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German Pages 137 [267] Year 2022
Gotthold Ephraim Lessing-
Fabeln. Drey Bücher. Nebst Abhandlungen mit dieser DichtungSart verwandten Inhal«.
Zweyte Auflage. Berlin,
bey Christian Friedrich Dvh, 1777.
Vorrede. ch warf, vor Jahr und Tag, einen kritische» Blick auf Meine Schriften.
Ich hatte ihrer lange genug vergesst«, um sie völlig als fremde Geburten betrachten z«
können.
Ich fand, daß man noch lange
nicht so viel Böses davon gesagt habe, als
man wohl sagen könnte, und beschloß, in dem ersten Unwillen, sie ganz zu verwerfen. Viel
II.
Viel Ueberwindung hatte mich die Aus
führung dieses Entschlusses gewiß nicht ge kostet. Ich hatte meine Schriften nie der Mühe werth geachtet, sie gegen irgend je
manden zu vertheidigen; so ein leichtes und gutes Spiel mir auch oft der allzuelende An
griff dieser und jener würde gemacht haben. Dazu kam noch das Gefühl, daß ich itzt meine jugendlichen Vergehungen durch best
Me Dinge gut mache«, und endlich wo Hk-
gar in Vergessenheit bringen könnte. Doch indem fielen mir so viel freund
schaftliche Leser ein. — Soll ich selbst Ge--. legenheit geben, daß man ihnen verwerfen^
kann.
in. kann, ihren Beyfall oft etwas gantz Unwür
diges verschwendet zu haben? Ihre nach sichtsvolle Aufm Nterung erwartet von mir ein anderes Betragen'.
Sie erwartet, und
sie verdienet, daß ich mich beskrebe, sie, wenigstens uach der Hand, Recht haben
zu lassen'; daß ich so viel Gutes nunmehr
«di klich in meine Schriften fb glücklich hin einlege, daß sie ts in voraus darinn be
merkt zu haben scheinen können. —
Und
so nahm ich mir vor, was ich erst verwerffen wollte, lieber so viel als möglich
zu verbessern.— Welche Arbeit! —
3
Ich
IV. I18HWJIJW.
■ ■■ !. II Illi J ...II ■ JBP—
Ich hatte mich bey keiner Gattung von Gedichten länger verweilet, als bey der
Fabel. Es gefiel mir auf diesem gemein schaftlichen Raine der Poesie und Moral.
Ich hakte die alten und neuen Fabulisten
so ziemlich alle, und die besten von ihnen mehr als einmal gelesen.
Ich hatte über
die Theorie der Fabel pachgedacht.
Ich
hatte mich oft gewundert, daß die gerade
auf die Wahrheit führende Bahn des Aesopus, van den Neuern, für die blumenrei cher» Abwege der schwahhasten Gabe z« erzehley,. so sehr verlassen werde.
Ich
hatte eine Menge Versuche in der einfälti
gen
V.
gen Att des alten Phrygiers gemacht. Kurz, ich glaubte mich in diesem Fache so
reich, daß ich, vvrS erste meinen Fabeln, mit leichter Mühe, eine neue Gestalt gebe« könnte.
Ich griff zum Werke. —
Wie sehr ich
wich aber wegen der leichten Mühe geirret
hatte, das weis ich selbst am besten.
An-
merkungen, die man während dem Stu dieren macht, und nur aus Mißtrauen in
fein Gedächtniß auf das Papier wirst; Ge danken, die man sich nur zu haben be gnügt, ohne ihnm durch dm Ausdruck die
nöthige Präcision zu geben; Versuche», * 4
die
die mau nur zu seiner Uebung waget-
—
fehlet noch sehr vixl jtt einem Buche.
War nun endlich für eines daraus gewor den ; — hier ist es!
Man wird nicht mehr als sechse von Meinen alten Fabeln darinn finden; die
sechv Prosaischen nehmlich, die mir der
Erhaltung,am wenigsten unwerth- schienen. Die übrigen gereimten mögen auf eine an dere Stelle warten.
Wenn es nicht gar
zu sonderbar gelassen hatte, so
ürde ich
sie in Prosa aufgelöset haben.
Ohne übrigens eigentlich den Gesichts-
Punct, auL welchem ich am liebsten betrach-
VH.
trachtet zu seyn wünschte, .vorzuschreiben,
ersuche -ich bloß meinen Leser, Vie Fabeln Nicht ohne die Abhandlungen zu beur theilen. Denn ob ich gleich weder diese
jenen, noch jene Viesen zum besten ge
schrieben Habe; si> entlehnen doch beyde, afe Dinge, die zu Einer Zeit in Einem Kopfe entsprungen, allzuviel vbn emander, aiS daß sie kitzeln und abgesondert noch eben
dieselben bleiben könnten»
Sollte er auch
schon vabch entdecken, daß meine Regeln ■mit meiner Ausübung nicht allezeit über
einstimmen : was ist es mehr? Er weiß
von selbst) daß das Genie ftinen Eigen? * 5
sinn
VIII
firm hat; daß es den Regeln selten mit
Vorsatz folget; und daß diese seine wollü» fiigen Auswüchse zwar beschneide», aber
nicht hemme» sollen.
Er prüfe also m
den Fabeln seine» Geschmack, und in de»
Abhandlungen meine Gründe. — Ich wäre Willens,«mit allen übrigen Abe «Heilungen meiner Schriften, nach und
nach, auf gleiche Weise zu verfahren. An
Vorrath würde es mir auch nicht fehlen, Yen unnützen Abgang dabey zu ersetzen. Aber an Zeit, an Ruhe— — Nicht
weiter! Dieses Aber gehöret in keine Vor
rede; und das Publicum danket es selten einem
IX.
einem Schriftsteller, wenn er es auch in"
solchen Dingen zu seinem Vertrauten z« machen gebenft. — So lange der Virtuos se Anschläge fasset, Ideen sammlet, wäh
let, ordnet, in Plane vertheilet: so lange genießt er die sich selbst belohnenden Woh
lüste der Empfängniß.
Aber so bald er
einen Schritt weiter gehet, und Hand amleget, seine Schöpfung auch ausser sich dar zustellen: sogleich fangen die Schmerzen
der Geburt an, welchen er sich selten ohne alle Aufmunterung unterziehet. —
Eine Vorrede sollte nichts enthalten, als die Geschichte des Buchs.
Die Ge schichte
X
schichte des meinigen war bald erzchlt^ und ich müßte hier schliessen, Allem, da ich die Gelegenheit mit meinen Lestbn zu spra
chen, ss selten.ergreiffe, so erlaube man
Mir, sie einmal zu mißbrauchet — Ich -in gezwungen mich über einest bekannten
Scribenten zu beklagen. Herr Dnsich hat mich durch seine bevollmächtigten Freunde, seit geraumer Zeit, auf eine sehr MchkS--
würdige Art Mißhandeln lassen. Ich mei« tre mich, den Menschen; denn daß eS sei ner siegreichen Critik gefallen hat, mich, den Schriftsteller, in die Pfanne zn hauen,
da'S würde ich mit keinem Worte rügen. Die
XL
Die Ursache seiner Erbitterung sind der« schiebens Critikm, die man in der Biblio thek der schönen Wissenschaften, und»
in den Briefen die neueste Litteratur betreffend, über seine Werke gemacht hat,,
und Er guf meine Rechnung schreibet«) Ich habe ihn schon öffentlich von dem Een
gentheile versichem lassen; die Verfasser
der Bibliothek sind auch nunmehr genug sam bekannt; und wenn diese, wie er selbst behauptet, zugleich die Verfasser der Brie
fe sind: so kann ich gar nicht begreiffen, warum er seinen Zorn an mir ausläßt. Vielleicht aber muß ein ehrlicher Mann,
wie
XII.
«Le Er, wenn es ihn nicht todten soll, sich
feiner Galle gegen einen Unschuldigen ent laden; und in diesem Falle stehe ich seiner Kunstrichterey, und dem Aberwiße seiner
Freunde und seiner Freundinnen, gar gem noch ferner zu Diensten, und Wiederrufe
meine Klage.
Zabeln-
Fabeln. Erstes Buch.
Die Erscheinung. 3« der einsamsten Tiefe jenes Waldes, »»
ich schon manches rederrde Thier belauschk, lag ich an einem sanften Wasserfalle und war der müht, einem meiner Mährchen den leichten poetl» scheu Schmuck zu geben, in welchem am liebsten z« erscheinen, la Fontaine die Fabel fast verwöhnt hat. Zch sann, ich wchlte, ich verwarf, die Stir ne glühte------- Umsonst, es kam nichts auf das Blatt. Voll Unwill sprang ich auf; aber sieh!— auf einmal stand sie selbst, die fabelnde Muse vor mir. Und sie sprach lächelnd: Schüler, wozu diese un, dankbare Mühe? Die Wahrheit braucht die An muth der Fabel; aber wozu braucht die Fabel die A r Anmuth
4 Anmuth der Harmonie?
Du willst das Gewürze
Gnug, wenn die Erfindung des Dichters
würzen.
ist; der Vortrag sey des ungekünstelten Geschicht
schreibers, so wie der Sinn des Weltweisen. Zch wollte antworten, aber die Muse verschwand. „Sie verschwand?
höre ich einen Leser frügen.
»»Wenn du uns doch nur wahrscheinlicher täuschen
„wolltest! Die seichten Schlüsse, auf die dein Un-z «»vermögen dich führte, der Muse in den Mund j« »»legen!
Zwar ein gewöhnlicher Betrug —
Vortrefltch, mein Leser! erschienen.
Mir ist keine Must
Zch erzehlte eine bloße Fabel, aus der
du selbst die Lehre gezogen.
Zch bin nicht der erste
und werde nicht der lehte seyn , der seine Grillen zu Orakelsprüchen einer göttlichen Erscheinung macht.
n. Der
L II. Der Hamster und hie Ameise. ^)hr armseltgm Ameisen, sagte ein Hamster; Bett lohnt es sich der Mühe, daß Ihr den ganzen Som mer arbeitet, «m ein so weniges einzusammeln? Wenn Ihr meinen Vorrath sehen solltet!------HSre, antwortete eine Ameise, wenn er grösser Ist, als btt Ihn brauchst, so Ist es schon recht, daß die Menschen dir nachgraben, deine Scheuren ausleeren, und dich deinen rLubrischen Geitz mit dem Leben büssen lassen!
A;
in. Der
111
Dek Löwe tttib der Haft. E.n 8Stbe würdigte einen drotligten Hasen seiner nähern Bekanntschaft. Aber ist eS denn wahr, fragte ihn einst der Hase, daß euch Löwen ein elender fri# hender Hahn so leicht verjagen kann? Alkerding» ist eS wahr, antwortete der Löwe; und es ist eine allgemeine Anmerkung, daß wir große Thiere durchgängig eine gewisse kleine Schwach» heit an uns haben. So wirst du, zum Exempelvon dem Elephanten gehört haben, daß ihm da» Grunzen eines Schweins Schauder und Entsetzen erwecket. Wahrhaftig? unterbrach ihn der Hase. Za, mm begreif ich auch, warum wir Hasen uns so entsetz» lich vor den Hunden fürchten.
iv. Der
-
IV.
Der Esel und das Jagdpferd. E« Esel vermaß sich, mit einem Zagdpferde um die Wette zu laufen. Die Probe fiel erbärmlich ans, und der Esel ward auegelacht. Ich merke «unwohl, sagte der Esel, woran eö gelegen Hat; ich trat mir »er einigen Monaten einen Dorn in den Fuß, und der schmerzt mich noch. Entschuldigen Sie mich, sagte der Kanzelredner Liederhold, wenn meine heutige Predigt so gründ lich und erbaulich nicht gewesen, als man sie von dem glücklichen Nachahmer eines Mosheims erwar tet hätte; ich habe, wie Sie hören, einen heischen» Hal«, «nd den schon feit acht Tagen. mu'.j ’g*
A4
V.ZevS
8 V.
Zevs und das Pferd. Vater der Thiere und Menschen, so sprach das
Pferd und nahte sich dem Throne des Zevs, man
will, ich sey eines der schönsten Geschöpfe, womit du die Welt qezjeret, und meine Eigenliebe heißt mich es glauben.
Aber sollte gleichwohl nicht noch
verschiedenes an mir zu bessern seyn? —
Und was meinst du denn, daß an dir zu bes
sern sey?
Rede; ich nehme Lehre an: sprach der
gute Gott, und lächelte.
Vielleicht, sprach das Pferd weiter, würde ich .flüchtiger seyn, wenn meine Beine höher und
schmächtiger wären;
ein langer
Schwanenhals
würde mich nicht verstellen; eine breitere Brust würde meine Stärke, vermehren; und da du mich doch einmal bestimmt hast, deinen Liebling', den
Menschen zu tragen, so könnte mir ja wohl der Sattel anerschaffen seyn, den mir der wohlthätige
Repter auflegt. Gut
9 Gnr, versetzte Zevs; gedulde dich einen Augen« blick! Zevs, mit ernstem Gesichte, sprach das Wort der Schöpfung. Da quoll Leben in de» Staub, da verband sich organisirter Stoff; und plötzlich stand vor dem Throne — bas häßliche Rameel. Das Pferd sah, schauderte und zitterte vor ent« sttzendem Abscheu. Hier sind höhere und schmächtigere Deine, sprach
Zevs; hier ist ein langer Schwanenhals; hier ist eine brettere Brust; hker ist der anerschaffene Sat« tel i Willst du, Pferd, daß ich dich so umbtldett soll? Das Pferd zitterte »och. Geh, fuhr Zevs fort; diesesmal sey belehrt, ohn« bestraft zu werden. Dich deiner Vermessenheit aber dann und wann reuend zu erinnern, so baute du fort, neues Geschöpf— Zevs warf einen erhalten« den Biick auf das Rameel------- und das Pferd erblicke dich nie, ohne zu schaudern.
A f
vi. Der
fö
VI.
Der Asse und der Luchs, d^enne mir ein so geschicktes Thier, dem ich nicht
»achahmen könnte!
Fuchs.
so prahlte der Affe gegen bett
Der Fuchs aber erwiederte: Und du, nen
ne mir ein so geringschätziges Thier, dem es einfal,
len könnte, die nachzuahmen.
Schriftsteller meiner Nation!-------- Muß ich vitch noch deutlicher erklären?
VII. Die
VII.
Die Nachtigall ttttl der Pfau. K-ine gesellige Nachtigall fand, unter den Sängern de« Waides, Neider die Menge,-aber keinen Freund.
Vielleicht finde ich ihn unter einer andern Gattung,
dachte ste, und floh vertraulich zu dem Pfaue herab. Schöner Pfau! ich bewundere dich.--------- Zch
»dich auch, liebliche Nachtigall l—
So laß uns
Freunde seyn, firrach die Nachtigall weiter; wir
werden uns nicht beneiden dürfen; du bist dem Auge sö ninzenehm, als ich dem Ohre. Die Nachtigall und der Pfau wurden Freunde. Rnekler und Pope waren bessere Freunde, als
Pop« Md Addison.
vin Der
18
VIII.
Der Wolf und der Schäfer. Ein Schäfer hatte durch «ine grausame Seuche seine ganze Heerde.verloren. Das erfuhr der Wolf, und kam seine Condolenz abzustarten. Schäfer, sprach .er, ist es wahr, daß dich ein so grausames Unglück betroffen? Du bist um deine ganze Heerde gekommen? Die liebe, fromme, fette Heerde! Du kauerst mich, und ich möchte blutige Thränen weinen. Habe Dank, Meister Isegrim; versetzte der Schä fer. Ich sehe, du hast ein sehr mitleidiges Herz. Das hat er auch wirklich, fügte de« Schäftrs Hylax hinzu, so oft er unter dem Unglücke seines Nächsten selbst leidet.
«.Da«
13
IX. Das Roß und der Stier.
A-f einem feurigen Rosse floh stolz.ein treuster Knabe daher. Da rief ein wilder Stier dem Rosse zu: Schande! von einem Knaben ließ ich mich nicht regieren! Aber ich; versetzte da« Roß. Denn wa« für Ehr« könnte e« mir bringen, einen Knaben abzuwerfen 1
x Die
X.
Die. Grille xnd die Nachtigall, ^jch verfichre dich, sagte die Grille zu der Nach»
tigall, daß es meinem Gesänge gar nicht an De»
«nndrern fehlt. — Nachtigall
Nenne mir sie doch, sprach die
Die arbeitsamen Schnitter, ver«
setzte die Grille, hören mich mit vielem Vergnügen,
nutz daß dieses die nützlichsten Lenke in der menschll»
chen Republik find, das wirst d« doch nicht leugnen wollen?
Das will ich nicht leugnen, sagte die Nachtigall; ober deswegen darfst du auf ihren Beyfall nicht stolz
seyn.
Ehrlichen Leute», die alle ihre Gedanken bey
der Arbeit haben, müssen ja wohl die feinern Em»
psiudungen fehlen.
Bilde dir also ja nicht« eher auf
dein Lied «in, al« bi« ihm der sorglose Schäfer, der
selbst auf seiner Flöte sehr lieblich spielt, mit stillem Entzücken lauschet.
Xi. Die
X5
XI.
Die Nachtigall und der -Habicht. Ein Habicht schoß ans eine singende Nachtigall. Da du so lieblich singst, sprach er, wie vortrefltch wirst du schmecken! War es höhnische Bosheit, oder war es Ein, falt, was der Habicht sagte? Zch weis nicht. Aber gestern Hirt ich sagen: dieses Frauenzimmer, das so unvergleichlich dichtet, muß es nicht ein
allerliebstes Frauenzimmer seyn! gewiß Einfalt!
Und das wan
X». Der
iS
XII. Der kriegerische Wolf.
wCefn Vater, glorreichen Andenkens, sagte ein
jÄnger Wolf zu einem Fuchse, daS war ein rechtet Held! Wie fürchterlich hat er sich nicht in der gan zen Gegend gemacht! Er hat über mehr als zwey, hundert Feinde, nach und nach, triumphier, und ihre schwarze Seelen in das Reich des Verderbens gesandt. Was Wunder also, daß er endlich doch einem unterliegen mußte! So würde sich ein Leichenredner ansdrücken, sagt» der Fuchs; der trockene Geschichtschreiber aber würde htnzusehen: die zweyhundert Feinde, über die er, nach und nach, trtumphiret, waren Schafe und Esel; und der eine Feind, dem er unterlag, war der erste Stier, den er sich anzufallen erkühnte.
XIII. Der
XIII.
Der Phönix. »^ach vielen Jahrhunderten geßel es dem Phönix, sich wieder einmal sehen zu lassen. Er erschien, und alle Thiere und Vögel versammelten sich um ihn. Sie gasten, sie staunten, sie bewunderten und bra, chen in entzückendes Lob aus. Bald aber verwandten die besten und geselligsten mitleidsvoll ihre Blicke, und seufzten: Der Unglück, ltche Phönix! Ihm ward das harte Loos, weder Geliebte noch Freund zu haben; denn er ist der ein« -tge seiner Art!
xiv Die
18
XIV.
Die Gans. Die Federn einer Gan« beschämten den neugebvhr»
nen Schnee Stolz auf dieses blendende Geschenk der Natur, glaubte sie eher zu einem Schwane, al« zu dem was sie war, gebohren zu sey». Sie son, Gerte sich von ihres gleiche» ab, und schwamm ein, sam und majestätisch auf dem Teiche herum. Bald dehnte sie ihren Hal«, dessen verrätherischer Kürze sie mit aller Macht abhelfen wollte. Bald suchte sie ihm die prächtige Biegung zu geben. In welcher der Schwan da« würdigste Ansehen eines Vogel« de« Apollo hat. Doch vergebens; er war zu steif, und mit aller ihrer Bemühung brachte sie e« nicht weiter, al« daß sie eine lächerliche Gans ward, ohne ein Schwan zu werden.
XV. Die
19
XV.
Die Eiche und das Schwein. Ein gefrässiges Schweln mästete sich, unter einer hohen Eiche, mit der herabgefallenen Frucht. In dem c8 die eine Eichel zerbiß, verschluckte es bereits eine andere mit dem Auge. Undankbares Viehi rief endlich der Eichbaum herab. Du nährest dich von meinen Früchten, ohne einen einzigen dankbaren Blick auf mich in die Höhe zu richten. Da« Schweln hielt einen Augenblick imie, und grunzte zur Antwort: Meine dankbaren Blicke soll, ten nicht auffenbieiben, wenn ich nur wüßte, daß du deine Eicheln meinetwegen hattest fallen lassen»
KV1 Di«
20
XVI.
Die Wespen. Fäulntß und Verwesung zerstörten das stolze Gebäu eines kriegerischen Rosses, das unter seinem küh
nen Retter erschossen worden.
Die Ruinen des ei
nen braucht die allzeit wirksame Natur, zu dem Le
ben des andern.
Und so floh auch ein Schwarm
junger Wespen aus dem beschmeißten Aase hervor.
O, riefen die Wespen, was für eines göttlichen Ur
sprungs sind wir!
Das prächtigste Roß, der Lieb
ling Neptuns, ist unser Erzeuger! Diese seltsame Prahlerey hörte der aufmerksam«
Fabeldichter, und dachte an die heutigen Jtaliäner, die sich nichts geringers als Abkömmlinge der alten
unsterblichen Römer zu seyn einbilden, weil sie auf ihren Gräbern gebohrm worden.
XVII. 3)1«
21
XVII. Die Sperlinge. Eine alte Kirche^ welche den Sperlingen unzLH-
liche Nester gab, ward auegebessert. Als sie nun in ihrem neuen Glanze da stand, kamen die Sper linge wieder, ihre alten Wohnungen zu suchen. Al lein sie fanden sie alle vermauert. Zu was, fchrieey sie, taugt denn nun da« grosse Gebäude? Kommt, verlaßt den unbrauchbaren Steinhaufen!
B 3
XVlll.Dev
22
XVIII. Der Gkrauß. will ich fliegen ; tief der gigantische Strauß, und das ganze Volk der Vigei stand in ernster Er wartung um ihn versammelt. Zht will ich fliegen, rief er nochmals; breitete die gewaltigen Fittige weit aus, und schoß, gleich einem Schiffe mit aufge« spannten Segeln, auf dem Boden dahin, ohne ihn mit einem Tritte zu verlieren. Sehet da ein poetisches Bild jener unpoetlschen Köpfe, die in den ersten Zeilen ihrer ungeheuren Oden, mit stolzen Schwingen prahlen, sich über Wolken und Sterne zu erheben drohen, und dem
Staube doch immer getreu bleiben!
xxix. Der
$3 XIX.
Der Sperling und der Strauß. (Set) auf deine Grösse, auf deine Stärke so stolz als du willst: sprach der Sperling zu dem Strausse. Zch bin doch mehr ein Vsgel als du.
Denn du
kannst nicht fliegen; ich aber fliege, obgleich nicht hoch, obgleich nur Ruckweise.
Der leichte Dichter eines fröhlichen Trinkliedes,
eines kleinen verliebten Gesanges, ist mehr ein Genie, als der schwunglose Schreibet einer langen
Hermannlade.
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XX Die
«4 Ulli. X.
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XX.
Die Hunde. Wie ausgeartet ist hier zu Lande unser Geschlecht l sagte ein gereister Budel. Zn dem fernen Weltthei, le, welches die Menschen Indien nennen, da, da giebt es noch rechte Hunde; Hunde, meine BrA, der-------- ihr werdet es mir nicht glauben, und doch habe ich es mit meinen Augen gesehen — die auch einen Löwen nicht fürchten, und kühn mit ihm anbinden. Aber, fragte den Dudel ein gesehter Jagdhund, überwinden sie ihn denn auch, den Löwen? Ueberwtnden? «ar die Antwort. Das kann ich nun eben nicht sagen. Gleichwohl, bedenke nur, einen Löwen anzufallen! _ _ _ O, fuhr der Jagdhund fort, wenn sie ihn nicht überwinden, so sind deine gepriesene Hunde in Zndien besser als wir, so viel wie nichts — aber ein gut Theil dümmer.
xxi. Der
»5 XXI.
Der Luchs und der Storch. Erzehle mir doch etwas von den fremden Lindem, die du alle gesehen hast, sagte der Fuchs zu dem weitgereisten Storche. Hierauf fing der Storch an, ihm jede Lache, und jede feuchte Wiese zu nennen, wo er die schmacht Hastesten Würmer, und die fettesten Frösche g-, schmauset. Sie sind lange in Paris gewesen, mein Herr. Wo sveiset man da am besten? Was für Weine har den Sie da am meisten nach ihrem Geschmacke ger funden?
D r
Xxn. ©le
XXII.
Dke Eule uttd der Schatzgräber. Letter Schatzgräber war ein sehr unbilliger Ästann. Er wagte sich In die Ruinen eines alten Raube schlosser, und ward da gewahr, daß die Eule eine magere Maur ergrif und verzehrte. Schickt sich da», sprach er, für den philosophischen Liebling Minerven» ? Warum nicht? versetzte die Eule. Well ich stille Betrachtungen liebe, kann ich deswegen von der Lust leben? Ich weis zwar wohl, daß ihr Menr schm es von euren Gelehrten verlanget —. —
«xiil. Die
27 XXIII.
Die junge Schwalbe. W-« macht ihr da? fragte eine Schwalbe die ger schjfttgett Ameisen.
Wir sammeln Vorrath auf den
Winker; war die geschwinde Antwort. Das ist klug, sagte die Schwalbe; daü will ich
auch thun.
Und sogleich fing sie mi, eine Menge
todter Spinnen und Fliegen in ihr Nest zu tragen.
Aber wozu soll da«? fragte endlich ihre Mutter.
„Wozu? Vorrath auf den bösen Winter, liebe Mut-
„ter; sammle doch auch!
Die Ameisen hqb.en mich
„diese Vorsicht gelehrt."
O laß den irrbtschen Ameisen diese kleine Klugheit, versetzte die Alte; was sich für sie schickt, schickt sich nicht für bessere Schwalben.
Uns hat die gütige
Natur ein holderes Schicksal bestimmt.
Wenn der
reiche Sommer sich endet, ziehen wir von hinnen; auf dieser Reise entschlafen wir allgeinach, und da empfangen uns warme Sümpfe, wo wir ohne Be dürfnisse rasten, bis uns ein neuer Frühling zu einem
neuen Leben erwecket.
XXIV.
tlTerope. 3d) muß dich doch etwa« fragen; sprach ein junger
Adler zu einem tiefsinnigen grundgelehrten Uhu.
Man sagt, es gäbe einen Vogel, mit Namen Me-
top«, der, wenn er in die Luft steige, mit dem Schwänze voraus, den Kopf gegen die Erde gekehret,
fliege.
Ist da« wahr?
Ey nicht doch! antwortete der Uhu; da« ist eine alberne Erdichtung de« Menschen.
Er mag selbst
ein solcher Merops seyn; weil er nur gar zu gern den Himmel erfliegen möchte, ohne die Erde, auch hüt einen Augenblick, au« dem Gesichte zu verlieren.
*9 XXV.
Der pelekan. §ür wohlgerathene Kinder können Aeltern nicht zu viel thun. Aber wenn sich ein blöder Vater für einen ausgearteten Sohn das Blut vom Herzen japst; dann wird Liebe zur Thorheit. Ein frommer Pelekan, da er feine Zungen schmacht ten sahe, ritzte sich mit scharfem Schnabel Hie Brust auf, und erquickte sie mit seinem Blute. Zch be, wundere deine Zärtlichkeit, rief ihm ein Adler zu, und bejammere deine Blindheit. Steh doch, wie manchen nichtswürdigen Guckuck du unter deinen Zungen mit ausgebrütet hast! So war es auch wirklich; denn auch ihm hatte der kalte Guckuck seine Eyer untergeschoben. — Waren es undankbare Guckuck« werth, daß ihr Leben so theuer erkauft iburde?
xxvi Der
3®
XXVI.
Der Löwe und der Tiegee. Löwe und der Hase, beyde schlafen mit offe»
nm Augen.
Und so schlief jener, ermüdet von der
gewaltigen Jagd,
einst vor dem Eingänge seiner
fürchterlichen Höhle. Da sprang ein Tieger vorbey, und lacht« de« leich, ten Schlummer«. „Der nichtöfürchtende Löwe! rief
„er.
Schläft er nicht mit offenen Augen, natür«
»lich wie der Hase!,.
Wie der Hase? brüllte der aufspringende Löwe,
und war dem Spötter an der Gurgel.
Der Tieger
mälzte sich in seinem Blute, und der beruhigte Sie« ger legte sich wieder, zu schlafen.
XXV». Der
31
XXVII. Der Stier und der Hirsch. En schwerfälliger Stier und ein flüchtiger Hirsch
weideten auf einer Wirft zusammen. Hirsch, sagte der Stier, wenn uns der Liwe an« fallen sollte, so laß uns für einen Mann stehen; wir wollen ihn tapfer abweiftn. — Das muthe mir nicht zu, erwiederte der Hirsch; denn warum sollte ich mich mit dem Liwen in ein ungleiches Gefecht eine lassen, da ich ihm sichrer entlaufen kgnn?
XXVIII. Der
3» XXVIIL
Der Eftl und der Wölfl Ein Esel begegnete einem hungrigen-Wolfe.
Habe
Mitleiden mit mir, sagte der zitternde Esel; ich bk» ein armes krankes Thier; sieh nur, was für einen Dorn ich mir in den Fuß getreten habe! — Wahrhaftig, du kauerst mich; versetzte der Wolf. Und ich finde mich in meinem Gewissen verbunden, dich von diesen Schmerzen zu befreyen. Kaum war das Wort gesagt, so ward der Esel' zerrissen.
xxix. Der
33 ■äaefc=e
XXIX.
Der Springer im Schache, bwey Knaben wollt«», Schach ziehen.
Weil Ihnen
ein Sprenger fehlte, so machten sie einen überflüssig
sigen Bauer, durch ein Merkzeichen, dazu.
Ey, riefen die andern Springer, woher, Herr Schritt vor Schritt?
Die Knaben hörten die Spötterey und sprachen: Schwelgt! Thut er uns nicht eben die Dienste, die
ihr thut?
xxx. Ars»,
34 XXX.
Aesspus und der Esel. ^er Esel sprach zu dem Aesopqs: Wenn du wieder
ein Geschichtchen von mir ausbringst, so laß mich etwas recht vernünftiges und sinnreiches sagen. Dich etwas sinnreiches! sagte Aesop; wie würde sich das schicken? Würde man nicht sprechen, di» seyst der Sittenlehrer, und ich der Esel?
Fabel«
37
I. Die eherne Sildsävle. «•Ute eherne Dildflule eines vortrefllchen Künstlers schmolz durch die Hitze einer wüthenden Feuersbrunst in einen Klumpen, Dieser Klumpen kam einem anHern Künstler in die Hände, und durch seine Ge schicklichkeit verfertigte er eine neue Bildflule daraus; von der erster» in dem, was sie vorstellete, unter
schieden, an Geschmack-und Schönheit aber ihr gleich. Der Neid sah es und knirschte. Endlich besann
er sich auf einen armseligen Trost: „Der gute Mann „würde dieses, noch ganz erträgliche Stück, auch „nicht hervorgebracht haben, wenn ihm nicht die
„Materie der alten Bildsäule dabey zu Statten ge,.kommen wäre.,,
«.Her-
38 II,
Herkules, A« Herkules In den Himmel ausgenommen ward-
machte er seinen Gruß unter allen Göttern der Jun» zuerst. Der ganze Himmel und Juno erstaunte darüber. Deiner Feindinn, rief man Ihm zu, be gegnest du so vorzüglich? Za, ihr selbst; erwiederte Herkules. Nur ihre Verfolgungen sind es, die mir zu den Thaten Gelegenheit gegebm, womit Ich den Himmel verdienet habe. Der Olymp billigte die Antwort des neuen ®ot# tes, und Zuno ward versöhnt.
M. Der
39
III.
Der Rnabe und die Schlange. Ein Knabe spielte mit einer zahmen Schlange.
Mein liebes Thierchen, sagte der Knabe, ich würde mich mit dir so gemein nicht machen, wenn dir das Gift nicht benommen wäre. Zhr Schlangen seyd die
boshaftesten, undankbarsten Geschöpfe! Zch habe es wohl gelesen, wie es einem armen Landmann ging,
der eine, vielleicht von deinen Uhrältern, die er halb
erfroren unter einer Hecke fand, mitleidig aufhob,
und ste in seinen erwärmenden Dusen steckte. Kaum fühlte sich die Döse wieder, als sie ihren Wohlthäter
biß; und der gute freundliche Mann mußte sterben. Zch erstaune, sagte die Schlange. Wie parthcyisch
eure Geschichtschreiber seyn müssen!
Die unstigen
erzehlen diese Historie ganz anders.
Dein freundli,
cher Mann glaubte, die Schlange sey wirklich er froren , und weil es eine von den bunten Schlangen war, so steckte er sie zu sich, ihr zu Hause die schöne
Haut abzustreifen.
War das recht?
C4
A4,
4® Ach, schweig nur; erwiederte der Knabe.
Wel
schöpfe zu sehen, die ser in seinen Fabeln aufführet? Er kann öa* Schaf verwegen, den Wolf sanftmü-
thig, den Esel feurig vorstellen; er kann die Tau« den als Falken brauchen und die Hunde von den Hasen jagen lassen.
Alle« diefts kömmt ihnen nicht
zu; abef der Dichter macht eine sittliche Fabel, und er darf es ihnen beylegen. — Wie nöthig ist e«,
dieser gefährlichen Auslegung, diesen mit einer Ueber« schwemmung der abgeschmacktesten Mährchen dro«
henden Folgerungen, vorzubauen!
Manerlaube mir also, mich auf meinen eigene« Weg wieder zurückzuwenpen.
Zch will den Welt«
weisen so wenig al« möglich aus dem Gesichte ver
lieren; und vielleicht kommen wir, am Ende der
Bahn, zusammen. —, Zch habe gesagt, und glaube es erwiesen zu haben,
daß auf der Erhebung de«
einzeln Falles zur Wirklichkeit, der wesentliche Un, terschled der Parabel, oder de« Exemp'elö über«
Haupt, und der Label beruhet.
Diese Wirklich
keit Ist der Fabel so unentbehrlich, daß sie sich eher p»n ihrer Möglichkeit, »iS von jener etwas abbre chen
ÄOI BC8gae8g=gags i,».1. . ....... .
chen lägt.
Es streitet minder mit ihrem Wesen, daß
ihr einzelner Fall nicht schlechterdings möglich ist, daß er nur nach gewissen Voraussetzungen, unter
gewissen Bedingungen möglich ist, als daß er nicht
als wirklich vorgestellt werde.
Zn Ansehung dieser
Wirklichkeit folglich, ist die Fabel keiner Verschieden, heil fähig; wrhl aber in Ansehung ihrer Möglich-
Feit, welche sie veränderlich zu seyn erlaubt.
Nu«
ist, wie gesagt, diese Möglichkeit entweder eine un bedingt« oder bedingte Möglichkeit;
der einzelne
Fall der Fabel ist entweder schlechterdings möglich,
oder er ist es nur nach gewissen Voraussetzungen, unter gewissen Bedingungen. Die Fabeln also, deren
einzelner Fall schlechterdings möglich ist, will ich (um gleichfalls bey den alten Benennungen zu bleiben)
vernünftige Fabeln nennen;
Fabeln hingegen,
wo er es nur nach gewissen Voraussetzungen ist, mögen sittliche heißen. Die vernünftigen Fabeln leiden keine fernere Unterabtheilung; die sittliche«
aber leiden sie.
Denn die Vvraussetzunget» be
treffen entweder die Subjecte der Fabel, oder die Prädicate dieser Subjecte: der Kall der Fabel ist
N s
ent-
eox entweder möglich, vorausgesetzt, daß diese und jene Wesen existiern;
oder er ist es, vorausgesetzt, daß
Liese und jene wirklich existirende Wesen (nicht am
dere Eigenschaften, al« ihnen zukommen; denn sonst würden sie zu anderen Wesen werde», sondern) die
Ihnen wirklich zukommenden Eigenschaften in einem
höher» Grade, in einem wettern Umfange 6e
die Natter und die Feile ttt ; die Bäume und der
Dornstrauch *f; der Oelbaum und das Rohr rx. **t
sind gleichfalls sittliche, aber hyperphysisch sitt, liche Fabeln; denn die Natur dieser wirklichen We se?» * Fab. Aesop. s87» ♦♦ Phydrus libr. IV.
Fab. rtz.
*** Phaedrus libr. III. Fab. xf«
f Phacdrus libr. I. Fab. I. •j-f Fhiedrus libr. I. Fab, ass,
ttf Phxdrus libr. IV. Fab. ♦t Fab. Aefep. Ziz.
Fabul. Aelop. 143,
804 L I----------------
ftn wird erhöhet, die Schranken ihrer Fähigkeiten werden erweitert.
Ernes muß ich hterbey erinnern!
Man bilde sich nicht ein, daß diese Gattung von
Fabeln sich bloß auf die Thiere, und andere gerin
gere Geschöpfe einschränke; derDichter kann auch die Ratnr des Menschen erhöhen, und die Schranken
seiner Fäh gketten erweitern.
Eine Fabel z. E. von
einem Propheten würde eine hyperphysisch sitt
liche Fadel seyn; denn die Gabe zu prophezeyen, kann d.'m Menschen bloß nach einer erhöhtem Na
tur zukomme».
Oder wenn man die Erzehlung von
den himmelstürmenden Riesen, als eine äsopische Fabel behandeln und sie dahin verändern wollte, daß
ihr unsinniger Bau von Bergen auf Bergen , endlich
von selbst zusammen stürzte und sie unter de» Rui nen begrübe: sö würde keine andere als eine hyper
physisch sittliche Fabel daraus werden können. Aus den zwey Hauptgattungen, der vernüNsiti, gen und sittlichen Fabel, entstehet auch bey mir
eine vermischte Gattung, wo nehmlich der Fall zum The.l schlechterdings, zum Theil nur unter gewisftn Voraussetzungen möglich ist.
Und zwar kön nen
20Z
lieh dieser vermischten Fabeln dreyerley seyn; die
vernünftig mychische Fabel/ als Herkules und
der Kärner *, bek arme Mann und der Tod **; die vernünftig hyperphysische Fabel, schläger Und der Fuchs
al« der Holz»
der Jäger und der Lö
we t> und endlich die hyperphysisch mythische Fabel, als Jupiter und das Kameel tf, Jupiter
und die Schlange rc. ftf.
Und diese Eintheilung erschöpft die Mannigfal tigkeit der Fabeln ganz gewiß, ja man wird, hoffe ich, keine anführen können, deren Stelle, ihr zu Folge, zweifelhaft bleibe, welches bey allen andern
Einthellungen geschehen muß, die sich bloß auf die Verschiedenheit der handelnden Personen beziehen.
Die Brertingetsche Eintheilung ist davon nicht aus geschlossen, ob Er schon dabey die Grade de« Wun
derbaren zum Grunde gelegt hat.
Denn da bey
ihm die Grade des Wunderbaren, wie wir gesehen haben, ♦ Fabul, Aefop. 336. ♦♦ Fabul. Aesop. 20, ♦♦♦ Fabul. Aefop. «7. t Fabul. Aefop. 280. tt Fabul. Aefop. 1-7. ttt fafrul. Aefop. 189.
2o6
haben , größten Theils, auf die Beschaffenheit dee
handelnden Personen ankommen, so kllngm seine
Works nur gründlicher, und er ist in der That in
die Sache nichte tiefer eingsdrungrn.
«Das Wum
„derbare der Fabel, sagt er, hat seine verschiedene «Grade. — Der niedrigste Grad des Wunderbaren
«findet sich in derjenigen Gattung der Fabeln, in „welchen ordentliche Menschen aufgeführet werden „Weil in denselben das Wahrscheinliche über das
„Wunderbare weit die Oberhand hat,
so könne»
„ sie mit Fug wahrscheinliche, oder in Absicht auf
», die Personen menschliche Fabeln benennet werden.
„Ein mehrerer Grad des Wunderbaren Lussert sich
„in derjenigen Classe dee Fabeln, in welchen-ganz „ andere als menschliche Personen aufgefühttt wer? „ den. —
Diese sind entweder von einer vortreffli,
,, cherN und höher« Natur, als die menschliche ist,
„z.E. die heidnischen Gottheiten; — oder sie sind in „Ansehung ihres Ursprungs und ihrer natürlichen
«Geschicklichkeit von einem geringern Rang als die „Menschen, als z. E. die Thiere, Pflanzen re.—
„Weil in diesen Fabeln das Wunderbare über das -».Wahr/
so? -Wahrscheinliche nach verschiedenen Graden Herr» „scher, werden sie deswegen nicht «nsüglich wuiv „derbare, und in Absicht auf die Personen entwe» „der göttliche oder thierische Fabeln genennt —, Und die Fabel von den zwey Töpfen» die Fabel von den Bäumen und dem Dornstrauche? Sollen bi« auch thierische Fabeln heißen? Oder solle» sie, und ihresgleichen, eigne Benennungen erhalten? Wie sehr wir- diese Namenrolle «»wachsen, besonders wenn man auch alle Arten der vermischten Gattung benennen sollte! Aber ein Exempel zu geben, daß man, nach dieser Breitingerschen Eintheilung, ost zweifelhaft seyn kann, zu welcher Classe man diese oder jene Fabel rechnen soll, so betrachte man die schon angeführte Fabel, von dem Gärtner und feinem Hunde, oder die noch bekanntere, von dem Ackers manne und der Schlange; aber nicht so wie sie phädrus erzehlet, sondern wie sie unter den grie chischen Fabeln vorkömmt. Beyde haben einen si» geringen Grad des Wunderbaren, daß man sie noth, wendig zu den wahrscheinlichen, daö ist mensch lichen Fabeln, rechnen müßte. Zn beyden aber
kommen
sog kommen auch Thiere vor; und inDetrachtung dieser würden sie z» de» vermischten Fabeln gehören, in
welchen das Wunderbare weit mehr über das Wahr«
fcheinliche herrscht, als in jenen.
Folglich würde
man erst ausmachen müssen, ob dle Schlange.und
der Hund hier als handelnde Personen der Fabel anzusehen wären oder nicht, ehe man der Fabel
selbst ihre Classe anweisen könnte. Zch will mich bey diesen Kleinigkeiten nicht län
ger aufhalten, sondern mit einer Anmerkung schlies
sen, die sich überhaupt auf die hyperphpsischen Fadeln beziehet, und die ich, zur richtigernBeurthei, lung einiger von meinen eigenen Versuchen, nicht
gern anzuöringen vergessen möchte. —
Es ist bey
dieser Gattung von Fabeln die Frage, wie weit
der Fabulist die Natur der Thiere und andrer nie-
drigern Geschöpfe erhöhen,
und wie nahe er sie
de» menschlichen Natur bringen dürste?
worte kurz:
Ich ant
so wett, und so nahe er immer will.
Nur mit der einzigen Bedingung, daß aus allem, was er sie denken, reden, und handeln läßt, der Charakter Hervorscheine, um dessen willen er sie sei
ner
509
»er Absicht bequemer fand, als alle andere Zndk
vidua.
Ist dieses;
denken,
rede» und thun sie
durchaus nichts, was ein ander Individuum von einem andern, oder gar ohne Charakter, eben so gut
denken, reden und thun könnte:
so wird uns ihr
Betragen im geringsten nicht befremden, wenn es
auch noch so viel Witz, Scharfsimiigkeit und Ver, ttunft voraussetzt.
Und wie könnte e« auch? Ha,
den wir ihnen einmal Freyheit und Sprache zuge, standen, so müssen wir ihnen zugleich alle Modi,
sieattonen des Willens und alle Erkenntnisse zugeste,
hen, die aus jenen Eigenschaften folgen können, auf
welchen unser Vorzug vor ihnen einzig und allet» beruhet.
Nur ihren Charakter, wie gesagt, müsse»
wir durch die ganze Fabel finden; und finden wir
diesen, so erfolgt di« Allusion, daß es wirkliche
Thiere sind, ob wir sie gleich reden hören, und ob sie gleich noch so feine Anmerkungen, noch so schärft sinnige Schlüffe machen.
Es ist unbeschreiblich, wie
viel Sophismata non Muis ut causa dir Kunstlichter in dieser Materie gemacht haben.
der Verfasser
Unter and«»
der britischen Briefe, H
wenn er
von
L!»
von seinem Hermann Axel sagt: »Daher schreibt »er auch den unvernünftige» Thieren, die er auf, ».führt, niemals eine Reihe von Anschlägen zu, die »in einem System, in einer Verknüpfung stehen, »und zu einem Endzwecke von weitem her angeord, ».»et find. Denn dazu gehöret eine Stärke derVerr ».nunft, welche über den Instinkt ist. Zhr Instinkt »giebt nur flüchtige und dunkle Strahlen einer Der/ »nunft von sich, die sich nicht lange empor halten »kann. Aus dieser Ursache werden diese Fabeln mit »Thierpersonen ganz kurz, und bestehen nur aus „einem sehr einfachen Anschläge, oder Anliegen. »»Sie reichen nicht zu, einen menschlichen Charakter ».in mehr als einem Lichte vorzustellen; ja der Fabu, „list muß zufrieden seyn, wenn er nur einen Zug ,, eines Charakters vorstellen kann. Es ist eine aus, „schweifende Idee des Pater Boffue, daß die „aesopische Fabel sich in dieselbe Länge, wie die epi, „sche Fabel ausdehnen lasse. Denn das kann nicht „geschehen, es sey denn, daß man die Thiere nichts „von den Thieren behalten lasse, sondern sie in Men, „schen verwandle, welches nur in possirlichen Ge, „dichten
511
»dichten angchet, wo man die Thiere mit gewissem
»Voksah in Masken «uffüheet, und die Verricht
„ tungen der Menschen nachäffen läßt re/' — Wit sonderbar ist hier das aas dem Wesen der Thiere hergeleitet, was der Kunstrichtee ans dem Wesen
der anschaneNdrn Erkenntniß, und aas der Einheit
des moralischen Lehrsatzes in der Fabel, hätte Heer
leiten sollen! Ich gebe es zu, daß der Einfall des Pater Bsssue nichts taugt.
Die aesoptsthe Fabel,
in die Länge einer epischen Fabel ausgedehner, Hb/ ret auf eine aesopische Fabel zu sehn; aber nicht deSr
wegen, wett man den Thieren, nachdem man ihnen Freyheit und Sprache ertheilt hat, nicht aüch eine
Folge von Gedanken,
dergleichen dir Folge von
Handlungen in der Epopee erfordern würde, rrtheir len dürfte; nicht deswegen, well die Thiere alSdenn zu viel menschliches habe» würden: sondern deswer
gen, weil die Einheit des moralischen Lehrsatzes oeer lohren gehen würde;
weil man diesen Lehrsatz in
der Fabel, deren Theile so gewaltsam auseinander gedehnet und mit fremden Theilen verniischt wer,
de», nicht länget anschauend erkennen würde. Dein»
O »
die
212
die anschauende Erkenntniß erfordert unumgänglich, daß roir den einzeln Fall auf einmal übersehen kön nen; können wir ee nicht, weil er entweder allzu viel Theile hat, oder seine Theile allzuweit uueein, ander liegen, so kann auch die Intuition deö All gemeinen nicht erfolgen. Und nur dieses, wenn ich nicht sehr irre, ist der wahre Grund, warum man es dem dramatischen Dichter, noch williger aber dem Epopeendichter, erlassen hat, in ihre Werke eine einzige Hauptlehre zu legen. Denn was hilft es, wenn sie auch eine hineinlegen? Wir können sie doch nicht darinn erkennen, weil ihre Werke viel zu weitläustig sind, als daß wir sie auf einmal zu übersehen vermöchten. Zn dem Squelette der selben müßte sie sich wohl endlich zeigen; aber das Squelett gehöret für den kalten Kunstrtchter, und wenn dieser einmal glaubt, daß eine solche Haupt lehre darinn liegen müsse, so wird er sie gewiß herauegrübeln, wenn sie der-Dichter auch gleich nicht hinein gelegt hat. Daß übrigens das eingeschränkte Wesen der Thiere von dieser nicht zu erlaubenden
Ausdehnung der aesopischen Fabel, die wahre Ursach
21?
fach nicht sey, hätte der kritische Briefsteller gleich
daher abnehmen können, weil nicht bloß die thierh
sche Fabel, sondern auch jede andere aesopische Fabel, wenn sie schon aus vernünftigen Wesen bestehet, der, selben unfähig ist.
Die Fabel von dem Lahmen und
Blinden, oder von dem armen Mann und dem Tode, läßt sich eben so wenig zur Länge des epischen Ge,
dichte erstrecken, als die Fabel t>op dem Lamme und
dem Wolfe, oder von dem Fuchse und dem Raben. Kann es also an der Natur der Thiere liegen? Und
wenn man mlt Beyspielen streiten wollte, wie viel sehr gute Fabeln ließen sich ihm nicht entgegen
setzen, in welchen den Thieren weit mehr, als fluch, tige und dunkle Strahlen einer Vernunft bcyge,
legt wird, und man sie ihre Anschläge ziemlich von weitem her zu einem Endzwecke anwenden siehet.
Z. E. der Adler und der Käfer *; der Adler, dir Katze und das Schwein re. **
Unterdessen, dachte ich einsmals bey m'r selbst,
wenn man dem ohngeach'tet eine aesopische Fabel von einer ungewöhnlichen Länge machen wollte, wie O 3 * Fdb. Aefop. r. ** Phardrus libr. II. Fab. 4.
müßte
müßte man es Anfängen, daß die itztberührten Un
bequemlichkeiten dieser Länge wegfielen 3 Wie müßte
unser Reinicke Fuchs airssehen, wenn ihm der
Name eine« aesopischen Heldengedichts zukomme»
sollte? Mein Einfall war dieser: Vovs erste müßte nur ein einziger moralischer Satz in dem Ganze«
zum Grunde liegen; voro zweyte müßten die vie len und mannigfaltigen Theile dieses Ganzen, unter
gewisse Haupttheile gebracht werden, damit man sie wenigstens in diesen Haupttheilen auf einmal totti
Phen könMe; vor» dritte müßte jeder dieser Haupt theile ein besonders Ganze, eine für sich bestehende
Fabel seyn können,
damit das große Ganze ans
gleichartigen Theilen bestünde.
Es müßte, um alles
zusammenzunehmen« der allgemeine moralische Satz
in seine einzelne Begriffe aufgelöset werden;
jeder
von diesen einzelnen Begriffen müßte in einer beson
dern Fabel zur Intuition gebracht werden, und alle diese besondern Fabeln Müßten zusammen nur eine
einzige Fabel auemachen.
Wie wenig hat der Re»,
m
Warum der Verfasser den prosaischen Vorr
trag gewehlet, 116 u. f.
Fehler des phadrus,
so oft er von den griechischen Fabeln abwetcht,
32p u» f. V. Von einem besondern Wutzen der Fabel in
den Schulen 234 u. f»
Die rhetorischen Uebunr
gen mit der Fabel werden gemißbtüiget,
234
Von dem hrvristifchen Nutzen der Fabel, in
Absicht auf die Bildung de« Genies, 335. 236
Wie
dir Fabel erfunden werde,
238.
Wie
der Jugend die Erfindung zu erleichtern, 338 u. f.
Exempel an vrrschiednen eigne« Fabeln des Bev fasiers, 23p u. f»