Globalisierung, Region und Regionalisierung: Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen. Band 2 [3 ed.] 9783515117555

Mit der digitalen Revolution und der Globalisierung der alltäglichen Bedingungen des Handelns entstehen nicht nur für de

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German Pages 437 [442] Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort zur dritten Auflage
Vorwort zur zweiten Auflage
Vorwort
Einleitung
Kapitel 1 Geographie und Geographie-Machen
Sozialgeographie und politische Regionalisierung
Alltägliche und sozialgeographische Regionalisierung
Zielsetzungen sozialgeographischer Forschung
Kritische Diskussion
Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen
Kapitel 2 Region und wissenschaftliche Regionalisierung
Traditionelle Geographie
Raumwissenschaftliche Geographie
Handlungszentrierte Sozialgeographie
Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen
Kapitel 3 Die »neue« Regionalgeographie
Die deutschsprachige Debatte
Die konservative Renaissance
Regionale Bewußtseinsforschung
Regionalgeographie der Postmoderne
Die angelsächsische Debatte
Phänomenologische Regionalgeographie
Derek Gregory: Kritische Regionalgeographie
Allan Pred: Regionalgeographie und »Theorie des Ortes«
Nigel Thrift I: Kontextuelle Regionalgeographie
Nigel Thrift II: Regionalgeographie und »Ontologie der Mobilität«
Kritische Diskussion
Deutschsprachige Argumentation
Angelsächsische Argumentationen
Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen
Zusammenfassung
Kapitel 4 Konstitution gesellschaftlicher Regionalisierungen
Strukturationstheorie als Kritische Theorie
Handeln, Handelnde und Bewußtsein
Handeln und Handelnde
Bewußtsein und Handeln
Handeln und Zeit
Bewußtsein und Körper
Körper, Handeln und Raum
Räumliche Begrifflichkeit
Raum und Handeln in Kopräsenz
Raum und Routine
Raum und mittelbare Interaktionen
Struktur und Strukturation
Handeln und Struktur: Strukturation
Regeln
Ressourcen
Bedeutung, Herrschaft und Legitimation
Struktur und Formen der Regionalisierung
»Schule« als Machtcontainer
»Totale Institutionen« und Disziplinierung
Fabrikhalle und kapitalistische Produktion
Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen
Kapitel 5 Globalisierung und Regionalisierung
Zum Theorieverständnis
Globalisierung und regionalisierende Lebensformen
Globalisierung als Konsequenz der Moderne
Globalisierung und Subjektzentrierung
Regionale und globalisierte Lebensformen
Geographie der Dinge und Geographien der Subjekte
Typen alltäglicher Regionalisierungen
Handlungstheoretische Bezüge
Strukturationstheoretische Bezüge
Typen alltäglicher Regionalisierungen
Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen
Kapitel 6 Global regionalisierte Lebenswelten
Lebensform und Lebenswelten
Produktiv-konsumtive Regionalisierungen
Geographien der Produktion
Geographien der Konsumtion
Ökologische Beurteilung globalisierter Lebensformen
Zusammenfassung
Normativ-politische Regionalisierungen
Geographien normativer Aneignungen
Geographien politischer Kontrolle
Zusammenfassung
Informativ-signifikative Regionalisierungen
Geographien der Information
Geographien symbolischer Aneignung
Zusammenfassung
Anmerkungen
Literatur
Namensregister
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Globalisierung, Region und Regionalisierung: Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen. Band 2 [3 ed.]
 9783515117555

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benno werlen

Globalisierung, Region und Regionalisierung Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen Band 2 3., überarbeitete Auflage

Geographie Franz Steiner Verlag

Benno Werlen Globalisierung, Region und Regionalisierung

Benno Werlen

Globalisierung, Region und Regionalisierung Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen Band 2 3., überarbeitete Auflage

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung: Kristian Philler

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11755-5 (Print) ISBN 978-3-515-11758-6 (E-Book)

Inhalt

Vorwort zur dritten Auflage

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Vorwort zur zweiten Auflage

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Vorwort

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Einleitung

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Kapitel 1: Geographie und Geographie-Machen

Sozialgeographie und politische Regionalisierung Alltägliche und sozialgeographische Regionalisierung Zielsetzungen sozialgeographischer Forschung Kritische Diskussion Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen Kapitel 2: Region und wissenschaftliche Regionalisierung

Traditionelle Geographie Raumwissenschaftliche Geographie Handlungszentrierte Sozialgeographie Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen Kapitel 3: Die »neue« Regionalgeographie

Die deutschsprachige Debatte Die konservative Renaissance Regionale Bewußtseinsforschung Regionalgeographie der Postmoderne Die angelsächsische Debatte Phänomenologische Regionalgeographie Derek Gregory: Kritische Regionalgeographie Allan Pred: Regionalgeographie und »Theorie der Orte« Nigel Thrift I: Kontextuelle Regionalgeographie Nigel Thrift II: Regionalgeographie und »Ontologie der Mobilität« Kritische Diskussion Deutschsprachige Argumentation

37 38 39 44 45 48 51 52 58 66 70 73 75 75 77 79 82 83 84 88 92 104 112 112

Angelsächsische Argumentation Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen Zusammenfassung Kapitel 4: Konstitution gesellschaftlicher Regionalisierungen

Strukturationstheorie als Kritische Theorie Handeln, Handelnde und Bewußtsein Handeln und Handelnde Bewußtsein und Handeln Handeln und Zeit Bewußtsein und Körper Körper, Handeln und Raum Räumliche Begrifflichkeit Raum und Handeln in Kopräsenz Raum und Routine Raum und mittelbare Interaktion Struktur und Strukturation Handeln und Struktur: Strukturation Regeln Ressourcen Bedeutung, Herrschaft und Legitimation Struktur und Formen der Regionalisierung Beispiel »Schule« Beispiel »totale Institution« Beispiel »Fabrikhalle« Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen Kapitel 5: Globalisierung und Regionalisierung

Zum Theorieverständnis Globalisierung und regionalisierende Lebensform Globalisierung als Konsequenz der Moderne Globalisierung und Subjektzentrierung Regionale und globalisierte Lebensformen Geographie der Dinge und Geographie der Subjekte Typen alltäglicher Regionalisierungen Handlungstheoretische Bezüge Strukturationstheoretische Bezüge Typen alltäglicher Regionalisierungen Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen

116 124 128 131 132 138 138 141 145 149 155 156 160 164 166 169 169 172 175 177 180 184 188 190 193 201 209 214 216 221 228 232 235 236 246 251 257

Lebensform und Lebenswelt Produktiv-konsumtive Regionalisierungen Geographien der Produktion Geographien der Konsumtion Ökologische Beurteilung globalisierter Lebensformen Zusammenfassung Normativ-politische Regionalisierungen Geographien normativer Aneignung Geographien politischer Kontrolle Zusammenfassung Informativ-signifikative Regionalisierungen Geographie der Information Geographien symbolischer Aneignung Zusammenfassung

263 269 273 282 288 296 299 302 312 329 345 347 356 369 387

Anmerkungen

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Literatur

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Namensregister

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Kapitel 6: Global regionalisierte Lebenswelten

Vorwort zur dritten Auflage

Als das vorliegende Buch vor genau 20 Jahren erstmals in Druck ging, stand der deutschsprachigen wissenschaftlichen Geographie eine intensivierte Debatte um die angemessene Ausrichtung auf zukünftige Aufgaben bevor. Diese Auseinandersetzung fand im Herbst 1997 in Bonn in der erstmals beim Deutschen Geographentag eingerichteten Veranstaltung „Autoren stellen sich der Kritik“ eine entscheidende Orientierung. Diese wurde in den darauffolgenden Jahren weiter präzisiert und implementiert. Ganz ähnlich wie in der aktuellen politischen Diskussion ging es dabei im Kern um die Frage, wie den sich drastisch verändernden geographischen Bedingungen bzw. den neuen raum-zeitlichen Konstellationen alltäglichen Handelns Rechnung getragen werden kann: Sind sie mit den fest etablierten Ansätzen des orthodoxen Konsenses zu meistern oder sind alternative Ansätze notwendig? Im Rahmen der innergeographischen Debatte wurde eindeutig letztere Option verfolgt. Die zuvor ganz im Sinne normalwissenschaftlicher Strategie praktizierte Ausgrenzung und Ignorierung von Kritik am orthodoxen Konsens büßte zumindest an Radikalität ein. Alternative Ansätze mit einem konstruktivistischen Verständnis geographischer Wirklichkeiten und einer damit verbundenen Handlungs- und Praxiszentrierung wurden nun als ernsthafte Perspektiven der Fachentwicklung gesehen und in neuen Foren zum Gegenstand wissenschaftlicher Debatten. For schungsprojekte, die sich an ihnen orientierten, konnten nun auch für förderungswürdig befunden werden; Verlage legten neue Buchreihen auf; Themen der neuen Geographie fanden – was in der Fachgeschichte bisher nicht der Fall war – bei etablierten (sozial-)wissenschaftlichen Verlagen ebenso immer stärker Beachtung wie in Fachzeitschriften, geographischen Lehrbüchern und Lexika. Viele der im vorliegenden Buch angesprochene Themen- und Problemfelder wurden imVerlaufe der 2000er Jahre – zusammen mit den Ergebnissen der jüngeren geographischen Theorieentwicklung in Richtung einer handlungs-

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Vorwort zur dritten Auflage

und praxiszentrierten Forschungsperspektive – vom sogenannten „spatial turn“ in den Sozial- und Geisteswissenschaften aufgegriffen. Dies hat sicher maßgeblich dazu beigetragen, dass die Geographie für die fächerübergreifende Thematisierung der räumlichen Dimension sozialer Praxis gemäß der Literaturund Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick zur „Leitwissenschaft“ wurde. Es war nicht zuletzt diese Entwicklung, welche trotz immenser Anfangswiderstände vonseiten des konservativen Kerns – vom landschaftskundlich bis hin zum raumwissenschaftlich geprägten Selbstverständnis des Faches – das Interesse an der Thematik einer handlungs- und praxiszentrierten Perspektive in der Geographie bis heute aufrechterhalten hat. Doch dies ist sicher nur die eine Seite der Medaille. Was in der wissenschaftlichen Geographie am Ende des 20. Jahrhunderts Gegenstand der Auseinandersetzung war, wird nun auf weltpolitischer Ebene Thema. Das ist gewiss keine Überraschung, denn die Frage nach einer mit den prägenden gesellschaftlichen Prozessen kompatiblen geographischen Weltsicht durchdringt zentrale Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens, dessen politische, ökonomische und kulturelle Dimensionen inklusive. Gerade auf politischer Ebene werden die fest etablierten Konzeptionen der räumlichen Welterschließung – die historisch in ähnlichen Zeiträumen entwickelt wurden wie jene der institutionellen Geographie – trotz des sich grundlegend verändernden Gesellschaft-Raum-Verhältnisses weiterhin für angemessen gehalten. Der Krise nationalstaatlicher Organisation gesellschaftlichen Zusammen lebens soll gemäß weitverbreiteter populistischer Diskurse mit einer Rückkehr zu den Blütezeiten des Nationalismus begegnet werden. Doch das Motto „Vorwärts in die Vergangenheit“ ist mehr als aus der Zeit gefallen. Die in der Hochblüte des Nationalismus entwickelten und weiterhin tief in alltägliche Deutungsmuster eingelassenen geographische Weltsichten und Weltbilder verlieren nicht nur zunehmend ihre Passfähigkeit. Daraus abgeleitete Folgerungen weisen – und das ist sicher noch wichtiger – im wachsenden Maße auch problematische Implikationen auf. Die Resonanz auf die Globalisierung im politischen Bereich neigt dazu, die bereits angesprochenen rückwärtsgerichteten „Lösungsstrategien“ anzubieten, die bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die Katastrophe führten. So kommen die diskursiv in Anschlag gebrachten politischen Strategien der Re-Nationalisierung wohl eher einer Verweigerung der Kenntnisnahme der veränderten geographischen Verhältnisse des 21. Jahrhunderts gleich, denn einem Ernstnehmen von Gestaltungswillen und -pflicht.

Vorwort zur dritten Auflage

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Eine den aktuellen Bedingungen angemessene Geographie und Politik würden hingegen zur Kenntnis nehmen, dass die Medien der Globalisierung die geographischen Bedingungen des Handelns revolutionieren. Was uns in globalisierten Situationen des Handelns unmittelbar betrifft, kann an weit entfernten Standorten, ggf. sogar in Echtzeit, seinen Ausgangspunkt haben. Damit verlieren liebgewordene geographische „Wahrheiten“ an Plausibilität und Gültigkeit. Eine davon ist sicher das Axiom der traditionellen wie raumwissenschaftlichen Geographie – das Waldo Tobler sogar als erstes geographisches Gesetz verstanden haben wollte – wonach erdräumlich nahe Gegebenheiten immer stärker miteinander verbunden sind als ferne. Häufig lässt sich beobachten, dass gerade auch politische Entscheidungsträger_innen die Welt immer noch in diesem klassischen geographischen Sinne sehen und denken. Jedoch können Unternehmungen, die an einem an Gültigkeit verlierenden Weltbild orientiert sind, fatale Folgen haben – von streng raumzentrier ter geographischer Wissenschaft bis hin zu nationalistischen und regionalistischen Diskursen. Wie sehr nationalistische Deutungsmuster ins Leere greifen, zeigt auf ebenso erschreckende wie treffende Weise die räumlich gewendete Argumentation zur Bekämpfung der aktuellen Welle des Terrorismus. Man kann dieser nicht durch Einwanderungsstopps aus bestimmten Erdgegenden Herr werden, wenn die Terrorakte von Mitbürger_ innen begangen werden. Es ist dabei zudem in Erinnerung zu rufen, dass die wissenschaftliche Geographie grundlegend zur Nationenbildung beigetragen hat. Sie hat die Nation als räumlich geformte und einmalige Einheit von natürlichen und kulturellen Wirklichkeiten erscheinen lassen. Dabei sind Staaten zu Ländern geworden. Mit der gegenwärtigen Lockerung des national-ter ritorialen Gesellschaft-Raum-Nexus geraten auch nationale und nationalistische Identitätsformierungen in die Krise, erfahren aber gerade dadurch neue Konjunktur. Nationale Territorialeinheiten werden durch raum-zeitliche Entankerungsprozesse der Globalisierung löcherig. So ist gut verständlich, weshalb Personen mit einem traditionellen geographischen Weltbild Prozesse der Globalisierung als störend oder gar bedrohlich herausfordernd erleben. Doch auch die Geographie des Nationalen ist und war immer schon eine konstruierte Geographie und nicht eine, die – wie es die geodeterministisch angelegte Länderkunde annimmt – auf „natürlichen Gren zen“ beruht, in der Natur fest vorgegeben ist und von der wissenschaft lichen Geographie „nur noch“ aufgedeckt zu werden braucht. Die Geographie des Nationalen war und ist eine im Kontext spezifischer kultureller, sozialer,

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Vorwort zur dritten Auflage

ökonomischer, technischer und natürlicher Konstellationen durch alltägliches Handeln hergestellte geographische Wirklichkeit. Auch sie ist Ausdruck eines spezifischen, zu einem historischen Zeit punkt ausgeformten gesellschaftlichen Raumverhältnisses und keine in der Natur angelegte, „richtige“ und als solche nicht wandelbare (geographische) Wirklichkeit. Gesellschaftliche Raumverhältnisse waren schon immer und bleiben vor allem wandelbar. Sie sind sozial-kultureller und nicht natürlicher Art. Der aktuelle neuerliche Wandel bedeutet dementsprechend nicht das „Ende“ oder den Zusammenbruch der „richtigen Geographie“, welchen es zu verhindern gilt. Vielmehr besteht die Herausforderung für die wissenschaftliche Geographie darin, diese neue geographische Wirklichkeit verständlich zu machen. Es ist sicherlich eine der bedeutendsten und edelsten Pflichten dieser Disziplin, heutige und künftige Generationen für ein Leben unter neuen geographischen Bedingungen vorzubereiten und dabei Globalisierungsprozesse zum Schwerpunktthema zu machen – mit ihren positiven wie problematischen Implikationen. Denn das Verstehen des eigenen Lebens in globalen Zusammenhängen ist eine Grundvoraussetzung, eine neue conditio humana, um die Herausforderungen der neuen Formen und Intensitäten der Globalisierung erfolgreich meistern zu können. Jena, im Juli 2017

Vorwort zur zweiten Auflage

In den vergangenen Jahren hat die Auseinandersetzung mit dem fortschreitenden Prozeß der Globalisierung lokaler Bedingungen des Handelns die Schwächen traditioneller wissenschaftlicher Perspektiven immer deutlicher werden lassen. Weder das traditionelle geographische Weltbild noch das bisher dominante soziologische Gesellschaftsverständnis weisen für die verstehende Durchdringung dieser neuen raum-zeitlichen Konstellation alltäglicher Lebenszusammenhänge ausreichende Sensibilität auf. Vor dem Hintergrund der Darstellung des traditionellen geographischen Weltbildes und der jüngeren Versuche in der angelsächsischen wie der deutschsprachigen Sozialgeographie, dieses zu reformieren, wird in diesem Band ein neues Verständnis von Regionalisierung als Form der Welt-Bindung entwickelt. Für die umfassende Überarbeitung der ersten Auflage stand das Ziel im Vordergrund, die Prozesse der Globalisierung vor diesem Hintergrund direkter als Ausdruck spezifischer Formen geographischer Praktiken zu thematisieren. Diese Praktiken unterscheiden sich in entscheidendem Maße von jenen, welche der geographischen Produktion regionaler oder nationalstaatlicher Wirklichkeiten zugrunde lagen. Die bisher primär territorial konzipierten Bezüge von Ökonomie, Gesellschaft und Kultur driften mit fortschreitender Entankerung immer stärker auseinander. Die Frage, wie diese Wirklichkeiten künftig gegenseitig aufeinander abgestimmt werden können, bildet eine der brennenden Fragen der näheren Zukunft. Die sozialwissenschaftliche Geographie ist dringlicher denn je aufgefordert, zu deren Beantwortung diskussionswürdige Vorschläge zu unterbreiten. Der hier entwickelte und nun kontrastiert herausgearbeitete, subjektzentrierte geographische Tatsachenblick ermöglicht eine neue Herangehensweise an diese Herausforderung. Die Implikationen des Perspektivenwechsels, die mit der Neukonzeptualisierung von »Regionalisierung« als Form der Welt-Bindung verbunden sind, klarer herauszustellen, ist zentrales Anliegen der überarbeiteten Fassung. Es

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Vorwort zur zweiten Auflage

wird deutlich gemacht, daß es sich weder bei der Bezugnahme aus die soziologische Handlungstheorie noch auf Giddens’ Strukturationstheorie bloß um Anwendungen handelt. Beide Theorien geographisch fruchtbar zu machen, verlangt vielmehr nach umfassender Erweiterung im Falle der Handlungstheorie und nach grundlegendem Umbau im Falle der Strukturationstheorie. Die Erweiterung besteht darin, der Körperlichkeit der Handelnden und den materiellen Kontexten des Handelns Rechnung zu tragen, ohne ihnen eine determinierende Kraft oder eine kausale Wirkung zuschreiben zu wollen. Der Umbau der Strukturationstheorie geht davon aus, daß die Betonung der Steuerungsfähigkeit des Handelns, die im Zentrum dieser Theorie steht, es nicht widerspruchsfrei zuläßt, »Raum« und »Zeit« eigene Konstitutivkraft für das Gesellschaftliche zuzuschreiben, wie das bei Giddens der Fall ist. Die Ausräumung dieses Widerspruchs macht eine Neuordnung der zentralen Achsen des Theoriegebäudes notwendig. Dies sollte nun deutlicher erkennbar sein. Zudem wird die Diskussion um die Entwicklung einer neuen Regionalgeographie pointierter gestaltet und enger an die sozialtheoretische Basisperspektive angebunden. Es ist weder beabsichtigt, die Theoriediskussion, die in den vergangenen zehn Jahren zu den zentralen Themen des Buches stattfand, noch die über empirische Forschungsarbeiten seither gewonnenen Einsichten in den entsprechenden alltagsweltlichen Verhältnissen nachzuzeichnen. Das kann nur Aufgabe eines neuen Projektes sein. Hier ist die Gelegenheit wahrgenommen worden, den Entwurf der »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« einerseits argumentativ zu straffen und andererseits die zentralen Argumentationsketten zu verdeutlichen. Einen ersten Einblick in die Vorgehensweisen zur empirischen Erschließung der Geographien des Alltags liefert der nun vorliegende Band 3 der »Sozialgeographien alltäglicher Regionalisierungen«. Typographische Neugestaltung und differenzierte Durchsicht sind dankenswerter Weise von mehreren geleistet worden. Tobias Federwisch, Tilo Felgenhauer und Marc Redepenning haben die kritische Durchsicht einzelner Kapitel übernommen, Andreas Grimm das abschließende Korrekturlesen. Nadine Wassner hat die Neuformatierung des Manuskripts vorbereitet. Dana Sprunk hat die gesamte Überarbeitung koordiniert, das Manuskript durchgehend lektoriert und in Kooperation mit Andreas Grimm die typographische Endfassung erstellt. Allen Beteiligten gilt mein ganz herzlicher Dank! Jena, im Juli 2007

Vorwort

»Globalisierung« und »Regionalisierung« sind in den letzten Jahren zu politischen Schlagwörtern geworden. Mit ihnen werden die verschiedensten Verheißungen, Gefahren und Forderungen verknüpft. Forderungen nach »Flexibilisierung« und »Deregulierung« können als Ruf nach der Aufhebung bisheriger Formen alltäglicher Regionalisierungen aufgrund des fortschreitenden Globalisierungsprozesses interpretiert werden. Nicht selten sind die widersprüchlichsten Rechtfertigungsmuster politischer Praxis an diese Schlagwörter gekoppelt. Aber die Häufigkeit der Verwendung dieser Begriffe vermag nicht über die geringe Klarheit der Implikationen des Globalisierungsprozesses und entsprechender Regionalisierungsmechanismen hinwegzutäuschen. Was ist Globalisierung? Oder besser: Was kann unter Globalisierung verstanden werden, und was sind ihre Implikationen in alltagsweltlicher und in wissenschaftlicher Hinsicht? Was kann unter Bedingungen der Globalisierung »Regionalisierung« heißen? Von diesen Fragen ist die Entwicklung der »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« geleitet. In Band 1 wurden die Medien der räumlichen und zeitlichen Entankerung der Lebensformen als Konsequenz der Moderne vorgestellt. Damit sind die Bedingung der Deregulierung identifiziert und in einen umfassenderen Kontext gestellt. Dieser schließt einerseits die sozialphilosophische Komponente ein, andererseits wird der Blick auf die andere, bisher weitgehend vernachlässigte Komponente der Globalisierung gerichtet: jene der raumkonzeptionellen Voraussetzungen. Eine der wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit dem Phänomen der Globalisierung lautet: Welche Formen der Regionalisierung können auf die räumlich-zeitliche Entankerung, die Deregulierung bisheriger raum- und territoriumsgebundener Lebensformen folgen? Dies verlangt nach einer Klärung der Wieder-Verankerungen, welche die Entankerungen traditioneller Lebensformen in der Spät-Moderne auffangen können, und nach der Beant-

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Vorwort

wortung einer weiteren zentralen Frage: Welche Re-Deregulierungen sind möglichst konfliktfrei realisierbar? Unabhängig davon, wie man sich zu den Vor- und Nachteilen dessen stellt, was im allgemeinen als »Globalisierung« bezeichnet wird, verlangt die Erschließung dieser Fragen zuerst die Schaffung jener Voraussetzungen, welche den Globalisierungsprozeß außerhalb jeder (neoliberalen) Demagogie in seinen Tiefenstrukturen begreifbar machen. Dazu kann eine entsprechende geographische Analyse wesentliche Beiträge leisten. Begreift man die Globalisierung als eigentlichen Ausdruck alltäglicher Praktiken, des alltäglichen Geographie-Machens, wird die geographische Wirklichkeitsanalyse zu einem wichtigen Aspekt der Erforschung der Globalisierungsprozesse. Globalisierte Lebensbedingungen verlangen gleichzeitig nach einem neuen geographischen Bewußtsein, das im Verständnis des alltäglichen Geographie-Machens zu begründen ist. Der größte Teil der Arbeiten zum vorliegenden Buch wurde bereits im Februar 1994 (als 2. Teil der Habilitationsschrift) abgeschlossen. Eine Reihe von institutionellen Umständen hat die Fertigstellung verzögert. Doch erlaubte dies die Einarbeitung jener Kommentare, die bei öffentlichen Vorstellungen von Teilen des Textes vorgebracht wurden. Für die entsprechenden Kommentare und Anregungen in der Umsetzung der phänomenologischen Grundlagen möchte ich mich bei Fred Luckermann, Leonard Guelke, David Ley, Lester Embree, Martin Endreß und Ilja Srubar bedanken. Für die (kritischen) Kommentare meiner Darstellung der Bedeutung der Strukturationstheorie für die Geographie im »Arbeitskreis Geographie und Gesellschaftstheorie« anläßlich des 50. Deutschen Geographentages in Potsdam möchte ich vor allem Jürgen Oßenbrügge, Helmut Klüter, Gerald Wood, Eike Schamp, und Jürgen Pohl danken; Derek Gregory, Nigel Thrift und Michael Storper für die hilfreichen Auseinandersetzungen über Stand und Beurteilung der Entwicklungsbemühungen der »new regional geography«. Studentinnen und Studenten in Zürich, Salzburg, Jena und Bergen (N) haben mich mit ihren Fragen immer wieder zur Klärung des Argumentationsganges »gezwungen«. Besonders hilfreich war das lustvoll-konstruktive Streiten an der Sache in der Züricher Arbeitsgruppe »Sozialgeographie«. Anthony Giddens, Deidre Boden, Debra Dosch, Jean Widmer, Hans Dietrich Schulz, Christian Schmid, Wolfgang Zierhofer, Egbert Daum, Claude Raffestin, Jean Bernard Racine, Louise Crewe, Phil Crang, Anssi Paasi und Paul Drechsel waren mit ihrer Diskussionsbereitschaft und/oder ihren Literaturhinweisen eine große Hilfe. Peter Weichhart hat während meiner Salzburger Gastprofessur zu-

Vorwort

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dem ein vorzügliches Arbeitsumfeld und Forum für die Lehre geschaffen. Ute Wardenga, Andreas Volk und Gudrun Maurer haben je spezifische Teile des Manuskripts konstruktiv-kritisch kommentiert. Martin Steinmann, Andreas Huber und Regula Ehrliholzer haben die typographische Gestaltung übernommen. Max Epper, Heidrun Pecker und Roland Lippuner die sorgfältige Manuskriptdurchsicht. Allen ganz herzlichen Dank! Jena, im April 1997

Einleitung

Eine Besonderheit aktueller Lebensbedingungen besteht in der Dialektik des Globalen und Lokalen. Globales hängt von Handlungen lokal situierter Subjekte ab und lokale Bedingungen des Handelns sind von globalen Phänomenen durchdrungen. Diese globalisierten Lebensformen sind als eine Konsequenz der Moderne zu verstehen. Sie sind ein Kernaspekt spät-moderner Dynamik und Ausdruck der aufklärerischen Revolution, durch die das erkennende und handelnde Subjekt in das Zentrum des Weltbildes und -verständnisses getreten ist. Aufgrund der technologischen Folgen dieser Neuzentrierung des Weltverständnisses leben wir heute nicht mehr nur in regional bestimmten bzw. beschreibbaren Verhältnissen. Unsere Welt ist unter den aktuellen Bedingungen in vielfacher Hinsicht zur »globalen Stadt«, gelegentlich gar zum »globalen Dorf« geworden. Damit sind für das aktuelle Handeln der Subjekte vielfältige Konsequenzen verbunden. Einerseits haben die Wahlmöglichkeiten insgesamt dramatisch zugenommen. So sind die meisten Menschen konstant mit Lebensstil- und Lebensform-Entscheidungen konfrontiert. Diese Form der Subjektivierung gesellschaftlicher Wirklichkeit weist andererseits aber auch die Schattenseite der »Risikogesellschaft« auf. Die Risiken sind intern unmittelbar mit den Wahlmöglichkeiten der Subjekte verknüpft. Denn es ist primär das technologiebeherrschte subjektzentrierte Bestreben, die Natur zu kontrollieren, das gleichzeitig die Konsequenz selbstgemachter Bedrohungen in sich trägt. Der besondere Charakter der damit verbundenen Risiken gibt einen wichtigen Einblick in die neuen geographischen Wirklichkeiten. Der Begriff »Risiko« entstand ursprünglich in Zusammenhang mit (geographischen) Entdeckungsexpeditionen und bezog sich für geraume Zeit ausschließlich auf fremde Gebiete. Heute sind »Risiken« – wie es uns die Vogelgrippe stellvertretend für andere zeitgenössische Risiken nachdrücklich gezeigt hat – zu einem beachtli-

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Einleitung

chen Teil Konsequenzen menschlichen Handelns und eng mit dem jeweiligen Lebensstil verbunden. Risiken sind nicht mehr irgendwo »da draußen« in der fernen Fremde. Risiken sind vielmehr bis in die intimsten Bereiche persönlicher Lebensformen eingelassen. Und so verhält es sich auch mit den geographischen Bedingungen insgesamt: Wir leben nicht nur irgendwo an einem Standort in der Welt, sondern wir leben gleichzeitig die Welt in globalen Bezügen. Diese Sozialontologie der Spät-Moderne wird für die wissenschaftliche Geographie zur besonderen Herausforderung. Will sie weiterhin empirisch gültige Darstellungen geographischer Aspekte menschlicher Lebensbedingungen vermitteln, dann muß sie diesen Veränderungen auch methodologisch Rechnung tragen. Für alle Humanwissenschaften ist die gegenseitige Gebundenheit bzw. Verwiesenheit von alltäglicher Praxis und der wissenschaftlichen Welt, von wissenschaftlichem Diskurs und untersuchter sozial-kultureller Wirklichkeit charakteristisch. Für die Humangeographie besteht die gegenseitige Verwiesenheit im Verhältnis von wissenschaftlichem und alltäglichem Geographie-Machen. Dies bedeutet, daß erstens die Art der wissenschaftlich produzierten geographischen Darstellungen der »Welt« konstitutiv ist für die Arten der alltagsweltlichen Repräsentationen der eigenen Lebensbedingungen. Subjekte interpretieren ihre Position in der Welt nicht zuletzt aufgrund geographischer Wissensbestände. Dies stellt aber nur die eine Seite dar. Die andere Seite der gegenseitigen Verwiesenheit impliziert zweitens, daß die wissenschaftlichen geographischen Darstellungen nur dann Wahrheitsstatus beanspruchen können, wenn sie das alltägliche Geographie-Machen der handelnden Subjekte ontologie- und sinnadäquat wiedergeben. Ändern sich die alltagsweltlichen Formen des Geographie-Machens, ist dem forschungskonzeptionell Rechnung zu tragen. Gelingt dies nicht, ist mit einer drastischen Abnahme empirischer und praktischer Relevanz der Resultate wissenschaftlichen Arbeitens zu rechnen. Wenn Beck (1993, 12) beispielsweise davon ausgeht, daß »die Soziologie nach dem Ende des kalten Krieges neu erfunden werden muß«, dann gilt dies in Zusammenhang mit den fortschreitenden Globalisierungsprozessen auch für die Geographie. Klassisch gewordene Konzeptionen der Geographie verlieren unter der Bedingung der Globalisierung zunehmend ihre sozialontologische Basis. Hält man den Anspruch auf Beibehaltung der traditionellen Forschungskonzeptionen trotzdem für alle Lebensbereiche aufrecht, dann kann

Einleitung

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das alltagsweltlich problematisch werden, denn derart fallen geographische Darstellung und gelebte Wirklichkeit zunehmend auseinander.

Doppelter Auftrag der Geographie Gewiß, die Darstellung der »Geographie der Dinge« und der lokalen sozialkulturellen Verhältnisse ist weiterhin wichtig. Gerade unter globalisierten Lebensbedingungen ist ein Leben ohne Kenntnis der Ergebnisse derartiger Lokalisierungsarbeit bzw. ohne regionalgeographisches Wissen kaum vorstellbar. Die Voraussetzungen für zuverlässige Orientierungen unter diesen Lebensverhältnissen zu schaffen und zu erhalten, ist nach wie vor eine der prominenten und nicht ersetzbaren Aufgaben der Geographie. Zu fragen ist hinsichtlich dieser ersten gesellschaftlichen Relevanz der Geographie allerdings, welchen wissenschaftlichen Status diese Arbeit aufweisen und auf welche Gegebenheiten sich die erdräumliche Lokalisierung beziehen kann. Unabhängig davon, wie diese Frage beantwortet wird, besitzt die Geographie eine zweite hervorragende Bedeutung. Wenn alltägliche Handlungen und wissenschaftlicher Diskurs aufeinander verwiesen sind, dann heißt das gleichzeitig, daß der empirischen Adäquanz wissenschaftlicher Wirklichkeitsdarstellungen im Hinblick auf die alltagsweltliche Praxis ein hohes Verantwortungspotential erwächst. Unter den heutigen, entankerten Bedingungen werden ein geographisches Selbstverständnis und eine geographische Forschungskonzeption erforderlich, die für beide Aspekte – sowohl für die räumlich und zeitlich verankerten, lokalen Lebensverhältnisse als auch für die räumlich und zeitlich entankerten, globalisierten Lebensformen – Sensibilität aufweisen kann. Das zentrale Anliegen des vorliegenden Buches ist es, einen Vorschlag zur Entwicklung einer Forschungskonzeption zur Diskussion zu stellen, die den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen angemessen Rechnung trägt. Da Forschungskonzeptionen und -methoden nie neutrale Mittel der »Anwendung« einer Theorie sein können, wird die Bedeutung der Forderung nach einer ontologisch abgestimmten Forschungskonzeption für die Untersuchung globalisierter Alltagsgeographien besonders offensichtlich. Damit ist die Vorstellung von der bloßen, voraussetzungslosen Anwendbarkeit »richtiger geographischer Methoden« auf einen Gegenstand nicht haltbar und die Dringlichkeit der Adäquanzforderung wird noch deutlicher. Fachverständnis, Forschungskonzeption und Forschungsmethoden sind immer auch Mittel der Konstitution des Forschungsgegenstandes. Postuliert man beispielsweise das Kartieren als wichtigste geographische Methode, dann wird

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Einleitung

konsequenterweise die Idee gefördert, »Raum« oder »Landschaft« seien die »wahren« Gegenstände der Geographie. Die methodische Vorherrschaft der Kartographie legt dann – wie das Denis Wood (1993, 76f.) eindrücklich zeigt – die Naturalisierung des Kulturellen und die Kulturalisierung des Natürlichen nahe, die für die Landschafts- und Länderkunde so typisch, aber auch so problematisch sind. Die Konstitution des Forschungsgegenstandes setzt gemäß der hier vertretenen Auffassung jedenfalls immer eine bestimmte Ontologie voraus. In unserem Falle betrifft dies die in Band 1 dargestellten Ontologien von »Gesellschaft« und »Raum«. Bevor ich darauf zurückkomme, ist in forschungskonzeptioneller Hinsicht auf das Verhältnis von lokal verankerten und entankerten, globalisierten wie globalisierenden Lebensformen einzugehen. Sicher existieren heute (traditionelle) lokal verankerte und (spät-moderne) entankerte globalisierte Lebensformen nebeneinander. Verankerte und entankerte Lebensformen können sogar in den Lebenszusammenhängen einzelner Personen im Stile der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen auftreten. Sie koexistieren ebenso, wie »sich die Lebensverhältnisse einer Epoche mit denen der folgenden vermischen« (Sennett, 1983, 37). Man darf jedoch nicht übersehen, daß sich die gesellschaftlichen Bedingungen menschlicher Ausdrucksmöglichkeiten im Rahmen der Globalisierung auch für die stärker traditionell geprägten, lokal verankerten Lebensformen dramatisch verändern. »Tradition« ist nicht mehr der einzig existierende Deutungshorizont des eigenen Tuns. Traditionelle Handlungsmuster werden zu einer unter mehreren Möglichkeiten. Kurz: Die in der Spät-Moderne aufgehobenen Traditionen sind nicht mehr die ausschließlichen Handlungsmuster der lokal verankerten »traditionellen« Gesellschaften. Um diesen Transformationsprozessen und dem Verhältnis von Lokalem und Globalem auf die Spur zu kommen, ist es notwendig, deren jeweilige Reproduktionsmechanismen bzw. Reproduktionsmodi unter spät-modernen Bedingungen des Handelns analytisch aufzubrechen. Derart soll die geographische Forschung zu einem differenzierten, zeitgemäßen Selbstverständnis der Handelnden in globalisierten Lebensverhältnissen beitragen können. Für Immanuel Kant (1802) bildete das regionalgeographische Wissen den zentralen Bestandteil einer aufgeklärten Weltsicht. Geographisches Wissen erlangte bei der Entstehung einer modernen Welt dann auch eine beachtliche Bedeutung. Doch sowohl die »Welt« als auch die »Geographie« haben sich seit Kants Einschätzung unseres Faches zu sehr verändert, als daß dies heute weiterhin im exakt gleichen Sinne Gültigkeit haben könnte.

Einleitung

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Die »Welt« ist nicht zuletzt aufgrund Kants Philosophie der Aufklärung, durch die Industrialisierung und die vielfältigen Entankerungsmechanismen eine andere geworden. Die Konsequenzen seiner Philosophie konnten die geographischen Bedingungen seiner Zeit noch nicht verändern. Deshalb bezieht sich Kants Geographieverständnis noch auf prä-moderne, verankerte Kulturund Gesellschaftsformen. Die Geographie, auf die sich Kants Urteil bezog, konnte für ihn nur wissenschaftspropädeutischen, nicht aber einen wissenschaftlichen Status erlangen. Von diesem Anspruch unterscheidet sich die aktuelle Situation radikal. Heute erhebt die Geographie, auch die Regionalgeographie, weltweit den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Sie wird mit breitem Konsens – im noch genauer zu erörternden Sinne – als Geowissenschaft, als moderne Raumwissenschaft definiert, was unter spät-modernen Bedingungen jedoch in mehrfacher Hinsicht problematisch ist. Zwischen Propädeutik und Wissenschaft Der von Kant identifizierte propädeutische Charakter der Regionalgeographie ist in praktischer und bildungsspezifischer Hinsicht weder damals noch heute mit Geringschätzung zu verbinden. Aus Kants Urteil folgt nur, daß »Raum« kein Gegenstand empirischer Forschung im naturwissenschaftlichen Sinne sein kann und die Geographie konsequenterweise keine Raumwissenschaft a posteriori. Da Kants »Physische Geographie« (1802) der Grundlegung der modernen Kulturanthropologie gleichkommt, sollten wir uns bewußt sein, daß die modernen Geistes- oder Sozialwissenschaften zu seiner Zeit erst in Ansätzen existierten. Eine sozialwissenschaftliche Geographie lag noch nicht im Möglichkeitsbereich des Denkbaren. Wohl deshalb blieb der Geographie – wie auch der Geschichte – in Kants Denken nur der propädeutische Status übrig, wenngleich mit einem hohen aufklärerischen Wert. Dieser prä-wissenschaftliche, bildungsspezifische Auftrag sollte, wie Untersuchungen der »American Geographical Society« (1994) zeigen, nicht unterschätzt werden. Darin lebt die Aufklärungsarbeit der wissenschaftspropädeutischen Geographie als Beitrag zum kontextuellen Situierungsprozeß der Subjekte für bestimmte Wirklichkeitsdimensionen spät-moderner Gesellschaften weiter. Wissenschaftspropädeutisch ist diese Aufgabe allerdings auch heute insofern, als hier das Schwergewicht in der Ordnung des Wissens in räumlicher Hinsicht besteht. Die »Kenntnisse an ihren Ort zu bringen zu können«, wie sich Kant (1802, 20) ausdrückte, ist zwar immer noch ein besonderes und wichtiges Wissen, doch Lage- und Ortskenntnis der »Dinge«

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und »Lebensverhältnisse« liegt vor der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Sie ist gleichzeitig eine fundamentale Voraussetzung für angemessene alltägliche Orientierungen in erdräumlicher Hinsicht und entsprechende Körperbewegungen bis hin zu weltpolitischen Dispositionen der Machtausübung: Den Ort des Vorkommens der »Dinge des Interesses« zu kennen, ist weiterhin Voraussetzung, um überhaupt die Möglichkeit zu haben, sie auf qualifizierte Weise in den eigenen Handlungsablauf integrieren zu können. Die Frage ist allerdings, welche Art von »Dingen« unter den Bedingungen der Globalisierung der Lebensverhältnisse eindeutig räumlich lokalisiert werden können. In dem doppelten Aspekt der traditionellen Geographie – ihrer Situierung im Vorhof der Wissenschaft und der gleichzeitigen Betonung ihrer hohen alltagsweltlichen Bedeutung – ist das Spannungsfeld angelegt, das die Fachgeschichte seit Kant beherrscht. Es äußert sich, wie Schultz (1980; 1993) zeigt, nicht zuletzt in dem oft gespannten Verhältnis von Schulgeographie und wissenschaftlicher Geographie, den anhaltenden Diskussionen um die fachpolitische Vorherrschaft und entsprechenden Legitimationsansprüchen des Faches mit jeweils spezifischen Inhalten. Die Auseinandersetzungen lassen sich auf die Frage zuspitzen, ob Geographie primär Didaktik oder Wissenschaft sein soll. Viele Versuche sind unternommen worden, beide Pole des Spannungsfeldes miteinander zu versöhnen. Sie laufen darauf hinaus, die gleiche Fachkonzeption sowohl als Didaktik als auch Wissenschaft zu fordern. Der prominenteste und wirkungsvollste Vorschlag stammt von Alfred Hettner. Sein Werk kann im Lichte des skizzierten Spannungsverhältnisses verstanden werden. Beide Anliegen sollen in einen Argumentations- und Legitimationszusammenhang gebracht werden: didaktische Aufarbeitung und Darstellung von Wissen sollen Aufgabe wissenschaftlicher Geographie sein. Wardenga (1995, 225) würdigt Hettner konsequenterweise als »Darstellungstheoretiker«. Man könnte diesen Befund als in jeder Beziehung negativ interpretieren. Doch damit würde man weder Hettner noch Wardengas Darstellung gerecht. Zu Hettners Zeit, d.h. um die Jahrhundertwende und zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Morphologie ein zentrales Anliegen der meisten wissenschaftlichen Disziplinen. Es reichte von der französischen »morphologie sociale« über die anthropologisch-ethnographischen Klassifizierungsansprüche von Artefakten, rassisch interpretierten Körpermerkmalen usw. bis hin zu den unterschiedlichsten Ausprägungen von Geomorphologien in der Geographie. Typologisierende Formenlehre und morphologische Klassifizierung des Wis-

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sens waren allgemein anerkannte wissenschaftliche Zielsetzungen. Das Kernproblem der von Hettner postulierten Ausrichtung wissenschaftlicher Geographie ergibt sich aus der Art der interpretierenden Umsetzung morphologischer Ziele. Die regionalgeographische Forschungsmethodologie wird – wie Maurer (1995, 114) für die Siedlungsgeographie – zeigt in den Dienst einer möglichst systematischen Präsentation des Wissens gestellt. Damit werden im Horizont von Hettners Fachinteressen gleichzeitig mehrere Probleme »gelöst«: Die Legitimation der Geographie als Wissenschaft wird erstens dadurch geleistet, daß Wissensdarstellung bereits als wissenschaftliche Leistung verstanden wird. Die damit verbundene Orientierungsleistung begründet zweitens die gesellschaftliche Relevanz des Faches. Gekoppelt und untermauert werden drittens beide mit der Zielsetzung der erfahrungswissenschaftlichen Geographie, die Hettner »in der Erkenntnis der verschiedenen Erdräume« (Wardenga, 1995, 219) sieht. Damit vereint Hettner die zwei sich widerstreitenden Pole der Geographie als Didaktik bzw. Wissenschaft. Die derart argumentativ hergestellte Einheit hat nicht zuletzt aufgrund dieser multidimensional konzipierten Rechtfertigung bis heute eine hohe Attraktivität, die bisweilen sowohl von der Seite der Didaktik als auch seitens der Forschung mit radikalem Nachdruck verteidigt wird. Die Vorteile sind offensichtlich: Der Widerspruch zwischen Kants Einstufung und der institutionellen Existenz der Geographie als wissenschaftliche Disziplin wird in Hettners Konstruktion hinfällig. Freilich wird dieser Legitimationsdiskurs aktuell nicht explizit geführt. Doch Hettner überbrückte auf seine Weise – und institutionspolitisch äußerst erfolgreich – die in einer wissenschaftlichen Regionalgeographie angelegten Widersprüche. So attraktiv diese Synthese sich widerstreitender Interessen sein mag, sie hat einen hohen Preis. Als »Dinge« der Darstellung identifiziert Hettner sowohl physisch-materielle als auch sozial-kulturelle Gegebenheiten ohne differenzierte Unterscheidung. Er hält soziale Normen und Regeln sowie kulturelle Werte und Wertungen für ebenso regional lokalisierbar wie materielle Artefakte und die Objekte der natürlichen Welt. Seine Darstellungstheorie impliziert andererseits eine Ontologie des Gegenstandes, welche die Idee der wissenschaftlichen Regionalgeographie als allumfassendes Verfahren der Wirklichkeitsdarstellung zwar plausibel erscheinen läßt, erkenntnistheoretisch ist dieses Verfahren damit jedoch noch nicht legitimiert. Schließlich gibt er kartographischen Verfahren gegenüber anderen Methoden den Vorrang. Alle

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drei Aspekte machen den Universalanspruch der regionalgeographischen Darstellbarkeit globalisierter Lebensverhältnisse problematisch. Die Verwissenschaftlichung der didaktisch orientierten Darstellungstheorie kann nur unter der Voraussetzung der Hypostasierung von »Raum« mit einer gewissen Plausibilität als Basis eines raumwissenschaftlichen Programms propagiert werden. Im Übrigen ist es genau diese Interpretation, die es ermöglicht, Kartographie und geographische Informationssysteme (GIS) als Grundlage der Geographie und nicht »nur« als wissenschaftliche Hilfsmittel zu sehen. Ein solches Fachverständnis unterwandert gleichzeitig Kants Diagnose der Unmöglichkeit einer wissenschaftlichen Geographie. Bei der Beurteilung dieser Fachkonzeption sollte man nicht übersehen, daß die Idee der allumfassenden Orts- und Raumwissenschaft neben der Hypostasierung von »Raum« letztlich die Reduktionsmöglichkeit von immateriellen sozial-kulturellen Gegebenheiten auf physisch-materielle, erdräumlich lokalisierbare »Dinge« voraussetzt. Kurz: Hettners Vorschlag, wie die Geographie zur wissenschaftlichen Disziplin gemacht werden kann, entläßt sie zwar aus dem Status der Propädeutik, doch er handelt sich damit ernsthafte Probleme ein. So kann seine »Lösung« nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie nicht für alle Lebensformen und -bedingungen dieselbe Sensibilität aufweist. Denn die Vorherrschaft räumlicher Kategorien in der traditionell regionalgeographischen und raumwissenschaftlichen Forschungskonzeption erlaubt am ehesten dann Annäherungen an die sozial-kulturelle Wirklichkeit, wenn diese im Stil prä-moderner Lebensformen auch zu einem beachtlichen Grad räumlich fixierbar und zeitlich stabil ist. Im Hinblick auf eine wissenschaftlich fruchtbare Forschungskonzeption der Geographie ist anzuerkennen, daß die Vielzahl regionalgeographischer Forschungen, die sich in Hettnerscher Manier auf die letzten Enklaven traditioneller Lokalkulturen spezialisieren, wohl in keinem Verhältnis zu deren tatsächlichen allgemeinen Bedeutung stehen. Hypothetisch formuliert kann man davon ausgehen, daß diese bemerkenswerte Vorliebe nicht den aktuellen Problemen entspricht, sondern vielmehr methodologische und forschungskonzeptionelle Gründe hat. Diese methodologisch betrachtet eher zufällige Sehschärfe für traditionelle Verhältnisse und die beachtlichen Ausmaße der Blindheit für spät-moderne Lebensformen scheinen von Hettners Begründungsverfahren der geographischen Wissenschaft geprägt zu sein. Wie später ausführlicher in der Auseinandersetzung mit den jüngsten Vorschlägen zu einer »neuen« Regionalgeographie gezeigt wird, sind diese Eigenschaften im Kern seiner konzeptionellen

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Ausführungen und seines Wirklichkeitsverständnisses angelegt: dem hypostasierten Raum und den Implikationen der Dominanz der räumlichen Ordnungskategorien. Beide geben im dargestellten Verhältnis von Natur und Gesellschaft dem ersten konzeptionell Vorrang, was direkt zu den oben angedeuteten Schwierigkeiten geführt hat. Trotz der Plausibilität für traditionelle Lebensformen auf den ersten Blick, ist das Programm bei genauerem Hinsehen auch hier zum Scheitern verurteilt. Denn Kultur wies und weist auch in diesen Lebensformen derartige Unterschiede auf, daß sie nicht mit denselben Methoden sinnvoll erforscht und dargestellt werden können. »Raum« und sozial-kulturelle Wirklichkeit Die Problematik dieser Konstruktion wird unter den ontologischen Bedingungen der Globalisierung der Lebensbedingungen, wie sie in Band 1 vorgestellt wurden, offensichtlich. Sie bilden die Ausgangsbasis für die hier zu entwickelnde Argumentation. Zur Erleichterung des Einstieges in diese Argumentation ist das dort dargelegte Verständnis von »Ontologie« kurz zu präzisieren. »Ontologie« trägt – nicht zuletzt in unserem Fach – häufig einen Schleier negativer Konnotationen. In der Geographie rührt dies im wesentlichen daher, daß im Zuge der »quantitativ-raumwissenschaftlichen Revolution« den Vertretern der Landschaftsgeographie vorgeworfen wurde, ihre Postulierung der »Landschaft« als Forschungsobjekt impliziere über die Aktualisierung von »Was-ist-Fragen« eine Ontologisierung von Landschaft. Die Landschaftsgeographie wäre konsequenterweise kaum mehr als der wenig erfolgversprechende Versuch, das »wahre Wesen der Landschaft« zu identifizieren. Eine der wichtigsten Implikationen von »Was-ist-Fragen« ist, wie bereits Bartels (1968a) und Hard (1970a; 1970b) für die Geographie gezeigt haben, die Suche nach dem Wesen, dem Sein der Dinge. Antworten auf die Frage nach dem Wesen der Dinge zu geben, ist tatsächlich ein Aspekt, mit dem sich traditionelle – oder besser essentialistische – Ausrichtungen der »Ontologie«, der Lehre von der Seinsweise der Dinge, beschäftigen. In gewisser Hinsicht werden auch in Band 1 – von einem sozialgeographischen Standpunkt aus – Antworten auf das »Wesen« von »Gesellschaft« und »Raum« gegeben. Dies impliziert dort unter anderem die besondere Berücksichtigung der sozialen sowie räumlich-zeitlichen Aspekte der Bedingungen menschlicher Lebensformen, insbesondere im Kontext spät-moderner Verhältnisse. Damit wird die Frage nach den letzten Bestimmungen von Gesellschaft und Raum nicht im traditionell-konservativen Sinne zu beantworten ver-

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sucht. Der Hinweis auf die besondere Bedeutung der aktuellen Bedingungen schließt eine Ontologisierung der Landschaft gerade aus. Die Dynamisierung und Kontextualisierung der Frage nach der Ontologie macht die Sinnlosigkeit der Hoffnung auf »letzte« Antworten auf die Frage nach dem »Wesen« offensichtlich. Der konservative Standpunkt verschließt sich gerade dieser Dynamisierung und Kontextualisierung. Mit ihm ist grundsätzlich die Vorstellung gekoppelt, (bestimmte) Begriffsbedeutungen brächten das wahre Wesen der Dinge zum Ausdruck. Entsprechend gelten dann die Begriffsbedeutungen nicht als das Ergebnis sozialer Konventionen, die in kommunikativer Absicht erzielt werden und im historischen Ablauf durchaus Veränderungen erfahren können, ohne dabei an kommunikativem Gehalt zu verlieren, sondern sie werden als dem »Wesen« der Dinge inhärente Tatsachen angenommen. Konsequenterweise gelten Bedeutungen als weder diskutier- noch entscheidbar. Die Folge davon ist ein hermeneutischer Traditionalismus, dessen »Gegenstände« nicht Bedeutungsgehalte der Handlungen der Subjekte sein können, sondern holistische Entitäten wie »Volk«, »Land«, »Region«, »Landschaft« usw. Eine Landschaft zu verstehen, dürfte aber ebenso schwierig sein, wie die Intentionen eines schmelzenden Gletschers zu ergründen. Das Ontologieverständnis, das den folgenden Ausführungen – im Gegensatz zur essentialistischen Auffassung – zugrunde liegt, verweist einerseits in analytischer Tradition auf die unterschiedlichen Existenzweisen mentaler, sozial-kultureller und materieller Gegebenheiten. Andererseits richtet es sich auf die in unterschiedlichen Epochen vorfindbaren menschlichen Existenzweisen bzw. Lebensbedingungen und Konstitutionsweisen sinnhafter Wirklichkeiten. Letztere sind Ausdruck dessen, was ich Tiefenontologie nennen möchte. Damit ist hier die Seinsweise von »Gesellschaft« und »Raum« gemeint, was in Analogie zur phänomenologischen Maxime »Zu den Sachen selbst« verstanden werden soll: als was »Gesellschaft« und »Raum« von den Subjekten bewußtseinsmäßig konstituiert werden, und nicht was sie »an sich« sind. Im Vergleich zur essentialistischen Position ist damit nicht die Aufforderung zur Bestimmung des »Wesens der Dinge« im Stile von »Das Wesen der Landschaft« gemeint, sondern die Aufforderung, das »Bewußtsein von den Sachen« zu fokussieren. Nicht »Landschaft« oder »Raum« an sich sind von Interesse, sondern das Bewußtsein von dem, wofür man die Begriffe »Landschaft« oder »Raum« verwendet und welche Implikationen damit verbunden sind. Zudem ist zu fragen, welche Implikationen die verschiedenen Ontologien von »Gesellschaft« und »Raum« aufweisen, wenn man mit einer bestimmten

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Sozialontologie über Räumliches spricht (»Das Volk braucht seinen Raum«) bzw. mit einer bestimmten Raumontologie über Soziales. Die Raumontologie kann einerseits unbemerkt zum Bestandteil der bewußtseinsmäßigen Konstitution und Reproduktion der Sozialontologie werden. Andererseits kann aber die Sozialontologie – das Bewußtsein von der Seinsweise dessen, was man mit »Gesellschaft« meint – unterschwellig ein konstitutiver Aspekt der akzeptierten Raumontologie sein. Die unterschwellige, unbemerkte Bedeutung von »Raum« für die Konstitution von »Gesellschaft« zu rekonstruieren und umgekehrt von »Gesellschaft« für »Raum« ist der Kerngedanke dessen, wofür der Begriff »Tiefenontologie« steht. Sie kann sich darin äußern, daß jemand – ohne sich dessen bewußt zu sein – aufgrund einer bestimmten, von ihm/ihr konstituierten Raumvorstellung gegen seine eigentlichen sozialpolitischen Überzeugungen argumentiert. Ein Beispiel dafür wäre etwa eine »liberale« Argumentation zur Erhaltung oder Förderung eines nationalen, territorial gebundenen Heimatbewußtseins. Regionaler Partikularismus Regionalgeographische Forschung und Wirklichkeitsdarstellung ist für die länderkundliche Zielsetzung eine wichtige Reproduktionsinstanz der tiefenontologisch verknüpften Einheit von »Kultur/Gesellschaft« und »Raum«. Die (unbemerkte) interne Verknüpfung ist darin zu sehen, daß die Darstellung sozialkultureller Wirklichkeiten anhand der Newtonschen Raumontologie konsequenterweise eine territorial-biologisch definierte Auffassung von Gesellschaft im Sinne von »Volk«, »Stamm« oder »Ethnie« provoziert. Wer auf der Basis einer völkischen bzw. ethnischen Perspektive räumlich gekammerte, nationalparkähnlich geschützte soziale Wirklichkeiten als »regional-segmentäre (Einheits-)Kulturen« auch unter spät-modernen Sozialverhältnissen postuliert bzw. für deren Erhaltung oder für die Wiederherstellung eines territorialen Partikularismus plädiert, sollte auch die – wenig romantischen – Implikationen bedenken. Entsprechende Argumentationen sind durchaus auch außerhalb der regionalistischen Geographie feststellbar. Eine vergleichbare Tiefenontologie ist beispielsweise von Heidegger in der Begründung seiner vernichtenden Begutachtung des neokantianischen Philosophen Hönigswald im Jahre 1933 angewendet worden. Er bezeichnet Hönigswald – unter Hinweis auf den von diesem propagierten definitorischen Nominalismus und »Liberalismus« – als »Diener einer indifferenten, allgemeinen Weltkultur« (Heidegger, zit. nach Vahland 1995, 1147). Den Universalis-

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mus hält Heidegger deswegen für verwerflich und gefährlich, weil er »vom Menschen in seiner geschichtlichen Verwurzelung und volkhaften Überlieferung seiner Herkunft aus Boden und Blut (ablenkt und damit bereits) (…) junge Menschen getäuscht und irregeführt hat« (Heidegger, zit. nach Vahland 1995, 1147). Wer sich der »antidemokratische(n) Kraft des Völkischen« nicht unterordnet und sich nicht auf räumlich-zeitliche Verankerungen im Stil von Blut und Boden, Herkunft und Tradition verpflichten läßt, der wird zum Feind der biologisch begründeten Territorialgesellschaft »Volk«. Er ist nach dieser (tiefenontologisch) begründeten Einheit von »Raum« und »Gesellschaft« zu vernichten oder zu vertreiben. Ein derart definierter Partikularismus – räumlich bzw. regional und biologisch verankert, Ausdruck einer prä-modernen Ontologie – suspendiert das Subjekt in mehrfacher Hinsicht. Er bereitet, wenn auch (häufig) unbemerkt und unbeabsichtigt, beste Voraussetzungen für völkisch-totalitaristische Diskurse und Herrschaftsformen vor. Entscheidungsmaximen werden ebenso wenig akzeptierbar, wie Diskussion und Diskurs als allgemeine politische Institutionen der Legitimation akzeptiert zu werden brauchen. Interpretation und subjektives Verstehen können als Geschwätz abgetan werden, weil ja der wahre Sinn angeblich – über die Herkunft und Tradition als »völkisches Erbe« bestimmt – schicksalhaft vorgegeben ist, quasi aus dem Boden der Geburt erwächst, und fortan im Blut jedes Einzelnen fließt. »Verstehen« braucht sich dann tatsächlich nicht mehr auf die Subjekte und deren Konstitutionsleistungen zu beziehen, sondern kann das angeblich subjektfreie, ewigwährende »Wesen« der Dinge als Feld des Sinnhaften postulieren. Geographien der menschlichen Praxis Eine Forschungskonzeption, die auf die adäquate Darstellung sozial-kultureller und subjektiver Wirklichkeiten verpflichtet wird, ist als Gegenentwurf zu einer derart reproduzierten Tiefenontologie zu verstehen. Das bedeutet für die traditionelle Regionalgeographie in der Nachfolge Hettners, daß der Universalanspruch der erdräumlichen Lokalisierbarkeit aller Gegebenheiten aufzugeben ist. Es ist genau abzuklären, unter welchen Bedingungen eine erdräumliche Darstellung sozial-kultureller Verhältnisse zulässig ist und wann die traditionelle Methodologie der Regionalgeographie keine sinnadäquate Darstellung dieser Wirklichkeitsdimension ermöglicht. Es ist offensichtlich, daß die Newtonsche Raumontologie, substantialistisch und damit subjektunabhängig angelegt, mit einer Gesellschaftskonzeption in

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Widerspruch treten muß, die dem handelnden Subjekt die einzige zentrale gesellschaftskonstitutive Position einräumt. Der Widerspruch drückt sich vor allem in der Rede vom handelnden Subjekt im Raum aus. Dessen Tun wird als vom (subjektunabhängigen) Raum mitkonstituiert begriffen. Mit einer handlungszentrierten Sichtweise wäre aber eigentlich nur eine Raumontologie kompatibel, die davon ausgeht, daß nicht nur »Gesellschaft« auf Konstitutionsakten der Subjekte beruht, sondern auch »Raum«. Die in Band 1 dargestellte subjektzentrierte Ontologie von »Gesellschaft« und »Raum« gibt für die Forschungskonzeption der »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« die Orientierungsrichtung an, bedarf aber im Hinblick auf ein den spät-modernen Bedingungen angemessenes geographisches Bewußtsein einer doppelten Ausdifferenzierung. Beide Differenzierungen intendieren die Zentrierung des wissenschaftlichen Interesses auf die menschliche Praxis. Damit ist einerseits eine handlungstheoretische Konzeptualisierung der Praxis gemeint, andererseits die Analyse der Konsequenzen des »Bewußtseins von den Sachen« für die soziale Praxis und der für sie relevanten Tatsachen. Die »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« hat demgemäß auf die wissenschaftliche Rekonstruktion und Analyse der Herstellung und Reproduktion alltäglicher Geographien abzuzielen. Sie ist nicht primär auf die Untersuchung von »Räumen« und »deren« Eigenschaften ausgerichtet, sondern erfordert vielmehr eine besondere Fokussierung des wissenschaftlichen Tatsachenblicks auf die Praxis der Subjekte in ihren Lebensformen und -stilen sowie deren lokalen und globalen Implikationen. Es geht vorab um die Erforschung der Bedeutung des Sozialen in der Herstellung und Reproduktion bestimmter Geographien, insbesondere aber um die Erkundung der Bedeutung des Räumlichen für die Konstitution gesellschaftlicher Wirklichkeiten. Dafür ist die geographische Wirklichkeitsanalyse und -darstellung zuerst auf die »Logik« des Handelns auszurichten. Geographinnen und Geographen interessieren sich dann nicht nur für die Geographie der Dinge, sondern vor allem dafür, welche Bedeutung dem alltäglichen Geographie-Machen und den damit verbundenen alltäglichen Regionalisierungen bei der Konstitution von »Gesellschaft« zukommt. Geographie und Globalisierung »Regionalisierung« stellt unter globalisierten Lebensverhältnissen eine der großen Herausforderungen dar. Sie wird hier im Gegensatz zur traditionellen

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Geographie nicht als Verfahren allumfassender, totalisierender erdräumlicher Begrenzung konzipiert. Vielmehr ist damit eine besondere soziale Praxis gemeint, anhand derer die Subjekte die Welt auf sich beziehen. »Regionalisierung« wird hier als Welt-Bindung verstanden und ist Ausdruck des alltäglichen Geographie-Machens durch die handelnden Subjekte unter spät-modernen, globalisierten Lebensverhältnissen. Wissenschaftliche Analysen der Humangeographie sollen diese alltäglichen Regionalisierungsprozesse systematisch rekonstruieren und beurteilbar machen. Die Durchsetzung tiefgreifender Entankerungsmechanismen erfordert ein radikales Überdenken der Verhältnisse von wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Dimensionen der menschlichen Handlungsbedingungen. Aufgrund der qualifizierten Kenntnis dieser Zusammenhänge kann die wissenschaftliche Sozialgeographie Vorschläge für die sinnvolle Abstimmung dieser verschiedenen Bereiche im Sinne von Re-Deregulierungen ins Auge fassen. Eine der praktischen Zielsetzungen der angewandten »Sozialgeographie der Regionalisierung« besteht konsequenterweise darin, die Voraussetzungen zu schaffen, um tragfähige Vorschläge für die Abstimmbarkeit der genannten Bereiche unterbreiten zu können. Die wichtigste Zielsetzung des vorliegenden Buches besteht darin, den Zugang dazu in konzeptioneller Hinsicht zu eröffnen. Dies ist um so dringlicher, als daß der aktuelle Ruf nach Flexibilisierung und Deregulierung allein auf die Vorstellung des Primates des Wirtschaftlichen gegenüber den übrigen Wirklichkeitsdimensionen gerichtet ist. Die damit einhergehende drastische Verkennung der sozial-kulturellen Bedingungen des Wirtschaftens dürfte, gemäß der hier vertretenen Perspektive, ein Konfliktpotential in sich bergen, dessen Dimensionen dringend abzuklären sind. Aufbau des Buches Ausgangspunkt zur Präzisierung dieses Programms bildet in Kapitel 1 Wolfgang Hartkes Konzeption der Sozialgeographie. Er hat als erster überhaupt eine Analyse des alltäglichen Geographie-Machens gefordert. Bereits zwanzig Jahre vor Anthony Giddens schlug er vor, das »geography-making« zum Gegenstand der Sozial- bzw. der Humangeographie zu machen. Hartkes Konzeption wird erst vorgestellt und dann einer kritischen Evaluation unterzogen. Mit dem Ausgangspunkt in Hartkes Konzeption der Sozialgeographie wird es gleichzeitig möglich, auf die Besonderheiten der »Sozialgeographie der Regionalisierung« für ein traditionelles, aber immer noch in breitem Maße prak-

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tiziertes Geographieverständnis aufmerksam zu machen. Wird jedoch das alltägliche Geographie-Machen ins Zentrum gestellt, muß man sich auch mit dem von der traditionellen Geographie vermittelten Weltbild auseinandersetzen, denn dieses ist tief in der alltäglichen Praxis verwurzelt und für das Machen von alltäglichen Geographien entsprechend maßgebend. Ein weiterer Grund besteht darin, daß sich Hartkes Werk besonders gut als Prolog zur Entwicklung einer handlungszentrierten »Sozialgeographie der Regionalisierung« anbietet. Es soll die Vorbereitung zur späteren Auseinandersetzung mit der historischen Rekonstruktion der wissenschaftlichen Regionalisierungspraktiken darstellen – eine Art Orientierungsinstanz, die für den Perspektivenwechsel von den wissenschaftlich-raumzentrierten Regionalisierungsverfahren zu den wissenschaftlichen Rekonstruktionen alltäglicher Regionalisierungsweisen der Lebenswelten sensibilisieren soll. Der Zusammenhang zwischen traditioneller Geographie und aktueller alltäglicher (politischer) Praxis des Geographie-Machens mag auf Anhieb wenig plausibel sein. Er soll hier auch (noch) nicht empirisch begründet werden. Die Kapitel 2–4 bereiten diese Begründung jedoch vor. In diesen drei Kapiteln steht die Darstellung der Implikationen des spät-modernen Zeitalters für eine zeitgemäße Geographie im Vergleich zur traditionellen Weltsicht der geographischen Wissenschaft im Vordergrund. Es werden die entsprechenden Argumentationen entwickelt und Kategorien verfügbar gemacht, welche darauf ausgerichtete empirische Untersuchungen erleichtern sollen. Als erster Schritt wird in Kapitel 2 das Verhältnis zwischen geographischen Forschungskonzeptionen und ihren wissenschaftlichen Regionalisierungsverfahren differenziert. Dieses Verhältnis wird in bezug auf die traditionelle und raumwissenschaftliche Geographie zuerst rekonstruiert und anschließend deren Abstimmung auf die sozialontologischen Bedingungen beurteilt. Die Auseinandersetzung mit der handlungszentrierten Sozialgeographie erfolgt dann im Sinne der Verdeutlichung jener Forschungsperspektive, welche die Voraussetzung für die Erforschung der alltäglichen Regionalisierungen von Lebenswelten bildet. Wenn die Beschreibung der Ontologie der Spät-Moderne mit ihren vielfältigen Entankerungsmechanismen zutreffend ist und die daraus abgeleiteten Folgerungen für die Humangeographie korrekt sind, dann ist zu erwarten, daß die Neugestaltung der Regionalgeographie, als Wissenschaft des Regionalen, mit ernsthaften Problemen konfrontiert ist. Der Dynamisierung der sozialen Welt, so lautet die These, kann nicht lediglich mit einer »neuen« Re-

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gionalgeographie Rechnung getragen werden. Vielmehr ist die Neudefinition von »Regionalisierung« im Sinne von »Welt-Bindung« notwendig. Um den entsprechenden fachhistorischen Kontext dieses Vorschlags verständlich und auf seine Vorzüge und Schwächen aufmerksam zu machen, werden in Kapitel 3 zwei Diskussionsforen strukturiert dargestellt: die jüngste Entwicklung in der deutschsprachigen Debatte und jene der angelsächsischen Geographie, die unter dem Titel »New Regional Geography« seit etwa 1988 intensiv geführt wird. Die Rekonstruktion der deutschsprachigen Debatte setzt bei Eugen Wirths Position an und geht auf die »Forschungsinitiative« zur Erforschung des Regionalbewußtseins in regionalgeographischer Konzeption sowie den Vorschlag einer postmodernen Regionalgeographie von Krüger und Danielzyk ein. Der Ausgangspunkt der angelsächsischen Debatte wird in der sogenannten humanistischen Geographie und ihrer Kritik an der raumwissenschaftlichen Geographie gesehen. Der zweite wichtige Impuls entstammt der Strukturationstheorie von Anthony Giddens. Sie wird von angelsächsischen Geographen wie Gregory, Pred und Thrift als theoretische Grundlage für eine »neue« Regionalgeographie betrachtet. Die dritte »Welle« der Erneuerung reflektiert die Konsequenzen der Postmoderne für die Geographie. Die angelsächsische Debatte thematisiert folgerichtig – allerdings mit anderen Inhalten als in der deutschsprachigen Geographie – die Regionalgeographie der Postmoderne. In Kapitel 4 wird die strukturationstheoretische Basis der »Sozialgeographie der Regionalisierung« entwickelt und die Voraussetzung geschaffen, um jene Mißverständnisse und Widersprüche zu vermeiden, welche in der angelsächsischen Debatte um eine »neue« Regionalgeographie das Erreichen selbstgesetzter Ziele verhindert haben. Die entsprechende sozialgeographische Rekonstruktion der Strukturationstheorie soll sowohl mit der Ontologie spätmoderner Gesellschaften und als auch mit der Ontologie des Raumes vereinbar sein. Zudem ist sie eine Rekonstruktion von einem radikalisierten handlungstheoretischen Standpunkt aus. Schließlich bezieht die Darstellung »Raum« und »Zeit« argumentativ konsequent in die Strukturationsprozesse ein. Eine der Hauptabsichten des Kapitels 4 besteht in der möglichst konsequenten Klärung der Verhältnisse von Handeln und Struktur sowie von Raum und Gesellschaft. Das Verhältnis von Handeln und Struktur, die Praxis der Strukturierung ist dabei ins Zentrum zu stellen, wohingegen Raum und Zeit auf zweiter Ebene einzuführen sind. Dies dürfte nicht nur für die »neue« Regionalgeographie und Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen, son-

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dern ebensosehr für die allgemeine gesellschaftstheoretische Debatte und entsprechende alltagsweltliche Diskurse belangvoll sein. Den Schwierigkeiten, die sich in der angelsächsischen Debatte um eine »neue« Regionalgeographie in Zusammenhang mit der Strukturationstheorie zeigen, ist mit der Klärung dieser Verhältnisse am besten beizukommen. Denn der Hauptargumentationsrichtung der Strukturationstheorie entspricht es, erstens nach den Konstitutionsprozessen der Gesellschaft unter bestimmten raum-zeitlichen Aspekten des Handelns zu fragen, und zweitens die Konstitution von Regionalisierungen zu erörtern. Wenn die konstitutive Kraft der sozialen Welt den handelnden Subjekten zukommen soll, dann können »Raum« und »Zeit« nicht per se als generative Instanzen der Sozialwelt betrachtet werden. Stimmt man dem zu, braucht man die räumliche Komponente trotzdem nicht zu vernachlässigen. »Raum«, »Region« usw. sind dann aber Ausdruck der Konstitutionsleistungen der Subjekte, denen für die Konstitution und Reproduktion der sozialen Wirklichkeit je spezifische Bedeutung zukommt. Die letzten beiden Kapitel (5 & 6) entwerfen die Forschungslogik der »Sozialgeographie der Regionalisierung«. Sie stellen im allgemeinsten Sinne die Hauptdimensionen für die empirische Erforschung des alltäglichen Geographie-Machens und der Regionalisierung der Lebenswelten dar. In Kapitel 5 werden Handlungs- und Strukturationstheorie auf die Globalisierungsprozesse, die neuen Praktiken der Welt-Bindung bezogen. Nach der Klärung des Status der theoretischen Grundlagen der »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« wird die Globalisierung mit den von den Subjekten konstituierten Lebensformen argumentativ in Zusammenhang gebracht. Dabei wird postuliert, daß die Globalisierung jene Dimension menschlicher Praxis darstellt, der sich die wissenschaftliche Geographie bei der Analyse des alltäglichen Geographie-Machens annehmen sollte, da sie als eine der wichtigsten Formen des alltäglichen Geographie-Machens in der Spät-Moderne zu interpretieren ist. Die geographische Analyse der Globalisierung ist kategoriell und analytisch zu differenzieren. Somit stellt sich die Frage, welche Typen von alltäglichen Regionalisierungen der Lebenswelt unter diesen Bedingungen unterschieden werden können. Unter Rückbezug auf Handlungs- und Strukturationstheorie werden über die Unterscheidung ökonomischer, politischer und kultureller Dimensionen der menschlichen Praxis die drei Haupttypen des GeographieMachens ausdifferenziert, über welche die Subjekte die alltäglichen Regionalisierungen der Lebenswelt und die Konstitution der Gesellschaft vollziehen.

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Als Grundorientierung für die entsprechenden empirischen Forschungen werden schließlich die drei Analysefelder der »produktiv-konsumtiven«, »politisch-normativen« sowie »informativ-signifikativen« Typen alltagsweltlicher Regionalisierungen unterschieden. Diese drei Hauptfelder werden in Kapitel 6 thematisch erörtert und anhand der Darstellung der Ergebnisse erster empirischer Untersuchungen im Rahmen der »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« sowohl kategoriell vertieft als auch beispielhaft verdeutlicht. Die drei Analysefelder alltäglicher Regionalisierungen können auch als die Hauptdimensionen der Globalisierung verstanden werden. Im Sinne einer »Dialektik des Globalen und Lokalen« können diese Typen alltäglicher Regionalisierungen der Lebenswelt gleichzeitig auch als die wichtigsten (subjektzentrierten) Formen der Wieder-Verankerung unter spät-modernen Bedingungen begriffen werden. War die alte nationalstaatliche Ordnung vom Prinzip weitgehender (räumlicher) Übereinstimmung von Nationalökonomie, Gesetzgebung und Erziehung/Information geleitet, driften diese drei Kernbereiche unter fortschreitender Entankerung immer stärker auseinander. Wie sie unter den neuen Bedingungen wieder gegenseitig aufeinander abgestimmt werden können, wird eine der brennenden Fragen der näheren Zukunft sein.

Kapitel 1 Geographie und Geographie-Machen

Sowohl alltägliches als auch wissenschaftliches Geographie-Machen weisen im Hinblick auf die Friedensforschung bzw. friedenserhaltende Maßnahmen wichtige politische Implikationen auf. Wolfgang Hartke ist der erste Geograph, der auf diese Themenbereiche aufmerksam gemacht und sie als zentrale Forschungsbereiche der Sozialgeographie vorgeschlagen hat. Freilich bedarf seine Konzeption nicht nur der differenzierten Weiterentwicklung, sondern auch der systematischen Rekonstruktion und Zusammenführung. Denn Hartke selbst kam letztlich nicht mehr dazu, seine verschiedenen Ideenansätze systematisch zu einem Forschungskonzept zusammenzuführen. Die innergeographische Theoriediskussion und Forschungspraxis hat daher auch nur einzelne seiner Ideen aufgegriffen und etwa in der Brachland-1 oder Aktionsraumforschung2 umgesetzt. Doch diese Ansätze der Rezeption seines Werkes blieben isoliert, ohne Einbettung in den übergreifenden Gedankengang. Hartke vollzieht mit seiner Neukonzeption der sozialgeographischen Forschung eine Art kopernikanische Wende der geographischen Perspektive. Er ist bestrebt, sich vom Forschungsgegenstand »Raum« bzw. »Landschaft« abund den »menschlichen Aktivitäten und ihren sozio-kulturellen Hintergründen« (Bartels, 1970a, 113) zuzuwenden. Dabei wird die Kulturlandschaft nicht mehr als eigentlicher Forschungsgegenstand, sondern als »Registrierplatte« zur Erklärung menschlicher Tätigkeiten betrachtet. Die Spuren in der Kulturlandschaft sind als Indikatoren sozialer Prozesse zu interpretieren. Sozialgeographische Forschung wird damit zum »Spurenlesen« sozialer Prozesse – ein Verfahren, das Clifford Geertz (1997), in einer Zeit des Entgleitens der traditionellen Fakten der Disziplin, auch für die Ethnologie vorschlägt. In diesem Zusammenhang ist nun vor allem die Konzeption vom Geographie-Machen zu sehen – eine Formulierung und Betrachtungsweise, die nicht nur für die deutschsprachige Geographie, sondern für die Geographie

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Geographie und Geographie-Machen

und die Sozialwissenschaften insgesamt als Ausdruck einer pionierhaften Uminterpretation des Fachverständnisses zu sehen ist. Die Erforschung des alltäglichen Geographie-Machens – wie man Hartkes Vorschlag im Lichte der phänomenologischen Perspektive nennen kann – wird dabei an das wissenschaftliche Spurenlesen in der Kulturlandschaft gebunden. Die Ergebnisse erlangen im Hinblick auf empirisch gültige wissenschaftliche Regionalisierungen zentrale Bedeutung, und die Bestimmung des Verhältnisses von Alltag und Wissenschaft wird, ohne daß Hartke dies explizit so formuliert, zu einem Kernaspekt sozialgeographischer Forschung. Dabei ist auch die Bestimmung des Verhältnisses von Wissenschaft bzw. Sozialgeographie und Politik mit eingeschlossen. Wie wir sehen werden, sind Hartkes Vorgehen und seine Forschungskonzeption jedoch in mehrerlei Hinsicht problematisch, was insbesondere mit einer nicht konsequent vollzogenen Wende von der Raum- zur Sozialforschung zusammenhängt. Bevor ich die Kritik an Hartkes Vorschlag weiter ausführen kann, ist zuerst sein Programm sozialgeographischer Forschung systematisiert vorzustellen.

Sozialgeographie und politische Regionalisierung Hartkes Blick ist auf die aktuelle Weltpolitik seiner Zeit gerichtet. Es ist die Endphase des europäischen Imperialismus, in der zahlreiche ehemalige Kolonien zu Nationalstaaten wurden. Vor diesem politischen Hintergrund und aufgrund seiner Erfahrungen am Internationalen Arbeitsamt in Genf in den dreißiger Jahren erkennt er, daß die traditionelle Geographie mit den bloßen Verortungs- und Klassifizierungsbestrebungen einerseits und den natur- bzw. geodeterministischen Erklärungsansprüchen andererseits ausgedient hat. Daraus leitet er die Forderung ab, daß eine neue sozialgeographische Perspektive notwendig ist. Sie soll eine angemessene Interpretation politischer und sozialer Prozesse sowie Politikberatung ermöglichen. Demzufolge soll die Aufgabe von Berufsgeographen und -geographinnen darin bestehen, die Entscheidungsträger, welche für Ordnungsaufgaben in räumlicher Hinsicht zuständig sind, mit relevanten Informationen zu beliefern. Engagierte, angewandte Geographie bedeutet, für Entscheidungen jene Informationen bereitzustellen, die politisch angemessene Lösungen möglich machen. Dies ist für ihn um so wichtiger, als in modernen Gesellschaften der »Bedarf an geographischen Kenntnissen und – was ja viel wichtiger ist – an geographischem Verständnis

Alltägliche und sozialgeographische Regionalisierungen

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in der ganzen Welt wächst. Die politischen Probleme machen uns deswegen Sorge, weil man meint, man könne Politik machen, wo es längst darum geht, Geographie zu machen« (Hartke, 1962, 115). Aufgabe der Geographie soll sein, den Krieg nicht als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zu legitimieren, sondern Krieg zu verhindern: »Geographie betreiben soll heißen, die Fortsetzung der Politik mit friedlichen Mitteln zu ermöglichen« (Hartke, 1962, 115). Dafür soll man Politikern und Politikerinnen »jene Einsichten (vermitteln), die sie befähigen, eine angemessene Geographie zu machen« (Hartke, 1962, 115). Oder mit anderen Worten: Die Lösung wichtiger Fragen der post-kolonialen Weltpolitik – das ist es, was Hartke hier anspricht – ist zuerst einmal ein Problem richtigen GeographieMachens. Sie betreffen Probleme der sinnvollen nationalstaatlichen Grenzziehung, der Entwicklung einer angemessenen Infrastruktur, die sich von der kolonialen Logik loslöst, und der Ressourcennutzung. Aber nicht nur auf kontinentaler und nationaler Ebene sind angemessene Grenzziehungen von größter Bedeutung. Denn auch auf alltäglicher lokaler Ebene stelle sich immer wieder die Frage, was durch eine Grenze getrennt sein sollte und wofür sich jede Art von Grenze als Hindernis erweist. Die Beantwortung dieser Fragen verlangt nach einem klaren Bezugskriterium, um begründbar entscheiden zu können, was zusammenbleiben und was voneinander getrennt werden soll.

Alltägliche und sozialgeographische Regionalisierung Jede Form von Regionalisierung steht vor dem Problem, die richtigen Abgrenzungskriterien zu wählen. Als ideale Formen der Trennung betrachtet Hartke die Beziehung zwischen »Werkstatt und Ruhestatt, zwischen Bett und Arbeitsplatz« (Hartke, 1948, 174). Das sind »organische« Pole des alltäglichen Lebens, die nicht durch eine politische Grenze getrennt werden sollten. So wie wir zwischen Küche und Wohnzimmer nicht gerne Zoll zahlen möchten, sollten auch die anderen Bereiche, die über unsere Tätigkeiten miteinander verbunden werden, nicht durch politische Grenzen getrennt werden. Diese Forderung steht in krassem Gegensatz zur traditionellen geographischen Auffassung von »Grenze«. Die traditionellen Geographen – von Ratzel über Hettner bis Otremba und darüber hinaus – haben sich stets auf naturräumliche Gegebenheiten als

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Kriterien der Regionalisierung bezogen. Sie sprechen von »natürlichen Grenzen«: »Die einfacher zu erkennenden, die landschaftlichen, d.h. schlechthin die physischen Faktoren stehen dabei natürlicherweise Pate. Das Ergebnis ist, wenn es gut geht, ein länderkundliches Handwerk« (Hartke, 1948, 174). Flüsse, Gebirge, Bodenzusammensetzung, Landschaft usw. werden dann als Bezugskriterien für die Regionalisierung herangezogen. Dies ist für Hartke mehr als nur wissenschaftlich problematisch, denn für ihn liegt hier »eine der Wurzeln der mißverstandenen ›Blut-und-Boden‹-Beziehungen« (1948, 174). Eine richtig verstandene Sozialgeographie sollte mit dieser Betrachtungsund Vorgehensweise brechen. »Man frage nicht: wo liegen die Grenzen? sondern: Welche Raumbeziehung des täglichen Lebens wünscht man sich am wenigsten durch eine Grenze getrennt?« (Hartke, 1948, 174). Mit anderen Worten: Nicht natürliche Kriterien sollen zur Abgrenzung der administrativen, politischen, nationalstaatlichen u.a. Regionen verwendet werden, sondern die erdräumlichen Grundmuster und Reichweiten der alltäglichen Routinehandlungen. Dies sind die wichtigen Regionalisierungen des Lebens. »La définition des régions est de nature sociale et non physique« (Hartke/Blanc, 1962, 390). Da Regionen sozialer Art sind, sollen sie auch mit sozialen Kriterien begrenzt werden. Wie das zuvor erwähnte Beispiel andeuten sollte, ist dazu zunächst – und dies ist entscheidend – von den alltäglichen Aktionskreisen bzw. Aktionsräumen der Bewohner eines Gebietes auszugehen. Was über die Tätigkeiten innerhalb des entsprechenden Aktionsraumes eine Einheit bildet, sollte auch politisch als Einheit belassen oder zu einer Einheit gemacht werden. Diese Idee der Verwendung des aktionsräumlichen Kriteriums zur Begrenzung von Verwaltungseinheiten, Gemeinden, Regionen usw. gilt für Hartke auch in seiner Umkehrung. Was aktionsräumlich zusammengehört, sollte nicht unnötig durch Verwaltungs- oder andere Grenzen getrennt werden. Zahlreiche Probleme städtischer Agglomerationen auf der ganzen Welt könnten gemäß dieser Betrachtungsweise verkleinert werden, wenn man diesem Prinzip Rechnung tragen würde. Dann müßten nicht nur die Bewohner dieser städtischen Gemeinden den größten Teil der Steuerlast tragen, sondern auch jene, die die entsprechenden kommunalen Einrichtungen nutzen. Auch hier ist ein angemessenes Geographie-Machen gefragt. Die Bezugnahme auf den aktionsräumlichen Kontext als primären Ausgangspunkt der Sozialgeographie weist weitere wichtige Implikationen auf. Grundsätzlich geht es Hartke darum, auf die soziale Basis der Produktion von

Alltägliche und sozialgeographische Regionalisierung

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»Geographien« aufmerksam zu machen, mit denen wir in unseren Aktivitäten tagtäglich konfrontiert sind. »Die großen Wirtschaftsführer«, so Hartke, »die tagtäglich nichts anderes tun als geography-making, frontier-making usw. zu betreiben, indem sie Kapital (…) investieren« (1962, 116), sind die wahren und wirksamen Geographen. Damit ist auch gemeint, daß viele Dinge, die wir in unserem Leben tun, von den Standortentscheidungen mitbestimmt sind, die andere getroffen haben. Doch nicht nur die Wirtschaftsführer und Politiker machen Geographie, sondern wir alle machen unsere eigene Geographie. Allerdings ist nicht jede Art des Geographie-Machens in gleichem Maße konsequenzenreich. Alle »wirksamen« Geographen »tun zusammen alles das, was sich laufend, wenigstens zum Teil, im Landschaftsbild charakteristisch niederschlägt und was von hier aus schließlich auch Ausgangspunkt (…) oder Registrierplatte der reinen wissenschaftlichen Geographie ist« (Hartke, 1962, 116). Aufgabe der wissenschaftlichen Geographie soll sein, aufgrund der kulturlandschaftlichen Spuren die sozialen Prozesse zu erschließen, die dem alltäglichen Geographie-Machen zugrunde liegen. Was wir als »Kulturlandschaft« bezeichnen, ist zuerst einmal als eine Menge der materialisierten Spuren des alltäglichen Geographie-Machens, als »der Form gewordene Teilniederschlag der geglückten oder mißglückten Spekulationen der Menschen zu begreifen. Das Ziel dieser spekulierenden Überlegungen ist (nicht die Landschaftsgestaltung, sondern) die dauerhafte Sicherung der Existenz« (Hartke, 1956, 268). Ein Teil der Folgen dieser Tätigkeiten ist materieller Art. Sie äußern »sich in dem, was wir (…) Kulturlandschaft nennen« (Hartke, 1959, 426) und werden damit kulturlandschaftlich beobachtbar. Daher ist die Kulturlandschaft als Registrierplatte beabsichtigter, vor allem aber unbeabsichtigter Folgen auf andere Ziele ausgerichteter, intentionaler Tätigkeiten zu begreifen. Hartke interessiert nun, unter welchen sozialen Bedingungen unbeabsichtigte Anordnungsmuster produziert werden und welche Bedeutung dabei den von der traditionellen Geographie als determinierend betrachteten natürlichen Bedingungen zukommt. Zudem ist zu klären, welche Rolle die Kulturlandschaft für die Erklärung ablaufender und abgelaufener gesellschaftlicher Vorgänge im Hinblick auf sinnvolle Regionalisierungen spielt. Zunächst geht Hartke davon aus, daß jeder Mensch nicht nur »an einer bestimmte Stelle der Erde mit bestimmten physisch geographischen Eigenschaften hineingeboren (wird, sondern) auch in eine bestimmte Sozialgruppe«

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(Hartke, 1959, 426). Das Wissen, das sich eine Person erwirbt, die Fähigkeiten, die sich jemand aneignen kann, werden durch diese Gruppe erleichtert oder erschwert, das heißt in jedem Falle mitbestimmt. Jede Person wird mit den Erwartungen der anderen Gruppenmitglieder konfrontiert und durchläuft das, was man im allgemeinen mit Sozialisation bezeichnet. Daraus ist ersichtlich, daß die menschlichen Tätigkeiten durch Gruppenerwartungen mitbestimmt werden. Jedes Handeln beruht aber auch auf bestimmten subjektiven Erwägungen. »Das Handeln kann diesen (subjektiven) Spekulationen entsprechen oder nicht entsprechen. Es kann geglückt oder mißglückt sein« (Hartke, 1959, 426). Anders ausgedrückt geht Hartke davon aus, daß jeder Mensch mit seinen Tätigkeiten unter Berücksichtigung der in seiner Zugehörigkeitsgruppe vorherrschenden Werte und Normen in die physische Welt eingreift. Er verwirklicht dabei nur jene Entwürfe und verwendet nur jene Mittel, die den Erwartungen seiner Sozialgruppe entsprechen. Mit dieser Grundlage sind mehrere wichtige Konsequenzen verbunden. Daraus wird die Folgerung abgeleitet, daß die verschiedenen Geofaktoren, das heißt die natürlichen Bedingungen, immer nur unter bestimmten (zielund vor allem) wertspezifischen Gesichtspunkten in die subjektiven Überlegungen einbezogen werden. Nicht der »Gesamtwert einer Landschaft, der im wesentlichen als feststehend gedacht und praktisch meist an den absoluten, wenig veränderlichen, natürlichen Gegebenheiten wie Fruchtbarkeit und Bodenschätzen gemessen« (Hartke, 1959, 428) wird, ist sozialgeographisch relevant, sondern »die ständig sich wiederholenden Bewertungsprozesse, die gegenüber den einzelnen Geofaktoren ihres Bereiches vorgenommen werden« (Hartke, 1959, 428). »Der Mensch bezieht dabei alle greifbaren Faktoren in seine Spekulationen ein, aber nicht mit einem den Faktoren selbst innewohnenden absoluten Wert, sondern mit einem je nach gegebenen Umständen ihm von der menschlichen Gesellschaft selbst zugeschriebenen Wert« (Hartke, 1956, 268). Entscheidend ist bei den Eingriffen in die Natur somit nicht mehr allein die physische Konstellation einer bestimmten Gegend, sondern die Bewertung der natürlichen Tatsachen durch die Akteure, deren Interpretationen aufgrund des verfügbaren Wissens. Diese Interpretationen hängen ihrerseits von den kulturellen Wertordnungen ab, auf die sich die Akteure jeweils beziehen, von den subjektiven Zielsetzungen der jeweiligen Tätigkeiten und insbesondere auch von den zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten. Die Vorstellungen, wie vorzugehen ist, um die eigene Existenz zu sichern, sind

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somit mindestens ebenso ausschlaggebend wie die natürlichen Bedingungen selbst. Der Fehler der bisherigen »geomaterialistischen oder environmentalistischen« Positionen liegt nach Hartke (1956, 260) darin, »daß man nur naturgeographisch zu denken vermochte. Man ging von der Tatsache aus, daß die naturräumlichen Voraussetzungen, unter anderem Klima und Bodeneigenschaften konstant bleiben und argumentierte dann aus zwei Prämissen heraus: einmal, daß Mensch gleich Mensch sei und dann, daß der Mensch die feststehenden Eigenschaften der natürlichen Ausstattung des Raumes in feststehender Weise berücksichtigen müsse und nur so berücksichtigen könne.« Beide Prämissen sind für ihn unhaltbar. Jede Art der Nutzung der natürlichen Bedingungen hängt vielmehr vom soziokulturellen Kontext ab, zu dem die Handelnden eines bestimmten Gebietes gehören: »Die Rolle der Geofaktoren bei der Verhaltens-Motivation wird bestimmt von der jeweils gültigen Wertordnung der betreffenden sozialen Gruppen« (Hartke, 1959, 426). »Les évaluations qui diffèrent selon les groupes sociaux déterminent les processus de travail, lesquels s’inscrivent enfin dans le paysage« (Hartke/Blanc, 1962, 390). Unabhängig davon, ob die gruppenspezifischen Interpretationen den wirklichen oder vorgestellten Eigenschaften entsprechen, büßen sie »nichts an Realität für die die Landschaft prägenden Prozesse ein« (Hartke, 1959, 427). Denn ausschlaggebend ist primär die Wertordnung und nicht die ›an sich‹ bestehenden physischen Qualitäten. Die naturwissenschaftlich bestimmten, »absoluten Eigenschaften der geographischen Räume (werden) von den in ihnen lebenden Sozialgruppen ständig nach ihren Wertmaßstäben neu bewertet. Dann erst wird entschieden, welchen Stellenwert die absoluten, womöglich meßbaren Eigenschaften der Geofaktoren, wie Bodeneigenschaften und Klimamerkmale, in der Wertskala der betreffenden Sozialgruppe erhalten« (Hartke, 1961, 105). Damit wird klargestellt, daß die Erfassung der verschiedenen Geofaktoren in ihrer erdräumlichen Verbreitung nicht zur Erklärung sozialer Tatbestände ausreicht. Spielen sie aber überhaupt eine Rolle? Die Antwort im Sinne Hartkes lautet: Nicht die Geofaktoren determinieren die sozialen Verhältnisse, sondern die sozial bestimmten Interpretationsmuster entscheiden darüber, welche Bedeutung Geofaktoren beigemessen wird. In der Beschreibung der sozialen Differenzierung der Mensch-UmweltBeziehung erlangt die Sozialgruppe dementsprechend zentrale Bedeutung. Hartkes Hauptkriterium für die Unterscheidung von Sozialgruppen bezieht

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Geographie und Geographie-Machen

sich auf den Beruf bzw. die Art der wirtschaftlichen Tätigkeit. Zum »Mitglied« einer Sozialgruppe werden somit alle Personen, welche die gleiche Berufsbezeichnung aufweisen. Entsprechend wird zwischen den Sozialgruppen der »Bauern«, »Arbeiterbauern«, »Kleinbauern«, der »agrarischen Sozialgruppe«, und »Arbeitern«, »Beamten«, »Hausierern« und ähnlichen, eher ländlich geprägten Einheiten unterschieden. Diese Sozialgruppen weisen nach Hartke deshalb eine klare regionale Begrenzung auf, weil sie nur innerhalb bestimmter Aktionsräume aktiv sind. Ziel ist es dann, die »Grenzen der Reichweite der sozialgruppenmäßig bestimmten Arbeitsprozesse« bzw. »Räume gleichen Verhaltens sozialer Gruppen« aufzudecken. Aus der Tatsache, daß jeder Mensch in eine Sozialgruppe hineingeboren wird und jede Sozialgruppe auch regional begrenzt ist, schließt Hartke (1959, 427), daß auch »die Reichweite der gruppenmäßig bestimmten Einzelhandlungen gering« und somit regional begrenzt ist. An die Stelle der Verbreitungsanalyse verschiedener materieller Strukturelemente der Kulturlandschaft soll die Regionalisierung der Wertungsbereiche der physischen Welt durch die sozialgruppenbestimmten Arbeitsprozesse treten. Um die Gebiete gleicher Wertungsbereiche und gleichartigen Handelns gegenüber der physischen Welt abgrenzend erfassen zu können, sind die erdräumlichen Grenzen und Reichweiten der Handlungen zu erfassen. Es soll festgestellt werden, welche Reichweiten die nachhaltige »Verfügungsgewalt oder gar die Verfügungsfreiheit der einzelnen Mitglieder der betreffenden Gruppe über die Geofaktoren (aufweisen), also die örtliche Reichweite der Teilnahme am Produktions- und Marktgeschehen« (Hartke, 1959, 427) umrissen werden. Hartke geht zwar abschwächend davon aus, daß es »auf der Erde nur ganz wenige Grenzen geben dürfte, die für alle sozialen Gruppen in gleicher Weise verbindlich sind« (Hartke, 1959, 427), doch er ist zugleich davon überzeugt, daß es sehr starke Tendenzen in Richtung größerer Homogenität gibt, so daß die Aufdeckung solcher Kammerungen durchaus als sinnvolle Aufgabe betrachtet werden könne.

Zielsetzungen sozialgeographischer Forschung Die sozialgeographische Forschung soll zwei Aufgabenbereiche3 fokussieren. Die erste bezieht sich auf die sozialgeographische Grundlagenforschung, die zweite auf die Wissenschaftsanwendung in Regional- und Raumplanung:

Kritische Diskussion

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1. Beschreibung und Erklärung der Gliederung der Welt im sozialen Kontext, das heißt Erfassung und Erklärung der räumlichen »Kammerung« der Gesellschaft bilden das erste zentrale Anliegen sozialgeographischer Grundlagenforschung. Diese Aufgabe ist nach Hartke (1959, 429) um so wichtiger, als die Sozialwissenschaften den erdräumlichen Aspekt der gesellschaftlichen Wirklichkeit bisher aus ihren Betrachtungen ausgeschlossen hätten. Sind die »Kammerungen« der alltäglichen Regionalisierungen des sozialen Lebens aufgedeckt, sind die wissenschaftlichen Regionalisierungen darauf zu beziehen. 2. Mittels der Bestimmung der sozialgeographischen Räume soll Aufschluß über »die Gesetze menschlichen Zusammenlebens« (Hartke, 1959, 427) gewonnen werden. Aus den »Gesetzen menschlichen Zusammenlebens« sind im Rahmen der Angewandten Geographie Aussagen für die Politik abzuleiten, die in regionalpolitische Maßnahmen umzusetzen sind.

Kritische Diskussion Hartkes Auffassung vom Geographie-Machen eröffnet den Weg für eine engagierte Geographie, welche politische Probleme erkennt und deren geographische Dimension erkennbar macht. Zudem weist er erstmals darauf hin, daß die Sozialgeographie einen wichtigen Beitrag für die Friedensforschung leisten könne. Hartke zeigt, daß Staats- und Regionsgrenzen immer einen sozialen Charakter aufweisen bzw. als Ergebnis sozialer Regionalisierungen zu begreifen sind. Dies läßt vermuten, Hartke hätte damit der raumzentrierten Sozialgeographie bereits vollständig den Rücken gekehrt. Dies ist aber nicht der Fall. Die Basisprämisse, die Kulturlandschaft als Registrierplatte für die Aufdeckung von sozialen Prozessen zu betrachten, ist zwar originell, aber in ihrer programmatischen Einbettung in doppelter Hinsicht problematisch. Das erste Problem besteht darin, daß die Frage, unter welchen Bedingungen man – unter Bezugnahme auf Handlungsfolgen – die Erklärung von Handlungen ins Auge fassen kann, nicht geklärt wird. Damit sozialgeographische Forschung zur Gesellschaftsforschung werden kann, ist aber genau abzuklären, wie Handlungen unter Bezugnahme auf materialisierte Folgen erklärt werden können. Das zweite Problem betrifft die mangelnde soziale Differenziertheit der Analysekriterien. Die Bildung von sozialgeographischen Gruppen reicht nicht aus,

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Geographie und Geographie-Machen

um das Wissen über die soziale Welt entscheidend zu verbessern. Dies ist ein Problem, das auch von Hartke selbst erkannt wird. In einer längeren mündlichen Intervention am Deutschen Geographentag in Köln sagte er 1961: »Was wir haben (…) betrachten können, das sind (nicht einmal) Sozialgruppen i. e. S. Wir wissen sehr genau, daß wir uns haben behelfen müssen« (Hartke, 1962, 179). Nicht Gruppen an sich oder für sich können handeln, sondern nur Subjekte, und zwar unter jeweils spezifischen sozialen, kulturellen und materiellen Bedingungen. Zudem ist es in den meisten Fällen wohl wichtiger zu wissen, in welcher sozialen Position eine Person handelt, als lediglich ihre Zugehörigkeitsgruppe zu kennen. Damit ist gemeint, daß mit der Bezugnahme auf Berufsgruppen ein zu grobes Raster angelegt wird, um differenzierte Rückschlüsse zu ermöglichen. Das dritte Problem besteht in der widersprüchlichen Verfangenheit im raumzentrierten Blick. Diese ist Hartke nicht entgangen: »Wir sind in der Sozialgeographie, wie mir scheint, noch keineswegs am Kern bei dem Versuch, die Zusammenhänge zwischen Raumbildung und Gesellschaft zu klären und in ein System zu bringen« (Hartke, 1962, 179). Mit dem Hinweis auf den Primat der sozialen Bestimmungsgründe menschlicher Tätigkeiten ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan. Allerdings äußert sich Hartkes Verfangenheit in der raumzentrierten Argumentation – die in der Geschichte der Geographie so häufig zu beobachten ist – zunächst darin, daß die wissenschaftliche Regionalisierung letztlich auf die Bezugnahme auf räumliche bzw. aktionsräumliche Indikatoren und Handlungsreichweiten angelegt ist. Diese sollen anhand von kulturlandschaftlichen Indikatoren erschlossen werden. Wird dieses komplizierte Verfahren so abkürzt, wie dies in der sozialgeographischen Regionalisierungspraxis häufig der Fall ist,4 und die Reichweiten der alltäglichen, periodischen und episodischen Aktivitäten bei den Akteuren erfragt, handelt es sich um ein reduktionistisches Verfahren. Wäre dieses Vorgehen ausreichend, um den sozial-weltlichen Kontext angemessen zu erschließen, dann müßte dies gemäß der bereits zitierten Auffassung – daß Regionen Ausdruck alltäglicher sozialer Interpretationsprozesse und nicht physischer Art sind – voraussetzen, daß sich das Soziale in Aktionsräumen vollständig abbilden läßt. Dies kann aber nicht behauptet werden, ohne zugleich eine durchweg materialistische Position zu beziehen. Es ist somit festzustellen, daß Hartkes wissenschaftliches Regionalisierungsverfahren der eigenen Argumentation in weiten Teilen widerspricht. Dies hat zwei Gründe.

Kritische Diskussion

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Der erste Grund besteht in der Konzentration auf traditionelle, geographisch-kartographische Methoden. Die Fixierung auf kartographierbare Gegebenheiten als Ausgangs- und Endpunkt sozialgeographischer Forschung impliziert eine, wenn auch nicht durchweg materialistische, so doch reduktionistische Tendenz sozialgeographischer Regionalisierung. Ein zweiter Grund ist darin zu sehen, daß die Thematik der Regionalisierung mit der Mensch-Umwelt-Beziehung verknüpft und über die Rekonstruktion der Aktionsreichweiten gleichzeitig die Unhaltbarkeit des Naturbzw. Geodeterminismus nachgewiesen wird. Auch wenn Hartke so den klassischen Natur- bzw. Geodeterminismus überwinden kann, gestaltet sich die Regionalisierungsthematik trotzdem problematisch. So geht es auch darum, die erdräumliche Kammerung der Gesellschaft aufgrund gleichförmiger Eingriffe der Sozialgruppen in die Natur nachzuweisen. Damit ist eine doppelte Rückbindung an das Forschungskonzept der traditionellen Geographie verknüpft: einerseits über die landschaftlich beobachtbaren Indikatoren gleichmäßiger Naturtransformation in der Begrifflichkeit von Geofaktoren (»Verfügungsgewalt oder gar die Verfügungsfreiheit der einzelnen Mitglieder der betreffenden Gruppe über die Geofaktoren« (Hartke, 1959, 427)); andererseits durch die Behauptung, daß das Ausmaß der Kontrolle über die Geofaktoren »die örtliche Reichweite der Teilnahme am Produktions- und Marktgeschehen« (Hartke, 1959, 427) bestimmt. In beiden Rückbindungen finden zwei für die traditionelle Geographie typische Grundannahmen ihren Ausdruck. Beide beziehen sich auf traditionelle Gesellschaften und deren raum-zeitliche Verankerung. Damit ist gemeint, daß mit der methodischen Konzeption der Analyse des Geographie-Machens die Vorstellung der »Naturverankertheit« der Gesellschaft und eine strenge räumliche Kammerung des Gesellschaftlichen zugrunde gelegt wird. Obwohl Hartke in der theoretischen Argumentation den ersten Punkt heftig bekämpft und den zweiten explizit abschwächt, bauen das methodische Konzept und weitgehend auch die beiden Hauptzielsetzungen auf diesen beiden Prämissen auf. Kurz: Hartkes Forschungskonzeption und Methode setzen insgesamt das voraus, wogegen seine übrige Argumentation gerichtet ist. Unter räumlich und zeitlich verankerten Bedingungen wären die Chancen auf eine differenzierte Rekonstruktion des Handelns aufgrund seiner materialisierten Spuren somit wesentlich größer. Unter spät-modernen, entankerten Bedingungen sind die raumzentriert angemessen rekonstruierbaren Wirklichkeitsbereiche aber in zunehmendem Maße eingeschränkt.

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Die Verknüpfung der methodischen Konzeption mit der Prämisse des Vorhandenseins traditioneller Gesellschaften dürfte Hartke nicht aufgefallen sein, weil er seine Untersuchungen primär in ländlichen Gebieten durchführte und letztlich die räumliche Sichtweise des Gesellschaftlichen nicht völlig überwinden konnte. Man kann sagen, daß Hartke die enorme Bedeutung sozialer, alltagsweltlicher Regionalisierungen erkannte und auch sah, daß sich die wissenschaftliche Regionalisierung durch die Geographen nicht auf naturräumliche Gliederungen beziehen darf, wenn sie nicht der Blut-und-Boden-Ideologie verfallen will. Doch die theoretische Durchdringung und in Anschlag gebrachte Konzeption der sozialen Welt, zusammen mit der teilweise verbleibenden Raumzentriertheit, ermöglichen kein vertieftes Verständnis des »sozialen Charakters der Regionen« und der Bedeutung von Regionalisierungen für die soziale Welt. Dies zu leisten, bildet das Ziel der »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen«.

Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen In spät-modernen Gesellschaften können Regionalisierungen definitiv nicht mehr aufgrund kulturlandschaftlicher Indikatoren erfaßt werden. Denn hier ist nur noch ein geringer Anteil der menschlichen Handlungen ausschließlich an die unmittelbare körperliche Vermittlung gebunden. Oder anders formuliert: Die Erfassung der körperbezogenen Aktionsräume spiegelt die sozialen Verhältnisse nur unzureichend wider. Das regional Beobachtbare und kulturlandschaftlich Erschließbare ist aufgrund der vielfältigen Entankerungsmechanismen nicht mehr bloßer Ausdruck lokaler Verhältnisse und räumlich formierter Sozialgruppen. Sie sind vielmehr in zunehmendem Maße Ausdruck globaler Zusammenhänge, zumindest in sozialer Hinsicht. Die Konsequenzen der Moderne bzw. der Globalisierung führen diesbezüglich auch zu dem, was Mondada/Panese/Søderstrøm (1992, 5) als »crise de la lisibilité du paysage« bezeichnen, als Krise der Lesbarkeit der Landschaft. Duncan (1992, 81) schreibt im gleichen Zusammenhang von »problems of reading of the intertextual« bei der Re-Präsentation der Landschaft durch die wissenschaftliche Geographie. Die entsprechende frankophone und angelsächsische Debatte begreift »Landschaft« grundsätzlich als Text, als Form der sozialen Repräsentation, ohne allerdings eine differenzierte Sensibilität in

Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen

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Hartkes Sinne dafür zu entwickeln, daß die Landschaft in wesentlichen Teilen das unbeabsichtigte Ergebnis menschlicher Handlungen ist. Das dürfte im Vergleich zu geschriebenen Texten doch ein wichtiger Unterschied sein. Die Feststellung der wachsenden Schwierigkeiten beim Lesen der Landschaft ist allerdings unabhängig davon ein wichtiger Hinweis auf dessen Grenzen unter spät-modernen Bedingungen. Doch dies ist nicht primär als ein Problem der Brillenstärke oder gar als Legasthenie der Lesenden zu interpretieren. Das Leseproblem ist nicht auf der Subjektseite zu suchen, sondern auf der Objektseite. Denn über die Entankerungsmechanismen ist die Registrierplatte »Landschaft« in wichtigen Aspekten unsensibel geworden. Das »Spurenlesen« (Hard, 1995; Geertz, 1997) wird unter diesen Bedingungen somit vor höchst anspruchsvolle, wenn nicht unlösbare Probleme gestellt. Auch für jene Bereiche, für welche diese Konzeption weiterhin sinnvoll sein könnte, bedarf es der Durchdringung der sozialen und subjektiven Entstehungskontexte. Wir brauchen dazu eine differenziertere Kenntnis vom Gesellschaft-Raum-Verhältnis, als dies Hartke zur Verfügung stand. Er hat die Richtung gewiesen. Doch der Weg zur sozialgeographischen Analyse, deren Ergebnisse den Kriterien der Adäquanz und empirischen Gültigkeit genügen können, ist in beachtlichem Maße erst noch zu gehen. Dabei wird insbesondere zwischen verschiedenen Typen alltäglicher Regionalisierungen zu unterscheiden sein, die unter den Bedingungen der Globalisierung und der entsprechenden Entankerungsmechanismen über ihre subjektiv konstituierten Handlungsweisen vollzogen werden. Dies wird notwendig sein, um der Auflösung regional geprägter Gesellschaften Rechnung tragen zu können. Der handlungszentrierten Geographie kommt dann die Aufgabe zu, nicht mehr Räume oder räumliche Ordnungen zu erforschen, sondern das alltägliche Geographie-Machen auf wissenschaftliche Weise zu untersuchen. Dazu ist die (ideologische und demagogische) Inwertsetzung der Landschaften der symbolischen Repräsentation in die Analyse einzubeziehen. Doch dies ist dann nicht mehr Landschaftsanalyse im traditionell geographischen Sinne, sondern die Analyse der sozialen Konstruktion von der »Landschaft« und deren Verwendung für die politische Praxis. In der Beurteilung der aktuellen Bedingungen kann man sich Elisabeth Lichtenberger (1995, 6) anschließen, die darauf hinweist, daß die in der traditionellen Landschafts- und Regionalgeographie praktizierte Ausblendung der Subjekte »bei allem Respekt, (heute) falsch« ist. Denn heute handeln die Subjekte »so unterschiedlich, daß die Gruppe praktisch keinen Bezugsrahmen

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Geographie und Geographie-Machen

mehr abgibt.« Diese sozialontologischen Bedingungen hat die Geographie mit allen Konsequenzen zu berücksichtigen. Dafür ist Hartkes Konzeption von Geographie-Machen zu radikalisieren, den neuen sozialontologischen Bedingungen anzupassen. Diese Weiterentwicklung ist jedoch bis zur Entstehung der Debatte um die »neue« Regionalgeographie (Kapitel 3) nicht angegangen worden. Denn fachhistorisch rückte mit der »quantitativen Revolution« die raumwissenschaftliche Geographie in den Vordergrund, die konzeptionell in eine andere Richtung wies. Nicht die wissenschaftliche Rekonstruktion und Analyse der alltäglichen Formen des Geographie-Machens bzw. alltägliche Regionalisierungen standen dort konzeptionell und methodisch im Zentrum, sondern vielmehr die wissenschaftliche Regionalisierung.

Kapitel 2 Region und wissenschaftliche Regionalisierung

Die Geschichte der theoretischen Debatten um die Regionalisierung ist beinahe so alt wie die Idee der Regionalgeographie. Die Vorstellungen einer angemessenen Regionalgeographie sind ihrerseits an das jeweils vorherrschende Geographieverständnis gebunden. Wie bereits betont, ist dieses Geographieverständnis in jeder Epoche in doppelter Hinsicht an die sozialen Verhältnisse gebunden. Einerseits ist es im zustimmenden oder ablehnenden Sinne immer tangiert von der institutionellen Einbettung des Faches in die jeweilige soziale Wirklichkeit. Nachdem sich die Geographie zur Disziplin mit wissenschaftlichem Anspruch entwickelt hatte, sind ihre Aufgabenfelder in Zusammenhang mit technologischen, politischen und sozialen Veränderungen zu sehen. Dies wird im Zeitalter des Imperialismus/Kolonialismus1 und im Dritten Reich2 in besonderem Maße offensichtlich. Andererseits besteht zudem eine Rückgebundenheit an die Sozialverhältnisse, welche Gegenstand empirischer Forschung sind. In dieser Hinsicht sind die Forschungskonzeptionen und -methoden auf die je spezifischen sozialontologischen Verhältnisse abzustimmen. Diese doppelte Rückbindung an den sozialen Kontext gilt prinzipiell für jede empirische Sozial- und Kulturwissenschaft. Für die Humangeographie äußert sich die doppelte Rückbindung meist mit zeitlicher Verzögerung.3 Für die klassische Regionalgeographie sind insbesondere die historischen Phasen der großen Entdeckungen, die Entstehung wie die Konsolidierung der Nationalstaaten und die Kolonialzeit von überragender Bedeutung. Das entsprechende System der geographischen Wissenschaft bzw. des geographischen Selbstverständnisses wird allgemein als »Traditionelle Geographie« bezeichnet. Mit der Intensivierung der Industrialisierung, dem extremen Wachstum des Dienstleistungssektors sowie entsprechenden Kommunikations- und Informationsspeichermedien ist die Entstehung der sogenannten raumwissenschaftlichen Geographie verbunden. Sie hat in der von Burton (1963) erstmals als

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»quantitative Revolution« bezeichneten methodischen Erneuerung geographischer Arbeitsweisen, vor allem auch der Regionalisierungsverfahren, ihren Höhepunkt erfahren. Hier wird die wissenschaftliche geographische Regionalisierung erstmals – aber in bezug auf das allgemeinere raumwissenschaftliche Selbstverständnis – als Anwendungsform (analytischer) Klassenbildung verstanden. Regionenabgrenzungen werden als spezifische Klassifizierungsverfahren verstanden (Bartels, 1968a; Johnston, 1978). Mit denselben gesellschaftlichen Bedingungen ist die Münchner Sozialgeographie zu sehen. Die theoretische Grundlage von Partzsch (1964; 1970) ist sogar ausdrücklich auf die sogenannte Funktionsgesellschaft bezogen. Die wissenschaftlichen Regionalisierungen des Münchner Ansatzes sind explizit und konsequent Ausdruck des allgemeinen sozialgeographischen Selbstverständnisses. Dieses geht davon aus, daß alle wichtigen Lebensbereiche auf sieben Daseinsgrundfunktionen zurückgeführt werden können. Die Aufgabe der Sozialgeographie wird darin gesehen, diesen sieben Lebensbereichen entsprechende Räume mittels raumplanerischer Maßnahmen in ausgewogenem Verhältnis verfügbar zu machen. Wissenschaftliche Regionalisierungen sind daher eher prospektiv-planerisch angelegt und nicht so sehr rekonstruktiv, wie dies in der Humangeographie sonst weitgehend der Fall ist.4 In Zusammenhang mit der handlungstheoretischen Sozialgeographie – bei der den Handlungen der Subjekte, dem subjektiven Handeln zentrale Bedeutung zukommt – werden die Konsequenzen für die Regionalgeographie und die entsprechenden Regionalisierungen erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit diskutiert. Die genannten Auffassungen von Geographie mit ihren jeweiligen Implikationen für die Regionalisierung und schließlich auch für die Regionalgeographie zu rekonstruieren, ist das Ziel dieses Kapitels. Die Erörterung ihrer historischen Kontexte soll begreifbar machen, weshalb die Regionalforschung gegenüber der wissenschaftlichen Erforschung alltäglicher Regionalisierungen bisher Vorrang hatte und weshalb es sinnvoll ist, dieses Verständnis nun umzukehren.

Traditionelle Geographie Der Zusammenhang zwischen Sozialontologie und der geographischen Forschungslogik sowie Weltsicht kommt in der traditionellen Geographie auf besonders kontrastierte Weise zum Ausdruck. Die Sozialontologie, auf der

Traditionelle Geographie

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diese Geographie aufbaut, ist jene der traditionellen Gesellschaften. Unter diesen Bedingungen war eine räumliche Darstellung sozialer und kultureller Verhältnisse plausibel. Die relative Gleichförmigkeit von Gesellschaften und Kulturen über längere Zeit hinweg, die enge Kammerung der Aktionsreichweiten der meisten Gesellschaftsmitglieder, die körperliche Anwesenheit als notwendige Kommunikationsbedingung sowie die raum-zeitliche »Einheit« der Handlungsorientierung legten dies nahe. Mit anderen Worten: Die Idee der humangeographischen Regionalforschung, die in Hettners länderkundlichem Schema ihren klarsten Ausdruck findet, mochte als Organisationsmodell geographischer Forschung sinnvoll erscheinen. Die relative Plausibilität hängt – gemäß der Argumentation in Band 1 – vor allem damit zusammen, daß die »Verankerung« der Traditionen und Handlungsroutinen über räumliche und zeitliche Festschreibungen bzw. raum-zeitlich kodiert stattfand. Die strategische Einsetzung raum-zeitlicher Bedingungen zur Regulation sozial-kultureller Verhältnisse führte oberflächlich betrachtet zu räumlich differenzierbaren sozialen Gliederungen. Als Aufgabe geographischer Regionalforschung wurde daher auch die systematische Darstellung der regional differenzierten Sozialverhältnisse postuliert. Dies setzt die mindestens implizite These voraus, daß raum-zeitliche Kategorien zur Darstellung sozial-kultureller Differenzierungen angemessen sind. Zu behaupten, dies wäre angemessen, setzt wiederum voraus, daß man davon überzeugt ist, das Sozial-Kulturelle weise immer auch eine unmittelbare räumliche Existenz auf. Zudem spielte die Grundannahme eine wichtige Rolle, die vorgefundene erdräumliche Kammerung des Sozialen und Kulturellen sei Ausdruck der erdräumlichen Differenzierung der physischen und biologischen Verhältnisse. Dies ist einerseits der Kern der Idee des Geo- bzw. Naturdeterminismus und andererseits die Konsequenz des Einheitsprogramms der »wissenschaftlichen Geographie« unter naturwissenschaftlicher Vorherrschaft (vgl. Übersicht 1). Für den Plausibilitätsnachweis beider wurde in der traditionellen Geographie ein beachtlicher Aufwand betrieben. »Länder« und »Landschaften« erscheinen als »Raumgestalten«, in denen »Natur«, »Kultur« und »Gesellschaft« zu einer Einheit zusammenwachsen. Diese suggerierte Einheit von Gesellschaft, Kultur und Natur wird gleichzeitig zum identitätsstiftenden Vehikel für die Durchsetzung der nationalstaatlichen Organisation der Gesellschaften. In jenem historischen Moment, in dem über die Industrialisierung die traditionelle durch eine moderne Ordnung ersetzt wird, bietet die Geographie eine allgemein befriedigende Darstellung der

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»nationalstaatlichen Gesellschaften«: als Raumgebilde, die durch »natürliche« Grenzen zusammengehalten werden. Was dabei ist, sich aus der traditionellen räumlichen Verankerung zu lösen, wird quasi kontrafaktisch als räumlich verankert repräsentiert.

Übersicht 1: Das System der traditionellen Geographie

Die wissenschaftslogische Rechtfertigung der entsprechenden Regionalforschung bringt Hettner (1927, 267) folgendermaßen auf den Punkt: »Mit der Übergehung der menschlichen Willensentschlüsse führen wir die geographischen Tatsachen des Menschen auf ihre durch die Landesnatur gegebenen Bedingungen zurück.« Damit wird jede Form subjekt-, sozial- und kulturspezifischer Interpretation »natürlicher« Bedingungen als handlungsrelevante Gegebenheit in Abrede gestellt. Dies begründet den Naturdeterminismus traditioneller Geographie und die Vorrangstellung der Physischen Geographie gegenüber der Humangeographie bzw. von »Natur« gegenüber »Mensch«. Hinter diesem (impliziten) Natur- und Geodeterminismus versteckt sich letztlich eine Art vulgärer Materialismus gemäß dem die Materie das Handeln ebenso determiniert wie gesellschaftliche Entwicklungen und kulturelle Wirklichkeiten. Dessen Gültigkeit würde voraussetzen, daß der »Raum« tatsächlich als Forschungsobjekt besteht und daß eine angemessene Darstellung sozial-kultureller Gegebenheiten in räumlichen Kategorien ebenso möglich

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ist. Wie in Band 1 gezeigt, sind beide Voraussetzungen nicht gegeben, und das entsprechende geographische Selbstverständnis ist somit fragwürdig. Doch auch dort, wo die traditionelle Geographie nicht in das naturdeterministische Argumentationsmuster eingebunden war, bildete das MenschNatur-Verhältnis das zentrale Thema; war die traditionelle Gesellschaft die notwendige Bedingung, damit die entsprechende Methodologie plausibel erscheinen konnte. Das war insbesondere beim Hauptvertreter der possibilistischen traditionellen Humangeographie, Paul Vidal de la Blache, der Fall. Wenn es ihm auch um den Nachweis der Indeterminiertheit menschlicher Tätigkeitsvollzüge in ihrem (natur-)räumlichen Kontext ging, so waren für ihn die natürlichen Bedingungen als Regionalisierungsvorgabe von ebenso zentraler Bedeutung, allerdings auf weniger unmittelbare Weise als bei den Geodeterministen. Trotzdem ging es ihm auch um eine synthetische Zusammenschau von menschlichen und physischen Geographien.5 In dieser Naturbezogenheit ist konsequenterweise auch eine unmittelbare Rückbindung an traditionelle Gesellschaften enthalten. Dies äußert sich vor allem in »Tableau de la Géographie de la France« (1903), dem Klassiker traditioneller Regionalgeographie, in welchem die erdräumliche Kammerung regionaler Gesellschaften aufzudecken versucht wird. Vidal de la Blaches Studien nahmen fast nur auf ländliche Gegenden und Kleinstädte Bezug, die beinahe ausschließlich für den lokalen Markt eine Rolle spielten: »What determined the localness of Vidal’s regions was an intimate, dialectical relationship he identified between the local natural conditions and local material cultures« (Jonas, 1988, 102). Das Projekt konnte aber nur so lange sinnvoll erscheinen, als die zu untersuchenden sozialen Verhältnisse durch traditionelle Verankerungsmechanismen geprägt waren. Die lokalen Sozialverhältnisse mußten grundsätzlich jenen entsprechen, die in Kapitel 1 als traditionelle (Agrar-)Gesellschaften umschrieben wurden. Die Versorgung für Ernährung, Gebäudekonstruktion, Werkzeugbau, Energieverbrauch usw. waren größtenteils lokaler Herkunft. »Each small region might conduct a trade with other areas in special commodities but the basic stuff of life and work was to be local. (…) Equally, it must be rural, rooted in the land, with the bulk of the population either working on the land or servicing those who did« (Wrigley, 1970, 8). Vidals Methodologie der Regionalgeographie war darauf angelegt, die regionale Kammerung des bäuerlichen Lebens und der entsprechenden Lebensbedingungen des prämodernen Westeuropa aufzudecken.

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Wissenschaftliche Regionalisierungen wurden gemäß der Logik der traditionellen Geographie durchgeführt. Die wichtigste Regionalisierungsmethode im Rahmen dieser Logik stellt die sogenannte »Grenzgürtelmethode« von Maull (1919; 1950) und Granö (1929; 1935)6 dar. Bei dieser Methode spielen »natürliche« Kriterien, insbesondere die sogenannten Geofaktoren (Litho-, Pedo-, Bio-, Atmo- und Anthroposphäre) die zentrale Rolle. Die Grenzgürtelmethode sollte es ermöglichen, innerhalb »bestimmter« Toleranzen der natürlichen Merkmale, Landschaften, Regionen oder gar Länder von ihrem »Umland« abzugrenzen. Da selbst dort, wo »Ganzheit der Landschaft und Allzusammenhang der Geofaktoren postuliert wird« (Sedlacek, 1978, 12),7 keine Übereinstimmung der Merkmalsausprägungen der einzelnen Geofaktoren – oder gar von Geofaktorenkomplexen – auf empirisch gültige Weise aufgedeckt werden konnte, begnügte man sich mit der Idee, wenigstens (Grenz-) Gürtel von Ausprägungsähnlichkeiten der verschiedenen Geofaktoren ausfindig zu machen. Damit bildete, neben der Zielsetzung des Verfahrens, vor allem auch die mangelnde intersubjektive Überprüfbarkeit der Grenzziehung eine große Schwäche dieser Art von Regionalisierung, und man war daher auch bestrebt, den subjektiven Spielraum der Grenzziehungen durch objektive Kriterien einzugrenzen. Obwohl keine klaren Kriterien für die Toleranzgrenzen angegeben werden konnten, wurden auch die sozial-kulturellen und politischen Regionen so dargestellt, als wären sie in der Natur vorgegebene Entitäten. Dies ist, wie zuerst Bartels und Hard gezeigt haben,8 Ausdruck einer erkenntnislogisch problematischen Operation mit einem unakzeptierbaren Ergebnis. So handelt es sich zunächst um die Reifikation »naturhaft« definierter landschafts- und länderkundlicher Regionen. Zudem hält man in traditioneller Perspektive die (wie fragwürdig auch immer) über Klassifizierungsverfahren gewonnenen erdräumlichen Ausschnitte für naturwüchsige Wesenheiten mit quasi besonderem Eigenleben, und zwar exakt in dem Sinne, wie die Vertreter absoluter/substantialistischer Raumkonzeptionen vom »Raum« als Gegenstand und Wirkfaktor sprechen. Damit wird die Regionalisierung der Entscheidbarkeit entzogen. Denn »Regionen« sind in dieser Sichtweise Entitäten natürlicher Art und nicht Konstruktionen, die Ausdruck alltäglicher oder wissenschaftlicher Konstitution sind. Richtigkeit und Angemessenheit der Regionen können somit nicht aufgrund von (sozialen) Entscheidungsprozessen verändert werden. So könnte

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man sagen, sie sind gemäß der Logik der traditionellen Geographie keiner Argumentation zugänglich. Ähnlich wird heute noch in der Alltagssprache oder auch in ethnisch-territorialen Diskursen der Ausdruck »Region« oft verwendet. Die »Suche nach ›wahren‹ Regionen, die zugleich für jeden Zweck dienlich sein« (Sedlacek, 1978, 14) sollen, ist somit Ausdruck einer vulgär-materialistischen Interpretation des Raum-Gesellschaft-Verhältnisses und einer prämodernen Reifikation von »Raum« bzw. »Region« im Kleide institutionellwissenschaftlicher Autorität. Die Regionalisierungen im Sinne der traditionellen Geographie sind nichts anderes als normative Setzungen auf der Basis der eben genannten Operationen. Unter der Perspektive der possibilistischen Variante bezogen sich Typisierung und Regionalisierung auf physisch-materielle Kriterien, dabei allerdings vorwiegend auf die materiellen Artefakte, das heißt auf die mittels Handlungen zu Gebrauchs»gegenständen« transformierten lokalen natürlichen Bedingungen und deren Äußerungsformen in der Kulturlandschaft. Es handelt sich dabei um durch Wissenschaftler vorgenommene Regionalisierungen aufgrund materialisierter Spuren menschlicher Tätigkeiten. Das Verfahren ist somit nicht mehr geodeterministisch begründet, jedoch immer noch streng in die Mensch-Natur-Beziehung eingebunden. Ähnlich wie bei Hartkes Vorgehen, ist damit im Regionalisierungsverfahren forschungslogisch immer noch ein starker Naturalismus impliziert. »Region« wird in aller Regel nicht weniger reifiziert als in der naturdeterministischen Version. Sie wird als wesenhafte Gestalt, als die räumliche Form des Gesellschaftlichen verstanden und damit für verstehbar gehalten. Darin ist schließlich eine besondere geographische Hermeneutik angelegt, die gegenwärtig in den verschiedensten Sinnhorizonten eine beachtenswerte, wenn auch problematische Renaissance erlebt. Im Hinblick auf den später durchzuführenden Vergleich von »Regionalgeographie« und »Sozialgeographie der Regionalisierung« sei auf die diskussionswürdigen Aspekte kurz hingewiesen. Eine erste Schwierigkeit bei dieser Art geographischer Hermeneutik ist, daß nicht verstehbare (die lokalen natürlichen Bedingungen) und im Prinzip – unter Bezugnahme auf die Herstellungsakte – verstehbare Gegebenheiten (materielle Artefakte) zur Einheit »Region« zusammengefügt werden. Zweitens wird diese fragwürdige Komposition als eine besondere Wesenheit betrachtet, die mehr sei als die Summe ihrer Teile. Drittens wird sie in dieser Form auch noch für eine Totalität gehalten, die der geographischen Sinnaus-

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legung, der geographischen Hermeneutik, angeblich zugänglich sein soll. Explizite Zielsetzung traditioneller Regionalforschung Vidalscher Herkunft ist daher viertens auch die geographische Beschreibung und das deutende Verstehen der Region in ihrer jeweiligen Einmaligkeit. Insbesondere gegen den vierten Punkt dieses Programms traditioneller Geographie richtet sich die raumwissenschaftliche Geographie, auf deren entsprechende Regionalisierungsverfahren im nächsten Abschnitt eingegangen wird. Deren Kritik läßt jedoch viele problematische Kategorien traditioneller Geographie unangetastet, so daß konsequenzenreiche Widersprüche entstehen. Man kann feststellen, daß, ähnlich wie bei Vidal de la Blaches Auseinandersetzungen mit dem deterministischen Ansatz, gerade über die Kritik die problematischen Kategorien der Vorgängerperspektive eher gestärkt als geschwächt werden. Abschließend kann man sagen, daß mit dem Wirksamwerden der Entankerungsmechanismen der traditionellen Geographie, insbesondere der traditionellen Regionalgeographie und ihren Regionalisierungsverfahren, die ontologische Basis für ihre Rechtfertigung entzogen wurde. Die räumliche Kammerung wurde mehr und mehr überlagert von der Einbindung in globale Prozesse. Was mit der Industrialisierung begann, wurde später intensiviert und prägte beim Aufkommen der quantitativ-raumwissenschaftlichen Geographie bereits die Lebensbedingungen der westlichen Gesellschaften auf umfassende Weise.

Raumwissenschaftliche Geographie Unter Beibehaltung der raumzentrierten Perspektive und der disziplin-internen Bestrebungen der Verwissenschaftlichung war es letztlich nur noch ein kleiner Schritt, die Geographie als kausalgesetzliche Raumwissenschaft zu definieren. Gemäß Bartels (1970b, 33) sollten Geographen Raumgesetze aufdecken. Dabei erlangen »distanzbezogene Determinationsmomente« (Bartels, 1968a, 318) für Kausalerklärungen räumlicher Verbreitungsmuster entscheidende Bedeutung. Damit sind bereits zwei Hauptprobleme dieser Forschungsperspektive angedeutet: die Reifikation von »Distanz« und »Raum« sowie die Zirkularität raumwissenschaftlicher Erklärungsmuster. Diese Zirkularität äußert sich darin, daß räumliche Verteilungen durch räumliche Verhältnisse, räumliche Struk-

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turen durch räumliche Prozesse und letztlich der Raum durch den Raum »erklärt werden sollen«. Am radikalsten kommt die Reifikation in Otrembas Formulierung (1961, 133) zum Ausdruck: »Die Besonderheit des Raumes wird erst in der Gesellschaft der anderen nahen und fernen Räume deutlich.« Die Erklärung räumlicher Verteilungen anhand räumlicher Bedingungen ist, wie es Sack (1972, 71) formuliert nichts anderes als die Aneinanderreihung zirkulärer Verweise. Das entsprechende System der (raum-)wissenschaftlichen Geographie ist – wie Übersicht 2 zeigt – die nach sozial-kulturellen und ökonomischen Gesichtspunkten differenzierte Einteilung in sozialgeographische9 und wirtschaftsgeographische10 Raumforschung.

