Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Band 11 [Neue rechtmäßige Ausgabe, Reprint 2021 ed.] 9783112424049, 9783112424032


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German Pages 774 [808] Year 1840

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Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Band 11 [Neue rechtmäßige Ausgabe, Reprint 2021 ed.]
 9783112424049, 9783112424032

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Gotthold Ephraim Lessings

sämmtliche Schriften herausgegeben von

Karl Lachmann.

Gotthold Ephraim Lessings

sämmtliche Schriften. Neue rechtmäßige Ausgabe.

Eilfter Band.

Berlin, in der Voß'scheu Buchhandlung. 1839.

Gedruckt bei Julius Sitten seid in Berlin.

Inhalt. s?citc

Messings litterarischer Nachlaß. GlückwünschungSrede bey tcm Eintritt deS 1743sten Jahres, von

der Gleichheit eines IahrS mit dem andern.....................

1

Abhandlung von den Pantomimen der Alten............................ Der Schauspieler......................................................................... Gedanken über die Herrnhuter. 1750......................................... Ueber das Heldenbuch................................................................

8 16 22 30 43

-eibnitz Reue Versuche vom menschlichen Verstände................................. Ueber die Elpistiker......................................................................

51 51

Von der Art und Weise der Fortpflanzung und Ausbreitung der christlichen Religion.............................................................

64

TERTVLL1ANVS DEPRAESCRIPTIONIBVS.....................

81

Bemerkungen über Burke'S philosophische Untersuchungen über den Ursprung unserer Begriffe vom Erhabenen und schönen .

92

Anmerkungen über den AesopuS.................................................. 97 Ueber den Phäder.......................................................................... 103 Ueber die Wirklichkeit der Dinge außer Gott........................... 111 Durch Spinoza ist Leibni- nur auf die Spur der vorherbestimm­ ten Harmonie gekommen........................................................ 112 Anmerkungen zu Winkelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums 114 Zum Laokoon...................................................................................125 Ueber einige Stellen aus dem Montfaucon.................................. 170 Ueber eine Stelle des Clemens AlexandrinuS.................................. 172

Unterbrechung im Dialog. Chor, llnstudirte Dichter. Delikatesse.

173

VI

Inhalt. Seite

Nachspiele mit Hanswurst..................................................... 176 Leben und leben lassen. Ein Projekt für Schriftsteller und Buch­ händler ........................................................................ 178 Ueber die Ahnenbilder der Romer. 1769..................... - . . . 183 Fragment über die Jsische Tafel............................................. 197 Kleinere antiquarische Fragmente............................................. 203 1. Karyatiden................................................................. 203 . 2. Dioskorides................................................................ 205 3. Grottesken................................................................ 208 4. Ueber die Mängel des antiquarischen Studiums................... 209 5. Anmerkungen zu Fueßlins Künstler-Lexikon........................ 211 6. Anmerkung zu Heineke'ns Idee generale d’une Collection compl. d’Estampes..................................................................................... 212

7. Vermischte Anmerkungen und Nachrichten........................... 212 Kollektaueen zur Literatur..................................................... 219 Entwürfe zur Fortsetzung der Briefe antiquarischen Inhalts . . 405 Zur Geschichte der Aesopischen Fabel........................................ 420 Manuscripta latina theologica io Folio.............................

434

Wiclef.......................... . . . ............................................ 416 Vom Arianismus, zufolge einer Abhandlung des Hrn. D. TöllnerS nemlichen Inhalts........................................................... 447 Ueber den Arianismus, von PhilaletheS dem mittlern. Zufolge Herrn D. Tellers Antithesen. Vorrede............................. 448 HilkiaS................................................................................ 449 Ueber die Philosophischen Gespräche, über die unmittelbare Be­ kanntmachung der Religion und über einige unzulängliche Beweisarten derselben..................................................... 454 Gelehrte Kretze. Vorrede. 1774.......................................... 455 Hermäa. Erster Band. Vorrede........................................... 457 Daß mehr als fünf Sinne für den Menschen seyn können. . . 458 Ueber eine Aufgabe im Deutschen Merkur............................... 461 Zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, von den Minnesängern bis auf Luthern. 1777.......................... 468 Thomas Murner................................................................... 492 Neue Hypothese über die Evangelisten als blos menschliche Ge­ schichtschreiber betrachtet. 1778. . . . -........................ 495

Inhalt.

