomie ihren Ausgang nimmt, nämlich der Versuch, ungleichförmige und unregelmäßige Bewegungen, die unser Auge am Himmel wahrnimmt, in die gleichförmigen und regelmäßigen Bewegungen, aus denen sie sich zusammensetzen, zu zerlegen. Die Art, wie die Hypothese des Philolaos diese Zerlegung bewirkte, ist unseren Lesern wohlbekannt (vgl. I * 93 ff.). Wie es kam, daß Platon, der sich in der Elementenlehre jenem Pythagoreer so eng anschloß, in der Himmelslehre einen ganz ändern Weg einschlug, wird uns nicht gemeldet. Jedenfalls führte ihn dieser Weg inbezug auf zwei Grundfragen zu einer altertümlicheren, man kann geradezu sagen: zur primitiven Denkweise der Hellenen zurück. Es war wohl das religiöse Vorurteil, das hierbei seine Schritte lenkte. Einmal sollte die Erde wieder im Mittelpunkt des Weltalls ruhen. Nur im hohen Greisenalter, so erfahren wir durch den glaubwürdigsten aller Gewährsmänner, durch T h e o p h r a s t , ist Platon hierin anderen Sinnes geworden.1 Er hat es damals „bereut", die ehrwürdigste Stelle des Kosmos der Erde angewiesen zu haben — ein Bedauern, das wir vielleicht so verstehen dürfen, daß das in den „Gesetzen" wahrnehmbare Anwachsen seiner Geringschätzung des menschlichen Treibens sich auch auf die Wohnstätte des Menschengeschlechts erstreckt hat. Sodann aber führte die von Platon eingeschlagene Denkrichtung auch geradeswegs zum „ehernen Himmel" H o m e r s, zu einer stofflich gedachten Hünmelskugel zurück, an welcher die Fixsterne befestigt sind. Das Maß von Berechtigung, das dieser Vorstellungsweise innewohnt, können wir nicht besser ausdrücken als mit den nachfolgenden Worten eines namhaften amerikanischen Astronomen unserer Tage: „Es muß zugegeben werden, daß die Idee, die Fixsterne als an einer hohlen Kristallsphäre, die das Gewölbe des Firmaments bildet, befestigt zu betrachten, eine sehr natürliche war. Sie -chienen die Erde zu umkreisen, Tag für Tag, Generation nach Generation, ohne die leiseste Änderung in ihren gegenseitigen Stellungen. Wenn zwischen ihnen keine feste Verbindung stattfand, so schien es unmöglich, daß Tausende solcher Körper ihre weiten Bahnen so lange Zeit hindurch zurücklegen könnten, ohne daß auch nur einer unter ihnen seinen Abstand vom ändern änderte. Besonders schwer zu begreifen mußte es sein, wie sie sich alle um dieselbe Achse bewegen konnten." 2 Hierfür eine einheitliche Ursache zu suchen, war nicht im mindesten unwissenschaftlich; und wenn man bei dieser Suche so ganz und gar fehlgriff, so war das die natürliche Folge der Unkenntnis der in Wahrheit wirksamen einheitlichen Ursache: statt der täglichen Umdrehung der Erde nahm man ja eine tägliche Umdrehung des Himmelsgewölbes an. Den Antrieb zu einer weitergehenden Hypothesenbildung G o m p c r z , Griechische Denker. II. 4. Aufl.

3l

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Die Begründung der Sphärentheorie

empfing Platon von den ihm allerdings nur sehr unvollständig bekannten U n r e g e l m ä ß i g k e i t e n , welche die Bewegungen der sieben, Wandelsterne oder Planeten genannten Gestirne: Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn auch schon für das freie Auge aufweisen. Man denke an die Schraubenwindungen, welche die kombinierte Tagesund Jahresbewegung der Sonne dem Auge zeigt (vgl. I * 93 f). Auch von diesen Bewegungen unbedingte Regelmäßigkeit, und zwar in der Gestalt strenger Kreisbahnen, zu erwarten, dazu forderten vor allem die in solchen Bahnen verlaufenden täglichen Scheinbewegungen der Gestirne auf, welche in Wahrheit die Wirkung der Achsendrehung des von uns bewohnten Weltkörpers sind. Verstärkend gesellte sich hierzu das natürliche Wohlgefallen am Kreise, welches diesem unter den Kurven ebenso den Vorrang anweist wie der Kugel unter den Körpergebilden. Aus dem Bestreben, das also erwachsende Problem zu lösen, ist die Sphärentheorie hervorgegangen. Es g a l t ein Z u s a m m e n wirken von Kreisbewegungen zu ersinnen, aus dem sich a n d e r e als s t r e n g e K r e i s b e w e g u n g e n ergaben. Ein Hilfsmittel hierzu lieferte die Analogie der Fixsternsphäre. Ihr sollten andere Sphären oder doch, wie es zunächst in Platons Theorie der Fall war, ring- oder reifartige Gebilde entsprechen, an welchen die Planeten (zu denen, im weiteren Sinne dieses Wortes, auch Sonne und Mond gerechnet wurden) befestigt sind. Diese Vorstellung knüpfte überdies, wie uns wenigstens bedünken will, an die von A n a x i m a n d e r erdachten Sonnen-, Mond- und Sternräder an (vgl. I * 45) — ein Vorbild, das entweder auf Platon selbst oder auf einen seiner uns unbekannten Vorgänger gewirkt haben mag. Damit war der Apparat geschaffen, dessen man sich bei der Lösung jenes Problems bedienen konnte. Man dachte sich solch eine Kugelschale samt dem an eine Stelle ihres Äquators gehefteten Wandelstern in eine andere Kugel eingeschlossen und dort derart befestigt, daß sie die ihr eigentümliche Bewegung nicht einbüßte, zugleich aber an der Bewegung der sie umschließenden Kugelschale teilnahm. Setzte man voraus, daß die beiden Bewegungen um verschiedene Achsen und mit verschiedenen Geschwindigkeiten erfolgen, so konnte sich, auch wenn jede der zwei Bewegungen eine kreisförmige ist, als Resultierende eine von der strengen Kreisbahn abweichende Bewegungsform ergeben. Das ist die einfachste Gestalt jener Hypothese und zugleich diejenige, in der sie von Platon vertreten wurde, nur daß dieser sich die inneren Sphären noch nicht als Kugelschalen, vielmehr als Ringe oder Reife dachte. Als die umschließende Kugel galt ihm die Fixsterasphäre, die umschlossenen Ringe oder Reife trugen die Planeten; von den sich also zusammensetzenden Bewegungen verlief die eine im Himmelsäquator oder im Kreise des „Dasselbigen", die zweite in der Ebene der zu diesem schief geneigten Ekliptik oder im

Platans Physik

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Kreise des „Anderen". Zur Zeit übrigens, da Platon im höchsten Greisenalter an den „Gesetzen" schuf, ist er mit der dem A r i s t o t e l e s bereits ganz geläufigen Theorie der Achsenumdrehung der Erde (vgl. I * 100 f.) bekannt geworden und hat ihr vor seinen eigenen früheren Spekulationen den Vorzug eingeräumt.1 Die Sphärentheorie aber wurde vorerst von E u d s fortgebildet. Wie dieser, das Musterbild eines zugleich genialen und nüchternen Forschers, den von ihm vorgefundenen Keim dieser Lehre weiterentwickeit hat, wie seine Annahme von je drei Sphären für Sonne und Mond und deren je vier für die Planeten (im engeren Sinne) den damals bekannten Beobachtungstatsachen in Wahrheit gerecht geworden ist, darüber hat uns S c h i a p a r e l l i , der hervorragendste italienische Astronom unserer Zeit, die bündigsten Aufschlüsse erteilt. Wir werden darauf im Zusammenhang mit den Theorien des K a 11 i p p o s und des A r i s t o t e l e s zurückkommen (vgl. Bd. III, Kap. 19. § 3-7). Die sonstigen Gedanken Platons über die himmlischen, Dinge zeigen rein pythagoreische Färbung. Insbesondere die „Sphärenharmonie" dieser Schule kehrt bei ihm wieder in der Annahme, daß die von den Wandelsternen beschriebenen Kreise Abstände aufweisen, die einen harmonischen Zusammenklang der von ihrem Umschwung bewirkten Töne bedingen. Wie der pythagoreische, so ist auch Platons Himmel (und dementsprechend auch die diesen erfüllende Weltseele) „ganz Zahl und Harmonie" (vgl. 1*99). Sein großes oder Weltjahr (vgl. 1*117 f.) umfaßt zehntausend gewöhnliche Jahre.2 7. Der hervorstechendste Zug in Platons P h y s i k ist deren Anthropomorphismus. Die aus falsch gedeuteten Beobachtungen entsprungene Lehre von den natürlichen Orten (vgl. S. 376) wird so dargestellt, als fühlte sich jedes Element an dem ihm nicht zugehörigen Orte unbehaglich und ersehnte die Rückkehr an seine „natürliche" Stelle.3 Daneben fehlt es indes nicht an Lichtblicken der erfreulichsten Art. Dahin gehört die Leugnung eines eigentlichen Oben und Unten im Weltraum, wie denn auch jenes Oben und Unten der natürlichen Orte kein absolutes, sondern ein von der Schichtung der Stoffmassen rings um die Erde bedingtes sein soll, so daß diese Bestimmungen für einen „Gegenfüßler" die der uns gewohnten entgegengesetzte Bedeutung besäßen. Dahin rechnen wir aber auch die Folgerichtigkeit, mit welcher aus der Leugnung des Leeren weitreichende Konsequenzen gezogen werden. Das geschieht allerdings nur anläßlich eines Spezialfalls, aber mit einer Begründung, die weit über diesen hinausreicht. Die beiden Teile des A t m u n g s prozesses, die Exspiration und die Inspiration, will Platon zusammen als eine in sich zurückkehrende Bewegung verstanden wissen; und dabei weist er darauf hin, daß in Ermangelung eines leeren Raumes 3l*

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Platans Biologie

die Bewegung nur so vonstatten gehen könne, daß jedes in Bewegung versetzte Stoffteilchen das benachbarte von seinem Platze verdrängt, dieses wieder das nächste und so fort, bis das zuletzt verdrängte die Stelle des ersten verdrängenden einnimmt.1 Dabei wird das Bild eines „in Umdrehung begriffenen Rades" gebraucht; und es darf vielleicht, nebenbei, die Vermutung gewagt werden, daß diese als die nächstliegende und anschaulichste Vorstellung solch eines Kreislaufs an der Erklärung der planetarischen Bewegungen durch die Annahme himmlischer Ringe oder Reife einen gewissen Anteil hat. Eine merkwürdige Antizipation modernster Theorien könnte man in jener Leugnung einer eigentlichen Attraktion und somit der in einer solchen wirksamen Fernkräfte erblicken, die anläßlich der Erörterung elektrischer und magnetischer Phänomene erfolgt. Doch wird man dabei nicht vergessen dürfen, daß solch eine Leugnung, mag sie nun berechtigt sein oder nicht, jedenfalls dem primitiven, durch die alltäglichen Erfahrungen des Stoßes und Druckes beherrschten Denken ungemein naheliegt. In der B i o l o g i e des „Timäos" ist nichts so wunderbar als das Vorherrschen spezifisch menschlicher, ja ethischer Gesichtspunkte. Alles ist hier auf Herrschaft der Vernunft und auf Eindämmung der Begierden angelegt. So sollen die zahlreichen Windungen des Darms der Völlerei zu steuern bestimmt sein, indem sie den unverbrauchten Resten von Speise und Trank den baldigen Austritt wehren und dadurch die rasche Wiederanfüllung verhindern.2 Man ist zunächst verblüfft darüber, daß Platon hier der gleichartig gebauten tierischen Verwandten des Menschen ganz und gar zu vergessen scheint. Dieses Staunen schwindet angesichts dessen, was wir Platons Deszendenztheorie genannt haben. Da die Tiere entartete Menschen sind, so kann auch ihr Körperbau Absichten verraten, deren Zielpunkt ursprünglich der Mensch allein gewesen ist. Doch auch das entgegengesetzte Verhältnis begegnet uns mindestens vereinzelt. Die Nägel, die als Klauen für manche Tiere so viel, für den Menschen jedoch so wenig bedeuten, sollen diesem bei seiner Erschaffung im Hinblick auf seine künftige Entartung verliehen worden sein. Und nun noch ein Wort über diese umgekehrte Abstammungslehre selbst, wohl die wundersamste aller Theorien, die Platons erfindungsreicher Geist erdacht hat: die uns so pessimistisch anmutende Lehre ist ein legitimer Sprößling seines theologischen Optimismus. Der Anblick der Tierwelt und der in ihr wie ein Grundgesetz waltenden „Wechsel-Vertilgung" 3 (um einen Ausdruck des „Protagoras" zu verwenden) mußte die Frage nach dem Ursprung dieses gehäuften Maßes von Leiden und Ungerechtigkeit anregen. Die allgütige Gottheit sollte von der Verantwortlichkeit dafür entlastet, dem ihr entgegenwirkenden Prinzip der „Notwendigkeit" aber wohl keine so weitreichende Macht beigemessen

Die körperlichen Ursachen des Wahnsinns

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werden. Darum mußte das eigene Verschulden der Menschen die Entartung und durch diese die ungeheuere Menge des Übels erzeugt haben. Man wird an die freiwillige Wahl der schlimmen Lebenslose durch die entkörperten Seelen im „Staat" erinnert. „Unschuldig" an allem Übel „ist" (hier wie dort) „die Gottheit" (vgl. S. 393). Die K r a n k h e i t s l e h r e des „Timäos" würden wir übergehen, wenn nicht das soeben gestreifte Willensproblem darin eine gelegentliche Behandlung erführe, die uns zu einem kurzen Vor- und Rückblick einlädt.1 Der sokratische Ursatz: „Niemand fehlt freiwillig" kehrt hier wieder anläßlich der „Seelenkrankheit", die Platon mit e i n e m Worte „Vernunftlosigkeit" und deren Unterarten er „Tollheit" und „Unwissenheit" nennt. Die erstere wird auf bestimmte körperliche Ursachen zurückgeführt. Darin liegt eine bemerkenswerte Erweiterung der sokratischen Lehre. In den Werken aus Platons Frühzeit tritt jener Satz in der Gestalt auf, die offenbar die ursprünglich sokratische ist, als der Ausdruck unbedingter Zuversicht in die Herrschaft der Einsicht, welche die Frucht des Nachdenkens und der Belehrung ist. Niemand handelt gegen seine bessere Überzeugung; wer so zu handeln scheint, ist in Wahrheit ein Wahnwitziger. Dieser Zusatz, diese einschränkende Klausel wird hier zu einer Theorie entwickelt. Platon vertieft sich in die körperlichen Ursachen des Wahnsinns, und darin liegt zweierlei beschlossen. Der Irrsinn gilt ihm nicht mehr wie seinem Meister als eine nur beiläufiger Erwähnung werte vereinzelte Erscheinung; und der Zusammenhang zwischen leiblichen und geistigen Phänomenen hat für ihn jenes Interesse gewonnen, das der von uns so oft betonten Erweiterung seines jetzt die Natur nicht minder als die Welt des Geistes umspannenden Horizonts entspricht.2. Daneben ist die Zähigkeit gar bemerkenswert, mit welcher an der sokratischen Formel noch im „Timäos", ja selbst in den „Gesetzen", festgehalten wird, obgleich der Intellektualismus, dessen Ausdruck sie anfänglich war, bereits im „Gorgias" und im „Phädon" (vgl. S. 279 u. 340 f.), noch mehr im „Staate" durch die Lehre von den drei Seelenteilen und durch die nachdrückliche Anerkennung der Unerläßlichkeit von Gewöhnung und Übung (vgl. S. 365), unterhöhlt worden ist. Am weitesten schreitet in dieser Richtung die offenbare Selbstkritik vor, die Platon in Rücksicht des Allgenügens der „Einsicht" und des „Wissens"' überhaupt mehrfach in den „Gesetzen" geübt hat — in jenem Endglied der platonischen Schriftenreihe, zu dessen Betrachtung wir uns nunmehr wenden.

ZwanzigstesKapitel. Platons „Gesetze". er du die Wälder färbst, Sonniger, milder Herbst" — an das also anhebende schöne Lied Ferdinands von S a a r mahnt uns der milde und sonnige, Lebensherbst, der sich in Platons ,Oesetzen" spiegelt.1 Nicht als ob in diesem Alterswerk alles sonniger Geistesglanz und gemütsweiche Milde wäre. Der Weg durch die „Gesetze" führt über manch eine öde Strecke und gelegentlich auch zu Äußerungen einer Härte, die uns kaum faßbar scheint. Aber alles in allem ist es ein Werk der höchsten Reife, der abgeklärten Lebensweisheit und einer Gefühlswärme, der nichts Menschliches fremd ist. Es ist überdies in nicht geringem Ausmaß das Erzeugnis eines hohen, wenngleich durch nicht wenige Schwächen der Ausführung verdunkelten Kunstverstandes. Diesen Eindruck zu schmälern, haben sich mancherlei Umstände vereinigt. Die „Gesetze" entbehren, wie schon das Altertum wußte, der abschließenden Bearbeitung. Sie sind eine Nachlaßschrift, mit deren Herausgabe Platon seinen Schüler und Amanuensis P h i l i p p von Opus betraut hat. Dieser entledigte sich seines Auftrages genau so, wie es von dem ergebenen Jünger eines großen Meisters zu erwarten war. Er ließ die gespannte Neugier des weiten Schüler- und Leserkreises nicht lange unbefriedigt. Binnen Jahresfrist trat das umfangreiche Werk ans Licht.2 Nicht sowohl diese begreifliche Hast, als die noch begreiflichere Pietät gegen das hochverehrte Schulhaupt wird es bewirkt haben, daß der Herausgeber sich jedes Eingriffes in den von Platon hinterlassenen Entwurf mit skrupulöser Scheu enthalten und die darin begegnenden Merkmale der Unfertigkeit, ja selbst einige offenkundige Widersprüche, zu verwischen nicht gewagt hat. Der Inhalt selbst, der nichts Geringeres als einen ganzen, das Staatsrecht, das Privat- und Strafrecht samt Wohlfahrtseinrichtungen und Erziehungsvorschriften umfassenden Gesetzeskodex in sich schließt, widerstrebte der dialogischen Kunstform, an der Platon, einer lebenslangen Gewohnheit folgend, dennoch festhielt. Lange lehrhafte Auseinandersetzungen waren demgemäß ebenso wie im „Timäos" kaum zu vermeiden. Ein ganzes, das fünfte der zwölf Bücher hindurch spricht e i n e Person, ohne auch nur durch eine Zwischenfrage unterbrochen zu werden! Zu diesem Widerspruch zwischen Form und Inhalt gesellen sich andere Mängel, deren Platon sich wohl bewußt war, ohne ihrer doch Herr werden zu können. Er kennt die der Redseligkeit des Alters entspringende Neigung zu Wiederholungen, und er entschuldigt sie mit dem Worte, „das Richtige möge auch zwei- und dreimal gesagt

Die Szenerie der „Gesetze"

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werden".1 Er kennt nicht minder die greisenhafte Tendenz zu Abschweifungen, und er beschönigt sie, aus der Not eine Tugend machend, indem er seinen Geist mit einem feurigen Rosse vergleicht, das es zu bändigen und von Seitensprüngen abzuhalten gilt. Noch gegen einen anderen Vorwurf hat sich Platon, seinen Kritikern vorgreifend, zur Wehr gesetzt. Nicht mutwillig habe er nach sprachlichen Neuerungen gestrebt.2 Damit berührt er einen Punkt, dessen Wahrnehmung sich auch dem flüchtigsten Leser der „Gesetze" aufdrängt. Der Text dieses Werkes ist mit Neologismen, mit wirklichen und scheinbaren, übersät. Der Sprache der Dichter gleichwie einer älteren Stufe der attischen Mundart werden Worte und Wertformen entlehnt; dazu treten selbstersonnene Neubildungen in großer Zahl. All das und überdies die oft ungewöhnliche Wortstellung und der wohlberechnete Tonfall zielt augenscheinlich darauf ab, der Rede einen feierlichen, aller Alltäglichkeit entrückten Charakter zu verleihen (vgl. S. 220, 225, 432). Und von dem Erfolge dieses seines Strebens zeigt sich der Schriftsteller in nicht geringem Maße befriedigt. Er erklärt seine „der Poesie ähnlichen Reden" selbst für mustergültig und läßt ihren Gedankengehalt von den übrigen Gesprächspersonen in einer Weise preisen, die einen auffällig und nicht eben erfreulich hohen Grad von Selbstgenügsamkeit bekundet.3 Von „seinen Reden" und von „den übrigen Gesprächspersonen" sprechen wir, weil Platon an diesem Dialog unter der durchsichtigen Maske eines Fremdlings aus Athen selber teilnimmt. Auf das Verschwinden des S o k r a t e s sind wir durch andere Alterswerke einigermaßen vorbereitet. Im „Sophisten" und im „Staatsmann" sahen wir den Fremdling aus Elea, im „Timäos" den Namensträger dieses Dialogs die Hauptrolle spielen. Für das vollständige Fallenlassen der Sokrates-Figur lassen sich mancherlei Beweggründe erdenken. Vielleicht fand es Platon wenig angemessen, den Hauptsprecher des „Staates" einen neuen Plan staatlicher und gesellschaftlicher Reform entwerfen zu lassen; vielleicht fühlte er auch, daß der vorwiegend dogmatische Ton der „Gesetze" sich vom Geiste des sokratischen Elenchos allzuweit entferne, ja daß hier manch eine Äußerung starrer, unduldsamer Rechtgläubigkeit einem M e l e ^ o s besser als seinem Opfer anstehen würde. Wie dem immer sein mag, die Gesprächspersonen der „Gesetze" sind: ein bejahrter Fremdling aus Athen und neben ihm ein spartanischer und ein kretischer Greis, M eg i 11 o s und K l e i n i äs mit Namen. Diese unternehmen an einem Hochsommertag von der altberühmten Stadt des Minos, von Knossos, aus eine vielstündige Wanderung nach der hoch in den Bergen gelegenen Zeusgrctte und unterhalten sich, bald über wellige, grasreiche Wiesen wandelnd, bald im Schatten der um ihrer wunderbaren Schön-

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Der Grundgedanke der „Gesetze": Politik als Erziehungsmittel

heit willen gerühmten Zypressen ruhend (es ist die weitästige, in Kreta noch heute heimische Art gemeint), gar gemächlich miteinander.1 Des Verfassers großer Kunstverstand zeigt sich am Beginn des Dialogs aufs deutlichste. Ein Gespräch, welches mit einem Lakedämonier und einem Kreter in der Heimat des letzteren über Fragen der Gesetzgebung anhebt, auf was sonst sollte es abzielen als auf eine Verherrlichung der von Aristokraten und Philosophen um die Wette gepriesenen Verfassungen jener dorischen Musterstaaten? Das mußte sich jeder Leser sagen. Und in Wahrheit, die aristokratische Lebensordnung, die Stabilität der Einrichtungen, die strenge Zucht und Beugung des Eigenwillens, welche diese Verfassungen verkörpern, sie sind für Platon vorbildlich geworden. Doch in einem entscheidenden Punkte steht es anders. A l l e r K r i e g s - u n d E r o b e r u n g s p o l i t i k ist P l a t o n im I n n e r s t e n a b h o l d . Darüber sollte der Leser keinen Augenblick im Zweifel bleiben. Darum steht fast am Beginne des Gesprächs eine Suggestivfrage: Welches ist der Zweck eurer Männermahle und der ihnen verwandten Einrichtungen? — eine Frage, die den Mitunterrednern das Geständnis entlockt, der oberste Zweck ihrer staatlichen Institutionen sei Krieg und Eroberung. An diese Antwort knüpft Platon den Ausdruck seines Dissenses. Er unternimmt es, die Unvernunft des Krieges dadurch zu erhärten, daß er dem Krieg zwischen Stadt und Stadt jenen zwischen Dorf und Dorf, dann zwischen Familie und Familie, zwischen Individuum und Individuum und schließlich den in der Brust des Einzelnen wütenden Kampf an die Seite stellt. Dieser Darlegung entspringen weitreichende Konsequenzen. Zwischen Politik und Ethik ist dadurch eine Brücke geschlagen. Und wohin diese führen soll, darüber wird uns bald volle Gewißheit. Wenn Krieg und Eroberung nicht den obersten Staatszweck bilden, wie sollte da der Kriegstüchtigkeit oder Tapferkeit der erste Platz im Kreise der Tugend e n gebühren? N u r a u f d i e s e n , d e n g e r i n g w e r t i g s t e n , Teil statt auf das Ganze der T u g e n d r i c h t e n jene Institutionen, soweit sie erzieherische Zwecke v e r f o l g e n , ihr A b s e h e n . Es ist das, nebenbei bemerkt, der Hauptvorwurf, den auch A r i s t o t e l e s gegen die lykurgische Disziplin erhebt.2 Platon aber hat damit den Grundton des ganzen Werkes angeschlagen. Nahe an dessen Schluß kehrt er mit ausdrücklichen Worten zu diesem Eingang zurück. Aber auch alles, was dazwischen liegt, ist demselben Gedanken Untertan. Die gesamte Politik wird als Erziehungsmittel, als Behelf der Vervollkommnung betrachtet; und diese besteht für den den Menschen als Ganzes hoch über seine Teile stellenden Verfasser der „Gesetze", wenn auch nicht für jenen des „Gorgias" und des „Theätet", des „Phädon" und des „Philebos", in der gleich-

Der WeingcnitB ein Prüfmittel

f. d. Standhaftigkeit

der Seele

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mäßigen höchsten Ausbildung, der harmonischen Entwicklung, des Geistes und des Körpers. Doch wir wollen dem bedächtigen Gange Platons nicht voraneilen. Selbst wenn die Tapferkeit — so ungefähr schreitet seine Erörterung fort — als die vornehmste der Tugenden gelten soll, selbst unter dieser Voraussetzung erweisen sich die Mittel der spartanischen Erziehung als ihrem Zwecke nicht gewachsen. Jene Erziehung ist eine einseitige oder „hinkende". Umfaßt doch die Tapferkeit im höheren Sinn, als Standhaftigkeit der Seele, nicht bloß deren Festigkeit der Furcht und dem Leid, sondern desgleichen der Lust gegenüber (vgl. die Andeutung im „Laches", hier S. 236). Gegen deren Versuchungen gilt es die Jugend zu wappnen, nicht sie jeder Versuchung zu entziehen. Als Beispiel wird der Weingenuß gewählt, dessen vollständige Unkenntnis Megillos der spartanischen Jugend nachrühmt. In Wahrheit gewähre der Wein vielmehr ein hochwichtiges Prüfmittel für die Standhaftigkeit der Seele und zugleich ein Mittel ihrer Stählung, kein geringeres als jene Peinigungen, durch welche die spartanischen Knaben zur Kriegstüchtigkeit erzogen werden. So gelangt Platon zu einer bedeutsamen Verallgemeinerung, die er durch eine geistreiche Fiktion verdeutlicht. Könnte es nicht ein Gegenstück zu den Wirkungen des Weines geben? Dann würde der Erhöhung des Lebensgefühls seine Minderung, der Exaltation eine Depression gegenübertreten. Der Weingenuß soll als Erziehungsmittel derart verwendet werden, daß wir die aggressiven und begehrenden Affekte vorerst durch ihn wecken und sie nachher einer sie hemmenden Zucht unterwerfen. Denselben Dienst könnte uns, wenn es vorhanden wäre, jenes Gegenstück des Weines in betreff der Depressionsaffekte leisten. Es ist nicht anders, als wollte Platon vom Alkohol einer- und vom Brom andererseits sprechen. Die Erziehung ist der Gegenstand, bei welchem Platon zunächst verweilt. Als ihr erstes Ziel wird (im z w e i t e n Buche) die richtige Art des Empfindens bezeichnet, deren Erwerb der vernünftigen Belehrung lange vorangehen, sich aber schließlich mit dem Ergebnis derselben in Übereinstimmung befinden soll. An die Kindererziehung schließt sich die den Erwachsenen bei festlichen Anlässen erteilte Bildung an, die im letzten Grunde auf Rhythmus und Harmonie beruht. Es entsteht die Frage, welche Körperhaltungen und welche Tonfolgen als schön zu gelten haben. Die Antwort lautet: was immer eine Trefflichkeit der Seele oder des Körpers zum Ausdruck bringt, sei es unmittelbar oder mittelbar (durch Nachbildung), ist schön, das Entgegengesetzte häßlich. Das ästhetische Urteil wird somit auf ein ethisches zurückgeführt. Die hohe Bedeutung der Gewöhnung, der das Wohlgefallen am Guten wie am Schlechten entspringe, wird hervorgehoben. Denn dem, woran man Gefallen finden lernt, assimiliere man sich unwillkürlich, somit auch dem

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Platan fordert strengste staatliche Kontrolle aller Kunstübung

Schlechten, und zwar lange bevor man die Scheu, es zu loben, abgelegt hat. Darum wird Ägypten das wärmste Lob zuteil, als dem einzigen Land, in welchem durch die Festsetzung unverrückbarer Typen in der bildenden wie in der musikalischen Kunst die Gewöhnung der Jugend an Schönheit mit dem äußersten Aufgebot gesetzgeberischer Weisheit erzielt worden sei (vgl. S. 203). Da alle Kunstübung der strengsten staatlichen Kontrolle zu unterwerfen ist, so gibt es auch für den Politiker kaum eine v/ichtigere Frage als die nach dem Kriterium des Schönen. Dieses fällt nach den hier geltenden Voraussetzungen mit dem Kriterium des Guten zusammen. In dieser Erörterung kehrt die Grundthese des „Staates", der sokratische Kernsatz vom Zusammenfallen der Glückseligkeit und der Gerechtigkeit, wieder (vgl. S. 356 f.). Es verdient bemerkt zu werden, daß Platons Zuversicht hier einigermaßen gemindert erscheint. All die Beweise, in deren Häufung der Verfasser des „Staates" sich nicht genugtun konnte (vgl. S. 388 ff.) und denen er an einer späteren Stelle der „Gesetze" noch ein neues Aufgebot von solchen folgen läßt (vgl. S. 256 f.), waren nicht ausreichend, jeden Rest von Zweifel zu bannen. Nicht anders erklärt sich der Vorbehalt, mit welchem die große Lehre hier eingeführt wird: „Selbst wenn es in Wirklichkeit nicht so stünde, müßte der Gesetzgeber, f a l l s e r n u r z u i r g e n d e t w a s t a u g t e , mittelst einer Zwecklüge, der heilsamsten von allen, der Jugend diesen Glauben einzupflanzen sich bemühen." 1 Die Kunst wird ganz und gar in den Dienst der Moral gestellt. „Die zarten Seelen der Jugend mit dem Zauber der Tugend zu erfüllen" — zu diesem Behufe sollen allenthalben Lieder erschallen, in deren Vertrag sich drei Chöre teilen, ein Chor der Jungen, ein Chor der Erwachsenen und ein Chor der Alten, deren ermattende Lebensgeister übrigens durch reichlichen Weingenuß erhöht werden sollen. Inmitten dieser Erörterungen wird die uns aus A r i s t o t e l e s so geläufige Lehre, daß alle Kunst auf Nachahmung beruhe, dargelegt, und bei diesem Anlaß die reine Instrumentalmusik mit auffälliger Geringschätzung beurteilt. Wenn der zweite Hauptzweig griechischer Bildung, der in der entsprechenden Partie der „Staates" einen so breiten Kaum einnimmt, hier nahezu fehlt, so möge das niemand wundernehmen: die Gymnastik wird mit einigen Worten gestreift, ihre eingehende Behandlung aber ausdrücklich einer späteren Stelle vorbehalten. 2. Mit Buch III erfolgt ein neuer Anlauf. Nach dem Moralisten kommt der Historiker zum Wort. Nichts kann natur- und zweckgemäßer sein. Ist der Staat in erster Reihe das, wofür er Plaion gilt, eine sittliche Erziehungsanstalt, so gebührt der ethisch-pädagogischen Betrachtungsweise der Vortritt. Dieser muß aber, sollen die Prämissen des Gesetzgebungswerkes nicht unvollständig bleiben, die geschichts-

Die Doktrin von der Mischung der Veriassungsiormen

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philosophische Ergänzung folgen. Diese mündet in der Tat in eine hochbedeutsame Lehre, die das Hauptregulativ des nachher in Angriff genommenen Verfassungsentwurfes ist, in die hier zum erstenmal auftauchende Doktrin von der notwendigen M i s c h u n g der V e r f a s s u n g s f o r m e n , eine Doktrin, die als das Lehrstück von der Teilung oder dem Gleichgewicht der Gewalten in der modernen Staatstheorie einen so hervorragenden Platz einnimmt. Der Weg aber, der zu diesem Ziele führt, ist ein gar bemerkenswerter. Es ist, als ob der Verfasser des „Staates" die dürftige und von Willkür nicht freie Konstruktion bedauerte, durch welche er den Werdeprozeß menschlicher Gemeinwesen zu erklären versucht hatte (vgl. S. 360 f.). Auch jetzt handelt er von der Urzeit, doch hat sich mittlerweile sein geschichtsphilosophischer Horizont ungemein erweitert. Der Beginn der Kultur scheint ihm in eine unabsehbare Ferne gerückt; ungeheure Zeiträume trennen uns von ihm; gewaltige Fluten und andere Katastrophen haben ganze Zivilisationen verschlungen oder doch nur winzige Reste von ihnen übrig gelassen, die zum Ausgangspunkt neuer Entwicklungen geworden sind. Es sind das, beiläufig bemerkt, Gedanken, die A r i s t o t e l e s seinem Meister entlehnt hat, der mit ihnen seinerseits wieder pythagoreischen Spekulationen gefolgt zu sein scheint. Aber er beruhigt sich diesmal nicht bei bloßen Spekulationen. Mit kräftigstem Nachdruck betont er die Lehren der historischen Erfahrung; in ihnen sucht er die Bestätigung seiner anderwärts gewonnenen Ergebnisse. Die Geschichte der dorischen Staaten des Peloponnes, der persischen Monarchie und der athenischen Demokratie wird herbeigezogen. Mitten unter legendarischen Zügen treten solche auf, die uns minder abenteuerlich erscheinen dürfen, als sie unseren Vätern erschienen sind. Dahin rechnen wir angesichts des jetzt urkundlich feststehenden zeitweiligen Suzeränitätsverhältnisses Assyriens zu Lydien die Annahme, daß auch Troja zur assyrischen Machtsphäre gehört hat.1 Die Hauptsache aber ist die Einsicht, daß Staatsgebilde nicht sowohl durch äußere Gewalt als durch innere Schäden zugrunde gehen, und daß das vornehmste dieser Gebrechen die ausschließliche Herrschaft e i n e s Regierungsprinzips, die einseitige Übertreibung, sei es der Autorität, sei es der Freiheit, ist. Es wird die Erkenntnis verkündet — und darin liegt eine indirekte Kriiik der im „Staate" vorgeschlagenen Philosophenherrschaft —, daß die menschliche Natur der Ausübung absoluter oder unverantwortlicher Gewalt nicht gewachsen ist. Das Ergebnis dieser Erwägungen ist die mit stärkster Emphase betonte Notwendigkeit einer temperierten oder g e m i s c h t e n V e r f a s s u n g s f o r m . Daß die Erringung dieser hochbedeutsamen Einsicht dem greisen Platon zu hoher Ehre gereicht, braucht kaum gesagt zu werden. Vielleicht freilich wäre ihm dieselbe niemals aufgedämmert, hätte ihn nicht die durch ihre Stetigkeit

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Plat on gegen die „Theatrokratie"

ausgezeichnete spartanische Verfassung mit ihrem Doppel-Königtum, ihrem aristokratischen Rat der Alten und ihrem demokratischen Ephorat ein Musterbild einer gemischten Verfassung vor Augen gestellt, gleichwie die englische Konstitution ein solches für M o n t e s q u i e u und seine Nachfolger gewesen ist. Und hier erfreut es, das Fortwirken der platonischen Gedanken bis in die unmittelbare Gegenwart verfolgen zu können. Die „Väter" der nordamerikanischen Bundesverfassung haben die Lehre von der Teilung der Gewalten als ein unantastbares Vermächtnis von M o n t e s q u i e u empfangen, der für sie in gleichem Maß Autorität war, wie A r ist o t e l e s für die Scholastiker des Mittelalters. Der Verfasser des „Geistes der Gesetze" (1748) aber verficht diese seine Grundlehre unter direkter Bezugnahme auf P o l y b i o s, der sich in unverkennbarster Weise an Platon anlehnt, gleichwie auf die entsprechenden aristotelischen Aussprüche; und auch mit Platons „Gesetzen" selbst zeigt er sich aufs innigste vertraut. Das Maß des Einflusses abzuschätzen, den die antiken Vorläufer auf ihn geübt haben, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Allein daß dieses Maß gleich nichts zu achten sei, daß die Festigkeit und Zuversicht, mit welcher Montesquieu diese folgenreiche Lehre verkündet hat, durch das Bewußtsein, in den Spuren großer Vorgänger zu wandeln, keinerlei Steigerung erfahren habe, das wird schwerlich jemand zu behaupten wagen.1 Man hat der Doktrin vom G l e i c h g e w i c h t der Gewalten nicht mit Unrecht vorgeworfen, daß ihre unbedingt strenge Verwirklichung zum Stillstand führen würde. Man kann in dem Schlagwort von der T e i l u n g der Gewalten einen anfechtbaren Ausdruck für zwei sehr verschiedene Forderungen erblicken: für das Verlangen, daß die obersten staatlichen F u n k t i o n e n , die gesetzgebende, ausführende und richterliche, von einander getrennt seien, und für jenes andere, daß der in. einem Gemeinwesen mächtigste Faktor darum doch k e i n a l l m ä c h t i g e r sei. Allein Platon sowohl als seine antiken Nachfolger, A r i s t o t e l e s und der Geschichtsschreiber P o l y b i o s , sind von jeder Mitschuld an solchen Mißverständnissen und Verdunkelungen ihrer Lehre völlig freizusprechen. Die Forderung, die Platon in den „Gesetzen" erhebe und immer neu variiert, ist die des „Maßes", der „Mäßigung", der „Mischung" der Herrschaftsformen, der Versöhnung der Volksfreiheit und der Herrscherautorität, und sie kehrt sich ebenso gegen Despotenwillkür wie gegen jede Entartung der Volksherrschaft. Als die Wurzel solch einer Ausartung tritt ihm in seiner Heimat der „Dünkel aller, alles zu wissen", oder auch, da ihm dieser Dünkel aus der Anmaßlichkeit des Theaterpublikums zu erwachsen scheint, das entgegen, was er die „Theatrokratie" genannt hat. Der letzteren Betrachtung freut sich übrigens Platon mit den früheren ästhetischen Darlegungen vorgearbeitet zu haben, wie er denn in diesem Buche mehr-

Schriftstellerische

Vorzüge der „Gesetze"

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fach und namentlich an seinem Schlüsse nicht ohne Wohlgefallen auf den „Irrgang der Rede" blickt, der ihn so richtig geleitet habe. Dieses Wohlgefallen erreicht dort seinen Höhepunkt, wo Kleinias mit dem Anliegen hervorrückt, aus den bisher gepflogenen Reden eine Nutzanwendung zu ziehen und die Theorie einem unmittelbar praktischen Zwecke dienstbar zu machen. Denn ein gar glücklicher Zufall habe es so gefügt, daß diese Unterredung gerade in einem Augenblicke stattfindet, in welchem er als Mitglied eines Zehnmänner - Ausschusses mit der Entwerfung von Gesetzen für eine neu zu gründende kretische Kolonie betraut ist. Ein glücklicher Zufall! Unsere Leser erinnern sich der genau identischen Wendung, mit welcher der platonische S o k r a t e s seiner Befriedigung darüber Ausdruck gibt, daß ihm und Phädros eben die Rede des L y s i a s zur Hand sei, an welcher sie die neu gefundenen Forderungen an die Rhetorik prüfen und erhärten können (vgl. S. 328). Es ist der gleiche schriftstellerische Kunstgriff, den Platon hier und dort verwendet. Der große Künstler liebt es, seine Absichten zu verstecken, und er freut sich seines Geschickes, das von langer Hand. Vorbereitete und planvoll Herbeigeführte als das Werk eines neckischen Ungefähre erscheinen zu lassen.1 Man sieht, auch die ermattende Kraft des größten aller Schriftsteller ist noch immer unserer vollen Achtung wert. Er versteht sein Handwerk ungleich besser als jene Kritiker, die dem Verfasser der „Gesetze" den von ihm gewählten und gepriesenen „Irrgang der Rede", seine zwanglose und s c h e i n b a r planlose Plauderei, zum Vorwurf machen, oder die vielmehr, weil er nicht von allem Anfang an seine gesamten Absichten und die Abfolge ihrer Verwirklichung klipp und klar dargelegt hat, an eine Komposition des Werkes überhaupt nicht glauben, sondern darin ein vom Herausgeber aus mannigfachen Entwürfen mit mehr oder weniger Willkür und Ungeschick zusammengestoppeltes Machwerk erblicken. Auf diese, unseres Erachtens völlig grundlosen, aber gar weit verbreiteten Ansichten näher einzugehen, fühlen wir uns an dieser Stelle nicht berufen. 2 Lieber wollen wir noch auf einige Proben der schrifststellerischen Kunst auch des uralten Platon hinzuweisen uns gestatten. Wie fein weiß er die Charakteristik der lakedämonischen Verfassung (mit einer von P o l y b i o s nachgeahmten Wendung) dem glaubwürdigsten aller Zeugen, dem greisen Spartaner selbst, in den Mund zu legen.3 Über die Staatsform seiner Heimat befragt, gibt nämlich Megillos seiner Ratlosigkeit Ausdruck. So oft er über diese Frage nachdenkt, jedesmal dränge sich ihm eine andere Antwort auf; einmal komme es ihm in den Sinn, von einer Königsherrschaft, ein andermal von einer Aristokratie, dann wieder von einer Demokratie und gelegentlich selbst von Tyrannis zu sprechen. Welch einen erlesenen Takt bekundet Platon dort, wo seine Erörterung

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Vorfragen der Gesetzgebung

das überaus subtile Problem der verschiedenen Bewegungsformen streift und er an die Stelle der Unterredung mit den schlichten, politisch, aber nicht wissenschaftlich geschulten Greisen ein Selbstgespräch setzt, gerade so wie er im „Symposion" aus gleich triftigen Gründen ein Gespräch innerhalb des Gespräches fingiert und damit wieder der Eigenart des historischen S o k r a t e s Rechnung getragen hat (vgl. S. 305 f.). Und mit welch einem anmutigen Bilde weiß er diesen Kunstgriff zu verbrämen! Die schwierige Untersuchung wird mit einem reißenden Strom verglichen, den die drei Wanderer durchschreiten sollen. Der jüngste und in ähnlichen Wagnissen erfahrenste von ihnen, der athenische Fremdling, will die Kraft der Strömung zunächst allein erproben, und erst wenn sein Versuch geglückt ist, den Älteren und Unerfahreneren bei ihrer Durchquerung seinen Beistand leihen. Das schöne Bild erinnert uns an andere; so an den Vergleich aller Lebewesen mit Marionetten, die an allerhand Fäden und Drähten, darunter gar starken und selbst eisernen, gezogen werden; unter allen diesen gebühre freilich einem der Vorzug, dem „weichen Goldfaden der Vernunft"! Wie ausdrucksvoll ist auch das Gleichnis, welches uns dort begegnet, wo die Götter vor dem Vorwurf der Bestechlichkeit geschützt werden! Wären sie durch Opfergaben der Übeltäter zu gewinnen, dann glichen sie Hunden, denen die von ihnen verfolgten Wölfe einen Teil ihrer Beute zuwerfen und die, dadurch beschwichtigt, die Herdenräuber gewähren lassen. Das v i e r t e Buch beschäftigt sich mit V o r f r a g e n der beabsichtigten Gesetzgebung. Zunächst wird die Lage und Beschaffenheit der für die Kolonie in Aussicht genommenen örtlichkeit besprochen. Ein möglichst geringes Maß von auswärtigem Verkehr gilt als wünschenswert; die Nähe des Meeres wird als eine zwar „süße", zugleich aber auch als eine „bittere und salzige" Nachbarschaft bezeichnet. Erblickt doch Platon im Handel, wie wir bereits wissen, eine Quelle unedler und unzuverlässiger Gesinnungen. Hierbei bekundet sich seine Neigung zu verblüffenden Paradoxien. Auf die Mitteilung, daß die Gegend mit guten Häfen versehen sei, antwortet er mit dem Ausruf: „Wehe! was sagst du da!" Eine ähnlich paradoxe Wendung begegnet an einer späteren Stelle, wo von der Körperpflege gehandelt wird, und auf die verwunderte Frage des Kleinias, ob denn wirklich schon bei den Neugeborenen mit einer Art von Gymnastik zu beginnen sei, der Athener erwidert: „Keineswegs, sondern noch früher, bei den Kindern im Mutterleib."1 Die Frage nach der Zusammensetzung der Bevölkerung wird mit einer für Platons Spätzeit bezeichnenden Bedächtigkeit erörtert. Manches spreche für die gleichartige, anderes wieder für die verschiedenartige Herkunft der Ansiedler. Im ersteren Falle sei die innere Zusammengehörigkeit, die Einigkeit der durch gleiche Mundart,

Die wahren Herrscher „Diener der Gesetze"

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gleichen Ursprung und gemeinsame Heiligtümer verbundenen Bürgerschaft eine größere; im anderen Fall sei der Widerstand gegen neue Satzungen schwächer, das Widerstreben gegen Verfügungen des Gesetzgebers ein geringeres. In ähnlicher Weise wird das Für und Wider einer anderen Frage behandelt. „Gebt mir eine von einem Tyrannen beherrschte Stadt!", so ruft der Athener zum gewaltigen Erstaunen des Kreters und des Spartaners aus. Bald erklärt er sich genauer. Es sei eine der glücklichsten Fügungen, wenn ein hochbegabter Gewaltherrscher an der Spitze des Staates steht. Ihm falle die eingreifendste Neuerung leicht; er könne die Gesinnungen der Menschen wie im Handumdrehen verändern. Werde ihm das Glück zuteil, einen guten Gesetzgeber an seiner Seite zu haben, so sei er imstande, dessen Absichten mit sonst nie erreichter Raschheit zu verwirklichen. Der athenische Fremdling, der hier von eigenen Erfahrungen spricht, gibt augenscheinlich den Wünschen und Hoffnungen Ausdruck, die einst Platon am Hofe D i o n y s i o s' II. gehegt hatte. Aber auch die dort erfahrene Enttäuschung kommt zum Ausdruck. Der seltenste aller Glücksfälle sei es, daß der Besitzer unbeschränkter Macht „von der göttlichen Liebe zu gerechtem und besonnenem Tun" ergriffen werde. Das Gespräch wendet sich zur Betrachtung der verschiedenen Staatsformen, unter denen es eine Auswahl zu treffen gilt. Gleichwie jede Verfassungsform von dem darin herrschenden Element ihre Bezeichnung erhält, so erstrebt dieses im Staate gemeiniglich nichts anderes als den eigenen Vorteil. So stehe es mit der Königs-, mit der Adels-, mit der Volksherrschaft, die, wie sie zumeist geübt werden, nicht Staatsordnungen, sondern Staatsunordnungen heißen sollten. Eine wahrhafte Staatsordnung sei nur jene, in welcher die Regierenden die „Diener des Gesetzes" sind. Eine solche sollte den Namen der „Gottesherrschaft" tragen.1 Damit das begonnene Werk gedeihe, gilt es die Gottheit anzurufen, die in Wahrheit (wie es in paradoxer Umkehr des protagore'ischen Satzes heißt) „das Maß aller Dinge" ist. Allein nur der von guter und heiliger Gesinnung begleitete Dienst sei ihr willkommen. Aus unreiner Hand nehme Gott so wenig als ein guter Mensch eine Gabe an. Darauf wird die Verehrung der olympischen wie der unterirdischen Götter, nicht minder jene der Dämonen und Heroen, empfohlen und desgleichen die Pietät gegen die Eltern in eindringlicher Rede gepriesen. Nach diesen Vorbereitungen des Gesetzgebungswerkes wird seine f o r m a l e Seite in Erwägung gezogen. Soll der Gesetzgeber nur zvcingen oder zugleich zwingen und überreden? Soll er den Sklavenärzten gleichen, die in atemloser Hast von einem Patienten zum anderen eilen, ihre Anordnungen mit knappen, kahlen Worten wie Machtsprüche verkünden und so schnell verschwinden, wie sie er-

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Die homilelische Einleitung des Gesetzbuches

schienen sind? Oder soll er sich vielmehr den zugleich wissenschaftlicheren und humaneren Arzt zum Muster nehmen, der sich mit dem Kranken und seiner Umgebung aufs einläßlichste unterhält, ihn über die Natur seines Leidens aufzuklären und seine Zustimmung zu der als nötig erachteten Behandlung zu gewinnen sucht? Dieser Unterschied wird durch ein Beispiel erläutert: es wird einem Gebiete, das an der Spitze der Gegenstände der Gesetzgebung zu stehen habe, jenem der Fortpflanzung, entnommen. Zuerst werden bloß mit dürren Worten Vermögens- und Ehrenstrafen (zum Teil nach' spartanischem Vorbild) über Hagestolze verhängt.1 Dann wird die Verhängung ebenderselben Strafen von einer eingehenden Begründung begleitet; es wird des Anteils des Menschengeschlechtes an der Unsterblichkeit gedacht, es wird an deren Erreichung durch die Erzeugung von Nachkommen erinnert. Die Unterredner einigen sich dahin, diesem „doppelten" Modus der Verlautbarung von Gesetzen vor dem „einfachen" (bei dem nur die Vorschrift, nicht auch deren Begründung kundgemacht wird) den Vorzug zu geben. Wie der bisherige Teil des Gespräches als ein Proömium der ganzen Gesetzgebung gelten könne, so solle auch den einzelnen Teilen derselben ein solches vorangeschickt werden. Da die höchsten Gegenstände, die Götterverehrung und die Pietät gegen die Eltern, in kurzer Ausführung bereits vorweggenommen sind, so gelte es, die an Wichtigkeit zunächst kommenden Stücke, welche die Seele, den Körper, den Besitz, das Tun und Treiben der Menschen überhaupt betreffen, zu erörtern. Es folgt ein Proömium im großen Stile, das einen ansehnlichen Teil des f ü n f t e n Buches einnimmt. Die Sprache und die Gedanken sind hier von gleicher Erhabenheit. Das Oberste oder Göttlichste im Menschen ist die Seele: ihr gebührt die höchste Ehre, und man ehrt sie nur, indem man sie besser macht. Nichts steht dem mehr im Wege als der Dünkel, die Nachgiebigkeit gegen sich selbst, und die Neigung, die Schuld an den größten Übeln nicht sich, sondern anderen beizumessen. Nicht alles Gold auf und unter der Erde wiegt die Tugend auf. Die schlimmste Strafe des Lasterhaften aber ist seine Flucht vor den guten Menschen und den guten Reden. Die zweite Stelle nimmt der Körper ein. Seine Güte — und hier kündigt sich die aristotelische Lehre vom Mittleren an — besteht nicht in einem Maximum von Kraft, Gesundheit, Schönheit und Gewandtheit, sondern in einer mittleren Beschaffenheit. Denn ein Zuviel dieser Vorzüge macht die Seelen dreist und aufgeblasen, ein Zuwenig hingegen drückt sie und läßt sie zaghaft werden. Nicht anders steht es mit dem Besitz von Geld und Ehren. Unter allen Vergehungen verdienen jene gegen Fremde den herbsten Tadel. Denn der Freundlose und Verlassene ist erbarmungswürdiger in den Augen der Götter wie der Menschen. Auch dem Sklaven sollen wir womöglich noch weniger un-

Die Wirtschaftsordnung die einzige „dauernde Grundlage1' des Staatsrechts 497

recht tun als dem Gleichgestellten. Denn die echte, ungeheuchelte Gerechtigkeitsliebe zeigt sich vor allem dort, wo uns das Unrechttun leicht fällt. An der Spitze aller Charaktervorzüge steht die Wahrheitsliebe. Ehrenwert ist jeder, der kein Unrecht tut. Wer aber dem Unrecht voll Eifers steuert, ist doppelter Lobpreisung wert; er und nicht etwa, wie es bei H o m e r heißt, der Heilkundige „wiegt auf viel andere Männer" (vgl. 1*228). Zornmutig muß der Treffliche sein und zugleich milde. Denn nicht ohne edlen Zornmut vermag man gegen das Unrecht unermüdet anzukämpfen, es ohne Unterlaß abzuwehren und ohne Schwäche zu bestrafen. Gegen jene aber, deren Schlechtigkeit eine heilbare ist, gilt es, Milde zu üben, in der Erkenntnis, daß alles Unrechttun ein unfreiwilliges ist. Das größte aller Übel ist das Übermaß der von den Dichtern gar glimpflich beurteilten Selbstliebe. Verblendet doch diese wie jede andere Liebe und führt dazu, den eigenen Unverstand für Weisheit zu halten. Den Schluß des Proömiums bildet die von uns schon anläßlich des „Protagoras" vorweggenommene hedonische Moralbegründung (vgl. S. 256 f.).1 3. Nun ist der Raum für die Gesetzgebung frei, die sich im großen und ganzen den wechselnden Phasen des Menschenlebens anschmiegt und dieses von der Wiege bis zum Grabe begleitet. Doch dem nach antiker Weise nicht streng geschiedenen Zivil- und Strafrecht geht das Staatsrecht voran, welches sich seinerseits auf die Wirtschaftsordnung als auf die einzige „dauernde Grundlage" aufbaut. Der Kommunismus des „Staates" wird noch einmal als Ideal mit Überschwang gefeiert, auf seine Ausführung aber wird verzichtet. Ist doch der „Wächterstand", bei dem er allein gelten sollte, hier überhaupt nicht mehr vorhanden. Kein Reichtum und keine Armut — das ist die wirtschaftliche Devise der „Gesetze". Die Ungleichheit des Vermögens wird in enge Grenzen gebannt; das Maximum soll nicht mehr als das Fünffache des Minimums betragen. Das Land wird in zwölf Kreise und, der Zahl der Bürger entsprechend, in 5040 Landlose geteilt, eine Zahl, die um ihrer mannigfachen Zerlegbarkeit willen gewählt wird und wandellos fortbestehen soll. Die Unteilbarkeit und Unveräußerlichkeit des Grundbesitzes, das Verbot der Mitgiften, die Adoptionspflicht und anderes mehr wird diesem Zwecke dienstbar gemacht.2 Damit die Zahl der Familienhäupter jener der Landlose allezeit entspreche, wird die Volksvermehrung geregelt durch das Verbot der Ehelosigkeit, durch die Auflösung kinderloser Ehen, durch Belohnungen und Ehrungen derjenigen, die ihrer Pflicht genügen, aber auch durch jene gewaltsamen Eingriffe, die uns aus dem „Staat" so wohl bekannt sind» Von diesen wird freilich diesmal die Kinderaussetzung wenigstens nicht ausdrücklich genannt und der Abortus nur unter der glimpflicheren Bezeichnung der G o m p e r z , Griechische Denker. II. 4. Aufl.

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Platan gegen jede

Kapitalsbildung

„Hintanhaltung von Geburten" eingeführt. Doch konnte es an der häufigen Anwendung solcher Eingriffe nicht fehlen, zumal da nur das erste Jahrzehnt der Ehe der Erzeugung von Kindern „für den Staat" gewidmet wird. Auch der Aussendung von Kolonisten und im entgegengesetzten Notfalle dei Aufnahme von Fremden in die Bürgerschaft wird, der letzteren freilich nur widerwillig, gedacht. Der Ansammlung beweglichen Vermögens bei den Bürgern wird in jeder Weise gesteuert: durch das Verbot des Gold- und; Silberbesitzes, durch die Untersagung jeden — den Fremden, die aber nicht mehr als zwanzig Jahre im Lande weilen dürfen, vorbehaltenen — Handels- und Gewerbebetriebes, durch das Zinsenverbot und dadurch, daß (mit C h a r o n d a s ) allen Kredit- und Vorschußgeschäften der Rechtsschutz entzogen wird.1 Jede trotzdem eintretende VermögensVermehrung oder -Verminderung muß zur Kenntnis der Behörden gebracht werden, die den jedesmaligen Kapitalsbesitz und desgleichen das Jahreseinkommen jedes einzelnen Bürgers abschätzen und verzeichnen. Nur ein Drittel des Bodenertrages soll zum Verkauf, und zwar an die im Lande wohnhaften Fremden, gelangen. Die übrigen zwei Dritteile sollen der Ernährung der bürgerlichen, beziehentlich der Sklavenbevölkerung dienen. Die gesamte Wirtschaftsordnung zeigt starke Anklänge an die auf Schaffung und Erhaltung einer lediglich Grund und Boden besitzenden Aristokratie abzielenden spartanischen und kretischen Einrichtungen. Nur daß Platon die Tendenzen jener Gesetzgebungen mit ungleich größerer Strenge und Schärfe festhält, ausbildet und erweitert. Eine Erweiterung erfährt unter anderem das Institut der Syssitien oder Gemeinmahle, an denen auch die Frauen teilnehmen, wie denn die Frauenemanzipation keineswegs aufgegeben, sondern durch die Herbeiziehung ethnographischer Parallelen auf eine festere Erfahrungsbasis gestellt wird. Die „Erfahrung", das Wort und die Sache, kehrt in Platons Alterswerk häufiger wieder als in all seinen früheren Schriften zusammengenommen. Ein wesentlich anderes Bild bieten uns die eigentlich staatlichen Institutionen. Hier ist Athen, insbesondere das alte Athen, Platons Vorbild. Kein Teil der Bürgerschaft soll politisch rechtlos sein, keiner einem anderen Teil wie ein Knecht dem Herrn gehorchen (vgl. S. 394). Die Gleichheit aller hingegen soll nicht eine mechanische, nicht die „Gleichheit der Ungleichen" sein. Der ersten Forderung gemäß kommt der Unterschied eines beherrschenden und eines beherrschten Standes in Wegfall. Hat eigenes Nachdenken, hat fremde Kritik Platon eines besseren belehrt? Jedenfalls ist ihm die Unzulässigkeit der „zwei Staaten in einem" nicht mehr verborgen (vgl. S. 405). Die Rechte, die er der Gesamtheit der Bürger einräumt, sind so ziemlich dieselben, welche die solonische Verfassung ihr gewährt hatte: die Behörden wähl uad

Bestellung der Behörden durch Wahl und Los

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ein Anteil an der Rechtspflege.1 Die d i r e k t e Volksregierung ist so gut als beseitigt. Die Abstufung der politischen Gerechtsame aber ist derjenigen eng verwandt, welche, freilich nicht, wie man geglaubt hat, S o l o n s Vorläufer D r a k o n , wohl aber jener selbst anläßlich der Schaffung von vier Steuerklassen vorgenommen hatte. Eben diese Vierzahl von Vermögensklassen hat Platon in den „Gesetzen" eingeführt. Und hier begibt sich etwas Unerwartetes. Nachdem der Reichtum verpönt, fast möchte man sagen: gebrandmarkt, ward, wird im s e c h s t e n Buch der Anteil am öffentlichen Leben trotzdem nach den verschiedenen Graden der Wohlhabenheit gestaffelt. Der Widerspruch ist jedoch nicht so grell, als er zunächst erscheint. Reichtum im eigentlichen Sinne ist dem Gemeinwesen der „Gesetze" fremd. Die Vermögensunterschiede bewegen sich daselbst, wie wir sahen, in vergleichsweise engen Grenzen. Andererseits gähnt hier auch keine Kluft zwischen den Befugnissen der mehr und der minder Bemittelten. Der Hauptunterschied ist dieser. Für die zwei oberen Klassen besteht mehrfach dort ein W a h l z w a n g , wo er bei den zwei unteren fehlt. Die Wohlhabenderen werden in diesen Fällen durch Strafandrohungen zur Teilnahme an Behördenwahlen genötigt, während den weniger Bemittelten die Wahlenthaltung freisteht. Platons Beweggrund für diese Distinktion läßt sich seinem Hinweis auf das Mehr von „Bildung und Gediegenheit", dem ein größeres Maß von Einfluß gebührt, entnehmen. Er hat wohl bei den Vermöglicheren als Frucht ihrer ausgiebigeren Muße ein höheres Bildungs-Niveau, bei den Dürftigeren hingegen einen entsprechenden Bildungstiefstand und zugleich geringere Zufriedenheit mit ihrer Lage, daher größere Geneigtheit zu unbesonnenen Neuerungen, vorausgesetzt. Das Prinzip des Wahlzwanges oder der Bestrafung der Wahlenthaltung scheint übrigens dem griechischen Staatsrecht fremd gewesen zu sein, während es in neuester Zeit in einigen Schweizer Kantonen, in mehreren österreichischen Kronländern gleichwie in Belgien zur Anwendung gelangt und in der nordamerikanischen Union wenigstens in Erwägung gezogen worden ist.2 Die W a h l ist nicht die einzige Art der Behördenbestellung. Ihr tritt das vordem von Platon gleichwie von seinem Meister S o k r a t e s so arg befehdete L o s zur Seite. Und nicht nur erfährt die Wahlart die mannigfachsten Modifikationen, auch die Kombination von Wahl und Erlösung ist den „Gesetzen" nicht fremd. Selbst hier fehlt es Platon nicht an heimischen Vorbildern. Nach der solonischen Verfassung wurden die neun Archonten — wie uns die jüngst wieder aufgefundene aristotelische „Staatsverfassung der Athener" gelehrt hat — aus Kandidaten erlost, welche die vier Stämme vorgeschlagen hatten. 3 Die Absicht, welche Platon mit den zum Teil überaus künstlichen und ungemein verwickelten Wahlbestimmungen der „Gesetze" verfolgt, ist augenscheinlich die nachfolgende. Die Masse des Volkes soll von der Bestellung der 32*

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Die Ernennung des Unterrlcktsministers

Behörden nicht ausgeschlossen, zugleich aber soll diese dem unmittelbaren Einfluß der Menge möglichst entrückt sein. Ferner soll die persönliche Vorliebe, der Cliquengeist und das Parteiinteresse nach Tunlichkeit ausgeschieden und die Wahl auf jene gelenkt werden, die sich des allgemeinsten Vertrauens erfreuen. Endlich soll der Majoritätsherrschaft ihre Schärfe genommen werden. Darum ist das passive mehrfach ein anderes als das aktive Wahlrecht, darum werden indirekte den direkten Wahlen vorgezogen, darum wird der Wahlakt mehrfach abgestuft und schließlich bisweilen noch durch die Erlösung einer kleinen Auslese aus der großen Zahl der Gewählten gekrönt. Dieses Sieben und Sichten vollzieht sich mitunter auch in der Weise, daß jene, welche die relativ größte Stimmenzahl errungen haben, den Gegenstand eines zweiten, ja selbst eines dritten Auswahlverfahrens bilden. Die Wahl der obersten Behörde, der „Gesetzeswächter", z. B. findet in folgender Weise statt. Wähler sind alle, die als Reiter oder Schwerbewaffnete ihrer militärischen Dienstpflicht genügt haben — eine Beschränkung, die an eine verwandte Bestimmung älterer oligarchischer Entwürfe erinnert. Sie wählen, nicht durch Händeschau, sondern mittelst schriftlicher, aber nicht geheimer Abstimmung, 300 Personen; aus diesen erfolgt durch den gleichen Wahlmodus eine Auslese von 100 und schließlich eine weitere von 37 Personen. Hier tritt uns auch ein anderweitig in Griechenland kaum nachweisbares Prinzip entgegen, nämlich neben der unteren, gar häufig vorkommenden, auch eine o b e r e A l t e r s g r e n z e . In das Kollegium der „Gesetzeswächter" darf niemand vor Vollendung des 50. Jahres eintreten, und seine Mitglieder müssen es nach Erreichung des 70. Jahres wieder verlassen. Nicht in ihrer Bestellungsweise, wohl aber in ihren Funktionen entsprechen der Rat, der Ratsausschuß (Prytanen), die Stadtwarte, Landwarte, Marktwarte und andere mehr im großen und ganzen den attischen Vorbildern. Es gibt Fälle, in welchem das Aufgebot all der oben erwähnten Vorkehrungen noch nicht als zulänglich erachtet wird, und in denen die Linie, welche „die Mitte zwischen Monarchie und Demokratie" einhalten soll, ganz nahe an moderne Einrichtungen heranreicht Volkswahl und Erlösung werden dann durch die E r n e n n u n g ersetzt. Diese vollzieht statt des mangelnden Monarchen die Gesamtheit der Behörden. So wählen diese, mit alleiniger Ausnahme der Ratsmitglieder, in geheimer Abstimmung, und zwar für die Dauer von nur 5 Jahren, den Inhaber des Amtes, welches Platon „das weitaus wichtigste unter den höchsten Staatsämtern" nennt. Es ist dies der Unterrichtsminister, der „Pfleger der gesamten männlichen und weiblichen Erziehung". Dieser muß mehr als 50 Jahre zählen, gleich den athenischen Strategen Vater legitimer Kinder und überdies einer der 37 Gesetzeswächter sein. An der der Wahl nachfolgenden Dokimasie oder Charakterprüfimg nimmt die Gesamtheit der zur Wahl berufenen Magistrats-

In den „Gesetzen" nur geringe Spuren der Dialektik wie· der Ideenlehre

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personen mit alleiniger Ausnahme der „Gesetzeswächter" (als der Körperschaft, aus welcher die Wahl erfolgt ist) teil — eine Einschränkung, für die es gleichfalls an attischen Parallelen nicht fehlt. Man sieht, Platon kann sich hier an umfassenden Kautelen nicht genug tun. Gilt es doch den Gegenstand, der in seiner Wertschätzung am höchsten steht, die Erziehung, und zwar die Erziehung nicht nur der Jugend, da der Unterrichtsminister zugleich der oberste Zensor aller Musik und Literatur ist. Die Erziehung aber, die im s i e b e n t e n Buche abgehandelt wird, ist es, die vor allem darüber entscheidet, ob der Mensch das „zahmste und gottähnlichste" oder ob er das „wildeste aller Lebewesen" wird. So geht denn auch die von den „Gesetzen" vorgeschriebene Jugendbildung über die gemeingriechische, nur die Elementarkenntnisse samt Poesie, Musik und Gymnastik umfassende, hinaus. Auch wird unbedingter Schulzwang für beide Geschlechter eingeführt; der ihnen gemeinsam erteilte Unterricht schließt neben der Kenntnis der Gesetze und ihrer Proömien auch die Anfangsgründe der Geometrie und Astronomie in sich, der letzteren vorzugsweise darum, weil irrige Vorstellungen von den Bewegungen der Himmelskörper angesichts der göttlichen Natur derselben als irreligiös gelten. Greift dieser Unterricht einigermaßen in jenen Bereich über, den wir dem Sekundarunterricht vorzubehalten pflegen, so fehlt es hingegen an allen Bestimmungen, nicht nur, wie auch im „Staate", über die Art, wie, sondern auch über das Ausmaß, in dem höhere Bildung gepflegt werden soll. Von der Dialektik insbesondere ist mit keinem Wort die Rede. Das kann uns nicht wundernehmen. Selbst der „Staat", in welchem dem Studium d.er Dialektik die größte Bedeutung beigemessen wird, hat es an Äußerungen schärfsten Mißtrauens gegen sie nicht fehlen lassen.1 Die Scheu vor der autoritätsfeindlichen Wirkung dialektischer Bildung, eine Scheu, an welcher die megarische Streitdialektik wohl einen erheblichen Anteil hat, ist dann mehr und mehr gewachsen. Sogar von dem Zauber, den die klassifikatorische Dialektik, die im „Sophisten", im „Staatsmann" und selbst noch im „Philebos" so mächtige Einteilungsfreudigkeit, auf Platon geübt hat, zeigen die „Gesetze" nur mehr geringe Spuren.2 Eben dieses gilt von der Ideenlehre selbst.3 Die Probleme der Begriffsforschung, die ein Hauptmotiv ihrer Entstehung gewesen waren, galten seit dem „Sophisten" als gelöst. Demgemäß ward der Umkreis der Ideen in vielleicht logisch nicht streng berechtigter, aber psychologisch begreiflicher Weise eingeengt. Dahin gehört es, daß Platon in den Jahren, da A r i s t o t e l e s seine Schule besuchte, die Ideen von Kunstprodukten, die der „Staat" kennt, fallen gelassen hatte (vgl. S. 391).* Schließlich trat ihm die Ideenlehre mitsamt der Dialektik ausschließlich in den Dienst des Naturverständnisses (vgl. S. 447 f.). Die Idee war für ihn, wie uns sein Schüler X e n o k r a t e s meldet, zur „vorbild-

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Der „nächtliche" Rat

liehen Ursache der ewigen Naturwesen" geworden. (Somit hatte, nebenbei bemerkt, die Theorie der „Vorbildlichkeit" über jene der „Anteilnahme" obgesiegt — vgl. S. 313, 334 u. 428 —, wie das nach der Erhöhung der Ideen zu Göttern nicht anders zu erwarten war.) Das ist, wie wir gesehen haben, die Rolle, welche der Doktrin von den Ideen im „Timäos" zufällt, wo der Demiurg die Dinge nach dem Muster der Ideen schafft. In dieser Phase seines Denkens hat sich Platon mit der Ableitung der Ideen als „Idealzahlen" aus mathematischen „Urprinzipien" beschäftigt, eine pythagore'isierende Spekulation, von der uns der „Philebös" wie der „Timäos" einige Spuren zeigt (vgl. S. 456 u. 476), deren Darstellung sich aber von jener ihrer Fortbildung durch Platons Schulnachfolger S p e u s i p p und X e n o k r a t e s nicht füglich trennen läßt.1 Ihr gesunder Kern liegt in der Ahnung, daß das Wesen der Dinge in mathematischen Gesetzmäßigkeiten beschlossen ist. Diese Wendung führt den Philosophen in den „Gesetzen" zu einer weiteren Folgerung. Nur der Mathematik und ihrer Anwendung in der Astronomie wird eigentlicher Bildungswert zuerkannt, außerdem' höchstens noch der kaum in ihren Anfängen vorhandenen Rechtswissenschaft.2 Wie der athenische Archon nach Vollendung seines Amtsjahres in den Areopag eingetreten ist, so gehört der „Unterrichtspfleger" nach seinem Amtslustrum dem Rate an, welchen Platon den „nächtlichen" genannt und im z w ö l f t e n Buche eingehend besprochen hat. Dieser, ein Mittelding zwischen einer wissenschaftlichen Akademie und einer obersten Aufsichts- und Gesetzgebungsbehörde, sollte sich alltäglich in den frühesten Morgenstunden zur Erörterung staatlicher sowohl als wissenschaftlicher Anliegen versammeln. Die übrigen Mitglieder dieses hohen Rates sind jene Priester, welche Tugendpreise gewonnen haben, die zehn ältesten „Gesetzeswächter" und der jeweilige „Unterrichtspfleger". Für den erforderlichen Nachwuchs sorgt die Bestimmung, daß jedes dieser bejahrten Mitglieder sich mit Zustimmung der übrigen einen jüngeren, im Alter von 30—40 Jahren stehenden Beirat zugesellen darf. Hat sich diese Körperschaft auch mit Reformen auf Grund von Erfahrungen zu befassen, die Reisende in fremden Ländern gemacht und über die sie dem Rate berichtet haben, so ist doch dessen Hauptaufgabe, wie schon das hohe Alter der ihm zugehörigen Gesetzeswächter zeigt, eine konservative. Denn, so befremdlich es uns dünken mag, Platons ausdrückliche Erklärungen und überdies die außerordentliche Strenge, mit welcher er Neuerern entgegentritt, lassen keinen Zweifel darüber bestehen, daß er die Einrichtungen des in den „Gesetzen" geschilderten Staates im wesentlichen für endgültig und einer Verbesserung nicht bedürftig gehalten hat.