Übersicht 2: Das System der (raum-)wissenschaftlichen Geographie

Die Forderung nach der Untersuchung des Gesellschaft-Raum-Verhältnisses bedeutet hier, Raumanalysen gesellschaftlicher Prozesse durchzuführen. Dieser Anspruch setzt allerdings die (Erd-)Räumlichkeit sozial-kultureller und ökonomischer Gegebenheiten wie soziale Normen, kulturelle Werte, Produktpreise usw. voraus. Das Hauptmerkmal der entsprechenden (aktuellen) Forschungsstrategien der Geographie scheint in der Verräumlichung von immateriellen (sozial-kulturellen oder mentalen) Gegebenheiten zu liegen.11 Da die genannten Gegebenheiten keine materielle Existenz aufweisen, sind sie weder unmittelbar beobachtbar noch – zumindest unter spät-modernen

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Lebensbedingungen – eindeutig erdräumlich lokalisierbar. Erdräumlich lokalisierbar sind nur materielle Gegebenheiten.12 Und das besondere Merkmal von physisch-materiellen Gegebenheiten besteht darin, daß ihnen (soziale) Bedeutungen zugewiesen werden und sie nicht den Dingen inhärent sind. Demzufolge kann eine Raumanalyse sozialer, kultureller oder ökonomischer Bedingungen wenig sinnvoll sein. Materialisierte Handlungsfolgen können soziale Verhältnisse zwar (symbolisch) ausdrücken, sind aber nicht das Soziale an sich. Der raumwissenschaftliche Anspruch, »Institutionen, Verhaltensnormen und andere Kulturbestandteile (…) erdoberflächlich zu erfassen« (Bartels, 1970b, 33), also zu lokalisieren, ist ebenso reduktionistisch wie Hartkes (1959, 426) Forderung nach der »Bestimmung von Räumen gleichen sozialgeographischen Verhaltens«. Der Reduktionismus äußert sich in dem dazu notwendigen Schluß von nicht lokalisierbaren subjektiven und sozial-kulturellen Komponenten des Handelns auf materielle Dinge. In diese Verknüpfung ist auch das raumwissenschaftliche Verständnis von »Region« und entsprechenden Regionalisierungsverfahren eingebunden. »Region« und wissenschaftliche Regionalisierung nehmen in der raumwissenschaftlichen Geographie eine prominente Stellung ein. Bartels/Hard (1975) sprechen gelegentlich gar vom »Raumgliederungs-(Regionalisierungs-) Ansatz« im Sinne eines Synonyms für die raumwissenschaftliche Geographie. Wenn in programmatischen Erklärungen auch der Aufdeckung von Raumgesetzen die eigentlich zentrale Stellung zukommt, so besteht die empirische Forschung der raumwissenschaftlichen Geographie doch zum größten Teil aus Regionalisierungsarbeiten. Wo die Ergebnisse nicht unmittelbar in die Planungspraxis und die sogenannte Raumordnungspolitik einfließen, wird damit die Typisierungs- bzw. Typologisierungstradition der geodeterministischen Geographie fortgeführt, wenn auch in anderem Argumentationszusammenhang. An dieser Stelle sollen die wichtigsten Merkmale und die Hauptstränge der entsprechenden Argumentation dargestellt werden (vgl. Übersicht 2). Zunächst ist auf das allgemeine raumwissenschaftliche Verständnis von »Regionalisierung« und »Region« einzugehen, bevor die Hauptmerkmale raumwissenschaftlicher Regionalisierungsverfahren dargestellt werden. Im allgemeinsten Sinne umreißt Bartels (1975a, 95) die raumwissenschaftliche Auffassung von »Regionalisierung« wie folgt: »Regionalisierung ist (…) eine Variante der Klassifizierung, das heißt jenes Grundvorganges intellektueller Tätigkeit, welcher die Mannigfaltigkeit der Erfahrungswelt durch aggre-

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gierte Begriffsbildungen generalisierend vereinfacht – eine Variante, deren Besonderheit darin besteht, daß sie für Elemente (Beobachtungseinheiten) jeder zu bildenden Region fordert, sie möchten nicht nur als Klasse mindestens ein gemeinsames sachliches Merkmal aufweisen (Grunddefinition einer Klasse), sondern darüber hinaus als Punkte der Erdoberfläche zusammen ein geschlossenes größeres ›Gebiet‹ bilden, das heißt zusätzliche räumliche Kontingenz aufweisen.« Johnston (1978, 305) bringt dieses Regionalisierungsverständnis damit auf den Punkt, »daß zwischen dem allgemeinen Verfahren der Klassifikation und dem geographischen Problem der Regionalisierung kein Unterschied besteht«. Bei dieser Definition ist vor allem das Bestreben bemerkenswert, die bisherigen Regionalisierungsverfahren zu rationalisieren, das heißt bewußt und damit auch kontrollierbarer zu machen. Die Regionalisierung wird als rationale Konstruktion definiert, deren einzelne Schritte nicht nur einsehbar, sondern auch kritisierbar sein müssen. Die wissenschaftliche Regionalisierung wird nicht mehr als bloße Darstellung von etwas »Naturwüchsigem« durch einen Wissenschaftler verstanden, wie in der traditionellen Geographie, sondern sie wird vielmehr als ein wissenschaftliches Ergebnis in dem Sinne betrachtet, als sie den Kriterien »Zuverlässigkeit« und »Gültigkeit« genügen und empirisch sowie regionalpolitisch sinnvoll sein muß. Nicht die Suche und normative Darstellung »von ›wahren‹ Regionen, die zugleich für jeden Zweck dienlich sein sollen« (Sedlacek, 1978, 14), ist das Ziel. Gebietsbegrenzungen sollen nicht »wesensgemäß« verfaßt werden, sondern vielmehr in bezug auf ein sachliches Kriterium, hinsichtlich dessen die Regionalisierung vollzogen werden soll. Mit anderen Worten: Regionalisierungen sollen nach sach- bzw. themenbezogenen Zweckmäßigkeitskriterien durchgeführt werden. Gemäß Bartels (1968a; 1970b; 1975a) und Bartels/Hard (1975) ist »Region« als ein Klassenbegriff aufzufassen, und die entsprechende Art der Klassenbildung wird als Regionalisierung bezeichnet. Jede wissenschaftliche Festlegung einer Region erfolgt in bezug auf ein bestimmtes Erkenntnisinteresse. So lassen sich klima-, vegetations-, wirtschaftsspezifische u. a. Regionen bilden oder auch Regionen, die sich nur auf die Verbreitung eines einzelnen Gegenstandes beziehen. Jede Region weist aber immer mindestens zwei Merkmale auf: ein räumliches und ein sachliches.13 »Region« ist somit Ausdruck der Kombination eines räumlichen und eines sachlichen Kriteriums. Das räumliche Kriterium bezieht sich auf die Standorte der zu regionalisierenden Sachverhalte bzw. auf die Lage und Umgrenzung der Region auf der

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Erdoberfläche. Das sachliche Kriterium bezieht sich auf die Eigenschaftsmerkmale der zu regionalisierenden Sachverhalte bzw. sagt aus, wodurch sich eine derart gebildete Region »sachinhaltlich von dem umgebenden Erdraum unterscheidet« (Bartels/Hard, 1975, 22). So können wir beispielsweise je nach der Berufsstruktur, die in einer Bevölkerung eines bestimmten Gebietes vorherrschend ist, von einer Industrie-, Landwirtschafts- oder Tourismusregion sprechen. Auf welches Kriterium sich das Regionalisierungsverfahren auch bezieht, es ist wichtig festzuhalten, daß das Bezugskriterium immer das Ergebnis einer kommunikativen Übereinkunft (oder einer autoritären Festlegung) darstellt und nicht der Sache wesensmäßig inhärent ist. Deshalb ist es auch wenig hoffnungsvoll, nach dem Wesen einer Region Ausschau zu halten. Der Regionsbegriff wird nun für je spezifische Erkenntnisinteressen und/ oder praktische Problemlagen ausdifferenziert. In der einfachsten Form können diese Ausdifferenzierungen wie folgt zusammengefaßt werden: Als Areal soll ein Standortmuster von forschungsrelevanten Gegebenheiten bezeichnet werden, das a) Elemente mit der gleichen sachlichen Merkmalseigenschaft aufweist, die relativ homogen und geschlossen auftreten (strukturspezifisches Areal) oder b) untereinander über die gleiche Art von Relationen verbunden sind und jenseits einer bestimmten Grenze keine Beziehungen aufweisen (funktionsspezifisches Areal). Mit dem Begriff Feld sind jene Strukturmuster von Gegebenheiten zu bezeichnen, die in gleichmäßig abgewandelter Form auftreten, wie etwa das Thünensche »Zentralfeld mit konzentrischen Ringen distanzabhängig variierender Sachverhalte um einen Mittelpunkt« (Bartels, 1970b, 18). Weitere raumwissenschaftliche Ausdifferenzierungen des Regionsbegriffs beziehen sich nun primär auf funktions- und strukturspezifische Regionen. Stehen beim ersten die Beziehungen zwischen einzelnen (ausgewählten) Elementen als Begrenzungskriterium im Zentrum, werden bei strukturspezifischen Regionen Homogenitätskriterien berücksichtigt. Von einer Strukturregion soll dann gesprochen werden, wenn die koinzidente Vergesellschaftung der interessierenden Sachverhalte für jeden einzelnen Raumpunkt der Region feststellbar ist (homogene Strukturregion) oder wenn dies wenigstens im allgemeinen der Fall ist (heterogene Strukturregion). Überlagern sich »Funktionsareale« und »Felder«, so soll man von einer Systemregion sprechen, die durch die Relationen zwischen den Sachverhalten definiert und empirisch begrenzt ist.

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Innerhalb einer Systemregion ist »jede Koinzidenz und Deckung Ausdruck einer systemfunktionalen Verknüpfung« (Bartels, 1970b, 22). Ein derartiges Standortmuster hypothesenrelevanter Sachverhalte ist als die Wirkung funktionaler, überörtlicher Zusammenhänge zu betrachten, wobei die Distanzfunktionen die entscheidende Bestimmungsgröße für die Struktur des Systems bilden. Die Besonderheit dieser Systeme ist nach Bartels (1970b, 23) »in der Berücksichtigung der chorischen Standortdifferenzen als selbständige Distanzvariablen zwischen den übrigen Größen« zu sehen.14 Der Prozeß der Regionalisierung kann mit Johnston (1978) als ein zweistufiges Verfahren charakterisiert werden. Der erste Schritt besteht in der Typologisierung. Bereits dabei ist konsequent auf den Zweck der Regionalisierung hinzuarbeiten: »Jede Klassifikation oder Regionsabgrenzung ist immer für einen bestimmten Zweck durchzuführen« (Johnston, 1978, 306), und die »Menge von Beobachtungseinheiten ist (zunächst) zu Typen zusammenzufassen« (Johnston, 1978, 307f.). Im zweiten Schritt werden die Beobachtungseinheiten vom gleichen Typus zu einer Region geformt. »Voraussetzung einer Regionalisierung ist, daß alle Beobachtungseinheiten an mindestens eine andere angrenzen, also eine potentielle räumliche Kontingenz für zu bildende Regionen besteht« (Sedlacek, 1978, 4). Wie bei der Grenzgürtelmethode stellt auch hier die Bestimmung der Schwellenwerte, anhand deren die Regionsabgrenzung vollzogen werden kann, ein zentrales Problem dar. Dazu ist es notwendig, die Kategorien für die Zuordnung der einzelnen Beobachtungseinheiten zu den einzelnen Klassen klar zu definieren. Es ist genau anzugeben, ab wann zum Beispiel die Dichte des zu klassifizierenden bzw. zu regionalisierenden Sachverhaltes nur noch »mittel« oder »gering« ist, um entsprechende Abgrenzungen begründet vornehmen zu können. Dazu werden im (raum-)wissenschaftlichen Kontext Verfahren der deskriptiven Statistik zur Errechnung von Mittelwerten oder anderen Kennziffern als Schwellenwerte angewendet. Diese Vorgehensweise erlangte in den raumwissenschaftlichen Regionalisierungen eine derart prominente Stellung, daß man beim Einzug des raumwissenschaftlichen Ansatzes in die Hörsäle der geographischen Institute von der quantitativen Revolution sprach und von der raumwissenschaftlichen Geographie als quantitativer Geographie. Der damit verbundene beeindruckende technische Aufwand vermag aber nicht das weiterhin bestehende, zentrale Problem geographischer Regionalisierung zu lösen. Dieses bezieht sich auf die Beantwortung der Fragen, wofür diese Regionalisierungen durchgeführt

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werden, welches die sozialen Implikationen sind und unter Bezugnahme auf welche Größen diese erdräumlichen Gliederungen sozialer oder verwaltungsmäßiger Zuständigkeiten zu verwirklichen sind.15 Im Vergleich zur traditionellen Geographie wird im raumwissenschaftlichen Ansatz jedoch zumindest die Idee der allumfassend »wahren« Region aufgegeben und durch eine zweckspezifische Regionalisierung ersetzt. Damit stellt sich um so dringlicher die Frage, welches die Reichweite der Bedeutung dieser zweckspezifischen Regionalisierungen ist und wie fruchtbar sie als wissenschaftliches Projekt überhaupt sein konnten. Von der Voraussetzung ausgehend, daß jede Handlung neben der materiell-biologischen auch eine sozial-kulturelle und mentale Komponente aufweist, können wir erkennen, daß wissenschaftliche Regionalisierungen eigentlich nur auf den materiellen Aspekt von Handlungskontexten Bezug nehmen. Dies markiert einen materialistischen Standpunkt. Geht es um praktische Probleme, bei denen die materiellen Anordnungsmuster für Handlungsvollzüge eine prominente Stellung einnehmen, kann diese Art von kurzformelhafter Bezugnahme sinnvoll und angemessen sein. Doch wissenschaftlich sind sie nur innerhalb eines raumwissenschaftlichen Denkhorizontes plausibel. Zudem wird das Projekt insgesamt fragwürdig, sobald immaterielle sozialkulturelle, ökonomische, politische u. a. Aspekte Gegenstände der Regionalisierung bilden sollen, wie sich dies neben Bartels auch andere Hauptvertreter des raumwissenschaftlichen Ansatzes vorgestellt haben. Denn sinnhafte, immaterielle Gegebenheiten weisen, wie bereits betont, keine subjektunabhängige, unmittelbare erdräumliche Existenz auf. Sie können nur über Zuschreibungen zu Eigenschaften materieller Objekte und erdräumlicher Standorte zugeordnet werden. Die materiellen Gegebenheiten sind lediglich Vehikel der Repräsentation von Bedeutungen, nicht aber die Bedeutung selbst. Das heißt, daß unter spät-modernen Bedingungen entsprechende Rekonstruktionen von Bedeutungen mit äußerst großen Ungewißheiten und Ungenauigkeiten verbunden sind. Die Homogenitätsidee der Klasse »Region« wird in diesem Zusammenhang – und vor allem auch unter den eben angesprochenen Lebensbedingungen – mehrfach problematisch. Wie bereits erwähnt, handelt es sich dabei um sozial homogenisierende Konsequenzen sowie um das äußerst problematische Fehlverständnis von »Raum« als Ort oder Gegenstand, in dem Materie, Geist und Gesellschaft eins sind. Entankerungsmechanismen, die einen Kernaspekt spät-moderner Gesellschaften darstellen, führen zur Auflösung der räumlichen Kammerung des Ge-

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sellschaftlichen. Einzelne Handlungsabläufe können innerhalb eines einzigen Tages auf die verschiedensten, ehemals regionalen oder nationalen Kulturen Bezug nehmen. Handelnde lösen, an beinahe beliebigen Standorten, Segmente aus globalen Informationsströmen heraus. Diese Informationen können zur Veränderung der Lebensform führen, aber auch zur Neugestaltung alltäglicher Routinen. Da weder der Zugriff auf diese Informationen noch deren Interpretation von räumlichen Gegebenheiten abhängig sind, greifen sowohl Raumforschung als auch die Versuche, sozial-kulturelle Verhältnisse in räumlichen Kategorien zu typisieren, zu kurz. Waren und sind traditionelle Lebensformen in räumlichen Kategorien noch annäherungsweise darstellbar, sind es spät-moderne Lebensformen nicht mehr. Sowohl traditionelle als auch raumwissenschaftliche Humangeographie sind kategoriell zu sehr auf den Raum fixiert, als daß mit einer Begriffsreform das Forschungsfeld auf die aktuellen Lebensbedingungen abgestimmt werden könnte. Sie bleiben für eine anders gewordene sozial-kulturelle Wirklichkeit systematisch blind. Man kann sagen, daß die raumwissenschaftlich-quantitative Geographie einer halbierten Modernisierung gleichkommt: Begrenzungs- und Definitionsverfahren sind wohl modernisiert worden, doch das Raumverständnis und die Sichtweise des Raum-Gesellschaft-Verhältnisses bleiben prä-modern. In der raumwissenschaftlichen Geographie wird demzufolge ein Verfahrensmodernismus mit einer Ontologie der Prä-Moderne kombiniert. Dies ist nicht nur konzeptionell und forschungslogisch mit den genannten schwerwiegenden Problemen verbunden, sondern führt letztlich auch zur relativen Unfruchtbarkeit und Bedeutungslosigkeit quantitativ-raumwissenschaftlicher Regionalisierungsverfahren, und zwar nicht nur für die geographische, sondern auch für die soziale Praxis und deren Verständnis. Ausdruck der wenig plausiblen Kombination von modernen Quantifizierungsverfahren und prä-moderner Konzeption der Untersuchungsgröße »Raum« bzw. des Gesellschaft-Raum-Verhältnisses sind daher auch die Anwendungsgebiete. Raumwissenschaftliche Regionalisierungen wurden zunächst beinahe ausschließlich auf ländliche Gebiete der westlichen Gesellschaften angewendet. Später, und das hält bis in die Gegenwart hinein an, kommen sie vor allem in Gebieten der sogenannten Dritten Welt zum Einsatz. Dies, so die These, hat seinen Grund darin, daß in Gebieten traditioneller Gesellschaften das Gesellschaftliche über die Verankerungsmechanismen in

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stärker gekammert erscheint als anderswo. Kulturelle Differenz kann unter diesen Bedingungen auch eine regionale Differenz sein, was in spät-modernen Gesellschaften nicht mehr in gleichem Maße der Fall ist. Kulturelle Differenz drückt sich hier nicht mehr primär regional gekammert, sondern verstärkt in den vielfältigen individuellen Lebensstilen ohne feste räumliche Verankerung aus. Damit weist die kulturelle Differenzierung zwar weiterhin regionale bzw. räumliche Bedingungen auf, ist aber kein regionales Phänomen.16 Da Soziales keine unmittelbare räumliche Existenz aufweist und sowohl »Raum« als auch »Region« keine Gegebenheiten per se sind, kann für die Humangeographie erst die soziale Bedeutung der alltäglichen Regionalisierungen ein wissenschaftlich interessantes Thema sein. Dies setzt aber voraus, Humangeographie nicht mehr als Raumwissenschaft zu begreifen, sondern als eine Disziplin, die sich für die Bedeutung der räumlichen Aspekte von Handlungskontexten in bezug auf die Konstitution des Gesellschaftlichen interessiert. Die Humangeographie wird zur Sozialgeographie. »Sozialgeographie« in diesem Sinne bedeutet Analyse der sozialen Aspekte des Geographie-Machens und der Bedeutung dieser Geographien für aktuelle soziale Prozesse. Dazu bildet eine handlungszentrierte Betrachtungsweise eine wichtige Voraussetzung.

Handlungszentrierte Sozialgeographie Auch wenn man Raum nicht als Forschungsgegenstand akzeptiert, heißt das nicht, daß die Geographie als wissenschaftliche Disziplin insgesamt überflüssig oder – wie Kants Schlußfolgerung aus seiner Erkenntnistheorie lautet – zur Wissenschaftspropädeutik würde.17 Die Geographie verfügt auch ohne Forschungsobjekt »Raum« über ein Erklärungs- und Problemlösungspotential. Für die Humangeographie ist dies dann der Fall, wenn sie auf menschliche Handlungen zentriert wird. Konsequenterweise ist sie dann als Handlungswissenschaft zu definieren. Als solche kann sich die Humangeographie gegenüber anderen handlungszentrierten Forschungsperspektiven zunächst dadurch auszeichnen, daß sie den spezifischen Interpretationen der physisch-materiellen Komponente der Handlungskontexte durch die Handelnden besondere Aufmerksamkeit schenkt. Die Analyse der räumlichen Anordnung handlungsrelevanter Artefakte kann dabei weiterhin sinnvoll sein, doch wohl nur unter systematischer

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vorheriger Abklärung des Handlungskontextes. Ferner muß sie auf klar bestimmte Handlungsweisen, auf die Bewältigung von Handlungs- und nicht von Raumproblemen, ausgerichtet wird. Nicht der reifizierte »Raum« bildet die zentrale Untersuchungseinheit, sondern der alltagsweltliche und der raumwissenschaftliche Reifikationsprozeß von »Raum« sowie die damit verbundenen Folgen. Eine Verräumlichung immaterieller Gegebenheiten soll ebenfalls nicht vorgenommen werden, vielmehr sind die problematischen sozialen Konsequenzen dieser Vorgehensweisen zu untersuchen. Dies impliziert erstens die Untersuchung der Folgen unangemessener Homogenisierungen der sozialen Welt innerhalb eines territorialen Ausschnitts aufgrund der Anwendung räumlicher Kategorien auf die soziale Welt. Zweitens umfaßt dies die Untersuchung der damit verbundenen Konstruktion einer holistischen Gesellschaftskonzeption mit ihren prä-modernen Implikationen. Dieser Holismus findet häufig in der Vorstellung von regionalen Entitäten seinen Ausdruck. Die offensichtlichste Form davon sind regionalistische Redeweisen, die vom »Willen« oder der »Meinung« der Jurassier, der Rheinländer usw. sprechen. Diese Redeweisen im Hinblick auf ihre Implikationen für die politische Mobilisierung durch regionale Bewegungen – und der entsprechenden politischen alltäglichen Regionalisierungen der Lebenswelt – zu untersuchen, bildet eine zentrale Aufgabe handlungszentrierter Sozialgeographie. Die Bezugnahme auf Handlungsweisen ist um so dringlicher, je umfassender die Globalisierung der alltäglichen Lebenskontexte wird. Räumliche Bedingungen und die Räumlichkeit der Handlungskontexte werden mit der Globalisierung in der Spät-Moderne nicht bedeutungslos, wie dies gelegentlich behauptet wird. Aber um ihrer Bedeutung gerecht zu werden, muß die Forschungslogik der Geographie auf die sozialontologischen Bedingungen spät-moderner Gesellschaften abgestimmt werden. Anstelle von Beschreibungen und Erklärungen der sozialen Welt in Raumkategorien, wie das der Logik der traditionellen und raumwissenschaftlichen Geographie entspricht, werden nun zunächst sprachliche Strukturierungen der räumlichen Gegebenheiten in Kategorien des Handelns vorgenommen. Materielle Gegebenheiten werden als Bedingungen, Mittel und Folgen des Handelns interpretiert.18 Bedingungen und Mittel werden jeweils als Folgen früherer Handlungen (anderer) begriffen. Man sucht nun nicht mehr voraussetzungslos – d. h. ohne vorangehende Klärung des sozial-kulturellen (und subjektiven) Kontextes des Handelns – nach Raumstrukturen oder geometri-

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schen Regelmäßigkeiten. Es ist vielmehr zu fragen, welche Handlungsweisen zu bestimmten Anordnungsmustern geführt haben, welche Bedeutung diese für bestimmte Handlungsweisen erlangen können, welche Handlungsweisen sie ermöglichen (Ermöglichung) und welche sie verhindern (Zwang). Und schließlich ist zu fragen, welches die individuellen und sozialen Konsequenzen dieser Geographien in lokaler und globaler Hinsicht sind, welche subjektiven Bedeutungen sie aktuell für bestimmte Tätigkeiten erlangen. Vor allem aber stellt sich folgende Frage: Im Rahmen welcher Machtverhältnisse wurden und werden diese Anordnungsmuster hergestellt, und zur Aufrechterhaltung welcher Machtverhältnisse sind sie bedeutsam? Die Bearbeitung dieser Fragenkreise verlangt eine differenzierte Bezugnahme auf einzelne Handlungen und deren spezifische soziale, kulturelle, politische und ökonomische Bedingungen. Diese Bezugnahme ist dann notwendig, wenn man verstehen will, wie Handelnde von jeweils verschiedenen Machtpositionen aus täglich »Geographie« machen. Die tätigkeits- bzw. handlungszentrierte Betrachtungsweise ist somit die erste Voraussetzung, um einen Zugang zu den alltäglichen Regionalisierungen der Lebenswelten zu erschließen. So wie sich die Geschichtsforschung auf die Tätigkeiten der handelnden Subjekte konzentriert und nicht die »Zeit« an sich zu ihrem Forschungsgegenstand erklärt, wird hier also eine Dynamisierung der geographischen »Weltsicht« über den Tätigkeits- bzw. Handlungsbezug angestrebt. Die Geographien, die wir unter spezifischen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedingungen alltäglich leben und teilweise neu entwerfen, werden in dieser Perspektive zum zentralen Interessenfeld wissenschaftlicher Sozialgeographie. Ausgangspunkt handlungstheoretischer Analysen des Geographie-Machens bilden die Gründe und sozialen Kontexte von Handlungen. Anschließend wird danach gefragt, welche Bedeutung die physisch-materiellen Bedingungen in ihrer Räumlichkeit für jeweils spezifische Handlungsweisen erlangen können. Hier ist eine differenzierte Thematisierung der Machtkomponente notwendig, vor allem die Erforschung der Zugangsmöglichkeiten zu materiellen Artefakten, ihrer räumlichen Anordnung und Verfügbarkeit für die Handlungsverwirklichung. Hinsichtlich der Machtkomponente ist mit Foucault (1987c, 254f.) davon auszugehen, daß »Macht nur in actu existiert (…) und die Machtausübung ein Ensemble von Handlungen in Hinsicht auf mögliche Handlungen« bzw. deren Verhinderung ist. Der Zugang zu materiellen Dingen als Mittel des

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Handelns impliziert in aller Regel eine Kontrolle der Handlungsmöglichkeiten von Personen. »Macht« als »Verfügungsgewalt« (Weber, 1980) über Personen, materielle Artefakte und natürliche Ressourcen bekommt in dieser Perspektive eine prominente Position zugewiesen.

Übersicht 3: Handlungszentrierte Sozialgeographie

Die räumlichen Bedingungen des Handelns werden dementsprechend als Ausdruck von Machtverhältnissen begreifbar. Für aktuelle und künftige Handlungen können – so meine These – die räumlichen Bedingungen strategisch zur Verfestigung oder Veränderung dieser Verhältnisse eingesetzt werden. Ziel handlungszentrierter sozialgeographischer Forschung ist es dann mitzuhelfen, die »verborgenen Mechanismen der Macht« (Bourdieu, 1992) aufzudecken. Die handlungstheoretische Sozialgeographie ist damit in der Lage, den Lebensbedingungen spät-moderner Gesellschaften Rechnung zu tragen, daß auch die Klärung des Verhältnisses von lokalem Handlungskontext und globalen Konsequenzen in der Sozialgeographie besondere Beachtung finden kann.

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Region und wissenschaftliche Regionalisierung

Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen Um den Bedingungen zeitgenössischer Gesellschaften Rechnung tragen zu können, ist gemäß der hier vertretenen These die handlungszentrierte Sichtweise auch auf die »Regional«-Geographie anzuwenden. Die daraus resultierende geographische Forschungskonzeption, die sich nun nicht mehr auf die Untersuchung von »Räumen« und »deren« Eigenschaften konzentriert, ist dann konsequenterweise als »Sozialgeographie der Regionalisierung« zu bezeichnen. Deren Besonderheiten im Vergleich zur traditionellen Regionalgeographie sollen erst unter zusätzlicher Berücksichtigung der Ergebnisse der Anstrengungen um eine »neue Regionalgeographie« im folgenden Kapitel vorgestellt werden. Hier sollen weitere Konsequenzen unter Einbezug der sozialontologischen Ebene zur Diskussion gestellt werden. Die Berücksichtigung der spät-modernen sozialontologischen Gegebenheiten impliziert, daß »Raum« nicht mehr als besonderer (Forschungs-)Gegenstand der Geographie gelten kann. Die räumliche Komponente menschlicher Existenz bildet zwar immer noch den Kern des disziplin-legitimierenden Interesses geographischer Wirklichkeitsanalyse. Doch es ist nicht mehr »Raum« als Objekt oder Feld wissenschaftlicher Erklärung. Vielmehr ist das Handeln der Subjekte ins Zentrum zu stellen. Dementsprechend konzentriert sich die handlungstheoretische Sozialgeographie auf die menschliche Praxis unter besonderer Berücksichtigung der räumlichen Bedingungen der materiellen Medien des Handelns, ihrer sozialen Interpretation und Bedeutung für das gesellschaftliche Leben. Will die geographische Forschung einen Beitrag zum Verständnis spät-moderner Gesellschaften leisten, ist sie auf die »Logik« des Handelns auszurichten. Geographinnen und Geographen fragen dann nicht nur danach, was die Geographie der Dinge ist. Sie interessieren sich vielmehr dafür, wie sie in beabsichtigter oder unbeabsichtigter Weise zustande kommt, welche Bedeutung sie für die Konstitution der Gesellschaft erlangt, was sie für wen bedeutet und inwiefern Herstellung, Nutzung und Reproduktion mit gesellschaftspolitischen Standards und ökologischen Maßgaben zu vereinbaren sind. Der entsprechenden empirischen Forschung soll es um die Rekonstruktion der Regionalisierungen in globalen Bezügen gehen, die durch bestimmte Lebensformen und -stile vollzogen werden: einerseits über das, was hergestellt, konsumiert und reproduziert wird, andererseits aber auch über die unter-

Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen

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schiedliche Verfügungsgewalt der Handelnden über personelle und materielle Ressourcen. Zudem ist die Erforschung aller normativen Formen der Regionalisierung sowie umfassender sinnhaft belegter Territorialisierungen zum Aufgabenbereich dieser »Sozialgeographie der Regionalisierung« zu zählen. Unter spät-modernen Bedingungen kommt dem Handeln der Subjekte die zentrale wirklichkeits-konstitutive Kraft zu. Das heißt erstens, daß Lebensbedingungen handlungsspezifisch interpretiert werden, zweitens, daß die Bedeutungen von Situationselementen von den Ausrichtungen des Handelns abhängen und drittens, daß auch »Regionen« sozialer Art bzw. das Ergebnis intersubjektiv akzeptierter Interpretationsprozesse sind. Folgt man der Prämisse und den drei genannten Ableitungen, dann ist davon auszugehen, daß für die geographische Erforschung spät-moderner Wirklichkeiten eine handlungszentrierte Perspektive den erfolgversprechenderen Zugang eröffnet. Sie wird zur »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen«, wenn sie sich die Erforschung der Prozesse des alltäglichen Geographie-Machens zum Ziele setzt. Insbesondere ist auf eine wichtige Konsequenz aufmerksam zu machen, welche die Akzeptierung der ersten Ableitung aufweist. Damit ist nämlich festgelegt, daß es definitiv keine naturräumlich bestimmte Allregionen geben kann, und gleichzeitig auch jeder totalisierende Anspruch traditioneller geographischer Wirklichkeitsinterpretationen geopolitischer wie anderer Art unterminiert. Die spät-moderne Sozialontologie und die handlungszentrierte Perspektive machen deutlich, daß jede naturdeterministische Argumentation empirisch ins Leere greift. Das heißt gleichzeitig, daß innerhalb regions- und regionalisierungsorientierter Forschung physisch-geographische Aspekte im Erklärungsanspruch gegenüber sozial- und kulturgeographischen nur mehr eine untergeordnete Bedeutung erlangen können. Wenn die Bedeutungen physisch-materieller Gegebenheiten von den erkennenden und handelnden Subjekten konstituiert werden, dann ist es wenig erfolgversprechend, eine Forschungslogik aufrechterhalten zu wollen, die nur dann plausibel erscheint, wenn Bedeutungen als Ausdruck des Physisch-Materiellen betrachtet werden. Diesen Folgerungen steht die Forderung nach einer »neuen« Regionalgeographie gegenüber, die Anfang der 1980er Jahre zunehmend jenes argumentative Vakuum zu füllen beginnt, das mit dem sich abzeichnenden Scheitern der raumwissenschaftlichen Revolution entstand. Die Beurteilung der im folgenden Kapitel ausführlich dargestellten Debatte zur Etablierung einer »neuen« Regionalgeographie soll in bezug auf die

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Region und wissenschaftliche Regionalisierung

hier bisher erarbeitenden Standards erfolgen. Derart sollen einerseits wichtige Einsichten in die Grenzen und Potentiale einer regionszentrierten Perspektive unter aktuellen sozialontologischen Bedingungen gewonnen werden. Andererseits ist abzuklären, ob und inwiefern eine sozialtheoretisch konzipierte Humangeographie mit der historisch gewachsenen Kernaufgabe »Regionalgeographie« zu vereinbaren ist.

Kapitel 3 Die »neue« Regionalgeographie

Auf welche Weise kann die traditionelle Forschungskonzeption der Regionalgeographie den neuen sozialontologischen Bedingungen angepaßt werden? Diese Frage steht im Hintergrund aller Bemühungen um die Entwicklung einer »neuen« Regionalgeographie, sowohl in der deutschsprachigen als auch in der angelsächsischen Debatte. Unabhängig von der Ausdifferenzierung der Antworten ist nicht zu übersehen, daß es sich um Versuche der Modernisierung des traditionellen Kerns des geographischen Tatsachenblickes handelt, um eine perspektiveninterne Reformation der thematischen Schwerpunktsetzung sowie gewisse methodische Verfeinerungen. Ob die Frage so aber überhaupt sinnvoll gestellt und beantwortet werden kann, wird kaum ernsthaft diskutiert. Es gibt gute Gründe, die Frage anders zu stellen. Angesichts der Intensivierung der Globalisierungsprozesse reicht die Forderung nach der Konzeptions- bzw. Forschungsreform nicht aus. Vielmehr ist auch nach den Zuständigkeitsmöglichkeiten regionszentrierter Forschung und Wirklichkeitsdarstellung zu fragen. Gleichzeitig ist Sensibilität dafür zu entwickeln, welche Implikationen in Kauf zu nehmen sind, wenn der Universalanspruch regionaler sozialkultureller Wirklichkeiten im Rahmen spät-moderner Verhältnisse aufrechterhalten wird. Welche Wirklichkeitsbereiche können in diesem Kontext mit dem Forschungsgegenstand »Region« überhaupt thematisiert werden? Dabei handelt es sich nicht nur um eine Frage nach Forschungsweise und -themen. Unter Einbezug sozialontologischer Adäquanzkriterien wird nach der Sinnhaftigkeit des Gegenstandes der Forschung gefragt. Das Ziel besteht darin, Fachtheorie und Sozialontologie adäquat aufeinander zu beziehen. Fachtheorie und Sozialontologie sind im Zusammenhang zu betrachten. Sie stehen in einem sich gegenseitig bedingenden Verhältnis. Sozialwissenschaftliche Theorien sind bestrebt, zu einem besseren wissenschaftlichen Verständnis der sozialen Welt beizutragen. Doch diese Erkenntnisse bleiben – wie

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Die »neue« Regionalgeographie

oben bereits vermerkt – nicht nur auf den wissenschaftlichen Bereich beschränkt, sondern finden, über »Popularisatoren« (Galtung, 1978, 28) wie Journalisten, Lehrer usw. vermittelt, auch Eingang in die Alltagspraxis1. Nigel Thrift (1990; 1991; 1993a) – einer der wichtigsten (kritischen) Teilnehmer in der Debatte um eine »neue« Regionalgeographie – formuliert in seiner Trilogie »For a New Regional Geography« zahlreiche Gründe, weshalb wir unter den aktuellen fachtheoretischen und sozialontologischen Bedingungen eine neue Regionalgeographie brauchen. Er gelangt zur Einsicht, daß die traditionelle Konzeption der Regionalgeographie aufgrund der aktuellen Fragmentierung der sozialen Welt vor unüberwindbare Hindernisse gestellt ist. Deshalb fordert er eine neue Regionalgeographie, die in der Lage ist, diesen – von ihm als postmodern umschriebenen – Bedingungen Rechnung zu tragen. Man könnte sagen, daß er eine geographische Forschung fordert, die kategoriell auf die zeitgenössische Sozialontologie abgestimmt ist. Die Entwicklung der fachtheoretischen Diskussion nimmt ebenfalls auf diese veränderten sozialen Bedingungen Bezug. Anne Gilbert (1988) und Beth Pudup (1988) fordern, daß die neue Regionalgeographie die Ergebnisse der geographischen Theoriediskussion seit den sechziger Jahren berücksichtigen solle. Unabhängig voneinander kommen beide Autorinnen zum Schluß, daß – nachdem die raumwissenschaftliche Vorstellung der Aufdeckung von allgemeinen Gesetzmäßigkeiten ebenso wie die Idee der Rekonstruktion sozialer Strukturen als Raumstrukturen habe begraben werden müssen – es nun wichtig sei, das Hauptinteresse geographischer Forschung wiederum auf die Regionalgeographie zu zentrieren. Auf eine neue Regionalgeographie allerdings, der es nicht mehr um den Nachweis von Einmaligkeiten geht, sondern vielmehr um eine Regionalforschung unter differenzierter Berücksichtigung umfassender aktueller Sozialprozesse. Oder mit den Worten der hier entwickelten Begrifflichkeit: Sie fordern eine Regionalgeographie, die in der Lage ist, den sozialontologischen Bedingungen der Spät-Moderne auch in fachtheoretischer Hinsicht Rechnung zu tragen. Diese Auseinandersetzung um eine Neukonzeption geographischer Regionalforschung ist grundsätzlich aus dem Unbehagen gegenüber der raumwissenschaftlichen Geographie gespeist. Angeregt wurde sie – wenn auch nicht auf programmatische Weise – durch Derek Gregorys Forderung nach einer sozialtheoretisch ausgerichteten Neuorientierung der Humangeographie mit »Ideology, Science and Human Geography« (1978) sowie vor allem Nigel Thrifts »On the determination of social action in space and time« (1983).

Die »neue« Regionalgeographie

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Diese ersten Anregungen erwirkten schließlich, vermittelt durch die Übersichtsartikel von Gilbert (1988) und Pudup (1988), die eigentliche Debatte über die Rekonstitution der Regionalgeographie. Aus der deutschsprachigen Geographie hat sich auf internationaler Ebene niemand an dieser Debatte beteiligt. Sie wurde bisher auch nur in Teilbereichen, allerdings wenig systematisch, rezipiert. Oßenbrügge (1984) deutet erste Anfänge der Debatte aus der Perspektive der Politischen Geographie an. Aring/ Butzin/Danielzyk/Helbrecht (1989) setzten in ihrer umfassenden Regionalstudie »Krisengebiet Ruhrgebiet? Alltag, Strukturwandel, Planung« mit der Forderung »einer qualitativen Regionalforschung« (1989, 65) – unter Bezugnahme auf Buttimer, Schütz und Luckmann – eher methodische als theoretische Akzente. Entsprechend soll die »Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit« (Berger/Luckmann, 1980, 1) in der Region untersucht werden. Es werden keine theoretischen oder konzeptionellen Anstrengungen unternommen, um die Erschließung der gesellschaftlichen Konstruktion der Region zu ermöglichen. Danielzyk/Oßenbrügge (1993) kommentieren spezifische Segmente der angelsächsischen Debatte mit wirtschaftsgeographischer Schwerpunktsetzung und schlagen eine Reform der deutschen Regionalgeographie vor. Ihre Argumentation läuft darauf hinaus, daß die Renaissance des regionalistischen Denkens genügend Legitimation für eine Rehabilitation einer nun theoriegeleiteten Regionalgeographie wäre: »Letztlich ist die von den konkreten regionalen Kontexten ausgehende Suche nach (…) räumlichen Organisationsprinzipien, die symbolischer oder materieller Art sein können, eine lohnenswerte Aufgabe und trägt dazu bei, die Raum-Zeit-Dynamik der heutigen Gesellschaft aufzudecken« (Danielzyk/Oßenbrügge, 1993, 215). Eine umfassendere Rezeption leistet ansatzweise erst Wood (1994, 28–36), der sie als Grundlage für seine »kritische Regionalgeographie« Nordost-Englands anwendet, die weitgehend dem Vorschlag von Gregory folgt. Auch im deutschsprachigen Bereich war man bestrebt, die Regionalgeographie den neuen Bedingungen anzupassen. Diese originäre »Renaissance« der Regionalgeographie fand größtenteils auf alten Pfaden statt und blieb weitgehend diffus. Bevor ich mich mit der angelsächsischen Diskussion auseinandersetze, die wesentlich differenzierter auf die neuen sozialontologischen Verhältnisse eingeht, soll zuerst kurz auf den aktuellen Stand der deutschsprachigen Debatte um die Regionalgeographie eingegangen werden. Dadurch soll es möglich werden, auch in bezug auf diesen Kontext die Besonderheiten der »Sozialgeographie der Regionalisierung« zu präzisieren.2

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Die »neue« Regionalgeographie

Die deutschsprachige Debatte Am Kieler Geographentag von 1969 wurde die Regionalgeographie bzw. Länderkunde von den Vertretern des neuen raumwissenschaftlichen Paradigmas, das – wie erwähnt – über die Habilitationsschrift von Bartels in die deutsche Geographie eingebracht wurde, für tot erklärt. Weil die Regionalgeographie keinem wissenschaftlichen Kriterium genüge, so die Argumentation, könne sie auch nicht länger als Bestandteil der wissenschaftlichen Geographie betrachtet werden.3 Mit dem Siegeszug des raumwissenschaftlichen Ansatzes wurde es in der Folge um die klassische Länderkunde recht still. Erst als nach rund zehnjähriger Vorherrschaft der quantitativen, raumwissenschaftlichen Geographie immer klarer wurde, daß – gemessen an den eigenen Ansprüchen – nur geringe Erfolge zu verzeichnen waren, meldeten sich die am Kieler Geographentag »Besiegten« wieder zurück. Die Debatte um eine »neue« Regionalgeographie, die bis heute andauert, setzte Anfang der achtziger Jahre ein. Diese Auseinandersetzung ist, wie im angelsächsischen Kontext, als Abkehr vom raumwissenschaftlichen Ansatz zu interpretieren. Die konservative Renaissance

Die Renaissance der Regionalgeographie füllte somit Anfang der achtziger Jahre in der deutschen Geographie das Vakuum, das der weitgehende Mißerfolg der raumwissenschaftlichen Geographie hinterlassen hatte. Auf der Ebene der »Theoriediskussion« wird dies am eindrücklichsten dokumentiert durch die einschlägigen Publikationen von Eugen Wirth (1970; 1977; 1978; 1979; 1980; 1981), dem Sprecher »der konservativen Umarmung der Revolution« (Bartels, 1980b). Wie vom konservativen Flügel der angelsächsischen Debatte4 wird von ihm vor allem die Idiographie, die Beschreibung der Einmaligkeit verschiedener Regionen der Erdoberfläche, als wichtigste Aufgabe der Regionalgeographie bzw. der Geographie insgesamt betont. Es wird jedoch – wie dies in »Zwölf Thesen zur Länderkunde« zum Ausdruck kommt – weder ein expliziter Theoriebezug noch eine neue Forschungsmethodologie für die Regionalgeographie vorgeschlagen, die den sozialontologischen Bedingungen und den Ergebnissen der allgemeineren geographischen Theoriediskussion Rechnung tragen könnte. Im Gegenteil: Wirth (1979) plädiert vielmehr für eine Verräumlichung der soziologischen Handlungstheorie als Grundlage der allgemeinen Humangeographie.5 Der Bezug zur Regionalgeographie bleibt da-

Die deutschsprachige Debatte

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bei recht vage. Er scheint davon auszugehen, daß das traditionelle länderkundliche Schema als »Theorie« ausreicht. Auf die Kritik dieses Anspruchs werde ich später eingehen. Vorerst soll nur eine kurze Beurteilung in sozialontologischer Hinsicht erfolgen. Das Plädoyer für Regionalforschungen auf der Basis des traditionellen länderkundlichen Schemas impliziert, daß die aktuellen sozialontologischen Verhältnisse weltweit jene traditioneller Gesellschaften wären. Daß vielen Geographen die Unangemessenheit dieser Grundannahme nicht aufgefallen ist, mag darauf zurückzuführen sein, daß dieses Plädoyer aufgrund von (Feld-) Erfahrungen traditioneller Gesellschaften im Kontext gehalten wird. Wirth beispielsweise hat seine länderkundlich orientierten empirischen Feldforschungen beinahe ausnahmslos im Vorderen Orient durchgeführt. Daß hier dem traditionellen länderkundlichen Schema nicht jede vordergründige Plausibilität abzusprechen ist, liegt auf der Hand. Doch können daraus weder sinnvolle Soll-Sätze für die Forschungskonzeption der Regionalgeographie noch Folgerungen für die Sinnhaftigkeit der Regionalgeographie insgesamt abgeleitet werden. Regionale Bewußtseinsforschung

Eine »Neuorientierung« findet mittels Abwandlung des »regionalen« Forschungs»objektes« statt, und zwar in Richtung Erforschung von »Regionalbewußtsein«. Diese »geographisch-landeskundliche Forschungsinitiative« wird im wesentlichen vom Arbeitskreis für »Regionalbewußtsein und Landeskunde«, dem auch Blotevogel/Heinritz/Popp (1986; 1987; 1989) angehören, ergriffen und polarisiert die regionsspezifische Diskussion und Forschung in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre. Die Kernidee dieses Programms besteht darin, nicht mehr die regionalen Ausprägungen der physisch- und artefakt-weltlichen Verhältnisse, sondern die regionalen Abstufungen des Regionalbewußtseins beschreibend darzustellen. Ziel ist es, die regionalen Verhältnisse von Bewußtseinstatsachen zu erfassen, die sich auf die Identifikation mit der »Region« beziehen. Im Vordergrund steht die Aufdeckung von »Räumen gleichen Regionalbewußtseins« (Blotevogel/Heinritz/Popp, 1987, 410). Wie sehr ihre Argumentationslogik der traditionellen Betrachtungsweise verhaftet bleibt, kommt darin zum Ausdruck, daß zur Erfassung des »konkret vorhandenen Regionalbewußtseins« (Blotevogel/Heinritz/Popp, 1986, 101) Maßstabsaspekte die zentrale Bedeutung erlangen und zur Darstellung gar geometrische Begriffe verwendet werden. Blotevogel/Heinritz/Popp (1989,

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Die »neue« Regionalgeographie

68) behaupten erstens, daß die »Gesamtheit raumbezogener Einstellungen und Identifikationen (…) auf eine mittlere Maßstabsebene (fokussiert)«. Die Vermutungen sogar soweit, daß Räume für denkbar gehalten werden, in denen überhaupt kein ausgeprägtes Regionalbewußtsein auffindbar ist. Für solche Räume wird die Bezeichnung »tote Winkel« (1986, 108) vorgeschlagen. Diese geometrische und maßstabsbezogene Betrachtung von nicht gegenständlichen Gegebenheiten ist die unmittelbare Konsequenz des wissenschaftlichen Regionalisierungsanspruchs von Bewußtseinsgehalten. Ohne daß dies den Initianten dieser »Forschungsanregung« bewußt war, haben sie damit für den deutschen Sprachraum das nachvollzogen, was bereits Piveteau (1969, 361ff.) als mögliche Neuorientierung der Regionalgeographie in der französischsprachigen Geographie anhand einer empirischen Untersuchung in der Schweiz vorgeschlagen hat. Für beide dürfte zutreffen, was bereits Christaller (1968, 90ff.) der traditionellen Geographie vorgeworfen hat: daß sie nicht in der Lage ist, Werte, Normen, Emotionen usw. in ihrer Bedeutung richtig einzuordnen. Pohl (1993), der mit »Geographie als hermeneutische Wissenschaft« (1986) der regionalen Bewußtseinsforschung bedeutende Impulse verleiht, deutet das Phänomen der verstärkten Zunahme der Bedeutung von regionalen Identifikationsformen als Ausdruck der Postmoderne. »Regionalbewußtsein« wird als eine Form der Kritik an der Moderne bzw. an den Vereinheitlichungstendenzen der Moderne interpretiert; als Kern des postmodernen »Nebeneinanders der Lebensformen« (Pohl, 1993, 24), der postmodernen »Pluralität der Lebensformen« (Pohl, 1993, 25) im Sinne von Lyotard (1986). So beurteilt Pohl (1993, 45) die »Chancen der regionalistischen Geographie« durchaus positiv. Doch letztlich sieht er diese Chancen in der Betonung des Besonderen, das heißt für Pohl: des Regionalen im Verhältnis zum Universalen bzw. Globalen. Damit bleibt er in den alten raumzentrierten Kampf von Idiographie und Nomologie verstrickt. Was Vertreter des raumwissenschaftliches Ansatzes für überwunden hielten, erfährt somit eine Renaissance. Allerdings nicht mehr als Raumforschung, sondern als partikuläre, regionale »Raumbewußtseinsforschung«: »Die ›Neue Geographie‹ (steht) wieder zur Disposition und die alten Ideen kehren beinahe von selbst in das Vakuum zurück, das die szientistische Geographie zwar produzieren, aber nicht hat füllen können. (…) Da (…) der Szientismus insgesamt in der Krise steht, geht es nicht um eine geographische ›Sondermethodologie‹, sondern um Partikularismus und Universalismus bzw. Idiographie und Nomologie ganz all-

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gemein« (Pohl, 1993, 45). Sein Programm geht daher eher in Richtung postmoderner Regional- als in Richtung Regionalisierungsforschung unter spätmodernen Bedingungen, bei der Handlungen/Tätigkeiten im Mittelpunkt stehen. Wie bereits in seinem Plädoyer für eine hermeneutische Geographie verlangt Pohl erneut, die Besonderheiten der verschiedenen Regionen zu würdigen. So ist der Kern seiner Argumentation gegen den nomothetischen Anspruch des raumwissenschaftlichen Ansatzes gerichtet, aber nicht auf die Überwindung der »Krise der (Regional-)Geographie«. Sein Bestreben ist die Modernisierung der traditionellen Geographie im Rahmen der fachkonstitutiven Kategorien der Wirklichkeitsrepräsentation, nicht aber eine Hinterfragung dessen, was ich als die Tiefenontologie dieser Geographie bezeichne. Damit bleiben bei seinem Vorschlag die Kernprobleme erhalten. Regionalgeographie der Postmoderne

Auf eine »neue« Regionalforschung unter Einbezug eines gesellschaftstheoretischen Bezugsrahmens sind die Arbeiten von Danielzyk et al. (1987; 1989; 1990) und Krüger (1986; 1988; 1989) ausgerichtet. Das Regionalbewußtsein ist letztlich nicht mehr »Objekt« der Regionalisierung. Es wird vielmehr mit einer vorausgesetzten spezifischen regionalen Lebensform, die es von Geographen zu erforschen gelte, in Zusammenhang gebracht. In kritischer Abwendung von der raumwissenschaftlichen und standorttheoretischen Regionalforschung und -planung wollen sie sich konsequent den alltäglichen Lebensformen zuwenden: »Regionalforschung aus der Perspektive qualitativer Sozialgeographie« lautet das Programm, und das Verstehen »regionaler Wirklichkeiten« (Danielzyk/Krüger, 1990, 70) ist das Zwischenziel. Ihr übergeordnetes Ziel ist eine bessere Regionalpolitik: »Einen strukturschwachen Lebensraum zum Nutzen seiner Menschen zu gestalten, ist eine Aufgabe, die deren Beteiligung erfordert. (…) Die Förderung der ›endogenen Potentiale‹ von Regionen« (Danielzyk/Krüger, 1990, 9) bedarf der genauen Kenntnisse der regionalen Wirklichkeiten. Dazu soll ein neues Konzept für die »empirische Forschungsarbeit« entwickelt werden, das »den Prinzipien einer ›qualitativen Regionalforschung‹ folgt« (Danielzyk/Krüger, 1990, 11). Notwendig ist dieses Programm nach Krüger (1988, 17) aufgrund der neuen »sozialökonomischen ›Großwetterlage‹«, womit das sogenannte postmoderne Zeitalter gemeint ist. Denn in der Postmoderne, die sich durch eine »radikale Pluralität als Grundverfassung der Gesellschaft auszeichnet, (in der) Wahrheit, Gerechtigkeit, Menschlichkeit im Plural« (Welsch, 1987, zit. nach

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Die »neue« Regionalgeographie

Krüger, 1988, 39) zu suchen sind, kommt der Pluralität der regionalen Lebensstile – so ist Krüger wohl zu verstehen – immer größere Bedeutung zu. Dementsprechend erhält auch die Forderung nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit und vor allem die Vorstellung »einer gerechten Regionalentwicklung« (Krüger, 1988, 39) neuen Gehalt. Gesellschaftliche Gerechtigkeit und gerechte Regionalentwicklung sind nicht auf ein einheitliches Gerechtigkeitskriterium zu beziehen. Beide sind vielmehr »doppelt-kodiert« (Krüger, 1988, 39). »Der ›postmoderne Gerechtigkeitstypus‹ in seiner regionalen Entfaltung besitzt eine Inhalts- und eine Verfahrensform« (Krüger, 1988, 40). Mit »Inhaltsform« ist der Inhalt der endogenen Entwicklung gemeint, der von Krüger folgendermaßen spezifiziert wird: a) Postmoderner Gerechtigkeitstyp Das erste Gebot der Regionalentwicklung umfaßt die Nutzbarmachung neuester Kommunikationstechnologien. Dies ist aber nicht so zu verstehen, daß man sie im Hinblick auf die Uniformierung der Gesellschaft wirken lassen soll. Das Gegenteil ist der Fall: Diese »Kommunikationstechnologien (sind) zum Kulturinstrument einer ›gerechteren Informationsgesellschaft‹« (Krüger, 1988, 41) zu machen. Zu »einer eigenständigen Regionalpolitik (gehört) die Anwendung technologisch-telekommunikativer Innovationen« (Krüger, 1988, 42). Die gerechte Regionalentwicklung im Zeitalter der Postmoderne impliziert somit zuerst den Anschluß der Region an die externen Informationsströme. Die Verfügbarkeit über diese Informationen soll die Selbstbestimmung der Region in ihrer Besonderheit ermöglichen. b) Regionspezifische Arbeitsstrukturen Für eine »regional gerechte« Entwicklung ist nun die für die Postmoderne so typische Kombination »aus lokalen (endogenen) und (exogen bedingten) Strukturelementen regionaler Ökonomie und Arbeit« (Krüger, 1988, 43) von besonderer Bedeutung. Regionspezifische Arbeitsstrukturen sind im Sinne einer »doppelten Kombination traditioneller und lokaler Arbeitsund Berufsformen mit solchen der vorhandenen Moderne« (Krüger, 1988, 43) zu konzipieren. Eine eigenständige Regionalentwicklung hat auf die »Zusammenführung exogen und endogen bedingter Arbeitsformen und Produktion« (Krüger, 1988, 44) zu setzen. Somit bleiben regionale Besonderheiten erhalten und die ökonomische Überlebensfähigkeit einer Re-

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gion ist nicht nur von den exogenen Strukturelementen abhängig. Die Eigenständigkeit in der Vielfalt bleibt möglich. c) Regional typische Lebensform Unter »Lebensform« sind »typische Formen alltäglicher Lebenspraxis im Hinblick auf ihre subjektive Erfahrung und ihre strukturelle Bedingtheit (zu verstehen). Es handelt sich dabei um Gruppen von Individuen weitgehend gleicher bzw. ähnlicher Lebensführung, die sich in spezifischen Verbindungen von Denken, Fühlen und Handeln mit Formen der Berufsund Hausarbeit, Schattenwirtschaft sowie politischen und kulturellen Aktivitäten äußern« (Krüger, 1988, 45). Mit der Verfahrensform spricht Krüger (1988, 47) den »Verfahrensmodus des Wirksamwerdens« einer »gerechten Regionalentwicklung« an, die unter den Bedingungen der Postmoderne gerechte Lebensbedingungen in räumlicher Hinsicht schaffen soll. Die Verfahrensform ist »in einer basisdemokratischen, auf den Interessensartikulationen der Lebensformen ruhenden Auseinandersetzung um normative Gestaltungsziele für die Region« (Krüger, 1988, 48) zu sehen. Die entsprechenden Diskurse sollen in dezentralisierten Institutionen eingerichtet werden. Dies umschließt in den meisten Fällen eine Dezentralisierung des »Planungs- und Verwaltungshandelns« sowie die »Kompetenzerweiterung lokaler und regionaler Partei-, Verbands- und regionsspezifischer Organisationen (und) umgekehrt größere Beteiligungsrechte lokaler, regionaler und sozialer Bewegungen ›von unten‹ (z.B. Bürgerinitiativen) bei der Formulierung und Durchsetzung politischer Willensbildung« (Krüger, 1988, 48). Dieses neue Programm wurde vor allem in bezug auf »Lebensform« weiter differenziert und für den Anwendungsfall »Ostfriesland« operationalisiert. Bei den entsprechenden empirischen Umsetzungen ist dann aber letztlich ein starker Trend in Richtung regionaler Befindlichkeitsforschung festzustellen und keine konsequente Neuorientierung der Regionalgeographie.6 Die übrigen Teile des Programms, die zum wissenschaftlichen Teil zu zählen sind, sind bisher nicht weiter ausgearbeitet worden. Die Verfahrensmodalitäten und die konkrete Umsetzung der formulierten Maßgaben liegen wohl auch im Verständnis der beiden Autoren außerhalb der Wissenschaft.

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Die »neue« Regionalgeographie

Die angelsächsische Debatte Neben den bereits erwähnten reformistischen Vorschlägen für eine »neue« Regionalgeographie ist auch im angelsächsischen Kontext eine Renaissance der konservativ-traditionellen Auffassung von Länderkunde festzustellen, welche durchaus vergleichbar mit der Entwicklung im deutschsprachigen Bereich ist.. Diese erfuhr von höchster institutioneller Ebene aus starke Unterstützung, die letztlich in zwei »presidential addresses to the American Association of Geographers« von Hart und Lewis gipfelte. Hart (1982) formuliert den Anspruch der wiedergeborenen traditionellen Länderkunde in seinem Artikel »The highest form of geographer’s art«, so, wie das sinngemäß auch bei Wirth (1970; 1979) zu finden ist: »Regions are artistic devices, and they must be shaped to fit the hand of the individual user« (Hart, 1982, 23). Lewis (1985, 473) stützt diese Position, wobei er das Programm der Zukunft mit »back to basics« umschreibt. Damit ist die Abkehr von der Raumwissenschaft und der sozialtheoretischen Debatte und die Rückkehr zur traditionellen Regionalgeographie auf der Basis von historischen Kenntnissen und der Vertrautheit mit der physischen Umwelt gemeint. Auch seine Anweisung im Hinblick auf die Methodologie der Regionalforschung weist mit Wirths (1979) Schlußwort von »Theoretische Geographie« eine so frappante Ähnlichkeit auf, daß man vermuten könnte, es handle sich um eine wörtliche Übersetzung: »That tangible visible world is the hard basic stuff of geography, and all students should be encouraged on a regular basis to (…) go outdoors and sample those wonders. (…) That world is full of evidence. (…) Go out and take a look« (Lewis, 1985, 473). Man kann feststellen, daß gemäß der Thesen der traditionellen Länderkunde die Wirklichkeit ausschließlich auf sinnlich wahrnehmbare Gegebenheiten reduziert wird. Trotz dieser verblüffenden Gemeinsamkeiten wird im angelsächsischen Kontext die Debatte um eine »neue« Regionalgeographie wesentlich breiter und intensiver geführt als im deutschsprachigen Kontext. An ihr beteiligen sich die bedeutendsten angelsächsischen Geographinnen und Geographen der Gegenwart.7 Zwischen den einzelnen Teilnehmern dieser Auseinandersetzung bestehen in der theoretischen Orientierung und in der entsprechenden Vorstellung der »neuen« Regionalgeographie wichtige Differenzen. Um sich leichter einen Überblick verschaffen zu können, ist es sinnvoll, die Vielfalt der Beiträge nach Theorietraditionen zu gruppieren. Neben den Diskussionsbeiträgen, die

Die angelsächsische Debatte

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aus traditioneller Position argumentieren, kann man vier konstruktive Hauptgruppen identifizieren:8 – die phänomenologische bzw. humanistische Konzeption, zu der vor allem Anne Buttimer die wichtigsten Anregungen gegeben hat; – den strukturalistischen Ansatz, in dem zuerst Doreen Massey, dann David Harvey, Ed Soja, Neil Smith und Peter J. Taylor aktiv wurden. Dies ist vielleicht die heterogenste Gruppe, umfaßt sie doch die theoretischen Positionen des soziologischen Strukturalismus, verschiedene Spielformen des Marxismus sowie den Welt-System-Ansatz von Wallerstein; – die strukturationstheoretisch bzw. kritisch begründete Argumentationslinie, in der vor allem Nigel Thrift, Allen Pred und Derek Gregory nachhaltig aktiv waren und sind; – die realistische Richtung, die vor allem von Andrew Sayer vertreten wird. Die Unterschiede und Besonderheiten der vier Hauptgruppen können hier nicht detailliert rekonstruiert werden. Da nach Anregungen für eine handlungszentrierte Neukonzeption der Regionalforschung als »Sozialgeographie der Regionalisierung« gesucht wird, erfolgt eine Konzentration auf jene Ansätze, die herkunftsgemäß die größte Nähe zu einer handlungstheoretischen Perspektive aufweisen: den humanistischen Ansatz und den strukturationstheoretischen Ansatz. Der strukturalistisch-marxistische Ansatz wird aufgrund der Inkompatibilität mit dem hier verfolgten Ziel und der von ihm implizierten Konzeption der sozialen Welt nicht weiter berücksichtigt. Im folgenden geht es erstens darum, die Hauptunterschiede zwischen traditioneller und »neuer bzw. rekonstituierter Regionalgeographie« zu illustrieren. Zweitens sollen die unterschiedlichen Argumentationsströme der zwei für die »Sozialgeographie der Regionalisierung« wichtigsten Positionen in knapper Form rekonstruiert werden. Drittens sind diese Reformvorschläge in bezug auf das hier verfolgte Ziel zu kommentieren. Diese drei Punkte markieren die inhaltlichen Schwerpunkte der Analyse. Die Darstellung der Auseinandersetzung mit der angelsächsischen Debatte für eine »neue« Regionalgeographie erfolgt insgesamt jedoch in historischer Perspektive. Phänomenologische Regionalgeographie

Mit der relativen Erfolglosigkeit der raumwissenschaftlichen Geographie und der entsprechenden Kritik wurde die Regionalgeographie auch im angelsäch-

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sischen Kontext zum rehabilitierten Gegenstand geographischer Theoriediskussion. Die ersten Vorbereitungen werden von Anne Buttimer (1969; 1974) im Rahmen der sogenannten »humanistic geography« geleistet. Buttimer fordert im Vergleich zur raumwissenschaftlichen Geographie – und unter Bezugnahme auf die Phänomenologie von Husserl (1950; 1971; 1976; 1981), Schütz (1971a; 1971b; 1972; 1974), Schütz/Luckmann (1979; 1984) und Heidegger (1986a; 1987) – eine verstärkte Berücksichtigung der subjektiven alltäglichen Sinnkonstitutionen (Buttimer, 1976; 1979; 1984).9 Buttimer verknüpft (1969; 1971; 1979) diese Forderungen um eine neue Regionalgeographie mit dem Hinweis auf die traditionelle französische Regionalforschung von Paul Vidal de la Blache und seinen Schülern. Die Forderung der stärkeren Berücksichtigung alltäglicher Lebenswelten wird aber nicht in bezug auf eine handlungsorientierte Sozial- und Kulturgeographie erhoben, wie das im Sinne von Schütz und Luckmann der Fall sein müßte. Eine derartige Interpretationsrichtung wird in der angelsächsischen Humangeographie lediglich von Ley (1978) für die Sozialgeographie angedeutet, nicht aber systematisch weiterentwickelt.10 So wird das alte geographische Paradigma zwar mit dem aktuellen wissenschaftstheoretischen Diskurs in Zusammenhang gebracht, aber nicht auf kohärente Weise in diesen eingebettet. Derek Gregory: Kritische Regionalgeographie

Damit war Derek Gregorys Forderung nach einer »neuen«, kritischen Regionalgeographie vorbereitet. Im letzten Kapitel des bereits erwähnten und in der Zwischenzeit zum Klassiker der modernen Geographie gewordenen »Ideology, Science and Human Geography« fordert Gregory (1978) schließlich eine nicht auf Gesetzmäßigkeiten ausgerichtete kritische Regionalforschung. Was ist darunter zu verstehen? Die Andeutungen, wie diese kritische Regionalgeographie in der Forschungspraxis aussehen könnte, bleiben recht vage. Gregorys Wegleitung läuft darauf hinaus, daß kritische Geographen in der Regionalforschung Vergleichbares leisten sollen wie Paolo Freire in der Pädagogik: »›Advocate geographers‹ ought to allow members of the local community to become problematizers of their situations and to become active creators of their environment« (Gregory, 1978, 162). Gregory nennt dieses Konzept »dialogical action«, was für ihn eine ideale Sprechsituation im Sinne von Habermas’ (1981) »Theorie des kommunikativen Handelns« voraussetzt. Geographie zu betreiben, wird

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somit zur »critical activity« (Gregory, 1978, 156) im Sinne von Horkheimer (1972), einem früheren Vertreter der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule. Damit wird die geographische Regionalforschung unmittelbar in den Kontext einer kritischen Wissenschaft gestellt und methodologisch auf diesen ausgerichtet. Regionalforschung soll nach Gregory nicht mehr – wie jene innerhalb des traditionellen Paradigmas – auf physisch-geographischem oder rein subjektivem Gutdünken aufbauen, sondern auf theoretisch begründbaren Analysekriterien. Die theoretische Grundlage dafür soll die Kritische Theorie abgeben.11 Ausgangspunkt für die Einbettung der »neuen« Regionalgeographie in die Weltsicht der Kritischen Theorie ist dabei die folgende Forderung: »We need to know about the constitution of regional social formations, of regional articulations and regional transformations (…) for regional interventions in either intellectual or political terms« (Gregory, 1978, 171f.). Mit diesen drei Schwerpunktsetzungen grenzt Gregory das thematische Feld der »neuen« Regionalgeographie ein und interpretiert es – auf eher überraschende Weise – nicht etwa in Habermasschen Kategorien des Handelns, sondern in strukturalistischem Sinne. Die Begründung dafür lautet, daß die Bevölkerung jeder einzelnen Region immer mit regionalen Raumstrukturen konfrontiert wäre, die in zeitgenössischen Raumökonomien persistieren würden und für die Aufrechterhaltung aktueller Sozialstrukturen verantwortlich wären: »Spatial structures are implicated in social structures (…) rooted in specific social formations and capable (…) of continual examination and criticism« (Gregory 1978, 172). In der empirischen Regionalstudie »Regional Transformation and Industrial Revolution« ist Gregory bestrebt, sich von der theoriefreien historischen Regionalgeographie weiter zu distanzieren: »This book is intended to break with these traditions. I draw upon social theory to explicate the transformation of the woollen industry of the West Riding of Yorkshire, and in particular to show how the change from a domestic to a factory system of production involved a local transition in human experience and social structure which was tied in to much wider categories of changes in economy, politics, and ideology« (Gregory, 1982, 2). Um diese lokalen bzw. regionalen Veränderungen der Wollindustrie kategoriell zu fassen und zu erklären, bezieht er sich weder auf Habermas noch auf den Strukturalismus, sondern auf die Strukturationstheorie von Giddens. Die Übertragung der Strukturationstheo-

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rie auf die Analyse der Transformation der Wollindustrie in Yorkshire zwischen 1780 und 1840 wird in drei Schritten angestrebt. Der erste »Übersetzungsschritt« bezieht sich auf die Identifizierung der zentralen Instanz der Transformation bzw. der Transformationskraft. Die Veränderungen in der Wollindustrie werden als Ausdruck von Strukturationsprozessen begriffen, als Transformationsprozesse der sozialen Wirklichkeit durch regelgeleitetes menschliches Handeln mit unterschiedlicher »Ausstattung« an autoritativen und allokativen Ressourcen.12 Über die Bezugnahme auf die Strukturen werden diese selbst wiederum reproduziert: »actions are essentially involved in the reproduction of social structures« (Gregory, 1982, 16).

Übersicht 4: Gregorys Bezugnahme auf die Strukturationstheorie (aus: Gregory, 1982, 17)

In der sozialen Praxis ist immer eine diachrone Dimension des sozialen Lebens enthalten, was für die zu erforschenden Gegebenheiten einer historischen Regionalgeographie von zentraler Bedeutung ist: »the transformation of the woollen industry of West Riding of Yorkshire is to be understood as a continuous movement effected through the bounded activities of reflexive human subjects. (…) The day-to-day flow of practical life – working at the loom or carousing in the tavern, riding out to the Cloth Hall or walking back from the mill – was inextricably bound in to and constitutive of the long-term

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evolution of the entire industry. (…) These transitions were conveyed through the continuous structuration of the labour process which displayed a basic ›duality of structure‹« (Gregory, 1982, 18f.). Der zweite »Übersetzungsschritt« der Strukturationstheorie für die Analyse regionaler Transformationen bezieht sich auf die empirische Erforschung der Überführung von Arbeit in Kapital und die Analyse der Konsequenzen, die aus diesen Strukturationsprozessen resultieren: »By this, I mean that the transformation (…) is to be understood as a series of changes in the labour process which at particular points meshed with other sequences turning in politics and in ideology, and that the precise alignments between them were not determined by the rotations of the economy but by the outcomes of situated social practices« (Gregory, 1982, 21). Unter die Veränderungen im Arbeitsprozeß fallen vor allem die technischen Neuerungen und die mit ihnen verbundene Routinisierung der Arbeitsschritte, neue geschlechtsspezifische Aufteilungen der Arbeit, chronische Arbeitslosigkeit breiter Bevölkerungskreise, neue Arbeitslosigkeit, Verschwinden der unantastbaren Autorität der Gutsherren usw. Dies alles ist letztlich zu begreifen als Ausdruck der aufkommenden Konvertibilität des Privateigentums, in der die Arbeit zur Ware und die Arbeitszeit zum Tauschgut wird. Diese Veränderungen in der je regional besonderen Ausdrucksform zu erforschen, bildet das zweite Aufgabenfeld der neuen Regionalgeographie. Als dritten »Übersetzungsschritt« nennt Gregory (1982, 23) »the changing time-space intersections of social practices. By this, I mean that the transformation (…) is to be understood as the constant repetition of characteristic time-space routines, through which the structures of the domestic and factory systems were fleetingly engaged and regularly reconstituted.« Es geht darum, die raum-zeitlichen Konsequenzen der ersten beiden Aspekte zu untersuchen und zu rekonstruieren, inwiefern raum-zeitliche Aspekte des Handelns die »Durchsetzbarkeit« dessen ermöglichen, was mit den ersten beiden Übersetzungsschritten benannt wurde. In diesem Zusammenhang wird die Untersuchung des Wandels der täglichen und jährlichen Tätigkeitsrhythmen in den nun getrennten Bereichen »Haushalt« und »Arbeitsplatz« als wesentlicher Aspekt von Strukturationsprozessen postuliert. Damit soll es möglich werden, Aufschlüsse über die regionalen Transformationen hinsichtlich der »social formation« zu erhalten. Mit diesen drei Schritten und der Analyse der Zusammenhänge zwischen den drei Themenbereichen soll ein vertiefter Einblick in ungleiche regionale

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Entwicklungen gewährt und Erkenntnisse über die »Mechanismen« der räumlichen Differenzierung der Gesellschaft, insbesondere auch der regional unterschiedlichen Konstitution der Klassenverhältnisse gewonnen werden. Diese Zusammenhänge rechtfertigen eine kritische Regionalgeographie, deren Ziel im Abbau von Klassengegensätzen besteht. Obwohl diese empirische Untersuchung – zusammen mit Allen Preds (1986) Studie – als eine pionierhafte Leistung für die »neue« bzw. »rekonstruierte Regionalgeographie« gilt, ist die Beziehungslosigkeit von Theorie- und Empirieteil bemängelt worden. In den Worten von Pudup (1988, 384) ausgedrückt: »These two substantive works most self-consciously cast as reconstructed regional geography seem to revert the methodological voluntarism that plagued traditional regional geography.« In bezug auf Gregorys Untersuchung kann dem insofern zugestimmt werden, daß die Benennung der vorgeschlagenen Schwerpunkte (»Transformationskraft«, »Überführung von Kapital in Arbeit« und »Wandel der Tätigkeitsrhythmen«) recht willkürlich geschieht. Eine strenge Bezugnahme auf die von ihm vorgeschlagenen Kriterien ist nicht erkennbar. Ob der Vorwurf des methodologischen Voluntarismus auch auf Pred zutrifft, soll im Anschluß an den nun folgenden Abschnitt beurteilt werden. Allan Pred: Regionalgeographie und »Theorie des Ortes«

Preds (1981; 1984a; 1984b; 1986) Zugang zur »neuen« Regionalgeographie führt zunächst über die Zeitgeographie Hägerstrands; erst später kommt sein Interesse an der Strukturationstheorie von Giddens hinzu. Der Fokus von Preds theoretischen Überlegungen liegt in der Erschließung von »becoming of places and regions in terms of time-geography and the daily unfolding and interpretation of structuration processes« (Pred, 1986, 30). Damit bieten sich zwei potentielle Möglichkeiten der Orientierung für die Regionalgeographie an: der Ort bzw. die Region als Prozeß- bzw. Transformationsergebnis des historischen »Werdens« (becoming) und der Prozeß des »Entstehens«, der Konstitution der Region, des Ortes. Die zweite Variante käme dem nahe, was hier als »Sozialgeographie der Regionalisierung« bezeichnet wird. Die erste Variante hingegen bliebe der traditionellen Regionalgeographie verpflichtet, auch wenn sie sich dieser gegenüber durch eine wesentlich dynamischere Betrachtungsweise auszeichnen würde. Trotz dieser Differenz bliebe jedoch die Vorherrschaft der räumlichen gegenüber den so-

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zialen bzw. handlungszentrierten Kategorien bestehen. Welcher der beiden Möglichkeiten Pred den Vorzug gibt, soll nun geklärt werden. Die Zielsetzung des Programms lautet: »Examine specific places and times (…) (in) a place-centred or regional geography based upon a theory of place« (Pred, 1986, 30). Das sogenannte »becoming of places and regions« soll somit nicht als Prozeß interessieren und zum Untersuchungsgegenstand werden, sondern das Produkt des Prozesses – der Ort bzw. die Region – soll Untersuchungsgegenstand der Geographie bleiben. Deshalb kommt der Auffassung von »Ort«/»Region« zentrale Bedeutung zu. Auf diese möchte ich nun zuerst eingehen. In einer ersten Annäherung wird »Ort«/»Region« von Pred (1986, 6) wie folgt umschrieben: »Place (…) always involves an appropriation and transformation of space and nature that is inseparable from the reproduction and transformation of society in time and space. As such, place is characterised by the uninterrupted flux of human practice – and experience thereof – in time and space«. Das Entstehen von »Ort«/»Region« impliziert demgemäß immer die Aneignung und Transformation von Raum und Natur. Damit sind zwei Implikationen verbunden. Erstens ist der »Ort«/die »Region« Ausdruck zweier Formen sozialer Prozesse: Aneignung und Transformation. Angeeignet und transformiert werden wiederum zwei offensichtlich voneinander verschieden und unabhängig gedachte Gegebenheiten: Raum und Natur. Dies kann nur so verstanden werden, daß der Raum angeeignet und die Natur transformiert wird. Jeder Ort bzw. jede Region ist dann als Ausdruck zweier ineinander übergehender sozialer Prozesse zu begreifen. Zweitens ist gemäß Pred das historische »Werden« von einem »Ort«/einer »Region« über Aneignung von »Raum« und Transformation von »Natur« eng an die Reproduktion und Transformation von Gesellschaft in Raum und Zeit gebunden. Raum und Natur sind damit argumentativ untrennbar aneinander gebunden. Der Prozeß gesellschaftlicher Transformation und Reproduktion ist demgemäß eng verknüpft mit dem Entstehen von »Ort«/»Region« qua Aneignung von »Raum« und Transformation von »Natur« (in Raum und Zeit?). Die Besonderheit bzw. Einmaligkeit eines jeden Ortes und einer jeden Region, so könnte man schließen, ist zu verstehen als Ausdruck der historisch variablen Ausgestaltung/Interpretation dieser Prozesse durch die handelnden Subjekte unter den jeweiligen historisch besonderen, kontingenten Umständen. Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß »Ort«/ »Re-

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gion« als solche bestehen können. »Als solche« sind »Ort«/»Region«, wie das obige Zitat erkennen läßt, zu charakterisieren durch »das ununterbrochene Fließen menschlicher Praxis«. Das könnte heißen, daß sich »Ort«/»Region« eigentlich nur in Handlungsvollzügen äußern bzw. nur in diesen existieren können. Doch die Interpretation erfährt in einer differenzierteren Ausformulierung seiner »theory of place« keine weitere Bestätigung. Diese »theory of place« wird als theoretischer Bezugsrahmen für die empirischen Forschungen der »neuen« Regionalgeographie entworfen. Sie umfaßt drei Konzentrationspunkte, die für jede beliebige Region, für jeden beliebigen Ort für anwendbar gehalten werden. Als ersten Konzentrationspunkt nennt Pred (1986, 30) die »institutionellen Projekte« (institutional projects) mit ihrem gestaltenden Einfluß auf die Tagesabläufe und Pfade der Teilnehmer dieser Institutionen (participants), deren Implikationen für den Ort, auf die Spuren, die sie in der Landschaft hinterlassen, und auf die Machtverhältnisse. Hier gewinnen konsequenterweise die sozialen Strukturen im Sinne von Giddens (1984b; 1988a) zentrale Bedeutung. Bemerkenswert ist, daß dabei die Strukturen nicht primär als Aspekt von Strukturationsprozessen bzw. von Handlungsabläufen betrachtet werden, sondern als »built into a specific historical and human geographical situation or into an historically and geographically specific social system« (Pred, 1986, 9).13 Eine besondere Schwäche der Strukturationstheorie sieht Pred darin, daß die Vertreter eine ihrer zentralen Behauptungen, »the structuration of every social system (…) occurs in time and space« (Giddens, 1979a, 91), nicht nachweisen können. »They all fail to inform us exactly how the functioning and reproduction of particular cultural, economic and political institutions in time and space are continuously bound up with the temporally and spatially specific actions, knowledge built up and biographies of particular individuals« (Pred, 1986, 10). Diese Schwäche will Pred mit der »neuen« Regionalgeographie beheben. Dafür vollzieht er fatalerweise eine Verräumlichung der Strukturationstheorie. Die Verräumlichung wird konzeptionell vertieft, indem versucht wird, die räumliche und zeitliche Verankerung von sozialen Systemen und deren Strukturen mittels der Anwendung der zeitgeographischen Kategorien »path« und »project« auf regionale Lebenswelten empirisch nachzuweisen. Die Verbindung von sozialem System und Zeit/Raum stellt sich Pred (1986, 10) wie folgt vor: »The detailed situations and material continuity of interpenetrating structuration processes are perpetually spelled out by intersection of particular

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individual paths with particular institutional projects occurring at specific temporal and spatial locations.« Raum-zeitliche Pfade sind somit als das Ergebnis der Reproduktion und Transformation der Gesellschaft in Strukturationsprozessen zu begreifen. Analog dazu laufen die sozialen Systemprozesse in Zeit und Raum ab.

Übersicht 5: Komponenten von »Ort« und »Region« (aus: Pred, 1986, 11)

Konsequenterweise wird der erste wichtige Konzentrationspunkt »neuer« Regionalstudien in der Untersuchung der institutionellen Machtverhältnisse, des entsprechenden institutionellen Einflusses auf die regionale Gestaltung der Tagesabläufe14 sowie der Analyse der menschlichen Spuren in der Landschaft (als Aspekt der Transformation der Natur) gesehen. Sowohl »Ort« als auch »Region« sind in diesem Sinne als Ausdruck historisch kontingenter Prozesse zu verstehen, die von den alltäglichen Strukturationsprozessen im Ort/in der Region untrennbar sind. »Ort« (und »Region«) ist in diesem Sinn gemäß Pred (1986, 11) synonym mit »Strukturation« zu verstehen. Als zweiten thematischen Vertiefungspunkt nennt Pred die Analyse der Ausgestaltung von Biographien, als Ausdruck der Strukturationsprozesse eines Ortes. Damit ist offensichtlich die Untersuchung des Einflusses des Ortes/der Region auf die Gestaltung des Lebenslaufes einzelner Personen gemeint.

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Dem Ort/der Region wird in diesem Zusammenhang somit eine konstitutive Rolle bei der Gestaltung von Lebensläufen zugewiesen. Zwar wird »Raum« nicht als konstitutiv für Lebensläufe und gesellschaftliche Verhältnisse betrachtet, jedoch die Region. Regionalstudien sollen, so ist das wohl zu verstehen, durchgeführt werden, um diese Konstitutivkraft zu erschließen. Damit scheint auch der folgende Punkt in Verbindung zu stehen. Dieser dritte Punkt besteht in dem Postulat, daß es eine Ortsbedeutung gibt, die zwar nicht als unabhängige Entität existiert, aber Teil des werdenden Bewußtseins des Individuums ist: »There is a sense of place, not as something that stands on its own but as a phenomenon that is part of the becoming of individual consciousness and thereby inseparable from biography formation and the becoming of place« (Pred, 1986, 30). Diese Bedeutung des Ortes soll nach Pred ebenso Gegenstand von Regionalstudien werden, wie die Konstitution von Biographien und die Konsequenzen regionaler Institutionen. Doch hier wird noch offensichtlicher als in den zwei vorangehenden Punkten, daß das, was als regional Gewordenes untersucht werden soll, eigentlich gar nicht Gegenstand der Regionalforschung werden kann. Wird die Bedeutung eines Ortes als Gegebenheit des Bewußtseins identifiziert, kann sie gerade nicht unmittelbar erdräumlich fixiert werden. Nigel Thrift I: Kontextuelle Regionalgeographie

Nigel Thrift bezieht sich in seinem einflußreichen Beitrag »On the determination of social action in space and time« (1983) umfassend auf die sozialkulturwissenschaftliche Theorie der Strukturierung, wobei Giddens’ Werk im Zentrum steht. Auf dessen Bedeutung für Thrifts Vorschlag will ich mich konzentrieren.15 In seinen späteren Überlegungen zur Regionalgeographie behält Thrift (1985a; 1985b; 1986; 1989a; 1989b; 1990; 1991; 1993a; 1993b; 1996) weitgehend die hier entwickelte Perspektive bei, bezieht dann aber verstärkt die sozialontologischen Bedingungen im postmodernen Sinne mit ein. Auf diese wird anschließend eingegangen. Ziel von Thrifts Programm ist zunächst die Entwicklung einer »nonfunctionalist (contextual) theory of social action in space and time« (Thrift, 1983, 37). Dies soll einerseits für die Humangeographie, andererseits aber auch im Hinblick auf die differenzierende Erweiterung der bestehenden Gesellschaftstheorien angestrebt werden: »The concerns of human geography are integral to this programme, and this programme is integral to the concerns of human geography« (Thrift, 1983, 23). Damit wird klar gemacht, daß jene Publikation,

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die im Bereich der angelsächsischen Geographie die Debatte um eine »neue« Regionalgeographie in Schwung gebracht hat, von Beginn an ein umfassenderes Ziel fokussierte, gleichzeitig aber auch explizit und sehr differenziert auf die Notwendigkeit der Rekonstruktion der Regionalgeographie hinwies. Das Verhältnis von Sozialtheorie und Geographie betrachtet Thrift (1983, 23) als ein Problem akzeptabler Umsetzung bzw. als Übersetzungsproblem, wie er es formuliert. Das Problem der Übersetzung sieht er darin, daß sich sozialtheoretische Aussagen über gesellschaftliche Phänomene und Ereignisse durch einen hohen Allgemeinheitsgrad und ein hohes Abstraktionsniveau auszeichnen, die Sozialgeographie sich jedoch mit besonderen Orten und Regionen beschäftigt. Natürlich stellt sich dieses Problem nicht nur der Sozialgeographie, sondern beispielsweise auch der Sozialgeschichte. Dort hat man das »Übersetzungsproblem« so gelöst, daß man die Untersuchungsperspektive verschoben und in gewissem Sinne auch das »Untersuchungsobjekt« verändert hat: »the focus of their subject has moved from the circumstances surrounding man to man in circumstance, (and) in particular (…) to the use of selective examples of ›individuals‹ to illustrate the ›thinking in – acting out‹ of mentalité« (Thrift, 1983, 23). Die »Übersetzung« bzw. die Anwendung allgemeiner gesellschaftstheoretischer Sätze soll nicht als Formulierung empirisch wahrer, allgemeiner abstrakter Sätze über historische Verhältnisse erfolgen. Die Forschung soll vielmehr auf theoretische Kategorien Bezug nehmen, um die Handlungsbedingungen in konkreten Situationen im Hinblick auf allgemeinere Zusammenhänge erforschen zu können. Eine vergleichbare Strategie der Problemlösung soll auch für die geographische Forschung angestrebt werden: »I am looking for a theoretically structured approach to the ›real world of real human beings‹, which is not held at a safe distance by the extreme forms of idealist abstraction« (Thrift, 1983, 25). Die allgemeinen theoretischen Kategorien sind zur Strukturierung des empirischen Feldes zu verwenden, um dann die »wirkliche« Welt mit »wirklichen« Menschen so zu erforschen, wie sie »wirklich« sind. Innerhalb Thrifts (1983, 37ff.) »research agenda«, die als differenzierte Ausformulierung dieser Übersetzung zu begreifen ist, nehmen die Überlegungen für die Neukonzeption der Regionalgeographie eine zentrale Stellung ein: »I also hope to show that there is a place for a reconstructed regional geography, (…) not only as the focus of all these divers concerns, but also as the subject and object of theory of social action« (Thrift, 1983, 38).16 Hauptanwendungsbereich dieser Theorie des Handelns soll die »rekonstruierte« Regionalgeographie sein

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Rekonstruierte« Regionalgeographie

Unter »rekonstruierter« Regionalgeographie versteht Thrift (1983, 38) »a regional geography that is built upon the strengths of traditional regional geography, for example the feel for context, but that is bent towards theoretical and emancipatory aims«. Oder: »›Reconstructed regional geography‹ (…) takes Vidal de la Blache’s concern with people, places and causality as still vital, but puts them into a new theoretical framework« (Thrift, 1991, 456). Damit ist bereits die Hauptrichtung seines Vorschlags festgelegt: Die Grundperspektive der traditionellen Regionalgeographie soll unangetastet bleiben. Der primäre Zugriff auf die soziale Welt soll in räumlich-kontextuellem Sinne erfolgen. Dann erst sind handlungsbezogene Differenzierungen und emanzipatorische Standards in die Auseinandersetzung mit diesem erdräumlichen Ausschnitt einzuführen. So könnte man sagen, daß nicht so sehr die Regionalgeographie »Subjekt und Objekt« von Thrifts Vorstellung einer »Theorie des Handelns« sein soll, sondern vielmehr der erdräumliche Ausschnitt, die Region als Kontext. »Region« wird dabei zwar als erdräumlicher Ausschnitt betrachtet, in dem soziales Handeln stattfindet, jedoch nicht nur als leere, bedeutungslose Umgebung. Vielmehr wird »Region« eine konstitutive Bedeutung beigemessen – konstitutiv für menschliches Handeln. Diese eigenartige Spannung, durch die sich das Konzept »Region« auszeichnet, wird von Thrift wie folgt umschrieben: »The ›region‹ can be seen, in this conception, as the ›actively passive‹ meeting place of social structure and human agency, substantive enough to be the generator and conductor of structure, but still intimate enough to ensure that the ›creature-like aspects‹ of human being are not lost« (Thrift, 1983, 38). »Region« ist somit insofern passiv, als sie primär aus materiellen Gegebenheiten besteht. Sie ist aber auch in mittelbarer Form aktiv, so wie »Struktur« im Sinne der Strukturationstheorie strukturierend auf das Handeln »wirkt«.17 Diese auf den ersten Blick eher verwirrende Näherung ist ausführlicher zu erörtern. Ausgangspunkt für die Erläuterung ist die (nicht unproblematische) Formulierung »meeting place of social structure and human agency«. Da »Struktur« im Sinne der Strukturationstheorie als »Regeln und Ressourcen« definiert wird und damit nicht als etwas Materielles, kann das Argument angenommen werden, daß sich »Handeln« und »Struktur« in der Region nicht unmittelbar, sondern nur auf vermittelte Weise treffen können. Im besten Fall kann man dies so verstehen, daß (materielle) räumliche oder regionale Strukturen Ausdruck sozialer Struktur bzw. Ausdruck von Regeln, autoritati-

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ven und allokativen Ressourcen sind. Falls diese Interpretation akzeptiert wird, könnten sich menschliches Handeln und soziale Struktur in einer Region auf mediatisierte Weise treffen, nämlich vermittelt über die sogenannte räumliche Struktur. »Region« ist aber darüber hinaus als »generator and conductor of structure« zu verstehen. Diese Interpretation gesteht »Region« eine eigene Form aktivierender Fähigkeit zu. Nicht nur der räumlichen Struktur wird dann handlungskonstitutive Kraft zugewiesen, sondern sogar dem materiellen Substrat, das man noch in gewissem Sinne als Ausdruck sozialer Strukturen begreifen kann. Die Formulierung, daß es sich bei »Region« um etwas »actively passive« handle, ist dann wohl so zu verstehen, daß jede Region Ausdruck der strukturellen Verhältnisse ist und im gleichen Sinne wie Regeln und Ressourcen auf menschliches Handeln strukturierend wirken, als Kontext handlungskonstitutiv ist.18 Im Hinblick auf die »Sozialgeographie der Regionalisierung« ist es wichtig festzuhalten, daß Handeln gemäß dieser Konstruktion in der Region, im Kontext stattfindet. Diese Vorstellung äußert sich durchweg in Formulierungen wie »social activity, knowledge, life path, organization of production etc. in a region«. Damit sei darauf hingewiesen, daß »Region« für etwas gehalten wird, das vorweg auf irgendeine Weise festgelegt ist, und nicht »etwas«, das über Handlungsweisen konstant reproduziert und transformiert wird. Im gleichen Sinne wird auch »Kontext« begriffen. Dieser ist offensichtlich handlungsunabhängig und von vornherein feststehend. Da jedoch »Kontext« in jedem Fall immer nur relational, nur handlungsbezogen identifiziert werden kann, müssen sich hier schwerwiegende konzeptionelle Widersprüche eröffnen. Einen ersten Hinweis liefert Thrifts Versuch der genaueren Bestimmung des Verständnisses von sozialen Tätigkeiten. Hier weist Thrift (1983, 38) darauf hin, daß jede soziale Aktivität als »Diskurs« zu verstehen sei: »Social activity in any region takes place as a continuous discourse, rooted in a staggered series of shared material-situations that constantly arise out of one another in a dialectically linked distribution of opportunity and constraint, presence and absence. A region is lived through, not in.« Hier zeigt sich der zuvor angedeutete Widerspruch: Wenn soziales Handeln als Diskurs zu verstehen ist, durch den eine Region gelebt wird, dann ist es wohl kaum mehr zu rechtfertigen, eine Region unabhängig vom Diskurs der zu untersuchenden Personen festzulegen und zu begrenzen. Dessen ungeachtet, fragt Thrift nicht nach den

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Regionalisierungen in Form von Diskursen, sondern geht trotzdem von vorgegebenen Regionen aus. Und für deren Erforschung stellt er die »neue« Forschungskonzeption auf. Diese umfaßt zwei Ebenen: erstens eine zusammensetzende Darstellung einer vorgegebenen Region (»compositional account«) und zweitens eine kontextuelle Ebene, die vor allem auf die Weiterentwicklung einer handlungszentrierten Gesellschaftstheorie ausgerichtet ist. Beide Ebenen sollen nun mit ihren jeweiligen besonderen Forschungsetappen vorgestellt und anschließend im Hinblick auf die Entwicklung einer »Sozialgeographie der Regionalisierung« beurteilt werden. Kompositionelle Regionalgeographie

Als erste Etappe des »compositional account« der »neuen« Regionalgeographie, sieht Thrift (1983, 39) die Darstellung »of all those geographical determinations that can be grouped under the heading topography; such things as geology, hydrology, and climatic conditions«. Der Ausgangspunkt bleibt also mit jener der traditionellen Regionalgeographie identisch: Er ist physischer, nicht sozialer Art und auch nicht vorgängig selektierend auf bestimmte thematische Probleme ausgerichtet. Die physische Basis erfährt somit weiterhin keine relationale Darstellung, sondern bleibt die Basis für alles andere. Die zweite Etappe kann als wirtschaftszentriert charakterisiert werden. Hier wird die Untersuchung der Produktionsorganisation einer Region mit Konzentration auf die Produktivkräfte, die Produktionsverhältnisse sowie die Bedingungen der Arbeitsprozesse gefordert. Dies soll schließlich zur Analyse und Darstellung der Klassenstruktur einer Region sowie zur Untersuchung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, ethnischer, rassischer sowie religiöser Verhältnisse führen. Die dritte Etappe fokussiert politische Aspekte der Region. Zentrales Thema ist hier die Erforschung der lokalen Äußerungsform des Staates. Für den Übergang von »compositional regional geography« zu kontextueller Regionalgeographie ist der Arbeitsprozeß von zentraler Bedeutung. Denn Arbeit ist ein wichtiger Vermittlungsort zwischen Mensch und Natur; sie kann als Transformationsform der Natur in gesellschaftliche Werte gesehen werden. Es stellt sich nun die Frage, wie der Arbeitsprozeß kontextuell zu fassen ist. Wird eine Region ausschließlich von einer Arbeitsform geprägt, zum Beispiel von Landwirtschaft oder Industriearbeit, dann kann sie unter der vorgegebenen Perspektive des »compositional account« leicht und adäquat dargestellt werden. Deshalb basieren die besten und erfolgreichsten Regionalstu-

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dien immer auf »agricultural districts or tight-knit industrial and mining communities where one labour process is dominant« (Thrift, 1983, 39). Die Probleme der kompositionellen Regionalgeographie zeigen sich vor allem dann, wenn sich die zu untersuchende Region durch eine große Verschiedenartigkeit der zu untersuchenden Gegebenheiten (Arbeitsprozesse usw.) auszeichnet. Oder anders formuliert: Diese Art von Regionalforschung ist an eine gewisse Homogenität der Ausprägungsformen innerhalb einer bestimmten thematisch festgelegten Kategorie gebunden. Ist dies nicht der Fall, dann ergeben sich rasch Probleme der angemessenen Darstellung und Beschreibung. Deshalb bedarf es einer zweiten Ebene: der kontextuellen Regionalforschung. Kontextuelle Regionalgeographie

Bei der kontextuellen Regionalforschung19 unterscheidet Thrift (1983, 40ff.) in unmittelbarer Anlehnung an Giddens zwei Komponenten: »locale« und »social action«. Die Kernaspekte dieser Bereiche sollen nun rekonstruiert und in einen weiteren Kontext eingebettet werden. Die Frage ist, in welchem Sinne und in welcher Form er Giddens’ Strukturationstheorie für die kontextuelle geographische Regionalforschung fruchtbar machen will. Der erste Bezug zu Giddens wird über den Schlüsselbegriff »locale« hergestellt. Unter »locale« wird in Anlehnung an Giddens (1979a; 1984b) ein bestimmter Raumausschnitt verstanden, der bereits ein bestimmtes Anordnungsmuster von materiellen Gegebenheiten und Personen aufweist. Es handelt sich somit um den materiellen Kontext, die vorfindliche Konstellation für Handeln und Interaktion. Diese Konstellation wird von Giddens auch als »setting« bezeichnet. »Locale« kann deshalb als »Schauplatz« übersetzt werden. Die erste Voraussetzung für die wissenschaftliche Begrenzung einer Region als räumlicher »Interaktionsstruktur« bildet ein vertieftes Verständnis von Interaktion. Sie ist zu verstehen als eine Tätigkeit, die vermittels institutioneller Zusammenhänge die Beziehung zwischen sozialer und räumlicher Struktur herstellt. Dementsprechend kann »Region« nicht als fester Ort bzw. als feste Einheit bereits vorgegeben sein. Ihre Festlegung ist vielmehr zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung zu machen. Es ist herauszufinden, welche »settings« von Interaktionen zu dem zusammengefügt werden können, was man anschließend auf begründete Weise als »Region« bezeichnen kann: »The region (…) must be seen as made up of a number of different but connected settings for interaction« (Thrift, 1983, 40).

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In der weiteren Erörterung werden nun von Thrift neben strukturationstheoretischen vor allem auch zeitgeographische Kategorien miteinbezogen. Jede Region (!), die nun wieder als von vornherein feststehend gedacht wird, ist zunächst als Ermöglichung und Zwang für Handlungen zu begreifen. Beide Möglichkeiten – Ermöglichung und Zwang – beeinflussen die Lebenspfade der dort lebenden Individuen auf entscheidende Weise: »In any region the life paths of particular individuals can interact, simply because they are collateral, near to one another in time and space. Whether they will interact, however, depends on the particular pattern of production (and, in a related way, consumption), and that, in turn, results in (and stems from) a particular pattern of locales, that punctuate the landscape. Each life path is, effectively, an allocation of time between these different locales« (Thrift, 1983, 40). Die Struktur des Anordnungsmusters der Schauplätze wird dann konsequenterweise als Ausdruck – und in gewissem Sinne sogar als Bestandteil – der Sozialstruktur betrachtet. Am wichtigsten wird dabei die Abstufung der Bedeutung der verschiedenen Schauplätze. Welcher Schauplatz oder welche Schauplätze dominant sind, hängt von der Organisation der Produktion ab. Der dominierende Schauplatz zeichnet sich dadurch aus, daß ihm Zeit gewidmet werden muß: »They are economic (and state) imperatives. Under capitalism, for example, home (reproduction), work (production), and, later, school (reproduction) are determinant. (…) These dominant locales provide the most direct link between the interaction structure of a region and objective social structure, because they are the main sites of class production and reproduction« (Thrift, 1983, 40). Damit werden eine ganze Reihe von ontologischen Imperativen gesetzt, die für diese »neue« Regionalgeographie in grundlegendem Maße kennzeichnend sind. Da »locale« eines der beiden zentralen Konzepte der kontextuellen Regionalforschung darstellt, ist die Bestimmung von dessen ontologischem Status für die gesamte Konzeption von tragender Bedeutung. Deshalb sind diese Festlegungen ausführlicher zu kommentieren. Die erste entscheidende Festlegung ist das Resultat einer nicht unproblematischen Folgerung, die wie folgt rekonstruiert werden kann: Aus der Prämisse, daß räumliche Strukturen der Ausdruck sozialer Strukturen sind, leitet Thrift mindestens auf implizite Weise die Folgerung ab, daß räumliche Strukturen und Schauplätze das Soziale sind. Explizit nimmt die Konstruktion folgende Form an: Die Produktionsorganisation und institutionelle Regelungen legen fest, daß die Handelnden bestimmte Zeit für bestimmte Aktivitäten an

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bestimmten Schauplätzen aufbringen (müssen). Aufgrund dieser sozialen Regelungen erlangen die Schauplätze unterschiedliche Bedeutung und werden gleichzeitig zu den zentralen Bindegliedern zwischen regionaler Interaktionsstruktur und objektiver Sozialstruktur. Und weil sie nun – als die Hauptorte sozialer Produktion und Reproduktion – diese Bindegliedfunktion haben, ordnet ihnen Thrift auch eine konstitutive Kraft an sich zu: Es ist wichtig festzuhalten, daß gemäß dieser Konstruktion nicht die Handlungsweisen in ihrer Bezugnahme auf die Produktionsorganisation oder die institutionellen Regelungen die konstitutive Kraft besitzen, sondern die Schauplätze selbst. Dementsprechend wird die Schauplatzanalyse als Sozialanalyse begriffen und die Regionalforschung als Erforschung des Gesellschaftlichen und nicht als Bedingung sozialen Handelns. »Locales« werden aufgrund dieser Argumentationslinie fünf »Haupteffekte« zugewiesen. Erstens

strukturieren Schauplätze die Lebenspfade der Handelnden in räumlicher und zeitlicher Hinsicht, indem sie die Hauptknotenpunkte liefern, durch die Leben fließen muß. Und: »since these locales are class structured and/or class differentiated, they will structure people’s life paths in ways that are class specific« (Thrift, 1983, 40).

Zweitens

weisen Schauplätze auch für die Lebenspfade von Akteure, die Konsequenzen auf, die sich nicht an ihnen aufhalten; dies ist deshalb der Fall, weil Schauplätze für die Möglichkeit mit anderen zu agieren Zwangscharakter erlangen können.

Drittens

geben Schauplätze die Arena vor, in der sich die Interaktionen mit anderen Leuten abspielen. Sie sind somit die Stelle, an der Klassenkonflikte stattfinden, gleichsam der Hauptkontext, in dem die Welterfahrungen gelagert werden und ein gemeinsames Bewußtsein hervorgebracht wird.

Viertens

liefern Schauplätze die Handlungsstruktur für die alltägliche Routine.

Fünftens

sind Schauplätze die Hauptorte der Sozialisationsprozesse, die von der Geburt bis zum Tode stattfinden und in denen die kollektiven Verhaltensformen gelernt werden.

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Zusammenfassend werden Schauplätze (»locales«) als »a particular historical pattern of determination« (Thrift 1983, 41) charakterisiert. Die zentrale Aufgabe dieser »neuen« Regionalgeographie – als Disziplin der regionalen Gesellschaftsforschung – wird konsequenterweise wie folgt formuliert: »The study of the effects of changes in the functioning of such institutional locales on people’s life paths« (Thrift, 1983, 41). Dies impliziert, daß die Forschungseinheiten primär anhand räumlicher Kategorien definiert und bei der räumlichen Positionierung der Gesellschaft Schauplätze als räumlich-soziale Einheiten betrachtet werden, die gegenseitig genau in diesem Sinne auf so untrennbare Weise aneinander gekoppelt sind, wie dies in Band 1 für traditionelle Gesellschaften als typisch bezeichnet wird. Thrift stellt allerdings auch fest, daß zeitgenössische Gesellschaften in zunehmendem Maße durch Interaktionen über große räumliche Distanzen (»interaction at a distance«) hinweg gekennzeichnet sind und daß die sozial einheitlichen Gruppierungen in den einzelnen »locales« durch zunehmende Mobilität mehr und mehr differenziert und fragmentiert werden: »Space (!) is increasingly created as a series of commodified enclaves« (Thrift, 1983, 42). Doch diese gesellschaftlichen Prozesse sind für Thrift (1983, 42) kein Grund, die Konzentration der geographischen Forschung auf die Region als unangemessen zu relativieren: »These tendencies do not mean that the region, seen as a particular intersection of these locales, has therefore lost its coherence or its distinctiveness. Common experiences engendered by the mass media, common school curricula, or the homogenization of residential space are still mediated by distinctively local references«. Der unter spät-modernen Bedingungen und den entsprechenden Entankerungsmechanismen bzw. Globalisierungstendenzen verbleibende Lokalbezug reicht demgemäß aus, um die Logik der traditionellen Regionalgeographie selbst im ersten Teil des Programms der kontextuellen Regionalgeographie aufrechtzuerhalten. Insgesamt entspricht dieser Programmteil dem Vorschlag von Hartke (1948), die Erforschung von Aktionsräumen zum Forschungsgegenstand der Sozialgeographie zu machen. Der zweite Teil des kontextuellen Programms, der von Thrift mit »social action« umschrieben wird, umfaßt vier Unterbereiche: »Persönlichkeit und Sozialisation«, »Verständlichkeit und Verfügbarkeit von Wissen«, »Gesellschaftlichkeit und Gemeinschaft« sowie »Konflikt und Kapazität«. Die Erforschung des Themenbereichs »Persönlichkeit und Sozialisation« (»personality and socialization«) wird als Historische Geographie der Lebens-

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pfad-Entwicklung begriffen. Damit sind Untersuchungen gemeint, die sich mit der räumlichen Komponente der Konstitution der Persönlichkeit (Selbst, Identität und Individualität) befassen. Analog zur Sozialgeschichte geht es darum, die regionale »mentalité«, aus der heraus Subjekte handeln, sozialgeographisch zu erschließen. Unter »räumlicher Komponente« werden die körpergebundenen Aspekte der Persönlichkeitskonstitution verstanden, die aufgrund der Körperlichkeit der Akteure auch in regionaler Hinsicht differenziert ausfällt: »Personality can never be universal. Rather it is a continuously negotiated and renegotiated expression of social and economic relations that vary (…) according to locale and region« (Thrift, 1983, 43). Die Untersuchungen zu den regionalspezifischen Aspekten der Sozialisation bauen ebenfalls auf diesen Überlegungen auf. Da die Konstitution der Persönlichkeit nicht nur als Ergebnis individueller Handlungen, sondern auch von sozialer Interaktion zu betrachten ist, impliziert deren Studium auch die Berücksichtigung regionalspezifischer Aspekte von Sozialisationsprozessen. Dabei ist – ganz im Sine von Hartke – davon auszugehen, daß hier regionale Aspekte mindestens ebenso differenzierend wirken wie »Klasse«, »Rasse« und »Geschlecht«: »The population cohort into which the individual is born (…) is the most important« (Thrift, 1983, 44). Diese Bevölkerungsgruppierungen zeichnen sich durch regionalspezifische kollektive Erfahrungen aus und beeinflussen die Lebensläufe über entsprechende Sozialisationsprozesse ebenso regionalspezifisch: »These factors mark out their personality from other cohorts (through) (…) the context provided by a region« (Thrift, 1983, 44). Diesem ersten handlungsbezogenen Teil der kontextuellen Regionalgeographie geht es somit um die Rekonstruktion der regionalen Persönlichkeitsformation, um die Explikation der regionalspezifischen Persönlichkeitsmerkmale etwa der »Waliser«, »Schotten« oder »Korsen«. Der zweite Themenbereich kontextueller Regionalgeographie ist auf die »Durchdringung und Verfügbarkeit von Wissen« (»penetration and the availability of knowledge«) ausgerichtet. Damit soll der sozialgeographischen Forschung die wissensspezifischen Kommunikationsbedingungen innerhalb einer bestimmten Region kategoriell erschlossen werden. Ihr kommt die Aufgabe zu, jene Zusammenhänge aufzudecken, die zu regionalspezifischen, sozial-weltlichen Wissensbeständen führen. Ein wichtiger Punkt ist für Thrift dabei die Erfahrung der »variability in the availability of knowledge, which will depend upon a particular setting of a region and will be mediated by class and other group memberships as they

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are present in a region« (Thrift, 1983, 45). Zur Rekonstruktion der verständigungsrelevanten Wissensbestände innerhalb einer bestimmten Region werden fünf Kategorien vorgeschlagen. Sie stellen Formen der Verfügbarkeit von Wissen dar. Die Wissensbestände einer Gesellschaft, einer Region oder eines Schauplatzes können sein: -

»unbekannt« und nicht möglich zu kennen; innerhalb des bestehenden Deutungsmusters »nicht verstehbar«; vor bestimmten Mitgliedern »versteckt«; als selbstverständlich wahr oder natürlich betrachtet, »undiskutiert«; in einer bestimmten Situation »gestört«.

Die Erfassung der verständigungsrelevanten Wissensbestände entlang der fünf genannten Kategorien soll um die Untersuchung schriftlicher Quellen erweitert werden. Zudem wird die Erforschung des Einflusses der Massenmedien bei der Diffusion von Wissen über die regional wirksamen Institutionen für wichtig gehalten sowie die Abklärung der Verfügbarkeit solcher Wissensbestände im diskursiven sowie im praktischen Bewußtsein. Darüber hinaus soll laut Thrift die Bedeutung der Sprache für die »regionale« Praxis untersucht werden: »Language (should be studied) as a creative element of discourse in terms of a particular group’s penetration of social practice within a particular region« (Thrift, 1983, 46). Da die (regionale) Sprache das zentrale Medium des Handelns und der Bedeutungsvermittlung bildet, ist ihre Kenntnis für die wissenschaftliche Durchdringung der regionalen Kommunikationsbedingungen und Deutungsmuster der sozialen und physischen Welt von zentraler Bedeutung. Die »Regionalität« der Sprache erklärt Thrift (1983, 46) damit, daß Sprache und Praxis auf das Engste miteinander gekoppelt sind. Da die (körpervermittelte) Praxis immer mit spezifischen regionalen Bedingungen konfrontiert und auf bestimmte Aktionsräume konzentriert ist, weist die Sprache konsequenterweise regionale Differenzierungen auf. Das dritte Themenfeld der kontextuellen Regionalgeographie, bezeichnet Thrift mit »Gesellschaftlichkeit und Gemeinschaft« (»sociability and community«). Diesbezüglich interessiert ihn vor allem die Bedeutung des Verhältnisses von Gemeinschaftssinn und symbolischer Ortsbedeutung (»sense of place«). Die räumliche Kammerung der Gesellschaftlichkeit findet dabei in der dörflichen, städtischen oder regionalen Gemeinschaft ihren Ausdruck. Der symbolische Ortsbezug ist von zentraler Bedeutung dafür, auf welcher räumlichen Stufe das Gemeinschaftsgefühl die intensivste Ausprägung erfährt.

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Die vierte Thematik der »neuen« Regionalgeographie betrifft die Bereiche »Konflikt und Kapazität« (»conflict and capacity«) als besonders wichtige Aspekte sozialen Handelns bestimmter Gruppen, die eine bestimmte Region »leben«. Dabei wird Klassenkonflikten und der Durchsetzungskraft (Kapazität) von Klassen eine große Bedeutung beigemessen. Besonders wichtig sei es festzustellen, welche Formen »Konflikt und Kapazität« in verschiedenen Regionen in unterschiedlichen Epochen angenommen haben und heute annehmen.

Übersicht 6: Kontextuelle Situationselemente (aus: Thrift, 1983, 48)

»Kapazität« wird dabei wie folgt definiert: »Capacity is clearly a function of the ability of a social grouping to produce transformative individuals (personality formation), particular forms of knowledge, and particular forms of sociability, each of these being inseparable from the others« (Thrift, 1983, 48). Thrifts Vorstellung dieser gegenseitigen Verwiesenheit wird in Übersicht 6 dargestellt. Keines der dargestellten Elemente kann unabhängig vom Diskurs, durch welchen die Region als soziale Praxis gelebt wird, betrachtet werden. Treten Widersprüche zwischen diesen Elementen auf, kommt es zum Konflikt, der sich meist in Form von spontanem Protest äußert. Diese Rekonstruktion der »neuen« Regionalgeographie sollte deutlich machen, daß für Thrift »Region« etwas ist, in dem und durch das hindurch die Akteure leben. Sie leben die Region vermittelt durch ihre soziale Praxis. Doch bei all den damit verbundenen differenzierenden und theoretischen

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Bestrebungen der Vertiefung geht Thrift konstant davon aus, daß eine Region für alle sozialen Belange immer einheitlich identifizierbar ist und daß sie – wenn auch nicht für alle Zeiten gleich feststehend, so doch – als etwas besteht, von dem eine Gesellschaftsanalyse, die gleichzeitig Regionalforschung ist, ihren Ausgang nehmen kann. Die Existenz der Region wird im engeren Sinne nicht problematisiert, sondern als vorgegeben akzeptiert. Wichtig ist ihm insbesondere, daß Regionen auf »theorie-informierte« Weise erforscht werden sollen. Regional- und Gesellschaftsforschung können dabei deshalb zusammenfallen, weil Thrift – wie auch Pred – das Räumliche für sozial und vice versa das Soziale für räumlich hält. Insgesamt haben alle Weiterentwicklungen der »neuen« Regionalgeographie davon auszugehen, daß »Raum« und »Zeit« nicht als nebensächliche Kategorien der Gesellschaftsanalyse betrachtet werden könnten: »Space and time are always and everywhere social. Society is always and everywhere spatial and temporal. Easy enough concepts, perhaps, but the implications are only now being thought through« (Thrift, 1983, 49). Nigel Thrift II: Regionalgeographie und »Ontologie der Mobilität«

Wie an mehreren Stellen angedeutet, nimmt Thrift bereits in seiner ersten wichtigen Publikation zur Rekonstruktion der Regionalgeographie von den aktuellen sozialontologischen Bedingungen Kenntnis, mit denen nun die Geographie konfrontiert ist. Diese Berücksichtigung wird in den drei darauf folgenden Auseinandersetzungen »For a new regional geography« (Thrift, 1990; 1991; 1993a) weiter vertieft. Er beschreibt dort die Sozialontologie zeitgenössischer Gesellschaften als postmoderne Gesellschaften, was inhaltlich – nicht in der Herleitung und in der Interpretation der Konsequenzen – mit der Darstellung der spät-modernen Gesellschaften in Band 1 zu vereinbaren ist. Ausgangspunkt bildet eine kritische Stellungnahme zu den Diskussionen um eine »neue« Regionalgeographie, die seit Derek Gregorys Anregungen und Nigel Thrifts eigenen konzeptionellen Vorschlägen Anfang der achtziger Jahre stattgefunden haben. Er stellt fünf positive Veränderungen der Regionalgeographie fest. Die erste sieht Thrift (1990, 273) darin, daß eine Region nicht mehr als bloß intern konstituiert verstanden werde, sondern als Ausdruck regionsexterner und -übergreifender Prozesse. Zweitens werde dem interpretativen Aspekt menschlicher Handlungen im Vergleich zur traditionellen Regionalgeographie verstärkt Beachtung geschenkt. Drittens berücksichtige man nun auch die Veränderung der Räume von Regionen, diese würden nicht mehr als

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starre Größen betrachtet: »especially their transformation into simulations of other spaces, distant in space or/and time« (Thrift, 1990, 274). Viertens werde die Mensch-Natur-Beziehung »realistischer« gesehen, nämlich unter Einbezug des Warencharakters, den die Natur über Industrialismus und Kapitalismus angenommen hätte. Fünftens würde endlich die Beschreibung von und die Berichterstattung über Regionen problematisiert, wobei vor allem das Verhältnis von analytischer und narrativer Darstellung im Zentrum stehe. Im Weiteren identifiziert Thrift drei verbleibende Kernprobleme: 1. Tendenz der Reifikation und Untergliederung der Regionen in natürliche Teile: Als Gegenstrategie schlägt er die stärkere Berücksichtigung der »hermeneutischen Dimension« vor, ohne allerdings zu vermerken, wessen Bedeutungen auszulegen sind. 2. Überbetonung der sozialen Strukturen: Aus der »Struktur-Handeln-Debatte« (structure-agency debate) wäre die Struktur eindeutig als Sieger hervorgegangen, wie er sich ausdrückt, und dies wirke sich insofern negativ aus, als menschliches Handeln ohne theoretische Durchdringung bleibe. Eine konsequente Theoretisierung des Subjekts und dessen, was ich als die subjektive Forschungsperspektive bezeichnet habe,20 bliebe noch zu leisten. 3. Vernachlässigung der Bedeutung des Kontextes: Als Konsequenz der mangelnden Theoretisierung des Subjektes behalte die kompositionelle Darstellung von Regionen konsequenterweise die Oberhand. Die zu entwickelnde Kontextforschung setze, so Thrift (1991, 40), insbesondere eine angemessene Theoretisierung des Subjekts und des Handelns voraus. Unter Bezugnahme auf den »Raum der Postmoderne« und nicht, wie man nach dieser Argumentation erwarten könnte, von einer subjektzentrierten Perspektive aus, thematisiert Thrift (1990, 272ff.) dann die Leitlinien für die empirische Forschung der »neuen« Regionalgeographie. Er verdeutlicht dieses Programm anhand einer potentiellen Regionalgeographie Frankreichs und bezeichnet auf metaphorische Weise sechs Hauptmerkmale oder sechs Bedeutungsschichten des postmodernen Raums.21 Als erste Bedeutungsschicht bezeichnet er als »space of return« und meint damit die agrarwirtschaftlich geprägte Landschaft des ruralen Frankreichs zu Zeiten von Paul Vidal de la Blache (1916). Die entsprechenden Zusammenhänge sind unter Bezugnahme auf Heideggers (1927) »Sein und Zeit« zu erschließen.

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Auf der zweiten Stufe – »space of discipline« – hat die Forschung vom Bauern zum Franzosen bzw. zum nationalen Staatsbürger überzugehen. Hier soll die sozialgeographische Regionalforschung die Bedeutung der Nationalstaaten zur Kenntnis nehmen. Die nationalstaatlichen Implikationen sind für das soziale Leben vor allem in bezug auf ihren Apparat der Disziplinierung im Sinne von Foucault (1977) und Adorno (1973) sowie Castoriadis (1973) und Habermas (1986) zu untersuchen. Der dritte Schwerpunkt – »space of the imperium« – richtet sich auf die Analyse der Geopolitik, insbesondere die Konsequenzen des Kolonialismus unter Bezugnahme auf Wallersteins (1974) »Theorie der Weltgesellschaft«, Giddens’ Ausführungen zu Nationalstaaten und Gewalt in »A Contemporary Critique of Historical Materialism« (1985a) und Michael Manns Theorien des Nationalstaates in »The Sources of Social Power« (1986). Hier soll insbesondere die Entstehung der Nationalstaaten und deren Integration in die Weltwirtschaft zum Fokus der Analyse gemacht werden. Das Geschichte- und GeographieMachen jener Akteure, deren Geschichte und Geographie kolonialisiert wurde, soll differenziert untersucht werden. Elias’ Konfigurationstheorie wie sie im »Prozeß der Zivilisation« (1976) formuliert wurde, können hier zum besseren Verständnis behilflich sein. Als vierte Ebene schlägt er den Raum der Waren und des Kommerzes vor, »space of commodity«, mit seinen Einkaufsarkaden, Großkaufhäusern, die Macht der Zirkulationsströme des Renten- und Finanzkapitals, das Wachstum der Wohnviertel der Mittelklasse und das Aufkommen der neuen Konsumtions-Ästhetik des postmodernen Zeitalters. Die Werke von Baudrillard (1988a; 1988b), Lyotard (1986) und Jameson (1988) sollen hierfür die Leitlinien abgeben. Mit anderen Worten: Als vierte Analysedimension für die »neue« Regionalgeographie wird die Raumanalyse der postmodernen Konsumtionstempel mit ihrer neuen Ästhetik empfohlen. Fünftens steht »the space of displacement«, die Analyse des »Verlagerungsraumes«, an. Damit sind die Emanzipationsbewegungen – mit ihren entsprechenden Räumen – verschiedenster Art wie die Pariser Kommune, die 68er oder etwa die feministische Bewegung gemeint. Als Anleitung für die Analysen sieht er Lefebvres (1977) Theorie des Alltagslebens. Der sechste und letzte Schwerpunkt richtet sich schließlich auf das, was als die Besonderheit der Postmoderne betrachtet wird, auf den Raum, den Thrift (1990, 273) »space of intertextuality« nennt. Die Entzifferung der Vieldeutigkeit soll unter Anleitung von Derrida (1976) vorgenommen werden.

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Habermas (1962) soll den Charakter des öffentlichen Raumes verständlich machen, Foucault (1981) die Genealogie der »Ordnung der Dinge« und Bourdieu (1991b) die Bedeutung des »kulturellen Kapitals«. Damit entfernt sich dieses Programm von der Zielsetzung der stärkeren Konzentration auf handelnde Subjekte und Kontexte des Handelns. Thrift (1991, 460) hält dazu selbstkritisch fest: »The question, then, is how to return to the subject of the mundane world of subjects involved in practical dealings, to a world where subjects still have a capacity for agency, to a world where places are peopled, not proactive«. Um Kontexten angemessen Rechnung tragen zu können, ist eine theoretische Vertiefung von Subjekt und Handeln notwendig. Denn »Kontext« kann immer nur in bezug auf ein bestimmtes Handeln thematisiert werden und das Verständnis des Handelns der Subjekte setzt auch ein Verständnis von Subjekt voraus. Subjekte zeichnen sich gemäß Thrift (1991, 461) durch drei Merkmale aus: 1. »Subjects are contextual modulations of (social) discourses«. 2. »Subjects are dialogical, bringing specific personas, discourses and voices to specific contexts of intersubjective negotiation/domination«. 3. »Subjects are agents. That is, subjects have the power within them to change their personas, modes of negotiation and context through practice«. Ohne auf diese drei Punkte an dieser Stelle ausführlich eingehen zu können, sei auf die Hoffnungen und zu erwartenden Schwierigkeiten hingewiesen, die Thrift mit einer stärkeren Berücksichtigung der handelnden Subjekte verbindet: »If these three principles are accepted, then a space opens up for a reconstruction of regional geography, one that is peopled, one that comes alive. The investigation will be a difficult one because subjects have to be seen as fragmentary but not utterly fragmented, as differentiated but not separated, and as both present and absent« (Thrift, 1991, 461). Aufgrund dieser Einsicht wird die Forschungsagenda erneut revidiert. Es geht nun streng genommen nicht mehr um eine Regionalgeographie, sondern um fünf subjektbezogene Geographien der:22 a) Konstitution des Selbst und der Selbstidentität23 (»Geography of self-formation«); b) Konstitution der Autobiographie, der Lebensläufe und des Gedächtnisses (»Geography of memory and forgetting«);

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c) sozial konstruierten diskurs- und praxis-vermittelten Emotionen (»Geography of emotional states«); d) Wissensformen, die Diskurse erst möglich machen, und Geographie der Strukturierungsformen dieses Wissens (»Geography of knowledge and ignorance«); e) Verwendung von Kontexten zur Ausbildung von Identitäten, Gedächtnis, Emotionen, Aktivierung von Diskursen und besonderen Wissens (»Geography of contexts«). Doch dieses Programm nähert sich unbeabsichtigterweise erneut einer raum- und nicht kontextgebundenen Regionalgeographie an. Wie könnte eine Kontextgeographie aussehen, in der »Raum« und nicht »Subjekt« im Zentrum steht, wenn Kontextualität immer nur in bezug auf spezifische Handlungsweisen der Subjekte identifizierbar ist? Damit soll angedeutet sein, daß der Widerspruch des Programms nur auflösbar wäre, wenn das Subjekt und nicht »Raum« ins Zentrum der Analyse gestellt würde. Die letztgenannten Punkte öffnen zwar interessante Perspektiven für die sozialgeographische Forschung, doch es ist schwer vorstellbar, wie subjektbezogene Regionalgeographien erforscht werden können, wenn »Raum« Primärkategorie der Analyse bleibt und die Kategorien des Handelns nicht Vorrang erlangen. Thrift scheint den immer noch bestehenden Bruch zwischen Anspruch und Programmvorschlag zu ahnen. Denn auch nach der dritten Reformulierung des Forschungsprogramms bleibt die Frage zentral: »Where to start such a programme of research?« (Thrift, 1991, 462). Die Antwort läßt allerdings – unter gewissen Bedingungen – Hoffnung auf einen wirklichen Perspektivenwechsel zu: »It seems to me that the programme needs to start with three interconnected areas of inquiry which are of pressing importance if we are ever to theorise subject-context adequately, and therefore be able to get to a new regional geography where subjects do not make places, but, in a sense, are places« (Thrift, 1991, 462). Die Bedingung für einen tatsächlichen Perspektivenwechsel bestünde darin, mit der Formulierung »subjects (…) in a sense, are places« zu verlangen, daß den Subjekten jene zentrale Beachtung und Bedeutung zukommt, wie Orte sie in der traditionellen Regionalgeographie haben, und die Welt entsprechend aus der Sicht der Subjekte erforscht würde. Dies macht in jedem Fall eine weitere Dynamisierung der »neuen« Regionalgeographie und deren Abstimmung auf die Ontologie der Postmoderne nötig. Welches sind die programmrelevanten Aspekte dieser neuen Sozialontologie?

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Das Hauptmerkmal der zeitgenössischen Lebensbedingungen besteht für ihn in der Mobilität: »In modern societies, mobility is the primary activity of existence (…) mobility is the avatar of modernity« (Thrift, 1993a, 94). In diesem Zusammenhang wird für Thrift (1993a, 94) die Frage wichtig, was denn unter dieser Bedingung »Ort« heißen könnte: »What is place in this new world?« Orte sind nicht mehr fixe Punkte, sondern »stages of intensity, traces of movement, speed and circulation« (Thrift, 1993a, 94). Dies entspricht dem Ort-Verständnis der postmodernistischen Philosophen wie Virilio, Baudrillard oder Morris. Als zweites wichtiges Merkmal sind Raum und Zeit nicht mehr länger aneinander gebunden. Dies äußert sich am radikalsten in den Interaktionsformen zwischen Lokalem und Globalem, ermöglicht durch die neuen Kommunikationstechnologien, und ist mit radikalen Konsequenzen verbunden: Alles, was außen ist, kann auch innen sein; alle Orte haben Grenzen, selbst in deren Zentrum. Und schließlich die zunehmende Vorherrschaft indirekter Interaktionen und sozialer Beziehungen, die einerseits zur Aufhebung von Dichotomien wie Gemeinschaft und Gesellschaft (»blurring of gemeinschaft and gesellschaft«) führen, und andererseits zum Ineinandergreifen von intimer face-toface-Erfahrung und großmaßstäblichen Sozialsystemen: »It is more correct to say that people increasingly have their world of lived experiences within corporate actors. An expanding share of face-to-face relations arise, unfold and develop within organizations« (Hernes, 1991, 124).24 Dementsprechend wird es auch kaum mehr möglich sein, von räumlich gekammerten Gesellschaftsformationen zu sprechen: »It has become increasingly difficult to imagine cities as bounded space-times with definite surroundings, wheres and elsewheres« (Thrift, 1993a, 95). Die Gekammertheit wird immer weniger vorstellbar, je mehr die Mobilität und Beweglichkeit der Kulturen urbaner Zentren zunimmt: »(It exists) an urban swirl of ›unrooted juxtapositions‹, sometimes expressed in inadequate phrases like ›multiculturalism‹« (Thrift, 1993a, 95). Die Trennung von Raum und Zeit in sozialen Prozeß- und Handlungsabläufen transzendiert somit die alte Gekammertheit traditioneller Gesellschaften. Was Giddens die raum-zeitliche Entankerung der Gesellschaft nennt, beschreibt Thrift als »unboundedness«, »ontology of mobility« (1993a, 96). Welche Konsequenzen, welchen Programmvorschlag leitet Thrift nun aus diesen neuen ontologischen Bedingungen ab? Die Hauptfolgerung besteht darin, daß der Kern der Postmoderne als »ontology of mobility« umschrieben

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wird. Die erste gewinnbringende Konsequenz dieser Festlegung sieht er in der Problematisierung dessen, was bisher konstant gehalten wurde: »The ontology of mobility forces us to problematise what we have held constant« (Thrift, 1993a, 96). Damit ist aber nicht eine Dynamisierung in Richtung Regionalisierungsprozeß gemeint. Seine Forderung ist wesentlich schwächer: »We are forced to go beyond accounts which insist on regarding the importance of place and placement in modern everyday life as though somehow the mere statement of recognition is enough to provide an anchor, a certitude« (Thrift, 1993a, 96). Verändert werden soll somit lediglich der Fokus der räumlichen Betrachtung. An die Stelle der steten Betonung der Bedeutung des Ortes hat die Tatsache zu treten, daß Transport und Bewegung die Hauptaspekte des modernen Alltagslebens geworden sind. Dem ist forschungslogisch Rechnung zu tragen. Den zweiten Vorzug sieht er darin, daß die Ontologie der Mobilität die Geographen zwingt, nachzudenken über Konvergenzen und Überlappungen, »about borders, about processes of bordering and border pedagogy« (Thrift, 1993a, 96). Grenzen und Zentren seien nicht mehr klar definiert und definierbar, was es ermögliche, dem wachsenden »ethnischen Absolutismus« zu entrinnen, »by concentrating on fractal patterns of cultural and political exchange that we try to specify through manifestly inadequate terms like creolisation and syncretism« (Thrift, 1993a, 96). Mit anderen Worten: Geographische Forschung soll endlich die Fragmentierung der postmodernen Welt berücksichtigen und nicht weiter in räumlich-statischen Kategorien nach der Umwandlung eines kulturellen Raumes in einen anderen Ausschau halten und dadurch den »ethnischen Absolutismus« fördern. Der dritte Vorteil ist schließlich darin zu sehen, daß es die Bezugnahme auf diese »ontology of mobility« erlaube, Subjektivität neu zu theoretisieren, »in terms of subjects positions, strung out in space-time« (Thrift, 1993a, 96). Die Frage ist allerdings, in welchem Sinne Thrift hier von »Position« spricht. Meint er dies in subjektiver, sozial-kultureller oder etwa gar physisch-weltlicher Hinsicht? Als Vorteil dieser neuen Bezugnahme auf das Subjekt sieht er zunächst allerdings »nur«, daß man sich nicht mehr auf »Identität« als »implodierenden Dialog« zu konzentrieren hätte. »In place (…) we have to re-theorise identity as a space-time distribution of hybrid subject-contexts constantly being copied, constantly being revised, sentenced and enunciated« (Thrift, 1993a, 96).25 Identität ist also nicht mehr als zirkulärer Selbstdialog zu thematisieren, sondern es ist gemäß Thrift nun möglich, Identität als eine kon-

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textgebundene Äußerung zu begreifen, bei der das Kopieren vorgegebener Muster ein fester Bestandteil sein kann. Doch dies soll, um geographisch sein zu können, ganz im Sinne von Blotevogel/Heinritz/Popp (1987) in seiner raum-zeitlichen Verteilung und Anordnung analysiert werden. Dies hat schließlich wohl damit zu tun, daß die Neukonzeption des Subjekts unter Bezugnahme auf die Position des Subjekts, als räumliche Position interpretiert wird. Von dieser Position aus sollen dann die vielfältigen Formen der identitätsstiftenden Prozesse des Kopierens, der ständigen Reinterpretation usw. in raum-zeitlicher Verbreitung analysiert werden. Das daraus abgeleitete Forschungsprogramm geht von dem Grundsatz aus, daß die »neue« Regionalgeographie auf die Erforschung der verschiedenen Äußerungsformen der Mobilität angelegt werden sollte: »The new regional geography is about mobility« (Thrift, 1993a, 97). Aus der Interpretation der »ontology of mobility« leitet Thrift die drei folgenden Forschungsschwerpunkte ab: -

Analyse der Reiseliteratur und der Literatur über Reisende sowie einer wachsenden Literatur über die sozialen Implikationen von Transport und Reisen;

-

Erforschung der Orte der Mobilität (Straßen, Eisenbahnlinien, Servicestationen, Flughäfen, Hotels und Motels, Autoparkplätze, Arkaden, historische Orte), der Mittel der Mobilität (Autos, Flugzeuge usw.) sowie der »electronic spaces« (Telefon, Radio, Television, Fax);

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Untersuchung von Grenzen und Begrenzungen, Grenzorten und (Straßen) Kreuzungen, Analyse der Werke über Einwandererkulturen und des sich wandelnden Kulturverständnisses der Immigrantengesellschaft.

Thrift stellt zusammenfassend fest, daß sein Vorschlag, den aktuellen sozialontologischen Bedingungen forschungslogisch mit einer Geographie der Mobilität zu begegnen, zahlreiche Probleme in sich birgt: »there is still a long way to go to get to a new regional geography« (Thrift, 1993a, 98). Wichtig ist aber wohl vor allem die Frage, für welche Lebensaspekte eine Regionalgeographie im Sinne einer Geographie des Regionalen unter den aktuellen sozialontologischen Bedingungen überhaupt noch möglich ist. Wie ist der »ontology of mobility« forschungslogisch beizukommen? Auf diese Frage soll nun in Zusammenhang mit der kritischen Diskussion der konzeptionellen Probleme der »neuen« Regionalgeographie eingegangen werden.