VII

Seite

Gegen Mascho................................................................................ 514 Barbaras Antibarbaro d. i. G. Ephr. Leßing an den Herrn George Chr. Silberschlag. Erster Brief............ ............................... 516 Ueber den Beweis des Geistes und der Kraft. Ein zweytes Schreiben an den Herrn Direktor Schumann. 1778. • . . 518 Ueber die von der Kirche angenommene Meynung, daß es besser sey, wenn die Bibel von dem gemeinen Manne in seiner Sprache nichtgelesen würde, gegen Herrn Hauptpastor GLze 521

Zu Nathan demWeisen................................................................... 533 Gegen Semler............................................................................ 534 Btbliolatrie...................................................................................... 535 Von den Traditoren. In einem Sendschreiben an den Herrn

Doktor Walch...................................................................... 553 Vorrede........................................................................................ 556 Gegen eine Stelle aus Leß von der Wahrheit der christlichen Religion.................................................................................. 558 Sogenannte Briefe an verschiedene GorteSgelehrten...................... 560 Sogenannte Briefe an den Herrn Doktor Walch................

. .

561

Ausschweifung über das GlaubenS-Bekenntniß der ersten Christen

584

Hilarius......................................................................................................

588

Ueber die itzigen Religionsbewegungen........................................... 590 Ein Text über die Texte................................................................. 592 Theses aus der Kirchengeschichte.................................................... 593

Historische Einleitung in die Offenbarung Johannis...................... 599 Die Religion Christi. 1780.......................................................... 603 DaS Christenthum der Vernunft.................................................... 604

Ueber die Entstehung der geoffenbarten Religion......................... 607 Ueber eine Prophezeyuug des Cardanus, die christliche Religion betreffend............................................................................

609

Womit sich die geoffenbarte Religion am meisten weiß, macht mir sie gerade am verdächtigsten........................................... 611 Daß man die Menschen eben so von der Begierde ihr Schicksal in jenem Leben zu wissen, abhalten soll, als man ihnen ab» räth zu forschen, waS ihr Schicksal in diesem Leben sey . . 611 Gespräch über die Soldaten und Mönche..................................... 612

VIII

Inhalt. Seite

Meines Arabers Beweis, daß nicht die Juden, sondern die Ara­ ber die wahren Nachkommen Abrahams sind......................... 613 Der Philosoph auf der Kirchenversammlung.................................. 614 Betrachtung über die geistliche Beredsamkeit.................................. 616 Beytrage zu einem Deutschen Glossarium..................................... 617 Zum ersten Bande von 8. (?. Steinbachs deutschem Wörterbuch 636 Grammatisch-kritische Anmerkungen................................................. 645

Vergleichung Deutscher Wörter und Redensarten mit fremden . 655 Altdeutscher Witz und Verstand..................... 666 Philologischer Nachlaß.................................................................... 689 Zur Gelehrten-Geschichte und Literatur........................................ 716 Selbstbetrachtuugen, Einfälle und kleine Aufsätze......................... 746

Lcsimgs litterarischer Nachlaß. Glückwünschungsrede, bei) dem Eintritt de« 1743stc» Jahres, von der Gleichheit eine« Zahr« mit dem andern.') Die meisten alten Poeten und Weltweisen, hochzuehrender Herr Va­

ter, haben geglaubt, daß die Welt von Jahren zu Jahren schlimmer würde, und in einen unvollkommenern Zustand verfiele. Wir können hieran nicht zweifeln, wenn wir uns erinnern, was ein HefioduS, ein Plato, ein Virgil, ein Ovid, ein Genera, Gallust und Strabo von den vier Altern der Welt geschrieben haben, und »le bemüht fie ge­ wesen mit den lebhaftesten Farben die goldenen Zeiten unter dem Sa­ turn, die silbernen unter dem Jupiter, die kupfernen unter den Halb­ göttern, die eisernen aber unter den jetzigen Menschen abzubilden. Es ist zwar schwer, die eigentliche Quelle dieses sinnreichen Gedicht« zu entdecken; e« kann seyn, daß diese Männer etwas vom Stande der Unschuld im Paradiese gehört haben; es kann seyn, daß sie selbst ein­ mal die heilige Schrift zu sehen bekommen haben, welche ihnen Gele­ genheit zu ihren Fabeln geben müssen- Das ist aber gewiß, daß ihre ganze Erzählung, so artig fie auch klingt, ohne Grund ist, und kaum einer Möglichkeit, geschweige Wahrscheinlichkeit ähnlich sieht. Denn erstlich erzählen sie uns solches ohne Grund, ohne Beweis, ohne Zeug­ niß. Hernach ist auch die Erzählung selbst so beschaffen, daß sie von der Wahrheit sehr entfernt und keines Beifalls würdig zu seyn scheint. Ihre hochgepriesenen goldenen Zeiten sind ein bloße- Hirngespinst. Wir sollen glauben, daß eitle und verderbte Menschen ohne alle Ge­ setze, welche doch die Seele aller menschlichen Gesellschaften sind, weise, tugendhaft und glücklich gelebt haben. Sollte dies wohl mög­ lich seyn? Wir sollen uns überreden lassen, daß eine tiefe Unwiffen-

