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German Pages 275 [548] Year 1840
Gotthold Ephraim Lessings
sämmtliche Schriften hcraiisgcgcbc»
V o II
Karl Lachmann.
Gotthold Ephraim Lessings
sämmtliche Schriften. Neue rechtmäßige Ausgabe.
Achter Band.
Berlin, in der Voß'schen Buchhandlung. 183 9.
Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin.
Inhalt.
Seite
Briefe, antiquarischen Inhalts. Erster Theil.
Zweyter Theil.
1768............................................................................
1
1769.........................................................................
103
Wie die Alten den Tod gebildet. 1769......................... 210 Gedichte von Andreas Scultetus. 1769......................... 263 Predigt über zwei Texte ............................................... 310 Berengarius Turonensis. 1770....................................... 314 Vermischte Schriften. Erster Theil. 1771. Norbericht
..........................................................................................
424
Zerstreute Anmerkungen über das Epigramm, und einige der
vornehmsten Epigrammatisten......................................................
425
lieber die so genannte Agrippine, unter den Alterthümern zn Dresden. 1771...................................................
529
Briefe, antiquarischen Inhalts. Kywvicrpjx
7]
^locXA/or
F,q
ro TrtxpaxpTfyua axougn?
XTT^lUX ES a EL ----
Erster
Theil.
1768.
Vorbericht.
D
icsc Briefe waren Einfangs nur bestimmt, einem wöchentli chen Blatte cinvcrlcibct zu werden. Denn man glaubte, daß
ihr Inhalt keine andere, als eine beyläufige Lesung verdiene.
Aber cs wurden ihrer für diese Bestimmung zu viel; und da die Folge den Inhalt selbst wichtiger zu machen schien, als es blosse Zänkcrcycn über mißverstandene Meinungen dem Publieo zu seyn pflegen: so ward geurthcilct, daß sie als ein eigenes
Buch schon mit unterlaufen dürften.
Die Ausschweifungen, welche der Verfasser mit seiner Recht
fertigung verbunden, werden wenigstens zeigen, erst seit gestern mit den Gegenständen derselben
daß er nicht bekannt
ist.
Zn der Fortsetzung, welche der Titel verspricht, Host er noch mehr einzelne Anmerkungen los zu werden, von denen es im
mer gut seyn wird, daß sie einmal gemacht worden. Wem sie allzu klein, allzu unerheblich vorkoinmen sollten, für den, dünkt ihn, ist wohl das ganze Fach nicht, in welches
sie gehören. Noch erwartet man vielleicht, daß er sich über den Ton erkläre, den er in diesen Briefen genommen. — Vido quam Lessings Werke viii, 1
Antiquarischer Briefe erster.
2
fim antiquorum hominum! antwortete Cicero dem lauen Atticus, der ihm vorwarf, daß er sich über etwas wärmer, ranhcr nnd bitterer
ausgcdrückct habe, als man von seinen Sitten erwarten können. Der schleichende, süße Komplimcntierton schickte sich weder zu dem Vorwürfe, noch zn der Einkleidung.
Auch liebt ihn der
Verfasser überhaupt nicht, der mehr das Lob der Bescheidenheit, als der Höflichkeit sucht.
Die Bescheidenheit richtet sich genau
nach dem Verdienste, das sic vor sich hat; sie giebt jedem, was jedem gebühret.
Aber die schlaue Höflichkeit giebt allen alles,
um von allen alles wieder zu erhalten.
Die Alten kannten das Ding nicht, nennen.
was wir Höflichkeit
Zhre Urbanität war von ihr eben so weit, als von
der Grobheit entfernt.
Der Neidische, der -Hämische, der Rangsüchtige, der Ver
hetzet, ist der wahre Grobe; er mag sich noch so höflich ansdrücken.
Doch cs sey, daß jene gothische Höflichkeit eine unentbehrliche Tugend
heutigen Umganges ist.
des
Soll sic darum unsere
Schriften eben so schaal und falsch machen, als unsern Umgang? —
Erster Brief. °) Mein Herr,
Wenn es Ihnen gleichviel ist, ob Sic den Platz, den Sic in Ihren Blättern gelehrten Sachen bestimmen, mit einer guten
Critik, oder mit der Widerlegung einer verunglückten füllen: so
haben Sie die Güte, Folgendes einznrücken. Herr Klotz soll mich eines unverzeihlichen Fehlers, in sei nem Buche von den alten geschnittenen Steinen über wiesen haben.
Das hat ein Recensent dieses Buches (*) für
nöthig gehalten, mit anzumerken. Mich eines Fehlers? das kann sehr leicht seyn.
unverzeihlichen? das sollte mir Leid thun.
Aber eines
Zwar nicht sowohl
meinetwegen, der ich ihn begangen hätte: als derentwegen, die
ihn mir nicht verzeihen wollten. °) Zuerst gedruckt I» der Hamburgischen neuen Zeitung, 97. Stuck, 20. Junii 1768, und im Hamburgischen Korrespondenten vom 22. Junii, Rum. 100.
(°) Beytrag zum Reichspostreuter St. 34.
Antiquarischer Briefe erster.
3
Fehler schliessen
Denn es wäre ja doch nur ein Fehler.
Vorsatz und Tücke auS; und daher müssen alle Fehler allen zu
verzeihen seyn. Doch, gewisse Recensenten haben ihre eigene Sprache.
Un
verzeihlich heißt bey ihnen alles, worüber sie sich nicht enthalten können, die Zähne zu fletschen.
Wenn
cs
weiter
nichts
ist!
dem
Aber
—
ohngeachtet:
worinn besteht er denn nun, dieser unverzeihliche Fehler? Herr Klotz
schreibt:
hat eS
„Wie
einem unsrer
„Klinstrichter (dem Verfasser des Laokoon) „cinfallen
besten
können,
„zu sagen, daß man sogar vieler Gemählde nicht erwähnt finde,
„die die alten Mahler aus dem Homer gezogen hätten, und „daß
es
nicht der alten Artisten Geschmack gewesen zu seyn
„scheine, Handlungen aus diesem Dichter zu mahlen?
Die Ho-
„merischcn Gedichte waren ja gleichsam das Lehrbuch der alten „Künstler, und sie borgten ihm ihre Gegenstände am liebsten
„ab.
Erinnerte sich Hr. Lessing nicht an das große Homerische
„Gemählde des Polygnotns, welches zu unsern Tagen gleichsam „wieder neu geschaffen worden ist?
Unter denen vom Philostra-
und die
„tus beschriebenen Gemählden sind drey Homerische,
„vom Plinius kurz angczeigtcn kann jeder leicht finden.
Unter
„den Hcrculanischen Gemählden ist eines, welches den Ulysses „vorstellt)
der
zur
Penelope
kömmt.
Von
halb
erhabnen
„Werken will ich nur die merkwürdigsten anführen, u. s. w. Ich könnte zu dem Recensenten sagen:
daß Herr Klotz
Hier sehe ich blos,
nicht meiner Meinung ist,
daß
ihn meine
Meinung befremdet; aber er sagt nichts von Fehler, noch we
niger von einem unverzeihlichen Fehler. Doch, der Recensent könnte antworten: Was Herr Klotz
keinen unverzeihlichen Fehler nennt, das beschreibt er doch als einen solchen;
ich habe
also
dem Kinde
Namen gegeben. Der Recensent hätte fast Recht.
nur
seinen
rechten
Zch muß mich also nicht
an ihn, sondern an den Herrn Klotz selbst wenden.
Und was
kann ich diesem antworten?
Nur das: daß er mich nicht verstanden hat; daß er mich etwas sagen läßt, woran ich nicht gedacht habe.
4
Antiquarischer Briefe erster. Herr Klotz beliebe zu überlegen, baß es zwey ganz ver-
schiebne Dinge sind: delt hat,
Gegenstände mahlen, die Homer behan
und diese Gegenstände
behandelt hat.
so mahlen, wie sie Homer
Es ist meine Schuld nicht, wenn er diesen Un
terschied nicht begreift; wenn er ihn in meinem Laokoon nicht Alles bezicht sich darauf.
gefunden hat.
Daß die alten Artisten sehr gern Personen und Handlungen ans der Trojanischen Epoche gemahlt haben: das weiß ich, und
wer weiß es nicht? Will man alle solche Gemählde Homerische
Gemählde nennen, weil Homer die vornehmste Quelle der Be gebenheiten dieser Epoche ist: meinetwegen.
Aber was haben
die Homerischen Gemählde in diesem Verstände, mit denen zu thun, von welchen ich rede; mit denen, dergleichen der Graf
von Caylus den neuern Künstlern vorgcschlagen hat? Die Beyspiele, welche Herr Klotz mir vorhält, sind mir alle so bekannt gewesen, daß ich mich würde geschämct haben,
sie Herr Klotzen vorzuhalten.
Zch würde mich geschämct ha
ben, zu verstehen zu geben, Herr Klotz habe sic entweder gar
nicht, oder doch nicht so gut gekannt, daß sie ihm da bcyfallen können, wo sie ihm so nützlich gewesen wären.
Was das sonderbarste ist: ich habe diese Beyspiele fast alle
selbst angeführt, und an dem nehmlichen Orte meines Laokoon angeführt, den Hr. Klotz bestreitet.
Er hätte sie aus meiner
eigenen Anführung lernen können, wenn er sie nicht schon ge wußt hätte.
Und gleichwohl — Zch denke, das heißt, mit dem
Sprichwortc zu reden, einen mit seinem eigenen Fette bcträufen wollen.
Zch sage, daß ich sie fast alle selbst angeführet habe; und
füge hinzu:
außer ihnen noch weit mehrere; indem ich
nehmlich meine Leser auf den Fabricills (°) verwiesen.
Denn
ich mache nicht gern zehn Allegata, wo ich mit einem davon kommen kann.
Folglich; habe ich diese Beyspiele, und noch weit mehrere
ihrer 9(rt gekannt: so ist es ja wohl deutlich, daß, weun ich dem ohngcachtet gesagt, „es scheine nicht der Geschmack der alten (°) Bibi. Grsec. Lib. II. c. VI. p. 345.
Antiquarischer Briefe erster. „Artisten gewesen zu seyn, Handlungen aus
dem Homer zu
„mahlen," ich ganz etwas anders damit muß gemcinct haben, als das, was diese Beyspiele widerlegen. Ich habe damit gemeiner, und meine es noch, daß so sehr
die alten Artisten den Homer auch genutzt, sie ihn doch nicht
auf die Weise genutzt haben, wie Caylus will, daß ihn unsere Artisten
nutzen
sollen.
Caylus
will,
sollen
sie
nicht allein
Handlungen aus dem Homer mahlen, sondern sie sollen sie auch
vollkommen so mahlen, wie sie ihnen Homer vormahlt; sie sol len nicht so wohl eben die Gegenstände mahlen, welche Homer
mahlt, als vielmehr das Gemählde selbst nachmahlen, welches
Homer von diesen Gegenständen macht; mit Beybchaltung der Ordonnanz des Dichters, mit Beybchaltung aller von ihm an
gezeigten Localumstände u. s. w. Das, sage ich, scheinen die alten Artisten nicht gethan zu haben, so viel oder so wenig Homerische Gegenwände sic auch sonst mögen gemahlt haben.
Ihre Gemählde waren Homerische
Gemählde, weil sie den Stof dazu aus dem Homer entlehnten,
den sie nach den Bcdürsiiissen ihrer eignen Kunst, nicht nach dem Beyspiele einer fremden, behandelten: aber cs waren keine
Gemählde zum Homer.