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Kritische Diskussion Erstes Ziel dieser kritischen Würdigung ist es, die Anregungen, die im Hinblick auf die Konzeption der Sozialgeographie der Regionalisierung als positiv und hilfreich betrachtet werden können, zu benennen. Das zweite Ziel besteht darin, die verbleibenden Sensibilitäten und zunehmenden Blindheiten der Regionalgeographie unter spät-modernen Lebensbedingungen zu identifizieren. Deutschsprachige Argumentation

Wirth argumentiert in seinen Plädoyers für die Länderkunde so, als ob für geographische Regionalforschungen keine theoretische Orientierung notwendig wäre, als ob die »räumlichen Gestalten« als »naturhafte Gebilde« im Sinne des traditionellen länderkundlichen Schemas ganz allein von und für sich selbst sprechen würden. Was daraus resultiert, hat Hard (1992, 1) in bezug auf Wirths Orientforschungen (1965) als »Legasthenie des reisenden Geographen beim Lesen der Welt« kommentiert. Auch ohne diesem Urteil in dieser Härte und polemischen Formulierung zuzustimmen, ist das Kernproblem eines jeden theoretisch und sozialontologisch unreflektierten Forschungsanspruchs die Begründung der Aussagen und die Gefahr von unkontrollierten Reduktionen. Unter Bezugnahme auf E. E. Boesch (1976) präzisiert Hard (1992, 5) die Konsequenzen der Regionalforschung bar jeder wissenschaftlich ausformulierten Theorie: Die Forschungen werden »leicht zu einer besonders suggestiven Art von Selbsttäuschung am Objekt. (Denn) die Wirklichkeit ist (…) kein Punkt des Widerstandes. Der projizierende Geograph und die projektiv gedeutete Wirklichkeit bestätigen sich wechselseitig, aber das sind keine realen, sondern imaginierte Bestätigungen. Die Objekte können bei dieser Art von Interaktion nicht widersprechen. Widerspruch kann in solchen Situationen nicht vom Beobachteten, sondern wohl nur vom Beobachter des Beobachters ausgehen.« Eines der wichtigsten Merkmale der deutschsprachigen Renaissance der Regionalgeographie ist, daß sie von der fachspezifischen Theoriediskussion in ihrem Kern, der sogenannten Länderkunde, weitgehend unberührt bleibt. Die Analysekategorien oder besser: die Kategorien der Beschreibung länderspezifischer Beschreibungen und die interne Logik ihrer Verknüpfung in der entsprechenden Perspektive haben seit Hettner keine entscheidende Revision erfahren. Theoriediskussion und Regionalgeographie blieben – und dies ist wohl ein anderes wichtiges Erbe der raumwissenschaftlichen Geographie – nicht nur völlig voneinander isoliert; Theorie und Regionalgeographie wur-

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den sogar über weite Strecken als unverträglich betrachtet. Die Länderkunde, als »höchste Form der Regionalgeographie«, bleibt weiterhin am »Raum« als Primärobjekt haften und hält sich dementsprechend auch »an der Fiktion konkreter Dinge« fest; man kümmert sich wenig um die Grundtatsache der Theoriegeladenheit und Perspektivität jeder Erfahrung. Die damit verbundene, von Hard (1992, 5) festgestellte »suggestive Art von Selbsttäuschung am Objekt«, innerhalb deren sich der »projizierende Geograph und die projektiv gedeutete Wirklichkeit wechselseitig bestätigen«, ist allerdings nur die eine Seite des Problems, jene auf wissenschaftlicher Ebene. Die andere Seite bilden die Probleme im Zusammenhang mit den alltagsweltlichen Konsequenzen dieser egomanischen Wirklichkeitsdeutungen. Wenn man voraussetzt, daß im länderkundlichen Schema in mehrfacher Hinsicht eine prä-moderne Tiefenontologie aufgehoben ist, kann man hypothetisch davon ausgehen, daß die sozialen Wirkungen länderkundlicher Wirklichkeitsdarstellungen nicht nur einem Verständnis der modernen und spät-modernen Welt im Wege stehen, sondern unter Umständen sogar irreführend sein können. Ähnlich wie der Fundamentalismus einen nicht diskursiven Umgang mit der modernen Wirklichkeit darstellt, können länderkundliche Darstellungen begriffen werden als nicht-diskursive Interpretationen der sozial-kulturellen Welt. Der Kern der Kritik an der Forschungsinitiative von Blotevogel/Heinritz/ Popp setzt an deren räumlich-geometrischer Behandlung von nicht-körperlichen Gegebenheiten wie Bewußtseinsgehalten an.26 Am vehementesten wurde diese regionale »Bewußtseinsforschung«27 von Hard (1987a; 1987b) sowie von Bahrenberg (1987) und Werlen (1992; 1995f; 1997b) kritisiert. Die wichtigsten Mängel dieser »Forschungsinitiative« werden von ihnen darin gesehen, daß es sich bei Bewußtseinstatsachen nicht um räumlich lokalisierbare Phänomene handelt, die demnach auch dann nicht regionalisiert werden können, wenn sie die Einstellung zu einer Region betreffen. Bahrenberg (1987) bringt das ganze Unternehmen dahingehend kritisch auf den Punkt, daß das Ziel in letzter Konsequenz eigentlich darin bestehen müßte, zentrale Orte des Zugehörigkeitsbewußtseins zu rekonstruieren und schließlich auch noch kartographisch darzustellen. Anstatt zu fragen, welche Bedeutung regionale Lebensbedingungen und formen für die Entwicklung oder Erhaltung von persönlicher, sozialer oder kultureller Identität haben,28 will man, ganz im Sinne von Wirths Strategie der Verräumlichung der Handlungstheorie, Bewußtseinstatsachen erdräum-

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lich lokalisieren und nach Regelmäßigkeiten in den entsprechenden »räumlichen Mustern« Ausschau halten. Eine weitere Variante potentiell sinnvoller geographischer Identitätsforschung wird ebenfalls ausgeschlagen: statt nach der Bedeutung dieser Zugehörigkeitsgefühle – als Gegebenheiten einer mentalen Wirklichkeit – für das soziale Handeln bzw. für das Geographie-Machen zu fragen, wird die wissenschaftliche Regionalisierung von Bewußtseinstatsachen postuliert. Alle drei Aspekte sind nichts anderes als Ausdruck einer raumzentrierten Perspektive geographischer Forschung, deren wachsende Insensibilität für subjektive und sozial-kulturelle Wirklichkeiten im Kontext spät-moderner Lebensbedingungen zunehmend offensichtlich wird. Auch bei Pohl (1986; 1993) bleibt die raumzentrierte Perspektive erhalten. Seine These und Aufforderung, nicht Raumgesetze sondern das Besondere einer jeden Region herauszuarbeiten, negiert die Problemhaftigkeit der Existenz von Regionen sowie deren Begrenzung. In konstruktiver Hinsicht bleibt bei dieser »Forschungsinitiative« zu vermerken, daß mit ihr nachdrücklicher, als dies bisher der Fall war, auf die Bedeutung der subjektiven Komponente der Handelnden aufmerksam gemacht wurde. Mit ihr werden die subjektiven Weltbezüge für die geographische Forschung – wenn auch auf ontologisch unangemessene Weise – thematisiert. Die Wende zur subjektzentrierten geographischen Forschung im Sinne des alltäglichen Geographie-Machens bleibt weiterhin der raumzentrierten Perspektive verpflichtet. Man erahnt in gewissem Sinne die wachsende Bedeutung subjektiver Bewußtseinsaspekte im Kontext (spät-)moderner Wirklichkeiten, bleibt jedoch in die Kategorienordnung der traditionellen geographischen Erfahrungsperspektive verstrickt. Ohne das Programm von Danielzyk und Krüger ausführlich diskutieren zu können, ist im Hinblick auf die »Sozialgeographie der Regionalisierung« zuerst auf die Implikationen eines ansatzinternen Aspektes aufmerksam zu machen. Wenn von einem Plural der Gerechtigkeit die Rede ist und das Verfahren der Herstellung einer gerechten Regionalpolitik in basisdemokratischen Entscheidungsformen gesehen wird, dann ist jeder wissenschaftlichen Normativität der Boden entzogen. Trotzdem ist der Katalog der »Inhaltsform« der endogenen Regionalentwicklung durchweg als normatives Programm formuliert. Darin ist ein grundsätzlicher Widerspruch enthalten, der sich jeder erfolgreichen Implementierung in den Weg stellt. Die praktische Umsetzung des gesamten Programms muß aus diesem Grund auf ernsthafte Schwierigkeiten stoßen.

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Bei diesem Widerspruch könnte es sich allerdings lediglich um ein »Oberflächenphänomen« handeln. Vielleicht ist im Rahmen einer postmodernistischen Interpretation von Gerechtigkeit und aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen gar keine gerechte Regionalentwicklung denkbar. Befinden sich sogar die Gerechtigkeitskriterien in einem unvereinbaren Plural, dann gibt es nicht nur eine identifizierbare Gerechtigkeit. Befindet sich alles im Plural, dann gibt es auch keinen einheitlichen Beurteilungsmaßstab mehr, nach dem Entwicklung identifiziert werden kann. Dementsprechend ist im innersten Kern des Konzepts »postmoderne Regionalentwicklung« ein derartiger Widerspruch angelegt, daß seine Verwirklichung die Negation seines Anspruchs impliziert. Wissenschaftliche Normativität ist mit einer postmodernen Position offensichtlich schlecht verträglich. Im Hinblick auf die »Sozialgeographie der Regionalisierung« ist die Bezugnahme auf das Konzept »Lebensform« zur Thematisierung der regionalen kulturellen Besonderheiten interessant. Doch es kann nicht in der Form übernommen werden, wie es von den Autoren argumentativ eingesetzt wird. Das Konzept »Lebensform« ist vielmehr für die alltäglichen Regionalisierungsformen zu operationalisieren. In der von den Autoren eingesetzten Form nimmt es auf die traditionelle Regionalgeographie von Vidal de la Blache (1911) und von Bobek (1948) Bezug und ist mit den spät-modernen Lebensbedingungen nicht mehr zu vereinbaren. Als gemeinsame, zu kritisierende Merkmale der deutschsprachigen Debatte um die Regionalgeographie kann man erstens die Beibehaltung der raumzentrierten Betrachtungsweise selbst für mentale und sozial-kulturelle Gegebenheiten identifizieren. Zweitens wird die Existenz von Regionen unter spät-modernen Bedingungen nicht problematisiert. Man geht von klar begrenzbaren Regionen aus, in aller Regel zudem noch von sogenannten Allregionen, obwohl raumwissenschaftliche Regionalisierungsbestrebungen eindeutig nachgewiesen haben, daß diese unter spät-modernen Bedingungen nicht mehr existent sind. Drittens ist insgesamt – wenn überhaupt – ein sehr schwacher und häufig inkonsistenter Theoriebezug vorhanden. Viertens kann lediglich eine geringe Berücksichtigung der aktuellen sozialontologischen Bedingungen festgestellt werden. Eine Ausnahme bilden diesbezüglich die Vorschläge von Danielzyk und Krüger. Ihnen kommen dann ebenfalls die benannten Problemfelder in die Quere. Fünftens kann im Vergleich zur Konzeption der Länderkunde vor der raumwissenschaftlichen »Revolution« nun eine größere Offenheit gegenüber gesellschaftstheoretischen Forschungskategorien festgestellt werden, bei deren

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Umsetzung dann allerdings durchweg eine Tendenz zur Verräumlichung vorherrscht. Zum Verhältnis von Gesellschafts- und Raumkonzeptionen ist für die deutschsprachige Auseinandersetzung zusammenfassend anzumerken, daß auf inkonsistente Weise über Gesellschaftliches gesprochen wird. Tendenziell dominiert in den Argumentationsmustern, meist auf implizite Weise, die holistische Gesellschaftskonzeption, kombiniert mit einer absoluten, gegenständlichen Konzeption des Container-Raumes. Angelsächsische Argumentationen

In der angelsächsischen Debatte um eine »neue« Regionalgeographie sind Tendenzen festzustellen, die in Teilen mit jenen im deutschen Kontext eine bemerkenswerte Ähnlichkeit aufweisen. Allerdings gibt es hier generell Bemühungen um einheitliche theoretische Bezugnahmen zur Revision der geographischen Forschungspraxis. Das heißt allerdings nicht, daß die entsprechenden Interpretationen durch die Geographinnen und Geographen auch immer mit der Grundstruktur der sozialwissenschaftlichen Originalvorgaben zu vereinbaren sind. Dabei sind zwischen den einzelnen Vorschlägen wichtige Unterschiede festzustellen. Buttimers eigene Bezugnahme auf die Phänomenologie ist primär auf die Wiederbelebung der traditionellen idiographischen Regionalforschung ausgerichtet. Dabei spielen insbesondere die »genres de vie« und die entsprechenden Lebensformgruppen eine zentrale Rolle, was sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wohl als wenig leistungsfähig erweisen dürfte. Denn unter den spät-modernen Bedingungen sind die »genres de vie«, die Lebensformen, an denen sowohl Vidal de la Blache die possibilistische Regionalgeographie als auch Bobek (1948; 1969) seine landschaftszentrierte Sozialgeographie konzeptionell festmachte, nicht mehr regional definiert und verankert. Sie äußern sich zunehmend in persönlich definierten Lebensstilen.29 Forschungslogisch ist vor allem auf die Tatsache hinzuweisen, daß der intentionalen Struktur der phänomenologischen Philosophie in dreifachem Sinne nicht Rechnung getragen wird. Menschliche Tätigkeiten werden eher als Verhaltens- denn als Handlungsweisen begriffen. Damit wird die für die phänomenologische Betrachtungsweise wesentliche Intentionalität menschlicher Bewußtseins- und Tätigkeitsformen unterschlagen. Konsequenterweise wird sodann nicht die Intentionalität der Tätigkeiten der Menschen ins Zentrum der Überlegungen für eine neue Regionalgeographie gestellt, wie sich

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dies eigentlich anbieten würde. Es werden nicht einmal die Tätigkeiten ins Zentrum gestellt. Diese prominente Position bekommt der Raum bzw. eine Region zugewiesen. Schließlich ist es nicht mehr möglich, die Konstitutionsleistungen der Subjekte für die Geographie fruchtbar zu machen. Insbesondere wird nicht danach gefragt, wie die Region, die man untersuchen will, konstituiert wird/ist. In aller Regel geht man von nicht in Frage gestellten politisch-administrativ definierten Regionen aus und untersucht dann in quasi- phänomenologischer Manier, was innerhalb davon vorgeht. Nimmt man das Anliegen, die subjektive Perspektive für die Geographie fruchtbar zu machen, ernst, dann kann man nicht lediglich ein Plädoyer für die teilnehmende Beobachtung der Bewohner einer Region halten; vielmehr ist die Frage nach den Konstitutionsleistungen auch auf die Region auszudehnen. Das führt zu Rekonstruktionsanliegen alltäglicher Regionalisierungen und sodann zur Forderung nach Abstimmung der wissenschaftlichen auf die alltäglichen Regionalisierungen. Das besondere Verdienst dieser Anstrengungen ist es, daß das Verhältnis von alltäglichem und wissenschaftlichem Handeln erstmals ernsthaft angegangen wird und sich damit das Tor zur differenzierteren Untersuchung alltäglicher Lebenszusammenhänge öffnet. Die phänomenologische Position erlaubt es auch, Hartkes Vorschlag, das alltägliche Geographie-Machen wissenschaftlich zu untersuchen, zu vertiefen. Dieses Vorhaben setzt die Einnahme der subjektiven Perspektive voraus. Die Phänomenologie hat die Basis dafür geliefert. Doch Buttimers Anwendungsform der Phänomenologie geht nicht weit genug. Sie ist zu radikalisieren, die Konstitution des Raumes bzw. der Räume und der Regionen ist zu problematisieren.30 Hinsichtlich der Konzeption von Gregory sind neben den Schwierigkeiten mit der empirischen Umsetzung mehrere konzeptionelle Probleme feststellbar, die von der angelsächsischen Diskussion nicht zur Kenntnis genommen wurden. Das erste Problem besteht in einer wichtigen Inkonsistenz in seiner Konzeption der sozialen Welt. Gregory (1978) geht von Habermas’ Handlungstheorie aus, konzentriert sich auf räumliche Strukturen als Ausdruck sozialer Strukturen und verknüpft diese schließlich mit einer normativ-kritischen Theorie, ohne zu klären, wie die normativen Standards festgelegt werden sollen. Neben dem Problem der Ungeklärtheit des Verhältnisses von Handeln und Struktur bleibt dabei auch das Verhältnis von räumlicher und sozialer Struktur diffus. Es scheint, als gehe Gregory davon aus, daß räumliche und soziale Strukturen denselben ontologischen Status hätten.

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In seinen späteren Arbeiten, in denen »Kritische Theorie« primär im Sinne von Giddens’ Strukturationstheorie verstanden wird, bleibt diese Ungeklärtheit des Verhältnisses von räumlicher und sozialer Struktur bestehen. Das Verhältnis von Handeln und sozialer Struktur wird nun zwar als Strukturationsprozeß interpretiert. Doch es wird nicht geklärt, auf welche Standards sich die Kritik beziehen soll. Jedes Projekt für eine kritische Regionalforschung müßte zweitens klären, welche Standards zur kritischen Instanz werden und vor allem, wie sich diese legitimieren lassen. Der dritte Punkt betrifft die Operationalisierung (was Gregory mit »Dekodierung« bzw. »Übersetzung« bezeichnet). Er geht nicht darauf ein, was im von ihm bearbeiteten Kontext als Regeln in Frage käme, welcher Art die veränderten autoritativen und allokativen Ressourcen genau sein könnten oder sogar gewesen sind. Genauer: Was Gregory unter »Arbeitsprozeß« diskutiert, müßte im Sinne von Giddens wohl unter allokativen Ressourcen abgehandelt und operationalisiert werden. Insgesamt kann Gregory wohl zentrale Analysekategorien benennen, deren Ausdifferenzierung und insbesondere deren Operationalisierung aber unbefriedigend bleiben. Dies dürfte einer der Gründe sein, weshalb sein Vorschlag bei jedem empirischen Umsetzungsversuch auf große Schwierigkeiten stößt. Wenn auch die allgemeine Richtung als sinnvoll erachtet werden kann, wäre eine präzisere Operationalisierung angezeigt. Doch dieses Problem ist im Verhältnis zum folgenden nur sekundärer Art. Dieser vierte Punkt betrifft seine Bezugnahme auf die Strukturationstheorie. Akzeptiert man die Grundidee der Strukturationstheorie, daß die soziale Wirklichkeit nicht unabhängig von den Konstitutionsakten reflexiver Subjekte besteht, ja von diesen ständig produziert, reproduziert und transformiert wird, dann kann sie nicht in Gregorys Sinne verwendet werden. Geht man mit Hartke davon aus, daß Regionen sozialer Art sind, dann wird der Einpassungsversuch der Strukturationstheorie in die Idee einer »neuen«, kritischen Regionalgeographie fragwürdig. Dann müßte man wohl einsehen, daß »Regionen« als soziale Konstruktion zu begreifen31 und im Lichte der Strukturationstheorie zu problematisieren sind. Sie sind nur solange sozial existent, wie sie von den Akteuren reproduziert werden und können demzufolge nicht als vorgegeben begriffen werden. Mit der Übernahme einer politisch vorgegebenen Region für regionale und ökonomische Transformationsanalysen wird jedoch so verfahren, als ob die politische Definition auch für andere sozial-weltliche Zusammenhänge

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eine sinnvolle Territorialeinheit abgäbe. Wenn aber die raumwissenschaftlichen Regionalisierungsanstrengungen eine wichtige Einsicht produzierten, dann war es sicher die, daß es keine absolute »Allregion« gibt. Positiv ist zu bemerken, daß Gregory die Machtkomponente in die Regionalanalyse einbezieht. Trotz der offensichtlichen Operationalisierungsmängel gibt er durch den Verweis auf das Ressourcenkonzept im Sinne der Strukturationstheorie einen wichtigen Hinweis, wie dieser Einbezug gestaltet werden könnte. Die autoritativen und allokativen Ressourcen wären dabei jedoch konsequenter auf die Handlungsweisen als Konstitutionsprozesse von Regionen zu beziehen. Ähnliches gilt für die Transformationsprozesse: Zwar verortet er ihre Ursachen nicht nur in der Region, doch von einem strukturationstheoretischen Standpunkt aus ist das nicht konsequent und vor allem nicht ausreichend genug, um die sozialontologischen Verhältnisse der Industrialisierung darstellen zu können. Gerade für diese Epoche wäre es von besonderem Interesse, das Einsetzen der Entankerungsmechanismen in ihren Konsequenzen für die alltäglichen Handlungsbezüge zu untersuchen. Die drei von Pred genannten Themen: »institutionelle Projekte«, »Biographien als Ausdruck der Strukturationsprozesse eines Ortes«, »Ortsbedeutung« bilden den Kern seines Programms für eine »neue« Regionalgeographie. Allerdings spielen sie, wie Pudup zu Recht festgestellt hat, bei der empirischen Regionalstudie dann nicht jene zentrale Rolle, die ihnen konzeptionell beigemessen wird. Entscheidend ist jedoch, daß Pred Gegebenheiten für regional darstellbar hält, die dies auf unmittelbare Weise gar nicht sein können. Wie die Analyse von Hartkes Vorschlag gezeigt hat, stellt der Ausweg über die landschaftlich beobachtbaren Indikatoren keine erfolgversprechende Variante dar. Besonders fraglich scheint zu sein, daß Pred jene sozialen und subjektiven Zusammenhänge, die möglicherweise für Regionalisierungen der Lebenswelten zentral sind, selbst der regionalen Darstellung nicht nur für zugänglich hält, sondern sie darüber hinaus auch noch als Gegenstand der Regionalforschung proklamiert. Dies hat wohl wesentlich damit zu tun, daß er die Strukturationstheorie nicht zur wissenschaftlichen Untersuchung des Geographie-Machens verwenden will. Er geht vielmehr davon aus, daß es die Aufgabe der wissenschaftlichen Geographie sei, die Kernbestandteile der Theorie bzw. das, was diese bezeichnen, räumlich darzustellen und regional zu erforschen. Dies kann mit den wenigsten Gegebenheiten gelingen. Das äußert sich bei sozialen Institutionen ebenso wie bei Bewußtseinselementen und Biographien.

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Besonders deutlich wird dies auch am Ende seiner Skåne-Studie, wenn er zur Folgerung gelangt: »The social becomes the spatial. The spatial becomes the social« (Pred, 1986, 198). Wenn dem wirklich so wäre, dann könnte auch seine »neue« Regionalgeographie Erfolgschancen haben. Das Urteil setzt aber eine ontologische Inkonsistenz voraus: Wenn soziale Regelungen symbolhaft an materiellen Gegebenheiten festgemacht werden, heißt das noch nicht, daß auch die symbolische Bedeutung räumlich lokalisierbar ist. Beide müßten untrennbar miteinander verbunden sein und die materiellen Gegebenheiten für alle Beobachter und für alle Zeiten dieselbe Bedeutung aufweisen. Doch intersubjektiv akzeptierte Bedeutungen sind Ergebnisse von subjektiv gleichmäßigen sinnhaften Zuordnungen. Sie sind also zugeordnete und nicht wesensinhärente Eigenschaften. Und da sie Ergebnisse von Bewußtseinsleistungen sind, können sie auch nicht Bestandteile der erdräumlich lokalisierbaren, materiellen Welt sein bzw. zu erforschende Gegebenheiten der Regionalgeographie. Wenn man so tut, als ob sie es wären, dann reproduziert man wohl jene autokratische Weltsicht, die für die meisten traditionellen Gesellschaften mit relativ fixen und stabilen Sinnattribuierungen typisch sind und gerät damit in sozialontologische Widersprüche. Die regionale Untersuchung dessen, was für die alltägliche Regionalisierung der Lebenswelten relevant ist, erweist sich offensichtlich nicht als eine fruchtbare Option für die Neuorientierung der Regionalforschung. Ähnliche Schwierigkeiten sind mit dem zweiten Kernsatz von Preds theoretischen Erörterungen verbunden: »People produce history and places and at the same time people are produced by history and places« (Pred, 1986, 198). Sicher: »People produce history and places«. Doch die Behauptung umzukehren und zu postulieren, »people are produced by history and places«, weist genau jene Implikationen auf, die in der Fachgeschichte bereits so oft zum Problem geworden sind. Orte und Wissen über vergangene Ereignisse sind für soziales Handeln sicher in hohem Maße bedeutsam. Aber nicht in unmittelbarer Weise, sondern immer in bezug auf bestimmte Aktivitäten, spezifisch interpretierte Bedeutungszusammenhänge. Und weil sie erst durch diese interpretativen Filter hindurch bedeutsam werden, kann es auch keine Orte oder Regionen geben, die unmittelbar sinnkonstitutiv sind. Daraus folgt: Statt das Soziale zu verräumlichen, ist es erfolgversprechender zu untersuchen, wie räumlich gebundene Symbolisierungen und Markierungen in sozialer Hinsicht eingesetzt werden. Dann sind es aber nicht mehr Geschichte und Orte, welche Personen konstituieren, sondern das Wissen über

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Zeitpunkte und Orte. Dieses Wissen kann aber nur von anderen Subjekten – und nicht von »Geschichte« und vom »Ort« selbst – in Anschlag gebracht werden. Dementsprechend ist es das gegenseitige Wissen darum, das für das soziale Handeln konstitutiv werden kann. Akzeptiert man diese Argumentation, dann ist die Orts- und Regionalanalyse kein Weg, das Verhältnis von »Ort« und »Subjekt« zu erforschen. Vielmehr soll die Analyse das Handeln der Subjekte fokussieren. Dies impliziert eine Schwerpunktverlagerung von der »theory of place« zu einer »theory of action«. Nigel Thrifts Vorschläge zur Rekonstruktion der Regionalgeographie sind letztlich als ein Prozeß der Verräumlichungsbestrebungen der Gesellschaftstheorie zu qualifizieren. Dies liegt darin begründet, daß Thrift genau wie Gregory und Pred in letzter Konsequenz der raumzentrierten Betrachtungsweise verhaftet bleibt, in die er sozialtheoretisches Gedankengut integriert. Bei Thrift äußert sich besonders deutlich, daß es nicht ausreicht, sich allein auf eine gehaltvolle Gesellschaftstheorie zu beziehen, um die geographische Forschungspraxis zu verbessern. Es bedarf einer kompatiblen Raumkonzeption, um eine wirklich fruchtbare Forschung zu ermöglichen. Wird diese Voraussetzung nicht geschaffen, tritt die alltagsweltliche Erdraumkonzeption immer wieder in Konflikt mit einer konsequenten Anwendung der Strukturationstheorie. Offensichtlich wird das im Zusammenhang mit der regelmäßig wiederholten Forderung nach einer konsequenten Integration des Subjekts in die geographische Regionalforschung. Diesem Anspruch stellt sich die absolute oder gar gegenständliche (Erd-)Raumkonzeption in den Weg. Würde dem genannten Anspruch Rechnung getragen, dann müßte von einer anderen Raumkonzeption ausgegangen werden. Die konstitutive Kraft der sozialen Welt liegt dann voll beim Subjekt (innerhalb seines sozial-kulturellen Kontextes natürlich) und nicht mehr beim Raum, dem Ort oder der Region. Daraus läßt sich zunächst die These ableiten, daß Thrift einen konsequenten Einbezug des Subjekts in die Regionalgeographie durch eine zu dominierende raumzentrierte Sichtweise versperrt. Da sich aber die raumzentrierte Perspektive – das heißt eine Sichtweise, bei der räumliche Kategorien die Primärkategorien bilden – mit der Integration handelnder Subjekte nicht systematisch verbinden läßt, wird die Vorstellung einer subjektzentrierten Regionalgeographie widersprüchlich. Stellt man das handelnde Subjekt ins Zentrum, kann nicht mehr die Regionalgeographie die Perspektive sein, sondern vielmehr eine Sozialgeographie der Regionalisierung.

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Diesen Perspektivenwechsel vollzieht Thrift nicht und sieht daher alles Sozial-Kulturelle und Subjektive im Raum, so auch das Subjekt. Handeln findet in der Region statt, selbst der Kontext befindet sich in der Region. Auch wenn er schreibt, »a region is lived through, not in« (Thrift, 1983, 38), läuft die Grundstruktur seiner Argumentation dem entgegen. Raum und Region werden als feststehend gedacht. Wir sollen beobachten, was in ihm bzw. in ihr geschieht, und darüber auf »theoretisch informierte Weise« berichten. Doch die Rede von sozialen Verhältnissen in Regionen ist unter den aktuellen sozialontologischen Bedingungen zunehmend schwierig. Die perfekte Illustration dieser Problematik wird von Thrift (1983, 40) selbst geliefert: »In Bali, for example, religion takes up more time than even work.« Damit behauptet er, daß diese Aussage für alle Leute, die auf dieser Insel leben, zutreffend sein soll. Darin äußert sich die sozial homogenisierende Wirkung der Rede über soziale Tatsachen in räumlichen Kategorien. Diese Wirkung wird jedoch um so problematischer, je bedeutsamer die Entankerungsmechanismen werden, je stärker der Spielraum persönlicher Entscheidungen wächst und je mehr die Möglichkeiten individueller Lebensgestaltung zunehmen. Dann sind nämlich die Lebensformen nicht mehr auf sozial homogene Weise räumlich gekammert und der Grad der Angemessenheit der Beschreibung von Sozial-Kulturellem in räumlichen Kategorien (Regionen) nimmt drastisch ab. Eines der Kernprobleme der sogenannten »neuen« Regionalgeographie ist daher auch ihr expliziter Rückbezug auf die Stärken der traditionellen Regionalgeographie possibilistischer bzw. Vidalscher Prägung. Das kommt bei Thrift in der für ihn wichtigen kontextuellen Geographie zum Ausdruck. Diese Betonung ist natürlich eingebettet in die allgemeine Stoßrichtung der »neuen« Regionalgeographie gegen den raumwissenschaftlichen Ansatz. An diesem wurde vor allem die nomothetische Ausrichtung kritisiert; daher war für die Kritik die Betonung des Kontextes der Vidalschen Geographie zentral. Doch die Kritik greift nicht weit genug: Anstelle von Raumgesetzen deckt man nun räumliche Einmaligkeit auf. Darin ist bereits der Widerspruch zu einer konsequent kontextuellen Geographie angelegt. Eine raumzentrierte Geographie des Kontextes kann keine kontextuelle Geographie sein. Eine kontextuelle Geographie, die diesen Namen verdient, setzt die wissenschaftliche Untersuchung des alltäglichen Geographie-Machens voraus. Im Rahmen einer Regionalgeographie, die den Vidalschen Wurzeln verpflichtet bleiben will, ist dies gerade nicht möglich. Trotz der Forderung nach der Konzentra-

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tion auf das Subjekt gelingt es Thrift auch hier nicht, der Tendenz zur Verräumlichung des Nicht-Räumlichen zu widerstehen. Eine kontextuelle Geographie unter einer raumzentrierten Forschungsperspektive zu betreiben, ist und bleibt letztlich ein Widerspruch. Denn es kann keinen räumlich definierten Kontext geben. »Kontext« ist ein relationales Konzept. Ein Kontext kann nur in bezug auf eine Handlung, eine Zielsetzung oder allgemeine Ausrichtung des Handelns spezifiziert werden. Je nach der Art des Handelns werden je unterschiedliche Aspekte des Kontextes relevant. Deshalb setzt eine echte kontextuelle Geographie in jedem Fall eine handlungs- bzw. subjektzentrierte Sichtweise voraus. Ähnliches gilt für den nächsten Kritikpunkt. Man kann mit Thrift zwar davon ausgehen, daß räumliche Strukturen eine Ausdrucksform über Handeln vermittelter sozialer Strukturen sind. Doch gerade weil sie »Ausdruck« sind, können sie mit diesen nicht gleichgesetzt werden. Raumstrukturen sind nicht per se Sozialstrukturen. Sie sind Ausdruck davon und können vielleicht dazu beitragen, daß soziale Strukturen eine höhere Persistenz erlangen. Wie die Strukturationstheorie zeigt, ist nicht zu vergessen, daß Machtverhältnisse darüber bestimmen, wie räumliche Strukturen genutzt werden können. Eine weitere Konsequenz der Vorherrschaft räumlicher Kategorien, die sich in der Rede von sozialen Gegebenheiten in der Region äußert, ist schließlich auch die Idee der Regionalgeographien von »Persönlichkeit und Sozialisation«, »Verfügbarkeit des Wissens«, »Gesellschaftlichkeit und Gemeinschaftlichkeit« sowie die Idee, sechs verschiedene postmoderne Räume (»spaces of return, discipline, imperium, commodity, displacement and intertextuality«) herauszuarbeiten. In subjektzentrierter Perspektive wäre es konsequenter zu fragen, in welcher Hinsicht räumliche Bedingungen für Sozialisation, Überwachen, Kontrolle usw. eine Rolle spielen können. Neben den genannten Problemen führt dies zu einer statischen Betrachtung der sozialen Welt. Thrifts Korrekturversuch dieser Konsequenzen durch eine »geography of mobility« bleibt Ausdruck der genannten Vorherrschaft. Obwohl es ihm darum geht, dem Subjekt, der Mobilität und dem Aufbruch räumlich gekammerter Sozialformationen konzeptionell Rechnung zu tragen, gibt er immer noch, wenngleich in abgeschwächter und eher versteckter Form, den räumlichen Kategorien den Vorrang. Bei der Analyse von Reiseliteratur, der Analyse von Orten der Mobilität usw. wird zwar die Sicht der Subjekte relativ stark in den Vordergrund gestellt, doch die Orte der Begegnung werden von Thrift ebenso für vorgegeben gehalten, wie von Pred die Region.

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Die von Thrift benannten sinnvollen und interessanten Themenbereiche, die auch für die »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« wichtige Anregungen abgeben, sind jedoch mit seinen Aussagen über die zeitgenössische Sozialontologie der Postmoderne – oder wie die gegenwärtigen Verhältnisse auch immer benannt werden – nicht konsequent zu vereinbaren. Man kann diesen Verhältnissen wohl nicht ausreichend gerecht werden, indem man Bewegungen festhält, die Verteilungen der Bewegungsmittel registriert und die bei der Distanzüberwindung gemachten Erlebnisse schildert. Dies kommt einem Versuch der räumlichen Verankerung von sozialem Handeln gleich, dessen besonderes Merkmal aber heute gerade in der drastisch zunehmenden Entankerung liegt. Daher sollte beachtet werden, daß ein empirisch angemessenes und sozialontologisch auf die Globalisierung abgestimmtes Wirklichkeitsverständnis sich unbedingt in der Form auf die Konstitutionsleistungen der alltäglichen Geographien einzulassen hat, wie sie die Subjekte realisieren. Die »ontology of mobility« ist deshalb als ein Ausdruck des alltäglichen Geographie-Machens zu verstehen. Dieser Ausdruck scheint nur im Zusammenhang mit einer traditionellen Raumkonzeption von besonderem Interesse zu sein. Doch ein konsequenter Einbau des Subjekts in die geographische Wirklichkeitsanalyse und -darstellung hat einen Schritt weiterzugehen.

Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen In bezug auf das Projekt »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« kann die »neue« Regionalgeographie als Versuch eingestuft werden, den neuen sozialontologischen Bedingungen spät-moderner Gesellschaften Rechnung zu tragen. Damit soll die Relevanz geographischer Forschung erhalten werden. Doch Anspruch und Ergebnis decken sich nicht. Der Versuch ist – trotz der zahlreichen interessanten und anregenden Ansätze – weitgehend gescheitert. Der Hauptgrund ist darin zu sehen, daß alle Neukonzeptionen im Kern auf das Verständnis einmaliger Regionen ausgerichtet sind: »A complete regional geography (…) is one which leads to a better understanding of one region, its unique qualities (…) (and) one that builds upon the strengths of traditional regional geography« (Bradshaw, 1990, 316). Die »Reformations«bestrebung kann zusammenfassend dahingehend charakterisiert werden, daß die traditionelle Regionalgeographie durch die dif-

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ferenziertere Untersuchung der regionsspezifischen Sozialverhältnisse erweitert werden soll. Mit anderen Worten: Die »neue« Regionalgeographie soll sich als »study of regional social relations« (Gilbert, 1988, 214) profilieren. Mit dieser Ausrichtung wird die Grundlogik der traditionellen geographischen Betrachtungsweise beibehalten. Diese Grundlogik ist – wie bereits mehrfach betont – auf traditionelle Gesellschaften abgestimmt. Sie beruht auf der Annahme, daß gesellschaftliche und kulturelle Verhältnisse innerhalb bestimmter räumlicher Grenzen so homogen sind, daß in räumlichen Kategorien Sinnvolles und empirisch Angemessenes über sie ausgesagt werden kann. Diese Bedingungen sind – wenn überhaupt – bestenfalls nur teilweise gegeben. Das wird in der Literatur zur »neuen« Regionalgeographie immer wieder angedeutet. Doch die gezogenen Konsequenzen gehen nicht weit genug. Es reicht nicht, die »regionsinternen« Analysekategorien zu verfeinern und sozialtheoretisch »abzustützen«, wenn eine regional gekammerte soziale Wirklichkeit immer mehr verschwindet bzw. auf immer kleinere Lebensbereiche beschränkt wird. Da »Gesellschaft« nicht mehr im traditionellen Sinne verankert ist, entschwindet die (erkenntnistheoretisch zufällige) Kompatibilität von Gesellschafts- und Raumanalyse, wie sie für die »neue« Regionalgeographie Voraussetzung wäre. Zudem ist es nicht möglich, eine räumlich konstituierte Gesellschaft sozialtheoretisch zu legitimieren. Die rein räumlichen, auf die Physis rekurrierenden Kategorien der Gegenstandskonstitution »Regionalgesellschaft« sind sozialtheoretisch gerade nicht herleitbar. Auch wenn soziale Beziehungen über Raum und Zeit strukturiert sind, folgt daraus nicht, daß für Raum- oder Regionsanalysen ein privilegierter Zugang zu diesen Formen der Strukturierung besteht. Entscheidend ist die Frage nach den sozialen Formen, mit denen räumliche und zeitliche Aspekte für das Erreichen bestimmter sozialer, kultureller oder ökonomischer Ziele eingesetzt werden. Auch dafür kann keine Raum- oder Regionsanalyse hilfreich sein. Die Beantwortung dieser Frage kann nur dann in den Bereich des Möglichen gelangen, wenn man bei der Analyse des Handelns ansetzt oder für den geographischen Kontext formuliert: nicht bei der Analyse der Geographie der Dinge, sondern bei der Analyse des GeographieMachens. Selbst wenn man mit Gilbert (1988, 214) davon ausgeht, daß unter den zeitgenössischen Bedingungen regionale Differenzen sozialer Lebensformen nicht verschwinden, sondern im Gegenteil immer ein Merkmal jeder Gesell-

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schaftsform bleiben, ist das noch kein ausreichendes Argument für eine Regionalgeographie, die auf der Grundlogik der traditionellen Geographie aufbaut. Denn diese Differenzen sind für immer weniger Personen innerhalb eines bestimmten Gebietes auf gleich umfassende Weise zutreffend. Was man als die regionsspezifische Lebensform bezeichnet, mag für immer weniger Personen auf homogene Weise der Fall sein. Es wird bestimmt immer regionale Abwandlungen wichtiger Dimensionen von Lebensformen geben vor allem als Teil »regionaler« Selbstbeschreibung und Sinngebung. Gewisse »Bayern« untereinander mögen sich bestimmte Gemeinsamkeiten attestieren, die gemäß ihrer Wahrnehmung kein »Schwabe« nachweisen kann. Das heißt aber noch nicht, daß diese regionalen Abwandlungen für alle auf einen klaren gemeinsamen Nenner gebracht werden können. Welche Bedeutungen einzelne Subjekte mit ihren Bezugnahmen auf »ihre« Region tatsächlich sinnhaft verknüpfen, dürfte zunehmend subjektiv differenzierter ausfallen und kann dementsprechend immer weniger im holistischen Sinne als uniform postuliert werden. Hypothetisch formuliert, kann man folgende Kurzformel vorschlagen: Die Bezugseinheit »Region« mag zur Differenzierung der sozialen Selbst- und Fremddefinition immer relevant bleiben. Doch welche Inhalte, welche Bedeutungen und Sinnbezüge jedes einzelne Subjekt damit verbindet, braucht nur geringste Gemeinsamkeiten aufzuweisen. Die Form des Bezuges (Region) kann gemeinsam sein, obwohl der Gehalt (Bedeutung) sich in vielfältigster Weise unterscheidet. So können viele Leute mit Stolz auf ihre gemeinsame Wohngegend »Brooklyn« verweisen. Was sie jedoch stolz macht, bräuchte im Prinzip – wie im illustrativ-dokumentarischen Film »Blue in the Face« von Wayne Wang (1996) angedeutet – überhaupt keine Gemeinsamkeit aufzuweisen. Denn die Bezüge sind subjektiv konstituiert und nicht durch raum-zeitlich verankerte Traditionen und ihre unhinterfragten Sinndeutungen der Wirklichkeit bestimmt. Geht man davon aus, daß die konstitutive »Kraft« der sozialen Welt Handlungsweisen im Sinne von Strukturationsprozessen sind, dann ist die Einschätzung von Gilbert (1988, 212): »Structuration theory offers an original perspective on the region« – so plausibel sie auf den ersten Blick erscheinen mag – letztlich eher irreführend als wegweisend. Die Strukturationstheorie eröffnet vielmehr eine originelle Perspektive zur wissenschaftlichen Erforschung sozialer Praktiken der Regionalisierung, nicht aber der Regionen im traditionell geographischen Sinne.

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Zur Bestimmung des Verhältnisses der »Sozialgeographie der Regionalisierung« zur »neuen« Regionalgeographie können auf dieser Basis bereits erste Überlegungen angestellt werden. Aus der Argumentation, daß die aktuellen sozialontologischen Bedingungen den Anspruch der Geographie, bestehende Regionen zu erforschen, immer stärker unterminieren, könnte man schließen, daß jeder Reinterpretationsversuch der Regionalgeographie überflüssig wird und vollständig durch die »Sozialgeographie der Regionalisierung« ersetzt werden soll. Das ist aber nur eine erste Stufe der Argumentation. Es ist damit noch nicht bestritten, daß auf einer angemessen konzipierten »Sozialgeographie der Regionalisierung« nicht eine wirklich neue Regionalgeographie aufbauen könnte. Doch diese neue Regionalgeographie hätte nicht mehr von vorgegebenen, quasi a priori begrenzten »erdräumlichen Ausschnitten« der sozialen Wirklichkeit auszugehen. Eine Region wäre konsequenterweise als das Ergebnis bestimmter, dafür zuständiger, eventuell institutionell reproduzierter Strukturationsprozesse zu begreifen. Bei diesen Regionen würden die (erd-)räumlichen Kategorien nur eine nachgeordnete Rolle spielen. Sie würden lediglich gebraucht, um die Anordnung der materiellen Medien als Ergebnisse sozialer Prozesse, sozialen Handelns im Sinne von erdräumlich projizierten Strukturierungen darzustellen. Die entsprechende Regionalgeographie würde konsequenterweise auf den Ergebnissen der »Sozialgeographie der Regionalisierung« fußen. Diese Nachordnung hat vor allem eine wichtige Konsequenz: Es gibt – wie bereits betont wurde – keine Möglichkeit mehr, absolute geographische Allregionen aufzudecken. Je nach thematischer Interpretation der Inhalte des Handelns produktiv-konsumtiver, politisch-normativer, symbolischer, emotionaler oder ähnlicher Art, können diese Regionen unterschiedlich ausfallen. Und nicht nur das. Im Prinzip würden sie sogar – wie das Brooklyn-Beispiel andeutet – von jeder Person oder gar durch jede Art des Handelns anders konstituiert. Doch die daraus resultierenden Regionen in statischem Sinne darzustellen, kann nicht das Ziel sein. Vielmehr wird hier das Konzept der Lebensstile und Lebensformen relevant: Aus den Resultaten der »Sozialgeographie der Regionalisierung« sind die je spezifischen räumlichen Bezüge mit Lebensformen und -stilen zu verbinden. Dazu sind auch die institutionell geregelten Reproduktionen alltäglicher Regionalisierungen zu zählen. Das Verständnis von »Region« dieser potentiellen neuen Regionalgeographie käme somit jener am nächsten, die Pred in seiner Neukonzeption ver-

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tritt: »the interpretation of the region as a process which, once established, is continually reproduced and gradually transformed through practices« (Gilbert, 1988, 212). Im Gegensatz zu Pred soll dies aber nicht mehr unter der Vorherrschaft räumlicher Kategorien geschehen, denn dies führt, wie Preds empirische Studie zeigt, zur impliziten Konzentration auf sozial-weltliche »Allregionen«, das heißt auf bestehende (politische) Regionen, welchen alle anderen Aspekte untergeordnet werden, und deren Entstehen und Veränderung in räumlichen Grenzen untersucht werden sollen. Genau diese Vorherrschaft soll mit der »Sozialgeographie der Regionalisierung« durchbrochen und durch die Vorherrschaft der sozialen Instanzen der Regionalisierung ersetzt werden. Über die bisherige Argumentation hinausgehend ist zu fragen, wie sie unter globalisierten Bedingungen zu konzeptualisieren ist und welche Bedeutung Prozessen der Regionalisierung für die Reproduktion gesellschaftlicher Wirklichkeiten zukommt.

Zusammenfassung Im Sinne einer Zwischenbilanz in der Auseinandersetzung um eine Geographie, die auf die spät-modernen Aspekte zeitgenössischer Bedingungen des Handelns eingeht, kann man sich dem Urteil von Murphy (1991, 24) anschließen: »The increasingly sophisticated theoretical discussion of region has not produced an equally sophisticated account of regions.« Diese enttäuschende Bilanz resultiert – gemäß der entwickelten Argumentation – aus dem Verkennen der zentralen Elemente der Sozialontologie der Moderne und Spät-Moderne. Diesen ist jedoch Rechnung zu tragen, wenn die Humangeographie jene Adäquanz der Wirklichkeitsdarstellung und lebenspraktische Relevanz erlangen soll, die ihr von ihren Gründerfiguren zugedacht war. Es sollte deutlich geworden sein, daß regionalgeographisch-länderkundliche Wirklichkeitsdarstellungen mit ihrem raumzentrierten Erkenntnisanspruch eine prä-moderne Tendenz aufweisen. Mit dem Fortschreiten des Projekts der Moderne wird aber immer klarer sichtbar, daß dieser totalisierende Universaldiskurs über schwindende Adäquanz verfügt und in bezug auf die eigenen Ansprüche entsprechend zunehmend an Relevanz einbüßt. Weil moderne Lebensbedingungen immer weniger regional verankert sind und sich sozial-kulturelle Aspekte immer mehr von lokalen Umständen emanzipieren, kann man hypothetisch davon ausgehen, daß sowohl die länderkund-

Zusammenfassung

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liche als auch die raumwissenschaftliche Geographie mit der Radikalisierung der Moderne an Bedeutung verliert. Die Diskussion um die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit einer »neuen« Regionalgeographie bekommt bereits vor dem Hintergrund von Hartkes Werk – trotz sozialtheoretischer Modernisierung der Begrifflichkeit – einen eigenartigen Beigeschmack von Antiquiertheit. Denn hier wird im Gegensatz zu Hartkes Forderung nicht Geographie-Machen, sondern weiterhin »die Geographie der Dinge« zum Objekt der Forschung erklärt. Raumwissenschaftliche Geographie wie »neue« Regionalgeographie bleiben trotz aller Modernisierungsbestrebungen der Sichtweise verhaftet, die hier bestenfalls für die prä-moderne Sozialontologie als haltbar identifiziert wurde. »Räume« wie »Regionen« werden als gegeben und feststehend betrachtet. Menschliches Handeln wird in Regionen untersucht und nicht als raum- und regionenkonstitutiv. Damit fällt man in die Probleme der traditionellen Geographie zurück. Aus der strukturationstheoretisch inspirierten Maxime »people produce history and places« wird im Verlauf der Argumentationsentwicklung zur Etablierung einer »neuen« Regionalgeographie »people are produced by history and places«, als ob Zeiten, Räume und Orte unmittelbar sinnkonstitutiv und sozialisierend wirken könnten. Wie die Debatte um eine »neue« Regionalgeographie zeigt, ist die Strukturationstheorie, aufgrund der prominenten Berücksichtigung von »Raum«, zu einem wichtigen Integrationsort der angelsächsischen Theoriediskussion in der Geographie geworden. Die geographische Rezeption kann einerseits dadurch charakterisiert werden, daß man »Raum« nicht in den umfassenderen sozialtheoretischen Argumentationszusammenhang einbettet.32 Das führt zu fundamentalen Mißverständnissen. Giddens’ Vorschlag, daß die wissenschaftliche Untersuchung der Prozesse der Regionalisierung die wohl wichtigste und spezifische bzw. fachlegitimierende Aufgabe einer zeitgemäßen Geographie darstellen könnte,33 ist von Gilbert, Pudup u.a. als Verweis auf die wachsende Notwendigkeit einer »neuen« Regionalgeographie interpretiert worden. Konsequenterweise ist aus der vorgeschlagenen Regionalisierungsforschung entgegen Giddens’ (1988a, 244) Intention Regionalforschung geworden. Die weitreichenden Interpretationen von Gregory, Pred und Thrift führten dazu, die Transformationen und Entstehungsprozesse von bestehenden politischen Regionen zu erforschen. Doch auch das zielt am Erkennen der sozialen Bedeutung von Regionalisierungen vorbei, denn es steht weiterhin die Erklärung eines vorausgesetzten geographischen Phänomens im Zentrum.

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Die »neue« Regionalgeographie

Die Geographie kann eine wesentlich prominentere Position erlangen, und zwar sowohl in interdisziplinärer als auch in praktischer Hinsicht. Dafür sind aber die hier bisher vorgestellten Ansätze zu radikalisieren. Die Erörterung der Bedeutung des Geographie-Machens für die Konstitution von Gesellschaft sowie die Reproduktion von Macht usw. gehört dafür unter spätmodernen Lebensbedingungen ins Zentrum des legitimierenden Fachinteresses gestellt. Die hier vorgestellten geographischen Rezeptionen der Strukturationstheorie können zusammenfassend als nicht ausreichende Adaptation charakterisiert werden. Die Strukturationstheorie kann nicht bloß geographisch angewendet werden. Sie ist vielmehr radikal umzubauen und deren interne Widersprüchlichkeiten sind zu bereinigen. Dazu gehört insbesondere, »Raum« und »Zeit« nicht als besondere Kräfte der Konstitution von Gesellschaft zu betrachten. Der problematische Einbezug von »Raum« durch Giddens selbst ist zu überwinden. Demnach ist die Bedeutung von »Raum« neu zu erschließen.

Kapitel 4 Konstitution gesellschaftlicher Regionalisierungen

Die Postulierung einer subjekt- und handlungszentrierten Geographie impliziert konsequenterweise deren Einbettung in eine Theorie der Praxis bzw. eine Theorie des Handelns, welche einerseits die soziale Komponente im allgemeinsten Sinne bzw. eine handlungszentrierte Gesellschaftstheorie berücksichtigt. Andererseits soll diese Gesellschaftstheorie auch über die Offenheit zur Thematisierung der globalisierten bzw. globalisierenden Aspekte menschlicher Lebensbedingungen verfügen und bereits auf der konzeptionellen Ebene den räumlichen und zeitlichen Dimensionen entsprechende Aufmerksamkeit schenken. Die Gesellschaftstheorie, welche diesen Anforderungen am nächsten kommt, ist die von Giddens in den letzten Jahrzehnten entwickelte Theorie der Strukturierung bzw. die Strukturationstheorie. Sie ist heute weltweit die in Wissenschaft und Praxis wohl einflußreichste Sozialtheorie.1 Der Bezug auf die Strukturationstheorie hat mehrere wichtige Revisionen der klassischen soziologischen Handlungstheorie zur Folge. Eine ist die Behebung einiger kategorieller Schwächen der traditionellen Handlungstheorien. Sie betrifft den Bereich der »Macht«. Über die »Dynamisierung« des Strukturbegriffs, insbesondere über den Teilbereich »Ressourcen« kann dieser Mangel durch die Strukturationstheorie überwunden werden. Darunter sind die »Kompetenz-« bzw. »Verfügungsbereiche«, die Spannweite dessen, was Handelnde zu tun vermögen, die transformative Kapazität menschlichen Handelns, zu verstehen. Mit diesem Potential werden jene Vermögensweisen des Handelns angesprochen, die üblicherweise mit Herrschaft und Macht bezeichnet werden. »Macht«/»Herrschaft« werden derart als Bestandteile sozialer Praxis thematisierbar. Wie wir jedoch gesehen haben, bildet gerade diese Theorie den wichtigsten Orientierungsrahmen zur Entwicklung der im vorangehenden Kapitel kritisierten »neuen« Regionalgeographie, ohne daß in der angelsächsischen

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Konstitution gesellschaftlicher Regionalisierungen

Debatte krasse Widersprüche festgestellt wurden. Dies liegt einerseits an einer Orientierung durch die Theoretiker der »neuen« Regionalgeographie, die sich nicht auf den Kern der Strukturationstheorie richtet. Andererseits ist dies aber auch in einer mangelnden Konsequenz beim Einbau von »Raum« und »Zeit« in die Gesellschaftstheorie durch Giddens selbst begründet: der Übernahme der Zeitgeographie als zentrales Element der Strukturationstheorie. Denn Torsten Hägerstrands und Tommy Carlsteins Zeitgeographie baut auf dem prä-modernen Containerraum von Newton auf und steht damit mit dem modernen Raumbegriff, der für eine subjektzentrierte Weltsicht die Voraussetzung bildet, »tiefenontologisch« im Widerspruch. Dieser Widerspruch ermöglichte einen großen Teil der im vorherigen Kapitel kritisierten Probleme. Alle Aspekte zusammengenommen – subjektzentrierter geographischer Tatsachenblick, sinnvolle Ergänzung der traditionellen Handlungstheorien durch die Machtkomponente und Bereinigung der Strukturationstheorie von raumontologischen Widersprüchen – bilden letztlich den Hintergrund für eine Rekonstruktion von Anthony Giddens’ Gesellschaftstheorie, wie sie hier zur Darstellung gelangt. Die Rekonstruktion ist am Kerngedanken der Strukturationstheorie orientiert, gemäß dem es die handelnden Subjekte sind, welche die Basis der »Konstitution der Gesellschaft« und der Globalisierung bilden. Entsprechend geht diese Darstellung auch vom Handeln und der Charakterisierung der Handelnden aus. Anschließend wird die zeitliche Dimension über das Bewußtsein und die räumliche Dimension über die Körperlichkeit der Handelnden eingeführt. »Raum« und »Zeit« werden derart als Konstitutionsleistungen der Handelnden begriffen und nicht als Wirkinstanzen wie in der »neuen« Regionalgeographie. Bevor menschliches Handeln zur differenzierten Darstellung der Konstitution von »Gesellschaft« thematisiert und auf den angedeuteten Strukturbegriff bezogen wird, ist es von besonderer Bedeutung, den Status der Strukturationstheorie als »Kritische Theorie« zu klären.

Strukturationstheorie als Kritische Theorie Giddens versteht – wie dies Gregory und andere Vertreter der »new regional geography« betont haben – die Strukturationstheorie als »Kritische Theorie«. Doch es ist auch im Hinblick auf die »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« wichtig zu sehen, daß, im Gegensatz zu diesen geographischen

Strukturationstheorie als Kritische Theorie

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Bezugnahmen, Giddens dabei nicht die Vorstellung der Vertreter der Frankfurter Schule – den Klassikern der kritischen sozialwissenschaftlichen Tradition – von einer Kritischen Theorie teilt. Vertreter der Frankfurter Schule verstehen unter »Kritischer Theorie« – vereinfacht ausgedrückt – die Kritik einer bestehenden Gesellschaft in bezug auf eine noch nicht verwirklichte »vernünftigere« Gesellschaft. Bestehende Gesellschaftsformen sollen im Hinblick auf diese Vorstellung kritisiert und verändert werden. Da diese Auffassung der »Kritischen Theorie« auf einer evolutionistischen Gesellschaftskonzeption beruht, welche die Zukunft nicht offen läßt, sondern diese in ihrer idealen Form bereits zu kennen glaubt, ist sie mit Giddens’ Vorstellungen nicht zu vereinbaren; so wenig wie Habermas’ Variante, die davon ausgeht, daß die kritischen Standards in herrschaftsfreien Kommunikationssituationen – bzw. über einen herrschaftsfreien Diskurs – zu formulieren wären. Solche Situationen sind für Giddens (1982; 1984c; 1989b) schlicht nicht herstellbar. »Kritische Theorie« erlangt bei Giddens eine andere Bedeutung. Es geht ihm um eine offene kritische Theorie ohne Garantien für ihre Verwirklichbarkeit. Kritische Theorie ist für ihn aufs engste mit seinem Konzept der »doppelten Hermeneutik« verbunden bzw. mit der Bedeutung des sozialwissenschaftlichen Wissens für alltägliches Handeln und umgekehrt: »Theoretical reflection in sociology has a distinctive status in virtue of the constitutive nature of social knowledge, and takes place at the frontiers between what ›is‹ and what ›might be‹ in social life« (Giddens, 1991b, 219f.). Entsprechend geht er (1987, 71) davon aus, daß sozialwissenschaftliche Forschung und Theorie per se einen kritischen Status aufweisen und ihnen Kritik an den Zuständen der sozialen Welt inhärent ist: »Critical theory is not an option for social science, which can either be taken up or left alone; it is inherent in its nature.« Um die damit verbundene Auffassung von »Kritik« nun weiter vertiefen zu können, sind die vier verschiedenen Aspekte von »Kritik« systematisch vorzustellen. Dabei spielt das gegenseitige Verhältnis von Alltag und Wissenschaft eine zentrale Rolle; das gibt für die »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« wichtige Leitlinien ab. Die erste Ebene, die minimale Konzeption von Kritik, ist die intellektuelle Kritik. Damit wird die kritische Haltung gegenüber aktuellem Wissen und aktuellen Zuständen als wissenschaftliche Grundhaltung postuliert. Die zweite Ebene betrifft die praktische Kritik. Damit ist nicht nur die Wissenschaftsanwendung als »Technologie« oder technologische Wissensverwen-

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dung gemeint. Denn dieses traditionelle Verständnis von Wissenschaftsanwendung geht von einem naturwissenschaftlichen Verständnis aus und bleibt somit einseitig: »This technological view of social science knowledge, however, blanks out the ›return‹ side of double hermeneutic, the routine incorporation of social science theories, concepts and findings back into the universe of events they were developed to describe or explain. While this does not altogether prevent the accumulation of knowledge on the part of social scientific community, it radically alters its character as compared to natural sciences« (Giddens, 1989b, 288f.). Aufgrund der Reflexivität2 der sozialen Welt verändern somit die Sozialwissenschaften mit ihren Untersuchungen den Forschungs»gegenstand«. Sozialwissenschaftliches Wissen ist in umfassendem Ausmaß konstitutiv für die soziale Praxis.3 In welchem Verhältnis stehen Reflexivität und »Kritische Theorie« zueinander? Weil sozialwissenschaftliches Wissen – das im Sinne der intellektuellen Haltung gewonnen wurde – neue Perspektiven des Nachdenkens über die eigene Situation oder jene anderer Subjekte ermöglicht, eröffnet es konsequenterweise auch eine Kritik an den bestehenden Verhältnissen. Sozialwissenschaftliches Wissen verfügt über ein Transformationspotential, das für die vorgegebenen Verhältnisse immer zur kritischen Instanz wird: »Innovations in social science create windows on possible worlds for lay social actors. Social science is virtually always in principle critical not only of the belief-claims, but also of the concepts and frameworks of action, followed by members of society« (Giddens, 1989b, 289).4 Die dritte Ebene umfaßt die ideologische Kritik, wobei »Ideologie« im Gegensatz zur marxistischen Tradition nicht als falsches Wissen zu begreifen ist, das durch wissenschaftliches ersetzt werden sollte. Vielmehr ist darunter die Analyse und Kritik der Bedingungen zu verstehen, unter denen Bedeutungen oder Diskurse in Herrschaftssysteme eingebettet sind. Dementsprechend ist die sozialwissenschaftliche Kritik an bestehenden Verhältnissen auf die Art der Verwendung sozialwissenschaftlichen Wissens gerichtet. Wenn etwa eine sozialwissenschaftliche Studie die Benachteiligung von Arbeiterkindern im staatlichen Schulsystem feststellt, dann stellt sich die Frage, wer dieses Wissen wie »verwertet«. Freilich ist eine strenge Kontrolle des Verwertungskontextes unmöglich. Denn einmal produziertes und veröffentlichtes Wissen bleibt nicht unter der Kontrolle seiner Hervorbringer: »Concepts and findings will have their own ›fate‹ within the wider community. That this is so is effectively built into the nature of practical critique« (Giddens, 1989b, 290). Dies ist eine weitere Im-

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plikation der doppelten Hermeneutik. Die ideologische Kritik kann sich in diesem Sinne lediglich auf die Untersuchung der Verwendungsart dieses Wissens beziehen. Das auf differenzierte Weise zu tun, ist zentrale Aufgabe ideologischer Kritik. Da Wissenschaftler dem Postulat der »Offenheit zur Kritik« folgen sollen, müssen sie umgekehrt auch dem Prinzip »Offenheit der Verwendung ihrer Ergebnisse« zustimmen. Daraus folgt, daß sie selbst nicht den Anspruch auf die Kontrolle der Verwendung ihrer Ergebnisse erheben dürfen. Um die kritische Funktion sozialwissenschaftlichen Wissens wahrzunehmen, sollen sie dafür Sorge tragen, daß die Verwendungsart und deren Konsequenzen untersucht und diese dann der wissenschaftlichen Kritik unterworfen werden. Doch die Beurteilung der Verwendungsart bedarf irgendwelcher Kriterien und das führt schließlich zur bedeutungsvollen vierten Ebene. Moralische Kritik setzt bestimmte Wertestandards voraus, die zur Urteilsinstanz der Kritik werden können: »Moral critique concerns assessing the rights and wrongs of contrasting policies of courses of action. On this level we confront the classical problem of the relation between ›is‹ and ›ought‹‹ (Giddens, 1989b, 290). Wie bereits angedeutet, ist im strukturationstheoretischen Sinne sozialwissenschaftliches Wissen an der Grenze zwischen dem »Ist-Zustand« und dem, was sein könnte, anzusiedeln. Die moralischen Standards versuchen nicht nur zu sagen, was sein könnte, sondern was sein sollte. Akzeptiert man Habermas’ Lösung der herrschaftsfreien Formulierung dieser Standards nicht, dann stellt sich die Frage nach einer alternativen Begründungsmöglichkeit der Kriterien der Kritik. Diese Möglichkeit ist neben dem rein deskriptiven Standpunkt, der jedes Werturteil untersagt, und einer wertenden Kritik zu etablieren. In genau dieser Position situiert Giddens (1989b, 291) seinen Vorschlag, den er »contingent moral rationalism« nennt. Gemäß der damit verbundenen Auffassung sollen Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler wohl in der Lage sein, moralische Urteile über herrschende Zustände zu formulieren. Allerdings sind sie angehalten, diese Urteile zu begründen. Die notwendige Rechtfertigung kann man weder in der Form der moralischen Begründung finden noch in einer reinen Begründung, auf die alle moralischen Urteile zurückgeführt werden können. Diese Forderung heißt aber nicht, daß nur unbegründbare Gefühle, Launen oder Herrschaftsansprüche der Wissenschaftler als »Standards« der Kritik übrigblieben. Damit ist vielmehr gemeint, daß jedes moralisch-kritische Urteil nicht allein in rein moralischen Standards begründbar ist, sondern immer nur in ei-

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ner Mischung aus empirischer bzw. faktischer (»Sein-Komponente«) und ethischer (»Sollen-Komponente«) Begründung festgemacht werden kann. Das bedeutet, daß man nicht unabhängig von der Kenntnis von Tatsachen (der Sein-Komponente) urteilen kann – etwa: dieses sei »gut« und jenes »schlecht« (Sollen-Komponente). Umgekehrt wäre es auch unsinnig zu behaupten, man könne Gegebenheiten völlig wertfrei bzw. ohne Bezugnahme auf ein »Sollen« darstellen.5 Rein moralische Begründung ist ebensowenig möglich wie eine rein wertfreie Darstellung von Tatsachen. Das schließt aber nicht aus, daß eine Kritik bzw. eine kritische Theorie möglich ist. Denn Kritik an herrschenden Verhältnissen hat auf beide Komponenten Bezug zu nehmen. Der entscheidende Punkt der Kritik liegt in der argumentativen Auseinandersetzung mit der Sein- und der Sollen-Komponente, so wie sie im Rahmen neuer sozialer Bewegungen6 offensichtlich werden: die Arbeiterbewegung in bezug auf »Kapitalakkumulation«, Demokratie- und Bürgerrechtsbewegungen in bezug auf »Überwachung und freie Meinungsäußerung«, Friedensbewegungen in bezug auf »Kontrolle der Gewaltmittel« und Ökologiebewegungen hinsichtlich der »Transformation der Natur«. Dort – wie auch in »Selbsthilfegruppen aller Art« (Giddens, 1992b, 50) – werden die Sollen-Sätze, also das, was man zu erreichen beansprucht, eindeutig aus dem Ist-Zustand abgeleitet. Zudem wird dort auch offensichtlich, daß es keines universalen Konsenses des Rechtfertigungsmaßstabes bedarf, um eine Kritik an den herrschenden Zuständen anzubringen und diese entsprechend auf einen geforderten Soll-Zustand hin zu verändern. Das hat den Vorteil, daß ebenfalls der geforderte Zustand – im Sinne der offenen kritischen Theorie – der ständigen Kritik und der Veränderung zugänglich bleibt: »Moral critique therefore, I would hold, is always justifiable, but rarely if ever in such a way that a universal consensus of participants in any given debate could be attained. (…) ›Critical theory‹ here means not just assessing the logical nature of critique in social science, but formulating practical programmes of social intervention« (Giddens, 1989b, 292f.). Die entsprechenden Interventionsprogramme sind im Sinne der doppelten Hermeneutik erstens doppelseitig gebunden, d.h. in der Alltagswelt wie in der Wissenschaft verankert. Und zweitens schließlich im doppelten Sinne offen: der Kritik der Wissenschaft einerseits und der Kritik aus der sozialen Praxis heraus andererseits. Dementsprechend steht dieses Verständnis von kritischer Theorie jenem der Frankfurter Schule eher diametral gegenüber, als daß es lediglich eine Variation von ihr wäre.

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Die diesbezügliche Besonderheit der Strukturationstheorie als kritischer Theorie präzisiert Giddens (1992b, 43) damit, daß diese sich durch einen utopischen Realismus auszeichnet; daß die kritische Theorie mit jeder Form von Vorsehungs- und Wunschdenken im Sinne des Evolutionismus, Funktionalismus sowie dem mechanistischem Positivismus brechen muß. Die kritische Theorie soll zwar Utopien entwickeln, jedoch nicht geschlossene, sondern offene, revidierbare Utopien, die realisiert werden können. Und in diesem Sinne ist auch der Ausdruck »utopischer Realismus« zu verstehen: »›Realismus‹, weil eine kritische Theorie ohne historische Garantien reale Wandlungsprozesse zu erfassen suchen muß, um Vorgehensweisen und Strategien vorschlagen zu können, die eine ausgewiesene Chance auf Erfolg haben. ›Utopisch‹, weil in einem sozialen Universum, das zunehmend von institutioneller Reflexivität durchdrungen ist und in dem mögliche Zukunftsentwürfe andauernd nicht nur im Verhältnis zur Gegenwart abgewogen werden, sondern aktiv zu deren Konstituierung beitragen, Modelle von dem, was der Fall sein könnte, direkt den Anstoß dafür geben können, was der Fall sein wird« (Giddens, 1992b, 43). Das Verständnis der Strukturationstheorie als »utopischer Realismus« ist demgemäß als eine Reformulierung der verschiedenen Ebenen der Kritik im Lichte der Spät-Moderne bzw. der institutionellen Reflexivität7 zu verstehen. »Utopie« ergibt sich aus der intellektuellen, praktischen und ideologischen Kritik in dem Sinne, daß alle drei Aspekte der Kritik von der Bezweiflung der Gegenwart geleitet sind und die Basis für die Ausschau nach »anderen möglichen Welten« bilden. »Realismus« hingegen richtet sich auf die Offenheit der Menschheitsgeschichte, die Kritik ohne Garantie und die doppelte Gebundenheit der moralischen Kritik. Damit ist auch klar, daß Giddens mit der Strukturationstheorie nicht die Entwicklung einer systematisch-deduktiven Theorie des Gesellschaftlichen im Stil einer naturwissenschaftlichen Theorie verfolgt.8 Sie zielt vielmehr auf die Klärung der Bedingungen und Prozesse, welche »hinter« der Konstitution der sozialen Welt stehen. Das heißt, daß ihr primäres Anliegen darin liegt, die Zwänge und Möglichkeiten der Konstitution des Gesellschaftlichen über die menschliche Praxis im Sinne von Handeln bzw. Strukturation herauszuarbeiten. Oder in bezug auf Giddens’ Kritikauffassung formuliert: In den folgenden Abschnitten werden die Voraussetzungen für die Darstellung der »SeinKomponente« sozialer Wirklichkeit erarbeitet.

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Handeln, Handelnde und Bewußtsein Zuerst ist zu verdeutlichen, was Giddens unter Handeln versteht und welche Bedeutung er diesem für das Verständnis der Sozialwelt beimißt. Ebenfalls zu klären ist, über welche Voraussetzungen Subjekte verfügen müssen, um überhaupt handlungsfähig zu sein, und welche Aspekte des Subjekts gesellschaftlich relevant sind. Diese Auseinandersetzung ist auch vor dem Hintergrund der analytischen Handlungsphilosophie9 und der traditionellen Handlungstheorie von Weber und Schütz zu sehen, wo »Handlung« und nicht – wie bei Giddens – »Handeln« im Zentrum steht. Handeln und Handelnde

Gemäß Giddens (1976, 160) beschäftigt sich die strukturationstheoretische Soziologie erstens mit dem, was von den handelnden Subjekten konstituiert oder produziert worden ist. Zweitens sollen gesellschaftliche Produktion und Reproduktion als Leistungen von Subjekten betrachtet werden. Damit wird betont, daß beim Handeln einerseits der kreative Aspekt und andererseits das transformative Potential bzw. die Macht der Veränderung im Zentrum der Betrachtung stehen. Dementsprechend ist davon auszugehen, daß sich Macht – die bei allen Formen der Regionalisierung von überragender Bedeutung ist – ausschließlich im und über das Handeln äußert. Doch was ist genauer unter »Handeln« zu verstehen? Menschliche Tätigkeiten sind im Sinne von Handeln als ein kontinuierlicher Fluß zu begreifen. Das heißt, daß man das Handeln zwar analytisch in Gründe, Motive, Intentionen usw. unterscheiden kann, daß man diese analytischen Einheiten aber – im Gegensatz zur Auffassung in der traditionellen Handlungstheorie und analytischen Handlungsphilosophie – nicht getrennt voneinander untersuchen kann. Weil sie in der Praxis als Einheit auftreten, soll man sie auch wissenschaftlich als aufeinander bezogen untersuchen. Dementsprechend bilden nicht »Handlungen« den Gegenstand der Sozialforschung, sondern der Fluß des Handelns, der die Gesellschaft reproduziert und transformiert. Mit dieser Auffassung von »Handeln« ist auch eine spezifische Interpretation von »Intentionalität« verbunden, dem zentralen Merkmal der sprachphilosophischen und traditionellen handlungstheoretischen Definition von »Handlung«. Intentionalität wird in der sprachphilosophischen, aber auch innerhalb der soziologischen Handlungstheorie von Max Weber (1980), Alfred Schütz (1971a; 1974) oder Jürgen Habermas (1981)10 als die handlungsleitende Se-

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quenz menschlicher Tätigkeiten begriffen. Da Giddens jedoch jede Atomisierung in der Darstellung menschlichen Handelns ablehnt, postuliert er eine andere Auffassung von Intentionalität. Er verwahrt sich dagegen, daß nur eben jene menschlichen Tätigkeiten als Handeln ausgewiesen werden können, die durch die Intentionalität gekennzeichnet seien. Denn, so Giddens Argument, »Intentionalität« kann einerseits nicht als Sequenz abgegrenzt werden, und andererseits sollen auch die Tätigkeiten, die zu nicht-beabsichtigten Folgen führen, als Handeln gelten. »Handeln bezieht sich nicht auf die Intentionen, die Menschen beim Tun von Dingen haben, sondern auf ihr Vermögen, solche Dinge überhaupt zu tun (…). Handeln betrifft Ereignisse, bei denen ein Individuum Akteur in dem Sinne ist, daß es in jeder Phase einer gegebenen Verhaltenssequenz anders hätte handeln können« (Giddens, 1988a, 60). Damit soll darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Intentionalität nicht als abgeschlossene Sequenz betrachtet werden kann, sondern vielmehr als eine Fähigkeit des Handelnden, bestimmte Tätigkeiten überhaupt hervorzubringen und sich zu orientieren. Und diese Orientierungsfähigkeit ist stets als »offen« und nicht im Sinne einer abgeschlossenen Sequenz zu betrachten. »Intentionalität« ist im Tätigkeitsablauf stets der Veränderung, der Revision zugänglich. Diese Darstellung betont somit die Auffassung von Intentionalität als Prozeß und nicht als abgeschlossene Sequenz: »It emphasises ›intentionality‹ as process. Such intentionality is a routine feature of human conduct, and does not imply that actors have definite goals consciously held in mind during the course of their activities« (Giddens, 1979a, 56). Der zweite wichtige Aspekt besteht in der Reflexivität des Handelns. Sie bildet einerseits die Basis dafür, daß man »Intentionalität« im Sinne von Giddens als Prozeß begreifen kann. Erst diese Fähigkeit erlaubt die ständige Revision der »Richtung« der Tätigkeitsabläufe. Andererseits ist menschliches Handeln auch erst aufgrund dieser Fähigkeit verstehbar, und dieser Aspekt unterscheidet es von anderen Vorgängen in der Welt. Da die Gesellschaft als das Ergebnis menschlichen Handelns betrachtet wird, ist »Verstehen« demzufolge nicht nur als eine Methode der Sozialwissenschaften zu begreifen, sondern als eine Praxis, die eine ontologische Eigenschaft der sozialen Welt darstellt. Mit der Reflexivität des Handelns wird gleichzeitig betont, daß menschlichem Handeln auch immer bestimmte Freiheitsgrade offenstehen. Damit ist gemeint, daß Handeln nicht im kausalistischen Sinne determiniert ist, sondern daß wir im Prinzip auch immer anders handeln könnten, als wir es ge-

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rade tun oder getan haben. Doch diesem Wir-könnten-auch-anders sind Grenzen gesetzt. Denn drittens ist jedes Handeln sozialer Art. Weil jedes Handeln als ein Befolgen von Regeln zu begreifen ist, ist es auch notwendigerweise ein soziales Handeln. Und wenn menschliches Handeln als ein Befolgen von Regeln begriffen werden kann, dann ist gleichzeitig gesagt, daß Handlungsweisen nicht nur eine transformative Komponente aufweisen, sondern auch über eine normative und kommunikative Dimension verfügen, das heißt eine Nachricht übermitteln, die auch nonverbaler Art sein kann. Wie noch ausführlicher zu zeigen sein wird, leitet Giddens daraus nicht ab, jede handelnde Person könne dies alles in voller Bewußtheit tun, so daß sie über die verschiedenen Aspekte ihres Tuns auch immer Auskunft geben könnte. Die bisherige Darstellung behauptet keineswegs, die Folgen des Handelns stimmten mit den angestrebten überein. Denn die Tatsache der Reflexivität bedeutet noch nicht, daß unsere Tätigkeiten immer die beanspruchten Konsequenzen zeitigen. Im Gegenteil. Handeln führt häufig zu unbeabsichtigten Folgen. Doch auch die unbeabsichtigten Folgen sind das Resultat des Handelns von Subjekten und nicht das Produkt des sozialen Systems. »Systeme« tun gar nichts und haben keine Bedürfnisse. Handeln können nur Subjekte, und sie sind es auch, die beabsichtigte und unbeabsichtigte Folgen hervorbringen, die ihrerseits wiederum zu den Bedingungen des Handelns zu einem späteren Zeitpunkt oder anderer Subjekte werden. Bevor ausführlicher auf die Fähigkeiten der Subjekte eingegangen wird, sind zuerst noch einige kritische Bemerkungen zu Giddens’ Darstellung von »Intentionalität« anzubringen. Man kann seiner Bemerkung, daß die Auffassung von »Intentionalität« als abgeschlossene Sequenz irreleitend ist, sicherlich zustimmen. »Absichten« sind in der Tat der ständigen Revision zugänglich. Doch die Behauptung, daß die Betrachtung von »Intention« als zentrales Merkmal von Handeln dazu führe, daß man nicht mehr in der Lage wäre, zwischen beabsichtigten und unbeabsichtigten Handlungsfolgen zu unterscheiden, kommt einer Überdehnung der Kritik gleich. Denn erstens ermöglicht erst der nachdrückliche Hinweis auf die Intentionalität des Handelns, den Handelnden die Fähigkeit zur Intentionalität zuzuweisen. Zweitens – und dies ist das wesentlich wichtigere Argument – ermöglicht erst die Betonung der Intentionalität die klare Unterscheidung zwischen intendierten/beabsichtigten und nicht-intendierten/unbeabsichtigten Handlungsfolgen. Die Betonung von »Intentionalität«, sei es als Sequenz, als Prozeß oder Fähigkeit, im-

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pliziert keinesfalls, daß auch alle Folgen des Handelns intentional wären, sondern sie ermöglicht gerade erst deren klare Unterscheidung von den unbeabsichtigten, d.h. nicht-intendierten. Bevor ich auf Giddens’ Beschreibung des handelnden Subjekts eingehe, ist zu betonen, daß für Giddens nicht die Individuen das Objekt der sozialwissenschaftlichen Untersuchung bilden. Wie Ira Cohen (1989) sich ausdrückt, ist für Giddens das Geschichte-Machen – sind nicht die Macher der Geschichte – zentral. Das heißt, daß in dem Verhältnis von Handeln und Handelnden das Handeln eindeutig Vorrang genießt. Trotzdem bleiben aber auch die handelnden Subjekte sehr wichtig, denn sie und nicht etwa die Strukturen oder die Systeme sind es, die das Handeln generieren. Die Tatsache, daß viele Arten des Handelns zu unbeabsichtigten Folgen führen, hat mit den begrenzten Fähigkeiten der Handelnden selbst, insbesondere den begrenzten Wahrnehmungsfähigkeiten des menschlichen Körpers und unserer physischen Begrenztheit zu tun. Konsequenterweise kann ebenfalls davon ausgegangen werden, daß aufgrund unerkannter Bedingungen des Handelns die unbeabsichtigten Folgen des Handelns eintreten. Um dies zu verdeutlichen, ist auf seine Konzeption des Bewußtseins einzugehen. Bewußtsein und Handeln

Giddens postuliert ein Stufenmodell der Handelnden, wie es in Übersicht 7 dargestellt ist. Freuds Differenzierungen abwandelnd unterscheidet er zwischen »Unbewußtsein«, »praktischem Bewußtsein« und »diskursivem Bewußtsein«. Das Unbewußtsein ist von den letzten beiden durch Verdrängungsmechanismen getrennt. Die Grenze zwischen praktischem und diskursivem Bewußtsein jedoch ist nicht klar bestimmbar, sondern fließend. Vieles von dem, was Handelnde über die Welt und ihre Handlungsbereiche »wissen«, ist Bestandteil des praktischen Bewußtseins in dem Sinne, daß sie es auf unartikulierte Weise wissen. Sie sind in der Lage, Dinge zu tun, die dieses Wissen voraussetzen, sie sind aber nicht unmittelbar in der Lage, wenn danach befragt, darüber Auskunft zu geben. Es ist ein Wissen, über das man verfügt, ohne jedoch darüber reden zu können. Die Ebene des diskursiven Bewußtseins umfaßt jene Wissensbestände, die im Handeln nicht nur zur Anwendung gebracht werden, sondern nach denen die handelnde Person befragt werden kann und die sie auch in der Lage ist zu referieren. Diese drei Ebenen sind für verschiedene Aspekte des Handelns und für verschiedene Arten des Handelns von je unterschiedlicher Bedeutung. Gid-

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dens bildet die folgenden Begriffspaare: Unbewußtsein – Motivation, praktisches Bewußtsein – Rationalisierung des Handelns und diskursives Bewußtsein – Steuerung des Handelns. Die Motivationsebene des Handelns ist an das Unbewußtsein gebunden. Motivation ist demgemäß von der reflexiven Kontrolle des Handelns durch die Handelnden am weitesten entfernt. Das heißt gleichzeitig, im Gegensatz zu Freud, daß das Unbewußtsein – abgesehen von wenigen außergewöhnlichen Momenten des Lebens, wenn die Handlungsroutinen völlig zusammenbrechen – nicht als der Ort irgendwelcher dunklen Kräfte betrachtet wird. Motive werden vielmehr als Bedürfnisse oder Wünsche der Handelnden gedeutet. Wünsche oder Bedürfnisse beziehen sich aber lediglich auf das Potential des Handelns, nicht unmittelbar auf das Handeln.

Übersicht 7: Bewußtseinsformen und Handeln

Damit argumentiert Giddens explizit gegen Freud. Denn Freud geht davon aus, daß wir von unseren Wünschen, Bedürfnissen oder gar angeborenen Trieben im Sinne kausaler Abhängigkeiten getrieben sind. Für Giddens folgt aus der Tatsache, daß wir verschiedene Bedürfnisse und Wünsche haben, noch keinesfalls, daß unser Handeln von diesen unter verschiedensten Bedingungen auch determiniert wird. Bedürfnisse und Wünsche geben nur eine allgemeine Richtung des Handelns an. Diese ist aber ständig der Interpretation durch die handelnde Person zugänglich, so daß im Bereich der sozialen Welt jede deterministische Kausalität unmöglich ist. Praktisches Bewußtsein und Rationalisierung des Handelns hängen insofern zusammen, als daß für Handlungsweisen oder besser Routinen des Handelns, die auf dem praktischen Bewußtsein beruhen, die Gründe und Zwecke des Handelns erst aufgedeckt bzw. rationalisiert werden müssen, weil sie der handelnden Person nicht in dem Maße bewußt sind, daß sie darüber verbal Auskunft geben könnte. Als »Rationalisierung« wird die nachträgliche, verstandesmäßige Rechtfertigung bezeichnet. Doch betont Giddens, daß Handelnde Wissende sind, selbst dann, wenn sie darüber nicht unmittelbar Aus-

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kunft geben können. Die »knowledgeability« der Handelnden wird auch hier betont, und zwar entgegen der Behauptung der Strukturalisten, daß die Gesellschaft oder Institutionen und soziale Strukturen hinter dem Rücken der Handelnden operieren würden. Selbst wenn Handelnde nicht immer eine rationale Beschreibung dessen geben können, was sie tun, heißt das nicht, daß sie unwissend sind, sondern lediglich, daß sie über ein praktisches Bewußtsein verfügen, das aus unbefragtem, nicht rational in Frage gestelltem Wissen des Gewußt-wie besteht, auf dem Routinen und Traditionen beruhen. Doch – und dies ist entscheidend – dieses praktische Bewußtsein kann auf die Ebene des diskursiven Bewußtseins gehoben werden, wenn sich Handelnde die Frage stellen, was sie eigentlich tun und wie sie dies tun: sie sind zumindest potentiell in der Lage, ihre Handlungsweisen zu begründen. Diskursives Bewußtsein und reflexive Steuerung des Handelns werden so zusammengebracht, daß uns nur das diskursive Bewußtsein erlaubt, über unser Handeln nachzudenken, es zu beschreiben, es bewußt zu steuern und darüber rational Auskunft zu geben. Hier erreicht die »knowledgeability« des Handelnden, das bewußte Wissen um das eigene Handeln, seinen »reinsten« Ausdruck. Diese Form des Handelns entspricht dem Handlungstypus, den Max Weber als das zweckrationale Handeln beschrieben hat. Handelnde verfügen in diesem Sinne über das handlungsrelevante Wissen in der Form, daß sie sich ständig bewußt auf die gegebenen und sich verändernden Situationen des Handelns beziehen können. Diese Voraussetzungen sind zwar gelegentlich, aber durchaus nicht immer gegeben. Entscheidend ist, daß Handelnde dazu fähig sind, nicht aber Systeme oder Strukturen. Im diskursiven Bewußtsein hat auch die Reflexivität des Handelns bzw. der Handelnden ihre Grundlage. »Die Reflexivität (…) besteht darin, daß soziale Praktiken ständig im Hinblick auf einlaufende Informationen über ebendiese Praktiken überprüft und verbessert werden, so daß ihr Charakter grundlegend verändert wird« (Giddens, 1995, 54f.) und: »All forms of social life are partly constituted by actor’s knowledge of them« (Giddens, 1990a, 38). Das heißt, daß erst die Reflexivität die Konstitution des sozialen Universums erlaubt, daß es ständig verändert und neu entworfen werden kann. Darin ist die historische Wandelbarkeit der sozialen Welt begründet. In technologischen Interventionen in die physische Welt findet allerdings die Reflexivität eine ihrer radikalsten Ausprägungen und bildet gleichzeitig eine der wichtigsten Voraussetzungen für die raum-zeitliche Ausdehnung der Reichweiten des Handelns: »Die reflexive Aneignung des Wissens (…) findet derartige Ver-

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breitung, daß sie gewaltige Spannen der Raum-Zeit umfaßt« (Giddens, 1995, 73). Die Reflexivität ihrerseits bildet wiederum die Grundlage für das Verhältnis der Soziologie zu ihrem Untersuchungsgegenstand: der doppelten Hermeneutik. »Die Entwicklung der soziologischen Erkenntnis zehrt (einerseits) von den Begriffen der handelnden Menschen ohne Expertenwissen. Andererseits finden Begriffe, die in den Metasprachen der Sozialwissenschaften geprägt werden, routinemäßig wieder Eingang in den Bereich der Handlungen, zu dessen Beschreibung oder Erklärung sie zunächst formuliert worden waren« (Giddens, 1995, 26). »Sociological knowledge spirals in and out of the universe of social life, reconstructing both itself and that universe as an integral part of process« (Giddens, 1990a, 15f.).

Übersicht 8: Schichtmodell des Handelns (aus: Giddens 1988a, 56)

Gemäß Giddens sind immer größere Lebensbereiche der Moderne als Ausdruck des diskursiven Bewußtseins bzw. reflexiv gesteuerter Arten des Handelns zu begreifen. Demgemäß können spät-moderne Gesellschaften insbesondere durch die Reflexivität der sozialen Prozesse charakterisiert werden. Doch die reflexive Konstitution der sozialen Welt spät-moderner Gesellschaften bedeutet nicht gleichzeitig eine Zunahme der rationalen Kontrolle über alle Lebensbereiche. Wir leben »in einer Welt (…), für die reflexiv angewandtes Wissen durch und durch konstitutiv ist, doch wo wir zugleich niemals sicher sein können, ob irgendein gegebenes Element dieses Wissens nicht revidiert werden wird« (Giddens, 1995, 55f.). Daraus folgt ein höchst kompliziertes und meist problematisches Spannungsverhältnis zwischen Reflexivität und Seinsgewißheit, das vor allem auch die Basis für »Vertrauen« berührt. Darauf wird später ausführlicher einzugehen sein. Giddens ist nun in seiner Strukturationstheorie bestrebt, menschliches Handeln in einem räumlichen und zeitlichen Kontext zu sehen und zu analysie-

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ren. Er geht davon aus, daß ihre Nichtberücksichtigung als einer der zentralen Mängel der bisherigen Gesellschaftstheorien zu sehen ist. Dies trifft insbesondere auf die räumliche Komponente zu. In der Soziologie wurde die Raumthematik bisher deshalb ausgeschlossen, weil man – so Giddens (1979a, 202) – befürchtete, einem geographischen oder einem Umwelt-Determinismus zu verfallen. Im Gegensatz dazu müßte man sie, ebenso wie die Zeitlichkeit, als einen zentralen Aspekt der Konstitution der Gesellschaft betrachten. »Zeit« und »Raum« bekommen somit eine prominente Stellung zugewiesen. Handeln und Zeit

Hinsichtlich »Zeit« weist Giddens (1979a, 198) darauf hin, daß es der Strukturationstheorie darauf ankommt, die bisher in den Sozialwissenschaften dominierenden Gegensatzpaare »synchronisch/diachronisch« sowie »statisch/dynamisch« zu durchbrechen. Zudem bestehe, vor allem innerhalb des Funktionalismus, die Haupttendenz darin, »Zeit« nur mit sozialem Wandel in Zusammenhang zu bringen: »synchronic analysis represents a ›timeless snapshot‹ of society. The result is that time is identified with social change. The identification of time and change has as its obverse the assimilation of ›timelessness‹ and social stability« (Giddens, 1979a, 198). Mit dieser doppelt dualistischen Betrachtungsweise der zeitlichen Dimension sozialer Wirklichkeit sei zu brechen. Der erste wichtige Punkt für eine alternative Betrachtung besteht in der Einsicht, daß soziale Reproduktion und Stabilität auch über Zeit stattfinden/bestehen. Die zeitliche Komponente ist relevant. Doch was ist genauer unter »Zeit« zu verstehen? Im allgemeinsten Sinne ist davon auszugehen, daß Gegebenheiten nicht lediglich in der Zeit existieren. Zeit drückt im Gegensatz dazu aus, was Gegebenheiten wirklich sind: »Entities do not just exist ›in time‹; time expresses the nature of what objects are. It is also a mistake to regard time, as Leibniz did, as a relation between sequences of events.« Somit wird sowohl die Kantische Zeitauffassung als auch Leibniz’ Definition von »Zeit« abgelehnt. Vielmehr ist zunächst bis zu einem gewissen Grad Heideggers Philosophie der Zeit zu akzeptieren: »Since it is the horizon of all being, it follows that the ›human being‹ (Dasein) ›finds its meaning in temporality‹« (Giddens, 1987, 141). Weil kulturell verschiedene Interpretationen von Zeit bestehen, kann deren Bedeutung nicht unmittelbar aus dem Verhältnis zum Dasein abgeleitet werden. Oder: Das menschliche Leben zeichnet sich durch einen historischen Charakter aus. Doch die Geschichtlichkeit ist weder dem Dasein noch der Zeit inhärent.

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»Zeit« kann nicht nur verschieden erlebt, sondern sozial auch unterschiedlich interpretiert werden. Deshalb geht Giddens davon aus, daß Heideggers Zeitphilosophie für die Gesellschaftstheorie zwar wichtige Einsichten bereitstellt, jedoch nicht ausreicht, um der Zeitlichkeit angemessen Rechnung zu tragen. Zur Entwicklung einer Gesellschaftstheorie, die den zeitlichen Charakter menschlichen Lebens berücksichtigt, formuliert Giddens vier Merkmale von »Zeit«. Den ersten Aspekt übernimmt er von Heidegger: »Just as in the case of natural objects, time is not an environment in which the ›elapsing‹ of social events occurs, it is constitutive of forms of social activity« (Giddens, 1987, 144). »Zeit« ist somit nicht bloß ein Ordnungsrahmen zur Beschreibung von Ereignissen. Sie ist vielmehr auch eine Instanz der Sinnkonstitution. Damit ist offensichtlich gemeint, daß die zeitliche Begrenztheit der Lebensdauer eines Subjekts zum Bestandteil der Sinngebung des gesamten Lebenslaufes und der einzelnen Handlungen darin wird. Zweitens weist Giddens darauf hin, daß in verschiedenen Kulturen die Zeit auch unterschiedlich erlebt wird. »But to suppose that comparing forms of time-reckoning exhausts differences between modes of time experience is itself an ethnocentric assumption. Time does not exist as something to be measured, but is bound up with contrasts in the very nature of social activities across cultures« (Giddens, 1987, 144). Derart geht er davon aus, daß sich traditionelle Gesellschaften in ihrem Zeitverständnis wesentlich von einer formalisierten Zeiterfahrung moderner Gesellschaften unterscheiden können. Drittens weist Giddens darauf hin, daß wir die Vorstellung einer linearen Zeit durch jene einer »reversiblen Zeit« – im Sinne von Lévi-Strauss (1965) – ergänzen sollten: »Reversible time is time as repetition, temporality as reproduction. Reversible time, in cultures with clocks, is as it were symbolised by the clock that goes backwards« (Giddens, 1987, 144). Mit diesem Zeitverständnis soll es möglich werden, die alltäglichen Routinen, in denen sich Ereignisse und Aktivitäten in immer gleichen Mustern an denselben Orten wiederholen, erfassen zu können. Gleichzeitig ist in dieser Auffassung von »Zeit« die zuvor angesprochene Kritik an evolutionären Konzepten von Gesellschaftstheorien angelegt: Das Verstreichen von Zeit involviert nicht automatisch sozialen Wandel. Und viertens ist darauf hinzuweisen, daß Zeit und Raum, gerade in alltäglichen Routinen, untrennbar miteinander verbunden sind. Daraus folgt, daß die Auseinandersetzung mit den zeitlichen Aspekten gesellschaftlicher Wirk-

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lichkeit immer auch für die räumlichen Implikationen offenbleiben sollte. Was in diesem Zusammenhang unter »räumlich« zu verstehen ist, werde ich später ausführlicher behandeln. Nun ist zuerst genauer zu klären, in welchem Sinne die Strukturationstheorie die zeitliche Dimension berücksichtigt. Giddens (1981a, 19f., 28, 34ff.) unterscheidet, wie bereits angedeutet, zwischen »three layers of temporality«. Von diesen drei Schichten beziehen sich zwei auf das Bewußtsein der Handelnden und eine auf die Reproduktion sozialer Systeme. Die drei »Schichten der Zeitlichkeit« werden mit drei jeweils spezifischen sozialen Situationen verbunden: a) der aktuellen sozialen Interaktion bzw. der Situation der unmittelbaren Erfahrung; b) der Ebene des menschlichen Daseins als Lebensdauer des menschlichen Organismus bzw. die Erfahrungen im Zeithorizont der menschlichen Lebensspanne und c) der Langzeit-Reproduktion sozialer Institutionen bzw. der Langzeit-Sedimentation sozialer Institutionen. Diese drei Situationen durchdringen einander in jedem Moment des Handelns. Trotzdem ordnet Giddens jeder einzelnen Situation eine besondere Zeitform zu, wobei in bezug auf das Bewußtsein des Akteurs nur die ersten beiden Formen relevant sind. a) Der unmittelbaren Erfahrung wird die Zeitform der inneren durée im Sinne von Bergson und Schütz zugeordnet. b) Der zweiten Situation, der Lebensspanne des menschlichen organischen Lebens, wird die Zeitlichkeit des Daseins im Sinne von Heidegger zugewiesen. c) Die dritte Form wird durch die Zeitlichkeit der longue durée im Sinne von Braudel charakterisiert. Die Zeitlichkeit der durée wird nun mit den alltäglichen Routinen menschlichen Handelns und dem inneren Strom des Erfahrungsflusses der handelnden Subjekte in Zusammenhang gebracht. Die durée wird von Bergson und Schütz als Zeitform begriffen, die der Bezugnahme auf den kontinuierlichen Fluß des Erlebens zugrunde liegt.11 Gemäß dieser Auffassung ist »Zeit« nicht als eine Menge von diskreten Einheiten oder Aggregaten von Gründen, Zielen und Zwecken zu verstehen, wie dies von der analytischen Philosophie immer wieder dargestellt wird. Die Relevanzsysteme, wie sie von Schütz beschrieben werden, betrachtet Giddens als eine angemessene

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Darstellung der Bezugnahme des Subjekts auf den individuellen Wissensvorrat, das Bewußtsein der Handelnden. Der besondere Charakter dieser Form von Zeitlichkeit besteht darin, daß der Erfahrungsstrom irreversibel ist, die Bezugnahme auf ihn jedoch reversibel. Damit ist gemeint, daß ich in der Erinnerung etwas Vergangenes zu etwas Gegenwärtigem und phantasierend in der Zukunft zu erwartende Ereignisse zu hypothetisch gegenwärtigen machen kann. Diese Reversibilität macht den besonderen Aspekt der durée oder der inneren Zeit aus.

Übersicht 9: Formen der Zeitlichkeit

Diese Zeitform ist für Giddens insofern von Bedeutung, als wir uns bei der Formulierung von Zwecken usw. retrospektiv dem Erfahrungsstrom zuwenden, und zwar im Rahmen eines reflexiven Moments der besonderen Aufmerksamkeit. In diesem Sinne, so Giddens (1981a, 35f.), spreche er auch von der reflexiven Steuerung des Handelns und der Rationalisierung des Handelns als chronische und prozessuale Formen menschlichen Handelns. Weil die Handelnden zur Handlungsorientierung auf je thematisch spezifische Weise auf ihren Wissensvorrat, der als Ergebnis des kontinuierlichen Erfahrungsstromes zu begreifen ist, reflexiv Bezug nehmen, ist auch das Handeln als reflexives Ereignis zu betrachten. Die zweite Form der Zeitlichkeit, das Dasein im Sinne von Heidegger, verwendet Giddens für die Herausarbeitung der Bedeutung der zeitlichen Dimension von organischen Lebensspannen. Die Zeitlichkeit des Daseins ist endlich (Giddens, 1981a, 34), und daraus ergibt sich ein besonderer konstitutiver Aspekt der Zeitlichkeit auf der Seite der handelnden Subjekte. Das menschliche Sein ist demgemäß zeitlich konstituiert, was wichtige Konsequenzen für das Bewußtsein der Handelnden impliziert: »From the sociological point of view, the significance of the finitude of the individual human being is bound up with the complex relation between the emergence and sustaining of a ›subject‹ – an individual who is an ›I‹ interacting with oth-

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ers« (Giddens, 1981a, 34). Kurzum: Das Wissen um die eigene Endlichkeit konstituiert einen Menschen als Subjekt. Jede handelnde Person weiß, daß der Tod als individuelles Schicksal zu erdulden ist. Auf der anderen Seite allerdings ist das Dasein als organische Lebensspanne auch für die Konstitution der Generationen und deren jeweils variierende Einstellung zum Tod zentral. Die dritte Form der Zeitlichkeit, die longue durée, weist neben der institutionellen auch eine subjektive Komponente auf: »Human beings do not just live in time, they have an awareness of the passing of time which is incorporated in the nature of their social institutions« (Giddens, 1981a, 36). Dieses Bewußtsein steht in engster Verbindung mit den transformativen Fähigkeiten der Handelnden. Man kann dies so interpretieren, daß das Bewußtsein um eine soziale Uhrzeit, die das Verstreichen von »Zeit« anzeigt, zunächst vor allem für die Koordination des Handelns mehrerer Subjekte über große ZeitRaum-Spannen hinweg bedeutsam ist. In diesem Koordinationspotential wird die longue durée konstitutiv für die soziale Welt. Zusammenfassend kann man Giddens’ Argumentation wie folgt formulieren: Da soziale Reproduktion sich über Zeit erstreckt, ist die Zeitlichkeit zentral für die Konstitution der Gesellschaft. Jeder Moment des menschlichen Lebens kann gleichzeitig als durée im Bergsonschen Sinne als Teil des Heideggerschen Daseins und der longue durée als Braudelscher Geschichtstheorie gesehen und verstanden werden. Bewußtsein und Körper

Als Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit Giddens’ Einbezug der räumlichen Komponente wähle ich hier die Beziehungen zwischen Körperlichkeit und Bewußtsein der Akteure. Auf diese Weise kann »Handeln« als zentrale Kategorie der Strukturationstheorie beibehalten werden und der unangemessenen Reifikation von »Raum« und »Region«, welche bei vielen geographischen Interpretationen der Strukturationstheorie, gelegentlich auch bei Giddens selbst, zu beobachten ist, vorgebeugt werden. Es ist hilfreich, diese Thematik in Zusammenhang mit drei zentralen Begriffen zu erläutern, die Giddens selbst allerdings nicht immer explizit an die Körperlichkeit bindet und die auch nicht ausschließlich und vollständig unter diesem Aspekt abgehandelt werden können. Da die Körperlichkeit bei der Erörterung dieser Themen durch Giddens immer wieder auftaucht, ist die folgende Darstellung sicher zu verantworten. Die drei Begriffe bzw. Problemfelder sind:

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1. Routinen, 2. Seinsgewißheit, 3. Vertrauen. Für Giddens (1988a, 111f.) kann das Subjekt nur mit Bezug auf die reflexiven Konstitutionen des Alltagshandelns als solches dargestellt werden. Daraus folgt, daß zu einem tieferen Einblick in die Konstitution der Persönlichkeit und des Alltagslebens eine genaue Analyse der Routinen, »durch die der Körper sich bewegt und die der Handelnde produziert und reproduziert«, unabdingbar ist. »Dem im praktischen Bewußtsein fundierten Konzept der Routinisierung kommt in der Theorie der Strukturierung eine zentrale Rolle zu. Routinen sind konstitutiv sowohl für die kontinuierliche Reproduktion der Persönlichkeitsstrukturen der Akteure in ihrem Alltagshandeln wie auch für die sozialen Institutionen« (Giddens, 1988a, 111f.). Seine These lautet dann konsequenterweise, »daß eine Untersuchung des Phänomens der Routine den Schlüssel für die Erklärung der spezifischen Form der Beziehung zwischen dem grundlegenden Sicherheitssystem und den reflexiv konstituierten Prozessen liefert« (Giddens, 1988a, 111f.). Körpergebundene Routinen sind in hohem Maße eine Grundbedingung zur Erlangung psychischer Sicherheit. Dies äußert sich darin, daß die Auflösung oder ein externer Angriff »auf die normalen Routinen des Lebens ein hohes Maß an Angst erzeugen; sie ›entkleiden‹ den Menschen seiner anerzogenen Reaktionen, die mit der Sicherheit der Körperbeherrschung und einem vorhersagbaren Rahmen des gesellschaftlichen Lebens verbunden sind« (Giddens, 1988a, 115). Die Möglichkeit der »autonomen Kontrolle des eigenen Körpers innerhalb vorhersehbarer Routinen und Begegnungen« (Giddens, 1988a, 116) sind für die psychische Entlastung der Subjekte fundamental. Deshalb haben die Handelnden im normalen gesellschaftlichen Leben ein großes »Interesse an der Erhaltung der Formen von Takt und der Respektierung von ›Zufluchtsorten‹. (…) Takt ist ein Mechanismus, mit dessen Hilfe Akteure die Verhältnisse von ›Vertrauen‹ bzw. ontologischer Sicherheit reproduzieren können, in denen sich grundlegendere Spannungen kanalisieren und bewältigen lassen« (Giddens, 1988a, 116). Daraus sind zwei Folgerungen abzuleiten. Erstens zeigt dies, »daß eine Vielzahl bestimmter Aspekte von Alltagshandlungen nicht direkt motiviert sind« (Giddens, 1988a, 116). Zweitens bedeutet dies, daß die gewohnheitsmäßigen Praktiken über Raum und Zeit hinweg die Basis für Seinsgewißheit und Vertrauen bilden. Auf die zweite Folgerung ist nun einzugehen.

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Das Konzept der Seinsgewißheit stammt ursprünglich von Alfred Schütz. Es wird von Giddens im gleichen Sinne verwendet, aber in einen leicht verschiedenen Argumentationskontext gesetzt. Bei Schütz bedeutet Seinsgewißheit soviel wie die Gewißheit, daß die Dinge so sind, wie sie einem erscheinen. Damit ist gemeint, daß die Seinsgewißheit in dem fraglosen Hinnehmen der Alltagsformen des sozialen Lebens besteht und dieses Hinnehmen seinerseits in der Unbefragtheit des verfügbaren Wissensvorrates seine Basis hat. Zudem geht ein handelndes Subjekt davon aus, daß auch die anderen die Welt gleich sehen, ihr dieselben Bedeutungen zuweisen wie es selbst und sie demzufolge auf die gleiche Weise ordnen. »Die ›Seinsgewißheit‹, die im allgemeinen in den meisten Alltagsformen sozialen Lebens fraglos hingenommen wird, existiert daher in zwei miteinander verbundenen Spielarten: das Aufrechterhalten einer kognitiv gewordenen Welt des Selbst und des anderen, und die Wahrnehmung einer ›wirksamen‹ Ordnung der Bedürfnisregelung« (Giddens, 1983, 143). Für den Erwerb der Seinsgewißheit werden die Kopräsenz und das alltägliche unmittelbare Erleben im Sinne des kontinuierlichen Erlebnisstromes der durée als die zentralen Bedingungen betrachtet. In gemeinsamen routinemäßigen Praktiken konstituieren sich die Voraussetzungen für eine gemeinsam geteilte Deutung der sozialen Wirklichkeit. Aufrechterhalten wird die Seinsgewißheit in »grundlegender Weise durch die Immergleichheit der Routine« (Giddens, 1988a, 101). Im Gegensatz zu Schütz betrachtet Giddens die Seinsgewißheit als im praktischen Bewußtsein begründet. Das praktische Bewußtsein bildet somit die Basis der Routinen. Es wird in routinehaften Interaktionen von den anderen derart bestätigt, daß das Subjekt an seinen Praktiken und Deutungen nicht zu zweifeln braucht. In weiterer Abweichung zu Schütz versucht nun Giddens, unter Bezugnahme auf die Psychoanalytiker R. D. Laing (1972) und Erikson (1984), jene Prozesse genauer zu untersuchen, die im Ablauf einer Lebensspanne zur Ausbildung der Seinsgewißheit und dem darauf aufbauenden Vertrauen von entscheidender Bedeutung sind. Dabei betrachtet Giddens Vertrauen als einen besonderen Aspekt der Seinsgewißheit, als »das am tiefsten sitzende Element des grundlegenden Sicherheitssystems« (Giddens, 1988a, 101).12 Unter Bezugnahme auf Erikson wird – wie Übersicht 10 zeigt – betont, daß »die ersten Phasen der Persönlichkeitsentwicklung (sich) in erster Linie um die Befriedigung bzw. Lösung von Bedürfnissen und Spannungen (drehen), die in der Physis des Organismus ihren Grund haben« (Giddens, 1988a, 103).

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Konstitution gesellschaftlicher Regionalisierungen

In der ersten Phase der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes hängt die Entwicklung vom Vertrauen in die Kontinuität der Fürsorgeaktivitäten und von der Vermittlung des Gefühls der Fürsorge ab. In diesen Zusammenhängen spielt also Routine wiederum eine zentrale Rolle. Damit wird dem Kind ermöglicht zu erfahren, daß die Abwesenheit der Fürsorgeperson nicht bedeutet, daß diese für immer verschwunden ist. Sie kehrt immer wieder zurück, und in ihrer Abwesenheit kann das Kind ihre Anwesenheit im Kopf behalten bzw. sich ihrer erinnern. Dabei »bindet« das Kind Raum und Zeit durch das Gefühl, »daß Abwesenheit nicht Im-Stich-Lassen bedeutet.

Übersicht 10: Die drei Entwicklungsstadien nach Erikson (aus: Giddens, 1988a, 108)

Die psychologische Dynamik, die der Abfolge von Anwesenheit und Abwesenheit zugrunde liegt, hat ihren Entstehungsort im Körper, in körperlichen Bedürfnissen und ihren Befriedigungs- und Kontrollformen. (…) Voraussagbarkeit, Kontinuität und Gleichartigkeit vermitteln dabei dem Kinde ein rudimentäres Gefühl von Ich-Identität. (…) Vertrauen in diesem Sinne bedeutet Zuversicht« (Giddens, 1988a, 104) und beruht somit auf einer Dialektik von Anwesenheit und Abwesenheit: »Die Angst vor der Abwesenheit wird durch die Belohnung der Anwesenheit aufgefangen, was den Boden für die Dialektik von Verbindlichkeit und Gleichgültigkeit bereitet, die in den vielfältigen Begegnungen zum Tragen kommt« (Giddens, 1988a, 105).

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Das zweite Phase der Kindheitsentwicklung wird dann während des körperlichen Reifeprozesses erreicht. Es ist durch den Gegensatz von Autonomie versus Scham und Zweifel gekennzeichnet. Erikson führt diesen Gegensatz an Stelle von Freuds These ein, »daß sich im Verlauf der Entwicklung des Individuums die Libido sukzessive auf verschiedene Körperregionen konzentriert« (Giddens, 1988a, 105), und aus der er den Gegensatz »Festhalten« und »Loslassen« ableitet. Diese Verhaltensweisen könnten sich durchaus auch auf die Ausscheidungen des Körpers beziehen, doch viel wesentlicher wären sie in bezug auf den Gebrauch der Hände und Arme. Demzufolge wären sie dann angemessener als Ausdruck des Gegensatzes von Autonomie und Scham/Zweifel zu begreifen. Das bedeutet, daß von Freud die Idee der Unterscheidung der Körperregionen über die Libido übernommen wird und von Erikson die These, daß dies nicht vor allem im Zusammenhang mit den Ausscheidungen des Körpers zentral sei, sondern für den Gebrauch der Gliedmaßen insgesamt. Giddens überträgt dies nun in den sozialen Kontext und verknüpft Eriksons These mit Goffmans Einblick in die Bedeutung der Positionierung des Körpers in sozialen Interaktionen. »Die ›vorder-‹ und ›rückseitigen‹ Regionen, in denen sich Begegnungen abspielen und in deren Kontext soziale Ereignisse gestellt sind, beziehen sich vielleicht direkt auf die grundlegendere Erfahrung der Regionalisierung des Körpers in Vorder- und Rückseite. (Das) Gesicht im gesellschaftlichen Leben zu wahren heißt, die von der Scham hervorgerufenen Ängste zu vermeiden, (…) der Gesichtsverlust (indes) führt geradewegs in Scham und Peinlichkeit hinein« (Giddens, 1988a, 107). Die Unterscheidung zwischen vorder- und rückseitigen Regionen ist in diesem Sinne als ein Schutz gegen die Gefährdung der Seinsgewißheit und vor Vertrauensverlust zu begreifen, mit anderen Worten: als ein Spannungsmanagement zur Aufrechterhaltung von Seinsgewißheit und Vertrauen. Insbesondere ist sie zu verstehen als eine Form zur Aufrechterhaltung von Takt, um sein eigenes Gesicht zu wahren und die anderen nicht zu »verletzen«. Das »Dem anderen den Rücken zuzuwenden«, ist somit als eine Form des Selbstschutzes zu sehen. Wir zeigen unser Gesicht, wenn wir die erwarteten Rollen spielen, und wir wenden uns ab, um uns von diesen zu entspannen oder Dinge zu tun, die uns andere gemäß der erwarteten Rollen im Rahmen des geltenden Takts nicht zugestehen würden. Um der Scham vor den anderen zu entgehen, wenden wir uns ab bzw. zeigen wir die rückwärtige Region. Auf diese Unterscheidung zwischen vorder- und rückseitigen Regionen wer-

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Konstitution gesellschaftlicher Regionalisierungen

de ich im Abschnitt »Körper und Raum« ausführlicher eingehen. Zuvor sind weitere Aspekte des Verhältnisses zwischen Bewußtsein und Körper zu klären. Giddens scheint davon auszugehen, daß wir uns die eben angesprochenen Fähigkeiten in der zweiten Entwicklungsstufe im Sinne von Erikson angeeignet haben. In der ersten Stufe haben wir uns bereits ein Vertrauen in die Welt angeeignet, das uns selbst ein taktvolles Handeln ermöglicht und uns dies von den anderen erwarten läßt. Und Takt ist ein Mittel dazu, Sicherheit und Vertrauen zu erhalten, unser Gesicht zu wahren und in unseren Routinen nicht hinterfragt zu werden. Hinsichtlich des reflexiv geleiteten Handelns wird als nächstes die dritte Entwicklungsphase wichtig, die sich auf die Sprachentwicklung bezieht. »Die dritte, mit der Beherrschung der syntaktisch entwickelten Sprache zusammenfallende und in ihr kulminierende Phase ist um den Gegensatz von Initiative und Schuldgefühl zentriert« (Giddens, 1988a, 107). Auch als ödipale Phase gekennzeichnet, kommt in dieser, für die weitere Persönlichkeitsentwicklung entscheidenden Phase, die Forderung auf das Kind zu, die frühe Bindung an die Mutter zu lösen. Wichtig ist nun, daß diese Distanzierung mit der weiteren Ausbildung sprachlicher Fertigkeiten zusammenfällt. Distanzierung und Sprachfähigkeit sind also aufs engste miteinander verbunden. »Es ist eine Phase der Initiative, weil die Auflösung der ödipalen Fixierung dem Kind jene innere Kontrolle ermöglicht, die nötig ist, um sich aus den unmittelbaren Grenzen der Familie heraus in die Beziehung der Gruppe von Gleichaltrigen zu wagen. Erkauft wird dies allerdings um den Preis der Verdrängung« (Giddens, 1988a, 108). Insgesamt bedeuten diese drei Phasen eine zunehmende Stärkung der Autonomie bzw. eine zunehmende Ausbildung der reflexiven Steuerung des Handelns. Giddens nun interpretiert dies als ein Fortschreiten des Erkennens des Körpers als Medium des Handelns. Bewußtsein und Körper werden in diesem Sinne als aufeinander bezogen begriffen. Und dies ist nun für das Verständnis von Giddens’ Integration des Raumes in die Strukturationstheorie von besonderer Bedeutung. Vorweg sei noch einmal festgehalten, daß insbesondere zwei Komponenten seines Raumverständnisses unmittelbar an die körperliche Funktion für das Bewußtsein gebunden sind: die Unterscheidung zwischen vorder- und rückseitigen Regionen sowie die Sprachfähigkeit als Voraussetzung für die Distanzierung.

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Körper, Handeln und Raum Die Einsicht, daß »Raum« von den Sozialwissenschaften zu Unrecht vernachlässigt worden sei, begründet Giddens zunächst mit dem Hinweis, daß es – sozial gesehen – einen wesentlichen Unterschied ausmacht, ob ich mit jemandem in unmittelbarer Nähe in Interaktion stehe oder mit jemandem, der sich von mir räumlich entfernt aufhält.13 Zudem weist er darauf hin, daß zahlreiche Aspekte der täglichen Routinen scharfe Regionalisierungen mit je spezifischen sozialen Definitionen aufweisen. Verankert sind diese sozial definierten Regionalisierungen in der Körpergebundenheit menschlichen Handelns. Doch das Plädoyer für die Berücksichtigung des Raumes ist nicht so unproblematisch, wie seine ersten Hinweise vermuten lassen könnten. Im Hinblick auf die Entwicklung einer »Sozialgeographie der Regionalisierung« ist daher auch vorweg zu erwähnen, daß Giddens’ »Raumtheorie« von einem ungeklärten Verhältnis von physisch-weltlichem Raum und seiner sozial konstituierten Bedeutung für menschliches Handeln geprägt ist. Der oben angesprochene Mangel an Systematik seiner Theorie dürfte nicht zuletzt mit diesem ungeklärten Verhältnis zu tun haben. Die folgende Darstellung ist bestrebt, diese Probleme zu umgehen, indem die Auseinandersetzung mit »Raum« streng auf die Körpergebundenheit menschlichen Handelns bezogen wird. Auf diese Weise kann der Eindruck, der gelegentlich bei Giddens als Gegensatz zu seiner Hauptargumentationslinie entsteht, »Raum« hätte an sich einen konstitutiven Charakter für das Gesellschaftliche, vermieden werden. In diesem Sinne ist auch mein Vorschlag zu sehen, für die Analyse der Raumthematik von den Differenzierungskategorien auszugehen, die auf die Körperlichkeit der Handelnden Bezug nehmen.14 Der Ausgangspunkt für diese Systematisierung besteht in der Überlegung, daß sich die Bedeutung von »Raum« für die sozialen Prozesse aus der Körperlichkeit der Handelnden ergibt bzw. der Bedeutung der Körperlichkeit der Handelnden für soziale Kommunikation und Interaktion einerseits und soziale Produktion und Reproduktion andererseits. Die Kategorien sind: 1. unmittelbare face-to-face-Interaktionen in Kopräsenz; 2. Episoden von alltäglichen Routinen bis hin zu Lebensspannen; 3. soziale Systeme sowie institutionalisierte Zusammenhänge des Handelns. Jedem dieser drei Aspekte möchte ich je spezifische Aspekte der räumlichen Dimension in ihrer sozialen Definition und Signifikanz zuordnen. Wie bei der zeitlichen Dimension bestehen auch hier Überlagerungen; doch im Sinne

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Konstitution gesellschaftlicher Regionalisierungen

einer besseren Verständlichkeit der Präsentation soll diese analytische Unterscheidung erlaubt sein. Diesen drei Ebenen können die folgenden Aspekte von Räumlichkeit zugeordnet werden: a) Bei face-to-face-Interaktionen bzw. Interaktionen in Kopräsenz werden die Konzepte »vorderseitige« und »rückseitige Regionen« zentral; b) in Zusammenhang mit Routinen des Handelns – im Sinne der Zeitgeographie differenziert in Tages-, Wochen- oder Lebensspannen – werden einerseits symbolisierte Regionalisierungen von »vorderseitigen« und »rückseitigen Regionen« im außerkörperlichen Bereich sowie die raumzeitlichen Pfade bedeutsam; c) »time-space distanciation« und »time-space edges« werden wichtig in Zusammenhang mit mittelbaren Interaktionen sowie Institutionen und sozialen Systemen. Bevor diese drei Ebenen ausführlicher vorgestellt werden, ist zuerst die entsprechende räumliche Begrifflichkeit zu erörtern. Räumliche Begrifflichkeit

Giddens entwickelt eine allgemeine räumliche Begrifflichkeit, die auf verschiedene soziale Zusammenhänge angewendet werden kann, deren ontologischer Status aber recht diffus bleibt. Der erste Begriff ist »locale«, der in der deutschen Ausgabe von »The Constitution of Society« mit »Ort« übersetzt wurde. Giddens führt diesen Begriff jedoch gerade in expliziter Abgrenzung vom geographischen Begriff »place«, »Ort«, ein, und zwar aus der Überlegung, daß nicht das Physische zentral ist, sondern eben die Idee der Kontextualität des Handelns. Deshalb ist die Übersetzung von »locale« mit »Ort« als unangemessen und mißverständlich zu bezeichnen. Mit »locale« ist vielmehr ein bestimmter tätigkeitsspezifischer Raumausschnitt gemeint, der bereits ein bestimmtes Anordnungsmuster von materiellen Gegebenheiten und Interagierenden aufweist. Oder wie ich es formulieren möchte: der materielle Kontext bzw. die Konstellation des Handelns, dem/der auf intersubjektiv gleichmäßige Weise eine spezifische soziale Bedeutung zugewiesen wird. Giddens verwendet dafür gelegentlich – wie bereits erwähnt – auch den Ausdruck »setting«: »›Locale‹ carries something of the connotation of space used as a setting for interaction« (Giddens, 1979a, 207). In Anlehnung an diesen Hinweis und zur Vermeidung der Mißverständnisse, die sich aus der Übersetzung von »locale« mit »Ort« ergeben, soll hier »Schauplatz« vorgeschlagen werden. Denn gleichzeitig verweist »Schauplatz«

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implizit auch auf ein soziales »Ereignis« mit einem bestimmten Bedeutungsgehalt. Dies kommt der Absicht Giddens entgegen: »A setting is not just a spatial parameter, and physical environment, in which interaction ›occurs‹: it is these elements mobilised as part of interaction. Features of the setting of interaction, including its spatial and physical aspects (…) are routinely drawn upon by social actors in the sustaining of communication« (Giddens, 1979a, 207).15 Als Beispiel verwendet Giddens ein Haus. Ein Schauplatz (locale) kann nur »Haus« genannt werden, wenn wir feststellen, daß dieser materielle Kontext eine Einrichtung zum Wohnen und entsprechende Handlungsweisen ist. Je nach Handlungskontext kann ein Schauplatz ein Haus sein, eine Straßenecke, eine Stadt oder das Territorium eines Staates. Es ist also wichtig festzuhalten, daß die Typisierung als »Schauplatz« nicht von der Größe oder der räumlichen Ausdehnung abhängt, sondern von der Art der Ausrichtung des Handelns. Jeder »Schauplatz« ist regionalisiert: »Locales are normally regionalised on a time-space basis« (Giddens, 1981a, 40). Zur Erläuterung von »Regionalisierung« kann man sich ebenfalls auf ein Haus beziehen: »Die Häuser (…) sind regionalisiert in Stockwerke, Flure und Zimmer« (Giddens, 1988a, 171). Regionalisierung heißt somit eine erste Spezifizierung der sozialen Definition von bestimmten räumlichen Ausschnitten bzw. Schauplätzen in bezug auf bestimmte Handlungsweisen. Aber auch hier steht nicht die physisch-weltliche Ausdehnung oder materielle Charakteristik einer Region im (traditionell) geographischen Sinne im Vordergrund. Es geht vielmehr wiederum um eine Kombination von sozialen und räumlichen Kategorien bzw. Merkmalen. So gesehen ist unter einer Region innerhalb eines »Schauplatzes« ein sozial, über symbolische Markierungen begrenzter Ausschnitt der Situation bzw. des Handlungskontextes, der an physisch-materiellen Gegebenheiten (Wände, Linien, Flüsse, Täler usw.) festgemacht werden kann, zu verstehen: »By ›regions‹ within locales I mean aspects of the settings which are normatively implicated in systems of interaction, such that they are in some way ›set apart‹, for certain individuals, or types of individuals, or for certain activities or types of activities« (Giddens, 1981a, 40). »Regionalisierung« unterscheidet Giddens – wie Übersicht 11 zeigt – schließlich weiter nach Form, Spannweite/Dauer und Charakter. Unter Form der Regionalisierung versteht Giddens (1988a, 173) »die Form der Grenzen, die die Region definieren«. Diese Grenzen bestehen in physischen oder symbolischen Markierungen bzw. Begrenzungen (markers). In physischer Hinsicht kann es sich um Wände zwischen einzelnen Zimmern oder Gebirge zwi-

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schen größeren Raumausschnitten handeln. In sozialer Hinsicht ist sinngemäß die Übereinkunft zu erwähnen, im Eßzimmer nicht zu schlafen, oder die Trennlinie in der regionalen Differenzierung der vorherrschenden sozialen Merkmale räumlich positionierter Personen einer Bevölkerung, wie etwa zwischen dem »Norden« und dem »Süden« Englands. Damit ist angedeutet, daß sich Regionen in ihrer Spannweite und Dauer bzw. ihrer Ausdehnung in räumlicher und zeitlicher Hinsicht unterscheiden können. »The intersection of ›spans‹ of space and time may vary, but regions of considerable span necessarily tend to depend upon a high degree of institutionalisation. All regions (…) involve extension in time as well as space« (Giddens, 1985a, 275). Wenn diese Definition auch eher vage bleibt, so gibt sie doch die Hauptlinie des Gedankenganges wieder. Kleine Spannweiten in räumlicher wie in zeitlicher Hinsicht weist etwa das Eßzimmer in einer Wohnung auf. Sie weisen meist kleine Flächen auf, und sie werden täglich nur für kleine Zeitspannen genutzt. Der Hinweis, daß Schauplätze, die große Raum- und Zeitspannen aufweisen (Territorien von Nationalstaaten, internationale Märkte usw.), nur in institutionalisierten Kontexten des Handelns aufrechterhalten oder unter Kontrolle gehalten werden können, macht erneut darauf aufmerksam, daß die wichtigste Begrenzung von Regionen über soziale Kategorien in Vollzügen des Handelns erfolgt. Unter Charakter von Regionalisierung sind die Modi der räumlich-zeitlichen Differenzierung zu verstehen: »By the ›character‹ of regionalisation I refer to the modes in which the time-space organisation of locales is ordered within more embracing social systems« (Giddens 1985a, 275). »Modes« wird allerdings nicht erörtert. Der bisherigen Argumentation entsprechend kann man darunter das übergeordnete räumliche Organisationsprinzip verstehen, das im Rahmen eines bestimmten umfassenderen sozialen Systems vorherrschend ist. So weist Giddens etwa darauf hin, daß in vorindustriellen Gesellschaften innerhalb des Wirtschaftssystems nur selten scharfe Trennungen zwischen Familien- und Arbeitsleben zu beobachten sind. In Industriegesellschaften herrscht jedoch eine klare Differenzierung zwischen Wohnung und Arbeitsplatz vor. Das entsprechende Organisationsprinzip, das hier den »Charakter« der Regionalisierung abgibt, könnte demgemäß als »funktionale Trennung« zwischen und innerhalb von Produktions- und Reproduktionsbereichen umschrieben werden. Zonierung bezeichnet die weitere Ausdifferenzierung von Regionen. Damit ist gemeint, daß beispielsweise bestimmte Zimmer nur für bestimmte

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Aktivitäten definiert sind: Das Wohnzimmer, um sich zu treffen und um Gäste zu empfangen, die Küche, um zu kochen und vielleicht auch um zu essen usw. Oder innerhalb von Produktionsgebäuden: Zonen der Fertigung, der Verwaltung und der Erholung. Regionalisierungen und Zonierungen werden meistens mit Zeiten kombiniert, so daß raum-zeitliche Regionalisierungen und Zonierungen entstehen, die in einem englischen Haus etwa wie folgt aussehen: Das Obergeschoß umfaßt die Räume für die Aktivitäten während der Nachtzeit, das Erdgeschoß jene für Tagesaktivitäten.

Übersicht 11: Arten der Regionalisierung (aus: Giddens, 1988a, 108)

Aber auch in umfassenderem Sinne sind zeitliche Zonierungen zentral: »Die Teilung zwischen Tag und Nacht war wohl üblicherweise in allen Gesellschaften die fundamentalste Zonendemarkation zwischen der Anspannung des sozialen Lebens und seiner Lockerung – die offensichtlich auch durch das Bedürfnis des menschlichen Organismus nach regelmäßigen Schlafperioden reguliert wurde. Die Nachtzeit bildet eine ›Grenze‹ für soziale Aktivität so ausgeprägt, wie nur irgendeine räumliche Grenze sein kann« (Giddens, 1988a, 171). An anderen Schauplätzen sind auch Zonierungen im Wochen-, Monats- oder gar Jahresrhythmus vorgesehen. Nach der Erläuterung der drei Oberbegriffe »Schauplatz«, »Region« und »Zone« bzw. der Prozesse, die bei ihrer Begrenzung von Bedeutung sind, können wir uns nun der Erläuterung der räumlichen Aspekte gemäß den drei

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oben vorgeschlagenen Aspekten zuwenden: »Raum und Kopräsenz«, »Raum und Routinen« sowie »Raum und mittelbare Interaktionen«. Die Unterscheidung dieser drei Aspekte bezieht sich grundsätzlich auf die Differenzierung zwischen unmittelbaren Interaktionen auf lokaler Ebene und den Interaktionen über größere räumliche Distanzen hinweg. Raum und Handeln in Kopräsenz

Bei »Kopräsenz« unterscheidet Giddens (1989a, 89ff.) zunächst zwischen Situationen, in denen die Kommunikation auf nichtverbale Art abläuft und solchen, in denen diese eine verbale Form annimmt. Nichtverbale Kommunikation bezieht sich auf körperliche Mimik und Gestik, verbale auf die gesprochene Kommunikation. Die zweite, für unsere Zwecke wesentlich wichtigere Unterscheidung bezieht sich auf »unfocused interaction« und »focused interaction«. Sie soll zuerst erörtert werden. »Unfocused interaction takes place whenever individuals in a given setting exhibit mutual awareness of one another’s presence« (Giddens, 1989a, 101). Man nimmt sich also gegenseitig wahr und ist in nichtverbaler Kommunikation engagiert, geht aber nicht aufeinander ein. Diese Form entspricht dem, was Goffman (1971, 214) »civil inattention« bezeichnet, die zu einer zentralen Interaktionsform vor allem in modernen Städten wird.16 Leute nehmen sich gegenseitig wahr und signalisieren, daß man aneinander nicht interessiert ist, aber auch, daß keine Gefahr zu befürchten ist. Davon unterscheidet sich die »focused interaction«. »Focused interaction occurs when individuals directly attend to what each other says or does« (Giddens, 1989a, 101). Eine solche Einheit wird von Goffman (1982, 24) »Begegnung« (encounter) genannt. Hier werden sowohl nichtverbale als auch verbale Kommunikation wichtig. Auf diesen Interaktionskontext beziehen sich daher auch alle räumlichen Konzepte, die Giddens in bezug auf die Kopräsenz vorstellt und diskutiert. Sie beziehen sich alle auf die »Positionierung des Körpers in Begegnungen« (Giddens, 1988a, 177). Den Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen bildet der Rückgriff auf die Bedeutung der Regionalisierung des Körpers im Rahmen der psychischen Entwicklung der Menschen. Wie bereits im Zusammenhang mit der zweiten Entwicklungsstufe des Kindes im Sinne von Erikson dargestellt wurde, ist die Regionalisierung des Körpers als Ausdruck des Gegensatzes von Autonomie und Scham/Zweifel zu begreifen. »Die Regionalisierung des Körpers, die so wichtig für die Psychoanalyse ist, hat ein räumliches Pendant in der Regio-

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nalisierung der Interaktionskontexte« (Giddens, 1988a, 177). Diese Regionalisierungen werden anhand von drei Konzepten umschrieben und präzisiert: »personal space« oder »private space« sowie »vorderseitige« und »rückseitige Regionen«. Personal space, worunter bei Begegnungen in kopräsenten Situationen die »vorderseitig« eingehaltene Distanz zwischen den Körpern sich begegnender Personen zu verstehen ist, wird von Giddens (1989a, 105f.) in Anlehnung an Hall (1966) in vier »Zonen« unterteilt. Die Unterteilungen beziehen sich auf die verschiedenen Intimitätsgrade fokussierter oder zutreffender: zentrierter sozialer Begegnungen und der daraus resultierenden räumlichen Distanz. Freilich bestehen auch beachtliche kulturelle Unterschiede in der Ausprägung der vier zu unterscheidenden Zonen im Rahmen vergleichbarer Interaktionstypen. Für moderne (angelsächsische) Gesellschaften werden von Hall vier Zonen mit folgenden besonderen Merkmalen beschrieben: Die Zone intimer Distanz umfaßt bis zu 11/2 Fuß und ist für Beziehungen und Begegnungen reserviert, bei denen unmittelbarer Körperkontakt erlaubt ist, wie zwischen Eltern und Kindern sowie Verliebten. Die sogenannte persönliche Distanz erstreckt sich von 11/2 bis zu vier Fuß und wird normalerweise bei Begegnungen zwischen guten Freunden und Bekannten eingenommen. Das Einnehmen der intimen Distanz ist in solchen Begegnungen zwar gelegentlich erlaubt, aber doch eng begrenzt. Soziale Distanz wird hier für die Bezeichnung jener Körperpositionierungen verwendet, die eine Distanz von vier bis zwölf Fuß aufweisen. Sie tritt normalerweise in formalen Begegnungen auf, so vor allem bei institutionell motivierten der Arbeitswelt. Die vierte und letzte Form von zentrierter Begegnungszone wird als öffentliche Distanz bezeichnet. Hier sind die Körper mehr als zwölf Fuß voneinander entfernt. Normalerweise wird sie zwischen jenen eingehalten, die in einer Vorstellung-Zuschauer-Beziehung stehen. Den Nachweis für die Bedeutung der Einhaltung dieser verschiedenen Distanzen – je nach Intimitätsgrad der Interaktionspartner – ist darin zu sehen, daß Personen jeweils versuchen, die von ihnen als angemessen betrachtete Distanz einzunehmen, wenn ihnen jemand körperlich zu nahe tritt. Meist finden sich Personen in ihrem Taktgefühl verletzt, wenn jemand die entsprechend der Beziehungsart erwartete Distanz nicht einhält und entfernen sich. Doch es ist wichtig zu sehen, daß es sich hierbei nicht um Distanzen per se handelt, sondern um die physisch-räumliche Symbolisierung emotionaler oder sozialer Nähe bzw. Ferne. Der Symbolcharakter ist auch bei der zweiten Unterschei-

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dung, jener zwischen »vorderseitigen« und »rückseitigen Regionen«, zu beachten. Vorderseitige und rückseitige Regionen können in Begegnungen auf körperlicher Ebene als das Zuwenden zu jemandem und das Abwenden von jemandem begriffen werden. Sie stellen Regionalisierungen dar, »welche die Akteure für die Organisation der Handlungskontextualität und für die Aufrechterhaltung der Seinsgewißheit in Anschlag bringen« (Giddens, 1988a, 177). »Vorderseitige Region« wird mit »Fassade« oder »Gesicht« (face) in Zusammenhang gebracht, »rückseitige Region« mit körperlicher Rückseite. Wie aber bereits mit dem Hinweis »zur Aufrechterhaltung der Seinsgewißheit« angedeutet wurde, verbindet Giddens mit diesen beiden Regionen noch weitere Aspekte, die sich nicht unmittelbar auf die Körperlichkeit der Handelnden beziehen. Es kommt ein metaphorischer Gehalt hinzu, der das Verständnis von Giddens’ Argumentation erschwert (vgl. Übersicht 12). Giddens kombiniert »vorderseitige Region« mit »Zurschaustellen« (disclosure) und »rückseitige Region« mit »Verbergen« (enclosure). Solange dies körperliche Mimik und Gestik umfaßt, könnte dieser Kombinatorik insofern zugestimmt werden, als sie die Zuwendung und Abwendung des Gesichts beschreibt. Aber bereits dann, wenn es das Unterdrücken eines spontanen Körperausdrucks betrifft, wird sie fraglich. Denn dies betrifft nicht mehr die »Positionierung des Körpers in Begegnungen«, sondern wohl eher eine reflexive Steuerung des Handlungsvollzugs, die sich aber auf eine psychische und nicht körperliche Kontrolle bezieht. Noch heikler wird die Kombinatorik von »vorderseitig«/»Zurschaustellen« und »rückseitig«/»Verbergen«, wenn sich diese Begriffspaare auf »Offenbaren« und »Verschweigen« von Kommunikationsinhalten oder anderen sozialen Aspekten des Begegnungskontextes beziehen. In Giddens’ kritischer Diskussion der Beiträge von Hall (1966) und Goffman, die davon ausgehen, »daß vorderseitige Aspekte der Regionalisierung im Kern nicht authentisch seien und daß allein das, was dahinter verborgen ist, als real und substantiell anzusprechen ist« (Giddens, 1988a, 177), weist er darauf hin, daß die »Aufrechterhaltung der Seinsgewißheit nicht erreicht werden könnte, wenn vorderseitige Regionen nicht mehr als bloße Fassaden wären« (Giddens, 1988a, 178). Denn die »Differenzierung zwischen vorder- und rückseitigen Regionalisierungen fällt keineswegs mit einer Unterteilung zwischen dem Verbergen (…) von Aspekten des Selbst und ihrer Zurschaustellung (…) zusammen. Diese beiden Achsen (…) entfalten ihre Wirkung in einem komplizierten Zusammenhang

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möglicher Beziehungen zwischen Sinn, Normen und Macht. Rückseitige Regionen bilden offenkundig häufig eine bedeutende Ressource, welche sowohl die Mächtigen als auch die weniger Mächtigen reflexiv in Anschlag bringen können, um sich in ihren Deutungen sozialer Prozesse von den ›offiziell‹ vorgeschriebenen Deutungsmustern distanzieren zu können« (Giddens, 1988a, 178). Sowohl seine Kritik an Hall (1966) und Goffman (1967; 1971; 1980) als auch seine eigene Reformulierung scheinen am entscheidenden Punkt vorbeizugehen. Wenn diese beiden Regionen tatsächlich als »Positionierungen des Körpers in Begegnungen« begriffen werden sollen, dann können sie nicht gleichzeitig als Kategorien der Bezugnahme auf das praktische und diskursive Bewußtsein postuliert werden. Denn die Bewußtseinsgehalte, die ich in Begegnungen vor anderen verberge, hängen nicht von meiner Körperposition in bezug auf jene anderer ab, auch dann nicht, wenn das Abwenden als symbolische Geste des Verbergens auftreten kann.

