Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Band 8 [Neue rechtmäßige Ausgabe, Reprint 2022 ed.] 9783112679647


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Table of contents :
Inhalt
Briefe, antiquarischen Inhalts
Erster Theil. 1768
Vorbericht
Erster Brief
Zweyter Brief
Dritter Brief
Vierter Brief
Fünfter Brief
Sechster Brief
Siebender Brief
Achter Brief
Neunter Brief
Zehnter Brief
Eilfter Brief
Zwölfter Brief
Dreyzehnter Brief
Vierzehnter Brief
Fünfzehnter Brief
Sechzehnter Brief
Siebzehnter Brief
Achtzehnter Brief
Neunzehnter Brief
Zwanzigster Brief
Ein und zwanzigster Brief
Zwey und zwanzigster Brief
Drey und zwanzigster Brief
Vier und zwanzigster Brief
Fünf und zwanzigster Brief
Sechs und zwanzigster Brief
Sieben und zwanzigster Brief
Acht und zwanzigster Brief
Neun und zwanzigster Brief
Dreyßigster Brief
Ein und dreyßigster Brief
Zwey und dreyßigster Brief
Drey und dreyßigster Brief
Vier und dreyßigster Brief
Zweyter Theil. 1769
Fünf und dreyßigster Brief
Sechs und dreyßigster Brief
Sieben und dreyßigster Brief
Acht und dreyßigster Brief
Neun und dreyßigster Brief
Vierzigster Brief
Ein und vierzigster Brief
Zwey und vierzigster Brief
Drey und vierzigster Brief
Vier und vierzigster Brief
Fünf und vierzigster Brief
Sechs und vierzigster Brief
Sieben und vierzigster Brief
Acht und vierzigster Brief
Neun und vierzigster Brief
Fünfzigster Brief
Ein und fünfzigster Brief
Zwey und fünfzigster Brief
Drey und fünfzigster Brief
Vier und fünfzigster Brief
Fünf und fünfzigster Brief
Sechs und fünfzigster Brief
Sieben und fünfzigster Brief
Wie die Alten den Tod gebildet. 1769
Gedichte von Andreas Scultetus. 1769
Predigt über zwei Texte
Berengarius Turonensis. 1770
Vermischte Schriften. Erster Theil. 1771
lieber die so genannte Agrippine, unter den Alterthümern zn Dresden. 1771
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Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Band 8 [Neue rechtmäßige Ausgabe, Reprint 2022 ed.]
 9783112679647

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Gotthold Ephraim Lessings

sämmtliche Schriften hcraiisgcgcbc»

V o II

Karl Lachmann.

Gotthold Ephraim Lessings

sämmtliche Schriften. Neue rechtmäßige Ausgabe.

Achter Band.

Berlin, in der Voß'schen Buchhandlung. 183 9.

Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin.

Inhalt.

Seite

Briefe, antiquarischen Inhalts. Erster Theil.

Zweyter Theil.

1768............................................................................

1

1769.........................................................................

103

Wie die Alten den Tod gebildet. 1769......................... 210 Gedichte von Andreas Scultetus. 1769......................... 263 Predigt über zwei Texte ............................................... 310 Berengarius Turonensis. 1770....................................... 314 Vermischte Schriften. Erster Theil. 1771. Norbericht

..........................................................................................

424

Zerstreute Anmerkungen über das Epigramm, und einige der

vornehmsten Epigrammatisten......................................................

425

lieber die so genannte Agrippine, unter den Alterthümern zn Dresden. 1771...................................................

529

Briefe, antiquarischen Inhalts. Kywvicrpjx

7]

^locXA/or

F,q

ro TrtxpaxpTfyua axougn?

XTT^lUX ES a EL ----

Erster

Theil.

1768.

Vorbericht.

D

icsc Briefe waren Einfangs nur bestimmt, einem wöchentli­ chen Blatte cinvcrlcibct zu werden. Denn man glaubte, daß

ihr Inhalt keine andere, als eine beyläufige Lesung verdiene.

Aber cs wurden ihrer für diese Bestimmung zu viel; und da die Folge den Inhalt selbst wichtiger zu machen schien, als es blosse Zänkcrcycn über mißverstandene Meinungen dem Publieo zu seyn pflegen: so ward geurthcilct, daß sie als ein eigenes

Buch schon mit unterlaufen dürften.

Die Ausschweifungen, welche der Verfasser mit seiner Recht­

fertigung verbunden, werden wenigstens zeigen, erst seit gestern mit den Gegenständen derselben

daß er nicht bekannt

ist.

Zn der Fortsetzung, welche der Titel verspricht, Host er noch mehr einzelne Anmerkungen los zu werden, von denen es im­

mer gut seyn wird, daß sie einmal gemacht worden. Wem sie allzu klein, allzu unerheblich vorkoinmen sollten, für den, dünkt ihn, ist wohl das ganze Fach nicht, in welches

sie gehören. Noch erwartet man vielleicht, daß er sich über den Ton erkläre, den er in diesen Briefen genommen. — Vido quam Lessings Werke viii, 1

Antiquarischer Briefe erster.

2

fim antiquorum hominum! antwortete Cicero dem lauen Atticus, der ihm vorwarf, daß er sich über etwas wärmer, ranhcr nnd bitterer

ausgcdrückct habe, als man von seinen Sitten erwarten können. Der schleichende, süße Komplimcntierton schickte sich weder zu dem Vorwürfe, noch zn der Einkleidung.

Auch liebt ihn der

Verfasser überhaupt nicht, der mehr das Lob der Bescheidenheit, als der Höflichkeit sucht.

Die Bescheidenheit richtet sich genau

nach dem Verdienste, das sic vor sich hat; sie giebt jedem, was jedem gebühret.

Aber die schlaue Höflichkeit giebt allen alles,

um von allen alles wieder zu erhalten.

Die Alten kannten das Ding nicht, nennen.

was wir Höflichkeit

Zhre Urbanität war von ihr eben so weit, als von

der Grobheit entfernt.

Der Neidische, der -Hämische, der Rangsüchtige, der Ver­

hetzet, ist der wahre Grobe; er mag sich noch so höflich ansdrücken.

Doch cs sey, daß jene gothische Höflichkeit eine unentbehrliche Tugend

heutigen Umganges ist.

des

Soll sic darum unsere

Schriften eben so schaal und falsch machen, als unsern Umgang? —

Erster Brief. °) Mein Herr,

Wenn es Ihnen gleichviel ist, ob Sic den Platz, den Sic in Ihren Blättern gelehrten Sachen bestimmen, mit einer guten

Critik, oder mit der Widerlegung einer verunglückten füllen: so

haben Sie die Güte, Folgendes einznrücken. Herr Klotz soll mich eines unverzeihlichen Fehlers, in sei­ nem Buche von den alten geschnittenen Steinen über­ wiesen haben.

Das hat ein Recensent dieses Buches (*) für

nöthig gehalten, mit anzumerken. Mich eines Fehlers? das kann sehr leicht seyn.

unverzeihlichen? das sollte mir Leid thun.

Aber eines

Zwar nicht sowohl

meinetwegen, der ich ihn begangen hätte: als derentwegen, die

ihn mir nicht verzeihen wollten. °) Zuerst gedruckt I» der Hamburgischen neuen Zeitung, 97. Stuck, 20. Junii 1768, und im Hamburgischen Korrespondenten vom 22. Junii, Rum. 100.

(°) Beytrag zum Reichspostreuter St. 34.

Antiquarischer Briefe erster.

3

Fehler schliessen

Denn es wäre ja doch nur ein Fehler.

Vorsatz und Tücke auS; und daher müssen alle Fehler allen zu

verzeihen seyn. Doch, gewisse Recensenten haben ihre eigene Sprache.

Un­

verzeihlich heißt bey ihnen alles, worüber sie sich nicht enthalten können, die Zähne zu fletschen.

Wenn

cs

weiter

nichts

ist!

dem

Aber



ohngeachtet:

worinn besteht er denn nun, dieser unverzeihliche Fehler? Herr Klotz

schreibt:

hat eS

„Wie

einem unsrer

„Klinstrichter (dem Verfasser des Laokoon) „cinfallen

besten

können,

„zu sagen, daß man sogar vieler Gemählde nicht erwähnt finde,

„die die alten Mahler aus dem Homer gezogen hätten, und „daß

es

nicht der alten Artisten Geschmack gewesen zu seyn

„scheine, Handlungen aus diesem Dichter zu mahlen?

Die Ho-

„merischcn Gedichte waren ja gleichsam das Lehrbuch der alten „Künstler, und sie borgten ihm ihre Gegenstände am liebsten

„ab.

Erinnerte sich Hr. Lessing nicht an das große Homerische

„Gemählde des Polygnotns, welches zu unsern Tagen gleichsam „wieder neu geschaffen worden ist?

Unter denen vom Philostra-

und die

„tus beschriebenen Gemählden sind drey Homerische,

„vom Plinius kurz angczeigtcn kann jeder leicht finden.

Unter

„den Hcrculanischen Gemählden ist eines, welches den Ulysses „vorstellt)

der

zur

Penelope

kömmt.

Von

halb

erhabnen

„Werken will ich nur die merkwürdigsten anführen, u. s. w. Ich könnte zu dem Recensenten sagen:

daß Herr Klotz

Hier sehe ich blos,

nicht meiner Meinung ist,

daß

ihn meine

Meinung befremdet; aber er sagt nichts von Fehler, noch we­

niger von einem unverzeihlichen Fehler. Doch, der Recensent könnte antworten: Was Herr Klotz

keinen unverzeihlichen Fehler nennt, das beschreibt er doch als einen solchen;

ich habe

also

dem Kinde

Namen gegeben. Der Recensent hätte fast Recht.

nur

seinen

rechten

Zch muß mich also nicht

an ihn, sondern an den Herrn Klotz selbst wenden.

Und was

kann ich diesem antworten?

Nur das: daß er mich nicht verstanden hat; daß er mich etwas sagen läßt, woran ich nicht gedacht habe.

4

Antiquarischer Briefe erster. Herr Klotz beliebe zu überlegen, baß es zwey ganz ver-

schiebne Dinge sind: delt hat,

Gegenstände mahlen, die Homer behan­

und diese Gegenstände

behandelt hat.

so mahlen, wie sie Homer

Es ist meine Schuld nicht, wenn er diesen Un­

terschied nicht begreift; wenn er ihn in meinem Laokoon nicht Alles bezicht sich darauf.

gefunden hat.

Daß die alten Artisten sehr gern Personen und Handlungen ans der Trojanischen Epoche gemahlt haben: das weiß ich, und

wer weiß es nicht? Will man alle solche Gemählde Homerische

Gemählde nennen, weil Homer die vornehmste Quelle der Be­ gebenheiten dieser Epoche ist: meinetwegen.

Aber was haben

die Homerischen Gemählde in diesem Verstände, mit denen zu thun, von welchen ich rede; mit denen, dergleichen der Graf

von Caylus den neuern Künstlern vorgcschlagen hat? Die Beyspiele, welche Herr Klotz mir vorhält, sind mir alle so bekannt gewesen, daß ich mich würde geschämct haben,

sie Herr Klotzen vorzuhalten.

Zch würde mich geschämct ha­

ben, zu verstehen zu geben, Herr Klotz habe sic entweder gar

nicht, oder doch nicht so gut gekannt, daß sie ihm da bcyfallen können, wo sie ihm so nützlich gewesen wären.

Was das sonderbarste ist: ich habe diese Beyspiele fast alle

selbst angeführt, und an dem nehmlichen Orte meines Laokoon angeführt, den Hr. Klotz bestreitet.

Er hätte sie aus meiner

eigenen Anführung lernen können, wenn er sie nicht schon ge­ wußt hätte.

Und gleichwohl — Zch denke, das heißt, mit dem

Sprichwortc zu reden, einen mit seinem eigenen Fette bcträufen wollen.

Zch sage, daß ich sie fast alle selbst angeführet habe; und

füge hinzu:

außer ihnen noch weit mehrere; indem ich

nehmlich meine Leser auf den Fabricills (°) verwiesen.

