Gleichnisse: Theorie - Auslegung - Didaktik 3825254941, 9783825254940

Das Standardwerk für den wissenschaftlichen Umgang mit biblischen Gleichnissen und Metaphern bietet einen Überblick über

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German Pages 362 [364] Year 2020

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Table of contents :
Frontmatter
Cover
Impressum
Inhalt
Vorwort
1 Einführung
1.1 Die Intention des Buches
1.2 Das Konzept des Buches
1.3 Einführende Thesen
1.4 Vergleichende Textformen
1.4.1 Parabel / Gleichnis / Parömie
1.4.2 Fabel / Mythos / Deklamation
1.4.3 Allegorie
1.4.4 Rhetorische Stilformen
1.5 Gleichnisspezifische Termini
1.5.1 Ausgangs-, Übergangs- und Erzählebene
1.5.2 Bild- bzw. Erzählebene und Deutungsebene
1.5.3 Bildspender und Bildempfänger
1.5.4 Tertium bzw. tertia comparationis
1.5.5 Pointe
1.5.6 Fiktionalität und Appellstruktur
1.5.7 Konterdetermination
1.5.8 Extravaganz
1.5.9 Transfersignale
1.5.10 Theologischer Bezugsrahmen (‚Sache‘)
1.5.11 Sprachgeschehen bzw. Sprachereignis
1.5.12 ‚Eigentliche‘ vs. ‚uneigentliche‘ Rede
2 Gleichnisforschung im Überblick
2.1 Der Ausgangspunkt: Adolf Jülicher
2.1.1 Ausgangspunkt: anti-allegorischer Affekt
2.1.2 Gleichnisdefinition und Auslegungsinteresse
2.1.3 Formkritik der Gleichnisse
2.1.4 Das bleibende Vermächtnis Jülichers
2.2 Zwischenschritte zur modernen Gleichnisforschung
2.2.1 Gleichnisse als frühjüdische Gattung
2.2.2 Die eschatologische Deutung
2.2.3 Die ‚metaphorische Wende‘
2.2.4 Kritik an der ‚metaphorischen Wende‘
2.2.5 Revision des Allegorie-Begriffs
2.2.6 Neuere Trends
2.3 Die aktuelle Diskussion
2.4 Auswertung: Leitende Fragestellungen und Alternativen
2.4.1 Ein einziger vs. mehrere Vergleichspunkte
2.4.2 Gleichnis vs. Allegorie
2.4.3 Rhetorischer vs. po(i)etischer Zweck
2.4.4 Kontextualität / Autorintention vs. ästhetische Autonomie / Leserzentriertheit
2.4.5 Theologische Inhalte vs. ‚Sprachereignis‘
2.4.6 Mündliche vs. schriftliche Gleichnisse
2.4.7 Auslegungsbedarf vs. -abstinenz
2.4.8 Reich Gottes vs. Vielfalt theologischer Inhalte
2.4.9 Gleichnistypen vs. ‚alles Parabel‘
2.4.10 Fazit: Der Erkenntnisgewinn aus hundert Jahren Gleichnisforschung
2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie
2.5.1 Sprachliche und narrative Merkmale
2.5.2 Gleichnis und Allegorie / Metapher
2.5.3 Poetische Rhetorik, rhetorische Poetik
2.5.4 Wirkung und Sprachkraft
2.5.5 Grundlagen der Gleichnisauslegung
2.5.6 Der theologische Bezugsrahmen
2.5.7 Textpragmatik und Gleichnistypen
2.5.8 Das Proprium der Gleichnisse Jesu
2.5.9 Gleichnisdefinition
3 Schritte der Gleichnisauslegung
3.1 Ermittlung und erzählinterne Formulierung der Pointe
3.1.1 Erzählintern vs. theologisch formulierte Pointe
3.1.2 Methodisches Vorgehen
3.2 Ermittlung des Gleichnistyps
3.2.1 Identifikation als Gleichnis / Metapher
3.2.2 Bestimmung des Gleichnistyps
3.3 Decodierung von Metaphern und Bildfeldern
3.3.1 Polyvalenz und Dynamik
3.3.2 Innere Logik des Textes
3.3.3 Verstehens- und Erwartungshorizont
3.4 Ermittlung der Deutungsebene und theologische Formulierung der Pointe
3.4.1 Ermittlung des theologischen Bezugsrahmens
3.4.2 Theologische Formulierung der Pointe
4 Musterexegesen und Theologie
4.1 Naturgleichnisse
4.1.1 Die selbstwachsende Saat (Mk 4,26-29)
4.1.2 Die Vögel und die Lilien (Mt 6,25-32par.)
4.1.3 Die Geburtswehen (Mk 13,8par. Mt 24,8)
4.2 Weisheitsgleichnisse
4.2.1 Fasten auf der Hochzeit (Mk 2,18-20parr.)
4.2.2 Der Olivenbaum (Röm 11,17-24)
4.2.3 Das Testament (Hebr 9,15-17)
4.3 Alltagsgleichnisse
4.3.1 Der Hausbau (Mt 7,24-27par.)
4.3.2 Das verlorene Schaf (Mt 18,12-14par.)
4.3.3 Der Schalksknecht (Mt 18,23-35)
4.3.4 Die zehn Jungfrauen (Mt 25,1-13)
4.3.5 Die Witwe und der Richter (Lk 18,1-8)
4.4 Identitätsgleichnisse und -metaphern
4.4.1 Der gute Hirte (Joh 10,1-18)
4.4.2 Der Leib Christi (1 Kor 12,12-31)
4.4.3 Das Angeld der Erlösung (2 Kor 1,22 u. a.)
4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse
4.5.1 Der theologische Aspekt
4.5.2 Der christologische Aspekt
4.5.3 Der pneumatologische Aspekt
4.5.4 Der kosmologische Aspekt
4.5.5 Der anthropologische Aspekt
4.5.6 Der ekklesiologische Aspekt
4.5.7 Der ethische Aspekt
4.5.8 Der soteriologische Aspekt
4.5.9 Der eschatologische Aspekt
4.5.10 Ergebnis: Keine einfache ‚Sache‘!
5 Didaktische Impulse
5.1 Vorbemerkungen
5.2 Pädagogische Überlegungen
5.3 Von der Exegese zum Unterricht
5.4 Gleichnisauswahl und Curricula
5.4.1 Vorgaben der Kerncurricula
5.4.2 Einordnung der Mustergleichnisse
5.4.3 Ergebnis
5.5 Didaktische Möglichkeiten
5.5.1 Gleichnistheorie und Methoden
5.5.2 Textunabhängige Methoden
5.6 Musterbeispiele
5.6.1 GS (3./4. Klasse): Selbstwachsende Saat
5.6.2 Sek I (5.+6. Klasse): Der Schalksknecht
5.6.3 Sek I (5.+6. Klasse): Der Olivenbaum
5.6.4 Sek I (7.-10. Klasse): Die Vögel und Lilien
5.6.5 Sek II (10./11. Klasse): Der Leib Christi
5.6.6 Sek II (GK, LK): Der gute Hirte
5.6.7 Berufskolleg: Der Hausbau
Backmatter
S 1 Abkürzungen
S 2 Glossar
S 3 Schlagwörter (in Auswahl)
S 4 Textstellen
Altes Testament
Alttestamentl. Apokryphen
Frühjüdische Schriften
Neues Testament
Ntl. Apokryphen
Sonstige Autoren
S 5 Übersicht: Gleichnistexte
S 5.1 Naturgleichnisse und Naturmetaphern
S 5.2 Weisheitsgleichnisse
S 5.3 Alltagsgleichnisse
S 5.4 Identitätsgleichnisse und –metaphern
S 6 Literatur
1. Primärliteratur
2. Sekundärliteratur
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Gleichnisse: Theorie - Auslegung - Didaktik
 3825254941, 9783825254940

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Kurt Erlemann

Gleichnisse Theorie – Auslegung – Didaktik

utb 5494

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas · Wien Wilhelm Fink · Paderborn Narr Francke Attempto Verlag / expert verlag · Tübingen Haupt Verlag · Bern Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Ernst Reinhardt Verlag · München Ferdinand Schöningh · Paderborn transcript Verlag · Bielefeld Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlag · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen Waxmann · Münster · New York wbv Publikation · Bielefeld

Prof. Dr. Kurt Erlemann ist Inhaber des Lehrstuhls für Neues Testament und Geschichte der Alten Kirche an der Bergischen Universität Wuppertal.