Übersicht 12: Regionalisierung der Kopräsenz (aus: Giddens, 1988a, 176)

Damit ist die Übertragung dieser Achsen der Regionalisierung auf Bewußtseinsgehalte nicht nur unzweckmäßig, sondern auch fragwürdig. Selbst wenn sich das, was ich denke und sage oder auch verdeckt halte, in meiner Mimik und Gestik ausdrückt, kann dies doch nicht zu der Behauptung führen, daß das Bewußtsein vorder- oder rückseitige Regionen im physisch-

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räumlichen Sinne aufweist. Im Sinne einer Analogie oder Metapher kann ich wohl das, was ich von mir bzw. meinem Bewußtsein nicht zeige, als rückseitige Region meines Selbst bezeichnen. Doch gerade weil es sich dann um eine Metapher handelt, darf diese nicht in körperbezogenen Kategorien lokalisiert werden. Dies scheint deshalb so zu sein, weil Bewußtseinsgehalte nicht dieselbe Existenz aufweisen wie materielle Gegebenheiten. Und selbst wenn man der Behauptung zustimmt, daß »die sozialen Charakteristika von Kopräsenz in der Räumlichkeit des Körpers und in der Orientierung auf andere sowie auf das erlebende Selbst verankert sind« (Giddens, 1988a, 116), kann dies doch nicht heißen, daß auch das Soziale oder Psychische gleichsam eine räumliche Existenz aufweist. Selbst wenn die Räumlichkeit des Körpers und die Kopräsenz für die Konstitution und Reproduktion eine hervorragende Bedeutung haben, kann dies immer noch nicht heißen, daß das Soziale körperlich ist. Dies schließt allerdings nicht aus, daß man sich im Sinne einer Metapher zur Umschreibung sozialer Prozesse auf körperliche Analogien beziehen kann. Diese Zusammenhänge werden uns im nächsten Abschnitt weiter beschäftigen. Raum und Routine

Unter »Routine« versteht Giddens insbesondere die sich ständig wiederholenden Handlungsmuster in raum-zeitlicher Hinsicht. Wird bei Routine normalerweise vor allem die Wiederholung in zeitlicher Hinsicht angesprochen, beharrt Giddens auf der raum-zeitlichen Betrachtung von Routine. In diesem Abschnitt ist eine Konzentration auf die räumliche Komponente angebracht. Diese Auseinandersetzung ist aber trotzdem vor dem Hintergrund der Einsicht zu sehen, daß die menschliche Praxis immer nur ein raum-zeitliches Geschehen involvieren kann. Zuerst ist auf den Zusammenhang aufmerksam zu machen, wie Giddens ihn darstellt. Der übergeordnete Satz lautet: »Seeing how activities (and day-to-day routines) are distributed in space (…) is fundamental to (…) understanding basic aspects of social life in general« (Giddens, 1989a, 106). Auf diesen Ausgangspunkt beziehen sich schließlich die weiteren Differenzierungen, die zuerst in Giddens’ Formulierung wiedergeben und dann kommentiert werden sollen. Es ist davon auszugehen, daß die Akteure bei ihren Praktiken »mit Bezug auf Raum und Zeit positioniert sind« und daß sie »entlang ihrer Raum-ZeitWege« (Giddens, 1988a, 137) leben. Bezieht sich die Positionierung in Situa-

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tionen der Kopräsenz auf die Körper der Interagierenden, auf subtile Formen der Körperbewegung, Gestik und Mimik, so schließt sie in »Routinen« die »Bewegung des Körpers durch die räumlichen Sektoren der Alltagsroutinen ein. Die Positionierung von Akteuren in den Regionen ihrer täglichen Raum-Zeit-Wege ist natürlich gleichzeitig ihre Positionierung mit Bezug auf die weitere Regionalisierung gesellschaftlicher Totalitäten und mit Bezug auf zwischengesellschaftliche Systeme« (Giddens, 1988a, 138). Und: »Die Positionierung in den Raum-Zeit-Pfaden des Alltagslebens stellt sich für jedes Individuum auch als Positionierung innerhalb des ›Lebenszyklus‹ oder seiner Biographie dar« (Giddens, 1988a, 139). Damit soll darauf hingewiesen werden, daß räumliche Aspekte in Routinen in zweifacher Weise relevant werden: einerseits mit Bezug auf den verschiedenen Sektoren bzw. Regionen, die tägliche Routinen ebenso durchlaufen wie Lebensspannen und –zyklen, andererseits hinsichtlich der raum-zeitlichen Pfade im zeitgeographischen Sinne. Die Routinen im Tages- und Wochenablauf bis hin zur Lebensspanne umfassen, zunächst im individuellen Bereich, wiederum vorderseitige und rückseitige Regionen. Die These wurde bereits erwähnt und sei hier nur nochmals in Erinnerung gerufen: Zur Regionalisierung des Körpers gibt es ein räumliches Pendant und dies nicht nur im Rahmen der Kopräsenz, sondern auch innerhalb von Routineabläufen. Damit ist offensichtlich gemeint, daß es subjektive Interpretationen oder soziale Definitionen von Schauplätzen gibt, die in Analogie zu Körperregionen, auf die sich die Libido in unterschiedlicher Weise beziehen kann, vollzogen werden. In diesem Zusammenhang verwendet Giddens zumindest ein Stück weit Goffmans (1969) Modell. Dieses Modell geht von Regionen oder Zonen aus, in denen sich Akteure, wie auf der Bühne, zur Schau stellen. Hier zeigen sich die Akteure, wie sie glauben, sich gemäß den allgemeinen Erwartungen zeigen zu sollen. Dies sind die vorderseitigen Regionen. Daneben gibt es aber auch Regionen oder Zonen, in denen sich die Akteure von ihren »Darbietungen« erholen. Dies sind die rückseitigen Regionen, in denen sich gewisse Teile alltäglicher Routinen vollziehen. Am pedantischsten sind raum-zeitliche Zonierungen von Routinen natürlich in »totalen Institutionen« wie Gefängnissen, Spitälern, Klöstern usw., wo im Tages-, Wochen- usw. Rhythmus spezifischen Aktivitäten je spezifische Zonen zugewiesen werden. Und man könnte vielleicht sogar die Hypothese wagen, daß rückseitige Regionen um so bedeutsamer werden, je stärker die zonierte Regulierung der Routinen ausfällt.

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Raum und mittelbare Interaktionen

Die mittelbaren Interaktionsformen charakterisiert Giddens mittels seines Konzeptes der »time-space distanciation«.17 Mittelbare Interaktionen setzen Medien der raum-zeitlichen Ausdehnung der mittelbaren Kommunikationsfähigkeit voraus, mittels deren mit abwesenden Akteuren kommuniziert werden kann. Demgemäß spielen die »Entankerungsmedien« sozialer Prozesse im Zusammenhang mit raum-zeitlichen Bedingungen der Kommunikation eine wichtige Rolle. Über sie bekommt das Verhältnis zwischen Anwesenheit und Abwesenheit eine neue Bedeutung und führt heute zur Unterscheidung zwischen lokaler und globaler Kommunikationsebene. Die diesbezüglich entscheidenden Medien, in denen die raum-zeitlichen Entankerungsmechanismen sozialer Praxis begründet liegen, bezeichnet Giddens (1991a, 18) – wie in Band 1 ausführlich gezeigt wurde – als »abstract systems«. Innerhalb davon unterscheidet er dann insbesondere zwischen »symbolischen Zeichen« und »Expertensystemen«. Sie ermöglichen in mehrfacher Hinsicht die Überwindung von Raum und Zeit. Die »symbolischen Zeichen« ermöglichen dies als direkte Kommunikationsmittel (Schrift, Telefon, Geld usw.) in offensichtlicherer Form als »Expertensysteme«. Die Expertensysteme, unter denen Artefakte im weitesten Sinne zu verstehen sind, ermöglichen die Überwindung von Raum und Zeit auf verstecktere Weise, weil hier die Interaktion zwischen Hervorbringer und Nutzer völlig anonym und meist auch völlig unbewußt bleibt. Beim Artefaktegebrauch kommt eine Interaktion zustande, ohne daß die Hervorbringer selbst anwesend sind. Man interagiert quasi »über« ihr Wissen mit ihnen, das Wissen, das sich in ihren Erzeugnissen äußert. In diesem Zusammenhang wird demzufolge auch das wichtig, was man als Giddens’ »Artefaktetheorie« (1987, 100ff.) bezeichnet, obwohl er diese Ausführungen ausdrücklich an die Adresse der Kulturanalyse richtet: »Cultural analysis focuses on the relation between discourse and what (…) I call ›cultural objects‹. By cultural objects, I mean artifacts which escape from contexts of presence, but which are distinct from objects generally in so far as they incorporate ›extended‹ forms of signification« (Giddens, 1987, 100). Im Rahmen von und im Hinblick auf Interaktionen sind die folgenden Merkmale der Artefakte von besonderer Bedeutung: 1. »Cultural objects involve a distanciation of ›producer‹ from ›consumer‹« (Giddens, 1987, 100). Alle Artefakte zeichnen sich dadurch aus, daß sie immer einen Interpretationsprozeß involvieren. Diese Interpretation kann oh-

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ne das gegenseitige Wissen, das bei Interaktionen in Kopräsenz notwendig ist, durchgeführt werden und auch ohne die gegenseitige Steuerung des Handelns, die für kopräsente Akteure typisch ist. 2. »As a consequence, (…) in this interpretative process (…) the ›consumer‹ (…) becomes more important than the producer« (Giddens, 1987, 101). Bleiben in Kopräsenz die Interaktionen eng aufeinander bezogen, tritt beim Artefaktegebrauch die Interpretationsarbeit des Benutzers einseitig in den Vordergrund. Der Hervorbringer ist in aller Regel nicht anwesend, um Anweisungen zu erteilen. 3. Artefakte zeichnen sich durch drei Merkmale aus: a) »A durable medium of transmission across contexts« (Giddens, 1987, 101). »Medium« sollte dabei in einem doppelten Sinne verstanden werden: die physisch-materielle Substanz des Artefakts einerseits und die Mittel seiner Verbreitung andererseits. b) »A means of storage, which involves decoding. ›Storage‹ means here the leaving of traces whereby information can be ›rescued‹ from the evanescence« (Giddens, 1987, 101). Ein materielles Artefakt ist immer auch Bedeutungsträger, und auch seine Materialität sorgt dafür, daß sich diese Bedeutung nicht »verflüchtigt«. In den materiellen Artefakten ist somit eine Bedeutung aufgehoben.18 c) »A means of retrieval. To retrieve an information is to have a mastery of the forms of encoding it incorporates« (Giddens, 1987, 101). Das heißt, daß der Benutzer oder Konsument eines Artefakts über bestimmte Fähigkeiten verfügen muß, um die verschlüsselten Bedeutungen zu entziffern. Im hochtechnisierten Zeitalter betreffen diese Fähigkeiten vor allem die Benutzung eines technischen Planes bzw. einer »Gebrauchsanweisung« in umfassendem Sinne. Insgesamt ist zu beachten, daß materielle Artefakte die Medien der Kommunikation darstellen und dabei selbst die Vehikel von Bedeutungen sind. Der Gebrauch von Expertensystemen kann entsprechend als eine anonyme Interaktion zwischen »Konstrukteuren« und Benutzern verstanden werden. Auf der anderen Seite ermöglichen aber gerade diese Erzeugnisse selbst auch die Interaktion mit nicht anwesenden Personen: »Expert systems are disembedding mechanisms because, in common with symbolic tokens, they remove social relations from the immediacies of context« (Giddens, 1990a, 28). Beide »unterstellen und begünstigen zugleich die Trennung der Zeit vom Raum«

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(Giddens, 1995, 42) als Bedingung raumzeitlicher Distanzierung. »An expert system disembeds in the same way as symbolic tokens, by providing ›guarantees‹ of expectations across distanciated time-space« (Giddens, 1990a, 28). Diese Entankerungsmedien ermöglichen also Interaktionen über große raum-zeitliche Distanzen hinweg und implizieren in vielfacher Hinsicht eine Anonymität der Interaktion. Gleichzeitig ermöglichen sie aber auch die Kontrolle über nicht anwesende Personen und Güter. Diese Medien setzen aber auch ein Vertrautheitswissen zu deren Nutzung voraus. Darin äußern sich zahlreiche Widersprüche, die nicht zuletzt für die gesamte Spät-Moderne charakteristisch sind. Der wichtigste Widerspruch scheint sich darin zu eröffnen, daß mit diesen Medien die raum-zeitlichen Hindernisse kommunikativ mit Leichtigkeit überwindbar werden, wodurch sie die anonymen Kontrollmöglichkeiten in einem bisher nie bekannten Ausmaß steigern und somit die Anonymität des sozialen Interaktionskontextes mindestens potentiell in entscheidendem Maße erhöhen. Auf der anderen Seite setzt aber gerade die anonyme Interaktionssituation vertiefte Kenntnisse über die kommunizierten Inhalte voraus. Auf diesen Widerspruch kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Es sei jedoch vermerkt, daß diese raum-zeitlichen Bedingungen und Möglichkeiten der Kommunikation äußerst wichtige sozial-weltliche Implikationen aufweisen, die sich aus der Auflösung raum-zeitlicher Distanzen in kommunikativer Hinsicht ergeben. Dieser Aspekt soll noch kurz näher betrachtet werden. Die raum-zeitlichen Distanzierungsmöglichkeiten führen zunächst dazu, daß die räumlichen Bedingungen für die soziale Kommunikation wesentlich an Relevanz verlieren, da sie interaktiv nicht mehr jene Bedeutung erlangen können wie in kopräsenten Situationen. Der entscheidende Punkt scheint jedoch zu sein, daß jede raum-zeitlich distanzierte, anonyme Interaktion immer nur dann erfolgreich gestaltet werden kann, wenn sie in irgendeiner Weise auf zuvor in kopräsenten Situationen gemachte Erfahrungen oder angeeignete Wissensbestände zurückgreifen kann. So könnte man sagen, daß raum-zeitliche Distanzierungen neben den Entankerungsmedien auf vorgängige Kopräsenzen angewiesen sind. Gleichzeitig würde das heißen, daß räumliche Bedingungen, die in Kopräsenz und den verschiedenen Routineformen wichtig sind, nicht nur Voraussetzung für die raum-zeitliche Distanzierung, sondern sogar in letzterer aufgehoben sind. Ohne dies hier vertiefen zu können, sei lediglich darauf hingewiesen, daß

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dieser hypothetisch formulierte Zusammenhang den Kern der »Dialektik des Lokalen und Globalen« bilden könnte. »Symbolische Zeichen« und »Expertensysteme« teilen jedenfalls die Eigenschaft, daß sie beide »erwartungs-zuverlässig« sind und dadurch die Interaktion mit abwesenden Partnern ermöglichen.

Struktur und Strukturation Nachdem soeben die Bedingungen des Handelns von der Seite des aktiven Teils, des handelnden Subjekts, aus analysiert wurden, ist nun auf den zweiten Hauptteil der Strukturationstheorie einzugehen, nämlich die Struktur. Jener Bereich sozialer Wirklichkeit also, den die Strukturalisten für den maßgeblichen Aspekt der sozialen Welt betrachten und dem sie sogar generative Kraft beimessen. Dieser Auffassung widerspricht Giddens und weist die primäre konstitutive Kraft der sozialen Welt dem Handeln der Subjekte zu, welche sich – gemäß seiner Auffassung – in ihrer sozialen Praxis auf die Strukturen beziehen. Doch dies ist nicht die einzige Differenz zu den strukturtheoretischen Gesellschaftstheorien. Handeln und Struktur: Strukturation

Wie J. B. Thompson (1989, 57) hinweist, gibt Giddens dem Begriff »Struktur« – im Vergleich zur bisherigen Verwendungsweise in den Sozialwissenschaften – eine neue Bedeutung. Funktionalistische Definitionen von »Struktur« sind mehr oder weniger explizit immer von organismischen Analogien durchsetzt. »Struktur« erhält dann die Bedeutung von einem Skelett, das dem Organismus seinen Halt gibt. In den strukturalistischen Theorien wird Struktur meistens mit der Idee eines Anordnungsmusters von Positionen in Verbindung gebracht.19 Und diese Positionen bestimmen dann die Tätigkeiten der Positionsinhaber. Giddens wendet sich gegen diese Auffassungen und ist bestrebt, sowohl deren statische und einseitig deterministische Interpretation zu vermeiden als auch diesem für die Sozialwissenschaften so zentralen Konzept eine präzisere Bedeutung zu verleihen. Wie bereits im Zusammenhang mit der linguistischen Analogie erörtert wurde, betrachtet Giddens Strukturen sowohl als Medium und Ergebnis, als ermöglichendes Mittel und als begrenzenden Zwang des Handelns. So gesehen sind Handeln und Struktur in sehr engem Verhält-

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nis zueinander zu sehen. Dies ist vor allem deshalb notwendig zu betonen, weil zwei Fehlinterpretationen vorzubeugen ist. Die erste Gefahr der Fehlinterpretation liegt in der Unterstellung einer voluntaristischen Auffassung des Handelns, wie sie etwa von Craib (1992, 145ff.) vorgebracht wird. Die Betonung von Handeln gegenüber Struktur kann nicht so ausgelegt werden, Handelnde wären in ihrer sozialen Praxis frei, das zu verwirklichen, was sie beabsichtigen. Dem steht nämlich die Präzisierung entgegen, daß Strukturen einerseits das Ergebnis vergangener Handlungen sind und zugleich einen begrenzenden Zwang für aktuelles Handeln darstellen. Beide Aspekte zusammengenommen bedeuten dann, daß alle Arten aktuellen Handelns begrenzt sind, durch die bisherigen eigenen Handlungen und die Handlungsergebnisse anderer Akteure, auf die ein Subjekt Bezug nehmen oder verpflichtet werden kann. Der Vorrang von Handeln gegenüber Struktur impliziert somit keinen Voluntarismus, sondern vielmehr den Hinweis, daß die Strukturen selbst das Ergebnis von Handlungen sind, die ihrerseits zum einen durch strukturelle Zwänge begrenzt, aber zum anderen auch nur unter den damals vorgegebenen strukturellen Bedingungen möglich waren. Die zweite Gefahr einer Fehlinterpretation liegt darin begründet, daß man die Bedeutung von Strukturen in dem Sinne überbetonen und ihnen eine eigene konstitutive Kraft zuweisen könnte, wie dies im Strukturalismus häufig der Fall ist. Doch für Giddens (1988a, 225) weisen Strukturen keine emergenten Eigenschaften im engeren Sinne auf. Gerade weil Strukturen als Handlungsergebnis begriffen werden, kann ihnen keine andere Bedeutung zukommen, als jene, die sie über das Handeln erlangen. Sie stellen das Ergebnis von Handeln dar; haben jedoch keine Handlungskompetenz an sich. Sie konstituieren nicht, was wir tun, wohl aber begrenzen und ermöglichen sie das, was wir tun können. Was ist nun genauer unter »Strukturen« zu verstehen? Am einfachsten ist es, mit einer negativen Definition zu beginnen; das heißt, darauf hinzuweisen, was Giddens (1979a, 59ff.) unter Strukturen nicht versteht. Hier sind wiederum zwei Aspekte besonders hervorzuheben. Erstens ist darauf hinzuweisen, daß Strukturen – wie bereits angedeutet – keine Existenz außerhalb des Handelns haben. Sie sind dem Handeln nicht etwas Äußerliches, wie dies etwa Struktur-Funktionalisten oder strukturalistische Marxisten behaupten. Und weil sie nicht außerhalb des Handelns existieren können, ist es auch nicht möglich, ihnen eine deterministische Bedeutung in dem Sinne zu verleihen, daß sie unsere Tätigkeiten von außen steuern. Zweitens sind Struktu-

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ren nicht als Interaktionsmuster oder -systeme zu verstehen, wie dies mindestens zeitweise von Parsons vorgeschlagen wurde. »Struktur« und »System« sind nicht gleichzusetzen, vielmehr ist davon auszugehen, daß Systeme strukturelle Eigenschaften haben. Daraus ist ersichtlich, daß Giddens, obwohl er den Vorrang des Handelns betont, sowohl »Struktur« als auch »System« für wichtige Aspekte des sozialen Lebens hält. Handeln, Interaktion und Gesellschaft sind auf die eine oder andere Weise strukturiert. Und diese Strukturierung bildet die Basis der sozialen Ordnung, ohne daß die soziale Ordnung aus den sozialen Strukturen selbst besteht. Wenn nun also Strukturen nicht im beobachtbaren Sinne bestehen, wie und woraus bestehen sie dann? Wie bereits erwähnt, ist Struktur in ähnlichem Sinne aufzufassen wie »Sprache«.20 »Sprache« stellt eine abstrakte Fähigkeit einer Gemeinschaft von Sprecherinnen und Sprechern dar. Das heißt analog, daß Strukturen zunächst als abstrakte Fähigkeit einer Mehrzahl von Handelnden zu begreifen sind. Wie »Sprache« existiert auch »Struktur« im virtuellen Sinne (außerhalb von Zeit und Raum) und weist kein Subjekt und somit auch keine Handlungsfähigkeit auf. Wie »Sprache« nur im »Sprechen« aktuell wird, so erlangt auch »Struktur« erst über Handeln eine aktuelle Realität. Im Handeln wird sie »wirklich«. Doch wo existieren Strukturen, wenn sie nicht gerade über Handeln wirklich werden? Giddens (1979a, 64) beginnt den Hinweis darauf mit einer eher verwirrenden Aussage: »The structure is present in his absence«. Das bedeutet, daß »Struktur« nicht auffindbar ist, wenn man sie außerhalb der Fähigkeiten des handelnden Subjekts sucht. Sie ist nicht anwesend als etwas Beobachtbares, also abwesend, sie ist aber anwesend als etwas Unsichtbares, als Fähigkeit der Akteure. »Struktur« äußert sich somit in der Umsetzung dieser Fähigkeiten. Diese Fähigkeiten werden mit der Angabe präzisiert, wo und woraus diese Fähigkeiten bestehen: »Structure exists paradigmatically, as an absent set (…) temporally ›present‹ only in their instantiation (…). To regard structure as involving a ›virtual order‹ (…) does not necessitate accepting Lévy-Strauss’ view that structures are simply models posited by the observer. Rather it implies recognising the existence of (a) knowledge – as memory traces – of ›how things are to be done‹ (said, written), on the part of social actors; (b) social practices organised through the recursive mobilisation of that knowledge; (c) capabilities that the production of those practices presupposes« (Giddens, 1979a, 64).

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Konstitution gesellschaftlicher Regionalisierungen

Damit ist festgelegt, daß Strukturen als Fähigkeiten der Akteure existieren, und zwar als Wissen, wie Dinge getan, gesagt oder geschrieben werden sollen, und auf dem also die soziale Praxis beruht, die dann als Umsetzung dieses Wissen zu begreifen ist. Dieses Wissen kann prinzipiell sowohl im diskursiven oder praktischen Bewußtsein als auch im Unbewußtsein angesiedelt sein. Strukturen sind in diesem Sinne als Bewußtseinsbestandteile oder Erinnerungsspuren zu betrachten. Um ein tieferes Verständnis der Strukturen erlangen zu können, ist nun zu klären, worin dieses Wissen besteht. Struktur umfaßt zwei Aspekte: Regeln und Ressourcen. Regeln

Um zu verdeutlichen, was unter »Regeln« zu verstehen ist und worin sich diese Strukturauffassung von anderen unterscheidet, ist in einem ersten wiederum auf die linguistische Analogie Bezug zu nehmen. Giddens geht von der Differenzierung zwischen Syntax/Syntagmatik und Pragmatik/Paradigmatik aus. Die syntaktische/syntagmatische Ebene umfaßt die Struktur der Zeichen und Regeln, nach denen die Zeichen zu kombinieren sind. Die paradigmatische Ebene bezieht sich auf die Regeln, nach denen die Zeichen substituiert werden können und dabei den Sinn der Zeichen verändern. Wenn wir die Wörter »Mut«, »Hut«, »Gut«, »Wut«, »Nut« nehmen, kann die paradigmatische Ebene wie folgt ausgedrückt werden: M H G ut W N

Die Struktur der Kombinationsweise der Zeichen »M«, »H«, »G«, »W« und »N« mit »ut«, welche die Bedeutung des jeweiligen Ausdrucks ändert, weist eine virtuelle Existenz auf. Die Zeichen existieren zwar in Raum und Zeit, nicht aber die Regel, die die Kombinationsweise bestimmt. Wir kennen offensichtlich die Kombinationsregel, nach der die variierenden Bedeutungen der Zeichen hervorgebracht werden, auch wenn wir nicht in der Lage sein sollten, sie genau zu benennen. Auf der syntagmatischen Ebene bestimmen die Regeln die Abfolge und Kombination der Buchstaben, mit denen die Wörter gebildet werden. Sie sind mit grammatikalischen Regeln zu vergleichen, welche die Konstruktion von Sätzen erlauben und ermöglichen. So ist beispielsweise in der englischen – im

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Gegensatz zur deutschen – Sprache die Kombination der Buchstaben »g« und »h« möglich, die Kombination von »x« und »z« hingegen nicht. Die Kombinationen in dieser Form können eine Existenz in Raum und Zeit aufweisen. Und genau so können auch Strukturen im Sinne der Struktur-Funktionalisten eine Existenz in Raum und Zeit aufweisen, für die »Struktur« soviel bedeutet wie »Interaktionsmuster« oder Struktur sozialer Beziehungen oder sozialer Systeme. Diesem Aspekt der Gesellschaftsanalyse kann man sich unter bestimmten Voraussetzungen auch zuwenden. Doch dabei ist immer zu beachten, daß sie das Resultat der Kombinationsregeln sind. Und in diesem Sinne sind Strukturen als Regeln zu verstehen: Sie sind inhärente Eigenschaften des Handelns. Sie bringen eine konsistente und geordnete Form von Gesellschaften hervor. Die Ordnung selbst kann aber – im Gegensatz zu den in Kapitel 3 vorgestellten Interpretationen durch Gregory und Thrift – nicht als der zentrale Aspekt von »Struktur« betrachtet werden. »Struktur« im Sinne von »Regeln« bezieht sich vielmehr auf jene Eigenschaften des Handelns, über die eine Ordnung konstitutiv hervorgebracht wird. Der zweite Schritt besteht darin, die Unterscheidung zwischen »konstitutiven« und »regulativen« (sanktionierenden) Regeln abzulehnen, von der seit Kant häufig ausgegangen wird. Weshalb Giddens diese Unterscheidung nicht akzeptiert, kann anhand eines Beispiels aus dem Fußballsport angedeutet werden. Die »Abseits-Regel«, gemäß der kein Spieler der angreifenden Mannschaft zum Zeitpunkt der Ballabgabe des ihm zuspielenden Mitspielers hinter dem letzten Verteidiger des Gegners stehen darf, ist beides: sie ist konstitutiv für das gesamte Angriffs- und Verteidigungsspiel beider Mannschaften und gleichzeitig ist sie regulativ, das heißt, bei Nichtbeachtung der Regel tritt eine Sanktion ein (Freistoß gegen die angreifende Mannschaft). Weil Regeln konstitutiv und gleichzeitig auch regulativ sind, ist es unangebracht, sie in dieser Beziehung in ausschließender Weise charakterisieren zu wollen. Diese Gleichzeitigkeit trifft den Kern der Dualität von Handlung und Struktur. Doch Giddens’ (1977) Regelverständnis bezieht sich nicht auf »Regeln« im Sinne von Spielregeln. Das heißt, daß Handeln und soziale Praxis für ihn nicht einfach darin bestehen, bestimmte Regeln zu befolgen. Soziales Handeln besteht also nicht, wie Winch (1974) in seiner Wittgenstein-Interpretation annimmt, in der Befolgung vorgegebener Regeln, wie man das etwa beim Fußball- oder Schachspiel tut. Gleichzeitig versteht Giddens (1979a, 67f.) »Regeln« auch nicht als allgemeine Beschreibungen von bestehenden

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sozialen Praktiken und betont zudem, daß es wichtig ist, zwischen dem Kennen und der Formulierung einer Regel zu unterscheiden. Sein Regelverständnis präzisiert Giddens (1988a, 74) unter Bezugnahme auf die Formel »an = n2 + n – 1« von Wittgenstein, die für ihn eine gute Annäherung an die alltäglich relevanten Regeln darstellt. Nicht weil gesellschaftliches Leben mathematisch reduzierbar wäre, sondern weil sie darauf hinweist, daß eine Formel zu verstehen primär bedeutet, »fähig zu sein, die Formel im richtigen Kontext und auf die richtige Art anzuwenden, um die Reihe fortzusetzen« (Giddens, 1988a, 72). So wie eine Formel sind auch Regeln als ein verallgemeinertes Verfahren zu begreifen: »Regeln sind als Verfahrensweisen des Handelns, als Aspekte der Praxis« (Giddens, 1988a, 73) zu begreifen. Soziale Regeln stellen demgemäß eine Art Technik dar, die im Fluß des Handelns zur Anwendung gelangen. Das heißt nun aber nicht, daß die Anwendbarkeit von Regeln sich nur auf sprachlich ausformulierte Regeln (Gesetzeskanon, bürokratischen Regeln, Spielregeln usw.) beziehen kann. Ausformulierte Regeln »sind deshalb eher kodifizierte Interpretationsregeln denn Regeln als solche. (…) (Doch) in welchem Verhältnis stehen Formeln zu den Praktiken, die von gewissen sozialen Akteuren ausgeführt werden, und für welche Art von Formeln interessieren wir uns (…) am meisten?« (Giddens, 1988a, 73). Hinsichtlich des ersten Teiles der Frage weist Giddens zusätzlich darauf hin, daß Regeln primär Bestandteil des praktischen Bewußtseins sind. Das heißt somit erstens, daß die Akteure die Regeln zwar anwenden können, daß sie aber nur in den seltensten Fällen in der Lage sind, eine genaue Beschreibung der angewendeten Regel zu geben: »Als soziale Akteure sind alle menschlichen Wesen hoch-›gebildet‹ im Hinblick auf jenes Wissen, das sie für die Produktion und Reproduktion alltäglicher sozialer Begegnungen in Anschlag bringen; die große Masse dieses Wissens ist eher praktisch als (diskursiv). (…) Akteure wenden im Lauf ihrer täglichen Aktivitäten typisierte Schemata (Formeln) an, um routinemäßig die Definition sozialer Situationen auszuhandeln. (…) Doch solches Wissen spezifiziert (zweitens) nicht alle Situationen, die einem Akteur widerfahren (…); vielmehr liefert es die generalisierte Fähigkeit, auf eine unbestimmte Anzahl von sozialen Umständen einzugehen und sie zu beeinflussen« (Giddens, 1988a, 73f.). In bezug auf das Verhältnis von Regeln und Praxis kann man festhalten, daß »Regeln« primär als Bestandteil des praktischen Bewußtseins zu betrach-

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ten sind. Dieses Wissen ist ein typisches Wissen um Situationen des Handelns, das es den Akteuren erlaubt, situationsreproduzierende oder -verändernde Handlungsweisen hervorzubringen. »Regeln« sind demgemäß am angemessensten als generalisierte Leitfäden des Handelns zu begreifen, die es den Handelnden ermöglichen, ihre Tätigkeiten routinemäßig zu reproduzieren, mit denen anderer zu koordinieren, aber auch Situationen zu verändern. Sie sind als Techniken in dem Sinne zu verstehen, daß sie für Bedeutungen und Handlungsweisen eine konstitutive Rolle spielen. Und sie sind konstitutiv in dem Sinne, daß sie das Handeln mitgestalten, nicht aber an sich hervorbringen, wie das von den Strukturalisten oft behauptet wird. So können beispielsweise die Verwandtschaftsstrukturen in traditionellen Gesellschaften, wie sie von Lévi-Strauss (1968) dargestellt werden, als Ausdruck der Befolgung von Regeln des Handelns – als ›memory traces‹ – auf der Ebene des praktischen Bewußtseins oder des Unbewußten interpretiert werden.21 In Giddens’ Sprachregelung bedeutet dies, daß in den Akten des Heiratens die binäre Struktur, die durch Regeln der Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Heiratens repräsentiert werden, einerseits reproduziert wird, und andererseits die Handlungsanleitungen für das Heiraten abgibt. Die Sozialstruktur der Verwandtschaft weist in diesem Sinne eine ermöglichende und eine erzwingende Komponente auf. Doch die Struktur besteht nur so lange, wie sie über Handlungen auf der Basis von ›memory traces‹ reproduziert wird. Daß diese Strukturen verändert werden können, verweist auf die transformative Kraft der handelnden Subjekte. Ressourcen

Die Darstellung der Ressourcen als Bestandteil der Strukturen fällt bei Giddens wesentlich knapper aus als jene der Regeln. Wie bereits in Band 1 erwähnt, versteht Giddens unter Ressourcen nicht etwas Materielles wie Rohstoffe. Vielmehr beziehen sich Ressourcen auf die Macht des »Zugriffs« auf Personen und materielle Mittel/Bedingungen. Oder anders formuliert: Unter Ressource ist nicht ein Zustand oder ein Ding zu verstehen, sondern eine »Fähigkeit«, ein »Vermögen der Umgestaltung« (capability), wie sich Giddens (1979a, 68) ausdrückt. Und so bezieht sich seine allgemeine Erörterung von Ressourcen auch auf die Herausarbeitung der Bedeutung von »Macht« für die der Gesellschaftsforschung. Zunächst verweist Giddens (1988a, 75) darauf, daß wir Regeln nicht ohne Bezugnahme auf Ressourcen betrachten können. Dies ist deshalb der Fall,

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weil erst die Ressourcen die Medien bereitstellen, damit die Bezugnahme auf Regeln einen transformativen Gehalt erreichen kann. Auf Regeln beruhende Handlungsweisen bedürfen also bestimmter Bedingungen, damit sie transformativ wirken können. Und diese Bedingungen können mit »Macht« im Sinne von Transformationspotential bezeichnet werden. Die Verfügungs»gewalt«, die sich auf materielle Gegebenheiten richtet, wird von Giddens mit »allokativen Ressourcen« bezeichnet. Seine genaue Definition lautet: »Allokative Ressourcen beziehen sich auf die Fähigkeiten – oder genauer auf Formen des Vermögens zur Umgestaltung –, welche Herrschaft über Objekte, Güter oder materielle Phänomene ermöglichen« (Giddens, 1988a, 86). »Allokative Ressourcen leiten sich aus der Herrschaft des Menschen über die Natur her« (Giddens, 1988a, 429). Das heißt also, daß allokative Ressourcen sich auf die Kontrollfähigkeiten der materiellen Mitwelt (zu der auch die Rohstoffe zu zählen sind), die Produktionsmittel und die produzierten Güter beziehen.22 Allokative Ressourcen richten sich auf die Kontrolle und die Verteilung der Zugangschancen zu diesen Gegebenheiten. Sie bestimmen die Zugangschancen des Handelns und der sozialen Praxis zur Transformation, der Umgestaltung und Aneignung der materiellen Bedingungen. Eine wichtige Form allokativer Ressourcen bilden das »Privateigentum« bzw. die Eigentumsrechte.23 Die Hauptaspekte, auf die sich allokative Ressourcen beziehen können, faßt Giddens (1988a, 316) wie folgt zusammen: 1 »Materielle Aspekte der Umwelt (Rohmaterialien, materielle Machtquellen). 2 Materielle Produktions-/Reproduktionsmitel (Produktionsinstrumente, Technologie). 3 Produzierte Güter (Erzeugnisse, die durch ein Zusammenwirken von 1 und 2 entstanden sind).« Die Verfügungs»gewalt«, die sich auf Personen richtet, bezeichnet Giddens (1981a, 51; 1988a, 86) als »autoritative Ressourcen«. Die genaue Definition lautet: »Autoritative Ressourcen beziehen sich auf Typen des Vermögens zur Umgestaltung, die Herrschaft über Personen oder Akteure generieren« (Giddens, 1988a, 86). Sie sind somit zu verstehen als die »an der Generierung von Macht beteiligten Ressourcen, die sich aus dem Vermögen, die Aktivitäten menschlicher Wesen verfügbar zu machen, herleiten; autoritative Ressourcen ergeben sich aus der Herrschaft von Akteuren über andere Akteure«

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(Giddens, 1988a, 429). Sie umfassen die Organisation der sozialen RaumZeit (die räumlich-zeitliche Konstitution einer Gesellschaft), die Produktion und Reproduktion des menschlichen Körpers und die Organisation von menschlichen Lebenschancen. Autoritative Ressourcen beziehen sich demgemäß auf die Zugangschancen von Personen zu den Kontrollmitteln der Überwachung, Kontrolle und Organisation von menschlichen Tätigkeitsabläufen. Sie können somit als die Mittel für die transformativen Regeln der Umgestaltung von sozialen Beziehungsverhältnissen verstanden werden. Die Hauptaspekte, auf die sich die autoritativen Ressourcen beziehen können, faßt Giddens (1988a, 316) wie folgt zusammen: 1 »Organisation von Raum und Zeit, wie diese für soziales Handeln relevant werden (raum-zeitliche Konstitution von Wegen und Regionen). 2 Produktion und Reproduktion des Körpers (Organisation und Beziehung von Menschen in gegenseitiger Gemeinschaft). 3 Organisation von Lebenschancen (Konstitution von Chancen der Entwicklung und des Ausdrucks des Selbst).« Zusammenfassend hält Giddens (1988a, 86) fest, daß nur jene Gegebenheiten zu Ressourcen werden können, »die in die Strukturierungsprozesse einbezogen sind. Der verändernde Charakter von Ressourcen ist logisch äquivalent mit denjenigen von ›codes‹ und normativen Sanktionen und zugleich integral an deren Realisierung gebunden.« Bevor die Strukturierungsprozesse in raum-zeitlicher Hinsicht thematisiert werden können, sind zunächst weitere Aspekte von »Struktur« zu erörtern.

Bedeutung, Herrschaft und Legitimation

Nach Giddens (1979a, 81ff.) ist analytisch zwischen drei »Modalitäten« der Strukturation zu unterscheiden. Diese Modalitäten sind die zentralen Dimensionen der Dualität von Struktur, die gleichzeitig für Interaktionen konstitutiv sind: »The modalities of structuration are drawn upon by actors in the production of interaction, but at the same time are the media of reproduction of the structural components of systems of interaction« (Giddens, 1979a, 81). In diesem Sinne ist auch die in der Übersicht dargestellte Unterscheidung von Interaktionen und Strukturen zu begreifen. Sie stellt allerdings nicht eine sich gegenseitig ausschließende Typologie dar. Vielmehr ist davon auszuge-

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hen, daß in je spezifischen Interaktionen diese Dimensionen auf verschiedenste Weise kombiniert werden. So ist vor allem darauf hinzuweisen, daß Giddens nicht postuliert, daß der Bedeutungsgehalt einer Interaktion sich außerhalb von »Macht« oder »Sanktion« befinden würde. Genau das Gegenteil ist der Fall: »All social practices involve these three elements« (Giddens, 1979a, 82).

Übersicht 13: Interaktions- und Strukturdimensionen (aus: Giddens, 1988a, 81)

Hier wird die Konzeption der »Dualität von Struktur« zentral. Denn damit kommt zum Ausdruck, »daß gesellschaftliche Strukturen sowohl durch das menschliche Handeln konstituiert werden, als auch zur gleichen Zeit das Medium der Konstitution sind« (Giddens, 1984a, 148). »Aktiviert« wird die Dualität durch die Strukturierungsprozesse, in denen die Strukturen einerseits erzeugt und andererseits wirksam werden. »Modalität« bezieht sich auf diesen Zusammenhang. Damit ist die »Vermittlung von Interaktion und Struktur in Prozessen der gesellschaftlichen Reproduktion gemeint« (Giddens, 1984a, 149). Interaktionen, die primär über die Kommunikation charakterisiert werden können, beziehen sich in erster Linie auf Regeln im Sinne von Deutungsschemata. Das heißt, daß kommunikative Akte auf semantische Regeln Bezug nehmen. Aufgrund dieser Deutungsschemata begreifen die Interaktionspartner gegenseitig, was sie sagen und tun. Sie betreffen das intersubjektive Wissen der Interaktionspartner in bezug auf sprachliche Äußerungen, Handlungen und situative oder kontextuelle Elemente. Allgemeiner formuliert: »By ›interpretative schemes‹, I mean standardised elements of stocks of knowledge, applied by actors in the production of interaction« (Giddens, 1979a, 83). Die Deutungsschemata sind »von der ›kognitiven Ordnung‹ abhängig, die eine

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Gemeinschaft besitzt« (Giddens, 1984a, 149), und stellen somit den Kern des gegenseitigen Wissens voneinander dar. »Aber während man aus einer solchen kognitiven Ordnung schöpft, rekonstituiert die Anwendung der Deutungsschemata gleichzeitig diese Ordnung« (Giddens, 1984a, 149). Die Bedeutung dieser kommunikativen Akte erschöpft sich demgemäß nicht in der subjektiven Bedeutung des Gesagten oder Getanen, sondern wird in der Bezugnahme auf die Bedeutungsschemata durch eben diese mitkonstituiert. In diesem Zusammenhang wird auch die konstitutive Komponente von Regeln relevant, die zuvor ausführlich erläutert wurde. Beziehen sich Interaktionen, die als kommunikative Akte gekennzeichnet werden können, auf semantische Regeln, so beziehen sich Interaktionen mit Transformationskapazität, in denen sich primär Macht(-verhältnisse) äußern, auf Ressourcen. Herrschaftsstrukturen setzen sich somit primär aus allokativen und autoritativen Ressourcen zusammen, und die Modalität bezieht sich auf »Mittel«, die über diese Ressourcen zugänglich sind. Unter Anwendung dieser Mittel können die »Teilnehmer Ergebnisse erzielen, indem sie das Verhalten anderer beeinflussen; die Mittel stammen zum einen aus einer Herrschaftsordnung und zum anderen reproduziert ihre Anwendung gleichzeitig diese Herrschaftsordnung« (Giddens, 1984a, 149). Der zentrale Aspekt ist hier aber »Macht«, begriffen als Kapazität, als Vermögen der Transformation gegebener Verhältnisse: »Action involves intervention in the world, thus producing definite outcomes, with intended action being one category of agent’s doing or his refraining. Power as transformative capacity can then be taken to refer to agent’s capabilities of reaching such outcomes« (Giddens, 1979a, 88). Und diese Fähigkeiten des Eingreifens hängen vom Zugang zu und der Nutzung von allokativen und autoritativen Ressourcen ab. Sie können in diesem Sinne als die Medien der Transformation begriffen werden, »employed as power in the routine course of interaction« (Giddens, 1979a, 92). Dabei beziehen sich die Akteure vor allem auf die institutionell verankerten Ressourcen (auf die später noch ausführlicher einzugehen ist) und rekonstituieren und reproduzieren diese mittels der entsprechenden Interaktionen. In diesem Zusammenhang betont Giddens, daß »Macht« in jedem Fall als ein relationales Konzept zu begreifen ist, das sich einerseits in der Transformationsfähigkeit von Handlungen äußert und andererseits die Doppelseitigkeit von Macht impliziert: »Power relations are relations of autonomy and dependence, but even the most autonomous agent is in some degree depen-

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dent, and the most dependent actor or partly in a relationship retains some autonomy« (Giddens, 1979a, 93). Sanktionierende oder »moralisch geladene« Interaktionen verweisen auf Normen und sind auf Legitimationsstrukturen bezogen, die ihrerseits in Sets von Sanktionsregeln bestehen. Diese Regeln können als Rechte und Pflichten umschrieben werden – als die zwei wichtigsten Seiten von Normen, die als Modalität der Sanktionen figurieren. »Regel« weist also die Konnotation von »Regelung« auf, die bei Übertretung sanktioniert wird. Gelegentlich spricht Giddens (1984a, 150) hier auch von moralischen Regeln. Zusammenfassend kann man festhalten: »Wie Kommunikation, Macht und Moral (Sanktion) wesentliche Elemente von Interaktionen sind, so sind Weltbilder, Herrschaft und Legitimation nur analytisch trennbare Eigenschaften von Strukturen. (…) Die Strukturen von Weltbildern können als Systeme von semantischen Regeln analysiert werden; die Herrschaft als Systeme von Ressourcen, die der Legitimation als Systeme moralischer Regeln« (Giddens, 1984a, 149f.).

Struktur und Formen der Regionalisierung »Raum« und »Zeit« sind auf allen Ebenen der Strukturationstheorie bedeutsam. Unter der Analyse der Raum-Zeit-Koordination sozialer Aktivitäten ist dabei »die Untersuchung der kontextuellen Aspekte von Orten (Schauplätzen), durch welche sich die Akteure auf ihren täglichen Wegen bewegen, und die Untersuchung der Regionalisierung von Orten (Schauplätzen) über Raum und Zeit hinweg« (Giddens, 1988a, 340) zu verstehen. Diese beiden Dimensionen sozialer Wirklichkeit sind nun in einen engeren Zusammenhang mit Struktur und Handeln zu stellen. Zuerst ist darauf aufmerksam zu machen, daß trotz der Bedeutung, die Raum und Zeit in der Strukturationstheorie erlangen, den strukturierenden Aspekten des Handelns – im bisher erörterten Sinne – die dominierende Stellung zukommt: »›Structure‹ refers to ›structural property‹, or more exactly, to ›structuring property‹, structuring properties providing the ›binding‹ of time and space« (Giddens, 1979a, 64).24 Oder mit anderen Worten formuliert: Zeitliche und räumliche Aspekte des Handelns – und somit auch alle Formen von Regionalisierungen – werden über die strukturierenden Komponenten des Handelns geregelt. Das heißt, daß Regionalisierungen zum einen nur mittels

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Regeln und (autoritativer und allokativer) Ressourcen konstituiert werden können. Zum anderen ist aber auch darauf hinzuweisen, daß zur Durchsetzung von strukturellen Eigenschaften die raum-zeitliche Komponente von größter Bedeutung ist. In diesem Zusammenhang kann man wie bei »Struktur« von einer Dualität der raum-zeitlichen Komponente des Handelns sprechen. Denn es kann davon ausgegangen werden, daß der raum-zeitliche Kontext gleichzeitig das Medium als auch das Ergebnis des Handelns und insbesondere der sozialen Kontrolle darstellt. Was Giddens zur »Macht« formuliert, trifft auch auf die raum-zeitlichen Aspekte zu: Analog zu »power is a double-edged phenomenon« läßt sich die raum-zeitliche Strukturierung des Sozialen als eine »zweischneidige« Gegebenheit verstehen. Wie bereits Hartke (1962, 115) geht auch Giddens davon aus, daß Akteure nicht nur ihre eigene Geschichte unter nicht selbst gewählten Bedingungen machen, sondern »sie machen auch ihre eigene Geographie« (Giddens, 1988a, 422) unter teilweise vorgegebenen und nicht völlig selbst gewählten Bedingungen. Daraus folgt, daß »räumliche Konfigurationen für das soziale Leben ebenso von grundsätzlicher Bedeutung für die Sozialtheorie sind wie die Dimensionen der Zeit« (Giddens, 1988a, 422). Die Implikationen dieser Sicht sind nun herauszuarbeiten. Zuerst ist zu präzisieren, was Giddens im Vergleich zur traditionellen Humangeographie unter »Region« und »Regionalisierung« versteht. Wie bereits dargestellt, versteht man im Rahmen der raumzentrierten geographischen Forschung unter »Regionalisierung« ausschließlich eine wissenschaftliche Aktivität. Das heißt, daß man sich damit befaßt, die Grenzen bestimmter Regionen zu ziehen, ohne dabei auf die täglichen Routinen der Handelnden differenziert Bezug zu nehmen. »Regionalisierung« wird demgemäß nicht als Geographie-Machen begriffen, sondern als quantitativ-wissenschaftliches Verfahren auf der Basis raumwissenschaftlichen Gedankenguts. Giddens (1988a, 424) kommentiert dies wie folgt: »Den Versuch, den Begriff der Regionalisierung in der Geographie durch abstrakte Modelle räumlicher Formen zu ersetzen, halte ich für ein weitgehend mißlungenes Unterfangen. (…) (Denn) Regionalisierung ist nicht gleichbedeutend mit Regionalwissenschaft.« In der Strukturationstheorie weist »Regionalisierung« jedoch in eine andere Richtung. Am besten versteht man sie nicht als »einen ausschließlich räumlichen Begriff, sondern als einen, der die Verknüpfung von Kontexten in Raum und Zeit zum Ausdruck bringt« (Giddens, 1988a, 424). Damit wird

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angesprochen, daß sich Regionalisierung nicht allein auf den physisch-materiellen Aspekt beziehen kann. Vielmehr soll dieser Begriff zum Ausdruck bringen, unter welchen sozialen Bedingungen diese räumlichen Gliederungen entstehen und welche Bedeutung sich für die verschiedensten Akteure für jeweils spezifische Handlungen ergeben. »Region« ist in diesem Sinne als Kontext bzw. Situation des Handelns zu verstehen und unter »Regionalisierung« der Prozeß, in dem diese Kontexte und Situationen von den Subjekten sozial konstituiert werden. Deshalb kann aus der Berücksichtigung der räumlichen Dimension keinesfalls die Forderung nach einer raumwissenschaftlichen Sozialtheorie abgeleitet werden, sondern vielmehr einer Wissenschaft, welche die Bedeutung der räumlichen Aspekte für die soziale Praxis nicht unbeachtet läßt.25 Dazu schlägt Giddens (1988a, 424) vor, »die Analyse der Regionalisierung zum spezifischen und besonderen Anliegen der Geographie zu machen.« Bevor dies vertieft wird, ist als Zwischenbilanz festzuhalten, daß die wichtigste Zusammenarbeit zwischen Sozialwissenschaft und Geographie demgemäß in der Erforschung der Regionalisierungen zu sehen ist, und weniger in der Regionalforschung. »Regionalisierung« kann dabei als »Geographie-Machen« unter Berücksichtigung der strukturellen Komponenten des Handelns interpretiert werden. Doch auf welche Weise werden Regionalisierungen vollzogen? Wie werden sie aufrechterhalten? Welche Konsequenzen haben die Regionalisierungen für die raum-zeitlichen Aktivitätsmuster, und welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen für den sozialen Kontext des Handelns? Um ein vertieftes Verständnis von »Regionalisierung« zu erlangen, wird eine strenge Thematisierung der Machtkomponente von autoritativen und allokativen Ressourcen notwendig. Dabei ist jedoch darauf hinzuweisen, daß Giddens bei seiner Auseinandersetzung mit den raum-zeitlichen und strukturellen Aspekten des Handelns die Unterscheidung zwischen autoritativen und allokativen Ressourcen nicht detailliert durchhält. Er behandelt das Thema vielmehr im allgemeineren Zusammenhang von Raum-Zeit, Macht und Kontrolle. Raum-zeitliche Kontexte des Handelns werden als Medien oder »Quellen« von Kontrolle und Macht interpretiert. Die räumlich-zeitlichen Kontexte ihrerseits sind in bezug auf Kontrolle und Macht an die Ressourcen gebunden und sollten entsprechend analysiert werden: »The sources of control that actors endeavour or are able to apply in social relationships can be analysed in terms of modes of appropriating allocative and authoritative ressources to secure that control«

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(Giddens, 1981a, 62). Trotz der nicht konsequenten Integration ist das Verhältnis von Regionalisierung und Ressourcen in zweifacher Hinsicht relevant: erstens in bezug auf die Regionalisierungen von »Schauplätzen« (locales) auf den verschiedensten Maßstabsstufen: »Locales (of operation) may range from confined settings – the dwelling, office, factory etc. – up to the large-scale territorial aggregations of nation-states or empires« (Giddens, 1981a, 39). Auf welcher Maßstabsstufe wir uns auch immer befinden, es gibt einzelne Grundprinzipien des Verhältnisses zwischen Ressourcen und Raum-Zeit, die gleich bleiben. (Territoriale) Kontrolle bezieht sich einerseits auf die Personen (autoritative Ressourcen) und andererseits auf die Nutzungsrechte des Territoriums (allokative Ressourcen).26 Zweitens werden Ressourcen schließlich für die raum-zeitlichen Muster der alltäglichen Routinen relevant. In diesem Zusammenhang spricht Giddens (1981a, 45) von »institutional clustering of practices«. Diese »Häufung« sozialer Praxis ist konsequenterweise als Ausdruck des strukturierenden »Einflusses« der Ressourcen auf die Handlungsweisen der Akteure zu begreifen. Regionalisierung und »Häufung« der raum-zeitlichen Pfade sind für die Analyse der Raum-Zeit-Koordination sozialer Aktivitäten und der darauf aufbauenden Erklärung der Raum-Zeit-Ausdehnung moderner Gesellschaften wichtig. Da die Ausprägung der täglichen Raum-Zeit-Pfade offensichtlich von den vorgängigen Regionalisierungen abhängt, ist es sinnvoll, sich auf die sozialen Prozessen der Regionalisierung unter besonderer Berücksichtigung der strukturellen Komponenten zu konzentrieren. In Giddens Darstellung wird die Mobilisierung autoritativer und allokativer Machtkomponenten jeweils in Zusammenhang von stärkerer oder schwächerer Akzentuierung der einen oder der anderen und anhand typischer Konstellationen thematisiert. Diese werden am Ende des Abschnitts vorgestellt. Vorerst sollen die allgemeinen Aspekte von Machtbezug und Regionalisierung herausgearbeitet werden. Die Grundidee von »Regionalisierung« besteht im Sinne der Strukturationstheorie in der raum-zeitlichen Begrenzung von Regionen. Die Grenzen bestehen üblicherweise aus symbolischen oder physischen Markierungen. Physische Markierungen, wie Wände, sind dabei in sozialer Hinsicht als »materiell verfestigte« symbolische Begrenzungen aufzufassen: »Some of these boundaries are so complete that they insulate the situation of interaction entirely. (…) Physical divisions, such as the walls (…) are socially respected communication barriers as much as they are purely material divisions between the enactment of various forms of encounters« (Giddens, 1987, 125).

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Das heißt also, daß Regionen und »locales« keine definitiv materiell fixierten Grenzen aufzuweisen brauchen. Es handelt sich dabei vielmehr um »sozial besetzte« Territorien mit wandelbaren Begrenzungen: »Such locales do not have to be fixed, immobile areas; still less does it necessarily involve the clearly demarcated boundaries characteristic of modern nation-state« (Giddens, 1981a, 45). Der entscheidende Punkt besteht somit darin, daß in Giddens’ Sicht die materiellen Bedingungen von Interaktionssituationen den Handelnden nicht einfach bestimmte Handlungsweisen aufzwingen. Dies käme einer vulgär-materialistischen Argumentationsweise gleich. Die materiellen Bedingungen werden vielmehr in Handlungs- und Interaktionsabläufen mobilisiert, kategorisiert und symbolisch aufgeladen.27 Die Markierungen, materielle Vehikel mit symbolischen Bedeutungen, werden jeweils für spezifische Interaktionssequenzen errichtet. Die entsprechenden Interaktionen setzen die symbolische Bedeutung der Markierungen reflexiv ein, das heißt, der Interaktionsverlauf wird unter Bezugnahme auf diese Markierungen gesteuert und kontrolliert. In diesen Kontext ist auch Giddens’ (1988a, 336) Formulierung einzuordnen, daß die »entsprechenden Praktiken ›Markierungen‹ (›markers‹) in der virtuellen Raum-Zeit-Sphäre der Struktur sind«. Man kann das so deuten, daß über territoriale Markierungen die lediglich virtuell existierenden Gehalte sozialer Strukturen (Regeln und Ressourcen) materiell »festgemacht« werden. Damit ist gemeint, daß deren abstrakte Gehalte unter Bezugnahme auf materielle, räumlich auftretende Gegebenheiten repräsentiert werden. Die Beachtung und Einhaltung der strukturellen Gehalte wird über die materielle Ebene vermittelt kontrolliert und sanktioniert. Dementsprechend sind Regionen als Handlungskontexte zu verstehen, »verbunden mit normativen Rechten, Verpflichtungen und Sanktionen« (Giddens, 1988a, 336), die spezifische Rollen der Akteure innerhalb ihres Bereichs – qua Bezugnahme der Interaktionspartner auf diese – mitkonstituieren. Dieses allgemeine Argumentationsmuster soll nun zunächst anhand des Beispiels »Schule« illustriert und dann weiter entwickelt werden. »Schule« als Machtcontainer

Die »Schule« kann im zeitgeographischen Sinne als »Station« charakterisiert werden. »Innerhalb« einer solchen Station spielen sich wichtige soziale Prozesse ab, die auch für umfassendere raum-zeitliche Ausschnitte von zentraler Bedeutung sind. Denn eine moderne Schule ist zunächst einmal als diszipli-

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nierende Organisationen zu begreifen. Dies impliziert, daß innerhalb einer Schule ganz spezifische Regionalisierungen konstituiert werden. Die Regionen werden für die Erreichung der Disziplinierung der Schüler und Schülerinnen eingesetzt. Das erste wichtige Merkmal einer Schule ist in raum-zeitlicher Hinsicht darin zu sehen, daß sie »wie alle Formen disziplinierender Organisationen (…) durch enge Grenzen von außen abgeschlossen ist; die physischen Grenzen der Schule trennen die entsprechenden internen Interaktionen ziemlich straff von den sonstigen alltäglichen Interaktionssituationen ab« (Giddens, 1988a, 188). Und diese Abgeschlossenheit ist es denn auch, die diesen spezifischen Handlungskontext (leichter) aufrechterhalten läßt. Die Koordination der verschiedenen Handlungsabläufe wird dadurch ermöglicht, daß sie von äußeren Störungen abgeschottet werden. Dies gilt in räumlicher wie in zeitlicher Hinsicht. Räumlich erfolgt innerhalb des Schulbereichs eine Aufteilung in verschiedene Klassenzimmer. In zeitlicher Hinsicht erlaubt der Stundenplan eine präzise Koordination der Handlungsabläufe. Beide zusammen bilden die Basis der strikten raum-zeitlichen Regionalisierung des internen Interaktionsgefüges. Diese Regionalisierung ist dabei einerseits als Ausdruck des disziplinierenden Kalküls der administrativen Autorität zu sehen und andererseits als Mittel der Durchsetzbarkeit der Autorität. Die Schuldisziplin beruht deshalb »zu einem beträchtlichen Teil auf Regulierung von Raum und Zeit« (Giddens, 1988a, 189). Innerhalb der kleinsten Region der Schule schließlich, dem Klassenzimmer, finden weitere Mikro-Regionalisierungen statt, die für eine verfeinerte Kontrolle bzw. Disziplinierung wichtig werden. Die kontextuellen Merkmale der Regionalisierung von Klassenzimmern, »als der hauptsächliche Gegenstandbereich der disziplinierenden Macht« (Giddens, 1988a, 189), variieren stark, je nach dem propagierten Unterrichtsstil (Frontalunterricht, Gruppenarbeit u. a.). Trotzdem können einige allgemeine Merkmale herausgearbeitet werden. Die Regionalisierung des Klassenzimmers wird in aller Regel über die »Spezifizierung der Positionen des Körpers, seine Bewegung und Haltung« (Giddens, 1988a, 189) vollzogen. Zentral ist dabei das Verhältnis der räumlichen Positionierung der Körper von Lehrerin/Lehrer und Schülern/ Schülerinnen, das sich von jener außerhalb des Schulunterrichts wesentlich unterscheidet. Für diese räumliche Positionierung der Körper scheint dabei die Kontrolle mittels Blickkontakt maßgebend zu sein. Körperhaltung und -be-

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wegung werden in bezug auf normierte Erwartungen überwacht, ihnen kommt eine besonders große Bedeutung zu. Die Schule ist in diesem Sinne »ein ›Behälter‹, in dem disziplinierende Macht generiert wird«, und das Klassenzimmer »ein Machtbehälter« (Giddens, 1988a, 188). Denn »Disziplin qua Überwachung ist (einerseits) ein wirksames Mittel der Erzeugung von Macht« (Giddens, 1988a, 189), und andererseits ist der »disziplinierende Kontext des Klassenzimmers nicht einfach ein ›Hintergrund‹ für das, was im Unterricht geschieht; das Klassenzimmer wird als solches vielmehr innerhalb der Dialektik der Herrschaft mobilisiert« (Giddens, 1988a, 190). Natürlich ist in der Schule auch die Unterscheidung zwischen »vorderseitigen« und »rückseitigen« Regionen wichtig: »The sustaining of spatial discrimination between front and back is a prominent feature of the use of locale within the reflexive monitoring of action in discursive and practical consciousness« (Giddens, 1979a, 207f.). Die Unterscheidung zwischen »vorderseitigen« und »rückseitigen« Regionen ist in Situationen der Kontrolle und Überwachung deshalb besonders wichtig, weil zahlreiche Sanktionsmechanismen auf sie bezogen sind. Was in »vorderseitigen« Regionen sanktioniert wird, braucht in »rückseitigen« Regionen noch lange nicht der Sanktion unterworfen zu sein und umgekehrt. Da normative Vorschriften meist an den Handlungskontext gebunden sind, wird zugleich offensichtlich, weshalb die Kontrolle der Einhaltung auch über die Regionalisierungen verwirklicht wird: »Normative prescriptions (…) are sustained through control of the setting« (Giddens, 1979a, 208). Mit dieser situativen Eingebundenheit von Handlungserwartungen wird verständlich, weshalb sich die Einstellungen zu diesen in »vorderseitigen« und »rückseitigen« Regionen erheblich unterscheiden können: »Performances in front regions typically involve efforts to create and sustain the appearance of conformity to normative standards to which the actors in question may be indifferent, or even positively hostile, when meeting in the back« (Giddens, 1979a, 208). Das Klassenzimmer ist als eine »vorderseitige Region« par exellence zu betrachten. Sowohl Unterrichtenden wie Unterrichteten ist es hier nicht gestattet, verdeckte Handlungen durchzuführen. Hier wird von allen erwartet, daß sie die normativen Vorschriften, die die Unterrichtssituation vorgibt, einhalten. Daneben gibt es aber auch zahlreiche »rückseitige Regionen«, sowohl für Lehrer und Lehrerinnen wie auch für Schülerinnen und Schüler. Für die Unterrichtenden bildet in aller Regel das Lehrerzimmer eine solche Region. Dieses kann von den Schülerinnen und Schülern normalerweise nicht betre-

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ten werden. Es ist nicht nur ein Ort der Erholung von den Aktivitäten in Klassenzimmern, sondern auch der Ort der Besprechung von »Taktiken« des Unterrichtens, des Politisierens, des Austausches von Klatsch usw. Die »rückseitigen Regionen« der Schülerinnen und Schülern werden in aller Regel in den Pausen zwischen den Unterrichtsstunden aufgebaut. Pausenplätze sind von sozialen Markierungen durchzogen, für deren Respektierung sich die jeweiligen Gruppierungen oft mit großer Vehemenz einzusetzen pflegen. Die Wegstrecken bzw. Pfade innerhalb der Schule sind als Folge der raum-zeitlichen Regionalisierungen zu betrachten. Für den zeitlichen Aspekt ist natürlich der Stundenplan die maßgebende Instanz, denn er bestimmt die Rhythmen der zurückgelegten Wegstrecken und die Dauer der Aufenthalte an bestimmten Orten. Über die symbolische Kodierung der verschiedenen Regionen wird schließlich bestimmt, wer welche Zimmer und Orte aufsuchen darf. Damit wird das Muster der Pfade geregelt. Zeitliche und räumliche Regionalisierung zusammen bestimmen schließlich darüber, was wann von wem an welchem Ort getan und nicht getan werden darf. Über diese »Fokussierung der disziplinierenden Autorität auf voneinander abgetrennte Klassenzimmer« (Giddens, 1988a, 192) wird natürlich die externe Kontrolle dieser »Machtbehälter« stark erschwert. Zudem grenzt sich die Schule selbst nach außen scharf ab, so daß nicht nur die Kontrolle der Klassenzimmer schwierig ist, sondern auch die der Schule insgesamt. »Die Abgeschlossenheit der Schule und die klare, räumliche wie zeitliche, Absonderung der internen Vorgänge von dem, was in der Umgebung geschieht, verhindert (…) die (konstante) beaufsichtigende Kontrolle von außen« (Giddens, 1988a, 192). Schulräte, Regierungsausschüsse, Elternverbände u. ä. können wohl gelegentlich Kontrollen des Schulgeschehens anstreben und versuchen, auf die Politik der Schule Einfluß zu nehmen. Doch insgesamt bleibt das Geschehen innerhalb des Machtbehälters »Schule« »relativ unabhängig von jenen äußeren Wirkkräften, deren Wesen sie zum Ausdruck bringt« (Giddens, 1988a, 192). Welche Einsichten können aus dieser Analyse der Schule für allgemeinere gesellschaftliche Zusammenhänge hypothetisch übernommen werden? Und in welchem Verhältnis stehen diese Einsichten zur Beziehung zwischen Handeln, Raum-Zeit und Struktur? Im Sinne einer ersten Zwischenbilanz kann festgehalten werden, daß das Beispiel »Schule« zeigt, wie die Strukturprinzipien der Macht, im Sinne von autoritativen Ressourcen, sich auf die raum-zeitlichen Aspekte des Handelns beziehen. Was offensichtlich geworden sein sol-

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lte, ist der enge Zusammenhang zwischen disziplinierender Macht, Körpermanipulation bzw. Zugriff auf die Körperlichkeit der Akteure sowie die Mobilisierung von raum-zeitlich repräsentierten sozialen Regelungen, die eine kontrollierte Koordination der Körperbewegungen ermöglichen sollen. Im allgemeinsten Sinne kann man hypothetisch formulieren, daß »Disziplin nur vermittels der aktiven Kontrolle von Raum und Zeit generiert werden kann« (Giddens, 1988a, 199). Die interne raum-zeitliche Regionalisierung hat für den Zweck der Disziplinierung mindestens zwei soziale Konsequenzen: Sie helfen »die Formierung großer Gruppen zu vermeiden, die eine Quelle unabhängiger Willensbildung oder von Opposition sein könnten, und sie erlauben die direkte Kontrolle individueller Aktivitäten, indem sie den möglichen Fluß und die Unbestimmtheit zufälliger Begegnungen ausschließen« (Giddens, 1988a, 200). Daraus ergeben sich wichtige Konsequenzen für das Verhältnis von »vorderseitigen« und »rückseitigen« Regionen. Deren soziale und psychische Bedeutung kann anhand von »totalen Institutionen« erörtert werden. »Totale Institutionen« und Disziplinierung

Zur Verfeinerung der Kontrolle wird zudem eine raum-zeitliche Untergliederung von Zonen bzw. Regionen im internen Bereich notwendig, denen jeweils spezifische Aktivitäten zugewiesen werden. Mit der gleichen Zielsetzung wird nach außen eine radikale Abgrenzung erforderlich. Diese Maßnahmen werden um so radikaler durchgesetzt, je intensivere Kontrolle und Disziplinierung angestrebt wird (zum Beispiel Gefängnisse, Klöster, aber auch Fabrikhallen in der Frühzeit des Kapitalismus) oder im Hinblick auf »Betreuungsmaßnahmen« notwendig sind (psychiatrische Anstalten, Spitäler). Historisch betrachtet kann man mit Foucault (1976b, 184f.) davon ausgehen, daß diese Grundlogik zuerst in Klöstern entwickelt wurde und später auf politische und administrative Kontexte übertragen und zuletzt zur therapeutischen Ordnung wurde. Totale Institutionen wie Gefängnisse, psychiatrische Anstalten usw. zeichnen sich durch den Versuch aus, totale Kontrolle der Insassen über jeden raum-zeitlichen Aspekt ihres Daseins zu erlangen. Die Kontrolle geht sogar so weit, daß man bestrebt ist, jede Form von »rückseitigen« Regionen zu verhindern. Dies geschieht mit der Absicht, das Potential zur autonomen Handlungsorganisation zu schwächen. So können sich die Insassen »nicht in abgesonderte Handlungssphären zurückziehen« (Giddens, 1988a, 209), was zu »ei-

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ner Auflösung der Grenzen zwischen dem Verbergen und Zurschaustellen (führt), die normalerweise dazu dienen, das Gefühl der Seinsgewißheit zu festigen« (Giddens, 1988a, 210). Wenn die Überwachung totale Formen annimmt, dann sind ihr sogar Situationen der Verrichtung der Notdurft, der Hygiene und der Körperpflege unterworfen. Kein Lebensaspekt bleibt von den Ansprüchen der Disziplin verschont. Dies führt dazu, daß menschliche Wesen in ›totalen Institutionen‹ zur Regression auf die Stufe kindlicher Abhängigkeit gezwungen werden. Ähnliches stellt Bettelheim (1964) in seinem Bericht seiner Erlebnisse in Konzentrationslagern von Dachau und Buchenwald fest, auf den sich Giddens ausführlich bezieht. Nicht so sehr die Tatsache des Gefangenseins wurde als Hauptqual empfunden, sondern vielmehr die allgegenwärtige Überwachung und Androhung oder Anwendung von Gewalt. Alle Tätigkeiten, inklusive der Verrichtung der Notdurft und der primitivsten Hygiene, mußten öffentlich vollführt werden. »In den Lagern wurde die Differenz von ›vorderseitigen‹ und ›rückseitigen‹ Regionen gleichsam von Grund auf eingesogen; in einer physischen wie sozialen Weise wurden im Lagerleben die ›rückseitigen‹ Regionen zum zentralen Gegenstand der Aufmerksamkeit gemacht« (Giddens, 1988a, 114). Die Verhinderung des Aufsuchens von »rückseitigen« Regionen wird schließlich von Giddens als wesentlicher Grund für Persönlichkeitsveränderungen gesehen, die »ganz offensichtlich sukzessive in die Regression« (Giddens, 1988a, 113) führten. Damit soll darauf hingewiesen sein, daß »rückseitigen« Regionen eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Sie wird besonders dann offensichtlich, wenn sie von den Kontrollorganen nicht mehr zugelassen werden und so die Kontrolle über alle Regionen des Daseins total wird. Im Sinne einer zweiten Zwischenbilanz kann man festhalten, daß sich die Durchsetzung autoritativer Ressourcen im aktuellen Handlungskontext vor allem auf die symbolische Kodierung raum-zeitlicher Ausschnitte bezieht. Damit wird insbesondere eine Kontrolle der Akteure via Körper erreicht bzw. angestrebt. Gleichzeitig werden damit die Regionalisierungen verfestigt und zur Sanktionierungsbasis erhoben. Somit werden raum-zeitliche Regionalisierungen von Handlungskontexten zur Grundlage der Macht im allgemeinen und der disziplinierenden Macht im besonderen. »Es besteht kein Zweifel, daß disziplinierende Macht systematisch nur dann erzeugt werden kann, wenn menschliche Wesen in physisch genau abgegrenzte Interaktionsrahmen ›gepfercht‹ werden« (Giddens, 1988a, 108). Und dies ist vor allem

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deshalb der Fall, weil die soziale Kontrolle einen unmittelbaren Zugriff auf die Körper der Handelnden voraussetzt: »Das raum-zeitliche ›Einfassen‹ von Gruppen von Individuen in abgegrenzte Orte, wo die kontinuierliche Beaufsichtigung unter Bedingungen der Kopräsenz geleistet werden kann, ist äußerst wichtig für die Generierung disziplinierender Macht« (Giddens, 1988a, 212). Derart bedingt die soziale Kontrolle die Kontrolle des Raums bzw. der sozial definierten und begrenzten Regionen. »Die Raum-Zeit-Trennung verschiedener Sektorenbereiche des sozialen Lebens dürfte in der Tat die Bedingung für das Funktionieren disziplinierender Macht im großen Maßstab sein« (Giddens, 1988a, 208). Dieser letzte Punkt soll im Zusammenhang mit der analysierenden Darstellung einer Fabrikhalle vertieft werden. Hier wird das Zusammenspiel von allokativen und autoritativen Ressourcen sowie ihre aktive Verwirklichung in raum-zeitlichen Regionalisierungen offensichtlich. Fabrikhalle und kapitalistische Produktion

Bei der raum-zeitlichen Organisation von Fabrikhallen bzw. der Produktionsprozesse ging es in den Anfängen industrieller Produktion darum, »die Anordnung der Körper im Raum an die technischen Erfordernisse der Produktion« anzupassen, so daß eine optimale »Koordination mit der Maschinerie« (Giddens, 1988a, 201) möglich wurde. Die rationale Gliederung des Produktionsraumes ist dabei als ein Mittel der disziplinierenden Macht zu betrachten. Die entsprechende Kontrolle des Raumes äußert sich in linienförmigen Anordnungen, Pfeilern und exakt gemessenen Mauerabständen. Diese 28 »Taylorisierung« des Produktionsraumes ermöglicht in erster Linie die Überwachung der Arbeiter und die Koordination der verschiedenen Arbeitsschritte in einer seriellen Produktion. »Indem man die Arbeiter nach strikten Klassifikationsprinzipien eingruppierte, konnte jeder Bestandteil der Arbeitsaufgabe charakterisiert und mit einzelnen Bewegungen des Körpers in Beziehung gesetzt werden« (Giddens, 1988a, 201).29 Hier wird schließlich auch offensichtlich, wie die räumliche Parzellierung zu einem zentralen Mittel der Durchsetzung oder Aufrechterhaltung von Herrschaftsstrukturen wird. Die räumliche Ordnung und die symbolische Aufladung der Regionsbegrenzungen bzw. der sozialen, eigentumsrechtlich legitimierten Begrenzung des Fabrikareals kann als Schlüsselinstanz der Wirksammachung der Herrschafts- und Machtstrukturen betrachtet werden. Nicht »Raum« an sich kann damit als autoritative und allokative Ressource ausgewiesen

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werden, wohl aber die festgeschriebene räumliche Ordnung der materiellen Einrichtungen und entsprechenden Positionierungen menschlicher Körper. Die zeitliche Ordnung von Handlungsabläufen ist die zweite wichtige Bedingung für die Koordination von Körpern und Körperhaltungen. Für Foucault (1977, 206), den Giddens in diesem Zusammenhang zitiert, eröffnet die Einreihung menschlicher Aktivitäten in zeitliche Ordnungsmuster »die Möglichkeit einer Besetzung der Dauer durch die Macht: die Möglichkeit einer detaillierten Kontrolle und pünktlichen Intervention (einer differenzierenden, korrigierenden, strafenden, ausschaltenden Intervention) in jedem Moment der Zeit. (…) Die Macht tritt der Zeit sehr nahe und sichert sich ihre Kontrolle und ihre Ausnutzung.« Giddens präzisiert diesen Zusammenhang und weist auf die Bedeutung von »Zeit« im Rahmen der Ausbreitung des kapitalistischen Wirtschaftssystems hin. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung wird demgemäß erst auf der Basis einer exakten Kontrolle über die Zeit möglich. Diese Kontrolle ihrerseits wird durch die Metrisierung der Zeit und deren Transformation zum Tauschgut »Arbeitszeit« erreicht. Die kaufbare Ware »Zeit« wird somit zu einem Gegenstand sozialer Konflikte. »Labour-time becomes a key feature of the exploitive system of class domination« (Giddens, 1979a, 210). Die Auseinandersetzung um Arbeitszeit bleibt schließlich bis heute ein Kernpunkt der Konflikte zwischen den sogenannten Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Es sind Konflikte, bei denen die Bedeutung der zeitlichen Aspekte in Zusammenhang mit der Konstitution und Reproduktion von Machtverhältnissen offensichtlich wird. Da sich Zeit als Kontrollmittel sozialer Verhältnisse hervorragend eignet, wird auch die Kontrolle über die Zeit zu einem Kernelement sozialer Konflikte: »The control of time as a resource employed in structures of domination« (Giddens, 1979a, 210). Die metrisierte bzw. serialisierte Zeit und die Parzellierung des Raumes werden somit beide zentral für die Koordination und Disziplinierung menschlicher Aktivitäten in industrie-kapitalistischen Produktionsweisen. Sie drücken »die Bedeutung der Kontrolle des Körpers im Verhältnis zu anderen aus, wie sie für die Disziplin als solche grundlegend ist« (Giddens, 1988a, 205). Kontrolle und Überwachung sind also in räumlicher Hinsicht »zellenartig«, in zeitlicher Hinsicht »seriell« und in organisatorischer Hinsicht »kombinatorisch« angelegt. Für die großmaßstäbliche Ebene sind in der Betrachtung industriewirtschaftlicher Produktionsstellen wichtige Voraussetzungen enthalten. Zunächst ist zu sehen, daß die industrielle Produktion in der Überwachung und Posi-

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tionierung der Arbeiter und Arbeiterinnen ihre Basis hat. Die Regionalisierung der Körperkontrolle in bezug auf die materiellen Produktionsmittel hat die Regionalisierung von Personen als soziale Klassen zur Konsequenz. Oder anders ausgedrückt: Die Materialität der Produktionsmittel und die Notwendigkeit der körpervermittelten Bedienung der Produktionsmaschinen legen es nahe, daß die Wohnorte der Arbeiterinnen und Arbeiter gezwungenermaßen im Umfeld der Produktionsstandorte zu liegen kommen. Diese interne Logik im Verhältnis von Produktions- und Reproduktionssphäre führte historisch schließlich zur sozial spezifischen Regionalisierung von Klassengesellschaften. »In class society, spatial division is a major feature of class differentiation. (…) Classes tend to be regionally concentrated« (Giddens, 1979a, 206). Zur Illustration dieser Tatsache erwähnt Giddens die Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden Englands oder dem Osten und Westen Schottlands. Welches sind die sozialen Konsequenzen dieser räumlichen Bedingungen? Zuerst ist darauf hinzuweisen, daß diese räumliche Differenzierungen als raum-zeitliche Formationen begreifbar sind, daß spezifische Ausprägungen der räumlichen Formation mit spezifischen Konsequenzen in zeitlicher Hinsicht verbunden sind: »One of the important features of the spatial differentiation of class is the sedimentation of divergent regional ›class cultures‹ over time: class cultures which today are partly dissolved by new modes of transcending time-space distances« (Giddens, 1979a, 206). Die Körpergebundenheit von Produktion und Überwachung führt(e) (zumindest in der Frühzeit des Kapitalismus) zu einer engen räumlichen Kammerung der verschiedenen sozialen Klassen, die sich einerseits in der StadtLand-Dichotomie äußert, andererseits in der sozialen Segregation im innerstädtischen Bereich. Im Zusammenhang mit dem ersten Aspekt nennt Giddens (1981a, 144) die Stadt einen »storage container« oder – in Anlehnung an die Schule – einen »Machtcontainer«: »Cities were above all ›containers‹ of (…) power« (Giddens, 1981a, 100). Die Abgrenzung der Stadt als zentraler Machtbereich der Produktionsorganisation findet dabei in den Stadtmauern ihren symbolischen Ausdruck. Der zweite Aspekt findet seine feinere Ausdifferenzierung über die Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt: »Neighbourhood segregation, in capitalist society, is not predominantly a managed process: rather it is the result of class struggle in housing markets« (Giddens, 1979a, 206). Trotzdem ist die soziale Verwaltung des Raumes als ein zentraler Mechanismus aller Gesellschaften zu betrachten.

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Mit dieser Andeutung der Zusammenhänge zwischen Struktur bzw. Strukturierungsprozessen und raum-zeitlichen Distanzierungen soll hier die Rekonstruktionsarbeit abgeschlossen werden, obwohl damit noch nicht alle Teile der Strukturationstheorie vollständig berücksichtigt sind. Vor allem der institutionelle Aspekt gesellschaftlicher Wirklichkeit ist damit noch nicht voll ausgeleuchtet. Gewisse Aspekte davon werden im folgenden Kapitel im Zusammenhang mit den theoretischen Grundlagen der »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« noch angesprochen. Die tiefere Durchdringung des Verständnisses institutioneller Wirklichkeiten und ihren Regionalisierungen ist bereits in empirischer Abklärung, soll hier aber noch nicht diskutiert werden.

Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen Giddens’ Strukturationstheorie ist grundsätzlich mit jener Ontologie von Gesellschaft und Raum kompatibel, wie sie in Band 1 dargestellt wurde. Die Ausnahme bildet seine Raumkonzeption, die aus der Zeitgeographie übernommen wird. Sie entspricht dem Newtonschen Containerraums mit seiner prä-modernen, absoluten und nicht subjektzentrierten Ontologie. Hier ist eine »Reorganisation« der Giddensschen Argumentation und kategoriellen Ordnung notwendig. Erst dann ist der Raumbezug mit Giddens Kernargumenten – kompetent handelnde Subjekte generieren die Konstitution der sozialen Wirklichkeit – zu vereinbaren. Akzeptiert man den Containerraum im Newtonschen Sinne, dann kommt dem Raum selbst konstitutive Kraft zu. In jenen Teilen von Giddens’ Werk, in denen er explizit auf die Zeitgeographie zurückgreift, weisen seine Formulierungen – im Widerspruch mit den genannten Kernansichten – tatsächlich diese Tendenz auf. Genau auf jene Teile beziehen sich die in Kapitel 3 dargestellten Interpretationen durch die Vertreterinnen und Vertreter der »neuen« Regionalgeographie. Da der Containerraum derart mindestens implizit (tiefenontologisch) argumentativ wirksam bleibt, ist es wenig erstaunlich, daß »Region« tendenziell als allumfassender und vorgegebener Behälter gedacht wird, in dem soziale Ereignisse stattfinden. Wird dieser marginale und – worauf bereits Joas (1988, 20), allerdings aus anderen Gründen, hingewiesen hat – widersprüchliche Teil der Strukturationstheorie nicht zum Kern der An-

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wendung der Strukturationstheorie im Feld der Regionalgeographie gemacht, dann eröffnet sich unter Einbezug einer konsequent handlungszentrierten Perspektive ein anderes Verständnis davon, was Geographie sein könnte und wie Regionen und Regionalisierungen sozialgeographisch begriffen werden können. Ausgangspunkt dafür ist – als Konsequenz der konzeptionell zentralen Stellung von Subjekt und Handeln – erstens die Vorrangstellung der Kategorien des Handelns gegenüber räumlichen Kategorien. Zweitens folgt daraus die Forderung, daß die Vorherrschaft der räumlichen Kategorien zur Typisierung sozialer Situationen aufzugeben ist. Wird dieser Wechsel unterschlagen, führt das zur sozialwissenschaftlichen und sozialgeographischen Konzentration auf »Raum« oder »Region« und zur Marginalisierung des »Subjektiven« und »Gesellschaftlichen«. »Raum« kann dann sogar als konstitutiver Faktor für das Handeln der Subjekte postuliert werden. Der Anschein der »Natürlichkeit« regionaler Aspekte des Handelns wird verstärkt, und im Extremfall werden die regionalen Verhältnisse dem argumentativen Diskurs entzogen: Nicht Subjekte sind aktiv und können Forderungen stellen, sondern die »Geographie der Dinge«, der »Boden« oder »die geographische Logik« fordern ihre Rechte oder »erzwingen« auch per se eine bestimmte Logik des Handelns. Politik und Macht liegen im Sinne dieser Perspektive konsequenterweise nicht in den Subjekten begründet. Genau dies steht im vollkommenen Widerspruch zu den Basisprämissen der Strukturationstheorie, kann aber die radikale Konsequenz einer substantialistischen Raumontologie sein. Kurz: »Regionen« sind dann natürlicher, nicht sozialer Art. Um den sozialontologischen Grundlagen der Strukturationstheorie in bezug auf »Raum« gerecht zu werden, ist eine Umkehrung der kategoriellen Ordnung Voraussetzung. Diese Umkehrung, in welcher die subjektzentrierte Ontologie von Gesellschaft und Raum begründet ist, führt zu einem körperzentrierten Verständnis von Raum, das die Erfahrung von »Raum« aus der Körpererfahrung ableitet. Die Generalisierung dieser Erfahrung durch die Subjekte ermöglicht es, darauf ein sozial konstituiertes Raumverständnis aufzubauen und »Raum« je spezifische soziale Konnotationen zu verleihen. Die damit verbundene Reinterpretation des traditionellen geographischen Raumes vom Forschungsgegenstand zum sozial konstituierten Element der Praxis macht schließlich auch erst den Blick frei für ein subjekt- und handlungszentriertes Geographieverständnis. Der Kernpunkt des Interesses ist die Erforschung der Bedeutung räumlicher Aspekte in der Verwirklichung der sozialen Alltagspraxis. Diese

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sehr allgemeine und hypothetische Festlegung bedarf umfassender Erläuterung, auf die im nächsten Kapitel ausführlich zurückzukommen ist. »Raum« weist jedenfalls keine absoluten Eigenschaften mehr auf. »Raum« kann weder in physischer noch in politischer Hinsicht eine unmittelbare Wirkkraft beigemessen werden. Im Sinne der Handlungs- und Strukturationstheorie sind »Räume« und »Regionen« als von den Subjekten sinnhaft konstituierte soziale Wirklichkeiten zu denken. Sie sind Ausdruck des alltäglichen Geographie-Machens und der damit verbundenen Regionalisierungen der Lebenswelt. »Region« ist – wie bereits Hartke betonte – sozialer Art. Sie ist nicht naturhaft vorgegeben, sondern Ausdruck von Konstitutionsleistungen und der sozialen Reproduktionsprozesse im Rahmen alltäglicher Praxis, das Produkt alltäglicher Regionalsierungen. In strukturationstheoretischer Perspektive werden Regionalisierungen jedoch nicht zur Aufteilung des Raumes hervorgebracht bzw. nicht zur Herstellung einer bestimmten »Logik des Raumes« geleistet. Vielmehr werden sie zur Regelung sozialer Problemsituationen und zur Aufrechterhaltung sozialer Praktiken geschaffen, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Generierung von Macht über Personen. Alltägliche Regionalisierungen sind demgemäß als soziale Prozesse zu begreifen, die eine hohe soziale, aber keine räumliche Relevanz aufweisen. Daraus folgt, daß alltägliche Regionalisierungen in handlungs- und nicht in raumwissenschaftlicher Hinsicht zu erforschen sind. »Region« ist Momentausdruck sozialer bzw. politischer Prozesse, Teil der Reproduktion sozial-politischer Wirklichkeit. In der traditionellen, raumwissenschaftlichen und »neuen« Regionalgeographie heißt »Regionalisierung« demgegenüber soviel wie eine qualifizierte wissenschaftliche Aktivität von Geographinnen und Geographen bzw. das Ergebnis ihrer Aktivitäten. Die »neue« Regionalgeographie verwirft die Formalisierung und Quantifizierung der raumwissenschaftlichen Geographie ebenso wie allgemeine Zielsetzungen – die Aufdeckung allgemeiner Raumgesetze – und postuliert die Berücksichtigung qualitativ-subjektiver Aspekte der »Konstruktion regionaler Wirklichkeiten« (Aring/Butzin/Danielzyk/Helbrecht, 1989, 25). Konsequenterweise verwirft man zwar den vulgären Materialismus der traditionellen Regionalgeographie, befragt aber nicht den ontologischen Status von »Region«. »Region« bleibt mindestens auf implizite Weise an den absoluten Raum gekoppelt, eine eher räumliche als soziale Gegebenheit. So kann man zwar

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die subjektiven Aspekte von »Region« und spezifische soziale Verhältnisse darin thematisieren, aber nicht die soziale Konstitution von »Region« über vielfältige Formen alltäglicher Praktiken. »Regionalisierung« ist – mit Ausnahme von wichtigen Andeutungen bei Pred – in der »neuen« Regionalgeographie bereits unbefragt abgeschlossen, und man konzentriert sich auf die Verhältnisse innerhalb der als vorgegeben betrachteten Grenzen. Unter spät-modernen Bedingungen drängt sich jedoch eine »dynamische Betrachtungsweise« der Regionalisierungsprozesse und eine Pluralisierung des Verständnisses von »Regionalisierung« auf. Und zwar eine Dynamisierung und Pluralisierung, die sich explizit auf die sozialen Praktiken im Sinne von alltäglichem Geographie-Machen beziehen. Darüber hinaus ist eine Systematisierung der Kategorien zur wissenschaftlichen Erforschung notwendig, die dann nicht zuletzt zur Entwicklung eines empirisch abgestützten, sinnadäquaten geographischen Bewußtseins beitragen sollen. Akzeptiert man »Region« als soziale Konstitutionsleistung in handlungs- und strukturationstheoretischer Perspektive, können auch die thematischen Anregungen der »neuen« Regionalgeographie radikalisiert werden. Die Radikalisierung des von Buttimer vorgeschlagenen Einbezugs der phänomenologischen Wissenschaftstheorie kann sich dann aber nicht nur auf die Förderung des wissenschaftlichen Interesses für die Insidersicht der Subjekte in einer Region beziehen, sondern soll auf die Analyse der sinnhaften Konstitutionsleistungen der Subjekte bei der Konstitution von Regionen ausgedehnt werden. Ähnliches gilt für Gregorys Betonung der Berücksichtigung der Machtkomponente unter Einbezug »autoritativer« und »allokativer Ressourcen«. Entsprechende Untersuchungen sind nicht nur auf ihre Bedeutung innerhalb der Region zu richten. Vielmehr ist auch nach der Bedeutung dieser Ressourcen bei der Konstitution von »Region« zu fragen und der Bedeutung der sozial konstituierten Region als Ressource der Reproduktion sozialer Wirklichkeit. Gleiches gilt für die Bedeutung der Produktionsprozesse für die Transformation von Regionen. Diese wäre konsequenterweise als konstitutiver Regionalisierungsprozeß zu thematisieren. Alan Preds Dynamisierung regionalgeographischer Studien für die politische Region wäre gemäß dieser Perspektive konsequenterweise auch für andere Wirklichkeitsdimensionen des Lebens zu spezifizieren; denn nicht nur der politische Bereich des Lebens impliziert Regionalisierungen. Das setzt allerdings auch voraus, daß die von Pred weitergetriebene Nutzung der strukturationstheoretischen Gesellschaftstheorie nicht mehr in ihrer Verräumli-

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chung gesehen wird, sondern – in Giddens’ Sinne – in der Abklärung der sozial konstituierten Bedeutungen von Orten und Regionen für soziale Prozesse und Konstitutionsleistungen sozialer Wirklichkeit. Nigel Thrifts »Kontextanalyse« ist im gleichen Sinne auf jene Einheiten zu beziehen, für die »Kontext« wirklich relevant ist und welche Kontextualisierungen erst schaffen. Das sind die Subjekte und ihr Handeln, und nicht Orte oder Regionen. Seine Thematisierung der »ontology of mobiltiy« impliziert eine Konzentration auf die Mobilität. Dies kommt, von einer subjekt- und handlungszentrierten Perspektive aus gesehen, letztlich eher einer halbherzigen Dynamisierung gleich. Denn die Bewegungen der Subjekte im Erdraum sind nur die eine Seite. Was die Subjekte über ihre Konsumtionen und Produktionen in Bewegung bringen, ist ein wichtiger Teil der anderen Seite. Diese ist aber durch eine Radikalisierung der Subjektzentrierung sozialgeographischer Forschung erst zu erschließen. Wie wir gesehen haben, spricht Giddens von »Regionalisierung« in Zusammenhang mit politisch-normativen Besetzungen von (erd-)räumlichen Ausschnitten der Situationen des Handelns. Dabei handelt es sich um subjektspezifische, soziale und institutionelle Praktiken der Kontextualisierung. So gesehen können sie im geographischen Sinne verstanden werden als Formen der Territorialisierung. Die entsprechenden sozialen Definitionen von räumlichen Ausschnitten werden in bezug auf die Aufrechterhaltung der Reproduktion alltäglicher Praktiken und der Konstitution von Gesellschaft thematisiert: wie Subjekte die räumliche Komponente normativ auf sich beziehen und wie in institutioneller Hinsicht Subjekte – auf soziale bzw. intersubjektive Weise – auf bestimmte Geltungsstandards verpflichtet werden können. Stellt man im Sinne der aufklärerischen Revolution der Moderne das erkennende und handelnde Subjekt ins Zentrum des Weltbildes und -verständnisses, dann ist auch »Regionalisierung« konzeptionell darauf zu beziehen.30 Sie kann nicht mehr nur als Versuch der objektivierenden Darstellung von physisch-materiellen und sozial-kulturellen Lebenskontexten betrieben werden, wie die wissenschaftliche Regionalisierung traditioneller und raumwissenschaftlicher Geographie konzeptionell angelegt war und ist. »Regionalisierung« ist im Gegensatz dazu nicht nur als wissenschaftliches Verfahren zu begreifen, denn »Regionalisierung« ist – wie Hartke und Giddens betonen – in die alltägliche Praxis eingelassen. Dabei sind kein objektiver Standpunkt und auch keine absoluten Begrenzungskriterien mehr auszumachen, wie die traditionelle Geographie sie in den physischen Lebensbedingungen finden

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und die raumwissenschaftliche Geographie sie über statistische Verfahren objektivierend gewinnen wollte. Zudem steht in der spät-modernen Ontologie auch kein absoluter, substantialistischer Raum als allumfassend begrenzender Container mehr zur Verfügung. Was dann noch als »Region« begriffen werden kann, ist im allgemeinen Sinne als Ausdruck politisch-administrativer Praxis zu begreifen. Doch diese ist nur eine Form, neben anderen Formen und Techniken der Regionalisierung. »Regionalisierung« ist für sozialgeographische Zwecke nicht lediglich auf die Kontextualisierung normativer Gültigkeiten für allokative und autoritative Ressourcen zu beschränken. Andere Formen der »Welt-Bindung« sind gemäß dem hier vertretenen Verständnis ebenfalls als »Regionalisierung« begreifbar. Sie sind eingebettet in eine Pluralität der Lebensformen, die als Konsequenz der Moderne interpretiert werden. Die im nächsten Kapitel darzustellende Alternative schlägt statt einer Objektivierung des Subjektgebundenen und der Naturalisierung sozialer Praxis eine radikalisierte Subjekt- und Tätigkeitszentrierung vor. »Regionalisierung« wird konsequenterweise – auch in Erweiterung von Giddens’ Strukturationstheorie – nicht mehr ausschließlich als raumprojizierte soziale Definition des Handlungskontextes verstanden. Das ist eine – äußerst wichtige – Form der Regionalisierung, so wie sie von Giddens auf differenzierte Weise von der unmittelbaren Körperzentrierung bis auf die nationalstaatliche Ebene und darüber hinaus thematisiert wird. Doch »Regionalisierung« kann im Zusammenhang mit radikalisierter Subjekt- und Tätigkeitszentrierung mehr heißen. Mit »Regionalisierung« sind hier alle Formen gemeint, in denen die Subjekte über ihr alltägliches Handeln die Welt einerseits auf sich beziehen, und andererseits erdoberflächlich in materieller und symbolischer Hinsicht über ihr Geographie-Machen »gestalten«. Zur Ausdifferenzierung der verschiedenen Typen von alltäglichen Regionalisierungen, die im folgenden Kapitel in Angriff genommen wird, dienen die handlungstheoretische Sozialgeographie und Giddens’ Strukturationstheorie als Basis. An die Stelle der Suche nach der geographischen Allregion soll die Erforschung der verschiedenen Typen alltäglicher Regionalisierungen treten, die Rekonstruktion der entsprechenden »Welt-Bindungen« durch die Subjekte. Alltägliche Regionalisierungen werden als Ausdruck der Strukturation und Konstitution der Gesellschaft unter spät-modernen Bedingungen verstanden. Der Kern traditioneller und raumwissenschaftlicher Regionalisierung ist in der räumlichen Begrenzung und Fassung sozial-kultureller Wirklichkeitsdi-

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mensionen auf der Basis eines substantialistischen oder relationalen Raumverständnisses ohne (unmittelbare) Bezugnahme auf die Subjekte zu sehen. Dem hier vorgeschlagenen Verständnis geht es um die Art der mediatisierten oder unmittelbaren subjektiven Welt-Bindung. Diese Bindung kann einerseits als Ausdruck der körperlich lokal situierten Alltagspraxis, andererseits als Mittel zur Aufrechterhaltung der Reproduktion der sozialen Wirklichkeit verwirklicht werden. Oder einfacher formuliert: bringt die traditionelle geographische Auffassung von Regionalisierung primär ein Verfahren der Begrenzung der Welt der Subjekte im Raum zum Ausdruck, so meint die handlungs- und subjektzentrierte Konzeption und Interpretation davon die Art, wie die Subjekte die Welt auf ihren lokal situierten Körper beziehen. Dies ist als eine Konsequenz der Moderne auf der forschungskonzeptionellen Ebene der Geographie zu sehen. Das Verständnis von Regionalisierung kann in diesem Sinne den Bedingungen der Globalisierung Rechnung tragen. Was Regionalisierung unter der Bedingung der Globalisierung der Lebenswelten heißen könnte und was das für die Geographie der Spät-Moderne bedeuten könnte, soll im nächsten Kapitel kategoriell hergeleitet und inhaltlich spezifiziert werden. Mit anderen Worten: Was heißt das subjektzentrierte Weltbild der Moderne für die Legitimation der Geographie als wissenschaftliche Disziplin und Giddens’ Forderung, die Erforschung der Regionalisierungen zum spezifischen Aufgabenfeld der Sozialgeographie zu machen? Diese Doppelfrage weckt möglicherweise Erwartungen, die darauf hinauslaufen, lediglich nach der Abarbeitung eines bereits verfügbaren Programms Ausschau halten zu müssen. Diese Erwartungshaltung würde aber zu kurz greifen. Hinsichtlich des ersten Punktes – Übertragung der subjektzentrierten Weltsicht auf die Forschungskonzeption der Geographie – kann auf keine Vorlagen zurückgegriffen werden, die lediglich der Anwendung bedürften. Dies hat damit zu tun, daß bei der Grundlegung der wissenschaftlichen Geographie im Nachhall der Aufklärung zu wenig radikal agiert wurde. Die Befreiung aus den Fesseln des Feudalismus und der Aufbau einer freien bürgerlichen Gesellschaft blieben, wie beispielsweise Herders Bezugnahme auf die Natur zur Begründung des Rechtes auf die Formierung von Nationen zeigt, zu sehr an die gesellschaftlichen Raumverhältnisse traditioneller Lebensformen gebunden, als daß daraus ein modernes geographisches Weltbild hätte hervorgehen können. Hinsichtlich des zweiten Punktes – Erforschung der Regionalisierungen im Sinne von Giddens’ Strukturationstheorie als Programm einer zeitgemä-

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ßen Humangeographie – sind damit verbundene Hindernisse zu überwinden. Der Kern der Hindernisse besteht darin, daß Giddens, wie gesehen, »Regionalisierungen« im Prinzip als Prozesse der Territorialisierung von den körperzentrierten Mikro-Geographien bis zur nationalen oder kontinentalen Ebene versteht. Damit wird zwar eine Dynamisierung des traditionellen geographischen Verständnisses von »Regionalisierung« erreicht, bleibt aber in der Idee der räumlichen Begrenzung (von sozialen oder politischen Zuständigkeiten) befangen. Der Raumbezug wird damit als Mittel der Gestaltung der sozialen Praxis erkannt, bleibt aber – wie im nun folgenden Kapitel ausführlich gezeigt wird – auf eine Dimension der sozialen Praxis beschränkt. »Regionalisierung« wird als wichtiger Teil der sozialen und politischen Praxis bzw. der Inwertsetzung allokativer und autoritativer Ressourcen thematisiert. Demzufolge ist »Regionalisierung« in Bezug andere Typen sozialer Praxis zu verallgemeinern, aus dem strikten Territorialbezug herauszulösen und damit für die Formierung einer subjektzentrierten Weltsicht fruchtbar zu machen.

Kapitel 5 Globalisierung und Regionalisierung

Wie »Gesellschaft« ist auch die Globalisierung Bedingung und Ausdruck alltäglicher Praxis: beide sind außerhalb des Handelns nicht wirklich. Die spezifische Praxis, auf der »Globalisierung« beruht, ist das alltägliche GeographieMachen. Die wissenschaftliche Disziplin, die sich dieses Aspekts annehmen sollte, ist konsequenterweise die sozialwissenschaftliche Geographie, die Sozialgeographie. Dieser Aufgabe hat sie im interdisziplinären Austausch mit praxiszentrierten Wissenschaftsdisziplinen mit spezifischer Akzentsetzung nachzukommen. Jede handlungswissenschaftliche Disziplin konzentriert sich auf einen bestimmten Aspekt menschlicher Praxis. Sie unterscheiden sich dadurch, daß sie differenziert und differenzierend jeweils besondere Dimensionen der Konstitution gesellschaftlicher Wirklichkeiten erforschen. Dies können sowohl seit jeher alltagsweltlich unterschiedene sein (religiöse, ökonomische, rechtliche u.a.), als auch solche, die erst über moderne wissenschaftliche Disziplinen wie Soziologie und Psychologie thematisierbar geworden sind. Akzeptiert man gleichzeitig, daß sich jede handlungswissenschaftliche Disziplin durch eine differenzierende Bezugnahme auf die Alltagspraxis legitimiert, dann kann es die Aufgabe sozialwissenschaftlicher Geographie werden, die regionalisierenden Dimensionen menschlicher Praxis zu erforschen. Das ist dann ihr fachlegitimierender Auftrag. »Regionalisierung« ist dabei als alltägliche und nicht als naturwissenschaftliche Praxis zu begreifen. Trägt man dem Grundprinzip des modernen Weltbildes Rechnung, wonach das erkennende und handelnde Subjekt die zentrale Rolle zugewiesen bekommen hat, dann ist das bisherige Ziel geographischer Forschung – naturwissenschaftlich definierte Regionalisierung des Raumes – damit nicht in Übereinstimmung zu bringen. »Regionalisierung« ist dann neu zu definieren: als Praxis der Welt-Bindung, mit der die Subjekte

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Globalisierung und Regionalisierung

die Welt auf sich beziehen. Dieses neue Verständnis von Regionalisierung ergibt sich aus der Revolutionierung des Weltbildes durch die Philosophie der Aufklärung auf geographischer Ebene. Diese Revolutionierung hat sowohl in gegenständlicher als auch methodologischer Hinsicht Konsequenzen und verlangt nach umfassenden begrifflichen Neubestimmungen. Einige sind im bisherigen Verlauf der Argumentation bereits vorgeschlagen worden und sollen nun stärker in den gegenständlichen und methodologischen Zusammenhang gebracht werden. In gegenständlicher Hinsicht impliziert die Subjektzentrierung sowohl die Überwindung des Newtonschen Containerraumes als auch die Konzentration auf die alltägliche Praxis. Die alltägliche Praxis ist in ihrer subjekt- und lebensformspezifischen Ausprägung zu erforschen. Denn mit ihr – so die These – werden die Welt-Bindungen in globalisierten wie globalisierenden Bezügen verwirklicht. Diese Welt-Bindungen sind – wie im nächsten Kapitel ausführlicher gezeigt wird – als Formen der subjektspezifischen Wiederverankerungen unter prinzipiell entankerten Lebensbedingungen zu verstehen. In ihrer Verwirklichung leben die Subjekte die Welt in globalen Bezügen. Dieser Unterschied im Verhältnis zum traditionell räumlich und zeitlich verankerten »In-der-Welt-Sein« ist auch methodologisch zu berücksichtigen. In methodologischer Hinsicht ist dabei eine doppelte Abstimmung der Forschungskonzeptionen notwendig. Erstens in bezug auf die handlungstheoretische Gesellschaftskonzeption. Damit ist der Wechsel von der Raum-/Regionalforschung zur Praxis-/Handlungsforschung verbunden. Die zweite Abstimmung ist hinsichtlich der Lebensverhältnisse erforderlich. Damit ist die Berücksichtigung der methodologischen Konsequenzen der Ablösung von traditionellen, räumlich und zeitlich verankerten, durch spät-moderne, räumlich und zeitlich entankerte Lebensverhältnisse gemeint. Die begrifflichen Neubestimmungen sind im gleichen Kontext zu sehen. Es ist in der Geographie ebensowenig sinnvoll, mit Begriffsdefinitionen und Konzepten des 19. Jahrhunderts die neuen Lebensverhältnisse zu erforschen, wie dies für die Sozialwissenschaften insgesamt der Fall ist. Den neuen Problemsituationen kann man nur auf die Spur kommen, wenn eine entsprechende Fachbegrifflichkeit bzw. deren Neudefinition verfügbar gemacht wird, denn sonst verharrt man in völlig unergiebigen Problemlösungsstrategien. Dies betrifft unter globalisierten Verhältnissen den geographischen Kernbegriff »Regionalisierung«, aber auch »Raum« in besonderem Maße. Letzterer ist in doppelter Hinsicht an den Prozeß der Globalisierung gebunden.

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»Globalisierung« prägt nicht nur das Geographie-Machen, sondern jede Form von Geographie-Machen wirkt auch prägend auf Globalisierungsprozesse. Es ist davon auszugehen, daß auch die lokalsten Formen des Geographie-Machens globalisierte Lebensbedingungen zu »erdulden« haben. So wie nicht jede Art des Handelns Macht über andere Personen generiert, aber doch »Macht« impliziert, so verhält es sich beim Geographie-Machen und der Globalisierung alltäglicher Lebenswelten. Das Verhältnis von globalisierten Bedingungen und lokalem Sein ist als »Dialektik des Globalen und Lokalen« thematisierbar. In diesem Zusammenhang wird die Neubestimmung von »Raum« – ebenso wie jene der »Zeit« – von besonderer Bedeutung sein. Hier sollte man insgesamt nicht übersehen, daß der Kern der Globalisierung selbst an bestimmte, moderne Raum- und Zeitkonzeptionen gebunden ist.1 Erst ein formales Raum- wie Zeitverständnis ermöglicht, »Globalisierung« zu thematisieren: die räumliche und zeitliche Ausdehnung der Reichweiten des Handelns aufgrund der Medien der Entankerung. Beide sind zudem unmittelbar an die moderne Konzeption vom Subjekt mit den entsprechenden Erkenntnis- und Handlungsfähigkeiten gebunden. In handlungs- und subjektzentrierter Perspektive ist »Raum« das Ergebnis einer intersubjektiv gleichmäßig erzielten Bedeutungskonstitution und besteht somit nicht subjektunabhängig, nicht an sich. In dieser Form ist er – wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt – wichtiger Aspekt umfassender Konstitutionsprozesse von »Gesellschaft«. Sozialgeographische Forschung ist dann auf die Beantwortung der Frage zu verpflichten, wie »Raum« sozial konstituiert wird, für welche Arten sozialer Praxis »Raum« welche Ausdifferenzierung annimmt und schließlich: welche Bedeutung »Raum« zur Aufrechterhaltung sozialer Praxis erlangt. Es ist wichtig zu sehen, daß gerade Raumanalysen darüber – im Gegensatz zu den Grundannahmen der raumwissenschaftlichen Geographie und der »neuen« Regionalgeographie – keine Auskunft geben können. Die Umsetzung dieser Forderungen – Neubestimmung des Forschungs»gegenstandes« sowie die konsequent darauf abgestimmte Methodologie und Begrifflichkeit – ist in mehrfacher Hinsicht dringend notwendig. Werden Gegenstand, Methodologie und Begrifflichkeit nicht auf die neuen Bedingungen abgestimmt, droht letztlich auch ein Verlust der lebenspraktischen Relevanz entsprechender Forschungsanstrengungen. Denn sowohl wissenschaftliche als auch alltägliche Darstellungen und Erklärungen des SozialKulturellen in räumlichen Kategorien büßen unter spät-modernen Bedingun-

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gen ebenso an Präzision und Gültigkeit ein wie holistische und strukturalistische Analysen der Gesellschaft. Der erdraumzentrierte Blick auf sozial-kulturelle Tatsachen, welcher sowohl Raum- als auch Regionalforschung auszeichnet, verliert unter globalisierten Bedingungen des Handelns beispielsweise deshalb an Sehschärfe, weil die erdräumlichen Konturen gesellschaftlicher Kammerungen aufgrund der Entankerungsmechanismen zunehmend verschwimmen. Die entsprechenden Veränderungen alltäglicher Geographie sind außerhalb der wissenschaftlichen Geographie bisher präziser zur Kenntnis genommen worden als innerhalb unseres Faches. Nachdem die Rede vom »Ende der Geschichte«2 die Runde gemacht hat, wird nun auch ein »Ende der Distanz«3 notiert, ein »Verschwinden der Distanz«4 und schließlich sogar das »Ende der Geographie«.5 Was die Autoren dieser Äußerungen für die lebenspraktische Bedeutung der Geographie der Dinge feststellen, könnte durchaus auch für die wissenschaftliche Geographie zutreffend werden, wenn die drei genannten Forderungen in der geographischen Forschungspraxis keine Umsetzung erfahren. Allgemein kann man davon ausgehen, daß jede leistungsfähige Sozialwissenschaft der inhaltlichen Verknüpfung von Wissenschaft und alltagsweltlichen Sozialverhältnissen außer in gegenständlicher, methodologischer und begrifflicher Hinsicht natürlich auch auf theoretischer Ebene Rechnung zu tragen hat. Für die geographische Sozialforschung wird dies zur tiefgreifenden Herausforderung der Gegenwart. Sie ist – wenn sie alltagsweltlich relevant sein soll – auf die zunehmende »Enträumlichung« der Produktions-, Konsumtions- und Kommunikationsverhältnisse zu zentrieren. Eine Humangeographie, die diesen Anforderungen genügt, sollte im Prinzip eine besondere, im positiven Sinne bisher kaum erreichte politische und gesellschaftstheoretische Relevanz erlangen können. Akzeptiert man die gegenseitige Gebundenheit von Handlungswissenschaften und Alltag auch für die sozialwissenschaftliche Geographie, wird ihre besondere Bedeutung und Verantwortung leicht identifizierbar. Um das zu verdeutlichen, ist kurz weiter auszuholen. Handlungswissenschaften weisen – im Vergleich zu den Naturwissenschaften bzw. zur Physischen Geographie – in dem Sinne eine besondere Beziehung zu ihrem Gegenstand auf, daß hier nicht nur die Wissenschaftler über eine Theorie verfügen, sondern auch die untersuchten Personen. Sie haben es mit einer doppelten Theoriegeladenheit ihrer Erklärungen und Beschreibungen zu tun. Einerseits können ihre Theorien (häufig) zu alltäglichen Theorien werden. Andererseits sind die wissenschaftlichen Konstitutionsmodi

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auf die alltäglichen abzustimmen.6 In diesem Sinne kann man von einer »doppelten Hermeneutik«7 sprechen, der gegenseitigen Gebundenheit von alltäglicher Praxis und wissenschaftlicher Repräsentation, von wissenschaftlichem Diskurs und untersuchter sozial-kultureller Wirklichkeit. Dieser Zusammenhang impliziert, daß auch humangeographische Forschung permanent zur Reproduktion und/oder Transformation ihres Gegenstandes beiträgt. Entsprechend ist von einer gegenseitigen Beeinflussung von wissenschaftlichem und alltäglichem Geographie-Machen auszugehen. Das wiederum bedeutet, daß Regionalismus und wissenschaftliche Regionalgeographie nicht zwei völlig voneinander unabhängige Phänomene sind. Mit Bahrenberg (1995a, 25) kann »Regionalismus«8 gar als das »traditionelle Paradigma der Geographie« bezeichnet werden. Trotz aller Kritik an der Regionalgeographie ist nicht zu vergessen, daß moderne Lebensbedingungen auch dank der wissenschaftspropädeutischen Geographie entstehen konnten. Ihre Beiträge zu einem aufgeklärten Weltbild, mit dem die erdräumlichen Positionen der Subjekte erst kontextualisiert werden konnten, waren und sind für die Ablösung von prä-modernen Lebensformen wichtig. Ein sehr ernst zu nehmendes Problem entsteht jedoch dann, wenn die propädeutische Fachkonzeption so verwissenschaftlicht wird, wie dies Hettner tat. Wenn der Lokalisierungsauftrag in legitimierender Absicht zur allumfassenden Regional- oder Raumwissenschaft uminterpretiert und um jeden Preis auch unter räumlich und zeitlich entankerten Bedingungen aufrechterhalten wird, dann führt dies nicht nur zu Relevanzverlust. Sie ist ebenso problematisch wie regionalistische und nationalistische Argumentationsmuster. Ontologisch vertretbare räumliche Darstellungen der physisch-materiellen Bedingungen und Aspekte des Handelns9 haben auch unter entankerten Verhältnissen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Die kausalistische Verwissenschaftlichung des Lokalisierungsauftrags muß unter diesen Bedingungen jedoch beachtliche Verzerrungen in Kauf nehmen. Denn die entsprechenden räumlichen, wissenschaftlich-regionalistischen Typologisierungen der sozial-kulturellen Welt sind implizit alle auf prä-moderne Lebensformen mit nicht selten völkischen Implikationen zurückgebunden. Eine derartige Legitimationsstrategie kann unter aktuellen Bedingungen für die wissenschaftliche Geographie gerade kein Ausweg sein. Wir sollten vielmehr bestrebt sein, die (ehemaligen) Leistungen der propädeutischen Geographie zur Entwicklung einer aufgeklärten Weltsicht nun im

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Rahmen der Spät-Moderne auf anderem Wege anzuvisieren. Da sich die sozialontologischen Verhältnisse dramatisch verändert haben, ist eine andere wissenschaftliche Forschungskonzeption fruchtbar zu machen. Das Ziel lautet: Bereitstellung der theoretischen Grundlagen und Erarbeitung der empirisch gültigen Grundlagen zur Entwicklung eines Weltbildes, das die alltagsweltlichen Lebenszusammenhänge und -formen unter den spät-modernen, globalisierten Bedingungen sinnadäquat zum Ausdruck bringen kann. Darauf ist die wissenschaftliche Erforschung alltäglicher Regionalisierungen auszurichten. Der Auftrag wissenschaftlicher Erforschung alltäglichen Geographie-Machens kann konsequenterweise nicht die Verdoppelung des Alltags bzw. dessen Reproduktion in alltäglichen Begriffen, unüberprüften (Vor-)Urteilen usw. sein. Akzeptiert man das auf Descartes zurückgehende wissenschaftstheoretische Postulat, daß der kritische Zweifel die fundamentale Legitimation wissenschaftlicher Forschung bildet, dann gehört eine kritische Haltung zu ihrem Auftrag. Gerade eine solche Haltung soll es ermöglichen, auf bisher unbeachtete Implikationen und vielfältige unbeabsichtigte Folgen sowohl des alltäglichen als auch unseres wissenschaftlichen Tuns aufmerksam zu machen. Damit dieses kritische Potential voll entwickelt werden kann, müssen bestimmte Anforderungen erfüllt werden: die empirische Forschung hat den Postulaten »subjektiver Interpretation« und »Adäquanz« (Schütz 1971a, 50)10 zu genügen. Dies impliziert die Forderung, daß sich Forschung zunächst auf die Lebensformen der untersuchten Subjekte einzulassen und sie dann sinnadäquat in wissenschaftlicher Begrifflichkeit darzustellen hat. Wird beiden Postulaten nicht Rechnung getragen, besteht die Gefahr, daß sich zwischen alltäglichen Lebensformen und wissenschaftlichen Wirklichkeitsdarstellungen im Sinne von Husserls (1976) »Krisis der europäischen Wissenschaften« ein Graben öffnet. Husserls Krisendiagnose basiert auf der (rücksichtslosen) Mathematisierung der Wissenschaften. Welche konsequenzenreichen Formen diese auch im Bereich der Sozialwissenschaften angenommen hat, illustriert Lepenies (1995, 2) am Beispiel der (neoklassischen) Ökonomie wie folgt: »Wenn ein Fach vor den Herausforderungen des Jahres 1989 versagt hat, dann ist das die Ökonomie (und weder Ethnologie noch Soziologie). Das ist meine Erfahrung aus Ost- und Mitteleuropa. (…) Eingehüllt in die Fähigkeit der Mathematisierung (hat sie) sich abgeschottet (…) von der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wirklichkeit (…) und ist eine von der gesellschaftlichen Wirklichkeit

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entfernte Disziplin, die in vielen Teilen nutzlos ist.« Den Hauptgrund für diese Entfremdung sieht er in der mangelnden »Berücksichtigung nichtökonomischer Faktoren, (die) für das Verständnis der Wirtschaft zunehmend wichtiger« werden (Lepenies, 1996, 69). Sie beruht – wie das Schütz (1971a, 10ff.) bereits in den 50er Jahren für die Ökonomie identifizierte – auf der mangelnden lebensweltlichen Begründung von Idealisierung und Mathematisierung. Die Kritik an der Mathematisierung der Humangeographie könnte in vergleichbarem Maße zutreffend sein. Doch daneben besteht – insbesondere für die Erforschung der Prozesse der Globalisierung – noch ein zusätzliches, wesentlich tiefergreifendes Problem der Entfremdung humangeographischer Wissenschaft. Es besteht in der bereits identifizierten Vorherrschaft der räumlichen Kategorien bei der typisierenden Darstellung und Erklärung sozial-kultureller Gegebenheiten. Die Umsetzung der genannten Forderungen ist Voraussetzung für die Einlösung des kritischen Potentials der Wissenschaften. Aber auch die Postulate der »subjektiven Interpretation« und »Adäquanz« sind auf eine kritische Instanz zu beziehen. Dies ist insbesondere in bezug auf die Selbstrepräsentationen der Subjekte und ihre alltägliche Handlungspraxis zu berücksichtigen. Denn es ist denkbar, daß nicht nur ein Bruch zwischen Alltag und Wissenschaft besteht, sondern auch ein Graben zwischen praktisch gelebter Lebensform und der Selbstrepräsentation: eine Kluft zwischen dem, wie man alltäglich Geographie macht, und dem, wie man in geographischer Hinsicht zu leben glaubt. In diesen Fällen, so die Hypothese, entstehen Spannungen zwischen dem Selbstverständnis der Subjekte und der durch sie konstituierten sozial-kulturellen Wirklichkeit. Diese Spannungen können gewaltsame Formen des »Spannungsmanagements« provozieren. Es ist Aufgabe der Geographie, mit der Entwicklung eines angemessenen geographischen Weltbildes der Lebensbezüge dazu beizutragen, solche Spannungen zu vermeiden oder bestehende abzubauen. Die Sozialgeographie bekommt damit die (kritische) Funktion zugewiesen, den Alltagsverstand über die Rekonstruktion der globalisierenden Implikationen (möglicherweise) lokaler Handlungsweisen aufzuklären. Statt implizit und unbeabsichtigt »regionale« und regionalistisch-nationalistische Identitäten über illusionäre Verankerungssuggestionen zu fördern, kann sie die Subjekte auf die empirisch nachweisbaren globalisierten Lebensbedingungen und globalisierenden Konsequenzen ihres Tuns aufmerksam machen.

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Bestand und besteht das Aufklärungspotential wissenschaftspropädeutischer Geographie in der Positionierung des Selbst »in« der Welt, so besteht das Potential wissenschaftlicher Geographie unter spät-modernen Bedingungen in der systematischen Rekonstruktion der vielfältigen Modi, über welche die Subjekte die Welt auf sich beziehen. Dafür die Voraussetzungen – unter Berücksichtigung der drei genannten Forderungen – zu schaffen, ist das Ziel dieses Kapitels. Zuerst ist das Theorieverständnis zu verdeutlichen, auf dem die zu entwerfende Forschungskonzeption aufbaut. Die Präzisierung soll insbesondere dazu beitragen, daß sich die Praxis der geographischen Sozial- und Kulturforschung aus dem Dunstkreis naturwissenschaftlicher Überlegenheitsimaginationen in dem Sinne emanzipieren kann, daß sie »gegenstandgerecht« konzipiert wird. Im zweiten Teil steht die Klärung des Status und der theoretischen wie methodologischen Implikationen von »Globalisierung« im Zentrum des Interesses. Zur Verdeutlichung der beiden genannten Implikationen und zur Herausarbeitung der Besonderheiten der hier entwickelten Position wird sie mit jenen der marxistischen Geographie, der Regulationstheorie sowie mit der lebensstilbezogenen Landschaftsgeographie von Hans Bobek konfrontiert. Nach der näheren Bestimmung des Verhältnisses von Globalisierung und subjektiven Lebensstilen ist die Voraussetzung für die Präzisierung der Formen der Welt-Bindung bzw. der subjektiven Wiederverankerung geschaffen. Diese verschiedenen Modi sollen – als Grundlage der empirischen Forschung – in den beiden letzten Teilen dieses Kapitels kategoriell differenziert und theoretisch begründet hergeleitet werden. Die theoretische Herleitung zur Unterscheidung verschiedener Typen alltäglicher Regionalisierungen unter globalisierten Verhältnissen wird zunächst mit einer differenzierten Bezugnahme auf die Handlungstheorie in Angriff genommen. Dabei steht die begründete Kombination des handlungstheoretischen Raumbegriffs, wie er in Band 1 hergeleitet wurde, mit den zweckrationalen, normorientierten und verständigungsorientierten Handlungstheorien im Vordergrund. Zum Abschluß des Kapitels werden diese Voraussetzungen für eine strukturationstheoretische Präzisierung der Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen fruchtbar gemacht. Hier steht der Einbezug der Machtkomponente in die geographische Praxisanalyse im Vordergrund. Dafür werden die alltäglichen Praktiken in bezug auf die Bedeutung allokativer und autoritativer Ressourcen einerseits sowie in bezug auf Regeln (der Deutung) anderer-

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seits unterschieden. Handlungs- und Strukturationstheorie werden für die idealtypische Differenzierung der verschiedenen Formen alltäglicher Regionalisierungen, auf der dann das abschließende Kapitel aufbauen wird, zusammengeführt.

Zum Theorieverständnis Unter dem Einfluß des naturwissenschaftlichen und physisch-geographischen Vorbildes bzw. gemäß den Forderungen der kritisch-rationalen Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften geht man spätestens seit Bartels (1968a) in der raumwissenschaftlichen Humangeographie von einem Ideal der Theoriebildung aus, das nach einer deduktiv systematisierten Menge empirisch überprüfbarer (kausaler) Gesetzesaussagen verlangt. Diese Forderung impliziert, daß Humangeographen allgemeine (Raum-)Gesetzesaussagen zu formulieren haben, die einen räumlich wie zeitlich unbegrenzten Gültigkeitsanspruch erheben können. Diese empirisch gültigen Gesetzesaussagen sollen es dann erlauben, räumliche Anordnungen, menschliche Tätigkeiten und soziale Tatbestände zu erklären sowie künftige soziale Entwicklungen vorherzusagen. Diese Auffassung ist in der Vorstellung begründet, »Theorie« müßte im wesentlichen theoretische Verallgemeinerung heißen, wenn sie Erklärungskraft aufweisen soll. Jede Theorie, die sich auf soziale Tatsachen bezieht und sich trotzdem an diesen Idealen orientiert, ist im Prinzip zum Scheitern verurteilt. Denn sie trägt den ontologischen Unterschieden zwischen »Natur« und »Gesellschaft« nicht Rechnung. Der Unterschied besteht in den Konsequenzen der an sich banalen Feststellung, daß »Gesellschaft« im Gegensatz zu »Natur« auf menschlichen Konstitutionsleistungen beruht. Sie werden durch das Handeln der Subjekte produzierend und reproduzierend erbracht. Analog dazu beruhen alltägliche Sozialgeographien auf sozialen Praktiken des Geographie-Machens, die Geographie der natürlichen Dinge jedoch nicht. Die Produktion der Gesellschaft bzw. der alltäglichen Sozialgeographien ist eine auf Fertigkeiten beruhende, vom Menschen getragene und »geschehen gemachte« Leistung. Daraus folgt, daß allgemeingültige Gesetze und empirisch gültige theoretische Verallgemeinerungen im gesellschaftlichen Bereich nur dann möglich wären, wenn die »Produktion der Gesellschaft« immer und überall auf gleiche Weise vollzogen würde. Doch das ist nicht der Fall. Jeder Anspruch, eine Theorie sozialer Gegebenheiten und sozialer Praxis nach dem Vorbild der Naturwissenschaften zu entwickeln, weist konsequenterweise in die falsche Richtung. Die raumwissenschaftliche Absicht, die Hu-

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man- und Sozialgeographie nach den Idealen der Naturwissenschaften zu etablieren, konnte nur aufgrund eines mangelnden Verständnisses der ontologischen Bedingungen der gesellschaftlichen Wirklichkeit entstehen. Jede Wissenschaft, die sich mit menschlicher Praxis im naturwissenschaftlichen Stil beschäftigt, ist – wie dies insbesondere die Geschichte geographischer Regionalisierungen und der darauf aufbauenden Regionalgeographie zeigt11 – einerseits in bezug auf das Wissenschaftsideal zum Mißerfolg verurteilt, und kann andererseits nur zu einem begrenzten Verständnis der sozialen Praxis und der sozialen Welt führen. Denn es ist nicht möglich, soziale Erklärungen mit vergleichbarem Verallgemeinerungsgrad anzubieten, wie sie Erklärungen naturwissenschaftlicher Sachverhalte aufweisen können. Freilich gab es auch die »Newtons« der Wissenschaften sozialer Praxis und menschlichen Handelns, doch deren Leistungen sind anderer Art als jene der richtungsweisenden Naturwissenschaftler. Wir müssen ein für allemal die Idee aufgeben, daß die Wissenschaften vom menschlichen Handeln »der Physik vor Newton gleichen, und daß wir derzeit gerade auf Newtonsche Gesetze für den Geist und die Gesellschaft warten« (Searle, 1986, 75) sollten. Wer trotzdem noch auf einen Newton im Sinne eines Entdeckers einer universalen Gesetzmäßigkeit menschlichen Handelns wartet, wartet – so Giddens – nicht nur auf den falschen Zug, sondern auch auf dem falschen Bahnhof. Dafür gibt es mehrere Gründe. Der erste Grund für die Ablehnung des Anspruchs, in den Wissenschaften vom menschlichen Handeln räumlich und zeitlich unbegrenzte, allgemeingültige Gesetzesaussagen aufzudecken, liegt in der Tatsache begründet, daß jedes menschliche Handeln und jede menschliche Praxis kontextbezogen verwirklicht wird. »Kontextbezogen« heißt in diesem Zusammenhang im allgemeinsten Sinne, daß jede menschliche Tätigkeit unter spezifischen sozialkulturellen Umständen – im Hinblick auf das verfügbare gegenseitige Wissen ebenso wie in bezug auf die räumlichen und zeitlichen Bedingungen des Handelns – ausgeführt wird. Der zweite Grund besteht darin, daß menschliche Tätigkeiten grundsätzlich »offen« sind. »Offen« bedeutet, daß Menschen immer auch anders handeln könnten, als sie es tatsächlich tun oder getan haben. Damit soll keineswegs behauptet werden, daß Menschen in ihren Tätigkeiten immer völlig frei wären. Es gibt im Sinne des »revidierten methodologischen Individualismus«12 freilich auch mentale, sozial-kulturelle, ökonomische sowie rein materielle Zwänge, welche die eigenen Vorstellungen und Ziele in ihrer Umsetzung

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durchkreuzen können. Doch das heißt nicht, daß menschliches Handeln kausal determiniert wäre. Da menschliches Handeln von den Subjekten in spezifischen Kontexten konstituiert wird, können auch die Erklärungen »nur« kontextuell relativierter Art sein. Dies ist aber nicht als eine Schwäche der Sozial- und Kulturwissenschaften zu betrachten, sondern lediglich ein Hinweis darauf, daß die Aufdeckung universaler Verallgemeinerungen keineswegs das Ziel der Sozialtheorie darstellen kann. Heißt dies nun, daß im Forschungsbereich der Humangeographie davon auszugehen ist, es gäbe überhaupt keine Regelmäßigkeiten, und soziale Wirklichkeiten bestünden nur aus einmaligen Ereignissen? Die Antwort der humanistischen Geographie, wie sie von Buttimer u. a. initiiert wurde, weist als Kritik des raumwissenschaftlichen Anspruches eindeutig in diese Richtung. So wird sowohl die Bezugnahme auf Vidal de la Blache verständlich als auch der damit festgelegte Ausgangspunkt für die »neue« Regionalgeographie. Gegenüber dem raumwissenschaftlichen Anspruch auf die Entdeckung von Raumgesetzen wird dort – wie dies Pohl (1993) eindrücklich zeigt – der Akzent auf die Betonung der Einmaligkeiten räumlich gekammerter, regionaler Lebenswelten gelegt. Die »neue« Regionalgeographie von Gregory, Pred und Thrift zeichnet sich demgegenüber dadurch aus, daß sie auf die theoretische Erschließung dieser besonderen sozial-kulturellen Wirklichkeiten angelegt ist. Aufgegeben wird dabei das Kredo der Betonung regionaler Einmaligkeiten. Beibehalten wird jedoch die Regionszentriertheit in dem Sinne, daß die Entwicklung einer »theory of place« als das wichtigste Erfordernis geographischer Forschung erachtet wird. Man kann jedoch den natur- und raumwissenschaftlichen Anspruch ablehnen und trotzdem behaupten, es gäbe Regelmäßigkeiten des Handelns. Gleichzeitig kann man auch den Standpunkt einnehmen, daß eine wissenschaftliche geographische Forschung möglich und sinnvoll ist, die nicht auf die Entwicklung einer empirisch gültigen »theory of place« zentriert ist. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit. Sie soll die Ausgangsebene der Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen bilden. Diese dritte Möglichkeit geht davon aus, daß menschliches Handeln und soziale Praxis durchaus Regelmäßigkeiten aufweisen. Nur beruhen diese nicht auf einem kausalen Prinzip im Sinne der Naturwissenschaften bzw. der natürlichen Welt, sondern auf den (subjektiven) Konstitutionsleistungen der Subjekte. Da diese Regelmäßigkeiten nicht kausal determiniert sind, bleiben sie auch veränderbar, d.h. variabel in bezug auf zeitlich und kulturell und

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unter Umständen auch regional differierende Kontexte. Nicht allgemeine, raum-zeitlich unbegrenzt gültige Regelmäßigkeiten aufzudecken, ist das Ziel. Vielmehr sollen die Bedingungen der historisch und kulturell variierenden Regelmäßigkeiten und Prinzipien des Handelns in spezifischen Lebensformen erschlossen werden. Es geht nicht um die detaillierte Formulierung des »ewigen Wesens« der Gesellschaft, sondern um die prinzipiellen Bedingungen des Werdens, Bestehens und Veränderns gesellschaftlichen Lebens, unter Berücksichtigung der situativen Bedingungen des Handelns. Die konkreten Bedingungen und Inhalte zur »Konstitution der Gesellschaft« bzw. der alltäglichen Regionalisierungen können zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen regionalen Kontexten durchaus unterschiedlich ausfallen. Ziel handlungszentrierter Forschung ist es dann, die konzeptuellen Grundlagen für die Erklärung zu liefern, weshalb soziale Wirklichkeiten zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen regionalen Umständen unterschiedliche Formen annehmen können. Die geographischen bzw. regionalen Besonderheiten des Handelns können dabei hypothetisch als nachhaltiger Ausdruck räumlich und zeitlich verankerter, traditioneller Lebensformen oder als Ausdruck territoriumsgebundener institutioneller Regelungen identifiziert werden. Doch es ist jeweils genau abzuklären, im Rahmen welcher Lebensformen bzw. Lebensformsegmente diese regional differenzierten Besonderheiten relevant sind, um aktuelles Handeln erklären zu können. Die theoretischen Grundlagen der »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« sollen die konzeptuellen Mittel verfügbar machen, um das Wissen über die Bedingungen zu erlangen, unter welchen die Konstitutionen der Gesellschaften und das entsprechende alltägliche Geographie-Machen in verschiedenen historischen Kontexten mit welchen Typen von Regionalisierungen vollbracht werden. Insgesamt sollen sie zur wissenschaftlichen Sinnrekonstruktion in kompatiblen Kategorien über die Seinsweise des sozialen Lebens anregen und bei dessen Erforschung behilflich sein. Der Anspruch der theoretischen Grundlagen ist somit nicht die Entwicklung eines Kataloges nomologischer Gesetzesaussagen. Er besteht vielmehr in der Sensibilisierung für bestimmte Forschungsthemen und für eine spezifische Interpretation vorliegender Forschungsergebnisse. Denn Handlungs- wie Strukturationstheorie eröffnen primär eine Form der Betrachtung der Welt, den Zugang zu einem neuen (geographischen) Weltbild. Und diese Betrachtungsweise führt auch zu einer neuen Bestimmung des geographischen For-

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schungsfeldes und der geographischen Forschungsweise. Auf dieser Grundlage soll eine neue Ordnung des Forschungsfeldes erfolgen, die nicht mehr durch die Vorherrschaft räumlicher Ordnungskategorien geprägt wird. Im Zentrum steht vielmehr die menschliche Praxis, das Handeln. So läßt sich dann auch von einem Forschungsprogramm sprechen, bei dem besondere thematische Akzente gesetzt werden können. Die empirische Forschung ist auf die detaillierte Abklärung der Bedingungen und Konsequenzen spezifischer Formen der Konstitution gesellschaftlicher Wirklichkeiten auszurichten. Die Aufgabe besteht nicht (mehr) in der Überprüfung nomologischer Gesetzeshypothesen in naturwissenschaftlicher Manier. Dabei sind im Sinne der präzisierenden Umsetzung der bisherigen theoriekonzeptionellen und methodologischen Überlegungen zwei Dimensionen zu unterscheiden: eine deskriptive und eine explikative. Damit ist gemeint, daß die alltägliche geographische Praxis anhand der theoretisch begründeten Kategorien so genau wie möglich rekonstruierend zu beschreiben ist. Derart soll ein möglichst genaues Bild der alltäglichen Regionalisierungspraktiken nachgezeichnet werden. Dazu ist eine genauere Bestimmung des Verhältnisses von Handlungs- und Strukturationstheorie notwendig. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß alle Erklärungen menschlicher Tätigkeiten in der einen oder anderen Form auf die Machtdimension verweisen. Denn die Frage nach dem Zustandekommen von menschlichem Handeln verweist immer auch auf die Vermögensgrade der Verwirklichung. Der Verweis auf die Intention des Handelns greift dabei zu kurz. Deshalb wird die Kraft der Handlungstheorie eher in ihren deskripitiv-analytischen Möglichkeiten gesehen, jene der Strukturationstheorie zudem in ihrem explikativen Potential. Für die explikative Ebene werden die zuvor gemachten Setzungen wichtig. Erklärung soll demzufolge nicht heißen, die beobachtbare Praxis dem Schema der Kausalerklärung entsprechend13 unter ein Universalgesetz zu subsumieren. Vielmehr geht es darum, welche kontextuellen Mittel und Vermögensgrade die Verwirklichung einer bestimmten Praxis ermöglichten und welche kontextuellen Bedingungen und Zwänge andere Formen der sozialen und geographischen Praxis verhinderten. Dieser Aspekt verweist somit auf die Strukturation gesellschaftlicher und geographischer Wirklichkeit. Die geographische Erforschung alltäglicher Regionalisierungen soll derart Deskription und Explikation in einem dialektischen Verhältnis zur Anwendung bringen. Beide sind für alle – noch zu unterscheidenden – Typen alltäg-

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licher Regionalisierungen zu leisten und sind zudem auf die zuvor erwähnten, doppelt begründeten14 kritischen Standards zu beziehen. Diese Typen sind in jedem Fall so herzuleiten, daß sie sowohl die subjektzentrierten Regionalisierungen von Lebensformen erfaßbar machen als auch den globalisierten Verhältnissen Rechnung tragen können. Dieses Forschungsprogramm ist konsequenterweise einerseits aus den verschiedenen Typen und Dimensionen des Handelns abzuleiten und andererseits auf die spät-moderne Sozialontologie zu beziehen. Beide Forderungen zusammengenommen führen zur Postulierung der Umkehrung des Verständnisses von »Regionalisierung«. Es geht nicht mehr um die Begrenzung einer Region als Allzusammenhang natürlicher, sozialkultureller, ökonomischer und politischer Wirklichkeitsdimensionen und der Lokalisierung der Subjekte in ihr. »Regionalisierungsforschung« ist als empirische Untersuchung jener Konstitutionsprozesse zu verstehen, über welche die Subjekte die Welt unter der Bedingung der Globalisierung kontextualisierend auf sich beziehen. Oder anders formuliert: Das geographische Forschungsprogramm ist um eine weitere Dimension zu ergänzen. Nach der sozialtheoretischen Vertiefung der Analyse von Aneignungsprozessen räumlicher Bedingungen (Strukturationstheorie) ist nun ein Schritt weiter zu gehen. »Regionalisierung« ist dann als ein Mittel und nicht als Ziel zu begreifen. Und zwar als Mittel der Welt-Bindung, als Mittel der ungleich ausfallenden Vermögensgrade der Beherrschung räumlicher und zeitlicher Bezüge zur Steuerung des eigenen Tuns und der Praxis anderer. Im nächsten Schritt ist zu bestimmen, wie »Globalisierung« und »Regionalisierung« in dieser Perspektive neu zusammengedacht werden könnten. Das setzt eine differenzierte Vertiefung der Bedeutungsgehalte beider Schlüsselbegriffe voraus.