Denn

ich mache nicht gern zehn Allegata, wo ich mit einem davon kommen kann.

Folglich; habe ich diese Beyspiele, und noch weit mehrere

ihrer 9(rt gekannt: so ist es ja wohl deutlich, daß, weun ich dem ohngcachtet gesagt, „es scheine nicht der Geschmack der alten (°) Bibi. Grsec. Lib. II. c. VI. p. 345.

Antiquarischer Briefe erster. „Artisten gewesen zu seyn, Handlungen aus

dem Homer zu

„mahlen," ich ganz etwas anders damit muß gemcinct haben, als das, was diese Beyspiele widerlegen. Ich habe damit gemeiner, und meine es noch, daß so sehr

die alten Artisten den Homer auch genutzt, sie ihn doch nicht

auf die Weise genutzt haben, wie Caylus will, daß ihn unsere Artisten

nutzen

sollen.

Caylus

will,

sollen

sie

nicht allein

Handlungen aus dem Homer mahlen, sondern sie sollen sie auch

vollkommen so mahlen, wie sie ihnen Homer vormahlt; sie sol­ len nicht so wohl eben die Gegenstände mahlen, welche Homer

mahlt, als vielmehr das Gemählde selbst nachmahlen, welches

Homer von diesen Gegenständen macht; mit Beybchaltung der Ordonnanz des Dichters, mit Beybchaltung aller von ihm an­

gezeigten Localumstände u. s. w. Das, sage ich, scheinen die alten Artisten nicht gethan zu haben, so viel oder so wenig Homerische Gegenwände sic auch sonst mögen gemahlt haben.

Ihre Gemählde waren Homerische

Gemählde, weil sie den Stof dazu aus dem Homer entlehnten,

den sie nach den Bcdürsiiissen ihrer eignen Kunst, nicht nach dem Beyspiele einer fremden, behandelten: aber cs waren keine

Gemählde zum Homer.

Hingegen die Gemählde, welche Caylus vorschlägt, sind mehr Gemählde zum Homer,

als Homerische

Gemählde,

als Ge­

mählde in dem Geiste des Homers und so angegeben, wie sie

Homer selbst würde ausgeführt haben,

wenn

er anstatt mit

Worten, mit dem Pinsel gemahlt hätte. Deutlicher kann ich mich nicht erklären.

Wer das

begreift, für den ist der Laokoon nicht geschrieben.

nicht

Wer es

aber für falsch hält, dessen Widerlegung soll mir willkommen seyn;

nur, sieht man wohl, muß sie von einer andern Art

seyn, als die Klotzische.

Herr Klotz

hat in seinem Buche mir viermal die Ehre

erwiesen, mich anzuführcn, mit mich viermal eines Bessern zu belehren.

Ich wollte nicht gern, daß ein Mensch in der Welt

wäre, der sich lieber belehren liesse, als ich.

Aber —

So viel ist gewiß, er streitet alle viermal nicht mit mir,

sondern ich weiß selbst nicht mit wem.

Mit einem, dem er

Antiquarischer Briefe zweyter.

6

meinen Namen giebt, den er zll einem grossen Ignoranten und zugleich zu einem unsrer besten Kunstrichtcr macht.

Wahrhaftig, ich kenne mich zu gut, als daß ich mich für das eine, oder für das andere halten sollte.

Zweyter Brief. *) Sie meinen, es lohne sich allerdings der Mühe, auch von

den übrigen Bestreitungen des Herrn Klotz ein Wort zu sa­ gen, weil sie gar zu sonderbar sind, und Klotz ein gar zu

berühmter Name geworden.

Es sey so, wie Sie meinen!

Aber ich muß bey der ersten wieder anfangen.

fragt:

Herr Klotz

„Erinnerte sich Lessing nicht an das große Homerische

„Gemählde des Polygnotus? Zn der Lesche zu Delphi waren zwey große Gemählde des Polygnotus.

Welches meinet Herr Klotz? das im Hereintreten

rechter, oder linker Hand? Nach seinem Allcgate (*) muß er das

erstere meinen, welches die Zerstörung von Troja und die Rück­ kehr der Griechen vorstellte.

Beide Borwürfe liegen ausser dem

Plane des Homer; von beiden hat er nur einzelne Züge in die Odyssee cinstreuen können.

Aber

die

Griechen

besaßen

eine

Menge andere Dichter, welche diese Vorwürfe ausdrücklich be­ handelt hatten; und diesen, nicht dem Homer, ist Polygnotus in seinem Gemählde gefolgt; einem Lescheus, einem StcsichornS.

Wie kann es also Herr Klotz ein Homerisches Gemählde nennen? Doch

linker Hand,

er mag das zweyte,

gcmcinct haben,

welches den opfernden Ulysses im Reiche der Schatten vorstcllte. Das ist zwar der Stoff eines ganzen Buches der Odvssec: aber

dennoch ist es klar, daß Polygnotus auch in Anordnung dieses Gemähldes nicht sowohl der Odyssee, als vielleicht den Gcdich°) Zuerst in der Hamburgischen neuen Zeitung, 115. St., 21. Julii 1768.

„Der Brief, welchen

wir,

in

dem

gelehrten Artickcl des

97stcn

Stücke, unsern Lesern mittheiltcn, hat vcrschicdnc andre veranlaßt, in wel­ chen K)CtT Leßing so wohl den übrigen Bestreitungen des »Zerrn Ge-

hcimderarl) AlStz begegnet, als auch über das Werk selbst, in welchem

ste Vorkommen, ein umständliches Urtheil fallt.

Wir haben die Erlaubnis,

sie glcichsals bekannt zu machen, und wollen uns derselben bediene», ohne

i)u geringsten an der Streitigkeit selbst Theil zu nehmen."

(°) Pausanias Lib. X. p. 859.

Antiquarischer Briefe zweyter.

teil Mynias und Nosti gefolgt ist.

7

Denn er hat weder die

Homerische Scene angenommen, noch sich mit den vom Homer eingeführten Personen begnügt.

Folglich müßte auch dieses kein

Homerisches Gemählde heißen; und ich könnte antworten: es wäre besser gewesen, Herr Klotz hätte sich gewisser Dinge gar

nicht erinnert, als falsch. Zn beiden Gemählden hat Polygnotns sich bald an diesen,

bald an jenen Dichter und Geschichtschreiber gehalten; ohne sich ein Gewissen zu machen, auch Dinge von seiner eignen Erfin­ dung mit einzumischen.

Eine Freyheit, deren sich auch andere

alte Artisten bedienten, wenn sie Borstellungen aus der Troja­

nischen Epoche wählten! Zwar habe ich schon gesagt, daß Herr Klotz diese Vorstel­

lungen

meinetwegen

alle,

immerhin Homerische Vorstellungen

und Gemählde nennen mag.

Aber noch einmal: was haben

diese Gemählde, welche ihm Homerische zu nennen beliebt, weil

aus eben der Geschichte genommen sind,

ihre Vorwürfe

aus

welcher Homer die seinigen gewäblt hatte, mit den Homerischen Gemählden zu thun, wie sie Eaylus haben will? Ich dünke mich über den Gebrauch, den die alten Artisten

von dem Homer machten, verständlichere Dinge gesagt zu haben, als irgend ein Schriftsteller über diese Materie.

Ich habe mich

nicht mit den schwanken, nichts lehrenden Ausdrücken von Er­

hitzung der Einbildungskraft,

von Begeisterung,

begnügt: ich

habe in Beyspielen gezeigt, was für mahlerische Bemerkungen die alten Artisten schon in dem Homer gemacht fanden, ehe sie

Zeit hatten, sie in der Natur selbst zu machen, s")

Ich habe

mich nicht begnügt, sie blos darum zu loben, daß sie ihre Vor­ würfe

aus

ihm

entlehnten: — welcher

Stümper

kann

das

nicht? — ich habe an Verspielen gewiesen, wie sie es anfin­ gen, in den nehmlichen Vorwürfen mit ihm zu wetteifern

mit ihm

zu

und

dem nehmlichen Ziele der Täuschung auf einem

ganz verschiedenen Wege zu gelangen; (*")

auf einem Wege,

von dem sich Eaylus nichts träumen lassen. — Nothwehr entschuldiget Selbstlob. —

C) Laokoon S. 227-231. sBand Vi, S. 5O5 = 5O7.J (”) Laokoon S. 219-223. IBand vi, S. 501-503s

Antiquarischer Briefe dritter.

8

Dritter Brief.e) Zch komme also zn der zweyten Bestreitung des Herrn Klotz.

Er fahret fort: „auch die Einwürfe, welche Herr Lessing von

„der Schwierigkeit hernimmt, die Homerischen Fabeln zu mah-

„ len, sind leicht zu hebe«, obgleich diese Widerlegung deutlicher „durch den Pinsel selbst, als durch meine Feder werden würde."

Zch glaube es sehr gern, daß Herr Klotz vieles ungemein leicht findet, was ich für ungemein schwer halte.

Dieses kömmt

von der Verschiedenheit, entweder unserer beiderseitigen Kräfte, oder unsers beiderseitigen Zutrauens auf uns selbst.

Doch, das

ist hier nicht die Sache.

Meine Einwürfe, von der Schwierigkeit hcrgenommen, die Homerischen Fabeln zu mahlen: was betreffen sie?

Die Home­

rischen Fabeln überhaupt; oder nur einige derselben? Diese und

jene einzeln genommen; oder alle zusammen in ihrer unzertrenn­ lichen Folge bey dem Dichter? Caylus

schlug uicht blos den neuern Artisten vor,

ihren

Stoff fleißiger aus dem Homer, mit Beybehaltung der dichteri­

schen Umstände, zn entlehnen: er wünschte den ganzen Homer so gemahlt zu wissen; wünschte, daß ein mächtiger Prinz eigene

Gallerten dazu baue» wollte. (*)

Das hätte er immer wünschen können! Weil er sich aber

dabey cinbildcte, daß eine solche zusammenhängende Reihe von

Gemählden

ein

wirkliches

Heldengedicht

in

Gemählden

seyn

würde; daß sich der ganze mahlerische Geist des Dichters darinn

zeigen müsse; daß sic, statt des Probiersteins, zur Schätzung,

in welchem Verhältnisse ein epischer Dichter vor das mahlerische Talent besitze,

dienen könne:

so

dem andern glaubte

ich

einige Einwendungen dagegen machen zu dürfen. Vors erste wendete ich ein: (**) daß Homer eine doppelte

Gattung von Wesen und Handlungen bearbeite, sichtbare und unsichtbare; daß aber die Mahlerey diesen Unterschied nicht an­ geben könne, daß bey ihr alles sichtbar und auf einerley Art °) In der Hamburg, neuen Zeitung vom 23. Zulii 1768, St. 116. (ö) Tableaux tircs de lTliade. Avert. p. 26. 27. (") Laokoon Xii.

Antiquarischer Briefe dritter.

9

sichtbar sey; daß folglich, — wenn in den Gemählden des Eaylus das Sichtbare mit dem Unsichtbaren, ohne unterscheidende

Abänderung mit einander wechsele, ohne eigenthümliche Merk­ mahle sich mit einander vermische, — nothwendig sowohl die ganze Reihe, als auch manches einzelne Stück, dadurch äußerst

verwirrt, unbegreiflich und widersprechend werden müsse. Was antwortet Herr Klotz auf diese Schwierigkeit?

Wie

schon angeführt: — daß sie leicht zu heben sey. — Wahrhaftig?

Aber wie denn?

Darüber hat Herr Klotz nicht Zeit, sich ein-

zulasscn; genug, daß meine Widerlegung deutlicher durch den

Pinsel selbst, als durch seine Feder werden würde. —

Ewig Schade, daß Herr Klotz

den Pinsel nicht führet!

Er würde ihn ohne Zweifel eben so meisterhaft führen, als die

Feder.

Oder vielmehr, noch unendlich meisterhafter.

Denn das

geringste wäre, daß er Unmöglichkeiten damit möglich machte! Bis er ihn führen lernet, bitte ich indeß ftine Feder, mich

in die Schule zu nehmen.