*) G. E. Lessings Lebe», nebst seinem noch übrigen litterarischen Nach­ lasse, herausgegebe» von K. G. Lessing, Th. il (1795), S. 103. Lestin-S Werke xi. 1

2

GlückwünfchungSrede

hrit, eine rauhe Lebensart, wilde Sitten, eine unachtsam« und faule Mnße, unangebaute Felder und Gärten, wüst« Einöden, armselige Hütten und Hthlen, nackende Leiber, ein« elende und harte Kost, ei» Mangel alle« Umganges, aller Bequemlichkeiten und aller Annehmlich­ keiten, die wahren Merkmahle der glückseligen und goldenen Zeiten gewesen sind. Wir solle» uns einbilden, als lebte» wir ieht in den eisernen, schlimmsten und elendesten Zelten, da wir doch ganz offenbar an unsern Jahren mehrere Merkmahle der goldenen Zeiten wahrnehmen, als jene Alten gehabt haben. Denn diese« ist unstreitig eine gol­ dene, oder die glückseligste Zeit, in welcher man die meisten und besten Mittel, und die wenigsten Hindernisse findet, die wahre Zufriedenheit der Menschen, die allgemeine Wohlfahrt und die vollkommene Glück­ seligkeit Aller nach Wunsche zu befördern. Sie dürfen aber nicht mey­ nen, H. D-, als wenn diese kindischen Dorurtheile und abgeschmackten Jrtthümer mit unseren uralten Vorfahren alle wären begraben worden. Nein! wir finden auch unter uns einfältige, schwermüthige, mißver­ gnügte und undankbare Leute, welche ihnen selbst und andern mit den ungerechten und ungegründeten Klagen beschwerlich fallen, daß die Menschen wirklich jetzt in den eisernen Zeiten lebten, daß die Men­ schen von Jahre zu Jahr« schlimmer würden, daß die Welt sich zu ih­ rem völligen Untergänge neigte. So vieles Mitleiden ich mit den kin­ dischen Klagen der Schwachheit habe, so gewiß getraue ich mir doch jetzt bei meinen schwachen Kräften zu erweisen, daß eigentlich eine Zeit vor der andern keinen Vorzug habe, sondern, daß rin Jahr dem andern völlig gleich sey. Dir Zeit ist eine Ordnung der Dinge, die in der Welt auf einander folgen; sic wird durch die Ordnung unserer Gedanken begriffen, welche sich die Sache» bald als vergangene, bald al« grgenwättige, bald als zukünftige vorstellen. Alles was nach und nach geschiehet, geschieht in der Zeit. Ein Jahr ist ein Theil der Zeit; dieser Theil der Zeit wird bald nach seiner Größe, bald nach seiner Beschaffenheit betrachtet, nachdem «S entweder von der Meßkunst, »der Von der Nalurlrhre, oder Sittenlehre beschrieben wird. Bei den Meß­ künstlern heißt ein Jahr diejenige Zeit, da die Sonne die ganze Sommerstraße durchlaufen hat, oder eine gewisse Reihe auf einander fol­ gender Tage, Wochen und Monathe. Sie hören gleich, H. V-, daß dir Meßkünstler dar Jahr nur nach ihrer Größe betrachten; hier aber werde ich nicht den geringsten Widerspruch besorgen dürfen, wenn ich sag«, daß ein Jahr bis auf einen geringen Unterschied so groß sey, wie da- andere. Ein Naturverständiger hingegen versteht durch ein Jahr diejenigen Wirkungen, welche die Natur einen Frühling, Som-

bey dem Eintritt des 1743jitn Jahres.