Globalisierung und regionalisierende Lebensformen »Globalisierung« ist in den letzten Jahren, auch in der geographischen Debatte, für viele zu einem Schlagwort, für andere gar zu einem Reizwort geworden. Die Vielfältigkeit der Verwendung dieses Begriffs vermag aber in beiden Fällen nicht über das geringe Verständnis hinwegzutäuschen. Besonders auffallend sind dabei die Versuche, das Schlagwort »Globalisierung« mit einem traditionellen, regionalistischen Geographieverständnis zu kombinieren, ohne dabei weder die radikalen Besonderheiten noch die methodologi-

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schen Implikationen zur Kenntnis zu nehmen. Diese Haltung wird auch von jenen verteidigt, für die »Globalisierung« nichts anderes als eine neues modisches Reizwort darstellt, das der zeitlosen Richtigkeit der geographischen Methode regionaler Raumbeschreibung nichts anzuhaben vermag. Beide Haltungen sind wenig überzeugend. In der aktuellen sozialwissenschaftlichen Debatte15 sind drei Hauptpositionen auszumachen. Die entsprechenden Debatten um die »richtige« Interpretation des Phänomens werden mit aller Heftigkeit geführt. Im wesentlichen geht es darum, »Globalisierung« als einen Prozeß zu verstehen, der: a) seit den Anfängen der Menschheitsgeschichte in Gang gesetzt wurde und seither mit wachsender Intensität und zunehmender Geschwindigkeit abläuft; b) mit der Aufklärung und der Entwicklung des Kapitalismus zusammenfällt und in jüngster Zeit eine Beschleunigung erfahren hat oder c) allein ein zeitgenössisches Phänomen ist, das für das postindustrielle Zeitalter den charakteristischen Kern bildet. Alle drei Argumentationsmodelle sollen hier diskutiert werden. Das soll es erlauben, für die folgende Auseinandersetzung wichtige Orientierungskriterien zu gewinnen. Um die Kernidee, die subjektzentrierte Betrachtung von Globalisierung und Regionalisierung, so anschaulich wie möglich herauszuarbeiten, werden zu diesen Interpretationen Querbezüge zu drei Argumentationssträngen hergestellt, die für die aktuelle geographische Forschungssituation im Zentrum des Interesses stehen. Dazu gehört erstens David Harveys Auseinandersetzung mit der Globalisierung sowie zweitens die Regulationstheorie, welche einen wichtigen Interpretationsversuch der aktuell zu verzeichnenden, tiefgreifenden ökonomischen Transformationsprozesse darstellt. Sie wird in der deutschsprachigen Geographie offensichtlich nicht zuletzt aufgrund ihrer territoriumsgebundenen Argumentation als sinnvolle theoretische Grundlage einer zeitgenössischen Regionalgeographie ins Auge gefaßt.16 Im Zusammenhang mit dem Territoriumsbezug ist auch der dritte Querbezug zu sehen, der sich auf die Lebensformkonzepte von Vidal de la Blache und Bobek bezieht. Geht die Regulationstheorie von nationalstaatlich und regional spezifischen strukturellen Regulierungen des Wirtschaftslebens aus, dann verweisen Vidal de la Blache und Bobek auf traditionelle, regional verankerte Lebensformen. Diese Bezugnahme wird hier nicht unmittelbar mit dem strukturalistischen Konzept der Regulationstheorie konfrontiert, sondern

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dient zur Verdeutlichung der Besonderheiten von »Lebensstil« unter spät-modernen Bedingungen. Globalisierung als Konsequenz der Moderne

Die Wurzeln der Globalisierung gehen, wie im ersten Argumentationsmuster betont, historisch freilich weit zurück. Mehrere Phänomene, welche der Globalisierung zugrunde liegen, wie etwa Geld und Schrift, sind für die Ausdehnung der Reichweiten der Wirkung von Handlungen zwar immer eine wichtige Voraussetzung gewesen, sie führten jedoch nicht unter allen Bedingungen zu globalisierten Verhältnissen. Geht man mit Foucault (1981) davon aus, daß das erstmalige Auftreten eines Begriffs anzeigt, wann das mit ihm bezeichnete Faktum oder Problem zur Kenntnis genommen wurde, dann wird man darauf aufmerksam, daß dieses Phänomen tatsächlich erst jüngeren Datums ist. Der Begriff »globalization« tritt nach Waters (1995, 2) erstmals 1962 in Websters Lexikon auf. Wenn der Begriff »global« über 400 Jahre alt ist, gibt dies einen wichtigen Hinweis darauf, daß das Phänomen der Globalisierung noch nicht lange Bestandteil des diskursiven (Alltags-)Bewußtseins ist. Akzeptiert man zudem das Konzept der »doppelten Hermeneutik«, dann wird auch verständlich, daß »Globalisierung«, wie Robertson (1992, 8) feststellt, im wissenschaftlichen Kontext erst Mitte der achtziger Jahre auftaucht. Das Auftauchen eines wissenschaftlichen Begriffs deutet an, daß das alltagsweltlich festgestellte Phänomen offensichtlich auch als sozialwissenschaftlich relevant identifiziert wird. »Globalisierung« ist dabei zum Schlüsselbegriff der sozialwissenschaftlichen Forschung geworden. Mit ihm wird die radikale Transformation sozialer und vor allem sozialgeographischer Wirklichkeiten der Gegenwart thematisiert. Es handelt sich somit um einen empirischen Begriff, der sich auf einen als problematisch empfundenen Transformationsprozeß bezieht. Harvey (1996, 420) betont, im Sinne des zweiten Argumentationsmodells, daß die Globalisierung nichts Neues sei. Man müßte deren Einsetzen mindestens bei 1492 ansetzten. Genauer betrachtet beginne sie sogar beim Hanseatischen Städteverbund. Bereits Marx hätte im Kommunistischen Manifest den wahren Kern der Globalisierung lokalisiert: als ein inhärentes Merkmal des Kapitalismus. Die Notwendigkeit der ständigen Ausweitung der Märkte jage die Bourgeoisie über den gesamten Erdball, um sich überall niederzulassen und überall wirtschaftliche Beziehungen aufzubauen. Für Harvey ist »Globalisierung« konsequenterweise nichts anderes als ein harmloseres Etikett für exakt jene Verhältnisse, die man früher angemessener als »Imperialismus«,

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»Kolonialismus« und »Neokolonialismus« bezeichnet habe. Der neue Begriff würde meist nur deshalb verwendet, um das kritische Potential früherer Bezeichnungen zum Verschwinden zu bringen. Selbst wenn man dieser Kritik der ökonomischen Komponente der Globalisierung und der damit verbundenen (neoliberalen) Demagogie zustimmt, sollte klar unterschieden werden zwischen: – der demagogischen Verwendung des Schlagwortes »Globalisierung«, um bestimmte politische Maximen durchzusetzen; – der radikaleren Frage nach den methodologischen Voraussetzungen, um globalisierte Lebensverhältnisse erforschen zu können und – der empirischen Abklärung der sozialen und kulturellen Konsequenzen, die sich aus globalisierten Verhältnissen für lokal situierte Subjekte ergeben. Gelingt es, diese verschiedenen Teile auseinanderzuhalten, kann auch die Kritik differenzierter ansetzen. Die demagogische Verwendung des Ausdrucks »Globalisierung« ist dann klar abzuweisen, wenn in einem politischen, wirtschaftlichen u.a. Diskurs die Globalisierung als erklärendes Element, als Explanans im Sinne der methodologischen Sprachregelung, angeführt wird. Denn »Globalisierung« kann nichts erklären, sie ist vielmehr das zu erklärende Phänomen, das Explanandum im methodologischen Sinne. Das heißt, daß sie nur als das zu erklärende Phänomen zum zu erforschenden »Gegenstand« wissenschaftlicher Auseinandersetzung werden kann, und zwar sowohl als körpervermittelte Praxis als auch als (ideologischer) Diskurs. Zu diesem zweiten Zugang kann die Überprüfung der von Wagner (1996) formulierten These gehören, »Globalisierung« wäre lediglich ein Rechtfertigungsargument für jene Konsequenzen, die sich aus neoklassischen Wirtschaftstheorien ergeben würden. Darüber hinaus hat die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen im Sinne einer ideologischen Kritik17 nach den sozialen und politischen Konsequenzen der reifizierenden »Kausalisierung« von »Globalisierung« im neoliberalen Diskurs zu fragen. Harveys (1996, 429) forschungspolitische Folgerung, »›globalization‹ (has) to be rejected«, hat offensichtlich mit seinen »foundational beliefs« (Harvey, 1996, 2) zu tun, die im Marxismus bzw. dem Historischen Materialismus begründet sind. Diese teilen mit der neoklassischen Sicht zwar den weit ausgreifenden Ökonomismus, stehen in allen anderen Teilen diesem aber argumentativ diametral entgegen. Entscheidend ist jedoch, daß dieser Ökonomismus

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die wichtigsten Aspekte der Globalisierung argumentativ gerade nicht zu erschließen vermag. Wenn Harvey (1996, 429) »Globalisierung« forschungskonzeptionell ablehnt, »(because) globalization language is disempowering for all anti-capitalist and even moderately social democratic movements«, dann ist das im Lichte seiner »Kritischen Theorie« konsequent.18 Doch das versperrt die analytische und empirische Durchdringung der Frage, mit welchen Bedingungen politisches und ökonomisches Handeln sowie die Konstitution sozial-kultureller Wirklichkeiten in lokalen Kontexten überhaupt konfrontiert sind. Daß sich die Bedingungen des lokalen Wirtschaftens, nationaler Politik oder der Reproduktion lokaler Kulturen mit fortschreitender Globalisierung verändern, ist nicht nur eine Behauptung des neoklassischen Diskurses. Die interessierende Aufgabe ist dann zu klären, welche Mechanismen diese Transformation ermöglichen und welche problematischen Konsequenzen mit der Wirksamkeit der spät-modernen Entankerungsmechanismen verbunden sind. Zur Abklärung dieser Fragen ist es von grundlegender Bedeutung zu sehen, daß »Globalisierung« nicht nur ein wirtschaftliches Phänomen ist, das allein in weltwirtschaftlichen Austauschprozessen besteht. Das ist ein eher untergeordneter Aspekt. Wie Falk (1995, 160) zeigt, »erreichte die Internationalisierung des Handels erst um 1970 und die Direktinvestitionen sogar erst Anfang der 90er Jahre wieder das Niveau der Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg«. Die »Blütezeit« des europäischen Imperialismus mit einem bereits sehr hohen Grad der kontinentübergreifenden Internationalisierung war in wirtschaftlicher Hinsicht eine Frühform der Globalisierung. Doch die aktuelle Form ist mehr als ein wirtschaftliches Phänomen. »Globalisierung« bezeichnet das Potential und die Faktizität eines bisher nie erreichten räumlichen und zeitlichen Ausgreifens sozialer und nicht nur wirtschaftlicher Beziehungen, deren Bedingungen und Folgen. Handeln über Distanz und die globale Verfügbarkeit ehemals nur lokal bekannter Wissensbestände sind dabei zwei besonders wichtige Aspekte der Globalisierung aktueller Lebensverhältnisse. Sie implizieren »die Ausdifferenzierung transnationaler Kulturen und die Entstehung eines weltweiten Netzes von gesellschaftlichen Interaktionsformen« (Ronneberger/Schmid, 1995, 357), womit die tiefgreifende Transformation sowohl der lokalen Umstände als auch der Lebensformen der Subjekte selbst verbunden ist. Die Ausdehnung der räumlich-zeitlichen Spannweite menschlichen Handelns beruht – wie gesehen – auf vielfältigen Entankerungsmechanismen. Be-

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sonders bedeutsam ist dabei die Entwicklung der Telekommunikation.19 Sie ermöglichte seit Beginn dieses Jahrhunderts die räumliche und zeitliche Ausdehnung der Handlungskoordination und ist heute das zentrale Ermöglichungsmittel des »Handelns über Distanz«. In ihr ist ein Kernaspekt der Globalisierung begründet: die beinahe ortsunabhängige Verfügbarmachung von Informationen in sozialer Gleichzeitigkeit. In diesem Sinne besteht »Globalisierung« vor allem in der Intensivierung der weltweiten sozialen Beziehungen. Sie ist somit nicht mit der Internationalisierung der Beziehungen nationalstaatlicher Bezugseinheiten gleichzusetzen, sondern meint umfassende Formen der Verknüpfung lokaler Gegebenheiten mit global angelegten Bedingungen und Konsequenzen des Handelns der Subjekte. Hypothetisch ist ein Hauptmerkmal von »Globalisierung« darin zu sehen, daß menschliches Handeln im Kontext bestimmter lokaler Umstände gleichzeitig durch Gegebenheiten mitgeprägt wird, die im Handeln an weit entfernten Orten ihren Ausgangspunkt haben. »Globalisierung« zeigt sich in der intensiven und umfassenden Verwiesenheit des Handelns lokal situierter Subjekte auf weit entfernte und nur mediatisiert aktuell werdende Bedingungen. Das bedeutet gleichzeitig, daß sich ebenfalls die Folgen des Handelns lokal situierter Subjekte in großer Distanz äußern können. Konsequenterweise können die lokalen Bedingungen Ausdruck der Folgen des Handelns weit entfernter Subjekte sein. Die damit verbundene sozialontologische Besonderheit besteht in der Immanenz global verbreiteter Bestandteile in lokalen Handlungsweisen. Auch deshalb ist »Globalisierung« immer multidimensional. Sie umfaßt und betrifft die verschiedensten Bereiche des Handelns. Von besonderer Relevanz sind jene Dimensionen, die am unmittelbarsten als Konsequenzen der Moderne begriffen werden können. Dazu sind – auf der Basis der räumlich-zeitlichen Entankerungen und der Entwicklung der Formalwirtschaft20 – die von Harvey (1996) erwähnte internationale Arbeitsteilung und kapitalistische Weltökonomie als wichtige, aber nicht einzige institutionelle Dimensionen der Moderne21 zu identifizieren. Daneben sind die sozialen Voraussetzungen dieser ökonomischen Komponente nicht zu vergessen, die wiederum zwei institutionelle Bereiche umfassen: die nationalstaatliche Ordnung der politischen Sphäre – mit entsprechendem Ausbau bürokratischer Apparate zur staatlichen Kontrolle und Koordination menschlichen Handelns – und der unmittelbar daran gekoppelte Bereich der militärischen und polizeilichen Organisation zur Kontrolle und Verfügbarkeit der Mittel der Gewaltanwendung.

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Die dritte Hauptdimension institutioneller Wirklichkeiten bezieht sich auf Diskursordnungen. Sie ist ebenso wie die ersten beiden in einem sich gegenseitig bedingenden Beziehungsverhältnis zu sehen. Gemeint ist damit die Ebene der Informationsproduktion, -hortung und -diffusion. Die Institutionen der (National-)Sprachen mit ihren variablen Geltungsbereichen – bis zur globalen Ebene bei der englischen Sprache – sind ebenso dazu zu zählen wie andere symbolische Systeme, etwa solche der Musik, des Filmes, des Sports usw. Alle diese Formen verfügen in institutioneller Einbettung über je spezifische Formen der Performanz, Diffusion und Lagerung: vom geschriebenen Text über fotografische und magnetische Aufzeichnungen bis hin zu digitalen Formen. Die Intensivierung der Verknüpfung weitentfernter Bedingungen und Konsequenzen kann somit in ökonomischer, sozialpolitischer wie kultureller Hinsicht erfolgen. In dieser Form ist die Globalisierung – im Sinne des dritten Argumentationsmusters – erstmalig und typisch für die spät-modernen Verhältnisse. Sie wird somit über drei zentrale sozial-weltliche Wirklichkeitsdimensionen realisiert. In ökonomischer Dimension impliziert sie nach Waters (1995, 7) die Neugestaltung der sozialen Arrangements für die Produktion, den Tausch, die Verteilung und Konsumtion von Gütern und Dienstleistungen. Für die politische Dimension äußert sich Globalisierung in neuen sozialen Arrangements der Konzentration und Ausübung von Macht: »it involves the organized exchange of coercion and surveillance (military, police etc.), as well as such institutionalized transformations of these particles as authority and diplomacy, that can establish control over populations and territories« (Waters, 1995, 7f.). In kultureller Hinsicht beruht Globalisierung auf der Neugestaltung der Bedingungen der Produktion, des Tausches und des Ausdrucks von Symbolen, welche Tatsachen, Gefühle, Meinungen, Geschmack und Werte repräsentieren. Diese Transformation führt nicht zuletzt zur Neugestaltung der Geographie der Information. Die Analyse dieser drei hypothetisch identifizierten Hauptdimensionen der Globalisierung sind konsequenterweise auf die Handlungsfähigkeit der Subjekte und nicht auf die Strukturen zu beziehen. Zusammenfassend kann man festhalten, daß die Form, in der die globalisierten Bedingungen heute beinahe alle Menschen betreffen, vor allem deshalb erstmalig ist, weil sie auf einer Dominanz der technischen Artefakte beruht. Nicht Schrift oder Geld sind die zentralen Instanzen, sondern die technischen Expertensysteme, welche letztlich ihrerseits auf der Philosophie der Aufklärung und der entsprechenden

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Subjektzentrierung beruhen und diese reproduzieren. Unter »Globalisierung« ist nicht eine eigene Wirklichkeitssphäre mit bestimmten, einem Weltgeist ähnlichen Handlungsfähigkeiten zu verstehen. »Globalisierung« ist nicht lediglich als eine Ausdehnung des Kapitalismus und westlicher Kulturstandards zu begreifen und konsequenterweise auch nicht als die Entwicklung zu einem einheitlichen Weltsystems.22 Sie stellt vor allem auch keinen Prozeß dar, der den Subjekten und deren Handeln etwas Äußeres ist, und ist ebenfalls kein regional exogenes Phänomen. »Globalisierung« ist für den sozialgeographischen Kontext erstens grundsätzlich zu verstehen als die empirisch zu erforschende Konsequenz der Nutzung von Mitteln der Entankerung. Die Ergebnisse sollen einerseits zur Entwicklung eines empirisch begründeten, zeitgemäßen geographischen Weltbildes führen, und andererseits die (problematischen) Folgen der Globalisierung in den verschiedensten Bereichen gesellschaftlicher Wirklichkeit besser begreifbar machen. Ohne hier die entsprechenden Analyseergebnisse nochmals aufzurollen,23 ist zu fragen, welche Formen alltägliche Regionalisierungen im Rahmen der Globalisierung annehmen können. »Globalisierung« kann zweitens als eine Dimension eines sozialen Transformationsprozesses verstanden werden, der den Zwangscharakter der Geographie der Dinge für sozial-kulturelle Wirklichkeitsbereiche abbaut, das Bewußtsein für die schwindende Bedeutung erdoberflächlicher Hemmnisse wachsen läßt und die Alltagspraxis darauf abstimmt. Insgesamt ist »Globalisierung« nicht als Erklärungsinstanz zu begreifen. Globalisierung und Subjektzentrierung

Das alltägliche Handeln der Subjekte ist – wie eben gesehen – mit der Produktion und Reproduktion von drei institutionellen Dimensionen sozialer Wirklichkeit konfrontiert: - Ökonomie (internationale Arbeitsteilung); - Politik (nationalstaatliche Ordnung) und - Kultur (Diskursordnungen). Forschungspraktisch ist jedoch entscheidend, daß eine institutionelle Analyse allein nicht ausreicht, um die Prozesse der Globalisierung entlang diesen Dimensionen begreif- und darstellbar zu machen. Noch fragwürdiger erscheinen rein strukturalistische Analysen. Um deren Schwächen zu verdeutlichen, ist zuerst auf diese einzugehen, bevor das Verhältnis von institutioneller Analyse und Handlungsanalyse betrachtet werden kann.

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Weltsystem- und strukturtheoretische Ansätze gehen davon aus, daß es sich bei allen sozialen oder ökonomischen Prozessen um system- oder strukturinhärente Phänomene des Kapitalismus handle. Dies trifft auch auf die Regulationstheorie zu.24 Bei ihr steht – wie dies bei Aglietta (1979) und vor allem in den Beiträgen im umfassendsten Übersichtswerk von Boyer/Saillard (1995) zum Ausdruck kommt – der französische Strukturalismus25 Althusserscher Prägung im Zentrum, der den Subjekten kaum Gestaltungsfähigkeit zumißt.26 Bei der Regulationstheorie kommt neben dem strukturalistisch definierten Tatsachenblick auch noch die vorherrschend territoriumsgebundene Vorstellung der Regulation (Nationalstaat, Region) des Verhältnisses von Gesellschaft und Ökonomie hinzu. Beide zusammen versperren den sensibilisierten Blick für die Konstitution von Gesellschaften in globalen Bezügen. Zur Illustration der Schwächen strukturtheoretischer Konzepte zum Verständnis der Globalisierungsprozesse ist zuerst auf den aktuellen internationalen Stand der Regulationstheorie einzugehen. Dies ist deshalb sinnvoll, weil die Regulationstheorie jene sozial-ökonomischen Regulierungen thematisiert, welche die Deregulierungstheoretiker der neoklassischen Globalisierungsdoktrin abgeschafft haben wollen. Deren Identifizierung ist auch in bezug auf weiterführende Überlegungen in Richtung Re-Deregulierung globalisierter Lebensbereiche bedeutsam. Anschließend soll eine mit der subjektzentrierten Perspektive kompatible Weiterentwicklung der Regulationstheorie skizziert werden. Der etablierte regulationstheoretische Ansatz geht davon aus,27 daß jedes Gesellschaft-Ökonomie-Verhältnis durch Regelungen fixiert ist. Jede »regulierte« Gesellschaft/Ökonomie wird auf eine territoriale Einheit (Nation, Region) bezogen, die je historisch spezifische Ausprägungen annehmen kann. Die historische Ausprägung der Produktionsverhältnisse (innerhalb bestimmter territorialer Grenzen) wird als Entwicklungsmodell thematisiert.28 Ein Entwicklungsmodell ist als eine territorial definierte Einheit zu verstehen, innerhalb deren ein bestimmtes »Ensemble von kulturellen und sozialen Verhaltensweisen, von mentalen Schemata, die sich zu einem institutionalisierten Kompromiß auf nationaler oder regionaler Ebene kondensieren« (Leborgne/ Lipietz, 1990, 364, zit. nach Schmid, 1996b), eine hegemoniale Vorherrschaft aufweist. Mit anderen Worten: Eine bestimmte Ausprägung eines institutionellen Sets der Verhaltensregelung im Verhältnis von Gesellschaft und Ökonomie hat sich mit durchgehend dominierender Vorherrschaft etabliert. Beispiele dafür wären etwa das deutsche Modell der gesellschaftlichen Organisa-

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tion der fordistischen (Fließband-)Produktion nach dem Zweiten Weltkrieg, das sich von anderen europäischen Modellen deutlich abhebt.29 Jedes Entwicklungsmodell zeichnet sich durch ein je spezifisches »Akkumulationsregime« und eine je besondere »Regulationsweise« aus. Das Akkumulationsregime ist für die Regelung der Ertragsverteilung zuständig, die aus der Produktion resultiert bzw. dafür, wieviel vom erzielten Ertrag jeweils an den Unternehmer und die Lohnarbeiter geht.30 Es legt die Produktions- und Konsumnormen derart fest, daß bestimmte Handlungsweisen (z. B. Artikulation privater Interessen mit dem Hinweis, daß dies dem kollektiven Wohlstand diene) legitimiert oder negativ sanktioniert werden. Wird die große Mehrheit der Handlungsmuster als richtig ausgewiesen, funktioniert das »Regime«; werden sie mehr und mehr als inakzeptabel interpretiert, zeichnet sich eine Krise ab. Das Regime definiert die »Koordinationsregeln für die ökonomischen Akteure« (Leborgne/Lipietz, 1994, 97) zwischen Unternehmer und Lohnarbeitern (in der Regel durch die Gewerkschaften vermittelt). Damit ein Entwicklungsmodell über längere Zeit hinweg eine gewisse Stabilität entwickeln kann, sind regulierende Strukturen, eine bestimmte Regulationsweise notwendig. Sie ist am einfachsten als »ein System von Koordinationsregeln« (Leborgne/Lipietz, 1994, 97) zu begreifen, das sich auf die verschiedenen Elemente der sozialen Verhältnisse bezieht, in welche jede Wirtschaftsform eingebettet ist. Schmid (1996b, 15) definiert die Regulationsweise als »ein Ensemble von impliziten oder expliziten Normen, formellen und informellen Institutionen und Dispositiven, (…) als Gesamtheit der Regulierungen von sozialen Verhältnissen« innerhalb eines nationalstaatlich oder regional begrenzten Entwicklungsmodells.31 Wie Oßenbrügge (1996b, 2) notiert, tritt die Regulationstheorie zwar mit einem der Strukturationstheorie »verwandten« Anspruch an, »den Dualismus von struktur- und akteurzentrierter Perspektive zu überwinden«.32 Man ist programmatisch konsequenterweise bestrebt, sowohl den Reduktionismus eines reifizierten homo oeconomicus im Sinne eines ontologischen Individualismus als auch die Starrheit des Strukturalismus zu überwinden: »La théorie de la régulation est bâti à partir d’une double critique, de l’ homo oeconomicus d’une part, des approches structuralistes de l’autre« (Boyer/Saillard, 1995a, 58). Doch bereits die Zieldefinition der entsprechenden Forschung gerät in die Fänge strukturalistischer Argumentation, welche auch für die feineren Ausdifferenzierungen des Programms charakteristisch bleibt.33 Denn was Subjekte tun, wird grundsätzlich als Ausdruck der Position in der Struktur betrachtet:

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»Les individus occupent une série de places et de positions qui se définissent par référence à des rapports sociaux, qui peuvent varier considérablement dans le temps et l’espace (…). Si l’on entend produire des résultats riches et pertinents, il importe de caractériser avec précision le réseau des contraintes à travers lesquelles les agents interagissent et les logiques de leur actions qui en dérivent« (Boyer/Saillard, 1995a, 58).34 Postuliert man, daß die Logik des Handelns per se durch die Position in Sozialverhältnissen bestimmt ist, bleibt die gesamte, darauf aufbauende Argumentation gezwungenermaßen strukturalistisch. Das Bestreben, den Dualismus von »Struktur« und »Akteur« zu überwinden, führt dorthin, wovon man wegkommen wollte: in die Sackgasse der einseitigen strukturalistischen Auflösung. Regulationstheoretiker beschäftigen sich aus handlungstheoretischer Sicht konsequenterweise – beinahe ausnahmslos – mit den institutionellen Rahmenbedingungen der wirtschaftenden Subjekte sowie mit den verschiedenen historisch und territorial differenzierten Regulationsmodi, nicht aber mit dem (strukturierten und strukturierenden) Handeln der Subjekte selbst. Dieses ist Ausdruck der Position und des Regulationsmodus: »Un mode de régulation met en œuvre un ensemble de procédures et de comportement individuels et collectifs qui doivent simultanément reproduire les rapports sociaux« (Boyer/ Saillard, 1995a, 64). Das Hauptproblem des Strukturalismus, besonders in der Spät-Moderne, besteht in der Ignorierung des Gestaltungspotentials der Subjekte. Sie tauchen bestenfalls als strukturgesteuerte Marionetten auf. Diese agieren zwar, werden aber nicht als das wahre Agens der von ihnen ausgeführten Tätigkeiten betrachtet. Das sind die Strukturen als Zwänge, nicht die Subjekte selbst. Man ist bestrebt nachzuweisen, daß es »Kriege ohne kriegerische Projekte, Tauschverhältnisse ohne Händler und Lohnbeziehungen ohne Arbeitsuchende (gibt): so als würden nur Gespenster die ›Stellungen‹ (bzw. Positionen, B.W.) einnehmen« (Lipietz, 1994, 19). Als Struktur werden die territoriumsgebundenen Sozialverhältnisse mit ihren Regimes und Regulationen betrachtet. Da über die Entankerungsmechanismen tätigkeitsregulierende Strukturen erstens vielfältig werden und zweitens zunehmend an eindeutiger Territorialbindung einbüßen, verlieren alle sozialwissenschaftlichen Erklärungskonzepte, deren Prämissen eine vergleichbare Sozialontologie voraussetzen wie die traditionelle geographische Forschungstradition, zunehmend an Erklärungspotential. Zum vertieften Verständnis der spät-modernen Sozialontologie ist aber gerade eine Konzentration nicht nur auf die Subjekte, sondern insbesondere auf

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deren Handeln, deren Lebensform bzw. -stil von fundamentaler Bedeutung. Hypothetisch kann man davon ausgehen, daß die bisher dominierende Konzeption der Regulationstheorie am Kern der Globalisierungsprozesse vorbeizielt. Sie ist Demonstration dafür, wie strukturalistische Forschungsansätze aus sozialontologischen und methodologischen Gründen nicht in der Lage sind, spät-moderne Wirklichkeiten konzeptionell in den Griff zu bekommen. Obwohl sie im Vergleich zu den neoklassischen Theorien zum Verhältnis von Ökonomie und Gesellschaft viele hilfreiche Anregungen gegeben hat, werden mit der territoriumsgebundenen Analyse der Regulation beider Bereiche genau jene Aspekte benannt, die mit fortschreitender Entankerung immer mehr aufgelöst werden. Die Regulationstheorie dient somit – entgegen der Intentionen ihrer Hauptrepräsentanten – vor allem zur Identifikation der in Auflösung begriffenen Regulationen. Sie kann aber unter bestimmten Bedingungen auch eine Orientierungshilfe in der Diskussion der Neuordnungen abgeben. Um das zu ermöglichen bzw. um sie mit einer strukturationstheoretisch begründeten Ausrichtung vereinbar zu machen, sind »Struktur« und »Regel« vermehrt als Ausdruck des Handelns, und nicht in strukturalistischer Manier als kausale Instanzen zu postulieren. Diese Öffnung strebt in jüngerer Zeit Alain Lipietz in einer Reihe bisher wenig beachteter Publikationen an (1988; 1992b; 1994), indem er für ein Struktur- und Regulationsverständnis plädiert, das mit einer kategoriellen Vorrangstellung des Handelns im Sinne der Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen zu vereinbaren ist.35 Der entscheidende Ausgangspunkt für Lipietz’ (1994, 11) Reorientierung besteht in der Einsicht, daß »vom Gesichtspunkt der von den Individuen eingenommenen Stellungen (…) sich die Dinge anders dar(stellen)« als vom Standpunkt des strukturalistischen Theoretikers. Sie spielen eine Rolle und reproduzieren dadurch aktiv die Beziehungen zu anderen Subjekten und Positionen. Die Reproduktionsbefähigung liegt einerseits in der Disposition der Subjekte begründet, ihrem Habitus, andererseits in ihrer Einwilligung. Selbst Ausbeutungsbeziehungen setzen in gewissem Sinne die Einwilligung der Beherrschten voraus. Sie willigen auch dazu ein, »die Geschichte eines Unternehmens, eines Staates etc. zu weben. Und ihre Strategie fließt vollständig dahinein« (Lipietz, 1994, 13). Die Gestaltbarkeit des Habitus steht den Subjekten im Moment des Handelns allerdings nicht offen. Der Habitus existiert vielmehr bereits vor ihrem Handeln, als Ergebnis früherer Handlungen vorgegeben, wie man im Sinne

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des revidierten methodologischen Individualismus sagen könnte. Konsequenterweise versucht niemand, »sich als Sklave zu verkaufen, wenn die einzig zulässige Form produktiver Ordnung die der Lohnarbeit ist« (Lipietz, 1994, 13). Das aktuelle Handeln ist im sozial vorgegebenen Habitus eingelassen, jedoch trotzdem nicht von den Subjekten aktiv hervorgebracht. Doch der Habitus ist nicht etwas dem Handeln Externes, nicht ein Programm, das die Subjekte dazu bestimmt, sich den Erfordernissen der Reproduktion völlig unterzuordnen. »Habitus« wird von Lipietz vielmehr begriffen als »eine Verfügbarkeit, das Spiel zu spielen, jedoch entsprechend den eigenen Absichten – und sogar das Spiel zu verlassen, wenn sich Möglichkeit und Interesse bieten« (Lipietz, 1994, 14). Dementsprechend ist der Habitus Medium und Ergebnis der reproduktiven und transformierenden Konstitution gesellschaftlicher Wirklichkeit. Damit ist der entscheidende argumentative Schritt getan, »Struktur« als einen Aspekt des Handelns zu begreifen. Jeder Akteur hat zu mehreren Strukturen Zugang, ist »mit mehreren ›Habitus‹ ausgestattet«, gehört zu mehreren »Gemeinwesen«, zu mehreren »Naturells«, »die alle dazu beitragen, seinen Stil zu definieren« (Lipietz, 1994, 15). Zudem kann er Positionen anfechten oder gar aufkündigen, die ihm im Namen anderer Interessen zugewiesen wurden. Ausprägung und Geschichte einer sozialen Wirklichkeit sind gemäß Lipietz somit Ausdruck von Stil mit dem die Subjekte Aktivitäten hervorbringen. Dieser Stil ist allerdings zu einem gewissen Maß strukturell vorgeformt. Konsequenterweise kann »Regulation« als handlungsimmanenter Aspekt eines bestimmten Stils begriffen werden. Die Regulationsweise wird als Koordinationsinstanz innerhalb eines Stils beschreibbar, die grundsätzlich aber auch für die Koordination verschiedener Stile formulierbar wird. Da Lipietz jeden Stil grundsätzlich für institutionalisierbar hält, wird auch die differenzierte »Institutionalisierung der Regulationsweise« (Lipietz, 1994, 17) denkbar. Dies ist, wie später gezeigt wird, insbesondere in bezug auf die entankerten Bedingungen der Regulierung zentral. Ohne daß Lipietz dies thematisiert, sind damit die Voraussetzungen benannt, das Thema der Regulation aus der Fixierung auf Territorien (Staaten, Regionen) zu lösen und es auf verschiedene Dimensionen von subjektzentrierten Regionalisierungen bestimmter Lebensstilaspekte zu beziehen. Daraus ergeben sich dann allerdings radikale Konsequenzen. Gegenstand der Regulation sind dann nicht mehr die Entwicklungsmodelle »Staat« oder »Region«. Staatliche Institutionen sind dann »nur« mehr eine Dimension der Regionali-

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sierung, deren Rolle für verschiedene Welt-Bindungen jeweils zuerst zu rekonstruieren ist. Eine derart reformulierte Fassung der Regulationstheorie eröffnet eine Anschlußmöglichkeit an die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen, wie sie in Band 1 anhand des Verhältnisses von Handlungsanalyse und institutioneller Analyse skizziert wurde. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß institutionelle Analyse36 und Analyse des Handelns im Rahmen handlungs- und strukturationstheoretischer Konzeptualisierung komplementär sind. Welche zum Zuge kommt, soll von methodologischen Überlegungen und der erreichten Vertrautheit mit dem Untersuchungsfeld abhängen. Es ist jedoch erforderlich, daß die institutionelle Analyse vor dem Hintergrund der Bedingungen, Arten und Konsequenzen des Handelns eingesetzt wird, und nicht zur Darstellung eines strukturellen Wirklichkeitsbereichs sui generis. Das heißt, daß im reformulierten Sinne regulationstheoretisch orientierte und handlungszentrierte Forschungen dann wechselseitig befruchtend wirken können, wenn sie sich ausdrücklich vor dem Hintergrund von Kategorien des Handelns über Prozesse der Globalisierung äußern und diese nicht als alleinigen und unmittelbaren Ausdruck von Strukturen oder Systemen thematisieren. Dieser forschungskonzeptionelle Vorschlag nun kurz begründet werden. Ist die Globalisierung in entscheidendem Maße an ein modernes Raumund Zeitverständnis gebunden, dann ist auch dem Subjekt und seinem Handeln – insbesondere im Hinblick auf das hier postulierte Verhältnis von Alltag und Wissenschaft – forschungskonzeptionell die entsprechende Rolle beizumessen. Globalisierte Bedingungen können weder in räumlicher noch in zeitlicher Hinsicht vom Subjekt abgelöst werden. Was für globalisierte Bedingungen gilt, ist in noch radikalerer Form für die Globalisierungsprozesse zu beachten. Bedingungen und Prozesse der Globalisierung sind konstitutiv an die Konstruktion des modernen Subjekts als handlungsfähige »Instanz« gebunden. Wer das ignoriert, läuft Gefahr, am Kern der Konsequenzen der Globalisierung in methodologischer wie lebenspraktischer Hinsicht vorbeizusehen. Die Mißachtung dieses Zusammenhangs würde die von Husserl diagnostizierte Entfremdung der Wissenschaft von der gelebten Alltagswelt implizieren. Bei der Erforschung von Globalisierungsprozessen verlangt die Vermeidung dieser Entfremdung, der »Individualisierung der Lebensformen« (Beck/ Beck-Gernsheim, 1994, 10) bzw. der Subjektivierung der Lebensstile Rechnung zu tragen. Diese sozialontologisch begründete Forderung hat auch für die geographische Forschungsmethodologie weitreichende Konsequenzen.

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Diese sind nun anhand der Abgrenzung gegenüber dem dritten Bezugsbeispiel »regionale Lebensformen« zu verdeutlichen und zu illustrieren. Regionale und globalisierte Lebensformen

Konnten die Klassiker der französischen Regionalgeographie und der deutschen Sozialgeographie, Vidal de la Blache (1916) und Bobek (1948), für traditionelle Gesellschaften die Erforschung der regionalen »genres de vie«, der regionalen Lebensformen und deren Darstellung als buntes »Tableau de la Géographie de la France« (Vidal de la Blache, 1903) bzw. als regionale Lebensformgruppen »der räumlich gesehenen Gesellschaftskörper« (Bobek, 1969, 89) als Kern der humangeographischen Forschungsagenda postulieren, sind solche regionalen Typisierungen in spät-modernen Formen des alltäglichen Geographie-Machens wenig erfolgversprechende Zielsetzungen. Denn die spät-modernen »genres de vie« sind nicht mehr über die Traditionen regional »verankerter« Gesellschaften festgelegt, sondern gemäß den Kompetenzen der Subjekte mehr und mehr Gegenstand persönlicher Entscheidungen. Lebensstil und Lebensform hatten bei Vidal de la Blache (1911) und bei Bobek (1948) nicht – wie in der aktuellen Umgangssprache – eine allein von der Werbeindustrie geprägte Bedeutung, sondern eine wesentlich umfassendere: »Lebensform« im ursprünglicheren meint Sinne die gesamte, regional spezifische, kulturell geprägte Art der Lebensweise mit spezifischen Formen des Wirtschaftens, Traditionen, Brauchtum, Religion usw. Diese Bedeutung weist – abgesehen von der regionalen Interpretation – große Gemeinsamkeiten mit Webers ursprünglicher Konzeption des Begriffs auf. Gemäß Wrong (1990) hat Weber den Ausdruck »Stil des Lebens« erstmals Ende des 19. Jahrhunderts zur Charakterisierung der unterschiedlichen, für die verschiedenen Stände jeweils typischen Formen der Lebensweise verwendet. Aus diesem wurde später »Lebensstil«. In der Alltagssprache tauchte der Ausdruck Ende der 60er Jahre insbesondere in der Sprache der Werbung nicht mehr in Zusammenhang mit regionalen oder kollektiven Sozialgebilden auf, sondern in bezug auf die individuelle Gestaltung des Lebens. Die Werbung ist ständig bestrebt, auf diese Einfluß zu gewinnen. In der zeitgenössischen Soziologie wird »Lebensstil« in dieser subjektzentrierten Anwendung in den 80er Jahren von Bourdieu (1988d) im Zusammenhang mit der sozialen Distinktion durch die »feinen Unterschiede« thematisiert.37 Von Giddens (1991a) wird er als zentraler Aspekt der Ich-Identität in der reflexiven Spät-Moderne erkannt.

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In diesen Neudefinitionen werden »Lebensstil« und »Lebensform« in zunehmendem Maße zu tragenden Kategorien der zeitgenössischen Gesellschaftstheorien. Die Bedeutung dieser Konzepte kann für die »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« – vor dem Hintergrund der Forderung nach adäquater gegenseitiger Abstimmung von Wissenschaft und Alltag zur Ermöglichung einer sinnadäquaten Darstellung sozial-kultureller Wirklichkeitsverhältnisse – am deutlichsten anhand eines Vergleichs von Bobeks und Giddens’ Definition herausgearbeitet werden. Für Bobek (1948) ist »Lebensform« konzeptionell eingebettet in die funktionalistische Landschaftsforschung und diese ihrerseits in die länderkundliche Regionalforschung. Die Funktionen im Sinne von Typen menschlicher Tätigkeiten werden als die gestalterischen Kräfte der Kulturlandschaft gemäß Übersicht 14 begriffen. Diese Funktionen werden als das Kräftefeld verstanden, welches die beobachtbare Kulturlandschaft schafft. Jede Kulturlandschaft wird je nach Ausprägung dieser Funktionen auf unterschiedliche Weise gestaltet. Da Kulturlandschaften vielfältigste Ausprägungen aufweisen, müssen sich die dort ansässigen Menschen darin unterscheiden, wie sie diese sechs Funktionen ausüben. Genau diese je spezifischen Ausprägungen dieser Funktionsausübungen bezeichnet Bobek als »Lebensform«.

Übersicht 14: Sozialgeographisch belangreiche Funktionen (nach Bobek, 1948)

Die Vielfalt der Kulturlandschaften wird konsequenterweise als Ausdruck regional bestimmter Lebensweisen und Lebensformen gesehen. Personen mit gleicher Lebensform sind dementsprechend solche, die das gleiche Reproduktionsverhalten zeigen, über die gleiche Wirtschaftsform, die gleichen politischen Einstellungen, dieselbe Siedlungsweise, dasselbe Wanderungsverhalten und dieselbe Kulturform (Religion, Bräuche, Sitten usw.) verfügen. Wenn wir zu einer differenzierteren Erklärung der beobachtbaren Kulturlandschaft gelangen wollen, dann benötigen wir differenziertere Kenntnisse der Art der Lebensformen.

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»Träger« der Funktionen sind Gruppen, welche die zuvor genannten Funktionen in einem bestimmten Gebiet auf gleiche Weise ausüben, bzw. Gruppierungen nach einheitlicher Lebensform, »Lebensformgruppen« (»Bauern«, »Hirten«, »Fischer« usw.) mit ihrer in lokale Traditionen eingebundenen »Lebensführung«. Unter spät-modernen Bedingungen sind jedoch gerade nicht gruppen-, schicht- oder klassenspezifische Aspekte von »Lebensform« zentral, sondern die subjektspezifischen. Subjektiv konstituierte Lebensformen sind Ausdruck von persönlichen Entscheidungen, die gerade aufgrund der eingeschränkteren Bedeutung von Traditionen für alle zur Notwendigkeit werden. Dementsprechend hat niemand eine andere Wahl, als ständig zu wählen, zu entscheiden. Dieser Aspekt der Lebensgestaltung bezieht sich auf alle Dimensionen spät-moderner Gesellschaften und der Globalisierung. »Lebensform« ist im Rahmen der »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« zu verstehen als subjektspezifisch konstruierte Einheit sozialer Praktiken, die eine Mehrzahl unterschiedlicher inhaltlicher Dimensionen umfaßt. Diese, durch das Subjekt persönlich konstruierte Einheit, kann für das Subjekt selbst in vielfacher Hinsicht konstitutive Bedeutung erlangen. Lebensstile und -formen sind gleichzeitig Ausdruck und Instanz der Persönlichkeitskonstitution: »They give material form to a particular narrative of self identity« (Giddens 1991a, 81). Daher werden sie zwar zu routinisierten Praktiken, wie die Art sich zu kleiden, zu essen, sich zu benehmen, die Wahl bevorzugter Begegnungsorte, Erholung, Bildung usw., doch sie können auch immer wieder Gegenstand der Neugestaltung werden. Sie aber allein deswegen bereits als »Instantidentitäten« (Pohl 1993, 44) zu bezeichnen, kommt mindestens implizit einer Negation der Wahlmöglichkeiten und -rechte der Subjekte auf Kosten überkommener lokaler Traditionen gleich.38 Spät-moderne Lebensformen sind nicht einfach Ausdruck von Wegwerfidentitäten, sondern das Ergebnis persönlicher Entscheidungen, und nicht mehr als Ausdruck von territorial verankerten Kulturverhältnissen propagierbar. Sie sind in spät-modernen Kontexten ein wichtiges Element der Identitätsbildung, eng verbunden mit spezifischen Formen des alltäglichen Geographie-Machens. Die Grade der Offenheit für die Verwirklichung von Lebensstilvorstellungen sind natürlich in hohem Maße verschieden. Je nach sozialer Position gibt es beachtliche Unterschiede im persönlichen Gestaltungsmaß. Für viele begrenzen engste ökonomische Spielräume die Gestaltung der eigenen Lebensform. Doch auch diese wird nicht mehr durch lokale Traditionen fest vorge-

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geben und auch nicht – wie Bourdieu (1988d) zeigt – inhaltlich durch Schicht und Klasse fix definiert, sondern über das »symbolische Kapital« zum Teil sogar mitbestimmend für die Schichtung. »Lebensstil«/»Lebensform« sind auch für die Zusammenhänge, welche in Anlehnung an die Schützsche Sozialphilosophie mit »Pluralisierung der Lebenswelten«39 umschrieben werden können von fundamentaler Bedeutung: die über Lebensstile persönlich fixierten Erwartungshorizonte verdichten sich zu eigenen Lebenswelten. Diese sind nur noch in sehr geringem Maße an territoriale Konnotationen gebunden und hauptsächlich Inbegriff und Ausdruck der entankerten Lebensbedingungen in der Spät-Moderne. Je nach Lebensstil, so lautet die These, lebt jedes Subjekt in unterschiedlichen Sets von Lebenswelten. Aus »Lebensstil«/»Lebensform« können sogar neue Formen der Lebenspolitik abgeleitet werden. Lebenspolitik äußert sich in verschiedenen sozialen Bewegungen wie Feminismus, Friedens- und Ökobewegung usw., die ihrerseits wiederum Ausdruck der besonderen Reflexivität der Spät-Moderne sind.40 Entsprechend dieser subjektzentrierten Ontologie der Spät-Moderne kann forschungskonzeptionell nicht nur das »In-der-Welt-Sein«41 interessieren, sondern vor allem auch, wer wie in der Lage ist, Welt auf sich zu beziehen. Denn diese Fähigkeit ist ausschlaggebend dafür, welche Position ein Subjekt in einer globalisierten Welt erwerben kann. Die Welt auf sich beziehen können Subjekte in rein privater Hinsicht, im Namen von Unternehmungen oder im Namen staatlicher Institutionen.42 Private, betriebliche oder nationale Wirtschaftsstandorte sind offensichtlich immer weniger distanziell bestimmt, sondern zunehmend von den Fähigkeiten der – im globalen Konkurrenzkampf – beteiligten Subjekte abhängig. Zu diesen Fähigkeiten ist auch ein angemessenes geographisches Weltverständnis zu zählen. Die Verwirklichung der verschiedenen Lebensstile ist dabei in je spezifischer Weise auf Entankerungsmechanismen angewiesen. Denn die damit verbundenen Lebenswelten sind – und das ist entscheidend – nicht durchgehend an Lebensformen mit Territorialbindung gekoppelt. Sie sind vielmehr in Zusammenhang damit zu sehen, was der Medientheoretiker Meyrowitz (1990) als »situational geography«43 bezeichnet, die ihrerseits Ausdruck der vielfältigen Entankerungen des sozialen Lebens ist: »More and more, media make us ›direct‹ audiences to performances that happen in other places and give us access to audiences that are not ›physically present‹« (Meyrowitz, 1990, 70). Damit wird für viele Lebensbereiche »travelling without moving« nicht nur

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Globalisierung und Regionalisierung

möglich, sondern oft sogar zur Notwendigkeit. Was hier für den Bereich der elektronischen Medien formuliert wird, ist auch für andere Bereiche zutreffend. Denn die Einheit von physisch-weltlichem Kontext und sozialer Situation ist in vielfältigster Hinsicht nicht mehr gegeben. Das verändert auch die Geographie sozialer Situationen. Das Entfallen der lokalen Traditionen als primäre identitätsstiftende Instanz ist eine zentrale Voraussetzung der Globalisierung. Sie ist letztlich in dem begründet, was in Band 1 als »institutionelle Reflexivität« bezeichnet wurde. So zeichnen sich aktuelle Lebensformen durch ein bisher nie erreichtes Maß an Reflexivität aus, welche die große Wahlmöglichkeit an Lebensstilen und Lebensformen erst eröffnet. Diese sind weniger an regionale Bedingungen als an persönliche Möglichkeiten gebunden. Dieser Prozeß der Subjektivierung ist aber durchaus als soziale Form zu verstehen und nicht als Ausbreitung eines »ontologischen Individualismus«.44 Geographie der Dinge und Geographien der Subjekte

Im Vergleich zu Bobeks Konzeption sind für spät-modern verfaßte Lebensformen vor allem zwei wichtige Unterschiede hervorzuheben. Erstens wird die Rolle der lokalen Tradition durch die subjektive Entscheidung ersetzt. Zweitens bezieht sie sich ausdrücklich nicht mehr auf »Stände« oder Territorialverbände, sondern konsequenterweise auf die Subjekte. Unter traditionellen Bedingungen sind Lebensstile in regional festgefügter Form anzunehmen und nicht Gegenstand persönlicher Lebensgestaltung. Dementsprechend kann man mit regionalen Kategorien der Differenzierung auch relativ gute Annäherungen erzielen. Durch die Ersetzung der Vorherrschaft der Tradition durch subjektive Wahlmöglichkeiten muß eine Analyse und Beschreibung spät-moderner Lebensformen auch diesbezüglich den subjekt- und handlungszentrierten Kategorien den Vorrang geben. Nicht die wissenschaftliche Kategorisierung der Welt als die Geographie der Dinge ist dann das Hauptanliegen. Vielmehr ist zu fragen, welche Geographien der Subjekte koexistieren. Deren Erforschung soll zum Ziel haben, die Konsequenzen von bestimmten Lebensformen innerhalb eines globalen Kontextes und globalisierender Handlungsweisen zu rekonstruieren, unter Umständen sinnvoll aufeinander abzustimmen und nach ökologischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Das verlangt nach der Rekonstruktion der Formen subjektbezogener Welt-Bindungen bzw. subjektbezogener Regionalisierungen. Ist mit dem historischen Bewußtsein ein Wissen um das Entstehen der aktuellen Si-

Globalisierung und regionalisierende Lebensformen

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tuation, der damit verbundenen Umstände, Handlungsweisen und Subjekte gemeint, soll das zeitgemäße geographische Bewußtsein sowohl die lokalen als auch die globalen Dimensionen und Implikationen von Lebensformen und stilen auf sinn- und kausaladäquate Weise umfassen. Weil sich spät-moderne Lebensformen nicht mehr bloß auf lokale und regionale Kontexte beziehen, sondern in die verschiedensten globalen Beziehungs- und Austauschnetze eingebunden sind, ist die Entwicklung des entsprechenden Wissens für alle aktuellen Gesellschaften von zentraler Bedeutung. Sozialgeographische Forschung bekommt die Aufgabe zugewiesen, aufklärendes Wissen über diese Zusammenhänge zu produzieren. Dazu sind die alltäglichen Regionalisierungen mit ihren jeweiligen (globalen, regionalen und lokalen) Konsequenzen zu rekonstruieren, und die Handelnden sind mit den Forschungsergebnissen zu konfrontieren. Entsprechende Rekonstruktionen bilden die Voraussetzung für die Erfüllung der praktischen Aufgabe: Schaffung der Grundlagen zur Ermöglichung der politischen Integration der verschiedenen Formen alltäglicher Regionalisierungen. Wie angedeutet, haben diese Rekonstruktionen sowohl dem Kriterium der Sinnadäquanz, aber auch jenem der Kausaladäquanz zu genügen. Damit ist erstens gemeint, daß sie einerseits in jenen Bedeutungszusammenhängen beschrieben und dargestellt werden, in denen sie für die handelnden Subjekte stehen und zweitens, daß die globalisierten und globalisierenden Aspekte der Lebensformen ablaufadäquat dargestellt werden. Das heißt, daß die kausalen Ablaufzusammenhänge empirisch korrekt dargestellt werden.45 Darauf können dann soziale Erklärungen aufbauen. Für den Geltungsbereich sozialer Erklärungen wird die Konzeption der »reflexiven Modernisierung« bedeutsam. Diese zweite Phase der Moderne unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von der »einfachen Modernisierung« (Beck, 1993, 75) der westlichen Industriegesellschaft. Der wichtigste Aspekt ist, daß »reflexive Modernisierung« nach Beck (1997a, b) als verselbständigte Konsequenz der Moderne innerhalb der Globalisierung zu verstehen ist. War die einfache Moderne zuerst ein eurozentrisches Projekt, hat sich dieses weltweit ausgebreitet und von der ursprünglichen Zentrierung gelöst. Dabei nimmt sie beispielsweise in der asiatischen, lateinamerikanischen oder afrikanischen Interpretation – vor dem Hintergrund verschiedenster lokaler Traditionen – durchaus unterschiedliche Formen an. Diese sind aber allesamt weder als postmodern noch als euro-modern begreifbar. Es sind vielmehr unterschiedliche Ausgestaltungen des Projektes der

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Globalisierung und Regionalisierung

Moderne im Kantischen Sinn, mit je spezifischen Kontextualisierungen der Kernidee: erkennende und handelnde Subjekte zum Zentrum der Weltbetrachtung zu begreifen. Das führt zwar zu verschiedenen Ausgestaltungen des Projekts, zu verschiedenen Typen, doch nicht zu seiner eigentlichen Selbstaufhebung. Für den Erklärungsanspruch folgt daraus die wichtige Ableitung, daß soziale Erklärungen konsequenterweise kontextuell gebunden und begrenzt sind. Hier liegt der wichtigste Grund, weshalb das Ansinnen, universal gültige Erklärungen liefern zu können, aufzugeben ist. Die entscheidende Konsequenz ist die Globalisierung der Lebensverhältnisse sowohl in ökonomischer, politischer als auch kultureller Hinsicht. Und diese schafft die spät-moderne Bedingung der reflexiven Modernisierung, in welcher sich eine post-traditionelle Ordnung entankerter Lebensverhältnisse etabliert. Deren wichtigste Eigenschaft ist die weitgehende Auflösung alter sozialer Klassen und regional verankerter Gesellschaftsformationen durch die »Individualisierung der Ungleichheit« (Beck, 1993, 77). Soziale Ungleichheit zeigt sich dementsprechend »nicht mehr in lebenslang lebensweltlich identifizierbaren Großlagen (…), sondern (lebens)zeitlich, räumlich und sozial zersplittert« (Beck, 1993, 77). Es dürfte klar sein, daß diese veränderte Sozialontologie nach einer neuen Theoriesprache und nach neuen Forschungskonzeptionen verlangt. So wie die wissenschaftspropädeutische Regionalgeographie für die einfache Modernisierung der ersten Phase von zentraler Bedeutung war und ist, sollte die zeitgenössische Geographie für die reflexive Modernisierung der zweiten Phase eine vergleichbare Bedeutung erlangen. Dies verlangt vorerst nach einer Konzentration des Forschungsblickes auf die Geographien der Subjekte. Die lebensweltlichen Konsequenzen der tiefgreifenden Entankerungsmechanismen fordern zudem ein radikales Überdenken der Verhältnisse von wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Dimensionen menschlicher Handlungsbedingungen, -weisen und -konsequenzen. Dazu sind zunächst die theoretisch-kategoriellen Grundlagen bzw. die erforderlichen Analysekategorien nach dem bereits präzisierten Theorieverständnis bereitzustellen. Um die Ableitung dieser Analysekriterien bzw. der verschiedenen Typen alltäglicher Regionalisierungen systematischer Kontrolle und Überprüfung aussetzen zu können, ist eine Offenlegung der Grundlagen unumgänglich. Das verlangt, daß die doppelte Bezugnahme auf Handlungs- und Strukturationstheorie so transparent wie möglich zu gestalten ist. Die entsprechenden Voraussetzungen für die strukturationstheoretischen Bezüge sind in Kapitel 4

Typen alltäglicher Regionalisierungen

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geschaffen worden, jene für die Handlungstheorie bereits in »Gesellschaft, Handlung und Raum«.46 Der Überblick über beide Bezugstheorien muß in der gebotenen Kürze gezwungenermaßen einen abstrakten Charakter aufweisen. Eine inhaltliche Verdeutlichung wird anhand der Beschreibung der entsprechenden alltäglichen Regionalisierungen im letzten Kapitel erfolgen.

Typen alltäglicher Regionalisierungen Alle sozialwissenschaftlichen Disziplinen beziehen sich auf jeweils spezifische Aspekte der Alltagspraxis. Handlungs- und Strukturationstheorie sind dafür als besondere, perspektivische Einstellungen der Beschreibung, Analyse und Erörterung dieser Praxis zu begreifen. Über die regionalisierenden Alltagspraktiken beziehen die Subjekte die »Welt« auf sich. Diese Formen wissenschaftlich zu erforschen, kennzeichnet somit die Besonderheit des sozialgeographischen Zugriffs. Zur Erfüllung dieser Aufgabe ist zunächst zu klären, mittels welcher Kategorien dieser besondere Praxisaspekt empirisch erforscht werden soll. Dabei ist erstens klar vor Augen zu halten, daß ein subjekt- und tätigkeitszentriertes Geographieverständnis auf einem formal-klassifikatorischen Raumbegriff aufzubauen hat, wie er in Band 1 entwickelt worden ist. Zweitens wird hier die Identifizierung der besonderen Zuständigkeiten von klassischer Handlungs- und der Strukturationstheorie für die Entwicklung der Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen zentral. Wie bereits betont, besteht im Vergleich zur Strukturationstheorie eine der Schwächen der klassischen Handlungstheorie in der mangelnden kategoriellen Integration der Machtkomponente des Handelns. Ihr Vorteil liegt allerdings in einer rein formal-analytischen Beschreibungsmöglichkeit menschlicher Praxis. Für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen sollen die jeweiligen Stärken genutzt und die jeweiligen Schwächen durch eine sinnvolle Abstimmung der beiden überwunden werden. Daraus folgt, daß die formalen, nicht inhaltsbestimmenden Kategorien der klassischen Handlungstheorie für die sinn- und kausaladäquate Rekonstruktion der verschiedenen Formen des alltäglichen Geographie-Machens fruchtbar zu machen sind. Zusammen mit der Implikation, daß diesen Beschreibungen ein formal-klassifikatorischer Raumbegriff zugrunde zu legen ist, wird die vorerst größte Bedeutung der handlungstheoretischen Kategorien darin be-

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Globalisierung und Regionalisierung

stehen, die Relationierung von Handeln und Raum umfassender und differenzierter zu gestalten, als dies Giddens’ Strukturationstheorie bisher geleistet hat. Wie in Kapitel 4 gezeigt, konzentriert sich die vorgenommene Relationierung vor allem auf normative Aspekte allokativer und autoritativer Ressourcen und räumliche Dimensionen von Situationen des Handelns. Der strukturationstheoretische Einbezug der Machtkomponente ist für die verschiedenen Typen alltäglicher Regionalisierungen aufzugreifen. Es ist klar, daß unter entankerten, globalisierten Lebensbedingungen eine Konzeption, welche »Macht« als Bestandteil der Praxis thematisiert, besondere Vorzüge aufweist. Hier wird sie als jener Aspekt menschlicher Praxis zu erörtern sein, der es ermöglicht, unterschiedliche Grade und Spannweiten der Welt-Bindung zu verwirklichen. Damit erlangt die strukturationstheoretische Komponente – wie bereits betont – vor allem explikative Bedeutung. Den unterschiedlichen Vermögensgraden der Transformationskapazität ist besondere Aufmerksamkeit zu schenken, ohne aber dabei strukturellen Erklärungen zu verfallen. Das heißt, daß alltägliche Regionalisierungen nicht als bloßer Ausdruck situativer Zwänge der Struktur zu begreifen sind. Vielmehr sind sowohl die Vermögensgrade der Transformation als auch Zwang und Ermöglichung strukturierender Instanzen zu beachten. Die Bezugnahmen der Subjekte auf Ressourcen und Regeln ist in deren Perspektive zu untersuchen und nicht in strukturalistischer Manier als bekannt zu postulieren. Handlungstheoretische Bezüge

Zu behaupten, daß es »die« Handlungstheorie gibt, wäre wohl ebenso irreführend wie die Vorstellung, es gäbe »die« Theorie der Praxis. Beide sind vielmehr immer im Plural zu denken. Das braucht allerdings nicht zu heißen, daß man zwischen den verschiedenen Theorien zuerst die richtige herausfinden muß, bevor man mit ihr im exklusiven Sinne wissenschaftlich arbeiten kann. Die Pluralität der Theorien bedeutet nicht, daß sich die einzelnen handlungstheoretischen Ansätze ausschließen müssen, wie dies in der sozialwissenschaftlichen Theoriediskussion lange postuliert wurde und häufig noch wird. Verschiedene Handlungstheorien47 können durchaus in einem sich gegenseitig ergänzenden Verhältnis gesehen werden. Sie sind eigentlich nichts anderes als verfeinernd spezifizierende Bezugnahmen auf die Praxis. Jede von ihnen hat konsequenterweise ihre besonderen Stärken und Schwächen für die deskriptiv-analytische Erläuterung jeweils besonderer Aspekte alltäglicher Le-

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bens- und Praxisbereiche. Akzeptiert man das, wird zunächst wichtig zu wissen, welche Handlungstheorie welche Zuständigkeiten aufweist. Erst dann können darauf aufbauend weiterführende Überlegungen zu den besonderen Formen der Relationierung von »Handeln« und »Raum« angestellt werden. Differenzierung verschiedener Handlungstheorien

Zur Systematisierung der unterschiedlichen handlungstheoretischen Ansätze kann davon ausgegangen werden, daß jeder eine Thematisierung spezifischer Dimensionen menschlicher Alltagspraxis darstellt. Jeder von ihnen hebt – je nach Problemstellung oder lebenspraktischer Problemsituation – analytisch bestimmte Aspekte des Handelns hervor, andere werden ausgeblendet. Dementsprechend ist zuerst zu fragen, welche Aspekte von welcher Theorie mittels welcher Kategorien thematisiert werden. Die zweckrationalen Handlungstheorien (Pareto, Weber, Entscheidungstheorie bzw. rational choice theory)48 zeichnen sich durch den selektivsten Zugriff auf die soziale Wirklichkeit aus. Eine mittlere Position nimmt die normorientierte Handlungstheorie in der strukturfunktionalistischen Tradition von Parsons (1952; 1961) u. a. ein. Die interpretative, verständigungsorientierte Handlungstheorie von Alfred Schütz (1971a; 1974; 1981; 1982) ist als die umfassendste Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu betrachten.49 Alle Handlungstheorien teilen einen Grundstock von Kategorien zur Beschreibung und Erklärung menschlicher Tätigkeiten. Zur feineren Bestimmung der Zuständigkeit ist auf die jeweilige thematische Interpretation dieser Kategorien der Beschreibung und Erklärung zurückzugreifen. Dafür sind folgende strukturelle Vergleichskategorien zu verwenden: a) das vorausgesetzte Modell des handelnden Subjektes; b) der Prozeß der Zielorientierung; c) der Bezugsrahmen der Handlungsorientierung und d) die Situation des Handelns. Die Frage, über welche Fähigkeiten ein Subjekt verfügen muß, um zur Durchführung eines bestimmten Handelns und dessen Zielorientierung (hypothetisch) fähig zu sein, wird von den drei verschiedenen Theorieansätzen in ihrer Modellkonstruktion der Handelnden und der Beschreibung des Prozesses der Zielorientierung beantwortet. In zweckrationalen Theorien, die insbesondere das Feld des Ökonomischen in neoklassischer Tradition beherrschen, stehen Rationalitätsannahmen und -

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maximen im Zentrum des Interesses. Es werden die Fähigkeiten eines handelnden Subjekts als eines homo rationalis oder homo oeconomicus thematisiert, die gegeben sein müssen, um eine optimale Zweck-Mittel-Relation konstruieren zu können. Hinsichtlich der Zielorientierung geht man davon aus, daß die wirtschaftenden Subjekte darauf aus sind, als Produzenten/Anbieter ihren Aufwand, ihre Kosten und als Konsumenten ihren Nutzen zu optimieren. Die normzentrierten Theorien richten das Interesse auf die Fähigkeiten der Subjekte zur Normberücksichtigung. Nicht nur die bloße Nutzenkalkulation interessiert. Vielmehr konzentriert sich die Analyse der Reproduktion der sozial-kulturellen Welt durch den homo sociologicus auf geltende kulturelle Werte und soziale Normen. Welche Werte/Normen sind bei der Zielorientierung zu berücksichtigen, um eine ausreichende sozial-kulturelle Kompetenz zu erlangen? Verständigungsorientierte Theorien thematisieren die Subjekte in bezug auf ihre umfassenden Fähigkeiten zur sinnhaften Konstitution verschiedenster Wirklichkeitsbereiche. Diese Konstitutionsleistungen des homo communicans werden, so die These, auf der Grundlage der aktuellen Ausprägung des biographischen Wissensvorrats erbracht. Bei der Zielorientierung steht konsequenterweise die Bedeutungskonstitution auf der Basis eines bestimmten biographischen Erfahrungskontextes der Subjekte im Zentrum des Interesses. Der Bezugsrahmen der Handlungsorientierung umfaßt je nach Bezugsinteresse unterschiedliche Aspekte. Im zweckrationalen Theoriehorizont werden – wenn es um die Beratung der technischen Richtigkeit des Handelns geht – objektiv gesicherte Wissensbestände, wissenschaftliches Wissen (Pareto) thematisiert. Steht die erörternde Rekonstruktion des Handelns im Vordergrund, konzentriert man sich auf das subjektiv verfügbare Wissen (Weber). Beide Wissensformen geben die Orientierungsinstanzen für je spezifische Typen der Ziel- und Mittelwahl ab. Auf diese Zusammenhänge nehmen die verschiedenen Entscheidungstheorien Bezug. Obwohl sie insbesondere in ökonomisch-kalkulativen Kontexten große Bedeutung erlangen können, sollte nicht übersehen werden, daß sie einen äußerst engen Bereich menschlicher Praxis und des Wirtschaftens abdecken. Aufgrund dieser jeweiligen Bedingungen interpretieren die Subjekte die verschiedenen Aspekte der Situation des Handelns, die sowohl als Mittel des Handelns oder als (Rahmen-)Bedingungen relevant werden können. Im normorientierten Interessenhorizont wird die angemessene Abstimmung von Kultur-, Sozial-, Persönlichkeits- und biologischem Bedürfnissys-

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tem thematisiert. Zur Generierung einer sozial-kulturellen Kompetenz muß dem Subjekt diese Abstimmung gelingen. Situationsdefinitionen werden dann auch als norm- und wertezentriert konzeptualisiert. Für die Aufrechterhaltung der sozial-kulturellen Wirklichkeit werden intersubjektiv gültige Situationsinterpretationen in dem Sinne postuliert, daß gültige Normen und Werte situationsspezifisch an das Subjekt herangetragen werden können. Im verständigungsorientierten Theoriehorizont beschäftigt sich Schütz (1982) insbesondere mit der thematischen Eingrenzung und Zentrierung des Handelns (thematische Relevanz). Die Situation des Handelns wird hier in bezug auf die Bedeutung des Körpers für die Wissensaneignung (Kopräsenz/ Abwesenheit) thematisiert. Die Konsequenzen für die Ausprägung des biographischen Wissensvorrates werden dann für die Interpretation der Umstände des Handelns (Auslegungsrelevanz) genauer betrachtet. Mit diesen Zentrierungen des wissenschaftlichen Interesses an alltäglicher Praxis können, hypothetisch formuliert, folgende Zuständigkeiten der drei verschiedenen Handlungstheorien für alltägliche Problemsituationen identifiziert werden: a) Zweckrationale Handlungstheorien ermöglichen eine differenzierte Auseinandersetzung mit technischen Problemaspekten und weisen zu deren Lösung – in Form von Anweisungen zum gezielten Aufsuchen der angemessenen Mittel für gegebene Ziele – eine besondere Zuständigkeit auf. b) Normorientierte Handlungstheorien sind für die Lösung von Problemen, bei denen soziale Normen und kulturelle Werte bei der Ziel- und/oder Mittelwahl sowie die soziale Ordnung im Zentrum stehen, ein hilfreiches Bezugsfeld. c) Verständigungsorientierte Handlungstheorien weisen für die Lösung von Problemen, bei denen divergierende subjektive Sinnkonstitutionen vorherrschen, die größte Analysesensibilität auf. Zu klären ist nun, wie diese jeweiligen Zuständigkeiten bzw. Vorzüge und Begrenzungen mit der Relationierung von Handeln und Raum in Beziehung gebracht werden können. Um diese Theoriehorizonte für die wissenschaftliche Erforschung des alltäglichen Geographie-Machens produktiv werden zu lassen, sind nun somit ihre je spezifischen räumlichen Bezugsdimension für die deskriptiv-analytische Orientierung der Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen abzuklären.

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Globalisierung und Regionalisierung

Handlungstheorien und Raum

Was also heißt jeweils »Raum« innerhalb dieser Theoriehorizonte und entsprechender Alltagspraxis? Im Sinne der in Band 1 entwickelten handlungstheoretischen Raumkonzeption verlangt die Beantwortung dieser Frage nach der Abklärung der Bedeutung physisch-materieller Bedingungen als Medien sozialer Orientierung und Differenzierung.50 Zudem ist zu bestimmen, welche Bedeutung Kopräsenz oder Absenz des Körpers für Interaktion/Kommunikation erlangt und welche Konsequenzen damit für die Konstitution der sozial-kulturellen Welt verbunden sind. Dabei ist davon auszugehen, daß je nach praktischem oder theoretisch thematisiertem Typus des Handelns sowohl der formale als auch der klassifikatorische Aspekt des Raumbegriffs eine je besondere Konnotation erfahren kann. Das bedeutet, daß damit zu rechnen ist, daß je nach Interessenhorizont sowohl die Orientierung als auch die klassifikatorische Ordnung unterschiedlich ausfällt. Diese theoretische Setzung ist nun zu erörtern. Zweckrationalität und Raum

Im Interessenhorizont »Zweckrationalität« werden sowohl Orientierung als auch Ordnung auf die Metrisierung bezogen. Zweckrationalität und GeoMetrik stehen dabei in engem Zusammenhang. Beide sind Ausdruck dessen, was mit Max Weber als die »Entzauberung der Welt«51 beschrieben werden kann. Denn beide sind in einem Formalisierungsprozeß der Wirklichkeitsinterpretation begründet. Was Giddens mit »Entleerung« von »Raum« und »Zeit« umschreibt,52 heißt in diesem Kontext »Formalisierung«. Sie bildet die wichtigste Voraussetzung für zweckrationale Kalkulationen. In der Beziehung von Ausdehnung und zweckrationaler Kalkulation erfährt die handlungstheoretische Raumkonzeption im Sinne eines formal-klassifikatorischen Begriffes ihre primäre Interpretation. Der formale Aspekt äußert sich in der Entleerung von fixen Bedeutungskonnotationen, der klassifikatorische in der Metrisierung bzw. der darauf »aufbauenden« Kalkulationen. Man könnte die entsprechende Raumkonzeption auch als kartographische bezeichnen. Denn sowohl Formalisierung (symbolische Repräsentation) als auch Metrisierung (Längen- und Breitengrade) bilden die Ausgangsbasis für moderne kartographische Repräsentationen der Erdoberfläche und deren Nutzung als Handlungsorientierung. Werden räumliche und zeitliche Dimensionen in zweckrationaler Einstellung in den Tätigkeitsablauf einbezogen, dann sind sie als rein formale As-

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pekte des Handelns relevant und nicht auf inhaltlich fixierte Weise mit spezifischen Tätigkeiten verknüpft. Die mechanische Uhr mit ihrer Zeitmetrik ist davon ebenso Ausdruck wie die Metrisierung der räumlichen Dimension als Geo-Metrik. Beide werden – zusammen mit dem symbolischen Zeichen »Geld« – zur Grundlage der »Formalökonomie« (Polanyi, 1979), deren wichtigste Ausdrücke Marktwirtschaft und Industriekapitalismus sind. Sie ermöglichen und begründen die zweckrational berechnende Deutung der Welt im Rahmen wirtschaftlichen Handelns und entsprechende Regionalisierungen der Lebenswelt. Für das geographische Interesse an wirtschaftlicher Praxis ist dies von großer Bedeutung. Denn die rationale Kalkulation der Standortwahl ist nur unter diesen Bedingungen möglich. Erfährt die zweckrationale Handlungstheorie eine Erweiterung durch die geometrische Komponente wirtschaftenden Rechnens, dann wird sie zur Standorttheorie. Hier wird »Raum« – wie in der marktwirtschaftlichen Praxis selbst – zum metrisierten Raum und als Distanzrelation zum Gegenstand zweckrationaler Berechnung. Die Integration der Geometrik in die Handlungsgestaltung bildet eine erste Form, auf welcher sowohl formalökonomische Praktiken als auch deren Beschreibungen als alltägliches Geographie-Machen aufbauen. Dies ist für beide Seiten wirtschaftlicher Tauschhandlungen bedeutsam, für die produktive wie für die konsumtive Seite bzw. für Angebot und Nachfrage. So sind industriewirtschaftliche Produzenten sowohl auf bodenmarktliche Kalkulationen der Beziehung von berechneter Fläche und Preis angewiesen als auch auf zeitmetrische Einteilung und deren geldmäßige Relationierung als Lohnkalkulation für die gekaufte Arbeitszeit. Die Nachfragenden ihrerseits beziehen sich beim Vergleich der verschiedenen Versorgungsstandorte und güter ebenfalls auf räumliche und zeitliche Kalkulationen. Beide, produzierende wie konsumierende Subjekte, vollziehen dabei je spezifische Regionalisierungen als Praktiken der Welt-Bindung. In der Sozial- und Wirtschaftsgeographie öffnet sich somit traditionsgemäß der Fragehorizont »Zweckrationalität« insbesondere in Zusammenhang mit der Standortwahl der infrastrukturellen Grundlagen aller möglichen Formen des Handelns, hauptsächlich aber für ökonomische Aktivitäten. Theorien der Zweckrationalität sind so (primär) beschreibend auf kalkulative Handlungszusammenhänge anwendbar, bei denen man sinnadäquat davon ausgehen kann, daß »einem Handelnden für beliebige Zwecke Mittel knapp erscheinen, so daß er sich gezwungen sieht, die Mittel zu vermehren oder bei vor-

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handenen Mitteln zwischen alternativen Zwecken zu wählen« (Bader u. a., 1980, 197). Normorientierung und Raum

Im normzentrierten wissenschaftlichen Interesse an der alltäglichen Praxis sind Formen von präskriptiven, räumlich gebundenen Festlegungen zu thematisieren: das Verhältnis von Normorientierung und Regionalisierung. Dabei kann es sich – wie Parsons (1952) und Goffman (1969; 1991) hervorheben – um präskriptive Regionalisierungen handeln. Sie können sowohl in privater als auch in öffentlicher Hinsicht verwirklicht werden. Mit diesen normativ-präskriptiven Festlegungen sind Territorialisierungen gemeint, die Handlungserwartungen in einem bestimmten räumlichen Kontext in der Art fixieren: »Hier darfst Du dieses tun, dort aber nicht«. Zudem implizieren sie die normative Regelung des Zugangs zu Nutzungen oder den territorial definierten Ausschluß davon. Bei Mißachtung ist im allgemeinen mit Sanktionen zu rechnen. Sie sind auf staatlicher und kommunaler Ebene für vielfältige Formen von Alltagshandlungen relevant, insbesondere aber für Territorialisierungen, über welche die Kontrolle über Personen und Mittel der Gewaltanwendung organisiert ist. Bei beiden Formen der Kontrolle bildet der menschliche Körper den Fokus des Interesses. Die wohl prominenteste Form der Kombination von Körper, Norm und Raum ist der Nationalstaat mit seiner territorialen Bindung von Recht und Rechtsprechung, der territorialen Organisation der Bürokratie sowie der Überwachung und Kontrolle der Mittel der Gewaltanwendung durch Polizei und Militär. In der Beziehung von Norm und Territorium erfährt die Definition von »Raum« als formal-klassifikatorisches Konzept eine besondere Akzentuierung. Sind körpergebundene menschliche Handlungen auf die physische Welt gerichtet, wendet der Akteur ein klassifikatorisches und ein relationales Orientierungskriterium an.53 In der klassifikatorischen Bezugnahme teilen die Subjekte alle möglichen Objekte in Klassen ein, die als solche für sie bereits spezifische Bedeutungen aufweisen. Ein Beispiel dafür ist die Klassifikation von Personen nach »Geschlecht«. Hinsichtlich dieser Klassifikationskategorie kann dann ein bestimmter Körper bzw. eine bestimmte Person der Klasse »weiblich« oder »männlich« zugeordnet werden. Das relationale Orientierungskriterium dient dazu, physische Situationselemente für bestimmte Handlungen und in bezug auf bestimmte Normen und kul-

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turelle Werte mit spezifischen Bedeutungen zu belegen. Dementsprechend stellt das Subjekt eine Bedeutungsrelation zwischen Handlungsziel und physischen Objekten der Situation her. Stellt »Geschlecht« ein Klassifikationskriterium dar, entspricht »Freund«/»Freundin« der Herstellung einer Bedeutungsrelation. Diese kann auch normativ-präskriptiv belegt werden, so daß mit »weiblich«/»männlich« sexistisch wertende Urteile verknüpft werden können. Diese Art der Beziehungsherstellung ist nicht nur zwischen Personen möglich, sondern allgemein zwischen handelndem Subjekt und Situationselementen. Beim klassifikatorischen Orientierungskriterium wird – im Gegensatz zum ersten – die räumliche Dimension in besonderem Maße relevant, und zwar immer vom territorialen Standort des Organismus des Handelnden aus. Richtet man die Aufmerksamkeit bei der sinnhaft-relationalen Ausrichtung der Subjekte auf Objekte und die normative Komponente, dann konzentriert man sich auf den Kern sozialpolitischer Territorialisierungen, und zwar in dem Sinne, daß intersubjektiv gültige Standards des Handelns konventionell an Orte und Objekte gebunden sind, so daß alle, die diese Orte aufsuchen und entsprechende Objekte in ihre Handlungen integrieren wollen, für diesen räumlich-zeitlichen Ausschnitt auf diese normativen Standards relational verpflichtet werden können. In dieser Relation sind die vielfältigen Konnotationen von Körper, Herrschaft und Macht enthalten, auf die später noch ausführlicher einzugehen ist. Das betrifft besonders herrschaftspolitische und normativ-präskriptive Typen des Handelns. Verständigung und Raum

Das Verhältnis von Verständigung und Raum bzw. Verständigungsorientierung und räumlichen Bedingungen der Kommunikation ist ebenfalls aufs engste an die Körperlichkeit der Subjekte gebunden. Geht man mit Schütz davon aus, daß die kommunikative Funktion des Körpers54 zunächst in der Vermittlung zwischen erlebendem Bewußtseinsstrom und der physisch-materiellen Welt zu sehen ist, dann wird erkennbar, daß der eigene Körperstandort per definitionem über die Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit des Erlebens und Erfahrens mitentscheidet. Als »Vermittlungsglied« (Schütz, 1981, 92) und als »Durchgangsort« von Erkenntnis und Handlung ist die Erreichbarkeit von Informationen an die Körperlichkeit (und deren Kontrolle) gebunden, ohne aber Informationsgehalte selbst zu bestimmen. Wird der Körper als »Funktionalzusammenhang« zwischen Bewußtsein bzw. biographischem Wissensvorrat, Erfahrungspotential der Außenwelt und

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deren sinnhafter Deutung begriffen, dann sind damit bereits die zwei Kernaspekte der Kombination von Verständigung und räumlicher Dimension erkennbar: Konstitution des Wissensvorrates und Konstitution der Sinnhaftigkeit räumlicher Handlungskontexte.55 Wie die phänomenologische Philosophie und die auf Schütz’ Werk aufbauenden interpretativen Sozialwissenschaften eindrücklich zeigen können, sind die Arten der Bedeutungskonstitution vom jeweils verfügbaren Wissen abhängig. Was uns Dinge bedeuten, hängt vom Wissen, dem verfügbaren Wissensvorrat ab. Dieser gegenseitigen Verwiesenheit der beiden Aspekte von »Konstitution« ist auch bei der kategoriellen Differenzierung verschiedener Typen alltäglicher Regionalisierungen Rechnung zu tragen. Der erste Aspekt von Konstitution impliziert in räumlicher Hinsicht die genaue Analyse der Bedeutung von Kopräsenz für die Wissensaneignung sowie die Bedeutung körperlicher Abwesenheit für soziale Interaktionen, die mittelbaren Interaktionen und mittelbaren Formen der Informationsaneignung also. Die räumliche Komponente wird derart als körperzentrierte Kommunikationsbedingung übersetzt. Dazu gehört die Betrachtung alltäglicher Routinen unter diesem Aspekt. Zudem werden Fragen nach den Konsequenzen bestimmter räumlicher Anordnungsmuster für die kommunikative Verständigung und deren sozial-kulturelle Voraussetzungen relevant. Dies schließt auch Fragen nach Formen der Sozialisation unter entankerten Lebensbedingungen sowie nach dem Zugang zu allen Formen mediatisierter und globalisierter Informationsübermittlung ein. Kommunikation unter Abwesenheit setzt immer Medien mit unterschiedlichen Formalisierungs- und Abstraktionsgraden voraus. Schrift, Telefon und alle neuen telematischen Möglichkeiten unterscheiden sich in dieser Hinsicht. Der zweite Aspekt bezieht sich – wie gesehen – auf die Konstitution der Bedeutungen von räumlichen Handlungskontexten im Rahmen des verfügbaren Wissensvorrates. Zur Konstitution der Sinnhaftigkeit gehört auch die Bedeutungskonstitution räumlicher Lebensweltausschnitte, der subjektspezifischen, häufig jedoch auch intersubjektiv geteilten, räumlich kodierten »Sinnregionen« als symbolisierender »Raum«. Dazu gehören insbesondere emotionale Bezüge zu bestimmten Orten und Gegenden. »Heimatgefühl« und emotional aufgeladene Formen von Regionalbewußtsein sind wohl die offensichtlichsten Formen derartiger signifikativer Aufladungen. Denn die Anordnung der Dinge und die einzelnen Objekte können genau betrachtet prinzipiell immer nur Bedeutungsträger und nicht die Be-

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deutung sein. Sie sind als Mittel der Symbolisierung immer nur das Symbol von Bedeutung/Bedeutungen, das Vehikel. Entsprechend gibt es wohl eine räumliche Ordnung der Vehikel, aber keine der Bedeutungen. Entsprechend ist deutlich zwischen symbolischem Raum, dem »symbolic space« (Aase, 1994, 51), der »paysage symbolique« (Farinelli, 1992, 73) bzw. »symbolic landscape« (Cosgrove, 1984, 1) und dem Raum der symbolisierenden Vehikel zu unterscheiden. Einen subjektunabhängigen symbolischen Raum oder eine symbolische subjektunabhängige Landschaft kann es im Sinne der hier entwickelten Betrachtungsweise nicht geben. Was »Raum« oder »Landschaft« als Ensemble von Erfahrungsgegenständen ausmacht, hat ohne erfahrendes, erkennendes oder handelndes Subjekt keine eigenen symbolischen Bedeutungen, sind nicht deren Eigenschaften. Sie sind vielmehr Eigenschaften der Subjekte. Sowohl relationale als auch klassifikatorische Orientierungskriterien werden hier somit im umfassenden, symbolisierenden und symbolischen Sinne interpretiert. Sie geben auch emotionalen Aspekten breite Bedeutung und – ebenfalls hypothetisch formuliert – jenen Bewußtseinsgehalten, die Giddens typischerweise als Bestandteile des praktischen Bewußtseins56 identifiziert, welche insbesondere auf dieser Ebene produziert und reproduziert werden. Das sogenannte »Heimweh« könnte dann als Verlust der auf dieser Bewußtseinsebene angelegten Relationierung interpretiert werden. Jedenfalls ist zu erwarten, daß in diesem Bereich zahlreiche klassifikatorisch-relationale Orientierungskriterien nicht jene Offensichtlichkeitsstufe erlangen, die sie im zweckrationalen und normativ-präskriptiven Bereich aufweisen dürften. Doch es sind natürlich auch Formen möglich, bei denen derartige Sinnkonstitutionen durchaus kontrolliert und gesteuert sein können. Dafür dürfte die Werbung eine wichtige Instanz sein. Die Unterscheidung von zweckrationalem, norm- und verständigungsorientiertem Handeln sowie die Berücksichtigung der jeweiligen aktualisierten Bedeutung, welche die räumlichen Dimensionen für diese Praxisbereiche erlangen, ist schließlich auf die Untersuchung des Geographie-Machens im Sinne alltäglicher Regionalisierungen der Lebenswelt zu übertragen. Analog dazu kann dann zwischen regionalisierenden Implikationen dieser Typen des Handelns unterschieden werden. Dies führt zunächst zur Unterscheidung zwischen zweckrational-wirtschaftlichen, (normorientiert) normativ-präskriptiven und (verständigungsorientiert) informativ-signifikativen Typen alltäglichen Geographie-Machens. Die Formen alltäglicher Regionalisierungen sind mit den-

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selben begrifflichen und kategoriellen Grundlagen zu erforschen und zu beschreiben wie die verschiedenen Typen des Handelns. Strukturationstheoretische Bezüge

Zur differenzierten Berücksichtigung von »Macht«/»Herrschaft« bzw. zur Aufdeckung der Mechanismen der Macht/Herrschaft-Konstitution und -reproduktion in alltäglichen Regionalisierungen ist auf Giddens’ »dynamisierten« Strukturbegriff mit den Teilbereichen »Ressourcen« und »Regeln« zurückzugreifen. Das Konzept der Strukturation ist so anzuwenden, daß die zentralen Elemente der Struktur – Ressourcen bzw. allokative und autoritative Ressourcen und Regeln bzw. Signifikation/Bedeutung – zur Ausdifferenzierung der Kategorien der empirischen Erforschung alltäglicher Regionalisierungen und zur Vertiefung der Erklärung dieser sozial-weltlichen Prozesse beitragen können.57 Mit der Definition von »Ressourcen« als »Kompetenz-« und »Vermögensbzw. Verfügungsbereich«, als Spannweite dessen, was ein Akteur zu tun vermag, kurz: als transformative Kapazität menschlichen Handelns wird »Macht«/»Herrschaft« als Bestandteile sozialer Begegnungen, der sozialen Praxis thematisierbar. Als allokative Ressourcen wird das Verfügungsvermögen über physisch-materielle Lebensgrundlagen und die Welt der materiellen Artefakte bezeichnet. Als autoritative Ressourcen wird die Erlangung und Aufrechterhaltung des Verfügungsvermögens über andere Subjekte thematisiert.58 Mit »Regeln«, der zweiten Hauptinstanz der Strukturierung menschlichen Handelns, sind spezifische semantische und moralische Regeln gemeint. Sie bilden die Basis, aufgrund deren Handelnde praxisspezifische Wirklichkeitsbereiche interpretieren und symbolisch ordnen. Sie ist als die umfassendste Form der Strukturierung des Handelns und konsequenterweise der Konstitution von »Gesellschaft« zu begreifen. Stellt die traditionelle Handlungstheorie vor allem differenzierte Kategorien zur Beschreibung sozialer Praxis zur Verfügung, dann erlaubt Giddens’ Strukturbegriff insbesondere eine Vertiefung des Erklärungspotentials tätigkeitszentrierter Sozialforschung. Das heißt nicht, daß die Handlungstheorie unergiebig wäre für die Erklärung dessen, was Akteure tun. Denn es ist tatsächlich so, daß wir einen ersten Zugang zur Tätigkeitserklärung erlangen, wenn wir auf die Intentionen von Handlungen verweisen. Die entsprechenden intentionalen Erklärungen können häufig sogar unentbehrlich sein.59 Denn um sinnadäquat beschreiben und erklären zu können, ist es unabding-

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bar zu wissen, was Akteure mit ihren Aktivitäten zu erreichen beabsichtigen. Ohne diese Kenntnis ist verstehendes Erklären nicht möglich. Rationale Erklärungen sind ebenfalls mit der handlungstheoretischer Perspektive kompatibel. Das heißt, daß man für beobachtbare Folgen des Handelns die dafür zuständigen Gründe rekonstruieren bzw. rationalisieren kann. Damit werden die Zuständigkeiten für beobachtbare Gegebenheiten auf einer ersten Ebene identifizierbar. Dafür können unter bekannten Intentionen bestimmte Handlungsweisen, bestimmte Bedingungen und Mittelverfügbarkeiten zuständig sein.60 Diese drei potentiellen Zuständigkeiten sind dabei als notwendige Bedingungen für das Eintreten einer bestimmten (problematischen) Folge zu interpretieren. Für die erklärende Analyse alltäglicher Regionalisierungen ist nun aber die Tatsache entscheidend, daß man sehr wohl die Absicht, die Intention haben kann, etwas zu verwirklichen, daß einem aber die dafür notwendigen Mittel/Faszilitäten fehlen; nicht weil man sie nicht kennen würde, sondern weil man keinen Zugriff auf sie hat, über sie nicht verfügen kann. Dieser vertiefte Zugang zur Erörterung der Handlungswirklichkeit ist weder von der (teleologischen) verstehenden noch von der rationalen Erklärung zu leisten. Dies ist aus dem bereits mehrfach identifizierten Grunde, der fehlenden kategoriellen Vertiefung der Machtkomponente, der Fall. Und genau für diese Aspekte der Praxiserklärung wird nun die Bezugnahme auf »Ressourcen« und »Regeln« von entscheidender Bedeutung. Was gesellschaftlich existiert, wird auch als Ausdruck der Macht- und Herrschaftsverhältnisse interpretierbar. Um Mißverständnissen vorgreifen zu können, sind Präzisierungen notwendig. Der Verweis auf »Struktur« ist erstens nicht als Forderung nach strukturellen Erklärungen – etwa in regulationstheoretischer Manier – fehlzudeuten. Denn die Erörterung alltäglicher Regionalisierungen soll nicht ausschließlich hinsichtlich »Struktur« erfolgen, sondern vor allem in bezug auf Handeln bzw. auf Strukturationsprozesse. Damit ist zweitens gemeint, daß die Aktualisierung und der empirische Nachweis struktureller Verfügungsgrade per se nicht ausreicht, um bestimmte soziale Ausprägungen erklären zu können. Das hat im hier vertretenen Verständnis immer für empirisch feststellbare Formen des Handelns zu geschehen. Dies impliziert drittens eine erklärende Bezugnahme auf strukturelle Elemente (im strukturationstheoretischen Verständnis) jener Aktualisierungen, die von den Subjekten im Handeln vollzogen werden. Da Handeln im Zentrum steht und nicht Struktur, hat die Bezugnahme auf die Struktur viertens die Existenz oder Abwesenheit bestimmter Formen

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Globalisierung und Regionalisierung

des Handelns zu klären; aber nicht im deterministisch kausalistischen Sinne, sondern als Bezugnahme auf Gründe, nicht auf Ursachen. Nach diesen methodologischen Präzisierungen ist nun das Verhältnis zwischen den verschiedenen handlungstheoretischen Bezügen und den strukturierenden Aspekten für die Ausdifferenzierung verschiedener Typen alltäglicher Regionalisierungen genauer zu bestimmen. Auf dieser Stufe der Erörterung kann der zweckrational-wirtschaftliche Bereich der Handlungstheorien in forschungskonzeptioneller Hinsicht hypothetisch zunächst auf allokative Ressourcen bezogen werden, der normativ-präskriptive Typus auf die autoritativen Ressourcen und der verständigungsorientierte Typus alltäglichen Geographie-Machens auf Signifikation/Bedeutung. Für die Kombination »zweckrational/allokativ« spricht erstens insbesondere die Relationierung von Handeln und Raum im Horizont der Geo-Metrik. Die Kontrolle physisch-materieller Gegebenheiten und materieller Artefakte im Sinne von allokativen Ressourcen setzt in vielfältiger Weise eine Metrisierung voraus. Lefebvre (1981, 31ff., 265ff.) sieht in der Metrisierung sogar die entscheidende Grundlage für die Entstehung der kapitalistischen Weltgesellschaft. Ohne das hier differenziert diskutieren zu wollen, ist die metrische Kalkulation sicher eine entscheidende Voraussetzung einerseits für die allokative Kontrolle über Distanz und andererseits für die klare Begrenzung der Verfügungsbereiche. Zweitens kann damit der zuvor geforderte Einbezug der Machkomponente in die zweckrational-wirtschaftliche Betrachtung eingeführt werden. Dies soll eine Vertiefung des Verständnisses ökonomischer Verhältnisse unter entankerten Lebensbedingungen ermöglichen. »Normativ« und »präskriptiv/autoritativ« können deshalb in Zusammenhang gebracht werden, weil die normative Relationierung von Handeln und Raum offensichtlich auf die Kontrolle der Subjekte abzielt. In diesem Sinne kann damit eine analytische Vertiefung der Verhältnisse »Raum, Körper und Macht« angestrebt werden, welche der empirischen Erforschung der entsprechenden alltäglichen Regionalisierungen neue Abklärungsbereiche eröffnen sollte. Besonders der Frage nach der Bedeutung der Raumkontrolle für Entfaltung und Aufrechterhaltung der Herrschaft über Subjekte wird damit argumentativ der Weg geebnet. Die Erörterung der Kombination »verständigungsorientiert«/»Regeln« ermöglicht die Einbringung der Macht/Herrschafts-Dimension in den phänomenologischen Argumentationszusammenhang. Bedeutsam ist dabei die Ausarbeitung des Verhältnisses von Information und interpretativem Schema.

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Für alle drei Bereiche ist jedoch bereits hier nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß sie nicht als fixe Kombinationen zu verstehen sind. Sie können je nach Fragestellung unterschiedliche Gewichtungen erlangen, denn mit der vorgeschlagenen Ordnung wird keineswegs behauptet, autoritative Ressourcen spielten in zweckrational-wirtschaftlicher Hinsicht keine Rolle. Wie im Rahmen zweckrational-wirtschaftlichen Handelns Herrschaft über Personen ausgeübt wird, soll – so der Vorschlag – in Zusammenhang mit normativautoritativen Regionalisierungen thematisiert werden. Damit kann auch der politische Bereich in den ökonomischen eingebracht werden. Wirtschaftgeographische Themen können somit auch als politisch-ökonomische Regionalisierungen thematisiert werden. Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt. Allokative Aspekte spielen freilich bei der Ausgestaltung der Vermögensgrade der Kontrolle von Personen eine wichtige Rolle und zudem natürlich auch bei der Verbreitung von Informationen und darauf aufbauender sinnhafter Deutungen der Wirklichkeit in symbolischen Regionalisierungen. Mit dieser Flexibilität können z. B. auch die thematischen Anregungen der Regulationstheorie bei der Analyse des ökonomischen Feldes aufgefangen werden, ohne aber in territorialer »Erstarrung« zu landen. Wie bereits im Zusammenhang mit der Regulationstheorie betont, können institutionelle Analyse und Analyse des Handelns in Giddens’ (1979a, 95) Sinne als komplementär betrachtet werden. Klammert die Handlungsanalyse das Institutionelle ein, so schließt die institutionelle Analyse das Handeln der Subjekte ein. Damit ist die methodologische Entscheidung gemeint, sich jeweils besonders auf einen Aspekt der Dualität von Struktur zu konzentrieren. Obwohl »Struktur« nur im Handeln real wird, kann man die institutionelle Analyse auf strukturelle Prinzipien fokussieren, das heißt das untersuchen, worauf Handelnde in bestimmten Kontexten im Prinzip erwartungsmäßig verpflichtet werden können. Die Analyse des Handelns richtet sich auf das von den Subjekten tatsächlich gezeigte Handeln. Diesbezüglich ist zu betonen, daß – aufgrund der Eingelassenheit der Praxis in verschiedene Strukturdimensionen – institutionelle Analyse und Analyse des Handelns methodologisch zwar als komplementär zu betrachten sind, es in unterschiedlichen Forschungssituationen und Forschungsstadien aber gerade für die empirische Forschungspraxis wichtig ist, darauf hinzuweisen, daß besonders in Situationen relativ geringer empirischer Vertrautheit mit der Forschungsthematik die Analyse des Handelns gegenüber der institutionellen Analyse aufgrund der erhöhten kontextuellen Sensibilität vorzuziehen ist.61

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Globalisierung und Regionalisierung

Im Hinblick auf die Entwicklung der »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« ist der Analyse des Handelns gegenüber der institutionellen Analyse zunächst Vorrang einzuräumen. Letztere wird konsequenterweise insbesondere bei darauf aufbauenden Arbeiten relevant. Dazu sind nun ebenfalls die entsprechenden Ableitungen aus der Strukturationstheorie vorzunehmen. Giddens (1988a, 84) geht davon aus, daß Regeln und Ressourcen angemessen mit der institutionellen Ordnung in Zusammenhang gebracht werden können. Analog zu Übersicht 13 ist dabei zwischen Interaktions- und Strukturdimensionen zu unterscheiden. Der Strukturdimension Signifikation ordnet Giddens den institutionellen Komplex der symbolischen Ordnungen und Diskursformen (Sprache, Weltbilder, Ideologien usw.) zu, dem auf der Interaktions- bzw. Handlungsebene die Kommunikation auf der Basis von interpretativen Schemata entspricht. Herrschaft bringt Giddens mit autoritativen und allokativen Ressourcen in Zusammenhang. Auf institutioneller Ebene wird Autorisierung mit den politischen Institutionen verknüpft, Allokation mit ökonomischen Institutionen. Auf der Interaktionsebene sind beide in Zusammenhang mit der Machtkomponente des Handelns zu sehen. Für die Strukturdimension Legitimation schließlich sind rechtliche Institutionen zuständig, die auf der Interaktionsebene Sanktionen ausüben. Bezieht man die Regionalisierungen auf der Basis der Praktiken des alltäglichen Geographie-Machens auf die institutionelle Ebene, dann ist zwischen ökonomischen (allokativen Ressourcen) sowie politischen und rechtlichen Institutionen (autoritativen Ressourcen) zu unterscheiden. Diese in der institutionellen Ordnung begründete Unterscheidung von alltäglichen Regionalisierungen kann man zudem auf die institutionellen Dimensionen der Moderne62 beziehen. Diese Hauptdimensionen sind nach Giddens (1995, 80) »Überwachung« im Sinne von Informationskontrolle und sozialer Beaufsichtigung, »Kapitalismus«, verstanden als Kapitalakkumulation im Kontext wettbewerbsorientierter Arbeits-/Produktmärkte, »Industrialismus« als Umgestaltung der Natur und Schaffung der gebauten Mitwelt sowie »militärische Macht« als Kontrolle über die Mittel zur Gewaltanwendung im Kontext der Industrialisierung des Krieges. Ist man bestrebt, diese Dimensionen der Moderne unmittelbar auf einzelne, aus den Strukturdimensionen abgeleitete Institutionen zu beziehen, dann wird offensichtlich, daß dies nur sehr allgemein möglich ist. Hier werden sie deshalb primär als thematische Anregungen für die differenzierte Un-

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tersuchung der verschiedenen Dimensionen der Globalisierung verstanden: System der Nationalstaaten, kapitalistische Weltwirtschaft, internationale Arbeitsteilung und militärische Weltordnung.63 Das Problem der eindeutigen Zuordnung dürfte damit zu tun haben, daß, wie in Kapitel 4 angedeutet, nicht von einer strikten Trennung ökonomischer, politischer und rechtlicher Institutionen ausgegangen werden kann. Dies würde eine substantivistische oder reifizierende Konzeption von »Institution« mit getrennten Ordnungen implizieren, als ob »Politik«, »Gesellschaft« und »Ökonomie« eigenständige Bereiche wären. Sie sind vielmehr alle in die alltägliche Praxis »eingebettet«, wobei die Bedeutung der jeweiligen Dimension je nach Kontext unterschiedliches Gewicht erlangen kann. Selbst in den Organisationsapparaten der verschiedenen Institutionen sind keine eindeutigen »Verhältnisse« anzutreffen. So sind ökonomische Betriebe und Organisationen jeweils auch in politische, rechtliche und symbolisch-signifikative Dimensionen eingelassen, die je nach Fragestellung und Problemsituation zu berücksichtigen sind. Typen alltäglicher Regionalisierungen

Die Ausdifferenzierung der verschiedenen Typen der Regionalisierung64 wird zunächst von einem handlungstheoretischen Standpunkt aus konzipiert. Dies hat für die Präzisierung der verschiedenen, konzeptionell zu unterscheidenden Dimensionen der Alltagspraxis als alltägliches Geographie-Machen zahlreiche Implikationen. Produktiv-konsumtive Regionalisierungen

Entsprechend wird hier die ökonomische Dimension alltäglicher Praxis nicht »unzertrennlich« mit allokativen Ressourcen in Zusammenhang gebracht. Vielmehr wird sie zunächst allein an den zweckrationalen Zugriff auf die »Wirklichkeit« gebunden und in deskriptiv-analytischem Interesse erforscht. Auf einer ersten Ebene soll also »nur« interessieren, unter welchen Bedingungen und mit welchen globalisierenden Implikationen die wirtschaftenden Subjekte – auf produktiver wie auf konsumtiver Seite – alltagsweltlich agieren, ohne bereits die Machtkomponente einzubeziehen. Damit sind zwei wichtige Konsequenzen verbunden. Die erste besteht darin, daß die Produktionsverhältnisse nicht bereits auf der ersten Analyseebene ins Zentrum des Interesses gestellt werden. Vielmehr geht es im Sinne der Postulate der subjektiven Interpretation und Adäquanz darum, die wirt-

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schaftlichen Handlungen in der Perspektive der wirtschaftenden Subjekte selbst darzustellen und zu analysieren. Dies impliziert zweitens, daß es keinen von vornherein feststehenden Bereich des Ökonomischen gibt oder geben kann. Vielmehr können inhaltlich verschiedenste Bereich dazu gehören. Entscheidend soll zunächst sein, ob die Subjekte selbst ihre Handlungen im Horizont des Wirtschaftens interpretieren. Zudem kann auch von wissenschaftlicher Seite die Notwendigkeit erkannt werden, verschiedenste Lebensbereiche unter einem ökonomischen Gesichtspunkt zu analysieren. Auf der zweiten Ebene erfolgt primär der Einbau der allokativen Ressourcen. Die Berücksichtigung der Machtkomponente soll die Vertiefung des explikativen Potentials sowohl in produktiver als auch in konsumtiver Hinsicht ermöglichen. Das heißt, daß auf der zweiten Ebene danach zu fragen ist, welche Vermögensgrade der Kontrolle physisch-materieller Gegebenheiten, Artefakte und Güter, welche entsprechenden Welt-Bindungen der Produktion und Konsumtion erlauben. Insgesamt bleibt damit der produktive und der konsumtive Bereich auch für andere Betrachtungen und Zugangsbereiche offen: Jene Alltagsdimensionen, die von den handelnden Subjekten selbst primär als wirtschaftlich interpretiert und erfahren werden, bleiben neben der Analyse der allokativen Ressourcen auch für die autoritativen Komponenten offen und können außerdem auf signifikative bzw. kulturelle Aspekte hin untersucht werden. Dies ist insbesondere unter aktuellen, globalisierten Bedingungen von entscheidender Bedeutung, in denen eine Kulturalisierung des Wirtschaftlichen immer umfassendere Ausmaße annimmt.65 Die allokativen Ressourcen sind dabei als Festlegungen der Eigentumsund Nutzungsverhältnisse materieller Gegebenheiten und Artefakte zu interpretieren. Den involvierten Machtverhältnissen ist dabei konsequenterweise besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Sie können – hypothetisch formuliert – als die formellen und informellen Festschreibungen von Verfügungsrechten unter dem Aspekt der Produktion und Reproduktion von Macht/ Herrschaft in allen – nicht nur ökonomischen – Lebensbereichen analysiert werden. Alltägliche Regionalisierung wird hier vor allem als die handlungsmäßige Bindung von Verfügung und physisch-materiellen Gegebenheiten über räumliche Definitionen von Eigentum und Nutzungsmöglichkeiten relevant. Die damit verbundenen Territorialisierungen können als »Eigentum«, »Nutzung«, »Miete« usw. über die Konsumtion auf unterschiedlichste Weise ge-

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koppelt sein. Die Konsequenzen der Relationierung sind jedenfalls als regionalisierende Festschreibungen zu begreifen, mit denen auch verschiedenste Formen sozialer Ein- und Ausschlüsse in produktiver wie in konsumtiver Hinsicht verbunden sind. Für die ökonomische Schwerpunktsetzung steht somit die Frage im Vordergrund, wie die Subjekte – als Produzenten wie als Konsumenten – die Welt auf sich beziehen. Deshalb ist der ökonomische Bereich zunächst deskriptiv-analytisch zu erfassen. Für die Rekonstruktion der Macht- und Herrschaftsverhältnisse in der ökonomischen Sphäre sind andererseits die allokativen Ressourcen auf einer zweiten Stufe zu thematisieren. In autoritativer Beziehung sind die politisch-ökonomischen Verhältnisse ins Auge zu fassen. Dabei ist unter anderem genau abzuklären, in welchen Bereichen den regulationstheoretischen Thesen die Begründbarkeit auf welche Weise entzogen wurde und inwiefern sie noch aufrechterhalten werden können. In informativer Hinsicht kann in bezug auf den ökonomischen Bereich der gesamte Bereich der Werbung einbezogen werden. In signifikativer Hinsicht schließlich steht die kulturelle Einbettung ökonomischer Aspekte im Zentrum, insbesondere als Ausdruck subjektiv definierter Lebensstile und -formen, wobei hier Werbestrategien und ästhetischen Theorien wiederum beachtliche Bedeutung zukommen dürfte. Normativ-politische Regionalisierungen

Die normativ-präskriptive Dimension alltäglichen Geographie-Machens ist in diesem handlungstheoretisch begründeten Organisationsschema der Erforschung alltäglicher Regionalisierungen mit autoritativen Ressourcenaspekten der Struktur zu verknüpfen. Werden die präskriptiv-normative und die autoritative Komponente des Handelns zu einer Perspektive zusammengeführt, treten die normativ politischen Regionalisierungen ins Zentrum des Interesses. In der Alltagspraxis sind beide offensichtlich eng aneinander gekoppelt. Für die deskriptiv-analytische und explikative Erforschung ist deren getrennte Untersuchung hypothetisch jedoch als sinnvoll zu erachten. Die entsprechenden Regionalisierungen können sich als normative Aneignungen auf körperzentrierte Bereiche richten und auch hier vielfältig gekoppelt sein. Geschlechtsspezifische Regionalisierungen der Alltagswelt sind in verschiedenen Kulturen und Gesellschaften beispielsweise auf höchst unterschiedliche Weise ausgeprägt. Rassenspezifische Regionalisierungen erlebten im südafrikanischen Apartheidregime wohl eine der offensichtlichsten Aus-

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prägungen. Mit der Andeutung dieser Formen von Territorialisierungen soll darauf aufmerksam gemacht werden, daß mit ihnen für den gesellschaftlichen Bereich diskursiv festlegt wird, welche Handlungen von welchen Personen wo und zu welchem Zeitpunkt durchgeführt werden können. Dieser Programmteil wissenschaftlicher Untersuchung alltäglicher Regionalisierungen, der sich auf die Kontrolle der Subjekte qua deren Körper und die Mittel der Gewaltanwendung richtet, soll Geographie politischer Kontrolle heißen. Regelungen der Herrschaft über Personen im Sinne autoritativer Ressourcen sind – wie in Zusammenhang mit normorientierten Ansätzen gesehen – im sozialgeographischen Kontext vor allem in jenen Formen von besonderem Interesse, in denen Macht über Personen qua »Raumbeherrschung« ausgeübt wird. »Macht« bezieht sich dabei aber – und das ist in bezug auf die traditionelle Geographie, insbesondere die traditionelle Geopolitik, nochmals zu betonen – nicht eigentlich auf »Raum«.66 Vielmehr ist sie eine Fähigkeit, ein Attribut der handelnden, die soziale Praxis vollziehenden Subjekte. »Raumbeherrschung« bezieht sich auf die Kontrolle der Subjekte qua deren Körper und insbesondere über territorial differenzierte, normativ-politische Definition von Handlungskontexten. Wie bereits angedeutet, können auch diese Typen alltäglicher Regionalisierungen im Sinne einer geographischen Politischen Ökonomie auf den ökonomischen Bereich angewendet werden. Dies soll sich aber nicht nur – wie Giddens vorschlägt – auf den produktiven Bereich beziehen, sondern auch auf den konsumtiven. Allokative und autoritative Ressourcen sind aber insbesondere als kategorielle Vertiefung der normorientierten Aspekte des Handelns zu verstehen. Sie sind konsequenterweise für die Ausdifferenzierung in allokative und autoritative Formen alltäglicher Regionalisierungen sozialgeographisch fruchtbar zu machen. Die Spannweite dessen, was die Akteure zu tun vermögen, äußert sich auch in ihrem Vermögen der alltäglichen Durchsetzung von Regionalisierungen der Lebenswelt. Auf der anderen Seite spielen allokative wie autoritative Aspekte natürlich auch eine entscheidende Rolle in Zusammenhang mit den Medien der Informationsverbreitung und den darauf aufbauenden Möglichkeiten der subjektiven Bedeutungskonstitutionen. Informativ-signifikative Regionalisierungen

Gemäß der Konzeption des verständigungsorientierten Interesses an alltagsweltlichen Wirklichkeiten sind beide Aspekte von »Konstitution« zentral, sowohl

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jene des Wissensvorrates als auch jene der Bedeutungen. Giddens’ Strukturkomponente vernachlässigt aber den Aspekt der Informationsaneignung und konzentriert sich mit »Regeln« ausschließlich auf den Aspekt der Bedeutungskonstitution über interpretative Schemata bzw. Bedeutungsstrukturen. In signifikativer Hinsicht sind deshalb nicht nur die Bedeutungen und die Verfahren der Kodierung zu befragen, sondern auch die Formen alltäglicher Informationsaneignung.

Übersicht 15: Typen von Regionalisierungen

Bedeutungsstrukturen stellen für Giddens (1979a, 184ff.) neben der Sprache die Diskursformen dar, wobei »Ideologie« zentral wird. Ideologie ist hier zunächst im Sinne von selektiver Mobilisierung von Bedeutungsstrukturen im Hinblick auf die Legitimierung von Herrschaft zu verstehen. »Diskursform« bezeichnet in diesem Kontext die Art der Mobilisierung von Bedeutungsstrukturen im sozialen Handeln: »Diskurs« benennt die Aktualisierung der Bedeutungsstrukturen, wofür die angemessenen Codes und Deutungsregeln zur Anwendung gebracht werden müssen. Sie stellen spezifische Deutungsformen sozialer Wirklichkeit dar, die ihrerseits an »Herrschaft« und »Legitimation« bzw. autoritative und allokative Ressourcen sowie die normative Regulation zurückgebunden sind. Im Vergleich zu Giddens’ Theorie soll hier aus den eben genannten Gründen auch »Wissen« als Voraussetzung für die Interpretation thematisiert

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werden, und nicht »bloß« Sprache. Wird »Wissen« in die theoretische Argumentation und empirische Analyse mit einbezogen, dann sind diejenigen Instanzen zu berücksichtigen, welche in der Wissens- bzw. Informationsverbreitung engagiert sind. Der informative Aspekt ist dann konsequenterweise dem signifikativen Aspekt »forschungslogisch« voranzustellen. Diese Strategie entspricht der Grundlogik des verständigungsorientierten Handlungsmodells. Derart wird aus dem verständigungsorientierten Handlungsmodell und dem Strukturaspekt »Regeln« der Forschungsbereich »informativ-signifikative Regionalisierungen der Lebenswelt« konzeptionell abgeleitet. Auf diese Zusammenhänge ist der Analysebereich der alltäglichen Geographien der Information zentriert. Ziel ist die Untersuchung der Voraussetzungen der Generierung und Steuerung potentieller Informationsaneignung, welche die Basis sinnhafter Deutungen der Wirklichkeit bilden. Diese Steuerung erfolgt mittels verschiedener Informationsmedien und -kanäle. Sie stellen hypothetisch wichtige Formen der informativen bzw. sprachspezifischen Regionalisierung der Lebenswelten dar.67 Der signifikativ-symbolische Bereich betrifft die subjektiven Bedeutungszuweisungen zu bestimmten alltagsweltlichen Ausschnitten, häufig in Form emotionaler Bezüge wie beim bereits erwähnten »Heimatgefühl«. Ebenfalls emotional aufgeladene Formen von »Regionalbewußtsein« sind dazu zu zählen. Handlungstheoretisch betrachtet, gehören diese wohl zu den offensichtlichsten Formen derartigen Geographie-Machens. Dafür schlage ich die Bezeichnung alltägliche Geographien symbolischer Aneignung vor. Sie betreffen die Bedeutungszuweisungen zu und Aneignungen von bestimmten räumlichen alltagsweltlichen Ausschnitten durch die handelnden Subjekte. Welche symbolische, emotionale und subjektive Bedeutung erlangen bestimmte erdräumliche Ausschnitte für die Subjekte? Inwiefern sind symbolisch-emotionale Aneignungen von »Natur« politisch und im Sinne der Subjektkonstitution relevant? Welches sind die praktischen Konsequenzen der symbolischen Formen des Geographie-Machens in zweckrational-ökonomischer und politisch-normativer Hinsicht? Das sind Fragen, die hier besonderes Interesse erlangen und um die herum entsprechende Forschungsarbeiten der geographischen Gesellschaftsanalyse aufgebaut werden können.

Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen

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Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen Zuerst ist festzuhalten, daß diese kategorielle Ausrichtung einerseits das bisherige geographische Verständnis von Regionalisierungen neu definiert. Es ist auf ein (spät-)modernes Wirklichkeitsverständnis abgestimmt, bei dem die handelnden Subjekte im Zentrum stehen. Zweitens können durch die Integration der revidierten Strukturationstheorie die Machtkomponente bzw. die Vermögensgrade der Transformation und Reproduktion der sozialen Welt systematisch in die handlungszentrierte Sozialgeographie einbezogen werden. Dabei wird gleichzeitig auch Giddens Auffassung von Regionalisierung, die sich vor allem auf die normative Komponente richtet, wesentlich erweitert. Ergänzt werden soll diese Kombination schließlich drittens durch eine lebensform- und lebensstilzentrierte Forschungslogik. Darauf wird im letzten Kapitel noch ausführlicher einzugehen sein. Bei allen drei Schwerpunkten ist die Kernidee vom alltäglichen Geographie-Machen im Sinne von Strukturationsprozessen der sozialen Welt von zentraler Bedeutung. Zwischen den drei bzw. sechs systematisch aus der Handlungs- und Strukturationstheorie abgeleiteten Bereichen bestehen vielfältige gegenseitige Bestimmungsverhältnisse, die im Verlauf der Menschheitsgeschichte immer wieder in neuen Kombinationen Ausdruck gefunden haben. Insbesondere unter den Bedingungen der Globalisierung wird die eingeschliffene Kombinatorik, die mit der unbefragten Dominanz nationalstaatlicher Institutionen längere Zeit als beinahe unauflöslich erschien, nicht nur in Frage gestellt, sondern in eine neue »Ordnung« gebracht. Im Vergleich zur aktuellen disziplinären Forschungsorganisation soll mit dem hier unterbreiteten Vorschlag wiederum ein »Zusammenrücken« der verschiedenen humangeographischen Forschungsbereiche in einer einheitlichen sozialgeographischen Perspektive erreicht werden. Die Forschungsergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung der sechs Formen alltäglichen Geographie-Machens werden im Rahmen derselben Perspektive aufeinander beziehbar. Die Zusammenschau der sechs Dimensionen ermöglicht darüber hinaus neue Einsichten in die Konstitution gesellschaftlicher Wirklichkeiten auf der Basis alltäglichen GeographieMachens. Aktuell nehmen die in der Humangeographie erforschten Themen eine kaum mehr überblickbare Vielfalt an. Nicht, daß das per se als negativ einzustufen wäre. Doch es drängt sich die Frage auf, ob diese Vielfalt, gepaart mit

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einer auffälligen Diskontinuität der Forschungsarbeiten, nicht auch Ausdruck des Auseinanderklaffens von sozial-kultureller Wirklichkeit in spät-modernen Lebensformen und humangeographischer Forschungsmethodologie ist. Denn wenn im Rahmen zunehmender Entankerung der Lebensbedingungen immer noch mit einer raumzentrierten Forschungsmethodologie operiert wird, dann kann zwar die Vielfalt der bearbeiteten Forschungsthemen beliebig gesteigert werden. Doch der gemeinsame Nenner dieser Arbeiten dürfte gleichzeitig ins Unkenntliche absinken, weil einerseits die raumzentrierte Methodologie nicht mehr auf die Sozialontologie abgestimmt ist, andererseits die meisten Arbeiten nicht mehr auf ein klar identifizierbares Erkenntnisinteresse ausgerichtet sind. Im Vergleich dazu und zu den angelsächsischen, strukturationstheoretisch begründeten Vorschlägen zur Entwicklung einer »neuen« Regionalgeographie soll die »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« vor allem zu einer Dynamisierung des Wirklichkeitsverständnisses führen und zu einer integrierenden Systematik der Forschungsarbeiten. Dies ist insbesondere über Diskursanalysen und über die Klärung der informations- und bedeutungsspezifischen Hintergründe der regionalisierenden Alltagspraktiken anzustreben. Eine solche Analyse verlangt nach einer konsequenten Verpflichtung der humangeographischen Forschung auf eine human- bzw. sozial- und kulturwissenschaftliche Methodologie. Das liegt wesentlich darin begründet, daß Regionen und Regionalisierungsprozesse unter keinen Umständen mehr als natürliche oder als räumliche Gegebenheiten bzw. Vorgänge begriffen werden können, sondern ausschließlich als das, was sie eigentlich schon immer waren: soziale Tatsachen und Ausdruck sozialer Verhältnisse. So sinnlos eine Forderung nach der Verpflichtung der Physischen Geographie auf eine geisteswissenschaftliche Methodologie im Stile einer hermeneutischen Glaziologie wäre, die nach den Absichten schmelzender Gletscher fragen würde, so sinnlos bleibt auch die Verpflichtung der Humangeographie auf naturwissenschaftliche Forschungsmethoden. Da die raumwissenschaftliche Methodologie eine hohe Affinität zur naturwissenschaftlichen aufweist, ist deren Zuständigkeit für die Erforschung alltäglicher Regionalisierungen ebenfalls sorgfältig abzuklären. Da sie nur für die materielle Komponente von Situationen und Abläufen des Handelns Sensibilität aufweisen kann, nicht aber für deren wert- und normspezifische bzw. sinnhaft-signifikative Dimensionen, darf für ihre Leistungsfähigkeit der Erwartungshorizont nicht zu weit aufgespannt bleiben. Denn materielle Situati-

Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen

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onselemente werden für Regionalisierungen nur in ihren ökonomischen, sozialen und/oder kulturellen Bedeutung relevant, nicht aber als »Materie als solche« im naturwissenschaftlichen Sinne.68 Da sich die traditionelle und »neue« regionalwissenschaftliche Geographie immer im naturwissenschaftlichen Sinn auf »Materie« bezieht, bleibt sie letztlich Materie- oder Raumwissenschaft. »Materie« wird im Rahmen der »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« jedoch ausschließlich in ihrer – im subjektspezifischen Sinne, auch über die eigene Körperlichkeit konstituierten – Bedeutung relevant. »Region« wird wie »Landschaft« nicht mehr als (materielles) Objekt thematisiert, sondern als soziale Konstruktion, die sich auf einen natürlichen Kontext als Medium der Symbolisierung bzw. der Repräsentation richtet. So wie die Grenzen eines Staates keine materielle, sondern eine institutionelle Wirklichkeit darstellen, die »natur«räumlich festgemacht wird, verhält es sich auch mit einer Region. Humangeographisch kann sie nur als soziale Konstruktion von Interesse sein, und nicht als materielle Totalität. Nicht »Raum«/»Region« an sich sind dann die Einheiten geographischer Forschung, sondern Produktion und Reproduktion der »Raum-« und »Regionskonstitution«. Der traditionelle geographische Tatsachenblick thematisiert demgegenüber vorrangig das materielle Objekt »Raum« oder die Anordnung materieller Objekte, die Vehikel der Symbolisierung, als Forschungsgegenstand, aber weder den Prozeß der Symbolisierung noch das Symbolisierte und dessen Bedeutung für die Konstitution des Gesellschaftlichen. Die über die handlungskompatible Raumkonzeption thematisierbaren Relationierungen von »Sinn« und »Materie« sollten demgegenüber offensichtlich machen, daß »Räumliches« erst in dieser Bedeutungskonstitution handlungsrelevant werden und sein kann: Objekte können nur in ihrer sinnhaften Konstitution/Konstruktion Handlungsrelevanz erlangen. Und diese Bedeutung – das ist entscheidend – kann nicht über Objektanalyse dekodierend erforscht werden, sondern nur über die Konstitutions- und Praxisanalyse. Produktions- und Reproduktionsanalysen der alltäglichen Regionalisierungsprozesse werden konsequenterweise somit zum Kern des humaneographischen Forschungsinteresses erklärt. Freilich sind bei alltäglichen »Raum- oder Materiediskursen« (Richner, 1996, 16) genau jene Reifikationen und materialistischen Reduktionen sozial-kultureller Gegebenheiten als »Region«, »Land«, »Grenze«, »regionale Identität« oder »Wahrzeichen« zu beobachten, wie sie für die traditionelle

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Geographie charakteristisch sind. Doch deren Existenz ist erstens noch keine Legitimation, sie im gleichen Sinne als wissenschaftlichen Forschungsgegenstand zu postulieren und das Fach lediglich durch Gegebenheiten zu legitimieren, die nichts anderes als das Ergebnis von Reifikation oder Reduktion sind. Nimmt man die Geographie als wissenschaftliches Projekt ernst, dann kann man zweitens die alltäglichen Reifikationen und Reduktionen auch nicht einfach duplizieren und diese dann als wissenschaftliche Darstellungen ausgeben. Denn eine Wirklichkeitsdarstellung wird nicht dadurch wissenschaftlich, weil sie von einem als Wissenschaftler oder einer als Wissenschaftlerin angestellten Person formuliert wird. Sie haben drittens die alltäglichen Wirklichkeitskonstitutionen sinnadäquat wiederzugeben, was nicht mit »unreflektiert« zu verwechseln ist. Der wissenschaftliche Zugang soll sich durch eine kritische Einstellung, durch den kritischen Zweifel gegenüber der Alltagswirklichkeit auszeichnen. Schließlich hat die humangeographisch-wissenschaftliche Analyse nach Prinzipien, den kontextabhängigen Formen der Wirklichkeitskonstitution, Ausschau zu halten. Akzeptiert man diese drei Ableitungen aus dem hier postulierten allgemeinen (sozial-/kulturwissenschaftlichen) Theorieverständnis, dann ist auch den alltäglich beobachtbaren Reifikations- und Reduktionsverfahren innerhalb der sozialen Praxis nicht nur mit einer reinen Duplizierung zu begegnen. Vielmehr ist zu fragen, wie sie produziert und reproduziert, wofür und mit welchen Konsequenzen sie von den Subjekten zur Anwendung gebracht werden. Dabei ist im Sinne der tiefenontologischen Abklärung wiederum streng im Auge zu behalten, daß die Bedeutungen der Dinge nicht Eigenschaften der Dinge sind, sondern Eigenschaften der Leistungen der erkennenden und handelnden Subjekte. Bevor die entsprechenden Implikationen für die Forschungsperspektive im letzten Kapitel herausgearbeitet werden, ist möglichen Mißverständnissen in forschungsinstitutioneller Hinsicht vorzubeugen. Aus dieser Argumentation könnte man die Auffassung ableiten, daß die Humangeographie – weil sie sich nicht mehr von sozial-/kulturwissenschaftlichen Disziplinen zu unterscheiden vermöge – überflüssig werde.69 Solche Mißverständnisse sind jedoch viel eher als Ausdruck eines Fregeschen Denkfehlers zu sehen, der in einer tiefenontologischen Verankerung im raumzentrierten Denken begründet sein dürfte: Die Eröffnung einer Alternative zum regional- oder raumwissenschaftlichen Forschungsobjekt führt ebensowenig zum Ende der Geographie, wie eine Widerlegung eines Axioms Freges zum

Konsequenzen für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen

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Ende der Arithmetik geführt hat. Nur das zu Gottlob Freges Zeit dominierende Verständnis von Arithmetik geriet in Gefahr, nicht jedoch die Arithmetik überhaupt. Eine wissenschaftliche Humangeographie ist analog dazu außerhalb der Raumwissenschaft ebenso vorstell- und praktizierbar, wie es schon immer eine wissenschaftliche Geschichte gegeben hat, ohne daß man diese als Zeitwissenschaft zu legitimieren versuchte. Die hier entwickelte Forschungskonzeption ist als Plädoyer zur Öffnung der Anschlußfähigkeit geographischer Forschung an kultur- und sozialwissenschaftliche Forschungen zu sehen und will damit zur Stärkung ihrer interdisziplinären Bedeutung (und Beachtung) beitragen. Genau betrachtet, kann sich überhaupt keine wissenschaftliche Disziplin »objekthaft« unterscheiden und legitimieren, sondern nur »dimensional«. Damit ist die differenzierende dimensionale Bezugnahme auf die menschliche Praxis gemeint, über welche die Humangeographie ihre Forschungsinteressen gegenüber der Kulturanthropologie/Ethnologie, Soziologie, Ökonomie, Politologie, Geschichte usw. spezifizieren kann, ohne daß ihre interdisziplinäre Anschlußfähigkeit darunter zu leiden hat. Die besonderen Fragen, welche von der Geographie zu stellen und zu beantworten sind, beziehen sich auf die Klärung der Bedeutung der gesellschaftlichen Konstruktion von »Raum«, »Region« usw. durch die Subjekte für deren soziale Praxis und damit für die Konstitution der Gesellschaft unter den abgeleiteten Typen alltäglicher Regionalisierungen. Nach der Ableitung der verschiedenen Typen des alltäglichen Geographie-Machens ist im nun abschließenden Kapitel auf mögliche thematische Schwerpunktsetzungen einzugehen. Die produktiv-konsumtiven Regionalisierungen bzw. Welt-Bindungen sind dabei mit interdisziplinärem Anschluß an die Ökonomie zu betreiben, doch nicht lediglich als Zulieferer von Daten. Wie zu zeigen sein wird, sind produktiv-konsumtive Regionalisierungsformen unter den Bedingungen der Globalisierung in gewisser Hinsicht gleichzeitig auch eine Herausforderung für ökonomische Theorien. Diese erste Form des Geographie-Machens ist in mehrfacher Hinsicht konstitutiv für die neuen Bedingungen für lokal situierte, wirtschaftende Subjekte, sowohl als Produzenten wie auch Konsumenten. Besonders für die differenzierte wissenschaftliche Durchdringung der damit einhergehenden Kulturalisierung der Wirtschaft bekommt die geographische Praxisanalyse wichtige originäre Aufgabenfelder zugewiesen. Doch auch für die Erläuterung der politischen Bedingungen des Wirtschaftens könnte eine Sozialgeographie alltäglicher Regiona-

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lisierungen zur Entwicklung einer – sozialontologisch abgestimmten – neuen Politischen Ökonomie beitragen, indem der Aspekt der allokativen Ressourcen in bezug auf die Globalisierung bzw. unter Berücksichtigung der Entankerungsmedien in die Analyse eingebracht wird. Normativ-politische Formen der Regionalisierung sind von den neuen Erfordernissen der Wieder-Verankerung in noch umfassenderem Maße betroffen. Dies liegt primär daran, weil national-staatliche Institutionen und normative Geltungsdurchsetzung in besonderem Maße physisch-materiell bzw. räumlich relationiert sind. Wie im nächsten Kapitel ausführlicher zu zeigen ist, hat dies damit zu tun, daß beide qua autoritativer Ressourcen produziert und reproduziert werden und autoritative Ressourcen ihrerseits an die Kontrolle der Körper der Subjekte zurückgebunden sind. Deshalb erlangt hier das Verhältnis von Körper, Raum und Macht besondere Brisanz; eine Thematik, die auch für ein vertieftes Verständnis der Implikationen der Globalisierung in politischer Hinsicht wichtig ist. Der normative Bereich und die entsprechenden Regionalisierungen reichen dabei von der geschlechterspezifischen Aneignung räumlicher Lebensweltausschnitte bis hin zu nationalistischen und regionalistischen Aneignungen mit entsprechenden Ausschlußszenarien. Hier sind interdisziplinäre Anschluß- und Ergänzungsmöglichkeiten insbesondere mit der soziologischen und politologischen Forschung zu suchen. Informativ-signifikative Regionalisierungen beziehen erstmals die Informationswissenschaften auf systematische Weise in die sozialgeographische Analyse ein und kombinieren diese mit der Kulturanthropologie. Allerdings gilt hier Ähnliches wie in Zusammenhang mit der Ökonomie. Es geht nicht nur wie bei der traditionellen Kulturgeographie darum, eine regionszentrierte Ethnographie zu betreiben, sondern auch darum, die kulturspezifische Weltdeutung aus einem fixen Kultur-Raum-Nexus zu lösen und den Globalisierungsprozessen methodologisch wie thematisch Rechnung zu tragen. Die ontologische Transformation von »Raum« und »Kultur« ist auch hier für einen neuen Tatsachenblick konstitutiv. Die nun zu leistende differenzierte Erörterung der verschiedenen Regionalisierungstypen ist insgesamt als argumentative Sensibilisierung für die Vielfalt dieses geographischen Forschungszugriffs auf die Alltagspraxis zu begreifen, die unter räumlich und zeitlich entankerten Lebensbedingungen von kompetenten Subjekten produziert und reproduziert wird. Zu beantworten bleibt die Frage: Wie werden unter globalisierten Bedingungen die existentiellen Wieder-Verankerungen vollzogen?