Hingegen die Gemählde, welche Caylus vorschlägt, sind mehr Gemählde zum Homer,
als Homerische
Gemählde,
als Ge
mählde in dem Geiste des Homers und so angegeben, wie sie
Homer selbst würde ausgeführt haben,
wenn
er anstatt mit
Worten, mit dem Pinsel gemahlt hätte. Deutlicher kann ich mich nicht erklären.
Wer das
begreift, für den ist der Laokoon nicht geschrieben.
nicht
Wer es
aber für falsch hält, dessen Widerlegung soll mir willkommen seyn;
nur, sieht man wohl, muß sie von einer andern Art
seyn, als die Klotzische.
Herr Klotz
hat in seinem Buche mir viermal die Ehre
erwiesen, mich anzuführcn, mit mich viermal eines Bessern zu belehren.
Ich wollte nicht gern, daß ein Mensch in der Welt
wäre, der sich lieber belehren liesse, als ich.
Aber —
So viel ist gewiß, er streitet alle viermal nicht mit mir,
sondern ich weiß selbst nicht mit wem.
Mit einem, dem er
Antiquarischer Briefe zweyter.
6
meinen Namen giebt, den er zll einem grossen Ignoranten und zugleich zu einem unsrer besten Kunstrichtcr macht.
Wahrhaftig, ich kenne mich zu gut, als daß ich mich für das eine, oder für das andere halten sollte.
Zweyter Brief. *) Sie meinen, es lohne sich allerdings der Mühe, auch von
den übrigen Bestreitungen des Herrn Klotz ein Wort zu sa gen, weil sie gar zu sonderbar sind, und Klotz ein gar zu
berühmter Name geworden.
Es sey so, wie Sie meinen!
Aber ich muß bey der ersten wieder anfangen.
fragt:
Herr Klotz
„Erinnerte sich Lessing nicht an das große Homerische
„Gemählde des Polygnotus? Zn der Lesche zu Delphi waren zwey große Gemählde des Polygnotus.
Welches meinet Herr Klotz? das im Hereintreten
rechter, oder linker Hand? Nach seinem Allcgate (*) muß er das
erstere meinen, welches die Zerstörung von Troja und die Rück kehr der Griechen vorstellte.
Beide Borwürfe liegen ausser dem
Plane des Homer; von beiden hat er nur einzelne Züge in die Odyssee cinstreuen können.
Aber
die
Griechen
besaßen
eine
Menge andere Dichter, welche diese Vorwürfe ausdrücklich be handelt hatten; und diesen, nicht dem Homer, ist Polygnotus in seinem Gemählde gefolgt; einem Lescheus, einem StcsichornS.
Wie kann es also Herr Klotz ein Homerisches Gemählde nennen? Doch
linker Hand,
er mag das zweyte,
gcmcinct haben,
welches den opfernden Ulysses im Reiche der Schatten vorstcllte. Das ist zwar der Stoff eines ganzen Buches der Odvssec: aber
dennoch ist es klar, daß Polygnotus auch in Anordnung dieses Gemähldes nicht sowohl der Odyssee, als vielleicht den Gcdich°) Zuerst in der Hamburgischen neuen Zeitung, 115. St., 21. Julii 1768.
„Der Brief, welchen
wir,
in
dem
gelehrten Artickcl des
97stcn
Stücke, unsern Lesern mittheiltcn, hat vcrschicdnc andre veranlaßt, in wel chen K)CtT Leßing so wohl den übrigen Bestreitungen des »Zerrn Ge-
hcimderarl) AlStz begegnet, als auch über das Werk selbst, in welchem
ste Vorkommen, ein umständliches Urtheil fallt.
Wir haben die Erlaubnis,
sie glcichsals bekannt zu machen, und wollen uns derselben bediene», ohne
i)u geringsten an der Streitigkeit selbst Theil zu nehmen."
(°) Pausanias Lib. X. p. 859.
Antiquarischer Briefe zweyter.
teil Mynias und Nosti gefolgt ist.
7
Denn er hat weder die
Homerische Scene angenommen, noch sich mit den vom Homer eingeführten Personen begnügt.
Folglich müßte auch dieses kein
Homerisches Gemählde heißen; und ich könnte antworten: es wäre besser gewesen, Herr Klotz hätte sich gewisser Dinge gar
nicht erinnert, als falsch. Zn beiden Gemählden hat Polygnotns sich bald an diesen,
bald an jenen Dichter und Geschichtschreiber gehalten; ohne sich ein Gewissen zu machen, auch Dinge von seiner eignen Erfin dung mit einzumischen.
Eine Freyheit, deren sich auch andere
alte Artisten bedienten, wenn sie Borstellungen aus der Troja
nischen Epoche wählten! Zwar habe ich schon gesagt, daß Herr Klotz diese Vorstel
lungen
meinetwegen
alle,
immerhin Homerische Vorstellungen
und Gemählde nennen mag.
Aber noch einmal: was haben
diese Gemählde, welche ihm Homerische zu nennen beliebt, weil
aus eben der Geschichte genommen sind,
ihre Vorwürfe
aus
welcher Homer die seinigen gewäblt hatte, mit den Homerischen Gemählden zu thun, wie sie Eaylus haben will? Ich dünke mich über den Gebrauch, den die alten Artisten
von dem Homer machten, verständlichere Dinge gesagt zu haben, als irgend ein Schriftsteller über diese Materie.
Ich habe mich
nicht mit den schwanken, nichts lehrenden Ausdrücken von Er
hitzung der Einbildungskraft,
von Begeisterung,
begnügt: ich
habe in Beyspielen gezeigt, was für mahlerische Bemerkungen die alten Artisten schon in dem Homer gemacht fanden, ehe sie
Zeit hatten, sie in der Natur selbst zu machen, s")
Ich habe
mich nicht begnügt, sie blos darum zu loben, daß sie ihre Vor würfe
aus
ihm
entlehnten: — welcher
Stümper
kann
das
nicht? — ich habe an Verspielen gewiesen, wie sie es anfin gen, in den nehmlichen Vorwürfen mit ihm zu wetteifern
mit ihm
zu
und
dem nehmlichen Ziele der Täuschung auf einem
ganz verschiedenen Wege zu gelangen; (*")
auf einem Wege,
von dem sich Eaylus nichts träumen lassen. — Nothwehr entschuldiget Selbstlob. —
C) Laokoon S. 227-231. sBand Vi, S. 5O5 = 5O7.J (”) Laokoon S. 219-223. IBand vi, S. 501-503s
Antiquarischer Briefe dritter.
8
Dritter Brief.e) Zch komme also zn der zweyten Bestreitung des Herrn Klotz.
Er fahret fort: „auch die Einwürfe, welche Herr Lessing von
„der Schwierigkeit hernimmt, die Homerischen Fabeln zu mah-
„ len, sind leicht zu hebe«, obgleich diese Widerlegung deutlicher „durch den Pinsel selbst, als durch meine Feder werden würde."
Zch glaube es sehr gern, daß Herr Klotz vieles ungemein leicht findet, was ich für ungemein schwer halte.
Dieses kömmt
von der Verschiedenheit, entweder unserer beiderseitigen Kräfte, oder unsers beiderseitigen Zutrauens auf uns selbst.
Doch, das
ist hier nicht die Sache.
Meine Einwürfe, von der Schwierigkeit hcrgenommen, die Homerischen Fabeln zu mahlen: was betreffen sie?
Die Home
rischen Fabeln überhaupt; oder nur einige derselben? Diese und
jene einzeln genommen; oder alle zusammen in ihrer unzertrenn lichen Folge bey dem Dichter? Caylus
schlug uicht blos den neuern Artisten vor,
ihren
Stoff fleißiger aus dem Homer, mit Beybehaltung der dichteri
schen Umstände, zn entlehnen: er wünschte den ganzen Homer so gemahlt zu wissen; wünschte, daß ein mächtiger Prinz eigene
Gallerten dazu baue» wollte. (*)
Das hätte er immer wünschen können! Weil er sich aber
dabey cinbildcte, daß eine solche zusammenhängende Reihe von
Gemählden
ein
wirkliches
Heldengedicht
in
Gemählden
seyn
würde; daß sich der ganze mahlerische Geist des Dichters darinn
zeigen müsse; daß sic, statt des Probiersteins, zur Schätzung,
in welchem Verhältnisse ein epischer Dichter vor das mahlerische Talent besitze,
dienen könne:
so
dem andern glaubte
ich
einige Einwendungen dagegen machen zu dürfen. Vors erste wendete ich ein: (**) daß Homer eine doppelte
Gattung von Wesen und Handlungen bearbeite, sichtbare und unsichtbare; daß aber die Mahlerey diesen Unterschied nicht an geben könne, daß bey ihr alles sichtbar und auf einerley Art °) In der Hamburg, neuen Zeitung vom 23. Zulii 1768, St. 116. (ö) Tableaux tircs de lTliade. Avert. p. 26. 27. (") Laokoon Xii.
Antiquarischer Briefe dritter.
9
sichtbar sey; daß folglich, — wenn in den Gemählden des Eaylus das Sichtbare mit dem Unsichtbaren, ohne unterscheidende
Abänderung mit einander wechsele, ohne eigenthümliche Merk mahle sich mit einander vermische, — nothwendig sowohl die ganze Reihe, als auch manches einzelne Stück, dadurch äußerst
verwirrt, unbegreiflich und widersprechend werden müsse. Was antwortet Herr Klotz auf diese Schwierigkeit?
Wie
schon angeführt: — daß sie leicht zu heben sey. — Wahrhaftig?
Aber wie denn?
Darüber hat Herr Klotz nicht Zeit, sich ein-
zulasscn; genug, daß meine Widerlegung deutlicher durch den
Pinsel selbst, als durch seine Feder werden würde. —
Ewig Schade, daß Herr Klotz
den Pinsel nicht führet!
Er würde ihn ohne Zweifel eben so meisterhaft führen, als die
Feder.
Oder vielmehr, noch unendlich meisterhafter.
Denn das
geringste wäre, daß er Unmöglichkeiten damit möglich machte! Bis er ihn führen lernet, bitte ich indeß ftine Feder, mich
in die Schule zu nehmen.
Seine fertige Feder sey so gütig,
und belehre mich, — (wenn sie eS schon nicht ganz deutlich
kann; ich bin auch mit einer halbdeutlichen Belehrung zufrie
den,) — und belehre mich nur einigermaaßen, wie man es ei nem Gemählde anschen kann, daß das, was man darinn sieht, nicht zu sehen seyn sollte; — und belehre mich, was für Mit
tel ungefehr der Pinsel brauchen könnte, um gewisse Personen in einem Gemählde mit sehenden Augen so blind,
oder mit
blinden Augen so sehend zu mahlen, daß sie von zwey oder mehrern Gegenständen, die sie alle gleich nahe, gleich deutlich
vor oder neben sich haben, die einen zu sehen und die andern nicht zu sehen, scheinen können.
Sie belehre mich; nur beliebe
sie unter diese Mittel keine Wolken zu rechnen, von welchen ich
das Unmahlcrische erwiesen habe.
Sie wird mehr zu belehren bekommen.
Denn zweytcns wen
dete ich ein: daß, durch die Aufhebung des Unsichtbaren in den Homerischen Handlungen, zugleich alle die charakteristischen Züge
verlohrcn gehen müßten, durch welche sich bey dem Dichter die Götter über die Menschen auszeichnen.
Auch dieses ist leicht zu beantworten?
Und am besten mit
dem Pinsel? — Abermals Schade, daß Herr Klotz den Pin-
10
Antiquarischer Briefe dritter.
sel nicht führet: schweigend würde er ihn
ergreifen,
mit
der
Palette vor die Leinewand treten, und spielend meine Widerle
gung dahin croquiren.