3

m«r, Herbst und Winter hindurch hervorzubringen pflegt. Lia Sitten­ lehrer aber redet im verblümten Verstände, wenn er tiit Jahr gut oder bist, gleich oder ungleich nennet. Er versteht dadurch die guten «nd böse» Zufälle, die guten und bösen Handlungen der Menschen, welche di« itetlf Monathe hindurch geschehe» sind. Sie können leicht ermes­ sen, H- D., daß ich hier die Jahre al- ein Naturkündigrr and Sitten­ lehrer ansehe, wenn ich $u behaupten sucht, daß eia» -em ander« gleich sey. Sie können auch leicht einsehen, daß in diesem Verstände rin Jahr dem andern gleich sey, wenn es einerley Kräfte and Wirkun­ gen, einerlei Zufälle, einerlei Handlungen, einerlei Absichten «nd Mittel mit dem andern aufzuweisen hat. Und, oi wie leicht wird mir es seyn, die Gleichheit der Jahre zu erweisen, da ich den deutlichen Ausspruch der gesunden Vernunft, das göttliche Zeugniß der heilige« Schrift, und de» unverwerflichen Beifall der Erfahrung auf meiner Seite habe. Niemand läugnet, daß Gott der Schöpfer dieser Welt sey; niemand läugnet, daß Gott di« Welt sehr gut erschaffen habe; niemand läugnet, daß sehr gut seyn, eben so viel heiße, al- in seiner Akt di« größte Vollkommenheit besitzen. Hat aber die Welt in ihrer Akt dir größte Vollkommenheit, so werde ich ohne Bedenken sagen kön­ ne«, daß alle- wa- in der Welt zugleich ist und auf einander folget, mit einander übrreinstimmen müsse; «nd daß die Welt, so lange sie nach -«- Schöpfer- Willen Welt bleibe» soll, kein« Haupweränderung leiden könne. Denn hierin bestehet eben die wesentliche Vollkommen­ heit eine- Dinge-. Geschiehet nun in der Welt keine Haupwrrändrrung; stimmt in derselben alle- mit einander überein: so ist nicht­ leichter, al- den Schluß zu machen, daß auch die Jahre in der Welt mit einander übereinstimmen, daß ein- dem andern gleich seyn müsse. Eben so, wie man nur diejenige Uhr vollkommen zu nennen pflegt, In welcher eine Minute, eine Stunde, ein Tag mit dem andern genau und richtig übereinstimmt. Dieser Beweis führet mich unvermerkt zu einem ander». Wir wissen und empfinden es, daß Gott nicht allein der Schöpfer, sondern auch der Erhalter aller Dinge ist. ES erhält aber derselbe die Welt durch eine Menge gewisser Kräfte, welche er dersel­ ben anerschaffen hat. Alle diese Kräfte sind noch in eben der Meng« und Beschaffenheit vorhanden, als sie im Anfänge -er Welt gewesen sind. Sir sind noch in eben der Menge da, sonst müßten sie sich ent­ weder selbst vermindert haben, oder Gott müßte sie durch seine Allmacht in ihr vorige- Nichts verwandelt haben. Da- erste ist nicht möglich, weil dies« Kräfte nicht die Allmacht haben, die zu ihrer Zernichtung nöthig wäre. Das andere aber ist nicht glaublich, weil man nicht den r

4

GlückwünschungSrede

grringsten (Srunb bet Wahrscheinlichkeit angeben kann, baß Satt die­ selben vermindern «ollen, und auS «aS für einer Absicht er solches gethan hätte. Eie sind auch noch in eben der Beschaffenheit vorhanden; sonst würben sie andere Wiüungen hervorbringe» müssen, welcheder Erfahrung widerspricht. Sind also alle Kräfte, wodurch Gott die Welt in ihrem Wesen erhält, sowohl in ihrer Menge alS Beschaffen­ heit annoch vorhanden, fe müssen sie auch wirken. Sonst wären sie ohne Nutzen und ohne Absicht da, welches der Weisheit Gottes juwider liefe. Ja sie müssen auch Wirkungen hervorbringen, die ihnen gleich sind; sonst hätte sich ihre Beschaffenheit verändert. Zweifelt also niemand daran, daß vom Anfänge der Welt bis auf unsere Tage einer­ lei Kräfte und einerlei Wirkungen derselben gewesen sind; »! wer wollte doch Bedenken tragen, sicher |u schließen, um Laster, jur Ruhe und »ur Unruhe, zur Glückseligkeit und Verderben, welche jene ersten Besitzer der Erde halten. Ist es auch glaublich, H. D., daß einerlei Samen unterschie­ dene Früchte trage, daß einerlei Quellen unterschiedene Wasser hervorbringen, und ist es auch wahrscheinlich, daß aus einerlei guten und bösen Herjen, aus einerlei guten und bösen Absichten und Mitteln, auS einerlei guten und bösen Bewegungsgründen, unterschiedene gute und böse Handlungen, und auS diesen wiederum unterschiedene gute und böse Zufälle entspringen können? Ich weiß es, Sie geben mir gerne Beifall, wenn ich sage, daß die Handlungen und Zufälle unserer jetzt lebenden Brüder und unserer uralten Vorfahren bis auf einige sehr geringe Nebenumstände eine sehr genaue Gleichheit haben, wir wollten uns denn bereden lassen, die Menschen hätten jetzt aufgelött, Menschen zu seyn. Sie erlauben also, daß ich weiter schließe. Sind die guten und bösen Umstände, Neigungen, Handlungen, und Zufälle

bey dem Gintritt des 1743flen Zahns.

5

aller Menschen, fü mögen leben wo sie wollen, einander gleich; so wer­ den auch die Jahre, in denen sie lebe», und in welchen st« geschehn, einander gleich seyn. Ich behaupte dieses um so viel mehr, da ich einen Zeugen auf meiner Seite habe, welchen Dero Glaube und Frömmigkeit nicht verwerfe» kann. Lin Zeuge, durch den der TeiA der Wahrheit redet, der König, dessen Weisheit nicht nur ehemals die Welt bewunderte, sondern welchen auch noch jetzt Juden und Christen in tiefer Ehrerbie­ tung verehren, ein Salomo, durch welchen uns Gott den Prediger aufzeichnen lassen, versichert uns eben dieses('). Was ist e-, spricht er, das geschehen ist? Eben daS, das hernach geschehen wird. WaS ist eS, daß man gethan hat? Eben das, was mancher noch wieder thun wird; und es geschiehet nichts neues unter der Sonnen. Ge­ schiehet auch etwas, davon man sagen möchte: Siehr, das ist neu? Denn es ist zuvor auch geschehn in den vorigen Zeiten, die vor un­ gewesen sind- Kan» ich nicht hieraus recht sicher schließen? geschiehet nichts neues unter der Sonnen, geschiehet in unseren Zeiten nicht-, da- nicht schon in den vorigen Zeiten geschehen wäre; thut man in un­ sern Tagen nichts, das man nicht schon in den vorigen Tagen der Welt gethan hätte: so müssen auch die Jahre, in welchen eS geschieht und gethan wird, einander gleich seyn. Doch sollte sich auch jemand finden, welcher sich nicht scheuet«, Vernunft und Schrift In Zweifel }u ziehen, so würde sich doch niemand getrauen linnen, der Stimme der Erfahrung zu widersprechen. Man lese nur die alten und neuen Geschichten, welche geschickte und redliche Männer mit Sorgfalt auf­ zeichnet haben; man halte sie gegen einander, und man uttheile «npartheiisch. Wird man nicht gestehen müssen, Laß uns in beiden ei­ nerlei Bewegungen und Wirkungen der Natur, einerlei gute und bös« Handlungen der Menschen, einerlei glückliche und unglückliche Zufälle und Begebenheiten vorgestellt werden? Werden wir nicht mit Ueber­ zeugung ausrufen müssen, es geschiehet nichts neues unter der Son­ nen; darum ist ein Jahr dem andern gleich! Ja ich frage euch, ihr Brüder, die ihr jetzt durch Gottes Gnade ein neues Jahr zu leben anfangt, sprecht selbst, ob in dem vergangenen Jahre etwas vorgefalle», geschehen und gethan ft», welches nicht auch in den vorigen Tagen geschehen, und in den künftigen Jahren sich zutragen wird? Wenn es gleich nicht in unserm Daterlande, in unserm Welttheile geschehen ist; denn bei dieser Betrachtung müssen wir die Welt als einen Ort ansehen- Wird man also nicht aufrichtig gestehen müssen, «in Jahr

6

GlückwüuschuugSrede

sey -em andern gleich, «eil Vernunft, Schrift und Erfahrung hier zusammen treten, und solche» einstimmig versichern. Doch ich kann leicht vorau-sehen, da- meine Meinung bey Einigen Widerspruch fin­ den wird. Man wird mir einwenden, daß nicht eia Jahr dem andern gleich seyn könne. Man wird mir die Wunder der göttlichen Allmacht entgegen sehen, welche gewisse Jahr« von den andern unendlich unter­ scheiden Man wird dir Landplagen zu Beweisen ansührcn; man wird sich auf di« Zeiten der Barbarei berufen. Man wird den Ausspruch eine» erleuchteten Paulu» entgegensetzen, welcher vorher gesagt (*), daß in den letzten Tagen gräuliche Zeiten kommen werden. Allein alle diese Zweifel werden Wegfällen, wenn man erwägt, daß ich hier nicht von den außerordentlichen Wirkungen der Allmacht Gotte», welche sel­ ten geschehen, sondern von den ordentlichen Wirkungen der Natur rede. Wenn man vorau-setzt, daß ich nicht von einzelnen Theilen de» Erd. Hoden«, sondern von der ganzen Welt überhaupt spreche. Und ich red« mit der Erfahrung, wenn ich behaupte, daß fast kein Jahr zu finden, in welchem man nicht in einem Theile der Welt den Anfall der Land, plagen empfunden habe. Denn auch diese sind Mittel, wodurch die weiseste Vorsehung Gotte» die Welt in ihrer Vollkommenheit zu erhal­ ten pflegt. Die Barbarei hat auch keine Hauptveränderung in ver Zeit gemacht. Die Erfahrung behauptet, daß dieselbe nur in gewissen Theilen der Welt geherrscht, so lange fast die Welt steht. Wa» end­ lich da» Zeugniß des heiligen Paulus anlangt, so widerspricht dasselbe meinem Satze nicht. Denn der heilige Gesandte Gottes saget nichts mehr, als daß die Tage des neuen Bundes eben so wenig al» die Tage des alten Testaments von allen Irrthümern, Lastern und bösen Menschen .frei seyn würden. Er führet auch lauter solche Laster an, die nicht ne«, sondern alt sind, und welche er sckon in dem Anfänge seines Briefe» an die Römer bestrafet. Kurz, Timotheus wird von ihm ermahnet, dergleichen lasterhafte Menschen zu meiden. Darum müssen sie zu Timotheus Zeiten gelebt haben. ES bleibt als» dabei, daß ein Jahr dem andern gleich sey. Ist dieses wahr, o wie wenig Grund bleibt uns noch übrig, die Tage unserer Väter al- die golde­ nen, die besten, dir glückseligsten mit neidischen Augen anzusehen unt mit seufzender Stimme andern anzupreisen! Warum scheuen wir uns nicht, mißvergnügte Derläumder und undankbare Verächter unserer Jahre zu seyn? Warum schreien wir dieselben als eiserne, als schlimme, al» unglückselige Zeiten aus? Warum seufzen wir so ängstlich voller (°) 2. rimotb. 3,1.

bey dem Eintritt des 1743)1 tn Jahres.

7

Unzustiedenheit nach bessern Zeiten? -a doch unsere Tage durch Gotte­ weise Güt« besser sind, als wir sie verdienen, «nd es nur an «ns liegt, daß wir dieselben nicht besser gebrauchen und un- zu Ruhe ma­ che». Warum hoffen wir ohne genügsamen Grund? Warum lassen wir un- endlich nicht al- vernünftige Menschen den heilige» Willen G«tteS, seine weise Einrichtung der Welt, seine weis« Regierung der Zeit in zufriedener Gelassenheit gefallen, und bedienen unS der Jahre, die uns die weise Vorsehung gönnet und die für uns allezeit die besten sind? So wie «S unsere Gemüthsruhe, dir allgemeine Wohlfahrt und unsere Glückseligkeit «rfordett. Kluge Christen, glücklich« Seelen, dir sich in die Zeit zu schicken wissen; unglückliche Thoren, welche ohne Noth klagen und ohn« Grund hoffen! Sie, H. V-, haben nunmehr wiederum ein Jahr geendet, das dem vorigen gleich ist. Sie habe» durch Gotte- Gnade ein neues angefangen, bei dem ich schon im Vor­ aus so viel Ähnlichkeit mit dem vergangenen und zukünftigen erblicke, daß ich fast Bedenken trage, dasselbe ein neues Jahr zu nennen. Da­ alte Jahr war voll von den ehrwürdigen Wundern der Weisheit, Macht und Güte Gotte-, deren Sie und alle die Unsriarn erfreute Zeugen sind, und das neue wird daran nicht I„» seyn, wie wir sicher hoffen können. Dir Ärckfic trr Natur sind auf den Wink der höchsten Vorsehung im vergangenen Jahre geschäftig gewesen, alles reichlich hervorziibringen, was zur Erhaltung der Welt, unseres Wesen- und Wohlseyns dient. Und sie werden in dem gegenwärtigen, wenn eGott gefällt, nicht Muße haben. Da- zwei und vierzigste Jahr die­ se, JahrhundettS hat uns überflüßige Mittel angeboten, die hohen Absichten unseres Schöpfers, weswegen wir leben und da sind, zu er­ füllen. Und das drei und vierzigste wird gegen uns Unwürdige eben so freigebig seyn, wenn wir eS erkennen wollen, und eS an nichtfthlen lassen, was z« unserm und der ganze» menschlichen Gesellschaft Besten dienet. Hatt« daS vorige Jahr seine Plagen, die unS der starke Arm des Höchsten überwinden half, so wird auch da- jetzige zu unserer Prüfung seine Uebel haben. Doch getrost, wir sind in GotteHand! Jetzt verehre ich die allerhöchste Majestät in tiefster Demuth, und danke ihr mit der reinesten Regung meiner Seele für alle- daGute, da- sie die Welt und uns hat genießen lassen, und welches sie uns fernerhin, wie mich mein Glaube versichert, erzeigen wird. Ich preise nebst Ihnen die weise un- mächtige Liebe des höchsten Regen­ ten, die Zeit, und auch unsere Tage, die gegen uns stets neu ist, und niemals alt wird, mit vergnügtem und zufriedenem Herzen. Ich wünsche endlich mit der Redlichkeit und mit dem Eifer, der Christen

8

Abhandlung von den Pantomimin der Alte«.

gebührt, der Geist bet Höchsten woll« uns als» regieren, da- wir uns TotteS Willen allereit gefallrn lasse», daß wir die beständige Mischung deS Tuten und Bösen von seiner Hand also annehmen, da- wir da­ bei weder übermüthig noch kleinmüthig werden, da- wir die Kräfte und Wirkungen der Welt als» gebrauchen, daß wir sie nicht mißbrau­ che», daß wir die Mittel zu unsrer Seelenruhe und unsrer Glückselig­ keit und der allgemeinen Wohlfahrt so anwenden, wie eS die Ehre unsers Herrn erfordett. Mir wünsche ich von Ihnen in diesem Jahre gleiche Liebe, gleiches Gebet, gleiche Vorsorge, gleiche Treue und gleichen Beistand. Ich verspreche Ihnen dafür gleiche Dankbesiiffenheit, gleiche Ehrerbietung, gleichen Gehorsam, gleiche Begierde, Ih­ nen gefällig t» werden, gleichen Eifer, Gott für Der» Wohlseyn anzuflehn. So werden wir in der That erfahren, daß wir in den goldenen Zeiten leben, daß ein Jahr dem andern gleich ist.

Abhandlung von den Pantomimen der Alten.*) s- i. Es werden wenige von meinen Lande» Leuten seyn, welche nicht jqo daS Wort Pantomimen unzehlichewal gehört und selbst sollten im Munde geführt haben, ohne vielleicht zu wissen waS es eigentlich be­ deute. Und wer weiß ob Herr Ricelini selbst den wahren Begriff davon mag gewust haben, sonst würde er unS wohl schwerlich seine stummen Poßenspicle unter diesem Rahmen aufgedrungen haben. Doch waS wird er sich darum viel bekümmern? Hat er doch überall seinen Endzweck erlangt. Und er ist eS werth, daß er ihn erlangt hat, da er auf eine so anlockende Art sich die Reugicrigkeit und den läppischen Geschmack der jezigen Zeiten zinuöbar zu machen gewust hat. Doch mit seiner und aller derer Erlaubniß, welche ihn bewundert haben, behaupte ich, daß seine kleinen Affen nichts weniger, als Pantomimen sind. Er darff deßwegen eben nicht auf mich böse werden, denn ich stehe ihm dafür, daß er dieser Anmerkung halber gewiß keinen einzi­ gen Zuschauer weniger bekommen wird. Denn ich zweifste sehr, ob einer von denen, die ihn so offt besucht haben und noch besuchen werden, meine Abhandlung lesen wird. Rach dem Geschmacke dieser

c) Im zweiten Bande des theatralischen Nachlasses S. 223 gedruckt; unter den Breslauer Papieren erhalten und danach berichtigt.

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Abhandlung von den Pantomimin der Alte«.

gebührt, der Geist bet Höchsten woll« uns als» regieren, da- wir uns TotteS Willen allereit gefallrn lasse», daß wir die beständige Mischung deS Tuten und Bösen von seiner Hand also annehmen, da- wir da­ bei weder übermüthig noch kleinmüthig werden, da- wir die Kräfte und Wirkungen der Welt als» gebrauchen, daß wir sie nicht mißbrau­ che», daß wir die Mittel zu unsrer Seelenruhe und unsrer Glückselig­ keit und der allgemeinen Wohlfahrt so anwenden, wie eS die Ehre unsers Herrn erfordett. Mir wünsche ich von Ihnen in diesem Jahre gleiche Liebe, gleiches Gebet, gleiche Vorsorge, gleiche Treue und gleichen Beistand. Ich verspreche Ihnen dafür gleiche Dankbesiiffenheit, gleiche Ehrerbietung, gleichen Gehorsam, gleiche Begierde, Ih­ nen gefällig t» werden, gleichen Eifer, Gott für Der» Wohlseyn anzuflehn. So werden wir in der That erfahren, daß wir in den goldenen Zeiten leben, daß ein Jahr dem andern gleich ist.

Abhandlung von den Pantomimen der Alten.*) s- i. Es werden wenige von meinen Lande» Leuten seyn, welche nicht jqo daS Wort Pantomimen unzehlichewal gehört und selbst sollten im Munde geführt haben, ohne vielleicht zu wissen waS es eigentlich be­ deute. Und wer weiß ob Herr Ricelini selbst den wahren Begriff davon mag gewust haben, sonst würde er unS wohl schwerlich seine stummen Poßenspicle unter diesem Rahmen aufgedrungen haben. Doch waS wird er sich darum viel bekümmern? Hat er doch überall seinen Endzweck erlangt. Und er ist eS werth, daß er ihn erlangt hat, da er auf eine so anlockende Art sich die Reugicrigkeit und den läppischen Geschmack der jezigen Zeiten zinuöbar zu machen gewust hat. Doch mit seiner und aller derer Erlaubniß, welche ihn bewundert haben, behaupte ich, daß seine kleinen Affen nichts weniger, als Pantomimen sind. Er darff deßwegen eben nicht auf mich böse werden, denn ich stehe ihm dafür, daß er dieser Anmerkung halber gewiß keinen einzi­ gen Zuschauer weniger bekommen wird. Denn ich zweifste sehr, ob einer von denen, die ihn so offt besucht haben und noch besuchen werden, meine Abhandlung lesen wird. Rach dem Geschmacke dieser

c) Im zweiten Bande des theatralischen Nachlasses S. 223 gedruckt; unter den Breslauer Papieren erhalten und danach berichtigt.

Abhandlung von den Pantomimen der Alten. Herren und Damen wird sie wohl nicht seyn; die es vielleicht lieber sehn würden, wenn ich einen Cowweutar über die Geburt des Arle quinS oder über den hinkenden Teuffel schrieb, und ihnen darinnen die schönen Lerwandelungen, die niedlichen Posituren und den kunst­ reichen Zusammenhang des ganzen Stückes auf die lebhafteste Art vorstellte, als daß ich sie mit alten Erzehluugeu vergnügen will. Und gesezt auch ich würde von allen gelesen, und gesezt auch er würde mit seiner Benennung von allen auSgelacht, so kan er sich doch gewiße Rechnung machen, so lange seine Kunst was neues ist, daß es ihm niemals an einem vollen Schauplaze fehlen wird. CS sind keine Pan­ tomimen, wird man allenfalls sagen, es sind aber doch Leute die ei­ nem die Zeit auf eine ganz artige Art vertreiben. O wenn das ist, Verdienst genug für die heutige Welt! Ist wohl was verdrüßlicher, als Langeweile! §• 2Dem Rahmen nach heißen Pantomimen Leute, welche alles nach­ ahmen. Und eine richtige Beschreibung zu machen, welche sich so wohl auf die griechischen als römischen Pantomimen schickt, so waren eS Leute, welche tanzend alle Personen eines dramatischen Stücks ver­ stellen und jeder Person Charakter, Affekten und Gedanken durch die Bewegung ihrer Gliedmaßen anSdrücken sonnten (°). §. 3. Den ersten Ursprung der Pantomimen müßen wir bey dem Ur­ sprünge des Tanzens suchen. Denn die Tanze der Alten drückten alle etwas aus. [Collichius leitet sie von den Mimis her. Salmas, in Not. ad Vopiscum. Quid vero illis opponcmus, qui ejus inventorem Pyladem perhibeot? Inlerpretandi nobis sunt non refutandi: nam et ve­ rum illi dixerunt, fi recte capiantur. Saltatio quaevis Augufti temporibus in scena versabatur, et quac post illa tempora passim viguit, quaeque nihil amplius commune aut conjunclum habebat cum Comoedia atque Tragoedia, fed seorsum in Orcbesiram veniebat, inventum procul dubio Pyladis suit et Bathylli, res vero ipsa et ara illa, faltandi modus, quo omnia, quae dicerentur, manibus expediebantur, quoque ipfe etiam Pylades in sua falla(°) Cafsiodorus variarum IV. epiftola ultima. Pantomimi nomen a mulüfaria imiiaüone nomen eft. Idem corpus Herculem defignai & Venerem, foeminam prwfentat et marem: regem facit & militem: fenem reddit et juvenem, ut in uno videas esse multos, tarn varia imitatione discretos.

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Abhandlung von den Pantomimen der Alten,

tione nsns est, longe ante Pyladem nota Scenae et in nsu posita stiere; sed in Tragoedia tantum et Comoedia et Satyris locum habebat: nosquam enim fola per se ante id tempus o^atq in Orchestra comparnerat. Primus Pylades faltationis artem a T. et C. separatem in Scenam Latinam introduxit. ELescS widerlegt Collichius mit der Stelle Lib. V. c. 7. Ex quibns Omnibus colligendutn est, saltalionem panlomimicam non fuisse Pyladis inventum: nee ab ipso primum extra Comoediam & Tragoediam in scenam Latinam invectam, sed magis excullam, atque exornatam, atque cum tibiis pluribus, fiftolis atque Choro exhibitam. Ratione cuius novitatis, et majoris eliam fortafßs in faltando dexterilalis, et concinnitatis adeo commendatus est, ut inventor illius falt, per hyperbolen audiverit. Eufeb. in Cbron. Pyl. Cilix Pant. sr^wrog rag X'riq‘o6iöda,xaXo^, azQ-rg Ta7g t 9 AM ext Tijg Kai'axijg aqp'uwg, ort -xat