Kapitel 6 Global regionalisierte Lebenswelten

Selbst unter globalisierten Lebensbedingungen verbringen alle Menschen körperlich ihr Alltagsleben in einem lokalen Kontext. Trotzdem sind ihre Lebensformen und -welten in globale Prozesse eingebettet. Globalisierung ist dabei nicht als ein Phänomen zu begreifen, das sich in objektivistischer Manier subjektunabhängig etabliert. Freilich ist sie deshalb noch nicht Ergebnis einer Intention. Aber auch wenn sie sozusagen hinter dem Rücken der Subjekte als neue Lebensbedingung entstanden ist, kann nicht von einer vom Handeln unabhängigen Instanz gesprochen werden. Sie ist vielmehr an eine subjektzentrierte Weltkonstitution gebunden, wobei den technischen Artefakten, die einzelnen Subjekten enorme Transformationspotentiale verleihen können, die überragende Bedeutung zukommt. Die globalisierte Welt ist Ausdruck einer Kultur der Expertensysteme. Oft ist deren Entstehung im Industrialisierungsprozeß als reine »Vermassung« beschrieben worden. Die Einsamkeit und Ohnmacht des »gleichförmigen« modernen Menschen ist ein zentraler Topos der Kritik an der Moderne. Diese Sicht verliert jedoch häufig aus den Augen, daß im gleichen sozial-kulturellen sowie technischen Veränderungsprozeß schon immer jene Individuierung angelegt ist, welche aktuell in den Sozialwissenschaften als Kontrast zur Klassen- oder Strukturgesellschaft als »Multioptionsgesellschaft« (Gross, 1994) oder als »Individualisierung in modernen Gesellschaften« (Beck/BeckGernsheim, 1994, 10) entdeckt wird. Die im romantisierenden Diskurs als Verlust empfundene Entmachtung der Traditionen hat gerade den subjektiven Entscheidungspotentialen erst den Weg bereitet. In der »Vermassungsklage« äußert sich unter anderem die Macht des traditionellen geographischen Weltbildes. Die ortsgebundenen Traditionen sorgten für die kulturelle Vielfalt in regionaler Hinsicht. Diese war konsequenterweise nur für Reisende unmittelbar erfahr- und erlebbar. Doch traditionsbe-

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stimmte Lebensformen sind intern weitgehend homogen.1 Konsequenterweise ist innerhalb des regionalen Kontextes eine relative Gleichheit der Lebensformen beobachtbar. Auch wenn Traditionen dem Wandel unterworfen sind, bleiben sie immer Ausdruck dessen, was autoritäre »Gralshüter« (regionale Potentaten usw.) in radikaler Begrenzung subjektiver Sinnsetzungen aufrechterhalten. Warum moderne Lebensformen im Vergleich zu traditionellen auf den ersten Blick trotzdem als gleichförmiger erscheinen können, hat wohl damit zu tun, daß einzelne Lebensformen oder Lebensformelemente global beobachtbar sind. Diese werden aber – entgegen dem traditionellen Muster – nicht von allen Bewohnern eines Gebiets geteilt. An einzelnen Orten existieren konsequenterweise eine Vielzahl an Lebensformen. Die ortsspezifische Homogenität und interregionale Vielfalt, die auf traditionellen, räumlich-zeitlich verankerten Lebensformen beruht, macht als Konsequenz der Moderne mehr und mehr einer Vielfalt der Lebensweisen am selben Ort Platz. Die These der Gleichförmigkeit scheint auf den ersten Blick nur dann haltbar zu sein, wenn zur ihrer Begründung ein global verbreitetes Objekt der Coca-Cola-Kultur angeführt wird. Das heißt aber nicht, daß überall alle gleich leben, sondern daß unter der Bedingung von örtlicher Pluralität im Prinzip überall alle Lebensformen auftreten können. Da die Entankerungsmechanismen die Möglichkeiten der subjektiven Gestaltung der Lebensformen erweitern – ermöglicht und begrenzt durch Regeln und Ressourcen –, steht die These der sozial und global durchgehenden Uniformität eher auf schwachen Füßen. Sie gewinnt erst vor dem Hintergrund der Erwartung der traditionellen regionalen Ordnung kultureller Vielfalt Plausibilität, die keine Sensibilität für die dort vorkommenden subjektspezifischen Vielfältigkeiten der Lebensgestaltung aufweist. In dieser Hinsicht ist die »Vermassungsthese« Ausdruck einer traditionsgebundenen Tiefenontologie des Raum-Gesellschaft-Nexus. Die entsprechende Paradoxie verweist auf die Hoffnungslosigkeit einer räumlichen Darstellung moderner und spät-moderner Lebensformen. Sie äußert sich unter anderem in der Interpretation der Globalisierung als bedrohendes Phänomen. Der Prozeß der Globalisierung wirkt aber eigentlich nur vor dem Hintergrund eines traditionellen geographischen Welt- und holistischen Gesellschaftsverständnisses bzw. eines traditionalistischen RaumGesellschaft-Nexus und durchgehender territoriumsgebundener Regulierungen des sozialen Lebens bedrohend. Denn gerade das Begreifen des Phäno-

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mens »Globalisierung« selbst verlangt nach einem Weltbild, das im Verhältnis von Tagesgeschehen und (subjektiver) Deutung der eigenen Position keine unerträglichen Spannungen provoziert. Betrachtet man die Globalisierung in jeder Beziehung als Ausdruck eines Weltbildes, in dem das erkennende und handelnde Subjekt die zentrale Stellung einnimmt, dann wird erkennbar, daß sie selbst die persönlichsten Lebensbereiche nicht unberührt läßt. Die entsprechenden Konsequenzen der Globalisierung haben auch für diese entscheidende Bedeutung. Auch diese sind – sobald man um alternative Lebensformen weiß – nicht mehr »dieselben«. Nicht daß jemand gleich sein gesamtes Leben umgestaltet, sobald er oder sie mit einer alternativen Lebensform konfrontiert wird. Aber selbst dann, wenn sie in ihren Abläufen »gleich«bleibt, wird sie vom Subjekt nicht mehr auf dieselbe Weise interpretiert, als wenn es kein Wissen um Alternativen gehabt hätte. In durchaus vergleichbarem Sinne verhält es sich mit dem »Lokalen« im Kontext der Globalisierungsprozesse. Auch hier werden die vielleicht über lange Zeitspannen hinweg gleich anmutenden, in lokalen Traditionen verankerten Praktiken als von Globalisierungsprozessen unberührt erscheinen. Doch dies kann vom Standpunkt der Subjekte aus eigentlich nicht der Fall sein. Denn es macht auch im Erleben der Tradition reproduzierenden Subjekte einen Unterschied, ob sie die Tradition als unbefragt einzig mögliche Wirklichkeit erleben oder ob sie um Alternativen wissen. Die lokale Tradition ist unter der Bedingung der Globalisierung weder für die agierenden Subjekte noch für die Beobachtenden das räumlich-zeitlich verankerte Phänomen, das es in einer traditionalen Gesellschaft war und ist. Auch die lokalen Aspekte sind unter der spät-modernen Sozialontologie nicht dieselben, die sie im Kontext traditioneller Verhältnisse waren und sind. So ist »Globalisierung« zwar auch ein lokaler Prozeß; doch um »globalization as a local process« (Eade, 1997, 1) erkennen zu können, kann man sich gerade nicht auf das Lokale allein konzentrieren. Auch dessen Verständnis verlangt nach einer Perspektive, die auf die Kräfte der Globalisierung eingehen kann: die handelnden Subjekte mit ihren Lebensformen. Die Konzentration auf subjektiv konstituierte Lebensformen öffnet den Blick für eine andere als allein die regionale Vielfalt. Die regional differenzierten und differenzierenden Kulturstandards geben dann häufig lediglich den Kontext, aber nicht mehr den einheitsbildenden Kern der subjektiven Lebensstile ab. Deshalb kann man die sogenannte Dritte Welt ebenso in New

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York oder Paris finden wie die Erste in Nairobi, La Paz oder auf Bali. Beinahe überall können wir beobachten, wie sehr sich moderne, globalisierte Lebensaspekte Weise in die traditionellsten Verhältnisse eingelassen haben.2 Festzustellen, wie Alltagsbereiche – vom Küchengerät, Transportmittel über Informationsmedien und -inhalte, Sport, Unterhaltung (Musik, Video, Film usw.) bis hin zu politischen Themen – von den Konsequenzen der Moderne durchdrungen werden, mag als Verlust an kultureller Vielfalt in regionaler Hinsicht beklagt werden. Doch selbst dann ist diesen Prozessen auf wissenschaftlicher Ebene in forschungskonzeptioneller Hinsicht Rechnung zu tragen. Darstellung und Erforschung der Konsequenzen dieser Verhältnisse gehören im Rahmen der reflexiven Modernisierung wohl ebenso zum Auftrag der Geographie, wie die regionalgeographische Schilderung der Wirklichkeit im Zeitalter der großen Entdeckungen. Dazu sind die entsprechenden Alltagsgeographien der Subjekte anhand der im letzten Kapitel abgeleiteten Typen alltäglicher Regionalisierungen zu erforschen. Deren inhaltliche Ausdifferenzierung ist das Hauptthema dieses Kapitels. Die in Kapitel 5 unterbreiteten Vorschläge bilden eine ergänz- und revidierbare, offene Agenda von Forschungsthemen und -anregungen. Die verschiedenen Typen alltäglicher Regionalisierungen umfassen »abertausende (von) Praktiken, mit deren Hilfe sich die Benutzer den Raum wiederaneignen, der durch die Techniken der soziokulturellen Produktion organisiert ist« (de Certeau, 1988, 16). Diese Regionalisierungen unterscheiden sich als Formen der Wieder-Verankerung von den traditionellen Verankerungen dadurch, daß sie nicht territorial gleichmäßig, sondern in hohem Maße subjektspezifisch ausfallen. Sie können deshalb auch innerhalb kleinster erdoberflächlicher Ausschnitte auf höchst unterschiedliche Weise ausfallen und in entsprechender Vielfalt beobachtbar sein. Die Tendenz zur Pluralisierung lokaler Lebensstile ist hinsichtlich einzelner Dimensionen offensichtlich bereits seit der Industriellen Revolution im Gange. Die nationalstaatliche Form der Gesellschaftsorganisation kann als eine erste Antwort auf die Entankerung in Form institutioneller Wieder-Verankerung gesehen werden. Ökonomische, politische und kulturelle Bereiche wurden innerhalb bestimmter Territorialgrenzen über nationale Regelungen – den nationsspezifischen »Regulationsweisen« im Sinne der Regulationstheorie – von Produktions-/Infrastruktur und Zoll (Nationalökonomie), nationale Parlamente (Politik) und Sprache/Bildung (Kultur) auf einheitliche Abstimmung angelegt.

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Aufgrund der daraus entstehenden territoriumsgebundenen Regulierung von Lebensaspekten und -stilen waren die institutionellen Voraussetzungen dafür geschaffen, daß das Projekt »wissenschaftliche Länderkunde« einen Plausibilitätsschub bekam. Mit diesem Projekt hat man sich aber nicht auf die empirische Rekonstruktion des Geographie-Machens staatlicher Institutionen konzentriert. Dem hat sich erst Boesler (1969, 1) mit dem Konzept »raumwirksamer Staatstätigkeit« angenähert. Ansonsten wurde die wissenschaftliche Geographie weitgehend darauf angelegt, nationalstaatliche Territorialeinheiten – über die in Kapitel 2 beschriebenen wissenschaftlichen Regionalisierungsverfahren – als natürliche, materiell konstituierte erscheinen zu lassen. Daß dies gerade auch zur Stärkung der politischen und kulturellen Einheit der Nationalstaaten – aber auch zur Förderung des Nationalismus – beigetragen hat, wurde vor allem von Schultz (1980; 1993; 1995a; 1995b) und Kost (1988) mit aller Eindringlichkeit betont und nachgewiesen. Länder werden grundsätzlich »als im Relief vorgezeichnetes politisches Programm verstanden« (Schultz, 1995a, 492). Über die Intensivierung der Entankerungs- bzw. Globalisierungsprozesse werden die vereinheitlichenden Abstimmungsbestrebungen der sozialen Wirklichkeitsbereiche Wirtschaft, Politik und Kultur durch nationalstaatliche Institutionen jedoch immer stärker eingegrenzt. Damit erleidet gleichzeitig sowohl die raumzentrierte länderkundliche Wirklichkeitsdeutung als auch die Regulationstheorie einen Plausibilitätsverlust. Dem länderkundlichen »Naturund Materiediskurs« wird zu sehr die sozialontologische Basis entzogen, als daß mit ihm durchgehende empirische Glaubwürdigkeit reklamiert werden könnte. Was ausschließlich als sozial bedingte institutionelle Einheit im Handeln wirklich ist – und eigentlich auch nur als solche Bestand haben konnte und kann – sollte konsequenterweise auch immer als das dargestellt und begreifbar gemacht werden. Deshalb sind auch die Nationalstaaten, auf welche sich die Länderkunde bezieht, selbst als Ausdruck bestimmter alltäglicher Regionalisierungen zu sehen. Neben der Feststellung der schwindenden Relevanz einheitsbeschwörender Darstellungen von Ökonomie, Politik und Kultur stellt sich nun die Aufgabe der Neuabstimmung dieser Bereiche. Einen Beitrag dazu zu leisten, daß sich die geographische Forschung diesen Problemstellungen – sozial- und raumontologisch sowie gesellschaftstheoretisch kontrolliert abgestützt – methodologisch und konzeptionell öffnen kann, ist die zentrale Zielsetzung dieses Kapitels. Dabei soll so weit wie möglich verdeutlicht werden, welche Be-

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ziehungen und Bedingungsverhältnisse zwischen den verschiedenen Typen mit Erkenntnisgewinn zu berücksichtigen sind. Dieses Projekt wird vor dem Hintergrund der bisherigen Argumentation und den entsprechenden Fragenkomplexen entworfen: Wie werden die aktuellen Geographien der Subjekte durch den Globalisierungsprozeß umgestaltet, von welchen alltäglichen Geographien ist die Globalisierung Ausdruck? Wie sind »Macht«, »soziale/regionale Ungleichheit«, »Lebenswelt« und andere tragende Konzepte der Sozial- und Kulturwissenschaften unter Globalisierung neu zu interpretieren? Welche Bedeutung erlangt sozial konstituierter »Raum« für die Reproduktion sozial-kultureller Wirklichkeit? Welche methodologischen Konsequenzen ergeben sich für die geographische Forschung aufgrund der transformierten Ontologie von Gesellschaft und Raum als Bedingung und Folge des Globalisierungsprozesses? Die Perspektive der sozialgeographischen Handlungs- und der revidierten sozialwissenschaftlichen Strukturationstheorie soll es ermöglichen, die sonst in der Geographie thematisch getrennt und territorial totalisierend behandelten Bereiche »Ökonomie«, »Gesellschaft« und »Kultur« aus der Sicht der alltäglichen Zusammenhänge des Handelns zu erforschen. Erst dann ist nach den spezifischen Typen der räumlichen Relationierung bzw. den räumlichen (Wieder-)Verankerungen in analytisch-deskriptiver und explikativer Absicht zu fragen. Diese Perspektive gründet auf der Vorstellung, daß die je spezifischen Geographien der Subjekte Ausdruck subjektiver Bündel alltäglicher Regionalisierungen sind. In der Art und Weise, wie diese Bündel geschnürt sind, zeigt sich eine spezifische Lebensform. Über die subjektiven Lebensformen konstituiert sich eine Pluralität von globalisierten Lebenswelten. Die wissenschaftliche Geographie sollte auf diese über die Erforschung der Geographien der Subjekte Bezug nehmen. Um dies erörtern zu können, ist zuerst der Begriff Lebenswelt zu präzisieren. Dabei ist auf die unterschiedlichen Definitionen – dieses für die Sozial- und Kulturwissenschaften so grundlegenden Begriffes – durch Luhmann, Habermas und Schütz/Luckmann einzugehen. Um dies auf differenzierte Weise tun zu können, ist von jener philosophischen Perspektive auszugehen, aus deren Grundlagen dieser Schlüsselbegriff hervorgegangen ist. Damit sollen die für die soziologische Rezeption typischen Verwirrungen für den sozialgeographischen Kontext vermieden werden.

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Lebensform und Lebenswelten In der Tradition der konstitutiven Phänomenologie wird unter Lebenswelt zunächst die Welt verstanden, wie wir sie unbefragt, als selbstverständlich erleben: »Die Lebenswelt ist die natürliche Welt – in der Einstellung des natürlichen Dahinlebens sind wir lebendig fungierende Subjekte in eins mit dem offenen Kreis anderer fungierender Subjekte« (Husserl, 1952, 375). Damit ist jener Wirklichkeitsbereich bezeichnet, den der »gesunde Menschenverstand als schlicht gegeben vorfindet, was wir als fraglos erleben, jeden Sachverhalt, der uns bis auf weiteres unproblematisch ist« (Schütz/Luckmann, 1979, 25). Freilich reicht die Identifizierung des Konstitutions- und Erfahrungsstiles von »Wirklichkeit« noch nicht aus, um eine bestimmte Lebenswelt zu charakterisieren. Vielmehr ist vorerst nur eine Differenz zwischen dem Bereich der praktischen Zwecke und dem wissenschaftlichen Bereich der theoretischen Zwecke identifiziert.3 Demgemäß hat sich der wissenschaftlich-theoretische Erfahrungsstil vom alltäglichen zu unterscheiden. Dann ist zu spezifizieren, in welcher Form sich der erste auf den Bereich des zweiten beziehen soll. Claesges (1972, 86) bezeichnet diesen Aspekt als »Boden-Funktion« der »Lebenswelt«. Er impliziert den Hinweis auf eine (Sinn-)Welt, die auch von anderen in gleicher (alltäglicher) Einstellung konstituiert und mit gleichem Erfahrungsstil geteilt wird. »Lebenswelt« bildet so die Bezugsebene wissenschaftlicher Forschung. Diese erste Bestimmung von »Lebenswelt« postuliert eine epistemologische Abgrenzung von wissenschaftlicher und alltäglicher Geographie und die Festlegung von deren Verhältnis zueinander. Die wissenschaftliche Geographie ist von theoretischen Zwecken, dem kritischen Zweifel geleitet und erforscht die alltäglichen Geographien, die aufgrund von pragmatischen Motiven, dem praktischen Tun produziert werden. Sie soll sich entsprechend auf die alltäglichen Lebenswelten, die alltäglichen Geographien beziehen, die von den Subjekten als sozial-kulturelle Wirklichkeit konstituiert werden. Diese Bezugnahme soll sinn- und handlungsadäquat geschehen, damit sich wissenschaftliche Aussagen von der lebensweltlichen Sphäre nicht entfremden. Damit ist aber noch nichts über die Identifikation einer Lebenswelt gesagt, sondern nur von »Lebenswelt« im allgemeinen gesprochen worden. Innerhalb dieser epistemologisch bestimmten Lebenswelt sind nach Husserl (1976, 134) auch spezifische »Sonderwelten« ausweisbar. Damit stellt sich »die Frage, welche Unterscheidung (eine) Lebenswelt konstituiert« (Luh-

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mann, 1986, 194). Es ist der thematische Interessenhorizont, innerhalb dessen Subjekte tätig sind, der einzelne Lebenswelten abgrenzt. Eine Lebenswelt konstituiert sich konsequenterweise über einen bestimmten Sinnhorizont als Sonderwelt. Deshalb kann man von der »Lebenswelt als Horizont« (Luhmann, 1986, 179) sprechen. Derart spezifizierte Lebenswelten existieren in thematisch differenzierten »kontinuierlichen Sinngehalten« (Prechtl, 1991, 110), die immer wieder bewährt und bestätigt werden, aber auch der subjektiven Revision offenstehen. Innerhalb thematisch differenzierter Lebenswelten verdichten sich Einstellung, Interessen, Praxis und Gewohnheiten zu einem Stil, zu einem Lebensstil, einer Lebensform.4 Innerhalb davon wird gemäß Husserl (1976, 464) eine »kommunikative Einstimmigkeit«, ein intersubjektiv geteilter Stil der Weltdeutung erreicht, der sich – so die hier vertretene These – in einer bestimmten Form der Welt-Bindung äußert. Daraus folgt, daß der Begriff »Lebenswelt« die beiden Bedeutungen allgemeine »Boden-Funktion« und spezifischer »Horizont-Funktion« aufweist, die klar zu unterscheiden sind. Das von Husserl angeblich nicht spezifizierte Verhältnis der beiden Aspekte ist bereits oft kritisiert und als Schwäche des Lebensweltkonzeptes ausgelegt worden.5 Man kann aber nur dann von Schwäche oder Konfusion sprechen, wenn man den eben identifizierten Unterschied nicht als Ausdruck von zwei verschiedenen Zugängen zum Lebensweltkonzept begreift, sondern als eine ontologische Differenz. Deshalb ist mit allem Nachdruck zwischen dem epistemologischen Zugriff (»BodenFunktion«) und dem thematisch differenzierenden, empirischen Zugriff (»Horizont-Funktion«) zu unterscheiden. Diese unmittelbar auf Husserl zurückgehende Unterscheidung, die in der aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskussion meist mißachtet wird, ist insbesondere für die konzeptionelle Bestimmung von »Lebenswelt« unter globalisierten Bedingungen von weitreichender Bedeutung. Akzeptiert man die Unterscheidung zwischen der Beschreibung des Forschungsgegenstandes (Boden-Funktion) und der thematischen Differenzierung (Horizont-Funktion), dann folgt daraus, daß »Lebenswelt« im sozialontologischen Sinne nicht mehr a priori als das Vertraute, das (lokal) Gemeinschaftliche interpretiert werden kann, »das seine Stütze am ehesten in archaischen Gesellschaften« (Habermas, 1981b, 233) findet. »Lebenswelt« kann dann nicht mehr – wie das bei Schütz/Luckmann (1979) mindestens tendenziell der Fall ist – vorzugsweise auf räumlich und zeitlich verankerte

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Lebensformen bezogen werden. Was fraglos vorgegeben ist, hängt primär von der (natürlichen) Einstellung ab und nicht von den aktuellen räumlichzeitlichen Verhältnissen der Kommunikation. Ebenfalls sind die thematisch differenzierten Sinnhorizonte nicht an fixe räumlich-zeitliche Bedingungen gebunden, so daß Lebenswelten nicht räumlich eng gekammert gedacht zu werden brauchen, sondern als globale Bezüge. Dieser Unterscheidung steht Habermas’ Lebensweltkonzeption unvereinbar gegenüber. Denn Habermas (1981) grenzt »Lebenswelt« über die vorherrschenden Mechanismen der Sozialintegration – die ihrerseits auch über die Kopräsenz definiert ist – von der in mediatisierten Bezügen konstituierten Systemwelt ab. In einem »normativ gesicherten oder kommunikativ erzielten Konsens« (Habermas, 1981b, 226) verweist das Besondere der Lebenswelt auf das Vertraute und Gesicherte. Diese Definition bindet die sozialwissenschaftliche Lebensweltforschung »an die Binnenperspektive von Angehörigen sozialer Gruppen und verpflichtet sie dazu, das eigene Verständnis an das Verständnis der Teilnehmer anzuschließen« (Habermas, 1981b, 226). Doch genau diese Voraussetzung, nämlich daß »Lebenswelt« an Vertrautheit und gruppenmäßige Zugehörigkeit gekoppelt wird, ist unter entankerten Lebensbedingungen nicht gegeben. »Vertraut«, »fraglos« und »unproblematisch« verweisen – in Übereinstimmung mit Husserls Vorgabe – lediglich auf die Charakterisierung des alltäglichen Erfahrungs- und Konstitutionsstils im Vergleich zum wissenschaftlichen, der sich demgegenüber durch den »kritischen Zweifel« auszeichnet. Damit sind aber keine empirischen Gewißheiten im Sinne von Vertrauen in die anderen, Zuverlässigkeit und Sicherheit gemeint. In thematisch differenzierten Sinn-Horizonten bzw. Lebenswelten kann durchaus existentielle Unsicherheit vorherrschen. Es brauchen keine Bereiche der Geborgenheit und des Vertrauens zu sein, die sich dadurch von anderen Wirklichkeitsbereichen der sogenannten Systemwelt unterscheiden würden. Freilich spielt die Kopräsenz, die unmittelbare sinnliche Wahrnehmung und das unmittelbar körperbezogene »Hantieren«, für die Konstitution bewußtseinsmäßiger Lebenswelten und die Seinsgewißheit eine bemerkenswerte Rolle. Sie bilden einen wesentlichen Aspekt des Ausgangsverständnisses von »Lebenswelt«. Doch die ausschließliche Konzentration von Definition und empirischer Forschung auf diese Bereiche verweist auf jene sozialontologischen Bedingungen, die in Band 1 als Basis der traditionellen Lebensformen identifiziert wurden. Dies kann als der entscheidende Grund dafür angesehen

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werden, daß Habermas (1981b, 233) zu dem Schluß gelangt, Luckmann könne »seinen soziologischen Verallgemeinerungen über archaische Gesellschaften den Begriff der Lebenswelt zugrunde legen, ohne das empirische Material zu vergewaltigen«. Doch es ist wichtig zu sehen, daß ein so verstandenes Lebensweltkonzept auf einer undifferenzierten Trennung von erkenntnistheoretischer und sozialontologischer Ebene aufbaut und für spät-moderne Lebensformen zu beachtende Schwächen aufweist. Unter sozialontologischen Bedingungen der räumlich-zeitlichen Entankerung zeichnen sich Lebenswelten – im Sinne von Sonderwelten – nicht mehr durch erhöhte Zuverlässigkeit und Gewißheit aus, auch dann nicht, wenn sie in bedeutungskonstitutiver Hinsicht unbefragt erlebt werden können. Die Lebenswelten werden hier vielmehr über den Sinnhorizont der Lebensformen und Lebensstile konstituiert, welche globale Implikationen aufweisen. Deshalb können sie sich nicht mehr primär auf territoriale Vertrautheit in lokal regionalisierten Wirklichkeitsausschnitten, wie dies in der Version von Schütz/Luckmann noch vorrangig der Fall ist, beschränken. Als Sonderwelten akzentuieren sie sich vielmehr in jenen Formen, wie die Subjekte die Welt regionalisierend auf sich beziehen. Lebenswelt konstituiert sich auch im Horizont der Regionalisierung globalisierter Wirklichkeit und nicht nur auf der Basis territorial verankerter Gemeinschaftlichkeit. Aufgabe sozialgeographischer Forschung ist es, die Konstitutionsmodi dieser Lebensformen – analog zu Husserls (1976, 136) Forderung – herauszuarbeiten. Das ist der erste wissenschaftliche Auftrag der Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen: eine empirisch begründbare Darstellung der entsprechenden Regionalisierungen zu liefern. Dazu werden hier die verschiedenen thematischen Bereiche die kategoriellen und begrifflichen Voraussetzungen geschaffen. Das darauf aufbauende Forschungsprogramm umfaßt zwei Ebenen: eine deskriptive und eine explikative. Die entsprechende Forschungslogik wird dabei so streng wie möglich auf die sozialontologischen sowie die strukturationstheoretischen Grundlagen und die daraus abgeleiteten räumlichen Relationierungen des Handelns Bezug nehmen. Das Ziel dieses abschließenden Kapitels kann es dementsprechend nicht sein, die Forschungsbereiche bis in methodische und thematische Details hinein zu entwerfen und forschungspraktisch umzusetzen. Vielmehr ist es der Anspruch, diese neue Forschungsrichtung so scharf konturiert wie möglich zur Diskussion zu stellen, um eine Alternative zur Erweiterung des Forschungs- und Zuständigkeitsbereichs der

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Sozialgeographie zu eröffnen. Für jeden Einzelbereich wird eine Forschungsagenda entworfen, an der sich künftige Arbeiten orientieren können.6

Produktiv-konsumtive Regionalisierungen Der erste Bereich alltäglicher Regionalisierungen beruht auf der ökonomischen Praxis. Er ist in Analyse und Ergebnisdarstellung mit einer metrischen Raumkonzeption zu kombinieren. Dabei drängt sich unter entankerten Lebensbedingungen eine gleichmäßige Behandlung des produktiven und konsumtiven Bereichs auf. Für die Erforschung beider Bereiche wird hier eine erste argumentative Erschließung in ausgewogenem Maße angestrebt. Um das zu ermöglichen, muß auf die theoretischen Grundlagen der Ökonomie und der Begründung der – im Vergleich zu bisherigen Gepflogenheiten – stärkeren Berücksichtigung der Konsumtion ausführlich eingegangen werden. Im sozialwissenschaftlichen Interessenfeld dominiert – nicht zuletzt auch als mittelbare Folge des Einflusses marxistischer Gesellschaftstheorie – der Produktionsbereich.7 Bauman (1992, 223) stellt in diesem Zusammenhang die provokative Frage: »What about consumerism? (…) We were so fascinated with work, employment and production technology that we hardly ever looked at the other thing.« Diese Feststellung hat auch für den geographischen Kontext Gültigkeit, wenn auch nicht in so extremem Maße wie in Soziologie und Kulturanthropologie. Doch auch in der Geographie besteht – trotz empirischer Zentralitätsforschung,8 den Untersuchungen des Einzelhandels sowie der »Geographie der Freizeit« (Wolf/Jurczek, 1986)9 – ein Mangel an systematischer Theoretisierung der Nachfrageseite. Eine nicht raumzentrierte theoriegeleitete empirische Erforschung dieser Zusammenhänge ist, insbesondere unter Einbezug global regionalisierter Bezugsbereiche, dringend erforderlich.10 In einer ersten Annäherung an die produktiv-konsumtiven Regionalisierungen ist darauf hinzuweisen, daß die Regionalisierungen, die über den produktiven Bereich vollzogen werden, sich am offensichtlichsten bei Standortentscheidungen für Produktionseinrichtungen, den damit verbundenen Festlegungen der Warenströme sowie den raum-zeitlichen Pfaden der in die Produktion involvierten Subjekte äußern. Im konsumtiven Bereich bestehen sie in der lebensstilspezifischen Bündelung der Warenströme über die von einem Subjekt konsumierten Güter.

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Global regionalisierte Lebenswelten

Sowohl zur Erforschung des Produktions- wie des Konsumtionsbereichs sind aufgrund der entankerten Bedingungen neue Forschungsszenarien und konzeptionen erforderlich. Die Anpassungsforderung an die neuen Bedingungen und Verhältnisse ist ebenso an die Adresse der Sozialwissenschaften im allgemeinen gerichtet wie an jene der Geographie im besonderen. Der Blick ist nicht nur auf die Produktionsfaktoren und -verhältnisse oder auf »Raum« und »distanzielle Argumente« zu zentrieren, sondern vermehrt auf das Handeln der Subjekte und die entsprechenden Wirklichkeitskonstellationen in subjektiver Erfahrungsperspektive. Grundsätzlich geht es in deskriptiv-analytischer Hinsicht um eine handlungstheoretische Reinterpretation der nach wie vor dominierenden neoklassischen Theorie der Ökonomie. Diese subjektzentrierte Fokussierung soll die globalisierten und globalisierenden Lebensstile bezüglich ihrer kulturalisierten Dimensionen erschließbar machen. Die alltagsweltlichen Bedingungen und Formen des Wirtschaftens haben sich so sehr verändert, daß die Wirtschaftstheorie nicht weiterhin von einem ahistorischen, quasi-objektiven Wirklichkeitsverständnis ausgehen kann. Miller (1995a, 1) behauptet sogar, daß durch die neuen Bedingungen im Bereich der Konsumtion die Basispostulate aller sozialwissenschaftlichen Subdisziplinen in Frage gestellt würden: »the topic of consumption seems to present a fundamental challenge to the basic premesis that have sustained each discipline up to present.« Die Veränderungen in Sozial- und Raumontologie und die daraus abgeleiteten transformierten räumlich-zeitlichen Bedingungen führen zu völlig neuen Konstellationen des Handelns. Bisherige Denkmuster des Verhältnisses von Wirtschaft, Politik und Kultur auf alltagsweltlicher Ebene werden ebenso in Frage gestellt wie die disziplinäre Forschungsordnung auf wissenschaftlicher Ebene: »Today, an understanding of the process of consumption is central to the debates about the relationship between society and space« (Jackson/Thrift, 1995, 204). Fine (1995, 127) fordert sogar eine Ablösung der Vorrangstellung der traditionellen, marxistisch inspirierten und damit produktionsorientierten Politischen Ökonomie durch eine Ökonomie der Konsumtion. Doch auch diese Art der Vorrangstellung würde gegen die Ausgewogenheit verstoßen und übersehen, daß das Konsumtionspotential eines Subjekts wesentlich von dessen Position in der Produktion abhängt. Da diese Konsequenzen in unmittelbarem Zusammenhang mit den neuen räumlich-zeitlichen Bedingungen des Handelns stehen, ergeben sich auch ra-

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dikale Konsequenzen für die wissenschaftliche Wirtschaftsgeographie. So wird in jenen Wirtschaftsbereichen, in denen »das Verschwinden der Ferne« Realität geworden ist, distanziell argumentierenden (raumwissenschaftlichen) Erklärungsmustern immer mehr die Basis entzogen. Die zunehmende Bedeutung distanzunabhängiger Entscheidungsparameter in Produktion und Konsumtion kündigt die abnehmende Zuständigkeit der raumwissenschaftlichen Forschung an. Ein vertieftes Verständnis der alltagsweltlichen wirtschaftsgeographischen Zusammenhänge hat unter diesen Bedingungen – wenn die Praxisrelevanz der wissenschaftlichen Wirtschaftsgeographie erhalten bleiben soll – die bestimmenden, nicht primär distanzabhängigen Kräfte des Geschehens zu fokussieren. Aus der Subjektivierung der Lebensstile/-formen folgt eine personenzentrierte Kulturalisierung des Wirtschaftsgeschehens. Weder Produktion noch Konsumtion sind primär an lokale Traditionen gebunden. Weil Lebensform und Lebensstil – im Rahmen der oben genannten Einschränkung – in umfassendem Maße zum Gegenstand subjektiver Gestaltung und Entscheidung geworden sind, ist konsequenterweise auch die Konsumtion als Ausdruck subjektiv konstituierter Kultur- und entsprechender Lebenswelten zu sehen. Die kulturalisierte Wirtschaft hat im Sinne der »Boden-Funktion« der Lebenswelt auch wichtige Konsequenzen für wissenschaftliche Ökonomie und Wirtschaftsgeographie. Überkommene theoretische Standards werden durch die globalen Bezüge der Lebenswelten und der damit verbundenen spät-modernen Lebensstile in Frage gestellt. Eine der wichtigen Konsequenzen ist die aus Subjektzentrierung und Entankerung hervorgehende Mannigfaltigkeit der lokalen und regionalen Lebenswelten, auf welche die Forschungskonzeption abzustimmen ist. Für die deskriptiv-analytische Ebene empirischer Forschung sind sowohl für die produktiven als auch für die konsumtiven Aspekte entsprechende theoriegestützte Kategorien verfügbar zu machen. Denn zur Erforschung dieser Dimensionen menschlicher Praxis reicht eine – von Dürr (1992, 22) im Verhältnis zu den Wirtschaftswissenschaften diagnostizierte – »Nehmerposition« der wissenschaftlichen Geographie deshalb nicht mehr aus, weil die dominierenden Theorien der Ökonomie der Kulturalisierung des Wirtschaftsgeschehens nicht Rechnung tragen können. Die geographische Forschung hat subjektzentriert die regionalisierenden Implikationen im Sinne von Welt-Bindungen zu untersuchen. Gelingt dies, eröffnet sich daraus die Möglichkeit, daß über die wissenschaftliche Untersuchung der Praktiken alltäglicher Wirt-

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schaftsgeographien die wissenschaftliche Geographie für die Ökonomie eine »Geberposition« erreichen kann. Dafür sollen nun jene hypothetischen Überlegungen angestellt werden, welche für die Richtung der Entwicklung der Analysekategorien die Richtung angeben können. Aktuell wird der ökonomische Tatsachenblick von der neoklassischen Theorie beherrscht. Er ist von Modellannahmen des homo oeconomicus geprägt. Diese sind ihrerseits in der »protestantischen Ethik« (Weber 1965, 12) des kapitalistischen Geistes verankert.11 Darin sind zwei fundamentale Orthodoxien aufgehoben. Die erste darin begründete Orthodoxie der neoklassischen Sichtweise ökonomischer Wirklichkeitsdimensionen zeigt sich in der Minderung des heuristischen Potentials des Modells unter neuen Bedingungen des Wirtschaftens. Die inhaltliche Interpretation der formalen Knappheitspostulate12 und die nur einseitig ausgelegte subjektive Wertlehre können nicht mehr in quasiobjektivistischer Manier als bekannt und unproblematisch vorausgesetzt werden. Deren inhaltliche Interpretation bedarf vielmehr der verstärkten Berücksichtigung jener kulturellen Ausdifferenzierungen, die in den vielfältigen Lebensformen der alltäglichen Lebenswelten erreicht werden. Freilich bildet die Formalökonomie eine wichtige Basis der subjektiven Wertlehre und ist von dieser nicht ablösbar. Doch worauf die Knappheitsund (Grenz-)Nutzenstandards in subjektiv konstituierten Lebensformen inhaltlich bzw. thematisch bezogen werden, wird weder über regionale Typisierungsbemühungen noch über allgemeine nationale Standards einschätzbar. Diese Erfahrung wird in regionalen Marktforschungsstudien jüngst immer häufiger gemacht. Die herkömmlichen, auf Schichtung und regionale Lebensstile abgestimmten Beschreibungs- und Analysekategorien greifen mehr und mehr ins Leere. Wie Karutz (1996, 61) aufgrund einer empirischen Fallstudie in der Agglomeration von Frankfurt a. M. nachweist, lassen sich aus den mit traditionellen Kategorien erhobenen und geordneten Daten keine befriedigenden Abschätzungen der inhaltlichen und lokalen »Kaufkraftbindung« mehr ableiten.13 Einerseits sind die lokal beobachtbaren Lebensstile dafür zunehmend zu heterogen, andererseits löst sich die Konsumtion von den lokalen Anbietern. Das weist darauf hin, daß auch die Kulturalisierung unter entankerten Bedingungen in die Subjektivierung eingebettet ist. Das wiederum hat zur Folge, daß territorialgesellschaftlich und schichtspezifisch generalisierbare Werthierarchien – auf denen die noch zu erörternden Grenznutzenabstimmungen

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beruhen – immer mehr ins Wanken geraten und an Zuverlässigkeit einbüßen. Deshalb werden differenziertere Einblicke in je spezifische Lebensformen mit ihren regionalisierenden Implikationen immer dringender. Das verlangt nach der bereits angesprochenen Radikalisierung der subjektiven Wertlehre. Dafür ist zuerst zu fragen, welche Ausprägung die maßgebenden Werthierarchien innerhalb je spezifischer Lebensformen aufweisen, so daß diese auch entsprechend differenziert beschrieben werden können. Zudem ist zu fragen, wie in verschiedenen Lebenswelthorizonten »Grenznutzen« interpretiert wird. Kann man im Sinne des 1. Gossenschen Gesetzes immer noch sagen, daß für ein Gut immer und überall der Grenznutzen mit zunehmender Menge abnimmt? Ist es im Sinne des 2. Gossenschen Gesetzes immer noch zutreffend, daß der Grenznutzen in allen Verwendungen gleich sind? Oder wird über die Flexibilisierung der Lebensentwürfe die Hoffnung auf deren allgemein gültige Interpretation außerhalb je spezifischer Lebensstile inhaltlich nicht bis zur Belanglosigkeit relativiert? Muß die letzte Frage bejaht werden, dann drängt sich eine lebensstilspezifische Differenzierung der ökonomischen Modelle auf, insbesondere des homo oeconomicus, bis diese eine subjektive Adäquanz erreichen. Die zweite problematische Orthodoxie besteht in der Verletzung des theoretischen Postulats der Wertfreiheit auf praktischer und empirischer Ebene. Auf der theoretischen Ebene wird immer wieder betont, daß es sich bei den Modellen rationalen und optimalen Handelns um Idealtypen handelt. Der rein heuristische Charakter der Idealtypen wird aber rasch über Bord geworfen, wenn man sich zu empirischen Problemen etwa in Form von Wirtschaftsgutachten äußert. Dann geht man meistens davon aus, daß die konkreten Handelnden ebenso handeln oder handeln müßten, wie der konstruierte Idealtypus des homo oeconomicus.14 In dieser normativen Wende wird der (heuristische) Idealtypus zum (normativen) Vorbild. Man kann darin mit Lorenzen (1975, 241) eine Form der versteckten Indoktrination der Alltagswelt »mit Handlungsmaximen der ökonomischen Rationalität« sehen. Dieser Bruch hindert die empirische Ökonomie daran, für die Kulturalisierung wirtschaftlicher Zusammenhänge Sensibilität zu entwickeln. Auch diesbezüglich zeigt sich die Notwendigkeit der Radikalisierung der subjektiven Perspektive. Nicht mehr nur die Unterschiebung der modellhaft postulierten subjektiven Entscheidungs- und Wertungsmaximen ist gefragt, vielmehr sind diese Entscheidungs- und Wertungsmaximen selbst den Postulaten der subjektiven Perspektive zu unterwerfen: der subjektiven Interpreta-

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tion und Adäquanz. Denn je größere Spielräume für Entscheidungen den Subjekten aufgrund der wachsenden Wirksamkeit der Entankerungsmechanismen zukommen, desto größer wird die potentielle Differenz subjektiv gestalteter Lebensformen. Und je größer diese Differenz ausfällt, desto erforderlicher wird der Verständigungsaufwand (auch zwischen Wissenschaft und Alltag), um Interaktionen im gegenseitigen Einverständnis erfolgreich gestalten zu können. Die Respektierung dieser Forderungen stellt sich unter der fortschreitenden Globalisierung und Subjektivierung der Lebensformen insgesamt mit wachsender Dringlichkeit. In diesem Zusammenhang sollte auch nicht übersehen werden, daß die für die Ökonomie angedeuteten Implikationen von globalisierten Handlungsbezügen und Subjektivierung gleichzeitig auch die umfassenderen sozialen, politischen und kulturellen Lebensdimensionen betreffen. Sie können nicht mehr isoliert betrachtet werden. Die Entankerungsmechanismen und -prozesse lassen keinen Aspekt des Alltaglebens unberührt und bringen vor allem neue Abstimmungsprobleme der genannten Bereiche mit sich. Die allumfassende Einheit von Region und Nation, welche über nationalstaatliche Institutionen lange in beachtlichem Maße aufrechterhalten werden konnte, wird nun aufgebrochen. Ein eindeutiger Volk-Wirtschaft-Territorium-Nexus ist – wie bereits in Zusammenhang mit der kritischen Analyse der Regulationstheorie postuliert – immer weniger identifizierbar. Wie folgenreich die Konsequenzen neoklassischer Orthodoxie zusammen mit einer lebensweltfernen Ökonomisierung für die aktuelle Praxis im wirtschaftspolitischen Kontext des ehemaligen Ostblocks waren und sind, zeigt Lepenies (1995, 2) mit aller Deutlichkeit.15 Die von ihm geforderte »Berücksichtigung nichtökonomischer Faktoren, (die) für das Verständnis der Wirtschaft zunehmend wichtiger« (Lepenies, 1996, 69) werden, bezieht sich neben den politischen Faktoren16 insbesondere auch auf die sozial-kulturellen Bedingungen des Wirtschaftens. Diese Bedingungen konnte die Ökonomie solange relativ konsequenzenlos vernachlässigen, wie die »protestantische Ethik« und andere westeuropäische Kulturstandards als allgemein (imperialistisch) dominierende Voraussetzungen postuliert werden konnten. Da diese Bedingungen aufgrund der Globalisierung wirtschaftlicher Wirklichkeiten nicht mehr allgemein gegeben sind, ist zuerst eine »deskriptive Analyse der Ökonomie« (Eberle, 1988, 69) bzw. des alltagsweltlichen Wirtschaftens im Rahmen der subjektiven Perspektive zu leisten. Der homo oeconomicus als Basis der Anwendung der Gossenschen Gesetze und der subjektiven Wertlehre ist einer lebensstilzentrier-

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ten Revision zu unterziehen. Diese ist notwendig, um die Kulturalisierung der Wirtschaft auf wissenschaftlicher Ebene in deskriptiv-analytischer Hinsicht berücksichtigen zu können. Statt auf die Reform der wissenschaftlichen Ökonomie zu warten, kann eine subjektzentrierte Geographie auf analytisch-deskriptiver Ebene aktiv zur kulturalistischen Neuorientierung der Erforschung wirtschaftlicher Wirklichkeiten beitragen. Der von Lepenies (1996, 69) geforderte Wandel von »economics of things« zu »economics of ideas« impliziert in der wissenschaftlichen Analyse ökonomischer Alltagspraxis durch die Geographie einen Wandel von der »Wirtschaftsgeographie der Dinge« zum »Wirtschaften der Subjekte« bzw. den »Wirtschaftsgeographien globalisierter Lebenswelten« (Werlen 1997). Dies soll die erste Zielsetzung der Analyse der alltäglichen Geographien der Produktion und Konsumtion sein. Wie Louise Crewe (1994b, 2) in ihrer empirischen Untersuchung der Nachfrageseite der global agierenden Bekleidungsfirma GAP feststellt, müssen für Untersuchungen dieses Wirklichkeitsbereichs auch die alten Grenzen zwischen Wirtschaft-, Sozial- und Kulturgeographie abgebaut werden. Denn unter spät-modernen Bedingungen ist erstens die Produktion in viel radikalerem Sinne von der Konsumtion bestimmt. Diese wiederum ist zweitens wesentlicher Bestandteil des subjektiv gestalteten Lebensstils, Ausdruck der gelebten Alltagskultur, welche ihrerseits drittens zum sozialen Kapital im Sinne von Bourdieu (1988d; 1991c) wird. Dies wird in den Alltagsgeographien der Konsumtion noch genauer zu erörtern sein.17 Im Hinblick auf die Agenda der Forschungsthemen kann in einer ersten Zwischenbilanz zur allgemein deskriptiv-analytischen Ebene festgehalten werden, daß der produktiv-konsumtive Bereich alltäglicher Regionalisierungen auf die subjektiven Lebensstile/-formen und die mit ihnen thematisch über ökonomische Sinnhorizonte konstituierten Lebenswelten hin zu erforschen ist. Dabei ist zunächst einmal für ein ausgewogenes Verhältnis von produktiver und konsumtiver Seite zu sorgen. Hypothetisch ist davon auszugehen, daß der Einflußbereich der Konsumtion unter entankerten Bedingungen aufgrund der Pluralisierung der subjektiv konstituierten Lebensstile gegenüber der Produktion ständig an Bestimmungspotential gewinnt. Dies ist offensichtlich die Konsequenz der Emanzipation spät-moderner Lebensformen von lokalen Traditionen. Die Produktion kann nicht mehr auf generationenübergreifende nationale Konsumtionsmuster der Mittel- und Oberschicht abstellen. Was hergestellt wird und abgesetzt werden kann, muß in viel spezifischerer Form

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in mehrere der vielfältigen Lebensstile integriert werden können. Da Lebensstile/-formen ständigen Revisionen ausgesetzt sind, ist zu erwarten, daß deren subjektzentriertes Regionalisierungspotential unter entankerten Bedingungen mehr und mehr zunimmt. Gleichzeitig ist eine viel stärkere gegenseitige Durchdringung dieser Bereiche beobachtbar, die ihrerseits natürlich wiederum wichtige Konsequenzen für die entsprechenden Forschungskonzeptionen hat. Soll auf deskriptiver Ebene zunächst festgestellt werden, wie sich die ökonomischen Tauschbeziehungen jenseits der zur Ideologie gewordenen Maximen des homo oeconomicus präsentieren, müssen in explikativer Hinsicht allokative Ressourcen, deren Machtkomponente und Verfügungspotentiale als Erklärungsdimension Beachtung finden. Denn auch die Kulturalisierung der Ökonomie findet nicht machtfrei statt. Alles, was Bestandteil sozialkultureller Wirklichkeit wird, ist Ausdruck der Vermögensgrade der Transformation und Reproduktion. Die Potentiale an Verfügungs- und Kontrollbereichen der jeweiligen Subjekte legen die jeweiligen Grade der Gestaltbarkeit fest. Nicht, daß autoritative Ressourcen und Regeln hier bedeutungslos wären. Doch für die ökonomiezentrierte Analyse alltäglicher Regionalisierungen ist der Beachtung der allokativen Ressourcen zunächst Vorrang einzuräumen. Mit den allokativen Ressourcen wird nach Giddens die Verfügungs»gewalt« Handelnder über drei Bereiche thematisiert: erstens über »materielle Aspekte der Umwelt« bzw. Rohmaterialien, zweitens über materielle Artefakte als »Produktions- und Reproduktionsmittel« bzw. Technologien und Instrumente, die für Produktion und Reproduktion notwendig sind, sowie drittens über »produzierte Güter«, bzw. Produkte, welche durch die Kombination der ersten beiden Bereiche hervorgebracht wurden. Bei der Thematisierung allokativer Ressourcen auf der konsumtiven Seite wird zunächst offensichtlich, daß Giddens’ Konzeption, als Kritik der marxistischen Konzeption der Produktionsverhältnisse entwickelt, in starkem Maße deren Sichtweise verpflichtet bleibt.18 Geht es Giddens darum zu zeigen, daß im Verhältnis von allokativen und autoritativen Ressourcen der Marxismus im Produktionsbereich ungerechtfertigterweise den allokativen für alle historischen Zeitabschnitte – und nicht nur für die Anfänge der Industrialisierung – den Vorrang gibt, dann bleibt diese Kritik auf halbem Wege stehen. Sie ist deshalb unvollständig, weil sie auf materielle Güter und Produkte beschränkt bleibt. Die Produktion symbolischer Güter, wie beispielsweise das Image eines Produktes oder Ortes, wird nicht thematisiert.19

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»Produzierte Güter« sind nicht nur als das Ergebnis von Rohmaterialien und Produktionsmitteln zu begreifen, sondern auch auf den Bereich symbolischer Güter und symbolischer/ideeller Werte von materiellen Gegebenheiten, wie Objekten und bedeutungsgeladenen Orten, zu beziehen.20 Was Marx (1958, 85) als »Fetischcharakter der Ware« identifiziert hat, ist zu einem wichtigen Aspekt marktwirtschaftlicher Produktion und Konsumtion geworden. Insbesondere über die Werbung und differenzierte Konstruktionen der »Fetischisierung« werden die produzierten Mythen des Alltags »in den Augen des Verbrauchers von Mythen« (Barthes, 1969, 113) zu eigenwertigen Einheiten der Konsumtion, welche häufig den Zugang zum materiellen Gehalt der Güter mitbestimmen. Nicht nur materielle Produkte und ihr praktischer Wert fallen in den allokativen Verfügungsbereich, sondern auch ihr symbolischer Wert. Das äußert sich alltagsweltlich in der Notwendigkeit der Sicherung der Verwendungsrechte symbolischer Werte von Gütern in wirtschaftlichen Tauschhandlungen. Allokative Ressourcen sind – so kann man Giddens’ Vorschlag über die allgemeine explikative Ebene erweitern – als Formen der Kontrolle und der Verteilung von Zugangschancen zu a) den Rohstoffen der materiellen Umwelt, b) dem technischen Gerät der Produktion und Reproduktion sowie c) den produzierten materiellen und symbolischen Gütern zu verstehen. Die ersten beiden Aspekte betreffen primär die produktionsbezogenen Regionalisierungen, dem dritten Aspekt kommt im konsumtiven Bereich vorrangige Bedeutung zu. Für die Agenda der Forschungsthemen ist festzuhalten, daß aufgrund dieser ersten Stufe der Operationalisierung bei der Erforschung der praktischen Zugangschancen zu »Rohmaterialien« und »Produktionsmitteln« zunächst abzuklären ist, welche Mittel die Akteure für die Produktionspraktiken einsetzen, um Kontrolle und Herrschaft aufrechterhalten zu können. Zweitens ist danach Ausschau zu halten, welche Regionalisierungen als Formen der WeltBindung damit verbunden sind und welche Rolle diese ihrerseits erlangen, um das transformative Potential aufrechterhalten zu können. Für den konsumtiven Bereich ist vor allem die Zugänglichkeit im Sinne der Erwerbbarkeit das zentrale Differenzierungskriterium in der Lebensstilgestaltung. Hervorragende allokative Ressourcen sind die Verfügungsrechte, insbesondere als Privateigentum bzw. als Kontrolle des Privateigentums in Form von Kapital, Boden, Immobilien, Produktionsmitteln und anderen Gütern. Jede Form von Eigentum impliziert immer auch normative Rechte der Kontrolle

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materieller Gegebenheiten.21 Eigentums-, Miet- und Pachtrecht sind zentrale Formen, Verfügungs- und Zugangsbereiche unterschiedlich zu regeln. Die maßgeblichen Produktions- und Reproduktionsmedien globalisierter Lebensverhältnisse sind die zentralen Entankerungsmechanismen »Geld« und »Schrift«. Deshalb sind Finanz- und Informationsflüsse grundlegende Bereiche22 globalisierter Geographien der Produktion. Insgesamt ist davon auszugehen, daß Geographien der Produktion und der Konsumtion zunehmend in das Verhältnis von Globalisierung und Lokalisierung eingebunden sind.23 Wie bereits angesprochen, ist aber das fixe Kapital in Form von materiellen technischen Artefakten die zentrale Form der Kontrolle von Aktivitäten anderer über große räumliche und zeitliche Distanzen hinweg. Bei allen Formen des Einbezugs von allokativen Ressourcen – als transformatives Handlungspotential der Kontrolle und Aneignung der physischmateriellen Grundlagen des Handelns – ist schließlich danach zu fragen, welche Regionalisierungen aktiviert werden, um die Herrschaft über Rohmaterialien, Produktionsgeräte und Güter aufrechtzuerhalten. Um diese Zusammenhänge für die empirische Forschung erschließbar zu machen, ist somit eine differenziertere Operationalisierung von »allokativen Ressourcen« für den produktiven sowie den konsumtiven Bereich notwendig. Dieser Aspekt wird jeweils im zweiten Teil der beiden nächsten Unterabschnitte thematisiert. Geographien der Produktion

Zwei Fragen sind ins Zentrum der wissenschaftlichen Erforschung des alltäglichen Geographie-Machens als produktionsbezogene Regionalisierungen zu stellen: Wie beziehen die Produzenten die Welt auf sich? Welche Verfahren und Strategien der Welt-Bindung nutzen sie dafür? Die Bearbeitung dieser beiden Fragen setzt zunächst eine differenzierte Beschreibung der Organisationsformen der Produktion sowie der damit verbundenen Warenströme auf deskriptiv-analytischer Ebene voraus. Hier ist sicherzustellen, daß die effektiven ökonomischen Praktiken empirisch angemessen zur Darstellung gelangen. »Geographien der Produktion« werden zunächst über explizite Standortentscheidungen verwirklicht. Diese bleiben für alle unmittelbar körpervermittelten Aktivitäten – trotz »Verschwinden der Distanz« in anderen Bereichen menschlichen Handelns – in vielfältiger Hinsicht bedeutsam. Diese hatte Hartke (1962, 116) ausschließlich vor Augen, als er vom Geographie-Machen

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der großen Wirtschaftsführer sprach, die über ihre Investitionstätigkeiten tagtäglich »geography-making« betreiben. Sie gehören diesbezüglich nicht nur als Hersteller von räumlichen Ordnungen zu den wichtigsten wirksamen Geographen, sondern gerade auch als Instanzen der ökonomischen Welt-Bindung. Freilich sind es nicht nur die Wirtschaftsführer, die in diesem Sinne (Wirtschafts-)Geographie machen, sondern alle Subjekte, die in der Lage sind, Standortentscheidungen als räumliche Festlegungen der Basis von alltäglichen ökonomischen Akten der Produktion zu treffen. Grundsätzlich können Subjekte diese Entscheidungen im eigenen Namen oder im Namen staatlicher und anderer Institutionen sowie von Unternehmungen unterschiedlichster Größenordnungen und Wirkungsbereiche treffen. Sie legen damit in jedem Fall den Bezugspunkt fest, auf den die produktiven Regionalisierungen räumlich ausgerichtet werden. Alltägliche Regionalisierungen der Produktion werden auch von der raumwissenschaftlichen Geographie, der raumwirtschaftlichen Theorie und Empirie,24 aber auch von der raumzentrierten Soziologie der »Chicago School of Sociology« von Burgess (1925), Park/Burgess/McKenzie (1925) sowie Hoyt (1939) erforscht. Stehen bei raumwissenschaftliche Forschung optimale ökonomische Verteilungs- und Gleichgewichtsfragen im Zentrum, so fragen die Chicagoer Human-/Sozialökologen nach den Gründen für die vorfindbaren urbanen Zonierungen von Ethnien, Einkommensklassen, Religionszugehörigkeiten usw. Sie berücksichtigen soziale Aspekte wie auch emotionale Affinität zur Erklärung der Anordnungsmuster.25 Das Erklärungsinteresse richtet sich auf die vorfindbare räumliche Ordnung im Sinne der Raummuster der Wohnstandorte von Personen mit bestimmten, soziologisch für relevant gehaltenen Merkmalen.26 Damit befindet man sich in den Fängen raumwissenschaftlicher Argumentationsmuster.27 Dies ist mit einer tätigkeits- und subjektzentrierten »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« zu vermeiden. Die Zirkularität der Verweise soll durchbrochen und die Zielrichtung der Erklärungen neu ausgerichtet werden. Ziel ist ebensowenig die Erklärung der sogenannten Raumordnung wie des Entstehens von geographisch-wissenschaftlich festgelegten, quasi-naturhaft vorgegebenen Regionen. Ihr Erkenntnisinteresse kann zwar auch rekonstruktiver Art sein, aber nicht auf den Raum der ökonomischen Infrastruktur oder das politische Territorium gerichtet, sondern vielmehr auf die Rekonstruktion der Art, wie die Produzenten die Welt für ihre Zwecke auf sich beziehen und welche sozial-ökonomischen Bedeutungen dabei die aktu-

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elle »Geographie der materiellen Dinge«, insbesondere auch jene der Infrastruktur, erlangen. Wie Henderson (1989, 9f.) im Rahmen seiner Analyse der Globalisierung der Produktion von Spitzentechnologie (»semiconductor technologies«) betont, sind die Produktionsstätten auch unter entankerten Bedingungen immer an einen spezifischen räumlichen Standort gebunden. Doch die Art der Arbeitsteilung, die daraus resultierenden sozialen Positions-Differenzierungen und territorialen Entwicklungen sind über die Entankerungsmechanismen im Produktionsbereich derart revolutioniert worden, daß bisherige Konzepte der Regionalanalyse und der Regionalentwicklung überholt sind: »The general traditions of analysis that might help us to understand these processes are, in addition to their problems, flawed in terms of their concepts of space and time. This is particularly true for (…) urban and regional studies« (Henderson, 1989, 10). Dafür ist das Verschwinden der territorialen Einheit von sozialen, ökonomischen und politischen Aspekten städtischer und regionaler Wirklichkeiten verantwortlich. Konsequenterweise kommt keine Forschungsmethodologie darum herum, ihre Basisprinzipien auf jene Aspekte globalisierter Produktion abzustimmen.28 Das heißt, ein Forschungsszenario für empirische Untersuchungen ist so zu gestalten, daß es produktspezifisch sowohl die Veränderungen des Arbeitsprozesses als auch jene der Kapital- und Güterströme mit ihrer globalen Organisation und Koordination einbeziehen kann. Auf der deskriptiv-analytischen Ebene ist die entsprechende empirische Forschung darauf zu konzentrieren, wie Produktionsprozesse räumlich-zeitlich organisiert sind. Das umfaßt die Analyse der Standortentscheidungen der einzelnen Fertigungsschritte wie auch die Rekonstruktion der Beschaffung der Rohmaterialien und der Warenflüsse für die Herstellung verschiedenster Produkte. Die Konzentration auf produkt- und fertigungsspezifische Vorgänge ist wiederum die Konsequenz einer grundsätzlich handlungszentriert-lebensweltlichen Ausrichtung des Erkenntnisinteresses. Nicht die transportierte Gesamtmenge eines bestimmten Rohstoffes interessiert vorrangig. Vielmehr sind es die jeweiligen Güterströme, die ein Produzent für die Herstellung eines einzelnen, erwerbbaren Produkts auf seine Produktionsstätte bezieht. Mit anderen Worten: Die materielle Welt-Bindung, welche die Produzenten zur Herstellung bestimmter Produkte durchsetzen und verwirklichen können, soll so angemessen wiedergegeben werden. Da es sich bei Rohstoffen und Warenflüssen ausschließlich um materielle Gegebenheiten handelt, kommen für die Darstellung der entsprechenden Er-

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gebnisse durchaus die traditionellen kartographischen Hilfsmittel analoger und digitaler Art in Frage. Die Ergebnisse bilden einerseits die Grundlage für die explikative Ebene und natürlich auch für die Erörterung der Fragen nach sinnvollen politischen Regionalisierungen. Andererseits sind sie aber auch didaktisch äußerst bedeutsam. Denn auf dieser Ebene geht es vor allem um die Entwicklung einer empirisch angemessenen rekonstruktiven Darstellung von Geographien der Produktion. Auf explikativer Ebene stehen die Vermögensgrade der Kontrolle über Rohstoffe, materielle Güter und Produktionseinrichtungen in bezug auf die Macht der regionalisierenden Welt-Bindung der Produzenten im Zentrum des Forschungsinteresses. Damit soll ein vertiefter Einblick in die Bedingungen und Konsequenzen ökonomischer Praktiken erreicht werden, und es ist vor allem zu klären, wie die zu beobachtenden Gegebenheiten der Produktion entstehen konnten und welche Alternativen aus welchen Gründen nicht verwirklicht wurden. Da allokative und autoritative Ressourcen in der Alltagspraxis immer eng aneinander gekoppelt sind, wird es wichtig, auch die sozialen und insbesondere die territorial definierten sozial-rechtlichen Bedingungen der Produktion aufzugreifen. Diese thematische Analyse kann – aufgrund der hier gewählten Analytik und Abfolge der Erörterung der theoretischen Grundlagen – erst über die empirische Forschungspraxis geleistet werden. Doreen Massey (1984) hat bereits darauf hingewiesen, daß eine »geography of production« konzeptionell nicht so angelegt werden kann, als wären alle beobachtbaren alltäglichen Wirtschaftsgeographien Ausdruck geographischer Verhältnisse. Seit Beginn der achtziger Jahre ist immer deutlicher geworden, daß die Gestaltungs- und Reproduktionspotentiale bzw. die Ermöglichung und Verhinderung alltäglichen Wirtschaftens immer weniger als Ausdruck materiell-geographischer Verhältnisse gedeutet werden können: »It was important to step back a bit from the immediacy of the geographical question and answer« (Massey, 1984, 14). Ihr Gegenvorschlag marxianischer Ausrichtung29 läuft darauf hinaus, zur Erklärung der Geographie der Produktion die Produktionsverhältnisse ins Zentrum zu stellen. Das daraus abgeleitete Forschungsinteresse kann mit der »Erforschung der Prozesse der räumlich bzw. regional ungleichen Entwicklung« als Ausdruck der räumlichen Arbeitsteilung umschrieben werden, wie es jüngst – wie gesehen – wiederum von Harvey (1996) als programmatischer Fixpunkt postuliert wird.

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Die Wirksamkeit der Entankerungsprozesse sowie die damit einhergehende Globalisierung und Veränderung der Produktionslogiken legen aufgrund der bisher entwickelten Argumentation jedoch eine Analyse der Geographien der Produktion in subjekt- und handlungszentrierter Weise nahe. Denn es ist davon auszugehen, daß holistisch-strukturalistische Ausrichtungen der Analyse und deren Konzentration auf die Produktionsverhältnisse mit fortschreitender Entankerung und Globalisierung sowie der darin aufgehobenen Subjektivierung zunehmend kürzer greifen. Der strukturellen Komponente – bzw. den sozialen Verhältnissen der Produktion – hat die Analyse der produktionsbezogenen Strukturationsprozesse ökonomischer Wirklichkeit Rechnung zu tragen.30 Zu klären ist, auf welche thematischen Felder sich diese Analysen beziehen könnten. In unmittelbar körpervermittelter Hinsicht ist zunächst darauf hinzuweisen, daß viele raum-zeitliche Pfade der in die Produktion involvierten Subjekte mitbestimmt sind von den Standortentscheidungen, die andere getroffen haben. Darin äußert sich eine erste Form allokativer und autoritativer Kontrolle der Alltagsgeographien produzierender Subjekte, indem diese raum-zeitlich an den Produktionsstandort gebunden werden können. Diese Bindungen sind Ausdruck von Vermögensgraden der Transformation, die andere gehabt haben und/oder haben. Wie Harvey (1970; 1985, 141ff.; 1989, 180ff.) eindrücklich zeigt, zeichnen sich moderne Wirtschaftsformen seit der Industrialisierung zunehmend dadurch aus, daß Kapitalkreisläufe in erheblichem Ausmaß durch Investitionen als »fixed capital« von der gebauten Umwelt absorbiert werden. Dazu gehören natürlich auch die materiellen Artefakte der Produktionseinrichtungen, von den einfachsten Geräten bis zu den computergesteuerten Produktionshallen.31 Die Kontrolle über diese materiellen Artefakte der Produktion »steuert« die Geographien der produzierenden Subjekte in entscheidendem Maße. Darauf hat bereits Weber (1951, 473) in seiner Analyse des Rationalisierungs- und Vergesellschaftungsprozesses hingewiesen. Die Welt des Handelns besteht zunehmend aus Artefakten, die der rationalen Kenntnis und Kontrolle bei entsprechenden allokativen Ressourcen zwar zugänglich sind, aber immer seltener vom Benutzer selbst hervorgebracht wurden. Die Handlungen orientieren sich immer mehr an eindeutigen, von anderen mittels Artefakten geschaffenen Erwartungen. Darin sind die Geographien der Produktion aufgehoben, die natürlich immer auch autoritative Ressourcen implizieren bzw. politisch-normative Geographien. Damit ist gleichzeitig die

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überragende Bedeutung der Welt der materiellen Artefakte für die verschiedenen Vergesellschaftungsformen des produktiven Wirtschaftens angedeutet. Je konsequenter jemand den Produktionseinrichtungen »ausgeliefert« ist, desto radikaler ist die Vergesellschaftung seiner Tätigkeiten – unter Umständen über große räumlich-zeitliche Distanzen hinweg. »Die höchsten Triumphe feiert (…) die rationale Abrichtung« der artefaktevermittelten Produktion dann, wenn die Handlungen der Menschen völlig den Anforderungen der materiellen Artefakte (beispielsweise Maschinen) angepaßt werden, so daß die Handlungsabläufe »neu rhythmisiert« (Weber, 1980, 686) werden. Dabei spricht Weber zwar explizit vom »modernen kapitalistischen Werkstattbetrieb«, was die Verallgemeinerung auf die gesamte ökonomische Infrastruktur nicht ausschließt. Die damit postulierte Möglichkeit der Verallgemeinerung verweist auf die Bedeutung der allokativen Ressourcen bei der Erstellung der produktiven Infrastruktur, eine zentrale Form der Geographien der Produktion. Zu deren Erklärung sind differenzierte Fragen nach der Herrschaft über die Mittel der Produktion der erdräumlichen Infrastruktur und über die Mittel der Produktion von Gütern sowie deren symbolischer Inszenierung zu stellen und anhand der Resultate entsprechend konzipierter empirischer Forschung zu beantworten. Ein für den unmittelbar körpervermittelten lebensweltlichen Handlungsbereich wichtiges Beispiel der Produktion materieller Artefakte ist jenes von Wohnungen. Hier wird besonders gut einsichtig, wie sehr alltägliche räumlich-zeitliche Pfade der Subjekte von der Produktion der gebauten räumlichen Mitwelt – und natürlich auch von den sozialen Regelungen des Zugangs zu ihr – bestimmt werden. Odermatt (1997, 33) weist darauf hin, daß in diesem Bereich alltäglicher Regionalisierungen ein Konstitutionsvorteil der Produzenten gegenüber den Konsumierenden in der Materialisierbarkeit ihrer Auffassungen von Interaktionsformen und Lebensstilen besteht. Zusätzlich dürfte insbesondere auch die Herrschaft über den nicht vermehrbaren Boden zu einem Durchsetzbarkeitsvorteil führen, der in anderen Produktionsbereichen nicht in gleichem Maße gegeben ist. Neben den Eigentümern und Investoren sind bei der Produktion von Wohnungen und deren räumlicher Anordnung auch die sogenannten »gatekeeper« zentrale Instanzen der produktiven Regionalisierung. Damit werden – nach Dunleavy (1980)32 – Subjekte im Bereich der Wohnungsproduktion bezeichnet, welche vermittels allokativer Ressourcen (Verfügungspotential

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über Boden und Produktionsmittel) und autoritativer Ressourcen (Verfügungspotential über Personen des Zugangs) über die Macht verfügen, Gestaltung, Anordnung und (den finanziellen) Zugang zu Wohnungen zu kontrollieren. Derart schaffen sie die Wohnstandortverteilung vermittels ihres Potentials der produktiven Welt-Bindung und treffen Vorentscheidungen über das Möglichkeitsfeld der konsumtiven Regionalisierungen. Konsumtive Regionalisierungen finden natürlich immer unter produktiv geschaffenen Bedingungen statt. Doch die Chronologie der modernen und spät-modernen Konsumtion zeigt,33 daß sich die gegenseitigen Bestimmungsgewichte aufgrund der Entankerungsmechanismen und der zunehmenden Subjektivierung der Lebensführung in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verändert haben. Geographien der Konsumtion

Lokaler Konsum hat heute Einfluß auf die lokalen Geographien der in die Produktion involvierten Subjekte an weit entfernten Orten.34 Diese Formen alltäglichen Geographie-Machens sind allerdings weit weniger offensichtlich. Wie aber Tepper Marlin (1992) andeutet und Dicken (1992) nachweist, ist die Konsumtion tatsächlich in entscheidendem Maße für die Strukturation der weltwirtschaftlichen Tauschbeziehungen zuständig. Damit sind auch ökonomische Regionalisierungen und entsprechende Welt-Bindungen über große Distanzen hinweg verbunden. Im Bereich der Konsumtion tätig oder Konsument zu sein, heißt, auf eine besondere Art und von einer spezifischen Position aus mit Gütern in Kontakt zu gelangen. Weisen Produzenten über den Prozeß der Herstellung – trotz dessen vielfältigen Ausdifferenzierungen und Aufsplittungen – eine primäre Beziehung zum Produkt auf, hat der Konsument lediglich eine sekundäre. Er »hat« es aus zweiter Hand. Doch gleichzeitig wird hier die aufgesplittete Beziehung in der Produktion auf der Konsumtionsseite durch die Einheit des Produkts aufgehoben. Die daraus resultierende »Konsumgesellschaft« impliziert für die verschiedenen Typen alltäglicher Regionalisierungen eine äußerst wichtige Konsequenz: Die konsumtive Produktebeziehung wird zu einer prominenten ökonomischen Form der Welt-Bindung, zur vordergründig wichtigsten ökonomischen Form alltäglicher Regionalisierungen der Lebenswelt. Hatte jene der produktiven Beziehung in den Industriegesellschaften in jeder Hinsicht Vorherrschaft, wird diese in der Unmittelbarkeit nun durch die konsumtive ab-

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gelöst: »consumption provides (now) the only arena left to us through which we might potentially forge a relationship with the world« (Miller, 1995a, 17). Die mit einem bestimmten Konsumstil verbundenen Entscheidungen mögen einzeln alle trivial sein. Die Wahl zwischen verschiedenen Marken desselben Artikels oder zwischen dem Ersetzen eines alten Staubsaugers oder eines MP3-Players ist banal. Doch man sollte nicht übersehen, daß mit dem immer tieferen Eindringen von fortschreitend verfeinerter »Vermarktlichung« des normalen Alltagslebens erstens die Zahl solcher Entscheidungen zunimmt, der Bereich ihrer Konsequenzen sich zweitens inhaltlich ständig ausbreitet und sich drittens in räumlich-zeitlicher Hinsicht ausdehnt. Trotz aller Trivialität sind diese Entscheidungen eine mächtige Instanz. Sie sind grundsätzlich nichts anderes als der radikale Ausdruck der Wählbarkeit, einem Grundprinzip der Moderne, sowohl auf politischer (Demokratie) als auch auf geldwirtschaftlicher Ebene (Markt).35 Der Titel von Tepper Marlins u. a. Publikation, »Shopping for a better World« (1992), vor allem aber seine politische Wirksamkeit verweisen auf das angedeutete, wachsende Mitbestimmungspotential der Konsumtion für die Produktion. Die gesteigerte Macht der Konsumenten gegenüber den Produzenten ist dabei in mehrfacher Hinsicht Folge räumlich-zeitlicher Entankerung. Das zeigt sich zunächst in der Anfälligkeit der Produzenten für einen global organisierten Boykott eines bestimmten Produktes.36 Diese Möglichkeit zwingt die Produzenten in besonderem Maße zur Imagepflege. »Image« wird unter diesen Bedingungen zu einem wesentlichen Verkaufsfaktor, so daß dessen Politisierung, wie das Trepper Marlin u. a. mit ihrem Führer für »korrektes Einkaufen« erreicht haben, zu einem höchst sensiblen Faktor für global operierende Produzenten wird. Die überaus absatzwirksamen Konsequenzen der Beurteilung der größten Unternehmen in bezug auf Frauen- und Minderheitenförderung, Sozial- und Informationspolitik, Tierexperimente, Familienfürsorge usw. demonstrieren – zusammen mit dem Einflußpotential anderer Konsumentenorganisationen – den steigenden Einfluß der Konsumtion auf Ausrichtung und Verwirklichung der Produktion. Befolgte Boykottaufrufe gegen jene Produzenten, welche in den genannten Kriterien schlecht abschnitten, legen aber nur eine Seite des veränderten Lenkungspotentials der Konsumtion für Warenströme offen. Vor allem der in Lebensstilen eingebettete Konsum nimmt zunehmend Einfluß auf die Art der produzierten Güter. Er ist die zentrale Instanz, über welche konsumierende

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Subjekte variable Teile der Güterströme – und damit die Welt der materiellen Güter – auf sich beziehen. Diese konsumtiven Welt-Bindungen bzw. Regionalisierungen sind über die Erforschung der entsprechenden Lebensstile zu erschließen, der geographischen Analyse des »lifestyle shopping« (Shields 1992, 1). Letzteres ist aber nicht nur als die werbemäßige Inszenierung des Marketings zu begreifen, sondern spielt auch beim Versuch des Gestaltungszugriffs auf Konsumgewohnheiten eine Rolle. Von der Subjektseite ist diese Sonderwelt spät-moderner Lebensstile als der Registrationsbereich der gegenseitigen Abhängigkeit von Subjektivität und Güterkonsumtion zu begreifen. Das Verhältnis von Subjektivierung, Konsumtion und den globalen Bezügen des Lebensstils führt unter spät-modernen Bedingungen schließlich zur Entstehung neuer Identifikationsmuster.37 Konsequenterweise darf man nicht der Vorstellung erliegen, »Konsumtion« wäre lediglich eine determinierte Folgeerscheinung der Produktion. Sie ist vielmehr ein aktiver Prozeß, »eine andere Produktion, die ›Konsum‹ bezeichnet« und von den Subjekten kaum merkbar hervorgebracht wird, sie »ist listenreich und verstreut, aber sie breitet sich überall aus, lautlos und fast unsichtbar« (de Certeau, 1988, 13). Unsichtbar bleibt dieser Prozeß, weil er keine klar identifizierbaren eigenen »Produkte« im hergebrachten Sinne zeitigt. Die in der Konsumtion aufgehobene »Produktion« äußert sich vielmehr in der Kunst des Brauchens von Produkten, der »Umgangsweise« mit ihnen. Das Ergebnis aktiver Konsumtion kann somit in der Verwirklichung eines Stils erkannt werden, der seinerseits eine Art soziales und symbolisches Kapital der Repräsentation nach Bourdieu darstellt.38 Gleichzeitig wird es unter spät-modernen Bedingungen zu einem integralen Bestandteil der Produktion des »Selbst« und der Entwicklung der Selbstidentität.39 Die sozialgeographische Untersuchung der alltäglichen Geographien der Konsumtion ist in diesem Sinne gleichzeitig als Erforschung einer wichtigen Dimension der alltäglichen Kulturgeographien zu konzipieren. Dabei sind die je spezifischen Kombinationen von Praktiken der Konsumtion und die in die Handlungsabläufe des Verzehrs integrierten Güter und Dienstleistungen zu untersuchen. Es ist davon auszugehen, daß sich jeder Lebensstil durch eine je spezifische Ausprägung dieser Kombinationen auszeichnet. Lebensstile sind der subjektspezifische Ausdruck dessen, was Bourdieu (1974b; 1979) als »Habitus« bezeichnet, Ausdruck gemeinsam geteilter symbolischer Codes und des Geschmacks. Sie sind aber weder regional, noch strikt herkunfts-, klassen- oder schichtspezifisch zu verstehen. Maffesoli (1988,

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12) spricht im Gegensatz dazu sogar von den »tribues de stiles de vie«, den Lebensstilstämmen, denen man zeitweise angehören kann, die aber im Prinzip – innerhalb spezifischer Budgets – immer wieder gewechselt werden können. Dabei kann sich jedenfalls ein Zugehörigkeitsgefühl entwickeln, das gleichzeitig den identitätsstiftenden Aspekt der Konsumtionskultur ausmacht. Mit dem zunehmenden Gewicht der Konsumtion und einer Gleichstellung mit der Produktion verdienen konsequenterweise Einzelhandel, Kaufhausketten40 und der entsprechende Verteilerapparat größere Aufmerksamkeit. Das weite räumlich-zeitliche Ausgreifen der Produktebeschaffung durch national und international operierende Supermarktketten hat letzteren eine bisher unbekannte Macht über lokale Produzenten gegeben und die Konsumenten aus saisonalen Zwängen »befreit«. Beide Momente haben auf der Konsumtionsseite wichtige ökologische Implikationen. Alle drei erhöhen auf der Seite der Konsumtion gleichzeitig sowohl das Feld möglicher Entscheidungen als auch das Gestaltungspotential und damit auch die Verantwortung in ökologischer Hinsicht. Auf der analytisch-deskriptiven Ebene sind entlang dieser argumentativ erschlossenen Themenfelder die aktuellen Geographien der Konsumtion lebensstilspezifisch mit ihren globalisierten und globalisierenden Implikationen – unter Berücksichtigung von deren lokalen Operationsbasen – empirisch gültig darzustellen. Zunächst impliziert dies in gewissem Sinne »Warenkorbanalysen« der privaten Haushalte,41 und zwar im Kontext der verschiedenen Lebensformen und -stile. Derart sollen die produktevermittelten Typen konsumtiver Welt-Bindungen systematisch erschließ- und darstellbar werden. Dabei ist den verschiedenen Lebensbereichen wie Ernährung, Bekleidung, Freizeit, Erholung usw. in gleichem Maße Rechnung zu tragen wie ihren lebensstilspezifischen inhaltlichen Aktualisierungen in Diäten,42 Mode, Sport, Kunst, Tourismus usw.43 Wie forschungspraktisch vorgegangen werden kann, illustrieren die Arbeiten von Phil Crang (1990; 1994). Er hat für seine Konsumtionsforschungen als Kellner in einem Lokal einer internationalen Restaurantkette anhand teilnehmender Beobachtung die entsprechenden Alltagsgeographien erforscht. Auf der Anbieterseite interessierten ihn erstens die Formen der Überwachung des Personals und der Prozesse der Essenszubereitung. Zweitens untersuchte er die Interaktionsformen zwischen Anbieter und Gästen und schließlich drittens – was hier besonders wichtig ist – die damit verbundene Konsumtion der (Eß-)Waren und deren lokale Inszenierung.

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Über Crang hinausgehend wären die Herkunft der Waren, die Organisation ihrer Verteilung und deren Verkauf durch die Restaurationskette sowie die entankerten kulturellen Inszenierungen empirisch zu rekonstruieren; kurz: Konsumtion und Produktion in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu erforschen. Dabei kommt aber der Konsumtion zunächst besonderes Interesse zu. Die entsprechenden konsumtiven Regionalisierungen sind als Ausdruck individuell gestalteter und global eingebetteter Lebensstile darzustellen. Im Zentrum dieser Forschungen soll die Frage nach den differenzierenden Einflüssen der Lebensstile auf Warenströme und der hier ihren Ausdruck findenden »Kulturalisierung der Wirtschaft« stehen. Besonders aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Studie »Die Moral auf dem Teller« von Wirz, die offenlegt, »wie sich in der Ernährung die Werte unserer Gesellschaft spiegeln« (1993, 1). Die Rekonstruktion der Ordnungsmacht des Essens, vom Teller bis zu Tischordnung, Körperregime, Eßwaren und Sozialstruktur, zeigt einerseits die enge Verknüpfung von Konsumtion und Moral, andererseits von Konsumtion, alltäglicher Geschichte und Geographie. Die Geschichte von Maximilian Oskar Birchers »Müesli« und John Harvey Kelloggs »corn flakes« zeigt, wie deren Entwicklung in die Geographie der Dinge und lokaler Kulturen eingebunden war. Sie macht gleichzeitig aber auch exemplarisch klar, welche Bedeutung die sozial-kulturellen Grundlagen für die Gestaltung der alltäglichen Geographien der Konsumtion haben. Ein weiterer wichtiger Bereich – insbesondere für die Analyse der lokalen Aspekte globalisierter Konsumtionsstile – ist die Frage nach der sozial-kulturellen Bedeutung der Standortwahl der spät-moderner »Konsumtionstempel«, den Orten einer neuen Form des öffentlichen Raumes.44 Hier ist eine kritische Hinterfragung der neoklassischen Orthodoxien, welche die Basispostulate der prominenten Standortmodelle, ausgehend von den Reinterpretationen des Modells von Thünens, jener von Weber und Christaller, Lösch und den Schülern dieser umfassenden Tradition beherrschen, besonders wichtig. Eine weitere deskriptive Basisarbeit in subjektiver Perspektive wird notwendig. Denn einerseits hat sich die Bedeutung der Distanzparameter völlig verschoben, andererseits ist die thematische Idealtypik der Modelle unter der kulturellen Pluralisierung spät-moderner Gesellschaften arg ins Wanken geraten. Welche Ausmaße ihre Mängel annehmen können, wird wiederum durch die aktuelle Marktforschung angedeutet. Dort wird nämlich festgestellt, daß die Einkaufsattraktivität immer weniger distanziell, sondern vielmehr durch

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»›Life-Style‹-Dimensionen« bestimmt ist. Gelingt es den Anbietern an einem Ort, den lebensstilspezifischen Erwartungen zu entsprechen, kann dieser – wie das Karutz (1996, 63) für Lüneburg und Ravensburg zeigt – eine weit über dem zu erwartenden Zentralitätsmaß liegende Attraktivität erlangen. Das bedeutet gleichzeitig, daß der Theorie der zentralen Orte, welche in ihren idealtypischen Annahmen45 lebensstilspezifische Aspekte unbeachtet läßt, sowohl der empirische Erklärungsgehalt für aktuell beobachtbare Anordnungsund Hierarchiemuster als auch das Planungspotential zunehmend entzogen wird.46 »Einkaufen« wird, ganz im Sinne von de Certeau, von den Konsumenten aktiv als Erlebnis konzipiert. Standorte werden entsprechend in Abstimmung mit Lebensstildimensionen bewertet. So wie es mehr und mehr einen »Tourismus ohne Raum« (Wöhler/Saretzki, 1996, 1) in dem Sinne gibt, daß für die Nachfragenden immer weniger die naturräumlichen Gegebenheiten ausschlaggebend sind, sondern zunehmend das Angebot lebensstilspezifischer Einrichtungen, so werden die Orte der Konsumtion nicht mehr primär distanziell, sondern zunehmend auf ihr Erlebnis- und Distinktionspotential hin bewertet.47 Diese Aspekte zuhanden der Regional- und Stadtentwicklungspolitik systematisch empirisch abzuklären, soll eine Aufgabe der Sozial-/Wirtschaftsgeographie alltäglicher Regionalisierungen sein. Dabei ist zu berücksichtigen, daß unter diesen neuen Bedingungen der Konsumtion die »Drehbücher im Kopf« der konsumierenden Subjekte sowohl die Art der Produktion, die Verteilung als auch die Standortwahl der Angebotsinszenierungen offensichtlich in einem bisher nie dagewesenen Ausmaße mitbestimmen. Die subjektiven Konstitutionen der Einkaufsszenarien sind das einzige Objektive der Welt der Konsumtion. Images von Produkten und Standorten werden zu zentralen Aspekten der alltäglichen Geographien der Konsumtion. Images dokumentieren nicht nur Lebensstile, sie sind vielmehr Teil ihrer Konstitution. Denn Konsumtion ist nicht nur eine rein ökonomische Aktivität, sondern eine multidimensionale. »Shopping for subjectivity« (Langman, 1992, 40) ist ein zentraler Aspekt der Konsequenzen der räumlich-zeitlichen Entankerung sowie Ausdruck der Subjektzentriertheit der Globalisierungsprozesse im Konsumtionsbereich. Mit der Radikalisierung der Entankerungsmechanismen wird die Bedeutung dieses Aspektes der Alltagspraxis in jeder Hinsicht wachsen, was für die »Angewandte Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« mit wichtigen Konsequenzen verbunden ist. Wird »Lifestyle« zum zentralen

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Prinzip der Konsumtion, dann müssen Profile für Städte und ihre Angebotsstruktur nach diesen Erwartungshaltungen entwickelt werden.48 In explikativer Hinsicht erlangen die allokativen Ressourcen besondere Beachtung. Das zentrale Medium der Allokation ist auch im Bereich der Konsumtion das Geld, als universales symbolisches – und demzufolge abstraktes – Medium des Tausches. Lebensstilausprägungen können auf allen Preis- und Lebensniveaustufen konstituiert werden, wobei in ökonomischer Hinsicht bei den untersten Einkommensstufen die geringsten Spielräume der Wahl verfügbar sind. Entsprechend fallen die geldmäßigen Vermögensgrade der konsumtiven Aneignung aus. Miller (1995a, 3) zeigt, daß der Lebensstil der spät-modernen Oberschichten die Produktion der ökonomisch Randständigen in jeder Hinsicht determiniert, allerdings nicht die Inhalte der Konsumtion. Wenn diese These auf den ersten Blick eine gewisse Plausibilität aufzuweisen scheint, bedarf sie doch differenzierter argumentativer und empirischer Abklärung. Denn der Umfang des verfügbaren Konsumtionsbudgets sagt nicht, unter welchen Bedingungen und von wem die begehrten Güter hergestellt wurden. Es dürfte schwer nachzuweisen sein, daß die Konsumtionsgüter der ökonomisch Randständigen ausschließlich von ökonomisch Randständigen produziert werden und umgekehrt. Das einkommensbedingte Zwangs- und Ermöglichungspotential ist in bezug auf die Konsumtion offensichtlich. Wie immer dies auch ausfällt, es sollte nicht übersehen werden, daß den Subjekten die Wahl nie abgenommen wird. Denn es ist zu erwarten, daß auch die klassenspezifischen Traditionen – wenn auch nicht die ökonomischen Zwänge – mit zunehmender »institutioneller Reflexivität« (Giddens, 1995, 52) bzw. der »reflexiven Modernisierung« (Beck, 1993, 57) in Auflösung begriffen sind. Wie angedeutet, sind im Sinne von Bourdieu vielmehr die Konsumtionsstile selbst als klassen- und schichtkonstitutiv zu betrachten. Jedenfalls bilden die verschiedenen, lebensstilspezifischen Konsumtionsmuster vielmehr die zu klärende Einheit, und nicht die erklärende. Nach ihrer Rekonstruktion können sie auf ihre regionalisierenden Implikationen hin befragt werden. Erst in diesem Zusammenhang ist eine Analyse und empirische Abklärung des Verhältnisses von Konsumtion und einkommensbezogener sozialer Schichtung sinnvoll. Wenn die konsumtionsspezifischen Arten des Handelns vom verfügbaren Budget nicht festgelegt werden, so sind Umfang und Zusammensetzung doch in jedem Fall nicht auch vom letzteren begrenzend bestimmt.

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Dies wird insbesondere bei der Konsumtion von Wohnungen und Adressen im städtischen Bereich offensichtlich. Odermatt (1997, 1) geht davon aus, daß bei den alltäglichen Regionalisierungen der Wohnung deshalb eine besondere Bedeutung zukommt, weil wir die unmittelbar körpervermittelten Tätigkeiten täglich von ihrem Standort aus – als Fix- und Ausgangspunkt zugleich – aus organisieren. Die Regionalisierung wird hier als Verhältnisrelation zwischen der räumlichen Anordnung der Güter, der handlungsrelevanten materiellen Einrichtungen sowie anderen räumlich situierten Akteuren und der räumlichen Lokalisierung des Subjekts über seine alltagsweltliche »Operationsbasis«, die Wohnung, vollzogen; als eine Art der körpervermittelten, räumlich-positionalen Form der Welt-Bindung, die zahlreiche soziale Relevanzen erlangen kann. Die räumliche Anordnung der bestehenden Wohnungen ist dabei als Ergebnis produktiven Handelns auf der Basis bestimmter allokativer und autoritativer Ressourcen zu verstehen, auf das konsumtive Handlungen Bezug nehmen, und nicht als »naturhafte« Gegebenheit. Die konsumtive Aneignung von Wohnungen erfolgt über Bezugnahme auf die Marktsituation und die allokativen und autoritativen Ressourcen, die für das Handeln vom Subjekt mobilisiert werden können. Daraus entsteht dann in der Interaktion der produzierenden und konsumierenden Subjekte innerhalb einer Siedlung die sozialökonomische Wertung von Wohnpositionen und konsequenterweise eine gewisse – wenn auch bis zu einem noch zu bestimmenden Grade durchlässige – räumliche Ordnung der Wohnstandorte der Subjekte nach Einkommensund Sozialstatus. Je nachdem wie sich das Verhältnis von Marktsituation und allokativen sowie autoritativen Ressourcen gestaltet, verfügen verschiedene Subjekte auf dem Wohnungsmarkt auch über unterschiedliche Potentiale der konsumtiven Aneignung. Differenziert nach dem Interpretationsvermögen der Zugangsregeln, hat – hypothetisch formuliert – die räumliche Lokalisierung der Subjekte für ihre weiteren sozialen Interaktionsformen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Die entsprechenden Zugänge werden autoritativ durch Eigentümer, Agenturen und Vermittlerinstanzen kontrolliert. Die Position eines Subjektes in der zonalen Einteilung der Wohngebiete wird als Adresse schließlich sowohl zum symbolischen und als auch sozialen Kapital. Die Adresse ist aber nicht nur für die körpervermittelte Praxis bedeutsam. Sie ist vor allem auch für jedes Subjekt »als Platz im angeeigneten physischen Raum (der) hervorragende Indikator für (seine) Stellung im so-

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zialen Raum« (Bourdieu, 1991c, 26). Wie die Adresse zu einem eigenen (symbolischen) Gut der Konsumtion und sozialen Reproduktion werden kann, ist empirisch abzuklären.49 Hypothetisch kann für diese Abklärung davon ausgegangen werden, daß die »gute Adresse« auf symbolische Gehalte von Orten Bezug nimmt, die ihrerseits Ausdruck der sozialen Reputation bereits ansässiger Bewohner sind. Der sozial-symbolische Wert, welchen der Ort bzw. eine Ortsbezeichnung erlangt, kann zu einem zentralen Element der sozialen Repräsentation und der Konsumtion werden. Sich über die Adresse einen Teil dieses symbolischen Kapitals anzueignen, macht die konsumtive Komponente der Wohnstandortentscheidung in symbolischer Hinsicht aus. Über diese Form der Konsumtion wird eine Regionalisierung bzw. Welt-Bindung vollzogen, die auf der sozialen Aneignung einer physischen-materiellen Konstellation beruht. Die Konsumtion betrifft aber weder »Raum« noch »Materie«, sondern deren sozial konstituierten symbolischen Wert. Die Adresse wird in dieser Form zu einem wesentlichen Teil des Lebensstiles50 und der sozial angeeignete erdräumliche Ausschnitt im symbolischen Sinn zum sozialen »Raum der Lebensstile« (Leuthold, 1996, 6). Er stellt eine symbolische Repräsentation der sozialen Welt dar und ist Ausdruck der sozial klassifizierenden Distinktionspraktiken. Die Repräsentation der sozialen Welt läßt sich aber »niemals ganz auf Beziehungen objektiver geographischer (…) Nähe reduzieren« (Bourdieu, 1983, 191). Stimmt man dem zu, ist konsequenterweise auch für jene Lebensbereiche, die bisher mit einer gewissen Plausibilität in erdräumlichen Kategorien und mit raumwissenschaftlichem Tatsachenblick als »Gegenstände« der wissenschaftlichen Geographie thematisiert wurden, eine Umkehrung der Forschungslogik notwendig: Nicht die räumliche Erforschung sozialer Wirklichkeiten ist das Programm, sondern die Abklärung der Bedeutung des Räumlichen für Konstitution und Reproduktion sozialer Wirklichkeiten. Ökologische Beurteilung globalisierter Lebensformen

Produktion und Konsumtion sind die zentralen Bereiche der Transformation der Natur bzw. der Lenkung bestimmter Formen davon.51 Deshalb hat eine geographische Perspektive ökologischer Beurteilung auch auf die subjektiv lebensstilbezogenen Arten des Produzierens und Konsumierens einzugehen. Sie kann nicht mehr bloß in landschaftsbezogenen Beurteilungen traditionell

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lokal verankerter Produktionsformen und in räumlich definierten Tragbarkeitspotentialen bzw. landschaftsökologischen Fragestellungen verharren. Die subjekt- und handlungszentrierten Beurteilungen von produktiven und konsumtiven Regionalisierungen dürfen auch hier die Bedeutung der konsumtiven Dimension keinesfalls unterschätzen. Wie Miller (1995a, 3) betont, hatten beispielsweise die Vertreter zahlreicher Länder der Dritten Welt darauf gedrängt, die Konsumtion in der Ersten Welt zu einem der Hauptthemen der Rio-Konferenz von 1992 zu machen. Der spät-moderne Konsumtionsgeschmack wurde damit als eine der Hauptdimensionen der Umweltpolitik erkannt. Welches Gewicht dieser Thematik in Auseinandersetzungen im Vorfeld der Tagungsorganisation auch von Vertretern der sogenannten Ersten Welt zugewiesen wurde, kann daran erkannt werden, daß sie seine Ausklammerung nur durch gleichzeitigen Verzicht auf die Thematisierung des Problemfeldes der Geburtenkontrolle politisch »erkaufen« konnten. Für die ökologische Beurteilung von lokal gelebten Lebensstilen, die in weltweite Austauschbeziehungen eingebettet sind, bestehen mehrere Vorschläge. Der erste stammt von Wackernagel/Rees (1996). In ihrer »footprint method« geht es darum, die ökologische Belastung von bestimmten Lebensformen zu beurteilen, und zwar nicht nur für die an Ort und Stelle genutzten bzw. verbrauchten Potentiale, sondern auch unter Berücksichtigung der an ganz anderen Stelle der Erde entstehenden Konsequenzen. Damit bleibt die Konzeption zwar immer noch der räumlich definierbaren Tragbarkeitsidee verpflichtet, öffnet aber zumindest den Blick für globalisierte Produktionsund Konsumtionszusammenhänge und -bedingungen: »Ecological footprint analysis is an accounting tool that enables us to estimate the resource consumption and waste assimilation requirements of a defined human population or economy in terms of corresponding productive land area« (Wackernagel/Rees, 1996, 9). Dementsprechend ist zu klären, welchen »ökologischen Fußabdruck« Produktion und Konsumtion einer lokalen Population an anderen Stellen der Erdoberfläche hinsichtlich Energieverbrauch, Abfallproduktion, Raubbau, Störung lokaler ökologischer Gleichgewichte usw. hinterläßt. Dafür sind im globalen Kontext Bilanzen zu erstellen. Konsequenterweise ist für jede Person innerhalb einer spezifischen Lebensform und Population der entsprechende Flächen-, Energieverbrauch usw. auf der Erdoberfläche insgesamt zu errechnen. So wurde beispielsweise errechnet, daß heute die pro Person auf der Erde verfügbare Fläche durchschnittlich 1,5 ha beträgt, daß aber der ökologi-

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sche Fußabdruck, die eine typische nordamerikanische Person mit ihrem Lebensstil ernährungsspezifisch bei nachhaltiger Produktion hinterläßt, mindestens 4–5 ha umfaßt. Würden alle Erdbewohner so leben, wäre bei gleicher Produktionstechnologie ein dreimal so großer Planet notwendig. Ziel des vorgeschlagenen Verfahrens – »the planning for a sustainable future« (Wackernagel/Rees, 1996, 28) – ist letztlich eine normative Zielvorgabe zur Entwicklung von Lebensformen, welche in globalen Bezügen nachhaltig durch die natürlichen Tragbarkeitspotentiale abgestützt sind. Ob ein solches Ziel überhaupt erreichbar sein kann, soll hier nicht diskutiert werden. Der vielleicht wichtigste Aspekt dieses Verfahrens liegt aber nicht in der Erreichbarkeit bestimmter normativer Vorgaben, sondern wohl eher in einer erweiterten geographischen Thematisierung der ökologischen Aspekte durch den besseren Einbezug globalisierter Handlungs- und Lebenszusammenhänge. Die ökologische Beurteilung von Lebensstilen müßte – durchaus entlang den von Wackernagel/Rees angesprochenen thematischen Dimensionen – konsequenter auf Handlungszusammenhänge und ihre produktiven und konsumtiven regionalisierenden Implikationen ausgerichtet werden. Was für die Analyse der regionalisierenden Implikationen von Produktion und Konsumtion unter entankerten Bedingungen gilt, hat auch für ihre ökologische Beurteilung Gültigkeit: sie hat auf deren interne Logik Bezug zu nehmen. Die Rekonstruktion der Warenströme und Produktpfade für Produktion sowie Verteilung und die Konfrontation der Konsumenten mit den entsprechenden Verfahren wäre ein Schritt in diese Richtung. Dabei brauchen nicht eigentlich räumliche Belastungsparameter im Vordergrund zu stehen. Vielmehr könnten organische Bedürfnisse der menschlichen Körper ins Zentrum gestellt werden. Derart ließe sich verhindern, daß weiterhin nicht diskursiv befragbare Instanzen des Schutzes und der Erhaltung zur Legitimation ökologischer Forderungen vorgeschoben werden.52 Die ökologische Kritik lebensstilspezifischer Praktiken darf nicht übersehen, daß alltägliche Praktiken immer sozial strukturiert bzw. auf strukturelle Verhältnisse bezogen sind. Die Kritik kann sich somit nicht nur an die Subjekte richten.53 Die Veränderung der regionalisierenden Geographien der Produktion und Konsumtion hat auch die strukturellen Aspekte bzw. die Verhältnisse in bezug auf allokative und autoritative Ressourcen sowie geltende moralische und semantische Regeln der Interpretation einzubeziehen. Dies trifft – wie auch Mary Douglas (1985; 1990) in anderer theoretischer Per-

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spektive betont – sowohl auf die als ökologisch problematisch identifizierten Praktiken der Produktion und Konsumtion als auch auf jene der Problemidentifizierung zu. Die Identifizierung von ökologischen Risiken ist immer auch an den Deutungshorizont des verfügbaren Wissens gebunden und an kulturelle Wertestandards der Interpretation der Relevanz der Gefährdung. Diese Bedingungen erfahren im Rahmen der Globalisierung eine doppelte Akzentuierung. Einerseits sind die physisch-weltlichen Konsequenzen ökologisch problematischer Geographien der Produktion und Konsumtion globalen Ausmaßes. Sie sind weder an sprachliche noch territorial-politische Grenzen gebunden. Andererseits sind sowohl die Praktiken der Problemidentifizierung als auch die politischen Maßnahmenkataloge ein Feld mannigfaltiger Wirklichkeiten. Wie bei den wirtschaftlichen Entwicklungen wird auch in diesem Bereich konsequenterweise immer offensichtlicher, daß politische Zuständigkeitsbereiche nur mehr begrenzt auf die aktuellen Problemsituationen abgestimmt sind. Zusammenfassung

Sowohl die Geographien der Produktion als auch jene der Konsumtion, welche die Subjekte hervorbringen, implizieren je spezifische Formen alltäglicher Regionalisierungen. Der Zusammenhang von Globalisierung und Regionalisierung zeigt natürlich auch in territorial abgrenzbarer Form seine Auswirkungen. Darauf weisen u. a. Krätke (1995, 207), Bailly (1995, 4) und Nuhn (1997, 138) hin. Doch das Entstehen neuer »geographischer Verdichtungen« im Sinne neuer Wirtschaftsregionen ist jene Seite, die vor allem in regionalgeographischer Hinsicht von besonderem Interesse ist.54 Subjektzentrierte Regionalisierungen sind demgegenüber als Ausdruck unterschiedlicher Welt-Bindungen zu begreifen, in denen von den Subjekten Formen der Wiederverankerung unter spät-modernen Bedingungen verwirklicht werden. Jene der Produktion binden Personen, Rohstoffe, Güter, Kapital usw. unter Umständen über große räumlich-zeitliche Distanzen hinweg an die Orte der Fertigung. Allokative Ressourcen als Vermögensgrade der Kontrolle, Gestaltung und Veränderung sind entscheidend sowohl für die Ermöglichung als auch für die Verhinderung von Produktion. Subjekte, die produktionsspezifische Regionalisierungen verwirklichen, weisen eine primäre Beziehung zum Produkt auf. Die Entscheidung über die Art der zu produzierenden Produkte ist unter globalisierten Bedingungen in zunehmendem Maße durch die Konsumenten mitbestimmt.

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Die Regionalisierungen der Konsumtion beruhen auf sekundären Beziehungen zu den Produkten und entsprechenden subjektzentrierten Welt-Bindungen. Konsumenten unterscheiden sich über ihre Lebensstile, aber auch über ihre allokativen Vermögensgrade, in welchem Maße Produkte in die eigenen Handlungsabläufe integriert werden können. Konsumtive Regionalisierungen sind konsequenterweise auch Ausprägungen des Vermögens der Einflußnahme auf die Produktion und die Produktionsgestaltung. Dominierte in bisherigen nationalen Volkswirtschaften, auch während der Zeit des europäischen Imperialismus, eine beachtliche Übereinstimmung von ökonomischer und politischer Sphäre, wird auch diese mit zunehmender Intensivierung der Globalisierung der Bedingungen des Handelns aufgebrochen. Daraus ergeben sich fortwährend Abstimmungsprobleme zwischen dem Wirtschaftlichen und dem Politischen. Die deskriptiv-analytische Ebene der Rekonstruktion der Geographien der Produktion und der Geographien der Konsumtion soll dazu beitragen, die Ausprägungen der Übereinstimmungen und das Ausmaß der zunehmenden Überlagerungen differenziert identifizierbar zu machen. Die explikative Ebene der Erforschung dieser alltäglichen Regionalisierungen soll die Rekonstruktion der Reproduktions- und Transformationspotentiale alltäglicher Wirtschaftsgeographien in globalisierten Bezügen ermöglichen. Damit soll der Wirkungsbereich angewandter Geographie den sozialontologischen Veränderungen entlang den räumlich-zeitlichen Transformationen angepaßt werden. Die Geographie globalisierter Lebensverhältnisse ist derart in Forschung, Anwendungspraxis und Didaktik auf die Logik der Konstitution sozial-kultureller Wirklichkeit abzustimmen. Zwischen den Feldern global operierender Subjekte der Produktion sowie auf Subjekte bezogene Geographien der Konsumtion einerseits und jenen der nationalen Politik andererseits bestehen im Kontext globaler Konkurrenzsituationen vielfältige Spannungen. Einer Neuabstimmung stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der territorial definierten nationalstaatlichen Rahmenbedingungen sowie juristischen Kontrollmöglichkeiten und den räumlich-zeitlich entankerten Formen der Produktion und Konsumtion. Zur Abklärung dieser Zusammenhänge in geographischer Perspektive werden im nächsten Kapitel begriffliche und konzeptionelle Voraussetzungen vorgestellt. Dieses neue Verhältnis braucht nicht das Ende des Nationalstaates anzukündigen, wie das Deregulationstheoretiker prognostizieren.55 Doch dieses Verhältnis verlangt in jedem Falle nach einer Reevaluation der Rolle des

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Staates bzw. nach einer Neudefinition der Funktionen nationalstaatlicher Einrichtungen. »States will to function less ›sovereign‹ entities and more as the components of an international ›polity‹« (Hirst/Thompson, 1996, 171). Diese neue, weniger souveräne Position der Staaten kann in beide Richtungen, die supra-nationale wie die sub-nationale, durch noch zu bestimmende neue Aufgaben redefiniert werden. Prinzipiell kann man sie in diesem Sinne neu bestimmen als Koordinationsstelle, der nach oben Repräsentationsaufgaben und nach unten die Verpflichtung auf Kontrolle der Mittel der Gewaltanwendung zukommen. Diese Neubestimmung im Lichte globalisierter Handlungsbezüge verlangt dann insgesamt nach einer neuen Bestimmung staatlicher Einrichtungen. Sie sind zunächst nicht mehr primär als die Regierungsmacht zu begreifen. »Nation states should no longer be seen as ›governing powers‹, able to impose outcomes on all dimensions of policy within a given territory by their own authority, but as loci from which forms of governance can be proposed, legitimated and monitored. Nation states are now simply one class of powers and political agencies in a complex system of power from world to local level« (Hirst/Thompson, 1996, 190). Um einen vertieften Zugang zu diesen Zusammenhängen zu ermöglichen, sind – auch im Hinblick auf die Thematik des nächstens Abschnitts – einige allgemeinere Überlegungen angebracht. Die eben identifizierte »Konkurrenzierung« nationalstaatlicher Einrichtungen der Machtlegitimierung und -ausübung durch in supra- oder sub-nationalen Kontexten operierende Akteure liegt bei genauerer Betrachtung auch darin begründet, daß Personen über ihre Körperlichkeit immer relativ immobil lokal positioniert sind, Güter und Informationen sich jedoch durch hohe Mobilität und Verbreitungsgeschwindigkeiten in großen räumlich-zeitlichen Ausschnitten auszeichnen. Güter und Informationen sind in gewissem Sinne ständig in Bewegung und mindestens im Prinzip nicht an territorial-politische Grenzen gebunden. Da politische Macht im nationalstaatlichen Verständnis, wie bereits mehrfach angedeutet, letztlich einen Zugriff bzw. ein Zugriffspotential auf die Körperlichkeit der Subjekte impliziert, sind hier Politik und Territorium eng aneinander gekoppelt. Dasselbe gilt für Güter und Informationen hingegen nicht. Sowohl die Mikro- als auch die Makro-Kosmen der Politik sind im Verhältnis von Macht, Körper und Raum angelegt. Akzeptiert man dies, dann kann man darauf aufmerksam werden, daß Produktion und Reproduktion von Macht immer eine bestimmte Art des alltäglichen Geographie-Machens

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implizieren. Es richtet sich vor allem auf die politische Besetzung der Territorien im Hinblick auf die Kontrolle der Subjekte vermittels Körperkontrolle. Mit der angedeuteten Differenz zwischen körperlicher Lokalisierung der Subjekte und der hohen Zirkulationsgeschwindigkeit von Gütern wie Informationen unter spät-modernen Bedingungen ist ein neuer Blick auf die territorialisierenden Praktiken autoritativer Macht notwendig. Anders formuliert: Die Entankerung des eingeschliffenen Politik-Raum-Nexus macht in besonderem Maße darauf aufmerksam, daß diese Beziehungen Ausdruck einer bestimmten Praxis, und nicht Ausdruck bestimmter Fähigkeiten des Raumes oder von Räumen sind. Die Frage ist dann aber, welche besonderen Eigenschaften der Praxis für diese Beziehungen und somit auch für deren Neubestimmung ausschlaggebend sind und welche Mittel/Strategien es ermöglichen, diese Praktiken zu verwirklichen. Damit wird das Verhältnis von Raum und autoritativen Ressourcen von zentraler Bedeutung. Die besonderen Eigenschaften der Praxis, welche das Verhältnis von Körper, Macht und Raum in politischer Hinsicht regeln, sind dabei als die Kernbereiche des politischen Geographie-Machens auf alltäglicher Ebene zu begreifen. Um das besser zu veranschaulichen und für die empirische Forschung erschließbar zu machen, sind zuerst die Besonderheiten dieser Perspektive der politischen Geographien als normative Aneignungen und als Kontrolle der Subjekte gegenüber traditionellen, raum- und nicht subjektzentrierten Auffassungen darzustellen. Anschließend können die Haupttypen für die analytisch-deskriptive und explikative Forschungsebene genauer charakterisiert werden.

Normativ-politische Regionalisierungen Politische Regionen haben bisher wohl die größte Aufmerksamkeit erlangt. Doch die Regionalisierungen, die Prozesse der Herstellung und Reproduktion fanden selbst in der politischen Geographie weit weniger Beachtung. Vielmehr wurde in der Geographie insgesamt beachtliche Energie darauf verwendet, ihre aktuellen Ausprägungen als natürlich vorgegeben plausibel zu machen. Wie Hartke (1948, 174), Kost (1988) und Schultz (1995b) zeigen, waren die Diskussionen um »natürliche« Staatsgrenzen immer auch mit der Vaterlandsfrage verknüpft. Die Fragen der Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen zielen in die entgegengesetzte Richtung: jene der sozialen Prak-

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tiken. Die Herstellungsprozesse sozialer und politischer Regionen sollen rekonstruiert und deren Bedeutung für die Aufrechterhaltung und Reproduktion der sozial-kulturellen Wirklichkeit abgeklärt werden. »Nationalstaat«, nationale Grenzen und Regionen sind dabei als Ergebnisse sozialer Konstitutionsprozesse zu begreifen, als Ausdruck der alltäglichen Reproduktionen: »L’existence de la nation est un plébiscite de tous les jours« (Renan, 1947, 904). So wie für Renan die Existenz des Nationalstaates immer auf der Basis der alltäglichen Reproduktion durch die Bürger gegeben ist, genau so gründen soziale und politische Regionen ausschließlich auf alltäglichen Praktiken. Zuständig dafür sind politische Komponenten des Handelns und die entsprechenden Institutionen. In einer ersten Annäherung an diese Dimension alltäglichen GeographieMachens ist darauf hinzuweisen, daß die alltägliche Reproduktionsbedürftigkeit normativer wie politischer Regionen insbesondere in jenen Momenten besonders offensichtlich wird, in denen die dafür erforderlichen Praktiken nicht erbracht werden oder entgegengesetzte gezeigt werden. Ein Beispiel für die Bedeutung normspezifischer Regionen ist die Nichteinhaltung der Unterscheidung von vorder- und rückseitigen Regionen, wenn also die Rückzugsmöglichkeiten der Scham wie in Gefängnissen oder Konzentrationslagern unterbunden werden56 oder wenn bestimmte Distanzen des Taktes unterschritten werden und jemandem sprichwörtlich zu nahe getreten wird. Ein Beispiel für den politischen Typus sind separatistische Bewegungen regionalistischer oder nationalistischer Art, welche die aktuellen alltäglichen Regionalisierungen durch staatliche Institutionen bekämpfen. Mit diesen Andeutungen soll in Erinnerung gerufen werden, daß für die entsprechenden Forschungen zur Rekonstruktion und explikativen Erörterung der alltäglichen Praktiken eine rein metrische Relationierung von Handeln und Raum nicht ausreicht. Zentral ist hierfür die Erstellung einer präskriptiven Relation zwischen Bedeutungsgehalten des Handelns und räumlichen Gegebenheiten. Wie bereits ausführlich erörtert wurde,57 sind räumliche Relationierungen normativer Geltungsstandards für die Alltagspraxis erstens in vielfältiger Hinsicht bedeutsam und zweitens meist mit der Körperlichkeit der Subjekte verknüpft. Dies ist ebenfalls für die politischen Regionalisierungen zentral. Denn hier richtet sich die territoriale Kontrolle sozialer Wirklichkeit unmittelbar auf die Beherrschung der Körper der Subjekte. Damit ist darauf hingewiesen, daß alltägliche normativ-politische Regionalisierungen unmittelbar im Verhältnis von Körper, Raum und Macht begründet sind.58

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Diese Sicht verdeutlicht, weshalb die Geschichte der Geographie auf besondere Weise, vor allem in bezug auf die Geo- oder Raumpolitik, so intensiv mit »Macht« verstrickt ist.59 Doch welche Voraussetzungen sind zu schaffen, um das Verhältnis von »Gesellschaft«, »Macht« und »Raum« sozialgeographisch differenziert betrachten und analysieren zu können? Das Denkmuster, mit dem in der Geographie traditionellerweise das Verhältnis von Macht und Raum gedacht wird, weist – wie die Geo- oder Raumpolitik – zwar vielfältige Spielformen auf. Wie dies auch in der bisher letzten Debatte um die Geopolitik offensichtlich wird,60 scheinen sie trotz wichtiger Differenzierungen letztlich alle einen gemeinsamen Kern zu teilen. Dieser besteht offensichtlich erstens in der Argumentation, daß jede Gesellschaft sich im (Container-)Raum61 befindet. Ohne daß dieser eine bestimmte Ausdehnung hätte, könne keine Gesellschaft bestehen und jede Gesellschaft sei von dem Raum, in dem sie sich befinde, unmittelbar geprägt. »Raum« wird so zur gegenständlichen Gegebenheit und erlangt darüber hinaus den Status einer unabhängigen Variablen. »Raum« und eine bestimmte Gesellschaft werden demzufolge als Einheit gedacht. Wächst eine Gesellschaft, muß – so die daraus abgeleitete Folgerung – der »Raum« damit Schritt halten, und sei es auf Kosten einer anderen Gesellschaft. Expansionspolitik wird als »natürlich« dargestellt und geopolitisch gerechtfertigt. Entsprechend sind auch pflanzenbiologische Metaphern bei Ratzel (1897; 1901), Kjellén (1917) bis hin zu Haushofer (1927; 1935; 1940) und – wie Walther (1995, 28) und Eidenbenz (1993a; 1993b) zeigen – der auf ihnen aufbauenden NSDAP-Propaganda sehr beliebt, um die soziale Richtigkeit der eigenen Argumentation zu stützen: Jedes Volk braucht zum guten Gedeihen ein ausreichendes Territorium, genauso wie ein gesunder Wald Boden im richtigen Ausmaß braucht. Die Konsequenzen der entsprechenden »Waldhaftigkeit« des nationalen Selbstverständnisses können gegenwärtig in ethnisch motivierten Konflikten beobachtet werden. Der zweite Aspekt des gemeinsamen Kerns besteht in der Vorherrschaft der räumlichen Kategorien zur Typisierung sozialer Situationen. Die entsprechende Denkweise geht – wie es der Begriff Geopolitik zum Ausdruck bringt – soweit, daß sich die Politik argumentativ nicht primär auf die Gesellschaft bezieht, sondern auf den Raum. Politik und Macht haben in dieser Argumentationslogik den Raum zum Gegenstand und nicht die für die Gesellschaft konstitutiven Subjekte. So wird der Anschein der »Natürlichkeit« der Argumentation verstärkt und diese gleichzeitig einer demokratischen Auseinander-

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setzung entzogen: Nicht Akteure und Interessengruppierungen erheben Ansprüche und stellen Forderungen, sondern die »Geographie der Dinge«, der »Boden«, die »constellation géographique« oder das »ensemble spatiaux« (Lacoste 1995, 11) bzw. »die räumliche Konstellation« (Lacoste 1990, 36) oder mit anderen Worten: »räumliche Ganzheiten« fordern ihre Rechte oder »erzwingen« eine bestimmte Logik des Handelns.62 Dieser Verdinglichung der sozial-kulturellen Wirklichkeit, dieser »chosification du social« (Vandenberghe, 1994, 1), entsprechend sind Politik und Machtansprüche nicht in den Subjekten begründet, sondern in der Natur des Volkes, der Zugehörigkeitsgesellschaft. Sie erscheinen nicht als Ausdruck von Interessenlagen von Subjekten und deren strategischen Überlegungen. Diese Verschiebung der Perspektive kann dann – wie das die jüngste Zeitgeschichte ethnischer bzw. völkischer Säuberungen zeigt – propagandistisch erfolgreich genutzt werden. Angeborene Merkmale und »natürliche« Gegebenheiten werden zu Referenzpunkten der Politik. Daran anschließend kann die Verantwortung für das politische Handeln auf die natürliche Ebene »verschoben« werden: das, was man getan hat, wird so dargestellt, als sei es in der »Natur« begründet und hätte nur so und nicht anders entschieden werden können. So kann man schließlich die Verantwortung für das, was man getan hat, von sich weisen, sich für nicht zuständig erklären. Doch kann sich die soziale Praxis überhaupt per se auf »Raum« richten oder ist »Raum« nicht vielmehr ein argumentativer Platzhalter für soziale Problem- und Interessenlagen? Klüter (1986, 1) spricht vom »Raum als Element sozialer Kommunikation«. Vor dem Hintergrund strukturationstheoretischer Argumentation stellt sich jedoch die Frage, in welcher ontologischen Festlegung »Raum« kommunikativ und argumentativ als Platzhalter eingesetzt werden kann. Die Reinterpretation des traditionellen geographischen Raumes – vom Forschungsgegenstand zum Element sozialer Kommunikation – reicht jedenfalls nicht aus, um den Raum-Gesellschaft-Nexus in machtspezifischer Hinsicht auszuleuchten. Diese Schwachstelle systemtheoretischer Argumentation könnte darin liegen, daß, im Gegensatz zur Strukturationstheorie, die Körperlichkeit der handelnden und kommunizierenden Subjekte bewußt und konsequent ausgeblendet wird: »Leiblichkeit und abgeleitete Territorialität (…) ist (als) ein organisches System (zu betrachten und) (…) fällt ebenso wie technische oder psychische Systeme aus dem direkten Gegenstandsbereich der Sozialwissenschaften heraus« (Klüter, 1994, 160). Damit wird die Möglichkeit vertan, die

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sozialgeographische Thematisierung des Verhältnisses von körperzentrierter Macht und Raum kategoriell differenziert zu durchdringen. Geht man davon aus, daß es nicht nur eine Geographie der natürlichen Dinge gibt, sondern auch eine alltägliche geographische Praxis, dann wird der Weg geebnet für die Erschließung des Verhältnisses von Macht, Körper und Raum bzw. für den Einbezug der Machtkomponente in die geographische Handlungsforschung. »Macht« wird zur Fähigkeit und zum Attribut der Handelnden, die sich sowohl auf materielle Aspekte (allokative Ressourcen) als auch auf andere Subjekte (autoritative Ressourcen) beziehen kann. Macht über »Raum« zu haben, bedeutet Macht über die Subjekte zu haben, und zwar vermittels Zugriff auf ihre Körper. Das Verhältnis von Macht und Raum wird zum Verhältnis von Macht und Körper. Dieses Verhältnis ist über die Praxisanalyse zu erschließen.63 Die wichtigste Form, das Verhältnis von Macht, Körper und Raum institutionell zu ordnen, sind die nationalstaatlichen Einrichtungen. Es liegt in der Definition des Nationalstaates begründet, daß die Reproduktion seiner Institutionen in den meisten Bereichen eine Territorialordnung impliziert bzw. eine Territorialordnung und -kontrolle beabsichtigt. Die Formen der Produktion und Reproduktion von (politischer) Kontrolle durch nationalstaatliche Institutionen zu untersuchen, ist das Ziel des Forschungsbereichs »Geographien politischer Kontrolle«. Um den Zugang dazu systematisch entwickeln zu können, sind zuerst einige Begriffsklärungen und -differenzierungen notwendig. Um in sozialgeographischer Hinsicht differenzierter von »Nationalstaat« statt von »Land« sprechen und genauer zwischen »Staat« und »Nation« unterscheiden zu können, sollen diese Begriffe zuerst in handlungs- bzw. praxiszentrierter Perspektive eingegrenzt werden. Nationalstaaten stellen territoriumsgebundene Sozialgebilde dar, die als Ausdruck einer speziellen raum-zeitlichen Matrix der Gesellschaftsorganisation, als eine historisch gewachsene Gesellschaft-Raum-Kombination zu begreifen sind. »Staat«, »Nation« und »Territorium« sind im Nationalstaat zwar zwingend miteinander verbunden, doch sie bilden keine notwendige Kombination, wie das heute vielleicht den Eindruck erweckt und von der Geographie mindestens über ihre methodologische Konzeption thematisiert wurde.64 Denn der Nationalstaat selbst ist als eine historisch gewachsene Staatsauffassung zu sehen. Um »Nationalstaat« als Ausdruck politischen Geographie-Machens begreifbar machen zu können, sind zuerst weitere begriffliche Voraussetzungen in handlungszentrierter Perspektive zu schaffen.

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War für Ratzel (1882; 1897) »Staat« ein biologischer Organismus, erkannte Durkheim (1957) in ihm das Gehirn eines sozialen Organismus. Damit macht Durkheim immerhin darauf aufmerksam, daß »Staat« mit Kontrolle und Koordination sozialer Handlungen der Mitglieder einer bestimmten Gesellschaft sowie ihren territorialen Bedingungen und Mitteln des Handelns zu tun hat: »The ›state‹ is a specialisation and concentration of order maintenance« (Gellner, 1983, 4). Dabei ist die Aufrechterhaltung der Ordnung in engster Form an ein normativ angeeignetes Territorium gebunden. Die normative Aneignung bezieht sich auf die Relationierung von Raum und Regeln des Handelns, für deren Durchsetzung die entsprechenden Ordnungsorgane zuständig sind. In diesem Sinne kann man mit Gellner (1995, 183) in einer ersten allgemeine Bestimmung »Staat« durchaus definieren »als politische Organisation (…), deren Regeln territorial geordnet sind und (die) die Fähigkeit besitzt, die Mittel der Gewalt zur Aufrechterhaltung dieser Regeln zu mobilisieren«. In diffuseren Verwendungsweisen meint »Staat« häufig sowohl den Verwaltungsapparat einer Regierung oder »der Macht« als auch das gesamte soziale System, auf das sich Regierung und »Macht« richtet. Bei dieser Verwendungsweise entfallen jedoch die Unterscheidungen zwischen »Staat«, »Gesellschaft« und »Kultur«. Für eine weitere Präzisierung kann man davon ausgehen, daß unter »Staat« die Institutionen der administrativen Organe, der Regierung, einer bestimmten Gesellschaft zu verstehen sind. Deren besondere Aufgabe besteht in der Aufrechterhaltung oder Schaffung der Ordnung: »The state exists where specialised order-enforcing agencies, such as police forces and courts, have separated out from the rest of social life« (Gellner, 1983, 4). Zur Ordnung gehört gemäß dieser Definition somit auch die Aufrechterhaltung des Rechts, wozu Überwachungsorgane erforderlich sind, so daß der Geltungsanspruch des Rechts auf ein klar definiertes Territorium beschränkt bleibt. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung ist dem Staat, das heißt den ihn konstituierenden politischen Kontrollorganen oder der Regierung, das Monopol der Gewaltanwendung und der Mittel der Befriedung nach innen eigen. Armee, Polizei usw. sind der staatlichen Kontrolle im Sinne einer politischen Institution unterstellt. Derart umfaßt der »Staat« auch die Institutionen der politischen Machtausübung bzw. ihre institutionalisierte Organisation: »The state is best seen as (…) the institutionalised organisation of political power« (Giddens, 1981a, 220).