Kurt Erlemann

Gleichnisse Theorie – Auslegung – Didaktik

Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen

Umschlagabbildung: © Öko Wein- und Sektgut Gretzmeier in 79291 Merdingen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: [email protected] Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart CPI books GmbH, Leck utb-Nr. 5494 ISBN 978-3-8252-5494-0 (Print) ISBN 978-3-8385-5494-5 (ePDF) ISBN 978-3-8463-5494-0 (ePub)

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Klaus Berger (1940-2020) in Memoriam

Inhalt

Vorwort

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

1

Einführung

1.1 1.2 1.3 1.4

1.5

2

.............................................. Die Intention des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Konzept des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleichende Textformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Parabel / Gleichnis / Parömie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Fabel / Mythos / Deklamation . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Allegorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.4 Rhetorische Stilformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichnisspezifische Termini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Ausgangs-, Übergangs- und Erzählebene . . . . . . . . 1.5.2 Bild- bzw. Erzählebene und Deutungsebene . . . . . 1.5.3 Bildspender und Bildempfänger . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.4 Tertium bzw. tertia comparationis . . . . . . . . . . . . . 1.5.5 Pointe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.6 Fiktionalität und Appellstruktur . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.7 Konterdetermination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.8 Extravaganz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.9 Transfersignale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.10 Theologischer Bezugsrahmen (‚Sache‘) . . . . . . . . . 1.5.11 Sprachgeschehen bzw. Sprachereignis . . . . . . . . . . 1.5.12 ‚Eigentliche‘ vs. ‚uneigentliche‘ Rede . . . . . . . . . . .

15 15 16 16 26 26 27 29 30 45 45 46 46 47 48 48 50 50 51 52 53 54

.............................. Der Ausgangspunkt: Adolf Jülicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Ausgangspunkt: anti-allegorischer Affekt . . . . . . . 2.1.2 Gleichnisdefinition und Auslegungsinteresse . . . .

57 58 58 59

Gleichnisforschung im Überblick

2.1

8

Inhalt

2.2

2.3 2.4

2.5

2.1.3 Formkritik der Gleichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2.1.4 Das bleibende Vermächtnis Jülichers . . . . . . . . . . . 65 Zwischenschritte zur modernen Gleichnisforschung . . . . 65 2.2.1 Gleichnisse als frühjüdische Gattung . . . . . . . . . . . 66 2.2.2 Die eschatologische Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.3 Die ‚metaphorische Wende‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.2.4 Kritik an der ‚metaphorischen Wende‘ . . . . . . . . . . 73 2.2.5 Revision des Allegorie-Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2.2.6 Neuere Trends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Die aktuelle Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Auswertung: Leitende Fragestellungen und Alternativen 86 2.4.1 Ein einziger vs. mehrere Vergleichspunkte . . . . . . 86 2.4.2 Gleichnis vs. Allegorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2.4.3 Rhetorischer vs. po(i)etischer Zweck . . . . . . . . . . . 88 2.4.4 Kontextualität / Autorintention vs. ästhetische Autonomie / Leserzentriertheit . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2.4.5 Theologische Inhalte vs. ‚Sprachereignis‘ . . . . . . . 89 2.4.6 Mündliche vs. schriftliche Gleichnisse . . . . . . . . . 90 2.4.7 Auslegungsbedarf vs. -abstinenz . . . . . . . . . . . . . . . 91 2.4.8 Reich Gottes vs. Vielfalt theologischer Inhalte . . . 91 2.4.9 Gleichnistypen vs. ‚alles Parabel‘ . . . . . . . . . . . . . . 91 2.4.10 Fazit: Der Erkenntnisgewinn aus hundert Jahren Gleichnisforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie . . . . . . . 95 2.5.1 Sprachliche und narrative Merkmale . . . . . . . . . . . 95 2.5.2 Gleichnis und Allegorie / Metapher . . . . . . . . . . . . 98 2.5.3 Poetische Rhetorik, rhetorische Poetik . . . . . . . . . . 100 2.5.4 Wirkung und Sprachkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2.5.5 Grundlagen der Gleichnisauslegung . . . . . . . . . . . . 104 2.5.6 Der theologische Bezugsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . 106 2.5.7 Textpragmatik und Gleichnistypen . . . . . . . . . . . . . 107 2.5.8 Das Proprium der Gleichnisse Jesu . . . . . . . . . . . . . 123 2.5.9 Gleichnisdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

Inhalt

3

9

3.1

3.2

3.3

3.4

4

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Ermittlung und erzählinterne Formulierung der Pointe . . 133 3.1.1 Erzählintern vs. theologisch formulierte Pointe . . 133 3.1.2 Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Ermittlung des Gleichnistyps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3.2.1 Identifikation als Gleichnis / Metapher . . . . . . . . . 135 3.2.2 Bestimmung des Gleichnistyps . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Decodierung von Metaphern und Bildfeldern . . . . . . . . . . 136 3.3.1 Polyvalenz und Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3.3.2 Innere Logik des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 3.3.3 Verstehens- und Erwartungshorizont . . . . . . . . . . . 138 Ermittlung der Deutungsebene und theologische Formulierung der Pointe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3.4.1 Ermittlung des theologischen Bezugsrahmens . . . 139 3.4.2 Theologische Formulierung der Pointe . . . . . . . . . 149

Schritte der Gleichnisauslegung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Naturgleichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 4.1.1 Die selbstwachsende Saat (Mk 4,26-29) . . . . . . . . . 151 4.1.2 Die Vögel und die Lilien (Mt 6,25-32par.) . . . . . . . . 157 4.1.3 Die Geburtswehen (Mk 13,8par. Mt 24,8) . . . . . . . . 162 Weisheitsgleichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 4.2.1 Fasten auf der Hochzeit (Mk 2,18-20parr.) . . . . . . . 168 4.2.2 Der Olivenbaum (Röm 11,17-24) . . . . . . . . . . . . . . . 173 4.2.3 Das Testament (Hebr 9,15-17) . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Alltagsgleichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 4.3.1 Der Hausbau (Mt 7,24-27par.) . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 4.3.2 Das verlorene Schaf (Mt 18,12-14par.) . . . . . . . . . . 188 4.3.3 Der Schalksknecht (Mt 18,23-35) . . . . . . . . . . . . . . . 193 4.3.4 Die zehn Jungfrauen (Mt 25,1-13) . . . . . . . . . . . . . . 200 4.3.5 Die Witwe und der Richter (Lk 18,1-8) . . . . . . . . . . 206 Identitätsgleichnisse und -metaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 4.4.1 Der gute Hirte (Joh 10,1-18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