Seine fertige Feder sey so gütig,

und belehre mich, — (wenn sie eS schon nicht ganz deutlich

kann; ich bin auch mit einer halbdeutlichen Belehrung zufrie­

den,) — und belehre mich nur einigermaaßen, wie man es ei­ nem Gemählde anschen kann, daß das, was man darinn sieht, nicht zu sehen seyn sollte; — und belehre mich, was für Mit­

tel ungefehr der Pinsel brauchen könnte, um gewisse Personen in einem Gemählde mit sehenden Augen so blind,

oder mit

blinden Augen so sehend zu mahlen, daß sie von zwey oder mehrern Gegenständen, die sie alle gleich nahe, gleich deutlich

vor oder neben sich haben, die einen zu sehen und die andern nicht zu sehen, scheinen können.

Sie belehre mich; nur beliebe

sie unter diese Mittel keine Wolken zu rechnen, von welchen ich

das Unmahlcrische erwiesen habe.

Sie wird mehr zu belehren bekommen.

Denn zweytcns wen­

dete ich ein: daß, durch die Aufhebung des Unsichtbaren in den Homerischen Handlungen, zugleich alle die charakteristischen Züge

verlohrcn gehen müßten, durch welche sich bey dem Dichter die Götter über die Menschen auszeichnen.

Auch dieses ist leicht zu beantworten?

Und am besten mit

dem Pinsel? — Abermals Schade, daß Herr Klotz den Pin-

10

Antiquarischer Briefe dritter.

sel nicht führet: schweigend würde er ihn

ergreifen,

mit

der

Palette vor die Leinewand treten, und spielend meine Widerle­

gung dahin croquiren.

Doch meine ganze Einbildungskraft ist

zu seinen Diensten; er setze seine Feder dafür an; ich will mich bemühen, in den Beschreibungen derselben zu finden, was mir, leider, keine Gemählde von ihm zeigen können. — Indeß sinne

ich bey mir selbst nach, welche Dimension seine Feder den Ho­ merischen Göttern auf der Leincwand anwcisen wird; sinne nach,

welches das Verhältniß seyn dürfte, das sie dem Steine, mit dem Minerva den Mars zu Boden wirft, zur Statur der Göt­

tinn, oder der Statur zu diesem Steine, bestimmen wird, da­

mit unser Erstaunen zwar

erregt,

gleichwohl aber über keine

anscheinende Unmöglichkeit erregt werde; sinne nach, in welcher

Größe sie entscheiden wird, daß der zu Boden gcworfne MarS da liegen soll, um die Homerische Größe zu haben, und dennoch

gegen die übrigen Ausbildungen der Scene nicht ungeheuer und brobdingiiakisch zu erscheinen; sinne nach — Nein; ich würde mich zu Schanden sinnen; ich muß lediglich abwartcn, was das

Orakel unter den Federn mir darüber zu offenbaren belieben wird. Drittens wendete ich ein: daß die Gemählde, an welchen

Homer am reichsten, in welchen Homer am meisten Homer sey, progressive Gemählde wären; die eigentliche Mahlerey aber mif

daß Progressive keinen Anspruch machen könne. Ich Dummkopf, der ich noch itzt diese Einwendung für un-

widcrsprcchlich halte, blos weil sie auf das Wesen der verschie­

denen Künste gegründet ist!

Herr Klotz muß über mich lachen;

und wenn Herr Klotz vollends den Pinsel führte! — Nichts

würde ihm leichter seyn, als den Pandarus, von dem Ergrei­ fen des Bogens bis zu dem Fluge des Pfeils, in jedem Augen­

blicke, auf einem und eben demselben Gemählde darztistcllen. (") — Seiner Feder dürfte es freylich schwerer werden, mich zu

belehren, wie und wodurch dem Pinsel dieses Wunder gelingen müsse.

Doch

er

versuch

es nur; am Ende ist

seiner

Feder

nichts zu schwer; ich kenne keine Feder, die alles so leicht, so deutlich zu machen weiß! — (°) Laokoon XV.

Antiquarischer Briefe vierter.

11

Vierter Brief. Sic haben Recht: mein voriger Brief fiel in das Höhnische.

— Glauben Sie, daß cs so leicht ist, sich gegen einen stolzen und kahlen") Entscheider des höhnischen Tones zu enthalten?

Aber Sie urtheilen: daß ich zur Unzeit höhne; daß Herr Klotz

unmöglich

diese

Einwendungen

gegen

die Homerischen

Gemählde, könne gemcinet haben. Und gleichwohl habe ich keine andere jemals gemacht. Za auch diese — merken Sie das wohl — habe ich kci-

nesweges gegen die Ausführung der vom Caylus vorgcschlagncn,

oder in seinem Geiste vorzuschlagenden, Homerischen Gemählde gemacht; habe ich keincswcgcs in der Meinung gemacht, daß

diese Ausführung nothwendig mißlingen müsse. Wenn dem Mahler nicht jeder Gebrauch willkührlichcr Zei­ chen untersagt ist; wenn er mit Recht von uns ^erlangen kann,

daß wir ihm gewisse Voraussetzungen erlauben, gewisse Dinge ihm zu Gefallen annehmen, andere ihm zu Gefallen vergessen:

warum sollte er nicht, wenn er sonst ein braver Meister ist,

aus jenen Entwürfen zu Homerischen Gemählden sehr schätzbare Klinstwerkc darstellen können? Ich wüßte nicht, wo ich meinen Verstand müßte gehabt ha­

ben, wenn ich dieses jemals geleugnet hätte. Meine Einwendungen sollten lediglich die Folgerungen ent­ kräften oder cinschränkcn, welche Caylus aus dem Mahlbaren der

Dichter, aus ihrer größern oder geringern Schicklichkeit, in ma­ terielle Gemählde gebracht zu werden, wider einige dieser Dichter,

zum Nachtheile der Dichtkunst selbst, macht.

Fünfter Brief. Sie bestehen darauf, daß Herr Klotz diese Einwendungen

nicht könne gemeint haben; das Beyspiel, worauf er sich beziehe,

zeige cs deutlich. Glit,

daß Sic auf dieses Beyspiel kommen.

uns den Mann hören. c) „mit kahlen" schli in der neuen Jcilung.

Lassen Sic

Antiquarischer Briefe fünfter.

12

„Nur Ein Beyspiel, sagt Herr Klotz, anzuführcn: so ver-

„ wirft Lessing des Grafen Eaylus Vorschlag, die Bewunderung

„der Trojanischen Greise über Helenens Schönheit, „dritten Buche der Zliadc, jh mahlen.

„einen eckeln Gegenstand.

aus dem

Er nennt diese Episode

Ich frage hier alle, welche die von

„Rubens gemahlte Susanna, nebst den beiden verliebten Alten „gesehen, ob ihnen dieser Anblick cckelhaft gewesen, und widrige

„Empfindungen in ihrer Seele erzeigt habe.

Kann man denn

„keinen alten Mann vorstellen, ohne ihm dürre Beine, einen „kahlen Kopf, und ein eingefallenes Gesicht zu geben?

Mahlt

„ der Künstler einen solchen Greis verliebt, so ist das lächerliche „Bild fertig.

Aber Balthasar Denner und Bartholomäus van

„der Helft belehren uns, daß auch der Kopf eines alten Man-

„nes gefallen könne.

Ueberhaupt ist das,

was Herr Lessing

„von den jugendlichen Begierden und Eaylus von gierigen Blicken „sagt, eine Zdce, die sie dem Homer aufdringcn.

Zch finde

„keine Spur davon bey dem Griechen, und der alte Künstler

„würde sic ohne Zweifel auch nicht gefunden haben. Vortrefflich! Wenn einem Unwahrheiten andichten, und die­

sen angedichtctcn Unwahrheiten die aller trivialsten Dinge ent­

gegen setzen, einen widerlegen heißt: so versteht sich in der Welt niemand besser auf das Widerlegen, als Herr Klotz.

Es ist nicht wahr, daß ich jenen Vorschlag des Grasen Caylus verworfen habe.

ES ist nicht wahr, daß ich diese Episode einen eckeln Ge­ genstand genannt habe. Es ist nicht wahr, daß ich dem Homer die Zdee von ju­

gendlichen Begierden aufgcdrungcn habe. Nur drey Unwahrheiten in einer Stelle,

die groß genug

wäre, sieben zu enthalten: das ist bey alle dem doch nicht viel!

Lassen Sie uns eine nach der andern vornehmen. Es ist

nicht wahr,

Eaylus verworfen habe.

daß

ich jenen Vorschlag des Grafen

Den» verwirft man einen Vorschlag,

wenn man blos einige zugleich mit vorgcschlagne Mittel, diesen

Vorschlag auszuführcn, verwirft? Wo habe ich gesagt, daß der Eindruck, den die Schönheit der Helena auf die Trojanischen Greise machte,

gar nicht gcmahlet werden könne, oder müsse?

Antiquarischer Briefe fünfter.

13

Ich habe blos gcmißbilliget, daß Eaylus in einem solchen Ge­

mählde der Helena noch ihren Schleyer lassen, lind uns ihre

ganze Schönheit einzig und allein in den Wirkungen auf die

sic betrachtenden Greise zeigen will. geleugnet, daß

Za auch so hab ich nicht

ein guter Meister noch

Stück daraus machen könne.

immer ein schätzbares

Zch habe nur behauptet, daß die­

ses Stück nicht der Triumph der Schönheit seyn würde, so wie

ihn Zeuxis in der Stelle des Homers erkannte.

Zch habe nur

behauptet, daß dieses Stück sich gegen das Gemählde des Zeu­

xis, wie Pantomime zur crhabenstcir Poesie verhalten würde; weil wir dort erst aus Zeichen errathen müßten, was wir hier

unmittelbar fühlen-

Zch habe nur durch dieses Beyspiel zeigen

wollen, welcher Unterschied es sey, in dem Geiste des Homers

mahlen, und den Homer mahlen.

Der Artist des Eaylus hätte

den Homer gemahlt: aber Zeuxis mahlte Homer.

in

dem Geiste des

Zener wäre knechtisch innerhalb den Schranken geblie­

ben, welche dem Dichter das Wesen seiner Kunst hier setzet:

anstatt daß Zeuxis diese Schranken nicht für seine Schranken

erkannte, und indem er den höchsten Ausdruck der Dichtkunst nicht blos nachahmtc, sondern in den höchsten Allsdruck seiner Kunst verwandelte, eben durch diese Verwandlung in dem hö-

hern Verstände Homerisch

ward.



Habe ich

daran

Recht,

oder Unrecht? Es entscheide wer da will: aber er verstehe mich nur erst.

Zch will nichts ausserordentliches gesagt haben: aber

er lasse mich nur auch nichts abgeschmacktes sagen. ”) — Doch

weiter. — Es ist nicht wahr, daß ich diese Episode einen ekeln Gegen­

stand genannt habe.

Nicht diese Episode, sondern die Art des

Ausdruckes, mit der Eaylus sie gemahlt wissen wollen, habe ich

eckel genannt.

Eaylus will, daß sich der Artist bestreben soll,

uns den Triumph der Schönheit in den gierigen Blicken und in allen den Aeusserungen einer staunenden Bewunderung auf

den Gesichtern der kalten Greise, empfinden zu lassen.

Hierwi-

der, nicht wider den Homer, habe ich gesagt, daß ein gieriger

Blick auch das ehrwürdigste Gesicht lächerlich mache, und ein °) Der vierte und der fünfte Brief bis hichcr in der Hamb, neuen Zei­ tung, 118. St., 27. Julii 1768, das Folgende im 120. Stück vom 30. Iulii.

14

Antiquarischer Briefe fünfter.

Greis, der jugendliche Begierden verrathe, so gar ein ecklcr Ge­

Ist er das nicht?

genstand sey.

ist;

mag

Herr Klotz

mir

von

Ich denke noch, einer

daß er es

des

Susanna

Rubens

schwatzen, was er will, die weder ich noch er gesehen haben.