Doch meine ganze Einbildungskraft ist
zu seinen Diensten; er setze seine Feder dafür an; ich will mich bemühen, in den Beschreibungen derselben zu finden, was mir, leider, keine Gemählde von ihm zeigen können. — Indeß sinne
ich bey mir selbst nach, welche Dimension seine Feder den Ho merischen Göttern auf der Leincwand anwcisen wird; sinne nach,
welches das Verhältniß seyn dürfte, das sie dem Steine, mit dem Minerva den Mars zu Boden wirft, zur Statur der Göt
tinn, oder der Statur zu diesem Steine, bestimmen wird, da
mit unser Erstaunen zwar
erregt,
gleichwohl aber über keine
anscheinende Unmöglichkeit erregt werde; sinne nach, in welcher
Größe sie entscheiden wird, daß der zu Boden gcworfne MarS da liegen soll, um die Homerische Größe zu haben, und dennoch
gegen die übrigen Ausbildungen der Scene nicht ungeheuer und brobdingiiakisch zu erscheinen; sinne nach — Nein; ich würde mich zu Schanden sinnen; ich muß lediglich abwartcn, was das
Orakel unter den Federn mir darüber zu offenbaren belieben wird. Drittens wendete ich ein: daß die Gemählde, an welchen
Homer am reichsten, in welchen Homer am meisten Homer sey, progressive Gemählde wären; die eigentliche Mahlerey aber mif
daß Progressive keinen Anspruch machen könne. Ich Dummkopf, der ich noch itzt diese Einwendung für un-
widcrsprcchlich halte, blos weil sie auf das Wesen der verschie
denen Künste gegründet ist!
Herr Klotz muß über mich lachen;
und wenn Herr Klotz vollends den Pinsel führte! — Nichts
würde ihm leichter seyn, als den Pandarus, von dem Ergrei fen des Bogens bis zu dem Fluge des Pfeils, in jedem Augen
blicke, auf einem und eben demselben Gemählde darztistcllen. (") — Seiner Feder dürfte es freylich schwerer werden, mich zu
belehren, wie und wodurch dem Pinsel dieses Wunder gelingen müsse.
Doch
er
versuch
es nur; am Ende ist
seiner
Feder
nichts zu schwer; ich kenne keine Feder, die alles so leicht, so deutlich zu machen weiß! — (°) Laokoon XV.
Antiquarischer Briefe vierter.
11
Vierter Brief. Sic haben Recht: mein voriger Brief fiel in das Höhnische.
— Glauben Sie, daß cs so leicht ist, sich gegen einen stolzen und kahlen") Entscheider des höhnischen Tones zu enthalten?
Aber Sie urtheilen: daß ich zur Unzeit höhne; daß Herr Klotz
unmöglich
diese
Einwendungen
gegen
die Homerischen
Gemählde, könne gemcinet haben. Und gleichwohl habe ich keine andere jemals gemacht. Za auch diese — merken Sie das wohl — habe ich kci-
nesweges gegen die Ausführung der vom Caylus vorgcschlagncn,
oder in seinem Geiste vorzuschlagenden, Homerischen Gemählde gemacht; habe ich keincswcgcs in der Meinung gemacht, daß
diese Ausführung nothwendig mißlingen müsse. Wenn dem Mahler nicht jeder Gebrauch willkührlichcr Zei chen untersagt ist; wenn er mit Recht von uns ^erlangen kann,
daß wir ihm gewisse Voraussetzungen erlauben, gewisse Dinge ihm zu Gefallen annehmen, andere ihm zu Gefallen vergessen:
warum sollte er nicht, wenn er sonst ein braver Meister ist,
aus jenen Entwürfen zu Homerischen Gemählden sehr schätzbare Klinstwerkc darstellen können? Ich wüßte nicht, wo ich meinen Verstand müßte gehabt ha
ben, wenn ich dieses jemals geleugnet hätte. Meine Einwendungen sollten lediglich die Folgerungen ent kräften oder cinschränkcn, welche Caylus aus dem Mahlbaren der
Dichter, aus ihrer größern oder geringern Schicklichkeit, in ma terielle Gemählde gebracht zu werden, wider einige dieser Dichter,
zum Nachtheile der Dichtkunst selbst, macht.
Fünfter Brief. Sie bestehen darauf, daß Herr Klotz diese Einwendungen
nicht könne gemeint haben; das Beyspiel, worauf er sich beziehe,
zeige cs deutlich. Glit,
daß Sic auf dieses Beyspiel kommen.
uns den Mann hören. c) „mit kahlen" schli in der neuen Jcilung.
Lassen Sic
Antiquarischer Briefe fünfter.
12
„Nur Ein Beyspiel, sagt Herr Klotz, anzuführcn: so ver-
„ wirft Lessing des Grafen Eaylus Vorschlag, die Bewunderung
„der Trojanischen Greise über Helenens Schönheit, „dritten Buche der Zliadc, jh mahlen.
„einen eckeln Gegenstand.
aus dem
Er nennt diese Episode
Ich frage hier alle, welche die von
„Rubens gemahlte Susanna, nebst den beiden verliebten Alten „gesehen, ob ihnen dieser Anblick cckelhaft gewesen, und widrige
„Empfindungen in ihrer Seele erzeigt habe.
Kann man denn
„keinen alten Mann vorstellen, ohne ihm dürre Beine, einen „kahlen Kopf, und ein eingefallenes Gesicht zu geben?
Mahlt
„ der Künstler einen solchen Greis verliebt, so ist das lächerliche „Bild fertig.
Aber Balthasar Denner und Bartholomäus van
„der Helft belehren uns, daß auch der Kopf eines alten Man-
„nes gefallen könne.
Ueberhaupt ist das,
was Herr Lessing
„von den jugendlichen Begierden und Eaylus von gierigen Blicken „sagt, eine Zdce, die sie dem Homer aufdringcn.
Zch finde
„keine Spur davon bey dem Griechen, und der alte Künstler
„würde sic ohne Zweifel auch nicht gefunden haben. Vortrefflich! Wenn einem Unwahrheiten andichten, und die
sen angedichtctcn Unwahrheiten die aller trivialsten Dinge ent
gegen setzen, einen widerlegen heißt: so versteht sich in der Welt niemand besser auf das Widerlegen, als Herr Klotz.
Es ist nicht wahr, daß ich jenen Vorschlag des Grasen Caylus verworfen habe.
ES ist nicht wahr, daß ich diese Episode einen eckeln Ge genstand genannt habe. Es ist nicht wahr, daß ich dem Homer die Zdee von ju
gendlichen Begierden aufgcdrungcn habe. Nur drey Unwahrheiten in einer Stelle,
die groß genug
wäre, sieben zu enthalten: das ist bey alle dem doch nicht viel!
Lassen Sie uns eine nach der andern vornehmen. Es ist
nicht wahr,
Eaylus verworfen habe.
daß
ich jenen Vorschlag des Grafen
Den» verwirft man einen Vorschlag,
wenn man blos einige zugleich mit vorgcschlagne Mittel, diesen
Vorschlag auszuführcn, verwirft? Wo habe ich gesagt, daß der Eindruck, den die Schönheit der Helena auf die Trojanischen Greise machte,
gar nicht gcmahlet werden könne, oder müsse?
Antiquarischer Briefe fünfter.
13
Ich habe blos gcmißbilliget, daß Eaylus in einem solchen Ge
mählde der Helena noch ihren Schleyer lassen, lind uns ihre
ganze Schönheit einzig und allein in den Wirkungen auf die
sic betrachtenden Greise zeigen will. geleugnet, daß
Za auch so hab ich nicht
ein guter Meister noch
Stück daraus machen könne.
immer ein schätzbares
Zch habe nur behauptet, daß die
ses Stück nicht der Triumph der Schönheit seyn würde, so wie
ihn Zeuxis in der Stelle des Homers erkannte.
Zch habe nur
behauptet, daß dieses Stück sich gegen das Gemählde des Zeu
xis, wie Pantomime zur crhabenstcir Poesie verhalten würde; weil wir dort erst aus Zeichen errathen müßten, was wir hier
unmittelbar fühlen-
Zch habe nur durch dieses Beyspiel zeigen
wollen, welcher Unterschied es sey, in dem Geiste des Homers
mahlen, und den Homer mahlen.
Der Artist des Eaylus hätte
den Homer gemahlt: aber Zeuxis mahlte Homer.
in
dem Geiste des
Zener wäre knechtisch innerhalb den Schranken geblie
ben, welche dem Dichter das Wesen seiner Kunst hier setzet:
anstatt daß Zeuxis diese Schranken nicht für seine Schranken
erkannte, und indem er den höchsten Ausdruck der Dichtkunst nicht blos nachahmtc, sondern in den höchsten Allsdruck seiner Kunst verwandelte, eben durch diese Verwandlung in dem hö-
hern Verstände Homerisch
ward.
—
Habe ich
daran
Recht,
oder Unrecht? Es entscheide wer da will: aber er verstehe mich nur erst.
Zch will nichts ausserordentliches gesagt haben: aber
er lasse mich nur auch nichts abgeschmacktes sagen. ”) — Doch
weiter. — Es ist nicht wahr, daß ich diese Episode einen ekeln Gegen
stand genannt habe.
Nicht diese Episode, sondern die Art des
Ausdruckes, mit der Eaylus sie gemahlt wissen wollen, habe ich
eckel genannt.
Eaylus will, daß sich der Artist bestreben soll,
uns den Triumph der Schönheit in den gierigen Blicken und in allen den Aeusserungen einer staunenden Bewunderung auf
den Gesichtern der kalten Greise, empfinden zu lassen.
Hierwi-
der, nicht wider den Homer, habe ich gesagt, daß ein gieriger
Blick auch das ehrwürdigste Gesicht lächerlich mache, und ein °) Der vierte und der fünfte Brief bis hichcr in der Hamb, neuen Zei tung, 118. St., 27. Julii 1768, das Folgende im 120. Stück vom 30. Iulii.
14
Antiquarischer Briefe fünfter.
Greis, der jugendliche Begierden verrathe, so gar ein ecklcr Ge
Ist er das nicht?
genstand sey.
ist;
mag
Herr Klotz
mir
von
Ich denke noch, einer
daß er es
des
Susanna
Rubens
schwatzen, was er will, die weder ich noch er gesehen haben.
Aber ich habe mehr Susannen gesehen; auch selbst eine vom
Rubens, in der Gallerte zu Sans-Souci; und selten habe ich mich enthalten können, bey Erblickung der verliebten Greise, bey
auszurufen:
mir
o
über die
alten Böcke!
Was
war
dieser
Ausruf, als Eckel?
Ich weiß es, die Kunst kann diesen Eckel
mindern; sie kann
durch Ncbenschönheitcn ihn fast unmcrklich
machen: aber ist ein Ingredienz deswegen gar nicht in einer
Mischung, weil cs nicht vorschmeckt?
Nicht die dürren Beine,
nicht der kahle Kopf, nicht das eingefallene Gesicht machen den verliebten Alten zu einem eckcln Gegenstände; sondern die Liebt
Vlan gebe ihm alle Schönheiten, die mit seinem Alter
selbst.
bestehen können; aber man mahle ihn verliebt, man lasse ihn jugendliche Begierden verrathen,
und er ist cckel, Trotz jenen
Schönheiten allen.
Das
sage
ich von den Trojanischen Greisen des CayluS:
aber wo habe ich es von den Greisen des Homer gesagt? habe ich
Wo
diesen, jugendliche Begierden anfgedrungcn? — Und
das ist die dritte Unwahrheit, welche Herr Klotz sich auf meine Rechnung
erlaubt.