Musterexegesen und Theologie

4.1

4.2

4.3

4.4

10

Inhalt

4.5

5

4.4.2 Der Leib Christi (1 Kor 12,12-31) . . . . . . . . . . . . . . . 218 4.4.3 Das Angeld der Erlösung (2 Kor 1,22 u. a.) . . . . . . 223 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse . . . . . . . . . . . . . . 227 4.5.1 Der theologische Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 4.5.2 Der christologische Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 4.5.3 Der pneumatologische Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 4.5.4 Der kosmologische Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 4.5.5 Der anthropologische Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 4.5.6 Der ekklesiologische Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 4.5.7 Der ethische Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 4.5.8 Der soteriologische Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 4.5.9 Der eschatologische Aspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 4.5.10 Ergebnis: Keine einfache ‚Sache‘! . . . . . . . . . . . . . . 259 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Pädagogische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Von der Exegese zum Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Gleichnisauswahl und Curricula . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 5.4.1 Vorgaben der Kerncurricula . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 5.4.2 Einordnung der Mustergleichnisse . . . . . . . . . . . . . 272 5.4.3 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Didaktische Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 5.5.1 Gleichnistheorie und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . 276 5.5.2 Textunabhängige Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Musterbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 5.6.1 GS (3./4. Klasse): Selbstwachsende Saat . . . . . . . . . 279 5.6.2 Sek I (5.+6. Klasse): Der Schalksknecht . . . . . . . . . 286 5.6.3 Sek I (5.+6. Klasse): Der Olivenbaum . . . . . . . . . . . 292 5.6.4 Sek I (7.-10. Klasse): Die Vögel und Lilien . . . . . . . 298 5.6.5 Sek II (10./11. Klasse): Der Leib Christi . . . . . . . . . . 305 5.6.6 Sek II (GK, LK): Der gute Hirte . . . . . . . . . . . . . . . . 312 5.6.7 Berufskolleg: Der Hausbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

Didaktische Impulse

5.1 5.2 5.3 5.4

5.5

5.6

Serviceteil

S1

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

Inhalt

11

S2 S3 S4

S5

S6

Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlagwörter (in Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Altes Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alttestamentl. Apokryphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frühjüdische Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neues Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ntl. Apokryphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstige Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht: Gleichnistexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S 5.1 Naturgleichnisse und Naturmetaphern . . . . . . . . . S 5.2 Weisheitsgleichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S 5.3 Alltagsgleichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S 5.4 Identitätsgleichnisse und –metaphern . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.

328 332 337 337 338 338 339 346 346 346 346 347 348 349 354 354 354

Vorwort Gleichnisse sind rätselhaft und faszinierend zugleich. Vergleichende Rede von Gott ist ein Kernstück der Verkündigung Jesu. Gleichnisse und Meta‐ phern prägen die Sprache der Bibel in besonderem Maße. Bis heute erfreuen sich Gleichnisse großer Beliebtheit in Verkündigung und Religionsunter‐ richt. Bis heute sind Gleichnisse und Metaphern Gegenstand wissenschaft‐ lichen Nachdenkens. Der UTB-Band ist Ergebnis jahrzehntelanger, wissenschaftlicher und existenzieller Beschäftigung mit den Gleichnissen Jesu und anderen verglei‐ chenden Texten der Bibel. Zahlreiche Aspekte der Gleichnistheorie seit Adolf Jülicher, Fragen der exegetischen Erschließung vergleichender Texte, theologische Reflexionen sowie didaktisch-methodische Überlegungen fließen in das Buch ein. Das Buch ist im besten Sinne eine Kombination aus Fach- und Lehrbuch: Erstens, es ermöglicht einen raschen Einstieg in Grundbegrifflichkeiten (Kapitel 1). Zweitens, es bietet einen informativen Überblick über die Geschichte der Gleichnisforschung (Kapitel 2). Drittens, es entwickelt die Gleichnisforschung kreativ weiter (Abschnitt 2.5). Viertens, es führt in die Methodik der Gleichnisauslegung ein und konkretisiert sie an Musterexegesen (Kapitel 3 und 4). Fünftens, es schenkt einen Einblick in den Reichtum der Gleichnis-Theologie (Abschnitt 4.5). Sechstens, es setzt Impulse für eine verantwortbare Gleichnisdidaktik und konkretisiert sie anhand von praktischen Skizzen (Kapitel 5). Eingestreute Definitionen zu einzelnen Begriffen, Grafiken, Tabellen, Textbeispiele zu einzelnen Theorie-Aspekten sowie ein reichhaltiger Service-Teil komplettieren das Angebot dieses UTB-Bandes. Viele Menschen haben zum Gelingen des Bandes beigetragen: Wichtige Forschungsimpulse verdanke ich dem Dialog mit dem geschätzten Kollegen Ruben Zimmermann. Für Literatur-Recherchen danke ich Simon Dietz. Wertvolle inhaltlich-didaktische Hinweise verdanke ich meinen verehrten Freunde und Kollegen Tim Schramm und Gunther vom Stein. Lisa Katha‐ rina Beckmann leistete akribische und vorbildliche Korrekturarbeit. Daniel Schmitz und Thomas Wagner haben mir in Corona-Zeiten selbstlos den Rücken freigehalten. Für die Begleitung auf Verlagsseite danke ich Kristina Dronsch, Valeska Lembke und Gunter Narr, dem langjährigen Wegbegleiter und Verleger meiner wissenschaftlichen Arbeiten. Für alle andere, unschätz‐

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Vorwort

bare Unterstützung und nicht selbstverständliche, enorme Rücksichtnahme sage ich meiner Frau Steffi Springer ausdrücklich Dank! Gewidmet ist das Buch dem langjährigen Freund, Weggefährten und Ideengeber Christhard Lück. Et hätt noch immer joot jejange! Kurt Erlemann, Neviges, August 2020

1 Einführung Das vorliegende Buch ist das fünfte in einer Reihe von Gleichnisbüchern des Autors seit 1988. Es dokumentiert die Entwicklung, welche die Gleichnisfor‐ schung seit den 1980er Jahren genommen hat, und vollzieht einen weiteren Schritt in der theoretischen Erschließung der biblischen Gleichnistexte. Er erschien notwendig, da durch Beiträge zum Thema der letzten Jahre – allen voran das von Ruben Zimmermann 2007/2008 herausgegebene, zweibändige ‚Gleichniskompendium‘ – viele frühere Erkenntnisse revisionsbedürftig schienen. Dazu gehören eine Reihe von Fachbegriffen, die dank interdiszi‐ plinärer Zusammenarbeit neu zu fassen sind, aber auch Überlegungen zu einer Unterteilung der Gleichnisstoffe. Im Folgenden werden die Intention (1.1) und das Konzept des Buches (1.2) vorgestellt, bevor mit Thesen und Begriffsklärungen der Einstieg ins Thema erfolgt (1.3 – 1.5). 1.1 Die Intention des Buches Das Buch ist vom Format her eine Neuauflage des 1999 erschienenen, schon lange vergriffenen UTB-Bandes „Gleichnisauslegung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch“ (UTB 2093) und ähnlich konzipiert. Zwischen beiden Büchern liegen freilich über zwanzig Jahre Forschungsarbeit an den Gleichnissen. Ebenfalls bei UTB ist das zusammen mit Irmgard Nickel-Bacon und Anika Loose 2014 erarbeitete Buch „Gleichnisse – Fabeln – Parabeln“ (UTB 4134) erschienen. Der Band zeichnet sich durch den interdisziplinären Zugang (Theologie – Sprachwissenschaft – Religionspädagogik) aus, ist aber in vielen Punkten noch der älteren Gleichnistheorie verpflichtet. 2017 erschien in einer Reihe leicht verständlicher Einführungen ins Neue Testament „Fenster zum Himmel. Gleichnisse im Neuen Testament“, das einige frühere gleichnistheoretische Erkenntnisse korrigiert. Der vorliegende Band ver‐ sucht auf dieser Grundlage, die seit 1999 eingegangenen Inputs zum Thema zu bündeln und in ein weiterführendes Konzept zu integrieren (→ 2.5).