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Unter »Nation« ist demgegenüber ein soziales Kollektiv zu verstehen, das innerhalb eines bestimmten Gebietes lebt, primär über Territorium und Bevölkerung definiert wird und nicht über die institutionalisierte Organisation. Ein wichtiger Unterschied zu »Staat« besteht auch in der Art der Begrenzung und der Bedeutung der Grenze. Denn es gibt Bevölkerungen bzw. Kollektive, die sich selbst als Nation verstehen, deren Territorium sich aber nicht mit jenem eines Staates deckt. Es kann diesen in Größe und Ausdehnung sowohl über- oder unterschreiten, ohne daß dies durch gleichartige Grenzen gekennzeichnet wird. Die Frage ist dann, worin bzw. worauf sich ein »nationales« Kollektiv konstituiert oder konstituieren läßt. Definitionen von »Nation« zeichnen sich meist dadurch aus, daß ein einheitliches Kriterium der Begrenzbarkeit aller Nationen angegeben wird. Am häufigsten wird dabei auf die Sprache Bezug genommen. Alle Nationen müßten sich demgemäß allein und ausschließlich aufgrund der gemeinsamen Sprache konstituieren (oder ausschließlich über ein anderes einzelnes Kriterium), und für jede einzelne Sprache dürfte es dann in letzter Konsequenz jeweils auch nur eine Nation geben. Neben einer gemeinsamen Sprache werden häufig die gemeinsame Tradition, eine historische Figur, ein besonderes biologisches Merkmal oder eine spezifische Lebensform bemüht. Die Bezugnahme auf ein gemeinsames Merkmal soll dann erklären, weshalb eine in dieser Hinsicht weitgehend homogene Bevölkerung auf einem gemeinsamen und klar begrenzten Territorium lebt oder leben soll. Das Bestehen oder die Entwicklung einer nationalen Identität wäre dann als Ausdruck der Gemeinsamkeit eines dieser Merkmale oder des sich selbst Wiedererkennens in einem dieser Merkmale zu begreifen. Statt nach einem Einheitskriterium zu suchen, ist es sinnvoller, die Unterscheidung zwischen »ethnischer« und »politischer« Nation einzuführen.65 Als ethnische Nationen sind jene »Gemeinschaften« zu bezeichnen, deren »Mitglieder« sich auf eine bestimmte völkische66 Gemeinsamkeit wie Folklore, ein spezifisches Ereignis, eine gemeinsame Geschichte (die nicht selten als schicksalhaft dargestellt und empfunden wird) usw. – möglicherweise unter der »Schirmherrschaft« einer historischen oder zeitgenössischen Integrationsfigur – berufen, ohne dabei auch über einen Apparat der politischen Organisation zu verfügen. Die »nationale Ikonographie«67 der ethnischen Nation wird dabei in aller Regel über die Tradition begründet. Eine politische Nation verfügt hingegen nicht nur über eine politische Organisation, sondern auch über einen Staatsapparat. Sie ist ein souveräner Staat

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bzw. ein Staatsgebilde und wird durch andere souveräne Staaten politisch anerkannt.68 Freilich besteht innerhalb einer politischen Nation die Notwendigkeit, sich auf eine oder nur wenige Amtssprachen festzulegen. Doch es scheint, daß weder die Forderung »eine Nation, eine Sprache« noch ein einzelnes anderes Kriterium auf empirisch sinnvolle Weise allgemeine Gültigkeit beanspruchen kann. Zur Gründung politischer Nationen können höchst verschiedene Merkmale relevant werden. Denn entscheidend scheint jeweils der politische Wille zu sein, der – wie in der Schweiz – zur politischen Willensnation bzw. zur voluntaristischen politischen Nation führt. Neben voluntaristischen bestehen natürlich auch aufgrund der Machtverhältnisse erzwungene politische Nationen. Als Zwischenbilanz kann man festhalten, daß sich eine Nation – sei es eine politische oder eine ethnische – dadurch auszeichnet, daß sie zumindest in gewissen Bereichen eine gemeinsame Kultur teilt, vergangenheitsorientiert über eine gemeinsame historische Erzählung und zukunftsorientiert über gemeinsame Projekte verfügt.69 Darüber hinaus wird in diesem Kollektiv der Anspruch erhoben, über sich selbst bestimmen zu können. Eine Nation kann offensichtlich nicht nur über rein objektive Kriterien bestimmt werden; zusätzlich sind auch die Einstellungen einzelner Akteure zu berücksichtigen. Anderson (1996, 15) trägt dem wie folgt Rechnung: »Nation ist eine vorgestellte politische Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän. Vorgestellt ist sie deswegen, weil die Mitglieder selbst der kleinsten Nation die meisten anderen niemals kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung einer Gemeinschaft existiert.« Dies braucht nicht so verstanden zu werden, daß »Nation« lediglich als ein Phantom, als ein Hirngespinst existiert. Anderson betont damit vielmehr die Komponente der sinnhaften Konstruktion der Nation, die ebenso handlungsrelevant ist wie andere soziale Gegebenheiten. So wie ich nicht alle Richter oder gar keinen zu kennen brauche, um zu wissen, daß es ein Gesetz gibt, brauche ich auch nicht alle Mitglieder einer Nation zu kennen, um trotzdem davon ausgehen zu können, daß es eine (politische) Nation mit nationalstaatlichen Einrichtungen gibt. Aus diesen Erörterungen von »Staat« und »Nation« kann abgeleitet werden, daß – als die zentralen Merkmale eines Nationalstaates auf der allgemeinsten Ebene – »Kollektiv«, »Territorium«, »Unterwerfung unter eine einheitliche Administration des Staatsapparates«, »gemeinsame Kultur, Vergangenheit und (erwartete) Zukunft« sowie »Selbstbestimmungsrecht« bestimmt werden

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können. Dabei ist der Apparat der staatlichen Administration darauf gerichtet, gewisse Handlungen der Mitglieder dieses Kollektivs innerhalb des Staatsterritoriums zu koordinieren und zu kontrollieren. Derart werden staatliche Administration, Kollektiv und Territorium aneinander »gebunden«, und darin äußert sich auch das Territorialprinzip des Nationalstaates: »The nation-state (…) is a set of institutional forms of governance maintaining an administrative monopoly over a territory with demarcated boundaries (borders), its rule being sanctioned by law and direct control of the means of internal and external violence« (Giddens, 1981a, 190). Zur Sicherung und Verteidigung der Kontrolle behalten sich die nationalstaatlichen Einrichtungen das Monopol der Verfügungsmacht der Mittel der Gewaltanwendung oder -androhung vor. Die politische Nation kann, unter Einbezug des administrativen Staatsapparates und der sozialen Definition des nationalen Territoriums, auch als raum-zeitliche Matrix der Orientierung, Kontrolle und Ordnung staatlich relevanter Handlungen betrachtet werden. »Nationalstaat« ist eine historische Form politischer Organisation, mit der man bestrebt ist, »Staat« und »Nation« zu einem Ganzen zu vereinigen. In diesem Abschnitt soll mit der vorbereiteten Zugangsperspektive anhand handlungs- und strukturationstheoretischer Beschreibungs- und Analysekategorien die Analyse der entsprechenden Formen des Geographie-Machens inhaltlich präzisiert werden: jene, die Ausdruck der Geographien der normativen Aneignung räumlicher Kontexte sind und jene, welche als Ausdruck der alltäglichen Geographien politischer Kontrolle zu betrachten sind. Beide Forschungsbereiche werden hier sowohl auf deskriptiv-analytischer Ebene als auch in explikativer Hinsicht argumentativ und thematisch vorbereitet. Im Hinblick auf die Agenda der Forschungsthemen kann festgehalten werden, daß die Raumherrschaft im Sinne von »mastering space« (Agnew/Corbridge, 1995, 11) nicht Ziel dieser geographischen Analyse sein kann. Vielmehr ist zu untersuchen, wie »Räumliches« in sozialen Prozessen der Herrschaftsausübung mediatisierend eingesetzt wird. Diese Prozesse sind als jene besonderen Formen des alltäglichen Geographie-Machens zu begreifen, mit denen normative Aneignungen und autoritative Kontrollen verwirklicht werden. In deskriptiv-analytischer Hinsicht ist die Erforschung der normativen Regionalisierungen darauf zu richten, die impliziten sozial-kulturellen Normen offensichtlich zu machen und sie mit den expliziten Regionalisierungen in Zusammenhang zu bringen.70 Die zentrale Thematik ist dabei das Verhältnis von Normorientierung und Raum. Die präskriptiv-klassifikatorische Beziehung

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zwischen Handeln und räumlichem Kontext ist unmittelbar körperzentriert zu verstehen: Die präskriptive Komponente in bezug auf die Körper der Subjekte und deren spezifische Merkmale wird so aufgebaut, daß für bestimmte Territorien bzw. in territorial-rechtlicher Hinsicht für alle Handelnden spezifische Normen Gültigkeit haben. Hinsichtlich der Geographien politischer Kontrolle steht auf deskriptivanalytischer Ebene zunächst die Beschreibung der vorfindlichen Formen und Arten der (staatlichen) Kontrolle durch verschiedene Institutionen und Rechtsbereiche im Vordergrund. Ein zentraler Bereich ist hier die territoriale Überwachung der Mittel der Gewaltanwendung und Machtkontrolle, deren Organisation und Ausprägung. Doch auch Gesundheits- und Ökologiebereich implizieren mächtige Kontrollorgane, die für die Erörterung dieses Typus alltäglicher Regionalisierungen differenziert zu erfassen, zu beschreiben und analytisch zu rekonstruieren sind. In explikativer Hinsicht werden autoritative Ressourcen wichtig. Hier wird die Bedeutung räumlicher Relationierungen von normativen und autoritativen Gehalten zur Aufrechterhaltung und Durchsetzung von Macht erörtert. Unter autoritativen Ressourcen ist dabei die Fähigkeit und das Vermögen, Herrschaft über Personen auszuüben, zu verstehen. Da Herrschaft über Subjekte entscheidend mit Zugriffsmöglichkeiten auf deren Körper gekoppelt ist, sind autoritative Ressourcen an Entscheidungsrechte über räumliche und zeitliche Zutrittsbeschränkungen gebunden sowie an jene über Formen sozialen Zusammenlebens, um die Aktivitäten der Subjekte verfügbar zu machen. Die entsprechenden Regionalisierungsweisen erfolgen – hypothetisch formuliert – alltagsweltlich zur Regelung sozialer Problemsituationen und zur Aufrechterhaltung sozialer Praktiken hinsichtlich Kontinuität und Generierung von Macht über Personen. Die wichtigste entsprechende Form ist die politische Regionalisierung im Sinne der zuvor beschriebenen territorialstaatlichen Organisation der Gesellschaft. Aber auch die weiteren Gliederungen auf unteren Ebenen (Bundesländer, Kantone, Kreise, Gemeinden) gehören dazu. Sie beziehen sich alle auf die räumliche Einteilung von (politischen) Zuständigkeitsbereichen. Die Herrschaft und Kontrolle über die entsprechenden Territorien ist auf die Kontrolle der Subjekte gerichtet. Nationalstaaten sind nur dann reproduzierbar, wenn sich die Subjekte in ihren Handlungen ständig auf die entsprechenden territorial gebundenen normativen Richtlinien beziehen. Die Un-

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tersuchung der alltäglichen Formen politischer Regionalisierungen hat sich konsequenterweise darauf zu beziehen, wie das Handeln der Subjekte an diese Einheiten gebunden ist und welche politischen Maßnahmen zur Erhaltung der Territorialbindungen ergriffen werden. Autoritative Ressourcen spielen nicht nur bei Geographien der politischen Kontrolle eine zentrale Rolle, sondern auch in normativen Regionalisierungen, die für den gesellschaftlichen Bereich festlegen, welche Handlungen wo und zu welchen Zeitpunkten durchgeführt werden können. Dies impliziert auch eine räumliche Organisation der sanktionierenden Maßnahmen. Die räumlich-zeitlichen Zonierungen, die über normative Aneignungen konstituiert werden, sind insgesamt in ihrer Bedeutung für die soziale Koordination der Handlungen und der Kontrolle der Subjekte zu analysieren. Geographien normativer Aneignungen

Bei der Erforschung normativer Regionalisierungen steht das Verhältnis von Normorientierung und präskriptiver Raumaneignung im Zentrum. Bei den zu untersuchenden Prozessen handelt es sich um Territorialisierungen, über welche einerseits Zugang zu und Ausschluß von räumlichen Kontexten des Handelns, und andererseits die Art des Handelns innerhalb dieser Kontexte sozial geregelt wird. Der erste Bereich bezieht sich auf die Erforschung der Zugangsmöglichkeiten zu und Einbezugsmöglichkeiten von räumlich lokalisierten materiellen Artefakten in die Handlungsverwirklichung. Dies impliziert die Untersuchung der Festlegung von Nutzungsformen (und damit verbundenen Ausschließungen) von Flächen und materiellen Artefakten außerhalb des produktiven Bereichs sowie das Verhältnis vom sogenannten öffentlichen und privaten Raum. Zur zweiten Fokussierung der Forschung, der Untersuchung der territorial differenzierten normativen Definitionen von Handlungskontexten, sind Regionalisierungen zu zählen, die außerhalb von Produktion und Konsumtion diskursiv festlegen, welche Handlungen wo und zu welchen Zeitpunkten durchgeführt werden dürfen. Dies trifft besonders auf ethnien-, geschlechts-, alters-, status- und rollenspezifische Kombinationen von Präskription und räumlichen Kontexten zu. Eine der extremsten Formen ethnisch bzw. rassistisch definierter normativer Regionalisierung stellte das Apartheidregime der alltäglichen Regionalisierung südafrikanischer Lebenswelten dar. Aber auch eine nationalstaatliche Organisation der Gesellschaft bedingt verwaltungsspezifische Territorialisierungen. Die entsprechende »géographie de la territorialité« (Raffestin,

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1984; 1986b) ist entlang den institutionellen Vorgaben des Handelns zu erforschen. Auch sprachspezifischen Territorialisierungen ist Aufmerksamkeit zu schenken. Normative Aneignungen können als spezifische Formen der räumlichzeitlichen Wiederverankerung menschlichen Handelns, als diskursive Ausprägung der Welt-Bindung betrachtet werden. Hypothetisch kann postuliert werden, daß sie sowohl in öffentlichen als auch in privaten Bereichen, informell wie formell abgestützt und subjektzentriert wie allgemein als territorial verbindliche Formen beobachtbar sind. Sie können folglich auf persönlicher, organisatorischer, kommunaler, nationalstaatlicher wie supra-nationaler Ebene ihre spezifischen Ausprägungen aufweisen. Die verschiedenen feststellbaren Formen normativer Aneignungen und entsprechender regionalisierender Wiederverankerungen bzw. Welt-Bindungen sind zuerst systematisch zu erfassen und gemäß den eben genannten Kriterien zu ordnen. Diese Formen sind nun im Hinblick auf die zu entwickelnde Forschungsagenda auszudifferenzieren. Öffentlicher und privater Raum

Das Verhältnis von öffentlichem und privatem Raum ist, wie Hannah Arendt (1981, 31f.) und Jürgen Habermas (1990, 238f.) betonen, immer wesentlicher Ausdruck des jeweiligen politischen Selbstverständnisses der Mitglieder einer bestimmten Gesellschaft. War bei den Griechen die Trennung von »Haushalt« (privater Bereich) und »Polis« (öffentlicher Bereich der Politik) so radikal, daß keine Beziehung zwischen den beiden bestand,71 ist in spät-modernen Gesellschaften demgegenüber eine radikale Politisierung des Privaten und Intimen zu beobachten.72 Habermas (1990, 239) stellt fest, daß die Unterscheidung von privatem und öffentlichem Bereich zunehmend an »Trennschärfe verloren« hat: Die Intimsphäre wird auf der Basis des gegenseitigen Durchdringens von Staat und Gesellschaft heimlich ausgehöhlt und »die Öffentlichkeit selbst nimmt Formen der Intimität an« (Habermas, 1990, 245f.). Sennett (1983, 25) diagnostiziert gar das Absterben des öffentlichen Raumes: »Der Intimitätskult wird in dem Maße gefördert, wie die öffentliche Sphäre aufgegeben wird und leer zurückbleibt.« Die »Tyrannei der Intimität« (Sennett, 1983, 379) kann dazu führen, daß der öffentliche Raum zur reinen »Funktion der Fortbewegung« (Sennett, 1983, 25) verkommt. Der breite Konsens in der Feststellung der Wandelbarkeit des Verhältnisses von privatem und öffentlichem Bereich bzw. der Verschmelzung der beiden

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mag für viele Lebensbereiche zutreffend sein. Eine historische Geographie der alltäglichen Regionalisierungen des Öffentlichen und Privaten, wie sie eigentlich von Arendt (1981) angeregt wird,73 müßte jedoch zuerst empirisch abklären, für welche Bereiche dies in welcher Form zutrifft. Die eben erwähnte sozialwissenschaftliche Diskussion scheint in ihren Urteilen jedenfalls nicht immer klar zwischen »Ort« und »Inhalt« zu trennen. Die öffentliche Ausbreitung intimer Lebensbereiche ist jedenfalls ebensowenig ein Argument für die Proklamierung des Endes des öffentlichen Raumes wie die Feststellung der immer schwierigeren Trennung zwischen privatem und öffentlichem Bereich politischer Auseinandersetzung. Es dürfte offensichtlich sein, daß für die Alltagspraxis die Trennung zwischen privaten Orten und öffentlichen Plätzen immer noch von zentraler Bedeutung ist. Trotz Änderungen der politischen Zuständigkeiten und Zugriffsmöglichkeiten der Akteure handelt es sich immer noch um tragende alltägliche Regionalisierungen der Lebenswelten, welche sowohl für moderne Nationalstaaten als auch für das moderne Subjektverständnis fundamental sind. Dies hat – aufgrund der unterschiedlichen autoritativen und allokativen Verhältnisse – wichtige Konsequenzen für die Kontrollmöglichkeiten, insbesondere aber für die Zugänglichkeiten von Orten und Personen.74 Denn wer sich wo treffen kann, hängt zunächst einmal von den Zugangsmöglichkeiten zu Orten, von den Möglichkeiten des Aufsuchens ab. Genau in diesem Bereich gibt es jene wesentlichen Unterschiede zwischen den öffentlichen, halb-öffentlichen und privaten räumlichen Handlungskontexten, die in der zuvor angedeuteten sozialwissenschaftlichen Diskussion zu wenig beachtet werden. Was sich die Leute dann an den jeweiligen Orten in faceto-face-Situationen sagen, kann tatsächlich von der Tyrannei der Intimität beherrscht werden. Doch die Tatsache, daß sich die Leute in außerprivaten Kontexten überhaupt begegnen können, bleibt dafür immer noch eine wichtige Voraussetzung. Diese Unterscheidung ist insbesondere für die soziale Bedeutung des öffentlichen Raumes im städtischen Bereich nicht zu unterschätzen.75 Urbane Lebensformen hängen nicht nur von der produktiven Sphäre ab, sondern auch von der kommunikativen. Urbanität ist auch Ausdruck der sozial-kulturellen Vielfalt an potentiellen Begegnungen in der Öffentlichkeit. Dies ist von den Hansestädten über Venedig bis zu den neuzeitlichen urbanen Zentren wie dem Wien der Jahrhundertwende, Paris, London oder New York nachweisbar. Die Möglichkeit der subjektiv bestimmbaren unmittelba-

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ren Begegnung unter der Vielfalt der Lebensformen ist sicher eines der wichtigsten Merkmale spät-moderner Urbanität. Und genau in dieser Hinsicht sind öffentliche Orte bedeutsam. Zahlreiche Kommunikationsuntersuchungen zeigen,76 daß bei wichtigen Entscheidungen die Kommunikationspartner regelmäßig die face-to-face-Situation aufsuchen. Die mediatisierte Kommunikation ist in ihrer anonymsten Form vor allem für die Verarbeitung »niedriger« Informationsarten von zentraler Bedeutung. Sobald differenzierte Abklärungen notwendig sind, steigt zunächst die Bedeutung des Telefons, bei komplexeren Interaktionen schließlich die Bedeutung unmittelbarer persönlicher Begegnung. Daraus kann man hypothetisch schließen, daß in globaler (Kommunikations-)Konkurrenz jene städtischen Standorte über die »besseren Karten« verfügen werden, welche die besseren Möglichkeiten des »Auslebens« der Kernaspekte urbaner Lebensformen bieten. Konsequenterweise sollte die Stadtentwicklungspolitik der Erhaltung des öffentlichen Raumes die gebührende Aufmerksamkeit schenken. Denn »er« ist die Urform der Möglichkeit der face-to-face-Begegnung in Kontexten von Urbanität. Die Untergrabung der Möglichkeiten öffentlicher Begegnungen kommt einer Zerstörung einer wichtigen Voraussetzung der Erhaltung urbaner Kultur gleich. Denn je mehr die Bedeutung der Telematik in spät-modernen Lebenswelten im Zusammenhang der Dialektik des Globalen und Lokalen wächst, desto größere praktische Bedeutung kommt gleichzeitig den face-to-face-Situationen und öffentlichen Räumen zu. Freilich ist das Konzept »öffentlicher Raum« weder in seiner Definition noch in seiner politischen Interpretation von großer Eindeutigkeit geprägt. Benhabibs (1992, 89f.) Unterscheidung zwischen »agonistic-republican«, »legalistic-liberal« und »discursive public space« weist darauf hin, daß die Beurteilung öffentlicher Räume in die großen politischen Diskurse der Neuzeit eingebettet ist. »Raum« wird hier aber nur in der Bedeutung relevant, den er im Aneignungsprozeß und der diskursiven Weiterverwendung als soziale Konstruktion erlangt, und nicht in »Raum« per se. Das führt dazu, daß der Klärung der Bedeutungsfelder mit einer raumbezogenen Argumentation nicht beizukommen ist. Vielmehr sind die handlungsmäßigen Konnotationen zu erschließen. Diesbezüglich kann davon ausgegangen werden, daß »privat« mit der Ideologie von »Liebe und Geborgenheit, (…) Hoffnung auf Aufhebung von Entfremdung und Glück, Wirklichkeit von Nähe und Bindung« (Holland-

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Cunz, 1993, 39) sowie Kontrolle und Verfügung relationiert ist, »öffentlich« hingegen mit dem Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Verwaltung sowie Vorstellungen von Freiheitlichkeit. Nicht unbeachtet sollte die Möglichkeit der Verwobenheit der beiden Bereiche bleiben, in der sich Vereinnahmung der Öffentlichkeit und Marginalisierung der Privatheit äußern können. Die Erforschung der alltäglichen Sozialgeographien normativer Regionalisierungen soll abklären, wie normative Aneignungen die Trennung bzw. Ausdifferenzierung dieser Bereiche ermöglichen können und inwiefern diese von den Situationsdefinitionen der interagierenden Subjekte abhängen. Weiter bleibt zu klären, welche Arten von Regionalisierungen von privaten und öffentlichen Handlungskontexten mit welchen Mitteln und welchen Konsequenzen vollzogen werden. Angewandter Sozialgeographie kommt hier unter anderem die Aufgabe zu, in der Stadtentwicklungspolitik auf die soziale Bedeutung öffentlicher Orte und Plätze hinzuweisen. Körper und normative Aneignung

Für die vertiefte Analyse normativer Regionalisierungen auf face-to-faceEbene können die begrifflich-analytischen Grundlagen von Goffman (1991) zum Ausgangspunkt gemacht werden. Die Unterscheidung zwischen »vorder-« und »rückseitigen Regionen«77 hat dabei immer vom Bezugspunkt einer bestimmten Interaktion auszugehen und von der Bedeutung, die sie im Interaktionsablauf erlangt. Dementsprechend handelt es sich bei ihnen nicht um interaktionsunabhängige Eigenschaften von Schauplätzen, sondern immer um soziale Praktiken, über welche räumliche Kontexte als Teil der Interaktion mobilisiert werden, als räumlich relationierte Bedeutungen, deren Gehalte zu sinnhaften Bestandteilen der Interaktionen werden. Deshalb ist es möglich, daß ein Schauplatz zu einem gegebenen Zeitpunkt als Vorderregion erscheint und in einem anderen Interaktionsmoment für dieselbe Person als rückseitige Region fungieren kann. Als »vorderseitige Regionen« gelten jene Kontexte, in denen die Subjekte den Eindruck erwecken wollen, die dort hervorgebrachte Tätigkeit halte sich an geltende Normen. Bei diesen ist zwischen den Hauptkategorien »Höflichkeitsregeln« und »Anstand« zu unterscheiden. Geht es bei der ersten um die Einhaltung von Maßgaben, die sich auf die Interaktionsdauer beziehen und die Behandlung des »Publikums« in sprachlicher oder gestikulierender Hinsicht, regelt die zweite das Verhältnis zwischen Situationsteilnehmern, die

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nicht miteinander interagieren. Dabei ist zwischen moralischen und instrumentalen Anstandsregeln zu unterscheiden. »Moralische Forderungen sind Selbstzweck und berufen sich vermutlich auf Regeln der Nichteinmischung und nicht Belästigung anderer« (Goffman, 1991, 100). Sie betreffen u. a. sexuelle und religiöse Bereiche. Instrumentale Regeln richten sich auf Pflichten, die in bezug auf Eigentum, Arbeitsnormen u. ä. einzuhalten sind. Die »Vorderseite« deckt demzufolge alle sozialen Situationen ab, in denen Subjekte das zeigen, was sie wollen, daß es gesehen und zur Kenntnis genommen wird. Da die Teilnahme der Subjekte an face-to-face-Situationen an den Körper gebunden ist, werden auch weitere wesentliche Differenzierungen über körperliche Kontextaspekte vollzogen. Es ist wichtig zu sehen, daß auch die meisten institutionellen Abläufe und Prozesse verschiedenster inhaltlicher Prägung – wirtschaftlicher, religiöser u. a. Art – in der einen oder anderen Form an solche Grundformen und -regeln der Begegnung gebunden sind. »Rückseitige Regionen« sind definiert »als der zu einer Vorstellung gehörige Ort, an dem der durch die Darstellung hervorgerufene Eindruck bewußt und selbstverständlich widerlegt wird« (Goffman, 1991, 104), der den Blicken der vorderseitig situierten Subjekte entzogen wird, um die persönliche Fassade zu überprüfen und zu korrigieren, das vorderseitige Agieren zu proben oder sich von diesem zu erholen. Der Blickentzug verlangt nach bestimmten baulichen Voraussetzungen, um die herum sich auch heftige Konflikte entspinnen können. So weist Goffman darauf hin,78 daß die Widersprüche zwischen den Tätigkeiten, die in einer Hotelküche ablaufen, und dem Eindruck, den das Personal in der Gästeregion erwecken will, verständlich machen, warum die Türen zwischen der Küche und anderen Teilen ein ständiges Streitobjekt der Tätigkeits- und Hotelorganisation sein können. Aber auch hier ist wieder mit allem Nachdruck zu unterstreichen, daß der Streit weder um Orte noch Türen an sich geht, sondern um deren Bedeutung im Hinblick auf die soziale Präsentation. Ebenso sind die »Territorien des Selbst« (Goffman, 1982, 54) nie Territorien per se, sondern sie werden immer von Subjekten im körpervermittelten Handeln zu diesen gemacht oder beispielsweise im Vollzug der sozialen Organisation intersubjektiv verpflichtend mit bestimmten (normativen) Bedeutungen relationiert. Ihre Bedeutung existiert nur als Handlungsvollzug und nicht als Eigenschaft des Raumes. »Territorien« sind also nur durch das Handeln hindurch räumliche Kontexte. Sie sind es nicht an sich. Aber damit ist

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weder »Raum« bereits sozial, noch wird Soziales räumlich, wie das etwa in der Debatte um die »neue« Regionalgeographie immer wieder betont wird.79 Vielmehr werden damit Geltungsreichweiten von Standards des Handelns räumlich verdeutlicht. Doch nur die Standards bleiben sozial, und nur die materiellen Vehikel sind räumlich lokalisierbar. Letztere nehmen erst handlungsspezifisch differenziert die entsprechende Bedeutung an, ohne selbst aber die Standards zu sein oder zu werden. Die Erforschung dieser alltäglichen Geographien sind als »Mikrostudien zur öffentlichen Ordnung« (Goffman, 1982, 3) einzustufen. In deskriptiv-analytischer Hinsicht ist die Vielfalt der verschiedenen Auftretens- sowie Ablaufsformen zu erfassen und darzustellen. Dies ist so zu gestalten, daß sie auch für die autoritativen Dimensionen in explikativer Hinsicht verwendbar bleiben. Denn insbesondere das Verhältnis der beiden Regionen ist sowohl für die Aufrechterhaltung der Herrschaft wie das Erdulden von Macht von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Und wie Giddens hinweist, ist das Verhältnis der beiden Regionen und der damit verbundenen Formen der körpervermittelten Territorialisierung zur Aufrechterhaltung von Takt und Ich-Identität relevant. Die rückseitigen Regionen sind insbesondere in Zusammenhang mit der Respektierung von Schamgefühlen zentral.80 Die Ergebnisse der entsprechenden Mikrostudien geben Leitlinien für die materielle Gestaltung von Orten für vorder- und rückseitige Begegnungen ab. Freilich können nur die materiellen Voraussetzungen der Ermöglichung geschaffen werden. Die Interpretationen werden alltagsweltlich nur von den Subjekten und nur situativ vorgenommen, die aber nicht von wissenschaftlicher Warte aus verordnet werden können. Das impliziert für diese Bereiche den Wechsel von der Raumplanung zur räumlich sensibilisierten Planung materieller Voraussetzungen für bestimmte Arten sozialer Begegnungen. Angewandte Sozialgeographie soll die Gestaltung auf soziale und nicht räumliche Erfordernisse abstimmen. Im intersubjektiven Bereich sind die vorder- und rückseitigen Regionen natürlich nicht mehr körperzentriert. Sie umfassen vielmehr jene Bereiche, die in bezug auf dominierende kulturelle Standards die Orte der Repräsentation und jene der verborgenen oder verbotenen Aktivitäten symbolisieren. Entsprechend sind die intersubjektiven vorder- und rückseitigen Regionen als normativ geltende signifikative Regionalisierungen zu verstehen.81 Stätten der Repräsentation sind meist auch die Vorzeige-Orte einer Gesellschaft. Das können die »guten Adressen« sein oder die historischen Symbole der Macht-

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demonstration, wie die Hofburg in Wien oder Versailles in Paris. Jene der »Schande« sind die »offiziell« gemiedenen Orte, die »schlechten Adressen«, wie es der Drogenumschlag- und -konsumtionsplatz »Letten« in Zürich für die Mehrheit der Stadtbewohner war.82 Sozial-kategorielle Regionalisierungen

Bei den alltagsweltlichen Ausprägungen von Regionalisierungen mit ethnien-, geschlechts-, alters-, status- und rollenspezifischen Relationierungen von »Raum« und Präskription sind insbesondere zwischen traditionellen und spätmodernen Lebensformen83 wichtige Unterschiede zu erwarten. Da in traditionellen Lebensformen diesbezüglich die jeweiligen Positionen durch die Geburt festgelegt sind, werden entsprechende Regionalisierungen auch kaum die diskursive Ebene erreichen. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß sie tief in unbewußte Dimensionen des Handelns eingelassen sind, unbefragt und nur schwer befragbar praktiziert und reproduziert werden. In spät-modernen Lebensformen können sie prinzipiell in jedem Moment zum Gegenstand diskursiver politischer Auseinandersetzung werden. Dies ist über feministische Forderungen84 insbesondere in geschlechtsspezifischen Regionalisierungen in den letzten Jahrzehnten verdeutlicht worden. Ethnische Regionalisierungen können als verbleibende Konsequenz traditioneller, räumlich und zeitlich verankerter Lebensformen bestehen, aber auch Ausdruck der »gewollten«, auf Affinität beruhenden Migration (ethnische Segregation) oder das Ergebnis gewaltmäßiger Anordnung im Stile der Apartheid85 sein. Sie spielen vor allem bei ethnischen Konflikten und den damit häufig verbundenen ethnischen Säuberungen sowie bei nationalistischen und regionalistischen Argumentationsmustern die zentrale Rolle. Somit können sie als Ziel der kriegerischen Wiederherstellung traditioneller Territorialverhältnisse figurieren, wie es offensichtlich beim jüngsten Balkankrieg ein wichtiger Aspekt war. Die gewaltmäßigen Formen dieses alltäglichen GeographieMachens sind nach Robinson (1990, 136) sowohl Ausdruck als auch Quelle gesellschaftlicher Macht, die unmittelbar an die verwaltungs-rationale Logik der Kontrolle der Subjekte durch Territorialüberwachung gebunden ist. Geschlechtsspezifische Regionalisierungen weisen in allen Kulturen – mit den unterschiedlichsten Ausprägungen – vielfältige Variationen auf.86 Sie können letztlich »als Ausdruck von Machtverhältnissen betrachtet werden« (Scheller, 1995, 109). Die konkreten Ausformungen hängen von der vorherrschenden Lebensform ab. In traditionellen Lebensformen sind geschlechtsspezifische

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Regionen der Alltagspraxis auf die religiös/mystisch und fix verordneten, geschlechtsgebundenen Wirtschaftsbereiche abgestimmt. Nicht zuletzt aufgrund dieser Abstimmungen können sie als »natürliche« Trennungen hingestellt werden. In spät-modernen Formen hingegen sind im Prinzip die wenigsten Aktivitätsbereiche strikt an das biologische Geschlecht gebunden. Sie können vielmehr zum Gegenstand von Entscheidungen und diskursiven, allerdings nicht machtfreien Abstimmungen gemacht werden. Die jüngste Geschichte zeigt, daß in diesem Bereich Abstimmungen der alltäglichen Regionalisierungen auf die Prinzipien der Positionserlangung noch nicht abgeschlossen sind. Wie Seyla Benhabib (1992, 107f.) zeigt, betrifft in westlichen Gesellschaften die umfassendste geschlechtsspezifische Regionalisierung die Differenzierung zwischen dem privaten und dem öffentlichen Raum. »The way in which the distinction between the public and the private spheres has been drawn has served to confine women and typically female spheres of activity like housework, reproduction, nurturance and care for the young, the sick and the elderly to the ›private‹ domain, and to keep them off the public agenda in the liberal state.« Diese grundlegende Trennung wurde in der Regel als naturgegeben dargestellt. In alle Routinen des Alltags eingelassen,87 blieb sie lange im prä-reflexiven Stadium und wurde schließlich zu einem der zentralen Punkte feministischer Kritik des Alltagslebens,88 der Haushalt zum Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung. Sie sind eine weitere Veranschaulichung der Bedeutung räumlicher Relationierungen normativer Standards für die Reproduktion sozialer Macht, denn in geschlechtsspezifischen Regionalisierungen der Alltagswelt spiegeln sich die sozialen Verhältnisse wider. »Wenn in einer Gesellschaft das Geschlecht für die Schaffung von Subjektpositionen eine Rolle spielt, ist es auch ein entscheidender Faktor bei der Konstitution von Regionalisierungen« (Scheller, 1995, 94). Dieses Verhältnis auch außerhalb der Dichotomie »privat-öffentlich« und für die diversen sozialen Aneignungsformen des öffentlichen Raumes differenziert abzuklären, ist Aufgabe der entsprechenden empirischen sozialgeographischen Forschung. In bezug auf altersspezifische Formen der Regionalisierung scheinen extreme Unterschiede zu bestehen, je nachdem wie das Alter sozial bewertet wird. Sie reichen von asylähnlichen Ausschlußmustern bis hin zu weitgehender Integration älterer Menschen in das alltägliche Gesellschaftsleben. Auch hier bestehen – wie gerontologische Studien in Kultur- und Sozialwissenschaften belegen – wichtige Unterschiede zwischen traditionellen und spät-modernen

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Gesellschafts- und Lebensformen. Die Sozialgeographie des Alterns89 hat für die deskriptive Darstellung altersspezifischer Regionalisierungen in westlichen Industriegesellschaften wichtige Vorarbeiten geleistet. In explikativer Hinsicht sind die damit verbundenen Formen des sozialen Ausschlusses und der Absonderung90 noch mit Formen der Reproduktion autoritativer Ressourcen in Zusammenhang zu bringen. Aber auch für andere Altersgruppen sind je spezifische Regionalisierungen beschreibbar. Die alltägliche Sozialgeographie der Kinder91 beispielsweise ist – je nach Wirtschafts- und Gesellschaftsform – auf unterschiedlichste Weise in die Tätigkeitsabläufe erwachsener Betreuungspersonen eingebettet. Da der überwiegende Teil der Kommunikationssituationen traditioneller Lebensformen auf die Kopräsenz der Interagierenden angewiesen ist, traten in raum-zeitlicher Hinsicht auch keine wesentlichen Konfliktsituationen im Verhältnis von Arbeit und Sozialisation auf.92 Traditionelle Handlungsmuster können hier in face-to-face-Situationen kontinuierlich vermittelt werden. In modernen Lebensformen sind Kommunikation wie Produktion in hohem Maße raum-zeitlich entflochten und segmentiert.93 Da Situationen des Lernens auf besondere Weise an die körperliche Anwesenheit der Kommunikationspartner gebunden sind, äußern sich hier die Konsequenzen der Regionalisierungen des spät-modernen Erwachsenenlebens für jene der Kinder auf besonders radikale Weise. Wie radikal sich diese Trennungsmechanismen auf die Sozialisationsbedingungen auswirken, verdeutlichen wohl am extremsten Straßenkinder, welche mehr und mehr zum Alltag nicht nur südamerikanischer Großstädte gehören. Wird die raum-zeitliche Entankerung von Produktion und Kommunikation nicht durch spezielle Sozialisationseinrichtungen (Ganztagsschulen, Kindergärten, Kinderhorte) begleitet, entstehen Brüche in der raum-zeitlichen Organisation, deren drastischste Implikation die Verwahrlosung von Kindern und Jugendlichen ist. Das war in Europa im 19. Jh. nicht anders94 und gewinnt in der Gegenwart – im Kontext neuer Umbruchsituationen – auch außerhalb der Großstädte der Länder der Dritten Welt erneut an Bedeutung. Hier treten die vielfältigsten Regionalisierungsformen jugendlicher Alltagswelten auf, die vom sozialgeographischen Gesichtspunkt aus empirisch erst noch zu erforschen sind. Wie Untersuchungen über Straßenkinder zeigen,95 sind alle altersspezifischen Regionalisierungen immer auch von statusspezifischen Regionalisierungen überlagert. Sozialstatus und einkommensspezifische Regionalisierungen treten vor allen Dingen im Wohnbereich, dem klassischen Feld der Segregations-

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forschung, auf. Doch steht auch hier nicht die räumliche Darstellung der Einkommens- und Statusdifferenzen anhand von Karten im Zentrum, sondern, wie bereits am Beispiel der »guten Adresse« angedeutet, die sozialen Implikationen dieser Formen alltäglicher Regionalisierungen für andere Handlungszusammenhänge. Rollenspezifische Regionalisierungen sind in allen Tagesabläufen relevant. Sie zeichnen sich durch hohen Routinegehalt aus. Die Rollenpluralität jedes Subjektes strukturiert die Tätigkeitsabläufe in räumlicher Hinsicht. Sie werden an den rollenspezifisch wichtigen Standorten bzw. den Standorten der entsprechenden Einrichtungen gebündelt. Diese Orte nennt Parsons (1952, 91) »bases of operations« und die Anzahl der Handelnden, die sich dort zum gleichen Zeitpunkt zu Interaktionen treffen, »community«. Da die »Operationsbasen« rollenspezifisch aufgesucht werden, bilden sie für jedes Subjekt die segmentierten Bereiche des Handelns im Tagesablauf. Zwei wichtige Operationskontexte sind der Wohn- und der Arbeitsbereich, in denen unterschiedliche Rollenmuster praktiziert werden. Der »Wohnbereich« spielt für Interaktionspartner in verwandtschaftlich (Eltern, Kinder usw.) und freundschaftlich (Empfangen von Besuchern usw.) definierten Gemeinschaften eine zentrale Bedeutung. Der Arbeitsplatz ist durch Berufsrollen spezifisch definiert. Die Funktionalisierung der verschiedenen Sektoren erfolgt durch die räumliche Fixierung der Arbeitsbereiche, die sozial eindeutig normativ definiert werden. An Orten wie »Büro«, »Schule«, »Kanzlei« u. ä. werden normative Regelungen unter Bezugnahme auf territoriale Kategorien durchsetzbar. Über diese Funktionalisierungen werden den Subjekten, die diese Standorte körperlich aufsuchen, normative Standards auferlegt. Administrative Regionalisierungen

Die Prozesse der normativen Regionalisierung auf kommunaler und staatlicher Ebene beziehen sich primär auf das Verhältnis von Recht und Territorium. Nationalstaaten sind in diesem Sinne zunächst als der Gültigkeitsbereich des nationalen Rechts zu interpretieren, für dessen Aufrechterhaltung staatliche Institutionen zuständig sind. Sie definieren die territoriale Reichweite der formellen normativen Aneignungen durch die rechtlichen und politischen Institutionen, denen sich die Personen, die sich auf den entsprechenden räumlichen Ausschnitten aufhalten, zu unterwerfen haben. Nach außen legen Immigrationsbehörden die Standards des Zugangs zu diesen Territorien fest, die von entsprechenden Kontroll- und Überwach-

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ungsorganen unterstützt werden. Nach innen bestehen Abstufungen der Aufgabenteilung durch die verschiedenen staatlichen Institutionen, die thematisch differenziert für die Beachtung der territorial-relationierten normativen Standards in Wirtschafts-, Bildungs-, Gesundheits-, Ökologie-, Planungsbereichen usw. über die entsprechenden Organisationen und Verwaltungseinrichtungen zuständig sind. Auf Territorien einheitlicher Jurisdiktion bestimmen der Souverän und die Vertreter der Gesetzesautorität gebietsbezogen Rechtsnormen und Sanktionsmaße für Abweichungen. Da die Durchsetzbarkeit des geltenden Rechts und die Kontrolle, ob dem Gesetz Genüge getan wird, voraussetzt, daß die Akteure auch körperlich erreicht werden können, ist konsequenterweise die territoriale Strukturierung in rechtlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Paasi (1986a; 1986b; 1991; 1992; 1996) zeigt den Weg an, wie die entsprechenden normativ-politischen Regionen in strukturationstheoretischer Perspektive zu begreifen sind: nicht als container-ähnliche Gebilde der Machtlagerung, wie sie für die politische Geographie konstitutiv waren, sondern als institutionelle Wirklichkeiten:96 »The point of departure is, that (…) a region is comprehended as a concrete dynamic manifestation of social (…) processes (…) (in) the development of a society« (Paasi, 1986a, 110). Die Institutionalisierung einer Region ist in dieser Hinsicht als ein Prozeß zu verstehen, über den räumlich-zeitliche Dimensionen des Handelns und Denkens etabliert und über individuelle und institutionelle Praktiken in kultureller, rechtlicher, erzieherischer, ökonomischer, politischer usw. Hinsicht ständig reproduziert werden. »Region« wird derart als Aspekt sozialen Handelns denk- und erforschbar.97 Im Gegensatz zu regionalgeographischen Denkmustern ist davon auszugehen, daß die politische »Region« als eine Institution d. h. als ein in Handlungsregelmäßigkeiten produzierter und reproduzierter Teilbereich sozialer Wirklichkeit zu verstehen ist, als Teilaspekt der Konstitution gesellschaftlicher Wirklichkeit und konsequenterweise als soziale Kategorie. Weichhart (1996c, 39) nennt in vergleichbarem Zusammenhang »Region« ein »systemimmanentes Strukturprinzip des Sozialen«. Statt das Räumliche sozial zu erklären, wie das die »neue« Regionalgeographie praktiziert, geht es vielmehr darum, die Bedeutung des sozial angeeigneten Räumlichen für die Konstitution gesellschaftlicher Wirklichkeiten abzuklären. Die Prozesse der Regionalisierung bzw. die Transformationsprozesse von Regionen können gleichzeitig in verschiedenen räumlichen und zeitlichen Dimensionen ablaufen.

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Die Etablierung von Verwaltungsregionen umfaßt vier Ebenen: a) die Bildung der territorialen Form der Region, b) die Bildung der Symbolik, c) das Entstehen von Institutionen und des Verwaltungsapparates, d) die Festsetzung der regionalen Einheit in der räumlichen Struktur und im gesellschaftlichen Bewußtsein.98 Damit sind die Dimensionen der sozialen Konstitution von Regionen als staatliche Einrichtungen identifiziert. Die entsprechenden Vorgänge können in Wirklichkeit simultan verlaufen oder auch in anderer Ordnung aufeinander folgen und für jede thematische Zwecksetzung spezifische inhaltliche Interpretationen erfahren: Territorien können unterschiedliche Ausdehnungen, unterschiedliche symbolische Aufladungen und je spezifische Verwaltungsapparate aufweisen. Die territoriale Form einer verwaltungsspezifischen Region entsteht über lokalisierte Praktiken politisch-administrativer Art. Dadurch erhält die Region ihre Begrenzungen. Die Grenze wird somit über institutionelle Regelungen festgelegt. Machtbeziehungen, die sich in politischen, administrativen, wirtschaftlichen und symbolischen Praktiken äußern, spielen hier die entscheidende Rolle. Die Bildung der Symbolik vollzieht sich über verschiedene Kommunikationsakte. Die symbolische Sphäre übermittelt historische und traditionelle Elemente und fördert die Reproduktion des sozialen bzw. intersubjektiven Bewußtseins von der Region als administrativer Territorialeinheit. Das Entstehen der (administrativen) Institutionen regelt die Reproduktion der sozialen Wirklichkeit »Region« über regelmäßige Zusammenhänge des Handelns. Der administrative Apparat sichert die Einheit der normativen Aneignungen auf spezifische thematische Sphären (Wirtschaft, Politik, Kultur usw.). Die Festsetzung der Region im gesellschaftlichen Bewußtsein läßt die entsprechende Territorialeinheit – ganz im Sinne der traditionellen Regionalgeographie – als Quasi-Einheit von räumlicher Ausdehnung und sozialer Wirklichkeit erscheinen. Die institutionell-administrativen Regelungen erscheinen im gesellschaftlichen Bewußtsein schließlich als Bestandteil eines räumlichen Gefüges. Normativer Gültigkeitsbereich, symbolische Form sowie institutionell-administrative Ebene der verwaltungsmäßigen Handlungsbezüge schließen sich zur Einheit zusammen: »The territorial unit is now ›ready‹ to be taken into use in ›place marketing‹ or as weapon in an ideological struggle over resources and power, for example, in regional policy« (Paasi, 1991, 247). Für die empirische Erforschung der Institutionalisierung der Region schlägt Paasi (1986b, 20f.) vor, den Etablierungsprozeß der Region ins Zen-

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trum zu stellen und dabei die historischen Dimensionen angemessen zu beachten. Dabei ist der Werdegang der territorialen Form ebenso zu rekonstruieren wie die Konstitution der Symbolik für ein regionales Identitätsbewußtsein. Diese deskriptiv-analytischen Forschungen können für einzelne Nationalstaaten so konzipiert werden, daß zuerst das Entstehen der Hauptprovinzen und dann der kleineren territorialen Einheiten als Ausdruck des sozialen Wandels und der (Neu-)Konstitution entsprechender gesellschaftlicher Wirklichkeiten gesehen wird. Grenzen von Regionen sind konsequenterweise ausschließlich als die erdräumlich symbolisierten Geltungsbereiche normativer Standards staatlicher, regions- oder auch kommunespezifischer Einrichtungen zu begreifen.99 In diesem Sinne ist »Grenze«, wie Raffestin (1990, 295) betont, immer integraler Aspekt des Handels: »frontière est consubstantielle de la pensée et de l’action humaine«. Vom Standpunkt der handelnden Subjekte aus bilden Grenzen den Bezugsrahmen für die Orientierungen der Alltagspraxis. Über diese und die entsprechenden Formen des Handelns wird auch die Gültigkeit der Grenzen kontinuierlich reproduziert bzw. als intersubjektiv geltende soziale Wirklichkeit erhalten: »Boundaries are both symbols of power relations and social institutions in social and physical space and (…) they become part of daily life through diverging institutional practices« (Paasi, 1996, 9). Als Bestandteil institutioneller Wirklichkeit umfassen Grenzdefinitionen konsequenterweise auch implizite und explizite Festlegungen sozialer und politischer Normen sowie kultureller Werte, aber auch rechtlicher und moralischer Standards.100 Die zentralen Instanzen zu ihrer Reproduktion sind territorial organisierte Einrichtungen des Bildungswesens und der Information. Mit ihnen wird gleichzeitig eine klare Ab- und Ausgrenzung der Anderen vorgenommen,101 was nicht zuletzt Basis regionaler/nationaler Identität und Integrationsort regionalistischer und nationalistischer Gefühle und Aktionen werden kann. Dabei erlangt die Sprache eine zentrale Position. Sprache und normative Aneignung

Die Sprache ist ein besonderes Vehikel der normativen Aneignung. Das Verhältnis von Sprache und Territorialität ist seinerseits an das Verhältnis von Sprache und Sprechen gebunden. Wie bereits gezeigt,102 stellt Sprache eine abstrakte Fähigkeit einer Gemeinschaft von Sprecherinnen und Sprechern dar, die aber ausschließlich im Sprechen aktuell und sozial wirklich wird. Sprache wird im Reden und Schreiben wirklich. Trotzdem kann auf institu-

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tioneller und administrativer Ebene gerade die Erhaltung der abstrakten Fähigkeit der Gemeinschaft im Vordergrund stehen. Da Reden und Schreiben an körperliche Subjekte gebunden sind und die Subjekte vermittels ihrer Körperlichkeit ihre Sprechfähigkeit immer unter bestimmten räumlichen Konstellationen praktizieren, kann das Verhältnis von Sprechen und Sprache, Subjekt und Territorium hervorragende soziale Bedeutung erlangen. Die Bedeutung des Körpers für die »Begegnung von Sprachen« darf aber nicht die Differenz von Sprache und Sprechen verwischen. Diesbezüglich ist mit allem Nachdruck zu betonen, daß alltagspraktisch das Verhältnis von Sprechen und Territorium von höchster Relevanz ist. In Verwaltungs- und Machtbezügen wird diese Relation in aller Regel über die Bestimmung des Korrelationsspielraums von Sprache und Territorium geregelt. Da die institutionelle Ebene in der Begegnung nicht aktuell präsent sein kann, sichert sie die abstrakte Fähigkeit der Sprechenden, die Sprache, als Potentialität des Sprechens ab. Staatliche Bildungsinstitutionen vermitteln und kontrollieren in diesem Sinne nicht das Sprechen, sondern die Befähigung dazu in Form des territorial gleichmäßig angebotenen und vermittelten Sprachunterrichts. Derart wird das Prinzip der Territorialität mit der Sprache, wie es beispielsweise in der Schweiz geschieht, ohne daß es in der Verfassung festgehalten ist, in bildungsspezifischer Hinsicht institutionell abgesichert und alltagsweltlich reproduziert.103 Im Sinne der Aktualisierbarkeit der Sprache im Sprechen ist der von Widmer (1993, 17) formulierte Grundsatz zu verstehen, daß »Sprache« die Körper bewohnt und der Kontakt der Sprachen immer auch eine Begegnung von Körpern einschließt: »La langue habite les corps et (…) le contact entre langue est toujours aussi contact entre corps.« Hier wird erstmals die noch ausführlicher zu erörternde Unterscheidung zwischen der lokal, spontan und nur mündlich praktizierten Mundart und der mündlich und schriftlich praktizierten regionalen resp. nationalen Verkehrssprachen, welche größere Kommunikationsgemeinschaften erst ermöglichen, wichtig. Der Territorialnexus der Sprache bedeutet nicht, daß damit auch für persönlich-private Bereiche festgelegt ist, wie zu sprechen sei. Das Territorialitätsprinzip gilt in aller Regel primär für den institutionellen Bereich des staatlichen Verwaltungsapparates und den öffentlichen Raum politischer Auseinandersetzung und Kommunikation. Das Verhältnis von Sprechen/Sprache und Territorium ist – wie in der Einleitung zu diesem Kapitel erörtert – auch eng an die Konstitution von

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»Nation« gebunden. Dies trifft sowohl für die ethnische als auch für die politische Variante zu. Die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Nation wird per definitionem über Geburt und Sprache entschieden. Damit sind zentrale Mechanismen der Macht an Sprache gebunden. Soziale Zugehörigkeit wird in diesem Sinne über Territorialzugang und Sprachbeherrschung festgelegt. Wer territorial und sozial »dazugehören« will, muß die jeweiligen sprechspezifischen sprachlichen Voraussetzungen erfüllen. Es ist zu betonten, daß es sich hier um eine soziale Regelung und nicht um eine »natürliche« Notwendigkeit handelt: »N’importe quel territoire peut accueillir n’importe quelle langue et n’importe quelle langue peut être utilisée n’importe où« (Raffestin, 1995, 90). Die Beziehung zwischen Sprache und Territorium wird erst über die Sprechenden hergestellt. Über die territorialen Grenzen des jeweiligen sprachlichen Primats erfolgen schließlich machtvolle Definitionen und Abgrenzungen von »Uns« und die »Anderen«. Zugehörigkeit wird vor allem über Sprach- bzw. Sprechkompetenz definiert. Konsequenterweise legen nationalstaatliche Institutionen großes Gewicht auf die Einhaltung sprachlicher Regionalisierungen. Die Zugriffsbereiche staatlicher Bildungsinstitutionen sind für die Reproduktion der bestehenden Sprache-Territorium-Beziehungen zuständig. Dies kann unter der Vorstellung einer nationalen Einheitssprache wie in Deutschland, Frankreich und zahlreichen anderen Nationalstaaten erfolgen oder auf der Basis der national anerkannten Sprachregionen des öffentlichen Diskurses wie in Italien, der Schweiz, Kanada usw. Die Geschichte der Nationalstaaten ist in wichtigen Teilen eine Geschichte der Durchsetzbarkeit eines bestimmten Verhältnisses von Territorium und Sprache. Hier tritt häufig die Vorstellung von der Überlegenheit einer Sprache gegenüber einer anderen in Kraft. Doch wie Steiner (1975, 17) feststellt, gibt es weder eine theoretische noch eine allgemeine leistungsmäßige Grundlage für den Versuch einer solchen apriorischen Hierarchisierung. Vielmehr sind entsprechende Urteile bereits als Ausdruck einer nationalistischen/ethnozentristischen Weltsicht auszuweisen. Die globale Durchsetzbarkeit einer Sprache – wie zur Zeit des Englischen – liegt nicht in ihrer höheren Kompetenz, sondern vielmehr in der Mobilisierungskraft von politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Verhältnissen: »En d’autres termes, c’est un problème de pouvoir, de relations de povoir et de structure de pouvoir (…). C’est un problème de pouvoir parce que la langue est un enjeu et elle l’est parce qu’elle est une ressource« (Raffestin,

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1978, 279). »Ressource« ist Sprache als hervorragendes Kommunikationsmittel und demzufolge als wichtigstes Mittel der Benennung und Identifikation von allen Bedingungen und Mitteln des Handelns.104 Hinsichtlich der »ontologischen« Bedingungen des Verhältnisses von Sprache und Territorium ist mit Raffestin (1978, 281; 1995, 93) und Racine (1995, 108f.) darauf hinzuweisen, daß »Sprache« immer nur ein Mittel normativer und symbolischer Aneignung bzw. der Territorialisierung sein kann. In Anlehnung an Gobard (1966, 34) können vier verschiedene Formen sprachlicher Aktualisierungen unterschieden werden: a) lokale und spontane Umgangssprache, die mehr der Gemeinschaftspflege als der Kommunikation dient; b) regionale oder nationale Verkehrssprache, die unterrichtet wird und Kommunikation über räumliche Distanz ermöglicht; c) Verweis- und Bezugssprache, welche der Aktualisierung kultureller Traditionen dient und die Kontinuität der Werte über zeitliche Distanzen sichert; d) mythische Sprache, durch welche man die Unverständlichkeit magischer oder religiöser Bezüge erfährt. Daraus lassen sich vier verschiedene Typen von Territorien bzw. sprachspezifische Regionalisierungen ableiten,105 die sowohl im Feld des Normativen als auch des Symbolischen anzusiedeln sind: a) Das Territorium der Kontinuität der Umgangssprache umfaßt die Orte der alltäglichen Routinen, die wir wenig aufmerksam erleben. b) Das Territorium der Diskontinuität der Verkehrssprachen ist jenes des Tausches, dessen Grenzen sich ständig ändern, weil es sich nach der Art der Tauschbeziehungen richtet und sich somit weder durch eine räumliche noch eine zeitliche Kontinuität auszeichnet. c) Das Territorium der Referenz mit seiner materiellen und immateriellen Komponente bezieht sich sehr oft auf die Vergangenheit, kann aber auch in eine utopische Zukunft gerichtet sein. Es ist nicht körperlich aufsuchbar, läßt sich aber durch die Sprache so bewohnen, wie man sich mit Hilfe der Sprache im antiken Griechenland bewegen kann. d) Das sakrale Territorium wird über religiöse und mythologische Texte zu einer Einheit von Materie und Sprache bzw. Bedeutung, wie das bei poli-

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tischen Mythen in nationalistischen oder regionalistischen Diskursen der Fall ist. Dem sakralen Territorium entspricht eine als heilig betrachtete Sprache. Es ist die durch die Institutionen des Staates zur Nationalsprache hochstilisierte. Die Unterscheidung dieser vier Typen von Territorien verdeutlicht nochmals, daß sich die verschiedensten normativen Aneignungen »überlagern« oder besser: je nach Handlungskontext und für verschiedene Subjekte in vielfältigen Bedeutungen koexistieren können. Auch deshalb kann nur eine praxisorientierte Analyse normative Aneignungen aufdecken, nicht aber eine Raumanalyse. Stimmt man dem zu, sind die methodologischen und forschungskonzeptionellen Konsequenzen zu ziehen. Jede Art von raumzentrierter Methodologie führt genau in jene Schwierigkeiten, wie sie für die Revisionsversuche der Regionalgeographie als »neue« Regionalgeographie identifiziert wurden.106 Noch dringlicher wird die Einhaltung dieser Forderung für den zweiten Bereich normativ-politischer Regionalisierungen. Geographien politischer Kontrolle

Territorialisierungen, mittels deren Kontrollen über Personen und Mittel der Gewaltanwendung organisiert sind, bilden Kernbereiche der Überwachung. Sie reichen von Territorien totalitärer Institutionen bis zu Nationalstaaten. In dieser Form sind sie in Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung nationalen Rechts und politischer Ordnung zu sehen. Die Territorialkontrolle umfaßt somit vielfältigste Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Die Kontrolle der Subjekte erfolgt qua die normativ relationierten Territorialbereiche körperbezogenen Handelns. Dabei ist mit Sofsky (1997, 61) davon auszugehen, daß »jede Macht, die den Augenblick überdauert, (…) Raum und Zeit« organisiert. Die eindrücklichsten und schrecklichsten Beispiele dieser Geographien der Macht sind Konzentrationslager. Hier wird mit aller Radikalität deutlich, daß – sozial angeeignet – Zeit und Raum über ihre normativen Gehalte nicht apriorische Gegebenheiten sind, die jedem Denken und Handeln vorausgehen, sondern mit den entsprechenden Relationierungen konstitutive Einheiten sozialer Wirklichkeit und Machtverhältnisse sind. Über die Relationierungen werden räumliche und zeitliche Ordnungen zu Mitteln der Steuerung sozialen Handelns, zu zentralen Elementen der Handlungsorientierung. Der natürliche Raum wird zum sozialen Zwangsraum mit verbarri-

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kadierten Ausgängen, klar markierten, fein ausdifferenzierten und streng untergliederten Kontrollbezirken, zum Feld der totalitären Kontrolle der Subjekte. Konsequenterweise bleiben keine Möglichkeiten subjektspezifischer Aneignungen übrig. Die totalitäre Kontrolle unterbindet nicht nur die Möglichkeit der Aufrechterhaltung von vorder- und rückseitigen Regionen, sondern schlichtweg jede Form subjektspezifischer Spielräume: »Absolute Macht kettet das Handeln an räumliche Tatsachen, an Stationen und Passagen. (…) Der Terror prägt sich dem Raum auf und verwandelt ihn zum Medium seiner selbst« (Sofsky, 1997, 61). Die Raumordnung der Gulags und der Konzentrationslager macht auch deutlich, daß jede Raumanalyse nicht neutral in dem Sinne sein kann, daß die deskriptiv-analytische Darstellung den Zweck wissenschaftlicher Arbeit bildet. Jede Raumanalyse hat sich vielmehr dem Kriterium der Sinnadäquanz zu stellen und auf die Prozesse und Ziele zu verweisen, deren Ausdruck sie ist. Die Analyse der Räume der Macht hat die sozialen Bedeutungen nachzuzeichnen, die Handlungszusammenhänge zu rekonstruieren, deren Ausdruck diese Ordnungen sind, sowie die symbolischen Konnotationen zu erfassen, in welche die Ordnungen verstrickt sind. Kurz: Sie ist auf die Rekonstruktion der Genese der Macht zu zentrieren. Die Raumordnungen der Konzentrationslager bringen, wie Sofsky (1997, 62f.) und Bettelheim (1964) auf eindrückliche Weise zeigen, die Logik des Terrors in eine materielle Gestalt. Diese umfaßt je spezifischen Aneignungen und Kontrollen, welche seine Durchsetzung erst ermöglichten. Zonierungen und Areale sind jeweils so inszeniert, daß Herrschaft und Erniedrigung in das effizienteste Verhältnis gebracht werden konnten: das Machtzentrum mit Kommandantenvillen, Schwimmbädern, Kinos und Bordellen, die Verwaltungsbezirke mit den Archiven und Listen, die Bezirke der SS-Wächter mit den entsprechenden Versorgungsinstallationen, jener der zum Tode verurteilten mit Quarantänedistrikten, Holzbaracken, Fabrikhallen, Werkstätten usw. Die Serialität der Raumordnung entspricht der Serialität der Vernichtung. Sie erlaubte die Ordnung der Handlungen vermittels eines »Aufsichtsraums« und die Erhaltung der Mechanismen der Macht, der Kontrolle und Vernichtung. »Absolute Macht zerteilt den sozialen Raum in Zonen des Überlebens, Sterbens und Tötens. (…) Für die alte Disziplinarmacht war der Raum ein Mittel der Abrichtung und Observation. Für die absolute Macht ist er ein Instrument der sozialen Diskrimination und des Todes« (Sofsky, 1997, 69).

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Eine dieser alten Ausprägungen der Disziplinarmacht ist der Nationalstaat. Zum einfacheren Verständnis der Territorialverhältnisse für nationalstaatliche Zusammenhänge ist es sinnvoll, daran zu erinnern, daß Schrift und die Entstehung des modernen Staates eng aneinander gekoppelt sind. Wie Goody (1986, 87f.) mit allem Nachdruck betont, ermöglichte erst die Schrift die administrative Notiznahme, das Führen von Listen und Aufzeichnungen über territoriale Bedingungen und deren »Lagerung« über große räumliche und zeitliche Distanzen hinweg: »The origins of writing (…) have been historically closely related to the development of state power« (Giddens, 1981a, 169f.). Die raum-zeitliche Distanzierung sozialer Prozesse ihrerseits schaffte die Voraussetzung für die Entstehung der Territorialstaaten. Ihre Aufrechterhaltung ist gleichzeitig nur über Überwachungsmechanismen möglich, die ebenfalls zuerst an die Schrift gebunden sind. Denn erst die Listenführung ermöglichte die Entwicklung eines administrativen Apparates der bürokratischen Territorialkontrolle. Schließlich ist auch die Erhaltung der staatlichen Rechtsgrundlagen an diese Voraussetzung gebunden. Eine der wichtigsten Bedingungen der autoritativen Herrschaft mittels Territorialkontrolle besteht in der Lagerung von Informationen über die Subjekte. Listen und Schrift sind die zentralen Mittel zur Ausdehnung der Reichweite autoritativer Ressourcen und konsequenterweise eng mit der Entwicklungsgeschichte staatlicher Kontrollinstitutionen verbunden. Die Lagerungskapazität der Schrift gibt jenen, die sie beherrschen, die Möglichkeit der differenzierteren Kontrolle: »Storage of authoritative resources is the basis of the surveillance activities of the state« (Giddens, 1981a, 5). In diesem Zusammenhang gewinnt auch die Ausbildung des Städtewesens für die Entwicklung der Vorformen von Nationalstaaten und deren Kontrollorgane ihre Bedeutung. Damit autoritative Kontrollen über Raum und Zeit hinweg »greifen« können, ist ein differenziertes Siedlungsnetz notwendig. Die Urbanisierung bildet jene Voraussetzung, die weit ausgreifende soziale Kontrolle auf der Basis der genannten Lagerungskapazität ermöglicht. Staatliche Kontrolle über große raum-zeitliche Distanzen hinweg ist somit erst dann aufrechtzuerhalten, wenn ein bestimmtes Urbanisierungsmaß erreicht ist. Erst die räumliche Konzentration der Lagerung administrativer Informationen (autoritative Ressourcen) ermöglichte, daß die Städte die Zentren der Macht bildeten. Die gelagerten Informationen liegen in unmittelbarer räumlicher Erreichbarkeit vor. Oder anders formuliert: Die Konzentration beider Komponenten, von Handel und politischer Administration, an einem be-

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stimmten Ort ermöglichte erst das gebündelte raum-zeitliche Ausgreifen sozialer Kontrolle. Dieses stützt sich erstens auf ein permanentes Siedlungsnetz und zweitens auf die hierarchische Rangordnung der einzelnen Orte, die dieses Siedlungsnetz im Sinne der Zentralitätstheorie von Christaller ausmachen. Daraus folgt schließlich, daß die Stadt als ein Instrument der Machtdurchsetzung zu begreifen ist: Sie ist der Ort der Konzentration autoritativer Ressourcen. Diese Vorherrschaft der Stadt wird mit dem Aufkommen des Kapitalismus bzw. der modernen Gesellschaft durch die zentrale Rolle des Nationalstaates ersetzt, dessen Institutionen dann die territoriale Kontrolle der Machtausübung und -durchsetzung übernehmen: »The most tangible expression of this change is the disappearance of the city walls, the physical enclosure of the power container« (Giddens, 1981a, 148). Mit der Entwicklung elektronischer Speicherungsmedien hat das Überwachungspotential eine neue Stufe erreicht, das selbst nach neuen (demokratischen) Überwachungsinstitutionen verlangt. Parolen wie »Ende dem Schnüffelstaat« deuten auf dieses Erfordernis hin. Doch trotz dieser Risiken sollte nicht übersehen werden, daß gerade auch die Durchsetzung von demokratischen Rechten an Informationslagerung und Überwachung gebunden ist. Die nationalstaatlichen Verwaltungs- und Kontrolleinrichtungen sind eng an die Entstehung demokratischer Institutionen gebunden.107 Die Institutionen der Demokratie setzen somit Regionalisierungen voraus, welche die Verfügbarmachung und Koordination jener autoritativen Ressourcen, die bürgerlichen Rechten und Pflichten zugrunde liegen, erst erlauben. Gleichmäßige Wahl- und Stimmrechte der Subjekte zwingen geradezu zu einer territorialen Organisation des politischen Lebens. Werden Subjekte unabhängig von Stand und Herkunft als autonom und politisch verantwortlich betrachtet, können sie auch demselben Rechtskodex unterworfen werden. Die Begrenzung, wer dann effektiv unter denselben Rechtskodex fällt, kann konsequenterweise nicht mehr durch Standesmerkmale konstruiert werden, sondern es bleibt prinzipiell nur mehr das territoriale Merkmal übrig. Abgrenzbare demokratische Rechte, so kann man hypothetisch formulieren, sind intern mit dem Territorialprinzip verknüpft, welches gleichzeitig auch Eigentumsrechte mit einschließt.108 Für die alltäglichen Geographien der Kontrolle ist nun entscheidend zu begreifen, daß alle demokratischen Rechte mit je spezifischen Formen der staatlichen Überwachung und Kontrolle verknüpft sind. Um die Kontrollformen systematisch ableiten und identifizieren zu können, sind dementsprech-

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end zuerst die verschiedenen Rechtsformen zu identifizieren. Nach Marshall (1973, 46) umfassen die modernen nationalstaatlichen Gesellschaftsformen drei zentrale Rechtskategorien, die allen Bürgern in gleichem Maße zustehen: Zivile Rechte wie Meinungs- und Niederlassungsfreiheit usw. sichern den Subjekten bürgerliche Grundrechte und Gerechtigkeit bei Bestrafung im Falle von Verstößen gegen das Gesetz. Politische Rechte wie Stimm- und Wahlrecht garantieren den Subjekten Teilhabe an der Ausübung politischer Macht und ökonomische Rechte: gewähren minimale Existenzsicherung und Eigentumsrecht. Sie sorgen für einen minimalen Lebensstandard, Wohlfahrt und ökonomische Sicherheit. Jede dieser drei Rechtskategorien setzt gemäß Giddens (1985a, 206) Regionalisierungen der Kontrolle innerhalb des nationalstaatlichen Territoriums voraus. Da jedes der genannten Rechte jedem Subjekt in gleichem Maße zusteht, müssen die Handlungen eines jeden mit denen der anderen zu vereinbaren und zu koordinieren sein. Und weil die rechtlichen und politischen Prinzipien an ein bestimmtes Territorium gebunden sind, muß jedes Subjekt auch territorial »identifizierbar« sein. Die Durchsetzbarkeit der Gesetze setzt die eindeutige Lokalisierbarkeit der Subjekte voraus. Dies impliziert, daß Wohnorte und Adressen der Subjekte bekannt sein müssen, daß Grundbücher nachgeführt werden usw. Jede Rechtsform ist konsequenterweise an einen spezifischen Überwachungsmechanismus gebunden und dessen Durchsetzbarkeit an einen Ort der Koordination sowie an Regionalisierungen zum Zwecke der Kontrolle. Diese Rechtsformen sind wie Übersicht 16 zeigt an spezifische Formen der territorialen Überwachung und Orte der Koordination gebunden. Demzufolge können für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen drei Haupttypen alltäglicher Geographien der Kontrolle unterschieden werden. Sie sind diesen drei Dimensionen allerdings nicht durchgehend eindeutig zuordenbar. Zur Sicherung der zivilen Rechte ist einerseits eine Befriedung nach innen notwendig und andererseits der Schutz nach außen. Die Befriedung nach innen impliziert Regionalisierungen zur Kontrolle der Mittel der Gewaltanwendung für die entsprechenden polizeilichen Überwachungsaktivitäten, eine »geography of policing« (Fyfe 1991, 249). Der Schutz nach außen impliziert im Nationalstaat die alltäglichen Geographien militärischer Macht. Wie gesehen, bildet die Kapazität zur Informationslagerung die wichtigste Voraussetzung für die territoriale Überwachung durch die Staatsadministra-

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tion. Diese dokumentarischen Aktivitäten weisen ihrerseits zwei Bedingungen auf:109 die Mechanisierung des Transportes von Personen und Gütern sowie die Loslösung der Informationsübermittlung vom physischen Transport. Neben diesen Voraussetzungen sind Koordination und Sequenzierung der Aktivitäten über Raum und Zeit notwendig, um Überwachungen über große räumliche Distanzen durchführen zu können. Karten und Stundenpläne sind dafür die zentralen Hilfsmittel.

Übersicht 16: Rechtsformen und territoriale Kontrolle

Für die Disziplinierung nach innen sind die administrativen Apparate der Polizei und der Verwahrungsanstalten zuständig. Beide dienen der Kontrolle der Subjekte mit vergleichbaren Absichten und sollen hier für die bessere kategorielle Durchdringung bzw. im Hinblick auf die empirische Erforschung der alltäglichen Geographien der Kontrolle kurz skizziert werden. Die Geschichte des Polizeiwesens110 bestätigt Giddens’ (1985a, 182) Darstellung des beschleunigten Ausbaus staatlicher Kontrollinstanzen durch die Verwahrlosung breiter Bevölkerungskreise in der Frühphase des Kapitalismus. Denn die Volksunruhen bedrohten u. a. die Ordnung der Eigentumsrechte und sollten mittels territorialer Strategien niedergeschlagen werden. Das Netz der Polizeistationen wurde zum Zweck der Kontrolle und Überwachung der Subjekte über das gesamte Territorium ausgebaut. Fyfe (1992, 470f.) zeichnet Grundaspekte der räumlich-zeitlichen Organisation des Polizeiwesens nach. Für die lokale Ebene bedient er sich der zeit-

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geographischen Grundlagen, für die interne Analyse der einzelnen Stationen bezieht er sich auf die von Goffman entwickelten Kategorien. Die nationalen und internationalen Bezüge der Geographien der Kontrolle sind noch kaum erforscht. Die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen postuliert, die verschiedenen Methoden und Strategien der sozialen Territorialdefinitionen zum Zwecke der Überwachung der Subjekte zu rekonstruieren. Die Formen der Machtgenerierung durch Territorialkontrolle nehmen unter Bedingungen der Globalisierung auch deshalb neue Formen an, weil die Internationalisierung des Verbrechens mittels Telekommunikation und anderer Entankerungsmechanismen die Zuständigkeiten des Nationalstaates überschreitet. Die zweite Form der internen Befriedung betrifft die Aussonderung jener Personen in Verwahrungsanstalten, die den Definitionen bzw. Vorstellungen von autonomen Subjekten nicht genügen können oder sich gemäß den gesetzlichen Grundlagen strafbar gemacht haben. Wie Foucault (1977, 107f. und 176f.) nachweist, wurden die ersten Anstalten (Irrenanstalten, Gefängnisse, Kliniken, Heime) im 18. Jh. mit dem Zweck errichtet, Straftäter, Geisteskranke usw. vom Rest der Bevölkerung zu trennen,111 um sie körpervermittelt zu überwachen und zu disziplinieren: »Im Laufe des klassischen Zeitalters spielte sich die Entdeckung des Körpers als Gegenstand und Zielscheibe der Macht ab« (Foucault, 1977, 174).112 Disziplinierung und Überwachung werden dabei über die räumliche und zeitliche Kontrolle der Tätigkeitsabläufe der Insassen angestrebt. In räumlicher Hinsicht wurde dafür eine panoptikumartige Architektur113 entwickelt, in zeitlicher Hinsicht rigide Stundenpläne. Diese Mikro-Geographien der Macht114 legen auch Grundstrukturen anderer Körper-Territorium-relationierter Herrschaftsbeziehungen offen. Geht man davon aus, daß Disziplinarmacht einen »Subtypus der administrativen Macht« (Schwyn, 1996a, 90) darstellt, wird offensichtlich, daß die Ausübung administrativer Macht eine räumlich-zeitliche Regulierung der Aktivitäten voraussetzt und nach einer örtlichen Konzentration der Subjekte verlangt. Dies ist insbesondere auch für die Durchsetzung und Aufrechterhaltung politischer und ökonomischer Rechte notwendig. Die Organisation von Wahlbezirken, die arealstatistische Erfassung der Wahlberechtigten und die territoriale Organisation der »Rekrutierung« der Parlamentsmitglieder sind sämtlich Belege dafür. Die territorialen Aspekte der ökonomischen Verhältnisse treten über die Kontrollmechanismen in Fabrikhallen115 und Großraumbüros am klarsten zutage.

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Die Kontrolle der Mittel der Gewaltausübung bedingt auch einen Schutz des nationalstaatlichen Territoriums vor dem Übergriff anderer Nationalstaaten durch Militär. Die Körpergebundenheit politischer Territorialisierungen impliziert, daß die Gewaltausübung gegenüber Handelnden eine politische Strukturierung von Gesellschaften in räumlichen Kategorien voraussetzt. Physische Gewaltausübung in Form eines Krieges kann nur über den Organismus des Handelnden geschehen: »it is necessary to ›get at him‹ in the place where he is or would like to be« (Parsons, 1952, 91). Im gleichen Zusammenhang ist auch die territoriale Organisation zur politischen Kontrolle der Mittel der Gewaltausübung zu betrachten. Da politische Macht häufig nur unter Androhung oder tatsächlichem Gebrauch physischer Gewaltausübung aufrechterhalten werden kann und damit politische Macht die Kontrolle über physische Gewaltausübung impliziert, ist deren Organisation in räumlichen Kategorien konsequenterweise auch ein zentrales Merkmal jeder nationalstaatlich organisierten Gesellschaft. Über die Industrialisierung des Kriegs und die Globalisierung sind auch hier neue Bedingungen entstanden, welche die Möglichkeiten einzelner Staaten zunehmend begrenzen.116 Die nationalstaatlichen Mechanismen der Territorialkontrolle werden insbesondere in »Krisensituationen« offensichtlich. Auf zwei solcher Formen soll hier – auch zur Verdeutlichung entsprechender empirischer Forschungskonzeptionen – zum Abschluß dieses Abschnitts eingegangen werden. Der erste Fall betrifft die Infragestellung der aktuellen nationalstaatlichen Ordnung durch regionalistische und nationalistische Bewegungen. Das zweite Fallbeispiel bezieht sich auf die nationalstaatliche Territorialisierung auf Kosten einer traditionellen Gesellschaft durch kriegerische Vernichtung im Stile ethnischer Säuberung: die amerikanische Reservatspolitik. Aktuelle politische Geographien des Alltags werden insbesondere auch durch regionalistische und nationalistische Bewegungen herausgefordert. Regionalismus kann zunächst als eine oppositionelle Form des politischen Geographie-Machens, als eine regionalisierende Kraft verstanden werden. Die geographische Regionalismusforschung wird so zur Prozeßanalyse politischer Regionalisierung, zur Analyse raumorientierter politischer Handlungsweisen. Vereinfacht ausgedrückt kann man unter »Regionalismus« eine territorial-politisch motivierte Argumentation oder eine soziale Bewegung auf sub-nationaler Ebene begreifen, welche die Vertreter des (zentralistischen) nationalstaatlichen Entscheidungszentrums »herausfordert«: »›Regionalismus‹ soll heißen, daß innerhalb territorial abgegrenzter ›Nationalstaaten‹ die Territorialität

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sub-nationaler Untereinheiten zu einem politisch kontroversen Thema (gemacht) wird oder werden soll, und zwar so, daß die maßgeblichen Akteure des politischen Zentrums auf dieses Thema reagieren« (Gerdes, 1985, 26f.). »Regionalismus« ist primär als ein (politischer) Diskurs zugunsten oder entgegen einer regional definierten Gesellschaft und ihrer sozialen und/oder infrastrukturellen Bedingungen des Handelns zu verstehen. Davon ist der Regionalismus als soziale Typisierung zu unterscheiden, der für die politische gewissermaßen die Voraussetzung bildet. Man könnte es eine soziale Typenbildung nennen, die sich aber auf erdräumliche bzw. regionale Kategorien bezieht. Das Ergebnis sind Stereotypen wie »Korsen sind verschlagen«, »Süditaliener sind faul« usw. Diese Form des Regionalismus impliziert zwar nicht ein unmittelbares Aktivwerden, er ist aber sehr häufig ein Aufhänger für generalisierte Einstellungen zu bestimmten Herkunftsgruppen oder für pauschalisierende (Vor-)Urteile über diese, die dann ihrerseits zur Legitimation von eher freundlichen oder eher feindlichen Aktionen werden können. Wichtig ist, daß dabei die Herkunft – nicht sozial, sondern territorial – definiert trotzdem zur sozialen Typisierung verwendet wird. Die soziale Typisierung wird räumlich legitimiert, obwohl sie selbst nichts anderes sein kann als eine soziale Konstruktion. Zudem weisen diese Typisierungen häufig auch eine diskriminierende Komponente auf, die in mehrfacher Hinsicht handlungsleitend oder gar motivierend werden kann. Auf der Seite der Adressanten kann das »Vertrauen« in die Diskriminierung – »die sind eben so …« – zur »Legitimation« einer benachteiligenden Politik führen. Auf der Seite der Adressaten kann die mittelbare und unmittelbare Diskriminierung schließlich die Organisation einer regionalistischen Bewegung motivieren und rechtfertigen. Auf der individuellen Ebene liegt das Diskriminierungspotential darin, daß eine einzelne Person über derartige Typisierungen allein aufgrund des generalisierten Wissens über die Bewohner einer Herkunftsregion beurteilt wird. »Regionalismus« beruht, so kann man hypothetisch formulieren, auf Einstellungen oder Glaubenssätzen über soziale Eigenschaften, die jemandem aufgrund der erdräumlich »lokalisierbaren« Herkunft zugeschrieben werden. Diese Eigenschaften werden dann fälschlicherweise auf alle Personen aus demselben erdräumlichen Ausschnitt übertragen, so daß man legitimiert zu sein scheint, (erd-)räumliche Erklärungen von sozial-kulturellen Differenzen liefern zu können. Ein »Regionalist« ist jemand, der soziale Typisierungen und Erklärungen in räumlichen Kategorien anbietet und damit einen politischen Diskurs führt.

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Auf persönlicher Ebene äußert sich diese Typisierung darin, daß man vage, aber für typisch gehaltene Merkmale einer regionalen Gesellschaft einer Person aufgrund ihrer Herkunft und ohne weitere Differenzierung als individuelle Eigenschaften unterschiebt. Die Problematik besteht darin, daß eine derartige Typisierung allein aufgrund der Herkunft – und nicht unter Bezugnahme auf ihre biographischen Aspekte – über eine Person urteilt. Auf politischer Ebene werden die Implikationen der sozialen Typisierung und Erklärung in (erd-)räumlichen Kategorien etwa bei der Interpretation von Abstimmungs- und Wahlergebnissen offensichtlich. Wer die Ergebnisse nicht räumlich-territorial interpretiert, neigt auch nicht zu regionalistischen Maßnahmen zur Spannungsbewältigung. Im Vergleich zur bisherigen geographischen »Regionalismus«forschung117 ist darauf hinzuweisen, daß es wenig hilfreich ist, jeden (emotionalen) Regionsbezug als Regionalismus zu bezeichnen. So ist auch Meier-Dallachs u. a. (1980, 306) Klassifikation mit folgenden Kategorien problematisch: 1. »diffuser Regionalismus« (diffuses Heimatgefühl); 2. »bewußter Regionalismus« (ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl); 3. »artikulierter Regionalismus« (Artikulierung kollektiver Werte und Interessen) und 4. »praktizierter Regionalismus« (Regionalismus als Bezugsrahmen für politisches und kulturelles Handeln). Nach der oben vorgestellten Argumentation kann die dritte Kategorie als Basis des typisierenden Regionalismus und die vierte als politischer Regionalismus im engeren Sinne betrachtet werden. Bei den anderen handelt es sich eher um regional spezifizierte emotionale Bezüge von symbolischen Aneignungen.118 Sie können zwar die Voraussetzung für »Regionalismus« bilden, sind aber keinesfalls selbst bereits als »Regionalismus« zu bezeichnen. Somit kann von »Regionalismus« erst gesprochen werden, wenn der regional spezifizierte Sozialbezug zur aktiven Typisierung und Differenzierung sowie vor allem für politische Diskurse und Aktionen eingesetzt wird. Von jeder Form des Regionalismus sollte – gerade für ein besseres Verständnis der separatistischen Bewegungen der Gegenwart – »Nationalismus« unterschieden werden. Dies scheint notwendig und sinnvoll zu sein, obwohl beide sozialen Erscheinungen gewisse Merkmale zu teilen scheinen.119 Für Dunn (1979, 55) ist Nationalismus die gräßlichste politische Schande des zwanzigsten Jahrhunderts, die, wie Gellner (1995, 16f.) zeigt, eng an die

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Entstehung und den Bestand der Nationalstaaten gebunden ist. Doch nicht jede Einstellungs- und Beziehungsform zu einem Nationalstaat sollte gleich als Nationalismus bezeichnet werden. Bevor auf die einzelnen Beziehungen eingegangen werden kann, ist eine klarere Begriffsbestimmung notwendig. Wie »Regionalismus« ist auch »Nationalismus« als mentale Einstellung zu verstehen. Allerdings bleiben dessen Konsequenzen nicht auf diese Ebene beschränkt. Die Territorialbezeichnungen gewinnen einen Orientierungsgehalt für alle Handlungen, die sich auf jenen Kontext beziehen, wie die kriegerische Verteidigung des »Vaterlandes«. Die nationale Territorialbezeichnung wird somit zum gefühlsgeladenen Kürzel. Gellner (1983) weist in seiner Auseinandersetzung mit dem »Nationalismus« auf die politische Komponente hin.120 Für ihn ist »Nationalismus« ein politisches Prinzip, das aber auch eine emotionale Seite aufweist, die schließlich für nationalistische Bewegungen in besonderem Maße motivierend ist: »Nationalism is primarily a political principle, which holds that the political and the national unit should be congruent. Nationalism is a sentiment, or as a movement, can best be defined in terms of this principle. Nationalist sentiment is a feeling of anger aroused by the violation of the principle, or the feeling of satisfaction aroused by its fulfilment. A nationalist movement is one actuated by a sentiment of this kind« (Gellner, 1983, 1). Das nationalistische Prinzip setzt zudem eine besondere Interpretation politischer Macht voraus und legt gleichzeitig auch deren Ort im gesellschaftlichen Leben fest. Die Befolgung des nationalistischen Prinzips sorgt dafür, daß die (Staats-) Politik im Sinne der Interessen der (dominierenden) Nation durchgeführt wird. Oder wie es Taylor (1989, 183f.) ausdrückt: »States should be formed around nations as determined by the people.« Nationalistische Gefühle werden durch Erfüllung oder Verletzung dieses Prinzips genährt. Bei dessen Erfüllung wirken sie darauf hin, sich mit den existierenden Machtstrukturen zu identifizieren. Bei dessen Verletzung schließlich wirken die Gefühle eher in Richtung Ablehnung existierender Machtstrukturen. Unter diesen Voraussetzungen bilden dann nationalistische Gefühle die Basis für die Entstehung nationalistischer Bewegungen. Dabei wirken offensichtlich gerade jene Gefühle der Deprivation, die aus dieser Verletzung resultieren, wesentlich stärker aktivierend als andere emotionale Lagen. Für die Entstehung des separatistischen Regionalismus und des ethnischen Nationalismus ist bedeutsam, daß nationalstaatliche Institutionen darauf hinwirken, den staatlichen Nationalismus zu fördern, indem sie bestimmte kul-

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turelle Standards – über die Bildungs- und Informationseinrichtungen – in aller Regel gegen die regionalen Traditionen und ethnischen Minderheiten durchzusetzen versuchen. Dadurch wird eine kulturelle Homogenisierung der Bevölkerung angestrebt, die das nationale Zugehörigkeitsgefühl vorbereitet. Das Teilen gemeinsamer kultureller Elemente,121 gemeinsamen Rechts, sozialer Einrichtungen, des nationalen Territoriums und häufig auch einer gemeinsamen Sprache läßt den Nationalstaat schließlich als eine Einheit erscheinen, dem nicht selten Attribute eines Individuums zugeordnet werden: »Deutschland ist stark«, »Frankreich ist schön«, »Litauen ist …« usw. Dies bildet dann offensichtlich auch die Grundlage dafür, daß Regierende sich »nationalistische Gründe« zu eigen machen: »Es ist das Beste für Deutschland …«; »die Schweiz muß ihre Eigenständigkeit bewahren« usw. Letztlich handelt es sich aber auch hier um nichts anderes als um Reifikationen und Hypostasierungen räumlich/territorial begründeter, »sozial-materieller Ganzheiten« bzw. insularer »Supra-Wesen«. Die reifizierte, normativ und politisch angeeignete Räumlichkeit entspricht dann einer Art Körperlichkeit. Oder anders formuliert: Es wird damit ein ontologischer Holismus zelebriert, dem nicht nur sozial-kulturelle Kategorien zugrunde liegen, sondern auch räumliche. Genauso wie regionale Kategorien zu sozialen Typisierungen verwendet werden können, besteht eine andere Form des Nationalismus auch in sozialen Typisierungen. Und beide weisen ähnliche Implikationen auf. Diese Typisierungen in Form von »die Serben sind …«, »die Kroaten sind …«, »die Italiener sind …« bilden einen festen Bestandteil alltäglicher Kommunikation. Wie die regionalistischen Typisierungen implizieren sie auch eine Homogenisierung der angesprochenen Personen. Soziale wie individuelle Merkmale entfallen, und jede Person wird bloß noch als Bestandteil eines nationalstaatlichen Kollektivs angesprochen. Territoriale Kategorien werden in nationalistischer Aufladung zur Grundlage (allzu) grober sozial-weltlicher Unterscheidungen, die dann den Individuen wie persönliche Eigenschaften zugewiesen werden. So wie diese Typisierungen nach innen dem Zugehörigkeitsgefühl förderlich sein sollen, werden sie gegen außen zur Untermauerung und Markierung der Differenz im positiven und negativen Sinne verwendet. In regionalistischen bzw. nationalistischen und völkischen Diskursen wird nun das identitätsstiftende Moment im Verhältnis zwischen dem im Namen einer Region oder Nation sprechenden Subjekt und den anderen Mitgliedern einer sozialen Einheit vertieft. Über den damit vollzogenen Transsubstantiati-

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onsprozeß konstituiert der Wortführer erst jene Gruppe, für die er spricht bzw. zu sprechen vorgibt.122 Dieser Übertragungsprozeß ist durch eine historische Analyse der Entstehung und des Funktionierens der Repräsentation wissenschaftlich aufzubrechen. Bourdieus Argumentation liefert den hypothetischen Ausgangspunkt zur Analyse des Prozesses der Identitätsstiftung von regionalistischen oder nationalistischen Bewegungen. Genauer ist jedoch abzuklären, auf welche Argumente sich regionalistische Führer beziehen und in welcher Form regionalistische oder ethnische Argumentationsmuster identitätsstiftend wirken können. Die Besonderheiten regionalistischer oder völkisch-nationalistischer Transsubstantiationsprozesse bestehen darin, daß sich die Identifizierenden vom entsprechenden Diskurs angesprochen fühlen können, ohne daß sie abzuklären brauchen, welches tatsächlich die Konsequenzen derartiger Argumentationen für die eigenen Lebensvorstellungen oder -umstände sind. Denn gesprochen wird über die Probleme der Region oder des »Volkes«. Demgemäß werden die sozialen Differenzierungen weggewischt oder ausgeblendet. Oder wie Pratt sich in diesem Zusammenhang ausdrückt: »By signifying regions as subjects (…) a problem is signified as one of the region« (1991, 262, 264). Der politische Diskurs zugunsten einer Region kann demgemäß vortäuschen, er würde sich für alle in gleichem Maße engagieren. Die positiven und negativen Konsequenzen der politischen Veränderungen können sich aber in sozialer Hinsicht gar nicht homogen verteilen, weil nicht alle den gleichen Zugang zu ihnen haben bzw. nicht alle in gleichem Maße von ihnen betroffen sind. Die regionalistische Argumentation stellt nämlich keineswegs sicher, daß sich zum Beispiel mit der Gewinnung regionaler Autonomie für all jene, die ihr zugestimmt haben, die sozial-ökonomische Lage auch tatsächlich positiv verändert. Es könnte sich erweisen, daß die Veränderungen nur für jene Personen positiv sein werden, die im Namen der Region gesprochen haben. Wenn dem so sein sollte, dann würde der einzige »Nutzen« des Zuspruchs zu einem regionalistischen Diskurs im besten Fall allein in der identitätsstiftenden Komponente liegen. Wie hilfreich die Identifizierung mit einer »imagined community« sein kann, ist eine andere Frage. Die Identitätsstiftung ist eine Komponente, die in der sozialwissenschaftlichen Literatur auch in Zusammenhang mit »neuen sozialen Bewegungen« thematisiert wird.123 Man kann hypothetisch regionalistische und nationalistische Bewegungen als soziale Bewegungen begreifen. Sie können sich als eine »Gegenreaktion auf die Globalisierung der Alltagswelt im Kontext der Spät-

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Moderne« (Nyffenegger, 1996, 46) formieren, als Versuch der kollektiven Wieder-Verankerung entankerter sozial-kultureller Wirklichkeiten. Sie zeichnen sich durch die drei folgenden Merkmale aus:124 1. Ein kollektives Handeln, das auf Solidarität, auf kollektiver Identität, einem »Wir-Gefühl« beruht, das sich 2. durch ein Konfliktpotential auszeichnet, dessen Ziel in Opposition zur allgemeinen sozialen Entwicklungsrichtung steht und somit auch eine klare Abgrenzung nach außen erlaubt sowie 3. neue Forderungen an die vorherrschende politische Ordnung richtet, Alternativen anbietet und die institutionelle Ordnung oder kulturelle Werte zu transformieren beabsichtigt. Im regionalistischen Kontext sind Sprache, Kultur, Volk, Religion, gemeinsame Geschichte und häufig auch ein politisch-rechtlich definierter Minderheitsstatus die wichtigsten Konstitutionsaspekte kollektiver Identität. Und genau hier kommt räumlichen Kategorien auf alltäglicher Ebene eine besondere Bedeutung zu. Das identitätsstiftende Moment wird im Verhältnis zwischen dem im Namen einer Region sprechenden Subjekt und den anderen Mitgliedern einer sozialen Einheit vertieft. Dies wird nicht zuletzt durch die implizite Differenzbildung dieser Begriffe im Sinne von »wir Korsen« usw. ermöglicht. Kollektive Identität wird über die Differenz zu anderen Gruppierungen konstituiert. »Identität« wird prinzipiell nur dann aktuell, wenn die Möglichkeit zur Differenz besteht. Denn »Identität« bezieht sich immer auf mindestens zwei Gegebenheiten, die grundsätzlich verschieden sein könnten, es aber nicht sind. Deshalb ist »Identität« erst mit wachsender Differenz wahrnehmbar. So wird denn auch verständlich, weshalb sich unter der Bedingung der Globalisierung Identitätsfragen in besonderen Maße stellen und daß zeitgenössische Regionalismen in die Dialektik des Globalen und Lokalen eingebunden sind. Die Abgrenzung erfolgt über die identitätsstiftende Differenz. Die Kontrastierung der Unterschiede zu den Opponenten produziert die Trennlinie, welche die Abgrenzung ermöglicht. Mit der Betonung von Differenz wird gleichzeitig zur argumentativen Ausblendung interner Unterschiede beigetragen. Dazu ist das Sprechen in räumlichen Kategorien äußerst hilfreich. Vermutlich stellen die identitätsstiftenden Elemente gleichzeitig auch die begren-

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zenden bzw. ausgrenzenden Merkmale dar. Worauf das Wir-Gefühl beruht, ist auch die Basis zur ausgrenzenden Bestimmung der »Anderen«, gegen die sich dann meist auch die Forderungen richten, die man vertreiben, bekämpfen oder vernichten will. In den Forderungen drücken sich die Zielvorstellungen regionalistischer und nationalistischer Bewegungen aus. Das äußert sich in der Infragestellung der territorial-politischen Regionalisierung der bisherigen Zugehörigkeitsgesellschaft. Verlangt wird eine neue Regionalisierung mit neuen Zuständigkeitsverhältnissen. Im Extremfall folgt daraus Separatismus, der auf die Gründung eines neuen Staates abzielt und als externe Mobilisierung auf Autonomie, Selbstbestimmung und Eigenständigkeit ausgerichtet ist. Darin zeigt sich – so die Hypothese – auch ein weiterer Aspekt der Janusköpfigkeit regionalistischer Forderungen: Die Begründung zukunftsorientierter Forderungen nach Autonomie und Eigenständigkeit ist meistens vergangenheitsbezogen. Diese drei Merkmalsdimensionen, »kollektive Identität«, »Abgrenzung« und »Forderungen«, sind von Markus Schwyn (1996a; 2007) als Hauptkategorien seiner empirischen Erforschung der Handlungsmotivation und strategien der regionalistischen Bewegung des »rassemblement jurassien« verwendet worden. Die entsprechende Diskursanalyse bezieht sich auf das Schrifttum, das Propagandamaterial, Reden usw., die im Namen dieser regionalistischen Bewegung produziert wurden. Dieses Material, so die Annahme, motivierte und begründete die politischen Aktivitäten der Mitglieder der Bewegung und steht so im Zentrum der Erklärung der daraus resultierenden politischen Regionalisierung. Das zweite Beispiel, bei dem die territorial-relationierten Kontrollmechanismen in aller Radikalität zutage treten, ist die Gründungsgeschichte der USA, insbesondere der damit verbundene Umgang mit der sogenannten Indianerbevölkerung und die entsprechende Reservatspolitik. Eine der wichtigen historischen Besonderheiten besteht darin, daß hier ein moderner Nationalstaat auf einem Territorium gegründet wurde, das von einer traditionellen Kultur und Gesellschaft bewohnt war. Bei der Analyse der militärischen Unterwerfung der Eingeborenen und der Neugründung des Staates werden die unterschiedlichen Formen der Territorialisierung im Kontext prä-moderner und moderner Lebensformen offensichtlich. Bisherige geographische Forschungen zur Reservatspolitik von Hofmeister (1975; 1976; 1980; 1988) und Frantz (1993) sind vom landschafts- und regionalgeographischen Tatsachenblick beherrscht. Sie fragen nach den Einflüssen

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der Landschaft auf die Menschen. Dementsprechend sind sie räumlich und nicht praxiszentriert ausgerichtet: Reservate werden primär als räumliche Phänomene zu erklären versucht und nicht als Ergebnis sozialer Praxis. Der politische Aspekt – Reservate als Form der autoritativen Kontrolle von Menschen – erscheint dann für die geographische Forschung uninteressant, wird ausgeklammert oder gelangt erst gar nicht in den Interessenhorizont. Für eine Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen ist das aber gerade der Kernbereich des geographischen Forschungsinteresses. Die Reservatspolitik wird als historisches Ereignis betrachtet, bei dem ein besonders differenzierter Einblick in das Verhältnis von Staat, Territorium und Raum exemplarisch möglich wird. Welche Bedeutung erlangt »Raum« also als Mittel der Kontrolle von Subjekten? lautet im Gegensatz zu Hofmeister und Frantz die zentrale Frage. Katja Schwyns (1996) empirische Untersuchung ist deshalb auf die Rekonstruktion der Bedeutung der Raumkontrolle als Form der Herrschaft über Personen zentriert. Wie werden Regionen als Mittel politischer Herrschaft konstituiert und reproduziert? Welche Formen sozialer Aneignung des physischen Raumes sind dafür notwendig? Zur Beantwortung dieser differenzierteren Fragestellungen sind offizielle Dokumente, Forscherberichte, Autobiographien von Offizieren des Militärs und der Apachen inhaltsanalytisch ausgewertet worden. Die traditionalen Regionalisierungspraktiken der Indianer sind, im Vergleich zu den modernen, rationalen des Regierungsapparates der Weißen, grundsätzlich mythischer Art, die Aneignungen von Raum vor allem symbolisch. Die Errichtung des Reservates als Prozeß normativ-politischer Regionalisierung ist somit als ein Durchsetzungs- und Etablierungsprozeß der modern-rationalen Formen territorialer Kontrolle und Überwachung zu begreifen, die entlang der verschiedenen Institutionen (Militär, Recht, Ökonomie usw.) verwirklicht wurden. Hier wird offensichtlich, daß jede nationalstaatliche Institution für ihre Erhaltung auf je spezifische Aneignungen von »Raum« angewiesen ist. Das Handeln der Subjekte ist in diese institutionellen Wirklichkeiten eingebettet. Wie die Ergebnisse von Schwyns Inhaltsanalyse der genannten Dokumente zeigen, kann die Reservatspolitik als systematische Trennung von traditioneller und moderner Regionalisierung verstanden werden, die auf der Niederlage des ersten gegenüber dem zweiten Typus – aufbauend auf militärisch-technischer Überlegenheit – beruht. Die Tatsache, daß in den Verei-

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nigten Staaten des 19. Jh. diese institutionellen Charakteristika des Nationalstaates entstanden, machte es möglich, daß die amerikanischen Organisationen den Apachen (und allen anderen Indianerstämmen) ihre Souveränität absprechen und sie zwingen konnten, auf einem kleinen Gebiet abgesondert zu leben. Dort sollten sie auf die Gesellschaft der Weißen vorbereitet werden. Bei den Durchsetzungsbestrebungen zeigen sich die Besonderheiten der modernen Regionalisierungen besonders kontrastierend. Das Reservat ist letztlich nicht als naturräumliche Einheit, sondern als politische Form zu verstehen, welche Kontrollier-, Regier- und Überwachbarkeit der Apachen durch moderne staatliche Institutionen erst ermöglicht. Zusammenfassung

Die Untersuchung politischer Regionen gehört zu den traditionellen Forschungsaufgaben der Geographie. Wie in früheren Kapiteln gezeigt, schließt dies meistens eine eigenartige Mischung von Naturalisierung des Politischen und der »Politisierung« des Natürlichen ein: politische Wirklichkeiten werden entweder als Ausdruck der physisch-geographischen Verhältnisse gelesen und interpretiert und noch häufiger physisch-materielle Wirklichkeiten in politisch-geographischer Portionierung dargestellt. Anhand der Umsetzung des Basispostulates ontologisch angemessener Darstellung und Erforschung der verschiedenen Wirklichkeitsbereiche wird hier demgegenüber eine wissenschaftliche Analyse der sozialen Prozesse der Produktion dieser Regionen als besondere Form alltäglicher Regionalisierungen vorgeschlagen. Ausgangspunkt für die entsprechende Forschungsperspektive bildet die These, daß politische Macht – insbesondere in der nationalstaatlichen Ausprägungsform – auf die Kontrolle der Körper der zu beherrschenden Subjekte zielt. Da Körper räumlich existieren, schließt der Anspruch dieser Art der Machtausübung eine Territorialkontrolle ein. Nationalstaatliche Institutionen als standardisierte Handlungsmuster – als vereinheitlichte, verfestigte Arten des Denkens und Handelns mit spezifischen, legitimierten Zwecksetzungen, organisatorischem und materiellem Apparat ausgestattet, sind – konsequenterweise in aller Regel auch territorial organisiert. Deren Reproduktion schließt jeweils spezifische Muster der Reproduktion in Form alltäglicher Regionalisierungen mit ein. Aufgabe der sozialwissenschaftlich ausgerichteten Geographie soll es sein, diese institutionalisierten Aktivitäten des politischen Geographie-Machens zu untersuchen.

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Die rechtsstaatlichen Geographien der Kontrolle sind grundsätzlich nach Zivilrecht, politischen und ökonomischen Rechten geordnet und darauf ausgerichtet, diese Rechtsformen durchzusetzen bzw. durchsetzbar zu erhalten. Dies schließt die Geographien der Macht zur Kontrolle und Überwachung der Mittel der Gewaltanwendung gegen innen (Polizei) wie nach außen (Militär) ein. Aber auch Wahlrechte und ökonomische Rechte sind an politische Formen alltäglicher Regionalisierungen gebunden. Sie alle sind auf Observierung, Überwachung und Kontrolle der Subjekte zur Erhaltung der Rechte der Bürger ausgerichtet. Demgegenüber sind Regionalisierungen des Terrors in Konzentrationslagern auf die Überwachung zur psychischen und physischen Vernichtung der Insassen angelegt. Die Logik des Todes hat ihre eigene Alltagsgeographie, in der die territoriale Kontrolle Voraussetzung für Entwicklung und Erhaltung der totalitären Herrschaft bildet. Für die psychische Vernichtung ist offensichtlich die Verweigerung der rückseitigen Regionen von zentraler Bedeutung, womit der Rückzugsbereich der Scham versperrt wird. Normative Regionalisierungen – wie dies ganz besonders bei der Unterscheidung zwischen vorder- und rückseitigen Regionen zum Ausdruck kommt – können integraler Bestandteil der politischen Regionalisierungen sein oder auch informellere Formen der Interaktionsorganisation. Von besonderer Bedeutung für die politischen Regionalisierungen sind natürlich die administrationsspezifischen normativen Regionalisierungen. Im hier konzipierten Sinne sind sowohl normative als auch politische Regionalisierungen als Mittel der Konstitution der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu begreifen. Die normativen Formen dienen der Durchsetzung präskriptiver Standards, die sich auf die vielfältigsten sozialen Distinktionen beziehen. Als eine der grundlegendsten ist die rechtliche Differenzierung zwischen öffentlichem und privatem Bereich identifiziert worden. Die nächste Gruppe der zu unterscheidenden Formen bezieht sich auf bewertete soziale Erwartungen, welche sich auf sozial interpretierte körperliche Eigenschaften beziehen. Dies ist bei den ethnien-, geschlechts-, altersspezifischen Regionalisierungen der Fall. Wie zahlreiche Regionalismen und Nationalismen zeigen, können auch unter entankerten Lebensbedingungen sprachspezifische Territorialisierungen bzw. Regionalisierungen eine hervorragende Bedeutung erlangen. Freilich ist unter den Bedingungen zunehmender räumlich-zeitlicher Entankerungen der Bedingungen des Handelns auch der Sprache-Territorium-Nexus in tiefgrei-

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fender Transformation begriffen. Über die steigende Bedeutung der Medien der Telekommunikation werden die Mechanismen und die Bedeutung der sprachlich-normativen Aneignung von erdräumlichen Ausschnitten als Regionalisierungsprozesse offensichtlich. Der Verlust der Gewißheit und Verläßlichkeit der Kenntnis des lokalen Sprachgebrauchs ist nicht nur im informellen Kontext eine neue lokale Herausforderung. Hier öffnen sich Problemhorizonte für die Durchsetzbarkeit staatlicher Geographien von sprachlich vermittelten Formen der normativen Aneignung, welche auch zur Herausforderung für eine zeitgemäße Sozial- und Kulturgeographie werden. Die Standards normspezifischer Regionalisierungen sind unter entankerten Bedingungen jedenfalls nicht durchgängig territoriumsgebunden reguliert. Subjektspezifische Lebensstile durchdringen diese Bereiche zunehmend auf differenzierende Weise. Doch die staatlichen Einrichtungen legen für ihr Territorium immer noch die äußersten Interpretationsspielräume fest, nach denen sich all jene Handelnden zu richten haben, deren Körperstandort oder Standorte der handlungsnotwendigen Einrichtungen sich innerhalb des entsprechenden Territoriums der normativen Regionalisierungen befinden. In deskriptiv-analytischer Hinsicht sind die verschiedenen Ausformungen und Zuständigkeiten festzuhalten. Auf die explikativen Aspekte ist ausführlich in den Geographien der Kontrolle und den entsprechenden autoritativen Dimensionen einzugehen. Gerade für Sprache, Information und Kommunikation ist – ähnlich wie bei den produktiven und konsumtiven Regionalisierungen – der Territoriumsbezug als Medium der subjektzentrierten Welt-Bindung immer seltener gegeben. Wie bereits früher postuliert, sind alle Wirklichkeitsinterpretationen an die verfügbaren Wissensbestände gebunden. In diesem Sinne ist der informativ-signifikative Bereich alltäglicher Regionalisierungen in engstem Zusammenhang mit den produktiv-konsumtiven und den normativ-politischen Formen zu sehen.

Informativ-signifikative Regionalisierungen Wohl in keinem anderen Lebensbereich sind die Unterschiede zwischen traditionellen und spät-modernen Lebensformen drastischer als bei der Kommunikation bzw. der Informationsübermittlung und Wissensaneignung. Dies ist die unmittelbare Folge davon, daß die kommunikativen Massenmedien so-

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wohl Ausdruck von Entankerung und Globalisierung sind als auch gleichzeitig deren wichtigste Mechanismen der Ermöglichung. Die globalisierte Informationssituation ist konsequenterweise für das geographische Weltverständnis und daraus generierte Weltbilder mit weitreichenden Konsequenzen verbunden. Sie betreffen die thematische, die forschungskonzeptionelle wie auch die methodologische Ebene der wissenschaftlichen Geographie. Alle drei Bereiche sind sozialontologisch von den fundamentalen Unterschieden zwischen traditionellen und spät-modernen Lebensformen betroffen. In traditionellen Lebensformen sorgen die mündlich überlieferten Traditionen bei den Subjekten für weitgehend gleichförmige Interpretationen der Mitwelt und die alltäglichen Formen des Handelns. Diese beruhen zum größten Teil auf dem praktischen Bewußtsein und entsprechenden Wissensbeständen. Zusammen mit den relativ geringen räumlichen Reichweiten führt dies zu regional differenzierten Lebenswelten.125 Kommunikation ist dann zusammen mit einer auf ständiger (saisonaler) Wiederholbarkeit aufbauenden Zeitvorstellung126 gezwungenermaßen gleichzeitig, unmittelbar und kollektiv. Spät-moderne Lebensformen basieren demgegenüber zu einem beachtlichen Teil auf elektronischen Medien der Kommunikation und Informationsübermittlung. Diese unterscheiden sich von früheren technischen Entwicklungen im Bereich der Wissens- und Informationsverbreitung in einer Radikalität, deren Implikationen – auch in methodologischer Hinsicht – nicht nur in der Geographie, sondern auch von den Sozialwissenschaften insgesamt nicht ausreichend zur Kenntnis genommen wurden. Sie sind aber für den gesamten Bereich der Kultur- und Sozialgeographie mehrfach von fundamentaler Bedeutung. Die elektronischen Medien verbinden derart zwischen der lokalen und der globalen Ebene, daß weit voneinander entfernte Ereignisse und Vorgänge subjektvermittelt einander beeinflussen können. Konsequenterweise durchdringen Nachrichten über weit entfernte Ereignisse das Alltagsbewußtsein der Menschen an beinahe allen beliebigen Orten. Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung sind entsprechend überall mit globalen und globalisierenden Informationsflüssen verwoben. »Sie ermöglichen das Aufeinanderbezogensein der Praktiken von Akteuren, die zeitlich und vor allem räumlich abwesend sind« (Arber, 1996, 45). Auch das lokale Handeln und ebenso die Interpretationen der lokalen Handlungssituationen und Mitwelten sind von den globalen Informationsangeboten mitgeprägt.

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Die phänomenologische Philosophie und die interpretativen Sozialwissenschaften können eindrücklich zeigen, daß die Arten der Bedeutungskonstitution vom jeweils verfügbaren Wissen abhängig sind. Was uns Dinge bedeuten, hängt vom Wissen ab, über das wir verfügen, dem verfügbaren Wissensvorrat. Das bedeutet, daß die traditionellen Interpretationen der Mitwelt mit der medialen Durchdringung der Lebenswelten nicht mehr durchgehend aufrechterhalten werden können. Es gibt folglich keine ausschließlich regional verankerten Wissensbestände mehr und konsequenterweise auch keine durchgehend regional definierbaren sozial-kulturelle Welten als Deutungshorizonte. Daher müssen im Hinblick auf die systematische und sinnadäquate Erforschung der entsprechenden Lebensbezüge die traditionellen, raumzentrierten geographischen Forschungskonzeptionen versagen. Die Medien127 sind zentraler Bestandteil dessen, was Giddens als »institutionelle Reflexivität« bezeichnet.128 Sie stellen Informationen über gesellschaftliche Gegebenheiten in Form von Berichten, Meinungen, Urteilen usw. zur Verfügung, die über die Berücksichtigung durch die Medienkonsumenten selbst wiederum die sozialen Verhältnisse transformieren oder reproduzieren. Medien bilden somit eine zentrale Institution der Wirklichkeitskonstitution und der Reproduktion sozial-kultureller Sinnwelten. Vermittels dieser Position sind sie gleichzeitig auch ein wichtiger Ort der Informationskontrolle. Der Aspekt der Informationskontrolle impliziert (nationalstaatliche) Überwachungsorgane und verweist auf die autoritativen Ressourcen. Gleichzeitig sind sie selbst ein hervorragender Aspekt der Erhaltung und Durchsetzung autoritativer Ressourcen. Über die globale, wenn auch selektive Verfügbarkeit von Informationen sind sie zudem wichtige Mittel der Handlungskoordination über große räumliche und zeitliche Distanzen hinweg. Jede mediale Berichterstattung impliziert immer eine Auswahl der Informationen. Darum sind die Redaktionen der verschiedenen medialen Unternehmen auch die wichtigen Instanzen der Informationskontrolle. Durch Selektion und Gewichtung der zur Disposition stehenden Informationen und Ereignissen werden stets Wertungen vorgenommen. Auf der Grundlage der institutionellen Reflexivität und der auch für die soziale Welt selbst charakteristischen »doppelten Hermeneutik«129 äußert sich diese Kontrolle auch in jenen Handlungsweisen, die auf diese Informationen Bezug nehmen. Auf die gegenseitige Verwiesenheit von kommunikativen Grundlagen, Konstitution sozial-kultureller Wirklichkeit und wissenschaftlichen For-

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Global regionalisierte Lebenswelten

schungskonzeptionen geht im Sinne der »doppelten Hermeneutik« der dritte Typus alltäglicher Regionalisierungen ein: die informativ-signifikativen Regionalisierungen. Der erste, der informative Bereich, bezieht sich auf die Erforschung der Voraussetzungen der Bedeutungskonstitutionen. Seine Kenntnis bildet die Grundlage dafür, sich differenziert und begründet mit signifikativen Formen alltäglicher Regionalisierungen beschäftigen zu können. Auf diese Zusammenhänge ist der Analysebereich der Geographien der Information zentriert. Er soll die informativen Wiederverankerungen bzw. Welt-Bindungen, welche die Subjekte unter räumlich und zeitlich entankerten Lebensbedingungen verwirklichen, rekonstruieren. Die zentrale Frage lautet dabei, wie die Wissensvorräte der Subjekte unter spät-modernen Verhältnissen konstituiert werden. Wird »Wissen« in die theoretische Argumentation einbezogen, dann sind die entsprechenden Institutionen zu berücksichtigen, welche in der Informationsverbreitung engagiert sind. Der informative Aspekt ist dann konsequenterweise dem signifikativen Aspekt forschungslogisch voranzustellen. Diese Strategie entspricht der Grundlogik des verständigungsorientierten Handlungsmodells von Schütz (1974). Derart wird aus dem verständigungsorientierten Handlungsmodell und dem Strukturaspekt »Regeln« der Forschungsbereich »informativ-signifikative Regionalisierungen der Lebenswelt« – wie in Kapitel 5 dargestellt – konzeptionell abgeleitet. Im Zentrum steht hier die Erforschung der subjektiven Bedeutungszuweisungen zu bestimmten alltagsweltlichen Ausschnitten, häufig in Form emotionaler und symbolischer Bezüge. Emotional aufgeladenes Regionalbewußtsein ist die offensichtlichste Form derartiger Regionalisierungen. Diese Formen wiederverankernder Welt-Bindungen umfassen die alltäglichen Geographien symbolischer Aneignung. Sie betreffen die subjektiven Bedeutungszuweisungen zu und »Aneignungen« von bestimmten räumlichen alltagsweltlichen Ausschnitten. Das Ergebnis dieser Formen des Geographie-Machens sind die Geographien der Repräsentation.130 Das entsprechende Forschungsinteresse ist hier nicht auf der Objektseite situiert, wie das bei zahlreichen verwandten Themen in Sozialwissenschaften und Geographie häufig der Fall ist, sondern vielmehr auf die Subjektseite zentriert. Welche symbolische, emotionale und subjektive Bedeutung erlangen bestimmte erdräumliche Ausschnitte? Inwiefern sind symbolisch-emotionale Aneignungen von »Natur« politisch und für die Subjektkonstitution relevant? Welches sind die praktischen Konsequenzen der symbolischen Formen

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des Geographie-Machens? Auf diese Fragen hat die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen sowohl im Kontext traditioneller als auch spät-moderner Lebensformen einzugehen. In den entsprechenden Regionalisierungen wird kommunikativ – für welche Lebensform auch immer – eine spezifische Relation von Raum und Signifikation aktualisiert. Wie in Kapitel 5 ausführlich erörtert, ist das Verhältnis von Raum und Verständigung sowohl in relationaler als auch klassifikatorischer Hinsicht symbolisch-emotional konstituiert. Es sind die Regeln der Interpretation und interpretative Schemen, die mit räumlichen Verhältnissen verbunden werden. Die darauf aufbauenden Aneignungen sind offensichtlich von geringerer Explizitheit, als dies bei den zweckrationalen und normorientierten Typen des Handelns feststellbar sein dürfte. Symbolische Aneignungen sind deshalb eher »Gegenstände« des praktischen Bewußtseins und des Unbewußten. Signifikative Bezüge bilden die Grundlage für alle anderen Formen der Regionalisierung. Das ist beispielsweise in zahlreichen Regionalismusstudien aufgedeckt worden. Sie bilden im Alltagsleben die Operationsvoraussetzung sowohl für nationalstaatliche als auch für regionalpolitische Institutionen in Form von »Nationalismus« und »Regionalismus«. Auch wenn es sich dabei um höchst diskutable Beziehungsmuster handeln kann, belegen sie die Bedeutung symbolischer Aneignungen für normativ-politische und produktivkonsumtive Bereiche menschlicher Praxis. Diese Beziehungsfelder können hier nicht detailliert durchdrungen werden. Vielmehr sollen sie für eine sensibilisierende Auseinandersetzung thematisch erschließbar gemacht werden. Im Zentrum steht die Frage, wie die Subjekte die Welt regionalisierend auf sich beziehen: welchen Bedingungen und mit welchen Verfahren sie die informativen Grundlagen ihres alltäglichen Geographie-Machens entwickeln und wie sie in den entsprechenden Vollzügen signifikative Aneignungen konstituieren und reproduzieren. Die Erschließung dieser thematischen Felder setzt eine Vertrautheit mit kommunikationswissenschaftlichen Modellen voraus, die erläutern können, wie informative Inhalte medial vermittelt werden. Nach Schulz (1989) kann man in der Medientheorie zwei Hauptinterpretationen des Verhältnisses von Medien und gesellschaftlicher Wirklichkeit unterscheiden. Die erste betrachtet die Medien als einen »Spiegel der Wirklichkeit«, die zweite als »Weltapparat«. Die Vertreter der »Weltspiegel«-Vorstellung gehen davon aus, daß sich Medien und Gesellschaft gegenüberstehen und erstere die sozial-kulturelle Wirklichkeit abbilden. Das Wirklichkeitsver-

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ständnis der kognitiven Verhaltenstheorie131 geht davon aus, daß die Massenmedien (Sender) die Abbildungen der Wirklichkeit als Informationen aufbereiten und die Rezipienten (Empfänger) sich diese Darstellungen über Lernprozesse so aneignen, daß sie zum Bestandteil ihres kognitiven Apparats werden. Dieser fungiere dann als Instanz der Verhaltenssteuerung. Konsequenterweise nehmen die Medien lediglich eine Vermittlungsfunktion ein, welche das reagierende Verhalten der Individuen auf Umweltinformationen ermöglichen. Kommunikationstheorien, welche die Medien als »Weltapparate« thematisieren, sind weitgehend der phänomenologisch-handlungszentrierten Denktradition verpflichtet, in welcher der Medienbereich als aktiver Teil der Konstitution sozial-kultureller Wirklichkeit thematisiert wird.132 Dessen Aufgabe wird in der Selektion, Bewertung, Verarbeitung und Interpretation sozialer Ereignisse betrachtet. Folglich können die Medien weder bloßer Spiegel noch »objektiv« sein, denn Wirklichkeit kann im phänomenologischen Verständnis nicht als völlig unabhängige Voraussetzung der Kommunikation betrachtet werden, sondern viel eher als deren Ergebnis.133 Die Konstruktion der Sinnstruktur der Wirklichkeit wird von Subjekten im Austausch von verfügbarem Wissensvorrat und neuen Informationen produziert. Dies gilt ebenso für die Subjekte in den institutionalisierten Massenmedien als auch für die rezipierenden Subjekte unter alltagsweltlichen Bedingungen. Sowohl Sender als Empfänger sind konsequenterweise als aktive Teile des Kommunikationsprozesses zu sehen. Die handlungstheoretische Medienforschung134 interessiert nicht nur die Frage, was die Medien mit den Leuten machen, sondern auch: »What do people with the media« (Katz, zit. in Renckstorf, 1989, 318). Das soll ebenfalls das Forschungsinteresse der sozialgeographischen Analyse der alltäglichen Geographien der Information sein, die genau in der gegenseitigen Gebundenheit von globaler Informationsverbreitung und lokaler, subjektspezifischer Informationsrezeption konstituiert werden. Die informativen Welt-Bindungen als Formen der Wiederverankerung sowie der darauf aufbauenden symbolischen Aneignungen bilden das Kerninteresse des dritten Haupttypus alltäglicher Regionalisierungen. Dabei ist jede Form von alltagsweltlicher Informationsrezeption ebensosehr als aktiver Handlungsprozeß zu begreifen, wie jener der redaktionellen Aufbereitung und Verbreitung auf der Seite der Sender. Daß dabei gewichtige Asymmetrien der Kontrolle und Überblickbarkeit des Feldes potentieller Informationen bestehen, versteht sich von selbst. Redaktionelle Auswahl,

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Gewichtung usw. sind von den rezipierenden Subjekten nicht überblickbar. Daß die Redaktionen aber nie mit Sicherheit wissen können, was von den Empfängern ausgewählt wird, ist allerdings eine nicht zu leugnende Tatsache. Wie Charlton/Neumann-Braun (1992, 9f.) betonen, ist davon auszugehen, daß auf der Empfängerseite zur Kontrolle der Medien eine selektive Zuwendung, aktive Assimilation, Akkommodation und Bearbeitung der Informationen die wichtigsten Voraussetzungen sind, bevor die mediatisierten Inhalte praxisrelevant werden. Sowohl die Informationsrezeption als auch ihre Umsetzung erfolgen in situativen kulturellen Kontexten, die auf spezifische Lebensstilkonzeptionen bezogen sind. Subjektive Lebensformen werden einerseits auf der Grundlage verfügbarer Informationen konzipiert und andererseits werden auch die angebotenen Informationen lebensstilspezifisch rezipiert. Derart sind die Informationsflüsse – als Zentralbereich jeder Kultur – Ausdruck subjektzentrierter Kulturalisierungen global regionalisierter Lebenswelten. Wie selektiv diese verlaufen, deutet der Hinweis von Donsbach (1992, 25) an, daß von den in einer Zeitung veröffentlichten 65’000 Worten im Durchschnitt lediglich 5400 auch tatsächlich rezipiert wurden. In einer ersten Zwischenbilanz kann für die weiterführende Auseinandersetzung festgehalten werden, daß eine gegenseitige Verwiesenheit einerseits von medial vermittelten Informationen und deren Rezeption besteht, und andererseits von der rezipierten Information und den darauf aufbauenden sinnhaften Konstruktionen sozial-kultureller Wirklichkeiten. Diese sind sowohl in regionalisierender als auch in regionaler Hinsicht relevant. Zur Entwicklung einer Agenda der Forschungsthemen wird hier postuliert, daß Wissen und Information unter entankerten Bedingungen in räumlicher Hinsicht im Prinzip ubiquitär, das heißt an beliebigen Orten in potentiell beliebigem Umfang verfügbar sind. Eine Geographie des Wissens oder der Information, die nach der räumlichen Verbreitung von Wissensbeständen135 fragt und diese gar auf »die räumliche Entwicklung« (Ellger, 1996, 90) bezieht, dürfte lediglich für die regional traditionsgebundenen Aspekte Sensibilität zeigen können. Wissen ist zwar zu einem gewissen Maße auch an das körperverhaftete, bewußtseinsmäßige Erinnerungsvermögen gebunden. Doch das spät-moderne Informationswesen ist – wie McLuhan überzeugend zeigt – zunächst eine Verlängerung des Körpers, dann aber im Kern vor allem eine außerkörperliche Erinnerungs- und Steuerungskapazität, die nicht eigentlich räumlich lokalisiert werden kann. Deshalb muß eine darauf ausgerichtete Geographie,

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die Wissen per se räumlich darstellen will, auf dem halben Wege ihres Anspruchs stehen bleiben. Damit dies nicht zum »Schicksal« der geographischen Informationsanalyse insgesamt wird, sind auch hier Methodologie und Forschungskonzeption auf die alltagsweltliche Logik der Produktion und Reproduktion der sozialen Informationsverhältnisse abzustimmen. Für die Erforschung der alltäglichen Geographien der Information bedeutet die Subjektzentriertheit des Forschungsinteresses, daß danach zu fragen ist, auf welche vielfältigen Weisen bzw. anhand welcher Mittel die Subjekte die Informationen aus den erreichbaren Strömen »herauslösen«, auswählen. Hier geht es um die Rekonstruktion der informationsmäßigen Welt-Bindungen. Dazu sind zuerst auch die face-to-face-Situationen zu zählen bzw. die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten ihrer Aufsuchung in den verschiedenen Lebenssituationen, im Prinzip von der Kindheit und Jugend, dem Erwerbsleben bis hin zum Pensionsalter. Faktisch sind diese informationsspezifisch aber vor allem für die Sozialisationssituationen wichtig, wobei diese unter entankerten Bedingungen nicht mehr auf die frühen Lebensabschnitte allein bezogen werden können. Für die Untersuchung der alltäglichen Geographien der symbolischen Aneignung bedeutet dies, daß sich das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse auf die Rekonstruktion der sinnhaften Belegungen, der Konstruktionen symbolischer Geographien auf der Grundlage der subjektiv verfügbaren Informations- bzw. Wissensvorräte richtet. Dies kann sich, wie mehrfach betont, unter räumlich und zeitlich entankerten Bedingungen nicht (mehr) auf a priori gültige regionale Geographien der Bedeutungen beziehen, sondern auf die von den Subjekten unter Umständen höchst unterschiedlich vorgenommenen symbolischen Regionalisierungen. Es geht somit um die Erfassung der Prozesse subjektspezifischer symbolischer Wieder-Verankerungen unter der Bedingung räumlicher und zeitlicher Entankerung. In deskriptiv-analytischer Hinsicht soll die wissenschaftliche Erforschung der alltäglichen Geographien der Information zuerst die materiellen Einrichtungen der Information und Informationsübermittlung, differenziert nach Typen der Kommunikation, geographisch/kartographisch darstellen. Damit soll das Feld der prinzipiellen Potentialitäten erschlossen werden. Der zweite thematische Komplex bezieht sich auf die Rekonstruktion der faktischen subjektiven Bezugnahme auf die Informationsströme. Für die Geographien symbolischer Aneignung sind die verschiedenen Formen differenzierter Aufladungen zu rekonstruieren. Hier können zunächst

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hypothetisch Symbolisierungen für die intersubjektiven Sinnfelder wie Religion, Politik, Ökonomie, Mythos, Ideologie usw. zur Ausgangsbasis gemacht werden. Dabei ist zwischen traditionellen und spät-modernen Aneignungen und Aneignungsformen zu unterscheiden. Insbesondere innerhalb der spätmodernen sind die subjektzentrierten Formen zu betonen, aber auch die Produktion spät-moderner Mythen (Vaterland, gute Natur, Ökoidylle usw.) ist deskriptiv-analytisch zu thematisieren. Lucienne Rey (1995, 19) zeigt in ihrer empirischen Studie, wie »Massenmedien als Schaltstellen im gesellschaftlichen Definitionsprozeß der Umweltthematik« in geographischer Perspektive betrachtet und analysiert werden können. In explikativer Hinsicht stehen bei der Erforschung der Geographien der Information zunächst allokative und autoritative Ressourcen im Vordergrund, und zwar sowohl auf der Seite der Empfänger als auch auf jener der Sender. Damit ist zuerst zu klären, welche allokativen Verfügungs- und Besitzverhältnisse auf der Seite der Empfänger bestehen bzw. welche Konstellationen von Empfangsgeräten, Abonnements usw. bestehen, wobei hier die Berücksichtigung regionaler Abstufungen möglicherweise von Interesse sein könnte. Von besonderem Interesse sind aber die mit den Verfügungsverhältnissen festgelegten Möglichkeiten der informativen Welt-Bindung in den unterschiedlichsten sozial-kulturellen Lebenskontexten. Auf Senderseite ist in allokativer Hinsicht insbesondere Kenntnis der Besitzverhältnisse sowie der Zusammensetzung der großen Informationskonzerne – differenziert in die verschiedensten Medien (Verlagswesen, TV, Radio, Film, Video, Tonträger usw.) – wichtig. In autoritativer Hinsicht interessieren die Formen politischer Kontrollmöglichkeiten und Ausrichtungen. Konstruktion und Durchsetzung von Weltbildern beruht auf der Kontrolle der Mittel der Information bzw. der Informationsflüsse. Auch die Zugänge zu Bildungsinstitutionen gehören dazu. Die »Geographie des Bildungs- und Qualifikationswesens« (Meusburger, 1995, 53) ist in der hier vertretenen Perspektive auf die nationalstaatlichen Institutionen und die damit verbundene Überwachung der Reproduktion der Zugänge zu sozialen Wissensbeständen und die sozialen Eliten hin zu konzipieren. Die symbolische Aneignung von Orten und Gebieten ist für die Konstitution sinnhafter sozial-kultureller Wirklichkeiten zentral. Doch auch hier ist zu betonen, daß dadurch die sozial-kulturelle Welt nicht eine räumliche wird. Denn die räumliche Relationierung symbolischer Gehalte bedeutet nicht, daß die Symbole räumlich sind. Sie sind »Bestandteil« der Kommunikation, und

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nicht des Raumes. Elemente der Kommunikation können in jedem Fall nur Sinngehalte werden. Diese können räumlich relationiert sein und gerade in dieser Form – wie die Diskurse regionalistischer und nationalistischer Bewegungen zeigen – äußerst machtvolle Mittel der Konstruktion sozialer Wirklichkeiten werden. Genau auf diese Zusammenhänge sind die entsprechenden Untersuchungen der alltäglichen Regionalisierungen der Lebenswelten auszurichten: auf die Abklärung der sozial-kulturellen Bedeutung räumlich relationierter symbolischer Konstruktionen von ortsbezogener »Heimat«, »heiliger Stätte«, »Ökotop«, »Vaterland« usw.136 Von besonderem Interesse ist allerdings die Abklärung der Bedeutung räumlich relationierter Symbolik für die Reproduktion der Bedeutungs- und Sinnstrukturen sowie der entsprechenden interpretativen Schemata. Dabei kommt der Rekonstruktion der »Mythen des Alltags« und der ihnen zugrunde liegenden Reifikationstechniken, der »chosification« gerade für die rationale Erschließung jener sozial-kulturellen Wirklichkeiten eine Bedeutung zu, auf der auch die Forschungsgegenstände der traditionellen Geographie beruhen. Hier ist zuerst abzuklären, welche alltäglichen Mythenbildungen dem Forschungsprogramm der traditionellen Kulturgeographie für so lange Zeit den Anschein von Relevanz und Plausibilität vermittelt haben. Zudem ist zu klären, welche alltäglichen Mythen sowohl von der wissenschaftlichen Geographie als auch von der Schulgeographie zur Erhaltung des traditionellen Weltbildes über Jahrzehnte mit beachtlichem Erfolg reproduziert wurden. Die Rekonstruktion sowohl der Regel der Deutung als auch der moralischen Regeln stehen im Zentrum des explikativen Interesses. Geographien der Information

Informative Regionalisierungen beziehen sich auf die Voraussetzungen und die Prozesse der Wissens-/Informationsaneignung, auf der die subjektiven Konstitutionsakte beruhen. Ziel der Erforschung der alltäglichen Geographien der Information auf der Senderseite ist die Abklärung der Voraussetzungen der Generierung und Steuerung potentieller Informationsaneignung. Diese Steuerung erfolgt mittels verschiedener Informationsmedien und -kanäle. Sie stellen hypothetisch wichtige Formen der informativen bzw. sprachspezifischen Regionalisierung der Lebenswelten dar. Den Ausgangspunkt bildet hier die schriftliche Form der Informationsverbreitung anhand von Büchern und verschiedenen Presseerzeugnissen. Dabei sollen auch die Verbreitungskreise und ihre territorialen Abstufungen interessieren, vor allem

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aber die Besitz- und Kontrollverhältnisse über die verbreiteten Informationen im Sinne der autoritativen Ressourcen. Es handelt sich hier somit um eine Sozialgeographie der gedruckten Medien der Informationsverbreitung und deren regionalisierenden Implikationen vermittels autoritativer Ressourcen. Als zweiter Typus können Radio und Fernsehen sowie als dritter das Internet identifiziert werden. Besonders die globalisierenden Implikationen des Satellitenfernsehens und die damit verbundenen Spannungsverhältnisse von Fremdheit und Vertrautheit sowie Informationsinhalt und unmittelbarem Erfahrungskontext wären unter der entankerten Bedeutungskonstitution der Lebenswelt zu analysieren. Zudem sind räumliche Verhältnisse auch als Kommunikations- bzw. Verständigungsbedingung bedeutsam. Verständigungsorientierte Erforschung von Regionalisierungen sollte sich daher auch auf den Kommunikationsbereich konzentrieren. Sie zielt dann auf die Klärung von Fragen nach den Konsequenzen bestimmter räumlicher Anordnungsmuster und normativer Festlegungen für die Kommunikation ab. Als Territorium der Kommunikation definiert Parsons (1960, 271ff.) jenen räumliche Bereich, innerhalb dessen Personen eines Staatsgebiets organismusvermittelt Informationen austauschen; sei es mittels technischer Medien oder durch Standortwechsel des eigenen Organismus. Dabei kommt wiederum der gegenseitige Bezug von physisch-weltlichem und sozialem Kontext ins Blickfeld. Der Organismus des Handelnden und die technischen Einrichtungen der Informationsübermittlung weisen beide einen Standort in der physischen Welt auf. Die physische und die soziale Komponente differenziert Parsons (1960, 171f.) wie folgt: Im physischen Kontext unterscheidet er zwischen Kommunikationssituationen, in denen a) keine technischen Medien erforderlich sind (»face-to-face speech«); b) solche, bei denen ein Transport zwischen Adressant und Adressat notwendig ist (Brief o. ä.); c) Situationen, in denen technische, insbesondere elektronische Medien (Telefon, Radio, TV usw.) nötig sind. Diese Differenzierung – auf die noch ausführlicher eingegangen wird – gibt gleichzeitig die wichtigsten Entwicklungsetappen der Kommunikationsmedien wieder, wie sie von Waters (1995, 34) nachgezeichnet werden. Spätmoderne Lebensformen zeichnen sich dadurch aus, daß alle drei Formen von Bedeutung sind, während traditionelle vor allem auf die erste und für wenige

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Teilbereiche auf die zweite Form beschränkt bleiben. Für die differenziertere Erforschung der alltäglichen Geographien der Information ist zuerst eine Klärung der Hauptbegriffe notwendig. Dies impliziert eine Spezifizierung des Begriffsfeldes »Information«, »Wissen« und »Nachricht«. Um die Notwendigkeit dieser Unterscheidungen zu verdeutlichen, ist es sinnvoll, auf Ellgers (1996) Vorschlag einer Geographie des Wissens einzugehen und von dort her die Besonderheiten der wissenschaftlichen Geographie der Information zu präzisieren. »Geographie des Wissens« und »Geographie der Information«

Ellger (1996, 92) betont, daß die meisten begrifflichen Präzisierungen von »Wissen« und »Information«, falls man sie überhaupt für notwendig erachtet, »selbstreferentiell oder pleonastisch« sind: Definitionsvorschläge wie »Information ist Information, weder Materie noch Energie« (Wiener, 1968, 166) oder »Information« ist eine »Nachricht, die Nichtwissen oder Ungewißheit beseitigt« (Lewandowski, 1985, 425) bestätigen seine Einschätzung.137 Die Formulierungen machen aber darauf aufmerksam, daß sich »Information« und »Wissen« auf grundlegende Aspekte der menschlichen Weltdeutung beziehen. In der allgemeinen sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit »Information«/»Wissen« kann zwischen einer objektiv-quantitativen und einer kontextbezogenen subjektiven Perspektive unterschieden werden. Der ersten Gruppe kann man ganz allgemein die mathematisch-kybernetischen sowie systemtheoretischen Informationstheorien zuordnen, der zweiten hingegen qualitativ-handlungstheoretische und phänomenologische Ansätze. Im allgemeinsten Sinne kann davon ausgegangen werden, daß es keine Information an sich gibt, sondern immer nur personenbezogene. »Wissen« hingegen ist stets auf allgemeinere Zusammenhänge gerichtet, systematisch geordnet und bedeutungsvoll. Ellger (1996, 93) schlägt für die Entwicklung einer »Geographie des Wissens« eine Unterscheidung zwischen Information und Wissen vor, welche gleichzeitig das Projekt der »Geographie des Wissens« von einer »Geographie der Information« abgrenzbar macht. Ein Unterschied zwischen Information und Wissen besteht darin, »daß Wissen eher als bestehendes geordnetes Gebäude aus Kenntnissen verstanden wird und Information eher den Aspekt der (einzelnen) Mitteilung, Nachricht, Aussage, Auskunft besitzt, die im Rahmen eines Kommunikationsprozesses weitergegeben wird« (Ellger, 1996, 93). »Wissen« nähert sich somit der quantitativen Auffassung von »Information« an. Daraus folgt, daß sich eine »Geographie des

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Wissens« primär mit dem »geordneten Gebäude aus Kenntnissen« an sich beschäftigt, wogegen »Information« einen menschlichen Träger impliziert. Die Geographie des Wissens ist somit auf regional-/raumwissenschaftliche Interessen zentriert, die Geographie der Information hingegen auf die subjektspezifischen, regionalisierenden Prozesse des Informierens. Nimmt man diese Perspektive ein, dann ist in Anlehnung an Schütz sowohl von einem anderen Wissens- als auch Informationsverständnis auszugehen, als dies Ellger vorschlägt. Es ist gerade das für die handelnden Subjekte verfügbare Wissen, das im biographischen Wissensvorrat die entscheidende Bedeutung für das Handeln erlangt. In dieser Sicht ist »Wissen« an das handelnde Subjekt gebunden. »Informationen« sind demgegenüber zu begreifen als ein potentielles Wissen, das den Handelnden vermittels der Medien zur Disposition steht. Es wäre dann vielleicht angemessener, von einem Feld von Informationen zu sprechen. Das potentielle Feld besteht aus einer Vielzahl von Informationen. Die einzelne Information ist ein herausgehobenes Teilelement, das sich von anderen unterscheiden läßt. Mit Bateson (1987, 123) ist davon auszugehen, daß »Informationen aus Unterschieden bestehen, die einen Unterschied machen«. Für die alltäglichen Geographien der Information ist auf der Empfängerseite nun genau der Prozeß wichtig, über den aus den Elementen des Feldes für das handelnde Subjekt ein Unterschied wird. Es betrifft das subjektive Herausheben einer Information aus dem Feld der Informationen, auf welche sich die wissenschaftliche Geographie der Information gemäß dem hier unterbreiteten Vorschlag konzentrieren soll. Sie soll die Prozesse des sich Informierens, aus dem die verschiedenen Geographien der Information subjektiv generiert werden, wissenschaftlich analysieren. »Wissen« ist dann konsequenterweise als das Ergebnis des sich Informierens auf der Subjektseite zu begreifen. Es umfaßt die subjektiv angeeigneten potentiellen Informationsbestände als Ausdruck und Ergebnis der subjektiven informationsmäßigen Welt-Bindungen bzw. informationsmäßigen Wiederverankerungen. Es bildet zwar die Grundlage der symbolischen Aneignungen, auf denen die Geographien der Signifikation beruhen. Trotzdem steht auf dieser ersten Stufe nicht die Geographie des Wissens im Zentrum des Interesses der Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen. Das könnte das konstitutive Interesse einer wissenszentrierten Regionalgeographie sein. Das damit verbundene Lokalisierungsprozedere ist aber insbesondere unter entankerten Bedingungen mit kaum überwindbaren Problemen konfrontiert.

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Die Unterscheidung zwischen »Information« und »Nachricht« einerseits, sowie »Wissen« und »Nachricht« andererseits ist ebenfalls in diesem Zusammenhang zu sehen. »Nachricht« ist als sender- und nicht empfängerbezogen zu begreifen und kann für unsere Zwecke definiert werden als eine vom Sender angebotene Information. Subjekte, welche »Sendungen« gestalten, schöpfen, von ihrem Wissensvorrat und ihrer Interessenlage ausgehend, aus dem Feld der potentiellen Informationen bzw. der zugänglichen Informationsströme zuhanden der Empfänger, wobei sie einzelne Informationen herauslösen, aufbereiten und als das anbieten, was in ihrem Horizont zur Nachricht wurde. So werden auf der Empfängerseite die meisten Subjekte mit Informationen in der Form einer »Nachricht« im Sinne der Sender konfrontiert. Ob sie auf der Empfängerseite auch als »Nachricht« erkannt werden, hängt wiederum von deren Ausprägung des biographischen Wissensstandes und deren Interessenlage ab. Auf dieser Grundlage ist daher auch ein neuer Blick auf die Konzeption der »doppelten Hermeneutik« möglich. Da die Sender – insbesondere unter entankerten Bedingungen – in wesentlichem Maße an der Konstitution der biographischen Wissensvorräte beteiligt sind und sowohl die Heraushebung einer Information aus dem potentiellen Informationsfeld als auch die Umwandlung einer Information zu einer Nachricht auf der Empfängerseite von der Ausprägung des biographischen Wissensvorrates abhängt, wird hier die gegenseitige Bezogenheit von Sender und Empfänger deutlich. Darin verfügen aber die Sender über ein wesentlich höheres Maß der Kontrolle als die Empfänger. Diese Unterscheidungen sind ebenfalls für die verschiedenen Kommunikationssituationen, wie sie von Parsons untersucht werden, bedeutsam. Deren systematische Zusammenführung kann hier allerdings nicht geleistet werden. Das muß weiteren Auseinandersetzungen vorbehalten bleiben. Hingegen ist nun auf die drei zuvor unterschiedenen Situationen und die entsprechenden Kommunikationsmedien differenzierter einzugehen. Face-to-face-Situationen

Diese drei Situationen, die auch im Sinne einer historischen Abfolge zu sehen sind, können wie folgt benannt werden: -

Face-to-face Situationen, welche in traditionellen Gesellschaften weitgehend als einzige Kommunikationsform verfügbar sind, aber in allen späteren Stadien auch eine fundamentale Rolle spielen;

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-

Mechanisch mediatisierte Situationen der Kommunikation, welche über die Industrielle Revolution verfügbar werden;

-

Elektronische Mediatisierung von Kommunikation als jüngste Entwicklung.