Bielmchr
ausdrücklich gesagt (’)
habe ich
„ den Homerischen Greisen ist dieser Vorwurf (nehmlich des Lä cherlichen und Eckclhaftcn) nicht zu machen;
denn der Affekt,
den sie empfinden, ist ein augenblicklicher Funke, den ihre Weis heit sogleich erstickt; nur bestimmt der Helena Ehre zu machen,
aber nicht sie selbst zu schänden."
Nun sagen Herrn Klotz
Sic
mir,
denken soll?
mein Freund,
was
ich
von
dem
was er darunter suchen mag, daß
ihm gerade mein Name gut genug ist, unter demselben sich ei nen
Strohmann
zeigen könne?
auszustcllcn,
warum
gerade
an
dem
er seine Fcchtcrstreiche
ich der Blödsinnige seyn
muß,
dem er Dinge vordociret, die das Auge von selbst lernet, die zu begreifen schlechterdings nicht mehr Menschenverstand erfodert
(°) Laokoo» S. 221.
sBand VI, S. 502.1
15
Antiquarischer Briefe fünfter.
wird, als um von eins bis auf drey zu zählen?
„denn keinen alten Mann verstellen
„Kann man
ohne ihm dürre Beine,
„einen kahlen Kopf, und ein eingcfallncs Gesicht zu geben?" Welch eine Frage! und in welchem Tone gethan! und in welchem
Tone sich
selbst
beantwortet!
„Aber Balthasar Denner
und
„Bartholomäus van der Helft belehren uns, daß auch der Kopf
„eines alten Mannes gefallen könne." Dennern,
bis auf Bartholomäus
in der Welt niemand?
Also bis auf Balthasar
van der Helft, wußte das
Und wen cs nicht dieser Balthasar und
dieser Bartholomäus gelehrt hat, der weiß cs noch nicht?
Ich
bin wirklich so eitel und glaube, daß ich es auch ohne diese Meister wissen würde; jaohnc alle Meister in der Welt.
Sechster Brief. Sie entschuldigen den Herrn Klotz: er habe zu seinem Buche so vieles nachschlagen müssen, daß cs kein Wunder sey, wenn
er nicht alles auf das genaueste behalten;
mein Laokoon sey
auch das Werk nicht, das er verbunden gewesen, so eigentlich
zu
studiren; indeß zeigten seine Einwürfe selbst, daß er cs zu
lesen gewürdiget; er habe cs auch anderwärts mit Lobsprüchen überhäuft.
So würde ich ihn gern selbst entschuldigen; wenn er nicht
in mehrer» Stücken eine allzuausdrückliche Geflicssenhcit verriethe, seine Leser wieder mich einznnchmen. Zn diesem Lichte sollen Sie sogleich auch seine übrigen Be streitungen erblicken, die ich in diesem Briefe zusammen fassen will. An einem Orte schreibt Herr Klotz: (°)
„Zch gebe cs Herr
„Lessingcn gern zu, daß wenn Dichter und Künstler die Gcgen-
„ stände, welche sic mit einander gemein haben, nicht selten aus „dem nehmlichen Gesichtspunkte betrachten müssen, ihre Nachah„mungen oft in vielen Stücken übcreinstimmen können, ohne daß
„zwischen ihnen selbst die geringste Nachahmung oder Beeiferung „gewesen.
Aber ich möchte diesen Satz nicht allzu sehr ausge-
„dchnt haben."
Bin ichs, der ihn allzu sehr auSgcdchnet hat?
Wozu mein Name hier, wenn er dieses nicht zu verstehen geben
(’) S. 170.
Antiquarischer Briefe sechster-
lsi will ?
Der Satz enthält eine Bemerkung, die ich wahrlich nicht
zuerst gemacht habe, und auf die ich mich im Laokoon blos ge
gen Spcnccn bezog, der das Gegentheil viel zu weit ausdchnet.
Doch ich will meinen Namen hier gar nicht gesehen haben. Auch in der Anmerkung will ich ihn nicht gefunden haben, (*) wo Herr Klotz sagt, daß er sich einer Münze des Antoninus Pius
gegen mich angenommen.
Zch habe nie diese Münze, sondern
blos die Erklärung bestritten, welche Addison von einer Zeile des Iuvenals aus ihr herhohlen wollen; und habe sie bestritten,
nicht um meine Erklärung dafür annehmlicher zu machen, son
dern lediglich das bescheidene Non liquet auch hier wiederum in
seine Rechte zu setzen. Aber nicht genug wundern kann ich mich, wie ich zu der Ehre komme, das Werk des Herrn Klotz durch mich gckrönet
zu sehen.
Er hat einige Steine zu seinem Buche in Kupfer
stechen lassen, wovon der letzte meinem Unterrichte ganz besonders
gewidmet ist.
„ Dieser Stein, schreibt er, ist gleichfalls aus der
„Sammlung des Hrn. Casanova, und auch von ihm gezeichnet. „Er stellt eine Furie vor, und ich habe ihn meinem Buche bey„ gefügt, um Herr Lessingen zu überzeugen, daß die alten Künst-
„(er wirklich Furien gebildet haben: welches er leugnet." Welches er leugnet! Als ob ich es so schlechterdings, so völ lig ohne alle Ausnahme geleugnet hätte, daß ich durch das erste das beste Beyspiel widerlegt werden könnte!
Er stellt eine Furie vor, dieser Stein! — Ganz gewiß? Zch
erkenne bloß einen Kopf im Profil mit wildem aufflicgenden Haare, zweydeutigen Geschlechts.
Muß ein solcher Kopf noth
wendig der Kopf einer Furie seyn?
Der Ausdruck des Gesichts,
wird Herr Kloß sagen, macht ihn dazu.
Auch dieser Ausdruck
ist sehr zwcydeutig; ich finde mehr Verachtung, als Wuth darinn. Doch cs mag eine Furie seyn.
Was mehr? Was liegt mir
daran? Wäre es doch eine Furie auf einem geschnittenen Steine;
und die geschnittenen Steine habe ich ausdrücklich ausgenommen.
Ausdrücklich ausgenommen? Ausdrücklich; denn es war mir gar nichts Unbekanntes, daß man auf geschnittenen Steinen, Furien und Furienköpfe sehen wollen.
C) S. 203.
Antiquarischer Briefe siebender.
17
Sie können dieses kaum glauben, mein Freund; und fragen:
wie es, bey dieser Ausnahme, dem ohngeachtet dem Herrn Klotz einfallen können, mich mit einem geschnittenen Steine zu wi
derlegen? Za das frag ich Sie! Lesen Sic indeß nur die Stellen mei
nes Laokoon. —
Siebender Brief. Vergessen hatte Herr Klotz meine Einschränkungen wohl nicht: aber er verschwieg sie seinem Leser mit Fleiß.
Und er mußte
wohl; denn allerdings würde es ein wenig kindisch geklungen
haben, wenir er aufrichtig genug gewesen wäre, zu schreiben:
„Ungeachtet Lessing, wenn er behauptet, daß die alten Artisten keine Furien gebildet, die geschnittenen Steine ausnimt, so will
ich ihn dennoch mit einem geschnittenen Steine augenscheinlich hier widerlegen." Lieber also schlecht weg: Lessing leugnet gebildete Furien; hier ist eine!
Zch weiß wohl, daß meine Assertion von den Furien meh rere befremdet hat.
Das Allgemeine scheinet uns in allen An
merkungen anstößig zu seyn.
Kaum hören wir eine Verneinung
oder Bejahung dieser Art: sogleich zieht unsere Einbildungskraft
dagegen zu Felde; und selten oder nie wird es ihr mißlingen, einzelne Fälle und Dinge dagegen anfzutreiben.
Aber nur der
Einfältigere wird sich bereden, daß durch diese einzelne Ausnah men der allgemeine Satz wahr zu seyn aufhöre.
Der Verstän
digere untersucht die Ausnahmen, und wenn er findet, daß sie aus der Eollision mit einem andern allgemeinen Satze entsprin gen, so erkennt er sie für Bestätigungen beider.
Der Mythologist hatte es längst vor mir angemerkt, daß
man auf alten Denkmählern wenig oder nichts von Abbildungen der Furien finde.
Was der Mythologist aber dem bloßen Zu
falle zuschricb, glaubte ich aus einem Grundsätze der Kunst her leiten zu dürfen.
Der Artist soll nur das Schöne zu bilden
wählen: folglich wird der alte Artist, der dem Schönen so vor züglich treu blieb,
keine Furien
zu
bilden gewählt haben;
und daher der Mangel ihrer Abbildungen.
Lessings Werke vin.
2
Antiquarischer Briefe siebender.
18
Aber eben der Artist, welcher mir das Schöne zu bilden wählen sollte, muß alles bilden können.
Wen verleitet sein
Können, nicht öfters über sein Sollen hinaus?
Zudem arbeitet
der Artist meistens für andere, von denen er nicht fodern kann,
daß sie seiner Geschicklichkeit sich nur zur höchsten Bestimmung der Kunst bedienen sollen, so lange cs noch mehr Dinge giebt,
zu welchen sie ihnen gleichfalls nützlich seyn kann.
Und folglich?
Folglich ist cs moralisch unmöglich, daß es keinem Menschen
vor Alters sollte eingefallen seyn, eine Furie zu bilden, oder sich bilden zu lassen.
Es hat vielen cinfallen können: und ist
vielen eingefallen.
Leugne ich dieses, wenn ich jenes behaupte?
Nur der An
tiquar, der nichts als Antiquar ist, dem cs an jedem Funken von Philosophie fehlet, kann mich so verstehen.
Zch that alles, was ich thun konnte, diesem Mißverständnisse
vorznbanen.
Zch schlug vor, den Namen der Kunstwerke nicht al
len Antiken ohne Unterschied zu geben, sondern nur denen, in wel chen sich der Künstler wirklich als Künstler zeigen können, bey
welchen die Schönheit seine erste und letzte Absicht gewesen. „Macht man, schrieb ich, (°) keinen solchen Unterschied, so werden der Ken
ner und der Antiquar beständig mit einander im Streit liegen, weil
sie einander nicht verstehen.
Wenn jener, nach seiner Einsicht
in die Bestimmung der Kunst, behauptet, daß dieses oder jenes der alte Künstler nie gemacht habe, nehmlich als Künstler nicht,
freywillig nicht: so wird dieser cs dahin ausdchncn, daß es auch weder die Religion, noch sonst eine ausser dem Gebiete der Kunst liegende Ursache, von dem Künstler habe machen lassen, von
dem Künstler als Handarbeiter.
Er wird also mit der ersten mit
der besten Figur den Kenner widerlegen zu können glauben" u. s. w. Das ist keine itzt ersonnene Ausflucht, da ich mich in die
Enge getrieben sehe; das schrieb ich schon damals, als mir noch niemand widersprach; das schrieb ich, um allen titeln, das rechte
Ziel verfehlenden Widersprüchen vorzukommen: aber was kümmert das Herr Klotzen, und seines gleichen?
Er thut dennoch gerade
das, was ich verbeten; tun zu zeigen, daß er ein Paar armse(’) L.wloo» S. 105. | Band VI, S. 436.]
Antiquarischer Briefe siebender.
19
lige Beyspiele mehr weiß, als ich wisse,, mag.
Ich gönne ihm
diesen Vorzug recht gern; es sey aber, daß ich sie gekannt oder
nicht gekannt habe:
sie haben ihre Abfertigung mit der gan
zen Classe erhalten, in die sie gehören. Welches Zucken, seine Belesenheit so sehr ans Unkosten sei ner Ueberlegung zu zeigen!
Wenn Herr Klotz noch erst den Unterschied bestritten hätte,
den ich unter den Antiken zu machen vorschlage! Aber stillschwei gend diesen Unterschied zugcbcn, und nur immer mit einzeln Bey
spielen auf mich ein stürmen, die nach diesem
Unterschiede von
gar keiner Folge für mich sind: wahrlich, das ist eine Art zu streiten — eine Art, für die ich gar kein Beywort weiß.
Als ich behauptete, daß die alten Artisten keine Furien ge bildet,
fügte ich unmittelbar hinzu: (#) „ich nehme diejenigen
Figuren aus, die mehr zur Bildersprache, als zur Kunst gehören, dergleichen die ans den Münzen vornehmlich sind."
Dem ohn-
geachtct kömmt Herr Klotz, mich zu widerlegen, mit ein Paar Münzen aufgezogen, auf welchen Caylus Furien bemerkt habe.
Zch kannte dergleichen Münzen schon selbst: was liegt an der Mehrheit l Die Figuren auf den Münzen, sagte ich, gehören vornehmlich
zur Bildersprache.
Aber nicht allein: die geschnittenen Steine
gehören, wegen ihres Gebrauchs als Siegel, gleichfalls dahin. (#e)
Wenn wir also auf gcschniltcncn Steinen Furien zu sehen glau ben, so sind wir berechtiget, sie mehr für eigensinnige Symbola
der Besitzer, als für frcywilligc Werke der Künstler zu halten.
Zch kannte dergleichen Steine: aber Herr Klotz kennt einen mehr!
Ey, welche Freude! So freuet /ich ein Kind, das bunte Kiesel am Ufer findet, und einen nach dem andern mit Zauchzen der
Mutter in den Schooß bringt; die Mutter lächelt, und schüttet sie, wenn das Kind nun müde ist, alle mit eins wieder in den Sand.
Achter Brief. Noch hundert solche Steine, noch hundert solche Münzen: und meine Meinung bleibt, wie sie war.
(*) Laokoen S. 16. >Band VI, S. 384.] (”) iaokoon S. 108. fBand Vi, S. 438.]
Es ist vergebens,
20
Antiquarischer Briefe achter.
die Einschränkungen, die ich ihr selbst gesetzt, zu Widerlegungen machen zu wollen. Aber Herr Riedel, wie Herr Klotz sagt, (#) soll bereits
diese meine Meinung mit guten Gründen widerlegt haben. Ich habe Herr Riedeln aus seinem Buche als einen jungen
Mann kennen lernen, verspricht,
der einen trefflichen Denker verspricht;
indem er sich in vielen Stücken bereits als einen
solchen zeigt.
Zch traue ihm zu, daß er in den folgenden Thei
len ganz Wort halten wird, wo er auf Materien stoßen muss, in welchen er weniger vorgearbeitet findet.
Doch hier habe ich ihn nicht zu loben, sondern auf seine Widerlegung zu merken. Er gedenkt meiner Assertion von den Furien an zwey Orten.
An dem erstem (•*) giebt
er ihr völligen Beyfall.
Er nimt
sich sogar ihrer gegen den Herrn Klotz selbst an, indem er hin-
zusetzt: „Herr Klotz hat zwar unter den alten Denkmälern der
„Kunst Furien gefunden. (###)
Allein Herr Lessing hat schon
„diejenigen Figuren ausgenommen, die mehr zur Bildersprache,
„als zur Kunst gehören, und von dieser Art scheinen die Bey-
„spiele des Herrn Klotz zu seyn." Diese Stelle führt Herr Klotz sehr weislich nicht an.
Er
durfte sie vielleicht auch nicht anführen, wenn es wahr ist, daß
Herr Riedel an der zweyten völlig anderes Sinnes geworden. Sie lautet so: (t) „Herr Lessing behauptet, daß die alten
„Künstler keine Furien gebildet, welches ich selbst oben zugege-
„ben habe.
Itzt muß ich ihm, nachdem ich eine kleine Ent-
„deckung gemacht habe, widersprechen, aber aus einem andern „Grunde, als Herr Klotz.
Es ist hier dem Hrn. Lessing eben
„das begegnet, was er vom Hrn. Winkclmann sagt; er ist durch „den Junius verführt worden.
Vermuthlich
hat er, in dem
„Register der alten Kunstwerke, unter dem Titel Furien ge-
„ sucht und
nichts
gefunden.
Zch schlage
nach, Eumenides;
„ und finde, daß ScopaS deren zwey und Calos die dritte zu C) S. 242. (“) Theorie der schönen Künste und Wissenschaften S. 45. ("*) S. Ada Utter. Vol. III. p. 289. (t) S. 136.
21
Antiquarischer Briefe achter.
„Athen gebildet.
Man kann den Beweis im Clemens Alexan-
„drinuS selbst nachlesen." Zch wundere mich nicht, daß Herr Riedeln die kleine Ent
deckung, wie er sie selbst nennt, so glücklich geschienen, daß er geglaubt, seinen Beyfall zurück nehmen zu müssen.
Aber ich
werde mich wundern, wenn er daS, was ich dagegen zu sagen
habe, nicht auch ein wenig glücklich findet. ich ihn versichern, daß ich nicht durch den
Vorläufig muß
ZuniuS verführt worden.
Denn
ich
erinnere mich überhaupt
nicht, den ZuniuS der Furien wegen nachgcschlagcn zu haben.
Nicht weil, in dieses Schriftstellers Verzeichnisse der alten Kunst werke,
unter
dem Titel Furien keiner Furien gedacht wird;
sondern weil ich die schon erwähnte Bemerkung der Mythologisten, namentlich des Bannier,(°) im Kopfe hatte, daß sich gegenwärtig keine alte Abbildungen von diesen Göttinnen fän
den: kam ich auf den Gedanken, daß vielleicht die alten Arti
sten dergleichen nie gemacht,
in
und ward
diesem Gedanken
durch die Beyspiele selbst bestärket, die bey dem ersten Anblicke
dagegen zu seyn scheinen. Hätte ich
den ZuniuS
nachgcschlagen,
so hätte mir sehr
leicht begegnen können, waS Hr. Riedel vermuthet: sehr leicht
aber auch nicht; denn daß die Furien mehr als einen Namen haben, ist ja so gar unbekannt nicht.
Und gesetzt, eS wäre
mir nicht begegnet; gesetzt, ich wäre auf die Furien gestoßen, die Herr Riedel darinn gefunden: was mehr? Würde ich meine Meinung eben so geschwind zurückgenommen haben, als er sei
nen Beyfall?
Gewiß nicht.
Der ganze Zusammenhang beym Clemens AlexandrinuS zeigt es, daß er von Statuen redet, die der Verehrung gewidmet wa
ren, und in ihren Tempeln standen. gen
meine Ausnahme
Da nun Herr Riedel ge
aller mehr zur Bildersprache,
als
zur
Kunst, gehörigen Figuren, nichts zu erinnern hatte; da er selbst
urtheilte,
daß eben
Klotz gegen mich
wegen dieser Ausnahme,
angeführten Beyspiele
in
die vom Herrn
keine Betrachtung
kämen: wie konnte es Hr. Riedeln nicht cinfallcu, daß keine (°) Nous n’avons point ä present de figures antiques de ces Deefses. Memoires de l’Acad. des Inf er. T. V. p. 43.
22
Antiquarischer Briefe achter.
Figuren gerade mehr zur Bildersprache gehören, als eben die,
welche der Anbetung öffentlich aufgcstellet waren? Nicht genug, daß ich, in einem eigenen Abschnitte meines Laokoon, ausdrücklich hierauf dringe; ich gedenke sogar insbe sondere der Statuen, welche die Furien in ihren Tempeln nicht
anders als gehabt haben könnten; ich führe namentlich die in
dem Tempel zu Cerynea an.
Aber auch diese, statt aller: denn
was hätte es helfen können, wenn ich einen Tempel nach dem andern durchgegangen wäre?
Was ich von den Statuen des
einen sagte, hätte ich von den Statuen aller sagen müssen.
Und also, dächte ich, wäre dem Einwurfe des Herrn Riedel
genugsam begegnet, wenn ich ihm antwortete: die Furien, die Sie mir entgegen setzen, gehören zu den Kunstwerken nicht, von welchen ich rede; es sind Werke wie sie die Religion befohlen
hatte, die bey den sinnlichen Vorstellungen, welche sie der Kunst aufgicbt, mehr auf das Bedeutende, als auf das Schöne zu sehen pflegt.
Doch ich habe noch etwas wichtigeres zu erwiedern.
Die
Furien vom Scopas und EaloS, (*) die ZuniuS Herr Riedeln
bey dem Clemens AlerandrinnS nachwieS,
sind unstreitig die,
welche in ihrem Tempel zu Athen standen, und von welchen Pausanias ausdrücklich versichert, (ea) daß sie durchaus nichts Schreckliches, ov’dsv cpoßEpw, an sich gehabt.
Nun sage mir
Herr Riedel, ob Furien, welche nichts von Furien an sich ha ben, solche Furien sind, deren Abbildung ich auf die alten Ar
tisten nicht
will
kommen
lassen (
Ich
schreibe im
Laokoon:
„Wuth und Verzweiflung schändeten keines von ihren Werken;
ich darf behaupten, daß
sie nie eine Furie gebildet
haben."
AuS der unmittelbaren Verbindung dieser zwey Sätze, ist es ja
wohl klar, was für Furien ich meine; Furien, die in jedem (”) Bey Herr Riedel» heißt er Calas.
Ein unstreitiger Druckfehler; so
wie in der Citciiien des Clemens p. 47 anstatt 41. (Aber wenn Herr Klotz,
nicht blos an einem Orte, nicht blos in einem und eben demselben Buche, im
mer und ewig Zeuxcs schreibt: so scheint cs wohl etwas mehr als ei» Druck fehler zu seyn,
und er kann cs nicht übel nehmen, wenn
läufig erinnert, daß dieser Mahler
man ihn bey
nicht Zcuycs, sondern Zcuyis geheissen.)
(”) Lib. I. cap. 28. p. 68. Edil. Kuh.
Antiquarischer Briefe achter.
23
Gesichtszugc, in Stellung und Gebchrden, verrathen was sie
Waren die Furien des Scopas und Calos dieser
seyn sollen. Art ?
Es waren Furien, und waren auch keine: sie stellten die
Göttinnen der Rache vor, aber nicht so vor, wie wir sie itzt bey dem Namen der Furien denken.
Sic bestärken also meinen Satz vielmehr, als daß sic ihn
im gcringstett zweifelhaft machen sollten.
Denn wenn die Alten
auch nicht einmal an ihren gottesdienstlichen Vorstellungen, da,
wo das Bedeutende ihnen mehr galt, als das Schöne; wenn sie auch nicht einmal da duldeten, wenigstens nicht verlangten, daß die Göttinnen der Rache durch die häßlichen, schändenden
Kennzeichen
des
menschlichen
Affekts
entstellt
und
erniedriget
würden: was sollte ihre Artisten, die in willkührlichen Werken
den Ausdruck der Schönheit stets unterordnctcn, zu so scheußli chen Fratzengesichtcrn haben verleiten können ?
Selbst die Hetru-
rischen Künstler, die der Schönheit weit weniger opferten als
die Griechischen, wenn sie Furien bilden mußten, bildeten sie nicht als Furien; wie ich an einer Urne beym Gorins gezeigt
habe, von welcher ich schon damals anmerkte, daß sic den Wor
ten, aber nicht dem Geiste meiner Assertion widerspreche. Ich darf es nicht bergen, daß es Herr Klotz selbst ist, wel
cher mir die unschrecklichcn Furien zu Athen nachgcwiesen. (”)
Sie schwebten mir in den Gedanken, aber im Nachschlagcn gcricth ich auf die zu Cerynca.
Und nun,
was meinen Sie,
mein Freund?
Sie sehen:
Herr Riedel widerlegt die Einwürfe des Herrn Klotz, und Herr Klotz giebt mir Waffen wider Herr Riedeln.