Aber ich habe mehr Susannen gesehen; auch selbst eine vom

Rubens, in der Gallerte zu Sans-Souci; und selten habe ich mich enthalten können, bey Erblickung der verliebten Greise, bey

auszurufen:

mir

o

über die

alten Böcke!

Was

war

dieser

Ausruf, als Eckel?

Ich weiß es, die Kunst kann diesen Eckel

mindern; sie kann

durch Ncbenschönheitcn ihn fast unmcrklich

machen: aber ist ein Ingredienz deswegen gar nicht in einer

Mischung, weil cs nicht vorschmeckt?

Nicht die dürren Beine,

nicht der kahle Kopf, nicht das eingefallene Gesicht machen den verliebten Alten zu einem eckcln Gegenstände; sondern die Liebt

Vlan gebe ihm alle Schönheiten, die mit seinem Alter

selbst.

bestehen können; aber man mahle ihn verliebt, man lasse ihn jugendliche Begierden verrathen,

und er ist cckel, Trotz jenen

Schönheiten allen.

Das

sage

ich von den Trojanischen Greisen des CayluS:

aber wo habe ich es von den Greisen des Homer gesagt? habe ich

Wo

diesen, jugendliche Begierden anfgedrungcn? — Und

das ist die dritte Unwahrheit, welche Herr Klotz sich auf meine Rechnung

erlaubt.

Bielmchr

ausdrücklich gesagt (’)

habe ich

„ den Homerischen Greisen ist dieser Vorwurf (nehmlich des Lä­ cherlichen und Eckclhaftcn) nicht zu machen;

denn der Affekt,

den sie empfinden, ist ein augenblicklicher Funke, den ihre Weis­ heit sogleich erstickt; nur bestimmt der Helena Ehre zu machen,

aber nicht sie selbst zu schänden."

Nun sagen Herrn Klotz

Sic

mir,

denken soll?

mein Freund,

was

ich

von

dem

was er darunter suchen mag, daß

ihm gerade mein Name gut genug ist, unter demselben sich ei­ nen

Strohmann

zeigen könne?

auszustcllcn,

warum

gerade

an

dem

er seine Fcchtcrstreiche

ich der Blödsinnige seyn

muß,

dem er Dinge vordociret, die das Auge von selbst lernet, die zu begreifen schlechterdings nicht mehr Menschenverstand erfodert

(°) Laokoo» S. 221.

sBand VI, S. 502.1

15

Antiquarischer Briefe fünfter.

wird, als um von eins bis auf drey zu zählen?

„denn keinen alten Mann verstellen

„Kann man

ohne ihm dürre Beine,

„einen kahlen Kopf, und ein eingcfallncs Gesicht zu geben?" Welch eine Frage! und in welchem Tone gethan! und in welchem

Tone sich

selbst

beantwortet!

„Aber Balthasar Denner

und

„Bartholomäus van der Helft belehren uns, daß auch der Kopf

„eines alten Mannes gefallen könne." Dennern,

bis auf Bartholomäus

in der Welt niemand?

Also bis auf Balthasar

van der Helft, wußte das

Und wen cs nicht dieser Balthasar und

dieser Bartholomäus gelehrt hat, der weiß cs noch nicht?

Ich

bin wirklich so eitel und glaube, daß ich es auch ohne diese Meister wissen würde; jaohnc alle Meister in der Welt.

Sechster Brief. Sie entschuldigen den Herrn Klotz: er habe zu seinem Buche so vieles nachschlagen müssen, daß cs kein Wunder sey, wenn

er nicht alles auf das genaueste behalten;

mein Laokoon sey

auch das Werk nicht, das er verbunden gewesen, so eigentlich

zu

studiren; indeß zeigten seine Einwürfe selbst, daß er cs zu

lesen gewürdiget; er habe cs auch anderwärts mit Lobsprüchen überhäuft.

So würde ich ihn gern selbst entschuldigen; wenn er nicht

in mehrer» Stücken eine allzuausdrückliche Geflicssenhcit verriethe, seine Leser wieder mich einznnchmen. Zn diesem Lichte sollen Sie sogleich auch seine übrigen Be­ streitungen erblicken, die ich in diesem Briefe zusammen fassen will. An einem Orte schreibt Herr Klotz: (°)

„Zch gebe cs Herr

„Lessingcn gern zu, daß wenn Dichter und Künstler die Gcgen-

„ stände, welche sic mit einander gemein haben, nicht selten aus „dem nehmlichen Gesichtspunkte betrachten müssen, ihre Nachah„mungen oft in vielen Stücken übcreinstimmen können, ohne daß

„zwischen ihnen selbst die geringste Nachahmung oder Beeiferung „gewesen.

Aber ich möchte diesen Satz nicht allzu sehr ausge-

„dchnt haben."

Bin ichs, der ihn allzu sehr auSgcdchnet hat?

Wozu mein Name hier, wenn er dieses nicht zu verstehen geben

(’) S. 170.

Antiquarischer Briefe sechster-

lsi will ?

Der Satz enthält eine Bemerkung, die ich wahrlich nicht

zuerst gemacht habe, und auf die ich mich im Laokoon blos ge­

gen Spcnccn bezog, der das Gegentheil viel zu weit ausdchnet.

Doch ich will meinen Namen hier gar nicht gesehen haben. Auch in der Anmerkung will ich ihn nicht gefunden haben, (*) wo Herr Klotz sagt, daß er sich einer Münze des Antoninus Pius

gegen mich angenommen.

Zch habe nie diese Münze, sondern

blos die Erklärung bestritten, welche Addison von einer Zeile des Iuvenals aus ihr herhohlen wollen; und habe sie bestritten,

nicht um meine Erklärung dafür annehmlicher zu machen, son­

dern lediglich das bescheidene Non liquet auch hier wiederum in

seine Rechte zu setzen. Aber nicht genug wundern kann ich mich, wie ich zu der Ehre komme, das Werk des Herrn Klotz durch mich gckrönet

zu sehen.

Er hat einige Steine zu seinem Buche in Kupfer

stechen lassen, wovon der letzte meinem Unterrichte ganz besonders

gewidmet ist.

„ Dieser Stein, schreibt er, ist gleichfalls aus der

„Sammlung des Hrn. Casanova, und auch von ihm gezeichnet. „Er stellt eine Furie vor, und ich habe ihn meinem Buche bey„ gefügt, um Herr Lessingen zu überzeugen, daß die alten Künst-

„(er wirklich Furien gebildet haben: welches er leugnet." Welches er leugnet! Als ob ich es so schlechterdings, so völ­ lig ohne alle Ausnahme geleugnet hätte, daß ich durch das erste das beste Beyspiel widerlegt werden könnte!

Er stellt eine Furie vor, dieser Stein! — Ganz gewiß? Zch

erkenne bloß einen Kopf im Profil mit wildem aufflicgenden Haare, zweydeutigen Geschlechts.

Muß ein solcher Kopf noth­

wendig der Kopf einer Furie seyn?

Der Ausdruck des Gesichts,

wird Herr Kloß sagen, macht ihn dazu.

Auch dieser Ausdruck

ist sehr zwcydeutig; ich finde mehr Verachtung, als Wuth darinn. Doch cs mag eine Furie seyn.

Was mehr? Was liegt mir

daran? Wäre es doch eine Furie auf einem geschnittenen Steine;

und die geschnittenen Steine habe ich ausdrücklich ausgenommen.

Ausdrücklich ausgenommen? Ausdrücklich; denn es war mir gar nichts Unbekanntes, daß man auf geschnittenen Steinen, Furien und Furienköpfe sehen wollen.

C) S. 203.

Antiquarischer Briefe siebender.

17

Sie können dieses kaum glauben, mein Freund; und fragen:

wie es, bey dieser Ausnahme, dem ohngeachtet dem Herrn Klotz einfallen können, mich mit einem geschnittenen Steine zu wi­

derlegen? Za das frag ich Sie! Lesen Sic indeß nur die Stellen mei­

nes Laokoon. —

Siebender Brief. Vergessen hatte Herr Klotz meine Einschränkungen wohl nicht: aber er verschwieg sie seinem Leser mit Fleiß.

Und er mußte

wohl; denn allerdings würde es ein wenig kindisch geklungen

haben, wenir er aufrichtig genug gewesen wäre, zu schreiben:

„Ungeachtet Lessing, wenn er behauptet, daß die alten Artisten keine Furien gebildet, die geschnittenen Steine ausnimt, so will

ich ihn dennoch mit einem geschnittenen Steine augenscheinlich hier widerlegen." Lieber also schlecht weg: Lessing leugnet gebildete Furien; hier ist eine!

Zch weiß wohl, daß meine Assertion von den Furien meh­ rere befremdet hat.

Das Allgemeine scheinet uns in allen An­

merkungen anstößig zu seyn.

Kaum hören wir eine Verneinung

oder Bejahung dieser Art: sogleich zieht unsere Einbildungskraft

dagegen zu Felde; und selten oder nie wird es ihr mißlingen, einzelne Fälle und Dinge dagegen anfzutreiben.

Aber nur der

Einfältigere wird sich bereden, daß durch diese einzelne Ausnah­ men der allgemeine Satz wahr zu seyn aufhöre.

Der Verstän­

digere untersucht die Ausnahmen, und wenn er findet, daß sie aus der Eollision mit einem andern allgemeinen Satze entsprin­ gen, so erkennt er sie für Bestätigungen beider.

Der Mythologist hatte es längst vor mir angemerkt, daß

man auf alten Denkmählern wenig oder nichts von Abbildungen der Furien finde.

Was der Mythologist aber dem bloßen Zu­

falle zuschricb, glaubte ich aus einem Grundsätze der Kunst her­ leiten zu dürfen.

Der Artist soll nur das Schöne zu bilden

wählen: folglich wird der alte Artist, der dem Schönen so vor­ züglich treu blieb,

keine Furien

zu

bilden gewählt haben;

und daher der Mangel ihrer Abbildungen.

Lessings Werke vin.

2

Antiquarischer Briefe siebender.

18

Aber eben der Artist, welcher mir das Schöne zu bilden wählen sollte, muß alles bilden können.

Wen verleitet sein

Können, nicht öfters über sein Sollen hinaus?

Zudem arbeitet

der Artist meistens für andere, von denen er nicht fodern kann,

daß sie seiner Geschicklichkeit sich nur zur höchsten Bestimmung der Kunst bedienen sollen, so lange cs noch mehr Dinge giebt,

zu welchen sie ihnen gleichfalls nützlich seyn kann.

Und folglich?

Folglich ist cs moralisch unmöglich, daß es keinem Menschen

vor Alters sollte eingefallen seyn, eine Furie zu bilden, oder sich bilden zu lassen.

Es hat vielen cinfallen können: und ist

vielen eingefallen.

Leugne ich dieses, wenn ich jenes behaupte?

Nur der An­

tiquar, der nichts als Antiquar ist, dem cs an jedem Funken von Philosophie fehlet, kann mich so verstehen.

Zch that alles, was ich thun konnte, diesem Mißverständnisse

vorznbanen.

Zch schlug vor, den Namen der Kunstwerke nicht al­

len Antiken ohne Unterschied zu geben, sondern nur denen, in wel­ chen sich der Künstler wirklich als Künstler zeigen können, bey

welchen die Schönheit seine erste und letzte Absicht gewesen. „Macht man, schrieb ich, (°) keinen solchen Unterschied, so werden der Ken­

ner und der Antiquar beständig mit einander im Streit liegen, weil

sie einander nicht verstehen.

Wenn jener, nach seiner Einsicht

in die Bestimmung der Kunst, behauptet, daß dieses oder jenes der alte Künstler nie gemacht habe, nehmlich als Künstler nicht,

freywillig nicht: so wird dieser cs dahin ausdchncn, daß es auch weder die Religion, noch sonst eine ausser dem Gebiete der Kunst liegende Ursache, von dem Künstler habe machen lassen, von

dem Künstler als Handarbeiter.

Er wird also mit der ersten mit

der besten Figur den Kenner widerlegen zu können glauben" u. s. w. Das ist keine itzt ersonnene Ausflucht, da ich mich in die

Enge getrieben sehe; das schrieb ich schon damals, als mir noch niemand widersprach; das schrieb ich, um allen titeln, das rechte

Ziel verfehlenden Widersprüchen vorzukommen: aber was kümmert das Herr Klotzen, und seines gleichen?

Er thut dennoch gerade

das, was ich verbeten; tun zu zeigen, daß er ein Paar armse(’) L.wloo» S. 105. | Band VI, S. 436.]

Antiquarischer Briefe siebender.

19

lige Beyspiele mehr weiß, als ich wisse,, mag.

Ich gönne ihm

diesen Vorzug recht gern; es sey aber, daß ich sie gekannt oder

nicht gekannt habe:

sie haben ihre Abfertigung mit der gan­

zen Classe erhalten, in die sie gehören. Welches Zucken, seine Belesenheit so sehr ans Unkosten sei­ ner Ueberlegung zu zeigen!

Wenn Herr Klotz noch erst den Unterschied bestritten hätte,

den ich unter den Antiken zu machen vorschlage! Aber stillschwei­ gend diesen Unterschied zugcbcn, und nur immer mit einzeln Bey­

spielen auf mich ein stürmen, die nach diesem

Unterschiede von

gar keiner Folge für mich sind: wahrlich, das ist eine Art zu streiten — eine Art, für die ich gar kein Beywort weiß.

Als ich behauptete, daß die alten Artisten keine Furien ge­ bildet,

fügte ich unmittelbar hinzu: (#) „ich nehme diejenigen

Figuren aus, die mehr zur Bildersprache, als zur Kunst gehören, dergleichen die ans den Münzen vornehmlich sind."

Dem ohn-

geachtct kömmt Herr Klotz, mich zu widerlegen, mit ein Paar Münzen aufgezogen, auf welchen Caylus Furien bemerkt habe.

Zch kannte dergleichen Münzen schon selbst: was liegt an der Mehrheit l Die Figuren auf den Münzen, sagte ich, gehören vornehmlich

zur Bildersprache.

Aber nicht allein: die geschnittenen Steine

gehören, wegen ihres Gebrauchs als Siegel, gleichfalls dahin. (#e)

Wenn wir also auf gcschniltcncn Steinen Furien zu sehen glau­ ben, so sind wir berechtiget, sie mehr für eigensinnige Symbola

der Besitzer, als für frcywilligc Werke der Künstler zu halten.

Zch kannte dergleichen Steine: aber Herr Klotz kennt einen mehr!

Ey, welche Freude! So freuet /ich ein Kind, das bunte Kiesel am Ufer findet, und einen nach dem andern mit Zauchzen der

Mutter in den Schooß bringt; die Mutter lächelt, und schüttet sie, wenn das Kind nun müde ist, alle mit eins wieder in den Sand.

Achter Brief. Noch hundert solche Steine, noch hundert solche Münzen: und meine Meinung bleibt, wie sie war.

(*) Laokoen S. 16. >Band VI, S. 384.] (”) iaokoon S. 108. fBand Vi, S. 438.]

Es ist vergebens,

20

Antiquarischer Briefe achter.

die Einschränkungen, die ich ihr selbst gesetzt, zu Widerlegungen machen zu wollen. Aber Herr Riedel, wie Herr Klotz sagt, (#) soll bereits

diese meine Meinung mit guten Gründen widerlegt haben. Ich habe Herr Riedeln aus seinem Buche als einen jungen

Mann kennen lernen, verspricht,

der einen trefflichen Denker verspricht;

indem er sich in vielen Stücken bereits als einen

solchen zeigt.

Zch traue ihm zu, daß er in den folgenden Thei­

len ganz Wort halten wird, wo er auf Materien stoßen muss, in welchen er weniger vorgearbeitet findet.

Doch hier habe ich ihn nicht zu loben, sondern auf seine Widerlegung zu merken. Er gedenkt meiner Assertion von den Furien an zwey Orten.

An dem erstem (•*) giebt

er ihr völligen Beyfall.

Er nimt

sich sogar ihrer gegen den Herrn Klotz selbst an, indem er hin-

zusetzt: „Herr Klotz hat zwar unter den alten Denkmälern der

„Kunst Furien gefunden. (###)

Allein Herr Lessing hat schon

„diejenigen Figuren ausgenommen, die mehr zur Bildersprache,

„als zur Kunst gehören, und von dieser Art scheinen die Bey-

„spiele des Herrn Klotz zu seyn." Diese Stelle führt Herr Klotz sehr weislich nicht an.

Er

durfte sie vielleicht auch nicht anführen, wenn es wahr ist, daß

Herr Riedel an der zweyten völlig anderes Sinnes geworden. Sie lautet so: (t) „Herr Lessing behauptet, daß die alten

„Künstler keine Furien gebildet, welches ich selbst oben zugege-

„ben habe.

Itzt muß ich ihm, nachdem ich eine kleine Ent-

„deckung gemacht habe, widersprechen, aber aus einem andern „Grunde, als Herr Klotz.

Es ist hier dem Hrn. Lessing eben

„das begegnet, was er vom Hrn. Winkclmann sagt; er ist durch „den Junius verführt worden.

Vermuthlich

hat er, in dem

„Register der alten Kunstwerke, unter dem Titel Furien ge-

„ sucht und

nichts

gefunden.

Zch schlage

nach, Eumenides;

„ und finde, daß ScopaS deren zwey und Calos die dritte zu C) S. 242. (“) Theorie der schönen Künste und Wissenschaften S. 45. ("*) S. Ada Utter. Vol. III. p. 289. (t) S. 136.

21

Antiquarischer Briefe achter.

„Athen gebildet.

Man kann den Beweis im Clemens Alexan-

„drinuS selbst nachlesen." Zch wundere mich nicht, daß Herr Riedeln die kleine Ent­

deckung, wie er sie selbst nennt, so glücklich geschienen, daß er geglaubt, seinen Beyfall zurück nehmen zu müssen.

Aber ich

werde mich wundern, wenn er daS, was ich dagegen zu sagen

habe, nicht auch ein wenig glücklich findet. ich ihn versichern, daß ich nicht durch den

Vorläufig muß

ZuniuS verführt worden.

Denn

ich

erinnere mich überhaupt

nicht, den ZuniuS der Furien wegen nachgcschlagcn zu haben.

Nicht weil, in dieses Schriftstellers Verzeichnisse der alten Kunst­ werke,

unter

dem Titel Furien keiner Furien gedacht wird;

sondern weil ich die schon erwähnte Bemerkung der Mythologisten, namentlich des Bannier,(°) im Kopfe hatte, daß sich gegenwärtig keine alte Abbildungen von diesen Göttinnen fän­

den: kam ich auf den Gedanken, daß vielleicht die alten Arti­

sten dergleichen nie gemacht,

in

und ward

diesem Gedanken

durch die Beyspiele selbst bestärket, die bey dem ersten Anblicke

dagegen zu seyn scheinen. Hätte ich

den ZuniuS

nachgcschlagen,

so hätte mir sehr

leicht begegnen können, waS Hr. Riedel vermuthet: sehr leicht

aber auch nicht; denn daß die Furien mehr als einen Namen haben, ist ja so gar unbekannt nicht.

Und gesetzt, eS wäre

mir nicht begegnet; gesetzt, ich wäre auf die Furien gestoßen, die Herr Riedel darinn gefunden: was mehr? Würde ich meine Meinung eben so geschwind zurückgenommen haben, als er sei­

nen Beyfall?

Gewiß nicht.

Der ganze Zusammenhang beym Clemens AlexandrinuS zeigt es, daß er von Statuen redet, die der Verehrung gewidmet wa­

ren, und in ihren Tempeln standen. gen

meine Ausnahme

Da nun Herr Riedel ge­

aller mehr zur Bildersprache,

als

zur

Kunst, gehörigen Figuren, nichts zu erinnern hatte; da er selbst

urtheilte,

daß eben

Klotz gegen mich

wegen dieser Ausnahme,

angeführten Beyspiele

in

die vom Herrn

keine Betrachtung

kämen: wie konnte es Hr. Riedeln nicht cinfallcu, daß keine (°) Nous n’avons point ä present de figures antiques de ces Deefses. Memoires de l’Acad. des Inf er. T. V. p. 43.

22

Antiquarischer Briefe achter.

Figuren gerade mehr zur Bildersprache gehören, als eben die,

welche der Anbetung öffentlich aufgcstellet waren? Nicht genug, daß ich, in einem eigenen Abschnitte meines Laokoon, ausdrücklich hierauf dringe; ich gedenke sogar insbe­ sondere der Statuen, welche die Furien in ihren Tempeln nicht

anders als gehabt haben könnten; ich führe namentlich die in

dem Tempel zu Cerynea an.

Aber auch diese, statt aller: denn

was hätte es helfen können, wenn ich einen Tempel nach dem andern durchgegangen wäre?

Was ich von den Statuen des

einen sagte, hätte ich von den Statuen aller sagen müssen.

Und also, dächte ich, wäre dem Einwurfe des Herrn Riedel

genugsam begegnet, wenn ich ihm antwortete: die Furien, die Sie mir entgegen setzen, gehören zu den Kunstwerken nicht, von welchen ich rede; es sind Werke wie sie die Religion befohlen

hatte, die bey den sinnlichen Vorstellungen, welche sie der Kunst aufgicbt, mehr auf das Bedeutende, als auf das Schöne zu sehen pflegt.

Doch ich habe noch etwas wichtigeres zu erwiedern.

Die

Furien vom Scopas und EaloS, (*) die ZuniuS Herr Riedeln

bey dem Clemens AlerandrinnS nachwieS,

sind unstreitig die,

welche in ihrem Tempel zu Athen standen, und von welchen Pausanias ausdrücklich versichert, (ea) daß sie durchaus nichts Schreckliches, ov’dsv cpoßEpw, an sich gehabt.

Nun sage mir

Herr Riedel, ob Furien, welche nichts von Furien an sich ha­ ben, solche Furien sind, deren Abbildung ich auf die alten Ar­

tisten nicht

will

kommen

lassen (

Ich

schreibe im

Laokoon:

„Wuth und Verzweiflung schändeten keines von ihren Werken;

ich darf behaupten, daß

sie nie eine Furie gebildet

haben."

AuS der unmittelbaren Verbindung dieser zwey Sätze, ist es ja

wohl klar, was für Furien ich meine; Furien, die in jedem (”) Bey Herr Riedel» heißt er Calas.

Ein unstreitiger Druckfehler; so

wie in der Citciiien des Clemens p. 47 anstatt 41. (Aber wenn Herr Klotz,

nicht blos an einem Orte, nicht blos in einem und eben demselben Buche, im­

mer und ewig Zeuxcs schreibt: so scheint cs wohl etwas mehr als ei» Druck­ fehler zu seyn,

und er kann cs nicht übel nehmen, wenn

läufig erinnert, daß dieser Mahler

man ihn bey­

nicht Zcuycs, sondern Zcuyis geheissen.)

(”) Lib. I. cap. 28. p. 68. Edil. Kuh.

Antiquarischer Briefe achter.

23

Gesichtszugc, in Stellung und Gebchrden, verrathen was sie

Waren die Furien des Scopas und Calos dieser

seyn sollen. Art ?

Es waren Furien, und waren auch keine: sie stellten die

Göttinnen der Rache vor, aber nicht so vor, wie wir sie itzt bey dem Namen der Furien denken.

Sic bestärken also meinen Satz vielmehr, als daß sic ihn

im gcringstett zweifelhaft machen sollten.

Denn wenn die Alten

auch nicht einmal an ihren gottesdienstlichen Vorstellungen, da,

wo das Bedeutende ihnen mehr galt, als das Schöne; wenn sie auch nicht einmal da duldeten, wenigstens nicht verlangten, daß die Göttinnen der Rache durch die häßlichen, schändenden

Kennzeichen

des

menschlichen

Affekts

entstellt

und

erniedriget

würden: was sollte ihre Artisten, die in willkührlichen Werken

den Ausdruck der Schönheit stets unterordnctcn, zu so scheußli­ chen Fratzengesichtcrn haben verleiten können ?

Selbst die Hetru-

rischen Künstler, die der Schönheit weit weniger opferten als

die Griechischen, wenn sie Furien bilden mußten, bildeten sie nicht als Furien; wie ich an einer Urne beym Gorins gezeigt

habe, von welcher ich schon damals anmerkte, daß sic den Wor­

ten, aber nicht dem Geiste meiner Assertion widerspreche. Ich darf es nicht bergen, daß es Herr Klotz selbst ist, wel­

cher mir die unschrecklichcn Furien zu Athen nachgcwiesen. (”)

Sie schwebten mir in den Gedanken, aber im Nachschlagcn gcricth ich auf die zu Cerynca.

Und nun,

was meinen Sie,

mein Freund?

Sie sehen:

Herr Riedel widerlegt die Einwürfe des Herrn Klotz, und Herr Klotz giebt mir Waffen wider Herr Riedeln.

Sic drengcn von

entgegen gesetzten Seiten in mich; beide wollen mich Umstürzen: aber da ich dem einen gerade dahin fallen soll, wo mich der andere nicht will hinfallcn lasse», so heben sich ihre Kräfte ge­ gen einander auf, und ich bleibe stehn.

Zch dächte, ich schiede

gänzlich aus: so liegen sic einander selbst in den Haaren. Doch da­ für werden sie sich wohl hüten.

Vielmehr sehe ich sic schon im

voraus in ihrer Deutschen Bibliothek so nahe znsammcnrückc», daß

ich doch küppcn muß;

ich

mag wollen oder nicht: geben sie

nur Acht!

C) Aeta litt. Vol. III. Pars III. pag. 28S».

24

Antiquarischer Briefe neunter.

Neunter Brief.e) Ich denke nicht, daß ich mir zuviel herausnehme, wenn ich

mich auch noch an einem Orte von Herr Klotzen gemeint glaube, wo er mich nicht nennt: denn er nennt mich dafür anderwärts, wo er den nehmlichen Kampf kämpfet. Er will durchaus nicht leiden, daß man den alten Artisten die Perspektiv abspricht. Zm Laokoon hatte ich es gethan: obschon gar nicht in der

Absicht, wie Perrault und andere, denen es damit auf die Ver­ kleinerung der Alten angesehen ist.

Doch da Herr Klotz mich

so selten verstanden:

wie konnte ich verlangen,

hier errathen sollte?

Er warf mich also mit den PerraultS in

daß er mich

eine Classe, und nahm sich, in seinem Beytrage zur Ge­ schichte des GeschmakS und der Kunst aus Münzen, (") der Alten gegen mich an, die es wahrhaftig nie nöthig haben, daß man sich ihrer gegen mich annimt.

Seitdem hat er neue Hülfsvölkcr angeworben, mit denen er in seinem Buche von geschnittenen Steinen (**) zum

zweyten auf dem Plane erscheinet.

„Mein Eifer, sagt er, für

„den Ruhm der Alten, denen ich grosse

Dankbarkeit schuldig

„zu seyn glaube, erlaubt mir nicht, eine Anmerkung hier zu „unterdrücken."

Und diese Anmerkung läuft dahin aus, daß

nunmehr durch Einen geschnittenen Stein aus Tausenden; durch

eine gewisse Abhandlung des Grafen Caylus, und *") durch eine bisher unbemerkte Stelle des Philostratus, der Alten ihre Kennt­

niß und Ausübung der Perspektiv ausser allem Zweifel gesetzt sey. Zch wünschte sehr, daß sich der Eifer des Herrn Klotz für °) Zuerst Im 131. und 132. Stücke der Hamburgischen neuen Zeitung

von 1768, vom 18. und 20. August.

8tcn dieser Briefe,

Hrn. Rloy

in

„Wir übergehen

welchen Hr. Lessing

von mindern! Belange antwortet,

auf um

den 6te» 7ten und

verschicdnc Vorwürfe des unsern Leser» einige der

folgenden mitzntheilen, die von drr Perspectiv der alten Artisten handeln, zu deren Vertheidiger sich Hr. Rloy aufgeworfen." (•) S. 179.

(”) S. 92.

*•) Die Worte von „durch Einen" an, bis hicher, fehlen in der neuen Zeitung.

25

Antiquarischer Briefe neunter.

den Ruhm der Alten mehr auf Einsicht, als auf Dankbarkeit

gründen möchte!

Die Dankbarkeit ist eine schöne Tugend, aber

ohn ein feines Gefühl dringt sie dem Wohlthäter oft Dinge

auf, die er nicht haben mag, und wobey er sich besser befindet,

sie nicht zu haben, als zu haben.

Meinem Bedünken nach, ist

die Dankbarkeit deS Herr Klotz gänzlich in diesem Falle. davon an einem andern Orte.

Doch

Ztzt lassen Sie uns sehen, was

Herr Klotz von der Perspektiv überhaupt weiß, und mit wel­ chen

ihm

eigenen Gründen,

er

sie den

Alten zusprechen zu

müßen glaubt. Herr Klotz erkläret die Perspektiv, in so fern sie in dem

Künstler ist, durch „die Geschicklichkeit, (*) die Gegenstände auf „einer Oberfläche so vorzustellen, wie sie sich unserm Auge in

„einem gewissen Abstande zeigen."

Diese Erklärung ist

von

Wort zu Wort aus dem deutschen Pcrnety abgeschrieben, wel­

ches das abgeschmackte Oberfläche beweiset. Mahlerey Fläche, sie mag

oben,

Fläche ist für die

oder unten,

oder auf der

Seite seyn.

Doch abgeschrieben, oder nicht abgeschrieben: wenn sie nur richtig ist. — Richtig ist die Erklärung allerdings; aber dabey

viel zu weitläuftig, als daß sie bey Entscheidung der vorhabcnden Streitsache im geringsten zu brauchen sey. Denn ist die Perspektiv weiter nichts als die Wissenschaft, Gegenstände auf einer Fläche so vorzustellen, wie sie sich in ei­

nem gewissen Abstande unserm Auge zeigen: so ist die Perspek­ tiv kein Theil der Zcichcnkunst, sondern die Zeichenkunst selbst.

Was thut die Zcichcnkunst anders, was thut sie im geringsten mehr, als was nach dieser Erklärung die Perspektiv thut? Auch sie stellt die Gegenstände auf einer Fläche vor; auch sie stellt sie vor, nicht wie sie sind, sondern wie sie dem Auge erscheinen,

und ihm in einem gewissen Abstande erscheinen.

Folglich kann

sie nie ohne Perspektiv seyn, und das geringste was der Zeich­

ner vorstellt, kann er nicht anders als perspektivisch vorstellen.

Den Alten in diesem Verstände die Perspektiv absprechen, würde wahrer Unsinn seyn.

Denn eS würde ihnen nicht die

(’) Beytrag zur Gcsch. der Kunst aus Münzen S. 178.



Antiquarischer Briefe neunter.

Perspektiv, sondern die ganze Zcichenkunst absprechen heissen, in der sic so große Meister waren.

Das hat niemanden einkommen

können.

Sondern

wenn

man den Alten die Perspektiv streitig macht, so geschieht cs in

dem engern Verstände, in welchem die Künstler dieses Wort nehmen.

Die Künstler aber verstehen darunter die Wissenschaft,

mehrere Gegenstände mit einem Theile des Raums, in welchem

sie sich befinden, so vorzustellcn, wie diese Gegenstände,

auf

verschiedne Plane des Raums verstreuet, mit samt dem Raume, dem Auge aus einem und eben demselben Standorte erscheinen

würden.

Diese Erklärung ist mit jener im Grunde eins: nur daß jene, die mathematische, sich auf einen einzeln Gegenstand be­ ziehet; diese aber auf mehrere geht, welche zusammen aus dem

nehmlichen Gesichtspunkte,

jedoch

in

verschicdner

Entfernung

von diesem gemeinschaftlichen Gesichtspunkte, betrachtet werden. Nach jener können einzelne Theile in einem Gemählde vollkom­ men perspektivisch seyn, ohne daß cs, nach dieser, das ganze

Gemählde ist, indem es ihm an der Einheit des Gesichtspunkts fehlet und die vcrschiednen Theile desselben verschiedne Gesichts­

punkte haben.

Herr Klotz scheinet von diesem Fehler gar nichts zu verste­ hen.

Er spricht nur immer von der verhälrnißmäßigen Ver­

kleinerung der Figuren, und der Verminderung der Tinten: und bildet sich ein, daß damit in der Perspektiv alles gethan sey.

Aber er sollte wissen, daß ein Gemählde beide diese Stücke gut

genug haben, und dennoch sehr unperspektivisch seyn kann. Die bloße Beobachtung der optischen Erfahrung,

sage ich

im Laokoon,(°) daß ein Ding in der Ferne kleiner erscheinet, als in der Nähe, macht ein Gemählde noch lange nicht per­

spektivisch.

Zch brauche also diese Beobachtung den alten Arti­

sten gar nicht abzusprechcn; die Natur lehrt sic; ja, cs würde

mir unbegreiflich seyn, wenn nicht gleich die allerersten darauf

gefallen wären.

Ob sie aber die mathematische Genauigkeit da­

bey angebracht,

die

wir bey

unsern auch sehr mittelmäßigen

(•) S. 198. sBcind VI, S. 488.)

27

Antiquarischer Briefe neunter.

Mahlern gewohnt sind, ob sie sich nicht mit einem ungcfchren Augenmaaße begnügt:

das ist

eine

andere Frage, die durch

blosse Schriftstellen znm Besten der Alten nicht entschieden wer­

den kann, besonders da so unzählige alte Kunstwerke einer sol­ chen Entscheidung keincswcgcs günstig sind.

Eben so natürlich ist eine ctwanige Verminderung der Tin­ ten: denn eben die tägliche Erfahrung, welche uns lehret, daß

ein Ding in der Entfernung kleiner erscheinet, lehret uns auch, daß die Farben der entfernten Dinge immer mehr und mehr

ermatten und schwinden, in einander verfliessen und in einander sich verwandeln.

Folglich

können

und müssen die alten Ge­

mählde auch hiervon gezeigt haben;

und die, welche ungleich

mehr als andere davon zeigten, werden mehr als andere des­

halb seyn gepriesen worden.

Dieses beantwortet die Frage des Herrn Kloß: „konnten

„die alten Schriftsteller von einer Sache reden, die nicht da „war, und eine Eigenschaft an einem Gemählde rühmen, die

„niemand sahe?"

was sahen,

Sie lobten was sic sahen; daß sic aber et­

was auch wir sehr lobcnswürdig finden würden,

beweiset ihr Lob nicht.

Doch indeß zligegeben, daß die alten Gemählde in beiden Stücken eben so vollkommen waren, als die besten Gemählde neuerer Zeit:

waren

sic

darum

auch

eben

so perspektivisch?

Konnten sie den Fehler darum nicht haben, von dem ich sage,

daß Herr Klotz nichts verstehen muß?

Er sicht cs nicht gcrn,(") daß man sich bey dieser Strei­ tigkeit immer auf die Hcrkulanischcn Gemählde beruft. — Zn

seinem Tone zu bleiben; ob er mir schon freylich so wohl nicht

lassen wird: — ich seh cs auch nicht gern.

Aber unser beider Herr Klotz

nicht gern Sehen, hat ganz vcrschicdne Ursachen.

sicht eS nicht gern, weil unstreitig der blühende Zeitpunkt der Kunst vorbey war, als die Hcrkulanischcn Gemählde verfertiget wurden: und ich sehe es nicht gern, weil, obschon dieser Zeit­ punkt vorbey war, dennoch die Meister der Hcrkulanischcn Ge­

mählde von der Perspektiv gar wohl mehr verstehen konnten,

(°) S. 96.

28

Antiquarischer Briefe neunter.

als die Meister aus jenem Zeitpunkte, an den wir vornehmlich denken, wenn wir von der Kunst der Alten sprechen.

Denn

die Perspektiv ist keine Sache deS GenieS; sie beruht auf Re­ geln und Handgriffen, die, wenn sie einmal festgesetzt und be­ kannt sind, der Stümper eben so leicht befolgen und ausübeu

kann, als das größte Genie. Aber wenn es Herr Klotz nicht gern sieht, daß wir uns

auf die Herkulanischen Gemählde berufen: denn, daß wir uns berufen sollen?

auf welche will er

Aus dem blühenden Zeit­

punkte der Kunst, ist schlechterdings kein einziges von den noch

vorhandenen alten Gemählden.

Wir müssen also

diese über­

haupt aufgeben, und uns auf die Beschreibungen einschränken,

die wir in den Schriften der Alten von einigen der berühmte­ sten Stücke aus diesem Zeitpunkte finden.

Ich

wählte hierzu,

im Laokoon,

die Beschreibungen des

Pausanias von den zwey großen Gemählden

des PolygnotuS

in der Lesche zu Delphi, und urtheilte, daß diese offenbar ohne

alle Perspektiv gewesen.

Eines derselben, höre ich von Herr

Klotzen, (*) „soll zu unsern Tagen gleichsam wieder neu seyn

geschaffen worden."

Zch weiß nicht, welches; von dem Werke

auf das er mich verweiset, habe ich nur die ersten Bände, und ich

befinde mich gerade an einem Orte, wo ich wenig andere Bü­

cher brauchen kann, als die ich selbst besitze.

eine oder das andere: wenn

Aber es sey das

es in der neuen Schöpfung Per­

spektiv bekommen hat, so ist es sicherlich nicht das Gemählde

des PolygnotuS; sondern ein Gemählde, ungefehr des nehmli­ chen Borwurfs.

Der Hauptfehler,

welcher

sich

in diesen

Gemählden

des

PolygnotuS wider die Perspektiv fand, ist klar und unwidcrsprechlich.

Um sich Platz für so viele Figuren zu machen, hatte

PolygnotuS einen sehr hohen Gesichtspunkt angenommen, auS

welchem der ganze weite Raum vom Ufer, wo das Schiff des

Menelaus liegt, bis hinein in die verheerte Stadt, zu überse­ hen sey.

Aber dieser Gesichtspunkt war blos für die Grund­

fläche, ohne cs zugleich mit für die Figuren zu seyn.

(°) S. 140.

Denn

29

Antiquarischer Briefe neunter.

weil ans einem so hohen Gesichtspunkte, besonders die Figuren des Vordergrundes von oben herab sehr verkürzt und verschoben hätten erscheinen müssen, wodurch alle Schönheit und ein gro­

ßer Theil des wahren Ausdrucks verlohren gegangen wäre: so gieng er davon ab, und zeichnete die Figuren aus dem natür­ gleichem Gesichtspunkte.

lichen ihrer Höhe ungefehr

Za auch

diesen behielt er nicht, nach Maaßgebung der vordem Figuren,

für alle die entferntem Figuren gleich und einerley.

Denn da,

zu Folge der aus einem sehr hohen Gesichtspunkte genommenen

Grundfläche, die Figuren, welche hintereinander stehen sollten,

übereinander zu stehen kamen, (welches beym Pausanias aus

dem öftern dvwpsv, dvwr^w und dergleichen erhellet:) so würden diese entfernter oder höher stehende Figuren, wenn er

sie

aus

dem

Gesichtspunkte

der Figuren

des Vordergrundes

hätte zeichnen wollen, von unten hinauf verschoben und verkürzt

werden müssen, welches der Grundfläche das Ansehen einer Berg

an laufenden Fläche gegeben hätte, da eS doch nur eine per­

spektivisch verlängerte Fläche seyn sollte.

Folglich mußte er für

jede Figur, für jede Gruppe von Figuren, einen neuen, ihrer

besondern

Höhe gleichen

natürlichen

Gesichtspunkt annehmen:

das ist, er zeichnete sie alle so, als ob wir gerade vor ihnen stünden, da wir sie doch alle von oben herab sehen sollten.

Es ist schwer sich in dergleichen Dingen verständlich auszu­ drücken, ohne wortreich zu werden. so wortreich seyn,

und

Man kann aber auch noch

gewisse Leute werden uns doch

nicht

verstehen; solche nehmlich, denen es an den ersten Begriffen der Sache, wovon die Rede ist, fehlet.

Und an diesen fehlet eS

dem Herrn Klotz in der Perspektiv gänzlich: denn er versteht sich ja auch nicht einmal auf ihre Terminologie.

„Die gewöhnliche Perspektiv der Alten, sagt er, ist die von „uns so genannte Militarperspektiv von oben herein" — Nicht

jede Perspektiv dieser werden

von

oben

zugleich

die

herein, wahren

ist Militarperspektiv.

Maaße

der

Bey

Gegenstände

überall beybchalten, und nichts wird nach Erforderniß der Ent­

fernung verkleinert.

Folglich ist die Militarperspektiv eigentlich

gar keine Perspektiv, sondern ein blosses technisches Hülfsmittel

gewisse Dinge vors Auge zu bringen, die aus einem niedrigen

30

Antiquarischer Briefe neunter.

Gesichtspunkt nicht zu sehen seyn wurden, und sie so vors Auge zu bringen, wie sie wirklich sind, nicht wie sie ihm blos erscheinen. Zn diesem Verstände also von den Alten sage», daß ihre gewöhnliche Perspektiv die Militarpcrspcktiv gewesen, heißt ihnen in den gewöhnlichen Fällen schlechterdings alle Per­ spektiv absprechcn. Nur diejenige Perspektiv aus einem hohen Gesichtspunkte ist wahre Perspektiv, die alles und jedes nach Maaßgebung der Höhe und Entfernung dieses Gesichtspunkts, verkleinert, verkürzt und verschiebt; welches die Militarpcrspcktiv aber nicht thut, und welches auch in den Gemählden des Polygnotus nicht geschehen war. Eben so wenig wird es in den Münzen geschehen seyn, welche Hr. Klotz zum Beweise anführt, wie gut sich die Alten auf die ihm so genannte Militarpcrspektiv verstanden! Zch mag mir nicht einmal die Mühe nehmen, sie nachzusehen. Gleich­ wohl darf er, in dem ihm eignen Tone hinzusctzen: „Sollten „diese Zeugnisse nicht einmal die ewigen Anklagen der Alten, „wegen der Unwissenheit der Perspektiv vermindern?" Aller­ dings sollten sie nicht: sondern Hr. Klotz sollte erst lernen, was Perspektiv sey, ehe er einen so entscheidenden Ton sich anmaaßt. „Die Alten, fährt er fort, haben zugleich den Plan von „ihren Gebäuden gewiesen, und wenn sie den Augenpunkt sehr „scharf hätten nehmen wollen, so würden sie ein allzu hohes „Relief gebraucht haben. Hätten sie das Relief stach gehalten, „so würde die Münze ohne Geschmack, Gothisch oder nach der „Art unserer neuen Münzen ausgefallen seyn." O schön! o schön! Kauderwelscher könnte Crispin in der Komödie, wenn er sich für einen Mahler ausgicbt, die Kunst­ wörter nicht unter einander werfen, als hier geschehen ist. — „Die Alten haben zugleich den Plan von ihren Ge„bäudcn gewiesen." Wie zugleich? Zugleich mit den Außen­ seiten? Wie machten sic das? Zeichneten sic, wie wir in un­ sern architektonischen Rissen, etwa den Grundriß neben die Fasade? Oder wie? — „Wenn sie den Augenpunkt zu „scharf hätten nehmen wollen;" Was heißt das, den Augenpunkt zu scharf nehmen? Heißt das, sich zu scharf an die Einheit des Augenpunkts halten? Oder was heißt es? — „So

Antiquarischer Briefe zehnter,

„wurden sie ein allzuhoheS Relief gebraucht haben." Was hat der Zlngenpnnkt mit dem Relief zu thun?

Bestimmt

der Augenpunkt, wie hoch oder wie flach das Relief seyn soll? —

„Hätten sie das Relief flach gehalten;" — Nun, was

denn?

was

wäre

alsdenn

geworden? — „so

„Münze ohne Geschmack,

die

würde

gothisch oder nach der Art

„unserer neuen Münzen ausgefallen seyn." O Logik, und alle Musen! sich

von

Ein Mann, der so schließen kann, untersteht Also ist eine Münze

der Kunst zu schreiben?

von

flachem Relief nothwendig ohne Geschmack und Gothisch? Also

ist es nicht möglich, daß wir in einem flachen Relief eben so

viel erkennen können, als in einem hohen? flachen Relief nicht eben so viel, seyn, als in einem hohen?

Also kann in einem

ja wohl noch mehr Kunst

O Logik, und alle Musen!

Mann hat lallten hören, aber nicht zusammen schlagen.

Der

Weil

man das hohe Relief auf Münzen vorzieht, aus Ursache, daß es Münzen sind, daß cs Werke sind, die sich sehr abnutzen; weil man aus dieser Ursache daS flache Relief an cursirenden

Münzen mißbilliget, daraus schließt er, daß das flache Relief

überhaupt

ohne Geschmack

und

Gothisch ist?

O Logik,

und

alle Musen!

Zehnter Brief. Ich sagte in meinem Vorige», daß ein Gemählde die vcr-

hältnißmäßige Verkleinerung der Figuren lind die Verminderung der Tinten gut genug haben, lind dennoch nicht perspektivisch

seyn könne; Falls ihm die Einheit des Gesichtspunkts fehle. Gut genug; Sie wissen was man gut genug heißt.

Lassen

Sic mich mit diesem gut genug ja nicht mehr sagen, als ich

sagen will.

Gut genug, wenn man das recht Gute dagegen

stellt, ist nicht viel mehr als ziemlich schlecht.

Denn wie in der Natur alle Phänomen» des Gesichts, die Erscheinung der Grösse, die Erscheinung der Formen, die Er­

scheinung des Lichts und der Farben, lind die daraus entsprin­ gende

Erscheinung

der

Entfernung,

sind: so auch in der Mahlerey.

unzertrennlich

verbunden

Man kann in keiner den gc-

Antiquarischer Briefe zehnter,

ringsten Fehler begehen, ohne dass sie nicht zugleich alle zweyheutig und falsch werden.

Hatte das Gemählde des PolygnotuS einen vielfachen Ge­

sichtspunkt:

so

hatte

nothwendig mehr Fehler gegen

es

die

Perspektiv, oder vielmehr kein Stück derselben konnte seine ei­

gentliche Richtigkeit haben; es konnte von allen nur so etwas da seyn, als genug war ein ungelehrtes Auge zu befriedigen.

Hier nenne

ich

es eii«

ungelehrtes Auge:

an einem

andern

Orte werde ich cS ein unvcrzärteltes Auge, ein Auge nennen, das noch nicht verwöhnet ist, sich durch den Mangel zufälliger

Schönheiten in dem Genüße der wesentlichen stören zu lassen. Räthsel! wird Hr. Klotz ruffen.

Zch mache keinen Anspruch mehr

darauf, von ihm verstanden zu werden. Ein vielfacher Gesichtspunkt hebt nicht allein

die Einheit

in der Erscheinung der Formen, sondern auch die Einheit der Was kann aber, ohne Einheit

Beleuchtung schlechterdings auf.

der Beleuchtung, für eine perspektivische Behandlung der Tinten

Statt finden?

Die wahre gewiß nicht;

und jede andere als

diese, ist im Grunde so gut als keine; ob sie schon immer auf den einigen Eindruck machen kann, der die wahre nirgends ge­ sehen.

Zn einem etwanigen Abfalle von Farben, in Ansehung

ihrer Lebhaftigkeit und Reinigkeit, mochte die ganze Luftperspek­ tiv des PolygnotuS bestehen. Selbst die verhältnißmäßige Verkleinerung der Figuren, kann in dem Gemählde des PolygnotuS nicht gewesen seyn; sondern ungefehr so etwas ihr ähnliches.

Denn man erwäge den Raum

von dem Ufer, wo die Flotte der Griechen lag, bis hinein in die verheerte Stadt: und

urtheile,

von

welcher coloffalischen

Grösse die Figuren des Vordergrundes angelegt seyn müßten,

wenn, nach den wahren perspektivischen Verhältnissen, die Fi­

guren des hintersten Grundes im geringsten erkenntlich seyn sollten. Eben daS hätte sich Moor fragen müssen, und er würde lieber von gar keiner Perspektiv in dem allegorischen Gemählde des Ccbes gesprochen haben.