Eine temperierte Regierungsform die beste von allen

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4. Dieser Ultrakonservativismus, die dunkelste Schattenseite der „Gesetze", soll uns gegen ihre Lichtseiten nicht blind machen. Sobald Platon, durch reiche und schwere Lebenserfahrungen belehrt und vom Sanguinismus seiner Jugend spät verlassen, an der Ausführbarkeit seines Ideals der unumschränkten Philosophenherrschaft irre ward, blieb ihm nichts übrig, als sein Interesse dem „Zweitbesten" des „Staatsmanns", einer verfassungsmäßig geregelten Regierung, zuzuwenden. Dieselbe reiche Lebenserfahrung hatte ihn jedoch im Verein mit geschichtlichen Betrachtungen die eigentümlichen Unvollkommenheiten aller Verfassungsformen sattsam erkennen lassen und ihn zu der Einsicht geführt, in der wir die reifste Frucht seines Nachdenkens über staatliche Dinge überhaupt erblicken: zur Erkenntnis, daß nur in der M i s c h u n g der Verf a s s u n g s f o r m e n das politische Heil zu suchen ist.1 Dieses Ziel kann vorerst durch das Zusammenbestehen und Zusammenwirken voneinander unabhängiger Machtfaktoren, d. h. durch eine gemischte Verfassung in jenem Sinne erreicht werden, in welchem (wie schon bemerkt) Sparta im Altertum und Großbritannien in der Neuzeit das Muster einer solchen aufgewiesen hat. Eine derartige Verfassung ist ein Erzeugnis geschichtlicher Prozesse; sie stellt ein Kompromiß dar zwischen verschiedenen Machtfaktoren, von denen die einen in einer ihre Macht steigernden, die anderen in einer sie herabmindernden Entwicklung begriffen sind. Allein eben darum kann solch ein Kompromiß nur ein zeitweiliges sein, und es läßt sich vor allem nicht dorthin übertragen, wo es an seinen historischen Voraussetzungen fehlt. Der Typus einer derartigen Mischverfassung, die konstitutionelle Monarchie, führt im Laufe der Zeit entweder, infolge eines gelegentlichen Rückschlags, wieder zur Stammform, dem gar nicht oder wenig beschränkten Königtum, zurück, oder sie entwickelt sich durch das Erstarken der Volksmacht zur streng parlamentarischen Monarchie. Diese mag ungemein segensreich wirken, aber die Kraft ihres Widerstandes gegen ihr feindliche Tendenzen wird im Laufe der Zeit zweifellos vermindert. Man denke sich das streng parlamentarische Regiment, dessen sich England gegenwärtig erfreut, durch mehrere Jahrhunderte verlängert, und sein Daseinsgrund ist geschwunden. Denn ein auf die Dauer kaum entbehrliches Element der Monarchie, das Prestige des Herrscherhauses, stammt zumeist aus der Zeit seiner einstigen unumschränkten oder wenig beschränkten Machtfülle und verblaßt in dem Maße, als der Besitz dieser Machtfülle einer fernen und immer ferneren Vergangenheit angehört. Wir mußten diese Erwägungen anstellen, um auf das hinweisen zu können, was uns als der keimkräftigste Kern der in den „Gesetzen" dargelegten politischen Doktrin erscheint. Der Satz, daß eine temperierte Regierungsform die beste von allen ist, büßt seine Wahrheit und seinen Wert auch dort nicht ein, wo es an jener glücklichen Vereinigung ge-

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Die Wahl der „Zensoren"

schichtlicher Zufälle gebricht, welche die im eigentlichen Sinne gemischten Verfassungen hervorbringt. Selbst wenn e i n politischer Machtfaktor zum alleinherrschenden geworden ist, wenn er nicht mehr an anderen Machtfaktoren irgendeine Schranke findet, selbst dann ist seine Temperierung ebenso möglich als ersprießlich. Bewirkt aber wird diese durch die Formen der Verfassung, durch die Zügel, welche der Souverän — sei es nun ein Monarch oder die Volksmasse — sich selber anlegt. Das ist die Gestalt der Verfassungsmischung, die Platon in den „Gesetzen" anstrebt. Alle Gewalten gehen hier vom Volke aus; aber durch eine Fülle sinnreicher Veranstaltungen hindert das Volk sich selbst, diese seine Vollgewalt zu mißbrauchen. Es verzichtet so gut als vollständig auf jede unmittelbare Herrschaft; aus mannigfachen und kunstvoll gegliederten Wahlsystemen geht eine kräftig organisierte Beamtenschaft hervor, die eine zwar durchaus abgeleitete, aber darum nicht minder wirksame Macht ausübt. Wir glauben nicht zu irren, wenn wir in diesem Betracht das Staatsideal der „Gesetze", dieses Ideal grundsätzlich aufgefaßt und von den ultrakonservativen Tendenzen seines Urhebers abgelöst, als ein bedeutsames Vorbild auch für die Gegenwart und Zukunft der Menschheit beurteilen. Seinen kühnsten Flug nimmt Platons Erfindungsgeist dort, wo es das höchste politische Ziel gilt. Ein Kollegium ist mit der obersten staatlichen Kontrolle betraut. Diesen „ Z e n s o r e n " wird die Befugnis erteilt, alle anderen Beamten anzuklagen; sie sind somit die „Herrscher der Herrscher", und nur die allerbesten Männer sollen zu dieser verantwortungsvollen Aufgabe berufen werden. Hier wendet Platon einen Wahlmodus an, den wir Eliminationswahl nennen möchten. Die Wahl wird von der gesamten Bürgerschaft vollzogen. Sie erfolgt schriftlich, jedoch nicht geheim. Drei Männer sind jedes Jahr in das Zensorenkollegium zu wählen, aber nur einem — und zwar jedem mehr als fünfzig (aber weniger als fünfundsiebzig) Jahre alten Bürger, nur sich selbst nicht — darf der Wähler seine Stimme geben. Die zuerst Gewählten werden nach Maßgabe der von ihnen erlangten Stimmenzahlen in eine Reihe geordnet. Dann erfolgt eine Auslese. Unter jenen, welche die obere Hälfte dieser Reihe bilden, wird eine engere Wahl vorgenommen und dieser Prozeß wird so oft wiederholt, bis alle Stimmen unter nicht mehr als drei Kandidaten verteilt sind.1 Das also erzielte Ergebnis ähnelt, wie man sieht, einigermaßen demjenigen, welches die modernsten Reformen der Wahltechnik, die Proportionalwahl und die Minoritätsvertretung, erstreben. Keine Stimme geht verloren; die Gewählten sind die Erkorenen nicht irgend einer Mehrheit, sondern der Gesamtheit; auch die schriftliche, aber nicht geheime Stimmenabgabe entspricht der Forderung Thomas H a r e s , des Hauptinitiators dieser Reformbewegung. Der Wahlmodus ist, genauer gesprochen, eine Kombi-

Platans Strafrecht

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nation von obligater Stichwahl mit dem Prinzip des vote unique (Jedermann gibt seine Stimme nur für Einen ab, wenngleich im Wahlbezirke mehrere Mandate zu vergeben sind). Platons Absehen ist auf die von den modernen Neuerern gleichfalls, wenngleich nicht in erster Reihe, erstrebte vorzügliche Qualität der Erwählten gerichtet. Es sollen Männer „von wunderbarer Tugend" erlesen werden; jedenfalls werden aus der also geregelten Wahl1 im schlimmsten Falle die Häupter dreier gleich gewichtiger Parteien, wahrscheinlich aber (da eine Spaltung dieses Gemeinwesens in solche Parteien wenig wahrscheinlich ist) die am höchsten geachteten Männer des allgemeinen Vertrauens hervorgehen. Da es deren jederzeit mir sehr wenige gibt, so sollen niemals mehr als drei gewählt werden. Bei der ersten nach Gründung der Kolonie stattfindenden Wahl sind es diese drei, welche zunächst zwölf Zensoren ernennen: in Hinkunft soll die alljährlich erfolgende Wahl von drei neuen Mitgliedern die Abgänge annähernd ausgleichen, die das Kollegium durch Tod und Überschreitung der oberen Altersgrenze — 75 Jahre — erfahren hat. 5. Einen Zug von so starker Originalität sucht man in Platons S t r a f r e c h t , dessen Darlegung das n e u n t e Buch gewidmet ist, vergebens. Es zeichnet sich vor allem durch vielseitige Erfassung d,es Strafzwecks aus.1 Der „Gorgias" hatte nur e i n e n solchen, den der Besserung oder Heilung, gekannt (vgl. S. 262 f. und S. 279); die Absicht der Abschreckung legt im „Protagoras" dieser Sophist in einer halbparodistischen Rede der Strafdrohung unter (vgl. S. 247). Beide Strafzwecke und neben ihnen der der Unschädlichmachung werden in den „Gesetzen" ausdrücklich anerkannt und deutlich gesondert. Doch klafft hier wie anderwärts oft ein tiefer Spalt zwischen den Grundsätzen und ihrer Anwendung. Wer würde nach diesen höchst rationellen grundsätzlichen Darlegungen erwarten, in den „Gesetzen" der grellen Unvernunft der Tierprozesse, der Verurteilung lebloser Gegenstände und verwandten Zugeständnissen an primitive Neigungen der Volksseele zu begegnen? Allein so steht es in diesem Werke mehrfach. Die Macht des Herkömmlichen und Altgewohnten zeigt sich im einzelnen oft erheblich stärker als jene der selbsterrungenen Einsichten. So vor allem in der Behandlung des Sklavenstandes. Daß Sklaven den Freigeborenen nicht selten an Trefflichkeit überlegen sind, daß sie bisweilen den Herren mehr Treue und Aufopferung erwiesen haben als selbst Brüder und Söhne, wird unbedenklich eingeräumt. Das hindert aber nicht, daß dasselbe Vergehen — so die unterlassene Anzeige gegen den Entwender eines vergrabenen Schatzes — an einem Freien überaus glimpflich, am Sklaven hingegen mit der äußersten Härte geahndet wird, trotz der naheliegenden Erwägung, daß die abhängige Lage des Sklaven solch eine Anzeige, die sich ja schließlich als grundlos erweisen kann, für ihn ungleich gefahr-

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Die Familienordnung der „Gesetze"

voller macht als für den Freien und ihm daher weit eher eine mildere als eine strengere Behandlung sichern sollte. Vom R i c h t e r wird verlangt, daß er an der Untersuchung aktiven Anteil nehme; die Fällung des Verdikts durch „stumme Richter", d. h. durch solche, die gleich den attischen Geschworenen nur das Urteil fällen, ohne sich an der vorhergehenden Untersuchung selbsttätig beteiligt zu haben, wird wiederholt und nachdrücklich verpönt.1 Auch verlangt Platon in vielen Fällen die Handhabung des Rechtes durch „ausgewählte" Richter, desgleichen die Steigerung der Verantwortlichkeit jedes einzelnen Richters durch offene Abstimmungen, ferner die Schaffung eines Appellhofes, worin ihm H i p p o d a m o s vorangegangen war (vgl 14340). Als eine Neuerung Platons darf die Einführung langfristiger Gefängnisstrafen gelten, während das gemeingriechische Recht nur die Verwahrungshaft, die Schuldhaft gegen säumige Staatsschuldner und die Verschärfung der Geldbußen durch Gefängnisstrafe für kurze Fristen und in wenig zahlreichen Fällen gekannt hat. Dieses Strafmittel diente Platon augenscheinlich als Ersatz für andere, von ihm verworfene Strafarten, zu welchen die Atimie, die von ihm grundsätzlich mißbilligte, wenngleich in einzelnen Fällen, zumeist im Gefolge des Sühneprinzips, wieder zugelassene Verbannung und vor allem die Vermögenskonfiskation gehört, welche letztere der von der Sozialpolitik der „Gesetze" erheischten ungeschmälerten Erhaltung der Familien-Landlose widersprach. An der Spitze des Z i v i l r e c h t s steht die (teils im s e c h s t e n , teils im e l f t e n Buche geregelte) F a m i l i e n o r d n u n g . Daß wieder von einer solchen im eigentlichen Sinne die Rede sein kann, hängt mit der veränderten Gliederung der Gesellschaft zusammen. Die Bürgerschaft der „Gesetze" bildet ein einheitliches Ganze und nimmt eine Mittelstellung zwischen den zwei Ständen des „Staates" ein. Sie ähnelt insofern der Massenaristokratie Spartas und Kretas. Ihr Lebens- und Bildungsniveau ist einigermaßen niedriger als jenes der „Wächter", aber beträchtlich höher als das der „Gewerbetreibenden" des „Staates". Mit dem Wegfall der herrschenden Klasse ist deren Familien- nicht weniger als ihr Vermögens-Kommunismus beseitigt (vgl. S. 497). Anstatt der Zeit- oder Kinder-Ehe wird wieder die Dauer-Ehe zur allgemeinen Norm erhoben. Sie ist auflöslich, und zwar nicht nur im Falle der Kinderlosigkeit und ferner infolge eines ernsten Verschuldens, sondern auch auf Grund der Unverträglichkeit der Temperamente. Den geschiedenen Gatten, die noch nicht die erforderliche Zahl von Kindern „für das Haus und den Staat" erzeugt oder geboren haben, wird Wiederverehelichung nicht nur gestattet, sondern geboten. Seinen Kindern eine Stiefmutter zu geben, widerrät aber — nach dem Vorgang des C h a r o n d a s — der Gesetzgeber.2 Die geschiedene Frau soll auch dann wiederverheiratet werden, wenn sie zu jung ist, um ein eheloses Leben ohne

Ihre Strenge in der Behandlung sexueller Fragen

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Schaden für ihre Gesundheit zu ertragen. Von der eigenen Neigung der Mädchen und Frauen ist weniger die Rede, als man bei dem Vorkämpfer der Frauenemanzipation erwarten sollte. Auch in betreff der Verheiratung einer Erbtochter mit dem nächsten Verwandten schließt sich Platon den gemeingriechischen, durch die Gesetzgebung von Athen und Gortyn gleichwie durch C h a r o n d a s vertretenen Nonnen an. In der Behandlung sexueller Fragen überhaupt bekunden die „Gesetze" nicht nur im Vergleich mit Platons älterem Verfassungsentwurf, sondern auch im Fortgang jenes Werkes selbst die Tendenz einer stetig wachsenden Strenge. Im „Staate" wurde dem Krieger unter anderen Belohnungen hervorragender Tapferkeit auch das Recht auf Liebkosungen eingeräumt, denen sich kein Mitkämpfer und keine Mitkämpferin entziehen durfte.1 Desgleichen ward jener höheren Lebensstufe, der das „Erzeugen für den Staat" nicht mehr als Pflicht zukommt, geradezu Liebesfreiheit eingeräumt. Ganz anders in den „Gesetzen". Die zuletzt genannte Freiheit wird an einer Stelle des 6. Buches ausdrücklich widerrufen; aber solch einer Regelwidrigkeit wird freilich noch immer eine glimpfliche Beurteilung zuteil. An einer Stelle des 8. Buches hingegen wird jede Art des vor- und außerehelichen Umgangs scharf verurteilt. „Unendliche Vorteile", insbesondere eine außerordentliche Steigerung des Vertrauens r.r.d der Hingebung der Ehefrauen, werden von der Einführung der strengeren Satzung erwartet. 2 Dem Einwand, daß die Höhe dieser Forderungen der Menschennatur unerreichbar sei, begegnet der Hinweis auf die Macht der öffentlichen Meinung, von deren Stärke dort, wo sie wirklich eine einstimmige ist, man kaum hoch genug denken könne. Es verdient überdies bemerkt zu werden, daß der Verfasser der „Gesetze" die Abstinenz nicht nur predigt, sondern auch der Erreichung dieses Zieles förderliche Mittel namhaft macht. Schon der beiden Geschlechtern gemeinsame Schulunterricht, desgleichen ihr Zusammenwirken in allen Lebensstellungen war an sich dazu angetan, den Sexualgefühlen viel von ihrer Schärfe zu nehmen. Noch augenscheinlicher dient diesem Zwecke die Empfehlung des zwanglosen Verkehrs von Jünglingen mit Mädchen in einer wenig verhüllenden und darum die Lüsternheit nicht herausfordernden Kleidung. Endlich und hauptsächlich wird die sorgsame Ausbildung und Schonung des Schamgefühls, welches der geschlechtlichen Begierde die Nahrung entzieht und ihre Entfesselung nur selten zuläßt, diesem Zwecke ausdrücklich dienstbar gemacht. Schließlich sei bemerkt, daß die in früheren Dialogen so nachsichtig behandelte Knabenliebe, wahrscheinlich unter dem Einfluß kynischer Vorgänger, um ihrer „Naturwidrigkeit" willen und zugleich nicht ohne Rücksicht auf die bereits rege gewordene Befürchtung der Entvölkerung, in den „Gesetzen" die alleremphatischeste Verurteilung erfährt. Nur die am meisten geläuterte, ausschließlich auf ein „ästhetisches \Vohlgefallen" an der Körper-

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Die neue Staatsreligion

Schönheit beschränkte Form derselben wird gebilligt; den „Seelenzustand des zwischen sinnlichen und geistigen Regungen schwankenden Liebenden" hingegen, einen Zustand also, der im „Phädros" und im „Symposion" „als der Urquell heilsamster Verzückungen" bezeichnet worden war, „verdammen — wie ein geschätzter Vorgänger mit Recht bemerkt hat — die ,Gesetze' auf das strengste". Von vermögensrechtlichen Bestimmungen ist bereits mehrfach die Rede gewesen. Der Erwähnung wert ist die Einschränkung der Verfügungsfreiheit (vgl. S. 497), auch der letztwilligen, die durch Platons auf unversehrte Bewahrung des Familienbesitzes gerichtetes Streben bedingt ist. Das Handelsrecht ist vom Geiste des Mißtrauens erfüllt (feste Preise, kein Feilschen, keinerlei Reklame!). Mit Liebe und Ausführlichkeit, aber ohne hervorstechende Originalität verbreitet sich die Gesetzgebung über alles, was mit dem Landbau zusammenhängt, auch über die Bienen- und Obstzucht, über Fragen des Wasserrechtes, über die Streitfälle, die aus dem Verhältnis der Nachbarschaft entspringen. 6. Im Z i v i l p r o z e ß der „Gesetze" ist kaum etwas anderes so bemerkenswert als die Beseitigung des Parteieneides in all den Fällen, in welchen derselbe der Partei einen Nutzen zu gewähren oder einen Schaden von ihr abzuwehren geeignet ist. Das Merkwürdigste an diesem Verbot ist aber seine Begründung, nämlich der Hinweis aui die weitverbreitete, den Meineid begünstigende Glaubenslosigkeit des Zeitalters.1 Man ist erstaunt, hier Platon so kleinmütig zu finden. Gilt seine Gesetzgebung doch einer Bürgerschaft, die unter dem Zwange der straffsten pädagogischen Normen herangewachsen und das ganze Leben hindurch vor allen schädigenden Einflüssen auf das ängstlichste behütet sein wird. Und trotzdem diese dringende Besorgnis vor dem Miasma des U n g l a u b e n s ! Es ist das der große Feind, gegen welchen anläßlich der Besprechung der Religionsirevel ein ganzes Buch (das z e h n t e ) hindurch gestritten wird. D r e i A r t e n der H ä r e s i e werden unterschieden: die einen glauben nicht an das Dasein der Götter, andere glauben nicht an ihre fürsorgliche Wirksamkeit, wieder andere glauben nicht an ihre Unbestechlichkeit, mit anderen Worten, sie glauben an die Möglichkeit, die Gunst und die Nachsicht der göttlichen Wesen durch Handlungen der Werkheiligkeit zu erringen. Mit dem Aufgebot seiner ganzen Beredsamkeit und nicht minder mit jenem der schwersten Strafandrohungen bemüht sich der Verfasser der „Gesetze", die von ihm befürwortete religiöse Gesinnung zu verbreiten und zu schirmen. Diese stimmt mit der Volksreligion keineswegs vollständig überein; aber die Unterschiede, die beide trennen, werden dort, wo sie nicht von moralischem Belange sind, eher verdeckt als geflissentlich hervorgehoben. Die neue Staatsreligion — denn um die Gründung einer solchen unter

Widerlegung der drei ihr entgegengesetzten Häresien

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strengster Verpönung aller Privatkulte, auch der orphischen, handelt es sich — wird soweit als möglich in das Gewand der alten gehüllt. Neben der obersten Gottheit erscheinen in sehr großer Zahl die Einzel-, allen voran die Sterngötter. Der Hauptbeweis für das Dasein des Göttlichen wird durch seine Zurückführung auf das Seelische vorbereitet und auf die Priorität alles Seelischen vor dem Körperlichen gegründet. Die Durchmusterung aller Bewegungsarten führt zu dem Schlüsse, daß das einzige sich selbst Bewegende die Seele sei, während alles andere den Anstoß zu seiner Bewegung von außen empfange. Mit dieser Lehre greift Platon auf den „Phädros" zurück (vgl. S. 346), und durch sie glaubt er allem Materialismus und der gesamten früheren Naturphilosophie den Garaus zu machen. Daß es aber die beste aller Seelen ist, v/elche die Welt bewegt und lenkt, das soll der Hinweis auf die Wohlordnung des Universums erhärten. Hier berührt sich Platon eng mit A n a x a g o r a s , dem er jedoch alsbald wieder feindlich gegenübertritt. Denn auf ihn und seine Anhänger zielt das Wort, es gebe Weise, denen Sonne, Mond, Erde und Gestirne nicht als Götter, sondern als leblose „Steine" gelten, und die in jenem Argument nichts anderes erblicken als „einen zum Behuf bloßer Überredung zurecht gemachten Redebrei". Auch an des Anaxagoras Jünger A r c h e l a o s scheint Platon dort zu denken, wo er der Unterscheidung von „Natur" und „Satzung" und ihrer Verwendung im Dienste der Kritik oder, wie er meint, der Skepsis Erwähnung tut (vgl. I " 333 f.). In ähnlicher Absicht hatte er schon in einem der früheren Bücher der „Gesetze" P i n d a r s Wort von der „Satzung als der Beherrscherin aller Menschen" aufs Korn genommen (vgl. P335).1 Die zweite sowohl als die dritte Häresie wird zuvörderst mit Argumenten bekämpft, die aus der moralischen Beschaffenheit der Götter ihre Kraft ziehen. Sobald Güte als der Grundzug ihres Wesens anerkannt und ihre Macht nicht in Zweifel gezogen wird, könnte, wenn sie es trotzdem an Fürsorge für das Wohlergehen der Geschöpfe fehlen ließen, dies nur in ihrem Leichtsinn oder in ihrer Trägheit seinen Grund haben — Eigenschaften, die sie tiefer stellen würden als selbst halbwegs tüchtige Menschen. Die dritte der Ketzereien endlich setze voraus, daß die göttlichen Wesen durch Opfergaben dazu bestimmt werden, strafbare Handlungen ungestraft zu lassen, daß sie also um eines Vorteils willen die ihnen obliegende Pflicht versäumen. Dann würden sie Steuermännern gleichen, die sich durch fette Bissen oder durch reichen Weingenuß dafür gewinnen lassen, das ihnen anvertraute Schiff und seine Insassen zu verderben, oder Wagenlenkern, die, vom Gegner bestochen, ihren Herrn verraten und jenem zum Sieg im Wagenrennen verhelfen, oder sogar den durch einen Beuteanteil ihrer Wächterpflicht abspenstig gemachten Hunden (vgl. S. 494).

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Platans Stellung sum Willensproblem

Kehrt diese Argumentation, oder vielmehr diese Kette von Annahmen, ihre Spitze gegen die Volksreligion, so ist die Bestreitung der zweiten Häresie gegen die Konsequenzen einer Denkweise gerichtet, die in der wissenschaftlichen Welt bereits die Oberhand gewonnen hatte. Die Gottheit als Urquell des Weltgeschehens anzusehen, dieses aber allen göttlichen Sondereingriffen entrückt zu glauben — diese Ansicht war z. B. in den aufgeklärten ärztlichen Kreisen offenbar die herrschende. Man denke an die sie zusammenfassende Formel: „Alles ist göttlich und alles ist menschlich" (vgl. I * 258). Ihrem Einfluß hat sich auch Platon nicht entzogen. Er ringt, so darf man wohl sagen, nach dem Aufbau einer Weltansicht, welche die Moral ihres göttlichen Schutzes nicht berauben und die zugleich mit einem Minimum von göttlichen Eingriffen — wenn nicht ohne alle solche — das Auslangen finden soll. So glauben wir eine Erörterung verstehen zu müssen, die vielleicht nicht bloß durch die Schuld der Textesüberlieferung in manche Dunkelheit gehüllt ist.1 Dem Zweifler an der göttlichen Gerechtigkeit, der in dem so häufigen Triumph des Unrechtes jeden Reflex derselben vermißt, wird mit dem Hinweis auf die Enge seines Gesichtskreises geantwortet, dem sich der Zusammenhang des Weltenplans entzieht. Auf das Wohl des Ganzen, nicht auf das jedes Teils und jedes Teilchens, sei das Absehen der Gottheit gerichtet; der Teil sei um des Ganzen, nicht das Ganze um des Teiles willen vorhanden; von eben dieser Gesinnung werde das Verfahren des Arztes und jedes kundigen Werkmeisters geleitet. Hierin allein liegt schon eine leise, aber vernehmliche Hindeutung auf Grenzen der göttlichen Macht (vgl. S. 362 und 475 f.), die in der alsbald folgenden Vergleichung Gottes mit einem Brettspieler zu noch bestimmterem Ausdruck kommt. Denn ein solcher vermag ja die Brettsteine nicht zu verändern, sondern nur zu versetzen. Nun sei zwar die Menschenseele nicht unveränderlich, die Ursachen ihrer mannigfachen Wandlungen aber lägen in ihr selbst und in der Einwirkung anderer Seelen. Für die Gottheit erübrige demnach nichts anderes als — und zwar, so scheint Platon sagen zu wollen, nicht durch einen Spezialeingriff, sondern der ein für allemal festgesetzten Naturordnung gemäß — die besser gewordene Seele an einen besseren, die schlechter gewordene an einen schlechteren Ort zu versetzen; wobei sowohl an ihre wechselnde Verbindung mit Menschen- und Tierleibern als an ihren Aufenthalt in den Straforten der Unterwelt gedacht wird. In dieser Erörterung wird das W i l l e n s p r o b l e m gestreift, und einzelne Wendungen können den Schein erwecken, als sei Platon ein Vertreter der indeierministischen Ansicht.2 Genauerer Überlegung hält jedoch dieser Schein nicht stand. Die intellektualistische Willenslehre des S o k r a t e s, die Platon so lange festhielt und deren Formel („Niemand fehlt freiwillig") er niemals aufgab, ist nicht nur Determinismus, sondern Determinismus einer eng umschriebenen Art. Denn danach wird

Strafsanktionen

zum Schütze der Rechtgläubigkeit

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der Wille nicht nur allezeit durch Motive, sondern auch stets durch eine besondere Gattung von Motiven, durch Einsichten oder Erkenntnisse, bestimmt. So sehr nun auch Platon sich in den Werken seiner Spätzeit von diesem Ausgangspunkt entfernt hat, und nirgendwo mehr als in den „Gesetzen", wo neben der „Unwissenheit" als Quelle von Verfehlungen sogar ausdrücklich die von Sokrates geleugnete „Willensohnmacht" (akräteia) auftaucht: ein ursachloses Handeln wird darum der Seele doch niemals zugeschrieben; vielmehr werden ihre Willenshandlungen auf ihre Beschaffenheit zurückgeführt und diese wird zwar für eine wandelbare, aber nicht für eine sprunghaft oder ohne zureichenden Grund wechselnde erklärt. Auch dort, wo der Begriff der Freiwilligkeit einer eindringenden Prüfung unterzogen wird, führt diese nur zur Identifizierung des freiwilligen mit dem absichtsvollen Handeln. Für die Verantwortung des Totschlägers A — so dürfen wir Platons Gedanken umschreiben — macht es den denkbar größten Unterschied, ob er B absichtlich oder unabsichtlich getötet hat. Allein auch die Absicht der Tötung, die verbrecherische Absicht selbst, ist einer schon vorher bestehenden verderbten Willensbeschaffenheit entsprungen. Damit dfe Tat ihrem Urheber zugerechnet werde, ist es keineswegs erforderlich, daß dieser jene Willensbeschaffenheit selber erzeugt oder gewählt habe. Ja er kann sie nicht mit Vorbedacht gewählt haben, so wenig als jemand die Krankheit der Gesundheit vorzieht. Der letzte Vergleich darf freilich ein unzutreffender heißen, da er der mangelhaften Unterscheidung zwischen Sozial- und Individualmoral entsprungen ist (vgl. S. 58 ff.). Es ist jedoch hoher Anerkennung wert, daß Platon sich von einer bis in die Gegenwart herabreichenden Verwirrung freigehalten und die Strafe überall dort für berechtigt erachtet hat, wo sie auf den, von welchen Faktoren immer geformten Willen des Übeltäters heilend einzuwirken oder andere von gleicher Verfehlung abzuhalten geeignet ist. 7. Den theologischen Argumenten folgen die dem Schütze der Rechtgläubigkeit dienenden S t r a f s a n k t i o n e n . Und groß ist diesen gegenüber unsere Betroffenheit. Dem aufmerksamen Leser ist der schmale Grenzrain nicht entgangen, der manche von Platon selbst zeitweilig oder dauernd gehegte Meinungen von den Häresien trennt, die er in den „Gesetzen" so eifervoll bestreitet. Die „Idee des Guten" ist sicherlich keine persönliche Gottheit, und dennoch bildet sie im „Staate" den krönenden Gipfel aller Wesenheiten (vgl. S. 377). Im Prinzip der „Notwendigkeit", in jenem der „erratischen Bewegung", in der „bösen Weltseele", in ihnen allen liegen ebenso viele Schranken der göttlichen Machtvollkommenheit (vgl. S. 475 f.). Zwischen der Anerkennung solcher Machtschranken und der zweiten Häresie, dem Zweifel an zulänglicher Fürsorge der Götter für die Menschen, gähnt wahrlich kein unausfüll-

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Das Alter hat Platon zugleich milder und härter gemacht

barer Abgrund. Auch der Umstand, daß die dritte der Häresien, der Glaube an die begütigende Gewalt des Opfers und des Gebets, der Volksreligion nicht widerspricht; daß Platon in diesem Betracht, desgleichen mit der herben Kritik, welche die gangbare Mythologie im „Euthyphron", im „Staat" und sogar in den „Gesetzen" erfährt (vgl. S. 287 und 362 f.), selbst als vermessener Neuerer auftritt, endlich die Erinnerung an das seinem Meister bereitete Schicksal — all das hätte ihn, so sollte man denken, einigermaßen zur Vorsicht veranlaßen, es hätte ihn davor bewahren können, seine eigene spät errungene letzte Ansicht von den göttlichen Dingen unter den Schutz erbarmungsloser Strafbestimmungen zu stellen. Allein es ist anders gekommen. Das Greisenalter hat auf den Philosophen eine zwiefache Reihe von Wirkungen geübt. Man möchte an zwei benachbarte Quellen denken, die ihre Fluten in entgegengesetzte Weltrichtungen entsenden. Das Alter hat Platon zugleich milder und härter gemacht, als er jemals zuvor gewesen ist! Sprechen wir zuvörderst von der ersteren dieser Wirkungen. Die Tendenzen, die wir für Platons letzte Phase überhaupt bezeichnend fanden, erreichen in den „Gesetzen" ihre Höchststärke. „Sein Geist und sein Herz — so durften wir (S. 447) anläßlich des ,Sophisten* sagen — gewinnen stärkeren Anteil an Einzeldingen, Einzelwesen, Einzelprozessen." Das zeigt sich jetzt im Bereiche der Gesetzgebung. Nichts gilt ihrer regelnden Fürsorge als zu geringfügig: von der Kinderpflege und dem Kinderspielzeug angefangen bis zur gleichmäßigen Ausbildung der linken und der rechten Hand, von Jagd und Fischfang bis zu den verschiedenen Arten des Tanzes, und von diesen bis zu den Minutien der Bau-, der Markt- und der Begräbnisordnung. Von dem Wert der Menschen und des Menschenlebens denkt Platon nicht höher als vordem; weit eher das Gegenteil. Enthalten doch die „Gesetze" in dieser doppelten Rücksicht Äußerungen des auffälligsten Pessimismus. Aber das Los der Masse beschäftigt ihn ungleich nachhaltiger als im „Staate". Er will sein Staatsund Gesellschaftsideal freilich weniger rückhaltlos verwirklichen, aber er beschränkt diese Verwirklichung nicht mehr auf eine auserlesene Minderheit. Das heroische Lebensideal hat einem in vielen Stücken humaneren Platz gemacht. So wird die ärztliche Behandlung chronischer Krankheiten nicht mehr verpönt; warme Bäder inmitten schöner Parkanlagen sollen die matten Glieder der Greise erfrischen helfen. Eine allgemeine Annenversorgung wird geplant; kein Einziger, sei er ein Freier oder ein Sklave, soll der äußersten Notlage anheimfallen dürfen. 1 Das illusionsireie Auge des Greises, das Herz, das schon so oft enttäuscht ward, und um so öfter, je Größeres es ersehnt hatte, sie sind dazu angetan, gegenwärtige und kommende Übel deutlich wahrzunehmen, ängstlich zu erspähen und tief zu empfinden. Ist darum dem Alter oft zaghafter Kleinmut eigen, so nahm dieser Seelenprozeß bei

Triumph der „Misologie" und Mißachtung

der Individualität

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Platon eine anders geartete Wendung. Gewaltige schriftstellerische Erfolge, der Verkehr mit einem stets ausgedehnteren Kreis bewundernder Jünger mußten seine Zuversicht stärken und mochten, der Erinnerung an mancherlei innere Wandlungen zum Trotz, den Zweifel an der eigenen Unfehlbarkeit ersticken. So wird er in der Wahl der Kampfmittel gegenüber dem, was ihm als gemeingefährlich und verwerflich gilt, immer skrupelloser und trägt schließlich kein Bedenken, die Irreligiosität, die Neuerungssucht, ja sogar den Gegenstand seiner alten und durch den Ablauf der Jahre vertieften Antipathie, die Rhetorik und das Advokatentum, mit dem Richtschwert zu bekämpfen. Doch indem wir das Feld, auf dem diese Unduldsamkeit sich tummelt, überblicken, drängt sich uns eine Wahrnehmung auf, die nicht jeder Bedeutung entbehren mag. Es sind bloß die drei letzten Bücher der „Gesetze" (X—XII), die uns von dieser Richtung des platonischen Geistes Kunde geben. Wir möchten vermuten, daß hierin kein Zufall waltet. Der Triumph der im „Phädon" so eifrig und erfolgreich abgewehrten „Misologie" (vgl. S. 336) mag nicht dem Greisenalter Platons schlechtweg, sondern nur dessen höchster Stufe, seinen allerletzten Lebensjahren, angehören. Daß erst der Tod den Achtzigjährigen von schriftstellerischer Arbeit abrief, wird uns gemeldet; und daß diese Arbeit den „Gesetzen" galt, bezeugt ihr unfertiger Zustand. So dürfen wir uns vielleicht dem Glauben hingeben, daß es die Verknöcherung des Ur-Alters allein ist, welche diesen Sieg der Unduldsamkeit bewirkt hat. E i n Umstand scheint diese Mutmaßung zu bekräftigen.1 Hart neben den Bluturleilen, die über unbelehrbare Freidenker, über Vorkämpfer staatlicher Neuerungen, die keine Umsturzmänner zu sein brauchen, ja sogar (mindestens im Wiederholungsfalle) auch über rechthaberische, ihre Kunst wirklich oder scheinbar mißbrauchende Anwälte gefällt werden — hart neben alle dem treffen wir auf eine Mißachtung der Individualität, auf eine Gleichgültigkeit gegen jede Art der persönlichen Initiative, ja auf eine Geneigtheit, die Seelen zu knechten, die unser äußerstes Befremden wachruft. Das verhängnisvolle Streben nach „Einheit" gelangt hier zu einer Entwicklung, die geradezu an den Jesuitenstaat von Paraguay erinnert. Ein System, welches allenfalls dazu taugen mochte, schweifende Indianerstämme der Seßhaftigkeit und der Gesittung zuzuführen, wird auf hochkultivierte Griechen des vierten Jahrhunderts angewendet. An einer Stelle des Schlußbuchs nämlich wird die kriegerische Disziplin als vorbildliches Muster für das gesamte bürgerliche Leben aufgestellt. Es wird der Wunsch geäußert, daß niemand, weder im Ernst noch im Spiel, etwas allein und für sich treibe; daß jeder immer und überall auf einen Oberen blicke; daß vom Größten bis zum Kleinsten herab alles auf Befehl geschehe, ganz so wie im Feldlager der Soldat auf Kommando steht und geht, sich nährt und sich wäscht, sein Lager verläßt und es wieder aufsucht. Braucht es einen Beweis dafür, daß Gomperz,

Griechische Denker. II. 4. Aufl.

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Der Schluß der „Gesetze"

dieses Verlangen nach unaufhörlichem Gängeln, das die Menschen ihr Lebelang auf der Kindheitsstufe festhalten und sie zu Puppen in der Hand ihrer Oberen machen will —, daß dieses Begehren, sagen wir, derselben Sinnesart entstammt ist, welche Freidenker in das „Zuchthaus" verbannt (sophronisterion ist der genau entsprechende griechische Ausdruck), sie in der Zellenhaft schmachten läßt, dort jedes anderen als geistlichen Zuspruchs beraubt und sie, falls dem „nächtlichen Rat" sein Bekehrungswerk mißlingt, dem Richtbeil überantwortet? Doch zu einem anderen und erbaulicheren Bilde! Man behauptet, daß uns in der Stunde des Todes Bilder der Kindheit und frühen Jugend umschweben. An Derartiges mahnt der Schluß der „Gesetze". Dort werden einige Grundgedanken dieses Werkes: die Geringwertigkeit der bloßen Tapferkeit, die göttliche Natur der Seele, ihr Vorrang vor dem Körper, ihre sich selbst und alles andere bewegende Kraft sowie ihre unsterbliche Herrschaft über das All wiederholt und mit stärkstem Nachdruck hervorgehoben. Daneben tauchen aber die uns so wohlvertrauten sokratischen Fragen und Methoden wieder auf. Das alte Rätsel der Einheit oder Vielheit der Tugenden wird von neuem erörtert und — bleibt ungelöst. Die sokratische Induktion mit den altgewohnten Instanzen des Steuermanns, des Feldherrn und des Arztes tritt uns noch einmal vor Augen. Auch die Dialektik steigt wie aus einer Versenkung empor, und als ihr Ziel wird mit einem auffälligen Anklang an eine Stelle des „Phädros" (vgl. S. 328) das „Erschauen des Einen im Vielen und Ungleichen" bezeichnet. Über solchen Betrachtungen mag der greise Denker entschlummert sein.

Einund zwanzigstes Kapitel. Rückblicke und Vorblicke. fine lange Reihe von Schöpfungen ist an uns vorübergezogen. Wir haben die gesamten zweifellos echten Schriften P l a t o n s durchmustert. Blicken wir vom Ende auf den Anfang zurück, so ergreift uns vorerst gewaltiges Staunen: das Erstaunen über eine unerhörte Geistesfülle, über eine niemals rastende, niemals ermattende Denkarbeit. Unsere Bewunderung wächst, wenn wir uns der nie erschlaffenden ernsten und eifrigen Sorge um die Besserung der Menschen, um die Vervollkommnung der Gesellschaft erinnern. In neue Verwunderung versetzt uns die Vielseitigkeit des platonischen Geistes, eine Viel-

Platans Verhältnis zur Naturforschung

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seitigkeit, die sich nicht nur in der Mannigfaltigkeit der behandelten Gegenstände, sondern nicht weniger in der wechselnden Beschaffenheit der Behandlungsarten ausprägt. Der jeweils statthabende Wechsel vollzieht sich in einer gar bemerkenswerten Weise. Platon war, so darf man mit nur scheinbarer Paradoxie behaupten, ebenso einseitig als vielseitig. Er verfolgt die einmal eingeschlagene Bahn mit stärkstem Selbstvertrauen, unbeirrt durch warnende Stimmen und durch auftauchende Bedenken.1 Er scheut, wie es die Art epochemachender Denker ist, nicht vor extremen Lösungen zurück. Dann erfolgt ein Rückschlag, der ihn zur Anerkennung der bis dahin vernachlässigten Wahrheitselemente nötigt. So in seinen staatsphilosophischen Werken. Der ausschließlichen und uneingeschränkten Philosophenherrschaft folgt das Musterbild einer von wechselseitigen Einschränkungen der verschiedenen Verfassungsprinzipien durchzogenen gemischten Regierungsform, zugleich der überkühnen Deduktion die behutsame, fast zaghaft vorschreitende Empirie. Die Physiologie hat uns jüngst gelehrt, daß gewisse Gifte nur durch Gegengifte überwunden werden, die der gefährdete Organismus selbst bereitet. Diese heilbringende Reaktion tritt aber erst ein, sobald das Gift in ausreichendem Maße genossen wird. In solchen Fällen kann man, so wundersam es klingen mag, mit Fug erklären: wer den Giftbecher bis zur Neige leert, ist der Gesundung näher, als wer die Lippen vorzeitig von dem Unheilskelch zurückzieht. Nicht anders der große Original-Denker. Wenn er den Pfad des Irrtums bis zum Ende gewandelt ist, steht er der Wahrheit näher, als wenn er auf halbem Wege halt gemacht hätte. 2. Platons Erfolge erwuchsen nicht auf dem Felde, das die griechische Spekulation bis zum Erscheinen des S o k r a t e s vorzugsweise angebaut hatte. Platons und seines größten Schülers, des A r i s t o t e l e s , Ansicht von der Gesamtnatur steht — das muß rückhaltlos ausgesprochen werden —, an dem Maßstabe der heutigen Wissenschaft gemessen, trotz zahlreicher zu seiner Zeit bereits erzielter und von ihm auch verwerteter Einzelfortschritte hinter den Leistungen und den Ahnungen der älteren Naturweisen zurück. Darüber hat vormals B a c o und hat neuerlich S c h o p e n h a u e r richtig geurteilt.2 An Fühlung mit der Natur hat es Platon nicht weniger gefehlt als dem von ihm höher als andere Vorgänger bewerteten A n a x a g o r a s . Seine verkehrte Deszendenzlehre ist genau so das Gegenbild der Vorstellungen, welche die Wissenschaft unserer Zeit beherrschen, wie es die Stofflehre des Klazomeniers war (vgl. 1 4 173 ff.). Die teleologische Forschungsmethode, welche Anaxagoras nahelegte, der „Phädon" verkündete und der „Timäos" zu befolgen strebte, hat sich nur innerhalb des biologischen Gebiets als heuristisches Hilfsmittel zeitweilig fruchtbar erwiesen. 33*

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Platan und Aristoteles

Und von der Methode abgesehen: in den Grundzügen der Himmelslehre, die von eingreifendstem Einfluß auf die gesamte Weltansicht ist, standen schon die Jonier und zumal die Atomisten dem Standpunkte der modernen Wissenschaft ungleich näher als Platon und Aristoteles. Jene ahnten bereits das, was seither das Fernrohr und das Spektralprisma zur Gewißheit erhoben haben, daß auch die Gestirne dem Bereich des Wechsels und Wandels angehören und daß dieser nicht etwa ein Merkmal der sublunaren Welt allein ist (vgl. I * 304). Und selbst den Pythagoreern gegenüber, die doch sonst Platons naturphilosophische Lehrmeister gewesen sind, J^ezeichnet die Wiederaufnahme der geozentrischen Doktrin einen erheblichen Rückschritt. Von den zwei großen Werkzeugen der Naturforschung hat Platon das eine, das Experiment, wie unsere Leser sattsam wissen, mißachtet (vgl. S. 375 f., 455 u. 470); das andere, die Mathematik, hat er freilich hochgehalten und hat deren Ansehen durch ihre Verflechtung mit vielen seiner Lehren gesteigert. Daß ihm auf diesem Gebiete neben der Anregung und mittelbaren Förderung der Forschung auch selbständige Leistungen zu verdanken sind, glauben wir gerne, obgleich die antiken Angaben hierüber der Bestimmtheit ermangeln. Auch darüber fehlt uns Gewißheit, ob die Anfänge der Sphärentheorie von Platon ersonnen oder nur entlehnt worden sind. An sich machen die wenigen und dunklen Sätze, in welchen Platon diese Lehre erwähnt, nicht eben den Eindruck, als ob hier der Entdecker einer mühevoll errungenen Einsicht diese den Mitforschern zum erstenmal verkündete. Ist hier nur ein Zweifel statthaft, so gilt es uns als ganz und gar unzulässig, den großen Astronomen E u d o s , der als hedonischer Ethiker ein Gegner Platons war, darum zum Mitglied seiner Schule zu stempeln, weil er in früher Jugend platonische Vorlesungen besucht hat.1 3. Die mächtige und vielartige, die wahrhaft weltgeschichtliche Wirkung, die von Platon ausgestrahlt ist, läßt sich in den dreifachen Ausruf zusammendrängen: o h n e P l a t o n k e i n A r i s t o t e l e s ; ohne Platon kein K a r n e a d e s ; ohne Platon kein Augustinus ! Durch die Vermittlung des A r i s t o t e l e s (384—322) hat dessen Lehrer auch die Naturforschung befruchtet. Weit weniger freilich die Einsicht in das kausale Nacheinander als jene in das geordnete Nebeneinander der Dinge. Die Klassifikation der Naturwesen ist auf dem Boden der platonischen Dialektik erwachsen. Wandeln uns angesichts der unaufhörlichen, nicht selten ins Kleinliche und Peinliche gehenden Einteilungen des „Sophisten" und des „Staatsmannes" bisweilen Überduß und Ermüdung an, so dürfen wir nicht vergessen, daß wir uns hier in der Schule befinden, aus welcher der große Ordner und Einteiler, der

Platan, Karneades und Augustinus

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Morphologe par excellence hervorgegangen ist. Der Lehrer wie der Schüler hat diese, die naturhistorische, Betrachtungsweise sofort auch in den Geisteswissenschaiten eingebürgert; die scharfe Unterscheidung der Schlußformen wird zur Gänze, jene der Staatsformen und der Dichtungsformen teilweise dem Jünger verdankt. In ihrem Heimatsbereich aber, in der Naturgeschichte selbst, hat Aristoteles durch die Anwendung dieser Methode auch kausale Einsichten von höchster Bedeutung, wenn nicht gewonnen, so doch vorbereitet. Ist doch eine seiner Schöpfungen, die vergleichende Anatomie, eine unentbehrliche Vorbedingung der Deszendenzlehre geworden. Hat Platons Schule in Aristoteles den großen Enzyklopädisten, den Sammler und Gliederer eines gewaltigen Wissensstoffs, vor allem den Denkmeister des mittelalterlichen Orients und Okzidents hervorgebracht, so reicht ihr Einfluß an einem ändern Punkte noch tiefer in die moderne Welt herein. Der kritische Geist des Altertums hat in der neueren Akademie seinen Höhepunkt erreicht. Auch das „mühevolle Spiel" des „Parmenides" war nicht umsonst gespielt worden (vgl. S. 429). Hatten die unmittelbaren Nachfolger Platons fast nur die pythagorei'sierenden und die ethischen Bestrebungen seiner letzten Lebensjahre festgehalten, so war durch A r k e s i l a o s (t 241) die durch megarische Einflüsse verstärkte kritisch-dialektische Tendenz des platonischen Geistes auch innerhalb seiner Schule zum Siege gelangt. Ihren Höhepunkt erreichte diese Bewegung in K a r n e a d e s (214—129), der an Subtilität des Denkens alle Vorgänger und Nachfolger übertraf, dessen tief eindringende Kritik die Zuversicht der dogmatischen Schulen erschütterte, die Stoa vor allem zu weitreichender Umbildung ihrer Lehren zwang, und der zugleich durch die Ausbildung seiner Wahrscheinlichkeitstheorie den Anstoß zur Schaffung einer im jüngeren Epikure'ismus sowohl als in den ärztlichen Schulen der Methodiker und Empiriker vertretenen induktiven Logik gab. Mit Recht hat man Karneades den David H u m e des Altertums genannt. Aber auch an den großen Fragegeist der Renaissance, an Michel de M o n t a i g n e , kann seine alle Widersprüche der überlieferten Lehren wie der geltenden Maßstäbe verwertende, vor keiner Schranke halt machende Kritik uns mahnen. Und mag auch Montaignes Verhältnis zu Karneades dasselbe gewesen sein wie sein Verhältnis zu Platon („ich war in diesem Punkt Platoniker, ehe ich wußte, daß es jemals einen Platon gegeben hat"): er ist mit seinen Lehren jedenfalls aufs genaueste vertraut gewesen.1 In A u g u s t i n u s endlich (354—430 n. Chr. G.) fließen zwei Strömungen zusammen, die ein paar Jahrhunderte lang wider einander geflutet hatten: der Neu-Platonismus und das Christentum. Wie sie am frühesten eröffnet worden war, so ward zu Athen Platons Schule auch am spätesten geschlossen (529 durch J u s t i n i a n ) . Die zuletzt darin

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PlatOn und Platin

vertretene Gestalt des Platonismus war d i e Philosophie des ausgehenden Altertums gewesen, gleichwie sie d i e Philosophie der anbrechenden Renaissance geworden ist. Ja im griechischen Osten war die platonische Tradition niemals vollständig erloschen. Im 8. Jahrhundert schöpft der Systematiker der Theologie und Philosophie jenes Zeitalters, J o h a n n e s von Damaskos, wie aus anderen Kirchenvätern, so nicht zum wenigsten auch aus dem vorgeblichen „Areopagiten" D i o n y s i o s, dessen Werke durch und durch vom Neu-Platonismus beeinflußt sind, und im 11. tritt uns in Michael P s e l l o s wieder ein ganz eigentlicher Platoniker vor Augen.1 Und daß auch in den dazwischen liegenden zwei Jahrhunderten das Interesse an Platon in Byzanz nicht erstorben war, das bezeugt die Entstehungszeit der zwei Haupt-Handschriften seiner Werke.2 Im Abendland ist der Platonismus nach kurzem Winterschlafe schon im Q. Jahrhundert wieder erwacht; im Laufe der nächsten Jahrhunderte behauptet er sich zunächst in zähem Kampfe gegen den Scholastik benannten versteinerten Aristotelismus, um endlich, nach einem vergleichsweise kurzen Rückschlag im 13. und 14. Jahrhundert, im 15. dessen endgültigen Sturz herbeizuführen und in der Gestalt eines wiederbelebten Neu-Platonismus sein Erbe anzutreten. Von mystischen Elementen seit jeher stark durchsetzt, in der Ekstase und der durch sie vermittelten Anschauung des Göttlichen das höchste Lebensziel erblickend, läßt die neuplatonische Lehre ihre Abkunft von dem großen kritischen Geiste Platons doch noch vielfach erkennen. Vor allem darin, daß ihr das Urwesen oder der Urgrund — das „Eine" P l o t i n s, des eigentlichen Systembildners dieser Schule (204—269 nach Chr. G.) — weder als ein selbst Erkennendes noch auch als ein Erkennbares, noch weniger als ein Lebendes oder Persönliches, vielmehr als ein über alle diese Bestimmungen Hinausreichendes gilt, worin man unschwer die Nachwirkung der einschneidenden Kritik entdeckt, die Karneades an dem gangbaren Gottesbegriff geübt hat.8 Aber nicht nur die kritischen, auch die mystischen Elemente der Lehre Plotins sind platonischen Ursprungs. Die schwärmerische Mystik, der wir im „Symposion" begegnet sind (vgl. S. 311), ist der Urquell, aus dem das späte Altertum und das Mittelalter mit vollen Händen geschöpft haben. Der islamische Sufismus, die deutsche Mystik, die jüdische Kabbala, sie sind insgesamt mit platonischen Gedanken reich gesättigt.* Dem wissenschaftlichen Geist ist der mystische fremd, aber nicht so durchaus feindlich, wie es zunächst scheinen möchte. Es steht um die Mystik ähnlich wie um den Krieg. Von beiden kann man Böses ohne Ende sagen, aber beide haben die Menschen oft von anderen und weit schlimmeren Übeln, als sie selber sind, befreit. Die Mystik bewährt sich häufig als das große Spezißkum gegen die Versandung des Gemüts und die Verholzung des Geistes! Ihrer tiefen Innerlichkeit entquillt ein Strom

Die spezifische Artung der platonischen Ethik

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warmen Lebens, der Überkommenes und Überlebtes gar oft lind auflöst und leise hinwegspült. Sie erweist sich dem um Formeln hadernden, in Worten kramenden, am Buchstaben haftenden Scheinwissen so verderblich wie der engbrüstigen Konvenienz und dem selbstgerechten Pharisäertum. Im Geiste A u g u s t i n s , des Genies der Selbstbeobachtung und der innerlichen Vertiefung, waren christliche und platonische Elemente zusammengeschmolzen. Man hat den Verfasser der „Bekenntnisse", dieses kostbaren Werkes, das durch Stärke der Empfindung, durch Lebendigkeit der Schilderung und durch eindringende Feinheit der Selbstanalyse einen Ehrenplatz in der Weltliteratur einnimmt und das noch uns so mächtig ergreift, wie es einst P e t r a r c a ergriffen hat, den ersten modernen Menschen genannt.1 Unergründlich ist die Tiefe seiner Einwirkung auf die Nachwelt. Die katholische Kirche zählt ihn unter ihre vornehmsten Ausgestalter; aber auch d i e Form des Protestantismus, welche die Seelen der Menschen wie mit der tiefstgehenden Pflugschar in ihrem Grunde aufgewühlt hat, der Glaube K a l v i n s , ist von Augustin und seiner Vorherbestimmungslehre aufs nachhaltigste beeinflußt worden. Indem dieser, und hierin vor allem zeigt er sich als kräftiger, vom Platonismus mitbestimmter Denker, auf den Tatsachen des Selbstbewußtseins als auf dem Fundament aller Erkenntnis fußt, ist er der Vorläufer D e s c a r t e s ' , des Schöpfers der modernen Philosophie, geworden.2 4. Der Nennung des großen christlichen Platonikers soll, um jedes mögliche Mißverständnis hintanzuhalten, noch ein Wort über die spezifische Artung der platonischen Ethik folgen. In i h r e r M i t t e s t e h t d e r B e g r i f f d e r G e r e c h t i g k e i t . D i e Sinneserweichung, d i e Platons Alter kennzeichnet, hat der bloßen Menschenfreundlichkeit einen erheblichen Spielraum gewährt, ohne doch darum der Gerechtigkeit ihre zentrale Stellung zu verkümmern. Dieser folgt, nur unvollkommen von ihr geschieden, die S o p h r o s y n e , jene vom Gefühl der eigenen Würde getragene Selbstzucht, die bei Platon noch mehr als anderwärts den Charakter spröder, vornehmer Zurückhaltung trägt. Über die unvollkommene Scheidung dieser beiden Tugenden mag man klagen. Sie wird durch die Enge ihrer Wechselwirkung entschuldigt. Denn nicht nur ist die Selbstzucht die unerläßliche Voraussetzung sozialer Pflichterfüllung: diese wirkt ihrerseits auch auf jene zurück und fördert dadurch die psychische Gesundheit. Führt doch der Mangel jedes Verpflichtungsgefühls, die Schrankenlosigkeit des Wollens, geradeswegs zur seelischen Zerrüttung (Zäsaren-Wahnsinn u. dgl.). In ihrer Überspannung wird die Sophrosyne zur Askese. Diese — die wirksamste Hungerkur genußsatter Epochen — spielt im „Phädon" eine Rolle,

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Platan und die Askese

welche, falls etwa von Platon dieses Gespräch und einige verwandte Schriften allein erhalten wären, grundfalsche Folgerungen erzeugen müßte. Niemand könnte ahnen, daß der Denker, der dort in allem Leiblichen nur ein Erkenntnishindernis, und im Diesseits lediglich eine Vorbereitung für das Jenseits erblickt hat, daß derselbe Denker, weit davon entfernt, ein bußfertiger Anachoret zu werden, anderwärts der Körperpflege in allen ihren Abarten, desgleichen der Ordnung der wirtschaftlichen und der staatlichen Verhältnisse die hingehendste Sorgfalt widmen und sich seiner hierauf gewandten Mühe des Forschens und Suchens so nachdrücklich rühmen würde, wie das von Seiten des „athenischen Fremdlings" am Schluß der „Gesetze" geschehen ist.1 In diesem seinem letzten Werke hat sich Platon mehr als anderswo mit dem Genius seines Volkes versöhnt; er ist in weitem Umfang zur althellenischen, die harmonische Ausbildung der Gesamt-Persönlichkeit erstrebenden Sinnesweise zurückgekehrt. Die Weltflucht, die Askese, die Naturfeindschaft, sie haben Platons Seele gestreift, ohne sie dauernd in Besitz zu nehmen. Was an diese Sinnesweisen erinnert und vielleicht durch sie gekräftigt wurde, das ist die allen Sokratikern gemeinsame geringe Bewertung äußerer Güter des Individuums sowohl als der menschlichen Verbände. Daß das Glück auch eines Staatswesens nicht auf seiner Größe und auf seinem Reichtum ruht, das ist eine Überzeugung, an welcher die reife Altersweisheit der „Gesetze" noch ebenso unverbrüchlich festhält wie der jugendliche Ungestüm des „Gorgias". Jene extremen Tendenzen aber, zu denen auch die Meidung jeglicher Gewaltanwendung gehört (vgl. S. 349 f. und 354), sie haben, da ihr Ausdruck einmal Platons Schriften einverleibt war, nicht weniger mächtig auf die Welt gewirkt. An der Richtung dieser Einwirkung haben auch die Mängel der platonischen, von Aristoteles festgehaltenen Naturansicht einen beträchtlichen Anteil gehabt. Vor allem die geozentrische und die von ihr getragene anthropozentrische Weltauffassung. Wäre deren endgültiger Sturz statt im 16. nachchristlichen bereits im 3. vorchristlichen Jahrhundert erfolgt (vgl. I * 101 ff.), der gesamte Gang der abendländischen Menschheitsentwicklung wäre ein anderer geworden. Doch die Sicherheit der Heeresbewegung erheischt es mitunter, daß ein weit vorgeschobener Flügel zurückgezogen werde. Vielleicht war es, alles in allem, besser, daß der gefahrvolle Wechsel der Weltanschauung einer reiferen Phase der Entwicklung des Menschengeistes vorbehalten blieb. 5. Von so gewaltigen Fernwirkungen ließen sich die Jünglinge nichts träumen, die den bewunderten Lehrer in der Akademie umdrängten. Man besuchte die Schule Platons, wie man die Lehranstalt des I s o k r a t e s besuchte, wie man ein paar Jahrzehnte vorher der

Platons Schüler

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Stimme eines P r o d i k o s oder P r o t a g o r a s gelauscht hatte. Man trieb Philosophie weit mehr im Sinne des K a l l i k l e s als in jenem des S o k r a t e s (vgl. S. 264). Es galt durch Schärfung und Übung der geistigen Fähigkeiten die Mittel zum erfolgreichen politischen Wettkampf zu erringen. So waren die namhaftesten Staatsmänner des damaligen Athen zeitweilig Platons Schüler gewesen. Der weise Administrator und Finanzmann L y k u r g nicht weniger als aer erfolgreiche Anwalt H y p er e i d e s, der Führer der radikal-nationalen Partei D e m o s t h e n e s ebensosehr wie das Haupt der Friedenspartei P h o k i o n. Auch sonst waren alle Abschattungen der politischen Gesinnung und Wirksamkeit unter Platons Jüngern vertreten. Zum Beherrscher von Herakleia hat sich K l e a r c h o s aufgeworfen; wider ihn verschworen sich C h i o n und L e o n i d a s ; L e o n von Byzanz, der seine Vaterstadt den Griffen P h i l i p p s von Makedonien entriß, und P y t h o n , der in allen Teilen Griechenlands die Werbetrommel für ebendenselben P h i l i p p rührte — diese und jene waren gleichmäßig Akademiker gewesen. Nicht minder neben D i o n , dem Philosophen in der Königsburg, C h ä r o "h von Pellene, ein Tyrann auch im modernen Sinne des Wortes, der, auf makedonische Lanzen gestützt, die Verfassung seiner Heimat umstieß und vor keiner Gewalttat zurückschrak. H e r m i a s, der Eunuch und ehemalige Sklave, der zu Atameus im nördlichen Kleinasien ein Stadtfürstentum gründete und in seinen Kämpfen mit Persien P h i l i p p s Unterstützung genoß, stand ebenso der Akademie nahe wie E u p h r ä o s von Oreos auf Euböa, der bei P e r d i k k a s III. eine Zeitlang in Gunst und hohem Ansehen stand, aber als leidenschaftlicher Gegner König P h i l i p p s geendet und sich, um nicht dessen Generalen in die Hände zu fallen, im Kerker selbst den Tod gegeben hat. Auch in der Akademie ist es eine vergleichsweise kleine Jüngerschar gewesen, welche die Pflege djer Wissenschaften zu ihrem Lebensberuf erkor. Aus diesem engeren Kreise werden wir diejenigen hervortreten lassen, die, teils im Rahmen jenes Schulverbandes, teils außerhalb desselben, die platonischen Lehren fortund umgebildet haben, allen voran den Mann, dessen Name auf diesen Blättern schon so oft aufgeleuchtet hat, A r i s t o t e l e s von Stageira.1

Anmerkungen und Zus tze. Zu Buch IV, Kap. I. (Den Anf hrungen aus schylos ist die Weilsche, jenen aus Euripides die Naucksche Ausgabe zugrunde gelegt. Sophokles ist nach Dindorf-Mekler, Aristophanes nach van Leeuwen, die Bruchst cke der Tragiker sind nach Naucks Fragmentsammlung, 2. Ausg., angef hrt.) 3 1) Theognis. Vgl. V. 349 (Poetae lyrici Qraeci ed. Bergk II4 150); desgleichen Homer Ilias IV 35; hnlich H. XXII 347; XXIV 212. 2) Vgl. Tylor, Anthropology (Lond. 1881) p. 414 ff. Weit mehr, als der Titel verspricht, bietet die Abhandlung von Miklosich: Die Blutrache bei den Slawen, Wien 1887. — Der richtigen Auffassung hat hier vielfach der beschr nkte Umblick der klassischen Philologie und desgleichen die vordem herrschende irrige Annahme geschadet, da die homerischen Gedichte durchweg ein Bild des Uraltert mlichen bieten. Der Gang der Entwicklung konnte in Griechenland im wesentlichen kein anderer sein als anderw rts. Der individuellen Rache ist die Familien- oder Erbrache gefolgt, die ihrerzeit einen gewaltigen Fortschritt ausmachte. Auf dieser Stufe stehen noch heute die Australier und die Bewohner von Neu-Guinea; allbekannt sind die berreste dieser Sitte bei Korsen, Albanesen usw. Die weiteren Stadien der Entwicklung verlaufen mitunter also: private blutige Vergeltung, staatliche blutige Vergeltung; ein andermal: private Blutrache, privater Schadenersatz (Wergeid), staatliche Regelung desselben. Bisweilen wieder tritt, je nach der Beschaffenheit der sozialen Lage, die blutige Vergeltung von neuem an die Stelle der unblutigen. Da jene auch in Griechenland uralte Sitte war, das wu te schon schylos besser als manche seiner Erkl rer: αντί 3έ τ:Λτ(γής φονιάς φονίαν / πληγήν τινέτω* δράσαντι τ:αί)εϊν, / τ ρ ι γ ε ρ ω ν μ ΰ ft ο ς τάοε cpwvjr (Choephoren Vers 312 ff.). 5 1) schylos. Die Anf hrungen beziehen sich auf Schutzflehende V. 524 f., Eumeniden V. 563 ff., Fragm. 381. Eine sch tzenswerte Zusammenstellung bei Haigh, The tragic drama of the Greeks, Oxford 1896, p. 86 ff. 61) ber die Orestie vgl. man jetzt auch die gedankenreiche Einleitung von Wilamowitz in seiner bersetzung. Zur Charakteristik des schylos und des Sophokles berhaupt vgl. vor allem Rohdes Psyche IP 224 ff. und desselben Festrede „Die Religion der Griechen" Heidelberg 1895 [= Kl. Schriften II 314 ff.]. 7 1) ber die „sittliche Weltordnung" bei Sophokles hat au er Rohde Psyche II2 235 ff. neuerlich Johannes Hooykaas De Sophoclis Oedipode Coloneo, Leyden 1S96, eingehend und berzeugend gehandelt.