Sic drengcn von
entgegen gesetzten Seiten in mich; beide wollen mich Umstürzen: aber da ich dem einen gerade dahin fallen soll, wo mich der andere nicht will hinfallcn lasse», so heben sich ihre Kräfte ge gen einander auf, und ich bleibe stehn.
Zch dächte, ich schiede
gänzlich aus: so liegen sic einander selbst in den Haaren. Doch da für werden sie sich wohl hüten.
Vielmehr sehe ich sic schon im
voraus in ihrer Deutschen Bibliothek so nahe znsammcnrückc», daß
ich doch küppcn muß;
ich
mag wollen oder nicht: geben sie
nur Acht!
C) Aeta litt. Vol. III. Pars III. pag. 28S».
24
Antiquarischer Briefe neunter.
Neunter Brief.e) Ich denke nicht, daß ich mir zuviel herausnehme, wenn ich
mich auch noch an einem Orte von Herr Klotzen gemeint glaube, wo er mich nicht nennt: denn er nennt mich dafür anderwärts, wo er den nehmlichen Kampf kämpfet. Er will durchaus nicht leiden, daß man den alten Artisten die Perspektiv abspricht. Zm Laokoon hatte ich es gethan: obschon gar nicht in der
Absicht, wie Perrault und andere, denen es damit auf die Ver kleinerung der Alten angesehen ist.
Doch da Herr Klotz mich
so selten verstanden:
wie konnte ich verlangen,
hier errathen sollte?
Er warf mich also mit den PerraultS in
daß er mich
eine Classe, und nahm sich, in seinem Beytrage zur Ge schichte des GeschmakS und der Kunst aus Münzen, (") der Alten gegen mich an, die es wahrhaftig nie nöthig haben, daß man sich ihrer gegen mich annimt.
Seitdem hat er neue Hülfsvölkcr angeworben, mit denen er in seinem Buche von geschnittenen Steinen (**) zum
zweyten auf dem Plane erscheinet.
„Mein Eifer, sagt er, für
„den Ruhm der Alten, denen ich grosse
Dankbarkeit schuldig
„zu seyn glaube, erlaubt mir nicht, eine Anmerkung hier zu „unterdrücken."
Und diese Anmerkung läuft dahin aus, daß
nunmehr durch Einen geschnittenen Stein aus Tausenden; durch
eine gewisse Abhandlung des Grafen Caylus, und *") durch eine bisher unbemerkte Stelle des Philostratus, der Alten ihre Kennt
niß und Ausübung der Perspektiv ausser allem Zweifel gesetzt sey. Zch wünschte sehr, daß sich der Eifer des Herrn Klotz für °) Zuerst Im 131. und 132. Stücke der Hamburgischen neuen Zeitung
von 1768, vom 18. und 20. August.
8tcn dieser Briefe,
Hrn. Rloy
in
„Wir übergehen
welchen Hr. Lessing
von mindern! Belange antwortet,
auf um
den 6te» 7ten und
verschicdnc Vorwürfe des unsern Leser» einige der
folgenden mitzntheilen, die von drr Perspectiv der alten Artisten handeln, zu deren Vertheidiger sich Hr. Rloy aufgeworfen." (•) S. 179.
(”) S. 92.
*•) Die Worte von „durch Einen" an, bis hicher, fehlen in der neuen Zeitung.
25
Antiquarischer Briefe neunter.
den Ruhm der Alten mehr auf Einsicht, als auf Dankbarkeit
gründen möchte!
Die Dankbarkeit ist eine schöne Tugend, aber
ohn ein feines Gefühl dringt sie dem Wohlthäter oft Dinge
auf, die er nicht haben mag, und wobey er sich besser befindet,
sie nicht zu haben, als zu haben.
Meinem Bedünken nach, ist
die Dankbarkeit deS Herr Klotz gänzlich in diesem Falle. davon an einem andern Orte.
Doch
Ztzt lassen Sie uns sehen, was
Herr Klotz von der Perspektiv überhaupt weiß, und mit wel chen
ihm
eigenen Gründen,
er
sie den
Alten zusprechen zu
müßen glaubt. Herr Klotz erkläret die Perspektiv, in so fern sie in dem
Künstler ist, durch „die Geschicklichkeit, (*) die Gegenstände auf „einer Oberfläche so vorzustellen, wie sie sich unserm Auge in
„einem gewissen Abstande zeigen."
Diese Erklärung ist
von
Wort zu Wort aus dem deutschen Pcrnety abgeschrieben, wel
ches das abgeschmackte Oberfläche beweiset. Mahlerey Fläche, sie mag
oben,
Fläche ist für die
oder unten,
oder auf der
Seite seyn.
Doch abgeschrieben, oder nicht abgeschrieben: wenn sie nur richtig ist. — Richtig ist die Erklärung allerdings; aber dabey
viel zu weitläuftig, als daß sie bey Entscheidung der vorhabcnden Streitsache im geringsten zu brauchen sey. Denn ist die Perspektiv weiter nichts als die Wissenschaft, Gegenstände auf einer Fläche so vorzustellen, wie sie sich in ei
nem gewissen Abstande unserm Auge zeigen: so ist die Perspek tiv kein Theil der Zcichcnkunst, sondern die Zeichenkunst selbst.
Was thut die Zcichcnkunst anders, was thut sie im geringsten mehr, als was nach dieser Erklärung die Perspektiv thut? Auch sie stellt die Gegenstände auf einer Fläche vor; auch sie stellt sie vor, nicht wie sie sind, sondern wie sie dem Auge erscheinen,
und ihm in einem gewissen Abstande erscheinen.
Folglich kann
sie nie ohne Perspektiv seyn, und das geringste was der Zeich
ner vorstellt, kann er nicht anders als perspektivisch vorstellen.
Den Alten in diesem Verstände die Perspektiv absprechen, würde wahrer Unsinn seyn.
Denn eS würde ihnen nicht die
(’) Beytrag zur Gcsch. der Kunst aus Münzen S. 178.
2ß
Antiquarischer Briefe neunter.
Perspektiv, sondern die ganze Zcichenkunst absprechen heissen, in der sic so große Meister waren.
Das hat niemanden einkommen
können.
Sondern
wenn
man den Alten die Perspektiv streitig macht, so geschieht cs in
dem engern Verstände, in welchem die Künstler dieses Wort nehmen.
Die Künstler aber verstehen darunter die Wissenschaft,
mehrere Gegenstände mit einem Theile des Raums, in welchem
sie sich befinden, so vorzustellcn, wie diese Gegenstände,
auf
verschiedne Plane des Raums verstreuet, mit samt dem Raume, dem Auge aus einem und eben demselben Standorte erscheinen
würden.
Diese Erklärung ist mit jener im Grunde eins: nur daß jene, die mathematische, sich auf einen einzeln Gegenstand be ziehet; diese aber auf mehrere geht, welche zusammen aus dem
nehmlichen Gesichtspunkte,
jedoch
in
verschicdner
Entfernung
von diesem gemeinschaftlichen Gesichtspunkte, betrachtet werden. Nach jener können einzelne Theile in einem Gemählde vollkom men perspektivisch seyn, ohne daß cs, nach dieser, das ganze
Gemählde ist, indem es ihm an der Einheit des Gesichtspunkts fehlet und die vcrschiednen Theile desselben verschiedne Gesichts
punkte haben.
Herr Klotz scheinet von diesem Fehler gar nichts zu verste hen.
Er spricht nur immer von der verhälrnißmäßigen Ver
kleinerung der Figuren, und der Verminderung der Tinten: und bildet sich ein, daß damit in der Perspektiv alles gethan sey.
Aber er sollte wissen, daß ein Gemählde beide diese Stücke gut
genug haben, und dennoch sehr unperspektivisch seyn kann. Die bloße Beobachtung der optischen Erfahrung,
sage ich
im Laokoon,(°) daß ein Ding in der Ferne kleiner erscheinet, als in der Nähe, macht ein Gemählde noch lange nicht per
spektivisch.
Zch brauche also diese Beobachtung den alten Arti
sten gar nicht abzusprechcn; die Natur lehrt sic; ja, cs würde
mir unbegreiflich seyn, wenn nicht gleich die allerersten darauf
gefallen wären.
Ob sie aber die mathematische Genauigkeit da
bey angebracht,
die
wir bey
unsern auch sehr mittelmäßigen
(•) S. 198. sBcind VI, S. 488.)
27
Antiquarischer Briefe neunter.
Mahlern gewohnt sind, ob sie sich nicht mit einem ungcfchren Augenmaaße begnügt:
das ist
eine
andere Frage, die durch
blosse Schriftstellen znm Besten der Alten nicht entschieden wer
den kann, besonders da so unzählige alte Kunstwerke einer sol chen Entscheidung keincswcgcs günstig sind.
Eben so natürlich ist eine ctwanige Verminderung der Tin ten: denn eben die tägliche Erfahrung, welche uns lehret, daß
ein Ding in der Entfernung kleiner erscheinet, lehret uns auch, daß die Farben der entfernten Dinge immer mehr und mehr
ermatten und schwinden, in einander verfliessen und in einander sich verwandeln.
Folglich
können
und müssen die alten Ge
mählde auch hiervon gezeigt haben;
und die, welche ungleich
mehr als andere davon zeigten, werden mehr als andere des
halb seyn gepriesen worden.
Dieses beantwortet die Frage des Herrn Kloß: „konnten
„die alten Schriftsteller von einer Sache reden, die nicht da „war, und eine Eigenschaft an einem Gemählde rühmen, die
„niemand sahe?"
was sahen,
Sie lobten was sic sahen; daß sic aber et
was auch wir sehr lobcnswürdig finden würden,
beweiset ihr Lob nicht.
Doch indeß zligegeben, daß die alten Gemählde in beiden Stücken eben so vollkommen waren, als die besten Gemählde neuerer Zeit:
waren
sic
darum
auch
eben
so perspektivisch?
Konnten sie den Fehler darum nicht haben, von dem ich sage,
daß Herr Klotz nichts verstehen muß?
Er sicht cs nicht gcrn,(") daß man sich bey dieser Strei tigkeit immer auf die Hcrkulanischcn Gemählde beruft. — Zn
seinem Tone zu bleiben; ob er mir schon freylich so wohl nicht
lassen wird: — ich seh cs auch nicht gern.
Aber unser beider Herr Klotz
nicht gern Sehen, hat ganz vcrschicdne Ursachen.
sicht eS nicht gern, weil unstreitig der blühende Zeitpunkt der Kunst vorbey war, als die Hcrkulanischcn Gemählde verfertiget wurden: und ich sehe es nicht gern, weil, obschon dieser Zeit punkt vorbey war, dennoch die Meister der Hcrkulanischcn Ge
mählde von der Perspektiv gar wohl mehr verstehen konnten,
(°) S. 96.
28
Antiquarischer Briefe neunter.
als die Meister aus jenem Zeitpunkte, an den wir vornehmlich denken, wenn wir von der Kunst der Alten sprechen.
Denn
die Perspektiv ist keine Sache deS GenieS; sie beruht auf Re geln und Handgriffen, die, wenn sie einmal festgesetzt und be kannt sind, der Stümper eben so leicht befolgen und ausübeu
kann, als das größte Genie. Aber wenn es Herr Klotz nicht gern sieht, daß wir uns
auf die Herkulanischen Gemählde berufen: denn, daß wir uns berufen sollen?
auf welche will er
Aus dem blühenden Zeit
punkte der Kunst, ist schlechterdings kein einziges von den noch
vorhandenen alten Gemählden.
Wir müssen also
diese über
haupt aufgeben, und uns auf die Beschreibungen einschränken,
die wir in den Schriften der Alten von einigen der berühmte sten Stücke aus diesem Zeitpunkte finden.