Ich biete dem größten Zeichner

Trotz, etwas daraus zu machen, was die Probe halte.

bisherige Versuche sind gerade so gerathen, Kinder befriedigen können.

wie sie

Alle

ungefehr

Der erträglichste ist der von dem

Antiquarischer Briefe eilfter.

33

jungem Merian, welcher ganz von den Worten des EebeS abgieng,

indem

vcrschiedenm Umzäunungen

er die

in

einm

schroffen Felsen mit eben so vielen Absätzen verwandelte, und dennoch

nichts Perspektivisches

konnte.

herausbringcn

Seine

Figuren verjüngen sich von unten bis oben: aber perspektivisch?

So wie sich die in dem Gemählde des Polygnotus mögen ver­ jüngt haben: wo man, hinein in die Stadt,

dem Schiffe

von

des Mcnclaus

das Parderfell

noch

erkannte,

bis

welches

Antenor über die Thüre seines Hauses, zum Zeichen der Ver­

schonung, aufgehangen hatte.

Eilfter Brief. Es wurde eine sehr undankbare Arbeit seyn, alle Stellen und Beyspiele zu prüfen,

Herr Klotz

die

zum Behuf seiner

guten Meinung von der Perspektiv der Alten, dem Eaylus ab­ borgt, oder aus den Schätzen seiner eigenen Belesenheit beyzubringen vorgicbt.

Was für eine

Nur von einigeir, ein Wort. perspektivische Anordnung

kann Eaylus

der Aldrovandinischcn Hochzeit gefunden haben?

in

Sie hat höch­

stens keine Fehler gegen die Perspektiv: weil sich der Meister

keine Gelegenheit gemacht hatte,

dergleichen

zu

begehe».

Er

hat alle seine Personen nach der Schnur neben einander gestellt; sie stehen alle auf einem und eben demselben Grunde; wenigstens

nicht auf so verschiednen Gründen, daß die geringste Verjün­

gung unter ihnen möglich wäre. Das, was Plinius von dem Ochsen des Pausias sagt, zu

Perspektiv machen: heißt mit

dem Worte tändeln.

Es war

Perspektiv in dem weitläuftigen Verstände, in welchem sic, wie

ich schon erinnert, kein Mensch den Alten abgcsprochcn hat, noch absprcchcn kann. Lauter Wind,

wenn Herr Klotz versichert,

„daß Lucian

„von der perspektivischen Anordnung in einem Gemählde des „Zeuris so weitläuftig rede, daß diese Stelle bey dieser Strei-

„tigkeit nothwendig geprüft werden müsse!" Er nennt sie unge­ mein entscheidend, und sie entscheidet schlechterdings nichts. ’AxoTttvai. Taq yyoCjU^iai; i-c; to

e u^vTOtTOV,

was ist es anders,

als ein korrekter Eontour? was die uxptsiqq xpa. 2ül.

(“) S. 40.

Antiquarischer Briefe ein und zwanzigster.

62

Es sey, daß die alten Künstler, so gut wie die neuern, in

alle Arten von Edelsteinen schneiden können; cs sey, daß sie wirklich in alle geschnitten haben.

Ihre Werke auf eigentliche

Edelsteine waren darum doch eben so selten, als dergleichen zu unsrer Zeit sind,

und

cs ist blosse Dcclamation,

wenn Hr.

Klotz an einem andern Orte (”) schreibt, „daß jene Neigung

„der Alten zu

den Ringen mit geschnittenen Steinen, einen

„bessern Geschmack anzcige, als man heut zu Tage habe, da

„man blos gcschlicffenc Steine, ohne daß die Erfindung oder

„Arbeit des Steinschneiders sich auf eine Art daran gezeigt hätte, „die uns unterrichten oder ergötzen könnte,

hoch schätzt, und

bezahlt." — Dergleichen Steine,

„mit ungeheuren Summen

die man itzt mit ungeheuren Summen bezahlt, hielt auch das Alterthum, wie ich schon erinnert habe, für viel zu gut, sic von der Kunst verletzen zu lassen.

Auch schon vor Alters dünkte

cs der Prachtlicbe von besser»! Geschmacke, dergleichen Steine

als bloße Steine zu tragen; (**) und nur denen von geringerm

Werthe, ließ man durch die Kunst einen höhcrn Werth ertheilen,

ul alibi ars, alibi materia esset in presto, llllb wahrlich so gehört es sich auch!

die Kunst

Denn wenn

leichtern und glücklichern Behandlung, ersodcrt:

so ist cs

nicht ausdrücklich, die

zur

kostbarere Materie

albern, und zeigt gerade von keinem Ge­

schmacke, und zeigt von nichts, als einer barbarischen Verschwen­

dung, diese kostbarere Materie dein ohngcachtct, vorzüglich vor der weniger kostbaren,

aber

zur Behandlung mehr geschickten

Materie, zu brauchen.

Wenn folglich die Alten auch schlechterdings nie in Diamant,

oder Smaragd, oder Rnbin geschnitten hätten; wir Neuern hin­ gegen hätten in nichts als solche Steine geschnitten: so würde

dieses doch auf keine Weise ein Vorzug für unsre Künstler seyn; gesetzt auch, daß ihre Arbeit vollkommen so gut, als die Arbeit der alten Künstler wäre.

die Eigenschaften,

welche

Zwar

gehört die Härte mit unter

den Werth

eines Steines erhöhen;

(’) S. 21. (**) Alias deinde gemmas luxuria violari nefas pulavit, ac ne quis signandi causam in annulis esse intelligeret, folidas induit. Plinius lib. XXXIII. secL 6.

Antiquarischer Briefe ein und zwanzigster.

63

und derjenige Künstler, der einen ungleich Härtern Stein bear­

beitet, findet ungleich grössere Schwierigkeiten zu übersteigen, als

der, welcher einen geschmeidigern unter Händen hat.

Aber die

überstiegene Schwierigkeit machte bey den Alten keine Schönheit mehr,

lind ihren Künstlern kam cs nie ein,

sich mtNhwillig

Schwierigkeiten zu schaffen, um sie überwinden zll können.

Wenn ein Natter zwölfmal mehr Zeit braucht, einen Kopf

in einen Diamant zu schneiden, als in einen andern orienta­ lischen Stein: (*) warum soll Natter seiner Zeit und seiner Ehre

so feind seyn,

nur

lind für zwölf Kiinstwerke

eins machen?

Was hilft es ihn, das dieses eine von Diamant ist?

Der Dia­

mant hat nicht gemacht, daß seiner Kunst ein einziger Schwung sanfter, ein einziger Druck kräftiger gerathen: aber die Kunst

hat den Diamant verhunzt. Der Diamant hat von seiner Masse, hat von seinem Feuer verloren: imb warum? wozu? Kunst,

die lins

diesen Verlust

Eben die

kaum kann vergcsseil macheil,

würde jeden geringern Stein in einen Diamant vcrcMt haben.

Und so wollte ich sicher annchmen, daß überall, wo in den alteil Schriftstellern eines besonders kostbaren Ringes oder Stei­

nes gedacht wird,

ein Steiil

ohne Figuren zu verstehen sey.

Non dem, zu dessen freywilligem Nerliiste sich Polykrates ent­

schloß, um die neidische Gottheit zu versöhnen, die sein ununterbrochncs Glücke leicht beleidigen dürfte, sagt cs Plinius aus­

drücklich; ja seine Worte (**) scheinen so gar anzudeuten, daß dieser Stein nicht einmal geschliffen, sondern völlig so gewesen,

wie er aus der Hand der Natur gekommen. Hillgegen bin ich völlig der Meinung, daß, wenn Eupolis

den Eyrenäern

nachsagte, (**#)

daß der

geringste

von ihnen

einen Siegelring trage, der zehn Minen koste, dieser Vorwurf der Verschwendung mehr auf die zu theuren Steine gieng, welche

sie ungeschnitten in ihren Ringen trugen, oder geschnitten zll

ihren Siegeln mißbrauchten, als auf den zu grossen Lohn, den sie dem Künstler für den Schnitt entrichteten. (°) Pref. XVI. (") Polycratis gemma, qua; demonslrahir, illihata inlaclaque est. Libr. XXXV. sect. 4. ("*) Aelianus Hist. var. lib. XII. cap. 30.

Antiquarischer Briefe zwey und zwanzigster.

64

Zwey und zwanzigster Brief. Allerdings ist es ganz ohne Grund, wenn Hr. Klotz in dem Ringe, welcher die Feindschaft zwischen dem Cäpio nnd DrusuS

veranlaßte, so wie in

dem Opale, der dem Nonius die Ver­

bannung zuzog, geschnittene Steine finden will. (°) Aber über

den Ring des Polykrates, meinen Sie, dürfte dem Plinius we­ dem Herodotus, und Strabo lind

niger zu glauben seyn, als

Pausanias und Tzctzcs, die nicht allein ausdrücklich sagen, daß

der Stein desselben ein geschnittener Stein gewesen, sondern auch

den Meister nennen, der ihn geschnitten habe. Nicht zwar

Und doch halte ich es lieber mit dem Plinius!

deswegen, weil Plinius sagt, daß dieser Stein des Polykrates, welcher ein Sardonyx gewesen, noch bey seiner Zeit zu Rom,

in dem Tempel der Concordia,

gezeigt worden,

und er sich

also mit seinen eigenen Augeir belehren können; denn er selbst sagt das, weil

er cs sagen hören,

nicht weil er es wirklich

glaubt: (*#) sondern ich gründe mich auf etwas anders.

Auf

den Künstler nehmlich, der ihn geschnitten haben soll.

Thcodorus

von

Samos

wird

als

dieser

Nun

genennt.

aber sagt das ganze Alterthum, daß dieser Thcodorus in Me­ tall gearbeitet, und zugleich ein Baumeister gewesen.

Wäre es

fast nicht ein wenig zu viel, ihn auch zum Steinschneider zu

machen?

Und wie, wenn der Ring, von dem die Rede ist,

(°) S. 21. (“) Sordonychem, heisst» bic Worte bcs Plinius, eam gemmam fuirtc constat: ostenduntque Rom», fi credimus, Concordia delubro, cornu au reo

Augusli dono inclusam, & novissimum prope locum tot praelatis oblinenlem. Dieses giebt unser deutscher Uebersetzer: „und man zeigt ihn, wo wirs glau-

„den wollen, zu Nom in der Kapelle der Eintracht, wo er durch das Gc„schenk der Kavscrinn in ein goldncs Horn eingcschlossen ist, und da ihm so

„viele vorgezogen sind, fast den letzten Ort behauptet." daraus

versteht, was

Plinius

sagen wollen,

und was

Horn gemeiner, in welchem sich dieser Stein befand.

Ich zweifle, ob man er für ein goldnes

Ich glaube,

er meinte

das Füllhorn, mit welchem die Göttinn der Eintracht vorgestellet wird. ses war mit Edelsteinen besetzt,

unter welchen

Die­

sich auch der Sardonyx des

Polykrates, wie man vorgab, befand; aber fast ganz unten, wo er so vielen

andern nachstehen musste, zum Beweise, wie sehr der Luxus in diesen Kost­

barkeiten, seit den Zeiten des Polykrates, gestiegen.

65

Antiquarischer Briefe zwey und zwanzigster.

sein Werk seyn könnte, wenn er auch kein Steinschneider gewe­

sen

wäre? wenn

er

ihn

nehmlich

blos gefaßt hätte?

Ohne

Zweifel paßt dieses zu seiner anderweitigen Kunst besser; und

Herodotus scheinet in der That auch nichts

anders sagen zu

wollen! Tpv oi crcppTfyit; rrjv ecpopEE xyuCToÖETog —

yov ©Eodcopou

toi?

T i;/.ex2.sol; Sot^utou.

tJ'v

vj und setzt hinzu:

«aprjv