Zu Buch IV, Kap. i, S. 8—17

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8 1) Der Frömmsten Einer: vgl. Schol. zu Sophokl. Elektra 831. Einer der wackeren Athener: so nennt ihn sein Zeitgenosse Ion bei Athenaeos XIII 604 D. „Nicht geboren zu sein" usw.: vgl. Oedip. Col 1225f. — Herodot: VI 98, 2) [Euripides Frg. 285, 1]. 3) Übertragung des Fragm, 449. 91) „Denn ungeratene Kinder" usw.: Fragm. 571. Zum Vorangehenden über Kinderbesitz vgl. Alkestis 882 ff., Andromache 418 ff., Medea 1098 ff., Schutzflehende 1089 ff., [zum Folgenden wieder] Fragm. 285. 10 1) Thukydides III 81 fj. Lobpreisung des Mittelstandes: vgl. Euripid. Schutzflehende 244 und Fragm. 626. 2) Grotte in Salamis: Antike Vita des Euripides c. 5 (in Naucks Ausgabe p. VI) [= p. 4, 23 Schwartz]. 3) Eurip. Fragm. 910 und 913. — „Tun Götter Übles" usw.: Fragm. 292, 7, 11 1) Über die Behandlung der Sagenstoffe durch Euripides im Vergleich mit den älteren Dichtern vgl. Welcker Götterlehre II 90, Leopold Schmidt Ethik der Griechen I 17, Christ Griech. Lit. Gesch. § 121 [= · § 180]. 2) Euripides über Athleten: vgl. Fragm. 201 und 282. 3) Vgl. Trojanerinnen 884 ff. 12 1) Nicht an eine eigentliche Palinodie hat man zu denken; das lehrt der Vergleich mit einem anderen Alterswerk des Dichters, der Iphigenie in Aulis. Vgl. G. Dalmeyda Les Bacchantes p. 13. 2) Vgl. die Zusammenstellung in Naucks Einleitung Anmerkung 67. Gegen Krieg und Eroberung erhebt Euripides seine Stimme Schutzfl. 491 ff. und Frg. 286, 10—12. 13 1) Platon, Gesetze VI 777", doch vgl. 776 ] und Plutarch (?) De esu carnium I 6 [995/c, Aristoteles Met. \ 29 1024l> 32 u. // 3 1043»> 24. 2) Der erste Anstoß: wir denken an Gustav Hartensteins Abhandlung Über die Bedeutung der megarischen Schule für die Geschichte der metaphysischen Probleme (1847, jetzt in Historisch-philos. Abhandlungen 127 ff.). 136 1) Der Usurpationsversuch des Theagenes konnte eben seiner kurzen Dauer wegen keine nachhaltige Wirkung üben. 137 1) Über Eukleides und seine Jünger vgl. L. Diog. II c. 10, zunächst § 106. Vgl. Ferd. Deycks, De Megaricorum dodrina (Bonn 1827). 138 1) Das Urteil über Abälard gehört W. Windelband an: Gesch. d. Philos., Freiburg 1892, S. 243 Anm. 3 [= Lehrbuch d. Gesch. d. Philos.7, Tübingen 1916, S. 2572]. 139 1) Ein namhafter Geschichtsschreiber der Philosophie: Windelband a. a. O. S. 236 Anm. l [= Lehrbuch7 S. 2501]. — Die nachfolgende Anführung aus Zeller, Gesch. d. deutschen Philos. S. 840 f.

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Z« Such IV, Kap. 8, S. 140—148

140 1) Die kontaminierenden Urteile: vgl- H. Gomperz Zur Psychologie der logischen Orundtatsachen (1897) K. 3, insbesondere S. 54 ff. 143 1) Vgl. L. Diog. VI 53; Simplicius In Aristotelis categorias f. 66b/67a Brandis [= p. 208, 29 Kalbfleisch]; Ammonius In Porphyrii Isagogen 22 B. [= p. 40, 6 Busse—Winckelmann p. 34f.]; Theopomp fragm. 335, Fragm. histor. Graec. I 331, wo C. M llers Zweifel als grundlos gelten k nnen. 2) Eine der unzweideutigsten platonischen Anspielungen: Sophist 251bc. 144 1) Keine anderen als identische S tze: Aristoteles Met. A 29 1024*> 32 [= Winckelmann p. 36] und Platon Sophist a. a. O. 2) Definitionen: vgl. Diogenes VI 3 [= Winckelmann p. 37]. Zum Folgenden vgl. Aristoteles Met. n 3 1043b 24 [= Winckelmann p. 37 f.], verglichen mit Platon The tet 201« ff. Ob der von uns S. 144 f. er ffnete Ausweg der richtige ist, mag bestreitbar sein. Ganz und gar unzul ssig ist aber die oft vernommene Klage, Antisthenes habe, indem er keine ndern als identische S tze zulie , aller Wissenschaft ein Ende gemacht. Dann m te man weiter gehen und behaupten, er habe jeglicher belehrenden Mitteilung ein Ende gemacht, er habe es sich versagt, von der W rme der Sonnenstrahlen oder von der K lte des Eises zu reden. In Wahrheit kann er es lediglich — aus den im Text so oft dargelegten Gr nden — f r unstatthaft erkl rt haben, bei derartigen Aussagen das Verbum „sein" zu verwenden. War dies der Fall, so wird er eben gleich Lykophron (vgl. S. 141 und I* 406) andere sprachliche Wendungen diesem Zwecke dienstbar gemacht haben. Schlug er brigens den von uns vermuteten Weg ein, so war er ein Vorl ufer Thomas Browns (vgl. Mill, Logik B. II C. 3, § 6, Ges. Werke II2 231 f.) 145 1) Jedes Widersprechen . . . . ist unm glich: Aristoteles Met. Λ 29, 1024l» 32 (zum μακρός λόγος 1043& 26 vgl. auch N 3, 1091» 7 mit Schweglers Bemerkungen) [Die Metaphysik des Aristoteles IV 353 f.], desgleichen Topik A 11 104»> 20. Ferner Platon Euthydem 285« ff., Kratylos 429·* ff. Vgl. auch des Isokrates Spott im Anfang der „Helena". Die gegen Platon gerichtete Schrift des Antisthenes hie Σα»ων ή τ.^\ ™ΰ άντιλέγειν, L. Diog. VI 16 [= Winckelmann p. 13, vgl. ρ. 33 f.]. 146 1) Untersuchung der Namen: bei Epiktet Dissert. I 17, 12 [63, 20] Schenkl [1916]: αρχή ττ^ιδεύσεως ή τίίν όνοαα'των επίσκεψις [= Winckelmann ρ. 33], 148 1) Timons Spottvers: fragm. 41 Poesis ludibunda ed. Wachsmuth IP 152 [= Frg. "28 Diels]: οϋδ' έριδάντϊω / Ευκλείδειο, Μεγαρεϋαι^ ος έ^αλε λύασαν έρισμ,οΰ darf uns nicht irref hren. Die von Plutarch (Mor. 560, 46 u. 593, 14 D bner) De cohibenda ira 14 [p. 462°] und De fraterno amore 18 [p. 489«*] erz hlte Anekdote zeigt, da Euklid als ein Muster von Sanftmut gegolten hat. Sein j hzorniger Bruder ruft ihm zu: ich soll zugrunde gehen, wenn ich mich nicht an dir r che. Und ich, so erwidert er, wenn ich dich nicht vers hne! — Zum Folgenden L. Diog. II 107. Ebd. [II 108] nennt L. Diog. die Titel von 6 Dialogen des Eukleides. Leider ist uns nichts davon erhalten. An ihrer Echtheit und an jener der Gespr che Ph dons hat Panaitios g e z w e i f e l t , w hrend er die gesamte brige sokratische Gespr chsliteratur, von Platon, Xenophon, Antisthenes und schines abgesehen, in Bausch und Bogen verwarf (L. Diog, II 64). Uns scheint die literarhistorische Kritik des eklektischen Stoikers nicht das allermindeste Gewicht zu besitzen. Er hat, weil er Platon hochhielt,.

ZM Buch IV, Kap. 8, S. 149—154

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dessen Unsterblichkeitsglauben jedoch nicht teilte, den Ph don verworfen! [Anthol. gr. IX 358; Elias in Aristot. Categ. 133, 18 Busse; Asklepios in Metaph. 90, 23 HayduckJ. Desgleichen die Schriften des Stoikers Ariston dem. gleichnamigen Peripatetiker zugeteilt [L. Diog. VII 163], gewi aus keinem ndern Gr nde, als weil ihm der Kynismus dieses Stoikers mi fallen hat. Ebenso war es offenbar bare Willk r, wenn er die Verspottung des Sokrates bei Aristophanes, Fr sche 1491 δ., [nach dem Scholion zu diesen Versen] statt auf den Philosophen auf einen anderweitig v llig unbekannten Dichter dieses Namens bezog! Wir k nnen an dieser Stelle nur unsere berzeugung aussprechen; einiges Genauere ber des Panaitios Athetesen [Anm. 1] zu S. 166 und [Anm. 1] zu S. 223. 149 1) ber Eubulides vgl. L. Diog. II 108 ff. ber seine geh ssige Polemik gegen Aristoteles vgl. haupts chlich Eusebios Praep. evang. XV 2, 5, Athenaeus VIII 354 C, welch letzterer X 437 D auch zwei bissige Verse aus einer Kom die desselben anf hrt (vgl. II 431 Kock). 2) ber den Haufenschlu vgl. vornehmlich L. Diog. VII 82, Cicero Acad. priora II [= Lucullus] 92 ff., Sextus Pyrrh. II 253 und adv. mathem. VII ^.16 (117, 19 u. 281, 17 Bekker) [= Chrysipp Frg. 275—277 Arnim. Die Schrift des Chrysipp: L. Diog. VII 193 = Stoic Vet. Frgg. II 6, 11 Arnim. „Satz des Allm hlichen": 2 B cher Chrysipps Περί του παρά μικρόν λόγον προς Σ-οτ/σαγόραν L. Diog. VII 197 = II 8, 9 Arnim, dem Sorites gleichgesetzt von Prantl, Gesch. d. Logik Ii 490 210]. 151 1) ber den „L gner" vgl. vorerst Cicero a. a. O. § 95, Gellius Noctes Atticae XVIII 2, 10, dann Aristoteles: Sophistici elenchi 25 180b 2. 152 1) Chrysipp: nach L. Diog. VII 196 f. [= II 7, 34—8,6 Arnim]. Theophrast: nach L. Diog. V 49 Ende. ber den „L gner", seine Bedeutung und seine Geschichte verbreitet sich mit einem erstaunlichen Auigebot von M he und Wissen Alexander R stow in einer diesen Titel f hrenden Monographie (Leipzig 1910). Ein hierher geh riges Chrysippfragment (im herkulanischen Papyrus 307) behandelt er ebd. S. 72 S. 2) „Elektra" oder „Der Verh llte"; vgl. Lukian Vitarum audio 22 (p. 562 f.), L. Diog. VII 198 [= II 8, 11 Arnim], Aristoteles Soph. el. 24, 179* 33. — Epikur: vgl. des Vf.s kleine Schrift: Neue Bruchst cke Epikurs, Wien 1876, S. 7: διό κβί ραοίως -αντες καταγελωσιν όταν τις ύμολογήιαντός τίνος μηο' ένδε'χεσθαι ταΰτο έπιστασ&αί τε και μη έπίστασ^αι -ροφερτ] την συγκεκαλυμμένον. Der Urheber des Fangschlusses wird alsbald σοφιστή·: gescholten. 153 1) Vgl. L. Diog. VII 187 u. II 135, auch VI 38; Gellius Noct. Alt. XVI 2, 4 if. (sehr verst ndig). Erw hnt auch von Aristoteles Soph. el. 22, 178* 2Q. 154 1) Alexinos: ein Bruchst ck aus dessen Schrift Περί αγωγής hat v. Arnim scharfsinnig erkannt und hergestellt: Hermes XXVIII 65 ff. Den Wert der Anekdote L. Diog. II 109 kann ich nicht so hoch veranschlagen, wie A. es tut (ebd. S. 70). Sein Zeitalter wird durch den Terminus ante quern jener Schrift 282/1 genauer als vordem bestimmt. —.Stilpon: vgl. L. Diog. II c. 11. 2) Ein „Mann von Welt": dies die richtige Erkl rung des -ολιτικώτατος bei L. Diog. II 114; vgl. v. Wilamowitz Antigonos von Karystos S. 142", trotz Susemihls Einspruch (Alexandrin. Lit.-Gesch. I 17**). — ber Stilpon als Moralphilosophen vgl. insbesondere Seneca Epist. 9, l u. 18, ferner Teles 45, 10 [= ? 59; ίο] Hense. — [Seine Ber hmtheit: L. Diog. II 113 und 119.] Das

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Zu Buch IV, Kap. 8, S. ΐ55—*57

einzige Bruchst ck behandelt vom Verf. Rhein. Mus. XXXII, 477 f. [= Hellenika II 232]: Στίλπωνι (1. Στίλπων) Μητροκλεΐ (diesen Dialog kennt L. Diog. II 120)· ένεβρί^ει τω Στίλπωνι Μητροκλής. Aus Zutaten des Teles nicht reinlich herauszusch len ist die Anf hrung bei diesem p. 14 [= 2 21, 6] Hense. Vgl. v. Wilamowitz (a. a. O. S. 305 f.), der den Eingang sch n hergestellt hat. Ich lese unter Tilgung zweier Einschiebsel der Kritiker: τί λέγείς, φησ(, και τίνων ή φυγή, ττοί'ων αγαθών στερίσκει, των τ:ερι ψυνήν ή των ττερι το σώαα ή των έκτος; [IchthyaS: L. Diog. II 112; VI 80]. 155 1) Des Krates Spott ber Stilpon bei L. Diog. II 118. Ebd. auch ein Scherz Stilpons ber Krates. Mir scheinen wechselseitige Sticheleien von vergleichsweise harmloser Art vorzuliegen. [Zenon: L. Diog. VII 2]. 2) Ich sehe keinen Grund, des L. Diog. άνήρει κ?ί τα είί/] (II 119) lediglich auf die Bek mpfung der platonischen Ideenlehre zu beziehen. Der Zusammenhang spricht dagegen, und es empfiehlt sich durchaus, hierin eine Bestreitung des substanziellen Daseins der Gattungsbegriffe berhaupt zu sehen. Man vgl., was ber die eretrische Schule, d. h. doch vornehmlich ber Stilpons Sch ler Menedem, berichtet wird: άνήρουν τάς ποιότητας ως ουδαμώς έχουσα- τ; κοινόν οΰσκϊκες, εν δε τοις καθ·' έκαστα και συνθέτοις υπάρχουσας (Simplicius in Aristotelis categories 68* 24 Brandis) [= 216, 12 Kalbfleisch]. 156 1) Zu diesen und den vorangehenden Ausf hrungen vgl. [L. Diog. II 119 und] Plutarch gegen Kolotes 22 f. [p. 1119« ff.] (Mor. 1369 f. D bner). — [Ein nicht bel unterrichteter Gew hrsmann:] Aristokles bei Euseb, Pr p. Ev. XIV 17, 1. 2) ber Diodors Lebensverh ltnisse sind wir wenig unterrichtet; vgl. S. 160 f. Einigerma en eingehender handeln ber ihn Brandis Griechischr mische Philosophie II l, 124 ff. und Ritter, Geschichte der Philosophie II 143 ff. Sehr Verst ndiges bietet auch Tennemann II 146 ff. So ber dessen angebliche Korpuskular-Theorie (Euseb. Praep. evang. XIV 23, 4; Sextus adv. mathem. X 85 f. = 493, 11 ff. Bekker, Stob. Eklogen I 310 u. 350 = I 128, 10 u. 143, 20 Wachsmuth [= Aetios I 3, 27 und I 13, 3, Diels D. Gr. 289, 6 und 312, S], Simplic. in Phys. 926, 20 Diels): „Es scheint uns daher wahrscheinlicher, da er die Atomen des Leucips nur als Hypothese zum Behuf der letzten (n mlich der Argumente gegen die Bewegung) annahm" (a. a. O. 151). Die Hauptstellen ber jene Argumente bei Sextus a. a. O. u. X 112 ff. (499, 5 ff. Bekker). Unsere Auffassung stimmt ziemlich genau mit derjenigen Prantls berein (Gesch. der Logik I1 55 f.). 157 1) Das Argument gegen die M glichkeit hei t der κυοιεΰων λόγος. Diese Bezeichnung soll u. E. nicht „siegreich" oder „unwiderstehlich" bedeuten, sondern gilt, wie alle analogen Benennungen ( ό αργός λόγος, ό βϋςανόο-ενος, 'ν' ist unvermeidlich, doch scheint die gew hnliche Bedeutung des Wortes, „Orakelspr che", wenig passend, so da ich die Vermutung gewagt habe, λόγια m chte hier im Sinne von „Wissen", „Gelehrsamkeit" gebraucht sein, gleichwie λόγιος den Gelehrten bedeutet. Dann w rde Sp. den dem Oheim bestimmten Dank f r die ihm gew hrte -αιίεί« statt an diesen an die Schutzg ttinnen aller Wissenschaft gerichtet haben. In die Musenkapelle ward auch ein von dem Bildhauer Silanion gefertigtes Standbild Platons durch einen Perser, Mithridates, gestiftet (L. Diog. II! 25). 2) ber die Lehrs le, die in Delos und Olympia neuerlich entdeckt wurden, vgl. P. Paris im Dictionnaire des antiquites, Daremberg-Saglio, unter „Exedra". 2) ber Tracht und Auftreten der Akademiker vgl. den Spott der Komiker Antiphanes [Frg. 33] und Ephippos [Frg. 14] (II 23 und 257 Kock). —

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2« Buch l·', Kap. i, S. 215

Über Dions pekuniäre Leistungen für Platon wird mancherlei berichtet. Ersatz des Lösegeldes an Annikeris und, da dieser die Annahme verweigerte, Ankauf des Grundstückes für diesen Betrag: L. Diog. III 20; Erwerbung kostbarer [pythagoreischer] Schriften für Platon: L. Diog. III 9; Bestreitung der Kosten einer Choregie für diesen: L. Diog. 3 und Plutarch Dio c. 17 (Vitae 1150, 47 Döhner), desgleichen Aristides c. l (380, 30 D.). — Man vergleiche Aniigonos von Karystos bei Athenaeus XII 547 D-F, wo die in der Akademie heimische Schlichtheit dem peripatetischen Luxus entgegengesetzt wird. Und kontrastiert hier Antigonos den Peripatos erst unter Lykon gegen die Akademie unter Platon und Speusipp, so genügt doch schon ein Blick in die Testamente Platons und Aristoteles' (L. Diog. III 41 ff. u. V 11 ff.), um das im Text Gesagte zu erhärten. [Charmides verarmt: Xenophon Symp. IV 30f.l. 215 1) Über das Fehlen einer Schulbibliothek vgl. des Verf. Platonische Aufsätze II, Wien 1899. über das Fehlen von Korporationsrechten — und somit gegen die derzeit herrschende Ansicht, die Philosophenschulen jener Zeit hätten die Rechtsform religiöser Vereine oder » besessen — vgl. Beitr. z. Krit. und Erkl. griech. Schriitst. VII S. 9 ff., jetzt Hellenika I 342 ff. Auf eine derartige Analogie haben G. Lumbroso, Ricerche Alessandrine (Schriften der Turiner Akademie 1873, II 260 ff. c. 4) und Usener (Preuß. Jahrb. Band LIII Heft I, „Organisation der wissenschaftlichen Arbeit" S. 7) [= Vorträge und Aufsätze, 1907, S. 76] hingewiesen. In bestimmterer Weise hai sich für diese Identifikation von Wilamowitz erklärt (Antigonos von Karysios 263 if.), jetzt auch Erich Ziebarth, Das griechische Vereinswesen, Preisschriften der Jablonowskyschen Gesellschaft Leipzig 1896. Dieser nennt das alexandrinische Museum ein „hervorragendes Beispiel", an dem wir noch „die Einwirkung der Organisation der attischen Philosophenvereine deutlich erkennen" (S. 73), ohne zu bemerken, daß die gleich darauf aus Strabon angeführte Angabe (XVII, [l, 7, p.] 794), das Museum besitze «?« «, dem, was wir in den Philosophen-Testamenten lesen, schnurstracks widerstreitet Diese sogenannten Vereine entbehrten in Wahrheit aller Korporationsrechte und jeder rechtlichen Stellung nach außen, nicht in den späten römischen Zeiten, wohl aber zur Zeit, in welche uns die erhaltenen Philosophen-Testamente weisen. Sie besaßen eine innere Tendenz, Korporationen zu werden, aber die attische Gesetzgebung versagte ihnen augenscheinlich die Möglichkeit, diese Tendenz anders als auf dem Umwege von Fiktionen und moralischen Einflüssen zu verwirklichen. Daß die in diesen gleichwie in allen anderen Lehranstalten heimischen Kulte mit der Rechtsform der Verbände irgend etwas zu tun haben, konnte behauptet, aber nicht bewiesen werden. Meine oben angeführten Darlegungen blieben unberücksichtigt bei Paul Wendland, Die hellenisiisch-röir.ische K-jliur2, Tübingen 1912, S. 21 f. Die Anführung aus Theophrasts Testament lautet im Original: ' w; , jene des zweiten Alkibiades von AthenaeUS XI 506 C Ι,ό γαρ οεύτερος 'ΐ-Λ τίνων ΞενοφιΪΛτος είναι λέγεται], der Epinomis bei L. Diog. Ill 37 (τούτου δε -/.Ά την Έ-ινο;λί5α φασ1^ έΐν«;, vgl. auch Olympiodors Prolegomena c. 25, VI 218 Hermann, und Suidas s. ν. φ·.λό3οφηςΐ. Meine Vermutung, Philipp sei Platons Amanuensis gewesen, beruht auf dem Index Acad. col. III [36, p. 13 Mekler], wo der nur unzulänglich verwirklicht wurde. Siebeck bezieht jedoch diese Ankündigung auf den Laches ([Untersuchungen] 127), den er darum jenem Buche des „Staates" nachfolgen läßt. Da er nun dem Laches nicht ohne Wahrscheinlichkeit den Protagoras nachstellt (S. 120) und diesem mit vollstem Rechte den Gorgias und den Menon, dem Gorgias gleichfalls mit Recht den Phädros (129), so wird (von dem widerstreitenden Zeugnis der Sprachkriterien abgesehen) die mittlere Periode von Platons Schriftstellerei in völlig unglaubhafter Weise überlastet, Platons frühere Schaffenszeit so gut als völlig entleert. \Ver genauer zusieht, wird übrigens aus der Gegenüberstellung von Staat 430* mit Laches 196* ff. keineswegs mit S. schließen, daß der Laches „die Erfüllung der im Staat 430° gegebenen Verheißung" enthält (S. 127). Der Begriff des tierischen Mutes wird [nämlich] im Laches aus zahlreichen Einzelfällen herausgeschält und gleichsam erarbeitet, an jener Stelle des „Staates" hingegen wie ein fertiger Besitz mit Sicherheit gehandhabt. Daraus ergibt sich weit eher die umgekehrte Reihenfolge. Wenn auch v. Arnim De Platonis dial, quaest. chronolog. den Laches später als wir, aber freilich nicht so spät als Siebeck verfaßt sein läßt (p. 19), so scheint er mir die Beweiskraft einiger weniger Antwortformeln denn doch zu überschätzen. [In den „Sprachl. Forschungen" (S. 234) läßt v. Arnim auf Grund vermehrter Beobachtungen den Laches unmittelbar nach Ion und Protagoras verfaßt sein]. 238 1) Zu den seltsamsten Verirrungen der Hyperkritik gehört es, daß selbst der reizvolle Charmides nicht weniger als der Lysis — „zwei Edelsteine im Kranze der platonischen Schriftstellerei, klein, aber auf das feinste geschliffen" (Lehrs, Platos Phädrus und Gastmahl XV) — der Ächtung verfallen ist, durch Ast [Platons Leben 419 ff.], Socher [Platons Schriften 130 ff.] und andere bis in die neueste Zeit [Schaarschmidt, Sammlung d. plat. Schriften (1866) 415 ff.; Stiefel, Gedankenentwicklung des unter Platons Namen erhaltenen Dialogs Charmides (1908)]. 241 1) [Od. XVII 347]. 243 1) Auf die Parallele zu Charmides 174»> im Gorgias 49Qbc hat mein verehrter Lehrer Bonitz Platoa Studien3 251 hingewiesen — ein Werk, dem hier und anderwärts unsere Darlegungen vieles verdanken.

Zu Buch V, Kap. 3— 4, S. 244— 256

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244 1) Die Vermutung, da der dritte Definitionsversuch [Sophrosyne = das Seine tun] von einem anderen Sokratiker, und zwar von Antisthenes, herr hre, hat Joel Der echte und der xenophontische Sokrates I 490 (vgl. II 1097) ausgesprochen und H. Gomperz hat sie Archiv XIX 525 zu st tzen versucht. Zu Buch V, Kap. 4. 246 1) George Grote: Plato II 45. 249 1) Gegen Bonitzens Annahme, da die hier besprochene Argumentation (Protag. 332* ff.) „von Plato nicht ernstlich gemeint sei" (Plat. Stud. 3 265«), spricht m. E. entscheidend der Umstand, da dieser sich des Doppelsinnes von αφροσύνη zur Zeit, da er noch reiner Sokratiker war, mit voller Klarheit gar nicht bewu t sein konnte. Denn solch eine strenge Unterscheidung ist unvereinbar mit der intellektualistischen Lehre, verm ge welcher der Wille ausschlie lich durch Einsichten bestimmt wird. Seltsam, da Bonitz das verkannt und zu= gleich bersehen hat, wie Platon in dieser Er rterung genau auf dem Standpunkt des xenophontischen Sokrates steht. Bonitz selbst formuliert den angeblich nicht ernst gemeinten „Satz, dessen Beweis hier unternommen wird", so: „σωφροσύνη χαί σοφία ταύτο'", — ohne sich, wie es scheint, des Satzes der Memorabilien (III 9, 4) irgend zu erinnern: cocp'av . . -/M σωφροσύνην ου οι>; V 743e; IX 870b; vgl. auch Epist. VIII, 355d]; als das einzige Gut erscheint die Weisheit Euthydem 28K 278 1) Hier sei auch auf Guyau (Esquisse d'une morale sans obligation ni sanction p. 91) hingewiesen, der sehr berzeugend dartut, da das dem Genu vorangehende Verlangen ganz und gar nicht durchweg als Schmerz empfunden werden mu . Der extreme Hunger ist qualvoll, der Appetit ist angenehm. Der Stillung eines Verlangens geht nicht Unlust, sondern eine Lustempfindung voraus, falls das Verlangen hinter einem gewissen Ausma von Heftigkeit zur ckbleibt und seine Stillung als erreichbar, und zwar als nahe erreichbar, gilt. 270 1) [Leiblichkeit als Hindernis der Erkentnis: Gorg. 523^]. — Die zwei vidersprechenden Stellen: Gorg. 460b (ούκοΰν κατά τούτον τον λίγο ν και ό τα δίκαια μεμαοηκώς δίκαιος;) U. 525bc (οί> γαρ οΐίν τε αλλ«)?, n mlich ohne Strafe, αδικίας ά-αλλάττεσί}«ι). — [Ebenma und Sch nheit Merkmale der G te, da Gorg. 525« ασυμμετρία und αισχρός; solche der Schlechtigkeit]. 280 1) Die Nebeneinanderstellung der verschiedentlichen ethischen Ma st be: in den „Gesetzen" V 734*. [Zweckl ge:] ebd. II 663*. 282 1) [Umst lpung des Lebens: Gorg. 481°]. Der kynisch gef rbte Ausspruch im „Totengericht" 525 auch dann erfolgt sein kann, nachdem Platon schon seine neue Ansicht von der όσίό-ης oder ;o^^t7 als einer das rechtschaffene Handeln beg l e i t e n d e n Gesinnung gewonnen hatte. Die hierin beschlossene r a d i k a l e A u f f a s s u n g von Opfer und Gebet mu te eben nicht bei j e d e m Anla , auch dort, wo eine Begr ndung durch den Zusammenhang ausgeschlossen war, in die Erscheinung treten. — Als notwendigen Wink infcetreff der Eliminierung der όσιό-τ,ς hat schon Schleiermacher unser Gespr ch verstanden [Platons Werke] I 2s, 38. Andere [vor allem Susemihl, Genet. Entw. d. plat. Philos. I 122 f., wollten] — wie Lutoslawski Plato's Logic p. 200 angibt — [besonders auf Grund der angef hrten u erung im] Gorgias [den Euthyphron auch

Zw Buch V, Kap. 6, S. 283—291

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diesem Gespr ch nachfolgen lassen. Ebenso], jedoch mit ganz anderer Begr ndung, auch K. F. Hermann, Geschichte und System usw. 480. Ober die Athetese Asts [Platons Leben 469] u. a. schweige ich lieber. 283 1) Mit der Kritik der Kronos- und Uranos-Mythen [6b] vergleiche man Staat II 378* ff. 285 1) [Euthyphron 14t>°; Staat II, 379"—380°]. Ich denke hier an Bonitzens treffliche Er rterung, Platonische Studien3 227 if., insbesondere 2341. 288 1) ber den Moral-Positivismus einiger Nominalisten vgl. berwegHeinzes Grundri [II10 584 und 605 f.]. Auf vieles Einzelne verweist Vid. Cathrein, Moralphilosophie [P 149 f.]. Nicht nur [Duns Scotus,] Occam und Gerson, auch Descartes [Meditationen, Antwort auf die VI. Obiektionen, Nr. 6] und Pufendorf [De jure naturae et gentium I 2, 6] erscheinen [da] unter den Klassikern des Moral-Positivismus. 289 1) Die Anf hrung aus Kant: Werke X 184 Anm. Rosenkranz und Schubert [= Ges. Schriften VI 154 Anm.]. Charakteristisch f r den Euthyphron ist die berlegene, mit dem Gegenstand spielende Ironie, die sich sogleich im Eingang kundgibt. Der Ankl ger des Sokrates wird nicht wie im Gorgias geschm ht (486b: •/.ττηγο'οο·.) τυ/ών -fr.») φαύλου /.it μοχθηρού ι, sondern mit kalter turmhoher Verachtung behandelt. berlegen ist auch die Kunst, die den Einzelfall mit der durch ihn veranla ten grunds tzlichen Er rterung zwang- und wie absichtslos zu verflechten wei . Gro ist ferner die logische Reife des Verfassers. Man beachte die strenge Unterscheidung von ού-ί« und -aDot (ll a ), das ί-\ -λέον (den weiteren Umfang) eines Begriffes (12°), die Verwendung des Wortes ΰ-όί>εσ(:, das in der Prctagorasgruppe ganz zu fehlen scheint und hier (ll c ) technischer als im Gorgias (454°) gebraucht wird, endlich die pr zise Art, mit welcher der Begriff des ίσιον jenem des οί'/.α'.ον subordiniert wird (12d) in scharfem Gegensatze zu der, der popul ren Ansicht gem en Koordination beider im Gorgias (507b). [All das beweist, wo nicht geradezu die zeitliche Priorit t des Gorgias vor dem Euthyphron, so doch mindestens so viel, da dieser nicht erheblich fr her als jener verfa t sein kann. Eine weniger strenge, popul rere Ausdrucksweise w re ja 'im Gorgias, dem ganzen Charakter dieses Werkes entsprechend, auch unter der Voraussetzung seiner etwas sp teren Abfassung keineswegs unglaublich). brigens bildet der Euthyphron vielleicht die am meisten entscheidende Gegeninstanz gegen die Grotesche Auffassung der dialogues of search als wirklich ergebnisloser Er rterungen. 2) Die von Ast (Platons Leben 394] und Schaarschmidt [Sammlung d. plai. Schriften 342 ff.] bezweifelte Echtheit des Menon ist durch Aristoteles besser bezeugt als jene des Protagoras oder Gorgias. Vgl. die Stellen in berwegs Untersuchungen S. 139. 290 1) Zur gorgianischen Definition der Farbe [Menon 76d] vgl. I* [405 samt der zugeh rigen Anm.] S. 497 i. 291 1) Man vergleiche Mencn SCd: ·?, εϊ -/.v. '7 T( η.ΆπτΊ. έντύ/ο-.; vj-, :τ,:>ς cfc:! on TO'TO έ~·.·/ ο Λ ουκ ήοη-ίΐ'/: mit Xenophanes Fragm. 14 Mullach [= FVS. II B 34, 3] (von uns besprochen P 136 und 253): d γα? -/.it τα μαλ-τ^

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Zu Buch V, Kap. 6—7, S. 291—298

2) Die Ani hrung [Menon 81bc] aus Pindar = Fragm. 133 (Bergk Poet. lyr. Gr. l1 428). Zur geometrischen Er rterung in Kap. 16—19 vgl. Cantor, Vorlesungen ber Geschichte der Mathematik P 204 f. Was dort geliefert wird, ist „der Beweis des pythagoreischen Lehrsatzes f r den Fall des gleichschenklig rechtwinkligen Dreiecks". [Zu dem im n chsten Absatz errterten Begriff der geometrischen Hypothese (Menon 86e f.)] vgl. J. Cook Wilson in Journ. of Philol. vol. XXVIII und Apelt in der dem Verf. gewidmeten Festschrift S. 290 ff., auch Paul Tannerys kleinen Aufsatz in dessen Paris 1912 von Heiberg und Zeuthen ver ffentlichten Memoires scientifiques I 39—45, [endlich unten Anm. l zu S. 516]. 292 1) Die hier erw hnte Bestechung des Ismenias wurde als chronologisches Merkmal verwendet, vgl. oben S. 224. 293 1) Der Zusammenhang zwischen der Wiedererinnerung (άνά,ανηαις) [81d] und der urs chlichen Einsicht (αιτίας λογισμοί) [98a] bleibt dunkel, solange man bei der letzteren an eigentliche Kausalit t (des Geschehens) denkt, die ja auf empirischem Wege ermittelt wird. Platon denkt dabei mehr an G r n d e als an Ursachen. Es fehlt ihm das Wort D e d u k t i o n , aber die deduktive Erkenntnis ist es, die er hier im Auge hat, die ihm allein unumst liche Gewi heit zu bieten scheint und zu deren Versinnlichung ihm die Mathematik die geeignetsten Beispiele darbietet. 294 1) Im Folgenden entlehne ich manches meiner Abhandlung: Platonische Aufs tze I, Wien 1887, S. 5ff. [Schleiermacher: Platons Werke II l3 229 bzw. 227]. F r die zeitliche Stellung des Menon darf vielleicht auch der Umstand ver· wertet werden, da an mehreren Stellen, wo dazu ein Anla gegeben war (74» und 88»), die Fr mmigkeit nicht als eine Sondertugend namhaft gemacht wird. Soweit dieses Kriterium reicht, spricht es daf r, da dem Menon der Euthyphron voranging. 295 1) Palinodie des Gorgias: man beachte den grellen Widerspruch zwischen Gorgias 516e/517a und Menon 93? Σω.'Λληίίεϊς άρα . . .. οί εαττροσί^εν λόγοι Ι Σω. Έ,Άοιγε, ]. 309 1) Eine Anspielung auf den Charmides: nämlich Symp. 205e, verglichen mit Charmides 163C. Wegen des Verhältnisses zum Menon vergleiche Sv:r,p. 202« mit Menon 97» ff.

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Zu Buch V, Kap. 7—8, S. 309—317

2) Urteil über den Wert der Dichter: vgl. Symp. 209» fi. gegenüber Gorg. 502bff. Berechtigung des Ehrgeizes: Symp. 208» ., verglichen mit Staat I34T>. 310 1) Unserer Auffassung des inneren Baues des „Gastmals" steht am nächsten Arnold Hug, Platons Symposion (Leipz. 1876). [Xenophon über Alkibiades: Mem. I 2, 12 ff. Im Folgenden angeführt: Platon Symp. 216»; Protag. 309»]. 311 1) Das kleine Gedicht [Frg. 7] (bei Bergk Poetae lyr. Graeci II1 p. 301) [= Frg. 6, S. 88 Diehl] schließt mit dem Verse: ?; ' . In diesem einen Punkte, der „Beziehung auf Dio", erfreue ich mich der Zustimmung Paul Natorps in seinem neuesten Buche: „Platons Ideenlehre. Eine Einführung in den Idealismus", Leipzig 1903,S. 1661 [= - 17l1]. Wiesehr im übrigen unsere Wege auseinandergehen, das lehrt ebd. Natorps Auffassung des letzten Ziels der von Diotima geschilderten Liebesweihen: „Vertritt aber das Schöne durchweg das Gesetzliche, so bedeutet das e i n e Schöne notwendig das G e s e t z d e r G e s e t z l i c h k e i t s e l b s t ; also die letzte, zentrale Vereinigung aller besonderen Erkenntnisse im U r g e s e t z e der E r k e n n t n i s selbst, in ihrer reinen M e t h o d e n g r u n d l a g e " (S. 171) [= * 176]. Daß an der Echtheit jenes [Gedichtes] sowie auch [einiger] anderer platonischer Dichtungen zu zwei« fein kein Grund vorhanden sei, diese Überzeugung teile ich mit v. Wüamowitz. [Vgl. jetzt dessen „Platon" I 637, ferner I 360 und 452. — Das Meer des Schönen: Symp. 210*].

Zu Buch V, Kap. 8. 312 1) Zum ersten Absatz vgl. vor allem Tylor, Primitive Culture 222. D'Acosta's Historia de las Indias war mir nur in französischer Übersetzung (Paris 1592) zugänglich. Dort findet sich der von Tylor zitierte Satz p. 214 f. Laffiteau, Moeurs des sauvages Americains I p. 360 (auch angeführt von Debrosses, Du culte des dieux fetiches p. 59), berichtet über den Glauben der Irokesen, daß jede Tiergattung ein Urbild im Lande der Seelen besitze, ce qui revient aux idees de Platon. 313 1) Die Anführung aus Herbart: Ges. Werke XI! 81 [KarienstsinJ. Die Darlegungen des Aristoteles Metaph. A 6 [987* 32 ff.] und ähnlich M 4 [1078t 12B.1. 314 1) Schrift „Von der Kunst": § 2, vgl. des Verf. Apologie der Heilkunst2 S. 36 fi. und S. 93 ff. 2) Das Epicharmfragment bei Kaibel Com. Grace. Fragm. I l, p. 123 (Fragm. 171 = 41 Lorenz) [= FVS. 13 B 3]. 315 1) Hermann Bonitz: Platonische Studien3 S. 201. 2) J. S. Miil: Ges. Werke XI! 86 f. (Dissert, and Discuss. Ill 348 E.) 3) [Phädon 74» ff.]. 317 1) Dieser Vermittlungsversuch gehört Herbert Spencer an [Principles of Psychology § 189,1 422 if.]. — Zum Folgenden vgl. vornehmlich die auf diesen Gegenstand bezüglichen Abschnitte in Mills Logik, vor allem Buch II C- 5—7 (Ges. Werke IIs 259ff.); desgleichen Helmholtz, Über den Ursprung und die Bedeutung der geometrischen Axiome, Populäre Aufsätze S. 23 ff. [= Vorträge und Reden II4 l ff.], und desselben „Zählen und Messen, erkenntnistheoreüsch betrachtet" in Philosophische Aufsätze, Eduard Zeller gewidmet, S. 17 ff. Auch

Z« Buch l·', Kap. 8—9, .$'. si

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ebenda Kronecker, Über den Zahlbegriff S. 263 ff. Stallos Polemik gegen Mill (Die Begriffe und Theorien der modernen Physik S. 138 ff.) ist zum Teil, aber sicherlich nur zum Teil, zutreffend. Ungleich näher als der durch ihn beim deutschen Publikum eingeführte Stallo steht unserem — empirischen — Standpunkt Ernst Mach selbst in den erkenntnislheoretischen Exkursen, die er seinen „Prinzipien der Wärmelehre" beigefügt hat [besonders in dem Abschnitt „Der Begriff" S. 415fi.]; vgl. auch dessen „Analyse der Empfindungen" [XIV 23] 3 264 i. 319 1) Xenophanes und sein -->- \>. \ nach L. Diog. IX 19 [= FVS. 11 A 1]; vgl. Rohde Psyche IP 258. Zu den alt-arischen Vorstellungen im Folgenden vgl. Darmesteter, Zer.d-Avesta I (Sacred Books of the East IV) 1872, wo Spuren der Lehre von der Rückkehr der Bestandteile des Menschen zu den Elementen auch im Rig-Veda und in der Edda nachgewiesen werden. 320 1) Die Anführung aus Epicharm: Fragm. 245 Kaibel = 8 Lorenz [= FVS. 13 B 8]. Über die Echtheit dieser und verwandter Bruchstücke hal Verfasser kürzlich (Beiträge zur Kritik und Erklärung usw. VII S. 5 if., jetzt Hellenika I 338 if.) gehandelt, desgleichen über tiefgreifende Übereinstimmungen des Epicharm mit Xenophanes. 2) Verkehr der beiden an Hierons Hofe: nach Marm. Parium im C. I. G. I! p. 302 [= FVS. 13 A 5]; Giern. Strom. I 14, 64 (353 Pott.) [r= II 40, 20 Stählin = FVS. 11 A 8] u. Plut. apophthegm. 175 [p. 175c] (Mor. 208, 29 ff. Dübn.) [= FVS. 11 A 11]. — Aristoteles: nämlich Metaph. 5 1010» 5 [= FVS. 11 A 15]. behandelt vom Verf. Beiträge III S. 8 f., jetzt Hellenika I 243 f., wo der Vers gewonnen ward: y.;·.· o-i·/. l·^. T O O , ' '. ä/.siHio; ' , jetzt Fragm. 252 K- — Menander: bei Stob. Floril. 91, 29 [Meineke =-- V 743, 2 Hense], auch Epicharm Fragm. 239 Kaib. = 11 Lor. [= FVS. 13 B 8]. Das nächsterwähnte Epicharm-Fragm. 249 Kaib. = 2 Lor. [= FVS. 13 B 12]. 322 ·) Herodois Erzählung: VI 86. 323 1) Ernst Renan: Les Apötres, Introduct., p. LXIV. Vgl. auch desselben tiefsinnige Bemerkungen Hist, du Peuple d'Israel IV 359/60.

Zu Buch V, Kap. Q. 324 1) Das Goethesche Wort: in seinem Gespräch mit Eckermann [vom 14. April 1824 = Biedermann Nr. 938]. — Die Authentizität der von Platon dem Lysias beigelegten Liebesrede ist am eingehendsten von Vahlen (Berliner Sitzungsberichte 1903 S. 788 [= Ges. philol. Schriften II 675] ff.) verteidigt und neuerlich von H. \Veir.siock De Erotico Lysiaco (Münster 1912) bestritten worden. Hier findet man auch die Literatur über diese Streitfrage weitläufig verzeichnet. 2) Des Polykrates Lobrede auf die Mäuse usw.; vgl. Blaß Attische Beredsamkeit II2 367 ff. 3) Es ist kürzlich (von 1C. Joi-1 in der Festschrift für M. Heinze 19%) 'S. 85 ff.] ciie Vermutung ausgesprochen worden, daß auch diese Rede nicht eine Fiktion Platons darstellt, sondern in einem Werke des Antisthenes dem Sokrates in den Mund gelegt worden war. 326 1) [Die beiden wörtlichen Anführungen: Phädr. 247'· ff. und 248« f. Die drei folgenden: ebd. 250^, 256*, 256cf.].

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Zu Buch Γ, Kap. g, S. 327—53?

327 1) Eine unverkennbare R ckbeziehung auf den Gorgias im Ph dros 260^: ώσζερ γαρ άκούειν οον.ώ . . . . o'jy. £371 τέχνη, άλϊ'. όίττ/νο.; τρ^ή. An der neu gewonnenen h heren Sch tzung der Rhetorik h lt Platon fest, selbst noch im Staatsmann 3043· (vgl. Thompsons Einleitung zu seiner Ausgabe des Ph dros p. XVI). Ein anderer Anklang an den Qorgias (452") im Ph dros 261?·. Zu diesem Zeitverh ltnis stimmt aufs beste das rasche Hinweggleiteu ber den hochgeieierten Rhetor (Ι'^γ.η . . . i'hw>.r< :ϋο:·.-/' [267al. Das konnte sich Platon wohl nur erlauben, wenn er sich schon vorher mit ihm aufs einl lichste besch ftigt hatte. Auch Ph dr. 260Λ und 26Q«1 erinnern an Stellen jenes Dialogs. 328 1) Der Vergleich eines literarischen Kunstwerks mit einem Organismus erscheint hier zum erstenmal (Ph dr. 264c) und kehrt, worauf Thompson a. a. O. p. 103 hinwies, wieder Philebos 64b und, ein wenig modifiziert, Staatsmann 277b. Hier wie so oft folgt den Spuren seines Meisters Aristoteles, Poetik Kap. 23 145Qa 20. 329 1) [Nach Rhapsodenart: 277«; Schattenbilder: 276»; edles Spiel: 276ο. — Die letzte Anf hrung] aus Schleiermachers Einleitung zu Platens Werken I l3, 16. 330 1) ber die politischen [Verh ltnisse, die zu] Platons Abneigung gegen Lysias und [zu seiner] Vorliebe f r Isckrates [beigetragen haben m gen}, handelt vortrefflich Niebuhr, Vortrage ber alte Geschichte II 212. 2) Kunst der Eihop ie: mau vergleiche die Urleile der Allen bei B!a Art. Beredsamkeit l 2 394. Wenn das Genrehafte Piaton in Sophrons Mim-iii anzog (vgl. S. 209), in den Gerichtsrcden des Lysias aber abstie , so lieg: der Widerspruch mehr in den Worten als in der Sache. Jene Artung des Mimos, die wir zum Teil aus den Bruchsl cken und noch mehr aus Theokrics Nachbildungen kennen, hat das Allt gliche durch frei waltenden Humor verkl rt; die Advokatenrede des Lysias haftet am Allt glichen und mochte dem Verfasser des Staates gegen sein Verbot zu versto en scheinen: τα ο άνελε^εοα μήτε ΓΛΙ&Ι αήτε οε-.νοϋς ε-vat 'wr^rtv. (Ill 395«, vgl. auch 3%(1, 397*, 593», ferner das Verdikt gegen alles Banausische VI 495d). 331 1) ber die gegen schines gerichtete Gerichtsrede des Lysias vgl. Anm. l zu S. 403. 2) Gegnerschaft gegen Antisthenes: vgl. [L. Diog. VI 15 = ?. 12 Winckelmann und] Bla Att. Beredsamkeit IF 45. Da Platon schon zur Zeit, da er den Ph dros schrieb, dem Antisthenes abgeneigt war, kann man nicht ohne Wahrscheinlichkeit aus dem Spott ber Mythendeutung 229b ff. schlie en. — Vgl. brigens ber die ganze Frage H. Gomperz Wien. Stud. XXVIII, S. 37 f. 3) Ciceros oft angegriffene Meldung: haec de adulescente Socrates au£uratur, at ea de seniore scribit Plato et scribit aequalis (Orator 42), gilt uns als durchaus wohlbegr ndet. Unsere Auffassung des vielberufenen vaticinium wurde schon vor einem Menschenalter von Thompson p. 182 f. seiner Ausgabe vorweggenommen, und hnlich hat auch Constantin Ritter (Untersuchungen ber Plato S. 133), wenngleich nicht ohne einige bertreibung, geurteilt. 332 1) Von seiner „Philosophie" spricht Isokrates Rede XII § 9, XV § 50, vgl. auch § 41, im Gegensatz zu der Unfruchtbarkeit der „sogenannten Philo-

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sophie" § 270 und § 181, mit direktem Bezug auch auf Platon X § 1; von den Fürsten der Streitkunst XV § 261. [Kinderschule: ebenda § 266.] Der Ausfall gegen den toten Platon V § 12 ist ein Jahr nach Platons Tode, also wohl unter dem unmittelbaren Eindruck der soeben veröffentlichten Gesetze und der darin enthaltenen, dem Rhetorenstand überaus feindseligen Äußerungen (XI, 937° ff.) erfolgt. Gewiß hat Isokrates das Wort Sophist nicht selten auch in ehrenvollem Sinne gebraucht. Doch paart er es auch mit Ausdrücken der Geringschätzung. Die stärksten Kundgebungen seines Selbstgefühls wohl XII § 13 und XV § 46 ff. 333 1) Die beiden hier erwähnten Stellen finden sich Symp. 209C/(1 und Phädros 277e nebst 278°. Man kann uns einwenden, daß [auch] im Staat X 599d/e Lykurg und Solon ehrenvoll genannt werden. Doch darf man nicht vergessen, daß Platon dem Solon als dem Freunde seiner Vorfahren p e r s ö n l i c h immer hohe Verehrung zollte, und Lykurgs bedarf er dort als einer Folie für den getadelten Homer. 2) Der neueste Versuch, die Priorität des Phädros vor dem Symposion zu erweisen (Ivo Bruns, Attische Liebestheorien, Neue Jahrbücher 1900 S. 17 ff.), ist geistreich, aber von Künstelei und Gewaltsamkeit keineswegs frei. Das Hauptargument läßt sich geradezu umkehren. Das Symposion weiß nichts von persönlicher Unsterblichkeit; ihre Stelle vertritt die Fortsetzung des individuellen Daseins durch die leibliche und geistige Nachkommenschaft. Nun beschäftigt aber die Frage der individuellen Unsterblichkeit Platon gar angelegentlich im Phädon, im „Staate", in den „Gesetzen". Die letzteren wiederholen sogar, wie wir sehen werden, einen im Phädros vorgebrachten Unsterblichkeitsbeweis. Die Sonderstellung des Symposion in diesem Betracht beweist daher, soweit sie irgend etwas beweist, seine Priorität, nicht jene des Phädros. 3) Die Abfassungszeit des Phädros und seine Beziehung zu anderen Gesprächen sowohl als zu einigen Erzeugnissen der sonstigen zeitgenössischen Literatur bilden den Gegenstand einer weithin wuchernden Kontroverse. Das Altertum freilich haben hier keinerlei Zweifel und Schwierigkeiten angefochten. Der erotische Gehalt des ersten Teiles legte den Gedanken nahe, der Phädros sei ein Jugendwerk, und von da war es nicht weit zu dem Schlüsse, er sei das Erstlingswerk Platons (vgl. S. 223 Anm. 4). Dieser Überlieferung wollte Schleiermacher zwar keinerlei Gewicht beilegen, doch glaubte er, daß die Absicht des Gesprächs und die Art ihrer Durchführung ihm „unwiderruflich die früheste Stelle unter allen Werken des Platon" sichern (Platons Werke I l3, S. 47 u. 53). Auch Bonitz ist für die frühe Abfassung des Phädros eingetreten. Er findet, kurz gesagt, daß die verschiedenen darin behandelten Themen nicht so vollständig und zwanglos ineinander gearbeitet sind, wie wir dies von der vollendeten Meisterschaft Platons erwarten durften. „Mit Vorzügen, die nur dem genialen Künstler erreichbar sind, verbinden sich Mangel, in denen wir den anfangenden Künstler werden erkennen dürfen" (Platon. Studien3 292). Man darf, so meine ich, erwidern, daß nicht unzulängliches Geschick in der Bewältigung der Aufgabe, sondern deren übergroße Schwierigkeit an den von Bonitz namhaft gemachten Mängeln die Schuld trägt. Die Dünnheit der „verbindenden Fäden", die Ersichtlichkeit der „Fugen der Gliederung" [ebenda 291] — beides kehrt im „Staat" und in den „Gesetzen" in erhöhtem Maße wieder. Mit diesen Werken, nicht mit den „kleinen, an Inhalt nicht bedeutenden", aber auch nicht mit den „vollendeten

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Werken", deren Inhalt zwar höchst bedeutend, aber doch ungleich einheitlicher ist [„Protagoras, Gorgias, Phädon, Symposion"], hätte Bonitz den Phädros vergleichen müssen, um ihn mit voller Billigkeit zu beurteilen. Der jüngste Versuch, den Phädros der platonischen Frühzeit zuzuweisen, ist von Usener unternommen worden (Rhein. Mus. XXXV, 131 if.) [= Kl. Schriften III 55 ff.]- Danach soll Platon den Phädros „überraschend früh, schon im 25. Lebensjahr", nämlich 403 oder 402, geschrieben haben. Das ist, von allem anderen abgesehen, u. E. schon durch die Art, wie Lysias als „der bedeutendste Redenschreiber seiner Zeit", ; .... ·>, (228*), darin erscheint, vollständig ausgeschlossen. Denn Lysias hat — worauf auch Grote, Plato I 200 in verwandtem Zusammenhang hinweist — 403 eine Rede gehalten, in der er von seiner „Unerfahrenheit" spricht. Diese könnte man zur Not noch auf seine Ungewohntheit im öffentlichen Auftreten beziehen. Allein die umgebenden Worte : ?,·.* -iv-,. . ;.... wttfiw.vi - '. ^ ' (Rede XII § 3) lassen es, wie ich mit Blaß Att. Beredsamkeit P 542 urteile, ganz unmöglich erscheinen, daß er damals bereits ein vielgefeierter Redenschreiber war. Auch schildert jene Rede seine persönlichen Verhältnisse und den Umschwung, den diese unter der Herrschaft der 30 Tyrannen erlitten haben. Er war vorher ein sehr wohlhabender Mann und ist erst jetzt verarmt. Das ist ein zweiter entscheidender Grund gegen die Annahme, er sei schon vorher ein Rhetor von Beruf und ein Fachmann gewesen, der so, wie es im Phädros a. a. O. geschieht, dem „Laien"(iot'o~/j; gegenübergestellt werden konnte. Man vergleiche, was wir über die Geringschätzung solch einer banausischen Tätigkeit I4 484 [Anm. 2 zu S. 346 und Anm. l zu S. 347] zusammengestellt haben. Derartiges vorauszusetzen könnten uns nur Gründe oder Zeugnisse von geradezu überwältigender Stärke vermögen. In Wahrheit führt uns das Datum keiner einzigen lysianischen Rede hinter jenen Zeitpunkt zurück. Useners Beweisführung fußt zum größten Teil auf der Notiz in Ciceros Brutus § 48: nam Lysiam primo profited solitum artem esse dicendi; deinde, otuod Theodorus esset in arte subtilior, in orationibus autem ieiunior, orationes eum scribere aliis coepisse, artem removisse. Mag immerhin Aristoteles Ciceros Gewährsmann sein (vgl. § 46), der Wortlaut der [aristotelischen] Meldung liegt nicht vor uns, und die Möglichkeit [ihrer] freieren Wiedergabe durch Cicero kann nicht als ausgeschlossen gelten. Mit einem Worte: wir sind keineswegs zu der Annahme genötigt, daß die beiden hier erwähnten Betätigungsweisen des Lysias sich geradezu abgelöst haben, und daß somit seine Lehrwirksamkeit [auch] schon seinen frühesten Gerichisreden vorangegangen sei. Vielmehr zwingen uns die aus den Lebensumständen des Lysias sich ergebenden Schlüsse, die aristotelisch-ciceronische Notiz dahin aufzufassen, daß Lysias anfänglich, aber nicht vor 403, Lehrer der Rhetorik war, und daß diese seine Tätigkeit neben seiner Wirksamkeit als Logograph oder Advokat mehr und mehr in den Hintergrund getreten ist. An dieser unserer Auffassung kann uns auch nicht die von Reinhardt De Isocratis aemulis p. 4 herbeigezogene Behauptung des Isokrates irremachen, wonach niemals ein Logograph Lehrer der Rhetorik geworden ist (R. XV § 41). Das mag, streng genommen, richtig sein, widerspricht aber, also aufgefaßt, auch nicht der uns durch die Tatsachen aufgenötigten Vorstellung von Lysias' Lebensgang. Daß aber der Übergang von dem einen zu dem anderen dieser Berufe sich so vollzogen habe, daß der zuerst er-

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griffene vollständig aufgegeben war, ehe der zweite begonnen ward, das mag von Isokrates selbst gelten, der als Anwalt b e g o n n e n und als Lehrer geendet hat und der übrigens beflissen war, die Spuren seiner kurzen Advokatenlaufbahn zu verwischen (vgl. I1 346f.): eine derartige unverbrüchliche Norm, die auch bei umgekehrter Reihenfolge Lysias oder Antiphon einhalten m u ß t e , kann es nicht gegeben haben. Einen bedeutsamen Anhaltspunkt glaubte Leonhard Spengel (Isokrates und Platon, Münchener Akademieschriften 1855) in der merkwürdigen Übereinstimmung zu finden, die zwischen einer Stelle des „Phädros" (269*1) und [einer solchen] der Sophistenrede des Isokrates (R. XIII 17f.) obwaltet. Spengel fand zahlreiche Nachfolger, und vielfach wird darüber verhandelt, ob Platon oder Isokrates der Borgende sei. All diesen Kombinationen ist der Boden entzogen worden, seitdem es sich gezeigt hat, daß beide Autoren jene Gedanken über Bildung und Erziehung bei dem sogenannten Anonymus Jamblichi (Jamblichi Protrepticus c. 20 = p. 95, 13 ff. Pistelli) [=FVS. 82, 1] vorgefunden und sie entweder dieser Sophistenschriit oder einem Vorgänger des Anonymus entlehnt haben. Darauf hat H. Gomperz mit vollem Rechte, wie ich glaube, hingewiesen (Isokrates und die Sokratik I, Wiener Studien XXVII S. 168 ff.). Aussichtsreicher schien nunmehr ein anderer Weg, dem chronologischen Probleme beizukommen. C. Reinhardt hatte die Wahrnehmung gemacht, daß Isokrates in seinem Panegyricus gegen Alkidamas' Rede über die Sophisten polemisiere (De Isocratis aemulis, Bonn 1873). Vgl. [Isokrates, R. IV] § 11 ff. mit Alkidamas § 12 ff. Diese Wahrnehmung hat J. Zycha [Bemerkungen zu den Anspielungen und Beziehungen in der XIII. und X. Rede des Isokraies, Progr. Wien 1880] dadurch ergänzt, daß er auf einen höchst auffälligen Anklang an die Phädros-Stellen 275d, 276d/'« und 277e hinwies, der in der genannten Rede des Alkidamas § 27 und § 35 begegnet. Da nun der Panegyricus [oder doch seine endgültige Fassung und deren Veröffentlichung] sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Hochsommer 3SO fixieren ließ — vgl. Blaß, Attische Beredsamkeit II2 251 und v. Wilamowitz, Aristoteles und Athen II 380 —, so schien für die Abfassung des Phädros ein terminus ante quern gewonnen. Diese gelehrte und geistreiche Kombination besaß vor jener anderen den Vorzug, daß sie auf eine zweifellose Entlehnung und auf eine ebenso zweifellose Bezugnahme aufgebaut war. Allein auch sie hat nicht zum Ziele geführt. Der Verfasser von „Isokrates und die Sokratik" und Hans Raeder haben gleichzeitig zum mindesten die Möglichkeit, wenn nicht die Wahrscheinlichkeit, erwiesen, daß Platon und nicht Alkidamas diesmal der Entlehnende sei (Wiener Studien XXVIII 32 ff. und H. Raeder Plaions philos. Entwicklung S. 278). So bleiben uns denn nach wie vor nur innere Gründe, sprachliche sowohl als sachliche, übrig, wenn wir dem Phädros die ihm gebührende Stelle in der platonischen Schriftenreihe anweisen wollen. Die S p r a c h k r i t e r i e n deuten in ihrer Gesamtheit auf eine ziemlich späte Abfassungszeit, nahe jener des „Staates". Diese These haben dann die neueren Bearbeiter dieser Frage — am eingehendsten Raeder a. a. O. S. 245 ff. — vertreten. (Eine sicherlich morsche, aber freilich auch völlig entbehrliche Stütze der Raederschen Baweisführung ist seine Annahme [S. 276, vgl. Rh. Mus. LXHI 509], das Schlußkompliment !ür Isokrates sei „als ein schneidender Mohn zu verstehen".) Auch sind es nicht G o m p e r z , Griechische Dtnker. II. 4. Aufi.

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Zu Buch V, Kap. g, S. 333

blo die Ergebnisse der Sprachstatistik, die zugunsten einer vergleichsweise sp ten Abfassung unseres Dialogs sprechen. Auch die dem Ph don unbekannte Dreiteilung der Seele verbindet den Ph dros mit dem „Staat", und ein dem Ph don gleichfalls fremder Beweis f r die Unsterblichkeit der Seele kehrt sogar, wie wir sehen werden, erst in den „Gesetzen" wieder. Ist es m glich, ber diese relativen Zeitbestimmungen hinaus zu absoluten vorzudringen? Derartiges hat der Verfasser der Aufs tze ber „Isokrates und die Sokratik" gewagt. Er ist den Beziehungen, die zwischen dem athenischen Redner und den Sokratikern berhaupt, insbesondere aber Platon, bestanden haben, nachgegangen und ist zu einem, wie es scheint, einwandfreien Ergebnisse gelangt. Isokrates stand anf nglich der gesamten Sokratik fremd, ja feindlich gegen ber; in seinen [letzten SchriftenJ kehrt diese Gesinnung wieder. Dazwischen liegt aber ein Zeitraum von etwa 20 Jahren, in welchem Isokrates sich von sokratischen Gedanken erf llt zeigt und dem Haupte der Akademie seine Hochachtung bekundet. Den Scheitelpunkt dieser Wendung bezeichnet der „Busiris" — um 370 verfa t —, „der seinen ganzen Gedankengehalt der platonischen Politeia entnimmt und deren Verfasser als den ber hmtesten Philosophen feiert" (Wiener Studien XXVIII 25). Allein auch „die zwischen 380 und 360 verfa ten kyprischen Reden stehen vollst ndig unter sokratischem Einflu " (ebd.). In diese Epoche mu die Abfassung des Ph dros mit dem Schlu kompliment f r Isokrates fallen, und am meisten empfiehlt es sich, den Dialog recht nahe an den Busiris heranzur cken. Die Gesamtheit dieser Ergebnisse wird jedoch von e i n e m Einw nde bedroht. Dieser entstammt der Beobachtung, da die Ideenlehre im Ph dros und in dem nach dem einm tigen Zeugnis der Sprachkriterien gleichwie aus inneren Gr nden dem „Staate" um ein Betr chtliches voranzustellenden Ph don eine grundverschiedene Rolle spielt. Im Ph don wird jene platonische Grundlehre als eine bereits vielverhandelte, fast zu einem Gemeinplatz gewordene Doktrin geschildert. Vgl. 76d und 100b: d μεν έσ:'.ν -3 Η ρ υ λ ο ΰ μ ε ν α ε ί und l-' εκείνα τα π ο λ υ θ ρ ύ λ η τ α . Sie hat hier, wie wir das im Text ausf hrten, eine zentrale Stellung in Platons Geiste gewonnen. Als Ideen gelten nicht blo ethische und sthetische Wertbegriffe, sondern Allgemeinbegriffe jeder Art, deren Verh ltnis zu einander, deren Vereinbarkeit und Unvereinbarkeit in den Bereich der Errterung tritt. Auch bildet die Ideenlehre die Grundlage s mtlicher dem Erweis der Unsterblichkeit dienenden Argumente. Im Ph dros hingegen tauchen die Ideen nur als eine Vision auf; die Gerechtigkeit an sich, die Tugend an sich, sie werden von den Seelen geschaut, die im Gefolge der G tter bei deren Umzug im „ berhimmlischen Raum" erscheinen. Ja die Einf hrung dieses Gesichtes erfolgt nicht ohne einen Anflug von Zaghaftigkeit, der sich in den Worten kundgibt: „ d e n n man mu es d o c h w a g e n , die Wahrheit zu sagen, zumal wenn man von der Wahrheit spricht" ( τ ο λ μ η τ έ ο ν γα ο το γε αληθές είτ.εϊν κτέ., 24?c). Der Gedanke liegt nahe, da das vertraute Hantieren mit einer in ihrem ganzen Umfange erfa ten Lehre das Sp tere, ihr gelegentliches Auftreten und ihre sch chterne Ank ndigung das Fr here sei. Um diesen Widerspruch auszugleichen, habe ich vormals die Annahme gewagt, der Ph dros liege uns in einer zweiten Bearbeitung vor. Dann k nnte der Inhalt des Gespr ches einer fr heren, seine sprachliche Gewandung einer

Zu Buch V, Kap. w, S. 335

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späteren Epoche angehören. Allein dieser Lösungsversuch hat mich nicht dauernd befriedigt. Eine Neubearbeitung eines Schriftwerks, die sich bis auf die dem Geiste des Autors kaum bewußten Minutien des Ausdrucks, bis auf den Gebrauch und Nichtgebrauch bestimmter Partikeln erstreckt, ist schwer vorstellbar. Noch mehr bedeutet der Umstand, daß die kühne Annahme nicht alle Schwierigkeiten des Falles hinwegräumt. In bezug auf zwei bereits erwähnte wichtige Punkte der platonischen Lehre — die Dreiteilung der Seele und einen der Unsterblichkeitsbeweise — mußten wir die geradlinige Entwicklung des platonischen Denkens preisgeben und ein schwer begreifliches Schwanken an ihre Stelle setzen. Dazu kommen die oben besprochenen neueren Ermittelungen, die dem Phädros eine bestimmte, recht späte Stelle in der platonischen Schriftenreihe anweisen. So glaube ich denn nunmehr, einen anderen Weg einschlagen und die verschiedene Behandlung der Ideenlehre in den beiden Gesprächen aus der Verschiedenheit ihrer Abzweckung und Bestimmung erklären zu sollen. Der Phädros ist eine gegen Lysias und die Mehrzahl der damaligen Rhetoren gerichtete S t r e i t s c h r i f t . Sie muß sich darum notgedrungen an einen weiten, nicht aus Philosophen zusammengesetzten Leserkreis wenden. Kein Wunder daher, daß Platon dort, wo er, von seinem Gegenstande veranlaßt, die kühnste seiner Theorien vorbringt, diejenige, die dem „gesunden Menschenverstände" eines Laienpublikums am grellsten widerstreitet, einer Anwandlung von Zaghaftigkeit nicht Herr wird und die Zumutung, die er an die Denk- und Einbildungskraft seiner Leser stellt, mit einem Wort der Entschuldigung einführt. Ganz anders im Phädon. Jenes -or-jilpj/.^tci und o! !}vj'orj,u.:v az( setzt Leser voraus, die bereits durch Platons L e h r v o r t r ä g e mit der Ideenlehre, mit ihrer Begründung, mit ihrem Ausbau und ihren Verzweigungen innig vertraut waren. Kommen diese Worte trotzdem aus dem Munde des Sokrafes, so ist die Kühnheit der Fiktion nicht größer als jene, die es dem Verfasser des „Staates" erlaubt hat, seinen Meister zum Sprachrohr seiner eigensten sozialen und politischen Umsturzpläne zu machen. Besiegelt wird, wie ich meine, die Richtigkeit dieser Auffassung durch die nachfolgende Erwägung. Die Ideenlehre wird im Phädros berührt und in einem glänzenden Bilde verkörpert; sie wird in diesem Gespräche aber weder begründet noch erläutert. Die Priorität des Phädros vor dem Phädon würde daher wenig zur Erklärung der Zuversicht beitragen, mit welcher der Verfasser des Phädon jene Doktrin als eine seinen Lesern längst vertraute darstellt. Wenn wir trotz alledem die Reihenfolge: Symposion — Phädros — Phädon beibehalten, so glauben wir damit den Anforderungen der didaktischen Darstellung am besten zu entsprechen. Die Literatur über diesen Gegenstand verzeichnet Blaß Die attische Beredsamkeit II 2 S. 28 ff.

Zu Buch V, Kap. 1O. 335 1) Hier freue ich mich, mit Windeltand (Platon S. 77) genau übereinzustimmen. Ich weise darauf umso lieber hin, da die Tendenz zur Verflüchtigung der Ideenlehre und die ungeheuerliche Annahme, Platon sei in betreff seiner Grunddoktrin von Aristoteles mißverstanden worden, heutzutage eine nicht 37*

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Zu Buch V, Kap. 10, S. 335—340

unbeträchtliche Verbreitung gefunden hat. Das Hauptwerk dieser Richtung, „Platos Ideenlehre" von Paul Natorp, bietet [indes] auch demjenigen, der seinen Grundgedanken als verfehlt erachtet, manche Förderung in der Behandlung von Einzelproblemen (vgl. H. Gomperz Archiv XVIII 441—495). 2) Philolaos: vgl. über sein Weltsystem dieses Werk Buch I Kap. 4 [ = 1 * 93 ff.]. Wir werden ihm bei der Besprechung des Timäos wiederbegegnen und versparen uns v/eitere Mitteilungen bis dahin [vgl. unten Anm. 2 zu S. 479]. 336 1) [Im Folgenden: „genagelt": 83b, „geleimt": 82'; Penelope: 8 ; Schwäne: 84ff.; Weber: STbfi.; „Floß": 85«^; „flüchtige Truppen": 89*; Phädons Locken: 89»>; Menschenhaß: 89°«*; „Euripos": 90«]. 337 1) [„Fund für die Bösen": 107°; „Bildung und Nahrung": 107 ; Darstellung der Erde: 108* ff.]. 339 1) Über die Rückbeziehung des Phädon auf den Metion vgl. Anm. l zu S. 297. Ein „Schattenbild" der echten Tugend heißt die Klugheitsmorat im Phädon 69t>. 340 l Eine Berichtigung der im Phädon 101d-e ausgesprochenen methodischen Regeln enthält der „Staat" VI 511a-b und 533b-d. (Anderes Derartige bei Lutoslawski Plato's Logic 3C8—316.) Ebenso scheint der „Staat" X 61 lb mit den Worten: « (nämlich als ein Zusammengesetztes) auf die jetzt fallen gelassene Lehre von der Einfachheit der Seele, wie sie im Phädon vertreten wird [vgl. S. 343 f.], zurückzublicken (vgl. Schulteß Platonische Forschungen S. 49 und 55, der übrigens ebd. S. 58 die Folgeordnung Phädon — Phädros — Republik verfochten hat). Als irrig gilt uns die von anderen vertretene Annahme, dem Phädon gehe der Theätet voran. Diesen Anschein erzeugt allerdings der Umstand, daß Aporien, die im Phädon 96d ff. erörtert und 102b ff. mittelst der Ideenlehre gelöst werden, im Theätet 154C gleichfalls auftauchen, ohne eine Lösung zu finden. Solch ein Verhältnis spricht in der Regel allerdings für die in diesem Falle von uns bestrittene Folgeordnung. Der Schluß ist aber eben diesmal ein keineswegs zwingender. Jene Aporien werden nämlich im Theätet nicht einfach als solche, sondern als K o r o 11 a r e erörtert, die aus den daselbst bekämpften Doktrinen anderer Schulen fließen und deren Lösung aus diesen nicht zu gewinnen ist. Mit anderen Worten: die kritische Durchmusterung der Theorien eines Aristipp und Antisthenes ist es, die Platon zu Aporien zurückführt, die er auf seinem Standpunkt und mit seinen Mitteln bereits gelöst zu haben glaubt. Auch im 7. Buche des „Staates" (523« ff.) kommt Platon auf jene Aporien zurück, und doch haben wir soeben gesehen, daß dieses und die benachbarten Bücher jedenfalls dem Phädon nachgefolgt sind. Diesen [zeitlich] sehr tief herabzurücken, dazu konnte der Umstand verführen, daß der Phädon in Belohnungen und Bestrafungen des Jenseits die verläßlichste Grundlage der Tugend erblickt (vgl. insbesondere 107°), während doch der „Staat" [X 612* ff.] das Leben des Gerechten auch au5 Erden als das glückseligste, jenes des Ungerechten als das unseligste zu erweisen trachtet. Allein ein darauf gebauter Schluß würde in die Klasse derjenigen gehören, die zu vie! beweisen! Denn dann müßten wir den Phädon auch den „Gesetzen" nachstellen (vgl. V 732« f.), was selbstverständlich aus äußeren und inneren Gründen gleich sehr unmöglich ist. Nur so viel räumen wir bereitwillig ein, daß der Phädon in einem Zeitabschnitt verfaßt sein muß, in welchem dem Philosophen

Zu Buch V, Kap. ιο—ιι, S. 341—348

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das Zusammenfallen von Gerechtigkeit und Gl ckseligkeit nicht so unverr ckt feststand wie in anderen Epochen seines Lebens. Und da es an Schwankungen auch dieser seiner Fundamental- berzeugung nicht gefehlt hat, das lehren uns sogar noch die „Gesetze" (H 663b-e). Wie dem Endpunkte, so steht der Ph don auch dem Anfangspunkte der platonischen Schriftstellerei recht sehr fern. Daf r spricht nebst dem, was wir ber sein Verh ltnis zum Protagoras gesagt haben, auch, wie von Grote Plato II 152 bemerkt wird, die Art, wie am Schlu [1181 des Sokrates gedacht wird: ανδρός. . . των τότε . . . αρίστου κτέ. [Schlammpfuhl: Ph don 113*; Tierleiber: 82»]. 341 1) [Seele und Leib: besonders Ph don] 94b ff. [Tim os: 90H]. 342 1) [Schilderung der Unterwelt: Ph don 113d ff.; gespensterartige Seelen: 81Ί]. Das Gleichnis im „Staat": X 611c-a. 2) Bonitzens meisterhafte Analyse in seinen platonischen Studien3 293 ff. Auch die vielverhandelte Frage, ob Ph don 96* ff. der Entwicklungsgang des historischen Sokrates oder Platons selbst geschildert wird, erf hrt dort S. 310 Anm. 9 die offenbar allein richtige Beantwortung: „Platon . . . gibt nicht eine historische Erz hlung . . ., sondern er legt in den Hauptumrissen die Gr nde dar, welche von der Naturphilosophie zur Begriffsphilosophie f hren." Das schlie t u. E. nicht aus, da einzelne Z ge, wie der aus Bewunderung und Entt uschung gemischte Eindruck, den Sokrates von der Lehre des Anaxagoras empfing, auch geschichtliche Wahrheit besitzen m gen. Man vgl., was S. 35 f. ber seinen fr hen Verkehr mit dem Anaxagoreer Archelaos bemerkt ward. [Die drei Beweise: 70° ff.; 78bff.; 100»> ff.]. 344 1) [„Staat": X 611bff.]. 2) [Ph don 85eff.]. Die Auffassung der Seele als einer Harmonie des Leibes erscheint durch Dik arch vertreten bei Ae'tius, Doxographi p. 387, 5. Im brigen vgl. Zeller I l5 444 f. [= Ie 552]. Dem Philolaos und dem Pythagoras legt diese Lehre bei Macrobius Somnium I 14, 19 [und] auf sie bezieht sich, ohne Nennung eines Namens, [auch] Aristoteles De anima A 4 Anfang [= FVS. 32 A 23] und Politik θ 5 Ende. Die Zeugnisse ber Aristoxenos bei Zeller II 23888 Anm. 1. 346 1) Ein Ausleger der j ngsten Zeit: Windelband Platon 137. [Tim os: 77* ff.]. — (2. Absatz.) Die Stellen des Ph dros und der „Gesetze" sind 245« ff. und X 894e ff. 347 1) Vgl. Staat X 608 ff.] und Rohde Der griechische Roman s 216 Anm. 2. — [„Im Beginn des IV. Buches": 420^]. 363 l [Vgl. Anm. 2 zu S. 350]. 2) [Staat III, 397-*e ff.]. 364 1) Vgl. Staat III 414»: ως εν τΰπφ, μη δι ακρισίας, dazu VI 502« ff. 365 l [„Die Art des Frauenbesitzes . . .": IV 423«. — „ bung und Gew hnung . . .". VII 522a:] εί)εσι παιοεύουσο: τους φύλακας εύοφρο^τίαν τινά, ουκ έπιστή;Αην ποφ^οιοοΰσα und VII SIS'16: ε^εϋί τε γ.Ά άακήσεσιν. — Zum folgenden vgl. II 376C, III 410«, 411c-e, V 456»; ber die Notwendigkeit der Unterordnung unter das λογιστικόν vgl. IV 44R

2) VI 494Λ. 3) „Verh llen": παρεξίο'ντος -/.aι παρ^κίζλυπτο,Άέ'νου του λόγου. VI 503a.

367 1) Die Krieger oder „Helfer": επίκουροι. Da die Verwendung dieses Ausdrucks als ein Hilfsmittel zur Sonderung der vermeintlichen „Schichten" gedient hat, so mag hier eine kurze Bemerkung dar ber Platz finden. Die Scheidung der φύλακες in άρχοντες und blo e επίκουροι vollzieht sich naturgem ganz allm hlich. Vergleiche III 414*>, IV 434", 440a, 441» (wo statt der άρχοντες das βουλευτικόν γένος genannt wird). In B. II und III bis nahe an dessen Ende, berall dort, wo die Sinnesart und Erziehung der h heren Klasse als solcher geschildert wird im Gegensatz zu den »«ΰλοί τε και χειροτέχνη (III 405a), war zu jener Differenzierung kein Anla gegeben. Sie h tte nur verwirrend gewirkt, da statt e i n e r Klasse immer zwei Unterklassen h tten genannt werden m ssen! Erst dort, wo die d r e i Seelenteile erkannt sind und mit den d r e i St nden parallelisiert werden sollen, und wo auch die jene Scheidung bewirkende Pflege der Wissenschaft in n here Sicht r ckt, findet die Spaltung oder Differenzierung statt. Es sind im „Staat" und desgleichen in den „Gesetzen" nicht sowohl schriftstellerische M ngel, deren bertreibung, als vielmehr schriftstellerische Vorz ge, deren Verkennung der Hyperkritik ihre sch rfsten Waffen geliefert hat!

Zu Buch V, Kap. 12. 372 1) [Dreifacher Wogendrang: V 472», vgl. 457*° und 473°]. Die [w rtlich angef hrte] wichtige Stelle: V 473d«, z. T. wiederholt VI 48?e. 373 1) Eine der f r die Disposition des Werkes bedeutsamsten u erungen liest man VI 502d ff. Wie kann man nur diese Partie mit ihren geh uften R ckblicken auf die fr heren B cher lesen, ohne sich der kunstvollen Verschlingung der F den, der wohlberechneten, vom Gr beren zum Feineren aufsteigenden Darstellung bewu t zu werden! Man vergleiche V 502* ff. mit III 412« und 413^; oder VI 5C4a-a mit IV 427« ff., 435* und III 414*. Immer wieder wird p. 503 und 504

Buch V, Kap. 12, S. 375~376

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die gesteigerte Subtilit t (dxpifcta) der Er rterung hervorgehoben, die eben nur dem bereits gr ndlich vorbereiteten und an das Werk gefesselten Leser geboten werden konnte, w hrend dieser sich in fr heren Abschnitten mit einer in gr beren Umrissen gehaltenen Darstellung begn gen mu te. 375 1) Der allererste Entwurf zu einer Hierarchie der Wissenschaften ist eigentlich noch vor Platon, Staat VII 525^ ff., nachzuweisen und zwar bei Philolaos, der in dem mystischen Gew nde der Zahlenlehre die Doktrin von der Rangfolge der Wissenschaften dargelegt hat. Denn was hei t es anders, wenn er den Begriffen Punkt, Linie, Fl che, K rper, physikalische Beschaffenheit, Beseeltheit in dieser Reihenfolge die ersten sechs Zahlen entsprechen lie [FVS. 32 A 12]? Hier m chte ich nicht mit Zeller Ι δ 443 [= I ° 550 f.] von „einem schwachen Versuche" der Zur ckf hrung [des Physikalischen und Biologischen auf das Mathematische], sondern von einer h chst merkw rdigen Vorwegn hme hochwichtiger Lehren sprechen. Vgl. [ ber die Pythagoreer auch] L. Diog. VIII 25 [= FVS. I * p. XLII], insbesondere: εκ 5έ τούτων (n mlich aus den ihrerseits aus den Zahlen hervorgegangenen Punkten) τάς γραμμάς, ες ων τα έ-ί-εοα σχήματα- h. Ιϊ των έπ-έδων τα στερεά σχήματα, εκ δε τούτων τα α?σί}ητα σώματα. — Seinem Lehrer ist hier Aristoteles gefolgt; vgl. Metaph. A 2 982» 26 (αϊ ες έ/.αττόνων [sc. έπσττ,μβΓ) ακριβέστερα), desgleichen Μ 3 [1078* 9], Analyt. post. A 27, 87* 31 und De coelo Γ 1 299* 15 — Stellen, an denen die alle Klassifikation der Wissenschaften bedingenden Grundwahrheiten mit wunderbarer Pr gnanz ausgesprochen werden. Es w re der M he wert, die Weiterentwicklung der Lehre mit ihren Hauptetappen: Descartes (Vorrede der Principes, III l ed. Cousin) [= IX 2, p. 5 Adam et Tannery], Hobbes [De homine c. 9; Exam, et emend, math, hod., Dial. 1 etc.] (Opera lat. ed. Molesworth HI 67, IV 23 u. a.), dann d'Alembert (vgl. Discours preliminaire de l'Encyclopedie) [daselbst I p. V f. d. Ausgabe 1751], Ampere (Essai sur la philosophic des sciences, Paris 1834) bis auf Comte und Spencer herab zu verfolgen. Einen sch tzenswerten Anfang hat damit k rzlich Dilthey (Archiv XIII 358—360 und 466 ff.) [= Schriften II 356 ff. und 377 ff.] gemacht. Vgl. auch Edmond Goblot Essai sur la classification des sciences, Paris 1898. Die Widerspr che, die in der Behandlung dieses Themas bestehen, entspringen zum Teil daraus, da der l o g i s c h e n Reihenfolge der Wissenschaften die z e i t l i c h e oder historische zwar in betr chtlichem Ma e, aber nicht durchweg entspricht, w hrend der dritte Gesichtspunkt, der d i d a k t i s c h e , mit jenen beiden wenig gemein hat. Wie Platon hat brigens auch Comte die Astronomie unmittelbar an die Mathematik gereiht. Den dagegen erhobenen Einwurf H. Spencers (vgl. Essays II 76) [d. Ausgabe 1891] hat Littre (Auguste Comte et la philos. posit, p. 294) abzuwehren sich bem ht. Selbstverst ndlich geh rt die Astronomie im weitesten Sinne zur Physik. Anders die astronomic inecanique, die lediglich, wie L. es ausdr ckt, une etude de gravitation ist. Als solche kann sie der irdischen Mechanik vorangehen, weil sie uns die Bet tigung einer, wenn nicht der, mechanischen Grundkraft in unvergleichlich gr erem Ausma e und darum in minder gehemmter und eingeschr nkter Gestalt vor Augen stellt. 2)ίΦο Ρ *.Μ9ου;, VII 528*e].

376 1) [Tim. 53* ff., 57«, 58*> f., 63' ff.].

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Zw Bitch V, Kap. 12, S. 376—381

2) Vgl. Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung3 8 f. [=7 9 f.], wo auf des Aristoteles Behandlung des Hebelproblems hingewiesen wird. Gemeint ist daselbst Μηχανικά c. t 847* 11 if. 3) Hier habe ich Staat VII 531» im Auge. Die Licht- und Schattenseiten von Platons wissenschaftlicher Geistesart werden gleichm ig in dem ersichtlich, was Plutarch — Leben Marcells Kap. 14 (Vitae p. 364, 46 D hner) und Quaestiones conviv. VIII 2, l [p. 718° ff.] (Mor. 876, 9 D bner) — mitteilt. Platon sei ber Eudoxos und Archytas erz rnt gewesen, weil sie Werkzeuge und Apparate statt blo er Vernunftschl sse zur L sung eines Problems verwendet haben. Es war das allerdings ein rein geometrisches, das sogenannte delische Problem oder die Frage nach der Verdoppelung des Kubus. Platon wollte augenscheinlich der Geometrie den kaum gewonnenen deduktiven Charakter gewahrt wissen und sie nicht etwa in die alte, gyptische Behandlungsweise zur cksinken sehen. Allein der Ausdruck hochm tiger Geringsch tzung in Plutarchs Bericht [im Leben des Marcellus] ( -ολλής -/.Ά φόρτι/.·?;; jV/vrjso'jp-j'ioci), der mit der soeben aus dem „Staat" angezogenen gleichwie mit einer Stelle des Tim os, die uns noch besch ftigen wird, aufs beste bereinstimmt, gestattet uns weitergehende Schl sse zu ziehen. W ren Archimedes oder Galilei Zeitgenossen Platons gewesen und h tten sie ihm ihre statischen und dynamischen Fundamentalversuche vorgef hrt, sie w ren damit schwerlich besser bei ihm angekommen als Eudoxos und Archytas. Vielleicht h ngt Platons Schweigen ber die zu seiner Zeit vorhandenen, eben von Archytas herr hrenden Ans tze zu einer wissenschaftlichen Mechanik (vgl. L. Diog. VIII 83 [~ FVS. 35 A 1]: ούτος -ρώτο; τα μηχανικά τα;? μαίΐηαατικαϊς τΐροτ/ρη^άμενο; άρχαϊί μείΐώίευσε) damit zusammen, da der praktische Erfinder Archytas von den mathematischen Prinzipien einen nach Platons Meinung unzul nglichen Gebrauch gemacht hat. 4) Vgl. Rudolf Wolf Geschichte der Astronomie (Gesch. d. Wissensch. in Deutschland XVI) S. 286 ff. Auch Newcomb-Engelmann Popul re Astronomie S. 60. [„Deckenornamente": Staat VII 529'-'; „10CCO Augen": 527«]. 377 1) Auf Symposion 211ι'·-1' gleichwie auf Ph dros 250a verweisen hier Jowett und Camphell Platos Republic II 306. Vgl. ebd. 297 die gehaltreichen Bemerkungen ber die Idee des Guten. [„Im Parnt-enides": 130 ff.]. 2) Mit dem H hlengleichnis wird Buch V!I des „Staates" er ffnet. 379 1) [Die 4 Erkenntnisstufen: VI 509^ ff.] Vgl. D. Peipers Die Erkenntnistheorie Platos S. 594 Anm. [Das unmittelbar Folgende nach VII 533 Cl1]. 2) Die Anf hrung aus Royer - Collard entlehne ich Taine Les philosophes classiques du XlX^mc siede en France7 2S. Die im Voranstehenden geschilderte streng empirische Denkweise [war auch dem Altertum nicht fremd: sie] ist [auch] uns bei Demokrit schon begegnet, vgl. I* 301 § 9. Im abgelaufenen Jahrhundert ist dieselbe von niemand folgerichtiger und fruchtbarer vertreten worden als von J. S. Mill. Man vergleiche z. B. System der Logik Buch III Kap. 12 „Von der Erkl rung von Naturgesetzen", insbesondere den Schlu (§ 6 — Ges. Werke HF 188 f.). 381 1) Wir d rfen es Platon hoch anrechnen, da er die „hinkende" Einseitigkeit des blo en Sport- und Jagdliebhabers nicht st rker mi billigt als jene, die sich nur um die Pflege des Geistes und gar nicht u:n jene des K rpers

Z« Buch V, Kap. 12, S. 381—382

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k mmert (VII 53511: χωλός οέ ·/.«·. ό τάναντ'// τούτου [Λετ^βεβλη/.ιυς την Nicht minder bezeichnend ist es, da er auch bei der Auswahl der Herrscher neben den Charaktereigenschaften nach M glichkeit auch die Wohlgestalt ber cksichtigt wissen will: τους δε γαρ βεβαιότατους κ-n τους ανορειοτάτους ϊτροτιρετέον, •χαΐ κατά ούναμιν τους ϊΰϊΐοεστ'/τους (535»). Hier ist der asketische Verfasser des Ph don wieder ganz und gar Hellene geworden. 2) Man vergleiche IX 576cl, dann 580b. H chst bedeutsam ist IV 4451' wegen der ausdr cklichen Erkl rung, da der Idealstaat ebensowohl K nigtum als Aristokratie hei en kann. So werden denn in der Tat 587d der αριστοκρατικός und der β';-ί/.ικό; identifiziert, und die Timokratie, die erste entartete Regierungsform, l t Platon VIII 544C und 545C aus eben jener Aristokratie entspringen. Ich vermag daher keineswegs Zellers Erkl rung beizustimmen, es sei Platon hier nur um die Wertabstufung oder die „ideale" und ganz und gar nicht um die „geschichtliche Entwicklung" zu tun, „was Aristoteles . . . . in seiner Kritik Polii. V 12 vollst ndig verkannt" habe (II l* 925). Es kommt uns, so meine ich, nicht zu, Platen von den Widerspr chen, in die er sich [hier] allerdings verwickelt, zu befreien; oder doch nur insoweit, da wir ihm den Gedanken leihen, das patriarchalische K nigtum der Vorzeit bilde die bedeutendste Ann herung an den Idealstaat. 3821) Da die Analogie zwischen den staatlichen und den individuellen Typen begins to fail more and more, haben Campbell und Jowett [III 392] zu VIII 559·* mit vollem Recht bemerkt. 2) ber die platonische Zahl (Staat VIII 546b °) ist in alter und neuer Zeit unendlich viel geschrieben worden. Erst seit kurzem kennen wir den Kommentar des Proklos (410—485 n. Chr. G.) zu dieser Stelle (Procli in Platonis rem publ. comment. II 36 ff. Kroll mit wichtigen Erl uterungen des ungemein sachkundigen Hultsch ebd. S. 4CC ff.) und durch seine Vermittlung lernen wir die Verhandlungen der antiken Gelehrten ber diesen schwierigen Gegenstand kennen, dessen endg ltige L sung noch immer nicht gewcr.nen ist, zu dessen Aufhellung aber das Beste schon vorher von Hultsch geleistet war (Zeitschr. f. Mathem. u. Physik XXVII). Eine neue Bem hung um die L sung des Problems bei Dr. Georg Albert (Die platonische Zahl, Wien 1896, [ferner: Der Sinn der platonischen Zahl, Pliiiologus LXVI, und: Die platonische Zahl als Pr zessionszahl, Leipzig u. \Vier. 1907]). Man vergleiche auch Fritz Horr.me! in der Beilage zur M nchener Al!g. Zeiteng 1907 Nr. 57 und dieser beiden Gelehrten Erkl rungen ebd. Nr. 69. Ein Lcsungsversuch, den Paul Tannery vorgebracht, sp ter aber selbst aufgegeben hai, in dessen Memoires seiend iiques, publies par Heiberg et Zeuthen, Paris 1912, I p. 12 !?. [Tannerys sp tere Arbeiten ber diesen Gegenstand ebenda II ;\ °Sit. und T H n. 183fr.]. 3) Ich derke hierbei an K-. F. Hermanns Aufsatz Die historischen Elemente des platonischen Siaatsideals, Ges. Abhandlungen usw. 132 ff. — Zum Folgenden vgl. die Anspielung 548*. ber die Umgehung des spartanischen Verbotes von Geldhesiiz [durch Hinterlegung von Gold und Silber au erhalb der Landesgrenzen] handelt Poseidonios bei Athenaeus VI, 233 F, und darauf bezieht sich vermutlich auch die Inschrift Inscr. Gr. antiquiss. (Rohl) n. 68.

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Zu Buch V, Kap. 12, S. 383—391

383 1) [Blo e „Konsumenten", Staat VIII 552t>: ουδέν ά'λλο ή άναλωτής. Das Folgende nach 553» ff.]. 384 1) ber die Gesetzgebung des Philolaos vgl. Aristoteles Polit. B 12 1274* 31 ff. 2) Das Gesetz des R ckschlages [μεταβολή] wird Staat III 388e angedeutet, 5o3o ausgef hrt. Der R ckschlag gegen athenische Vielseitigkeit und Individualit t am nachdr cklichsten ersichtlich in der immer wiederholten Betonung der Arbeitsteilung, z. B. III 394" und 397e, und in der Verherrlichung des Gemeinlebens Staat V 462b oder Gesetze V 739c-d. 385 1) ber diesen Anklang vgl. Anmerkung l zu S. 349. 2) Zum berschwang der Bildersprache vergleiche man vor allem 560^. Die Verurteilung der Phantasie X 603a. 386 1) [Staat IX 577^]. 388 1) Im Anschlu an Joel und an Endt (Die Quellen des Aristoteles in der Beschreibung des Tyrannen, Wiener Studien XXIV S. 1—69) hat H. Gomperz Archiv XIX S. 566 ff. und Wiener Studien XXVII 175 f. auf vielfache Ankl nge an diese Schilderung des Tyrannen bei Xenophon, Isokrates, Aristoteles und auch in Dions 6. Rede hingewiesen. Den hieraus gezogenen Schl ssen auf ein antisthenisches Vorbild vermag ich [indes] nicht zu folgen. 2) Hier mag auf die beraus kunstvolle Weise hingewiesen werden, mit welcher der Verfasser des „Staates" IX 576° zum Urproblem dieses Werkes zur ckkehrt mittelst der Worte: άρ' ουν ό'ς αν φαίνηται τονηροτατος, και άθ/αώτατος φανη3ΐ7(χι; ein geringerer Schriftsteller h tte eines u erlichen Notbehelfes nicht entraten k nnen. Ein solcher w re mit einer Wendung wie: „nun wollen wir wieder die alte Frage aufnehmen, ob Gerechtigkeit den Gerechten begl ckt" von der langen geschichtsphilosophischen Digression, die das ganze 8. Buch und die ersten Abschnitte des 9. einnimmt, zu jener Grundfrage zur ckgekehrt. Hier ergibt sich die Ankn pfung ganz ungesucht und wie von selbst. Aber sie ist freilich, wenn wir genau zusehen, nur dadurch erm glicht, da nach der letzten der entarteten Regierungsformen, der Tyrannis, die Pers nlichkeit des Tyrannen so eingehend geschildert wurde. Und das Recht dazu hat sich Platon wieder durch die vorangehende durchgreifende Parallelisierung der verschiedenen Staatsformen mit den sie vertretenden Menschentypen erworben. Eine Parallelisierung, bei der es nicht immer ohne alle Gewaltsamkeit abging, am wenigsten dort, wo das Emporkommen der Demokratie aus [den umst rzlerischen Bestrebungen verarmter J nglinge] des demokratischen Typus abgeleitet ward. Vielleicht d rfen wir sagen, da dieser ganze modus procedendi nicht zum mindesten durch k nstlerische R cksichten bedingt war, und da jene fr heren Gewaltsamkeiten mit dazu dienen sollten, die R ckkehr vom geschichtsphilosophischen zum moralphilosophischen Thema zu erleichtern und sie von jedem Anschein der Gewaltsamkeit zu befreien. 3) J. S. Mill in einer verwandten Er rterung: n mlich „Utiliarianisrn"1 eh. 2 p. 12 (Ges. Werke I 136). 391 1) Die Parallele in unserer Gegenwart liefert Leo Tolstoi, der auch geradezu Platon zustimmt: Gegen die moderne Kunst [XI Ende] (Berlin [1898] S. 152 f.).

Z« Buch V, Kap. 12, S. 392—393

589

392 1) Des an dieser Stelle (X 6C8dff.) vorgetragenen Unsterblichkeitsbeweises haben wir bereits am Schluß unseres Phädon-Kapitels S. 346 gedacht. Aus dem Umstände, daß Glaukon von der Unsterblichkeit der Seele zuvörderst ganz und gar nichts gehört haben will, hat man weitgehende, auf die Komposition des „Staates" bezügliche Schlüsse gezogen. Diese Schlüsse scheinen wieder zu viel zu beweisen! Konnte Platon, so mag [freilich] jemand fragen, die Unsterblichkeitslehre hier „wie ein Paradoxon" einführen, um Rohdes Ausdruck (Psyche II267) zu gebrauchen, nachdem er sie im Gorgias und im Kriton vorausgesetzt, im Phädros und im Phädon so eingehend begründet hatte? Und doch wird sich niemand entschließen, das 10. Buch des Staates all diesen Werken zeitlich voranzustellen. Wäre das doch eine Anordnung, die sich sofort durch entscheidende Argumente als unmöglich erweisen ließe. Zu allem Überfluß steuert der Wortlaut jener Erörterung selbst der Annahme, als ob Platon die Seelen- und Unsterblichkeitsfrage hier zum erstenmal behandelte. Lesen wir doch 61 l b nicht nur das Sätzchen ; , / , sondern sofort auch: alMvcr-ov ·->"/ *« ; -/. . Grobk rnig nenne ich den Ausfall gegen Antisthenes nicht sowohl wegen der Anspielung auf dessen Ihrakische Mutter (174*, verglichen mit L. Diog. VI 1), ohne welche der Hinweis auf Antisthenes vielleicht nicht deutlich genug gewesen w re, als wegen der zweimaligen, mit Scheltworten durchsetzten Wiederholung: ου μόνον Θρ0!ττ mit dem Bienen-Weisel verglichen worden. Gegen den ersten Vergleich kehrt sich der „Staatsmann" 267° ff., gegen den zweiten derselbe SOIJ«. 451 1) [Haupt- und Nebenverrichtungen: 280^ ff.; Zweiteilung1 . . . aufgegeben: 287M.; Arten: 285* f.]. 2) Vgl. Staatsm. 283* ff.; ferner Ph don 96*8. u. 1021» B., Staat VII 524*, 525* ff. Etwas anders steht es mit The tet 154C (vgl. Anm. l zu S. 340). 3) [Sieben Klassen: 287 b ff.J. Erg tzungsmittel: w hrend sonst [/ι,ατ,τική bei Platon sowohl als bei Aristoteles der Begriff ist, dem die verschiedenen sch nen K nste untergeordnet werden, erscheint hier 288C das Spielwerk oder τταίγνων als die h here Einheit, welche die [Erzeugnisse der] Malerei [wie der] Musik und daneben Schmuck und Zier aller Art (κοσαο;) unter sich vereinigt. Mit Recht sagt Campbell im Kommentar: we have here the larger kind, of which •χ'.αητίκή is part. 452 1) [Staatsmann 294". Frucht langer Erfahrung: 300'". „Zweite Fahrt": 300bc. Schm hungen: 291* ff.]. 453 1) Die Anf hrung aus Demades Oratores Attici II 315b 7. 2) [Staatsmann 306«>]." 454 1) Platons Worte sind: to αή σ^ου£«^ιν έ-Ί τοΐ; ovouc/iiv, 261e, und α δ' ει; τα; των Trpotyi-ichiov α«κρά; καΐ αή οποίου; συ/.Λαβάς,

278^.

Zu Buch V, Kap. 18, S. 454

609

An der ersten Stelle ist die Anspielung auf Antisthenes unverkennbar in den unmittelbar folgenden Worten: πλουσιότερος εις το γήρας άναφανήσεί φροντρεως, verglichen mit Sophist 251C, wo von der «ενί« τΤ^ς περί φρόνηαιν κτήσεως, [welche] πρεσβύτεροι; , wo die Kochkunst mit der Putzkunst usw. unter eben den Begriff der εμπειρία καΐ τριβή zusammengefa t und [kurzweg als Schmeichelkunst verworfen] wird. Ebenso geringsch tzig 501a und nicht un hnlich Ph dros 270*>. In der leidenschaftlichen Verurteilung der advokatenhaften Beredsamkeit n hert sich der greise Verfasser der Schlu b cher der „Gesetze" (XI, 938*) wieder der Denk- und Sprechweise seines Jugendwerkes. 462 1) [Phileb. 65**. Im vorangehenden angef hrt: 61', 62i>, 63° ff.] In betreif der Auffassung der G terta'el bekenne ich dankbar meine Abh ngigkeit von Apelt Archiv IX S. 20 f., ein Aufsatz, der auch sonst viel Wertvolles enth lt. So S. 17 ber den Unterschied des Guten im Philebos und der Idee des Guten im „Staat". 2) [Phileb. 66']. 463 1) Vgl. 64e f. — Gar merkw rdig ist auch der Zirkelschlu , der sich aus der Vergleichung von 64° und 653τ' ίτ:' Αιγυπτίους άναττε'μψαι την -ερι Αθηναίων και Ατλαντίνων ταΰτην Ιατορίαν ως των'Αθηναίων κατά ταύτην ζησαντων ττοτέ την τολιτείαν.

2) Kermokrates: vgl. Kritias lOSa-b, auch Tim. 20». — Die der unsrigen entgegenstehende Meinung, die Rekapitulation im Eingang des Tim os kn pfe an einen fr heren Entwurf des Staates an, ist haupts chlich durch Rohde Psyche II2 266 Anm. und v. Arnim De Reipublicae Platonis compositione ex Timaeo illusiranda (Rostocker Winter-Programm 1898) vertreten. Die Entbehrlichkeit dieser Hypothese suche ich S. 465 ff. zu erh rten. (Gute Gr nde gegen sie jetzt auch bei Joel Zur Entstehung von Platons „Staat", Festschrift zur 49. Versammlung deutscher Philologen, Basel 1907, S. 308 ff.) Der uns vorliegende „Staat" macht brigens ganz und gar nicht den Eindruck, die berarbeitung eines ihm voraufgehenden Werkes zu sein. W re er es, dann w rde wohl mancher schroffe bergang gegl ttet, manche Gewaltsamkeit des Aufbaus gemildert sein. Gar wenig wahrscheinlich ist es ferner, da dieselbe Person, die Platon zum Sprachrohr seiner kosmologischen Spekulationen w hlen zu sollen glaubte, zugleich die Eignung besa , eine Gespr chsfigur seines sozialpolitischen Hauptwerkes abzugeben. Endlich und haupts chlich: wie will man es erkl ren, da der alle Merkmale der platonischen Sp tzeit aufweisende Tim os von seinem Verfasser an ein vergleichsweise fr hes Werk, das lter sein mu te als selbst die ersten B cher unseres „Staates", und nicht vielmehr an diesen selbst, angeschlossen ward? 466 1) Aristoteles Αίΐην. ττολιτ. c. 13 (Kenyon 3 p. 43) [= 16, 9 Thalheim] im wesentlichen bereinstimmend "mit Kritias p. 110°; nur da der von Aristoteles Eupatriden genannte Adel von Platon in gyptisierender Weise als Kriegerkaste (το μα'-/!μον) bezeichnet wird. 467 1) Vgl. Kritias IlObc. 2) Vgl. Tim os 19b: ει; έ;:ι9υμίαν άφίκοιτο θίασασθαι κινούμενα.

614

Zu Buch V, Kap. 19, S. 468—470

468 1) Vgl. Zola Le roman experimental [Paris 1880] p. 7: Puis, Γ ex per imentateur parait et institue l'experience, je veux dire f a i t m o u v o i r le s p er s annage s [ hnlich Platon an der soeben angef hrten Stelle] dans une histoire particuliere, pour y montrer que la succession des faits y sera teile etc. Vgl. auch p. 12 f. und p. 30: Puisque la medecine qui etait un art, devient une science, pourquoi la litterature elle-meme ne deviendrait-elle pas une science, grace a la methode ex perimentale f Oder p. 27: Done, les romanciers naturalistes sont bien en effet des moralistes experimentateurs. Weit verst ndiger p. 48, wo Beobachtung und Analyse als das Hauptwerkzeug des romancier experimentateur erscheinen. 469 1) Vgl. Tim os 24e—25d und Kritias HS^ff. Rhode Griech. Roman = 213 nennt die ganze Erz hlung von der Atlantis „freieste Dichtung, h chstens an einige kosmologische und geographische Theorien angekn pft". Dazu in Anm. 2: „Wenn Plato (Tim. 25d) durch den Untergang der Atlantis den Ozean schlammig und flach und daher unzug nglich werden l t, so stand wenigstens das also erkl rte Faktum in seinem wie im Glauben des ganzen Altertums fest", unter Verweisung auf M llenhoff Deutsche Altertumskunde I 78 u. 420. Mich will die Ankn pfung an eine Volkssage immerhin das Wahrscheinlichere d nken. Auf dem re-λος der Athena sah man oder glaubte doch dort zu sehen: του; Αθηναίους . . . . νικώντας τον τ:ρό; Άτλαντίνους -ιίλεμον (Scholion zum Eingang des „Staats"). Auch Christs Vermutung (Platonische Studien 55 ff.), da die AltantisSage den Einfall der Nordv lker zum historischen Hintergrunde hatte, mag nicht jeder Begr ndung entbehren. Unklar bleibt es brigens, warum Platon die Atlantis eine Insel nennt, obgleich sie gr er gewesen sein soll als Asien und Libyen zusammengenommen. Man vergleiche dar ber und ber verwandte Fragen H. Berger Gesch. der wissensch. Erdkunde der Griechen II 125, auch 141 [= * 299 ff. und 567]. Ans Unglaubliche grenzt die K hnheit, mit welcher Platon die Athener der Vorzeit an die Spitze der Menschheit stellt. Vgl. Kritias 112e: έ-ί -άίαν Εΰρώ-ην και Άσίαν

έλλόγιμοί τε ήίαν και ίνο;Αα3τοτατοί πάντων των τότε.

470 1) Meinungsverschiedenheiten schon unter den n chsten Sch lern [und Enkelsch lern] Platons ber die Auslegung des Tim os bezeugt Plutarch teils direkt [Krantor gegen Xenokrates: p. 1012d], teils mittelbar (Xenokrates gegen Speusipp) [ebenda, verglichen mit Speusipps Frg. 40 Lang] in seiner beraus merkw rdigen, ein Unikum der antiken Philosophiegeschichte bildenden Schrift „ ber die Seelensch pfung im Tim os" (Περί -.ή; εν '\\\>.VM ψυχογονίας, Mor. 1238/63 D bn. — eine Sonderausgabe von Berthold M ller Breslau 1873). Au er von Krantor gab es Kommentare von [dem Akademiker] Eudoros, dem Peripatetiker Adrastos, vom Stoiker Poseidonios u. a. Erhalten sind uns ein Bruchst ck des Galenschen Kommentars im Original, herausgegeben von Daremberg, Paris 1848; der Kommentar und die lateinische bersetzung des Neu-Platonikers Chalcidius, zuletzt herausgegeben von Wrobel Leipzig 1876; und jener des Proclus, herausgegeben von Schneider Breslau 1846 [und von Diehl Leipzig 1903—1906]. 2) Nebenbesch ftigung: Tim os S^A — Zum Folgenden vgl. Tim. 68d (d δε τις τούτων έργω 3·/.ο-ού|Α·νος βάσανον Xotu.jBcivoi, το της άνΟρωττίνη; "/.αϊ ι^είας

Zu Buch V, Kap. ig, S. 470—47Ί

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φύσεως ήγνοηχώς αν είη διάφορον). Was hier verworfen wird, sind Versuche [ ber Mischung und Zerlegung von Farben]. 3) [Tim. 27»]. 4) hnliche Gedanken vermochte ich nur bei Alberti ber Geist und Ordnung der platonischen Schriften, Leipzig 1864, S. 17, zu entdecken. 471 1) Diese Deszendenz- oder Entartungslehre Tim. 41d ff. [und 90" ff. Die im Folgenden angef hrten Worte: 92b. „Seine Physik war . . . Biologie":] vgl. Grote Plato III 251. 2) Είκο'τες λο'γοί, είκότες μϋθοι hei en dem Verfasser des Tim. seine Darlegungen 29« f., 48d, 59« f. usw. 3) Sch pfungsakt: Vielleicht empfiehlt es sich, dem Leser diesmal das Aufgebot der Gr nde und Gegengr nde vorzuf hren, die unser Urteil bestimmt haben. Den Sch pfungsakt f r eine blo e Einkleidung zu halten, dazu fanden sich schon antike Interpreten von Xenokrates [Frg. 54 Heinze] an veranla t, um den aristotelischen Einw rfen zu entgehen (vgl. berweg Rhein. Mus. IX, 78 f.). Nach vielen anderen, denen sich nunmehr auch Natorp, Platos Ideenlehre S. 339 ff. [= * 356 ff.], beigesellte, hat in neuester Zeit R. W hle (Archiv XIV 149 ff.) einen b ndigeren Beweis f r die These angetreten: „der Demiurg ist keine reelle, metaphysische Potenz". Denn „alle Arten des Seins und Werdens, des^K rpers und des Geistes sind von Platon schon f r die Konstruktion seiner Welt und ihrer Seele verbraucht, so da f r den Demiurgen nichts brig bliebe! Das Prinzip des Beharrlichen, der Ver nderung, der Mischungen — alles ist verteilt; was k nnte da noch die Natur des Demiurgen sein? Nichts! Nur fig rlich k nnte er h chstens noch die Personifikation der Kraft, der Einwirkung der an sich bestehenden Formen aus das dieselben aufnehmende Prinzip sein." So plausibel all das klingt: stutzig machen uns zun chst die Parallelen im „Sophisten" und im „Staatsmann", auf die unsere Darstellung hindeutet. Die bildliche Einkleidung, die „Akkommodation", von der W hle ebd. spricht, m te doch jedenfalls aus den Absichten, die im Tim os vorwalten, erwachsen sein. Nun vergleiche man aber u erungen ber den Demiurgen im Tim os 28C: τον μεν ούν •πο'.τ,την y.oti ττζτερα τοΰοε του -αντό; oder 37° 'Ί γέννησα; ττατήρ mit Staatsmann 269d -via του γεννήσαντος μετείΛϊ,φΓ/ (n mlich der ουρανί; und κόσμος), 270* iisp-i του οη,Άίουργοΰ oder 273b την του οτ,αιουογοϋ y.«l πατρός . . . οιοαχήν, ferner mit Sophist 265C ;-MUV ίλ/,ου τίνος ή Οεοΰ ο^αιουργοΰντος φήσοαεν ύστερον γίγνεσθαι τ.ροτερον ου-/, ό'ντο:; Unser also gewecktes Mi trauen, ein Mi trauen, das der rein deduktiven Behandlung einer historischen oder Interpretationsfrage gegenber stets am Platze ist, f hrt uns zu jenen berlegungen, die wir S. 474 vorgebracht haben. Wenn in alledem von einer „Akkommodation" die Rede sein kann, so ist es die Akkommodation an Platons eigenes religi ses Gef hl, nicht an irgendwelche Volksmeinungen, denen er eben im Tim os (406, von uns S. 474 f. angef hrt) freier und schroffer als irgendwo sonst gegen bertritt. Es war wohl eben der Ausbau seiner eigenen religi sen Metaphysik, die ihm den Anschlu an die gangbaren mythischen Vorstellungen erschwert hat. Je einl licher — so d rfen wir hinzuf gen — Platon sich mit dem Proze der Weltbildung besch ftigt hat, um so st rkere Bedeutung gewann f r ihn die dynamische Seite des obersten Weltprinzips. Dieses erscheint jetzt als ein eigentlich schaffendes, hervorbringendes Wesen und [ward] demgem mehr und mehr mit Willen

616

Zw Buch V, Kap. ig, S. 472—473

und insofern mit Pers nlichkeit ausgestattet. Eine hnliche Auffassung tritt brigens vielleicht schon im 10. Buche des „Staates" zutage, dort, wo die Gottheit mit nicht undeutlichen Worten als der Sch pfer (Demiurg) wie alles brigen, so auch der Ideen bezeichnet wird [597^, Vgl.] (596b-c). Diesem Mangel an voller Klarheit tr gt auch Theophrast (bei Simplicius in phys. p. 26, 11—13 Diels [— Frg. 48 Wimmer] Rechnung. Er unterscheidet zwar in der platonischen Lehre den Gott von dem Guten, verbindet sie aber zugleich auch zu e i n e m Prinzip: δύο τάς αρχάς . . . το μεν {>ποκε(μενον ως δλην (ως ΰλην ϋποκείμενον ?), δ προσαγορεόει πανδεχές, το δε ως αίτιον καΐ κινούν, ο ττροσάπτει τ?, του θεού -/.α\ ττ) του αγαθού δυνάμει. Zum Folgenden vgl. Philebos 30s- f. 472 1) Nach M glichkeit!: καΐ κατά δύναμιν ότι κάλλιστα και άριστα Tim. 42Θ und φλαΰοον δε μηδέν είναι κατά δΰναμιν 303·. [An dieser zweiten Stelle wird auch die ungeordnete Bewegung zuerst erw hnt, die dann 47e ff. auf die Notwendigkeit und die „umherschweifende Ursache" zur ckgef hrt wird].

2) An die Stelle 38b χρόνος δ' ουν μετ' ούρανοΰ γέγονεν und ihr Verh ltnis ZU 30a ο·!>χ ήσυχίαν ά'γον αλλά κινούμενον πλημμελώς καΐ ατάκτως kn pft sich die vielleicht gr te Schwierigkeit der Tim os-Erkl rung. Vgl. Aristoteles De coelo I 10 (279b 32 ff.) u. Simplicius zu dieser Stelle (p. 303, 15 ff. [und besonders 306, 18] Heiberg), [sowie auch] Theophrast Frgm. 28 u. 29 Wimmer. Den „Staatsmann" (273b) hat brigens schon Simplicius herbeigezogen, aber nicht in unserem Sinne verwertet. 473 1) Die f r das Problem der Urmaterie in Betracht kommenden Stellen sind: Tim. 49*, [50bff.], 51», 52» ff. Die nachdr ckliche Leugnung des leeren Raumes begegnet vornehmlich in der Theorie der Atmung [79bff.], die wir S. 483 f. wiedergeben. Den scheinbaren Widerspruch dieser Leugnung des κενο'ν mit den an mehreren Stellen (58b, 60s ff.) erw hnten διάκενα r umt Deichmann, Das Problem des Raumes in der griechischen Philosophie [bis Aristoteles, Leipzig 1893] S. 65fr., und der ihn beurteilende D mmler, Kleine Schriften I 292, mit vollstem Recht durch die Erkl rung hinweg, da die διάκενα „zwischen den Elementark rperchen nicht als eigentliche Leeren, sondern nur in bezug auf die bestimmten einzelnen Formen gemeint seien". Vollkommen richtig f hrt D mmler fort: „Die elementbildenden Dreiecke schneiden eben nicht aus dem leeren, sondern aus dem erf llten R ume die Elementarkristalle und k nnen nicht die gesamte Urmasse aufteilen." V llig entscheidend ist daf r insbesondere 58»-b. Au er den zwei Genannten haben an der Ansicht aller alten Interpreten auch Bonitz [Disputationes Platonicae duae, Dresden 1837, p. 65*], Brandis [Handbuch II l, 300 f.], berweg (Rhein. Mus. IX, 59 ff., der die ltere Literatur verzeichnet) und Grote (Plato III 250) festgehalten. Der bedeutendste aller modernen Tim os-Erkl rer, Henri Martin, schwankt in diesem Punkte; man vergleiche Etudes sur le Timee II p. 180 mit der n chstfolgenden Seite. Der entgegengesetzten, von Boeckh, Kl- Schrift. III 125 f., herr hrenden Annahme, Platons Urmaterie sei nichts anderes als der Raum, haben Zeller (II l* 727 ff.) und sp ter Windelband (Platon S. 89 u. 106 ff.), zuletzt auch Natorp (Platos Ideenlehre S. 352 ff.) [= 2 366 ff.] zugestimmt. Aus Aristoteles ist keine Entscheidung dieser Streitfrage zu gewinnen. Seine u erung (Physik A 2209b 11): διό καΐ Πλάτων την δλην καΐ την χωράν ταϋτο' φη3ΐν είναι εν τΛ Τιμαίφ l t sich dem Zusammenhange gem kaum anders verstehen als so, da Raum und

Zu Buch V, Kap. 19, S. 473—478

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Materie in ihrer Ausdehnung zusammenfallen sollen, da (mit anderen Worten) Platon keinen stofientbl ten Raum kennt. 2) Diese Antwort hat berweg erteilt, Rhein. Mus. IX, 69. Auch f r das Folgende mu ich auf [seine Er rterung] verweisen fvor allem auf] (S. 76 Anm. 40), die auch die hochwichtige, oft vernachl ssigte Unterscheidung zwischen mythischen und durchaus ernst gemeinten, wenngleich nicht mit dem Anspruch auf unbedingte Gewi heit auftretenden Darlegungen Platons mit Nachdruck hervorhebt. Nicht einmal die letztere Einschr nkung gilt von dem Ausspruch: γέγονεν (sc. ό κόσμος), der mit der denkbar gr ten Bestimmtheit erfolgenden Antwort auf die Frage: ττο'-ερον ην αεί f) γέγονεν . . . .; (28b). Da es Platon mit der Weltsch pfung voller Ernst ist, daf r haben sich neuerlich auch, wenngleich nicht ohne Vorbehalt, R. Heinze (Xenokrates S. 51), ferner Apelt (Beitr. z. Gesch. d. Philos. VIII), und lange vorher Stumpf entschieden, dessen Abhandlung „Verh ltnis des platonischen Gottes zur Idee des Guten" [Halle 1869] mir nur aus zweiter Hand bekannt ist. 474 1) Die hier angef hrte Stelle liest man Tim. 28C. 475 1) 'Atitot 'ihoi hei en die Ideen 37°, [als] ευδαίμων θεός [wird] der Kosmos 34bc [bezeichnet, vgl. 92b]. Von der — beschwichtigten und nachgebenden — Macht der „Notwendigkeit" ist insbesondere 56°, von dieser und der „erratischen Bewegungsursache" 48a die Rede. Dort auch das bezeichnende Wort: ες ανάγκης τε και νου συστάσεως ward die Welt gebildet. Die b se Weltseele erscheint in den „Gesetzen" X 8%e und 898·=. 2) August Boeckh: Kleine Schriften III 130. 3) Im The tet: 176s· (ΰ-ε· 6 (Leugnung der Ideen sowohl von Relationsbegriffen als von Kur.stprodukten). — Xenokrates [Frg. 30 Heinze]: bei Proclus In Plat. Pannen, p. 136 Cousin = p. 691 Stallbaum: είναι την ίδε'αν Τέμενος αίτίαν τταραδειγματικήν των κατά φύσιν άεϊ συνεσηότων. Dazu stimmt auis beste Aristoteles Metaph. A 3 1070» 18: διό δη ου κακή; ο Πλάτων ϊ'ϊτ, ότι εί'οϊ! εστίν ο~όσα

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Zu Buch V, Kap. 20, S. 502—504

502 1) [Da Platon in seinen sp teren Jahren die] Ideen aus mathematischen „Urprinzipien", στοιχεία, ableitete, bezeugt Aristoteles Metaph. M 4 1078b 9—12, N l 1087t> 7 S., auch A 6 987b 18 ff. Aus der Literatur ber diesen Gegenstand sei hervorgehoben: berwegs Untersuchungen 202 ff., Heinzes Xenokrates 37 ff., dessen Widerspruch (S. 52) gegen Zeller Berliner Sitzungsberichte 1887 S. 198 [= Kl. Schriften I 370] und Apelt Beitr ge S. 83 ich jedoch nicht zustimme. Viel Wahres mit einigem Falschen gemischt scheinen mir Jacksons umfassende Er rterungen ber Plato's later theory of ideas, Journal of Philology X—XV, zu bieten. Als mi lungen gilt mir darin der Versuch, in Platon einen Vorl ufer Berkeleys zu erkennen. 2) Rechtswissenschaft: das nicht nur bei Platon ganz vereinzelte Lob dieses Studiums als eines allgemeinen Bildungsmittels XII 957b-c. [Der n chtliche Rat: XII 952. Pr fung des Begriffs der Freiwilligkeit: IX 861» ff.] G o m p c r z , Griechische Denker. II. 4. And

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Z« Buch V, Kap. 20—21, S. 512—516

512 1) [Kinderspielzeug: Gesetze I 643 b ff. Jagd: VII 822 ff.] In betreff der rztlichen Behandlung chronischer Krankheiten habe ich ein den „Gesetzen" zeitlich benachbartes Werk im Auge; ich denke an Tim os 89«: διό παιδαγωγεΐν δει διαίταις rctv-α τ 3ff. — E i n g e h e n d e Analyse der Metaphysik: s. Bonitz in der Einleitung zu seinem Kommentar (Bonn 1849) und jetzt Jaeger in dem soeben genannten Werke. 26 1) Schicksal der aristotelischen W e r k e : Hauptquellen Theophrasts Testament bei L. Diog. V 52; Strabo XIII [l, 54] p. 608; Plutarch Sulla c. 26; Porphyr, Leben Plotins c. 24 (I 33, 7 Volkmann). 27 1) ber A n d r o n i k o s von R h o d o s (Vorstand der aristotelischen Schule zwischen 78—47 v. Chr. G.) vgl. das so betitelte Gymnasialprogramm Fr. Littigs, M nchen 1890 [und 1894 und Erlangen 1895].

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Zu Buch VI, Kap. 3—4, S. 27—31

2) hnlich wie wir urteilt ber die Bedeutung der hier besprochenen Vorg nge Usener in Gott. gel. Nachr. 1892 S. 202ff. [= Kl. Schriften III 150ff.]. Ihre Tragweite wohl ber Geb hr abzuschw chen bem ht sich der den Gegenstand brigens aufs gr ndlichste er rternde Zeller II 2 a 138ff. und hnlich auch Jaeger Studien S. 176. [Doch vgl. jetzt dessen Aristoteles S. 117]. 28 1) [Die im folgenden angef hrten Schriftentitel, soweit nichts anderes bemerkt, in dem Anm. l zu S. 25 besprochenen Verzeichnis des L. Diog. — Alphabetische O r d n u n g der P o l i t i e n : Rose, Aristot. pseudepigr. 399, vgl. L. Diog. V 44. — Gesetze der B a r b a r e n : vgl. Zeller II 2 3 106°]. — „ ber territoriale Rechtsanspr che der Staaten": diesen vollst ndigen Titel τα περί των (τό)πων δικαιώματα πόλεων habe ich seinerzeit aus Philodem gewonnen Zeitschr. f. sterr. Gymn. 1865 S. 816. An derselben Stelle, Papyrus hercul. 1015 fol. 70, lesen wir auch: και δια ταϋτ' έφωρα(το) τους τε νόμου(ς) συνάγων άμα τφ μαθητ(η), worunter Theophrast zu verstehen ist. — Die d e l p h i s c h e I n s c h r i f t : Bulletin de corresp. hellen. XXII 260ff. aufs beste von Homolle behandelt, der auch den auf die Ilias-Ausgabe [Plutarch: Leben Alexanders c. 8; Strabo X I I I l, 27, p. 594] bez glichen Schlu gezogen hat. — [ ber Kom d i e n d i c h t e r : Zeller II 2 3 1081. — ber S c h w i e r i g k e i t e n bei . . . Hesiod usf.: Verzeichnis bei Westermann 404, 75ff.] — D e t a i l s der Kost m k u n d e : vgl. Bernays, Die Dialoge usw. S. 12. G e s c h i c h t e der M e d i z i n : ber die Μενώνεια oder Ιατρική συναγωγή vgl. jetzt Diels in seiner Ausgabe des Anonymus Londinensis p. XVI. Zu Buch VI, Kap. 4. 31 1) Die vornehmlich von Prantl, Geschichte der Logik 1 1 90ff., behauptete Unechtheit der Kategorienschrift ist insbesondere von Zeller 11 2 s 67—69 [bestritten] worden. Das angeblich auf stoische Einfl sse hinweisende προς τί πως εχειν ist [in der Tat] von Zeller an vielen anderen Stellen nachgewiesen worden. [Doch vgl. jetzt Jaeger, Aristoteles S. 45.] Da der Anhang ber die sogenannten Post-Pr dikamente (c. lOff.) nicht zum urspr nglichen Bestand der Schrift geh rt, [hat] Andronikos [bei Simplicius in Categ. 379, 8ff. Kalbfleisch wohl nicht mit Unrecht angenommen]. Man wird die den „Kategorien" zugrunde liegenden Vortr ge [falls sie von Aristoteles selbst herr hren] wegen des mehrfach als Beispiel verwandten Lyzeums (p. 2a l und l l b 14) bereits zu Athen gehalten denken m ssen. Darum m chte ich auch nicht mit Zeller ebd. „manche Ungelenkigkeit . . . des Ausdrucks" auf Rechnung einer besonders fr hen Abfassungszeit setzen, sondern eher an eine Nachschrift denken, die nicht allzu sorgf ltig durchgesehen und redigiert ward. 2) Z a h l l o s e E r k l r u n g e n : vgl. Dexipp. in Categor. 5, 7ff. Busse und Simplicius in Categor. l, I f f . Kalbfleisch. [ P o r p h y r i e s : Εισαγωγή und Kommentar, her. v. Busse Berlin 1887; jene sowie die „Kategorien" selbst im 4. Jahrhundert ins Lateinische bersetzt von Marius Victorinus, die Εισαγωγή im 5. von Boethius]. Das e i n z i g e L e h r b u c h der L o g i k : vgl. Zenker Aristotelis Categoriae Graece cum versione Arabica . . . [Leipzig 1846] p. 13. A t h e -

Zu Buch VI, Kap. 4—5, S. 33~37

441

n odor: vgl. Simplicius a. a. O. p. 62, 24 ff. und Porphyr, in Categ. p. 59, 10 ff. Busse. P l o t i n : Enneaden VI l, 23f. [II 290f. Volkmann]; einschneidend ist dort die an κεϊσθαι und εχειν ge bte Kritik. K a n t : [Kr. d. r. Vern. S. 97 Kehrbach = Ges. Schriften III 93ff.] J. S. M i l l : System der Logik Buch I Kap. 3 § l (Ges. Werke I I 2 49). — Nur an zwei S t e l l e n erscheint die Zehnzahl der Kategorien, n mlich Categor. 4, 1»> 25ff. und Topik I 9, 103b 21 ff. Vgl. ber die „Abstufungen in der Vollst ndigkeit der Aufz hlung" (Bonitz ber die Kategorien des Aristoteles, Wiener Sitzungsberichte 1853, S. 610, A. 3) Brandis, Griech.-r m. Philos. II 2, l S. 397, A. 558. Als „ A f f e k tionen" (πάθη) z u s a m m e n g e f a t [und als „Bewegungen" b e z e i c h n e t ] : vgl. die sehr n tzlichen Zusammenstellungen bei Prantl I1 207 und bei Apelt, Beitr ge zur Geschichte der griechischen Philosophie S. 140f. 33 1) V i e l e und w i d e r s p r u c h s v o l l e A n t w o r t e n : vgl. insbesondere Trendelenburg, Geschichte der Kategorienlehre (Historische Beitr ge zur Philosophie Band I), Bonitz a. a. O. und Apelt, Die Kategorienlehre des Aristoteles a. a. O. S. 103ff. Unsere Darstellung steht der Bonitzschen Auffassung des Gegenstandes am n chsten. 34 1) H i e r ein Z u v i e l , d o r t ein Z u w e n i g : das haben schon die Stoiker erkannt, welche die Einteilung ως πολλά παριεΐσαν και μη περιλαμβάνουσαν ή και πάλιν πλεονάζουσαν verwarfen nach Porphyrius in Categorias prooemium, p.59, 6 f f . Busse. — Wie ein Zeitgenosse: Apelt a. a. O. S. 160. Gar wenig stimmt zu der Zuversicht der Behauptung: „die Kategorien lassen sich nicht beliebig vermehren oder vermindern" die Entschuldigung ebd. S. 152: „ berhaupt aber darf man von den Kategorien κεΐσθαι und εχειν nicht zu viel Aufhebens machen."

Zu Buch VI, Kap. 5. 35 1) Die H e r m e n i e n - S c h r i f t : die Athetese von π. ερμηνείας durch Andronikos (bei Ammonius in Aristotelis de interpret, p. 5, 24ff. Busse) entkr ftet mit guten Gr nden, wie ich glaube, H. Maier im Archiv f r Gesch. der Philos. X I I I 37. Man beachte auch die dort S. 51 ff. f r die Echtheit beigebrachten Argumente. Die Anst e, welche das B chlein darbietet, d rften sich durch die Annahme erledigen lassen, da es uns nur in einer Sch lerNachschrift vorliegt. 36 1) [So gut wie k e i n e n G e b r a u c h : ] vgl. Grote, Aristotle I 288 In his numerous treatises . . . scarcely any allusion is made to the Syllogism; nor is appeal made to the rules for it laid down in the Analylica.—[Eine e i n z i g e G r u n d f o r m : Anal. pr. I 7, 29b 1]. 37 1) E i n e s der e u k l i d i s c h e n A x i o m e : vgl. Anal. post. I 10,76a41 mit Euklids [drittem Axiom] (Opera I 10 Heiberg); dieses erscheint auch Metaph. XI 4, 1061b 19. Zum folgenden vgl. Metaphysik IV 3 Anfang, auch den Rest dieses Kapitels [sowie] das ganze folgende. ber mathematische Definitionen vgl. u. a. Topik V I 1 1 Anfang und V I I I 3,158b29ff. — [ W i n k e l s u m m e : z. B. Anal, pr. 135, 48» 36. I n k o m m e n s u r a b i l i t t: z. B. Anal. pr. I 23, 23» 23ff.].

442

Zu Buch VI, Kap. 5, S. 38—43

38 1) Die s k e p t i s c h e n D e n k e r : vgl. Sextus Empir. Pyrrhon. hypotyp. II 163ff. und 195ff. — J. S. M i l l : Logik Buch II Kap. 3. In Wahrheit hat Aristoteles den Vorwurf einer im Syllogismus stattfindenden petitio principii selbst vorweggenommen. Auf die betreffenden Stellen Anal. pr. II 21, 67a 22 und Anal. post. I l, 71a 31 hat k rzlich H. Maier, Syllogistik des Aristoteles II 2 S. 173f., wohl als der Erste hingewiesen. 40 1) Soviel r umt A r i s t o t e l e s . . . ein: vgl. vor allem das Schlu kapitel der Anal, post., insbesondere p. 100b 3 δήλον δη ότι ήμΐν τα πρώτα έπαγωγί) γνωρίζειν άναγκαΐον. — [>,Die M a t h e m a t i k hat sich . . .":] Metaph. I 9, 992* 32 άλλα γέγονε τα μαθήματα τοις νυν ή φιλοσοφία.] — Die A s t r o n o m i e . . . . und H a r m o n i k usw.: vgl. Anal. post. I 9, 76a 23—25, auch [I 7] 75b 16 und [I 14] 79* 18—20. Genaueres ber das Verh ltnis dieser Disziplinen zur Mathematik: Physik II 2, 194* 7ff. Unsere „mathematische Physik" hei t dort τα φυσικώτερα των μαθημάτων. 42 1) belbegr n d e t e N a t u r t h e o r i e n usw.: Anal. post. II 10, 94» 3 ff. und II 16 [98b 5ff.]. 2) G r u n d s t z l i c h e E r k l r u n g des S t a g i r i t e n selbst: Topik I l [100* 25]. — „ E i n s c h a c h t e l u n g der V o r s t e l l u n g e n " : s. D hring, Kritische Geschichte der Philosophie 2 119f. 43 1) A n w e i s u n g e n a u c h zur T u s c h u n g des Gegners: vgl. Topik I 18, 108* 26 χρήσιμον δε και προς το μη παραλογισθήναι και προς το παραλογίσασϋαι. [ V i e l d e u t i g e W r t e r : besonders II 15]. Ganz eigentliche Kunstgriffe der T uschung VI 10, 148* 37ff.: έρωτώντι μεν ως συνωνΰμοις χρηστέον ... αύτώ δ' άποκρινομένψ διαιρετέον. Der Gegner wird durch vorherige Abmachungen in eine Falle gelockt: μάλλον γαρ συγχωροΰσιν ου προορώντες το συμβησόμενον, 148b 9. V1111,155 b 23: ή προς κρνψιν του συμπεράσματος, auch Ζ. 30: αλλ' άποστατέον [seil, των αναγκαίων] ότι άνωτάτω, d. h. man mu mit m glichst allgemeinen, von dem Ziel, auf das man lossteuert, m glichst weit entfernten S tzen den Anfang machen, um dem Gegner Zugest ndnisse zu entlocken, die er andernfalls δια το . . . . προοραν το συμβησόμενον (Ζ. 13) vermeiden w rde. Das St rkste ist vielleicht die Empfehlung, sich selbst Einw rfe zu machen, weil der Schein der Loyalit t den Gegner vertrauensvoll stimmt (156b 18—20). Hierher geh rt auch die Warnung vor bereifer (156b 23ff.) und der Rat, die nat rliche Folge der S tze zu st ren, um durch Verschr nkung derselben den Gegner von der F hrte abzubringen (156a 23ff.), desgleichen die Anweisung zur Verschleppung [VIII 10] 161* 9—12, allerdings als die χειρίστη των ενστάσεων bezeichnet; doch ohne solchen Vorbehalt [VIII 1] 157» l: έτι το μηκΰνειν και παρεμβάλλειν [τα μηδέν χρήσιμα προς τον λόγον ..., πολλών γαρ όντων, άδηλο ν, εν όποίφ το ψευδός], mit der Schlu bemerkung: εις μεν ούν κρνψιν τοις είρημένοις χρηστέον. [ S c h l e c h t e W o r t w i t z e : besonders in den „sophistischen Widerlegungen", z. B. gleich in c. 4], Definit i o n der V e r b l f f u n g : Topik IV 5, 126b 13ff. — L e b h a f t i g k e i t der S e l b s t k r i t i k : VI 11, 149Λ 20 ή τοΰτο μεν γελοΐον το έπιτίμημα. Zum Folgenden vgl. am Schlu der Topik [VIII14,164 b 8ff.] die Ermahnung, sich nicht leichthin mit dem ersten besten in ein Streitgespr ch einzulassen: και γαρ l

Zu Buch VI, Kap. 5—6, S. 44—49

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γυμναζόμενοι άδυνατοϋσιν άπέχεσθαι του διαλέγεσθαι μη άγωνιστικώς. — Einmal . . . . ein a n d e r m a l : die zwei Stellen liest man V 4 [134a 3] und V I I I 14 [164b 10]. In dieser Schlu partie tritt [vor allem] der Gesichtspunkt der bung und Schulung (Kap. 14 Anfang προς τε γυμνασίαν και μελέτην κτέ.) hervor. Fast m chte man sagen, Aristoteles sch me sich hier einigerma en, auch die blo e Streitkunst gelehrt zu haben. Die Worte άγωνίζεσθαι, αγωνιστικός usw. werden in tadelndem Sinne gebraucht. So mehrfach V I I I 11, wo auch die Verbindung διαλεκτικώς και μη έριστικώς (161a 33) begegnet. 44 1) N a h e am Schl sse des l o g i s c h e n H a u p t w e r k s : Anal, b post. II 19, 99 34—100» 14.

Zu Buch VI, Kap. 6. 45 1) „Wissensdurst": φιλοσοφίας διψήν, de coelo II 12 [291b 27]. Bevorzugung des S c h a u e n s : Metaph. I l [980a 24ff.]. M o n d r e g e n b o g e n : Meteorol. III 2, 372» 28, vgl. auch [ ber eigene Himmelsbeobachtungen des Philosophen] I 6, 343b 11 und 30 und de coelo II 12, 292» 3ff. H a n t i e r u n g e n der Sticker: Meteorol. III 4, 375» 26ff.; der G r t n e r : de gen. et corr. II 8, 335» 13f. R u d e r s c h l a g : Meteorol. II 9, 369b lOf. 46 1) C u v i e r : Histoire des sciences naturelles (1841 I 132); D a r w i n : Life and Letters III 252. D o t t e r s a c k des g l a t t e n Hais: Hauptstelle hist, an. VI 10, 565b 6ff.; er rtert von Joh. M ller „ ber den glatten Hai des Aristoteles", Berliner Akad. Abh. 1840 S. 187. Das k a l t e G e h i r n : vgl. Bonitz, Index Aristot. s. v. εγκέφαλος Nr. 5. Z a h l der Z h n e : hist. an. 113, 501b 19ff. H e r o d o t als M r c h e n e r z h l e r (μνθολόγος): de gen. an. III 5, 756b 6; vgl. hist. an. VI 31, 579b 2 [und Herodot III 108]. B e f r u c h t u n g des R e b h u h n s : hist. an. V 5, 541» 26ff.; V 2, 560b 13, auch de gen. an. III l, 751» 13ff. Wei w e r d e n der R a b e n usw.: hist. an. III 12, 519a 3ff. Was Aristoteles irregeleitet hat, soll nach Auberts und Wimmers Vermutung ( bersetzung der Tiergeschichte I 347 Anm. 77) das Vorkommen von AlbinoVariet ten sein. R t u n g der Spiegel: de insomniis 2, 459b 27ff. 2) Die von i n n e r e n W i d e r s p r chen g e r e i n i g t e . . . . A n s i c h t : das besagt ungef hr Nik. Eth. VII l, 1145b 6f. εάν γαρ λύηταί τε τα δυσχερή και καταλείπηται τα ενδοςα, δεδειγμένον αν εϊη ίκανώς. 47 1) Z e u g u n g s p r o z e bei den B i e n e n : de gen. an. III 10, 760b 27ff. Das A u g e der Erfahrung: Nik. Eth. VI12, 1143b 13f. Die eleatische Lehre g r e n z t an W a h n w i t z : de gen. et corr. I 8, 325» 17ff. Zum Folgenden vgl. wieder de gen. et corr. I8,324 b 35ff. [und Anm. l zu I* 264]. — K u n d g e b u n gen der S e l b s t b e s c h e i d u n g : de coelo II 12, 292» 14ff.; II 5, 287b 28—288» 2, wo man den Schlu : νυν δε το φαινόμενον ρητέον vergleichen m ge mit: πειρατέον λέγειν το φαινόμενον, ebd. 12, 291b 25ff. S t r e n g e r e M e t h o d e n und z w i n g e n d e r e Beweise: so durfte ich wohl άκριβεστέραις άνάγκαις 287b 34 bersetzen. 49 1) B e s t r e i t u n g . . . . des leeren R a u m e s : Phys. IV 8, 216» 13ff.; insbesondere Z. 20f.: ισοταχή άρα πάντ" εσται' αλλ' αδύνατον, und Z. 27: φανείη αν το λεγόμενον κενόν ως αληθώς κενόν.

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Zu Buch VI, Kap. 7—8, S. 50—56

Zu Buch VI, Kap. 7. 50 1) Beliebige H y p o t h e s e n : Metaph. XIV 3, 1090& 29. 51 1) Dreizahl von [Stoffklassen]: de coelo I 2; Luft und Wasser [von Feuer und Erde unterschieden]: II 3 [286* 28ff.]. 2) K o n s t r u k t i o n .. . der v i e r . .. G r u n d s t o f f e : de gen. et corr. II l 329M] — II 3 [330a 7]. — Die e m p e d o k l e i s c h e Lehre von den c h e m i schen P r o p o r t i o n e n gelegentlich ber cksichtigt: de anima 14, 408a 14ff. und [I 5] 410a Iff. 52 1) [Demokrits] Lehre vom A u f t r i e b [vgl. FVS. 55 A 61] bestritten de coelo I 8, 277* 33ff. S c h o p e n h a u e r : [Welt als Wille und Vorstellung Bd. II, Kap. 23] Werke I I I 1 334 [Frauenst dt = II 334, 17 Deussen]. 2) Der hier betonte Widerspruch erhellt am deutlichsten aus Physik V I I I 4, — eine Er rterung, deren Schlu 256a l uns die Wahl l t, als Ursache jener nat rlichen Bewegungen entweder ein Wesen anzunehmen, das den Stoffen diese Bewegungstendenzen verliehen hat, oder [sie] in demjenigen zu erblicken, der etwa dem nach abw rts strebenden Stein die Unterlage wegzieht. F rwahr, eine seltsame Alternative! Anderw rts freilich werden diese Bewegungstendenzen der Elemente nicht nur, wie auch an dieser Stelle 255a 2ff., unter die nat rlichen gerechnet, sondern [es wird] von den Naturwesen auch gesagt, da sie den Ursprung der Bewegung und der Ruhe in sich selbst tragen: Physik I I I , 192b 13. Doch ist damit offenbar nur deren Unterschied von den Kunstprodukten betont und auf eine weitere Zur ckf hrung dieses Ursprungs (αρχή κινήσεως και στάσεως) nicht verzichtet. Der ausschlie lich passive Charakter des unbeseelten Stoffes wird an der zuerst angef hrten Stelle nachdr cklich hervorgehoben 255 [a 5ff: αυτά ύφ' αυτών φάναι αδύνατον' ζωτικόν . . . γαρ τοϋτο; b 29: ουδέν τούτων αυτό κινεί εαυτό]; b 31: [κινήσεως αρχήν έχει] ου του κινεΐν . . . αλλά του πάσχειν. — K r e i s l a u f des Stoffes: de gen. et corr. II 10, 337* Iff. 53 1) H i n w e i s auf die Bewegung im K r e i s e der E k l i p t i k : 33ua 32ff. 2) Zur c k w e i s u n g der ( lteren) V e r s u c h e : de gen. et corr. I l und 2, insbesondere 317» 20ff. [vgl. auch I 9, 327* 14ff.]. Zu Buch VI, Kap. 8. 55 1) Συλλογιστικαί άρχαί hei en diese Prinzipien Met. IV 3, 1005'^ 7, αποδεικτικά! άρχαί I I I 2, 996b 26. A x i o m e der Mathematiker: [Anal. post. I 2, 72a 17; I 10, 76" 14]; Metaph. [ I I I 2, 997" 10—13]; IV 3 [1005-' IQff.J. „ E i n i g e der N a t u r p h i l o s o p h e n " : ebd. 1005a 3l. Formulierung des Widerspruchsprinzips: ebd. 1005b 19ff.; dasselbe enger gefa t Met. I I I 2, 996b 29 (και αδύνατον άμα είναι και μη είναι). Auch IV 6, 101 l b 13: βεβαιότατη δόξα πασών το μη είναι αληθείς άμα τάς αντικείμενης φάσεις. Gegen und ber H e r a k l i t : Met. IV 3, 1005b 24ff. Zum folgenden: Met. I 6, 987* 32ff., auch IV 5, 1009a 22. Vergleich mit den K n a b e n : ebd. 1009b 38f. 56 1) Satz [vom] a u s g e s c h l o s s e n e n D r i t t e n : Met. III 2, 99 b 29 πάν άναγκαΐον ή φάναι ή άποφάναι. Ebenso IV 7 Anfang. Vgl. auch Gr. D.

Zu Buch VI, Kap. 8—9, S. 58—64

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I I * 153f. — Und man hat es e i n g e w e n d e t : ich denke an Mill Logik Buch II [Kap. 7] § 5 (Werke I I 2 326). 581) Aristoteles' s c h a r f e U n t e r s c h e i d u n g der v e r s c h i e d e n e n Arten von G e g e n s t z e n : vgl. Bonitz im Index unter αντικεΐσθαι und ενάντιος. 2) Sir W i l l i a m H a m i l t o n : bei Mill a. a. O. S. 324ff. — Aristoteles ber R u h e und B e w e g u n g : an der wichtigen Stelle Physik IV 12, 221 ^ 12ff. ου γαρ πΰν το άκίνητον ηρεμεί, αλλά το έστερημένον κινήσεως πεφυκός δε κινεΐσΟαι. Die Disjunktion also: „A ist entweder ruhend oder bewegt" ist dort nicht anwendbar, wo Ruhe und Bewegung berhaupt keine dem betreffen den Subjekt zug nglichen Zust nde sind. Vgl. auch Physik I I I 4 Anfang und Prantls Bemerkung dazu, Aristoteles' Acht B cher Physik, griechisch und deutsch, S. 489. In der Sch rfe der Unterscheidung zwischen kontradiktorischen und kontr ren Gegens tzen wird Mill Logik a. a. 0. S. 326 von Aristoteles bertroffen. Vgl. auch de part. an. I I 2, 649a 18: το ψύχουν φΰσις τις αλλ* ου στέρησίς εστίν. 59 1) Vgl. Met. IV 4. Von einem „Stock" lasse ich Aristoteles reden statt von einer Pflanze (όμοιος γαρ τρυτφ ό τοιούτος, ebd. 1006Λ 14). [ U n b i l d u n g ] : vgl. ebd. 1006a 5 άςιοϋσι δη και τοΰτο άποδεικνύναι τινές δι' άπαιδευσίαν. 60 1) [So hat man g e a n t w o r t e t : vgl. Mill a. a. 0. S. 325f.] Anw e s e n h e i t und A b w e s e n h e i t e i n e s Ph n o m e n s : vgl. Gr. D. I I 4 442f. 61 1) Aristoteles ber Induktion als E r k e n n t n i s q u e l l e der Axiome: Anal. post. II. 19, 100b 3 δήλον δη δτι ήμΐν τα πρώτα επαγωγή γνο)ρίζειν άναγκαϊον. Ebd. wird [am Schl sse des Kapitels] die Rolle des N s beleuchtet. ber die aristotelische Induktion vgl. die Stellensammlung bei Zeller II 2 3 241 Anm. 3. Erheiternd wirkt der dort mit vollstem Recht zur ckgewiesene kritische Eingriff Trendelenburgs und Brandis', die Aristoteles [sich] nicht [zu der Ansicht bekennen] lassen wollten, da sich „alles unbewiesene Erkennen auf Induktion gr nde". G e o r g e G r o t e : Aristotle II 288ff. 2) H i n w e i s auf die a l l g e m e i n g a n g b a r e n berzeugungen: die ένδοξα, vgl. Topik I l [100^ 21. — W a h r s c h e i n l i c h k e i t s b e w e i s : I 2, 101a 36ff.]. Hier ber Zeller II 2 3 242ff. 3) Hauptstelle ber den S a t z der I d e n t i t t: Metaph. IV 7 [1011h 26ff.]. Vgl. auch IX 10, 1051b 3: — ό το διτιρημένον οίόμενος διηρήσθαι και ουγκείμενον συγκεΐσθαι. Zum Satz der Identit t vgl. berweg, System der Logik 3 183ff., und Grote, Minor Works 360.

Zu Buch VI, Kap. 9. 63 1) Die Widerspr che in der Behandlung des Substanz-Problems werden eingehend dargelegt von W. Frey.tag, Die Entwicklung der griechischen Erkenntnistheorie bis Aristoteles, Halle 1905, S. 82ff. Die angef hrten [Worte] ebd. S. 96. 64 1) V i e r H a u p t a r g u m e n t e . . . . gegen die I d e e n l e h r e : Metaph. I 9 [990a 34—9911> 9. — Wilhelm von O c c a m : vgl. berweg-Baumgarten,

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Zu Buch VI, Kap. g, S. 66—75

Grundri der Geschichte der Philosophie II 10 600; als die „Parole" der terministischen Schule bezeichnet den angef hrten Satz M. de Wulff, Geschichte der mittelalterlichen Philosophie, deutsch von R. Eisler, S. 373; als erster scheint „das Prinzip von der m glichst geringen Anzahl der Realit ten" Pierre Auriol formuliert zu haben: vgl. Beitr ge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters XI 6 S. 204ff.]. 66 1) Eine beraus m e r k w rdige Stelle: Metaph. X I I I 3, 1077& 27ff. Ein v o r a n g e h e n d e r Satz: ebd. Z. 22ff. 67 1) [Des S t a g i r i t e n eigene W o r t e : Metaph. XIII 3, 1078» 21 ff.] 2) H i e r a r c h i e der W i s s e n s c h a f t e n : [Ebd.] 1078» 9, vgl. [auch] Gr. D. I I * 585 [Anm. l zu S. 375]. — d'Alembert: im Discours preliminaire de l'Encyclopodie [I p. V I I I id. 1751 =] Oeuvres de d'Alembert Paris 1853 p. 88. 68 1) Ein Satz wie ... der f o l g e n d e : Metaph. VII l, 1028*> 2ff. [In v i e r f a c h e m Sinne: Metaph. VII l Anfang, vgl. VII 3 Anfang]. 2) [Konnte man .. . bezeichnen:] W. Freytag a. a. 0. S. 83. — Die gewi irrige V e r m u t u n g : ebd. S. 85. 69 1) Der Begriff . .. das aktive P r i n z i p : nach Metaph.VIII 2, 1043a 12 ff. 2) Zur Relativit t der Begriffe Form und Stoff vgl. die von Zeller II 2 » 210 Anm. l und 325 Anm. 2, 3 und 4 angef hrten Stellen. 70 1) Das sagt uns Aristoteles selbst: Metaph. IX 6, 1048* 32ff. Es w e r d e n . . . V e r s c h i e d e n h e i t e n s t a t u i e r t : ber diese Abstufung vgl. de gen. an. II 1,735» 9ff.; ber die erste E n t e l e c h i e vgl. de an. II l,412»22ff. Zum Folgenden vgl. Bonitzens Index s. v. εντελέχεια [254a Qff.J. 71 1) B o n i t z e n s Klagen ber des Aristoteles mim levitas und nimia levitas im Kommentar zur Metaphysik p. 395 n. l und p. 569 n. 1. [An der letzteren Stelle auch das im n chsten Satze angef hrte Wort.] 72 1) [Erw hnt und a b w e h r t : Metaph. 1X3. Ernste W i d e r s p r che: vgl. I I « 543, Anm. l zu S. 160.] 73 1) Form und t tige K r a f t (μορφή και ενέργεια): Metaph. V I I I 2 Ende. — An e i n e r Stelle der M e t a p h y s i k : I 3, 983* 28. 2) „Warum ist das Feuer warm?": Metaph. I l, 981»> 11. 74 1) H e r a k l i t s und Platons Ausspr che: vgl. Gr. D. I * 60 und [„Gesetz des R ckschlags"] I I * 384f. Hierher geh rt auch das Wort: αί έπ' άκρον εΰεξίαι σφαλεραί in Hippokrates' Aphorismen I 3 (IV 458 Littre). — Eine Stelle der Physik: I 5, 188* 36 [vgl. b 12 und 21]. 75 1) A n d e r e n D a r s t e l l e r n : darunter auch Zeller II 2 » 315f. und 348f. — Das aristotelische M u s t e r b e i s p i e l : de gen. et corr. I 4, 319& 25 [vgl. Phys. I 7, 190*> 13].

Zu Euch VI, Kap. 10, S. 77—85

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Zu Buch VI, Kap. 10. 77 1) „Ein Fa V e r n u n f t " usw. (θέλω τύχης σταλαγμόν ή φρενών πύθον): Diog. Frg. 2 Nauck 2 (p. 809). [Aus dem dort aus Gregor von Nazianz Angef hrten l t sich auch die Entgegnung entnehmen, die bei Diogenes nicht gefehlt haben kann: ρανίς φρενών μοι μάλλον ή βνθος τύχης]. Doch auch dem Menander zugeschrieben: Meineke Com. Grace. Fragm. IV 347, l (zum Folgenden vgl. ebd. 340, 8). 78 1) Die Hauptstelle ber das Akcidens Metaph. V 2, 1013b 34ff. Au erdem Physik I I I , 192b 23ff. Vgl. auch [II 5] 196* 28 und Poetik [c. 8] 1451a 18 (hier [ist] von Vorkommnissen, dort von Eigenschaften die Rede). 79 1) Vgl. Physik II c. 4—6, mit Torstriks Kommentar im Hermes IX 425ff. Leugnung des Z u f a l l s im a b s o l u t e n Sinne: 115, 197» 13 και εστίν αίτιον ως συμβεβηκός ή τύχη, ως δ' α π λ ώ ς ο ύ δ ε ν ό ς . Daneben beweist auch eine u erung wie Rhet. I 10,1369» 32ff. nichts f r das Gegenteil. Ich h tte mich noch weit entschiedener ausdr cken k nnen, was insbesondere aus Metaph. V 30 erhellt. Es ist in Wahrheit kein Schatten eines Grundes f r die gangbare Annahme vorhanden, Aristoteles habe der Herrschaft des Zufalls ein Sonderbereich vorbehalten. Man vgl. mit de interpret, c. 9 auch Metaph. VI 2, 1026b 27ff. Auch Wundt, Logik 1 3 575f. [= I* 575], l t es hier an dem erforderlichen berblick fehlen. Die zwei soeben angef hrten Stellen der Metaph. beweisen nicht das, was er sie beweisen l t. — S c h r i f t von der K u n s t : c. 6 Ende (Apologie der Heilkunst 2 ) [S. 44, 22]. 80 1) W i n t e r l i c h e K lte im Hochsommer: Metaph. XI 8, 1064b 36ff. 81 1) Ob das Weltall durch Z u f a l l entstanden ist: vgl. Metaph. I 3, 984b 14. 2) J. S. M i l l : Logik Buch III Kap. 5 Anhang, Ges. Werke III a 62f. mit der Anmerkung des Verf.s, auch Diss. and Discuss. IV 197. hnlich auch Grote, Aristotle I 296. — Die Stelle der Nik. Ethik: I 10, 1099b 24. 82 1) Die E n t s c h e i d u n g aus den B e g r i f f e n gesch p f t : Physik II 6 [198» 5 ff.]. 83 1) B e g r i f f der Tendenz: vgl. Bonitz Index s. v. βούλεσθαι 140I> 38ff. Auch des Verf.s Beitr ge zur Kritik usw. V I I I 16. — K o n f l i k t von B e w e g u n g s i m p u l s e n , auch von Willensantrieben: de coelo II 13, 295b 30; Topik VI 6, 145b 16. — Bl sse e i n e r Frau: Anal, prior. II 27, 70» 36. [Vielzahl der U r s a c h e n : J. S. Mill, Logik Buch III Kap. 10, Werke I I I 1 142 ff.] 84 1) Die G e w o h n h e i t eine z w e i t e N a t u r : so ungef hr — δμοιον γαρ τι το εαος τη φύσει — Rhet. Ι 11, 1370* 7. [Vgl. auch schon Euenos Frg. 9 Diehl und Demokrit Frg. 33 Diels.] 2) Die W a h r s c h e i n l i c h k e i t in der „Poetik": so c. 8, 1451» 27; c. 9 [1451» 30] und b g ; c. 10, 1452» 18ff.; c. 15, 1454» 33ff. 85 1) Die Zur ckf hrung des Zufalls auf Schranken unseres Wissens vertritt allerdings nicht [oder doch nicht unzweideutig] die eudemische Ethik V I I 14, 1247b 4 ff. Doch ist es um so eher erlaubt, daf r nicht Aristoteles,

448

Zu Buch VI, Kap. lo—n, S. 87—93

sondern Eudemos verantwortlich zu machen, ais der vorangehende Teil des Kapitels die Hand des Verfassers der Geschichte der Geometrie deutlich verr t. Vgl. die Bemerkungen ber Charakter und Leben des Geometers Hippokrates ebd. 1247» 17. 87 1) Man vgl. de interpret, c. 9. [Die w rtliche Anf hrung: 19a 12ffJ. Um nicht S tze wie άλλα πάντα είναι και γίγνεσθαι εξ ανάγκης (18b 30) und ουδέν άρα . . . από τύχης έσται (18b 15f.) — was eine reduclio ad absurdum ist — dahin mi zuverstehen, als ob Aristoteles die universelle Kausalit t bestreite, vgl. man Metaph. XI 8, 1065» 8: εσται γαρ απαντ' έ| ανάγκης, in dem Falle n mlich, da es auch f r das Akcidentelle (του κατά συμβεβηκός όντος) Ursachen und Prinzipien g be von ebensolcher Art wie του καθ' αυτό όντος. Hier liegt keine Leugnung der Kausalit t und keinerlei Einschr nkung ihres Geltungsbereiches vor. Von hier aus f llt das hellste Licht auch auf die vielfach mi verstandene Stelle der Hermenien-Schrift. Es ist in beiden F llen vom Zufall im durchaus richtigen und zul ssigen Sinne des Wortes die Rede, von dem gelegentlichen Zusammentreffen verschiedener Ursachen- oder, wie Aristoteles lieber gesagt h tte, verschiedener Begriffskreise. Ein Beispiel: Der Feldherr N. N. besitzt ein Muttermal. Dieses mag f r das Individuum N. N. ein Erbst ck seiner Eltern oder Ahnen sein. F r den Feldherrn als s o l c h e n ist es ein blo er Zufall, ein συμβεβηκός. Wer derartiges verkennt, setzt urs chliche Verkn pfung auch dort voraus, wo sie nicht vorhanden ist; mit Unrecht leugnet er den Zufall und erkl rt alles f r ein Werk der Notwendigkeit. Zu Buch VI, Kap. 11. 89 1) Vgl. Metaphys. X I I 10, 1075& 13: και δια τί τα μεν φθαρτά τα δ' άφθαρτα, ούθείς λέγει' πάντα γαρ τα οντά ποιοϋσιν εκ των αυτών αρχών. Vgl. auch Metaph. Ill 4, 1000a 5ff. — t h e r im „obersten" H i m m e l s r a u m : de coelo I 3, 270b 7. [„G t t l i c h e K rper": vgl. Bonitzens Index s. v. θείος, 324* 3. — „Die g t t l i c h s t e n der Ph nomene": Physik II 4, 196* 33.] 90 1) M i l c h s t r a e: Meteorol. 18. K o m e t e n : ebd. I 6 und 7. [Gewisse P y t h a g o r e e r : 342b 29, vgl. Gundel bei Pauly-Wissowa XI 11701] Seneca: natural, quaest. V I I 22, l; [25, 3]. Die merkw rdigste u erung ebd. 25, 3—5: quid ergo miramur cometas, tarn ramm mundi spectaculum, nondum teneri legibus cerlis . . . veniet tempus quo posteri nostri tarn aperta nos nescisse mirentur. 2) Einwurf gegen das H a u p t p r i n z i p der Atomistik: de gen. et corr. I 8, 326» 28f. [Lob der A t o m i s t e n : 324^ 35f.; V o r w u r f gegen die E l e a t e n : 325» 13 und 17.] Zum Folgenden vgl. [I 9] 327» 16ff [und 22]. 91 1) M i s c h u n g und G e m e n g e : de gen. et corr. I 10 [besonders 328» 5ff.] L y n k e u s : ebd. » 14. Ein T r o p f e n Wein in 10000 K a n n e n ebd. » 26ff. 93 1) Ein 10000 S t a d i e n langes Tier: Poetik c. 7, 1451» 2; das s p a n n e n l a n g e S c h i f f : Polit. VII 4, 1326» 40. — Die [folgende] Berechnung beruht darauf, da die Kanne (χους) = 12 κοτύλαι, die κοτύλη = 7V2 [me-

Zu Buch VI, Kap. n, S. 93—98

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trischen] Unzen, [das Gewicht der] Unze Wasser — 30 g [gesetzt wird]. Ein Tropfen wurde = 0,05 cm3 angenommen. Die Mitteilungen ber die Nachweisbarkeit minimaler Stoffmengen von Natrondampf und Silberjodid verdanke ich der G te meines seither leider dahingeschiedenen Schwagers, des Professors [der physikalischen Chemie] Hans Jahn. 2) Vier A r t e n von U r s a c h e n : Physik 113 [194b 23ff.], Metaph. 13 [983» 26ff.]. Ihre Gruppierungen: Physik II 7 [198a 24ff.], de anima II 4 [415b 9ff.], de gen. an. I l [715* 5ff.], Metaph. XII 4 [1070*- 22]. Das Beispiel von der Leibes b u n g : Physik II 3, 195a 8. R e i n e P a s s i v i t t des Stoffes: de gen. et corr. I 7, 324b 18 ή δ' ΰλη ij ΰλη παθητικόν. Ferner II 9, 335b 29: της . . . . Όλης το πάσχειν εστί και το κινεΐσθαι. D y s t e l e o l o g i e : Hauptstelle de gen. an. IV 10, 778!l 4 βούλεται μεν οΰν ή φύσις . . . ουκ ακριβοί δε Οιά τε την της ύλης ύοριστίαν [και δια το γίνεσΟαι πολλάς αρχάς, αϊ ... αΐτιαι των παρά φύσιν συμπιπτόντων είσίν]. G e s c h l e c h t s c h a r a k t e r : Metaph. X 9 [vgl. de gen. an. II 3, 737 a 27.]

94 1) Gelegentliche u erungen a l t - h e l l e n i s c h e r Sinnesweise: in Verbindungen wie ό ϋεός και ή φύσις [de coelo I 4 Ende] oder Nik. Eth. VII 14 [11531· 32] πάντα γαρ φύσει έχει τι Όεΐον. Physik Ι 9, 192* 16: δντος γαρ τίνος θείου και άγαΌοΰ και εφέτου . . . το δε (φαμέν είναι) δ πέφυκεν έφίεσϋαι και όρέγεσΟαι αΰτοΰ κατά την έαυτοϋ φΰσιν. De gen. an. I I I 11, 762a 21: — ώστε τρόπον τινά πάντα ψυχής είναι πλήρη. Auch IV 10, 778a 2: βίος γαρ τις και πνεύματος εστί κτέ. — Vom ersten Beweger wird in einem sp teren, dem theologisch-astronomischen Abschnitt gehandelt werden [vgl. S. 181 ff.]. 95 1) Die O r t s v e r n d e r u n g e i n e B e d i n g u n g sonstiger Ver nder u n g e n : vgl. de gen. et corr. II 10, 336* 16ff. und I 6, 322b 22ff. 2) „ A k t u a l i s i e r u n g des P o t e n t i e l l e n " : vgl. Physik III l, 201b 4f. „ U n v o l l e n d e t e W i r k l i c h k e i t " : ebd. III 2, Z. 31f. Ein n a m h a f t e r Zeitgenosse: D hring, Kritische Geschichte der Philosophie 2 S. 126. 96 1) D e f i n i t i o n der Zeit: Physik IV 11, 219'> If., erg nzt durch 220a 25f. Mi verst ndnisse: wie eben bei D hring 2 S. 128, der Aristoteles „das zuf llige Mittel der Messung mit den Eigenschaften des gemessenen Gegenstandes" verwechseln l t, wogegen sich Aristoteles a. a. 0. 219b 6—9 bereits ausdr cklich verwahrt hat. Unbefriedigend ist Prantls bersetzung, aber auch bei Zellers Wiedergabe I I 2 3 399 m chte ich mich nicht beruhigen. „Denn a u c h w e n n es d u n k e l ... ist" usw.: ebd.219 a 4ff. „Fr her und sp ter": im r umlichen Sinne verwendet ebd. 2191V 14ff. 97 1) K r i t i z i s t i s c h e s W e t t e r l e u c h t e n : Physik IV 14, 223* 21ff. und de anima III 8, 43l1' 21 ff. 2) Das Argument f r die E n d l o s i g k e i t der Z e i t : Physik V I I I l, 251^ 19ff. [Ein anderes:] Metaph. XII 6, 1071b 7ff. 98 1) Die d r e i D i m e n s i o n e n usw.: de coelo I l [268a 9ff. Die d r e i nat r l i c h e n B e w e g u n g e n : I 2, 268b 17ff.]. A r g u m e n t e gegen den l e e r e n R a u m : Physik IV 6ff. Insbesondere IV 8, 214b 28ff. M glichkeit des A u s w e i c h e n s : IV 7, 214" 29ff. G o m p e r z , Griechische Denker. III. 4. Aufl.

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Zu Buch VI, Kap. n, S. 98-103

2) Das w u n d e r b a r pr g n a n t e S t z c h e n : Physik III 7, 207b 14 ουδέ μένει ή απειρία, άλλο γίνεται. Die Er rterung ber das U n e n d l i c h e : Physik III 6ff. 99 1) Vgl. de gen. et corr. I 2, 31 b 29: εϊη αν άπειρος ή θρΰψις ( hnlich Platon Parm. 165b ·θρύπτεσθαι . . . . κερματιζόμενον ανάγκη παν το δν) und vorher Ζ. 25: και εις άσώματον έφθαρμένον το σώμα. [Eine j he W e n d u n g : 316b 34ff. K e i n I n t e r p r e t : doch vgl. jetzt Harold. H. Joachim, Aristotle on coming to be and passing away (London 1922) p. 84ff. Die a n d e r w rts a u f gestellte These: Physik VI l, 231b 6ff.; vgl. de coelo III 1, 300» 7ff.] 100 1) Gegensatz von G e d a n k e und Tatsache: [Physik III 8] 208a 16—19. Vorher die treffliche Bestreitung des anaximandrischen Arguments [Aetius I 3, 3 = FVS. 2,14]: notwendig [sei die] Unendlichkeit, damit der Stoff f r Neubildungen nicht ausgehe (ίνα ή γένεσις μη έπιλείπη); worauf Aristoteles [208a 9] antwortet: ενδέχεται γαρ την θατέρου φΦοράν Φατέρου είναι γένεσιν. Es ist dies das d r i t t e unter den f nf Argumenten f r die Annahme [des wirklichen Vorhandenseins] eines [r umlich] Unendlichen, [das sich nach] Physik I I I 4, 203b 15ff. [ergeben soll] 1. aus der Unendlichkeit der Zeit; 2. aus der unendlichen Teilbarkeit der Raumgr en; 4. sto e jede Grenze immer wieder an eine andere; 5. und haupts chlich: aus dem Mangel eines Stillstands im Denken wird auf einen solchen auch in der Welt der Tatsachen geschlossen. Nun r umt Aristoteles [Physik I I I 8] die Unendlichkeit der Zeit ein, nur nicht als eine fertige, sondern als eine werdende. Desgleichen die unendliche Teilbarkeit des K rperlichen. Der vierte und schwierigste Beweisgrund wird — d rfen wir sagen: eben darum? — am k rzesten erledigt, durch die Unterscheidung von Sichber hren (απτεσθαι) und Begrenztsein (πεπεράνθαι). Jenes sei ein relativer, dieses ein absoluter Begriff. Die Unvorstellbarkeit eines r umlich abgeschlossenen Weltganzen hindert [also] Aristoteles nicht, ein solches anzunehmen. Die Antwort auf 5 steht an der zu Beginn dieser Anmerkung angef hrten Stelle. 2) N a m h a f t e D e n k e r u n s e r e r Zeit: ich denke an Wilhelm Wundt und seinen Aufsatz „Das kosmologische Problem" (Vierteljahrsschrift f. wissenschaftl. Philosophie I 80ff.) [= Kl. Schriften I Iff., besonders S. 59ff.]. — D i e g r o e M e h r z a h l der alten N a t u r p h i l o s o p h e n : o l πλείστοι των αρχαίων φιλοσόφων, de coelo I 5 [271b 2. — Da es nur ... e i n e n H i m m e l g e b e n k nne:] ebd. I 8—9. — [Jenseits der H i m m e l s k u g e l : I 9, 279» 11 ff.]. 101 1) Der e i n e , e i n z i g e und v o l l k o m m e n e H i m m e l : de coelo I 9 Anfang und 279a lOf. Ein tief gesch p f t e r E i n w a n d [entwickelt und beantwortet] de coelo I 9 [277b 27—279a 11. — Alles p h y s i s c h e und w a h r n e h m b a r e K r p e r l i c h e : 278b 8]. 2) ber die Ewigkeit des Himmels: ebd. I 3 [270* 12ff.] und I 10. [Das sch ne W o r t : 279b 7], 102 1) g y p t e r und B a b y l o n i e r : vgl. de coelo II 12, 292» 7—9 [sowie auch] I 3, 270b 13—16. 103 1) Hierzu vgl. man Zellers sch ne Abhandlung „Die Lehre des Aristoteles von der Ewigkeit der Welt", Vortr ge und Abhandlungen I I I . Samm-

Z w Buch VI, Kap. 11—12, S. 104—106

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lung S. lOff. ber die z y k l i s c h e n T h e o r i e n : de coelo I 10 [279a 14ff. und] 280* 11 ff.; [vgl.] auch Physik V I I I l, 252» 5ff. — Die Ewigkeit des Menschengeschlechts wird stillschweigend angenommen; da [die Menschen] erdentsprungen (γηγενείς) seien, nur hypothetisch oder a!s fremde Lehre vorausgesetzt: de gen. an. I l l ll,762b 29 und Polit. II 8, 1269a 5 τους πρώτους είτε γηγενείς ήσαν εΐτ' εκ φ θ ο ρ ά ς τ ι ν ό ς έσώθησαν. Auf solche φθοραί spielt Aristoteles an de coelo I 3, 270»» 19, Meteorol. I 3, 339b 27ff., Metaph. XII 8, 1074» 38ff. und Fragm. 13 [Rose]. 104 1) Die a r i s t o t e l i s c h e G e o l o g i e haupts chlich in Meteorol. I 14. [„Entsprechende Wasserl ufe": 351b 4. beraus d u n k e l a n g e d e u t e t : 351a 30ff. I n f o l g e e i n e s b e s c h r n k t e n b e r b l i c k s : 352a 17ff.] 105 1) E r s t a u n l i c h h o c h m tige B e m e r k u n g : Meteorol. I 13, 349a 15f. ονθέν . . . . ο μη καν ό τυχών εΐπειεν. Sp ttisch im folgenden [Z. 20]: των σοφώς βουλομένων λέγειν τινές, und [Ζ. 30]: το κόμψευμα αν εΐη τοΰτο ψευδός. Vgl. ebd. II 4, insbesondere 360a 19ff. und f r Aristoteles' eigene Theorie der W i n d e 361a 30ff. — ber die „trockene Ausd nstung" vgl. Meteorol. 11 4 [359'> 28 und] 360* 8ff., auch III 6, 378* 21 ff. — Gegen a t m o s p h r i s c h e N i e d e r s c h l ge als Ursprung der Quellen: Meteorol. I 13, 349b 2ff. ber den S a l z g e h a l t des Meeres: Meteorol. II 3. Zu dieser Frage vgl. man das aus den Hibeh-Papyri p. 62 Grenfell-Hunt gewonnene, wahrscheinlich theophrastische Bruchst ck, in das ein Demokrit-Fragment eingebettet ist, bei Diels Fragmente der Vorsokratiker [55 A 99a] 1 2 368f. — Nebenbei: aus Meteorol. I 13 ersehen wir, da die Geographie Europas Aristoteles noch sehr ungen gend bekannt war. Alpen und Pyren en flie en ihm noch zu e i n e m Gebirge zusammen, aus dem [sowohl] die Donau [wie auch] der Guadalquivir entspringen [350a 36ff.]. 2) [Nahe am Schl sse des 12. B u c h e s : Metaph. XII 10, 1075a 25ff. Ein u m f a s s e n d e s G e n e r a l u r t e i l : 1075b 36]. Zu Buch VI, Kap. 12. 106 1) Bei der Ausarbeitung dieses Abschnitts haben mir zwei B cher die wichtigsten Dienste geleistet: G. Pouchet, La biologic aristotelique, Paris 1885, und J. B. Meyer, Aristoteles' Tierkunde, Berlin 1855. Von gro em Nutzen waren mir ferner Auberts und Wimmers Einleitungen und Anmerkungen zu den von ihnen veranstalteten, mit deutscher bersetzung versehenen Ausgaben von Aristoteles' περί ζωών γενέσεως (Leipzig 1860) und περί ζφων ίστορίαι (2 B nde, Leipzig 1868); nicht minder die gleichartige Bearbeitung von Aristoteles' περί ζώων μορίων durch Frantzius (Leipzig 1853). Auch G. H. Lewes' Aristotle, a chapter from the history of science, London 1864, soll nicht ungenannt bleiben, obgleich das gl nzend geschriebene Buch des erstaunlich vielseitigen Literators mit seinem bald enkomiastischen und bald pasquillartigen Tone mehr ein blendendes Schaust ck als einen verl lichen F hrer abgibt. Endlich habe ich eines Zeitgenossen mit besonderer Dankbarkeit zu gedenken: des (seither leider verstorbenen) Basler Professors Rudolf Burckkardt, der so29*

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Zu Buch VI, Kap. 12, S. 107—112

wohl durch seine und seines Sch lers Bloch bedeutenden Arbeiten als durch manche schriftliche Mitteilung meine Vertrautheit mit diesem Forschungsgebiet wesentlich erh ht hat. Mit Unrecht bestritten ist die Echtheit von περί ζφων κινήσεως [vgl. Anm. l zu S. 134], sicherlich unecht [dagegen] περί πνεύματος. Eine echte Schrift „ ber die Pflanzen" ist durch die gro en theophrastischen Werke verdr ngt worden und darum fr h verschwunden. Vgl. die Er rterung bei Zeller II 2 3 98. 107 1) Aristoteles ber seine B e v o r z u g u n g der o r g a n i s c h e n Welt: de part. an. I 5 Anfang. 108 1) Die F a r b e der A u g e n : de gen. an. V l Anfang. An e i n e r Stelle der P h y s i k : 118, 199* 12. Dieses Kapitel auch im folgenden reichlich benutzt. — Die N a t u r tut n i c h t s u m s o n s t : ή φύσις οΰθέν ποιεί μάτην, de incessu animal. 2, 704b 15. — Sein Geist bewegt sich . . . in den Geleisen P l a tons: man vgl. z. B. Tim. 42« κ α τ ά δ ΰ ν α μ ι ν ότι κάλλιστα και άριστα mit de incessu animal, a. a. Ο. άει εκ των ε ν δ ε χ ο μ έ ν ω ν . . . το άριστον. 2) An e i n e r . . . . S t e l l e der P h y s i k : n mlich im oben angef hrten 8. Kap. des II. Buches. Zum folgenden vgl. Aristoteles' Frg. [11—13 Rose] (aus dem Dialog περί φιλοσοφίας). Das [weiter] Folgende [dann] wieder nach Physik II 8 [199i> 5]. 110 1) Z e u s l t n i c h t r e g n e n usw.: Physik II 8, 198& 18ff. — An e i n e r b e d e u t u n g s v o l l e n Stelle: de gen. an. V 8, 789b 2ff. Auch das Folgende ist dieser Stelle entnommen. Im brigen vgl. man wieder den oft angef hrten Abschnitt der Physik 11 8 Anfang [sowie] 11 7 Ende. Desgleichen de part. an. IV 2, 677a 17—19 ου μην δια τοΰτο δει ζητεΐν πάντα ένεκα τίνος, άλλα τινών όντων τοιούτων, έτερα εξ ανάγκης συμβαίνει δια ταΰτα πολλά. — Die Zahl der Sch deln hte: dar ber handelt de part. an. II 7, 653» 27—1> 8. Vgl. Frantzius' Anmerkung 37 S. 276: „In bezug auf die N hte des Sch dels existiert bei den S ugetieren keine solche Verschiedenheit, wie Aristoteles sie annimmt. . . . Dagegen ist bei den niederen Wirbeltieren . . . . die Anzahl der Sch delknochen, mithin auch . . . ihrer . . . N hte bedeutend gr er. . . . Eine Verschiedenheit zwischen Mann und Weib findet in dieser Beziehung ebensowenig statt." Vgl. auch Lewes p. 306. 111 1) Ph n o m e n e — U r s a c h e n — W e r d e n : de part. an. I l, 640a 14f. 2) C h o r u s b e g e i s t e r t e r S t i m m e n : vgl. die Zusammenstellung bei Lewes p. 154f., ferner Ch. Darwin, Life and Letters III 252. Zum Folgenden vgl. Lewes p. 156f., p. 323f., p. 325f. 112 1) Lewes: p. 158. — ber G e h i r n , Herz und Lunge vgl. die im Index Aristot. s. v. εγκέφαλος 213*> 40ff., s. v. καρδία 365^ 34ff. und s. v. αναπνοή 52a lOff. namhaft gemachten Stellen. [Der h i e r i n . . . s i z i l i s c h e n r z t e n f o l g t e : vgl. M. Wellmann, Fragmentsammlung der griechischen rzte I 76ff. — Z e u g u n g s a k t . . . mi verstanden: de gen. an. I 22.] A n n a h m e der U r z e u g u n g : vgl. vorl ufig die Hauptstelle de gen. an. III 11, 762» 8ff.; dazu Aubert und Wimmer S. 40 Anm. 5: „Einem Teil der Insekten sowie allen Schaltieren schreibt A. spontane Entstehung zu." 2) Die v o r d e m v e r b r e i t e t e — A n s i c h t : vgl. Zeller II 23 (1879)

Zu Buch VI, Kap. 12, S. 113—114

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S. 5121. — [Wir h a b e n b e o b a c h t e t : de gen. an. IV l, 764» 34. Es ist gesehen w o r d e n , man hat w a h r g e n o m m e n : z. B. hist. an. I 7, 491b 4; V 5, 540b 19; VI 6, 563» 20 usw.] Syennesis, P o l y b o s , D i o g e n e s : hist. an. I I I 2, 511b 23 [und 30] und III3,512b 12. L e o p h a n e s : de gen.an. IV l, 765» 25. Da er der Verfasser der pseud-hippokratischen Abhandlung ber die Superf tation ist, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit Littre vermutet (Oeuvres d'Hippocrate I 380f.). „ S a c h v e r s t ndige": die hierher geh rigen Stellen gesammelt und er rtert von Brandis 112,1298ff. [ K r i t i k an P l a t o n s T i m os: de part. an. 117 Anfang; IV2,676*> 22]. D e m o k r i t s [Schrift: FVS.55Bllh und A 139—162. Seine] biologischen Lehren [werden] er rtert an zahlreichen, im Index Aristot. s. v. Δημόκριτος 176a 21 ff. verzeichneten Stellen. Die ihm von Plinius Hist. Nat. X X V I I I 112 beigelegte Monographie ber das Cham leon [FVS. 55 B 300/7] wird auf Grund der darin enthaltenen Abenteuerlichkeiten von A. Gellius, Noctes Att. X 12, wohl mit Recht verworfen. — H e r o d o r o s aus H e r a k l e i a , wahrscheinlich identisch mit dem an zwei Stellen der Tiergeschichte [VI 5, 563» 6 und X 11, 615» 9] als Vater des Sophisten Bryson Genannten: de gen. an. III 6, 757» 4. 113 1) ber das Halten seltener Tiere schon bei den Assyrern vgl. Diels, Kultur der Gegenwart 111 635. — Zu Herodots Zeit: vgl. Herodot III 102. ber Tierg rten in g y p t e n vgl. au er dem von Beloch Gr. Gesch. III l, 484 [= 2 IV l, 471 f.] Angef hrten auch eine Inschrift aus Panopolis, Revue des Etudes Grecques IV 53. ber die S c h a u s t e l l u n g seltener Tiere zu A t h e n vgl. Antiphon Frg. 57—58 Bla [= 58—59 Sauppe-Thalheim]. Men a g e r i e n : vgl. Isokrates or. XV 213. ber A l e x a n d e r s U n t e r s t t z u n g vgl. Zeller II 23 32f. Als f e s t s t e h e n d darf es ... g e l t e n : vgl. Partsch, Abhdlgg. d. philolog.-hist. Klasse d. kgl. s chs. Ges. d. Wiss. 1909, 598. Ebendort wird A r i s t o t e l e s ' S c h r i f t ber das S t e i g e n des N i l s mitentscheidenden Gr nden als echt erwiesen. Das t r i u m p h i e r e n d e W o r t (τοϋτο υύκέτι πρόβλημα εστί' (ΰφί)η γαρ φανερώς δτι εξ νετών αΰξει): Photius Bibl. cod. 249 Ende ( I I 441 Bekker). Erst vor w e n i g e n J a h r e n : n mlich durch H. G. Lyons, Physiography of the river Nile and its basin, Cairo 1906 (vgl. Partsch S.595ff.). ber die Z a h l der [dem Aristoteles bekannten] T i e r s p e z i e s vgl. J. B. Meyer S. 144; nur ungef hr 400 nimmt Pouchet p. 121 an. [Die Zahl der berhaupt bekannten Spezies nahm Meyer ebd.] nach Bronn, [Allg. Zoologie 1850, mit etwa einundeinhalb Millionen an]. ,,Ein M i t t e l d i n g von Tier und P f l a n z e " : so nennt Aristoteles die 'Οστρακόδερμα de gen. an. 123, 731b 8f. 114 1) Aristoteles' geringe Kenntnis des menschlichen Innern: von ihm selbst eingestanden hist. an. I 16, 494b 21 ff. Vgl. Aubert und Wimmer, Einleitung zu περί ζφων γενέσεοος S. 4 und Frantzius zu de part. an. S. 276 Anm. 37 und S. 297f. Anm. 57 und 62. A n a t o m i s c h e s T a f e l w e r k : die 7 B cher der Άνατομαί waren mit, wahrscheinlich schematischen, Darstellungen ausgestattet. Vgl. de respir. 16, 478a 35f. (ποός μεν την όψιν εκ των ανατομών δει ·θεωρεΐν, προς δ' ακρίβειαν εκ των Ιστοριών). — F a n g a r m von P o l y p e n : de gen. an. I 15, 720'> 32ff.; vgl. Pouchet p. 129.

454

Zu Buch VI, Kap. 12, S. 115—118

115 1) K nstliche A u s h u n g e r u n g und E r d r o s s e l u n g der Tiere: das besagt hist. an. III 3,513a 12ff., wo brigens Aubert und Wimmer das Wort προλεπτυνθεΐσιν, das sie mit „abgemagert" wiedergeben, mi verstanden haben. Diese bersetzung wird weder dem Pr fix noch dem Passiv-Aorist gerecht. Das Verbum προλεπτύνω erscheint auch de gen. an. I 18, 726a 1: die Hirten machen die B cke vorher (vor der Zeit der Paarung) absichtlich mager, weil die fetten zum Bespringen der Ziegen weniger geneigt sind. Zur Sache vgl. man brigens de part. an. III 5, 668a 21: γίνεται κατάδηλον εν τοις μάλιστα καταλελεπτυσμενοις, wo der Hinweis auf k nstliche, zur Untersuchung vorbereitende Abmagerung fehlt. — [Aristoteles selbst: vgl.] die ausdr ckliche Erkl rung de gen. an. IV l, 764* 34ff. και τονθ' ικανώς τεθεωρήκαμεν [εκ των ανατομών εν πασι τοις ζφοτοκοΰσι και εν τοις πεζοΐς και εν τοις ΊχΟΰσι]. — K i n d i s c h e r W i d e r w i l l e : διό δει μη δ υ σ χ ε ρ α ί ν ε ι ν π α ι δ ι κ ώ ς τ ή ν περί των ατιμότερων ζφων έπίσκεψιν, de part. an. I 5, 645a 15. J o h n H u n t e r : vgl. Lewes p. 323, dem wir auch das Zitat aus T i e d e m a n n s Physiologie des Menschen entlehnen. [Eierstock der A u s t e r : de part. an. IV 5, 680b 7. U r i n b l a s e der S c h i l d kr te: hist. an. III 15, 519b 14. S t e l l u n g . . . p a a r e n d e r Igel: ebd. V 2, 540b 3]. 116 1) S p e z i f i s c h e P r i n z i p i e n : de gen. an. II 8, 748a 7 ούτος μεν οΰν ό λόγος καθόλου λίαν και κενός, οί γαρ μη εκ των ο ι κ ε ί ω ν ά ρ χ ω ν λόγοι κενοί κτέ. — A l l z u weit h e r g e h o l t : ebd. IV l, 765b 4 άλλα λίαν το λέγειν ούτω π ό ρ ρ ω θ έ ν εστίν απτεσθαι της αιτίας κτέ. 2) U n f r u c h t b a r k e i t der M a u l t i e r e : de gen. an. II 8. Aristoteles v e r s u c h t zun chst: 747b 27ff. 117 1) H e r z k l o p f e n : vgl. de respir. 20, 479b 22—26 ώστ' ενίοτ' άποσβέννυσθαι (sc. το ·θερμόν) τα ζφα και (1. και τα ζφα) άποΐΚήσκειν δια φόβον. Gr e des H e r z e n s : depart.an. I l l 4, 667» 11 f., wo brigens auch die H rte und Weichheit des Herzens f r das Ma psychischer Empfindlichkeit verantwortlich gemacht wird. Zu den sogleich folgenden Fehlerkl rungen vgl. de gen. an. V 3 [782b 31 ff. und] 783a 12ff.; V 7, 787b 19ff.; V 3, 783b 25ff. Vgl. Pouchet p. 37. 118 1) Um ber die Zeitfolge der [aristotelischen] Schriften zu urteilen, stehen uns neben allgemeinen Pr sumtionen zwei Hilfsmittel zu Gebote: die (freilich nicht selten verwirrenden) Vor- und R ckverweisungen des Autors selbst, dann die gelegentlichen Anspielungen auf zeitlich fixierbare Vorkommnisse. Die erstere Quelle hat mit gewohnter Genauigkeit und Gr ndlichkeit Bonitz im Index s. v. Αριστοτέλης ausgesch pft; die Er rterung jener Anspielungen, die f r einige der Schriften neben jenen r e l a t i v e n auch a b s o l u t e Daten ergeben, findet man bei Zeller II 23 154f. Die mit h chster Wahrscheinlichkeit ermittelte Reihenfolge ist die folgende: das Organon, die 4 physikalischen Hauptschriften (Physik, de coelo, de gen. et corr., Meteorologie, vgl. Meteorol. I Anfang und IV Ende) [doch kann die Meteorologie in ihrer uns vorliegenden Fassung wegen III 2, 372a 28ff. (εν ετεσιν υπέρ τα πεντήκοντα δις ενετύχομεν) kaum lter als etwa das Jahr 330 sein], dann de anima nebst parva naturalia und die biologischen Werke: hist, an., de part, an., de gen.

Zu Euch VI, Kap. 13, S. 120—122

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an. (drei Hauptstellen sind de part. an. I I , 639b 8—10 und 640* 14f., IV 10, 689a 16ff., ferner de gen. an. V l, 779b 21 ff., wo man die ungew hnlich genauen Bestimmungen πρότερον und έτι πρότερον beachten m ge). Endlich die im weitesten Sinne anthropologischen Werke: Ethik, Politik, Poetik und Rhetorik. Von der Metaphysik spreche ich nicht, da sie kein einheitliches Werk und von Aristoteles selbst nicht als e i n Ganzes betrachtet worden ist.

Zu Buch VI, Kap. 13. 120 1) S p e i s e v e r b o t e des A l t e n T e s t a m e n t s : Leviticus c. 11 [3—7 und 30]. 2) D i o k l e s (von Karystos) geh rt dem ersten Drittel des 4. Jahrhunderts an; er schrieb u. a. eine Ανατομή. ber ihn vgl. Wellmann bei PaulyWissowa V 802ff., [sowie] desselben Fragmentsammlung der griechischen rzte I. Frg. 132 = Athen os VII 316C begegnet [dort] der zusammenfassende Ausdruck Μαλάκια (Weichtiere). Athen os III 105b l t Speusipp [Frg. 8 Lang] von „Weichschaltieren" (μαλακόστρακα) sprechen, Aristoteles selbst (de part, an. III 4, 665» 31) leiht Demokrit [FVS. 55 A 148] den Ausdruck „Blutlose" (άναιμα). Die M glichkeit, da diese zusammenfassenden Bezeichnungen das eine Mal von Athen os, das andere Mal von Aristoteles selbst an die Stelle der von den lteren verwendeten Einzelnamen gesetzt wurden, ist nicht unbedingt zu widerlegen. (Das gilt auch von dem Klassennamen der „Einhufer", Arist. de part. an. IV 2, 677» 32. Die dort angef hrten „Alten" k n n e n auch blo von Pferd, Esel usw. gehandelt haben.) Aber wer sieht nicht, da die Wahrscheinlichkeit dieser Annahme in dem Ma e sinkt, als man h ufiger von ihr Gebrauch zu machen gen tigt wird? [Am Schlu des ... „Tim os": 91d—92b]. Ein Z e i t g e n o s s e : leider nicht mehr ein solcher, Rudolf Burckhardt [in seiner] ungemein wertvollen Untersuchung „Das koische Tiersystem, eine Vorstufe der zoologischen Systematik des Aristoteles" (Sep.-Abdr. aus den Verhandl. d. Naturforsch. Gesellsch. in Basel XV 3). 121 1) [R. Burckhardt a. a. O. S. 410]. — L i n n e ber die Wale: diese Details entnehme ich Louis Agassiz' Essay on Classification p. 304. 2) A b k e h r von der D i c h o t o m i e : diesen Gegenstand gleichwie die „Grunds tze der Einteilung" berhaupt behandelt aufs gr ndlichste J. B. Meyer, Aristoteles'Tierkunde S. 70—110. Wenig bedeutet es, da er S. 76 die Einschr nkung des dichotomischen Prinzips im platonischen „Staatsmann" und „Philebos" bersieht. Vgl. Anm. l zu II* 455 und l zu III 4 4. Aristoteles ber diese Fragen: Topik VI 6, 1431' 11 ff. und [vor allem] de part. an. I 2—4 mit dem Schlu ergebnis το διχοτομεΐν τη μεν αδύνατον τη δε κενόν, 644h 19f. 122 1) Lewes: Aristotle p. 296 (dagegen Pouchet p. 122f.: la classification d'Aristote est naturelle . . . La Zoologie contemporaine ne procede pas autrement pour Stablir ses classifications). J r g e n B o n a M e y e r : S. 76ff. Vgl. dessen Stellensammlung S. 102ff. Darunter vor allem de part. an. I 3, 643b 9ff. und 23. — ber L e i s t u n g e n und V e r r i c h t u n g e n (έργα und πράξεις): J. B. Meyer S.88ff. Hauptstelle de part. an. I 3, 643a 35ff. Besonders wichtig ist Meyers Nachweis, da trotz des widersprechenden Anscheins auch die Art

456

Zu Buch VI, Kap. 13, S. 123—126.

der Zeugung f r Aristoteles keinen Haupteinteilungsgrund gebildet hat, ebensowenig die [Art] der Ern hrung und der Ortsbewegung, S. 99—102. — „Bei den der G a t t u n g nach v e r s c h i e d e n e n T i e r e n . . .": hist. an. II l, 497b 9f.; I 6, 491» 16f.; de part. an. 14, 644* 16ff., vgl. auch b Iff. — Louis Agassiz: a. a. O. p. 306ff., verglichen mit Rudolf Burckhardt, Das koische Tiersystem S. 410. [Dieser] bietet auch [ebd.] S. 379 [sowie Geschichte der Zoologie (Sammlung G schen, 1907) S. 27ff.] einen berblick ber die aristotelische Systematik. Vgl. die Aufz hlung der γένη μέγιστα und ihrer Hauptunterschiede hist. an. I 6 [sowie f r die „blutlosen" Tiere] IV l und de part. an. IV 5ff. 123 1) Der Mensch: man vgl. vor allem hist. an. l 6, 490b 15ff., II 8, 502* 16f. und de gen. an. II 4, 737»> 26f. Diese Frage hat Zeller II 23 563f. vortrefflich behandelt. G a t t u n g und Art: ber den wechselnden Gebrauch von γένος und είδος vgl. J. B. Meyer S. 345ff. Erstaunlich ist es, da γένος gelegentlich „sogar auf Variet ten angewendet" wird (S. 347). 2) N a m e n l o s i g k e i t : eine Hauptstelle hist. an. I 5, 490a 12f., desgleichen I 6, 490b 31. „ F o r m e n v e r w a n d t s c h a f t " : vgl. hist. an. IX 40, 623') 5 (die s mtlichen Mitglieder einer gewissen, namenlosen Gruppe von Insekten besitzen την μορφήν συγγενικήν). Zum Folgenden vgl. u. a. E. Dennert, Das Prinzip der K o r r e l a t i o n bei Aristoteles (Naturwiss. Wochenschr. N. F. IV Nr. 43). ber funktioneile Einheit vgl. Pouchet p. 138. — „Eine Ver nder u n g " usw.: Zitat aus hist. an. V I I I 2, 589^ 31 ff. W i e d e r k uer: vgl. de part. an. I l l 14 [674> 32—434» 12 und Nik. Eth. V I I 5, 1147* 25ff. Zu Buch VI, Kap. 16. 157 1) In betreff der Behandlung des W i l l e n s p r o b l e m s durch Aristoteles herrscht ein geradezu verbl ffender Widerstreit der Meinungen. F r Zeller II 23 587—589 ist Aristoteles Indeterminist, obgleich er ihn doch zugestehen l t, da ,.der Mensch mit seinem freien Willen" trotzdem von seinen „sittlichen Z u s t n d e n " derart abh ngig ist, „da die u ere Handlung aus dem Willen, wenn dieser einmal eine bestimmte Richtung genommen hat, mit Notwendigkeit hervorgehe". Die Belegstellen f r diese einander entgegengesetzten Thesen stehen in n chster N he beieinander: Nik. Eth. I I I 7, 1113'> 6 εφ' ήμϊν δε και ή αρετή, ομοίως δε και ή κακία κτέ., bald darauf aber wird die Entstehung der „sittlichen Zust nde" (έξεις) geschildert, die man, m gen sie uns auch noch so sehr mi fallen, so wenig unmittelbar ndern kann als der Kranke seine Krankheit, 1114a [13—15]. Die L sung des Widerspruches ebd. [Z. 19—21]: ή γαρ α ρ χ ή επ αΰτφ . . . . γενομένοις δ' οΰκέτι εξεστι μη είναι. Auf rein deterministischen Stellen wie Metaph. IX 5, 1048a 11 όποτέρου γαρ αν όρέγηται κυρίως, τοϋτο ποιήσει fu t L ning in seinem wertvollen Buche „Die Zurechnungslehre des Aristoteles" [Jena 1903], um [den Stagiriten] als Deterministen vom reinsten Wasser darzustellen. — A n i m a l i s c h e . . . W i l l k r h a n d l u n gen : vgl. Nik. Eth. I l l 4, l l l l b 8 του μεν γαρ εκουσίου και παίδες και ταλλα ζφα κοινωνεί, προαιρέσεως δ' ου. Gut verwertet von L ning S. 137 und 283. Treffend bemerkt derselbe ebd.: „Es(das εφ' ήμϊν είναι) besagt nicht, da der W i l l e von sich s e l b s t , sondern da das H a n d e l n vom W i l l e n abh ngt." ber die [ m o r a l i s c h e n ] B e s c h a f f e n h e i t e n (έξεις) vgl. Nik. Eth. I I I 7—8. — An e i n e r S t e l l e der E t h i k : V 13, 1137« 6ff. συγγενέσΟαι μεν γαρ τη του γείτονας και πατάξαι τον πλ,ησίον κα'ι δούναι τη χειρί το άργΰριον ρ^διον και έπ' αϋτοϊς, αλλά το ώδ'ι έχοντας ταΰτα ποιεΐν ούτε ράδιον ουτ' επ' αύτοϊς. — E i n e s m o d e r n e n D e t e r m i n i s t e n : J. S. Mill, System of Logic, Buch VI Kap. 2 § 3: We cannot, indeed, directly will to be different from what we are (Werke IV 2 240). — V e r g l e i c h des L a s t e r s mit der K r a n k h e i t usw.: [Nik. Eth. I l l 7] 1114a 13ff. ου μην εάν γε βοΰληται, άδικος ων παΰσεται κα'ι εσται δίκαιος' ουδέ γαρ ό νόσων υγιής. 158 1) [ E i n e n u n e r w a r t e t e n Weg: Nik. Eth. I l l 7. — Die W a h l soll . . . in u n s e r e H a n d g e g e b e n s e i n : τφάδίκωκαΐτω άκολάστω εξ αρχής μεν έξήν τοιούτοις μη γενέσθαι, διό έκόντες είσίν γενομένοις δ' ούκέτι εξεστι μη είναι, 1114« 19ff. — S e l b s t e i n w u r f : 1114* 31—'> 12.] F r den G u t e n wie f r den S c h l e c h t e n usw.: αμφοΐν γαρ ομοίως, τφ άγαϋω και τφ κακφ, το τέλος φύσει ή οπωσδήποτε φαίνεται και κείται, 1114b 13—15. [ I n d e m er es d a h i n g e s t e l l t sein l t . . .: είτε δη το τέλος . . . . τι κα'ι παρ'αυτόν εστίν, είτε ... τω ... τα λοιπά πρύττειν εκουσίως . . . ή αρετή έκούσιον . . ., 1114b 16ff.

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Zu Buch VI, Kap. 16—17, S. 160—163

U r h e b e r usw.: αίτιος, 1114a 4; πως αίτιος, ebd. b 2; συναίτιοί πως, ebd. b 23.] — C h r y s i p p : Die Hauptstelle bei Euseb. Praep. Ev. VI8,29[= Frg. 998 Arnim] πολλά γαρ μη δύνασθαι γενέσθαι χωρίς του και ή μας βούλεσθαι και εκτενέστατη ν γε περί αυτά προθυμίαν τε και σπουδήν εισφέρεσθαι —. 160 1) Soziale „N t z l i c h k e i t " : vgl. Politik II 12, 1274& 21ff. ου προς την συγγνώμην άπέβλεψεν αλλά π ρ ο ς το σ υ μ φ έ ρ ο ν . Ebendazu und zum Folgenden vgl. Nik. Eth. [Ill 7] 1113^ [21—1114* 3].

162 1) Was der P h i l o s o p h a n d e r w rts . . . . a n e r k a n n t hat: Rhet. II l, 1378a 20ff. — E p i k u r s „ a u t o m a t i s c h e N o t w e n d i g k e i t " : in seiner Polemik gegen Fatalismus bezeichnet er als den Inhalt dieser Lehre den Glauben την ανάγκην και ταύτόματον πάντα δύνασθαι, in einem Bruchst ck von περί ψύσεως, das der Verf. im Aprilheft des Jahrgangs 1876 unserer akademischen Sitzungsberichte S. 94 mitgeteilt hat. Vgl. auch Wiener Studien I 31. — bergangen ward im Text die Er rterung einiger begrifflicher Unterscheidungen, die sich an griechische, genau entsprechender deutscher quivalente entbehrende Termini kn pfen. Obgleich wir βούλεσθαι zumeist mit Recht durch „wollen" wiedergeben, so spielt in [diesen] Begriff doch auch jener des W nschens hinein. Die βούλησις kann, anders als unser Wollen, [sich] auch auf das an sich Unm gliche, z. B. auf das Verschontwerden vom Tode, [richten] (βούλησις δ' εστί (και) των αδυνάτων, οίον αθανασίας, Nik. Eth. I l l 4, 11 l i b 22) [Vgl. zum Wortlaut Burnet, The Ethics of Aristotle, London 1900, p. 124], desgleichen auf solche Ziele, deren Erreichung nicht von uns allein abh ngt. So richtet sich die βούλησις direkt auf ein Ziel, die von ihr unterschiedene προαίρεσις (das Vorhaben) auf die zu diesem f hrenden Mittel. Die letztere wird definiert als ein auf Deliberation beruhendes Begehren von solchem, was in unserer Macht steht (βουλευτική δρεξις των εφ' ήμΐν, ebd. Ill 5, 1113» 10f.). Neben der hier waltenden Voraussetzung, da alles mit Recht als Wollen geltende Begehren auf einer von der Reflexion geleiteten Wahl beruht, berrascht der ebd. III 3 ge u erte Zweifel, ob man im Affekt begangene Handlungen „unfreiwillige" nennen d rfe (ίσως γαρ ου καλώς λέγεται ακουσία είναι τα δια θυμόν ή δι' έπιθυμίαν, l l l l a 24f.) — ein Zweifel brigens, der auf gar wenig durchschlagende Gr nde gest tzt wird.

Zu Buch VI, Kap. 17. 163 1) [Die I n d u k t i o n . . . :] Anal. post. II 19 [100^ 3f.]. 2) [Den einen . . . soll . . .:] Metaph. I l [980a 27—981* 12]. 3) ber den Einflu A l k m e o n s vgl. Anm. l zu I4 124. Die aristotelischen Worte δ δ' ελέχθη μεν πάλαι, ου σαφώς δ' ελέχθη (Anal. post. II 19, 100» 14f.) lassen sich sicherlich, wie Grote Aristotle I 372 dartut, nicht mit Waitz [Aristotelis Organon II 431] oder B. St. Hilaire [Logique d'Aristote I I I 290] auf eine Stelle desselben Werkes beziehen. T uscht mich nicht alles, so zielen sie eben auf Alkmeon und sollen die Wiederholung des von diesem alten Denker Geu erten rechtfertigen helfen.

Zu Buch VI, Kap. 17, S. 164—166

465

164 1) T h e o p h r a s t : bei Themistius, in bros de anima paraphrasis p. 102,22 jvgl. 108, 22ff.] ed. R. Heinze. 2) Das V e r n u n f t p r i n z i p , [das . . .] e i n g e p f l a n z t [wird] usw.: de gen. an. 11 3, 736b 27ff. λείπεται δε τύν νουν μόνον θύραθεν επεισιέναι και θείον είναι μο'νον. ber die Unverg nglichkeit und Stofflosigkeit des N s und des thers vgl. Kampe, Die Erkenntnistheorie des Aristoteles S. 30ff. Von dem gew hnlichen Stoff, [bei dem die r umliche Bewegung] mit Ver nderung, Leidensf higkeit und Verg nglichkeit Hand in Hand geht, unterscheidet Aristoteles die ί'·λη τοπική [Metaph. V 1 I 1 l, 10421» 6J oder μόνον κατά τόπον κινητή (ebc. VI i l 4, 10441' 7 f.; vgl. X I I 2, 10691' 25 ff.]. Was von den Gestirnen, das gilt [aber auch] vom ther und von dem diesem entstammenden N s. [Auch diese haben] nicht den „gemeinen, den Wandlungen des Entstehens und Vergehens unterworfenen Stoff"; vielmehr [einen Stoff] „nur insoweit, als Ortsver nderung einen solchen erfordert" [Kampe S. 31]. Wie nahe die Substanz des N s jener der Gestirne steht, zeigen die gleichartigen Wendungen: Γ] τκ γαρ το>ν άπτοοιν > 17f.] 176 1) M y t h i s c h e Z u t a t und m y t h i s c h e G e s t a l t : vgl. Metaph. XII 8, 1074» 38ff. [παραδέδοται . . .] εν μύθου σχή μ ά τ ι [ ] τα δε λοιπά μυθικώς ήδη π ρ ο σ ή κ τ α ι κτέ. [Die ... b e s c h a u l i c h e B e t r a c h t u n g : vgl. Nik. Eth. Χ 8, 1178^ 20ff. — Wie ein g e l i e b t e r G e g e n s t a n d . . . bewegt: Metaph. XII 7, 1072b 3J. 177 1) [Eine] „ f a s t eisige K lte": dieses Wort entlehne ich Eiser, Die Lehre des Aristoteles ber das Wirken Gottes, M nster 1893, S. 75. 30*

468

Zu Buch VI, Kap. 18, S. 177—182

2) Der n a m h a f t e s t e H i s t o r i k e r : Zeller II 23 375. — Theophrast: [de prima philosophia libellus ed. Usener p. V* 28ff. =] Fragm. XII 8 ( I I I 152 Wimmer). 178 1) Ursprung des G t t e r g l a u b e n s : Aristotelis Fragmenta 10—12 [Rose]. — Von sehr b e a c h t e n s w e r t e r Seite: Zeller II 23 360. 180 1) Ein Satz der R h e t o r i k : II 23, 1398» 15f. Der hier kritisierte Autor ist Franz Brentano, Psychologie des Aristoteles [Mainz 1867] S. 239: „Endlich finden wir auch . . . . den Ausdruck ,Werk Gottes': το δαιμόνιον ουδέν εστίν αλλ' ή θεός ή ϋεοϋ έργον." Gut er rtert diese und verwandte Scheinargumente Eiser S. 101 ff. [Von P l a t o n : Apol. 27cff.] 2) Wo es ein Besseres gibt . . . dort mu es auch ein Bestes g e b e n : Aristot. Fragm. 16 [Rose. Rose hielt diesen Gedanken nicht f r aristotelisch (Arist. pseudepigr. p. 41 ff.). Anders jetzt Jaeger, Aristoteles S. 161 f. und 319f.] 181 1) „ W a h r s c h e i n l i c h , um n i c h t zu sagen n o t w e n d i g " : εΰλογον, ίνα μη άναγκαΐον εΐπωμεν, καΐ το τρίτον είναι δ κινεί άκίνητον δν, Physik V I I I 5, 256b 23f. Eine verwandte Beweisf hrung Metaph. XII 7, 1072* 24ff., wo ich mit Bonitz lese: έπεί δε το ^μέν κινούμενον καΐ μη κινούν, το δε) κινούμενον και κινούν, και τρίτον [statt μέσον] τοίνυν εστί τι δ ου κινούμενον κινεί. [Zum Folgenden vgl.] de an. I l l 10, 433b 13ff., [ferner Physik V I I I 2, 252'> 12—28; V I I I 4, 254b 12ff.; V I I I 5, 256* 5—b 3.] Zellers Gleichsetzung des bewegten Bewegenden [mit der] N a t u r [II 23] 359 gilt mir als v llig grundlos; kein Wort [des Stagiriten] weist auf diese Deutung hin. Vgl. [au er dem schon Angef hrten auch noch] Physik VIII10, 266b 31 f. und 267* 3ff.: οίον τον αέρα, δς κινούμενος κινεί, und: ή τον αέρα τοιούτον ή το ΰδωρ ή τι άλλο τοιούτον δ πέφυκε κινεΐν και κινεΐσθαι. Selbst wenn wir [hier] Luft und Wasser [der] Natur zurechnen wollen, selbst dann fragt man sich vergebens, warum denn diese Spezialf lle angef hrt sind und nicht vielmehr auf die Natur als ein Ganzes verwiesen wird. 182 1) G o t t f r i e d K e l l e r : „Der gr ne Heinrich" III Kap. l S. 13 (der 22. Ausgabe 1901). Zum Folgenden vgl. Physik V I I I 5 [besonders von 257» 25 an. — V e r s u c h , den u n b e w e g t e n Beweger zu l o k a l i s i e r e n : de coeio I 9, 279* 11 ff.] 2) Die h c h s t e A l l g e m e i n h e i t usw.: vgl. Metaph. 1X8, 1049b 24ff.; de gen. an. I l l , 734b 21 f. Die A n w e n d u n g auf das o b e r s t e W e l t p r i n z i p : Metaph. XII 6, 1071b 13ff. (ενδέχεται γαρ το δύναμιν έχον μη ένεργεϊν . . . εΐ γαρ μη ενεργήσει, ουκ εσται κίνησις) und XII 7, 1072b 3ff. Die angef hrten Stellen ebd. Z. 14f. und 13f. Aus eben diesem hochwichtigen Kapitel l t sich der b ndigste Beweis daf r erbringen, da die aristotelische n i c h t , wie man [sich immer wieder anzunehmen versucht f hlt], eine E n t w i c k l u n g s p h i l o s o p h i e war. Eifert doch [der Stagirit hier] 1072b 30ff. in der entschiedensten Weise gegen die Vertreter einer solchen Lehre, gegen die „Pythagoreer und Speusipp, die das Sch nste und Beste nicht an den Anfang" setzten, sondern in ihm die Vollendung, wir k nnen geradezu sagen: den Abschlu eines Entwicklungsganges, erblickten. Aristoteles hat durch die Anerkennung einer Stufenreihe

Zu Buch VI, Kap. ig, S. 185—187

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von Wesen der Entwicklungslehre vorgearbeitet, [ja ihr] den gr ten Vorschub geleistet. Aber jene Reihe von Wertstufen wird von ihm ganz und gar nicht mit einer z e i t l i c h e n Stufenfolge identifiziert. Das H chste und das Niedrigste soll ja nach ihm auch in der organischen Welt von Ewigkeit her nebeneinander bestehen. [Will man die Lehre des Stagiriten trotzdem ein „System der Entwicklung" nennen, so mu man, wie Windelband, Lehrb. d. Gesch. d. Philos.8 S. 115ff., dies tut, das Wort „Entwicklung" in einem ganz anderen Sinne — zur Bezeichnung des Verh ltnisses von Potenz und Aktualisierung — gebrauchen]. Wie nahe liegt aber [dann die Gefahr, diesen Entwicklungsbegriff mit dem gew hnlichen] zu verwechseln, [ja selbst das richtige] so auszudr cken, da es von dem [unrichtigen] kaum zu unterscheiden ist! So u ert sich [etwa] Zeller [11 23] 359 einmal wie folgt: „Die Stufenreihe des Seins, welche vom ersten formlosen Stoff aufsteigend sich erhebt, kommt erst in der Gottheit zu ihrem Abschlu ." Klingt das nicht, als ob auch Gott f r Aristoteles [etwa wie] f r [Hegel] ein Entwicklungsprodukt w re, w hrend doch nichts f r ihn so fest steht, als da das Beste und Sch nste am Anfang und keineswegs am Ende vorhanden sein mu ? Das wu te Zeller besser als irgend jemand. Aber wie viele Leser, die nicht aus den Quellen zu sch pfen gewohnt sind, m gen durch derartige u erungen in die Irre gef hrt worden sein! So viel zur n heren Begr ndung auch dessen, was im Texte S. 126f. dargelegt worden ist.

Zu Buch VI, Kap. 19. 185 1) [ U r t e i l der „ S a c h k u n d i g e n " . . .: vgl. besonders Metaph. X I I 8, 1073'> 10—17 und 1074* 16f.] 186 1) Sch tzungen des Erdumfanges: de coelo II 14,298" 15ff. Ebd. Z. 18ff.: δγκον . . . μη μέγαν προς το των άλλοη· άστρων μέγεθος. hnlich Meteorol. l 3, 340;ι 6ff.: ουδέν γαρ ως ειπείν μόριον ό της γης εστίν όγκος [. . . προς το περιέχον μέγεθος] und 352;ι 27f.: ό δε της γης όγκος και το μέγεΰος οϋί)έν εστί δήπου πρύς τον όλον ούρανόν. [Zum Folgenden vgl.] Meteorol. II l, 353a 34ff.: οί μεν οδν αρχαίοι . . . . ως μέγα τι του παντός τοΰτο μόριον δν' και τον λοιπόν ούρανόν ϋλον περί τοΰτον συστήναι τον τόπον και τούτου χάριν ως οντά τιμιώτατον και αρχήν. [Die bersch t z u n g des E r d u m f a n g e s bek m p f t : de coelo II 14, 297>> 30ff.] Ein S t e r n u n t e r S t e r n e n : de coelo 11 13, 293» 22 f. την δε γήν εν των (ίστρων υΰσαν, κύκλω φερυμένην περί το μέσον, νύκτα τε και ήμέραν ποιεΐν. 2) Die [hier und] im Folgenden angef hrten Stellen liest man de coelo II 13[Anfang]. Insbesondere vergleiche man 293" 30f.: τφ γαρ τ ι μ ι ω τ ά τ ω οΐονται προσήκειν την τιμιωτάτην ύπάρχειν χωράν mit de coelo I I 5, 288a 2ff.: εί γαρ ή φύσις ύεί ποιεί των ενδεχομένων το βέλτιστον, εστί δε ... ή προς τον άνω τόπον τ ι μ ι ω τ έ ρ α κτέ. 187 1) [Die „ u n e n d l i c h e Erde" (γαϊαν άπειρεσίην): Ilias XX 58]. 2) [ A r i s t a r c h , S e l e u k o s , H i p p a r c h : ] vgl. Hultschs Artikel „Astronomie" bei Pauly-Wissowa II 2, 1843f.

470

Zu Buch VI, Kap. ig, S. 188—192

188 1) ber den Einflu religi ser Bed rfnisse auf die Kosmologie des Stagiriten vgl. jetzt auch Ernst Goldbeck, Die geozentrische Lehre des Aristoteles und ihre Aufl sung, Progr. des Luisenst dtischen Gymnasiums, Berlin 1911. — P a u l T a n n e r y : Recherches sur l'histoire de Pastronomie ancienne [Paris 1893] p. 101. Zum Folgenden vgl. Newcomb-Engelmann, Popul re Astronomie 2 227: „Denkenden M nnern fr herer Zeiten hat wahrscheinlich nichts mehr den Glauben an die Unbeweglichkeit der Erde erweckt und gest rkt als das Fehlen der Parallaxe der sogenannten Fixsterne." Da Aristarch die „Jahresparallaxe" der Fixsterne wirklich gesucht, ihr Fehlen aber mit der zwar nicht wahrhaft unendlichen, aber f r alle praktischen Zwecke so gut als unendlichen Entfernung der Fixsterne erkl rt hat, macht Tannery a. a. O. p. 97 wahrscheinlich. 189 1) Platons Frage: nach [Sosigenes] bei Simplicius im Kommentar zu de coelo II 12 (488, 18ff. Heiberg) τίνων ύποτεθεισών ομαλών και τεταγμένων κινήσεων διασω'θη τα περί τάς κινήσεις των πλανωμένων φαινόμενα. 190 1) Die Darlegung und die Begr ndung der aristotelischen Sph r e n t h e o r i e findet man Metaph. XII 8 und de coelo II 7—12. Dazu kommt Simplicius im Kommentar zu de coelo ed. Heiberg p. 488, 3ff., bzw. der von ihm reichlich ben tzte Kommentar des Sosigenes. In der modernen Literatur nimmt den ersten Platz ein Schiaparellis Monographie: Le sfere omocentriche di Eudosso, di Callippo e di Aristotele, Mailand 1875 (ins Deutsche bersetzt von W. H rn in Schl milchs Zeitschrift f r Mathematik, Supplement zum 22. Jahrgang). 2) [ K u g e l g e s t a l t der G e s t i r n e : de coelo II 8, 290a 7. M o n d p h a s e n : Anal. post. I 13, 78b 4ff. M o n d f i n s t e r n i s s e : de coelo II 14, 297b 27ff.] „ V o r a u s s i c h t " : ebd. II 9, 291a 24f. προνοοΰσης της φύσεως. [Bewegungsorgane: II 8, 290» 29ff. Zum Folgenden vgl. 290b I f f . Gegen die r o l l e n d * Bewegung der G e s t i r n e : 290» 24ff.] 191 1) [Seinen . . . Vorschlag: Metaph. XII 8, 1073>> 38ff.] 2) E i n i g e der h e r v o r r a g e n d s t e n F a c h m n n e r : allen voran Schiaparel a. a. O. p. 48f. Ihm folgt Hultsch [bei Pauly-Wissowa II 2, 1841]. 192 1) „ M a t h e m a t i k e r " : [de coelo II 10, 291b 9f.; II 14, 297* 3 un 3, vgl. auch de an. I l l 10, 433>> H f.] 195 1) Die n a c h f o l g e n d e Erw g u n g : 23—29. Zum Folgenden vgl. VI 8, 1141b 29—VI 9, 1142» 10.] 227 1) [Die der J u g e n d zug n g l i c h e n K e n n t n i s s e : VI 9] 1142* 12ff. „ E i n M i n i m u m von E r f a h r u n g " : vgl. Burnet p. 273, mit dem Verweis auf Anal. post, l 13, 81b 2. Auf die erstaunliche Fr h r e i f e einiger der im Text genannten M a t h e m a t i k e r hat k rzlich Dr. Henry G. Parker hingewiesen, vgl. Beilage zur Allg. Zeitung, Wochenausgabe vom 8. 2. 1908 S. 483. — [ „ N a c h s p r e c h e n " etc.]: 1142a 19f. και τα μεν ου πιστεΰουσιν οί νέοι, αλλά λέγυυοιν. [ I n a n d e r e m Z u s a m m e n h a n g e : VII 5] 1147 a 2If. και οί πρώτον μαϋόντκς συνείρουσι μεν τους λόγους, ΐσασι δ' ουπω" δει γαρ συμφϋναι, τούτο όέ χρόνου οεΐται. Ί) [N s: VI 12. — E i n z e l f e s t s t e l l u n g e n . . . d u r c h die] S i n n e s w a h r n e h m u n g [ g e l i e f e r t ] : 1143b 5 τούτων οδν (των καο' έκαστα) εχειν δει αισΟησιν. αυτή ο' εστί νους. Vgl. Burnet p. 281. [Mit j e n e m A u g e . . .: 1143° 13f. δια γαρ το εχειν εκ της εμπειρίας όμμα όρώσιν ορθώς]. 228 1) [ E i n w e n d u n g e n : VI 13, Π43*> 18—36.] In den K r e i s e n der IM a tu n i k e r: vgl. [11441· 21 ff. και γαρ νυν πάντες, όταν όρίζωνται την άρετήν, Γτροστιϋέασι την εξιν κτλ. sowie] Burnet p. 3, der [insbesondere auch] auf Platon Philebos ll d verweist ημών έκάτερος εξιν ψυχής και διάθεσιν άποφαίνειν τινά επιχειρήσει την δυναμένην άνΟρώποις πασι τον βίον ευδαίμονα παρέχειν. 229 1) [Die zun chst wiedergegebenen E r w i d e r u n g e n : 1144a l—11.] ber X e n o k r a t e s vgl. die gleichfalls von Burnet [p. 3] angef hrte Stelle des Clemens: Strom. II 22 (p. 500 Potter) [II186, 23 St hlin = Xenokrates Frg. 77 Heinze]: την εύδαιμονίαν αποδίδομαι κτήσιν της οικείας αρετής κτέ. [ hnlich wie Xenokrates auch] Speusipp (Clemens ebd. Z. 19) [= Frg. 57 Lang.] Gegen jenes κτήσιν insbesondere richtet sich die aristotelische Polemik im Eingang der Nik. Ethik [I 3, 1095^ 32ff.]

476

Zu Buch VI, Kap. 22, S. 229—239

2) [ K r i t i k des s o k r a t i s c h e n I n t e l l e k t u a l i s m u s : VI 13, 1144» l l f f . , besonders b 16ff. und b 28ff.] Zusammenhang zwischen Charakter und I n t e l l e k t : vgl. den merkw rdigen, selbst von Burnet nicht genauer erkl rten Satz (1144a 34ff.) διαστρέφει γαρ ή μοχθηρία και διαψεΰδεσϋαι ποιεί περί τάς πρακτικός αρχάς. 230 1) [ ber das „ r i c h t i g e D e n k e n " (den όρϋός λόγος) vgl. VI l und VI 13, 1144b 21—32.] 2) Auf diesen Zusammenhang z w i s c h e n B u c h V I und B u c h V Π hat, wenngleich mit anderen Worten, Prantl S. 18f. hingewiesen, mit dem Ergebnis: „So reiht sich die Besprechung dieser (der εγκράτεια und καρτερία), welche im siebenten Buche folgt, unmittelbar und notwendig an das sechste an." [Zum Folgenden vgl. VII 1.] 232 1) [Wo er die S c h w i e r i g k e i t e n . . . zu e n t w i c k e l n b e g i n n t : V I I 2 Anfang.] E i n e . . . . v o n A k a d e m i k e r n v o r g e n o m m e n e M o d i f i k a t i o n : so vermutet Burnet p. 294. 2) [Eine a n d e r e : 1146» 9—16.] 3) [Die dritte Aporie: 1146» 16—21.] 233 1) [Die v i e r t e Aporie: 1146» 21—31.J 2) [Die f n f t e A p o r i e : 1146» 31—»> 2.] 3) [Der S c h l u : 1146>> 2—5.] 4) [Wissen und M e i n e n : VII 5, 1146i> 24—31.] 234 1) W i s s e n s b e s i t z und g e i s t i g e s S c h a u e n : 1146^ 31—1147:' 10.J 2) [Zwei A r t e n des p o t e n t i e l l e n W i s s e n s : 1147» 10—24.] 235 1) [Der n c h s t e V e r s u c h : 1147» 24— i> 19.] 236 1) [John Locke: Essay on hum. understanding B. II eh. 21 § 35.] 2) [Die Aufl sung der zweiten Aporie: VII 11.] 3) [Die A u f l s u n g der d r i t t e n A p o r i e : VII 10.] 237 1) [Die Aufl sung der f n f t e n Aporie: V I I 8—9.] 2) [Die Aufl sung der s e c h s t e n A p o r i e : VII 6.] 238 1) [ Z o r n m u t : VII 7.] 239 1) Der a u f f a l l e n d v e r n a c h l ssigte S t i l : dar ber vgl. [den Schlu der] Anm. l zu S. 200. 2) Zur Frage der E c h t h e i t der Partie [VII 12—15] vgl. Prantl, ber die dianoetischen Tugenden S. 6 [und] vor allem Burnet p. 329ff., der [es] im h chsten Grade wahrscheinlich gemacht hat, [da Aristoteles hier] gegen Speusipp polemisiert. Ferner Aspasios p. 151,24 Heylbut, der zun chst aus dem Schweigen des X. Buches den Schlu zieht, die [fragliche] Partie [des VII. Buches] geh re nicht dem Aristoteles, sondern dem Eudemos (wobei er doch wohl an die gesamten 3 der nikomachischen und der endemischen Ethik gemeinsamen B cher denkt), unmittelbar darauf aber dem Verwerfungsurteil eine Hauptst tze entzieht durch den Zusatz: πλην εϊτε Εύδήμου ταΰτά εστίν είτε Αριστοτέλους, έ ν ο ό ς ι υ ς εΐρηται. Ist n mlich die Er rterung d i a l e k t i s c h und nicht dogmatisch gemeint, so kommt ein Hauptgrund, die aristotelische Autorschaft zu bestreiten, in Wegfall. [ „ D a m i t ist n i c h t e i n m a l b e w i e s e n . . . " : V I I 13 Anfang. — „Es gen gt n i c h t , die W a h r h e i t d a r z u l e g e n . . .": V I I 15 Anfang.]

Zu Buch VI, Kap. 23, S. 240—250

477

Zu Buch VI, Kap. 23. 240 1) Die K n a b e n l i e b e . . . als . . . w i d e r n a t r l i c h e N e i g u n g : vgl. Nik. Eth. VII 6, 1148l' 27ff. Die Hauptstelle ber [das G a t t e n v e r h ltnis]: V I I I 14, 1162* 20ff. 242 1) G e m e i n s c h a f t der S t u d i e n und der G e d a n k e n : vgl. IX 9, •l 170l) l Off. συναισΟάνεσθαι άρα δει και του cp iov ότι εστίν, τοΰτο δε γίνοιτ* αν εν το» συζήλ' κα'ι κοινωνεΐν λόγων και διανοίας. Man kann vielleicht meine bertragung des schwer bersetzbaren λόγων durch „Studien" nicht unbedingt notwendig finden: da Aristoteles hier an die Gemeinschaft des k o n t e m p l a t i v e n und nicht etwa des praktischen Lebens denkt, scheint doch zweifellos; die Gemeinschaft zweier Politiker z. B. w rde er anders charakterisieren. [Vgl. Burnet p. 430: „This . . . is gradually leading us up to the ideal of the θεωρητικός βίος".] 2) Zur Frage der Reihenfolge der B cher vgl. Burnet p. 344f., der die berlieferte Ordnung gleichfalls, aber, einem Winke Teichm llers folgend, mit Gr nden rechtfertigt, die wir nicht als stichhaltig erkennen. — [Die F r e u n d s c h a f t e h e r e i n e B e g l e i t e r s c h e i n u n g der T u g e n d . .,. . (αρετή τις ή μετ' αρετής): V I I I l Anfang.] 3) [Die D a r s t e l l u n g b e g i n n t : V I I I 1.] — Ein m e r k w r d i g e s W o r t (1155" 21 f.): ϊδοι δ' αν τις και εν ταϊς πλάναις ως οίκεΐον άπας ανΟρο)πος άνΟρώπω κα'ι φίλον. Burnet [p. 348] nennt die Stelle one of the few places in Aristotle where we see a sign of the coming cosmopolitanism.

243) 1) [ A p o r i e n : V I I I 2.] 2) [Um des V o r t e i l s o d e r des Genusses w i l l e n g e s c h l o s s e n e F r e u n d s c h a f t e n : V I I I 3. F r e u n d s c h a f t der G u t e n : V I I I 4. F r e u n d schaft u n t e r Ungleiche n: VIII 8. P r o p o r t i o n a l e und absolute Gleichh e i t etc.: V I I I 9.] 244 1) [ E x k u r s ber die S t a a t s f o r m e n : V I I I 12—13.] 245 1) [Weitl u f i g e B e h a n d l u n g : V I I I 15—16.] 2) [M n n l i c h e E r o t i k : IX l, 1164» 3ff.] 3) [ K a s u i s t i k der F r e u n d s c h a f t : IX 2.] 246 1) [ A u f l s u n g der F r e u n d s c h a f t : IX 3.] 2) [ V e r k e h r . . . mit sich s e l b s t : IX 4.] 247 1) [ V o r l i e b e : IX 5. E i n t r a c h t : IX 6.] 2) [Wohlt t e r : IX 7.] 248 1) [ S e l b s t l i e b e : 1X8.] — J. S. M i l l : System der Logik, Buch VI Kap. 12 § 7 = Werke IV 2 371. 249 1) [Der Gl c k l i c h e o d e r der U n g l c k l i c h e . . . ? Vgl. 1X9,1169b 13ff.] — T h e o d o r M e y n e r t : Sammlung von popul r-wissenschaftlichen Vortr gen (Wien 1892) S. 169ff., insbesondere S. 171 „Die Erweiterung des sekund ren Ich aber", durch welche es „als dienendes Glied mit dem Ganzen verschmilzt, assoziiert sich mit der Idee des Mutualismus, der Wechselseitigkeit, der Br derlichkeit." 250 1) [Soviel F r e u n d e als ... m g l i c h ? Vgl. IX 10.] 2) [ F r e u n d e im Gl ck und im U n g l ck: IX 11, 1171» 27ff.]

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Zu Buch VI, Kap. 24, S. 251—257 Zu Buch VI, Kap. 24. 251 1) [ L u s t e m p f i n d u n g : X 1—5.]

2) [Ein K a p i t a l s a t z : X 4, 1174* 31 ff. Ein K o m m e n t a r : 1174* 20ff. Eine V o r f r a g e : 1175» 3ff.] 252 1) [Der Kreis der U m s c h a u e r w e i t e r t : X 4, 1175» 10—X 5 Ende.] 253 1) [Manche f e i n e B e m e r k u n g : X 5, 1175"· 30— b 24.] 2) [Tugendgem e T t i g k e i t : X 7 Anfang. Zum Vorangehenden und Folgenden vgl. X 6.] 3) [ „ W u n d e r b a r e Gen sse . . .": X 7, 1177» 25f.] 254 1) [Jener Beweisgang: X 7.] 256 1) [Die „nie a l t e r n d e O r d n u n g " (κόσμον άγήρων): Euripides Frg. 910 Nauck = FVS. 46 A 30.] 2) [Die Bet t i g u n g der p r a k t i s c h e n T u g e n d e n : Nik. Eth. X 8, 1178l 9—22. Zum Folgenden vgl. ebd. 1178» 22—* 7.] 257 1) Die [X 8, 1178» 7ff.] mit dem st rksten Nachdruck verk ndete Lehre, [da der G o t t h e i t j e g l i c h e s H a n d e l n und W i r k e n f r e m d sei, scheint bald darauf] (X 9, 1179a 22ff.) vollst ndig ignoriert [zu werden]. Hier wird vorausgesetzt, [da sich] die G tter [um] die menschlichen Dinge [bek mmern], und gefolgert, da auch aus diesem Grunde der Weise der Gl ckseligste sein m sse; denn die G tter lieben den, der das Beste und ihnen am n chsten Verwandte — das [aber] sei eben die Vernunft — am meisten pflege, [und so scheine die Annahme nicht unvern nftig, da sie ihm auch ihrerseits die h chste aller Wohltaten zuwenden werden. Dieser, anscheinend wenigstens,] grelle Widerspruch und desgleichen die Stelle, an der diese Ausf hrung erscheint [sie wird der Er rterung ber das kontemplative Leben gleichsam wie ein Nachtrag angeh ngt], haben wenigstens einen Herausgeber (Ramsauer) an ihrer Echtheit zweifeln lassen. Wir glauben mit Burnet p. 467, da diese S tze echt, da sie [aber], wie berdies die geh uften Einschr nkungen zeigen (εί γάι> τις επιμέλεια . . . ώσπερ δοκεΐ, και εΐη αν εΰλογον), ein blo es ενδοξον sind. D. h., der nimmerm de Dialektiker kann es sich hier wie so h ufig nicht versagen, ein seiner These g nstiges Argument, selbst wenn es auf einem ihm v llig fremden Boden gewachsen ist, mit aufzunehmen, statt es beiseite liegen zu lassen. 2) [Schlu b e t r a c h t u n g e n : X 10.] — Isokrates: or. XV 82f. Der zum Teil w rtliche Anklang der aristotelischen Polemik (1181» 15ff.) ist von Spengel erkannt worden. Zur emphatischen Bestreitung des e k l e k t i s c h e n Verfahrens vgl. 1181» 21 και ποια ποίοις συνάδει und 1181b 9 και ποία ποίοις άρμόττει, desgleichen Rhet. l 4, 1360» 33 αί ποΐαι τοις ποίοις άρμόττουσιν, wo [dann] auch [alsbald] alle diese Fragen der Rhetorik entzogen und ausschlie lich der Politik zugewiesen werden. 3) [Die Erw gung: Nik. Eth. X 10, 1179* llff.]

Zu Buch VI, Kap. 25—26, S. 258—264

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Zu Buch VI, Kap. 25. 258 1) Der nachfolgenden Darlegung sind vornehmlich zugrunde gelegt Nik. Eth. I 1—4; VII 12—15; X 1—3; Rhetorik I 11. — [Ist doch solches V o r w a l t e n . . .: Nik. Eth. VII 15, 1154 »> 22.] 259 1) [Eine E n t s c h u l d i g u n g : ebd. X l, 1172* 27ff.] 260 1) [Von Eudoxos: X 2, 1172b 18ff. Zum Folgenden vgl. 1173» 5ff. und VII 14 Anfang.] 2) [ E u d o x o s : X 2. — Das Schlu e r g e b n i s : 1174* 8ff.] 3) These des E u d o x o s : X 2 Anfang. Da hier 1172^ 9ff. ein w rtliches Zitat vorliege, haben Sir Alexander Grant und Burnet in hohem Grade wahrscheinlich gemacht durch den Hinweis auf die zwei W rter ελλογα und φέρεσθαι. Das erste ist Aristoteles sonst fremd, wie denn auch Bonitz im Index ein „fort, ex Eudoxo" hinzuf gt, φέρεσθαι aber, das hier von Willenshandlungen, sonst aber [bei Aristoteles fast nur] von r umlichen Bewegungen gebraucht wird, ist, wie Burnet p. 442 treffend bemerkt, an unusual word in this connexion, but natural in the mouth o/ an astronomer. [Zum Folgenden Vgl. 1172b 20ff.] 261 1) [Wie s i c h etwas] a l l e n [zu v e r h a l t e n ] s c h e i n t , [so eben,] sagen w i r , ist es: [X 2] 1172b 35ff. . . . δ γαρ πασι δοκεΐ, τοΰτ' είναί φαμεν* ό δ' άναιρών ταΰτην την πίστιν, ου πάνυ πιστότερα έρεϊ- — [An der Spitze . . . der E t h i k : I l, 10941' 2ff.] διό καλώς άπεφήναντο ταγαθόν. ου πάντ' έφίεται. Aus der bereinstimmung dieser Stelle mit X 2 Anfang hat man [vgl. Burnet p. 441] mit Recht geschlossen, da auch an ihr Eudoxos zitiert wird. 263 1) [Der] M e n s c h ein „ g e s e l l s c h a f t l i c h e s Wesen": ανΟριοπος φύσει πολιτικόν ζωον, Politik I 2, 1253» 2f.; [ebenso] III 6, 1278h 19, wo [noch beigef gt wird, da sich] das Verlangen nach Zusammenleben nicht allein auf das wirtschaftliche Bed rfnis gr ndet. Auch Nik. Eth. I 5, 1097b 11 (φύσει πολιτικός άνθρωπος); IX 9, 116915 18f. (πολιτικόν γαρ ό ανθροιπος και συζήν πεφυκο'ς) usw.

Zu Buch VI, Kap. 26. 2) Die auf die T i e r g e m e i n s c h a f t e n bez glichen Hauptstellen sind: hist. a.i. V I I I l, 589a l f. τα δε συνετο'ντερα και κοινωνοΰντα μνήμης έπΐ πλέον και π ο λ ι τ ι κ ώ τ ε ρ ο ν χρίονται τοις άπογο'νοις [und] Ι l, 488a 7ff. πολιτικά δ* εστίν ων εν τι και κοινόν γίνεται πάντων το έργον κτέ. 264 1) [ C h r o n o l o g i s c h e . . . U n t e r s u c h u n g e n : Laert. Diog. V 26; Aristoteles Frg. 615ff. Rose. „Die t e r r i t o r i a l e n R e c h t s a n s p r che ...": vgl. oben Anm. l zu S. 28 und Aristoteles Frg. 612ff. B a r b a r e n s t a a t e n : Frg. 604ff.] Rom und K a r t h a g o : vgl. das auf den Gallier-Einfall, [also] auf ein Ereignis der j ngsten Zeit (sechs Jahre vor Aristoteles' Geburt) bez gliche Fragment [610]. Auch Fragm. [609] handelt von r mischer Geschichte. Die karthagischen Einrichtungen werden in der Politik und in der Rhetorik mehrfach behandelt[vgl. Bonitz im Index 368a Iff.]. ber die im Folgenden erw hnten p o p u l ren W e r k e vgl. [Frg. 82 und 90, 78ff., 646f. und 648 sowie] Bernays, Die Dialoge des Aristoteles S. 48f., 53ff. und 152ff. Zugleich f r die Echtheit des ersten und gegen jene des zweiten Buches der k o n o m i k spricht das Zeugnis der

480

Zu Buch VI, Kaf>. 26, S. 265—268

antiken Indices Οικονομικός α' (Laert. Diog. V 22). Da der Epikureer Philodem (de oeconomia col. VII, 38 und 44 = p. 26 Jensen) dieses B chlein als das Werk Theophrasts zitiert, kann als ein minderwertiges Zeugnis daneben kaum in Betracht kommen. Da die inneren Gr nde, die man gegen die Echtheit dieses I. Buches geltend gemacht hat, so gut wie nichts besagen, soll anderw rts dargetan werden. Die Unechtheit des II. Buches — dem wir brigens den Ausdruck „politische konomie" verdanken — erhellt schon aus der [Art, wie der Verfasser] vier Hauptarten [der] konomie [unterscheidet]: die [Reichs-, die p r o v i n z i e l l e , die] munizipale und [die] private [βασιλική, σ α τ ρ α π ι κ ή , πολιτική, Ιδιωτική.] N heres ber die Abfassungszeit und die disparaten Bestandteile des B chleins gibt U. Wilcken, Hermes XXXVI 187ff. 265 1) [ ber den Aufbau bzw. die Entstehung der „Politik" vgl. jetzt auch Jaeger, Aristoteles S. 275ff., und H. v. Arnim, Zur Entstehungsgeschichte der aristotelischen Politik, Wiener Sitzungsberichte 1924.] 2) Die „ e r s t e U n t e r s u c h u n g " : IV 2 Anfang έπεί δ' εν τη πρώτη με·θόδω κτέ. Die „ e r s t e n A b s c h n i t t e " : VII 3, 1325a 30 διώριστοι δε περί αυτών Ικανώς εν τοις πρώτοις λο'γοις. 266 1) Das K n i g t u m : an die Spitze aller Verfassungen stellt Aristoteles mitunter das K nigtum. So Nik. Eth. V I I I 12, 1160» 35: τούτων δε βέλτιστη μεν ή βασιλεία. Da hierbei nur an den idealen Herrscher, den Mann von g ttlicher oder heroischer Tugend, zu denken ist, hat Burnet (The Ethics of Aristotle p. 384) zutreffend bemerkt. [Am S c h l u des I I I . Buches:] III 18 Ende διωρισμενων δε τούτων περί της πολιτείας ήδη πειρατέον λέγειν της αρίστης κτέ. (vgl. Ι 13 Ende άλλην αρχήν ποιησάμενοι λέγω μεν, και πρώτον έπισκεψώμεϋα περί των άποφηναμένων περί της πολιτείας της αρίστης). [Bald n a c h dem B e g i n n des B u c h e s IV:] IV 2, 1289a 30 και περί μεν αριστοκρατίας και βασιλείας εΐρηται. 267 1) Den Platzwechsel von Buch V und VI hat Barthelemy St. Hilaire in seiner bersetzung der „Politik" (1837) vorgenommen. 268 1) Die von manchen bedeutenden Philologen (zuerst von dem Jesuiten Scaino da Salo 1577) empfohlene, [zum Teil auch] vorgenommene Ums.ellung der B cher V I I und V I I I [so da diese zwischen Buch III und IV zu stehen k men] gilt mir als v llig verkehrt. Die zur Zeit in der Textkritik herrschende konservativere Str mung [f hrt von] solchen Gewaltsamkeiten [ohnehin] mehr und mehr ab. Entscheidend sind f r mich zwei berlegungen. Ein unvollendetes St ck, wie es [die B cher V I I — V I I I darstellen], geh rt naturgem an das Ende eines Werkes. Es von dort wegnehmen und in die Mitte versetzen, hei t ein an sich nicht unm gliches, aber ganz exzeptionelles und in hohem Grade unwahrscheinliches Vorkommnis an die Stelle eines leicht begreiflichen und nicht allzu seltenen setzen. Und das eng Zusammengeh rige, die Schilderung der haupts chlichen Verfassungstypen n mlich, durch die Einschiebung eines so umfangreichen St ckes, wie es jenes Doppelbuch ist, auseinanderzurei en, solch eine Prozedur kann sich doch keinem n chtern Denkenden empfehlen.

Zu Buch VI, Kap. 26—27, s· 268—276

481

2) Platon . . . (im „Staatsmann"): p. 258« πότερον ούν τον πολιτιχόν και βασιλέα και δεσπο'την και ετ οίκονο μον Όήσομεν ως εν πάντα ταϋτα προσαγορεΰοντες. Dagegen polemisiert offenbar Aristoteles Politik I l, 1252» 7ff.: δσοι μεν οΰν οΐονται πολιτικόν και βασιλικόν και οικονομικόν και δεσποτικόν είναι τον αυτόν, ου καλώς λέγουσιν . . . . ταΰτα 8' ουκ εστίν άληΐ^η. Da diese Kritik eine berscharfe ist, wird man zumal angesichts des nachfolgenden Hinweises auf die nahe Verwandtschaft der patriarchalischen und der k niglichen Gewalt [I 2, 1252»> 19ff.] kaum zu leugnen verm gen. [Zum Folgenden vgl. Pol. I 2, 1252* 24 —1253» 18.] 269 1) [Die b e g r i f f l i c h e B e t r a c h t u n g : I 2, 1253* 18—38]. 2) [ E r w e r b s v e r h ltnisse: I 8. Geldwesen: I 9, 1256^ 40—125?b 40.] 270 1) [Das Leben und das w rdige Leben usw.: I 9, 1257»> 40ff.] Emil S t e i n b a c h : in seiner Schrift „Erwerb und Beruf", Wien 1896. Desgleichen: „Die Rechtsgesch fte der wirtschaftlichen Organisation", Wien 1897. [Zum Folgenden vgl. Pol. I 10, 1258» 37 ff.] 271 1) [Die v e r s c h i e d e n e n Arten des . . . . E r w e r b s : I 10.] 272 1) [ S t e l l u n g des Vaters, des Gatten und des Herrn: I 12—13.] „ E i n W e i b . . w rde . . f r dreist g e l t e n " usw.: [vgl.] III 4, 1277»> 20ff. Zu Buch VI, Kap. 27. 2) [Als eine Abart der Jagd: Pol. I 8, 1256!> 23ff. — Gereiche doch die U n t e r j o c h u n g usw. (διό δεσπότη και δοΰλφ ταϋτό συμφέρει): 12, 1252*34.] — T y p i s c h e S k l a v e n n a m e n usw.: vgl. Lambertz, Die griechischen Sklavennamen (Wiener Gymn. Progr. 1907 S. 12 Anm. 17 und S. 71). 273 1) ber- und U n t e r o r d n u n g in der N a t u r wie in der Menschenseele: Pol.[I 5,1254» 28—b 16; vgl. auch] 113,1260»4ff. [„Einspruch wegen G e s e t z w i d r i g k e i t " : l 6, 1255a 7ff.] 274 1) [Zu einer E i n r u m u n g : 15 Ende, I 6 Anfang. Ein m o r a l i s c h e s Element: I 6, 1255» I2ff.] Tendenz [zur V e r e r b u n g m o r a l i s c h e r Eigenschaften]: 1255l· 2ff. 275 1) [Aber a u c h diese] T e n d e n z : I 5, 1254i> 27ff. Das Dichterwort: Euripides Iphig. in Aul. 1400f., dazu Aristoteles Pol. I 2, 1252*> 9 ως ταύτό ψύσει βάρβαρον και Οοϋλον δν. 2) „Die V lker des k a l t e n Nordens" usw.: VII 7. 276 1) Das E m p o r k o m m e n des K n i g t u m s . . . . ausgeschlossen: vgl. V 10, 13l3a 3ff. ου γίγνονται έτι βασιλεΐαι νυν . . . δια το την βασιλείαν έκοΰοιον μεν αρχήν είναι ... πολ?Λ)ΰς δ' είναι τους ομοίους, και μηδένα διαφέροντα τοσούτον ώστε κτέ.— K a u m die fl c h t i g s t e Erw h n u n g des F derativstaates: auch damit schon zu viel gesagt, da die [hier einzig in Betracht kommende] Stelle V I I 14, 1333b 41 ff. nur eine Hegemonie ins Auge fa t, [der sich schw chere Staaten in der Erwartung, da die Vormacht ihre] Interessen mit Billigkeit ber cksichtigen [werde, freiwillig unterordnen]. 2) Die k a r t h a g i s c h e V e r f a s s u n g : II 11. — Die „F h i g k e i t des berlegene": so bersetzt Bernays, Aristoteles' Politik I. II. und III. Buch G o m p c r z , Griechische Denker. III. 4. Aufl.

3l

482

Zu Buch VI, Kap. 27, S. 277—282

[Berlin 1872] (S. 46), dem ich hier [mehrfach] folge, το βουλευτικόν, Pol. I 13, 1260a 12. Ein d u r c h a u s g e r i n g w e r t i g e s Wesen: Poetik 15, 1454* 20ff. και γαρ γυνή εστί χρηστή και δοΰλος· καίτοι γε ίσως τούτων το μεν χείρον, τ ό δε δ λ ω ς φ α ΰ λ ό ν εστίν. 277 1) Die F r e i l a s s u n g : Pol. VII 10 Ende. Dazu Hildebrand, Geschichte und System der Rechts- und Staatsphilosophie I 400. 2) U n g e s c h r i e b e n e s Gesetz (άγραφος νόμος): vgl. Bonitz im Index s.v. άγραφος. — „ A l l z u e i n f l t i g und b a r b a r i s c h " : Pol. II 8, 1268& 39f. 278 1) E r a t o s t h e n e s : bei Strabo I [4, 9, p. 66.] — P l a t o n : Staatsmann p. 262c—263d. 279 1) Die B i l d s u l e n des D dalos usw.: Pol. l 4, 1253b 33ff. 280 1) Die u n t e r den i s l a m i s c h e n V l k e r n ge bte H a u s s k l a v e rei: ber diese vgl. den ungemein lehrreichen Artikel 'Abd (von Juynboll) in Enzyklop die des Islam I 16ff. (1908). Die Kenntnis der Schrift H a m m o n d s „Two Letters on Slavery in the United States, adressed to Thomas Clarkson, Esq." verdanke ich der Londoner Monatsschrift The Secular World (Febr. 1863). Das M a n i f e s t ist betitelt: Adress to Christians throughout the world, by the Clergy of the Confederate States of America. Die benutzten oder angef hrten Stellen findet man p. 7, 11 f. und 16. 281 1) Die Anf hrungen: κτήμα τι έμψυχον [και ώσπερ] όργανον προ οργάνων, Pol. 1 4, 1253»> 32f.; έμψυχον όργανον, Nik. Eth. V I I I 13, 1161*> 4; (δίκαιον εστίν) ουδέ προς ΐππον ή βοΰν [ουδέ προς δοΰλον \\ δοΰλος], ebd. 1161b 2f. Der N u t z e n des H e r r n sein o b e r s t e s Gesetz: ebd. [VIII 12] 1160^ 29f. το γαρ του δεσπότου συμφέρον εν αύτη πράττεται. Ferner: αρετής δεΐται μικρός, Pol. Ι 13, 1260·α 35. Kein F r e u n d s c h a f t s v e r h l t n i s z w i s c h e n S k l a v e n und F r e i e n : Nik. Eth. V I I I 13, 1161* 32ff. Ebd. 1161b 5ff. der von mir notgedrungen mit einiger Freiheit [wiedergegebene] Satz: [$ μεν οΰν δοΰλος, ουκ έΌτι φιλία προς αυτόν, Τ| δ άνθρωπος'] δοκεϊ γαρ εϊναί τι δίκαιον παντί άνθρώπω προς πάντα τον δυνάμενον κοινωνήσαι νόμου καϊ συνθήκης' και φιλίας δη, καθ' όσον άνθρωπος. 282 1) E i n e „ b e g r e n z t e S k l a v e r e i " (άφωρισμένην ... δουλείαν): Pol. I 13, 1260a 41 ff. B a n a u s e n t u m : d. i. [eigentlich] der Betrieb des Handwerks, neben dem der Handelsbetrieb (im gro en wie im kleinen) und das Tagl 'hnerwesen, desgleichen der Ackerbau besonders namhaft gemacht werden IV 4, 1290'> 39ff. An vielen anderen Stellen hei en [indes] alle diese Besch ftigungen insgesamt banausisch, βαναυσόταται werden diejenigen genannt, εν αΐς τα σώματα λωβώνται μάλιστα (Ι 11, 1258>J 37). 2) P l u t a r c h : Vita Periclis c. 2 und 1; die erstere Stelle schon angef hrt I« 485. — Die [in der „ P o l i t i k " b e g e g n e n d e ] B e m e r k u n g : V I I I 5, 1339b 7ff. K a l l i k l e s im Gorgias: vgl. insbesondere 484C, wo das Philosophieren gelobt wird, αν τις αύτοΰ μ ε τ ρ ί ω ς άψηται κτέ. und 485a ff. [wo eben dies f r] έλευ-θέριον, [das Gegenteil f r] άνελεΰθερον [erkl rt wird]. Dazu [vgl.] Aristoteles Pol. V I I I 2, 1337b 15f.: έ'στι δε και των ελευθερίων επιστημών μέχρι μεν τίνος ένίων μετέχειν ουκ άνελεΰθερον. Zum [Folgenden] vgl. [ebd.] V I I I 2, 1337^ 17ff. [und] 14f.: άσχολον γαρ ποιοϋσι την διάνοιαν και ταπεινήν.

Zu Buch VI, Kap. 27—28, S. 283—289

483

283 1) [In O l i g a r c h i e n etc.]: vgl. Pol. I l l 5, 1278a 20ff. [„Der .beste Staat'": ebd. 1278* 8ff. M a n c h e a n d e r e n u erungen]: VI 4, 1319» 26ff. [vgl. auch IV 4, 1290» 39ff.] 284 1) L a k a i e n h a f t : vgl. den Vers von V. HugoJ'at l'habit d'un laquais, et vous en avez l'ame [Ruy Blas, V. Akt, 3. Szene].

Zu Buch VI, Kap. 28. 285 1) W i l h e l m v. H u m b o l d t : „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen", Ges. Werke VII (Berlin 1852) S. 186 f. 286 1) [Der ltere M i r a b e a u : Sur I'education publique p. 69 „Le difficile esf de ne promulguer qne des lois ricessaircs, de rester jamais fidelt a ce principe vraiement constitulionnel de Ια societe, de se mettre en garde contrv la furcur de gouverner, la plus juneste maladic des gouvernements modernes." (Motto der in der vorigen Anm. genannten Abhandlung)]. L y k o p h r o n ber den Adel: bei Aristoteles περί ευγενείας, Frg. 91 [Rose. Dieses Frg. au er bei Stob os] auch bei PS. Plutarch pro nobilitate X V I I I 2 (p. 75, 48 D bner) |= VII 260 Bern. — Im v o l l e n G e g e n s a t z zu A r i s t o t e l e s : vgl. ]Pol. III 13, 1283" 33ff. Das Wort vom „ a l l g e m e i n e n R e c h t s g a r a n t e n " ebd.IIl 9, 1280 ^ 11 f.: εγγυητής ύλλήλοις των δικαίων, αλλ ούχ οίος ποιεΐν αγαθούς και δικαίους τους πολίτας. Ob auch die vorangehenden Worte και ό νόμος συνθήκη ein Zitat aus Lykophron sind, steht nicht unbedingt fest. Doch spricht der Zusammenhang eher daf r als dagegen. Der Versuch, auch aus Hippodamos einen Anwalt der Rechtsschutz-Theorie zu machen (so [Oncken, Die Staatslehre des Aristoteles S. 215, und] Susemihl, Aristoteles' Politik II 67f.), gilt uns als vollst ndig haltlos. Vgl. I * 340f. und 483. 287 1) [Den G e d a n k e n des S t a g i r i t e n : Pol. I I I 9, 1280» 25ff. „F r den t i e f e r B l i c k e n d e n " : 1280*> 28. Die Definition der Polis 1280*> 33: ή του tu ζην κοινωνία και ταϊς οίκίαις και τοις γένεσι, ζ(θής τελείας χάριν και αυτάρκους. „Allianz": 1280" 8ff.] 2) [Vom B rger: I I I 1, 1275" 7—1> 5.] 3) [Am m e i s t e n f r die M i t g l i e d e r e i n e s d e m o k r a t i s c h e n S t a a t s w e s e n s : I I I l, 1275& 5ff. Zum Folgenden vgl. III 2.] 288 1) [ I d e n t i t t des S t a a t e s : III 3.] 2) [Tr ger der S o u v e r nit t; R e g i e r u n g s f o r m e n : III 6—7.] ber die verschiedenen Regierungsformen handeln au erdem Rhet. I 8 und Nik. Eth. V I I I 12. Das Wort „Monarchie" gebraucht Aristoteles berwiegend im weiteren Sinne, zur Bezeichnung der Oberart, von der das K nigtum (κατά. τάξιν τινά) und die despotische Tyrannis Unterarten sind, so Rhet. I 8, 1365b 37ff. oder Pol. I I I 7, 1279* 32ff. und III 8, 1279'> 16; gelegentlich aber auch im engeren Sinne, dem der absoluten Herrschaft, so Pol. V 10, 1313a 3ff.: ου γίγνονται ο* έτι βασιλεϊαι νυν, αλλ* άνπερ γίγνωνται, μοναρχίαι και τυραννίδες μάλλον. 289 1) [Der B e g r i f f der G l e i c h h e i t : III 9,1280» 7—32 und 1281» 2—10.] 31*

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Zu Buch VI, Kap. 28—29, s· 2#9—297

2) [Die M e h r h e i t der Souver n: III 10.] 290 1) [Ein neues A r g u m e n t : III 11 Anfang.] — Der Vergleich mit einem P i c k n i c k erscheint au er 1281^ 2 noch einmal III 15, 1286a 29ff. Tadel der m u s i k a l i s c h e n M o d e n : V I I I 7, 1342a 18ff. 291 1) [Ein n e u e r Z w e i f e l usw.: III 11, 1281b 21—1282* 41.] 292 1) [Es w i r d . . . f r w n s c h e n s w e r t e r k l rt: Ι Ι Π 1 Ende, 1282& Iff.] 2) [Nicht j e d e . . . S u p e r i o r i t t: III 12, 1282*> 23—34.] Bernays' Vermutung (S. 172): „das 12. und 13. Kapitel enthalten einen abgesonderten Entwurf" scheint mir nicht wohl begr ndet. Es liegen ohne Zweifel Wiederholungen vor, es fehlt an einem systematischen Fortschritt. Aber auch andere Professoren, und solche, die um systematische Anordnung mehr bek mmert sind als der in diesen Dingen l ssige Aristoteles, nehmen mitunter Gedanken, die sie in einer fr heren Vorlesung ber hrt, aber nicht ersch pft hatten, in einer nachfolgenden wieder auf, um sie in Verzweigungen zu verfolgen, die sich ihnen erst allm hlich offenbart haben. Auch w re es einem Wunder gleichzuachten, wenn der enge Zusammenhang zwischen Kap. 13 Ende (ώστε βασιλέας είναι τους τοιούτους άϊδίους εν ταΐς πόλεσιν) und 14 Anfang (ίσως τε καλώς έχει — σκέψασθαι περί βασιλείας) ein zuf lliger w re. 3) [ D u r c h g n g i g e K o m m e n s u r a b i l i t t: hiezu und zum Folgenden vgl. III 12, 1283* 3—III 13, 1283b 35. Der Wiedergabe von 1283» 7f. wurde die von Bernays vorgeschlagene, auch von Immisch angenommene Lesart αρετή μεγέθους (statt αρετής μέγεθος) zugrunde gelegt.] 293 1) [Es sind F lle d e n k b a r . . .: III 13, 1284* 3—17.] A n t i sthenes: vielleicht, nach Ad. M llers (Vitzthumsches Gymn. Progr. 1860 S. 46) Vermutung, in seinem Werke περί νόμου ή περί πολιτείας [L. Diog. VI 16 = Winckelmann p. 13.] Eine k hne Mutma ung u erte Karl Joel, Der echte und der xenophontische Sokrates II 801. 2) [Ostrazismus usw.: III 13, 1284* 17—34.] 295 1) P i k n i c k - V e r g l e i c h : vgl. die treffenden Bemerkungen Trendelenburgs, Naturrecht auf dem Grunde der Ethik 2 525; vor allem: „Jene Sammelerkenntnis, welche Aristoteles mit zusammengetragenen Gastmahlen vergleicht, ist durch das Falsche, das mit zusammengetragen wird, wesentlich versetzt und verschr nkt, und die Erg nzung des Wahren . . . . wird durch den Widerstand, den Irrtum und Selbstsucht leisten, gehemmt oder gar vereitelt." Zu Buch VI, Kap. 29. 297 1) M o n a r c h i e die b e s t e a l l e r R e g i e r u n g s f o r m e n : Nik. Eth. V I I I 12, 1160*35—b 12. — B l u m e n l e s e von u e r u n g e n : Nik. Eth. V I I I 7, 1158* 27ff. οί δ' εν ταϊς έξουσίαις κτέ.; Χ 6, 1176b 18ff. ου γαρ εν τφ δυναστευειν ή αρετή ούδ* ό νους; Χ 9, 1179a 6ff. οί γαρ ίδιώται των δυναστών ούχ ήττον δοκοΰσι τα επιεική πράττειν αλλά και μάλλον. — Β r αν i und Clowns: den letzteren jedenfalls wird Aristoteles am Hofe Philipps nicht selten begegnet sein; vgl. Rohde, Verhandlungen der XXX. Philologen-Versammking zu Rostock 1875 S. 64 [= Der griech. Roman 3 592] Anm. 3—4.

Zu Buch VI, Kap. 29, S. 298—302

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298 1) [„Wohlt ter" des V o l k e s : Pol. III 14, 1285^ 6ff.; V 10, 1310" 34ff.] 2) G o t t b e g n a d e t e A u s n a h m s n a t u r e n : vgl. Pol. III 13, 1284» 3ff., b 25ff. sowie [ I I I 17] 1288» 15—29. [Wache zu h a l t e n . . . : V 10, 1310b 40ff. D e r a r t i g e K n i g e . . .: ebd. 1310^ 9ff. und 31ff. N e b e n dem h e r o i s c h e n . . . K n i g t u m : III 14, 1285^ 33— III 15, 1286* 7.] 299 1) [Die D i s k u s s i o n w i r d . . . er f f n e t : III 15, 1286* 7—»> 22.] — Im „ S t a a t s w e s e n der A t h e n e r " : Αθηναίων πολιτεία 41, 2 Ende, verglichen mit [Pol. III 15] 1286» 31 ff. 300 1) [Die der M o n a r c h i e i n n e w o h n e n d e n belst nde: III 15, 1286b 22— I I I 16, 1287» 32.] 2) [. . . wird die B e h a u p t u n g g e l i e h e n : III 15, 1286» 9ff. Zum Folgenden vgl. I I I 16, 1287» 32—b 29.] 301 1) Ein Tadel des spartanischen Doppel-K nigtums liegt doch in den Worten 11 9,1271» 25f.: και σωτηρίαν ένόμιζον τη πόλει είναι το σ τ α σ ι ά ζ ε ι ν τ ο υ ς βασιλείς. Mochte die „Zwietracht der K nige" manche Sch den verh ten, sie mu te doch notwendig ebenso gro e oder noch gr ere erzeugen. 2) [Gr nde z u g u n s t e n des K n i g t u m s : III 17. Das E n d u r t e i l : J288» 8 f.] 302 1) Die . . . „ z u m D i e n e n g e n e i g t e r e n " B a r b a r e n : I I I 14, 1285» 19ff. δια γαρ το δουλικώτεροι είναι τα ή·9η φΰσει οί μεν βάρβαροι των Ελλήνων. 2) In Z u k u n f t nur e i n e d e m o k r a t i s c h e V e r f a s s u n g m glich: III 15, 1286b 20ff. Der an A l e x a n d e r gerichtete Rat: Plutarch de fortuna Alexandri I 6 [p. 329'"] (404, 8ff. D bner) = Frg. 658 Rose. Vgl. Bernays, Dialoge des Aristoteles S. 154f. 3) A l e x i s v. T o c q u e v i l l e : La Democratic en Amerique (14. Aufl.) I c. 3, insbesondere p. 82—85 und an vielen anderen Stellen. Gegen den wahnschaffenen Gedanken, Aristoteles habe f r das Aufgehen Griechenlands in Mazedonien gewirkt, glaube ich alles N tige in meinem Aufsatze gesagt zu haben: Die Akademie und ihr vermeintlicher Philomazedonismus, Wiener Studien IV (1882) 102ff. Nur habe ich [dort] nicht genug betont, da des Stagiriten pers nliche Beziehungen zu Alexander, zu Antipater und zu Nikanor sein politisches Denken in erstaunlich geringem Ma e beeinflu t haben. Die Mazedonier waren und blieben ihm Barbaren. Vgl. [Pol. V I I 2, 1324b 15ff., wo der Stagirit „einen rohen Brauch der Mazedonier mitten unter skythischen, thrazischen, keltischen und iberischen Sitten anf hrt." (Die Akademie und ihr . . . . Philomazedonismus] S. 118.) Auch die Art, wie K nig Philipps Ermordung mitten unter anderen F llen der T tung von Gewalthabern aus Privatrache erw hnt wird (Pol. V 10, 13111> Iff.), klingt ganz und gar nicht so, als w re [der Philosoph] mit diesem seinem einstigen Gebieter durch irgendwelche innerlichen Bande verkn pft gewesen. Die ung nstigen Eindr cke, die [jener] vom Hofleben empfangen hat, gehen wohl gleichfalls [gr tenteils], wenn nicht ausschlie lich, auf den mazedonischen Hof zur ck.

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Zu Buch VI, Kap. 30, S. 303—312

Zu Buch VI, Kap. 30. 303 1) G r u n d g e d a n k e n d i e s e r D a r s t e l l u n g : [Pol. IV l, besonders 1288b 25ff. την κρατίστην δε απλώς και την εκ των ύποκειμένοη1 άρίστην ου δει λεληθέναι... τον ως αληθώς πολιτικόν]; man vgl. [auch] IV 12 Anfang: τίς δρ πολιτεία τίσιν και ποία συμφέρει ποίοις, oder IV 15, 1299a 14: ποίαις ποΐαι πολιτεϊαι συμφέρουσιν, [und] 1300b 7: τίνα Οέ τίσιν συμφέρει. Es gibt nicht nur e i n e Demokratie und e i n e Oligarchie: [IV 1] 1289a 8f. νυν δε μίαν δημοκρατίαν οΐονταί τίνες είναι και μίαν όλιγαρχίαν. Sogleich darauf [Z. 12]: και νόμους τους αρίστους Ιδεϊν (sc. δει) και τους εκάστη των πολιτειών άρμόττοντας. An die Sprache der Mathematik klingt an 1288b 27 ff. Ιτι δε τρίτην (n mlich die „beste Verfassung" im dritten Sinne dieses Wortes) την έ| υ π ο θ έ σ ε ω ς · δει γαρ και την δ ο θ ε ΐ σ α ν δύνασθαι θεωρεΐν. Man vgl. z. B. schon Autolycus de sphaera etc. p. 96, 19 Hultsch: της δοθείσης περιφερείας, [und Euklid Elem. l 1: επί της δοθείσης ευθείας πεπερασμένης τρίγωνον Ισόπλευρον συστήσασθαι.] 304 1) [Die „erste U n t e r s u c h u n g " : IV 2 Anfang εν τη πρώτη μεθόδφ. Ein l n g e r e r Z e i t r a u m : vgl. jetzt auch H. v. Arnim, Zur Entstehungsgeschichte der aristotelischen Politik S. 129 „Jedesfalls hat er erst nach l ngerer Unterbrechung die Fortsetzung ΔΕ verfa t."] 2) [Die w i r t s c h a f t l i c h e G r u n d l a g e : Pol. IV 3. Zum Folgenden vgl. IV 4, 1290* 30—1291* 6 und 1291b 7—30.] 3) [Eine b e r a u s f e i n e B e m e r k u n g : ] IV 5, 1292b l l f f . 305 1) [Eine arge T u s c h u n g : IV 4, 1291b 30—1292* 38.] 306 1) [Seine w a h r e M e i n u n g . . .: IV 6, 1292*> 22—1293* 10.] 2) [Die e r t r g l i c h s t e (μετριωτάτην) der e n t a r t e t e n S t a a t s f o r m e n : IV 2, 1289b 2ff., vgl. Nik. Eth. V I I I 12, 11601' 19f. ήκιστα δε μοχθηρόν εστίν ή δημοκρατία.] S c h r i f t vom S t a a t s w e s e n der A t h e n e r : vgl.[zum Folgenden c. 22, 4; 28, 3—4; 40, 3; ferner] E. Szantos Ausgew hlte Abhandlungen S. 332ff. [sowie] auch des Verfassers Essays und Erinnerungen S. 172f. [Eines Sinnes m i t D e m o s t h e n e s : Pol. VI 5, 1320:l 29ff., verglichen mit Olynth. III § 33.] 307 1) [ S t a d i e n der O l i g a r c h i e : Pol. IV 5, 1292» 39—'> 10 und IV 6, 1293* 12—34.] 308 1) [Die „Politic": Allgemeines IV 7 Anfang und IV 8; das Einzelne IV 9. — Die T y r a n n i s : IV 10.] 2) [Die beste V e r f a s s u n g : IV 11, 1295» 25— b 11.] 309 1) [Es w i r d . . . d a r g e l e g t : IV 11, 1295» 13—1296* 21.] 2) [Die L s u n g dieses P r o b l e m s : IV 12, 1296b 13—34.] 310 1) [ K u n s t g r i f f e : IV 14, 1298b 13—21 und 23—26.] 2) [ V o l k s v e r t r e t u n g : IV 14, 1298b 21—23; vgl. a 12—19.] 311 1) [ M a n n i g f a c h e V o r s c h l ge: IV 14, 1298b 26—1299» 1.] 2) [Drei H a u p t f u n k t i o n e n : τρία μόρια των πολιτειών πασών, IV 14, 1297b37ff. Die „ r i c h t e r l i c h e " Gewalt: IV 16 Anfang. — Die „beratende": IV 14, 1298» 3ff. — Die „ a n o r d n e n d e " : IV 15, besonders 1299» 14—28.] 312 1) [Wie die A m t s p e r s o n e n zu b e s t e l l e n s i n d : IV 15, 1300" 8—b 5. Die M i t g l i e d e r der G e r i c h t s h fe: IV 16, 1300b 38ff.]

Zu Buch VI, Kap. 31, S. 313—324

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Zu Buch VI, Kap. 31. 313 1) „ Q u e l l e n des A u f r u h r s " : άρχαί . . . . και πηγαι των στάσεων, Pol. V l, 1301 b 4f. [Zum Folgenden vgl. ebd. 1301» 19—* 21 und 1302» 8ff.] 2) [ Z a h l r e i c h e Verh ltnisse: V 2. U n g l e i c h m ige E n t w i c k l u n g : .V 3, 1302t> 33—1303* 13. U n g l e i c h w e r t i g k e i t : 1303* 25—b 17.] 314 1) Ziele und Anl sse der Wirren: [V 4 Anfang] γίγνονται μεν οΰν αϊ στάσεις ου π ε ρ ί μικρών, αλλ' εκ μικρών. [Zum Folgenden vgl. V 3, I302b 21—33, 1303a 13—20 und V 4, 1303»> 19—1304» 17.] 2) [Die b e r m a c h t eines g e s e l l s c h a f t l i c h e n Faktors usw.: V 4, 1304» 33— b 5. Vgl. auch] V l, 1301» 39ff. 315 1) [Die D e m a g o g i e . . . i n n e r h a l b der D e m o k r a t i e : V 5.] 2) [Umsturz . . . der O l i g a r c h i e : V 6.] 316 1) Zensus und S t e u e r k a p i t a l : V 8, 1308* 35ff. 2) [Einer „Politic" oder A r i s t o k r a t i e d r o h t die A u f l sung: V7.] 317 1) [So a n t w o r t e t A r i s t o t e l e s zun chst]: V 8 [1307b 26— 1308» 13.] 2) [Auch e m p f i e h l t es sich usw.]: V 8 [1308* 13—35 und b!0—25.] 318 1) [Die Aristokratie mit der Demokratie . . . verbinden]: V 8 [1308b 38—1309 » 9.] 2) [Die Reichen zu s c h o n e n usw.]: V 8 [1309* 14—32.] 3] [Drei E r f o r d e r n i s s e ] : V 9 [1309* 33—b 14.] 319 1) [ E i n h a l t e n der r e c h t e n Mitte]: V9[1309M8—35.] E r z i e h u n g im Geiste der V e r f a s s u n g (το παιδεύεσΟαι προς τάς πολιτείας): 1310a 12ff. 2) [K n i g t u m und Tyrannis]: V 10 [1310* 39—1311* 2, vgl. 1311* 8—20.] 320 1) [Die h a u p t s c h l i c h s t e n Beweggr nde . . . zum U m s t u r z ... d e r M o n a r c h i e ] : V 10 [1311* 22—1312* 39.] P h i l i p p von M a z e d o n i e n : eine Verherrlichung dieses Monarchen wollte Oncken, Staatslehre des Aristoteles [II 269ff.], aus Pol. IV 11, 1296* 38ff. herauslesen. Unter jenem „einzigen Manne" (εΐς γαρ άνήρ κτέ.) kann aber schon wegen des Zusatzes των πρότερον unm glich ein Zeitgenosse verstanden werden; h chstwahrscheinlich ist Solon gemeint. Gegen Bernays' mi lungenen Versuch, Aristoteles und auch Platon zu Parteig ngern der mazedonischen Politik zu machen (Phokion und seine neueren Beurteiler S. 34—45), habe ich, was mir erforderlich schien, ge u ert »n dem bereits Anm. 3 zu S. 302 erw hnten Aufsatz. 2) [Der Sturz . . . der T y r a n n i s : Pol. V 10, 1312 * 39—b 38.] 3) [Die Ursachen seines Unterganges: V 10, 13l2b 38—1313* 17.] 322 1) [Sicherung des K n i g t u m s : V 11, 1313* 18—33. Der erste Weg zur E r h a l t u n g der T y r a n n i s : 1313* 34—1314* 29.] 2) [Die A r t u n g des z w e i t e n - W e g e s : V 11, 1314* 29—1315» 24.] 323 1) [ B e i d e H a u p t k l a s s e n : V l l , 1315*31—b 10. Eine historische b e r s i c h t : V 12, 1315»> 11—39.] 324 l ) [ D i e M a h n u n g : V I l, 1317*35ff. D e s g l e i c h e n : VI 5, 1320»2ff.] Vgl. Hebbels Tageb cher IV 191, Nr. 5902 Werner: „Jede Regierungsform

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Zu Euch VI, Kap. 31—33, S. 324—335

sollte im Sinne der ihr gerade entgegengesetzten gehandhabt werden, die republicanische autokratisch, und die monarchische republicanisch." [Ad absurdum gef hrt: Pol. VI 3, 1318* 21 ff.] 2) Das K u r i e n p r i n z i p : VI 3. 325 1) [Die A b a r t e n der D e m o k r a t i e ] : VI 4. 326 1) [Mi br uche]: VI 5. 2) [Abarten der Oligarchie]: VI 6. 3) [ W a f f e n g a t t u n g e n ] : VI 7. [Verwaltungsbeh rden]: V I 8. [Das aus diesem Kapitel Angef hrte: 13211> 40—1322» 29.] Zu Buch VI, Kap. 32. 328 1) [ I n t e n s i t tsmangel]: Pol. 113 [126P 32—1262» 14]; I I 4 [ 1 2 2b 14—24. S t r e i t i g k e i t e n u n d Geh ssigkeiten]: II 5 [1263a 15—20. Eine Q u e l l e uns g l i c h e r F r e u d e n usw.]: ebd. [1263a 40—b 14. Der „sch ne Schein"]: ebd. [1263b 15—27. D o p p e l s i n n der Worte]: II 3 Anfang. 2) [„Viele Mi lichkeiten":] II 2 Anfang. [Zum Folgenden vgi.] II 3—4 [1262» 14—40 und i> 24 ff.] 329 1) [5000 Mann]: II 6 [1265» 12ff. V ' o l k s v e r m e h r u n g : 1265* 38ff. P h e i d o n : 1265k 12ff. Phaleas]: II 7 [1266* 39ff. Das r e c h t e Ma des Besitzes usw.: 1266i> 28ff. Die „ f e i n e r e n Leute": 1267* 37ff.] 2) [Das a l l g e m e i n e P r o b l e m ] : II 8 [1268»' 25 ff. G o l d e n e W o r t e ] : 1269» 19ff. [ G o e t h e : in den „Betrachtungen im Sinne der Wanderer", Werke (Weimarer Ausgabe) 42/11, 169, 20f.] 330 1) [Solon, Z a l e u k o s und C h a r o n d a s , D r a k o n , P h i l o l a o s j : Pol. II 12. K r i t i k an der G e s e t z g e b u n g L y k u r g s : II 9. 331 1) [Er p f l i c h t e t P l a t o n bei: II 9, 1271* 41ff.] Die Bemerkung ber das B e r u f s s o l d a t e n t u m der Spartaner: V I I I 4, 1338b 32ff. [Die k r e t i s c h e n E i n r i c h t u n g e n : II 10.] 2) [Die k a r t h a g i s c h e S t a a t s o r d n u n g : II 11.] Zu Buch VI, Kap. 33. 332 1) Das Zeitverh ltnis von Politik, Poetik und Rhetorik erheilt aus Pol. V I I I 7'., 1341lj 38ff.: τί δε λέγομεν την κάϋαρσιν, νυν μεν απλώς, πάλιν δ' εν τοις π ε ρ ί π ο ι η τ ι κ ή ς έροΰμεν σαφέστερον, und Poetik c. 19, 1456a 34f.: τα μ£ν ούν περί την διάνο ία ν εν τοις π ε ρ ί ρ η τ ο ρ ι κ ή ς κείσθω. Vgl. auch die R ckverweisungen Rhet. I 11, 1372a l f. [διώρισται Οέ περί γελοίων χωοίς εν τοις περί ποιητικής] und III 18, 1419b 5f. 333 1) [Man mische beides]: Pol. VII 11, 1330^ 27ff.; [zum Folgenden vgl. VII 10] 1330* 9ff. und 30f. 334 1) [Mit einem weitl ufigen Pro m i u m : VII l—3.] 335 1) [Die Gr e . . . der B r g e r s c h a f t : VII 4.] 2) [Das S e l b s t g e n gen: VII 4, 1326b 2ff. und VII 5 Anfang. — Die G e f a h r des m a r i t i m e n V e r k e h r s : VII 5, 1327» 3ff. und VII f>.]

Z« Buch VI, Kap. 33—35, S. 335—34*

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3) [Die v e r s c h i e d e n e n F u n k t i o n e n des Staatswesens: VII 9.] 337 1) [ H i p p o k r a t e s : VII 4, 1326» 15f.] 2) gyptisches K a s t e n w e s e n : VII 10 Anfang und 1329b 23ff. Ebenda [1329b 5—22] ber gemeinsame M n n e r m a h l e . [ S t a d t a n l a g e : VII 11—12.] ber F lle . . des Wassers: VII 11, 1330^ 4—17. [ O f f e n e und b e f e s t i g t e St dte: ebd. 1330b 32ff.]

Zu Buch VI, Kap. 34. 3) Das Zitat an der Spitze aus G. Lowes Dickinson, A modern Symposium (London 1907) p. 86. 338 1) [Z c h t u n g : Pol. VII 16.] 339 1) [ K i n d e r p f l e g e : VII 17.] 2) [Theodoros: VII 17, 1336* 27ff.] 3) [Die d r e i f a c h e Frage: VII 17 Ende. Zum Folgenden vgl. V I I I 1.] 4) [Die . . . B e s p r e c h u n g der U n t e r r i c h t s f r a g e n b e g i n n t : V I I I 2. Die K i n d e r . . . von f nf bis s i e b e n J a h r e n : VII 17, 1336b 35ff. Die g a n g b a r e n . . . B i l d u n g s m i t t e l : V I I I 3 Anfang. Das R e c h n e n nicht besonders genannt, aber nach 1338a 15 ff. χρήσιμον . . . προς χρηματισμόν και προς οίκονομίαν offenbar unter den γράμματα mitverstanden. V e r s t n d n i s f r Formensch n h e i t : 1338b Iff. δτι ποιεί θεωρητικόλ1 του περί τα σά>ματα •/.άλλους, vgl. auch 1338* 17ff.] 340 1) [Mit a l l e r h a n d V o r b e h a l t e n : V I I I 4.] 2) [Die Schlu k a p i t e l : V I I I 5—7.]

Zu Buch VI, Kap. 35. 341 1) Die Hauptquelle dieses Abschnitts, das uns erhaltene erste Buch der P o e t i k — von dem zweiten und letzten sind uns nur d rftige berreste bekannt — ist in neuerer Zeit von Johannes Vahlen, vornehmlich in seiner kritischen Ausgabe (3. Aufl. Leipzig 1885) und in seinen „Beitr gen zu Aristoteles' Poetik" (Wiener Sitzungsberichte 1865—67), aufs eingehendste behandelt worden. Zu mehrfachem Einspruch gegen Vahlens immer mehr erstarkten textkritischen Hyperkonservativismus ward der Verf. veranla t. Vgl. meine Aufs tze „Zu Aristoteles' Poetik" I—III, Wiener Sitzungsberichte 1888—1896, und meinen Aufsatz „Das Schlu kapitel der Poetik" in Eranos Vindobonensis 1893. Hinzu kam meine bersetzung von Aristoteles' Poetik, Leipzig 1897, deren Vorwort manche prinzipiellen Fragen er rtert. Aus der sonstigen berreichen Literatur sei hier nur WHhelm Christs kritische Ausgabe (1878), [insbesondere aber] Ingram Bywaters soeben erschienene Meisterleistung hervorgehoben: Aristotle on the Art of Poetry, Oxford 1909 (Text, Textgeschichte. bersetzung und Kommentar). Vor allem aber sei Jakob Bernays' wahrhaft bahnbrechendes Buch: „Grundz ge o'er verlorenen Abhandlung des Aristoteles

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Zu Buch VI, Kap. 35, S. 341—342

ber Wirkung der Trag die", Berlin 1857, namhaft gemacht (vgl. den erweiterten Abdruck: „Zwei Abhandlungen ber die aristotelische Theorie des Drama" Berlin 1880). Diese berragende Leistung, die selbst wieder eine umfangreiche Literatur hervorgerufen hat, tr gt nur einen wenig angemessenen Titel, da Aristoteles sich ber den betreffenden Gegenstand, die tragische Katharsis, sicherlich nicht in einer besonderen Abhandlung, sondern an einer durch Vahlens Scharfsinn ermittelten Stelle des zweiten Buches der Poetik ausgesprochen hat [vgl. Vahlen, Wo stand die verlorene Abhandlung des Aristoteles ber Wirkung der Trag die ? Wiener Sitzungsberichte 1874, Bd. 77, S. 293ff. = Ges. Philol. Schriften I 230ff.] Vgl. des Verf.s Aufsatz: „Jakob Bernays" in „Essays und Erinnerungen", S. 118—122. Au er und vor Bernays war hier des Altmeisters der Philologen, Henri Weil, zu gedenken, der dasselbe Ergebnis erzielt und eingehend begr ndet hatte, vgl. die Verhandlungen der X. Versammlung deutscher Philologen, Basel 1848, S. 131 ff. ber diesen seinen Vorl ufer u ert sich Bernays selbst in „Zwei Abhandlungen ber die aristotelische Theorie des Drama" S. 119—121. 2) Pauson und P o l y g n o t : Pol. VIII5, 1340» 32ff.; vgl.auch Poetikc.2, 1448a 5f. undc.6,1450 a 27ff. Desgleichen das Register zu unserer bersetzung der Poetik S.120 und 121. — S p a l t u n g der D i c h t u n g s g a t t u n g e n : Poetik c. 4,1448b 24 διεσπάσθη δε κατά τα οικεία ήθη ή ποίησις. — Tanz,: Poetik c. l, 1447» 26ff. Vgl. des Verf.s ersten Aufsatz zu Aristoteles' Poetik S. 5 [= 545]. Zum Folgenden vgl. wieder Pol. V I I I 5, insbesondere die S tze: εν δε τοις μέλεσιν αύτοΐς εστί μιμήματα των ηθών, und: φανερόν ότι δύναται ποιόν τι το της ψυχής ήθος ή μουσική παρασκευάζειν (1340a 38f. und 1340b 11 f.) 342 1) Die Hauptstelle ber die Einteilung der Musik: Pol. V I I I 7, 134H> 32ff. [Die g e r i n g e r e n G a t t u n g e n der T o n k u n s t : ebd. 1342* 18ff.] ber „ K o l o r a t u r e n " : ebd. 1342» 24, verglichen mit Plutarch Quaest. Conviv. III l, l [p. 645d] = II 783, 10 D bner und De musica [c. 20 Anfang, p. 1137·, vgl.] Th. Reinachs Kommentar in seiner und H. Weils Sonderausgabe {von De musica] (Paris 1900) (p. LVIII und 79). 2) [In e i n i g e n i n h a l t s s c h w e r e n S t z e n : Pol. V I I I 7, 1342» 8ff.; vgl.Bernays' „Grundz ge" S. 139ff. = „Zwei Abhandlungen" S.7ff. Olympos: ebd. V I I I 5, 1340» 8ff.] B e g r i f f s b e s t i m m u n g der Trag die: Poetik c. 6 Anfang. [Ihre] Schlu worte (1449b 27ff.) lauten: δι* έλέου και φόβου περαίνουσα την των τοιούτων παθημάτων κάθαρσιν. Die im Text erw hnte Literatur findet man in [der Einleitung zu] Bernays' Abhandlung genauer verzeichnet. — ber „ W a h r h e i t und I r r t u m in der Katharsis-Theorie des Aristoteles" vgl. Alfreds Freih. v. Berger so betitelte Abhandlung, die unserer bertragung der Poetik S. 71—98 einverleibt ist. — P l a t o n : n mlich Staat X 606a εί ένθυμοΐο ότι το β ί α κ α τ ε χ ό μ ε ν ο ν τ ό τ ε εν ταΐς ο ί κ ε ί α ι ς ξ υ μ φ ο ρ α ΐ ς και π ε π ε ι ν η κ ό ς του δ α κ ρ ΰ σ α ί τε και ά π ο δ ύ ρ α σ θ α ι Ικανώς και απ ο · πλησθήναι. . . τότ' εστί τοΰτο το υπό των π ο ι η τ ώ ν π ι μ π λ ά μ ε ν ο ν και χανρον. Das ist in Platons Munde freilich kein Lob, sondern ein Tadel. ber diese und verwandte Stellen vgl. die beraus lehrreiche Abhandlung Christian Beigers De Aristotele etiam in arte poetica componenda Platonis

Zu Buch VI, Kap. 35. S. 343—34^

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discipulo p.62ff. (Berlin 1872). [Man hat t r e f f e n d v e r g l i c h e n : A. v. Berger S. 79.] 343 1) ber D u b o s ' und S u l z e r s Lehren vgl. Oskar Walzels Studie: „Lessings Begriff des Tragischen". Lessings Versuch, die Freude am Tragischen zu erkl ren und [diese Erkl rung] durch den gl nzenden und tiefsinnigen Vergleich [des Zuschauers] mit [einer] mitklingenden Geige zu be•leuchten, findet man in seinem Brief an Mendelssohn [vom 2. II. 1757] (XII S. 86ff. Lachmann-Maltzahn). Worte eines Z e i t g e n o s s e n : Alfreds v. Berger S. 88. 344 1) E i n t e i l u n g der Poesie: vgl. Poetik c. l—3. Im h i s t o r i s c h e n Teil: c. 4, 1448b 27. [Bei der A u f z h l u n g der D i c h t u n g s a r t e n usw.: c. l, 1447« 14, vgl. 1447& 26, c. 2, 1448» 14 und c. 4, 1449* 10.] Z i e r m i t t e l der Rede: c.22 [1459*9.] P i n d a r - V e r s : Olymp.Ode I I I 2 9 f f . scheint gemeint Poetik c. 25, 1460"> 31 f.; vgl. Vahlens [Ausgabe p. 26]. — Die „ R h e t o r i k " ber d a s P r o m i u m : I I I 14, 1415 a 8ff., wo Drama, Epos und Dithyrambus genannt werden, die Siegeslieder eines Pindar [und] Bakchylides aber, obgleich auch sie der Pro mien keineswegs ermangeln, ungenannt bleiben. 345 1) „ A u f b a u der F a b e l " : sofort in der zweiten Zeile der Poetik και πώς δει συνίστασΟαι τους μύθους- Unter den Bestandteilen des Dramas nimmt wieder die Fabel den obersten Rang ein, vgl. c. 6, 1450a 15: μέγιστον δε τούτων εστίν ή των πραγμάαον σύστασις, und 38 f.: αρχή μεν οΰν και οίον ψυχή ό μΐτΟος της τραγωδίας. Man wende nicht ein, da an den beiden letzten Stellen eben schon vom Drama die Rede ist. Ich habe sie angef hrt, um die berragende Bedeutung, die Aristoteles der Handlung beimi t, in helles Licht zu setzen. Aber auch ohne jede Beschr nkung auf das Drama hei t es von den musischen K nsten insgesamt (c. 2 Anfang): έπεί δε μιμούνται οί μιμούμενοι πράττοντας. [ G e s i n n u n g e n und A f f e k t e : c. l, 1447a 28.] G r u n d t y p e n d i c h t e r i s c h e r V e r a n l a g u n g : c. 17, 1455a 32ff. Ich habe Tyrwhitts Besserung εκστατικοί statt εξεταστικοί angenommen und gegen Vahlen eingehend verteidigt, Zu Aristoteles' Poetik I I I 8f. Man vgl. auch zur ganzen Stelle Aristoteles' Probleme [XXX 1] 954» 32, worauf ebenfalls schon Tyrwhitt hingewiesen hat. 2) C h a m leon und Dik a r c h : vgl. die betreffenden Artikel [bei] PaulyWissowa, Real-Enzykl. d. klass. Altert.-Wiss. [ I I I 2, 2103 und V l, 553.] Ob Cham leon unmittelbarer Sch ler oder Enkelsch ler des Aristoteles war, ist freilich nicht v llig ausgemacht. D i o n y s von H a l i k a r n a : de compos. verb. Π 1, 114ff. Usener-Radermacher. — „ N a c h b i l d u n g e n b e t r a c h t e t man" usw.: Poetik c. 4, 1448* 15ff. Dasselbe Rhetorik I 11, 1371& 4ff. S c h i l l e r : Brief an Goethe [vom 5. Mai 1797 = Nr. 1191 Jonas]. R a n g f o l g e der Bestandteile der Trag die: Poetik c. 6, 1450a 15. 346 1) Hiezu vergleiche man 0. K lpes wertvollen Aufsatz: „Anf nge psychologischer sthetik bei den Griechen" in: „Philosophische Abhandlungen, Max Heinze gewidmet", Berlin 1906, S. 102ff. K lpes Auffassung der Kunstlehre P l a t o n s, wie dieser sie in den „Gesetzen" II 667* ff. entwickelt, vermag ich jedoch nicht zu teilen. Platon schaltet

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Zu Buch VI, Kap. 35, S. 347~348

dort den Kunstgenu , die Freude am Kunstwerk, geradezu aus. Ihm gilt ein solches nur darum und dann als wertvoll, weil und wenn es uns eine Bel e h r u n g erteilt, oder doch (und darauf scheint Platons Hauptabsehen gerichtet) unser W e l t b i l d n i c h t f lscht. Der sthetische Genu gilt ihm hierbei nur als „unsch dliche" Nebenerscheinung, als „tin harmloses Spiel". Dies alles erkennt K lpe S. 113 vollst ndig an; nur durfte er m. E. dann nicht hinzuf gen, „da Platon hier eine s t h e t i s c h e G e s e t z m igkeit von gr ter Tragweite erkannt und angedeutet habe" (S. 114). Es ist bemerkenswert, da auch einige sthetiker der neuesten Zeit ganz hnliche Ansichten ge u ert haben. Sie fa t Fr. JodI dahin zusammen, „da . . die beim Erleben des Sch nen auftretenden Lustgef hle nicht die Quelle der ihm zugewandten Wertung sind, sondern nur Begleiterscheinung, unmittelbare Folge des Aktes der i n t u i t i v e n E r k e n n t n i s , in welchem ein Mensch das Verh ltnis zwischen Form und Wesen unmittelbar anschaut" (Osten·. Rundschau XVII 3, 223»). Verwandte Gedanken haben in der Tat die deutsche sthetik, von ihrem Gr nder, Baumgarten, angefangen, beherrscht und, wie ihr Geschichtsschreiber bemerkt, „auf lange hinaus gesch digt" (H. Lotze, Geschichte der sthetik in Deutschland S. 11). Ferner vgl. die [gleichfalls schon von K lpe] verwertete Stelle: Aristoteles, Rhetorik I 9, 1366* 33f. καλόν μεν οΰν εστίν, ο αν οι* αντό α ί ρ ε τ ό ν δν έ π α ι ν ε τ ό ν Γ], Τ| ο αν ά γ α Ό ύ ν δν η δ ύ \\. Das Sch ne soll also entweder ein „l blicher Selbstzweck" oder ein „lustbringendes Gutes" sein. [Im] ersten [Fall] dieser Alternative [wird] das Sch ne nicht vom „Sittlich-Guten" geschieden, im zweiten nicht von einem Gute, wie es die Gesundheit ist. [In der] „ M e t a p h y s i k " : X I I I 3, 1078" 3 f. του οέ καλοί· μέγιστα εΐί>η τάξις και συμμετρία και τύ ώρισμένον. Auch vorher 1078a 31 f. το μεν (sc. τύ άγαοόν) γαρ αεί εν πράξει, το δε καλόν και εν τοις άκινήτοις. [ I n der] „Poetik": c. 7, 1450& 34ff. und c. 4, 14481' 20f. 347 1) Vergleich der D i c h t e r mit den P o r t r t - M a l e r n : c. 15, 1454b 8ff. Wort des S o p h o k l e s : c. 25, 1460b 33f. Z e u x i s : ebd. 1461'' 12ff. 348 1) G e s p r che, wie es die platonischen sind, usw.: c. l, 1447|J 9ff. „ H o m e r und E m p e d o k l e s " : ebd. 1447b 17f. A b s i c h t und Ausf hr u n g : vgl. Rhetorik I 13, 1374b 13f. (billig sei es, σκοπεΐν . . . . μη πρύς την πράξιν, αλλά προς την προαίρεσιν). Auch Eudemische Ethik l! M, 1228« l I f f . : έτι πάντας επαίνου μ ϊ ν και ψέγομεν εις τι] ν προαίρεσιν βλέποντες μάλλον ή εις τα έργα. Dagegen [der e i n e , g e d a n k e n s c h w e r e Satz der] P o e t i k : C. 25, 1460^ 16ff. ει μεν γαρ προείλετο μιμήσασααι \ορΟώς, άπττυχε 5—11 ίϊιό και φιλοσοορώτερον και σπουδαιότερον ποίησις ιστορίας εστίν κτέ. 351 1) Zu meiner auf T h e o d e k t e s bez glichen Vermutung vgl. [das Vorwort] meiner bersetzung der Poetik'[S. 14f. sowie] das Register dazu [unter „Theodektes"]. 2) Hier habe ich noch mehr als im Vorangehenden das Vorwort zu meiner bersetzung verwertet. [ A u s s o n d e r u n g der Poesie: c. 1. E i n t e i l u n g der D i c h t k u n s t : c. 2—3. Genetische B e t r a c h t u n g : c. 4. R a n g f o l g e . . . der . . . H a u p t g a t t u n g e n : c. 5. B e s t a n d t e i l e der Trag die: c. 6. Fabel: c. 7—14. C h a r a k t e r e : c. 15. E r k e n n u n g : c. 16. W i n k e und B e m e r k u n g e n : c. 17—18.] ber den „ s z e n i s c h e n A p p a r a t " und die „ G e s a n g s k o m p o s i t i o n " vgl. c. 6, 14501' 16ff., wo die letztere μέγιστον των ήδυσμάτιον. der erstere ψυχαγωγικόν μεν, άτεχνότατον δε και ήκιστα οίκεϊον της ποιητικής genannt wird. Desgleichen c. 26, 1462a 15f., wo es von der Musik im Drama hei t, da durch sie αί ήδοναι συνίστανται εναργέστατα. [ R e f l e x i o n : c. 19.] 352 1) [Die . . . s y n t a k t i s c h e n B e m e r k u n g e n : Rhet. III 5. Die S p r a c h k a p i t e l : Poetik c. 20—22. Epos: c. 23—24. P r o b l e m e und L s u n g e n : c. 25. V e r g l e i c h u n g der zwei . . . D i c h t u n g s a r t e n : c. 26.] 353 1) H o m e r : Poetik c. 24, 1460» 5ff. und Platon, Staat III 392d ff. Auf die sachliche Frage, wie der erz hlende Dichter, auch von den eingeflochtenen dramatischen Episoden abgeseher., ein „nachahmender Darsteller" sein k nne, m gen wir antworten, da das Kunstmittel der Rede, [insofern diese] eine Reihe aufeinander folgender Zeichen [darstellt, durchaus] dazu angetan ist, Handlungen, also in der Zeit fortschreitende Ph nomene, nachahmend darzustellen (vgl. Lessings Laokoon § 16). Dazu kommt als entscheidender Umstand, da die Artikulationen oder Bewegungen der Sprachwerkzeuge andere Be wegungen, n mlich die psychischen durch den Rhythmus, die materiellen durch diesen sowohl als [auch] durch sonstige bereinstimmungen uns zu vergegenw rtigen wohl geeignet sind. Dieser Auffassung hat sich, mehr als Lessing im Laokoon, Herder einigerma en gen hert (Kritische W lder I § 15). 2) Die Trag d i e b e s i t z t alles usw.: Poetik c. 26, 1462» 14ff. „ H a n d e l n d e " (πράττοντες) als Gegenstand der poetischen Darstellung berhaupt mit den daran gekn pften Unterscheidungen: c. 2 Anfang. Phi lodern (von Gadara in Syrien, epikureischer Schriftsteller, Zeitgenosse Ciceros): in einem beraus merkw rdigen Bruchst ck seines Werkes „ ber Gedichte",

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Zu Buch VI, Kap. 36, S. 354—360

Volum. Hercul. coll. alt. II fol. 154), behandelt vom Verf. in Zeitschr. f. sterr. Gymn. 1865, 719, ausf hrlicher jetzt in der Festschrift des Wiener Eranos f r die Philologen-Versammlung in Graz, September 1909.

Zu Buch VI, Kap. 36. 354 1) Au er den erhaltenen drei B chern „ ber die Rhetorik" (deren drittes wir mit Diels „ ber das dritte Buch der aristotelischen Rhetorik", Berliner Akad. Abh. 1886, f r echt halten, trotz Marx' Einsprache „Aristoteles1 Rhetorik", Berichte der S chsischen Gesellschaft d. Wiss. 1900) hat Aristoteles einen diesem Gegenstand gewidmeten Dialog „Gryllos" ver ffentlicht [vgi. II* 97], ferner aus dem Nachla seines Lieblingssch lers Theodektes ein, vielleicht auf seine eigenen Vorlesungen gegr ndetes Handbuch, endlich auch eine zusammenfassende bersicht ber die lteren Handb cher der Rhetorik,, τεχνών συναγωγή genannt; vgi. die wenigen, aber wertvollen Bruchst cke [Frg. 68f. und 125—141 Rose.] Die besten kommentierten Ausgaben der Rhetorik [sind] jene Leonhard Spengels, Leipzig, Teubner, 1867, 2 B nde [und diejenige Copes, herausgegeben von Sandys, Cambridge, University Press, 1877, 3 B nde.] Die 'Ρητορική προς Άλέξανδρον ist l ngst als unecht erkannt und in j ngster Zeit mit h chster Wahrscheinlichkeit dem Rhetor Anaximenes zugewiesen worden (vgi. Wendland, Hermes XXXIX, [419 und] 499, [erweiterter Neudruck unter dem Titel] „Anaximenes von Lampsakos", Berlin 1905). 2) „Meister der Worte" usw.: Ilias IX 443. Korax und Tisias: Cicero (Brutus § 46), der das Zeugnis des Aristoteles anruft (Frg. 137 Rose). Vgi. auch Christ-Schmid, Gesch. d. griech. Lit. I s 512 [= I« 544]. 355 1) G e o r g e G r o t e : Plato II 248—253. 2) [ R h e t o r i k und D i a l e k t i k : hierzu und zum Folgenden vgi. Rhet. l 1. 1354» 1—1355» 3.] 356 1) [ b e r z e u g u n g s m i t t e l und B e w e i s m i t t e l : I l, 1355» 3—6. Zum Folgenden vgi. 1355» 29—b 7.] Die M glichkeit des Mi brauchs aller G ter mit Ausnahme der Tugend ber hrt Aristoteles auch Pol. I 2, 1253» 31 ff. L a n g e R e i h e von S c h r i f t s t e l l e r n : vgi.Chrysipp bei Plutarch de repugnantiis Stoicorum 10 [p. 1037^·] = Moralia II 1268, 37 D bner [= Frg. Log. 129 Arnim und] Philodem de rhetorica, Volum. Hercu!. coll. alt. I l l col. 57 [und 63j (I 351 [und 355] Sudhaus), vom Verf. behandelt Zeitschr. f. sterr. Gymn. 1866 S. 698f., wo auch auf [einen einigerma en hnlichen] Gebrauch des Waffengleichnisses bei Horaz, Satiren I I l, 39 hingewiesen ward, gleichwie auf Sextus Empiricus adv. mathem. II 44ff. 357 1) [Das W a h r n e h m e n der . . . b e r z e u g u n g s m i t t e l : Rhet. l l r 1355b lOff.] 358 1) [Staats-, Gerichts-, P r u n k r e d e : l 3.] 2) [Der G e g e n s t a n d der B e r a t u n g : I 4.] 359 1) [ B e s t a n d t e i l e der Eud m o n i e : I 5.] 2) [ B e u r t e i l u n g des G u t e n und N t z l i c h e n : I 6.] 360 1) [Mehr oder M i n d e r : I 7.] 2) [ A b s c h w e i f u n g : l 8. Lob und T a d e l : I 9.]

Zu Buch VI, Kap. 36—37, 5. 361—373

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361 1) [Die Beweggr nde alles H a n d e l n s : l 10.] 2) [Das n a t u r g e m e und das g e w o h n h e i t s m ige H a n d e l n : hiezu sowie zum Folgenden vgl. I l l , 1369b 33—1371» 31.] 362 1) [Freude am L e r n e n und am S t a u n e n usw.: I 11, 1371« 31 —1372» 3.] 2) [Die S u b j e k t e . . . des U n r e c h t t u n s : I 12, 1372» 4—b 23.] 363 1) [Objekte des A n g r i f f s : I 12, 1372b 23—1373» 38.] 364 1) [ A b s c h n i t t e des S t r a f r e c h t s : vgl. zun chst I 13.] 365 1) [Die Gr e der S c h u l d : I 14. Die „ k u n s t l o s e n Beweism i t t e l " : l 15.] 2) [Die . . . den Gesetzen zu g e b e n d e A u s l e g u n g : l 15, 1375» 25 —b 15.] 366 1) [Das g e s c h r i e b e n e Gesetz: I 15, 1375b 16—25. V e r t r ge: ebd. 1376» 33—b 31.] Zu Buch VI, Kap. 37. 367 1) [Die B e m e r k u n g . . .: Rhet. Π l, 1377b 21—1378» 6.] 2) [Drei Eigenschaf ten: hiezu und zum Folgenden vgl. II l, 1378» 6—30.} 368 1) [Der Zorn: II 2—3.] 2) [Liebe und Ha . . .: II 4.] 369 1) [Die F u r c h t : II 5, 1382» 21—1383» 12.] 2) [Der Mut: 115, 1383» 12—^ 11. Die Scham: II 6. Die „ F r e u n d l i c h k e i t " : II 7.] 3) [Das M i t l e i d : II 8.] 370 1) [Wen wir b e m i t l e i d e n ] : II 8, 1386» 17ff. Der hier Amasis genannte g y p t i s c h e K nig hei t bei Herodot III 14 Psammenit. 2) [ U n t e r s c h e i d u n g e n von b e d e u t s a m e r A r t : II 9, 1386b 9—25.} 371 1) N i e t z s c h e : Menschliches, Allzumenschliches II 2, 29 [= Werke (1895) III 215. N a c h A r i s t o t e l e s : Rhet. II 9, 1387» 5—b 20.] 2) [Neid: II 10. Z e l o s : I I 11.] 372 1) D e s c a r t e s : Traite des passions, art. 58—59. Subtileren Bemerkungen ber den Unterschied [von] jalousie und omulalion begegnet man bei Labruyere, Les caracteres [eh. 11 Mitte.]. Die D o p p e l n a t u r der A f f e k t e : vgl. de anima I l, 403a 5ff. φαίνεται δε των πλείστων ούθέν άνευ σώματος πάσχειν ουδέ πυιεϊν [οίον όργίζεσΟαι ΰαρρεΐν έπιϋυμεΐν und] » 27 ff. και δια ταΰτα ήδη φυσικού το Όεωρήσαι περί ψυχής ή πάσης ή της τοιαύτης κτέ.; vgl. auch de memoria c. 2, 453* 26. [Die e r s t e n S t o i k e r : vgl. Zenons Frg. 209f. Arnim. D e s c a r t e s : art. 34ff.] 373 1) L u s t , U n l u s t und B e g e h r e n : de anima III 11, 434» 2ff. φαίνεται γαρ λύπη και ηδονή ένοϋσα' εΐ δε ταΰτα, και έπιουμίαν ανάγκη. Ferner Nik. Eth. H I 14, 1119a 4: μετά λύπης ... ή επιθυμία, oder Topik V13, 14Qb 27: πασά γαρ έπι-Ουμίαήδέος εστίν. Definiert werden die Affekte Rhet. II l, 1378» 20ff.: εστί 6έ τα πάθη, δι* δσα μεταβάλλοντες διαφέρουσι προς τας κρίσεις, οίς έπεται λύπη και ηδονή, οίον οργή κτέ. hnlich Nik. Eth. II 4, 1105b 21 ff.: λέγω δη πάθη μεν έπιϋυμίαν, όργήν . . . όλως οίς έπεται ηδονή ή λύπη. H tte Aristoteles an der

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Zu Euch VI, Kap. 37—38, S. 373—379

ersten Stelle nicht, man m chte sagen von seiner Natur als „Verstandesmensch" fortgerissen, die das Urteil tr bende Wirkung der Affekte an die erste Stelle gesetzt, so w re es ihm vielleicht gelungen, jener Begriffsbestimmung eine strengere, auch die lust- und unlustbetonten Sinnesempfindungen ausschlie ende Gestalt zu geben, etwa: Affekte sind u n t e r d e n mit Lust oder Unlust behafteten Seelenzust nden d i e j e n i g e n , die einen das Urteil tr benden Einflu ben. Er n hert sich solch einer Subordination, indem er wenigstens [jene] zwei Bestimmungen [δι* δσα . . . διαφέρουσι . . . und οΐς έπεται . . .] nicht durch das, die Koordination zu genauem Ausdruck bringende καί verbunden hat. [Descartes: art. 53 und 60.] 2) [Die J u g e n d : II 12.] 374 1) [Das] Alter: [II 13.] In der Charakteristik [desselben] vermi t man das gelegentlich auftretende Gegenst ck zu dem [von Aristoteles hervorgehobenen] Mangel an Selbstvertrauen und Zuversicht, die, man m chte sagen der Verkn cherung des Alters entstammende, eigensinnige Verbissenheit und Verstocktheit. 2) [Das m i t t l e r e A l t e r : II 14. Zu 49 Jahren]: 1390^ 11. Diese Stelle fehlt in W. H. Roschers Abhandlung: Die Hebdomadenlehren der griechischen Philosophen und rzte, Leipzig 1906. Aus seiner Darlegung geht brigens hervor, da Aristoteles der Siebenzahl eine recht gro e Bedeutung f r biologische Vorg nge beimi t, obgleich er Pol. VII 17, 1336^ 40ff. den N a t u r t a t s a c h e n den Vorrang vor solch einer allgemeinen Pr sumtion gewahrt wissen will — eine u erung, der R scher S. 97 Anm. 152 m. E. nicht v llig gerecht geworden ist. Selbst der von aprioristischen Vorurteilen so viel freiere Theophrast hat sich [aus] dem Banne der Siebenzahl nicht v llig befreit; vgl. de caus. plant. VI 4, 2 (ό 6έ αριθμός ό των επτά καιριώτατος καί φυσικώτατος) [sowie] auch VI 4, 1. 3) [Der M a n n von edler A b k u n f t : II 15. Die R e i c h e n : II 16. Der I n h a b e r p o l i t i s c h e r M a c h t : II 17.] Zu Buch VI, Kap. 38. 375 1) Mehrere der [in diesem Kapitel] ben tzten Stellen des II. und III. Buches der Rhetorik sind in meinen Beitr gen zur Kritik und Erkl rung griech. Schriftsteller V I I I [1905] S. 1—14 kritisch und exegetisch behandelt worden. [Vgl. auch Platon. Aufs tze IV S. 14ff.] 2) [Das Beispiel: II 20. Die Sentenz: II 21.] 376 1) [Enthymeme: II 22. Die Beweisarten: II 23.] 377 l)[Trugenthymeme]: 1124. A g a t h o n s Doppelvers (1042« 10f.), andeutend erw hnt auch Poetik c. 18, 1456a 24f. [und c. 25.] 1461 * 15 [= Agathon Frg. 9] Nauck 2 p. 765. 378 1) [„L sungen und Widerlegungen": II 25. „Vergr ern und Verkleinern": II 26.] 379 1) Die V o r t r a g s k u n s t und der s z e n i s c h e A p p a r a t : jene wird Rhet. III l, 1404» 16 άτεχνότερον genannt, dieser, wie schon erw hnt, Poetik c. 6,

Zu Buch VI, Kap. 38, S. 379—383

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1450b 17 άτεχνότατον. [„Diktion": Rhet. III 1. D e u t l i c h k e i t und . . . A n g e m e s s e n h e i t : 111 2. Das Frostige: I I I 3.] Ein Wort des R e d n e r s A l k i d a m a s : 1406b I2f. 2) [ I n t e r p u n k t i o n und Syntax: 111 5. Das Gewicht der Rede: I I I 6.] 380 1) [Die A n g e m e s s e n h e i t des Tones: III 7. Der R h y t h m u s : HI S.] 2) [Die . . . in P e r i o d e n g e g l i e d e r t e Rede: 111 9.] 381 1) [Die „ a r t i g e n und g e f e i e r t e n Worte": III 10—11.] Ein Vers der Odyssee: Od. XIV 214. H u r t i g mit D o n n e r g e p o l t e r usw.: Od. XI 598. Das H e r a u s f i n d e n v e r s t e c k t e r h n l i c h k e i t e n : Rhet. III 11, 1412» 9ff. Οεΐ δε μεταφέρειν . . . απ' οίκείων και μη φανερών οίον και εν φιλοσοφία το δμοιον και εν πολύ διέχουσι ϋεωρεϊν εύστοχου. hnlich Poetik c. 22, 1459 a 6ff. μόνον γαρ τοϋτο οΰτε παρ' άλλου εστί λαβείν ευφυΐας τε ση μείον εστίν το γαρ ευ μεταφέρειν το το δμοιον ϋεωρεΐν εστίν. F r a n k l i n s Identifikation der Elektrizit t im Gewitter und in einer Elektrisiermaschine, N e w t o n s gro e Geistestat, das sind zutreffende Exemplifikationen des Erkennens des hnlichen εν πολύ διεχουσι. Mit Recht sagt Alexander Bain, The senses and the intellect 3 490: The operation of Similarity . . . sets forth the workings of genius. Von Franklins Leistung bemerkt derselbe p. 521: N ext to the discovery of gravitation, this is perhaps the most remarkable fetch of remote identification in the history of science. In diesem Zusammenhang behandelt Bain alsbald p. 531 ff. den Vergleich bei Dichtern und Rednern, zumal bei Shakespeare, von dem er bemerkt: He had perhaps the greatest intellectual reach of Similarity . . . that the mind of man ever attained to (p. 533). 2) [Die v e r s c h i e d e n e n G a t t u n g e n s p r a c h l i c h e r D a r s t e l l u n g ] : Rhet. I l l 12. — [Bacons W o r t : Essay 50 (Of studies).] Die Anspielung auf die Kom die des A n a x a n d r i d e s , 1413b 25ff., w re uns kaum verst ndlich ohne die erg nzende Mitteilung des Athen os, XIV 614c. Der Vers lautet: το δ' ασύμβολον εΰρε γελοία λέγειν ΤαδάμανΟυς καΐ Παλαμήδης = Com. Att. Fragm. II 139 Kock. ber Palamedes als Erfinder vgl. schylos Fragm. 180 und 182, Sophokles Fragm. 438 und Euripides Fragm. 578 Nauck 2 . — Vergleich der V o l k s r e d e mit einer D e k o r a t i o n s m a l e r e i : 1414Λ 7ff. ή μεν ούν δημηγορική λεξις και παντελώς εοικε TQ σκιαγραφία [κτέ. Vgl. Cope-Sandys' Kommentar sowie] meine Bemerkung Beitr ge V I I I 7. Ich f ge eine Parallele aus neuester Zeit hinzu. In einer Reichstagsrede [des Grafen Posadowsky] lesen wir: „Man mu heutzutage, wenn man von der Masse gew hlt werden will, mit gro en Effekten arbeiten, etwa wie die sezessionistischen Maler auf weit entfernte Menschen wirken wollen" (Neue Freie Presse, 8. 2. 1906 S. 5). 382 1) [Die H a u p t t e i l e der Rede: Rhet. III 13.] 383 1) Pro m i u m : III 14. 2) [Die Verd c h t i g u n g und d e r e n A b w e h r : III 15.] Vers des euripideischen „ H i p p o l y t " (612): ή γλώσσ' όμώμοχ', ή δε φρήν άνώμοτος. [Pope: in der Epistel an Dr. Arbuthnot.] G o rapen. Griechische Denker.

III. 4. Aufl.

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Zu Buch VI, Kap. 38, S. 384—388

384 1) [Die den erz h l e n d e n Teil . . . b e t r e f f e n d e n B e m e r k u n gen: Rhet. III 16. A b s c h n i t t ber die ... Beweisf h r u n g : I I I 17.] Die Behandlung . . . der Frage: III 18, 1418*> 39—1419» 19. 2) [Erwiderung auf ... Fragen: III18, 1419» 19—b 2. D e r G e b r a u c h des L c h e r l i c h e n : ebd. 1419»> 2—9.] Das Wort des Gorgias: [FVS. 76 B 12.] 385 I) [Der Epilog: Rhet. III 19.] „ I c h h a b e gesprochen, ihr h a b t mich geh rt" usw.: εΐρηκα, άκηκόατε, έχετε, κρίνατε. Da hier wohl-berechnende Absicht waltet, hat auch Spengel am Schlu seines Kommentars anerkannt: „Incerti oratoris verba, acute ab Aristotele sic fine operis posita ut et de sua arte rhetorica cum caeteris comparanda valerent." Nur h tte Spengei an die beabsichtigte Wirkung im H rsaal und [wie Cope-Sandys auch] an die Parallele mit dem Schlu des logishen Lehrkurses erinnern k nnen (de sophist, clench, c. 33, 184& 3ff.). Jene Absicht ist um so unverkennbarer, da schon vorher, und zwar kurz vorher, vom Asyndeton und seiner Anwendung die Rede war, Rhet. I I I 12, 1413b 19ff. Wie nahe lag es da, der Verwendung dieser Redefigur auch im Epilog zu gedenken, wenn der Autor diese Bemerkung nicht eben um des sie beleuchtenden Beispiels willen dem Schlu des Werkes selbst vorbehalten wollte. Mag unser jetziges III. Buch einmal ein selbst ndiges Dasein gef hrt haben, dieser Appell an die H rer kann nur einem gr eren Ganzen gelten, wie es die „Rhetorik" in ihrer Gesamtheit ausmacht, genau so wie das von der eben angef hrten Parallele gilt. Man vgl. Diels, der jene urspr ngliche Selbst ndigkeit des Buches περί λέξεως verficht, ber das dritte Buch der aristot. Rhetorik S. 17 Anm. 5: „Nichtsdestoweniger hat Aristoteles gewi die verschiedenen Teile rhetorischer Disziplin zu einer idealen Einheit zusammengefa t, wie er Politik und Ethik, die Schriften De anima und Parva naturalia, den Complex der physikalischen" (und desgleichen [f gen wir hinzu] der logischen und biologischen) „Schriften zu gr eren Pragmatien zusammengefa t hat." 386 1) Wir haben ja . . . . die Klage v e r n o m m e n : Rhet. III l, 1404* 2 ff. ουκ ορθώς έχοντος, αλλ' ως αναγκαίου την έπιμέλειαν ποιητέον κτε. 387 1) Man „ g e b r a u c h e " diesen K u n s t g r i f f , man „w hle" j e n e n A d v o k a t e n k n i f f : Rhet. I 9, 1367» 32ff. λ η π τ έ ο ν δε και τα σύνεγγυς τοις ΰπάρχουσιν ως ταύτα όντα κτέ. oder 1367b 24f. διό και τα συμπτώματα και τα από τύχης ως εν προαιρέσει λ η π τ έ ο ν oder II 23, 1399b 13 ληπτέον δ* όπότερον αν fj χρήσιμον und vieles hnliche. Wer etwa angesichts solcher Stellen bonu fide behaupten wollte, es sei Aristoteles nur darum zu tun gewesen, vor derartigen Truganweisungen zu w a r n e n , der m te die Kunst der Selbstt uschung bis zu einem erstaunlichen Grade in sich entwickelt haben. — „Das sind die z u g l e i c h g e s c h i c k t e s t e n und u n g e r e c h t e s t e n P r a k t i k e n " : Rhet. III 15, 1416b 6f. τοιούτοι δε οί τεχνικώτατοι καΐ άδικώτατοι. 388 1) Diesen Satz haben wir zum [gr ten] Teil [dem Schlu abschnitt] unseres Vertrags ber „Aristoteles und seine neuentdeckte Schrift vom Staatswesen der Athener" entlehnt (Essays und Erinnerungen S. 175).

Zu Buch VI, Kap. 39, S. 388—389

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Zu Buch VI, Kap. 39. 2) Theophrasts Werke hat nach J. G. Schneider (5 B nde, Leipzig 181»—1821) Fr. Wimmer (3 B nde, Leipzig, Teubner, 1854—1862) herausgegeben. F r eine Erneuerung der Fragmentsammlung (Wimmers Band III) hatte H. Usener weitreichende Vorbereitungen getroffen. berTheophrast handelt Laertius Diogenes V c. 2. Das Geburts- und [das] Todesjahr sind genauer pr zisiert durch die Untersuchung Beiochs, Griechische Geschichte 111 2, 469 [= * IV 2, 559.] Danach f llt sein Tod 288/7 oder 287/6, die Geburt 372/1 oder 371/0 v. Chr. G. — Da er Aristoteles nach Mazedonien gefolgt ist, erhellt mit Wahrscheinlichkeit aus dem Besitz eines Grundst cks in Stageira (vgl.sein Testament bei Laert. Diog. V 52) und aus seiner Freundschaft mit Kallisthenes (Cicero Tusc. III 21). — „Einen M a n n der Schule": Laert. Diog. V37 σχολαστικόν(αυτόν) ώνόμακε.— D e m e t r i o s von P h a l e r o n : ber diesen handelt Laert. Diog. V c. 5. Man vergleiche vor allem Beloch, Gr. Gesch. III l, 151 ff. [= 2 IV l, 147ff.], ferner den Artikel [Martinis] bei Pauly-Wissowa s. v. Einige kritische Bemerkungen [zu letzterem] m gen hier Platz finden. Das unter [Demetrios'] Werken angef hrte υπέρ της πολιτείας α' war sicherlich nicht „eine Empfehlung der aristotelischen Politeia κατ' εξοχήν". Es gilt mir als identisch mit dem [bei Laert. Diog. V 81] unmittelbar daneben stehenden περί της δεκαετίας α', n mlich, worauf ΐ»πέρ hinweist, als eine Verteidigung seiner 10j hrigen Regentschaft. Die Zweifel, die [Martini] gegen des Demetrios T tigkeit als „Historiker des Orients" u ert, entbehren, denke ich, der Begr ndung. Warum sollen wir sogleich einen „Irrtum des gelehrten Kirchenvaters" Tertullian [Apol. 19, 6] voraussetzen? Hat doch Demetrios viele Jahre in gypten geweilt; war doch das Interesse seiner Zeit- und Schulgenossen, eines Theophrast und Eudem, sehr intensiv auf Religions- und Kulturgeschichte auch fremder V lker gerichtet. Sogleich darauf wird auch eine Angabe des Josephus contra Apionem I 218 (= VI 223, 13 Naber), worin unser Demetrios als ein Gew hrsmann ber j dische Dinge genannt wird, als „Verwechslung" bezeichnet. Da erinnere ich denn auch daran, da Demetrios nach dem Zeugnis des Lae'rtius Diogenes einer der allerfruchtbarsten Schriftsteller seiner Zeit war. [Dieser nennt (V 80) unter seinen] Schriften in erster Reihe „historische", deren Aufz hlung eine offenbar sehr unvollst ndige ist. 389 1) Hagnonides: Freund und Verteidiger des Demosthenes in der harpalischen Sache, nach dem Ende des lamischen Kriegs von Antipater in den Peloponnes verwiesen (Grote X I I 437f.), sp ter nach Athen zur ckgekehrt und Ankl ger des Phokion, war er bei seiner Klage [gegen] Theophrast [Laert. Diog. V 37] sicherlich gleichfalls von politischen Beweggr nden geleitet. — Gesetz des S o p h o k l e s : Laert. Diog. V 38, Athen os X I I I 610«/i und Oratores Attici II 341, wo jedoch [auch das bei] Athen os XI 509*> [ ber Ch ron von Pellene Gesagte] dem Bruchst ck [1] der Rede des Demochares [gegen Philon] beizuf gen ist. Meine Auffassung der Wirkung des Gesetzes stimmt mit derjenigen Grotes (XII 512) berein. Die bertreibung des Athen os [610e] (Σοφοκλής . . . έ ξ η λα σε παντός φιλοσόφους) widerstreitet dem Wortlaut des Gesetzes. Das Verlassen Athens war ein „spirited protest against authori32*

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Zu. Buch VI, Kap. 39, S. 391—392

tative restriction on the liberty of philosophy and teaching" (Grote). Anders freilich noch in j ngster Zeit Beloch (Gr. Gesch. IV l, 432) [== MV l, 423]: „Theophrastos sah sich denn auch gezwungen, die Stadt zu verlassen." Nicht Theophrast allein, sondern er και πάντες l λοιποί φιλόσοφοι verlie en die Stadt (Laert. Diog. V 38), und von einem Zwang kann keine Rede sein. Da ich eben dabei bin, die treffliche Darstellung Belochs zu kritisieren, so sei auch noch einmal (vgl. II *556) [Anm. l zu S. 215] gegen die jetzt weitverbreitete und [von Beloch] III l, 433 [= 2 IV l, 423f.] wiederholte Annahme Verwahrung eingelegt, da die peripatetische Schule durch Theophrast eine „juristische Pers nlichkeit" geworden sei. Man vgl., was ich Platonische Aufs tze II 9f. dagegen vorgebracht habe. Auch f r die mit [jener Annahme] eng zusammenh ngende Meinung, die Philosophenschulen seien Kultvereine (θίασοι), „zum Kultus der Musen organisiert", gewesen, kann ich keinerlei Anhaltspunkte entdecken. Musenopfer und Musenfeste waren den Philosophenschulen mit den Kinderschulen gemein (vgl. Theophrast, Charaktere X X I I ) ; sie spielen in all diesen Schulen dieselbe Rolle wie der Hermeskult in den Gymnasien (vgl. Platons Lysis) [206d und 223i>]. Gegen jene Identifikation spricht entscheidend der Umstand, da die Kultgemeinschaften „etaient considlrees comme des personnes civiles, pouvant posslder, vendre, acheter en leur propre nom" ((P. Foucart, Des associations religieuses chez les Grecs p. 48), w hrend in den Philosophen-Testamenten jenes Zeitalters nur von pers n l i c h e r Vererbung [der Lehranstalt] mit der [f r die Erben] daran gekn pften m o r a l i s c h e n Verpflichtung die Rede ist, die „MitPhilosophierenden" an der Nutznie ung [der Anstalt] teilnehmen zu lassen. Vgl. meinen oben angef hrten Aufsatz S. 3. Auch Wendungen wie καταλ ε ί π ω δε την μεν διατριβήν Λΰκωνι (in Stratons Testament, Laert. Diog. V 62) sprechen f r alles andere eher als f r den Bestand eines Philosophenvereins [mit] juristischer Pers nlichkeit. Das haben auch Rechtsgelehrte, die sich mit dem Gegenstand besch ftigt haben, wie Bruns und Dareste, klar erkannt und unzweideutig ausgesprochen (vgl. [Plat. Aufs tze] II 10). 391 1) [ „ M e i n u n g e n der Physiker":] ber Theophrasts Schriftstellerei im allgemeinen vgl. Useners gediegene Arbeit „Analecta Theophrastea" Leipzig 1850 [= Kl. Schriften I 50ff.]. [Von den] berresten der Φυσικών δόξαι handelt er ebd. p. 25ff. [= I 71 ff.] Aufs gr ndlichste und eingehendste wurden diese von Diels in seinen Doxographi [vgl. I 4 433f.] verwertet. [Kritische Ausgabe ebd. p. 475ff.] Das Verh ltnis der hierhergeh rigen Monographien [Theophrasts] zu [jenem] Hauptwerk er rtert ohne sicheres Ergebnis Brandis, Handbuch d. Gesch. d. griech.-r m. Philosophie III l, 291 f. Nebenbei bemerkt hat Brandis ebd. die Lehren Theophrasts ungemein sorgf ltig besprochen. [„ ber die S i n n e s w a h r n e h m u n g " : Frg. l Wimmer = Dox. Gr. p. 499ff. Diels.] 392 1) „ J e d e r von b e i d e n g e l a n g t zu E r g e b n i s s e n " usw. (ώστε δόξειεν αν έκάτερος έναντίως τη υποθέσει λέγειν): in περί αίσθησεως bei Diels, Doxographi p. 516, 21 [= FVS. 55 A 135, § 60f.] 2) Gegen P l a t o n s „ u n w a h r e L ste": vgl. [Theophrasts] Bruchst ck 85

Zu Buch VI, Kap. 39, S. 392

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bei Wimmer III184. Diese Polemik mu wohl den Inhalt der Monographie περί ψεύδους ηδονής (bei Usener p. 8) [= Kl. Schriften I 56, 10] gebildet haben. 3) Aristotelische Gedanken, ja ... S tze und Wendungen . . .: so in der Einleitung von de causis plantarum I l ή γαρ φύσις ουδέν ποιεί μάτην, verglichen mit Aristoteles de coelo I 4 Ende oder 11 11, 291b 13f. Desgleichen im metaphysischen Bruchst ck p. 308 Brandis = [Frg. X I I § 2 Wimmer =] p. IV » 13 Usener (Bonner Winterprogramm 1890/91): εύλογώτερον δ' οΰν είναί τίνα συναφήν και μη έπεισοδιωδες το παν, verglichen mit Metaphysik XIV 3, 1090b 19f. oder XII 10, 1076* 1. Wer, der nicht mit Aristoteles eng vertraut ist, k nnte eine Anspielung verstehen, wie sie sogleich dort [§ 5] p. Va 2 Usener begegnet in den Worten: τοιαύτη δ' ή του όρεκτοΰ φύσις. Das zielt auf den ersten Beweger, nach Metaphysik XII 7, 1072* 26f.: το όρεκτόν και το νοητόν κινεί ου κινούμενα, und ebd. 1072& 3: κινεί δε ως έρώμενον. — [Einw rfe gegen die] L e h r e vom N s: [vgl. Anm. l zu S. 164]. In Frg. 53 W. = Simplicius Physik p. 964, 30ff. Diels [ist kein] Zweifel an der vom K rper g nzlich unabh ngigen T tigkeit des Geistes ausgesprochen. Theophrast unterscheidet dort die Affekte und Begierden als k rperliche Bewegungen von den κρίσεις και θεωρίαι, die man nicht auf etwas anderes zur ckf hren kann, deren Anfang, Verlauf und Ende vielmehr ganz und gar seelisch sind. Hieran schlie en sich die Worte: ει δε δη και ό νους κρεϊττόν τι μέρος και θειότερον, ά τε δη έξωθεν έπεισιών και παντέλειος. Das adversative δε ist hier so wenig am Platze, da man es entweder tilgen oder mit Diels durch γε ersetzen mu . Das έξωθεν hingegen wird pr zisiert durch das Fragment bei Themistios de anima p. 107, 35 ff. Heinzc: αλλά το έξωθεν αρά ούχ ως έπίθετον, αλλ' ως εν τη πρώτη γενέσει συ μ π α ρ α λ α μ β α ν ό μ ε ν ο ν θετέον κτέ. berliefert ist hier συμπεριλάμβαναν, woraus Brandis [Handbuch I I I 1] 289 συμπεριλαμβανόμενον gemacht hat. Ich halte nur συμπαραλαμβανόμενον f r sinngem . Die Empf ngnis hei t σύλληψις; da es sich hier aber um die Mit bernahme handelt, so ist das Kompositum wohl an seinem Platze. Aristoteles lie den N s, man wei nicht recht, bei welchem Anla , in den Embryo eingehen; Theophrast h lt es f r glaubhafter, da auch dieses Element mit der v terlichen γονή aufgenommen wird. Bei Themistios hei t es p. 108, 17f.: και προϊών φησι τάς μεν αίσθήσεις ουκ άνευ σώματος, τον δε νουν χωριστόν. An der Selbst ndigkeit des N s hat also Theophrast nicht gezweifelt; wohl aber str ubt er sich dagegen, ihn als eine u ere Z u t a t anzusehen; an die Stelle [dieser] mechanischen Vorstellung wollte er eine organische setzen, wie denn auch [kurz vorher (p. 107, 32)] der Ausdruck συμφυής begegnet. Hauptquelle f r Theophrasts Psychologie [ist neben dem] gro en Fragment περί αίσθήσεως [vgl. Anm. l zu S. 391] Priscians Μετάφρασις των Θεοφράστου περί αίσθήσεως και φαντασίας, III 232ff. und 261 ff. Wimmer [neu herausgegeben von Bywater im Supplementum Aristotelicum I 2, p. l—37.] — Schwierigkeiten in betreff der W e l t b e w e g u n g : vgl. das metaphysische Bruchst ck [§ 7—11] p. V» 14ff. Usener. — Bedenken gegen die i d e o l o g i s c h e G r u n d l e h r e : ebd. [§ 28—32] p. Xf. Vgl. zur Stelle auch Usener im Rhein. Mus. XVI 278ff. [= Kl. Schriften I 108ff.]. brigens war Usener, da er als 26j hriger diesen Aufsatz schrieb, mit peripatetischem Sprachgebrauch noch

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Zu Buch VI, Kap. 39, S. 394

nicht so genau vertraut wie sp ter. Sonst h tte er die Worte εν ΰλης εϊδει nicht mit „gleichsam Gattungen der Materie" bersetzt (S. 280 Z. 4), da diese Wortverbindung bei Aristoteles nichts anderes als „stofflich" oder „materiell" bedeutet. Vgl. Metaphysik I 3, 983>> 6ff. (die Mehrzahl der fr hesten Philosophen habe nur nach den stofflichen Ursachen geforscht): τάς εν ΰλης εΐδει μάνας φή·ί)ησαν αρχάς είναι πάντων. 394 1) ber Theophrasts Neuerungen in der Logik vgl. Prantl, Geschichte der Logik l 1 347—400. Prantl z hlt 24 logische Schriften auf, darunter freilich einige, die „wohl ebensowohl logischen als rhetorischen Inhalts" waren (S. 350 Anm. 6). Da sind wohl einige Abz ge vonn ten. Die Schrift περί προθέσεως και διηγήματος war gewi l e d i g l i c h rhetorischen Inhalts; vgl. Aristoteles Rhet. III 13, 1414b 7—9 und III 16, 1416^ 16ff. Der m o d e r n e Spezialke n n er, dessen Urteil ich anf hre, ist H. Maier, Die Syllogistik des Aristoteles II l, 213. [Ebd. S. 206—217 Theophrasts Lehre von den M glichkeitsschl ssen sowie von der „M glichkeitsumkehrung".] 2) [B c h l e i n ber das Feuer: Frg. 3 W., besonders herausgegeben von Gercke (Osterprogramm der Univ. Greifswald 1896). Vgl. insbes. § l—9. Der Stagirit selbst:] de gen. an. III Π, 761*> 18ff. 3) Die . . . Lehre von der Ewigkeit . . . der W e l t : [unsere] Quelle [bilden die Kapitel 23—27 = § 117—149 von] Philons Schrift περί αφθαρσίας κόσμου [abgedruckt bei] Diels, Doxogr. p. 486ff., [c. 23—24 auch] bei Wimmer III 168ff. Da sich diese Beweisreihe gegen Zenon richtet, hat Zeller, Hermes XI 422ff., mit geringerer Zuversicht XV 137ff. behauptet. Die Ausf hrung scheint uns in berarbeiteter Gestalt vorzuliegen, haupts chlich weil die gezierte und gek nstelte Ausdrucksweise von der sonstigen Schlichtheit Theophrasts erheblich abweicht (vgl. Diels, Doxogr. Prolegomena p. 106ff.). Diese Echtheitsfrage hat v. Arnim wiederholt [zuerst Philol. Untersuchungen XI 41 ff.], zuletzt in den Jahrb chern f. klass. Philologie 1893 S. 449ff. behandelt. Ich vermag ihm nicht durchaus beizupflichten. Er premiert in einer Weise, die mir unzul ssig scheint, einzelne Ausdr cke wie απάτη und άπατηθηναι. Der „im ersten Argument vorliegende Gedanke, da der Fortbestand der Erde, trotz sichtbarer unaufh rlicher Arbeit sie zerst render Kr fte, nicht erkl rlich sein w rde, wenn sie von Ewigkeit her bestanden h tte" (S. 451) — das ist m. E. ein ganz naheliegender und nichts weniger als „gek nstelter Gedanke". Nehmen wir das Wirken einer Kraft wahr, der keinerlei Gegenkraft widerstrebt und die trotzdem ihr Ziel noch nicht erreicht hat, so dr ngt sich jedem Physiker oder Philosophen zuallererst der Schlu auf: die Wirksamkeit dieser Kraft mu einen zeitlichen Anfang gehabt haben; denn wirkte sie von Ewigkeit her, so h tte sie l ngst ihr Ziel erreicht. — Noch auf eins ist der Leser aufmerksam zu machen. Die [von Theophrast bek mpften] Gegner der Anfangslosigkeit und Unzerst rbarkeit der Welt sind keineswegs Vertreter einer Weltsch pfungs-Theorie. Was sie anfechten, ist nicht der ewige Bestand des Welt-Materials, sondern [jener] seiner gegenw rtigen Form. [Was sie beweisen wollen, ist] die periodisch erfolgende V e r f e u e r u n g [des All], die heraklitische, von den Stoikern bernommene έκπυρωσις.

Zu Buch VI, Kap. 39—40, 5. 395~397

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395 1) [Theophrasts Widerlegung der gegnerischen Beweisgr nde: Philo de aetern. mundi c. 25—27 = § 132—149.] 2) [ S p e z i a l U n t e r s u c h u n g e n : die folgenden Titel nach dem Schriftenverzeichnis bei Laert. Diog. V 42—50, her. v. Usener, KL Schriften I 52 ff.]· Die Namen der ganz oder teilweise erhaltenen St cke [Frg. II—XI Wimmer] haben wir durch den Druck hervorgehoben. ber das Meer: das wahrscheinlich einzige Fragment (XXXIX Wimmer) bezieht sich auf die Entstehung des Meeres. Vgl. Hugo Berger, Geschichte der wissenschaftlichen Erdkunde der Griechen 2 383. Zu Buch VI, Kap. 40. 396 1) Theophrasts zwei botanische Werke, περί φυτών Ιστορία und περί φυτών αΐτίαι, nehmen die ersten zwei B nde der Wimmerschen Ausgabe ein. Da das beschreibende oder systematische Werk dem erkl renden oder physiologischen vorangegangen ist — dieses naturgem e Verh ltnis wird von Theophrast selbst ausdr cklich bezeugt im ersten Satze des zweiten Werkes mit den Worten: εν ταΐς ίστορίαις εϊρηται πρότερον. Ein dringendes Desiderat w re eine neue Bearbeitung [beider] Werke mit Kommentar und deutscher bersetzung. Eine bersetzung mit Erl uterungen hatte [einst, Altona] 1822, von der historia plantarum Curt Sprengel ver ffentlicht; de causis plantarum ist unseres Wissens niemals [in eine lebende Sprache] bersetzt worden. ber den (weitaus berwiegend physiologischen) Inhalt des verlorenen echten Pflanzenwerks des Aristoteles (περί φυτών αβ) orientieren uns einigerma en die Vor- und R ckverweisungen des Stagiriten selbst, gesammelt von Bonitz im Index Aristotelicus 104b 38ff. Besprochen wurden diese Stellen von Ernst Meyer, Geschichte der Botanik I 88ff., desgleichen von Zeller II 2s 509ff. [Vgl. zum Folgenden insbesondere de iuv. 2, 468a 29ff. und de part, an. II 10, 655*> 32ff. (Fehlen strengerer Einheit), dann Phys. II 8, 199b 9f. (και εν τοις cpirro ; ένεστι το ένεκα του, ήττον δε διήρϋρωται) und de gen. an. l l, 715b 25ff. (Urzeugung).] 397 1) Von der A b f a s s u n g s z e i t der zwei botanischen Werke hat Oskar Kirchner in seinem wertvollen Aufsatz: „Die botanischen Schriften des Theophrast" (Jahrb. f. klass. Philologie, Suppl.-Bd. V I I 451—539) in gr ndlicher Weise gehandelt. Er verweist S. 475 auf hist. pl. V 8, l und IV 3, 2. Demetrios, der [nach der ersten dieser Stellen] auf Kypros Schiffe bauen lie , war allerdings nicht „Demetrius von Phalerus" (sie), sondern Demetrios Poliorketes. Allein trotz dieses Versehens bleibt die chronologische Folgerung aufrecht. Nach der Schlacht bei dem kyprischen Salamis ward die Insel von Demetrios in Besitz genommen. Jene Schlacht fand im Jahre 306 statt. Desgleichen f llt der an der zweiten Stelle erw hnte Zug des Ophelias nach Karthago in den Herbst 309 (vgl. Beloch Gr. Gesch. I I I l, 200) [= « IV l, 193f.] — De causis pl. m e h r d u r c h die S t e l l u n g als d u r c h die L sung der P r o b l e m e b e m e r k e n s w e r t : [vgl.] Ernst Meyer I 167 „Es sei mir daher erlaubt . . . . mich vorzugsweise an die erkl rten E r s c h e i n u n g e n z« halten und deren Erkl rungen zu bergehen." — Vorl u f e r : auch dar ber

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Zu Buch VI, Kap. 40, S. 398—599

vgl. die Zusammenstellung von Kirchner S. 499ff. Auch ganz eigentliche B o t a n i k e r : daf r spricht entscheidend hist. pi. I 8, 3 ( ber Anordnung der Knospen), wo die Worte δι' δ καί τ ά ξ ι ο ζ ω τ α ταΰτα κάλου σ ι ν doch nur auf beschreibende und zugleich generalisierende Pflanzenkenner zielen k nnen. Da ein solcher auch M e n e s t o r war, scheint mir aus hist. pi. I 2, 3 [= FVS. 22, 2] δ δη καλοΰσί τίνες απλώς εν απασιν όπόν, ώσπερ και Μενέστωρ zu erhellen, w hrend die [ brigen], von Kirchner S. 505—507 angef hrten Stellen [= FVS. 22, 3—7] insgesamt zu dieser Annahme stimmen. Kirchner widerspricht sich selbst, indem er S. 507 schreibt: „Nehmen wir an, da er ein Ackerbauschriftsteller war, so wird man aus den Zitaten Theophrasts folgern d rfen, da er sich mehr mit dem Leben und der Beschaffenheit der Pflanzen im allgemeinen besch ftigt habe." Vgl. jetzt auch Capelle, Philologus 69,277 ff. [und Diels, der zu FVS. 22 Menestor geradezu den „Vater der Botanik" nennt.] Somit geht in der Leugnung eigentlich wissenschaftlicher Vorg nger Theophrasts sicherlich allzuweit Ferd. Cohn, Die Pflanze I 2 4f. Ein von Kirchner nicht genannter Vorl ufer Theophrasts war sicherlich der ber hmte Arzt Diokles von Karystos (erstes Drittel des 4. Jahrhunderts). Freilich [lesen wir seinen Namen bei] Theophrast nur einmal, und zwar in dem Bruchst ck der Schrift „ ber die Steine" [Frg. II § 28 =] ( I I I 40 Wimmer). Allein ben tzt hat er ihn reichlich, wie Wellmann in dem Aufsatz „Das lteste Kr uterbuch der Griechen" (Festgabe f r Franz Susemihl) eingehend dartut. L e i s t u n g e n des w i s s e n s c h a f t l i c h e n Stabes A l e x a n d e r s : hier ber vgl. Hugo Bretzls ausgezeichnetes, auf ungew hnliche Verbindung botanischen und historisch-philologischen Wissens gegr ndetes Buch „Botanische Forschungen des Alexanderzuges" ( X I I und 412 S., Leipzig 1903). (Hauptstellen: Strabo II [l, 6, p.] 69; XV [1,2, p.] 685; [l, 18, p.] 692; [l, 21, p.] 694.) [Das] Folgende [nach] Bretzl S. 158ff. [und] 115. [ A n d r o s t h e n e s von Thasos: Theophrast, hist. pi. IV 7, 7f., vgl. de causis pl. II 5, 5 und Strabo XVI 3, 4, p. 766.] 398 1) [Das Folgende nach Bretzl] S. 192f. [und] 88. 2) [ „ W i s s e n s c h a f t l i c h e E r s c h l i e u n g T h e o p h r a s t s " : Bretzl S.318.J T h e o p h r a s t [ ber] K l a s s i f i k a t i o n : vgl. hist. pl. I 3. Die Hauptstelle ebd. I 3, 5: δια δη ταΰτα ώσπερ λέγομεν ουκ άκριβολογητέον δρφ, αλλά τφ TUnq> ληπτέον τους αφορισμούς. Auch vorher I 3, 2: Οεϊ δε τους ορούς οΰτως άποδέχεσθαι και λαμβάνειν ως τύπιρ και επί το παν λεγόμενους. — Wie sehr klim a t i s c h e E i n f l sse die O r g a n i s m e n ver n d e r n usw. samt den Beispielen: ebd. I 3, 5f. Zu dem Beispiel der M a l v e n a r t , die zu e i n e r b a u m a r t i g e n P f l a n z e w i r d (οίον μαλάχη τε εις ΰψος αναγόμενη και άποδενδρουμενη, Ι 3, 2) vgl. F. Cohn, Die Pflanze I 2 403f.: „Der Familienkreis der Malven, bei uns durch bescheidene Unkr uter vertreten, erscheint schon am Mittelmeer in stattlichen Geb schen, . . . in der hei en Zone entwickelt er sich zu Riesenb umen . . .". 399 1) Die Stelle ber die S i n n e s w a h r n e h m u n g : de causis pl. 114, 8 αλλ εν τοις καθ έκαστα το ακριβές μάλλον α ι σ θ η τ ι κ ή ς δεΐται σ υ ν έ σ ε ω ς , λόγφ δ' ουκ εΰμαρές άφορίσαι.

Zu Buch VI, Kap. 40, S. 400—403

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400 1) Man soll hnlichkeiten . . . nicht erzwingen wollen: hist. pl. I l, 4 όσα γαρ μη οίον τε άφομοιοϋν, περίεργον το γλίχεσ&αι πάντως, ίνα μη και την οίκείαν άποβάλλωμεν ·θεο>ρίαν. — V e r g l e i c h . . . der W u r z e l mit dem V e r d a u u n g s t r a k t : de causis pl. VI 11, 5. 2) K u r t S p r e n g e l : angef hrt von Ernst Meyer I 165. B e s c h r e i b u n g des B a n a n e n b l a t t e s : Bretzl S. 196 [unter Kontaminierung verschiedener Einzelbemerkungen aus hist. pl. IV 4, 4—5. Besser w re hier vielleicht „die meisterhafte Schilderung" des Banyanbaumes (ebd. IV 4, 4) zu nennen gewesen, welche Bretzl S. 192 „die Perle aller Diagnosen" nennt, „die wir aus der Griechenzeit f r eine Pflanze haben".) L i n k und R o b e r t Brown [betrifft άνθεμον, hist. pl. VII 14, 2]: Ernst Meyer I 166. R h i z o m , Z w i e bel, K n o l l e usw. [hist.pl. I 6]: Bretzl S. 163. H a r p a l o s ' A k k l i m a t i s a t i o n s v e r s u c h e : hist. pl. IV 4, 1. Dar ber Bretzl S. 234ff. Eine interessante Parallele, welche die Vorliebe der Perser f r derartige Versuche bekundet, bietet das Schreiben Darius I. an den Satrapen Gadatas (Bulletin de corresp. hellen. X I I I 529ff. mit kritischem Nachtrag XIV 646ff.; Dittenberger, Sylloge Inscr. Graec.2 no. 2) [= 3 no. 22]. 401 1) Die U r z e u g u n g : vgl. hist. pl. II l, 1; III l, 4—6; VII 7, 3: de causis pl. 1 5 ; IV 4, 11; V 4, 6. 402 1) Mimosa asper ata: vgl. Bretzl S. 127f. auf Grund von hist. pl. IV 2, 11; Tamarindus indica: ebd. S. 121 ff. [und] 153ff. auf Grund von hist. pl. IV 7, 8 und de causis p!. II 19, l (Pflanzenschlaf). Ganz hnlich ber diesen F.Cohn, Die Pflanze I Z 257. H e l i o t r o p i s c h e B e w e g u n g e n : vgl. F. Cohn I 2 261 ff. und de causis pl. II 19, 5. Zum Folgenden [vgl.] II 19,4. Ebd. begegnet auch das Wort „ E m p f i n d u n g " : ή δε α ϊ σ ϋ η σ ι ς οΰτως οξεία γινομένη κτέ. „ b e r R e i z b a r k e i t und S i n n e s l e b e n der P f l a n z e n " : dies der Titel eines Vertrags von G. Haberlandt, gehalten in der feierlichen Sitzung der [Wiener] Akademie der Wissenschaften, 30. Mai 1908. Vgl. desselben Autors Aufsatz „ ber Bewegung und Empfindung im Pflanzenreich" in Rivista di Scienza III 290—300. 403 1) A l b e r t u s M a g n u s b e s i t z t von T h e o p h r a s t nur m i t t e l b a r e K e n n t n i s : vgl. de vegetabilibus II l, l, 15 (p. 109 Jessen): Dicun; autem, Plinium apud Latinos et Theophrastiim apud Graecos hanc tenuisse seitientiam. A n d r e a C e s a l p i n i : de plantis libri XVI, Florenz 1583. Das Werk beginnt [I 1] mit einem Satze ber die θρεπτική ψυχή (illudsolum genus animae quo alantur, crescant et gignant sibi siwilia), die allein den Pflanzen zukomme. Hier spricht er also ganz und gar wie ein Aristoteliker. Von seinem kritischen und exegetischen Bem hen m gen hier einige Proben stehen. X 46, p. 429 hei t es von einem theophrastischen Satze (gemeint ist hist. pl. IX 18, 3): Multis mendis scatet et corrigendus est hoc modo. Schneider nennt die Stelle scripturam vexatissimam et aperte mendosam (Theophrasti opera III 817). Er f hrt unter anderen Restitutionsversuchen auch jenen Cesalpinis an, hofft auf handschriftliche Hilfe und beruhigt sich schlie lich bei einer Konjektur des Botanikers H. F. L i n k . Der Wahrheit n her als seine Vorg nger kommt Cesalpini jedenfalls II 3 p. 36. Man hatte hist. pl. III 10, l φΰλλον δισχιδές

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Zu Buch VI, Kap. 41, S. 404—408

gelesen und das letzte Wort mit bifidum bersetzt. Cesalpini gibt die Worte durch folium difficile ad findendem wieder. Damit n hert er sich jedenfalls der jetzt angenommenen, offenbar richtigen Schreibung φύλλον δ' άσχιδές. Genau genommen w rde [seine] Wiedergabe ein δυσσχιδές [voraussetzen]. Vielleicht hat er dies im Sinne gehabt. Aber die Adversativ-Partikel wird vom Zusammenhang erfordert. „ ber B e l u t s c h i s t a n . . . ." [usw.]: Bretzl S. 250. Zu Buch VI, Kap. 41. 404 1) [Die a n t i k e n V e r z e i c h n i s s e : Laert. Diog. V 47—48. Casaub o n u s : im 2. Satze der Prolegomena zu seinem Kommentar (zuerst Lyon 1592) auciorem esse vere aureoli libelli istius Theophrastum Eresium . . . verum censeo.] Carl Gottlieb Sonntag: Dissertatio in prooemium Characterum Theophrasti, Leipzig 1787. Die D e f i n i t i o n der Ironie echtes a r i s t o t e l i s c h e s Gut: Nik. Eth. II 7 (1108* 20ff.), IV 13 (1127* 20ff.), ebenso Eudem. Eth. III 7 (1233b 39f.) und Magna Moralia I 33 (1193«* 29ff.). — Erweiternde Zus tze am Schl sse der C h a r a k t e r b i l d e r : diese clausulae finden sich in den Kapiteln I, I I I , VI, V I I I , XXVIII und XXIX; vgl. [ ber ihre bisherige Beurteilung] meine sogleich zu nennende Abhandlung; ber die Zus tze eines [Sp tlings] vgl. H. Diels, Theophrastea, Berlin 1883, sowie die von diesem Gelehrten j ngst (1909) in der Serie der Clarendon Press (Oxford) ver ffentlichte musterg ltige Ausgabe der „Charaktere" [p. Vif.] 407 1) C h a r a k t e r i s m e n . . . . des A r i s t o n von Keos: vgl. H. Sauppe, Philodemi de vitiis ber decimus, Leipzig 1853 (auf Grund von Voll. Hercul. Coll. prior III). Auch J. L. Ussing, Theophrasti Characteres et Philodemi de vitiis ber X., Kopenhagen 1868. [Philodemi περί κακιών liber decimus, jetzt herausgegeben in der Bibliotheca Teubneriana von Chr. Jensen, 1911. Die entscheidenden Anf hrungen aus Ariston dort p. 29ff. = Col. XVI 33ff. Vgl. dazu Jensen, Ariston von Keos bei Philodem, Hermes 46, 393ff.] Des Verf.s hier erw hnte Abhandlung „ ber die Charaktere Theophrasts" ist in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, Philos. histor. Klasse, als Nr. X des 117. Bandes 1888 ver ffentlicht worden. Ernstlich bek mpft ward die ExzerptenTheorie vorher von Friedrich Ast, Theophrasti Characteres, Leipzig 1816, und von R. C. Jebb, The Characters of Theophrastus, London und Cambridge 1870 [neu herausgegeben von Sandys, London 1909]. Ihr letzter Vertreter war Eugen Petersen, Theophrasti Characteres, Leipzig 1859, p. 87 f. Auf die formale bereinstimmung der Charakterismen Aristons mit jenen Theophrasts haben zuerst aufmerksam gemacht Sauppe p. 6 und Petersen p. 89. 2) Eine A u s n a h m e best tigt die Regel: vgl. die beraus gelehrte Ausgabe „Theophrasts Charaktere [herausgegeben, erkl rt und bersetzt von der Philologischen Gesellschaft zu] Leipzig" (1897) S. 51 „Zu beachten ist in hm (dem VI. Kapitel) die H u f u n g der E i n l e i t u n g s f o r m e l n : τοιούτος οίος, αμελεί δυνατός, δεινός, και τούτων αν είναι δόξειε, ικανός, ουκ άποδοκιμάζειν δε". 408 l [Der „ewige J n g l i n g " und der „ N e u i g k e i t s k r m e r " : Char. XXVII (6 όψιμααής) und V I I I (ό λογοποιών)]. H i e r o n y m u s : adversus

Zu Buch VI, Kap. 41, S. 409—411

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Jovinianum I 47 == II 313 Vallarsi. A t h e n os: X 435e; vgl. [auch] VI 249ff. [und] G. Heylbuts Dissertation De Theophrasti libris περί φιλίας, Bonn 1876 [p. 28ff. Diese] Mitteilungen gehen auf Theophrasts auch im antiken Schriftenverzeichnis [Laert. Diog. V 47] erw hntes Buch περί κολακείας zur ck, [das] Athen os VI 254d [= Frg. 83 Wimmer] anf hrt. Es mu mindestens teilweise historischen oder anekdotischen Inhalts gewesen sein. Das Bild des F e i n s c h m e c k e r s : nach Hermippos bei Athen os I 21a, wo auch Theophrasts wohlgepflegte Erscheinung, sein elegantes Auftreten im H rsaal erw hnt wird. Kein b e r m e n s c h oder H a l b g o t t : gar bezeichnend ist der Eindruck, den Arkesilaos empfing, als er aus der Schule Theophrasts in jene des Polemon (vgl. S. 11 ff.) bertrat (Ιφη δε Άρκεσίλαος δτι αΰτφ παρά Θεοφράστου μετελθόντι φανείησαν οί περί τον Πολέμωνα θεοί τίνες ή λείψανα των αρχαίων εκείνων και εκ του χουσοϋ γένους διαπεπλασμενων ανθρώπων, Index Academicorum col. XV 3ff., p. 55f. Mekler; verk rzt [bei] Laert. Diog. IV 22.) 409 1) Der [ I n o p p o r t u n e ] hei t im Original άκαιρος (Char. XII). 2) Der E i t l e : [ό] μικροφιλότιμος, [Char.] XXI. „ E i n Spro M e l i t e s " : κλάδος Μελιταΐος. Diejenigen, die, wie die Leipziger Herausgeber, in κλάδος den Eigennamen des Hundes erblicken zu m ssen glaubten, haben bersehen, da die sinnverwandten W rter Ιρνος [und] θάλος [sowie] κλάδος selbst in hnlicher Verwendung in Grabinschriften erscheinen. Vgl. das W rterverzeichnis in Kaibels Epigrammata Graeca. Diese Anwendung des poetischen Ausdrucks soll eben den Eitlen oder, d rfen wir sagen, den „Schmock" kennzeichnen. Vgl. [JebbSandys p. 68 sowie] auch die Abbildung eines Melit er-H ndchens mit der Beischrift Μελιταίη im Bulletino dell'Istituto 1851 p.55 und 58 (wiederabgebildet in O. Kellers Abhandlung ber Hunderassen im Altertum, sterr. Jahreshefte V I I I 243), ferner ber die melit ischen S p i t z h n d c h e n Heibig, Untersuchungen ber die Campanische Wandmalerei S. 232. 410 1) Der [ewig] U n z u f r i e d e n e (μεμψίμοιρος) bildet den Gegenstand des XVII. Charakterbildes. 2) Der P r a h l e r : Char. X X I I I . 411 1) E d u a r d Z e l l e r : II 2 3 855. Da er durch meine oben erw hnte Abhandlung bekehrt ward, ersehe ich mit Vergn gen aus seiner u erung im Archiv f r Geschichte der Philosophie III 317: „Die herrschende Annahme, da sie (die „Charaktere") ein blo er Auszug aus einer oder mehreren theophrastischen Schriften seien, wird von G. in berzeugender Weise bek mpft." — L a b r u y e r e : Les Characteres III [Discours sur Theophraste, Absatz 10.] — Die Frage nach der A b f a s s u n g s z e i t der „Charaktere" hat keine unbestrittene Beantwortung gefunden (vgl. Cichorius in der Leipziger Ausgabe S. LVIIff. und Franz R hl im Rhein. Mus. 1898 S. 324ff.). Mit Recht hat der zuletzt genannte Gelehrte bemerkt, da „die Abfassung der einzelnen Charakteristiken sehr verschiedenen Zeiten angeh ren" kann und somit die Frage selbst schwerlich richtig gestellt ist.

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Zu. Buch VI, Kap. 42, S. 412—413

Zu Buch VI, Kap. 42. 412 1) L y k o n : Rutilius Lupus de figuris II 7 [Rhetores Latini minores I 16f. Halm.] Satyros: [Frg. 20 M ller = Fragmenta Historicorum Graecorum III 164.] 2) „ ber Sitten" usw.: περί ηθών und περί βίων. So benannte Werke gab es [au er von Theophrast (nach Laert. Diog. V 42 und] Athen os XV 673ef. auch von Klearch (vgl. Weber, De Clearchi Solensis vita et operibtts, Breslau 1880, p. 17; die Bruchst cke bei C.M ller, FHG. II p. 302ff.) und von Herakleides (Laert. Diog. V 87) [= Frg. 66 Voss] gleichwie von Straton (vgl. Laert. Diog. V 59). Des Epikureers Z e n o n περί ηθών και βίων: [aus dem Abschnitt] περί παρρησίας [ein Auszug] erhalten Voll. Hercul. collectio prior V [Pap. 1441, vgi. Cr nert, Rh. Mus. 56,621 und „Kolotes und Menedemos" S. 176.] Die F lle . . . . h i s t o r i s c h e n I n h a l t s in Theophrasts περί ηθών erhellt aus der Angabe des Athen os a. a. 0., da der Kommentator Adrastos den in diesem Werke begegnenden „geschichtlichen und sprachlichen Schwierigkeiten" f nf B cher, der Nikomachischen Ethik hingegen nur e i n solches gewidmet hat. Von Dik archs Βίος Ελλάδος gibt es ziemlich zahlreiche, von C. M ller FHG. II 233ff. gesammelte Bruchst cke. 413 1) [ L i e b e s l e i d e n s c h a f t usw.J: ber die erotische SchriftsteUerei der Peripatetiker vgl. Rohde, Der griechische Roman 2 60ff. 2) Des Phanias oder Ph nias (die Schreibung Φαινίας scheint mir durch ihr Vorkommen in den Voll. Hercul. gesichert, vgl. des Verf.s Aufsatz „Die herculanischen Rollen", Zeitschr. f. sterr. Gymn. 1866, 10. Heft S. 701) Bruchst cke [auch die botanischen] hat gleichfalls C. M ller FHG. Π 293fi, gesammelt. — Eine „ h i s t o r i s c h e M a t e r i a l i e n s a m m l u n g " : Ιστορικά υπομνήματα [Schol. in Apoll. Rhod. IV 834.] — „ A n g e w a n d t e P o l i t i k " : su bersetze ich Πολιτικά προς τους καιρούς, ein Titel, den ich ehemals (Zeitschr. f. sterr. Gymn. 1865 S. 816 Anm. 3) anders, [n mlich] durch die V/orte „ ber politische Opportunit t" wiedergegeben habe. Keine dieser bertragungen entspricht vollst ndig dem Bilde, das wir uns nach den Bruchst cken (vgl. Usener, Analecta Theophrastea p. 7 [= KI. Schriften I 55], und Mittelhaus, De Plutarchi praeceptis gerendae reipublicae [Berlin 1911] p. 29ff.) von dem Werke machen k nnen. Man m chte auch an „Politische Kasuistik" denken; nur w rde dabei der Anklang an die Moralkasuistik st ren. Der Inhalt war vorzugsweise von historischer Art, vielleicht am n chsten vergleichbar der in der aristotelischen konomik enthaltenen Sammlung finanzieller Coups. Da die Schrift brigens von normativen Bestimmungen nicht v llig frei war, scheint Cicero de finibus V 11 zu lehren. Nachdem er auf die aristotelischen „Politien" [und auf ein Werk Theophrasts ber Gesetze] hingewiesen hatte und auf die aus ihnen zu gewinnende Einsicht, qui esset opiumus rei publicae status, f hrt er also fort: Hoc amplitm Theophirastus quae essent in re publica inclinaiiones rerum et momenta teinporutn, quibus essc't moderand-um utcumque res postulate:. Und in einem seiner Briefe (ad Atticum 11 9) sagt derselbe im Hinblick auf die politische Lage und ihre Behandlung: Nihil me cxistimaris. neqiic «s« r»?«?

Zu Buch VI, Kap. 42, S. 414

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Λ Theophraslo didicisse etc. Da wird also Theophrasts Schrift neben die Lehrmeisterin Erfahrung gestellt. — Der u m f a n g r e i c h e A b s c h n i t t [aus] dem „ R e c h t s l e x i k o n " erhalten durch Stobaeus Florilegium XLIV [22] (II 166ff. Meineke) [= IV 2, 20 (IV 127ff.) Hense =·. Frg. 97 Wimmer], unter Mitwirkung des Verf.s bearbeitet von Franz Hofmann (Beitr ge zur Geschichte des griech. und r m. Rechts S. 46—62). Ich vermag Usener nicht beizustimmen, der — Rhein. Mus. XVI 470ff. [= Kl. Schriften I 114ff.] — bestritten hat, da das von Laert. Diog. [V 44] als Νόμων κατά στοιχεΐον κδ' angef hrte Werk in Wahrheit ein Rechtslexikon oder Staatsw rterbuch gewesen sei. Der „merkw rdige Zusatz ... κατά στοιχεΐον" soll nach Usener bedeuten, „da bei den Νόμοι, deren B cherzah! sich mit der Buchstabenzahl des Alphabets deckte, die Buchstaben als Buchzahlen ben tzt wurden". Eine so geringf gige Tatsache also wie die, da Z hier 6 und nicht 7, dementsprechend K und nicht I die Zahl 10 bedeutet hat usw., da also dieses theophrastische Werk in derselben Weise, wie [es] die aristotelischen [Werke] durchweg sind, bezeichnet war — dieses so wenig erhebliche Faktum soll in den Titel selbst aufgenommen und wir sollen gen tigt sein, den Worten κατά στοιχεΐον diese schiefe statt ihrer nat rlichen Auslegung zu geben. Usener nennt die letztere Deutung freilich eine „Hypothese". At>er es waltet hier ein feststehender Sprachgebrauchs Ich f hre an, was mir eben zur Hand ist. Hesychius in [den ersten Worten des] Pro miums [zu] seinem W rterbuche: πολλοί μεν και άλλοι των παλαιών τάς κατά στοιχεΐον σιητεΌείκασι λέξεις. Ebenso der Patriarch Photius an der Spitze seines W rterbuches [l 201 Naber]: Λεξικόν κατά στοιχεΐον. Desgleichen Tim os [in der Vorbemerkung zum] Lexikon Platonicum [Platonis Dialogi VI 397 Hermann]: . . τάξας δε ταϋτα κατά στοιχεΐον και μετάφρασα;: κτέ. Dioskurides, Matcria medica 1 3 : οι δε κατά στοιχεΐον καταγράψαντες. Was bedeuten daneben Useners Einwendungen? „Wie h tten Sammelbegriffe wie die Συμβόλαια" — der Titel des gro en Bruchst cks bei Stobaeus — „mit solchem Detail zusammenh ngend er rtert werden k nnen, wenn auch ber πρασις, συγγραφαί, παρακαταθήκαι usf. an ihrer Stelle die n tigen Spezialit ten beigebracht werden mu ten?" Wir antworten: gleich jedem anderen Bearbeiter eines lexikalisch geordneten Stoffes konnte ja auch Theophrast Vor- und R ckverweisungen verwenden. Auch die aus den wenigen erhaltenen Bruchst cken gezogenen Schl sse scheinen mir nicht viel zu besagen. Usener selbst gesteht zu, da nach dem „Zitat bei Harpokration S. 141, 28 Bekker" [= I 229, 15 Dindorf] das Kapitel περί συμβολαίων im 18. Buch, d. h. eben dort gestanden habe, wo es nach der alphabetischen Ordnung (Σ = 18) zu stehen h tte. W re uns diese Aufschrift nicht erhalten, so h tte ein Kritiker auf Grund der, Kauf und Verkauf bedeutenden Worte πρασις und ώνή Einw rfe gegen die alphabetische Anordnung erheben k nnen, von ganz gleicher Art, wie Usener sie auf einige andere Zitate gr ndet, deren Inhalt uns bekannt, deren Stichwort aber, wohlgemerkt, uns unbekannt ist. 414 1) [Die n o r m a t i v e n S c h r i f t e n T h e o p h r a s t s : πολιτικών ]5, Laert. Diog. V 50 (anders V 45); περί βασιλείας αβ, V 49 (anders V 42); περί νόμων α, περί παρανόμων α. V 47; περί της αρίστης πολιτείας α, V45; πώς αριστ'

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Zu Buch VI, Kap. 42, S. 414—415

αν πόλις οίκοϊτο α, V 49. — N a c h t r ge zur Poetik: ebd. V 47, 50, 47f. Was ich ber die erst neuerlich erkannte weit r e i c h e n d e N a c h w i r k u n g der die Rhetorik [behandelnden] Schriften" [Theophrasts] bemerkt habe, beruht auf freundlicher Mitteilung eines jungen Landsmanns, des Verfassers eines demn chst erscheinenden Buches: Theophrasti περί λέξεως libri fragmenta collegit, disposuit, prolegomenis instruxit Augustus Mayer [Leipzig 1910. — 17 rhetorische S c h r i f t e n z hlt Usener, KI. Schriften l 66f.] Eudemos: vgl. die Sammlung: Eudemi Rhodii Peripatetici quae supersunt collegit Leonardus Spengel, Berlin 1866. [Theophrasts Beitr ge zur G e s c h i c h t e der Astron o m i e und der Mathematik: vgl. die Schriftentitel περί της Δημοκρίτου αστρολογίας, Laert. Diog. V 45, und Ιστοριών γεωμετρικών, V 48.] Aristoxenos: Sohn des Spintharos, aus Tarent. Die Bruchst cke dieses vielschreibenden Sch lers des Aristoteles mit Ausnahme der rhythmischen und technischmusikalischen bei C. M ller, FHG. 11269ff. Die „harmonischen Fragmente" iieraiisgegeben von Paul Marquard, Berlin 1868. Ferner: Aristoxenos von Tarent, Melik und Rhythmik des klassischen Hellenentums, 2 B nde, von R. Westphal (Leipzig [1883—] 1893) [sowie Henry S. Macran, The Harmonics of Aristoxenus, Oxford 1902]. „ F r e u d e , T r a u e r und B e g e i s t e r u n g " : nach Plutarch Quaest. Conviv. l 5» 2 [p. 623* ff.] = Moralia II 754, 20ff. D bner [vgi. r·rg. 90 Wimmer]. Aus [Theophrasts drei] B chern ber die Musik [Lae'rt. Diog. V 47] ein gro es Bruchst ck erhalten durch Porphyries' Kommentar zur Harmonik des Ptolem os, 111 240 ff. Wallis [= Frg. 89 Wimmer], besprochen von Brandis [Handbuch d. Gesch. der griech.-r m. Philosophie I I I l, 367ff.] Au er jenen [drei] B chern περί μουσικής kennen die antiken Verzeichnisse noch ein Buch „Harmonik" [Laert. Diog. V 46] und ein augenscheinlich geschichtliches Buch „ ber die Musiker" [ebd. V49]. R e l i g i o n s g e s c h i c h t e : 6 B cher [των] περί το ·θεΐον Ιστορίας und drei B cher περί θεών [(Lae'rt. Diog. V 48) sowie ein Buch περί ευσέβειας (ebd. V 50)], vgl. Jakob Bernays, Theophrasts Schrift ber Fr mmigkeit, Berlin 1866. 2) B e w o h n e r des Berges Athos (Akrothoiten): vgl. Bernays S. 36f. und 56f. Tadel der A l t e n : Clemens Protrept. [V 5 = I 51, 4ff. St hlin]; C i c e r o de natura deorum I 35. 415 1) [Blutige O p f e r . . . e i n e . . . N e u e r u n g : Porphyrius de abst. II 20 Ende= Bernays S.79. R ckschl sse: de abst. 1126—30=] Bernays S.85ff., vgl. auch S. 51 ff. M e n s c h e n o p f e r in A r k a d i e n , ihre Fortdauer bis in die r mische Kaiserzeit: vgl. Farneil, Cults of the Greek states 1 41 f. Griechen ber die B a a l s o p f e r in K a r t h a g o : ebd. 133. [Ob sich Theophrasts Ausf hrungen bei Porph. II 26 Anfang auf das j dische V o l k [beziehen, wie] Bernays S. 84f. und 111 ff., auch 187f. [annahm, ist zweifelhaft: nicht nur will sich in dem Satze: . . . Σΰρων μεν Ιουδαίοι . . . έτι και νυν . . . ζωοθυτοΰντων das Ιουδαίοι der Konstruktion nicht einf gen und ist darum von Nauck p. 155, 5 seiner Ausgabe als Zusatz eines Lesers getilgt worden,] — Theophrasts Angabe, da jene „Syrer" ausschlie lich Ganzopfer darbringen, trifft auch, wie mir mein Kollege D. H. M ller mitteilt [und wie auch Bernays wu te, vgl. diesen S. 113f.], f r die an Festtagen blichen Speiseopfer nicht zu; zwar

Zu Buch VI, Kap. 42, S. 416—417

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lie e sie sich allenfalls auf die t glich im Tempel dargebrachten Ganzopfer beziehen [doch sprechen Theophrasts Worte νηστεύοντες τάς ανά μέσον τούτων ημέρας gegen den Bezug auf t gliche Opfer]. Das Bruchst ck aus K l e a r c h περί ΰπνου bei Josephus contra Apionem I 22 [§ 176ff.] = VI 216f. [Naber] (= FHG. 11 323f.). [„Unter dem Patronat der G o t t h e i t . . .": de abst. 11 25 = Bernays S. 84.] 416 1) V e r w a n d t s c h a f t . . . . von Menschen und Tieren: vgl. [Porph. de abst. III 25 =] Bernays S. 96ff. [Die W i l d h e i t m a n c h e r Tierarten: vgl.de abst. II 22= Bernays S.81.] „ ber die I n t e l l i g e n z und die Gem tsart der Tiere": περί ζφων φρονήσεως και ήθους [Laert. Diog. V 49J. Da Plutarch in seiner Schrift de sollertia animalium dieselbe These wie Theophrast vertritt, liegt auf flacher Hand. Seine Gegner, die den Tieren den Logos oder die h here Intelligenz absprechen, sind Stoiker. Vgl. c. 11 [p. 967e], c. 4 [p. 962*] und c. 3 [p. 96lcf.]. Da Plutarch [peripatetischen Vorg ngern folgt, deutet er selbst an: c. 6, p. 963ff.], vgl. c. 10 [p. 966*>. Da er insbesondere] Theophrasts Apologie der Tiere ausgebeutet hat, d nkt uns im h chsten Grade wahrscheinlich, wenngleich bisher, wie es scheint, niemand, selbst nicht der Verfasser einer Monographie „ ber die Tierpsychologie des Plutarchos", Adolf Dyroff, (W rzburger Gymn. Progr. 1897), eine dahin zielende Vermutung geu ert hat. [Ebensowenig Max Schuster, Untersuchungen zu Plutarchs Dialog De sollertia animalium (Augsburg 1917), der S. 65ff. die „antistoische Tendenz" der Schrift nachdr cklich hervorhebt.] Schwerlich ist es zuf llig, da Plutarchs Redeweise da, wo er von den G r a d u n t e r s c h i e d e n der psychischen [Verm gen der verschiedenen Lebewesen] handelt, an diejenige Theophrasts anklingt. Vgl. de sollertia animalium c. 4 [p. 962»i>] (= 1177, 28—44ff. D bner): απορώ πώς ή φύσις έδωκε την αρχήν αΰτοΐς, επί το τέλος έξικέσθαι μη δυναμένοις . . . είτα των θηρίων αίτιασθαι το μη καθαρόν μηδ' ά π η κ ρ ι β ω μ έ ν ο ν προς άρετήν κτέ. [mit] Theophrast bei Porphyrius [de abst. III 25 =] S. 97 Bernays: αί γαρ των σωμάτων ά ρ χ α ί πεφύκασιν αί αΰταί . . . πολύ δε μάλλον τφ τάς εν αύτοΐς ψυχάς αδιάφορους πεφυκέναι . . . αλλ' ώσπερ τα σώματα, ούτω και τάς ψυχάς τα μεν ά π η κ ρ ι β ω μ έ ν α ς έχει των ζφων, τα δε ήττον τοιαύτας. 417 1) G e s i n n u n g des O f e r n d e n : vgl. [Porph. de abst. II 15 Ende und II 19 Ende =] Bernays S. 65—68. 2) ber die E t h i k Theophrasts vgl. Brandis [ I I I 1] 347ff. [und neuerdings die wichtige Abhandlung H. v. Arnims Arius Didymus' Abri der peripatetischen Ethik, Sitzungsberichte der Wiener Akademie 1926, besonders S. 132f. und 160f.] Die beraus hohe Sch tzung der Freundschaft teilt er mit anderen S hnen des hellenistischen, das Privat-Leben h her als das ffentliche bewertenden Zeitalters. Auch an einer Kasuistik der Freundschaft hat er es nicht fehlen lassen. Vgl. Gellius Noctes Atticae I 3, 9ff. Die Lehre vom M i t t l e r e n auch auf die G e r e c h t i g k e i t angewandt: vgl. Stobaeus Eclogae II 7, 300 = II 140, 6ff. Wachsmuth. [Ebenso auf die Fr mmigkeit (Gottlosigkeit, Aberglauben!): vgl. Arnim S. 105f.] Er habe den Wert der Tugend g e m i n d e r t usw.: Cicero Tusc. V 24f. Desgleichen Acad. post. I 33; de finibus V 12. Der von Cicero Tusc. [V 25] zitierte Vers: Vitam regit

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Zu Buch VI, Kap. 43, S. 419—420

fortuna, non sapientia ist die lateinische bertragung des griechischen: Τύχη τα ·θνητών πράγματ', ουκ ευβουλία, Menandri monosticha 725 [Frg. Com. Gr. IV 361 Meineke.]. brigens hat es dem Kallisthenes, soweit wir zu urteilen verm gen, an ευβουλία in Wahrheit gefehlt; vgl. unseren Aufsatz „Anaxarch und Kallisthenes" in den Commentationes Mommsenianae p. 479f. „ K a l l i sthenes oder ber die T r a u e r " : von sonstigen Dialogen Theophrasts kennen wir dem Namen nach den Μεγαρικο'ς, dessen Dialogform vornehmlich aus der Gleichartigkeit der Aufschrift mit [der] des Τρωικός des Hippias(vgl. I4359) erhellt (anderes bringt Hirzel, Der Dialog I 311 f. bei), ferner das „Symposion", den Ερωτικός und den Προτρεπτικός (vgl. Hirzel ebd. I 345). Beurt e i l u n g des S c h r i f t s t e l l e r s Theophrast: Cicero Brutus 31 (Quis Aristotele nervosior, Theophrasto dulcior?) und TUSC. V 24 [elegantissimus omnium philosophorum et eruditissimus.]

Zu Buch VI, Kap. 43. 419 1) ber S t r a t o n handelt Laert. Diog. V c. 3. Dieser meldet V 68, da Straton im Laufe der 127. Olympiade gestorben ist, „also sp testens 269/8, so da dessen erstes Jahr, auch bei inklusiver Rechnung, sp testens 286/5 war ... Straton hat... die Schule 18 Jahre geleitet" (Laert. Diog. V 58), „287/6 bzw. 286/5 bis 270/69 oder 269/8" (Beloch, Griech. Geschichte 1112, 469) [= 2 IV 2, 559.] Stratons Bruchst cke sind noch nicht gesammelt. Veraltet ist die Monographie C. Nauwercks De Stratone Lampsaceno, Berlin 1836. — ber Straton [und Philetas] am g y p t i s c h e n H o f e vgl. [Suidas s. v. Philetas, Susemihl, Gesch. der griech. Lit. in der Alexandrinerzeit I 174 und] Mahaffy, The Empire of the Ptolemies p. 166. An Eifers chteleien der Literaten als Grund [f r Stratons] Abgang von dort zu denken, liegt kein Anla vor. Der Regierungsantritt des von ihm mit-erzogenen K nigs und der Tod Theophrasts liefern eine ausreichende Erkl rung. K u r a t o r e n der Schule: da die Zehnm nner sowohl in Theophrasts als in Lykons Testament begegnen, so scheint dies Brauch der Schule gewesen zu sein, und man darf daher annehmen, da bei Laert. Diog. V 62, wo nur 9 Namen erscheinen, einer ausgefallen ist. Menedemos: Stratons auf ihn bez gliches Wort bei Plutarch de tranquillitate animi c. 13 [p.472e] = Moralia 573,15 D bner. Urteil des P o l y b i o s : XII 25o//fcom/7mu/jgAristoteles(Selbst—) 111 372, Platon II 488 f. Verwaltung in d. hellenist. Monarchien III 427; Aristoteles 226, 326f., Theophrast 413. Verwandtschaft Aristoteles (Mensch u. Mensch) III 242, Theophrast (Mensch u. Tier) 416. Verwegenheit II 252; s. auch Tollk hnheit. Verwirklichung s. Aktualisierung u. Entelechie. Verzeihung III 221; s. auch Nachsicht. Verz ckung s. Ekstase. Viehzucht I I I 271. Vieldeutigkeit III 43; s. auch Homonymie. Vielgestaltigkeit s. Mannigfaltigkeit. Vielg tterei s. Polytheismus. Vielheit 1. (—d. Dinge) Anaxagoras I 173f., Aristoteles III 48, 183 (in Gott keine —), Eleaten 48, Zenon d. Eleat I 159, 165—170, 399, II 429; 2. (Einheit u. —) s. Einheit 5. Viereck III 143; s. auch Quadrat u. Rechteck. Vierf ler s. S ugetiere. Vierzahl Philolaos, Platon, Pythagoreer I 89f., II 3751, III 9. Vitalismus I 302—304. Goldenes Vlies II 121. V gel 1. Aristoteles I I I 120, 122—125, 131, [Hippokrates] π. φΰσιος παιδιού 135 f.; 2. (Vogelsteller) III 269. V lkerkunde s. Ethnologie. V lkerpsychologie Aristoteles III 275f., [Hippokratts] π. άέροον υδάτων τόπων I 257, Klearch III 412.

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V lkerrecht Griech. — I I 15—23; Herodot I 221, Platon II 395. Volk s. Demos u. Menge. Volksbeschlu u. Gesetz III 305. Volksbildung s. Bildung. Volksbrauch (erot. —) III 412f. Volkscharakter s. V lkerpsychologie. Volksglaube s. Religion 2.—3. Volksherrschaft s. Demokratie. Volksklasse s. Stand. Volksmedizin s. Medizin. Volksmeinung s. Meinung 3. Volksmoral s. Moral 1. Volksphysik s. Physik. Volksphysiologie s. Physiologie. Volksrede III 382. Volksreligion s. Religion 3. Volkssitte s. Sitte. Volksvermehrung Aristoteles, Platon 11 497, III 329; s. auch Eugenik u. Fortpflanzung. Volksversammlung (Opfer) I I I 410; Aristoteles I I I 287, 295, 305f., 308, 310f., 324, 326, 361; s. auch Pnyx. Volksvertretung s. Repr sentativregierung. Volkssouver nit t s. Souver nit t 2. Vollkommenheit II 178, 397; Aristoteles (Kreisbewegung, Kugelgestalt) III 95, 101 f., 187, 195, (Lebensw rme) 132, (Gottheit) 174, Platon II 315f;s. auchUn— u.Ver—nung. Von selber s. Automaton. Voraussetzung s. Hypothese. Voraussicht 1. (— u. Au enweltsglaube) II 176f.; 2. (— d. Natur) s. Vorsehung. Vorbildlichkeit s. Nachbildung. Vorg nge (Klassifikation) III 119, (— u. Beziehungen) 127; Aristoteles 70, Platon (Momentan—) II 277; s. auch Urprozesse. Vorhaben s. Vorsatz. Vorherbestimmung s. Pr destination. Vorleben s. Pr existenz. Vorlesung Aristoteles III 25f., Platon 8—11; s. auch Vortrag. Vornehmheit Aristoteles III 212, Platon II 398; s. auch Noblesse. Vorrechte III 292, 305. 1 Vorsatz Aristoteles III 162 , 210, 221, 256; s. auch Absicht. Vorschritt s. Fortschritt. Vorsehung Antiphon I 1611, Aristoteles (— d. Natur) III 190, He-

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Vorstellung — Wahrheit

rodot I 220f., Kerkidas II 130f., Sophokles 8, Theodoros 190. Vorstellung (Wahrnehmung, —, Begriff) II 147, (Trieb) 179, (angeborene —en) 317, („Einschachtelung d. —en") III 42; Alkmeon I 124, Aristoteles (Denkpsychologie) III 144, 153, 156, (freie Wahl d. —«n?) 159, (Lustbetonung) 361,. Gorgias I 400f., Platon („Parmenides") II 428, („Theätet") 435—437 („richtige —"), („Phüebos") 458, („Timäos") 478; s. auch Phantasie. Vorstellungsassoziation s. Ideenassoziation. Vorteil s. Nutzen. Vortrag (freier —) III 25f.; Aristoteles 3l1, 379. Vorurteilslosigkeit Kyniker II 128, Sokrates 45f. Vorzeichen I 218. Vorzeit s. Urzeit. Wachen s. Schlaf. Wachstajel II 435. Wachstum Anaxagoras I 184, Aristoteles III 56, 91, 143, 338, Atomisten I 290, Demokrit III 230, Empedokles I 196, Naturphilosophen III 56, Straton 420. „Wächter" Platon („Staat") II 361 bis 367,370—373,380f., 394f., 398, 400, 404, 406f., 410, 466f., 497, 506, I I I 336. Währung II 105. Wärme eine Abstraktion I 253f., Gegensatz zur Kälte 11443, III 60; Ärzte III 139, Anaximander I 45, Aristoteles (Physik) III 51, 73, (Geologie) 104, (Physiologie) 117, 129, 132—134, 137, 139f., 142f., 151, (Psychologie) 146, 165, Atomisten I 271, Demokrit 405, Diogenes v. Apollonia 310, Eryximachos bei Platon II 302, Hippokrates . . . 245—248, [Hippokrates] ". 241 f., Hippon 313, Kyrenaiker II 186, Naturphiiosophen II 302, III 51, 139, Platon („Phädon") II 343, 345, Straton III 421, Theophrast395; s. auch Feuer, Hauch, Temperatur. Wajfe (—ngattungen) III 326f.; (d. Wort als —) 3561.

Wahl 1. (— d. Lebenslose, —freiheit) Aristoteles III 158—162, 209, Platon („Staat") II 392f., 485; s. auch Wille 5.; 2. (Polit. —en) Aristoteles III 291, 296, 308, 312, (Bezirks—, Listen—, —kurien) 315, 319, 324, 335, Platon (—system, —recht, Stich—, Proportional—, Eliminations—, —zwang, —enthaltung) II 498—500, 504f., III 310; s. auch Abstimmung; 3. (—könige) s. Äsymneten. Wahn (röcpoc) Kyniker, Monimos II 119f., 124f. Wahnsinn Zäsaren— II 519; Aristoteles III 234, Platon („Apologie") II 230, („Phädros") 325, („Staat") 353, („Timäos") 485, Sokrates III 231, 236, Theophrast 396; s. auch Tollheit. Wahrhaftigkeit s. Wahrheitsliebe. Wahrheit 1. (Gegen Vernunft—en) I 155, II 315—317, (Erkenntnisfortschritte) I 191, (Objekt, u. Subjekt. —) 264—266, (empir. u. absolute—) 401, (— u. Freiheit) II 33, (d. — häufig in d. Mitte) I I I 57, (Unmöglichkeiten werden —en) 93; 2. Antisthenes II 446, Aristoteles (Platon u. d. —) III 17, (Lobpreisung d. —) 23, (— u. gangbare Meinung) 46, 231, 261, (— v. Empfindungen u. Phantasmen) 153—156, (—, Lüge, Irrtum) 214f., 240, (— aus Unwahrscheinlichkeit erschlossen) 376f., (Gewinnung u. Prüfung v. —en) 38 f., (unbezweifelbare, selbstverständl. —en) 37, 56f., 61, (intuit. Erkenntnis d. Vernunft—en) 163, 166f., 171, 227f., Demokrit I 297, II 283, I I I 154, Eleaten 1403, Kyrenaiker II184, III 154, Parmenides I 149—151, Platon (Allgemeines) 11317—319, („Phädros") 325, („Staat") 391, („Parmenides") 429, („Theätet", „Sophist") II 446, III 154, („Staatsmann") II 450, („Philebos") 459, 462f., Protagoras I 373—379, 382, Thukydides (geschichtl. —) 415, 420f., 424f.;

Wahrheitsliebe — Weisheit

3. s. auch Halb—, Irrtum 1., Un—. Wahrheitsliebe Hellenen II 323; Aristoteles (— u. Lehre v. Mittleren) III 118, 207, 214f., 2182, (Neoptolemos) 237, Hippias bei Platon I 360, II 231, 236, Platon („Staat") II 353, 373, („Gesetze") 497, Thukydides I 424f.; s. auch L ge u. Unwahrheit 2. Wahrnehmung 1. (Relativit t) I 59, (Psychologie d. _) 159—161, (Subjektivit t) 265, (—, Begriff, Vorstellung, Urteil, Schlu ) I 372, 382, II 147, (— unter verschiedenen Umst nden) II 189, (— u. Satz d. Widerspruchs) II 318, III 61, (— durch Wechsel bedingt) III 199f.; 2. Antisthenes II 144, Aristipp 433, Aristoteles (Erkenntnislehre) III 45, 47f., 67, 163, 167, 170, 227f., (Psychologie) 145—147, 149, 156, 224f., 251, Demokrit I 296f., 333, III 15, Diogenes v. Apollonia I 311 f., Eleaten II183, III48,Empedokles I 193—195, Gorgias 400. Herakleides III15, [Hippokrates] π. τέχνης Ι 352, 376, 388, Kyrenaiker II 181—184, 186, Leukipp l 333, II 181, Parmenides I 149 bis 151, 206, Platon („Charmides") II 242, („Staat") 378, („The tet") 432-434, (Alterslehre) III 9, Protagoras I 372, 375—377, 381 f., II 433, Stoiker I 31l3, Straton III 424, Theophrast 391, 399, 401, 416; 3. s. auch Empfindung, Erfahrung, Sinn 1. Wahrsagung s. Mantik. Wahrscheinlichkeit Agathon III 378, Aristoteles 61, 83—85, 202, 363, 376—378, Karneades II 517. Wale III 121. Wandelstern s. Planeten. Ware III 270. Warum III 73. Wasser 1. —u. Feuer III74;d.Ur—d. gypter I 78; Anaxagoras 174 bis 177, Anaximander 45, Archelaos 314,1 Aristoteles III 51—54, 146, 18l , Demokrit I 279, Diogenes v. Apollonia 309, Empedokles 191 bis 193, 199f., Epicharm II 320, Heraklit I 54, Herodot 218, [Hip-

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pokrates] π. εβδομάδων 243, Hippon 313, Naturphilosophen III 401, Pherekydes I 72f., Platon II 376, 479, Straton I I I 421, Thaies I41,Theophrast III394f., 401; 2. (Trink—, —leitungen, —recht) Aristoteles III 134, 337, Platon II 508. Wassertiere, Wasserv gel III 122. Webekunst II 451, 455. Wechsel Bedingung d. Wahrnehmung I I I 199f.; s. auch Abwechslung. Wechselvertilgung II 484. Wechselwirkung I I I 350. Wegebau s. Stra enbau. Wehmut I I I 361 f. Weib s. Frau u. Mann. Weiblich I 90. Weichheit s. H rte. Weichtiere, Weichschaltiere III 1202, 123. Weihgeschenk Aristoteles III 22, Gorgias I 393f., Platon II 2141.

Wein

\. (—pflanze, —bau) Aristoteles 111 271, Theophrast 396; 2. (— in Wasser gel st) III 92; 3. (—genu ) Aristoteles III 338f., Platon II 489f.; s. auch Trunkenheit. Weise 1. Annikeris II 174, Antisthenes 118, Aristipp 171, Aristoteles I I I 254, 2571, Diogenes d. Kyniker II 126, 129, Epikureer III 202, 417, Hegesias, Kyrenaiker II 174f., Platon („Gorgias") 254, 281, („Ph don") 335, 339f., („Euthydem") 424, Stoiker III 417, Theodoros II 190, Theophrast III 417; s. auch Philosoph; 2. (D. 7 —n) I 345, 350; Platon II 267. Weisheit Aristipp II 171, Aristoteles III 225 f., 228—230, 362, 376, Dionysodor u. Euthydem bei Platon II 424, [Hippokrates] π. τέ/νης I 353, Platon („Laches") II 2"37, („Protagoras") 248f., 253f., („Euthydem", „Gesetze") 277, 424, („Symposion") 306, („Ph dros") 325, („Staat") 358, 366, („The tet") 433, Protagoras I 323, Sokrates II

G o m p c r z , Griechische Denker. III. 4. Aufl.

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Weiß — Werkzeug

57, 81, 85, 239, Xenophanes I 130, 353. Weiß'Ul 148. Weissagung s. Mantik. Welken III 91. Welt . 1. Äschylos II 7, Anaxagoras III 173, Aristoteles (Stoff u. Form) 70, (ein Mechanismus) 95, 172, 183, (begrenzt, aber unvergänglich) 100—102, 177, (Gott u. d. —) 177, 181 f., 199, (Mensch u.—all) 225, (Betätigung) 334f., Demokrit I 278—280, 283, 302, Diogenes v. ApolloniaSll, Empedokles 199, Heraklit 62, Hippasos 121, Melissos, Naturphilosophen I 156, 402, III 101, Platon (Allgemeines) II 321, 445 (seel. Urprinzipien), („Parmenides", „Sophist") 430", („Staatsmann") 451, („Timäos") 11470—476, 479 bis 481, I I I 108, (Alterslehre) I I I 10, Pythagoreer I 92—98, 115, II 471 f., Sokrates II 36, Theophrast III394f., Xenokrates 11; s. auch Himmel u. Kosmologie; 2. (Ordnung, Schönheit, Zweckmäßigkeit, Göttlichkeit d. —) Anaxagoras I 179, I I 509, III 108, Archelaos I 313, Aristoteles, Diogenes v. Apollonia I 302, 309, III 81 f., 108, Euripides III 256, Platon („Theätet", „Staatsmann", „Timäos") II 473—476, („Gesetze") 509, 514, Sokrates bei Xenophon 70, Xenophanes I 132—134; s. auch Kosmos, Weltordnung, Weltseele, Weltvernunft ; 3. (—bild) Aristoteles III 101, 103, 422, Platon („Timäos") II 471 bis 485, („Gesetze") III 3461, Pythagoreer I 97f., Straton III 4. (—mittelpunkt) Anaximander I 43f., 92, Aristoteles III 47, 51 f., 100, Platon II 481, Pythagoreer I 92. 95f.; s. auch Zentralfeuer; 5. (D. — über u. unter d. Mond) Aristoteles I 304, II 516, I I I 89, 172, 184, 422; 6. (Mehrere —en) III 184; Anaxagoras I 186, Anaximander, Buddhismus 47, Demokrit, Metrodor v. Chios 304f., Platon II 480; 7. (Organ. —) s. Organismus.

Weltall s. Welt. Weltbildung s. Kosmogonie. Weltbürgertum (der Tyrannen) I 113, (Naturrecht) 338, (—, Weltreich, Weltreligion) II 89f., (hellenist. Zeit) III 426; Aristoteles 242f., 273, 416, Hippias I 136, 359, III 242f., Krates, Kyniker, Stoiker II 119, 124, 136, 190, III 242f., 416, 426, Kyrenaiker, Theodores II 190, Theophrast III 416. Weltei I 77f., II 472. Weltentstehung s. Kosmogonie. Welterklärung s. Kosmologie. Weltflucht II 520. Weltfremdheit II 433 f. Weltjahr Babylonier, Inder, Griechen I 118f., Platon II 483. Welfintelligenz s. Weltvernunft. Weltordnung u. Wissenschaft II 146, 316; Sophokles (sittl. —) 7. Weltperioden s. Perioden 1. Weltprinzip s. Urprinzipien. Welträtsel I 170, 284. Weltraum s. Raum 4. Weltreich II 90, 126f. Weltreligion s. Religion 2. Weltseele Aristoteles 11 476, Epicharm, Euripides 65, Platon („Timäos") II 470—472, 476—478, 483, III 7, („Gesetze") II 475f., 511, III 7f., 181, Sokrates II 69f., Xenokrates III 7f., 11, Xenophanes I 132, II 69, 320; s. auch Weltvernunft. Weltsubstanz s. Substanz. Weltvernunft Anaxagoras, Anaximenes, Heraklit I 179—181, Platon I I I 10; s. auch Vernunft 1. u. Weltseele. Weltweiser s. Philosoph. „Wendung" Demokrit I 267, III 91. Werden Aristoteles III 75f., 182f., 228, Heraklit II 312, Parmenides I 141, Platon (Allgemeines) II 312f., („Staat") 377f., („Kratylos") 439, („Sophist") 445, („Philebos") 459f., 462, („Timäos") 47l3; s. auch Entstehen. Wergeid II 3f. Werk (D. Mensch liebt sein —) I I I 247 f. Werkheiligkeit Platon („Staat") II359, („Gesetze") 508. Werkmeister s. Demiurg. Werkzeug Aristoteles (— u. Kunst) I I I 144, (d. Sklave ein —) 280f., (alles Äußere bloß —) 334.

Wert — Wirbel Wert (Ursprüngl. u. erworbene —e) II 133f., (inkommensurable —e) 412, (—urteile seel. Reaktionen) 438, (—Verhältnis u. Syllogistik) III 41; Aristoteles (distribut. Gerechtigkeit) 217, (Gebrauchs—, Seltenheits—) 360, Kyniker (Um—ung) II 124f., Platon (d. gangbaren —urteile) 276, (gegen —unterschiede in d. Wissenschaft) 448, (kl. „Hippias") 235, („Laches") 238, („Charmides") 243, („Protagoras") 254, („Phädon") 334, („Staat") 371, 380, 388 bis 390, Sokrates 109f., 275f.; s. auch Gut 3.—4. u. Übel. Wesen Form u. — (Ästhetik) I I I 3461; Antisthenes II 145f., Aristoteles II 155 (Ding u. —), III 32—35 (— als Kategorie), 168 (—serkenntnis); s. auch Begriff, Form 1., Usia. Wesenheit (Abstraktionen als —en) 11 142f., (keine unnötigen —en) III 164; Antisthenes II 146f., Aristoteles (metaphys. —en) I I I 63—67, (Zusammensetzung aus Stoff u. Form) 107, Platon (unkörperl. usf. —en) II 444—446, 461, 477, Platon u. Speusipp III 5, Xenokrates 11; s. auch Ding, Ideenlehre, Substanz, Urbild. Wespen I I I 137. Wetteifer I I I 371 f. Weiter s. Meteorologie. Wettkampf, Wettstreit Griechenland 111 372; Aristoteles (Parteinahme d. Zuschauer) 247, (wo —, da Lust) 362, Xenophanes I 130 f. Widerlegung s. Elenktik. Widernatürlich III 135. Widerspruch 1. Antisthenes II 145, 424, 440, Aristoteles (—slosigkeit) I I I 40, (—Sprüche in d. gangbaren Meinungen) 231, (in Widersprüche verwickeln) 384, Herbart, Megariker II 140, 148, 150, Platon „Gorgias") 278, („Euthydem") 424, Zenon d. Eleat I 165, II 148, 150; s. auch Gegensätze 2.—3.; 2. (Satz d. —s) s. Satz 6. Widerstandsempfindung II 184. Wiedererinnerung s. Anamnesis. Wiedergabe s. Nachahmung. Wiederholung Aristoteles (— u. Gewöhnung) I I I 158, (Bedürfnis nach —) 259, (Rhetorik) 382.

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Wiederkäuer Alt. Test. III 120; Aristoteles 124, 136. Wiederkehr alles Geschehens I 115 bis 121. Wiederverehelichung s. Ehe. Wille 1. (Umbildungen, Hemmungen d. —santriebe) II 179f., (—, Verlangen, Entschluß) 368; Aristoteles III 86f., 156—158, 1621, 208—210, 229f., 234f., 237, 261, Kyniker II 131, Platon („Protagoras") 249,253, („Gorgias") 262, 279, („Staatsmann") 452, („Timäos", „Gesetze") 485, Sokrates 51—54, 56, 59, 109, 233f., 485, Xenophon 98; 2. (d. — d. Gottheit) Aristoteles III 174, 176, Eukleides II 137f., Platon 47l3; 3. (—sanstrengung) Chrysipp III 160; 4. (—sbeschaffenheit) Aristoteles 111 207f., 214, 228, 253, Platon II 511; 5. (—sfreiheit) Aristoteles III 85f., 157—162, 210, Chrysipp II 158f., III 85f., Diodoros Kronos II 158f., Heraklit, Platon, Pythagoreer, Sokrates I 120, II 510f.; s. auch Determinismus; 6. (—sschwäche) Antiphon I 361, Aristoteles III 230—242, (—sstärke u. —schwäche) 246f., 363, Platon II 401 (—sstärke), 511, Sokrates 52, 511. Willensohnmacht, Willensstärke s. Wille 6. Willkürbewegung, Willkürhandlung s. Wille 1. Wind 3Anaxagoras I 184, Archytas II 206 (—stille), Aristoteles III 105, Herodot I 218, Theophrast III 395. Windbüchse III 423. Winterschlaf III 396. Wirbel (—bewegung) Anaxagoras I 177f., 279f., Anaximander I 45f., 279—281, I I I 140, Aristophanes II 73, Aristoteles I 280, III 98, Demokrit u. Leukipp I 279—281,283f., Diogenes v. Apollonia 308—313, Empedokles 199f., 279f., [Hippokrates] . 242, Naturphilosophen II 73, I I I 140, Platon III 98; s. auch Rotation. 42*

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Wirbeltiere — Wort

Wirbeltiere Aristoteles III 123, 131, 140. Wirklichkeit 1. (—u. Dinglichkeit) II 313, (— u. Ideal) 315; Aristoteles (— u. Wissenschaft) II 160, III 70, (— u. Möglichkeit) I I I 68, Diodoros Kronos II 158—160, Platon („Staat") 361 f., 369, („Sophist") 444f., („Staatsmann") 450; s. auch Aktualität u. Realität; 2. (—ssinn) in heilenist. Zeit II 163f., III 431, Straton III 423. Wirksamkeit Aristoteles (— Gottes) III 174, 176, 180, 198, Platon (— d. Ideen) II 445. Wirkung 1. Direkte u. indirekte —en v. Neuerungen III 330; (Summierung kleinster —en) Aristoteles, Xenophanes I134f., III104,127; 2. (Ursachen u. —en) s. Ursache 2. Wirtschaft Privat- u. Gemein— II407, Geld- u. Natural— III 271; d. —liehe Lage d. griech. Massen I 341, Athen II 9f., Ptolemäerzeit III 427; Aristoteles (—, Ursprung d. Staates u. Verfassung) III 2631, 269, 304, Platon („Staat") II 360, 367, 394, („Gesetze") 397f., 520; s. auch Ökonomie 1. Wirtschaftslehre s. Ökonomik. Wißbegier, Wissensdurst Aristoteles III 45, Platon II 373. Wissen 1. (— = Erkennen) s. Erkenntnis; 2. (— u. Glauben) Herodot I 216 bis 221, Parmenides 171, 371, Platon II 258, Protagoras, Pythagoreer, Xenophanes I 371 f. Wissenschaft 1. (Philosophie u. Einzel—en) I p. VII, Anm. zu I 37, (Entwicklung, Fortschritt) 244, 294, (Popularisierung) 319, (oberstes Ziel) II 146f., (d. Hierarchie d. —en u. ihre Geschichte) 375, (— u. Mystik) 518, (— u. Bedürfnis) III 115; 2. Ägypten II 202, Griechen I 227f., III 275, Athen, Sparta II 26—29, 31—33, (—lichkeit u. Hedonik) 177f., (antike u. moderne —) III 65f., (Universal— u. Einzel—en in hellenist. Zeit) 388, 425;

3. Antisthenes II144, Archytas 207, Aristoteles (wollte nicht —licher Fachmann sein) III 283, (Muße, Kunst, —) I 409, (Klassifikation d. —en) II 3751, III 67 f., (Philosophie u. —en) III 221, (Wahrnehmung, Erinnerung, Erfahrung, Kunst, —) 45,163, (— u. Wirklichkeit) 68, (Weisheit) 225, (Genüsse) 253, (d. — im besten Staat) 336f., (Poesie, Moral, —) 348, (Sinn f. Ähnlichkeit) 381, Demokrit I 409, Kyrenaiker II 187f., Philolaos 3751, Platon (Allgemeines) I 409, II 207, 214, 312, (Spätzeit) II 448 (Fortgang zur —lichkeit), („Charmides") 242f., („Symposion") 305, 308, („Phädros") 325, („Staat") II 358, 365, 3671, 375—380, 382, 391, 395, 399, III 336, („Staatsmann") II 450, („Philebos") 462, Protagoras I 378, 381, Sokrates II 37, Sophisten I 343; 4. (D. exakte, positive —) Hippokrates . . ., [Hippokrates] . , Platon, Sophokles I 247, II 284, 461, Epikureer, Peripatetiker, Stoiker III 425, heilenist. Zeit 431; 5. s. auch Geisteswissenschaft, Naturwissenschaft, Philosophie. Wissenschaftsgeschichte Histor.-krit. Methode III 391 f.; Eudem, Theophrast 414. Wissenschaftslehre Platon II 372, 375 bis 377, 467. Witz Aristoteles (Wort—) III 43, Platon II 233. Wohlberatenheit III 227.

Wohlfahrt (—seinrichtungen) III 285; (—spolitik) II 105. Wohlgestalt s. Schönheit. Wohlgemutheit, Wohlsein I 306. Wohlstand s. Reichtum. Wohltat u. Gemeingefühl II 180; Annikeris 175, Aristoteles III 212, 245, 247f., 362. Wohlwollen Annikeris II 175, Aristoteles III 367, 369f. Wort 1. (— u. Bedeutung) I 327—333, (— u. Tatsache) II 150, 152, (— u. Gedanke) 275; Aristoteles (—e u. Taten) III 259, (geist-

W rfel — Zeugung reiche u. tiefsinnige —e) 346, Gorgias I 401, Platon II 438f.; 2. (—formen, —gef ge) Aristoteles, Protagoras II 445f., III 352; s. auch Grammatik. W rfel II 479. Wunder 1. (—sucht in heilenist. Zeit) III 431; Thukydides I 418f.; 2. (—kinder) III 340. Wunsch Aristoteles I I I I621, 210; s. auch Begehren u. Verlangen. Wurm III 123. Wurzel 1. (Botanik) Aristoteles, Theophrast III 132, 397, 400; 2. (Linguistik) I 327, ?31.

Zaghaftigkeit III 363. Zahl 1. (D. allg. —enlehre) II 379; d. —begriff bei Joniern u. Dorern 29; Aristoteles (Metaphysik) III 96—100, (Psychologie) 155, (Politik) 304, 309, Platon (— d. Landlose) II 497, Thaies I 405; s. auch Arithmetik, Mathematik, Rechenkunst usf.; 2. (Ma , Gewicht, —) s. Wissenschaft 4.; 3. (—enverh ltnisse) Aristoteles, Platon, Pythagoras, Pythagoreer, Schopenhauer (Akustik, Astronomie, Geschmackslehre, Optik) I 86f., II 375f., III 148; s. auch Proportion 1.; 4. (—enlehre, —enmystik, —prinzipien, —enspekulation, Zauber d. —) Aristoteles I I I 74, Heraklit I 2432, [Hippokrates] π. σαρκών, π. έβδομάδίον 240—243, Philolaos II 3751, Platon („Staat") 382 („platon. —"), 389f., („Philebos") 456, („Tim os") 483, („Gesetze") 497, (Alterslehre) III 5, 7—10, Pythagoras I 63, 86—92, Pythagoreer I 86—92, 99, 115, 120, II 483, III 5, 9f., Solon I 243, Speusipp III 5f., Xenokrates 7f., 11; s. auch K rper—, Prim—en, Einheit 1. u. 4., Zweiheit, Drei—, Vier— usf.; 5. (—enk nstler) II 150. Zahn III 46, 124. Zante II 418.

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Zauber u. Medizin I 228—230, 234f.; [Hippokrates] π. ιερής νοΰσου 258f.; s. auch Zahl 4. Zehnzahl Pythagoreer, Speusipp I 89, bis 92, 97, 99f., Ill 5. Zeichen 1. (Sprache als —) I 332, III 3531; Gorgias I 401; 2. (—deutung) s. Mantik u. Vor—. Zeichnen Unterrichtsgegenstand I 342, I I I 340; Aristoteles III 156, 340. Zeit 1. Teilbarkeit d. — I 163—165; Aristoteles ( b. Platons Lehre v. d. _) n 472, (— als Kategorie) I I I 32—35, (Ar.' eigene Lehre v. d. _) 96f., 99—101, Demokrit I 304, Melissos 158, Parmenides 143, Fherekydes 72, Platon II 472f., Straton III 422", Zenon d. Eleat I 169; s. auch Chronos; 2. (—u. Entwicklung) Kritias 1323; 3. („Einheit d. —") Aristoteles (Poetik) III 349. Zeitalter Goldenes — u. Paradies II 111; Hesiod I 69, 321, II 3622, Platon II 450—452.

Zeitfolge s. Sukzession.

Zeitvertreib III 253; s. auch Spiel 1. u. Unterhaltung. Zeitwort s. Grammatik. Zelos s. Wetteifer. Zensoren II 501, 504f. Zensur II 406. Zensus Aristoteles III 283, 305, 307f., 315f., 326f. Zentralfeuer Aristoteles III 186, Platon II 48l1, Pythagoreer I 95—98, 100, III 52, 186. Zentralismus II 30. Zentralorgan s. Herz.

Zentrifugalkraft I 181, 200, 281. Zergliederung s. Analyse.

Zerrissenheit (innerl. —) II 117. Zerlegung Aristoteles III 83, 268, Atomisten 83, Platon (Farben) 11 4702, (Gestirnbewegungen) 481 f., (d. Zahl 5040) 497; s. auch Analyse u.Teilbarkeit.

Zerstreuung (Sucht nach —) III 247. Zeugenaussagen III 357, 365. Zeugung Alkmeon I 152, Aristoteles (Biologie) III 47, 111—113, 1221, 134, 139—141, (Metaphysik) 182, (Eugenik) 338, Platon („Sympo-

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Ziel —Zweck

sion") II 306, („Staat") 371; s. auch Geschlecht 2., Kinder 2., Urzeugung. Ziel s. Leben 3. Zielstrebigkeit Aristoteles I 302, III 108, 142, 177, 397, K. E. v. Baer III 108, Theophrast 393. Zier 1. (—gegenstände) s. Schmuck; 2. (—mittel d. Rede) Agathon bei Platon II 304f., Aristoteles III 344, 379, Gorgias I 395f.; s. auch Prosa u. Stil. Zinninseln I 2191, 222. Zins (Verbot d. Geld—es) Aristoteles, Platon II 498, III 270f.; Theophrast III 409. Zirkelschluß Aristoteles III 36, Diodoros Kronos II 159, Platon 4631. Zitterrochen Platon (Sokrates u. d. —) II 290, 295f., 425, Straton I I I 421. Zivilisation s. Kultur. Zivilprozeß II 508. Zivilrecht Platon II486,497,506—508. Zonen I 151. Zoogonie Anaximander I 46, Aristoteles III 103, Empedokles I 201 bis 203, Platon II 476; s. auch Leben 1. u. Urzeugung. Zoologie u. Ethik II 138; Archytas 106, Aristoteles III 46, (philos. Voraussetzungen) 106—111, (Hauptschriften, Vorgänger, Hilfsmittel, Methoden) 111—119, (Systematik) 119—123, (Korrelation d. Teile, Gesetz d. Ausgleichs, Abstufung d. Organismen, Stetigkeit d. Übergänge) 124—129, (vergleichende Anatomie) 129—132, (Physiologie) 132—134, (Embryologie) 135—139, (Urzeugung) 140—143, (Gelegentliches) 263, 269, Empedokles (Atmung) I 196f., Platon (Klassifikation) II 447f., Speusipp III 3f., Theophrast 396. Zootomie Aristoteles, Demokrit I 262, III 115f., 139. Zorn Aristoteles (— u. Freiwilligkeit) III 209, (Vernunft) 212f., 234, 238f., (— als polit. Motiv) 320, (— lustbetont) 361, (Definition, Bedingungen, physiolog. Begleiterscheinungen) 368,373, Platon („Protagoras") II 253, („Phädon") 341, („Staat") 367, („Philebos") 459, („Gesetze") 497. Zoroastrismus s. Zarathustra.

Zucht Sparta, Platon II 397f., 488f. Zuchtlosigkeit Aristoteles (— ein Zuviel d. Begehrens) III 206, (— u. Freiwilligkeit) 210, (—, Mäßigkeit, Unempfindlichkeit) 218, (— als Grundsatz) 237f., (Frauenliebe) 241, (— jung verheirateter Frauen) 338, (der Jugend) 374, (Kallikles bei) Platon II 265, („Phädon") 339, („Staat") 368. Zuchthaus s. Gefängnis. Zuchtwahl s. Selektion. Züchtigung I I I 213. Züchtung s. Eugenik. Zügellosigkeit s. Zuchtlosigkeit. Zu/a// Wesen d. —s II 159, — u. anfangslose Bewegung I 282, — in d. Geschichte III 350; Aristoteles (Metaphysik) 77—82, 87, 135, 157, (Biologie) 107f., (Rhetorik) 361, 383, [Hippokrates] . 352, Protagoras 324, Straton III 420, Thukydides I 419. Zukunft Aristoteles (Gilt d. Satz v. ausgeschloßnen Dritten f. d. —?) 11186f., (d. Staatsrede betrifft d. —) 358, (Hoffnung) 361, (Jugend) 373, Diodoros Kronos, Megariker II 159f., III 86, Platon II 237. Zulus I 103. Zunge III 146. Zurechnung Aristoteles III 158, 160, Platon II 511, Protagoras (—sfähigkeit) I 370. Zurückhaltung (d. Urteils) s. Urteil 3. Zusammenbestehen s. Koexistenz. Zusammensetzung Antisthenes (nur d. Zusammengesetzte erkennbar) II 144, 436, Aristoteles (Entstehung) III 75, (Biologie) 107, (Zerlegung) 268, Platon II 436; s. auch Komplex u. Verbindung. Zustand 1. Mytholog. u. ontolog. Auffassung II 314; Aristoteles (Ontologie) III 34, 54, 70, 76, (Ethik) 1571, Platon (Dauer— u. Momentanvorgang) II 277; s. auch Affektion; 2. (Ur—) s. Urzeit. Zwang Aristoteles I I I 209, 361, Platon II 495 f. Zwangsgewalt III 285f. Zweck 1. (Bewußte —e) — u. Absicht I 326, d. Mittel wird zum — 177;

Zwecklosigkeit — Zypressen Aristoteles (— u. Zufall) III 78, 81, (Gott) 175, (—u. Mittel) 201, 203, (—, Wunsch, Absicht) 209f., (—, Vorsatz, Geschicklichkeit) 225, 230, (Spiel, Eudämonie) 253 bis 255, Platon (kl. „Hippias") II 234f., („Protagoras") 252, („Gorgias") 262, („Staat") 399, Sokrates 35, 53, 58, 61—64; s. auch Mittel, Nutzen, Utilitarismus; 2. (Natur—e, Natur —mäßigkeit, —tendenz usf.) —mäßigkeit als Forschungsregel I 94, (Weltall) 179f., (Theologie) 220, (—problem) 302—304; Anaxagoras II 35, 377, Anaximander III 142, Archelaos II 35, Aristoteles (— u. Form) III 69, (—tendenzen) 107—111, 142, 174, 258, 261 f., (Trennung d. Mittel bei getrennten —en) 125f., (Götterglaube) 178, Empedokles I 201 f., III 142, Platon, Pythagoreer II 377, Sokrates bei Xeno-

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phon 69f., Theophrast III 393; s. auch Teleologie. Zwecklosigkeit, Zweckwidrigkeit III 94. Zwecklüge s. Lüge. Zweckursache s. Ursache 1. Zweifel Propädeut.—1383f.; Griechentum 227; Aristoteles III 56, 59f.; s. auch Skepsis. Zweiheit Aristoteles III 98, Philolaos II 3751, Platon II 476-^*78, III 7, 9, Pythagoreer I 115, II 3751, Speusipp I I I 5, Xenokrates 7, 9. Zweihufer III 136. Zweiteilung s. Dichotomie. Zwergstaat III 126. Zwiebel III 400. Zwillinge Aristoteles I I I 139, Empedokles I 202. Zwischenräume s. Interstitien. Zwist Empedokles I1 197—199, 201 bis 203, 280, 36l , III 8. Zyklopen III 268. Zypressen II 488.

Druckfehler. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S.

Band I. 20, Z. 2 lies: „innerhalb eines großen Kulturvolkes (bei den Indern)". 30, Z. 16 v. u. lies: „...wohnen? 1 ". 181, Z. 2 lies: „ . . . v o n dem Weltmittelpunkt, der Erde,..." 191, Z. 3 v. u. lies: „...Erde und Luft hingegen..." 1 2 229, Z. 15 lies: „Dämonentöter" , und ebenda Z. l v. u.: „...gebannt ". 1 8 230, Z. 6 lies: „...es sind ", u. ebenda Z. 13: „ . . . d i e Rede ". 255, Z. 13 lies: „ . . . e i n Mißverständnis abzuwehren". 259, Z. 5 lies: „...den Mond herabholen...". 277, Z. 15 lies: „...augenscheinlich dazu dienen". 296, Seitenüberschrift, lies: „Demokrits optische Theorien". 380, Z. 2 lies: „ . . . v e r f ä h r t er an der hier für uns wichtigen Stelle. Da läßt er...". 389, Z. 10/9 v. u. lies: „...sagt uns Aristoteles". 391, Z. 10 v. u. lies: „auch die von uns noch nicht genannten...". 392, Z. 5 lies: „ . . . d e n weitschichtigen Inhalt...". 396, Z. 12 lies: „ungewöhnlich". 398, Z. 4 v. u. lies: „Es ist nicht anders...". 404, Z. 14/13 v. u. lies: ,,.. .Verwendung des Öles in der Krankenkost...". 467 setze vor die drittletzte Anm.: „228 1)", vor die vorletzte „ „229 1)", vor die letzte „ „2)",

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Druckfehler

S. 468, setze vor die erste Anm.: „230 1)", vor die zweite „ „2)". S. 490, Anm. 2) zu S. 361, Z. 3 vor d. Ende lies: „K. T pfer". S. 498, Anm. 2) zu S. 409, Z. 2 vor d. Ende lies: „.. .von Ions Reisebildern".

S.

Band II. 262, Z. 9—11 lies: „.. .vermag Polos an den Ernst solchen Dissenses kaum zu glauben" und 262, Z. l v. u . / S . 263, Z. 1: „wenn sie uns dazu verh lle, uns selbst, „Eltern, Kinder, Freunde oder das Vaterland, sobald sie Unrecht getan haben", in wirksamer Weise zu verklagen...". 272, Z. 19/17 v. u. lies: „...welche an der Demokratie gar viel zu tadeln fanden, wie eben S o k r a t e s und die Seinen...". 420, Z. 19/18 v. u. lies: „Hier mag in manch einem aufmerksamen Leser dieser B nde ein Bedenken erwachen. Von dem Urheber...". 423, Z. 13/15 lies: „.. .alle diese Fr chte der orphisch-pythagoreischen...". 486, Z. 3 lies: „...der milde und sonnige Lebensherbst...". 528, Z. 2/3 lies: „.. .l t sich f glich auf die nach Aristoteles* Meinung unw rdigen Vertreter des Sokratismus, wie A r i s t i p p und A n t i s t h e n e s , beziehen". 601, Z. l v. u. lies: άπαιδεΰτωι. 609, Anm. 2) zu S. 454, Z. 7 lies: „Rohde". 611, Z. 5 lies: ...τα περί φύσιν. 614, Anm. l zu S. 469, Z. 2 vo^d. Ende lies: πΰσαν Εύρώπην. 622, Z. 2 v. u. lies: φιλών μάλιστ έμαυτόν... 625, Anm. 1) zu S. 506, Z. 3 lies: δικαστήρια, u. ebenda Anm. 1) zu S. 508, Z. 3 lies: ανθρώπων. 626, Z. 6 lies: καθ' όσον αν ήι τωι σχολή.

S. S. S. S. S. S. S. S. S.

Band III. 5, Ζ. 2 ν. u. lies: „...da er dem...". 213, Z. 7 lies: „ . . . g i f t i g e s oder u n v e r t r g l i c h e s Temperament". 266, Z. 19 v. u. lies: „...angek ndigt. In bereinstimmung...". 351, Z. 15 lies: „...die auch die Folgeordnung bestimmt...". 382, Z. 9 lies: „...dieselben Worte...". 404, Z. 7 lies: „ In der Metaphysik...". 444, Anm. 2 zu S. 51, Z. 2 lies: „[329M]". 445, Z. l v. u. lies: „[Wilhelm von Occam: ...". 583, Sp. l lies: Euripos.

S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S. S.