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1 Einführung

1.2 Das Konzept des Buches Das Buch bietet, neben einem Überblick über die Gleichnisforschung seit Adolf Jülicher, einen gleichnistheoretischen Neuansatz, eine Einführung in die Auslegungsmethodik, eine Reihe von Musterexegesen, einen Ausblick auf die Theologie der Gleichnisse und didaktische Impulse für verschiedene Schulstufen. Den Einstieg bilden einführende Thesen zu den wichtigsten gleichnisthe‐ oretischen Erkenntnissen des Buches (1.3). Es folgt ein Überblick über die gängigsten vergleichenden Textformen, die auf Grundlage interdisziplinärer Forschung definiert werden (1.4). Die Klärung wichtiger gleichnisspezifi‐ scher Termini schließt sich an (1.5). Kapitel 2 bietet die Geschichte der Gleichnisforschung in einem chronologischen Längsschnitt (2.1–2.4). Eine systematische Auswertung sowie Überlegungen zu einer weiterführenden Gleichnistheorie schließen sich an (2.4; 2.5). Kapitel 3 erschließt den exege‐ tischen Weg der Gleichnisauslegung auf Grundlage der historisch-kritischen Methode.1 Kapitel 4 enthält Musterexegesen zu verschiedenen Gleichnis‐ typen (4.1–4.4) sowie einen ausführlichen Blick auf den theologischen Bezugsrahmen der Gleichnisse (4.5). Kapitel 5 geht den Weg von der Exegese zum Untericht und führt in eine integrative Didaktik gleichnishafter Texte ein, orientiert an den Kernlehrplänen für Evangelische Religionslehre des Landes Nordrhein-Westfalen. Abgerundet wird das Buch durch einen Serviceteil mit einem Abkürzungsverzeichnis, einem Glossar inklusive Übersetzung fremdsprachlicher Ausdrücke, einem Schlagwort- und Text‐ stellenregister, einer Übersicht über die neutestamentlichen Gleichnistexte sowie mit einem Literaturverzeichnis.2 1.3 Einführende Thesen Die wichtigsten gleichnistheoretischen Erkenntnisse dieses Buches werden vorab in Form kurzer Thesen vorgestellt und unter → 2.5 zu einem Konzept gebündelt. 1 2

Vgl. dazu Erlemann/Wagner 2013. Für zahlreiche Referenzen auf meine früheren Beiträge zur Gleichnisforschung in den Fußnoten bitte ich vorab um Entschuldigung; sie dokumentieren meine langjährige, intensive Beschäftigung mit dem Thema und zeigen, dass das vorliegende Konzept über die Jahre gereift ist.

1.3 Einführende Thesen

These 1: Gleichnisse sind Brücken zwischen Alltagswelt und Gottes Welt

Analogische, vergleichende Sprache verbindet eigentlich getrennte Wirk‐ lichkeitsbereiche miteinander und erschließt damit Unbekanntes (Bildemp‐ fänger) durch Bekanntes (Bildspender). Was für vergleichende rhetorische Stilfiguren gilt, trifft für narrativ ausgestaltete Gleichnisse im Besonderen zu: Sie öffnen ein ‚Fenster zum Himmel‘ und zeigen, wie Gott ‚tickt‘ – freilich, ohne ihn auf bestimmte Vorstellungen zu fixieren. Gleichnisse zeigen Ähnlichkeiten zwischen Alltagswelt und der Welt Gottes, aber auch die bleibenden Unterschiede auf (→ 2.5.1).

These 2: Gleichnisse können mehr als Metaphern

Der letzte Satz von These 1 trifft nur für narrativ ausgestaltete Gleichnisse zu. Metaphern können lediglich Analogien oder Unterschiede zwischen zwei Wirklichkeitsbereichen aufzeigen, aber nicht beides zugleich. Die Komplexität des Verhältnisses zwischen Alltagswelt und der Welt Gottes lässt sich nur durch eine fiktionale, dynamisch fortlaufende narratio ab‐ bilden. Gleichwohl darf die Metapher (→ 1.4.4b, wie auch der Vergleich, → 1.4.4a) als Grundbaustein der Sprache gelten: Ihr Vorzug besteht darin, Vergleichbarkeiten so auf den Punkt zu bringen, wie es nicht-vergleichender Sprache nicht möglich ist (→ 1.5.12; 2.5.2b).

These 3: Gleichnisse und Metaphern sind auslegbar, aber uner‐ setzbar

Gleichnisse und Metaphern sind auf Deutung hin angelegte Rätselrede. Sie sagen das, worum es geht, ‚durch die Blume‘. Das heißt, ihr eigentlicher Sinn erschließt sich nur durch Deutung. Der Deutungsrahmen ist durch einen gemeinsamen Verstehenshorizont von Autor und Adressaten vorgegeben. Gleichnisse und Metaphern haben einen bleibenden Sinnüberschuss, der

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1 Einführung

im vorgegebenen Rahmen immer wieder neue Deutungen ermöglicht. Das heißt: Gleichnisse und Metaphern sind nicht durch ‚klare Ansage‘ ersetzbar. Gleichnisse leben zudem von der Dynamik der Erzählung, die ebenfalls unersetzlich ist (→ 1.4.4b; 2.5.5c).

These 4: Gleichnisse sind poetisch, haben aber einen rhetori‐ schen Zweck!

Gleichnisse und Metaphern sind poetisch: Sie lassen die Wirklichkeit neu sehen, öffnen ein ‚Fenster zum Himmel‘, machen die Sphäre Gottes aus‐ schnittweise zugänglich. Das Mittel hierfür ist die Analogie zwischen Bekanntem und Unbekanntem, dargeboten durch eine fiktionale, realistisch wirkende narratio, mit dem Ziel, die Herzen spielerisch zum Umdenken, besser: zum Umfühlen zu bewegen (Umkehr, gr. metánoia: Kurskorrektur im Denken und Fühlen). Mit diesen Eigenschaften sind Gleichnisse und Metaphern regelmäßig in längere Argumentationen eingebettet und unterstützen diese nach dem Motto: ‚Ein (Sprach-)Bild sagt mehr als tausend Worte‘. Die Poesie ist ein rhetorisches Mittel, um Emotionen und Herzen zu bewegen. Rhetorik ohne Poesie wäre einseitig kognitiv und würde Gottes Herrschaft nicht gerecht, die ganz wesentlich von empathischer, gütiger, barmherziger Zuwendung und Liebe lebt (→ 2.5.3b).3

These 5: Die Gleichnisbotschaft Jesu bietet esoterisches Sonder‐ wissen!