Ich
wählte hierzu,
im Laokoon,
die Beschreibungen des
Pausanias von den zwey großen Gemählden
des PolygnotuS
in der Lesche zu Delphi, und urtheilte, daß diese offenbar ohne
alle Perspektiv gewesen.
Eines derselben, höre ich von Herr
Klotzen, (*) „soll zu unsern Tagen gleichsam wieder neu seyn
geschaffen worden."
Zch weiß nicht, welches; von dem Werke
auf das er mich verweiset, habe ich nur die ersten Bände, und ich
befinde mich gerade an einem Orte, wo ich wenig andere Bü
cher brauchen kann, als die ich selbst besitze.
eine oder das andere: wenn
Aber es sey das
es in der neuen Schöpfung Per
spektiv bekommen hat, so ist es sicherlich nicht das Gemählde
des PolygnotuS; sondern ein Gemählde, ungefehr des nehmli chen Borwurfs.
Der Hauptfehler,
welcher
sich
in diesen
Gemählden
des
PolygnotuS wider die Perspektiv fand, ist klar und unwidcrsprechlich.
Um sich Platz für so viele Figuren zu machen, hatte
PolygnotuS einen sehr hohen Gesichtspunkt angenommen, auS
welchem der ganze weite Raum vom Ufer, wo das Schiff des
Menelaus liegt, bis hinein in die verheerte Stadt, zu überse hen sey.
Aber dieser Gesichtspunkt war blos für die Grund
fläche, ohne cs zugleich mit für die Figuren zu seyn.
(°) S. 140.
Denn
29
Antiquarischer Briefe neunter.
weil ans einem so hohen Gesichtspunkte, besonders die Figuren des Vordergrundes von oben herab sehr verkürzt und verschoben hätten erscheinen müssen, wodurch alle Schönheit und ein gro
ßer Theil des wahren Ausdrucks verlohren gegangen wäre: so gieng er davon ab, und zeichnete die Figuren aus dem natür gleichem Gesichtspunkte.
lichen ihrer Höhe ungefehr
Za auch
diesen behielt er nicht, nach Maaßgebung der vordem Figuren,
für alle die entferntem Figuren gleich und einerley.
Denn da,
zu Folge der aus einem sehr hohen Gesichtspunkte genommenen
Grundfläche, die Figuren, welche hintereinander stehen sollten,
übereinander zu stehen kamen, (welches beym Pausanias aus
dem öftern dvwpsv, dvwr^w und dergleichen erhellet:) so würden diese entfernter oder höher stehende Figuren, wenn er
sie
aus
dem
Gesichtspunkte
der Figuren
des Vordergrundes
hätte zeichnen wollen, von unten hinauf verschoben und verkürzt
werden müssen, welches der Grundfläche das Ansehen einer Berg
an laufenden Fläche gegeben hätte, da eS doch nur eine per
spektivisch verlängerte Fläche seyn sollte.
Folglich mußte er für
jede Figur, für jede Gruppe von Figuren, einen neuen, ihrer
besondern
Höhe gleichen
natürlichen
Gesichtspunkt annehmen:
das ist, er zeichnete sie alle so, als ob wir gerade vor ihnen stünden, da wir sie doch alle von oben herab sehen sollten.
Es ist schwer sich in dergleichen Dingen verständlich auszu drücken, ohne wortreich zu werden. so wortreich seyn,
und
Man kann aber auch noch
gewisse Leute werden uns doch
nicht
verstehen; solche nehmlich, denen es an den ersten Begriffen der Sache, wovon die Rede ist, fehlet.
Und an diesen fehlet eS
dem Herrn Klotz in der Perspektiv gänzlich: denn er versteht sich ja auch nicht einmal auf ihre Terminologie.
„Die gewöhnliche Perspektiv der Alten, sagt er, ist die von „uns so genannte Militarperspektiv von oben herein" — Nicht
jede Perspektiv dieser werden
von
oben
zugleich
die
herein, wahren
ist Militarperspektiv.
Maaße
der
Bey
Gegenstände
überall beybchalten, und nichts wird nach Erforderniß der Ent
fernung verkleinert.
Folglich ist die Militarperspektiv eigentlich
gar keine Perspektiv, sondern ein blosses technisches Hülfsmittel
gewisse Dinge vors Auge zu bringen, die aus einem niedrigen
30
Antiquarischer Briefe neunter.
Gesichtspunkt nicht zu sehen seyn wurden, und sie so vors Auge zu bringen, wie sie wirklich sind, nicht wie sie ihm blos erscheinen. Zn diesem Verstände also von den Alten sage», daß ihre gewöhnliche Perspektiv die Militarpcrspcktiv gewesen, heißt ihnen in den gewöhnlichen Fällen schlechterdings alle Per spektiv absprechcn. Nur diejenige Perspektiv aus einem hohen Gesichtspunkte ist wahre Perspektiv, die alles und jedes nach Maaßgebung der Höhe und Entfernung dieses Gesichtspunkts, verkleinert, verkürzt und verschiebt; welches die Militarpcrspcktiv aber nicht thut, und welches auch in den Gemählden des Polygnotus nicht geschehen war. Eben so wenig wird es in den Münzen geschehen seyn, welche Hr. Klotz zum Beweise anführt, wie gut sich die Alten auf die ihm so genannte Militarpcrspektiv verstanden! Zch mag mir nicht einmal die Mühe nehmen, sie nachzusehen. Gleich wohl darf er, in dem ihm eignen Tone hinzusctzen: „Sollten „diese Zeugnisse nicht einmal die ewigen Anklagen der Alten, „wegen der Unwissenheit der Perspektiv vermindern?" Aller dings sollten sie nicht: sondern Hr. Klotz sollte erst lernen, was Perspektiv sey, ehe er einen so entscheidenden Ton sich anmaaßt. „Die Alten, fährt er fort, haben zugleich den Plan von „ihren Gebäuden gewiesen, und wenn sie den Augenpunkt sehr „scharf hätten nehmen wollen, so würden sie ein allzu hohes „Relief gebraucht haben. Hätten sie das Relief stach gehalten, „so würde die Münze ohne Geschmack, Gothisch oder nach der „Art unserer neuen Münzen ausgefallen seyn." O schön! o schön! Kauderwelscher könnte Crispin in der Komödie, wenn er sich für einen Mahler ausgicbt, die Kunst wörter nicht unter einander werfen, als hier geschehen ist. — „Die Alten haben zugleich den Plan von ihren Ge„bäudcn gewiesen." Wie zugleich? Zugleich mit den Außen seiten? Wie machten sic das? Zeichneten sic, wie wir in un sern architektonischen Rissen, etwa den Grundriß neben die Fasade? Oder wie? — „Wenn sie den Augenpunkt zu „scharf hätten nehmen wollen;" Was heißt das, den Augenpunkt zu scharf nehmen? Heißt das, sich zu scharf an die Einheit des Augenpunkts halten? Oder was heißt es? — „So
Antiquarischer Briefe zehnter,
„wurden sie ein allzuhoheS Relief gebraucht haben." Was hat der Zlngenpnnkt mit dem Relief zu thun?
Bestimmt
der Augenpunkt, wie hoch oder wie flach das Relief seyn soll? —
„Hätten sie das Relief flach gehalten;" — Nun, was
denn?
was
wäre
alsdenn
geworden? — „so
„Münze ohne Geschmack,
die
würde
gothisch oder nach der Art
„unserer neuen Münzen ausgefallen seyn." O Logik, und alle Musen! sich
von
Ein Mann, der so schließen kann, untersteht Also ist eine Münze
der Kunst zu schreiben?
von
flachem Relief nothwendig ohne Geschmack und Gothisch? Also
ist es nicht möglich, daß wir in einem flachen Relief eben so
viel erkennen können, als in einem hohen? flachen Relief nicht eben so viel, seyn, als in einem hohen?
Also kann in einem
ja wohl noch mehr Kunst
O Logik, und alle Musen!
Mann hat lallten hören, aber nicht zusammen schlagen.
Der
Weil
man das hohe Relief auf Münzen vorzieht, aus Ursache, daß es Münzen sind, daß cs Werke sind, die sich sehr abnutzen; weil man aus dieser Ursache daS flache Relief an cursirenden
Münzen mißbilliget, daraus schließt er, daß das flache Relief
überhaupt
ohne Geschmack
und
Gothisch ist?
O Logik,
und
alle Musen!
Zehnter Brief. Ich sagte in meinem Vorige», daß ein Gemählde die vcr-
hältnißmäßige Verkleinerung der Figuren lind die Verminderung der Tinten gut genug haben, lind dennoch nicht perspektivisch
seyn könne; Falls ihm die Einheit des Gesichtspunkts fehle. Gut genug; Sie wissen was man gut genug heißt.
Lassen
Sic mich mit diesem gut genug ja nicht mehr sagen, als ich
sagen will.
Gut genug, wenn man das recht Gute dagegen
stellt, ist nicht viel mehr als ziemlich schlecht.
Denn wie in der Natur alle Phänomen» des Gesichts, die Erscheinung der Grösse, die Erscheinung der Formen, die Er
scheinung des Lichts und der Farben, lind die daraus entsprin gende
Erscheinung
der
Entfernung,
sind: so auch in der Mahlerey.
unzertrennlich
verbunden
Man kann in keiner den gc-
Antiquarischer Briefe zehnter,
ringsten Fehler begehen, ohne dass sie nicht zugleich alle zweyheutig und falsch werden.
Hatte das Gemählde des PolygnotuS einen vielfachen Ge
sichtspunkt:
so
hatte
nothwendig mehr Fehler gegen
es
die
Perspektiv, oder vielmehr kein Stück derselben konnte seine ei
gentliche Richtigkeit haben; es konnte von allen nur so etwas da seyn, als genug war ein ungelehrtes Auge zu befriedigen.
Hier nenne
ich
es eii«
ungelehrtes Auge:
an einem
andern
Orte werde ich cS ein unvcrzärteltes Auge, ein Auge nennen, das noch nicht verwöhnet ist, sich durch den Mangel zufälliger
Schönheiten in dem Genüße der wesentlichen stören zu lassen. Räthsel! wird Hr. Klotz ruffen.
Zch mache keinen Anspruch mehr
darauf, von ihm verstanden zu werden. Ein vielfacher Gesichtspunkt hebt nicht allein
die Einheit
in der Erscheinung der Formen, sondern auch die Einheit der Was kann aber, ohne Einheit
Beleuchtung schlechterdings auf.
der Beleuchtung, für eine perspektivische Behandlung der Tinten
Statt finden?
Die wahre gewiß nicht;
und jede andere als
diese, ist im Grunde so gut als keine; ob sie schon immer auf den einigen Eindruck machen kann, der die wahre nirgends ge sehen.
Zn einem etwanigen Abfalle von Farben, in Ansehung
ihrer Lebhaftigkeit und Reinigkeit, mochte die ganze Luftperspek tiv des PolygnotuS bestehen. Selbst die verhältnißmäßige Verkleinerung der Figuren, kann in dem Gemählde des PolygnotuS nicht gewesen seyn; sondern ungefehr so etwas ihr ähnliches.
Denn man erwäge den Raum
von dem Ufer, wo die Flotte der Griechen lag, bis hinein in die verheerte Stadt: und
urtheile,
von
welcher coloffalischen
Grösse die Figuren des Vordergrundes angelegt seyn müßten,
wenn, nach den wahren perspektivischen Verhältnissen, die Fi
guren des hintersten Grundes im geringsten erkenntlich seyn sollten. Eben daS hätte sich Moor fragen müssen, und er würde lieber von gar keiner Perspektiv in dem allegorischen Gemählde des Ccbes gesprochen haben.
Ich biete dem größten Zeichner
Trotz, etwas daraus zu machen, was die Probe halte.
bisherige Versuche sind gerade so gerathen, Kinder befriedigen können.
wie sie
Alle
ungefehr
Der erträglichste ist der von dem
Antiquarischer Briefe eilfter.
33
jungem Merian, welcher ganz von den Worten des EebeS abgieng,
indem
vcrschiedenm Umzäunungen
er die
in
einm
schroffen Felsen mit eben so vielen Absätzen verwandelte, und dennoch
nichts Perspektivisches
konnte.
herausbringcn
Seine
Figuren verjüngen sich von unten bis oben: aber perspektivisch?
So wie sich die in dem Gemählde des Polygnotus mögen ver jüngt haben: wo man, hinein in die Stadt,
dem Schiffe
von
des Mcnclaus
das Parderfell
noch
erkannte,
bis
welches
Antenor über die Thüre seines Hauses, zum Zeichen der Ver
schonung, aufgehangen hatte.
Eilfter Brief. Es wurde eine sehr undankbare Arbeit seyn, alle Stellen und Beyspiele zu prüfen,
Herr Klotz
die
zum Behuf seiner
guten Meinung von der Perspektiv der Alten, dem Eaylus ab borgt, oder aus den Schätzen seiner eigenen Belesenheit beyzubringen vorgicbt.
Was für eine
Nur von einigeir, ein Wort. perspektivische Anordnung
kann Eaylus
der Aldrovandinischcn Hochzeit gefunden haben?
in
Sie hat höch
stens keine Fehler gegen die Perspektiv: weil sich der Meister
keine Gelegenheit gemacht hatte,
dergleichen
zu
begehe».
Er
hat alle seine Personen nach der Schnur neben einander gestellt; sie stehen alle auf einem und eben demselben Grunde; wenigstens
nicht auf so verschiednen Gründen, daß die geringste Verjün
gung unter ihnen möglich wäre. Das, was Plinius von dem Ochsen des Pausias sagt, zu
Perspektiv machen: heißt mit
dem Worte tändeln.
Es war
Perspektiv in dem weitläuftigen Verstände, in welchem sic, wie
ich schon erinnert, kein Mensch den Alten abgcsprochcn hat, noch absprcchcn kann. Lauter Wind,
wenn Herr Klotz versichert,
„daß Lucian
„von der perspektivischen Anordnung in einem Gemählde des „Zeuris so weitläuftig rede, daß diese Stelle bey dieser Strei-
„tigkeit nothwendig geprüft werden müsse!" Er nennt sie unge mein entscheidend, und sie entscheidet schlechterdings nichts. ’AxoTttvai. Taq yyoCjU^iai; i-c; to
e u^vTOtTOV,
was ist es anders,
als ein korrekter Eontour? was die uxptsiqq xpa. 2ül.
(“) S. 40.
Antiquarischer Briefe ein und zwanzigster.
62
Es sey, daß die alten Künstler, so gut wie die neuern, in
alle Arten von Edelsteinen schneiden können; cs sey, daß sie wirklich in alle geschnitten haben.
Ihre Werke auf eigentliche
Edelsteine waren darum doch eben so selten, als dergleichen zu unsrer Zeit sind,
und
cs ist blosse Dcclamation,
wenn Hr.
Klotz an einem andern Orte (”) schreibt, „daß jene Neigung
„der Alten zu
den Ringen mit geschnittenen Steinen, einen
„bessern Geschmack anzcige, als man heut zu Tage habe, da
„man blos gcschlicffenc Steine, ohne daß die Erfindung oder
„Arbeit des Steinschneiders sich auf eine Art daran gezeigt hätte, „die uns unterrichten oder ergötzen könnte,
hoch schätzt, und
bezahlt." — Dergleichen Steine,
„mit ungeheuren Summen
die man itzt mit ungeheuren Summen bezahlt, hielt auch das Alterthum, wie ich schon erinnert habe, für viel zu gut, sic von der Kunst verletzen zu lassen.
Auch schon vor Alters dünkte
cs der Prachtlicbe von besser»! Geschmacke, dergleichen Steine
als bloße Steine zu tragen; (**) und nur denen von geringerm
Werthe, ließ man durch die Kunst einen höhcrn Werth ertheilen,
ul alibi ars, alibi materia esset in presto, llllb wahrlich so gehört es sich auch!
die Kunst
Denn wenn
leichtern und glücklichern Behandlung, ersodcrt:
so ist cs
nicht ausdrücklich, die
zur
kostbarere Materie
albern, und zeigt gerade von keinem Ge
schmacke, und zeigt von nichts, als einer barbarischen Verschwen
dung, diese kostbarere Materie dein ohngcachtct, vorzüglich vor der weniger kostbaren,
aber
zur Behandlung mehr geschickten
Materie, zu brauchen.
Wenn folglich die Alten auch schlechterdings nie in Diamant,
oder Smaragd, oder Rnbin geschnitten hätten; wir Neuern hin gegen hätten in nichts als solche Steine geschnitten: so würde
dieses doch auf keine Weise ein Vorzug für unsre Künstler seyn; gesetzt auch, daß ihre Arbeit vollkommen so gut, als die Arbeit der alten Künstler wäre.
die Eigenschaften,
welche
Zwar
gehört die Härte mit unter
den Werth
eines Steines erhöhen;
(’) S. 21. (**) Alias deinde gemmas luxuria violari nefas pulavit, ac ne quis signandi causam in annulis esse intelligeret, folidas induit. Plinius lib. XXXIII. secL 6.
Antiquarischer Briefe ein und zwanzigster.
63
und derjenige Künstler, der einen ungleich Härtern Stein bear
beitet, findet ungleich grössere Schwierigkeiten zu übersteigen, als
der, welcher einen geschmeidigern unter Händen hat.
Aber die
überstiegene Schwierigkeit machte bey den Alten keine Schönheit mehr,
lind ihren Künstlern kam cs nie ein,
sich mtNhwillig
Schwierigkeiten zu schaffen, um sie überwinden zll können.
Wenn ein Natter zwölfmal mehr Zeit braucht, einen Kopf
in einen Diamant zu schneiden, als in einen andern orienta lischen Stein: (*) warum soll Natter seiner Zeit und seiner Ehre
so feind seyn,
nur
lind für zwölf Kiinstwerke
eins machen?
Was hilft es ihn, das dieses eine von Diamant ist?
Der Dia
mant hat nicht gemacht, daß seiner Kunst ein einziger Schwung sanfter, ein einziger Druck kräftiger gerathen: aber die Kunst
hat den Diamant verhunzt. Der Diamant hat von seiner Masse, hat von seinem Feuer verloren: imb warum? wozu? Kunst,
die lins
diesen Verlust
Eben die
kaum kann vergcsseil macheil,
würde jeden geringern Stein in einen Diamant vcrcMt haben.
Und so wollte ich sicher annchmen, daß überall, wo in den alteil Schriftstellern eines besonders kostbaren Ringes oder Stei
nes gedacht wird,
ein Steiil
ohne Figuren zu verstehen sey.
Non dem, zu dessen freywilligem Nerliiste sich Polykrates ent
schloß, um die neidische Gottheit zu versöhnen, die sein ununterbrochncs Glücke leicht beleidigen dürfte, sagt cs Plinius aus
drücklich; ja seine Worte (**) scheinen so gar anzudeuten, daß dieser Stein nicht einmal geschliffen, sondern völlig so gewesen,
wie er aus der Hand der Natur gekommen. Hillgegen bin ich völlig der Meinung, daß, wenn Eupolis
den Eyrenäern
nachsagte, (**#)
daß der
geringste
von ihnen
einen Siegelring trage, der zehn Minen koste, dieser Vorwurf der Verschwendung mehr auf die zu theuren Steine gieng, welche
sie ungeschnitten in ihren Ringen trugen, oder geschnitten zll
ihren Siegeln mißbrauchten, als auf den zu grossen Lohn, den sie dem Künstler für den Schnitt entrichteten. (°) Pref. XVI. (") Polycratis gemma, qua; demonslrahir, illihata inlaclaque est. Libr. XXXV. sect. 4. ("*) Aelianus Hist. var. lib. XII. cap. 30.
Antiquarischer Briefe zwey und zwanzigster.
64
Zwey und zwanzigster Brief. Allerdings ist es ganz ohne Grund, wenn Hr. Klotz in dem Ringe, welcher die Feindschaft zwischen dem Cäpio nnd DrusuS
veranlaßte, so wie in
dem Opale, der dem Nonius die Ver
bannung zuzog, geschnittene Steine finden will. (°) Aber über
den Ring des Polykrates, meinen Sie, dürfte dem Plinius we dem Herodotus, und Strabo lind
niger zu glauben seyn, als
Pausanias und Tzctzcs, die nicht allein ausdrücklich sagen, daß
der Stein desselben ein geschnittener Stein gewesen, sondern auch
den Meister nennen, der ihn geschnitten habe. Nicht zwar
Und doch halte ich es lieber mit dem Plinius!
deswegen, weil Plinius sagt, daß dieser Stein des Polykrates, welcher ein Sardonyx gewesen, noch bey seiner Zeit zu Rom,
in dem Tempel der Concordia,
gezeigt worden,
und er sich
also mit seinen eigenen Augeir belehren können; denn er selbst sagt das, weil
er cs sagen hören,
nicht weil er es wirklich
glaubt: (*#) sondern ich gründe mich auf etwas anders.
Auf
den Künstler nehmlich, der ihn geschnitten haben soll.
Thcodorus
von
Samos
wird
als
dieser
Nun
genennt.
aber sagt das ganze Alterthum, daß dieser Thcodorus in Me tall gearbeitet, und zugleich ein Baumeister gewesen.
Wäre es
fast nicht ein wenig zu viel, ihn auch zum Steinschneider zu
machen?
Und wie, wenn der Ring, von dem die Rede ist,
(°) S. 21. (“) Sordonychem, heisst» bic Worte bcs Plinius, eam gemmam fuirtc constat: ostenduntque Rom», fi credimus, Concordia delubro, cornu au reo
Augusli dono inclusam, & novissimum prope locum tot praelatis oblinenlem. Dieses giebt unser deutscher Uebersetzer: „und man zeigt ihn, wo wirs glau-
„den wollen, zu Nom in der Kapelle der Eintracht, wo er durch das Gc„schenk der Kavscrinn in ein goldncs Horn eingcschlossen ist, und da ihm so
„viele vorgezogen sind, fast den letzten Ort behauptet." daraus
versteht, was
Plinius
sagen wollen,
und was
Horn gemeiner, in welchem sich dieser Stein befand.
Ich zweifle, ob man er für ein goldnes
Ich glaube,
er meinte
das Füllhorn, mit welchem die Göttinn der Eintracht vorgestellet wird. ses war mit Edelsteinen besetzt,
unter welchen
Die
sich auch der Sardonyx des
Polykrates, wie man vorgab, befand; aber fast ganz unten, wo er so vielen
andern nachstehen musste, zum Beweise, wie sehr der Luxus in diesen Kost
barkeiten, seit den Zeiten des Polykrates, gestiegen.
65
Antiquarischer Briefe zwey und zwanzigster.
sein Werk seyn könnte, wenn er auch kein Steinschneider gewe
sen
wäre? wenn
er
ihn
nehmlich
blos gefaßt hätte?
Ohne
Zweifel paßt dieses zu seiner anderweitigen Kunst besser; und
Herodotus scheinet in der That auch nichts
anders sagen zu
wollen! Tpv oi crcppTfyit; rrjv ecpopEE xyuCToÖETog —
yov ©Eodcopou
toi?
T i;/.ex2.sol; Sot^utou.
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vj und setzt hinzu:
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