Für die erste und die beiden weiteren Phasen der technischen Transformation von Kommunikationssituationen sind face-to-face Situationen von zentraler Bedeutung. Sowohl in traditionellen als auch in spät-modernen Gesellschaften sind diese Situationen für Sozialisationsprozesse und Situationen des Lernens sowie des Entscheidens unabdingbare Voraussetzung. Diese Kommunikationskonstellation ist insbesondere für eine Sozialgeographie der Kinder von zentraler Bedeutung.138 In unmittelbar körpervermittelten Geographien der Information ist sie zunächst auf die Erforschung und Überprüfung der raum-zeitlichen Aspekte der Sozialisationsbedingungen auszurichten. Konstruktiv-kritisch soll sie – unter Einbezug sozialisationstheoretischer Grundlagen – zur Erreichung einer ausgewogenen Abstimmung von Lebensform und Sozialisationsverhältnissen in raum-zeitlicher Hinsicht beitragen. Ausgangspunkt sollen für beide Richtungen aktuelle, sozialisationsspezifische Problemsituationen sein, die auf mangelnde Abstimmungen verweisen. Wie mehrfach betont, ist insbesondere in diesem Kontext den Unterschieden zwischen traditionellen und spät-modernen Bedingungen Rechnung zu tragen. Bobek (1948) und Hartke (1956) haben darauf aufmerksam gemacht, daß für die Sozialisation einer Person sowohl das Hineingeborenwerden in einen sozialen und geographischen Kontext von zentraler Bedeutung ist. Bemerkenswert ist zwar, daß die Bedeutung des Zusammenhangs von geographischen und sozialen Bedingungen für Sozialisationsprozesse von ihnen bereits klar erkannt wurde. Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß in der von ihnen postulierten Form diese Bedingung nur für traditionelle Lebensformen zutreffend sein dürfte. Denn in spät-modernen Lebensformen sind die örtlichen Informationsbedingungen von globalen Informationsströmen durchsetzt. Deshalb sind die lokalen Verhältnisse nicht allein prägend. Stokar (1995) hat aber gezeigt, daß für die wichtige Informationsvermittlungen wann immer möglich die face-to-face-Situation aufgesucht wird. Die entsprechenden kommunikationswissenschaftlichen Untersuchungen zeigen,139 daß die derart erworbenen Informationen auch für verläßlicher gehalten werden.140 Dies hat – wie bereits im vorangehenden Abschnitt thematisiert – vielfältige Implikationen. Eine davon ist, daß regionalspezifische tradi-

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tionelle Wissensbestände trotz globalisierter Informationsflut zumindest teilweise persistieren können, wenn auch mit veränderter Bedeutung als in traditionellen Lebensformen. Welche Ausmaße entsprechende Persistenzen annehmen können, ist durch empirische Untersuchungen der Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen differenziert abzuklären. Dabei ist zu beachten, daß neben der These der Bedeutung der face-toface-Situationen auch die These der »Realitätsinversion«141 Plausibilität beanspruchen kann. Sie besteht in der Behauptung, daß medial dargestellte Ereignisse realistischer erscheinen können als die eigenen Erlebnisse. Mediale Wirklichkeiten können konsequenterweise für die erfahrenden Subjekte zu den wirklich wirklichen werden, wobei das eigene Alltagsleben dann eher als Abklatsch der eigentlichen Fiktion erscheint. Eine andere Implikation belegt, analog zur verbleibenden Bedeutung des öffentlichen Raumes für die urbane Kultur, die Notwendigkeit der Erhaltung der räumlichen Voraussetzungen für die Begegnung von Kindern sowie deren »spielendes Ausprobieren« und »Aneignen«, insbesondere in urbanen Lebenskontexten. Eine sozialgeographische Sensibilität für diese Zusammenhänge kann sich dann entfalten, wenn von der sozial-weltlichen Problemlage nach der Relevanz räumlicher Komponenten für handelnde Subjekte in kommunikativer Hinsicht gefragt wird. So wird erkennbar, daß die soziale Bedeutung räumlicher Konstellationen nicht eine unmittelbare ist. Sie ist vermittelter Art. Die Vermittlungsinstanz bildet der Körper handelnder Subjekte im Kontext materieller Objekte und Artefakte. Die Räumlichkeit konstituiert sich erst auf der Ebene praktischen Hantierens und erlangt damit für je spezifische Handlungsabläufe auch jeweils besondere Bedeutung. Der Körper der handelnden Subjekte bildet als Vermittlungsinstanz des »Hantierens« auch den vermittelnden Funktionalzusammenhang zwischen bewußtseinsmäßig repräsentierten Idealitäten und ausgedehnter Objektwelt. So bildet er auch für die soziale Komponente der Handlungsfähigkeit einen Funktionalzusammenhang: im Zusammenhang mit der Konstitution des biographisch bestimmten Wissensvorrates und der darauf aufbauenden Anwendung von (intersubjektiv gültigen) Deutungsmustern. Dies sind einerseits zwei nach wie vor wichtige Komponenten der Sozialisation, andererseits auch zentrale Aspekte der Entwicklung personaler und sozial-kultureller Identität. Will ein Subjekt die innerhalb einer sozial-kulturellen Welt intersubjektiv gültigen Deutungsregeln lernen, muß es ihm möglich sein, seine Deutungen

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und Wertungen immer wieder zu überprüfen. Die Konstitution und Anwendung intersubjektiver Bedeutungszusammenhänge ist folglich auf Testmöglichkeiten der Gültigkeit von Sinnzuweisungen angewiesen. Daraus folgt, daß die erste Bedingung intersubjektiver Sinnkonstitutionen in der unmittelbaren Überprüfungsmöglichkeit subjektiver Sinngebungen zu sehen ist. Diese ist am besten unter der Bedingung der körperlichen Kopräsenz handelnder Subjekte gegeben. Um diese erlangen zu können, spielen auch raum-zeitliche Dimensionen der Handlungskontexte weiterhin eine beachtliche Rolle.142 Geht man mit Schütz/Luckmann (1979) davon aus, daß die Basis jeder sozialen Kommunikation die Einordnung subjektiver Sinngebungen in intersubjektive Bedeutungszusammenhänge bildet, dann bedeutet das, daß jede Sinnkonstitution im subjektiven Wissensvorrat gründet. Eine intersubjektiv gleichmäßige Konstitution der Bedeutungen von Sachverhalten bzw. eine Reziprozität der Sinnkonstitutionen setzt dann mindestens teilweise gleichförmig ausgeprägte Wissensvorräte voraus. Daraus folgt – als zweite Bedingung der Konstitution intersubjektiver Sinnkonstitution –, daß gemeinsame Erfahrungen ein wichtiger Grundbestand zur Entwicklung intersubjektiver Verständigung bilden. Unter beiden Bedingungen wird ersichtlich, daß subjektiv erfahrene Dinge so lange nicht mit ausreichender Gewißheit existieren, wie das Subjekt ihre Existenz nicht vom Alter ego bestätigt findet. Daraus folgt, daß sich die Intersubjektivität der sozial-kulturellen und physischen Mitwelt erst auf der Basis sozialer Interaktionen konstituieren kann. Weil sich in der face-to-faceSituation die Körper der Handelnden als Ausdrucksfelder ihres Bewußtseins unmittelbar gegenüberstehen, ist diese für die Erreichung der Gewißheit über intersubjektive Gültigkeit von Bedeutungskonstitutionen besonders wichtig. Hier wird es möglich, die Kommunikation über subtile symbolische Körpergesten zu unterstützen, was die Zahl der Fehlinterpretationen einschränken kann. Auch können bei verbleibenden Unklarheiten unmittelbar Rückfragen gestellt werden, womit die gegenseitigen Symbolisierungen und Deutungen unmittelbar überprüf- und korrigierbar sind. Die Kopräsenz ist demgemäß jene Situation, in der die unmittelbare Überprüfung der Kommunikationsinhalte und -bedeutungen eher möglich ist. Deshalb bildet sie erstens einen Kernbereich der Sozialisation, und deshalb sind hier zweitens die raum-zeitlichen Bedingungen der Kommunikation von besonderer sozialer Wichtigkeit. Jedes Subjekt wird in eine historische Situation mit je spezifischer Ausprägung des Wissensvorrates seiner unmittelbaren Interaktionspartner hineinge-

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boren, die ihrerseits von derartigen Begegnungen mit ihren Vorfahren geprägt sind. Diese Bedingungen sind nicht hintergehbar. Betrachten wir beispielsweise einen Ausschnitt der Alltagswelt von erwerbstätigen und alleinerziehenden Müttern/Vätern. Selbst wenn sie eine Kinderkrippe und eine Teilzeitarbeit gefunden haben, lassen sich deren Ziele aufgrund der Anordnungsmuster der jeweiligen materiellen Einrichtungen häufig nicht erreichen. Denn die Wege zwischen den einzelnen Standorten können sich als zu zeitraubend erweisen, als daß sie mit den jeweiligen Öffnungs- und Arbeitszeiten auf erfolgreich koordiniert werden können. Hier zeigt sich, wie sich überkommene raum-zeitliche Ordnungsmuster gegen eine bestimmte Lebensform sperren können und wie Sozialisationsprozesse in alltägliche Geographien eingebettet sind. Hier geht es darum, die Sozialisationsbedingungen in räumlich-zeitlicher Hinsicht zu analysieren und unter Bezugnahme auf Kriterien allgemeiner sozialwissenschaftlicher Sozialisationstheorien zu beurteilen. Silvia Monzel (2007) zeigt, als Ableitung aus der transaktionistischen Sozialisationstheorie, welche räumlichen Voraussetzungen für spielerische Umweltaneignung durch sinnvolle Gestaltungsplanung zu schaffen sind. Die Planungsleitlinien gewinnt sie nicht aus sogenannten räumlichen, sondern vor allem aus sozialisationsspezifischen Erfordernissen. Sie skizziert damit eine sozialgeographische, kommunikationsspezifische Planungspraxis, die nicht mehr primär »Raum« plant, sondern explizit auf thematisch selektionierte (sozialisationsrelevante) Handlungstypen ausgerichtet ist. »Raum«planung wird damit explizit zur Handlungsplanung zuhanden von (Stadt-)Politik und in bezug auf kinderfreundliche Wohnumfeldgestaltung. Mechanisch mediatisierte Kommunikationssituationen

Die zweite Phase143 der technischen Transformation von Kommunikationssituationen – die moderne, industriell-mechanische – ist in gewisser Hinsicht vom gleichen Prinzip geleitet wie die erste Phase: Alle technischen Erfindungen wie Druckerpresse, Schreibmaschine usw. stellten in doppelter Hinsicht Erweiterungen des Körpers dar.144 Sie ermöglichten erstens die Perfektionierung der Bewegungen des Schreibens.145 Die damit geschaffenen Bedingungen blieben zweitens auch deshalb relativ körpernah, als der Transport der Erzeugnisse lange ein Transport von Gegenständen (Bücher, Zeitungen usw.) war. Diese literarische Kultur impliziert eine Fragmentierung und Privatisierung (Isolation, Individualisierung) der Erfahrungsdarstellung beim Schreiben wie der Erfahrungsinterpretation beim Lesen.

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Die schriftliche Form der Kommunikation ermöglicht einerseits eine zeitliche und logische Linearisierung der Wirklichkeitsdarstellung, andererseits eine Rationalisierung und damit die Industrialisierung der Information im Zeitalter der Bücher und Zeitungen. Zusammen mit der mechanischen Uhr fördert diese Entwicklung die Durchbrechung der rekursiven Zeitvorstellung und etabliert ein formales, lineares und universales Zeitverständnis, dessen wichtigstes Merkmal die Meßbarkeit ausmacht. Man kann davon ausgehen, daß die gedruckte Kommunikation an die materiellen Grundlagen des Lebens gebunden bleibt. Was sich gegenüber den face-to-face-Situationen verändert, ist die Tatsache, daß aufgrund von Transport von Materie die Kommunikation über Distanz möglich wird. Zwischen Sendung und Empfang kann aber – distanzabhängig – ein beachtliches Maß an Zeit vergehen, so daß der Rhythmus des sozialen Lebens und Wandels zwar drastisch erhöht wird, von der Quasi-Gleichzeitigkeit aber noch weit entfernt bleibt: »News from afar came in the form of (…) ›geographic bundling‹. Materials (…) came in packages from the ship, and would be presented in the form in which they were found: ›a ship arrived from London, and here is the news it brought‹« (Giddens, 1991a, 25f.). Da Kommunikation an materielle Objekte gebunden blieb, fand sie auch in entsprechenden, an die Transportinfrastruktur gebundenen Kanälen Verbreitung. Elektronische Medien

In der dritten Phase der Kommunikationsgeschichte wird mit den elektronischen Medien ein epochaler Schritt vollzogen. Die elektronische Übermittlung ermöglicht eine Geschwindigkeit der Kommunikation, die sich in hohem Maße der Gleichzeitigkeit annähert. Räumlich und zeitlich getrennte Ereignisse und Örtlichkeiten werden in dem Sinne von einander abhängig, daß die kommunizierenden Subjekte das entsprechende Wissen in virtueller Gleichzeitigkeit verfügbar haben. Die kommunizierte Erlebbarkeit von Ereignissen und Örtlichkeiten wird auf diese Weise räumlich-zeitlich verdichtet. Elektronische Medien ermöglichen ein globales Netzwerk der Kommunikation. Es erweitert nicht nur den Körper, sondern mit ihm wird »das Zentralnervensystem selbst, einschließlich des Gehirns, nach außen gebracht« (McLuhan, 1995, 376); die Welt der »gegenseitigen Beeinflussung (hat nun) die gleiche umfassende Weite des integrierenden Wechselspiels, das bisher nur für unser persönliches Nervensystem charakteristisch ist« (McLuhan, 1995, 377).

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Der gesamte von den Subjekten produzierte, empfangene und interpretierte Informationsfluß bezieht sich einerseits auf die gesamte Welt, und wird andererseits global ständig in gegenseitige Referenz gebracht und ist immer wieder der Manipulation ausgesetzt. Die Informationssequenzen können konsequenterweise nicht mehr in eine lineare Ordnung rationalisierter, fließbandähnlicher Produktion gebracht werden: »the world is experienced not simply globally but chaotically« (Waters, 1995, 35). Diese Ausweitung des Erfahrungsnetzes zwingt rezipierende und handelnde Subjekte »auf die Welt als Ganzes zu reagieren« (McLuhan, 1995, 377). Die Synchronisierung der Information führt in dem Sinne zur »Implosion« der Welt, daß die kommunizierten Erfahrungen von distanzierten Ereignissen an einem Ort zusammenfinden, an einem Ort auf mediatisierte Weise erfahrbar werden können. Alles was geschieht, kann im Prinzip von allen gleichzeitig erfahren bzw. gewußt werden. Die elektronischen Medien ermöglichen die Simultaneität von Ereignis und Erfahrung über größte räumliche Distanzen hinweg und damit auch den globalen Klatsch bzw. das globale Dorf: »This is the (…) world of the global village« (McLuhan, 1964, 93). Prinzipiell ist in diesem globalen Dorf jede/jeder für jede/jeden medial verfügbar und erreichbar. Sowohl die Inhalte des globalen Dorfklatsches als auch die dort anzutreffende Verfüg- und Erreichbarkeit unterscheiden sich von jenen des lokalen Dorfes dabei in entscheidender Weise: sie sind mediatisiert, vermittelt und nicht unmittelbarer Art. Mit anderen Worten formuliert: Unter der Bedingung der Integration elektronischer Medien in spät-moderne Lebenswelten verändern sich sowohl die sinnhafte Konstruktion sozial-kultureller Wirklichkeiten als auch die geographischen Weltbezüge und WeltBindungen. Welche Bedeutung die elektronischen Kommunikationsmittel unter spätmodernen Lebensbedingungen erlangt haben, demonstrierten eindrücklich die europäischen Revolutionen von 1989. Die politische Rückkehr der Handelnden in die Welt der Strukturen wäre, gemäß Boden (1992), in der erfolgten Form ohne globalisierte Informationssituation wohl nicht möglich gewesen. Nicht nur, daß erst sie die quasi-gleichzeitige Information der unterschiedlichsten Akteure außerhalb des Einflußbereichs der Parteiherren in verschiedenen Ländern ermöglichte (und konsequenterweise auch die Koordination der revolutionären Handlungen). Vielmehr war auch das Vorfeld der Revolutionen in vielfältigster Hinsicht an diese neue Informationssituation gebunden: für die Aneignung des demokratischen und kapitalistischen Voka-

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bulars. Dafür bildeten die Sendungen von BBC, Radio France, Voice of America, CNN usw. die ermöglichenden Voraussetzungen. Freilich haben die elektronischen Kommunikationsmedien die radikalen politischen Transformationen nicht kausal determiniert. Kein Medium bzw. Mittel kann etwas determinieren. Doch ohne die globalisierten Bedingungen der Information wären sie weder in Ausrichtung noch in Form so möglich gewesen, wie sie stattgefunden haben. Die Bewegungen waren mittels Telekommunikation auf eine globale Situation bezogen und agierten mit einem Höchstmaß an Reflexivität. Was hier offengelegt wurde, sind im Prinzip die kommunikativen Grundprinzipien spät-moderner Lebensformen im allgemeinen. In dieser vernetzten Welt sind die sich entfaltenden Formen des Handelns bis in die feinsten Einzelheiten sequentiell miteinander verbunden, was sowohl neue Formen des Geschichte- als auch Geographie-Machens ermöglicht: »This single, seamless world in which we all live is interactive – continuously, simultaneously and reflexively« (Boden, 1992, 328f.). In den meisten alltäglichen, spät-modernen Lebensformen ist ein wachsendes Segment der Kommunikation durch elektronische Medien vermittelt. Die Nutzungen von (Satelliten-)TV, (drahtlosem) Telefon, Radio, Film, Video-, DVD- und Stereoanlagen, CDs, Computer, Faxgeräte, Email, Internet usw. durchdringen alle sozialen Konstellationen (Institutionen, Gruppen und private Haushalte) und alle thematischen Felder der Kommunikation (Politik, Arbeit, Konsumtion, Erziehung, Freizeit usw.). Sie werden mit einer Selbstverständlichkeit genutzt, als ob es sie immer schon gegeben hätte. Beinahe jeden Moment, so Poster (1990, 1), sind wir in spät-modernen Lebensformen dabei, Symbole zu tauschen, Nachrichten zu senden und zu empfangen oder Informationen zu aktualisieren. Diese Möglichkeiten sind zwar grundsätzlich nichts anderes als Ausdruck der Sprache und der Sprechfähigkeit. Trotzdem hat sich mit der Elektrifizierung des Informationswesens in der »Informationsgesellschaft« vieles grundlegend verändert. Die genannten Medien überbrücken räumliche und zeitliche Distanzen: Sie verschaffen den Nutzenden Zugang zu Gegebenheiten und Ereignissen, zu denen sie keinen unmittelbaren Bezug haben und von denen sie sonst nichts wüßten. Die Medien haben bei der Vermittlung von Wissen, auf dessen Grundlage die Menschen ihre Weltbilder und Wirklichkeiten konstruieren, welche den Sinnhorizont für ihr Handeln darstellen, eine zentrale Position erlangt.

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Die Art des Mediums bleibt dabei für die übermittelten Gehalte nicht ohne Konsequenzen. Für McLuhan (1995, 21) ist sogar das Medium und nicht der Inhalt das bestimmende Prinzip der Kultur: »Das Medium ist die Botschaft.« Selbst wenn man diesen technologischen Determinismus nicht voll akzeptiert, ist es wichtig zu sehen, daß die Art der Kommunikation einen Unterschied ausmacht. So wie die Inhalte einer Kommunikation nicht gleich ausfallen können, je nachdem ob man mit jemand in Kopräsenz spricht oder ob man sich schreibt, weisen auch die neuen elektronischen Medien wichtige Implikationen für die Art der verwirklichbaren sozialen Beziehungen auf. Das trifft auch für die Konstitution sozial-kultureller Wirklichkeit zu: »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien. Das gilt nicht nur für unsere Kenntnis der Gesellschaft und Geschichte, sondern auch für unsere Kenntnis der Natur« (Luhmann, 1996, 9). Dabei ist klar zu unterscheiden zwischen dem, was wir wissen, und dem, was wir tatsächlich auch für unsere Praxis übernehmen. Die meisten Menschen beziehen sich auch auf Informationen, die Ausdruck eigener Erfahrungen sind oder die sie aus persönlichen Gesprächen in face-to-face-Situationen erworben haben, und vertrauen den Massenmedien nicht in dem Maße, daß jede erfaßte Information zur Handlungsmaxime wird. Doch die angesprochene Grundtatsache spät-moderner Gesellschaften ist sicher auch unter dieser Bedingung zutreffend: Die meisten Informationen sind mediatisiert, sie beruhen weder auf persönlicher Erfahrung noch auf unmittelbaren Situationen der Kommunikation. Damit sind auch forschungsmethodologische Konsequenzen verbunden. Teilt man die These der Phänomenologen Husserl und Schütz, daß es keine von Subjekten unabhängigen Sinngehalte gibt, sondern diese immer das Ergebnis von Konstitutionsleistungen auf der Basis des verfügbaren Wissensvorrates sind, dann ist auch die Rolle der Medien darin zu klären. Sowohl die Geographien der Information als auch die Geographien symbolischer Aneignung haben zu berücksichtigen, daß die reale Welt für das Handeln der Subjekte immer erst relevant wird, wenn sie eine bestimmte Bedeutung erlangt haben, und nur in der Form relevant werden kann, wie sie vom erkennenden und handelnden Subjekt bedeutungsmäßig konstituiert und erfaßt wird. »Wirklich« sind Gegebenheiten somit nur in ihrer Bedeutung, nur in den von den Subjekten konstituierten Sinngehalten. Die Konstruktion der sozial-

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kulturellen Wirklichkeit verläuft durch die Symbolisierung der zu erkennenden und zu erfahrenden Gegebenheiten. Subjektiv wird etwas aber erst dann wirklich, wenn es die Aufmerksamkeit des Subjektes erlangt hat: »Der Ursprung aller Wirklichkeit ist subjektiv, was immer unser Interesse erweckt und anregt, ist wirklich« (Schütz, 1971a, 237). Was das Interesse erweckt hat, wird dann mit dem Wissensvorrat in Beziehung gebracht. Diese selektive Bezugnahme kann gemäß Schütz (1982) motivationaler, thematischer oder interpretativer Art sein. Zusammenfassend kann darauf hingewiesen werden, daß die elektronischen Massenmedien für die spät-modernen Lebensformen die besondere Instanz darstellen. Technisch betrachtet sind alle Medien instrumentelle Mittel, um Informationen in geschriebener, (photo-)graphischer oder auditiver Form zu verbreiten. Massenmedien zeichnen sich dadurch aus, daß sie Informationen in beinahe beliebigem Maße vervielfältigen und in kaum mehr überblickbarer Form (global) verbreiten. Informationsmedien sind in diesem Sinne Medien der Vermittlung. Die Adressaten, welche aus den Angeboten an Informationen über Gegebenheiten und Ereignisse auswählen, binden damit die Welt wissensmäßig an sich und beteiligen sich interpretierend daran. Geographien symbolischer Aneignung

Geographien symbolischer Aneignung beruhen auf sinnhaften Interpretationen räumlicher Handlungskontexte, die je nach Handlungszusammenhang spezifiziert und differenziert werden. Wie bei normativen Aneignungen und den Geographien der Kontrolle geht es auch hier nicht darum, die Rekonstruktion symbolischer Aneignungen räumlicher Ausschnitte in raumwissenschaftlicher Absicht kartographisch darstellbar zu machen. Vielmehr geht es um deren Rekonstruktion in kommunikativer Absicht. Ihre kommunikative Bedeutung steht im Vordergrund. Das symbolische Geographie-Machen kann ebensowenig Selbstzweck sein, wie es andere symbolische Repräsentationen sind. Für welche lebenspraktischen Zusammenhänge sie in welcher Form relevant oder gar zentral sind, haben die entsprechen empirischen Forschungen aufzudecken und abzuklären. Es ist davon auszugehen, daß die Bedeutungszuweisungen zu räumlichen Kontexten immer nur im Verhältnis zu Praktiken, zu routinierten Bewältigungen von Situationen im Sinne von Strukturationsprozessen sozial-kultureller Wirklichkeit, betrachtet und analysiert werden können. In deskriptiv-

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analytischer Hinsicht ist die alltagsweltlich produzierte Mannigfaltigkeit symbolischer Geographien zu rekonstruieren, die in kommunikativer Praxis durchaus als erdräumlich reifizierte soziale Räume146 Verwendung finden können. In explikativer Hinsicht steht die Rekonstruktion der kommunikativen »Wirkungs«zusammenhänge im Vordergrund. Zu klären ist, für welche kommunikativen Kontexte die subjektbezogenen Geographien symbolischer Aneignungen produziert werden, wofür die Symbole mit welchen Konsequenzen stehen und wie sie kommunikativ durchgesetzt werden. Hier ist insbesondere der Zusammenhang zwischen symbolischen Aneignungen und ideologischen Diskursen abzuklären und argumentativ zu erörtern. Das explikative Interesse dieser Arten von alltäglichen Regionalisierungen ist somit aufs engste mit Diskursanalysen zu verbinden. Das Verhältnis von »Macht« und »Deutung« ist zu klären. Dafür ist das Transformationspotential durchgesetzter Deutungen als intersubjektiv gültig propagierter symbolischer Aneignungen von Orten und räumlichen Handlungskontexten zu ergründen. Symbolische Aneignung und Praxis

Alltägliche Geographien symbolischer Aneignung sind ebenfalls als besondere Formen der subjektzentrierten Welt-Bindung bzw. Wiederverankerung zu begreifen. Beruhen die produktiv-konsumtiven Regionalisierungen auf materiellen Verfügungsmöglichkeiten und die normativ-politischen auf Präskriptionen, so sind symbolische Codierungen die Basis dieser Art von Bezügen. Symbolisch codierte räumliche Ausschnitte bzw. deren begriffliche Benennungen bekommen in kommunikativen Kontexten die »Funktion« zugewiesen, etwas Spezifisches zu bedeuten, das mit den materiellen Eigenschaften keine Konnotation aufzuweisen braucht. Das ist auch dann der Fall, wenn die argumentative Begründung der Bedeutungszuweisung auf materielle Eigenschaften Bezug nimmt. Die Bedeutung ist auch dann immer noch Ausdruck der alltagsweltlichen Bedeutungszuweisungen und nicht der natürlichen Eigenschaften. So wie das Matterhorn nicht aufgrund seiner lithologischen Eigenschaften an sich zum Symbol für »die Schweiz« geworden ist, beruhen alle Symbole auf sozialen Interpretationen und semantischen Codierungen. Die handlungs- und strukturationstheoretisch orientierte Semantik geht davon aus, daß Bedeutungen von Worten und anderen Bedeutungsträgern in regelgeleiteten Aktivitäten »begründet« sind. Die Bedeutungen der »Dinge« sind Ergebnis und Ausdruck praktischer Aneignung. Deshalb ist die Bedeu-

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tung von Situationselementen handlungsspezifisch. Codes weisen – wie »Macht« – deshalb einen relationalen Charakter auf, weil die mit ihnen generierte Bedeutung praxisgebunden ist. Die Codierung als Zeichenzuweisung erfolgt in ihrer konventionellen Verwendung in alltäglichen Praktiken und existiert ausschließlich in deren Reproduktion. Symbolische Bedeutungen sind keinesfalls praxisunabhängige Eigenschaften. So ist die symbolische Bedeutung des Brandenburgertores nicht eine Eigenschaft des mit diesem Begriff bezeichneten materiellen Artefaktes an sich, sondern eine Eigenschaft der Praktiken, die ihm diese Eigenschaft zuweisen und in dieser intersubjektiv akzeptierten Zugewiesenheit Bezug darauf nehmen. Zeichen bestehen als Elemente der Bedeutungskonstitution, nicht aber als Bedeutungen. »Bedeutungen« sind in ihrer Einbettung in den Strom der Alltagsaktivitäten begründet. Kommunikation besteht zu einem beachtlichen Teil in der Interpretation der in die Praxis eingelassenen Bedeutungen der Codes. Für diese interpretativen Akte kommen nach Giddens (1988a) interpretative Schemen und die entsprechenden Regeln der Auslegung zur Anwendung. Deutungsschemata sind als Set semantischer Regeln in der Strukturierungsdimension der Signifikation zu begreifen. Deutungsschemata ermöglichen dem Subjekt, die Auslegung der sozial-kulturellen Welt als sinnhafte Wirklichkeit zu erfahren. Gleichzeitig werden damit – im Sinne der Dualität der Struktur – allerdings bestimmte Interpretationen auch erzwungen: über die Regeln der Deutung werden immer auch bestimmte Interpretationsweisen transportiert. Daß unter dieser Bedingung trotzdem eine intersubjektive Bedeutungsstruktur alltäglicher Wirklichkeit bzw. eine quasi-objektive Wirklichkeit des Alltags konstituiert werden kann, setzt eine gewisse Kongruenz des verfügbaren Wissensvorrates voraus. Dies wird, wie gesehen, über Informations- und Sozialisationsprozesse erzielt. Erfolgt der Aufbau des biographisch geprägten Wissensvorrates in traditionellen Lebensformen in einer gemeinsam geteilten Mitwelt vorwiegend unter face-to-face-Situationen, ist diese gegenseitige Körperzentriertheit in spät-modernen Lebensformen – bezogen auf die Menge der verfügbaren Informationen – nur relativ selten gegeben. Der oder die andere bzw. anderen der Kommunikationssituation sind sehr häufig bloß mediatisiert präsent, nicht aber körperlich. Gleichzeitig beruht angeeignetes Wissen in zunehmendem Maße nicht auf eigener Erfahrung und Anschauung, sondern ist ebenfalls medial vermittelt. Das ist die erste Form, in welcher die Medien für die Auslegung der Welt durch das Subjekt bedeutsam sind. Das

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vermittelte Wissen wird – so wie das selbst erworbene – zum Bezugsrahmen der Orientierung des Handelns. Medien als Wirklichkeitskonstruktionen

Die zweite Bedeutung liegt nach der »doppelten Hermeneutik« darin, daß die von ihnen angebotenen Informationen und Nachrichten immer bereits vorinterpretierte und vorinterpretierende Darstellungen sind. Die in den Medien dargestellte Welt ist bereits eine spezifische Form der Wirklichkeitskonstruktion. Sie leisten damit auch, wie es Luhmann (1996, 183) formuliert, »einen Beitrag zur Realitätskonstruktion der Gesellschaft«. Sie verfügen, in die Begrifflichkeit von Giddens (1988a) übersetzt, über ein außerordentliches Strukturierungspotential. Mittels der Verbreitung von Informationen – und mit ihnen der Deutungsschemata und Normen – strukturieren die Medien maßgeblich soziale Beziehungen über Raum-Zeit-Spannen hinweg.147 Medien sind aber nicht nur Instanzen der Vermittlung von Informationen und der entsprechenden Regeln der Deutung und normativer Setzung. Sie sind vielmehr in die Konstitution der Regeln selbst eingebunden. Indem sie eine vorinterpretierte und bewertete Wirklichkeitsdarstellungen liefern und Sichtweisen anbieten, sind sie an der Produktion und Reproduktion von Regeln selbst beteiligt. Im Feld der Information sind dabei unterschiedliche Machtpositionen auszumachen. Die zentrale Position der elektronischen Medien impliziert ganz allgemein auch eine Macht der Kontrolle der Weltbildkonstitution. Die erste Asymmetrie besteht dabei, wie bereits im vorangehenden Abschnitt angedeutet, im Prozeß der Informationsübermittlung zwischen dem Sender und dem Empfänger. In der Situation der Nachrichtenübermittlung haben die Empfänger keine Möglichkeit, die interpretativen Schemata der Sender zu überprüfen, nicht zuletzt deshalb, weil es sich um eine mediatisierte Mitteilung handelt, die der Empfänger nicht selbst erlebt hat und deshalb der unmittelbaren Überprüfungsmöglichkeit entzogen ist. Die zweite wichtige Asymmetrie besteht zwischen verschiedenen »Kulturwelten«, Nationalstaaten und Sprachen. McPhail (1992, 289f.) spricht beim Verhältnis von westlichen Ländern und den ehemaligen Kolonien vom bislang letzten Kapitel des Kolonialismus: die Kolonialisierung der informativen Weltordnung, die in der Radikalität des Transformationspotentials den vorhergehenden Formen in nichts nachstehe. Er sieht sie als vierte Etappe der Abfolgereihe von (a) militärischen Eroberungen des griechisch-römischen

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Zeitalters, (b) den militanten Kreuzzügen der Missionierung des Mittelalters und (c) des merkantilen Kolonialismus, der bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts reichte. Der Versuch der westlichen Staaten am Ende der dritten Ära, ihren Einfluß mittels transnationaler Unternehmen auszuweiten, wird zunehmend überlagert durch den aktuellen elektronischen Kolonialismus. Dieser ist nicht mehr primär auf die Welt der Güter gerichtet, wie dies beim merkantilen Kolonialismus der Fall ist, sondern auf das Bewußtsein der Subjekte. Über Kinderprogramme, Werbespots bis hin zu »soap operas« werden Einstellungen, Bedürfnisse und Lebensstile geformt. Dieser Zugriff auf die biographische Prägung der Wissensvorräte der Subjekte als Basis für deren sinnhafte Konstitutionsleistungen hat mit der Entwicklung von »direct broadcast satellites (DBS)«, dem Satellitenfernsehen, eine bisher nicht bekannte Heftigkeit erreicht. Entsprechend ist auch in diesem Bereich die Klärung der Ausprägung allokativer und autoritativer Ressourcen und des entsprechenden informativen und signifikativen Regionalisierungspotentials wichtig. Schiller (1989) weist darauf hin, daß in der Kontrolle globaler Kommunikation durch amerikanische Unternehmen eine neue strategische Dimension beobachtbar wird. Diese Firmen gerieten zunehmend unter den Einfluß der amerikanischen Regierung, insbesondere des Verteidigungsministeriums: Der RCA-Konzern, zu dem auch NBC gehört, wäre gleichzeitig eine der größten Zulieferfirmen des Pentagons. Wenn damit noch kein empirischer Nachweis gegenseitiger Abhängigkeit erbracht ist, verweist dies doch auf die Bedeutung der Informationskontrolle als strategisches Mittel globaler Kontrolle. Mediale Präsenz und Präsentation können so zur entscheidenden Instanz politischer Auseinandersetzung werden, wie sie in spät-modernen Krisensituationen zutage treten. Für Glotz (1996, 7) ist die »internationale Krisenkommunikation in der telematischen Gesellschaft (ein) für moderne Demokratien entscheidendes Problem«. Aufgrund der mangelnden unmittelbaren Überprüfbarkeit des Wahrheitsgehaltes der gesendeten Informationen durch die Empfänger werden bei räumlich-zeitlicher Distanzierung manipulative Wirklichkeitskonstruktionen in einem nie zuvor erreichten Maße möglich. »Satanisierung« von Gegnern und »Glorifizierung« der eigenen Anliegen können in internationalen Konfliktsituationen so wichtig werden wie militärische Stärke. Beham (1996) macht dies anhand ihrer Agenturanalysen für den Golf- und den jüngsten Balkankrieg klar. Sie bezeichnet den Positionskampf in der Berichterstat-

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tung unter Bedingungen der »medialen Echtzeit« (1996, 11) – für die bosnische Seite – als entscheidender als deren territoriale Siege und Niederlagen. Die pragmatische Bedeutung der »doppelten Hermeneutik« im Verhältnis von telematischem Informationswesen und alltagsweltlichen Situationsinterpretationen wird dann offensichtlich, wenn Resolutionen von weltweit bekannten Intellektuellen auf der Grundlage von Agenturmeldungen konstituiert werden. Wer über die notwendigen allokativen und autoritativen Ressourcen verfügt, sich in diesen informativen und konsequenterweise auch signifikativen Positionskämpfen durchzusetzen, hat die größere Kontrolle über die Konstitutionsmechanismen der sinnhaften Wirklichkeiten über räumlichzeitliche Distanzen hinweg. Die Bedeutung der allokativen und autoritativen Verhältnisse in Medien und Kommunikation ist natürlich nicht nur im globalen Maßstab wichtig, sondern ebenso auf der Stufe jedes einzelnen Nationalstaates. Auch hier kommt den elektronischen Massenmedien und der Presse die Bedeutung zu, Öffentlichkeit sowohl zu produzieren als auch zu repräsentieren. So wird in jüngerer Zeit oft die Frage gestellt, ob die Medien neben Legislative, Exekutive, Judikative als eine Vierte Gewalt zu verstehen sind.148 Gerade weil sich das Informationswesen quer durch alle drei zentralen Dimensionen rechtsstaatlicher Wirklichkeiten zieht, fällt es schwer, sie mit diesen abgrenzend in Beziehung zu setzen. Es ist eine Art Vorhof, gleichzeitig aber auch eine Metaebene sowohl der Gesetzgebung als auch der ausführenden und richtenden Institutionen und entsprechender gesellschaftlicher Realitäten.149 Die Informationsvermittlung scheint einen mit der Konsumtion vergleichbaren Status aufzuweisen. So wie diese nach de Certeau, ohne im materiellen Sinne etwas herzustellen, durchaus auch eine kreative Komponente aufweist, scheint auch die Vermittlung von Informationen ein »kreatives Vorgehen« (de Certeau, 1988, 15) zu implizieren. Über Zerstückelung und Auswahl kann etwas Neues geschaffen werden, ohne daß man eine einzige eigene Erfahrung oder Information hinzufügt. Und hier liegt offensichtlich der übergreifende Aspekt des Informationswesens begründet: Präsentation einer Auswahl mitgeteilter Informationen aus dem weiten Feld mitteilbarer Informationen. Da Konstitutionen von Wirklichkeit auf Informationen beruhen, impliziert dies, daß die Medien dazu beitragen, die »Welt« so erscheinen zu lassen, wie man möchte, daß sie gesehen wird. Darin liegt die Macht der Medien begründet. Sie liefern mit den Informationen die Weltdeutung und die Regeln mit dazu. Wer sie übernimmt und wer nicht, das allerdings liegt nicht

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im Verfügungsbereich der Medien, vor allem nicht in dem eines einzelnen Mediums. Ideologie und Diskurs

Die Medien sind folglich wichtiger Bestandteil der Strukturation gesellschaftlicher Wirklichkeit. Diese umfaßt Herrschaft, Signifikation und Legitimation. Diese drei Dimensionen sind miteinander verflochten, und so müssen »Signifikationsstrukturen (…) immer als in Verbindung mit Herrschaft und Legitimation stehend konzeptualisiert werden« (Giddens, 1988a, 84). Bedeutungsstrukturen äußern sich über Diskursformen in Interaktionen und Kommunikation. Hier erlangt nun »Ideologie« große Bedeutung. Sie resultiert aus »Asymmetrien von Herrschaft, die Signifikation mit der Legitimation von partikulären Interessen verbinden« (Giddens, 1988a, 86). Damit wird »Ideologie« im Vergleich zur marxistischen Auffassung nicht als Gegensatz zu »Wissenschaft« definiert, nicht als verzerrte Wirklichkeitsdarstellung und konsequenterweise auch nicht als besonderer Typus von symbolischer Ordnung. Sie ist vielmehr als selektive Mobilisierung von Bedeutungsstrukturen zur Legitimierung von Herrschaft und zur Absicherung der Partikulärinteressen zu verstehen. Ideologische Diskursformen sind somit als Arten der Mobilisierung von Bedeutungsstrukturen in sozialem Handeln zu begreifen, als die Aktualisierung der Bedeutungsstrukturen, wofür die angemessenen Codes und Deutungsregeln zur Anwendung gebracht werden müssen. Ideologie zeichnet sich durch drei Merkmale aus: 1. Darstellung partikularistischer Interessen als universale; 2. Leugnung oder Transmutation vorhandener Widersprüche; 3. Naturalisierung bzw. Reifikation der Gegenwart: »Forms of signification which ›naturalise‹ the existing state of affairs, inhibiting recognition of the mutable, historical character of human society thus act to sustain such interests« (Giddens, 1979a, 195). Für die Erforschung der alltäglichen Geographien symbolischer Aneignung sind Diskursanalysen vorerst auf zwei Hauptdimensionen zu konzentrieren. Die erste betrifft die Darstellung partikularistischer Interessen als universale, wie sie sich beispielsweise in regionalistischen und nationalistischen Diskursen äußert. Jedenfalls ist diese Form ideologischer Diskurse an symbo-

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lische Aneignungen gebunden, die für die Vorbereitung politischer Aktionen relevant sein dürften. Der zweite Bereich betrifft die Naturalisierung bzw. Reifikation räumlicher Ausschnitte als effiziente Form ideologischer Selbst- oder Fremddeutung sowie der politischen Durchsetzung des Diskurses. Hier ist nicht zuletzt die »Boulevardpresse« mit ihrer ideologischen »Mythenbildung« (Barthes, 1967) von (mit-)entscheidender Bedeutung. Jedenfalls besteht ein besonderes Merkmal entsprechender ideologischer Diskurse darin, symbolisch konstituierte Aneignungen als naturhafte Eigenschaften der Objekte, territorialer Ausschnitte usw. erscheinen zu lassen. Die Naturalisierung bzw. Reifikation als Technik symbolischer Aneignung weist vielfältige Spielformen auf, die differenziert abzuklären sind. Zahlreiche subjektspezifische Aneignungsformen dürften für die verschiedenen Alltagspraktiken von wesentlich größerer Bedeutung sein, als dies in der sozialwissenschaftlichen Forschungsliteratur bisher zum Ausdruck kommt. »Ideologisch« sind diese Diskurse, wenn sie die drei zuvor erwähnten Merkmale aufweisen. Sie können in dieser Form alle Bereiche des Alltagslebens durchziehen, nicht bloß die Sphäre der Politik und nicht nur die festen Überzeugungs- oder gar Glaubenssysteme: »Some of the most potent forms of ideological mobilisation do not rest upon shared beliefs (any more than shared normative commitments); rather, they operate in and through the forms in which day-to-day life is organised (and) we certainly must include ›knowing how‹ within this categories« (Giddens, 1981a, 68). Damit ist auf die Bedeutung des Wissens in diesem diskursiven Deutungskontext hingewiesen. Diese Andeutung von Giddens wird hier dahingehend interpretiert, daß »Wissen« als Voraussetzung für Interpretationen zu thematisieren ist und nicht allein »Sprache«. Der Einbezug von »Wissen« bezieht sich auf die Geographien der Information mit den entsprechenden Institutionen der Informationsverbreitung und Kontrolle. Sowohl für die Darstellung partikularistischer Interessen als universale wie auch für die Naturalisierung bzw. Reifikation der Gegenwart spielen signifikative Regionalisierungen im Sinne symbolischer Aneignungen eine wichtige Rolle. Sie sind als räumliche Codierungen der sozialen Welt zu begreifen, die für die sinnhafte Reproduktion der sozial-kulturellen Wirklichkeit eine zentrale Instanz werden können. Signifikative Regionalisierungen sind demgemäß Bestandteil der Produktion und Reproduktion gesellschaftlicher Wirklichkeiten. Die entsprechenden Codierungen werden in der sozialen Praxis

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hergestellt und kommunikativ reproduziert. Als Aspekte der sozialen Praxis sind diese Regionalisierungen Formen der Objektivierung und Verwirklichung sozial-kultureller Verhältnisse. Als Kategorien »des angeeigneten physischen Raumes« (Bourdieu, 1991c, 25) erlangen »soziale, kulturelle und ökonomische Gliederungen einer Gesellschaft eine anerkannte Form, werden als Praktiken wahrgenommen und reproduziert« (Lippuner, 1997, 88). Somit sind die Konstitution der Gesellschaft und die Konstitution von alltäglichen Regionalisierungen ein und dieselbe Praxis, letztere eine spezifische Dimension der ersteren. Dies ist für alle Typen alltäglicher Regionalisierungen der Fall. Das Spezifische signifikativer Regionalisierungen besteht darin, daß sie als Bedeutungszusammenhang konstruiert sind, der in der symbolischen Aneignung und deren Reproduktion als räumliche Semantik in der Kommunikation zwischen Subjekten seinen Ausdruck findet. Geht man mit Giddens (1979, 38) davon aus, daß Sprechen – im Sinne von Aktivierung der Sprache – auch eine wichtige Form der Praxis ist, kann verdeutlicht werden, daß signifikative Regionalisierungen, wie die politischen, nicht nur Ausdruck der sozialen Wirklichkeit sind, sondern zentraler Bestandteil ihrer sinnhaften Konstitution. Dementsprechend ist deren sozialgeographische Erforschung auch nicht nur Anwendungsbereich sozialwissenschaftlicher Theorie und Forschung, sondern ein Kernbereich der sozialwissenschaftlichen Praxisforschung. Alltägliches Geographie-Machen ist eine der zentralen Dimensionen der Konstitution und Reproduktion gesellschaftlicher Wirklichkeit, aber nicht als »Raum« oder »Region«, sondern als räumlich relationierte Bedeutungsdimension der Praxis. Die Regionalisierungen und die entsprechenden sinnhaft konstituierten Regionen bestehen vielmehr im »Einbezogen-Sein« in die soziale Praxis als alltägliches Geographie-Machen. So wie die Praxis des Sprechens in der differenzierten und differenzierenden Nutzung sprachlicher Zeichen besteht, so ist die soziale Praxis in die Produktion und Reproduktion signifikativer Regionalisierungen eingelassen. Signifikative Regionalisierungen sind konsequenterweise Bestandteil der reflexiven Steuerung des Handelns in Kommunikation.150 Signifikative Regionalisierungen sind Formen von Texten, die als Bestandteile der Kommunikation anhand interpretativer Schemen – häufig auch in institutionalisierten Praktiken – »gelesen«, gedeutet und gelegentlich auch neu geschrieben werden. Im Kontext und als Bestandteil von institutionellen Praktiken werden diese »Texte« objektiviert, über naturalisierende/reifizierende Sakralisierun-

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gen zur ikonographischen Landschaft propagiert, wie das innerhalb nationaler Geschichtsschreibung und nationalistischer Diskurse mit den »sakralisierten Orten« der Geschichte als »Rütli«, »Dunkerque«, »Arc de Triomphe« usw. geschieht. Diese Sakralisierungen erfolgen aber auch subjektspezifisch in Form von Orten, die uns etwas besonderes bedeuten und in diesem Bedeutungsbezug mitbestimmend in unsere Praxis einfließen. In diesem institutionsspezifischen und subjektzentrierten Sinne ist »der zeitgenössische Raum noch nicht gänzlich entsakralisiert« (Foucault, 1990, 37). Wir bewegen uns in diesem Sinne in den eigenen »Texten« und den »Texten« der anderen, meist ohne daß wir uns dessen bewußt sind. Denn es gibt keine durchgehenden Traditionen mehr, die diese Bedeutungen quasi transzendental objektiviert festschreiben. Trotzdem: »Wir durchwandern nicht ausschließlich einen bedeutungsleeren Raum, sondern orientieren uns in einer Lagerung von Orten« (Richner, 1996, 1), die sich im Sinne von subjekt- bzw. handlungs- und institutionsspezifischen Signifikationsregionen voneinander unterscheiden, weil sie auf unterschiedliche Weisen sakralisiert sind. Diskurse und symbolische Aneignungen

Die Untersuchung signifikativer Regionalisierungen zielt konsequenterweise auf Analysen der Konstitutions- und Deutungsmuster ab, über welche diese in Kommunikation und Diskurs hervorgebracht und gelesen bzw. reproduziert werden. Die Erforschung alltäglicher Regionalisierungen in diesem Bereich ist als Diskursanalyse im Hinblick auf signifikativen Verräumlichungen und sinnhaften Codierungen physischer Objekte und Kontexte anzulegen. Deren Ziel ist die Rekonstruktion der Konstitution der Gesellschaft als alltägliches Geographie-Machen in Form signifikativer Regionalisierungen. Aber auch hier kann es nicht um die räumliche Erforschung von »Sinn« gehen, wie dies in der angelsächsischen Tradition der phänomenologischen »humanistic geography«151 oder der deutschen »regionalen Identitätsforschung«152 beispielsweise der Fall ist. Räumliche Kategorien können nicht Mittel der Analyse sein, sondern im Sinne der Verwendung in alltäglichen Diskurspraktiken und Kommunikationsformen Gegenstand sozialgeographischer Forschung. Aufgrund welcher allokativen und autoritativen Ressourcen spielen welche signifikativen Regionalisierungen welche Rolle bei der Produktion und Reproduktion gesellschaftlicher Wirklichkeit? Dies ist eine zentrale Forschungsfragen in diesem Bereich. Die Räume der Repräsentation sozialer

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Wirklichkeit,153 »les espaces de représentation, c’est-à-dire l’espace vécu à travers les images et symboles« (Lefebvre, 1981, 49)154 sollen in ihrer diskursimmanenten Wirklichkeit auch in bezug auf ihre Bedeutung für die Machtreproduktion und ihre ideologischen Funktionen erforscht werden. Nicht Raum per se oder Materie an sich bilden aber die Objekte des wissenschaftlichen Interesses, sondern »Raum« als symbolisch-signifikatives Konzept bzw. »Materie« »als Konzept und Koordinierung unterschiedlicher Materiekonzeptionen in einem Diskurs« (Richner, 1996, 71). Die Subjekt- und Praxiszentrierung ermöglicht einerseits eine Analyse der geographischen Fachgeschichte als spezifische Praxis der symbolischen Aneignung der konkreten Natur. Dabei könnte es durchaus die Aufgabe einer kritischen Fachgeschichtsschreibung sein, die sozialen Implikationen der Duplizierung alltäglicher Reifikationstechniken auf wissenschaftlicher Ebene zu untersuchen. Die entsprechenden Ergebnisse könnten mit jenen anderer Disziplinen – wie etwa der strukturalistischen oder vulgär-marxistischen Gesellschaftswissenschaften mit ihren Reifikationen von »Struktur« oder »Klasse« – in bezug gesetzt werden, um so zu einer kritischen Darstellung der Wirkungsgeschichte der Wissenschaften in modernen und spät-modernen Lebenskontexten beizutragen. Andererseits kann die Subjekt- und Praxiszentrierung der Analyse der Aneignung von Natur sich auch auf die alltagsweltliche Ebene beziehen. Eine entsprechende Alltagsgeographie des Naturdiskurses, wie Siegrist (1996) mit einer Diskursanalyse deutschsprachiger Bergsteigerreiseberichte, hat aber im Vergleich zur traditionellen Geographie von der Umkehrung der Fragerichtung auszugehen. Reiseberichte sind »erzählte Abenteuer, die gleichzeitig Handlungsgeographien produzieren« (de Certeau, 1988, 216), die von der wissenschaftlichen Sozialgeographie als solche anzuerkennen sind. In der Analyse der Geographien symbolischer Aneignungen geht es nicht mehr um die Entdeckung der Berge, sondern um die Rekonstruktion der symbolischen Aneignungen der Berge durch die Bergsteiger und deren Bedeutung für diese selbst. Wie Siegrist zeigen kann, ist hier der Einzug der Moderne mit einiger Verzögerung zu beobachten. Die symbolische Aneignung wandelt sich von der Beschreibung des Berges als zu bezwingender Gegner zu einer Aneignung der Berge als Orte der Selbstfindung. So wie in diesen »Identitätsdiskursen« der Bergsteiger sich die »Sehnsucht Himalaya« zur »Sehnsucht Selbstfindung« wandelt, genau so impliziert die wissenschaftliche Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen eine Abkehr vom traditio-

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nellen kultur- und sozialgeographischen Materieinteresse und eine Hinwendung zur Diskursanalyse. Die Verdeutlichung subjekt- und praxiszentrierter Forschungsausrichtungen und -aufgaben soll abschließend anhand der zwei Themenbereiche »städtische Drogenpolitik« und »gesellschaftliche Konstruktion regionaler Wahrzeichen« angestrebt werden. Im Zentrum können dabei nur die thematische Illustration und die methodologisch-kategorielle Fassung, nicht aber die methodisch-empirische Umsetzung stehen. Strategien städtischer Drogenpolitik

Die Drogenthematik wurde in den letzten Jahrzehnten von einer breiteren Öffentlichkeit der Schweiz als räumliches Problem wahrgenommen. Zuerst das »Bellevue«, dann vor allem der »Platzspitz« (needle park) und später der »Letten« beherrschten jahrelang landesweit Debatten über die Drogenthematik. Sie erschienen geradezu als das »Drogenproblem« schlechthin. Die beiden Areale waren als Aufenthaltsorte der offenen Drogenszene in Zürich im Verlauf des gesellschaftlichen Diskurses über die Drogenthematik offensichtlich sukzessive mit dem Bedeutungsgehalt »Drogenproblem« belegt worden. Die Massenmedien spielten eine entscheidende Rolle in diesem Diskurs und damit bei der Ausformung einer »territorialen« Sichtweise der Drogenthematik. Solche Ausdifferenzierungen der sozialen Bedeutung von Arealen oder Territorien können im zuvor erörterten Sinne als Konstitutionsprozesse von Regionen oder – mit anderen Worten – als signifikative Regionalisierungen verstanden werden. Arber (2007) hat in seiner empirischen Untersuchung derartige Regionalisierungen anhand der Analyse der Medien und der medialen Darstellung der Drogenthematik rekonstruiert und analysiert. Das zentrale Thema ist die Konstruktion der sozialen Bedeutung von erdräumlichen Ausschnitten über die Verbreitung spezifischer Wissensbestände durch die Medien. Im empirischen Teil der Arbeit wird in einem Fallbeispiel die Darstellung der Drogenthematik einer Tageszeitung auf eine solche Bedeutungskonstruktion hin untersucht und zwar dahingehend, ob die Aufenthaltsorte der offenen Drogenszene – als sichtbarer Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse – über diese Darstellung mit dem Bedeutungsgehalt »Drogenproblem« belegt wurden und damit letztlich mittels Reifikationen die gesellschaftliche Wirklichkeit zu einer räumlichen Wirklichkeit werden ließen.

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Genau diese symbolischen Aufladungen eines räumlichen Ausschnittes wurden auf der Basis regionalisierender Reifikationsprozesse zu einer wichtigen Instanz der politischen Auseinandersetzung. Die entsprechende Regionalisierung kann als die gesellschaftliche Konstruktion von Handlungskontexten verstanden werden, die von Subjekten mit unterschiedlichem Machtpotential vorgenommen werden – nicht zur Erstellung von Raumstrukturen, sondern im Umgang mit und zur Bewältigung von sozialen Gegebenheiten – und die den Alltag auf verschiedenste Weise raum-zeitlich strukturieren. Die Steuerung dieser Formen der symbolischen Aneignung durch die mediale Berichterstattung zielt darauf ab, jenes Wissen zu vermitteln, welches für die Subjekte die Grundlage für derartige Konstitutionsprozesse bildet. Die Medien, insbesondere die Boulevardpresse, können hypothetisch als zentrale Institutionen der Reifikation identifiziert werden. Sie sind wichtige Lieferanten von Informationen und darauf aufbauender Handlungsorientierung. Als Material für eine entsprechende Analyse der Mediendarstellung der Drogenthematik hat Arber (2007) die auflagenstärkste Schweizer Boulevardzeitung mit dezidiert alltagsnaher Sprache ausgewählt. Sie ist zweifelsohne eine wichtige Wissensvermittlerin auch in bezug auf die Drogenthematik. Bei der Analyse der Darstellung der Drogenthematik als Mythosproduktion ging er von der Frage aus, ob über die Berichterstattung und Kommentierung der Drogenthematik eine Zuweisung des Bedeutungsgehaltes »Drogenproblem« an die Aufenthaltsorte der Drogenszene und somit eine »Verräumlichung« sozialer Gegebenheiten stattfand. Als »Verräumlichung« ist die signifikative Regionalisierung, die symbolische Aneignung als eine spezifische Bedeutungszuweisung an einen räumlichen Ausschnitt, zu verstehen. Dabei werden die räumlichen Manifestationen gesellschaftlicher Vorgänge in den Vordergrund gerückt und die sozialen Prozesse, deren Ausdrucksform die räumlichen Manifestationen sind, verwischt. Verräumlichung ist hypothetisch als eine verdinglichende, reifizierende Diskursform zu betrachten, bei der die soziale Komplexität auf räumliche Kategorien reduziert wird. Die empirische Untersuchung überprüfte die manifesten Kombinationen anhand von »Wortwahl«, »Dramatisierung« und (fotografischen) »Abbildungen«. Gesellschaftliche Konstruktion regionaler Wahrzeichen

Reifikationen beruhen allgemein auf einer Gleichsetzung von »Bedeutung« und »Vehikel« der Symbolisierung. Man hält dann das Vehikel der Bedeu-

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tungsrepräsentation für die Bedeutung selbst. Diese »Technik« ist im Alltag häufig feststellbar und wurde beispielsweise im Sommer 1993 mit dem Brand der Luzerner Kapellbrücke offensichtlich. Weltweit wurde über dieses Ereignis und die emotionalen Verfassungen der Einwohner von Luzern berichtet. Man kann davon ausgehen, daß der »Kapellbrücken-Brand« eine Art Krisenexperiment war, bei dem jene symbolischen und emotionalen Bezüge zutage traten, die normalerweise als Handlungsorientierung in die Alltagspraxis eingelassen sind. Richner (2007) klärt in seiner empirischen Untersuchung zunächst diesen Zusammenhang von signifikativen Regionalisierungen für eine Geographie symbolischer Aneignungen ab. Allgemein ist davon auszugehen, daß die physisch-materielle Welt und damit verortbare Objekte ausschließlich bezüglich ihrer sozialen Definition interessieren. Es sind diese Definitionen, welche die zentralen Produktionsmittel dieser alltäglichen Geographien bilden. Denn signifikative Regionalisierungen beinhalten Deutungsprozesse. Die Konstruktion eines Wahrzeichens als Form signifikativer Regionalisierung findet als sprachliche Praxis statt. Eine Rekonstruktion des Wahrzeichens muß anhand der Produkte dieser Praxis und deren Rekonstruktion – das sind Dokumente, die das Wahrzeichen besprechen – vorgenommen werden. Signifikative Regionalisierung meint hier die geregelte Verwendung von Deutungsschemata, die die Kapellbrücke zu einem Wahrzeichen macht. Daß die Kapellbrücke gleichzeitig einen »Holzsteg über die Reuß«, ein »wertvolles Kulturdenkmal« und eine »geliebte Freundin« darstellt, wird erst verständlich, wenn man zwischen verschiedenen Diskursen unterscheidet. Prinzipien der Bedeutungskonstitution, die dem Wahrzeichen zugrunde liegen, sind rekonstruktiv zu erschließen. Die Herstellung des Wahrzeichens ist als Diskurs zu betrachten. Die verschiedenen Diskurse wurden nun von Richner (2007) für die gesellschaftliche Konstruktion des Wahrzeichens »Kapellbrücke« inhaltsund diskursanalytisch rekonstruiert. Die rekonstruierte Symbolisierung läßt sich wie folgt zusammenfassen: In einer technischen Erzählung wird ein ausgedehntes Objekt generiert und lokalisiert. Es wird festgehalten, daß ein Bauwerk gebrannt hat, wie dieses Bauwerk als ausgedehntes Objekt beschaffen war und wie sein Standort die Brandbekämpfung erschwert hat. In der kunsthistorischen Erzählung erhält dieses lokalisierte Objekt die Weihen eines Originals. Die Kapellbrücke stellt als bedeutendes Baudenkmal ein Objekt dar, das sich von anderen aufgrund dieser Qualität unterscheidet. Ein lokales Wahrzeichen ist die Kapellbrücke damit noch nicht:

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der kunsthistorische Diskurs ist ein universaler Diskurs. Die Betroffenheitserzählung realisiert noch einen weiteren Sakralisierungsschritt. Die Kapellbrücke wird zum Ort der Heimat, weil sie diese symbolisiert und gleichzeitig Bestandteil der Metapher Heimat ist: Teil der gewohnten Umgebung. Verwandte Kombinationen von Diskursen, so läßt sich vermuten, können Erscheinungen wie jene eines Wahrzeichens hervorbringen. Eine Koordinierung technischer, ästhetischer und psychologischer Diskurse ist recht häufig aufzufinden. Dies ist vielleicht ein Grund dafür, daß wir nicht in einem bedeutungsleeren Raum leben, sondern uns in subjektspezifischen Lagerungen von unterschiedlich sakralisierten bzw. symbolisierten Orten bewegen. Heimat und Regionalismus/Nationalismus

Einen besonderen Typus subjektspezifisch symbolischer Regionalisierung mit vielfältigen regionalen Identitäts- und Wahrzeichenbezügen stellt »Heimat« dar. Die Relationierung von Heimat und Raum ist nicht nur ein zentraler Topos der Heimatromane und -filme, sondern seit der Romantik ein allgegenwärtiges Phänomen. Im Prinzip kommen dabei zunächst subjektzentrierte Aneignungsmechanismen zur Anwendung. Denn »Heimat« bezieht sich prinzipiell auf die gewohnte Umgebung einer einzelnen Person.155 Doch der Territorialbezug, kombiniert mit einem regionalistisch-traditionsbezogenen Narrativ, läßt dabei den subjektiven Bezug in einem kollektiven aufgehen. Darin sind, so kann man hypothetisch postulieren, eine eigenartige Relationierung von Körper und Territorium sowie entsprechende Identitätsbezüge aufgehoben. In solchen symbolischen Aneignungen werden, wie das Richner (2007) zeigt, Orte und Territorien zu quasi-körpereigenen Gegebenheiten, die man möglicherweise nur unter Schmerzen verlieren kann. Bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung eines Heimatgefühls als Ausdruck der symbolischen Aneignung eines Territoriums spielen in aller Regel materielle Gegebenheiten als Schauplätze oder Zeugen einer gemeinsamen Geschichte, Ortsbezeichnungen als Vehikel des gemeinsamen Erinnerns usw. eine wichtige Rolle. Sie sind die Medien, über welche die symbolische Aneignung zur Entwicklung des Gefühls der »Zugehörigkeit zu einem bestimmten Raum« (Blotevogel u. a., 1986, 104) umschlagen kann, die letztlich sogar als Legitimation des Ausschlusses oder gar der Vertreibung anderer verwendet werden kann. Die entsprechende Raum-Gesellschaft/Subjekt-Kombination läßt die Angehörigen einer regionalen Bevölkerung die Region als ein Individuum mit

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klar begrenzbarem Korpus erfahren. Analog zum Spiegelstadium des Kindes156 wird das Materielle (Körper/Territorium) zur identitätsstiftenden Instanz. Wird das »Ich« des Kindes im Spiegelstadium aus dem Körper abgeleitet, so wird bei der räumlich projizierten »Heimat« das »Wir« aus dem symbolisch angeeigneten Territorialkorpus gewonnen.157 Die personenähnliche KollektivVorstellung läuft schließlich darauf hinaus, daß die so Angesprochenen glauben können, sie wären alle in gleichem Maße – ohne soziale oder ökonomische Differenz – Bestandteil dieses »sozial-räumlichen Korpus«. Hypothetisch kann man davon ausgehen, daß »die Unheimlichkeit des Raums« (Huber, 1997, 83) dann zutage tritt, wenn der eigentlich subjektzentrierte Begriff mittels mythischer Überhöhung und unreflektierter Rückbindung auf traditionell verankerte Territorialbezüge (auf der Stufe des praktischen Bewußtseins) zur kollektiven Kategorie mit stammesähnlicher Zugehörigkeitsund Ausschlußmöglichkeit erhoben wird. Darin ist die Möglichkeit des Rückbezuges auf die prä-modernen Weltdeutungen enthalten: der kollektivistische Wieder-Verankerungsversuch subjektivierter Lebensformen unter grundsätzlich räumlich und zeitlich entankerten Lebensbedingungen. Wenn man »die Heimat als Fundament des raumbezogenen Selbstverständnisses betrachtet« (Huber, 1997, 88) kann diese Form symbolischer Aneignung leicht zur Ausgangsbasis einer politischen Mobilisierung regionalistischer/nationalistischer Art werden. Die entsprechenden Diskurse werden mit eigenartig rückwärtsgerichteten gloriosen Zukunftsversprechungen zu politischen Formen des alltäglichen Geographie-Machens, die offensichtlich nur auf der Basis bestimmter symbolischer Aneignungen Tragkraft erlangen können. Das Territorium »Region« wird als Körper des Volkes zur identitätsstiftenden Instanz. In dieser Form kann es zum geeigneten Aufhänger für regionalistische und insbesondere auch für nationalistische Diskurse werden.158 Die identitätsstiftende Komponente regionalistischer und (völkisch-)nationalistischer Argumentation ist in der holistisch-kollektiven Ausrichtung begründet, die auf der territorium- und »volk«zentrierten Sicht der eigenen Biographie aufbaut. In der holistischen Konstruktion verschwinden einerseits soziale Unterschiede, andererseits wird Zugehörigkeit suggeriert. Diese soziale »Einebnung« rührt daher, daß nicht soziale Kategorien zur Charakterisierung von Regionen und Territorien verwendet werden, sondern umgekehrt: Räumliche Kategorien werden zur sozialen Typisierung und zur Konstruktion einer gesellschaftlichen Totalität verwendet. »Heimat«, regionale und nationale

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Identität können dabei sehr enge Beziehungen eingehen oder gar identisch werden. Der Ausdruck »regionale Identität« weist meist darauf hin, daß man sich mit der Herkunftsregion oder dem aktuellen regionalen Lebenskontext »identifiziert.« Dabei fällt auf, daß der Referenzgegenstand der Identität oder Identifikation recht vage bis völlig unbestimmt bleibt. Erst bei genauerer Betrachtung wird offensichtlich, daß sich »Identität« nicht auf eine »Region« per se, auf eine rein erdoberflächliche Gegebenheit beziehen kann. So wird in der Alltagssprache oder in territorial-politischen Diskursen der Ausdruck »Region« oft so verwendet, als ob es sich um eine klar identifizierbare Gegebenheit handelte. Die entsprechende Rede von regionalen Identitäten wirkt daher auch im eben erwähnten Sinne auf den ersten Blick recht plausibel. Dieser Eindruck kann wohl nur dann entstehen, wenn man die Begriffe »Raum«/»Region« vergegenständlicht, hypostasiert. Es ist jedoch angemessener, unter »Region« ein auf einen bestimmten Gesichtspunkt sozial definiertes Gebiet der Erdoberfläche zu verstehen. Je nach Definition des Begriffs »Region« und des verwendeten Bezugskriteriums können die Ausprägungen eines entsprechenden Gebietes schließlich unterschiedlich ausfallen. Derart können bestimmte Bereiche der Erdoberfläche nach vielfältigsten, aber nicht beliebigen Kriterien unterteilt und benannt werden. Häufig beziehen sich diese Untergliederungen auf eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Geschichte oder andere zumindest subjektiv als gemeinsam, mit anderen, in einem bestimmten erdräumlichen Bereich lebenden Menschen, geteilt empfundene Merkmale. Nicht zuletzt deswegen entbehren wohl auch die alltagsweltlichen Regionalisierungen der Erdoberfläche meist jeder Eindeutigkeit. In alltagsweltlicher Kommunikation wird dann zur Überwindung dieser Diffusheit häufig auf Regionen im Sinne von personenähnlichen Entitäten Bezug genommen. Die symbolische Aneignung kann offensichtlich so weit gehen, daß das Symbolische und das Angeeignete in reifizierender Manier nicht mehr unterschieden werden (können). Nicht zuletzt deshalb, so kann man annehmen, bleibt der Hinweis auf eine »regionale Identität« in mehrfacher Hinsicht diffus. Diese »Verschwommenheit« mag mit ein Grund dafür sein, weshalb die Bezugnahmen politisch und argumentativ so vielfältig und erfolgreich genutzt werden. In diesem ungeklärten Verhältnis von Bedeutung und Materie wird ein wesentlicher Aspekt der »dunstigen Klarheit« im semantischen Hof von »regionaler Identität« offensichtlich. Sie führt häufig dazu, alle Aspekte subjekti-

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ver und sozial-kultureller Wirklichkeiten für erdräumlich lokalisierbar zu halten. Oder wie es Guillemin (1984, 15) formuliert: »Le ’régional’ apparaît aujourd’hui comme le référent de tout un ensemble de discours et de recherches (…) qui tendent trop souvent à assimiler ’l’objet local’ à un espace donné, inscrit dans la réalité des choses et ancré dans le territoire.« Mit anderen Worten: Lokales oder Regionales im allgemeinen und lokale/ regionale Identität im besonderen werden für gegenständliche Objekte gehalten, so daß man dann auch davon ausgeht, »regionale Identitäten« wären eine Art räumliche Phänomene, die mit räumlichen Kategorien erforscht und territorial erhalten/verteidigt werden könnten. In ähnlicher Form wird dann häufig zwischen Ausdrücken wie »éspace jurassien« und »identité jurasienne« (Gigandet u. a., 1991, 21ff.) argumentativ ein untrennbarer Zusammenhang konstruiert. Daß es Regionen ohne Regionalismus geben kann, ist evident. Ob es ohne Zelebrierung des Nationalismus keine Nationen geben würde, scheint weniger offensichtlich zu sein. Jedenfalls ist beobachtbar, daß die Regierenden von (zentralistischen) Nationalstaaten im allgemeinen den Nationalismus fördern. Dabei bezieht man sich auf einzelne Elemente der gemeinsamen Kultur, auf bestimmte Traditionen bzw. auf die national-staatliche Ikonographie oder genauer: auf Symbole, die diese gemeinsame Kultur, Geschichte oder gemeinsamen Traditionen (oder das, was man dafür hält) repräsentieren. Das generalisierte Symbol stellt die Flagge einer Nation dar. In allgemeinerem Zusammenhang kann darauf hingewiesen werden, daß sowohl territoriumsgebundene Heimat als auch regionale und nationale Identitäten über symbolische Aneignungen von Orten (zum Beispiel das Rütli für die Schweiz) bestimmte materielle Artefakte – wie Statuen von Heroen oder die Münzen der nationalstaatlichen Währung – stabilisieren und reproduzieren. Dabei gehen subjektive Identitätssuche, raumgebundene holistische Fiktion und politischer Diskurs höchst komplexe Kombinationen ein. Das impliziert Ausgrenzungsmechanismen, die mit den spät-modernen Grundrechten der Subjekte nicht zu vereinbaren sind. Diese Komplexität aufzubrechen und in ihrer Bedeutung für die Konstitution gesellschaftlicher Wirklichkeiten unter spät-modernen Bedingungen herauszuarbeiten, könnte sich als eine der wichtigsten Aufgaben aktueller, anwendungsorientierter sozialgeographischer Forschung erweisen. Da die traditionelle Geographie als raumgebundene Heimatkunde selbst Bestandteil der alltäglichen Formen symbolischer Aneignungen ist, wird hier eine kritische Analyse des Verhältnisses von Wissenschaft und Alltag im Sinne der »doppelten Hermeneutik« besondere bedeutend.

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Zusammenfassung

Ergebnisse symbolischer Aneignungen werden in der Geographie seit langem thematisiert, allerdings nicht als Ausdruck eines symbolisierenden Prozesses, sondern als quasi naturhafte Gegebenheiten. In der Perspektive des traditionellen geographischen Tatsachenblicks bleibt das Verhältnis von Vehikel und Bedeutung mindestens methodologisch höchst unzureichend geklärt. Dies ist nicht zuletzt in der deutschsprachigen Regionalismus-Debatte zum Ausdruck gekommen, wie in der »›new‹ regional geography«. Hier wird demgegenüber vorgeschlagen, die Prozesse symbolischer Aneignung zu erforschen; deren Bedingungen, Abläufe, Ergebnisse und Konsequenzen zum Gegenstand sozialgeographischer Analyse zu machen. Die Bedingungen symbolischer Aneignungen hängen in engem Maße mit den Geographien der Information zusammen. Ist in traditionellen Lebensformen der Wissensbestand der Subjekte über die Macht der Traditionen innerhalb bestimmter regionaler Kammerungen gleichmäßig konstituiert, so ist genau dies unter spät-modernen, räumlich und zeitlich entankerten Bedingungen prinzipiell nicht gegeben. Da sich die Wissensbestände der Subjekte selbst innerhalb engster räumlicher Kammerungen – je nach subjektiv konstituierter Lebensform – radikal unterscheiden können, sind auch die traditionellen Bedingungen symbolischer Aneignungen nicht mehr gegeben. Der allgemeine Repräsentationsanspruch regionaler und nationaler Ikonographie dürfte damit, im Gegensatz zu den Postulaten regionalistischer und nationalistischer Diskurse, auch nicht mehr die gleiche empirische Basis haben. Wichtige Teile der Geographien der Information sind der nationalstaatlichen Kontrolle unterworfen. Sie ist nicht zuletzt zum Bestreben geworden, den Konsequenzen der Entankerung entgegenzuwirken und die Einheit von Staat und Kultur mindestens bis zu einem gewissen Maße aufrechtzuerhalten. Insbesondere das nationalstaatlich organisierte Schulwesen stellt einen wichtigen Bereich dieser Art von Geographie der Information dar. Es ist unmittelbarer Ausdruck des Verhältnisses von Information und autoritativer Kontrolle, das jeder Form von Geographien der Information zugrunde liegt. Die Kontrolle im Informationsbereich kann an die allokative Kontrolle der Medien gebunden sein und/oder an die autoritative der an der Informationsverbreitung beteiligten Subjekte. Wie gezeigt werden konnte, ist jedoch eine durchgehende Kontrolle insofern nicht möglich, weil die Sender letztlich nie darüber bestimmen können, was die Empfänger auch tatsächlich aufnehmen. Außerhalb totalitärer Systeme, unter der Bedingung der Informationsvielfalt,

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schließt diese Tatsache jede Möglichkeit der durchgängigen Steuerung aus. Dieselbe Bedingung ist auch dafür verantwortlich, daß regionale Geographien des Wissens ebenso ständig kürzer greifen, wie regionale Geographien symbolischer Wirklichkeiten. Beide müßten aber alltagsweltlich gegeben sein, wenn das Projekt wissenschaftlicher Regionalgeographie mit dem traditionellen Anspruch aufrechterhalten bleiben könnte. Für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen steht demgegenüber die Rekonstruktion der Geographien der Information im Verhältnis zu den Geographien symbolischer Aneignung unter prinzipiell räumlich und zeitlich entankerten Lebensverhältnissen im Zentrum des Interesses. Als Formen der Wieder-Verankerungen sind auch sie als subjektspezifische Welt-Bindungen zu verstehen. Für den informativen Bereich ist dies in doppelter Hinsicht zu verstehen. Die erste Form betrifft die Welt-Bindung auf der Seite des Senders als Kontrolle über die Produktion von Weltbildern. Welt-Bindung heißt hier Steuerung der Voraussetzungen für Wirklichkeitskonstruktionen. Die zweite Form betrifft die Empfängerseite. Hier äußert sich die Welt-Bindung im verfügbaren Wissen und der damit mitbegründeten Erfahrungsmöglichkeit von »Welt«. Die symbolischen Aneignungen sind als Herstellung einer signifikativen Relation zwischen der Welt der Bedeutungen und der Objektwelt zu verstehen. Die damit hergestellten Beziehungen können sogar dazu führen, daß die Grenzen zwischen den beiden vollkommen verschwimmen und ideologischen Diskursen ein weites Zugriffsfeld eröffnen. Für die Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen ist dabei vorerst die empirische Erforschung regionalistischer und nationalistischer Diskurse von hervorragender Bedeutung. Dabei geht es auch um die Klärung von Wissenschaft und Alltag, um die Beziehung zwischen einer an Traditionen gebundenen wissenschaftlichen Geographie und aktuellen spätmodernen Lebensverhältnissen. Unter Bedingungen globalisierter Lebensweisen ist wenig wichtiger als ein Weltverständnis, das der Blut- und Bodenrhetorik keine Chance gibt. Die Analyse des alltäglichen Geographie-Machens als einer wichtigen Dimension der Globalisierung und der sozialen Alltagspraxis eröffnet der wissenschaftlichen Geographie außerhalb des raum- und regionalwissenschaftlichen Paradigmas ein weites Aufgabenfeld. Die interdisziplinäre Anschlußfähigkeit soll mit entsprechenden empirischen Forschungen erreicht werden. Dies differenziert vorzubereiten, ist Thema von Band 3 der Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen: »Ausgangspunkte und Befunde empirischer Forschung«.

Anmerkungen

Kapitel 1 1 2 3 4

Vgl. den Übersichtsartikel von Freund, 1993, 12–24. Vgl. stellvertretend Klingbeil, 1978. Vgl. dazu auch Werlen, 1987a, 226f. Vgl. Schuler/Nef, 1983 und Schuler u.a., 1986.

Kapitel 2 1 2 3

4 5 6 7 8 9 10 11

12 13

Vgl. Livingston, 1992, 166ff. und Kost, 1988, 193ff. Vgl. Wardenga/Hönsch, 1995. Diese These kann hier nicht detailliert belegt werden. Ein Vergleich der geographischen Fachgeschichte, wie sie von Beck, 1982; 1983; Bartels, 1968a; Kuls, 1970; Overbeck, 1954; Eisel, 1980 und Schultz, 1980 dargestellt wird, mit den sozialontologischen Rekonstruktionen von Giddens, Foucault usw. macht diesen Zusammenhang aber leicht einsehbar. Ohne das explizit in diesen Kontext zu stellen, wird die These insbesondere auch durch Thrift, 1990; 1991; 1993a belegt. Wohl nicht zuletzt deshalb erlangte sie im Rahmen der raumplanerischen Berufspraxis eine dominante Stellung. Vgl. Jonas, 1988, 102. Zur folgenden Darstellung vgl. neben diesen beiden Klassikern kritisch vor allem Sedlacek, 1978; Schaefer, 1953; Bartels, 1968a; Hard, 1973a und Schramke, 1975. Vgl. vor allem auch Hard, 1973a. Zum folgenden vgl. auch Sedlacek, 1978, 13 und Werlen, 1987a, 163ff. Vgl. Maier u.a., 1977, 21. Vgl. Schätzl, 1992, 17f. Das ist auch für aktuelle Forschungsansätze der Fall, die nicht als »raumwissenschaftlich« bezeichnet werden. Ein Beispiel dafür ist Sojas (1989, 127) Behauptung, soziale Produktionsverhältnisse wären nur dann wirklich, wenn sie eine räumliche Existenz hätten. Vgl. dazu ausführlicher Werlen 1993a, 4f. Vgl. Werlen, 1987a und Klüter, 1986; Hard, 1987b; Werlen, 1995a sowie Band 1. In diesem Sinne ist auch zwischen »Gebiet« und »Region« zu unterscheiden. »Gebiet« bezeichnet einen Ausschnitt der Erdoberfläche, der räumlich, nicht aber sachinhaltlich begrenzt ist.

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Anmerkungen

14 Sedlacek (1978, 6–11) gibt eine wesentlich umfassendere Darstellung der Ausdifferenzierung von Regionsbegriffen und entsprechenden Regionalisierungen innerhalb des raumwissenschaftlichen Ansatzes. 15 Zu den Verfahren der Abgrenzung von Planungs- und Investitionsregionen vgl. Schuler/ Nef, 1983 und Schuler u.a., 1986. 16 Gilbert (1988) kommt in einem anderen Argumentationszusammenhang zum gleichen Schluß. Sie geht davon aus, daß die über die Industrialisierung zustande kommende Standardisierung dafür verantwortlich sei, daß quantitative Begrenzungen von Regionen problematisch sind und quantitative Raumforschung deshalb mit großer Vorliebe im ländlichen Bereich durchgeführt wurde: »It explains the death of chorology in the 1960s, when geographers decided to move toward the analysis of modern society« (Gilbert, 1988, 214). Dieser Diagnose kann unter der Einschränkung zugestimmt werden, daß es nicht so sehr die Standardisierung der Gesellschaft ist, die zum »Ende« der Raumwissenschaft führte, sondern vielmehr die Entankerungsmechanismen, die für spät-moderne Gesellschaften charakteristisch sind, zudem auch die Tatsache, daß weder »Raum« noch »Region« Gegenstände mit eigenen Gesetzmäßigkeiten sind. 17 Vgl. Kapitel 4 in Band 1; Werlen, 1995a sowie die Einleitung zum vorliegenden Band. 18 Vgl. Sedlacek, 1982, 191 sowie Werlen, 1983 und 1987a.

Kapitel 3 1 2

Vgl. Band 1, Kapitel 2. Bei der Darstellung der deutschsprachigen und angelsächsischen Debatte geht es darum, die Argumentation in ihrem jeweiligen Kontext möglichst wortgetreu wiederzugeben, so daß den Lesern eine möglichst große Kontrolle der vorgenommenen Interpretation verfügbar bleibt. Dieses Vorgehen macht gelegentlich ausführlichere Zitate notwendig werden. 3 Vgl. auch Bartels, 1981. 4 Vgl. Kapitel 3. 5 Vgl. ausführlicher Werlen 1987a, 253–256. 6 Vgl. Danielzyk/Krüger, 1990. 7 Die wohl wichtigsten Beiträge dazu haben Buttimer, 1969; 1971; 1974; 1976; 1979; 1984; Thrift, 1983; 1990; 1991; 1993a; 1993b; 1996; Gregory, 1978; 1981; 1982; 1984a; 1984b; 1986c; 1987; 1989a; 1989b; Harvey, 1970; 1984; 1985; Massey, 1984; Pred, 1984a; 1984b; 1985; 1986; Soja, 1980; 1985a; 1985b; 1986; Smith, 1988; 1993; Gilbert, 1988; Pudup, 1988; Jonas, 1988; Sayer, 1985; 1989 und Taylor, 1988; 1989; 1991 geliefert. 8 Vgl. auch Bradshaw, 1990, 316. 9 Vgl. ausführlicher Werlen, 1997a. 10 Vgl. Werlen, 1997a. 11 »Kritische Theorie« wird von Gregory allerdings nicht immer gleich verwendet. Zuweilen spricht er davon im Sinne »der« Frankfurter Schule. Später verwendet er »Kritische Theorie« im Sinne von Giddens’ Strukturationstheorie; aber ohne den entsprechenden Differenzen auch Rechnung zu tragen, obwohl letzterer eine wesentlich andere Auffassung von »Kritischer Theorie« vertritt. Vgl. dazu Kapitel 4.

Anmerkungen

391

12 Vgl. Band 1, 79ff. 13 Hervorhebungen durch B. W. Diese Verräumlichung von sozialer Struktur wäre wohl nur dann statthaft, wenn Giddens unter »Raum« in diesem Zusammenhang einen Newtonschen Behälter-Raum meinen würde. Doch dies ist, wie wir in Kapitel 4 sehen werden, bei Giddens gerade nicht der Fall. 14 Damit sind offensichtlich Aktionsräume im Sinne von Hartke gemeint. 15 Thrift setzt sich zusätzlich mit dem neuen Realismus von Bhaskar (1979), Bourdieus »Theorie der Praxis« (1979) und Layders »Interactionism« (1981) auseinander. Die Argumentation für eine »neue« Regionalgeographie bezieht sich aber vor allem auf Giddens. 16 Hervorhebung durch B.W. 17 Vgl. dazu Kapitel 4. 18 Wie Gilbert 1988, 212f. festhält, bestehen in diesem Punkt von Thrifts Anregungen große Überschneidungsbereiche mit Raffestins Theorie der Territorialität, die auch – so Gilbert – von einer handlungskonstitutiven Komponente des Territoriums ausgeht. Ohne hier diese Gleichsetzung von Territorium und Handlungssteuerung angemessen diskutieren zu können, sei doch darauf hingewiesen, daß Raffestin (1980; 1981; 1986a; 1986b) dem Territorium nicht im unmittelbaren Sinn ein konstitutives Potential beimißt. Er sieht die territorialen Anordnungsmuster immer »bloß« als Medien sozialen und vor allem auch politischen Handelns ohne eigene Wirkkraft. 19 In der sozialwissenschaftlichen Literatur wird Kontextanalyse als Synonym von Situationsanalyse verwendet. 20 Vgl. Werlen, 1987a, 63–111. 21 Jedem von ihnen weist er einen je spezifischen bibliographischen Apparat zur vertieften Auseinandersetzung zu. 22 Diese Vorschläge beziehen sich offensichtlich – ohne daß dies Thrift (1991, 462) selbst explizit macht – auf sein kontextuelles Programm von 1983. 23 Vgl. auch Werlen, 1989a, 192; 1993b. 24 Zitiert nach Thrift, 1993a, 94. 25 Hervorhebung durch B. W. 26 Vgl. Band 1, 200–202. 27 Schöller (1984) hatte dieses Thema bereits zu einem früheren Zeitpunkt angeregt, das aber von ihm selbst nicht mehr bearbeitet werden konnte. Vielmehr wurde es dann von seinem Schüler Blotevogel und den beiden Wirth-Schülern Heinritz und Popp zu einem systematischen Forschungsprogramm ausgearbeitet. 28 Vgl. Werlen, 1992. 29 Vgl. ausführlicher Kapitel 5. 30 Vgl. Kapitel 4 in Band 1 sowie insbesondere Werlen 1997a. 31 Vgl. ausführlicher Murphy, 1991, 22ff. 32 Dies zeigen die Vorschläge von Gregory, Thrift und Pred in aller Deutlichkeit. Aber auch andere Rekonstruktionsbemühungen, die nicht auf die »neue« Regionalgeographie ausgerichtet sind, weisen diesen Mangel auf. Beispiele dafür sind die Arbeiten von Cloke/Philo/ Sadler (1991, 93–131) oder jene von Kellerman (1987). 33 Vgl. Giddens, 1988a, 424 und Kapitel 4.

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Anmerkungen

Kapitel 4 1

2 3

4 5 6 7 8 9 10 11 12

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15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

Vgl. dazu ausführlicher die vier Bände und über 1700 Seiten umfassende Übersichtspublikation »Anthony Giddens. Critical Assessment« (1996a) von Brayant/Jary (eds.) mit 93 Beiträgen, welche die interdisziplinäre und politische Wirksamkeit dieser Theorie illustrieren. Sie bezieht sich auf alle sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Damit wird sie zu einem wichtigen Integrationsort interdisziplinärer Forschung: »Giddens is Britain’s best-known social scientist since Keynes« (Brayant/Jary, 1996b, 1). Vgl. Bd. 1, Kapitel 2. Deshalb sind auch die sogenannten »self-fulfilling« oder »self-destroying prophecies« nicht als Sonderfälle oder besondere Schwächen sozialwissenschaftlicher Forschung zu betrachten. Als Schwächen erscheinen sie lediglich im Sinne einer naturwissenschaftlich geprägten Auffassung von Sozialforschung. Aber eigentlich drücken sie nichts anderes als den reflexiven Charakter der sozialen Welt aus. Hervorhebung durch B. W. Vgl. auch Giddens, 1977, 89–95 und seine ausführliche Auseinandersetzung mit Max Webers Postulat der Wertfreiheit in der sozialwissenschaftlichen Forschung. Vgl. Band 1, S. 41ff. Vgl. ausführlicher Band 1, Kapitel 2. Vgl. ausführlicher Kapitel 5. Vgl. Moya, 1990. Vgl. Werlen, 1987a. Vgl. Schütz, 1981, 79ff. und Werlen 1987a, 84f. In früheren Schriften verwendet Giddens (1979a, 123f.; 1983, 142ff.; 1988a, 95ff.) beide Ausdrücke synonym; in den Untersuchungen der Spät-Moderne (vgl. 1990a; 1991a) verwendet er »Vertrauen« in spezifischerer Weise als »Seinsgewissheit«. Vgl. Giddens, 1979a, 202. Dieser Vorschlag findet in Giddens’ Werk insofern eine Unterstützung, als er, entgegen seinen theoretischen Erörterungen, in dem Einführungsbuch »Sociology« (1989a, 89ff.) von einer vergleichbaren Darstellungsform ausgeht, wie sie hier vorschlagen wird. Hervorhebung B. W. Vgl. zudem Goffman 1967; 1980; 1982 und 1986. Vgl. Kapitel 2 in Band 1. Vgl. auch Werlen, 1987a, 188ff. und 198ff. Vgl. Giddens, 1988a, 67ff. Vgl. Giddens, 1979a, 64. Vgl. Giddens, 1981a, 93; 1979a, 21ff. Vgl. Giddens, 1981a, 51. Vgl. Giddens, 1981a, 107ff. Vgl. auch Giddens, 1988a, 68. Vgl. ausführlicher Werlen, 1989a. Vgl. Giddens, 1981a, 52 und Raffestin, 1980, 129ff. und 203ff. Vgl. Cohen, 1989, 40; Giddens, 1979a, 206f.

Anmerkungen

393

28 Vgl. Chombart de Lauwe, 1977, 2–6 und Lesemann, 1982, 137–156. 29 Für Klüter (1986, 22f.) ist dies ein wichtiges Merkmal jeder Verwendung von »verräumlichter Information«. 30 In bezug auf das Verhältnis von Moderne, Landschafts- und Länderkunde vgl. Werlen, 1995b, 162ff.

Kapitel 5 1 2 3 4 5 6

7 8 9 10 11 12 13 14 15

16 17 18

Vgl. Kapitel 4 in Band 1. Fukuyama, 1992. Cairncross, 1996, 42. Flusser, 1992, 31. Neidhart, 1996, 1. Vgl. dazu auch Schütz und seine Auffassung von sozialwissenschaftlichen Theorien als »Konstruktionen zweiten Grades: Konstruktionen jener Konstruktionen, die im Sozialfeld gebildet werden, deren Handlungen der Wissenschaftler beobachtet und in Übereinstimmung mit den Verfahrensregeln zu erklären versucht« (1971a, 7). Diese Verfahrensregeln haben dann ihrerseits den Postulaten der subjektiven Interpretation und der Adäquanz Rechnung zu tragen. Ausführlicher dazu Werlen, 1987a, 82ff. Vgl. Giddens, 1984a, 95; 1995, 26. Vgl. auch Bahrenberg, 1995b, 151ff. und Werlen, 1995b; 1996b und 1997b. Vgl. Kapitel 1 in Band 1. Für die Sozialgeographie vgl. auch Werlen, 1987a, 90ff. Vgl. Kapitel 2 und 3. Vgl. Kapitel Band 1. Vgl. insbesondere Popper, 1973, 213f.; Wright, 1974, 18ff. sowie zusammenfassend Werlen, 1987a, 41–43 und 54–56. Vgl. Kapitel 4. Vgl. Sassen, 1991; 1994; Robertson, 1992; 1995; Featherstone, 1990; Featherstone et al., 1995; Albrow, 1996, 75–96; Amin/Thrift, 1994, 1–25; Hirst/Thompson, 1996, 18–50 und Eade, 1997, 1–19. Vgl. stellvertretend Danielzyk/Oßenbrügge, 1996, 107ff. Vgl. Kapitel 4. Harveys (1996, 429) Vorschlag, statt »Globalisierung« »uneven geographical development« zum Kernkonzept geographischer Forschung zu machen, hat den wesentlichen Nachteil, daß mit der durchdringenden Wirksamkeit der Entankerungsmechanismen die radikalsten und auffälligsten sozialen Ungleichheiten wesentlich weniger in räumlicher Form auszumachen sind als in rein sozial-ökonomischer Hinsicht. So sind eher krasse Reichtumsgefälle auf engstem Raum als Hauptproblemaspekt der Zukunft zu erwarten – unabhängig davon, ob in der sogenannten Ersten oder Dritten Welt. Falls die aktuell erkennbare Tendenz in Zukunft voll zutreffen sollte, würde das von Harvey vorgeschlagene Programm genau in denselben Bereichen mehr und mehr ins Leere greifen wie jenes der »neuen« Regionalgeographie.

394

Anmerkungen

19 Zur historischen Entwicklung der technischen Neuerungen im Kommunikationsbereich vgl. Backhaus, 1996, 39. 20 Vgl. Polanyi, 1979. 21 Vgl. Band 1, 106 und Giddens 1995. 22 Vgl. Giddens, 1993b. 23 Vgl. Kapitel 2 in Band 1. 24 Vgl. Heft 1/2, 1996 der »Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie«, die unter dem Titel »Regulationstheoretische Perspektiven in der Geographie« vollumfänglich dieser Thematik gewidmet ist. Vgl. insbesondere Danielzyk/Oßenbrügge, 1996 und Schmid, 1996a. 25 Vgl. Althusser/Balibar, 1970 und die ausführliche Kritik dieses strukturtheoretischen Ansatzes in Band 1, 24ff. und Werlen, 1995d, 35ff. 26 Vgl. insbesondere auch Boyer, 1995, 21ff. 27 Vgl. Leborgne/Lipietz, 1990; 1994, 97f. und Schmid, 1996b. 28 Im 20. Jh. war es gemäß dieser Auffassung der Fordismus, welcher die je spezifischen national und regional begrenzten Entwicklungsmodelle am stärksten prägte. Technologischer Kern ist die Fließbandproduktion. Bei der spezifischen Ausformung kann sich aber jede regionale oder nationale Einheit als typische Konstellation von Produktionsarrangements akzentuiert unterschieden. 29 Vgl. auch Leborgne/Lipietz, 1990, 110ff. 30 Die Produktionsprinzipien der Fließbandproduktion »bewirkten Produktivitätszuwächse« (Leborgne/Lipietz, 1994, 97), welche eine Steigerung der Investitionen und der Einkommen der Lohnarbeiter ermöglichten, ohne die Gewinne der Unternehmer zu schmälern, und (doppelt) zur Ankurbelung der Nachfrage führten. 31 Das Modell des Fordismus geriet Mitte der 70er Jahre in Krise, und kein vergleichbar einheitlich reguliertes Modell konnte an seine Stelle treten. Mit dem Konzept der flexiblen Akkumulation (Scott/Storper, 1986) wird versucht, sowohl die neue Regulationsweise als auch die territoriale Auflösung alter Regulationen im Zuge der Globalisierung zu berücksichtigen. 32 Hervorhebung durch B. W. Um die Regulationstheorie in der aktuell dominierenden und rezipierten Konzeption mit Oßenbrügge (1996b, 2) als Gesellschaftstheorie zu bezeichnen, muß man allerdings auch den marxistischen Ökonomismus in der Gesellschaftsanalyse akzeptieren. Ansonsten wäre es angemessener, von einer ökonomischen Theorie zu sprechen. Eine ökonomistische Gesellschaftstheorie wird – wie noch zu zeigen sein wird – unter globalisierten Verhältnissen zunehmend problematisch, denn es wird immer fruchtbarer, die sozial spezifischen Kulturalisierungsprozesse der Ökonomie zu analysieren, statt nach ökonomistischen Erklärungen des Gesellschaftlichen Ausschau zu halten. Vgl. dazu Kapitel 6. 33 Vgl. auch Boyer/Saillard, 1995a, 67–68 und 1995b sowie Saillard, 1995. 34 Hervorhebung durch B. W. 35 Ich möchte mich bei Christian Schmid für diesen Hinweis und die Verfügbarmachung der entsprechenden Literatur bedanken. Der Vorschlag von Lipietz eröffnet die Möglichkeit, eine Brücke zu dem von Jürgen Oßenbrügge und Rainer Danielzyk angeregten Diskussionsschwerpunkt »Regulationstheorie und Geographie« zu schlagen. Vgl. Oßenbrügge, 1996a . 36 Vgl. Kapitel 1 in Band 1.

Anmerkungen

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37 Vgl. Helbrecht/Pohl, 1995, 229f. 38 Häufig dürfte es allerdings auch nichts anderes sein als der Ausdruck akademischer Arroganz gegenüber den zu untersuchenden Subjekten, denen man nicht dieselben Wahlmöglichkeiten zukommen lassen will, wie jene, die Akademiker und Intellektuelle als selbstverständlich für sich reklamieren. 39 Vgl. Werlen, 1993d, 250; 1996a und 1997a sowie Helbrecht/Pohl, 1995, 228f. 40 Vgl. Kapitel 1 in Band 1. 41 Vgl. Dreyfus, 1992. 42 Für den pragmatisch-wirtschaftlichen Kontext hat am Davoser Wirtschaftsforum Helmut Maucher, Präsident des Nestlé-Konzerns, die entsprechende alltagsweltliche »Logik« gegenüber »Le Monde diplomatique« (3/1996, 1) wie folgt auf den Punkt gebracht: »Qu’on soit un individu, une entreprise ou un pays, l’important pour survivre dans ce monde, c’est d’être plus compétitif que son voisin.« 43 Vgl. auch Werlen, 1988. 44 Vgl. Kapitel 1 in Band 1. 45 Mit »Kausaladäquanz« ist hier aber nicht eine Kausalität als Determination gemeint, sondern lediglich die Identifizierung der richtigen Ablaufreihenfolge der verschiedenen Prozeßelemente als Bedingungen und Folgen des Handelns im Sinne einer notwendigen, nicht aber hinreichenden Bedingtheit. 46 Vgl. in ausführlicher Form Werlen, 1987a, 112–160. 47 Zur Thematik dieses Abschnitts vgl. Kapitel 3 von Werlen 1987a. 48 Vgl. Pareto, 1917; 1955; 1975; Weber, 1980; Gäfgen, 1974; 1980. 49 Zur ausführlichen Rekonstruktion und Darstellung dieser unterschiedlichen handlungstheoretischen Ansätze vgl. Werlen, 1987a, 112–160. 50 Zur handlungstheoretischen Raumkonzeption vgl. insbesondere Kapitel 4. »Raum« wird dort nicht als ein empirisch-deskriptiver Begriff definiert, sondern als ein formal-klassifikatorischer; »formal« insofern, als er eine Art Grammatik für die Orientierung in der physischen Welt darstellt, ohne auf sachlich-inhaltliche Aspekte der materiellen Objekte Bezug zu nehmen. Klassifikatorisch ist der Raumbegriff insofern, als er Ordnungen ermöglicht, ohne selbst eine Klasse zu werden. 51 Vgl. Kapitel 2 in Band 1. 52 Vgl. Kapitel 2 in Band 1. 53 Vgl. Parsons, 1952, 89f. und Werlen, 1987a, 204f. 54 Vgl. Band 1, 236–238. 55 Damit ist die Doppelbedeutung von »Konstitution« im Sinne der phänomenologischen Literatur, insbesondere von Husserl (1950) und Schütz (1971a) angesprochen: erstens hinsichtlich der Konstitution des Bewußtseins bzw. des biographischen Wissensvorrats des erkennenden Subjekts als Voraussetzung der Interpretation der Erfahrungen und zweitens hinsichtlich der Konstitution der Bedeutungsgehalte der zu erkennenden Phänomene. Vgl. ausführlicher Werlen, 1987a, 67–70. 56 Vgl. Duncan, 1992, 81. 57 Vgl. auch Kapitel 3. 58 Vgl. auch Scheller, 1995, 53–60 und 77–113.

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Anmerkungen

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Vgl. Wright 1974, 60ff.; Schütz, 1974, 265ff. und Werlen, 1987a, 98ff. Vgl. ausführlicher Werlen, 1987a, 56ff. Siehe Band 1 und Werlen, 1987a, 104–110. Vgl. Übersicht 7 in Band 1, Kapitel 2. Vgl. ausführlicher Giddens, 1995, 92ff. Vgl. Werlen, 1995c; 1995e; 1996a; 1996c; 1997a. Vgl. Kapitel 6. Vgl. Werlen, 1995; 1997e sowie vor allem Kapitel 6. Vgl. Werlen, 1995i und Stokar, 1995. Für den Hinweis der Notwendigkeit der Radikalisierung dieser Unterscheidung in methodologischer Hinsicht möchte ich mich bei Gerhard Bahrenberg und Gerhard Hard, vor allem aber bei Roland Lippuner und Markus Richner bedanken. 69 Vgl. stellvertretend Bahrenberg 1989, 58.

Kapitel 6 1 2

Vgl. Shils, 1981. Eine besonders eindrückliche Beschreibung davon liefert Iyer (1995) in seinem ReportageBuch »Video Night in Kathmandu. And other Reports from the not-so-far East«. 3 Vgl. Schütz/Luckmann 1979, 25–29 und Husserl, 1976. 4 Vgl. Werlen, 1993d, 250 und Helbrecht/Pohl, 1995, 226–228. 5 Vgl. Luhmann, 1986; Claesges, 1972 und Habermas, 1981a, 182ff. Luhmann spricht (1986, 179) sogar explizit von einer Metaphernkonfusion zwischen »Lebenswelt als Boden« und »Lebenswelt als Horizont«. 6 Die ausführlichere Darstellung der entsprechenden Forschungsmethodologie und –techniken wird dann in Band 3 der »Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen« erfolgen. Diese Forschungsbereiche werden hier jeweils nur in dem Sinne angedeutet, um die dort vorgestellten empirischen Forschungen mit den hier entwickelten möglichst leicht verknüpfen zu können. 7 Vgl. Jackson/Thrift 1995. 8 Vgl. stellvertretend Heinritz, 1979; Deiters, 1978 und Weichhart, 1996a. 9 Vgl. Clarke/Critcher, 1985; Sack, 1988; Urry, 1995. 10 Vgl. Jackson, 1993, 209 und Jackson/Thrift, 1995, 204f. 11 Vgl. Weber, 1910, 176f. 12 Vgl. Weber, 1980, 31ff.; Bader u.a., 1980, 197 und Werlen, 1987b, 45ff. Die Orientierung wirtschaftlichen Handelns an einer »subjektiv empfundenen Knappheit« (Weber 1980, 32) ist nicht als objektive Natureigenschaft von Objekten festgelegt, sondern als Folge subjektiver Interpretationen. Güter werden um so wertvoller (teurer), je knapper sie sind. Die »Größe des Genußes nimmt, wenn wir mit der Bereitung des Genusses ununterbrochen weiterfahren, fortwährend ab, bis zuletzt Sättigung eintritt« (Gossen, zit. nach Bader u.a., 1980, 204). In globalisierten Wirtschaftsbezügen ist aber erstens die empirische Identifizierung der verschiedenen, kulturspezifischen Arten subjektiv empfundener Knappheit und subjektiven Genußes schwierig geworden und zweitens die modellhafte Verallgemeinerung

Anmerkungen

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eines Bedürfnis- und Genußstils problematisch. Werden beide Aspekte als irrelevant ignoriert, verschließt man sich der Möglichkeit, der subjektspezifischen Kulturalisierung des Wirtschaftens Rechnung zu tragen. Da »Kaufkraftbindung« als »das Verhältnis von realisiertem Umsatzvolumen zum örtlichen Kaufkraftpotential« (Karutz, 1996, 61) beschrieben wird, kann sie hypothetisch als interessanter Indikator für das räumlich-zeitliche Entankerungsmaß der Konsumtionsstile angesehen werden. Vgl. ausführlicher Werlen, 1993e. Auf der neoklassischen Theorie der Ökonomie bauen auch die raumwissenschaftlich interpretierten wirtschaftsgeographischen Standorttheorien auf. Vgl. dazu Kapitel 6. Vgl. Kapitel 6. Giddens bezeichnet mit den allokativen Ressourcen in etwa das, was Marx mit den Produktionsverhältnissen umschrieben hat. Sowohl Giddens als auch Marx beziehen sich dabei auf die sozialen Verhältnisse der Kontrolle zur Transformation und Aneignung der natürlichen Grundlagen. Gemäß Giddens (1981a) kann nur für die Industrielle Revolution von einer Vorherrschaft der allokativen gegenüber den autoritativen Ressourcen ausgegangen werden, nicht aber für die anderen Epochen. Aus diesem Grund kann dem Ökonomischen – im Gegensatz zu Marx’ Auffassung – gegenüber dem Politischen argumentativ auch nicht Vorrang gewährt werden. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6. Zum Verhältnis von Ökonomie und Symbolik vgl. vor allem Bourdieu, 1994d. Vgl. Giddens, 1981a, 114. Vgl. Nuhn, 1997, 136f. Vgl. Crewe/Lowe, 1994, 4. Vgl. Böventer, 1962, aber auch Schätzl, 1992. Die von Helbrecht/Pohl (1995, 229) festgestellte »raumlose Verallgemeinerung« der Soziologie hinsichtlich der Untersuchung von Lebensstilfragen in ethnischer u. a. Hinsicht hat so betrachtet in der Stadtforschung eigentlich nie vollumfänglich stattgefunden. Zu behaupten, die Sozialwissenschaften würden aktuell »traditionell geographische Themenfelder der räumlichen Verteilung von Lebensbedingungen und regionalen Eigenarten von Mentalitäten und Sozialkulturen« neu entdecken, ist zumindest für die Stadtforschung nicht zutreffend. Und gerade diesbezüglich liegt hier keine »Chance für die Stadt-, Sozial- und Regionale Geographie, um aus der oftmals nehmenden Position gegenüber sozialwissenschaftlichen Theorien in eine gebende zu wechseln« (Helbrecht/Pohl, 1995, 229). Gerade auch dafür hat sich die raumwissenschaftliche und sozialökologische Stadtforschung der Geographen in den fünfziger und sechziger Jahren an der Chicagoer Soziologie orientiert. Diese Ausrichtung ignoriert auch Giddens’ (1988a, 183) Interpretation der Forschungen der »Chicago School of Sociology«. Vgl. Kapitel 2. Die Thematisierung spät-moderner Produktionsformen als »Flexible Akkumulation« ist ein Beispiel, das sich an eine solche Bestrebung annähert; vgl. Harvey/Scott, 1989; Harvey 1989 und Storper/Walker, 1989.

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Anmerkungen

29 Vgl. Massey, 1984, 31f. 30 Vgl. dazu ausführlicher Kapitel 5.. 31 Der frühere Hinweis, daß sich die Globalisierung vor allem durch die Dominanz der Artefakte auszeichnet, weist in die gleiche Richtung. 32 Einen Überblick geben auch Basset/Short, 1980, 59–154. 33 Vgl. Glennie/Thrift, 1992, 425f. 34 Vgl. Meier, 1994; Dicken, 1992; Miller, 1995b und Jackson/Thrift, 1995. 35 Beide sind freilich rückgebunden an die sinnhaften Konstitutionsleistungen der Subjekte in formalisierten Raum- und Zeitkonzeptionen. Vgl. Kapitel 2 in Band 1. 36 Entscheidend scheint dabei zu sein, daß auf globalen Märkten die Konkurrenz zwischen funktional äquivalenten Produkten bisher kaum bekannte Ausmaße angenommen hat, so daß bereits geringe Absatzverschiebungen zu dramatischen Konkurrenznachteilen führen können. 37 Bell/Valentine (1997) zeigen in ihren empirischen Studien, daß »consuming geographies«, insbesondere die Art der Ernährung sowie die Wahl der Art und Orte der Eßlokale, zu einem wichtigen Aspekt der Identitätsbildung spät-moderner Subjekte geworden ist. 38 Zum »sozialen Kapital« vgl. Bourdieu, 1988d, 248f., zur Bedeutung des »symbolischen Kapitals« vgl. insbesondere Bourdieu, 1974a; 1984a; 1984b und 1994b. 39 Vgl. Shields 1992, 29 und Belk 1995, 71. 40 Vgl. dazu die empirischen Studien von Crewe, 1994a; 1994b; Crewe/Forster, 1993a; 1993b; Crewe/Lowe, 1994; Wrigley/Lowe, 1995 sowie Jackson, 1993. Bei diesen Arbeiten stehen die sozialen, ökonomischen und geographischen Implikationen globaler ProduzentKonsument-Beziehungen im Zentrum. Allerdings fehlt ihnen bisher eine integrierende theoretische Perspektive und Begrifflichkeit. 41 Miller, 1995c, 283f. stellt dazu zwei exemplarische Fallstudien von Belize und Indien vor. 42 Darunter sind die verschiedenen Ernährungsstile als Formen der Nahrungszusammenstellung im weitesten Sinne zu verstehen. 43 Wie Urry (1995) in »Consuming places« zeigt, ist bei der Konsumtionsforschung vor allem auch der Bedeutung der sozialen Konstruktion von Orten und ihrer Vermarktung Aufmerksamkeit zu schenken. Dies kann sich auf jene Formen beziehen, wie sie innerhalb des Tourismus- und Reisebereichs als »Verbrauch« beobachtet werden können (vgl. dazu auch Kearns/Philo, 1993 sowie Wöhler/Saretzki, 1996). Diese Komponente ist aber auch im Sinne von Bell/Valentine (1997) und Valentine (1997) als identitätsstiftender Aspekt oder als Teilkomponente der »Distinktionstechniken« der Subjekte zu beachten. 44 Vgl. Langman, 1992, 48; Zukin, 1991 und Sorkin, 1992. 45 Vgl. Deiters, 1978; Werlen, 1987a, 270f.; 1993e, 242f. 46 Freilich waren die Basisannahmen der Theorie der zentralen Orte nie realistisch, sondern immer idealtypisch. Doch die Idealtypik hat sich zwischenzeitlich soweit von den empirischen Verhältnissen entfernt, daß deren heuristische Kraft ständig abnimmt. 47 Vgl. Noller/Ronneberger, 1995 und Ferguson, 1992, 34. 48 Vgl. Schulze, 1997, 48f., 52f. und insbesondere 93–124. Die »Erlebnisgesellschaft« wird dort charakterisiert als Ausdruck eines neuen Grundmusters der Beziehungen von Subjekt und Situation. Die subjektive Interpretation der Situation wird – ganz im Sinne von Schütz

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(1974) – als die entscheidende Orientierungsreferenz betrachtet, und nicht die objektive Situation. Vgl. auch Leuthold, 1996. Vgl. Helbrecht/Pohl, 1995, 232f. und Hasse, 1988, 43. Vgl. Harvey, 1993 und 1996, 117–206. Wie Moscovici (1982, 52f., 86f.) und Harvey (1996, 139f.) betonen, ist mindestens in praxiszentrierter Betrachtungsperspektive zu beachten, daß Landschafts-, Naturschutz usw. immer nur im selbst konstituierten Sinne erfolgen kann. Damit ist gemeint, wie Zierhofer (1996b) präzisiert, daß immer nur das geschützt werden kann, was Subjekte für schützenswert halten, nicht aber die Objekte, für die Schutz beantragt wird. So gesehen, geht es bei der ökologischen Beurteilung von Produktion und Konsumtion um die Aufdeckung der menschlichen lebensqualitätsspezifischen Implikationen und nicht jener von Landschaften, Räumen u. ä. Vgl. Benton/Redclift, 1994, 8; Reichert/Zierhofer, 1993 und Zierhofer/Steiner, 1994. Vgl. dazu auch Paasi, 1996. Vgl. stellvertretend Reich, 1993. Vgl. Kapitel 4. Vgl. Kapitel 4 und 5. Vgl. auch Foucault, 1980c, 63f. Vgl. Raffestin/Lopreno/Pasteur, 1995, 29f. Vgl. Walther, 1995; Sprengel, 1995. Vgl. Kapitel 3 in Band 1. Diese Dimension geopolitischen Denkens bleibt, wie Walther (1995, 28) hinweist, in den neusten Spielformen französischer oder italienischer Prägung – wie die entsprechenden Zeitschriften »Hérodote« und »LiMes« zeigen – erhalten. Erstaunlich ist dabei allerdings, daß ein derart konservativ-naturalistisches Denkmuster offensichtlich erfolgreich den Anspruch einer kritisch-fortschrittlichen Wirklichkeitsinterpretation für sich reklamieren kann. Dem Körper bzw. der Leiblichkeit kommt natürlich weder eine normative noch eine sinnkonstitutive Bedeutung zu. »Alle normativen Ansprüche müssen am Autonomieprinzip festgemacht werden« (Schäfer, 1993, 242) bzw. liegen auf der Sinnebene. Aber »Körper« bzw. »Leiblichkeit« ist die grundlegende Voraussetzung der Praxisfähigkeit der Subjekte und ist deshalb sozial gesehen als Fokus der Kontrolle relevant, ohne selbst das Soziale oder Subjektive zu sein. Diese Unterscheidung und Bedeutung der Körperlichkeit scheinen weder Luhmann noch Klüter zur Kenntnis nehmen zu können. Vgl. dazu auch Schütz, 1981, 189 und Werlen, 1987a, 85f. Vgl. dazu ausführlicher Morin, 1984, 134f. und Gellner, 1995, 11f. und 90f. Vgl. dazu Mellor, 1989. »Völkisch« wird hier als Übersetzung von »ethnisch« verwendet, damit der historische Kontext ethnischer Forderungen nicht verloren geht. Zur Bedeutung und philosophischen Verwobenheit des völkischen Diskurses auf akademischer Ebene im Vorfeld des Faschismus vgl. Pierre Bourdieus »Die politische Ontologie Martin Heideggers«. Die völkische Ideologie wird von Bourdieu (1988b, 16) charakterisiert als »Sprach- und Blutsgemeinschaft«. Darunter versteht Mellor (1989) den integrierenden Symbolismus, auf den Mitglieder einer nationalen Kollektivität Bezug nehmen.

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Anmerkungen

Vgl. dazu Mellor, 1989, 3ff. Vgl. dazu Guibernau, 1996, 4f. und 47. Vgl. Kapitel 5. Vgl. Arendt, 1981, 33. Vgl. Giddens, 1992b; 1993c. Vgl. Howell, 1993, 313. Vgl. Staeheli/Thomspon, 1997, 30f. Vgl. Werlen, 1995i. Vgl. Stokar, 1995. Die Übersetzungen dieser zentralen Begriffe sind nicht einheitlich. Abwechslungsweise werden »Vorder-« bzw. »Hinterbühne« sowie »vorder-« bzw. »hinterseitige Regionen« verwendet. Vgl. auch Kapitel 4. Vgl. Goffman, 1991, 109f. Vgl. Kapitel 3. Vgl. auch Goffman, 1991, 120f. sowie 1986, 106f. Vgl. ausführlicher Kapitel 6 Darauf wird ausführlicher in Kapitel 6 eingegangen. Vgl. Kapitel 2 in Band 1. Vgl. Benhabib, 1992, 107f. Vgl. Robinson, 1990, 135f. und Drechsel/Schmid, 1994. Vgl. stellvertretend Leemann, 1976; Meier, 1989, 71f.; Jelen, 1996; Bourdieu, 1979, 39f. und 1990. Vgl. Stone, 1979. Vgl. Rose, 1993. Vgl. Warnes, 1990; Harper/Laws, 1995; Friedrich, 1995; Strüder, 1995 und 1997. Vgl. Giddens, 1991a, 156 und 161f. Vgl. Monzel, 1995; 2007; Werlen, 1995g; Wenzel, 1982; Gastberger, 1989; Daum, 1990; Sibley, 1991; James, 1990. Vgl. Zierhofer, 1989, 87f. Vgl. Valentine, 1996, 205f. Vgl. stellvertretend Rosenbaum, 1982; Badinter, 1991 und Joris/Witzig, 1991. Vgl. stellvertretend Roggenbruck, 1993. Paasi (vgl. insbesondere 1996) hält diese Konzeption nicht konsequent durch; die Konzentration auf Handlungsweisen der Subjekte wird nicht überall vollzogen. »Region« erlangt – im Widerspruch zu seiner Argumentation – immer wieder den Status einer quasi objekthaften Gegebenheit. Obwohl Paasi »Region« nicht ausschließlich auf gegebene Verwaltungsterritorien bezieht, sondern auch andere Formen in seine Überlegungen einschließt, ist dies doch sein zentrales Interesse. Auf diese Komponente seiner konzeptionellen Überlegungen ist die folgende Rezeption beschränkt und berücksichtigt seine umfassenderen Darstellungen nur im Kontext seiner Argumentation. Vgl. Paasi, 1991, 243f. Zur Begriffsgeschichte von »Grenze« vgl. Raffestin, 1990, 296f.

Anmerkungen

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100 Vgl. Bourdieu, 1991a. 101 Vgl. Paasi, 1994, 1997 ; Sibley, 1995 und Pile, 1996. 102 Vgl. Kapitel 4. 103 Vgl. Widmer, 1996, 95. 104 Vgl. Kapitel 6. 105 Vgl. Raffestin, 1990, 95f. 106 Vgl. Kapitel 2. 107 Vgl. Giddens, 1985a, 203f. 108 Vgl. Bendix, 1982, 85. 109 Vgl. Giddens, 1985a, 173. 110 Vgl. Fyfe, 1991, 250 111 Vgl. Foucault, 1973 und 1990. 112 Vgl. auch Foucault, 1980a und 1980b. 113 Vgl. Philo, 1989, 259 und 262f. 114 Vgl. Foucault, 1976b, 105f. 115 Vgl. Kapitel 4. 116 Vgl. Perlmutter, 1977 sowie Giddens, 1985a, 255f. und 1997, 309f. 117 Vgl. dazu Schöller, 1953 und 1984; Blotevogel/Heinritz/Popp, 1986; 1987; 1989. 118 Vgl. Kapitel 6. 119 Vgl. Guibernau, 1996. 120 Vgl. dazu auch Dunn, 1979, 55–79. 121 Vgl. Gellner, 1983, 11ff. 122 Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 1 in Band 1. 123 Vgl. Kapitel 1 in Band 1. 124 Vgl. Schwyn, 1996a, 48f. und Werlen, 1995f. 125 Vgl. Kapitel 6. 126 Vgl. Jelen, 1996, 121f. Sowohl der ökonomische und soziale wie der religiöse Kalender war und ist vom Rhythmus jahreszeitlicher Wiederholungen geprägt. Meier (1989, 71) analysiert traditionelle Lebensformen von Frauen im Calancatal (Schweiz) »im Rhythmus der Jahreszeiten«. 127 Zur begrifflichen Ausdifferenzierung von »Medien« vgl. Faulstich, 1991, 9f. Steht in der alltäglichen Verwendung die allgemeine Bedeutung von »Mittel« im Zentrum, ist es in den Kommunikationswissenschaften »Kommunikationsmittel« im Sinne der Massenmedien. Diese sind nicht isoliert, sondern im Gesamtzusammenhang der Kommunikation zu sehen. 128 Vgl. Kapitel 2 in Band 1. 129 Vgl. Kapitel 4. 130 Dieses Themenfeld steht in Beziehung zu »spaces de représentation« (Lefebvre, 1981) und »spaces of representation« (Soja, 1996, 150f.), doch sollen diese hier handlungszentriert perspektivisch und forschungskonzeptionell neu entworfen werden. 131 Vgl. Werlen, 1987a, 11. 132 Vgl. Renckstorf, 1989. 133 Zum phänomenologischen Wirklichkeitsverständnis vgl. zusammenfassend Werlen, 1987a, 73f. und 105–110.

402

Anmerkungen

134 Vgl. Renckstorf, 1989. 135 Vgl. Thrift, 1985a. 136 Vgl. Klüter, 1986, 123–135. Die von ihm genannten Raumabstraktionen »Landschaft«, »Heimat«, »Vaterland« und »Mittelstadtidyll« können in der hier entworfenen Perspektive als symbolische Regionalisierungen begriffen werden. Setzt sie Klüter als bestehend voraus, wird hier danach gefragt, wie sie hergestellt werden. 137 Zitiert nach Ellger, 1996, 92. 138 Wie bereits in Kapitel 4 hingewiesen, werden face-to-face-Situationen der Kommunikation hauptsächlich bei allen wichtigen Entscheidungen aufgesucht. Dies ist – wie anschließend noch ausführlicher gezeigt wird – vor allem für wirtschaftliche Entscheidungen von großer Bedeutung und somit auch für den Urbanisierungsprozeß unter globalisierten Lebensverhältnissen, wie dies insbesondere auch Saskia Sassen (1994, 53f.) betont. 139 Vgl. zur Übersicht Stokar, 1995, 87f. und Ellger, 1988 sowie für entsprechende empirische Untersuchungen Törnquist, 1973; Brandt, 1984; Thorngren, 1970; Goddard, 1980. 140 Vgl. dazu auch Bartels, 1968b und Werlen, 1987a, 249. 141 Vgl. Giddens, 1991a, 27. 142 Vgl. dazu die empirischen Untersuchungen von Mårtensson, 1977 und Zierhofer, 1989. 143 Vgl. Waters, 1995, 34. 144 Vgl. auch Schütz/Luckmann, 1979, 71. 145 Vgl. McLuhan, 1995, 377. 146 Vgl. Bourdieu, 1991, 27. 147 Vgl. Arber, 1996, 42; 2007 148 Vgl. Zierhofer, 1996, 30. 149 Zur Bedeutung der Medien bei der Konstitution einer öffentlichen Sicht ökologischer Problemsituationen vgl. Rey, 1995. 150 Vgl. ausführlicher Lippuner 1997, 91f. 151 Vgl. den Übersichtsartikel von Seamon, 1997, 53–56. 152 Vgl. stellvertretend Pohl, 1993 und Blotevogel/Heinritz/Popp, 1986; 1987 und 1989. 153 Vgl. Simonsen, 1996, 502f. 154 Hervorhebung durch B. W. 155 Vgl. Daum, 1990a, 18f. und 1990b, 25. 156 Vgl. Freud, 1923; Lacan, 1978 und Kapitel 1 in Band 1. 157 Dazu ausführlicher Werlen, 1997d. 158 Vgl. ausführlicher Werlen, 1989a; 1992; 1993c; 1996b; 1996c und 1997b.

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Namensregister

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Blotevogel, H. H., 77, 111, 113, 383, 391 Bobek, H., 115 f., 208, 215, 228 f., 232, 361 Boden, D., 366 f. Boesch, E. E., 112 Bourdieu, P., 69, 107, 228, 231, 279, 290, 294, 296, 341, 377, 391, 398 f. Boyer, R., 222 ff. Bradshaw, M., 124 Braudel, F., 147 Brayant, C. G. A., 392 Burgess, E. W., 283 Burton, I., 51 Buttimer, A., 75, 83 f., 116 f., 196, 211 Butzin, B., 75, 195 Carlstein, T., 132 Castoriadis, C., 106 Charlton, M., 353 Christaller, W., 78, 292, 332 Claesges, U., 269 Cloke, P., 391 Cohen, I. J., 141 Corbridge, S., 310 Cosgrove, D., 245 Craib, I., 170 Crang, P., 291 f. Crewe, L., 279, 398 Danielzyk, R., 34, 75, 79, 114 f., 195, 394 de Certeau, M., 266, 290, 293, 374, 379

434

Namensregister

Derrida, J., 106 Dicken, P., 288 Donsbach, W., 353 Douglas, M., 298 Duncan, J. S., 48 Dunleavy, P., 287 Dunn, J., 338 Durkheim, E., 307 Dürr, H., 275 Eade, J., 265 Eberle, Th., 278 Eidenbenz, M., 304 Eisel, U., 389 Elias, N., 106 Ellger, C. 353, 358 f. Erikson, E. H., 151,ff., 160 Falk, R., 218 Farinelli, F., 245 Faulstich, W., 401 Fine, B., 274 Forster, Z., 398 Foucault, M., 68, 106 f., 188, 191, 216, 335, 378, 389 Frantz, K., 343 f. Freire, P., 84 Freud, S., 141 f., 153 Fyfe, N., 333 f. Galtung, J., 74 Geertz, C., 37, 49 Gellner, E., 307, 338 f. Gerdes, D., 337 Giddens, A.,14, 32, 34, 85,88, 90, 92, 97, 106, 109, 118, 129 f., 131 ff., 197 ff., 210, 228 ff., 236, 240, 245 f., 249 f., 254 f., 257, 280 f., 294, 307, 310, 318, 331 ff., 349,365, 371 f., 375 ff., 389 f., 397 Gigandet, C., 386

Gilbert, A., 74 f., 125 f., 128 f., 390 f. Glotz, P., 373 Gobard, M., 328 Goffman, E., 153, 160, 162 f., 242, 316 ff., 335 Goody, J., 331 Gossen, H. H., 277 f., 396 Granö, J. G., 56 Gregory, D., 34, 74 f., 83 ff., 117 ff., 121, 129, 132, 173, 196, 211, 390 f. Gross, P., 263 Guillemin, A., 386 Habermas, J., 84 f., 106 f., 117, 133, 135, 138, 268, 270 ff., 313 Hägerstrand, T., 88, 132 Hall, E. T., 161 ff. Hard, G., 27, 49, 56, 60 ff., 112 f. Hart, J. F., 82 Hartke, W., 37 ff., 60, 100 f., 117 ff., 129, 181, 195, 197, 282, 302, 361 Harvey, D., 83, 215 ff., 285 f., 292, 393, 397, 399 Haushofer, H. K., 304 Heidegger, M., 29 f., 84, 105, 145 ff., 399 Heinritz, G., 77, 111, 113, 391 Helbrecht, I., 75, 195, 397 Henderson, J., 284 Hernes, G., 109 Hettner, A., 24 ff., 53 f., 112, 205 Hirst, P., 301 Hofmeister, B., 343 f. Holland-Cunz, B., 315 f. Hönigswald, R., 29 Horkheimer, M., 85 Hoyt, H., 283 Huber, A., 384 Husserl, E., 84, 206, 227, 269 ff., 368, 395

Namensregister

Iyer, P., 396 Jackson, P., 274, 398 Jameson, F., 106 Jary, D., 392 Jelen, I., 401 Johnston, R. J., 52, 61, 63 Jonas, A., 55 Jurczek, P., 273 Kant, I., 22 ff., 66, 173 Karutz, M., 276, 293, 397 Katz, P., 352 Kearns, G., 398 Kellerman, A., 391 Kjellén, R., 304 Klüter, H., 305, 393, 399, 402 Kost, K., 267, 302 Krätke, S., 299 Krüger, R., 34, 79 ff., 114 f. Kuls, W., 389 Lacoste,Y., 305 Laing, R. D., 151 Langman, L., 293 Layder, D., 391 Leborgne, D., 222 f. Lefebvre, H., 160, 248, 379 Leibniz, G. W., 145 Lepenies, W., 206 f., 278 f. Leuthold, H., 296 Lévi-Strauss, C., 146, 175 Lewandowski, T., 358 Lewis, P. F., 82 Ley, D., 84 Lichtenberger, E., 49 Lipietz, A., 222 ff. Lippuner, R., 377 Lorenzen, P., 277 Lösch, A., 292 Lowe, M., 398

435

Luckmann, Th., 75, 84, 268 ff., 272, 363 Luhmann, N., 268, 270, 368, 372, 396, 399 Lyotard, J. F., 78, 106 Maffesoli, M., 290 Mann, M., 106 Marshall, T. M., 333 Marx, K., 216 f., 280 f., 397 Massey, D., 83, 285 Maucher, H., 395 Maull, O., 56 Maurer, G., 25 McKenzie, 283 McLuhan, M., 353, 365,f., 368 McPhail, Th. L., 372 Meier,V., 401 Meier-Dallach, H. P., 338 Mellor, R. E. H., 399 Meusburger, P., 355 Meyrowitz, J., 231 Miller, D., 274, 289, 294, 297 Mondada, L., 48 Monzel, S., 364 Morris, M., 109 Moscovici, S., 399 Murphy, A. B., 128 Neidhart, C., 393 Neumann-Braun, K., 353 Newton, I., 132, 193, 210 Nuhn, H., 299 Nyffenegger, C., 342 Odermatt, A., 287, 295 Oßenbrügge, 75 223, 394 Otremba, E., 39, 59 Overbeck, H., 389 Paasi, A., 323 ff., 400 Panese, F., 48 Pareto,V., 237 f.

436

Namensregister

Park, R. E., 283 Parsons, T., 171, 237, 242, 322, 336, 357, 360 Partzsch, D., 52 Philo, C., 391, 398 Piveteau, J. L., 78 Pohl, J., 78 f.,114, 211, 230, 397 Polanyi, K., 241 Popp, H., 77, 111, 113, 391 Poster, M., 367 Pratt, G., 341 Prechtl, P., 270 Pred, A., 34, 83, 88 ff., 104, 119 ff., 123, 127 ff., 196, 211, 391 Pudup, M. B., 74 f., 88, 119, 129 Racine, J. B., 328 Raffestin, C., 312, 325, 327 f., 391, 400 Ratzel, F., 39, 304, 307 Rees, W. E., 297 f. Renan, E., 303 Renckstorf, K., 352 Rey, L., 355, 402 Richner, M., 259, 378 f., 382 f. Robertson, R., 216 Robinson, J., 319 Ronneberger, K., 218 Sack, R. D., 59 Sadler, D., 391 Saillard,Y., 222 ff. Saretzki, A., 293, 398 Sassen, S., 402 Sayer, A., 83 Schäfer, L., 399 Scheller, A., 319 f. Schiller, H., 373 Schmid, C., 218, 222 f. Schöller, P., 391 Schultz, H. D., 24, 267, 302, 389

Schulz, A., 351 Schulze, G., 398 Schütz, A., 75, 84, 138, 147, 151, 206 f., 231, 237, 239, 243 f., 268 ff., 272, 350, 359, 363, 368 f., 393, 395, 398 f. Schwyn, K., 344 Schwyn, M., 335, 343 Scott, A., 394, 397 Searle, J., 210 Sedlacek, P., 56 f., 61, 63 Sennett, R., 22, 313 Shields, R., 290 Siegrist, D., 379 Smith, N., 83 Søderstrøm, O., 48 Sofsky, W., 329 f. Soja, E. W., 83, 389, 401 Steiner, G., 327 Stokar, Th. v., 361 Storper, M., 394, 397 Taylor, P. J., 83, 339 Thompson, G., 301 Thompson, J. B., 169 Thrift, N., 34, 74, 83, 92 ff., 121 ff., 129, 173, 197, 211, 274, 389, 391 Thünen, J. H. v., 62, 292 Törnquist, G., 402 Tepper Marlin, A., 288 f. Urry, J., 398 Vahland, J., 29 f. Valentine, G., 398 Vandenberghe, F., 305 Vidal de la Blache, P. H., 55, 58, 84, 94, 105, 115 f., 122, 211, 215, 228 Virilio, P., 109 Wackernagel, M., 297 Wagner, P., 217 Wallerstein, I., 83, 106

Namensregister

Walther, R., 304 Wang, W., 126 Wardenga, U., 24 f. Waters, M., 216, 220, 357, 366 Weber, M., 69, 138, 143, 228, 237 f., 240, 276, 286 f., 292, 392, 396 Weichhart, P., 323 Welsch, W., 79 Widmer, J., 326 Wiener, N., 358 Winch, P., 173

Wirth, E., 34, 76 f., 82, 112 f. Wirz, A., 292 Wittgenstein, L., 173 f. Wöhler, K., 293, 398 Wolf, K., 273 Wood, D., 22 Wood, G., 75 Wrigley, E., 55, 398 Wrong, D. H., 228 Zierhofer, W., 399, 402

437

Benno Werlen

Gesellschaftliche Räumlichkeit 1 Orte der Geographie

Der autor Benno Werlen, Lehrstuhlinhaber für Sozialgeographie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, gilt als Begründer der handlungszentrierten Geographie und ist einer der meistzitierten Autoren des Fachs. Seine Publikationen sind in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. Das Programm des von ihm initiierten und von den Weltdachorganisationen der Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften proklamierten International Year of Global Understanding stellt die integrative Kompetenz des Faches auf neue Weise unter Beweis.

Mit der sozialtheoretischen Wende der Geographie und dem spatial turn in den Sozial- und Geisteswissenschaften ist der Weg für eine interdisziplinäre Beschäftigung mit dem Verhältnis von Gesellschaft und Raum bereitet. Die Auswahl der Aufsätze für Gesellschaftliche Räumlichkeit vermittelt vom geographischen Ausgangpunkt her einen Überblick über die Behandlung dieser Thematik in praxiszentrierter Perspektive. Mit ihr wird der Anspruch erhoben, den Fallstricken des mechanischen Weltbildes und der voreiligen Verräumlichung sozialkultureller, ökonomischer und politischer Wirklichkeiten zu entgehen. Band 1 verortet diesen Ansatz im fachhistorischen Kontext, nimmt eine Klärung des ontologischen Status von Gesellschaft und Raum vor und leitet daraus die methodologischen Prinzipien einer praxiszentrierten Geographie ab, die schließlich zur Basis eines globalisierten geographischen Weltverständnisses gemacht werden. Insgesamt werden damit die Grundlagen für die Entwicklung eines konstruktivistischen Weltbildes gelegt, das in Band 2 weiter entfaltet wird.

334 Seiten mit 16 Abbildungen und 4 Übersichten 978-3-515-09122-0 kart.

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Benno Werlen

Gesellschaftliche Räumlichkeit 2 Konstruktion geographischer Wirklichkeiten

Der autor Benno Werlen, Lehrstuhlinhaber für Sozialgeographie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, gilt als Begründer der handlungszentrierten Geographie und ist einer der meistzitierten Autoren des Fachs. Seine Publikationen sind in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. Das Programm des von ihm initiierten und von den Weltdachorganisationen der Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften proklamierten International Year of Global Understanding stellt die integrative Kompetenz des Faches auf neue Weise unter Beweis.

Mit der sozialtheoretischen Wende der Geographie und dem spatial turn in den Sozial- und Geisteswissenschaften ist der Weg für eine interdisziplinäre Beschäftigung mit dem Verhältnis von Raum und Gesellschaft bereitet. Die Auswahl der Aufsätze für Gesellschaftliche Räumlichkeit vermittelt vom geographischen Ausgangspunkt her einen Überblick über die Behandlung dieser Thematik in praxiszentrierter Perspektive. Mit ihr wird der Anspruch erhoben, den Fallstricken des mechanischen Weltbildes und der voreiligen Verräumlichung soziokultureller, ökonomischer und politischer Wirklichkeiten zu entgehen. Band 2 zeichnet die Prozesse der „Konstruktion geographischer Wirklichkeiten“ nach. Er verdeutlicht die konzeptionelle Erschließung der dafür grundlegenden Formen alltäglichen GeographieMachens in kultureller, politischer, sozialer und ökologischer Dimension. Die soziale Praxis mit ihren räumlichen Bezügen wird dabei als geographische Praxis interpretiert und zum Bezugspunkt einer sozial- und geisteswissenschaftlichen Forschungsperspektive gemacht.

362 Seiten mit 5 Abbildungen und 10 Übersichten 978-3-515-09429-0 kart.

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Mit der digitalen Revolution und der Globalisierung der alltäglichen Bedingungen des Handelns entstehen nicht nur für den Bereich des Ökonomischen, sondern auch und vor allem für die gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen alltäglichen Lebens neue raum-zeitliche Konstellationen. Lange Zeit tradierte und eingeschliffene geographische Weltbilder verlieren ihre Passfähigkeit. Deshalb wird ein neuer geographischer Tatsachenblick notwendig, der von der Raumfokussierung weg und hin zum Handeln als Weltbeziehung, Weltbindung führt. Über Weltbindungen wird lokales Handeln in globale Prozesse eingebettet. Für die Erforschung der entsprechenden alltäglichen Regionalisierungen legt Werlen ein Analyseraster vor, das eine neue geographische Weltsicht ermöglicht. „Globalisierung, Region und Regionalisierung“ ist eines der meistzitierten und einflussreichsten deutschsprachigen Bücher der Fachgeschichte, das nun in dritter Auflage verfügbar gemacht wird. Benno Werlen ist es mit diesem Band gelungen, zahlreiche aktuelle wissenschaftliche wie alltagsweltliche Problemkonstellationen zu identifizieren und eine neue Perspektive einzuführen, die immer noch höchst aktuell ist.

ISBN 978-3-515-11755-5

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag