Gotthold Ephraim Lessings Fabeln: Drey Bücher. Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts [Reprint 2022 ed.] 9783112673447, 9783112673430


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Table of contents :
Vorrede
Fabeln. Erstes Buch
I. Die Erscheinung
II. Der Hamster und die Ameise
III. Der Löwe und der Hast
IV. Der Esel und das Jagdpferd
V. Zeus und das Pferd
VI. Der Asse und der Fuchs
VII. Die Nachtigall und der Pfau
VIII. Der Wolf und der Schäfer
IX. Das Roß und der Stier
X. Die Grille und die Nachtigall
XI. Die Nachtigall und der Habicht
XII. Der kriegrische Wolf
XIII. Der Phönix
XIV. Die Gans
XV. Die Eiche und das Schwein
XVI. Die Wespen
XVII. Die Sperlinge
XVIII. Der Strauß
XIX. Der Sperling und der Strauß
XX. Die Hunde
XXI. Der Fuchs und der Storch
XXII. Die Eule und der Schatzgräber
XXIII. Die junge Schwalbe
XXIV. Merops
XXV. Der pelekan
XXVI. Der Löwe und der Tieger
XXVII. Der Stier und der Hirsch
XXVIII. Der Esel und der Wolf
XXIX. Der Springer im Schache
XXX. Aesopus und der Esel
Fabeln. Zweytes Buch
I. Die eherne Bildsäule
II. Herkules
III. Der Knabe und die Schlange
IV. Der Wolf auf dem Todtbette
V. Der Stier und das Kalb
V. Der Stier und das Kalb
VI. Die Pfauen und die Krähe
VII. Der Löwe mit dem Esel
VIII. Der Esel mit dem Löwen
IX. Die blinde Senne
X. Die Esel
XI. Das beschützte Lamm
XII. Jupiter und Apollo
XIII. Die Wassersschlange
XIV. Der Fuchs und die Larve
XV. Der Rabe und der Fuchs
XVI. Der Geitzige
XVII. Der Rabe
XVIII. Zeus und das Schaf
XIX. Der Fuchs und der Lieger
XX. Der Mann und der -Hund
XXI. Die Traube
XXII. Der Fuchs
XXIII. Das Schaf
XXIV. Die Ziegen
XXV. Der wilde Apfelbaum
XXVI. Der Hirsch und der Fuchs
XXVII. Der Dornstrauch
XXVIII. Die Zurren
XXIX. Tiresias
XXX. Minerva
Fabeln. Drittes Buch
I. Der Besitzer des Bogens
II. Die Nachtigall und die Lerche
III. Der Geist des Salomo
IV. Das Geschenk der Feyen
V. Das Schaf und die Schwalbe.
VI. Der Rabe
VII. Der Rangstreit der Thiere, in vier Fabeln
VIII. (2)
IX. (3)
X. (4)
XI. Der Bär und der Elephant
XII. Der Strauß
XIII. XIV. Die wohlthaten, in zwey Fabeln
XV. Die Eiche
XVI. Die Geschichte des alten Wolfs, in sieben Fabeln
XVII. (2)
XVIII. (3)
XIX. (4)
XX. (5)
XXI. (6)
XXII. (7)
XXIII. Die Maus
XXIV. Die Schwalbe
XXV. Der Adler
XXVI. Der junge und der alte Pirsch
XXVII. Der Pfau und der Hahn
XXVIII. Der Hirsch
XXIX. Der Adler und der Fuchs
XXX. Der Schäfer und die Nachtigall
Abhandlungen
I. Von dem Wesen der Fabel
II. Von dem Gebrauche der Thiere in der Fabel
II. Von dem Gebrauche der Thiere in der Fabeln
IV. Von dem Vortrage der Fabeln
V. Von einem besondern Nüßen der Fabeln in den Schulen
Inhalt
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Gotthold Ephraim Lessings Fabeln: Drey Bücher. Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts [Reprint 2022 ed.]
 9783112673447, 9783112673430

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Gotthold Ephraim Lessings

Fabeln. Drey Bücher. Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtung-art verwandten Inhalts.

Berlin,

bey Christian Friedrich D»ß 17f9«

Vorrede. LE,

warf, vor Jahr und Tag, einen

*Y* kritischen Blick auf meine Schriften. cQ Ich hatte ihrer lange genug vergessen, um

sie völlig als fremde Geburten betrachten zu können.

Ich fand, daß man noch lange

nicht so viel Böses davon gesagt habe, als man wohl sagen könnte, und beschloß, in

denr ersten Unwillen, sie ganz zu verwerfen.

*

Viel

II.

Viel Ueberwindung hätte mich die Auöführnng dieses Entschlusses gewiß nicht ge­

kostet.

Ich hatte meine Schriften nie der

Muhe werth geachtet, sie gegen irgend jemandcn zu vertheidigen; so ein leichtes und gutes Spiel mir auch oftderallzuclende-Am griff dieser und jener, wurde gemacht haben.

Dazu kam noch das Gefühl, daß ich iht

meine jugendlichen Vergehungen durch bes­ sere Dinge gut machen, und endlich wohl

gar ih Vergessenheit bringen könnte. Doch indem fielen mir so viel freund­

schaftliche Leser ein. _ Soll ich selbst Ge­ legenheit geben, daß man ihnen vorwerffen kann.

HL

kann, ihren Beyfall an etwas ganz Unwür­ diges verschwendet zu haben? Ihre nach­

sichtsvolle Aufmunterung erwartet von mir

ein-anderes Betragen.

Sie erwartet, und

sie verdienet, daß ich mich bestrebe, sie, wenigstens nach der Hand, Recht haben zu lassen; daß ich so viel Gutes nunmehr

wirklich in meine Schriften so glücklich hin-

einlege, daß sie es in voraus dämm be­ merkt zu haben scheinen können. — Und

so nahm ich mir vor, was ich erst verrverssen wollte, lieber so viel als möglich zu verbessern.__ Welche Arbeit! —

* 2

Ich

IV.

Ich hatte mich bey keiner Gattung von Gedickten länger verweilet, als bey der

Zabel.

Es gefiel mir auf diesem gemein­

schaftlichen Raine der Poesie und Moral.

Ich hatte die alten und netten Fabulisten so ziemlich alle, und die besten von ihnen mehr als einmal gelesen.

Ich hatte über

die Theorie der Fabel nachgedachk.

Ich

hatte mich oft gewundert, daß die grade auf die Wahrheit führende Bahn des Aeso-

pus, von den Neuern, für dis blumcnrct-

chern Abwege der schwatzhaften Gabe z» erzehlen, so sehr verlassen werde.

Ich

hatte eine Menge Versuche in der einfälti­

gen

V.

geh Art des alten Phrygiers gemacht. Kurz ich glaubte mich in diesem Fache so reich, daß ich, vorö erste meinen Fabeln, mit leichter Mühe, eine neue Gestalt geben sonnte. Ich griff zum Werke. _ Wie sehr ich mich aber wegen der leichten Mühe geirret hatte, das weis ich selbst am besten. An­ merkungen, die man während dem Studieren nracht, und nur ans Mißtrauen in sein Gedächtniß aus das Papier wirst; Ge­ danken, die man sich nnr zu haben be­ gnügt, ohne ihnen durch den Ansdruck die nöthige Präcision zu geben; Versuchen, * 3 die

Vs.

die man mit zu seiner Uebung waget, —

fehlet noch sehr viel zu einem Buche.

Was nun endlich für eines daraus gewor­

den;

hier ist es !

Man wird nicht mehr als sechse von meinen alten Fabeln darinn finden; die

sechs prosaischen nehmlich, die mir der Erhaltung am wenigste» unwerth schienen. Die übrigen gereimten mögen auf eine an­

dere Stelle warten.

Wenn eö nicht gar

zu sonderbar gelassen hätte, so würde ich sie in Prosa aufgelöset haben.

Ohne übrigens eigentlich den Gesichts­ punct, aus welchem ich am liebsten be­

trach-

VII.

krachtet zu seyn wünschte, vorzuschrciben, ersuche ich bloß meinen Leser, die Zabeln nicht ohne die Abhandlungen zu beur­

theilen.

Denn ob ich gleich weder diese

jenen, noch jene diesen zum Besten ge­

schrieben, habe; so entlehnen doch beyde, als

Dinge, die zu Einer Zeit in Einem Kopse entsprungen, allzuviel von einander, als

_öci|; sie einzeln und abgesondert noch eben dieselben bleiben könnten.

Sollte er auch

schon dabey entdecken, daß meine Regeln

mit meiner Ausübung nicht allezeit übereinstimmen: was ist eö mehr? Er weiß

von selbst, daß das Genie feinen Eigen­ sinn

VIII.

finit hat;

daß es de» Regeln selten rnit

Vorsatz folget; und daß diese seine wollü­ stigen Auswüchse zwar besthireiden, aber

nicht hemmen sollen.

Er prüft also in

Sen Fabeln sturen Geschmack, nnd in den Abhandlungen meine Gründe.

Ich wäre Willens mit allen übrigen Ab­ theilungen meiner Schriften,

nach und

nach, auf gleiche Weise zu verfahren.

An

Vorrath würde es mir auch nicht fehlen,

den unnützen Abgang dabey zu ersetzen. Aber an Zeit, an Ruhe--------- Nichts

weiter! Dieses Aber gehöret in keine Vor­

rede; und das Publicum danket es selten

einem

IX.

eurem Schriftsteller, wenn er es midi in solchen Dingen zu seinem Vertranten zn machen gedenkt. _ So lange der Virtuo­ se Einschläge fasset, Ideen sammlet, wäh­ let, ordnet, in Plane vertheilet: so lange genießt er die sich selbst belohnenden Wol­ lüste der Empfattgniß. Aber so bald er einen Schritt weiter gehet, und Hand an­ leget, seine Schöpfung and) ausser sich darzusiellen: sogleich sangen die Schmerzen der Geburt an, welchen er sich selten ohne alle Aufmunterung unterziehet. Eine Vorrede sollte nichts enthalten, als die Geschichte des Buchs. Die Ge­ schichte

X.

schichte des meinigen war bald erzehlt, und

ich müßte hier schliessen.

Allein, da ich

die Gelegenheit mit meinen Lesern zu spre­ chen, so selten ergrciffe, so crlm.be man

mir, sie einmal 5« mißbrauchen. _ Ich bin gezwungen mich über einen bekannten Scribenten zu beklagen.

Herr Dusth hat

mich durch seine bevollmächtigte Freunde, seit geraumer Zeit, auf eine sehr- nichts­

würdige Art mißhandeln lassen.

Ich mei­

ne mich, den Menschen; denn daß eö sei­ ner siegreichen Critik gefallen hat, mich,

den Schriftsteller, in die Pfanne zu Hanen, da6 würde ich mit keinem Worte rüge».

Die

XL

Die Ursache seiner Erbitterrnig sind ver­

schiedene Critikcn, die man in der Biblio­ thek der schönen Wissenschaften, und in den Briefen die neueste Litteratur

betreffend, über seine Werke gemacht hat, und Er auf meine Rechnung schreibet.

Ich habe ihn schon öffentlich von dem Ge­ gentheile versichern

lassen; die Verfasser

der Bibliothek sind auch nunmehr genug­

sam bekannt; und wenn diese, wir er selbst behauptet, zugleich die Verfasser der Brie­

fe sind: so kann ich gar nicht begreiffen,

warum er seinen Zorn an mir auöläßk. Vielleicht aber muß ein ehrlicher Manu,

wie

XII.

wie Er, wenn eö ihn nicht todten soll, sich seiner Galle gegen einen Unschuldigen ent­

laden; und in diesem Falle stehe ich seiner Kunstrichterey, .und dem Aberwiße seiner

Freunde und seiner Freundinnen, gar gern

noch ferner zu Diensten, und wicderrufe rrreiiw Klage.

Fabel».

Fabeln. Erstes Buch.

I.

Die Erscheinung.

n der einsamsten Tiefe jenes Waldes,

wo ich schon manches redende Thier be­ lauscht, lag ich an einem sanften Mast serfalle und war bemüht, einem meiner Mahrchcn

den leichten poetischen Schmuck zu gebe», in wel­ chem am liebste» zu erscheinen, la Fontaine die Fabel fast verwöhnt hat.

Zch sann, ich wehlte,

ich verwarf, die Stirne glühte-------- Umsonst, es

kam nichts auf das Blatt.

auf; aber sich!

Voll llnwill sprang ich

auf einmal stand sie selbst, die

fabelnde Muse vor mir. Und sie sprach lächelnd: Schüler, wozu diese undankbare Mühe? Die Wahrheit braucht die An­

muth der Fabel; aber wozu braucht die Fabel die A 2

Anmuth

4 Anmuth bet Harmonie? Du willst das Gewürze würzen.

Guug, wenn die Erfindung des Dicht

ters ist; der Vortrag sey des ungekünstelten 6t;

schichtschreibers, so wie der Sinn des Weltwcisen.

Zch wollte antworten, aber die Muse verschwand. »Sie versthwand? höre ich einen Leser fragen.

»Wenn du uns doch nur wahrscheinlicher tauschen

»wolltest! Die seichten Schlüsse, auf die dein Un
quam dedi ältern

Bey der Gelegenheit nur, bey welcher sie ihr Ersinder Stesichorne erzehlte, rpard sie es. Er erjehlte sie nehmlich, als die ^imcrenfcr den pl?ß; laris

126

kario zum obersten Befehlshaber ihrer Kriegsvölkcr gemacht hakten, und ihm noch dazu eine Leibwache geben wollten.

„O ihr Himerenser, rief er, die ihr

„so fest entschlossen Tibi lnvemri maxime contrario*. Secundo oflendir, fcelera non ira Deum, Patorum dicto fed puniri tempore. Noviisime interdicit > ne cum malesico Ufum bonus confocict ullius rei.

Eme elende Fabel, wenn niemand anders als ihr

Erfinder es erklären kann, wie viel nützliche Din­ ge sie enthalte! Wir hatten an einem genug! —

Kaum sollte man es glauben, daß einer von den Al­

ten, einer von diesen grossen Meistern in der Ein­

falt ihrer Plane, uns dieses Histörchen für eine Fa­

bel * verkaufen können.

Breitinger. Ich würde von diesem grossen Kunstrichter nur wenig gelernt haben, wenn er in meinen Gedanken

noch überall Recht hätte. — Er giebt uns aber eine doppelte Erklärung von der Fabel **

Die

eine hat er von dem de la Motte entlehnet; und die andere ist ihm ganz eigen.

Nach * Phaedrus libr. IV. Pab. ir.

*» Oer Eririschen Dichtkunst, ersten. Bandes siebender Ab­ schnitt, O. 194

i4i

Nach jener versteht er unter der Fabel, eine tnv

ter der wohlgeratenen Allegorie einer ahn-

licken Handlung verkleidete Lehre und Untere Weisung. — Der klare, übersetzte de la Motte!

Und der ein wenig gewässerte: könnte man noch

dazusetzen.

Denn was sollen die Beywörter:

wohlgerathene Allegorie; ähnliche Handlung? Sie sind höchst überflüssig.

Doch ich habe eure andere wichtigere Anmerkung auf ihn verspüret.

Richer sagt: die Lehre solle

unter dem allegorischen Bilde versteckt (cac!,§) seyn.

Versteckt! welch em unschrckiches Wort! Zn man­

chem Räthsel sind Wahrheiten, in den Pythagorischen Denkspruch n sind nwralische Lehren versteckt;

aber m keiner Fabel.

Die Klahrheit, die Lebhaf­

tigkeit, mit welcher d:e Lehre aus allen Theilen einer guten Fabel auf einmal hervor strahlet, hätte durch ein ander Wort, als durch das ganz widersprechen­ de

versteckt, ausgcdrückt zu werden verdienet.

Sein Vorgänger de la Motte hatte sich um ein gilt Theil feiner erklärt; er sagt doch nur, verkleidet

(deguife).

Aber auch verkleidet ist noch viel zu

unrichtig,

142

unrichtig, weil auch verkleidet

Nebenbegriff

einer mühsamen Erkennung mit sich führet.

Und

es muß gar keine Mühe kosten, die Lehre in der Fabel zu erkennen; es müßte vielmehr, wenn ich

so reden darf,, Mühe und Zwang kosten, sie darinn nicht zu erkennen.

Aufs höchste würde sich dieses

verkleidet nur in Ansehung der zusammengesetzt reu Fabel entschuldigen lassen.

Zn Ansehung der

einfachen ist eS durchaus nicht zu dulden.

Von

zwey ähnlichen einzeln Fällen kann zwar einer durch den andern ausgedrückt, einer in den andern ver-

kleidet werden: aber wie man das Allgemeine in das Besondere.verkleiden könne, das begreife ich ganz und gar nicht.

Wollte man mit aller Gewalt

ein ähnliches Wort hier brauchen, so müßte cs an­

statt verkleiden wenigstens einkleiden heissen. Von einem deutschen Kunstrichtcr hatte ich über­

haupt dergleichen figürliche Wörter in einer Erklä­

rung nicht erwartet.

Ein Breitinger hatte es den

schön vernünftelnden Franzosen überlassen sollen, sich

damit aus dem Handel zu wickeln; und ihm würde eö sehr wohl angestanden haben, wenn er uns mit

den

143 den trocknen Worten der Schule belehrt hätte, daß

die moralische Lehre in die Handlung weder ver­

steckt noch verkleidet, sondern durch sie der an#

schauenden Erkenntniß fähig gemacht werde.

Ihm würde es erlaubt gewesen seyn, uns von der Natur dieser auch der rohesten Seele'zukommenden Erkenntniß, von der mit ihr verknüpften schnellen Ueberzeugung, von ihrem daraus entspringenden

mächtigen Einflüsse auf den Willen, das Nöthige zu lehren.

Eine Materie, die durch den ganzen spe#

tulativischen Theil der Dichtkunst von dem größten

Nutzen ist, und von unserm Weltreisen schon gnugsam erläutert war*! — Was BreiÄnger aber

damals unterlassen, das ist mir, itzt nachzuhohlen,

nicht mehr erlaubt.

Die philosophische Sprache ist

seit dem unter uns so bekannt geworden, daß ich

mich der Wörter anschauen, anschauenver Er­

kenntniß, gleich von Anfänge als solcher Wörter

ohne » Ich kann meine Verwunderung nicht bergen, daß Here Breitinger Daß, was Wolf schon damals von der Fabel Leichter butte, auch nicht tm geringsten gekannt zu haben scheinet. Wolfii Philofophiie practica: universalis Pars po­ sterior §. 302-323. Dieser Theil erschien 1734, und die Breitmgerlche Dichtkunst erst das Jahr darauf.

144 ohne Bedenken habe bedienen dürfen, mit welchen nur wenige nicht einerley Begriff verbinden.

Zch käme zu der zweyten Erklärung, die un6

Breitmger von der Fabel giebt.

Doch ich bedenke

daß ich diese bequemer an einem andern Orte werde

untersuchen können. — Zch verlasse ihn also Datteux.

Bcrtteux erkläret die Fabel kurz weg durch die

Erzehlüng

einer allegorischen Handlung*.

Weil er es zum Wesen der Allegorie macht, daß sie eine Lehre oder Wahrheit verberge, so hat erohne

Zweifel geglaubt, des moralischen Satzes, der in

der Fabel zum Grunde liegt, in ihrer Erklärung gar nicht erwähnen zu dürfen.

Man siehet sogleich,

was von meine» bisherigen Anmerkungen, auch

wider diese Erklärung anzuwenden ist.

Zch will

mich daher nicht wiederhohlen, sondern bloß die

fernere Erklärung, welche Batteux von der Hand,

lung giebt, untersuchen. „Eine Principes de Litteratnre, Tome II. I. Partie p. V. L'Apologue est le recit d'une action allegorique See.

145 „Eine Handlung, sagt Batteux, ist eine Uw „tcrnehmung, die mit Wahl und Absicht geschie„hct. — Die Handlung setzet, ausser dem Leben „und der Wirksamkeit, auch Wahl und Endzweck „voraus, und kömmt nur vernünftigen Wesen zu." Wenn diese Erklärung ihre Richtigkeit hat, so mögen wir nur neun Zehntheile von allen existirew den Fabeln ausstreichen. Aesopus selbst wird alsdann, deren kaum zwey oder drey gemacht haben, welche die Probe halten. — „Zwey Hahne kämpfe» „miteinander. Der Äesiegte verkriecht sich. Der ^'.Sieger fliegt auf das Dach, schlägt stolz mit den „Flügeln und krähet. Plötzlich schießt ein Adler „auf den Sieger herab, und zerfleischt ihn*. — Ich habe das allezeit für eine sehr glückliche Fabel gehalten; und doch fehlt ihr, nach dem Batteup, die Handlung. Denn wo ist hier eine Unterneh­ mung, die mit Wahl und Absicht geschähe? — »Der Hirsch betrachtet sich in einer spiegelnden „Quelle; er schämt sich seiner dürren Lauste; und «freuet sich seines stolzen Geweihes. Aber nicht K „lange! * Aefop. kab. 44f»

146 „lange! Hinter ihm ertönte die Jagd; seine dürren „Läufte bringen ihn glücklich ins Gehölze; daver„strickt ihn sein stolzes Geweih; erwirb erreicht'. —

Auch hier sehe.ich keine Unternehmung, keine Alb­ sicht.

Die Jagd ist zwar eine Unternehmung, und

der fliehende Hirsch hat die Absicht sich zu retten;

aber beyde Umstande gehören eigentlich nicht zur

Fabel, weil man sie, ohne Nachtheil derselben, weglaffen und verändern kann. es ihr nicht an Handlung.

Und dennoch fehlt

Denn die Handlung

liegt in dem faljcl) befundenen Urtheile des Hir­

sches.

Der Hirsch urtheilet falsch; und lernet gleich

darauf aus der Erfahrung, daß er falsch geurtheilet habe.

Hier ist also eine Folge von Veränderungen,

die einen einzigen anschanendcn Begriff in mir er­

wecken. — Und das ist meine obige Erklärung der

Handlung, von der ich glaube, daß sie aus alle gute Fabeln passen wird.

Giebt es aber doch wohl Kunstrichter, welche «inen noch engern, und zwar so materiellen Begriff mit dem Worte Handlung verbinden, daß sie nir­

gends * Tab. Aesop.

147 gends Handlung scheu, als wo die Körper so thätig sind, daß sie eine gewisse Veränderung des Nam mes erfordern. Sie finden in keinem Trauerspiele Handlung, als ivo der Liebhaber zu Füssen fallt, die Prinzessin ohnmächtig wird, die Helden sich palgen; und in keiner Fabel, als wo der Fuchs springt, der Wolf zerreisset, und der Frosch die Maus sich an das Bein bindet. Es hat ihnen nie beyfallen wollen, daß auch jeder innere Kampf von Leidenschaften, jede Folge von verschiedenen Ge, danken, wo eine die andere aufbebt, eine Handlung sey; vielleicht weil sie viel zu mechanisch denken und fühlen, als daß sie sich irgend einer Thätigkeit dabei­ bewußt wären. — Ernsthafter sie zu widerlegen, würde eine unnütze Mühe seyn. ES ist aber nur Schade, daß sie sich einigermassen mir dem Bav reux schützen, wenigstens behaupten können, ihre Erklärung mit ihm aus einerley Fabeln abstrahiret zu haben. Denn wirklich, auf welche Fabel die Er­ klärung des Battcux paffet, paffet auch ihre, so abgeschmackt sie immer ist.

K r

Lutteup,

148 Batteux, wie ich wohl darauf wetten wollte,

hat bey seiner Erklärung nur die erste Fabel des Phadrns vor Augen gehabt; die er, mehr als ein­

mal, une des plus heiles & des plus Gelebtes de l’antiqulte nennet.

Eö ist wahr, in dieser ist die Hand­

lung ein Uuternehmeu, das mit Wahl und Absicht geschiehet.

Der Wolf nimmt sich vor, das Schaf

zu zerreissen, fauce improba incitatus

er will es

aber nicht so plump zu, er will es mit einem Schei­ ne des Rechts thun, und also jurgü causam intulit.__

Zch spreche dieser Fabel ihr Lob nicht ab; sie ist so vollkommen, als sie nur seyn kann.

Allein sie ist

nicht deswegen vollkommen, weil ihre'Handlung

ein Unternehmen ist, das mit Wahl und Absicht

geschiehet; sondern weil sie ihrer Moral, die von einem solchen Unternehmen spricht, ein völliges Genüge thut.

Die Moral ist': s/5 crgoS'EG'ts a,St-

y-iiv, TFttg etwas L

SßfV den

Vorsatz hat, einen Umchuldigen zu unterdrücken,

der wird cs zwar /'-»Es evÄoyn ümec; zu thun suchen;

er wird eine» scheinbaren Vorwand wählen; aber 'sich 9

Aesop,

149 sich im geringsten nicht von seinem einmal gefaßten Entschlüsse abbringen lassen, wenn sein Vorwand gleich völlig zu Schanden gemacht wird. Diese Moral redet von einem Vorsätze'( fach

213

fach nicht sey, hatte der Vritifd;e Briefsteller gleich daher abnehmeir können, well nicht bloß die thierische Fabel, sondern auch jede andere aesopische Fabel, wenn sie schon aus vernünftigen Wesen bestehet, der­ selben unfähig ist. Die Fabel von dem Lahmen und Blinden, oder von dem armen Manne und dem Tode, läßt sich eben so wenig zur Lange des epischen Ge­ dichts erstrecken, als die Fabel von dem Lamme und dem Wolfe, oder von dem Fuchse und dem M.ben. Kann es also an der Natur der Thiere liegen? Und wenn man mit Beyspielen streiten wollte, wie viel sehr gute Fabeln liessen sich ihm nicht entgegen setzen, in welchen den Thieren weit mehr, als flüch­ tige und dunkle Strahlen einer Vernunft bey­ gelegt wird, und man sie ihre Anschläge ziemlich von weiten her zu einem Endzwecke anwenden siehet. Z. E. der Adler und der Käser*; der Adler, die Katze und das Schwein rc. *\ Unterdessen, dachte ich einsmalö bey mir selbst, wenn man dem ohngeachtet eine aesopische Fabel von einer ungewöhnlichen Lange machen wollte, wie O 3 müßte * Fab. Aefop. ** Hitcdrus hbr. II. Fab. 4,

214

müßte man es Anfängen, daß die ihtberührten Un­ bequemlichkeiten dieser Länge wegfielen? Wie müßte unser Reitticke Luchs Aussehen, wenn ihm der Name eines aesopischen Heldengedichts zukommen sollte? Mein Einfall war dieser: "voro erste müßte nur ein einziger moralischer Satz in dem Ganzen zum Grunde liegen; vors zweyte müßten die vie­ len und mannigfaltigen Theile dieses Ganzen, unter gewisse Haupttheile gebracht werden, damit man sie wenigstens in diesen Haupttheilen auf einmal über­ sehen könnte; vors dritte müßte jeder dieser Haupt­ theile ein besonders Ganze, eine für sich bestehende Fabel seyn können, damit das grosse Ganze aus gleichartigen Theilen bestünde. Es müßte, um alle« zusammenzunehmen, der allgemeine moralische Satz in feine einzelne Begriffe aufgelöset werden; jeder von diesen einzelnen Begriffen müßte in einer beson­ dern Fabel zur Intuition gebracht werden, und all» diese besondern Fabeln müßten zusammen nur eine einzige Fabel ausmachen. Wie wenig hat derRciiiicEc Luchs von diesen Requisttis! Am besten also, ich mqche selbst die Probe, ob sich mein Einfall auch wirklich

215

wirklich ausführen läßt. — Und nun urtheile man,

wie diese Probe ausgefallen ist! Es ist die sechzehnte Fabel meines drittelt Buchs, und heißt die Ge­ schichte des alten Wolfs, itt sieben Fabeln. Die Lehre welche in allen sieben Fabeln zusammen­

genommen liegt, ist diese: „Man muß einen alten

„Bösewicht nicht auf das äusserste bringen, und ihm „alle Mittel zur Besserung, so spät und erzwungen

„sie auch seyn mag, benehmen.

Dieses Aensserste,

dieseBrnehmung aller Mittelzerstückteich; machte

verschiedene mißlungene Versuche des Wolfs daraus, des gefährlichen Raubens künftig muffig gehen zu

können; und bearbeitete jeden dieser Versuche als

eine besondere Fabel, die ihre eigene und mit der Hauptmoral in keiner Verbindung stehende Lehre hat. — Was ich hier bis auf sieben, und mit dent

Rangstreite der Thiere auf vier Fabeln, gebracht habe, wird «in andrer mit einer anderit noch frucht­ barern Moral leicht auf mehrere bringen können.

Ich begnüge mich, die Möglichkeit gezeigt zu haben.

O +

iv. Von

IV. Von dem Vortrage der Fabeln. SBie soll dre Fabel vorgetragen werden? Ist hier-

inn Aesopus, oder ist Phädrus, oder'ist la Fon­ taine das wahre Mrstcr? Es ist nicht ausgemacht, ob 2lcfoptt6 seine Fa­ belt: selbst ausgeschrieben/ und in ein Buch zusam­ men getragen hat. 2(5er das ist so gut als aus­ gemacht/ daß, wenn er es auch gethan hat, doch keine einzige davon durchaus mit seinen eigenen Wor­ ten auf uns gekommen ist. Zch verstehe also hier die allerschonsten Fabeln irr den verschiedener: griechischen Sammlungen, welcher: man seinen Namen vorgesetzt hat. Nach diesen zu urtheilen, war seit: Vortrag von der äussersten Präcision; er hielt sich nirgends bey Beschreibungen auf; er kam sogleich zur Sache und eilte mit jedem Worte näher zum Ende; er kannte kein Mittel zwischen dem Noth­ wendigen

217

So charakterisier ihn de

wendigen und Unnü^en.

la Motte; und richtig.

Diese Präcision und

Kn^c, worinrr er ein so grosses Muster war, fan­ den die Alten der Natur der Fabel auch so angemes­ sen, daß sie eine allgemeine Regel daraus magren.

Theon unter andern dringet mit den ausdrück­ lichsten Worten darauf.

Auch phadrus, der sich vornahm die Erfindun­ gen des Aesopns in Verseif aus,zubilden, har offen­

bar den festen Vorsatz gehabt, sich an diese Regel zu halten; und wo er davon abgckommen ist, schei­ net ihn das Sylbenmaaß und der poetischere Styl,

in welchen uns auch das allersimpelfte Sylbenmaaß wie unvermeidlich verstrickt, gleichsam wider seinen Willen davon abgebracht zu haben.

Aber la Fontaine? Dieses sonderbare Genie! La Fontaine! Nein wider ihn selbst habe ich nichts; aber wider seine' Nachahmer; wider seine blinden

Verehrer! La Fontaine kannte die Alten zu gut,

als daß er nicht hatte wissen sollen, was ihre Muster

und die Natur zu einer vollkommenen Fabel erfor­

derten.

Er wußte cs, daß die Kurze die Seele der

O f

Fabel

218

Fabel sey; er gestand es zu, daß es ihr vornehmster Schmuck sey, ganz und gar keinen Schinuck zu ha­ ben. Er bekannte * mit der liebenswürdigsten?(uf< richtigkeit, „baß man die zierliche Präcision und „die ausserordentliche Kürze, durch die sich phä„druü so sehr empfehle, in seinen Fabeln nicht finden „werde. Es wären dieses Eigenschaften, die zu „erreichen, ihn seine Sprache zum Theil verhindert „hätte; und bloß dcsivegen, weil er den phädrus „darin» nicht nachahmen können, habe er geglaubt, „qu’il falloit cn recompenfc egaycrPouvrage plus qu’il

„na Laie. Alle die Lustigkeit, sagt er, durch die ich meine Fabeln aufgestützt habe, soll weiter nichts als eine etwanige Schadloshaltung für wesentlichere Schönheiten seyn, die ich ihnen zu ertheilen zn un­ vermögend gewesen bin. — Welch Bekenntniß! In meinen Augen macht ihm dieses Bekenntniß mehr Ehre, als ihm alle seine Fabeln machen! Aber wie wunderbar ward es von dem französischen Public» ausgenommen! Es glaubte, la Fontaine wolle ein blosses Compliment machen, und hielt die Schadloshal-

219

loshaltmrg unendlich hiher, als das, wofür sie ge­

Kaum konnte es auch anders seyn;

leistet war.

denn die Schadloshaltung hatte allzuviel reitzendeS für Franzosen, bey welchen nichts über die Lustig­ keit gehet.

Ein witziger Kopf unter ihnen, der her­

nach das Unglück hatte, hundert Jahr witzig zu blei­

ben*, meinte so gar, la Fontaine habe sich aus

blosser Albernheit (par beeile) bett phadrus nach­ gesetzt; und de la Motte schrie über diesen Einfall:

mot phisant, mais solide! .Unterdessen, da la Fontaine seine lustige SchwazHastigkeit, durch ein so grosses Wüster, als ihm

phadrno schien, verdammt glaubte, wollte er doch nicht ganz ohne Bedeckung von Seiteit des Alter­ thums bleiben.

Er setzte also hinzu: „Und meinen

„Fabeln diese Lustigkeit zu ertheilen, habe ich um so

„viel eher wagen dürsten, da LUnntilian lehret, „man könne die Erzehlungen nicht lustig genug ma„chen (egayer).

Zch brauche keine Ursache hiervon

„anzugeben; genug, daß es O.uintilian sagt. — Zch

habe wider diese Autorität zweyerley zu erinnernd Es

SenttntKt.

220

Es ist wahr (Qurntilian sagt: Ego vero narrationem, ut fi ullam partem orationis, omni, qua potcst, gra­

tis & venerc cxornandam puro**; und dieses Muß

die Stelle seyn, worauf sich la Fontaine stützet. Mer ist diese Grazie, diese Venus, die er der Erzehlung so viel als möglich, obgleich nach Maaßgebung der Sache***, zu ertheilen befiehler, ist die­ ses Lustigkeit? Zch sollte meinen, daß grade die Lustigkeit dadurch ausgeschlossen werde. Doch der Hauptpunkt ist hier dieser: Quintilian redet von der Erzehlung des Facti in einer gerichtlichen Rede, und was er von dieser sagt, ziehet la Fontaine, wider die ausdrückliche Regel der Alten, auf die Fa­ bel. Er hatte diese Regel unter andern bey denr Theon finden können. Der Grieche redet von dem Vortrage der Erzehlung in der Chrie, — wie plan, wie kurz muß die Erzehlung in einer Chrie seyn! — und setzt hinzu: ev 5k 701$ arrterssav 7»y ^uijVEiocv uva/ Set x,cci 7rgotr Die rhetorischen Uebunq