Die so genannte synoptische Parabeltheorie Mk 4,10-13parr., die Deutung des Gleichnisses vom Sämann (Mk 4,14-20parr.) und die Notiz Mk 4,33f. belegen, dass Jesu Lehre esoterisch angelegt ist: Ihre eigentliche Zielgruppe sind ‚In‐

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Dazu kommt, dass Poesie das Göttliche bildhaft umschreibt, ohne es auf bestimmte Anschauungen festzulegen. Gleichnisse und Metaphern sind so das hermeneutisch angemessene Sprachmittel der Rede von Gott, ohne gegen das alttestamentliche Bilderverbot zu verstoßen (→ 2.2.3e; 2.5.4c).

1.3 Einführende Thesen

sider‘; die Gleichnisdeutung ist exklusiv an die Jünger gerichtet.4 Jesus, der Esoteriker, der seinen Jüngern Sonderlehren vermittelt: Diese Vorstellung sperrt sich gegen das liberal-theologische, von Jülicher übernommene Bild von Jesus als ‚Vorzeige-Pädagogen‘, der seine Lehre in unübertrefflicher Klarheit den Menschen vortrug.5 Theologisch erklärt die esoterische Gleichnisdeutung der Synoptiker, weshalb Jesus bei vielen Menschen nicht auf offene Ohren stieß: weil die Erkenntnis der Gottesherrschaft eine Offenheit und eine Lernbereitschaft voraussetzt, die viele Menschen aufgrund von (göttlich verhängter, zeitwei‐ liger) Verstockung nicht mitbringen. Selbst die Jüngerinnen und Jünger stehen ständig in der Gefahr des Nichtverstehens (vgl. Mk 4,13.40; 6,52 u. ö.). – Auf der leserbezogenen Ebene sind die Gleichnisse eine Einladung, zu ‚Insidern‘ zu werden. Das heißt, sie sind werbend-missionarisch ausgerichtet. ‚Geheimwissen weckt Neugier‘ – so lässt sich der pädagogische Sinn esote‐ rischer Unterweisung umschreiben. Die Gegner Jesu und die kleingläubigen Jünger fungieren hier als Negativ-Vorbilder (→ 2.5.3b).

These 6: Die Gleichnisse Jesu sind eschatologische Gerichtsrede, kein ‚Sprachereignis‘!

Mk 4,10-13parr. läuft auf die Unterscheidung von Insidern und Außenste‐ henden hinaus (V.11). Die Jünger kennen das Geheimnis der Herrschaft Gottes (gr. basileía tou theoú); die anderen entdecken es nicht einmal durch gleichnishafte Rede, denn sie sind verstockt (V.12). Die Gleichnisse sind das Mittel der Wahl, um das Gericht an den Verstockten voranzutreiben.6 Die Reaktion auf das Winzergleichnis Mk 12,1-12parr. bestätigt die escha‐ tologisch-kritische Funktion der Gleichnisse: Die angesprochenen Gegner Jesu lassen sich nicht belehren, im Gegenteil. – In der polarisierenden

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Am deutlichsten formuliert das Matthäus in Mt 13,18: „so hört nun ihr…“ und in Mt 13,36: „Da ließ Jesus das Volk gehen und kam heim“, woraufhin Jesus den Jüngern das Unkraut-Gleichnis deutet. Jülicher 1910, I 42.118. Vgl. Banschbach Eggen 2006, 35.54f. Mk 4,12: „damit sie sich nicht etwa bekehren und ihnen vergeben werde“; Mt 13,12: „denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat“. Einzig Lk 8,9f. verzichtet auf eine Gerichtsankündi‐ gung und verweist stattdessen auf ein kognitives Defizit der Außenstehenden (V.10b).

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1 Einführung

Wirkung der Gleichnisse und des sonstigen Wirkens Jesu vollzieht sich der endzeitliche Gerichtsprozess gewissermaßen in erster Instanz. Die zweite Instanz, das Weltgericht nach der Parusie Christi, macht das Urteil der ersten Instanz offenbar.7 – Allerdings ist ein Gleichnis kein performatives Sprachereignis, das die basileía Gottes allein durch den Erzählvorgang Wirklichkeit werden ließe. Erzählvorgang und Realisierung sind streng zu unterscheiden. Die Realisierung des Endgerichts oder der Gottesherrschaft gehört allenfalls zu den Wirkungen der Gleichnisse (→ 2.2.3d; 2.2.4; 2.5.4).

These 7: Nicht nur die Gleichnisse sind ‚Urgestein‘ der Jesusüber‐ lieferung!

Seit Jülicher gelten Gleichnisse als ‚Urgestein‘ der Jesusüberlieferung. Das suggeriert, man hätte mittels der Gleichnisse einen direkten und zuverläs‐ sigen Zugang zum historischen Jesus. Gleichnisforschung war dementspre‐ chend lange Zeit eine Funktion der Jesusforschung.8 Dagegen ist zu halten, dass die Gleichnisse genau wie andere Jesusstoffe bis zur Verschriftlichung erheblichen Transformationen ausgesetzt waren (Rekontextualisierung, Al‐ legorisierung, redaktionelle Angleichungen). Logien, Wundererzählungen, Passionsbericht etc. sind nicht mehr und nicht minder ‚Urgestein‘ der Jesus‐ überlieferung. – Außerdem ist die Rekonstruktion der Gleichnisse in ihrer mündlichen Urgestalt (ipsissima vox Jesu) exegetisch und hermeneutisch fragwürdig. Das Postulat eines Gleichnis-Idealtyps im Sinne Jülichers und das dabei leitende Jesusbild sind hypothetisch und subjektiv eingefärbt. Der Ansatz des vorliegenden Entwurfs lautet daher: Die schriftlich fixierten Gleichnisse sind hermeneutisch authentische Modelle der Aktualisierung der Gleichnisbotschaft Jesu. In Konsequenz werden die Gleichnisse redak‐ tionskritisch, das heißt als Teil eines antiken Kommunikationsgeschehens zwischen dem Evangelisten und seiner Zielgruppe, betrachtet (→ 2.1.1; 2.2.2; 2.2.6b; 2.5.5b).

7 8

So schon Jeremias 1984: Die Gleichnisse als Punkt der eschatologischen krísis. – Ausführlich dazu Erlemann 2008. Erlemann 1999b.

1.3 Einführende Thesen

These 8: Ohne den Prozess der Allegorisierung wären die Gleich‐ nisse unverständlich!

Der Vorgang der Allegorisierung, das heißt der nachträglichen Anreiche‐ rung eines Textes mit (zusätzlichen, veränderten) Transfersignalen, ist positiv zu werten. Er führt zur Aktualisierung des Gleichnistextes in einer veränderten hermeneutischen Situation und ermöglicht es, den ursprüngli‐ chen, möglicherweise unverständlich gewordenen Text späteren Adressaten zugänglich zu machen.9 Allegorisierung geschieht etwa durch Einfügung von Extravaganzen und zeitgeschichtlichen Anspielungen. Das Motiv der Zerstörung der Stadt im Hochzeitsgleichnis Mt 22,1-14 (V.7) ist eine Anspielung auf die Zerstörung Jerusalems (70 n.Chr). Die Vertauschung der Ereignisfolge im Winzergleichnis (Mk 12: erst Tötung, dann Hinauswurf aus dem Weinberg; umgekehrt Mt 21par. Lk 20) spiegelt den historischen Vorgang der Tötung Jesu außerhalb der Stadt wider (→ 2.2.5b; 2.5.5b).

These 9: Alle Gleichnisse sind Allegorien!

Das gilt erst einmal etymologisch (gr. állo légein – etwas anderes sagen, als man meint). Gleichnisse denken ‚um die Ecke‘ bzw. vermitteln ihre Botschaft ‚durch die Blume‘. Die antike Rhetorik nennt das ‚uneigentliche‘ Rede.10 Als Allegorien im wörtlichen Sinne sind Gleichnisse rätselhaft und auf Deutung hin angelegt. Das zeigen schon die synoptische Parabeltheorie Mk 4,10-13parr. und die erste, gleichsam programmatische Deutung eines Gleichnisses im Markusevangelium, Mk 4,14-20 (vgl. Mt 13,36-43!). – Von der etymologischen Bedeutung von Allegorie ist Allegorie als Gattungsbegriff zu unterscheiden (→ 1.4.3; 2.2.5b; 2.5.2a).

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In Umkehrung der Jülicherschen Theorie des Missverständnisses und der Verfälschung der ursprünglich klaren Gleichnisse Jesu durch die Evangelisten (→ 2.1.1; 2.2.5b). Zu dieser missverständlichen Nomenklatur vgl. → 1.5.12 und 2.2.3.

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1 Einführung

These 10: Gleichnis und Allegorie unterscheiden sich in ihrer Zwecksetzung!

Transfersignale weisen auf einen externen Referenzrahmen (Deutungs‐ ebene) des Erzählten hin und machen das Gleichnis somit als Gleichnis kenntlich. Zu unterscheiden sind Signale, die den Textsinn klären, ihn lediglich andeuten oder ihn sogar verschleiern (→ 1.5.9). Die These lautet: Das Verhältnis zwischen Gleichnis und Allegorie entspricht dem Mischungsver‐ hältnis von klärenden, andeutenden und verschleiernden Textsignalen. Für den werbend-missionarischen Charakter von Gleichnissen ist ein ausgewo‐ gener Mix aller Textsignal-Sorten Voraussetzung. Der Unterschied zwischen Gleichnis und Allegorie ist, so gesehen, textpragmatischer, nicht formkriti‐ scher Art. Die Allegorie ist als Extremfall gleichnishafter Rede anzusehen, in dem verschleiernde Transfersignale (kühne Metaphern, Chiffren, Surrea‐ listik) dominieren, klärende und andeutende dagegen weitgehend fehlen. Das verleiht den Texten einen hermetischen Charakter; Allegorien sind hermetische Gleichnisse. Biblische Allegorien finden sich bevorzugt in sub‐ versiv-apokalyptischer Literatur (Daniel, Johannesoffenbarung). Sie sind nur für Insider verständlich, die den (im Text nicht genannten) Verste‐ henscode kennen und damit die Geheimsprache der Allegorie dechiffrieren können. Die Dechiffrierung (Allegorese) geschieht im Reißverschluss-Ver‐ fahren (→ 2.1.3g; 2.5.5d).

These 11: Das Auslegungsverfahren der Allegorese ist kein Tabu!

Der Blick auf die synoptische Parabeltheorie und die programmatischen Gleichnisdeutungen in Mk 4parr. zeigte noch ein Weiteres: Allegorese als Auslegungsverfahren ist nicht per se tabu! Die Evangelisten führen exakt das vor, was in historisch-kritischer Exegese seit Jülicher verpönt ist: Allegorese als legitimes Auslegungsverfahren. Dabei werden die einzelnen Bildelemente des Gleichnisses, selbst rein dekorative wie Weg, Fels und Dornen, vorbehaltlos ausgedeutet. Allegorese gibt es auch in anderen neutestamentlichen Texten, vgl. Gal 4,21-31.

1.3 Einführende Thesen

Für den historisch-kritischen Zugang folgt daraus die Forderung nach einer Enttabuisierung des Allegorese-Verfahrens für solche Texte, die mangels klärender Transfersignale wie Einleitung oder Anwendung einen herme‐ tischen Zug aufweisen. Hierzu gehört etwa das Sämann-Gleichnis Mk 4,3-9parr. Erst recht ist Allegorese bei Allegorien in intravisionären Texten angebracht (→ 2.5.2a; zur Allegorese → 2.2.5b). Bei vielen anderen Gleich‐ nissen sind allerdings nach wie vor Pointenermittlung und die Decodierung der Metaphorik leitend (→ 2.5.5d; 3.1 – 3.4).11

These 12: Es lassen sich Gleichnistypen unterscheiden – aller‐ dings nicht formkritisch, sondern textpragmatisch!

Eine formkritische Unterscheidung von Gleichnistypen, wie sie die ältere Gleichnisforschung versucht hatte, ist heute nicht mehr konsensfähig – zu viele Mischformen sind erkennbar; zu willkürlich, nicht abgedeckt durch die antike Formenlehre, erscheinen die Unterscheidungskriterien. Dem pro‐ grammatischen Verdikt Ruben Zimmermanns „Parabeln – sonst nichts!“12 hält der vorliegende Entwurf eine textpragmatisch begründete Einteilung der Gleichnisstoffe entgegen. Die These lautet, dass bestimmte Fragestel‐ lungen und Themen mithilfe passender Bildfelder und Erzählstrategien bearbeitet und gelöst werden. Insgesamt vier textpragmatische Modelle und damit vier Gleichnistypen lassen sich voneinander unterscheiden: Natur-, Weisheits-, Alltags- und Identitätsgleichnisse. Die Unterscheidung hat eine heuristische Funktion, das heißt, sie dient lediglich der Orientierung bei der Erschließung vergleichender Texte (→ 2.5.7).

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Auch Banschbach Eggen (2006) votiert unter Hinweis auf den Unterschied zwischen Allegorese bei den Synoptikern und den Kirchenvätern für eine prinzipielle Enttabui‐ sierung der Allegorese. Zimmermann 2008d.

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1 Einführung

These 13: Die Rede von der ‚Sache‘ ist unsachgemäß und daher aufzugeben!

Seit Jülicher gilt Gottes basileía als Passepartout zur Deutung der Gleich‐ nisse. Abgesehen davon, dass Gottes Reich bzw. Herrschaft längst nicht bei allen Gleichnissen als Bezugspunkt genannt wird, ist das, worum es im Gleichnis eigentlich geht, erheblich komplexer, als es der Begriff ‚Sache‘ einzufangen vermag: Die Deutungsebene beinhaltet ein komplexes Bündel religiöser Erfahrungen und theologischer Erkenntnisse vom Gottes‐ bild über die Christologie und die Ekklesiologie bis hin zur Ethik und Eschatologie. Kurz: Die Gleichnisse Jesu unterziehen alle Themenbereiche theologischen Nachdenkens einer Revision; nichts ist mehr so, wie es sich vorher dargestellt hat. Die Welt, die Zeit, der Alltag usw. erhalten durch die Ansage der Nähe Gottes und seiner heilvollen Wirklichkeit etwas Vorläufiges, Relatives und neu zu Durchdenkendes. Der nahe Gott wirbelt alles durcheinander – das Denken, das Fühlen, das Handeln – und stellt menschliche Wertmaßstäbe in Frage. Angesichts der ungeheuren Dynamik und des provokativen Potenzials der Gleichnisbotschaft erscheint der Begriff ‚Sache‘ unsachgemäß. Besser ist von einem theologischen Bezugsrahmen zu sprechen, innerhalb dessen viele theologische Aspekte angesprochen werden (→ 1.5.10; 2.5.6).

These 14: Gleichnisse führen zurück zu den basics eines gelin‐ genden Lebens

Gleichnisse eröffnen vom Standpunkt der Nähe Gottes aus einen neuen Blick auf den Alltag. Vieles, was bislang unmöglich schien, erscheint auf einmal möglich. Vieles, was gesellschaftliche Akzeptanz besaß, erscheint dagegen deplatziert. Entlarvt werden faule Kompromisse, Klischees, frag‐ würdige Verhaltensmuster und unheilvolle Moral. Prioritäten und Werte‐ skalen werden auf den Kopf gestellt. Die gemeinsame Fluchtlinie all dieser Irritationen lautet: Gott ist nah; er kommt, um die Menschen zu einem Leben

1.3 Einführende Thesen

in Fülle zu befreien. Alles, was dies behindert, hat keinen Raum mehr! Der Alltag ist damit bedeutunglos geworden (→ 2.5.7).

These 15: Jülicher hat vieles richtig gesehen!

Adolf Jülicher wurde in den letzten hundert Jahren von unterschiedlichen Seiten der Gleichnistheorie kritisiert und demontiert. Es stellt sich bei näherem Hinsehen jedoch heraus, dass viele seiner Erkenntnisse in die richtige Richtung gingen: 1. Jülichers Überzeugung vom rhetorischen Zweck der Gleichnisse hat in den letzten Jahrzehnten wieder viel Zustimmung erfahren (vgl. These 4). 2. Schon Jülicher erkannte die poetische Seite der Gleichnisse, auch wenn er sie nicht gleichnistheoretisch fruchtbar machte (vgl. These 4).13 3. Der Vorgang der Allegorisierung lässt sich exegetisch nachvollziehen, auch wenn er heute anders bewertet wird (vgl. These 8). 4. Allegorie und Gleichnis stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander, auch wenn dies heute anders bestimmt wird (vgl. Thesen 9 und 10). 5. Das Verständnis der Allegorie als einer verschleiernden Redeweise und Jülichers anti-allegorischer Affekt sind im Kern richtig. Bei einigen Gleichnistexten ist freilich Allegorese geboten und durch Mk 4parr. auch legitimiert (vgl. These 11). 6. Die Einteilung in Gleichnistypen ist nach wie vor ein Desiderat (vgl. These 12). 7. Die Annahme einer ‚Sache‘ der Gleichnisse wird auch heute weithin vertreten, auch wenn der Begriff nicht mehr sachgemäß scheint (vgl. These 13). 8. Die antike Rhetorik ist und bleibt für die Theoriebildung ein Fixpunkt. 9. Am Kontextbezug der Gleichnisse wird noch immer mehrheitlich festge‐ halten. 10. Auch an der Bedeutung der Pointe (bei Jülicher: tertium comparationis) für die Gleichnisauslegung wird festgehalten. Manche Überzeugungen sind freilich überholt: die Bewertung von Metapher und Allegorie, der Erzählform, des ‚Idealtyps‘, der Allegorisierung, der eso‐ 13

Jülicher 1910, I 157.

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1 Einführung

terischen Tendenz, rabbinischer Vergleichstexte oder der Gleichnis-‘Sache‘. Die Entwicklungen sind veränderten Fragestellungen und neueren metho‐ dischen Zugängen geschuldet; sie schmälern aber das Vermächtnis Jülichers in keiner Weise (→ 2.1.4). 1.4 Vergleichende Textformen14 Rund um die Gleichnisforschung sind einige Fachbegriffe vorab zu klären. Mehr als hundert Jahre verzweigter Forschungsgeschichte über verschie‐ dene Fachdisziplinen hinweg führten zu uneinheitlichen Begriffsdefiniti‐ onen, so etwa die vergleichenden Textformen selbst und Jülichers formkri‐ tisch motivierte Bestimmung von Gleichnistypen.15 Andere Begriffe, wie Bildhälfte, Sachhälfte, ‚Sache‘, Sachebene, Bildwort und Gleichnisdiskurs, sind kritisch zu prüfen (→ 1.5; 2.1.3). 1.4.1 Parabel / Gleichnis / Parömie

Der Begriff Parabel (gr. parabolḗ) ist vom griechischen Verb parabállein abgeleitet, was daneben stellen, vergleichen meint. Verglichen werden in der Parabel zwei ursprünglich unabhängige Größen oder Wirklichkeitsbereiche, die durch bestimmte Merkmale vergleichbar erscheinen (z. B. menschliche Alltagswirklichkeit und Wirklichkeit Gottes in den Reich-Gottes-Gleich‐ nissen). Parabel ist im Neuen Testament der gängigste Terminus für bildhaft-ver‐ gleichende, fiktionale Rede. Sie kann morphologisch äußerst unterschiedlich ausfallen; die Palette reicht von klassischen Gleichnissen über Rätselworte und Weisheitssprüche bis hin zu Vergleich und Denkspruch. So betrachtet, ist parabolḗ ein umfassender, dem biblischen Sprachgebrauch adäquater Sammelbegriff. Ihm entspricht im Deutschen der Sammelbegriff Gleichnis, wie er auch in diesem Buch Verwendung findet. Von Jülicher werden die Begriffe Parabel und Gleichnis nicht als Sammelbezeichnung verwendet; er differenziert vielmehr zwischen Gleichnis, Parabel und anderen Gleichnis‐ typen (→ 2.1.3; 2.5.1).

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Vgl. zum Folgenden Erlemann 2014a, 29-51, sowie ders. 2017, 35-44. Die Jülicherschen Gleichnistypen werden unter → 2.1.3 vorgestellt.

1.4 Vergleichende Textformen

Definition: Parabel / Gleichnis ist ein Sammelbegriff für bildhaft-ver‐ gleichende, fiktionale Texte aller Art (Rätselwort, Sprichwort, Vergleich, Gleichnis u. a.).16

Parömie (gr. paroimía) ist das johanneische Pendant zu parabolḗ und be‐ deutet Rätselrede, Sprichwort (Joh 10,6; 16,25.29). Der Begriff impliziert die Deutungsbedürftigkeit der Rede. Der Gegenbegriff lautet parrhesía (offener, mutiger ‚Klartext‘, Joh 16,29). In diesem Band gelten die Parömien nicht als eigenständige Textform; sie werden den Identitätsgleichnissen zugeordnet (→ 2.1.3e; 2.5.7).

Definition: Parömie ist der johanneische Ausdruck für Gleichnis. Der Begriff charakterisiert die gleichnishafte Rede Jesu als deutungsbedürf‐ tige Rätselrede.

1.4.2 Fabel / Mythos / Deklamation

Mit dem Gleichnis teilt die Fabel Kürze, Fiktionalität, Anschaulichkeit, analogischen Charakter, erzählerische Geschlossenheit und das Lernziel der Plausibilisierung umstrittener Inhalte.17 Der grundlegende Unterschied ist die fehlende Realistik insbesondere der Tierfabel, was sie in die Nähe anderer surrealer Textsorten, wie Traum und Allegorie, rückt (→ 2.5.7c). Jülicher definiert die Fabel als die Redefigur, in welcher die Wirkung eines Satzes (Gedankens) gesichert werden soll durch Nebenstellung einer auf anderm Gebiet ablaufenden, ihrer Wirkung gewissen erdichteten Geschichte, deren Gedankengerippe dem jenes Satzes

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Zur Gleichnisdefinition dieses Buches vgl. → 2.5.9. Zum Folgenden Erlemann 2017, 87 f.. – Zur Einführung vgl. Doderer 1970; Dithmar 1988, 213 f. Aristoteles ordnet die Fabel der Rhetorik zu (Arist Rhet II 20). Fabeln sind auf Überredung der Adressaten ausgelegt (Berger 2005, 108 f.). – Für Lessing sind die Parabeln eine Unterform der Fabeln; beiden sei die didaktische Funktion gemeinsam (vgl. Nickel-Bacon 2014, 69 ff.).

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1 Einführung

ähnlich ist. [Das heißt für ihn:] Die Mehrzahl der parabolaí Jesu, die erzählende Form tragen, sind Fabeln wie die des Stesichoros und des Aesop.18

Während Gleichnisse eine religiöse Dimension haben, fehlt diese bei den Fabeln.

Definition: Eine Fabel ist eine fiktionale, bildhaft-vergleichende, bis‐ weilen surreale Kurzgeschichte, die eine allgemeine, oft moralische Lebensweisheit vermittelt.

Ebenfalls im Bereich des Surrealen bewegt sich der Mythos.19 Der Duden definiert den Mythos als Sage und Dichtung von Göttern, Helden und Geistern [der Urzeit] eines Volkes [bzw. eine] legendär gewordene Gestalt od. Begebenheit, der man große Vereh‐ rung entgegenbringt.20

Surreal wirken Mythen, da sie etwa Naturmächte personifizieren und Götter in Menschengestalt wunderbare Dinge tun lassen. Seit der Neuzeit werden auch biblische Wundergeschichten als Mythen gedeutet. – Mythen teilen mit Gleichnissen Fiktionalität, erzählerische Geschlossenheit und das Lernziel, eine bestimmte Wirklichkeitssicht plausibel zu machen. In dieser Wirklichkeitssicht spielen Götter eine gewichtige Rolle. Gleichwohl fallen Mythen, wie auch die Fabeln, wegen ihrer Surrealistik und anderer Merkmale aus der weiteren Betrachtung heraus.

Definition: Ein Mythos zeigt mittels einer vorgeschichtlichen, legen‐ denhaften Erzählung über Götter und Menschen den Ursprung der geltenden Weltordnung auf.

18 19 20

Jülicher 1910, I 98. Ausdrücklich bezieht sich Jülicher hier nicht auf Tierfabeln, sondern auf solche, die Konflikte zwischen Menschen thematisieren. Zum Folgenden Erlemann 2016, 4 f., und Hübner (1994). DUDEN Fremdwörterbuch, 3. Auflage 1974.

1.4 Vergleichende Textformen

Die Deklamation ist die formkritisch und textpragmatisch nächste Ana‐ logie narrativ ausgestalteter (Alltags-)Gleichnisse.21 Declamationes (lat.) sind antike, fiktionale Fallbeispiele für angehende Anwälte und sollen deren Argumentations- und Urteilsfähigkeit verbessern. Die Deklamation ist Teil eines Plädoyers vor Gericht und läuft auf einen im Sinne des Autors gelenkten, paradigmatischen Rechtsentscheid hinaus.22 Damit die Strategie gelingt, werden rhetorische Stilmittel zur Hörerlenkung eingesetzt, die denen narrativ ausgestalteter Gleichnisse ähneln. Hierzu gehören die Plau‐ sibilität des Geschilderten, perspektivische Darstellung zur Schaffung von Sympathie, suggestive Fragen, Emotionalität usw.23 Für die Nähe zu Dekla‐ mationen sprechen auch die juristischen Bildfelder in vielen Gleichnissen. – Paradigmatische Rechtsentscheide sind schon im Alten Testament eine beliebte Form, ein göttliches Rechtsurteil plausibel zu machen (vgl. 2 Sam 12; Jes 5,1-7). Deklamationen sind demnach nicht zwingend Prätexte für die neutestamentlichen Gleichnisse, sie unterstreichen aber deren rhetorischen Kontext.

Definition: Eine Deklamation ist ein fiktional-vergleichendes Fallbei‐ spiel, das Rhetoren und Anwälten hilft, ihre Argumentationsfähigkeit, etwa für Plädoyers, zu steigern. Der textpragmatische Zuschnitt ist dem von Gleichnissen ähnlich.

1.4.3 Allegorie

Laut den römischen Rhetoren Cicero (106-43 v. Chr.) und Quintilian (35-100 n. Chr.) ist die Allegorie eine fortgeführte Metapher, die auf der Ähnlichkeit zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was gemeint ist, aufbaut.24 Dieses Verständnis wurde von Jülicher aufgegriffen.25 Die Definition von Allegorie wurde im Verlauf der Gleichnisforschung revidiert. Der Jülichersche Gegen‐ satz von Gleichnis und Allegorie als ‚eigentlicher‘ bzw. ‚uneigentlicher‘ 21 22 23 24 25

Berger 1984b, 1121 ff.; Vgl. Erlemann 2017,88f.; ders. 1999, 164f. Zu dieser Kategorie vgl. Berger 2005, 107f. Vgl. Quintilian, Inst. Orat. II 10,1ff.; Berger 1984b, 1121ff. Quintilian, Inst. Orat. VIII 6, 44-58. Laut Cicero, Orat. 27,94, besteht die Allegorie aus einer Reihe von zu übersetzenden Metaphern (continuae translationes). Zum Jülicherschen Verständnis → 2.1.1; 2.1.3g.

29

30

1 Einführung

Rede wird heutzutage, unter Hinweis auf viele Mischformen sowie aufgrund der Neubestimmung der Metapher und einer präzisierten Begrifflichkeit, weithin abgelehnt (→ 2.2.1; 2.2.5). Im vorliegenden Entwurf bezeichnet Allegorie erstens ein literarisches und nicht-literarisches Stilmittel. Allegorische Stilelemente begegnen in allen möglichen Textsorten, z.B in Romanliteratur und Lyrik, selbst in der Malerei oder in der Musik, sofern das eigentlich Gemeinte jenseits des wörtlichen Sinns bzw. des optischen oder akustischen Ersteindrucks zu suchen ist. – Zweitens gilt Allegorie nach wie vor als literarischer Gattungs‐ begriff. Charakteristisch sind die Dominanz verschleiernder Transfersignale (→ 1.5.9), erzählerische Surrealistik und Inkonzinnität. Allegorien sind nicht werbend-missionarisch, sondern subversiv-hermetisch ausgerichtet;26 das ist der einzige Gegensatz zu den Gleichnissen (→ 2.5.2a).

Definition: Die Allegorie ist ein literarisches oder nicht-literarisches Artefakt, das etwas anderes sagt, als es meint. Charakteristisch ist die systematische Verhüllung des Gemeinten durch Codierung und Chiffrierung. Allegorien sind tendenziell subversiv-hermetisch angelegt und richten sich exklusiv an eingeweihte Insider-Kreise.

1.4.4 Rhetorische Stilformen

Neben narrativ ausgestalteten Gleichnissen werden eine Reihe verglei‐ chender, rhetorischer Stilformen, die den Umfang eines Satzes in der Regel nicht überschreiten, vorgestellt. Zu erkennen sind diese figurativen Stilele‐ mente anhand des Ko- bzw. Kontextes, der ein wörtliches Verständnis nahelegt oder verhindert.27

26 27

Dithmar 1970, 13. Eggs 2015, 250-252; – Zum Folgenden vgl. Erlemann 2014a, 40-51. – Zu den Stilformen gehören die Tropen als „Formen der uneigentlichen, indirekten Rede“ (Zymner 2015, 10; weiter → 1.5.12).

1.4 Vergleichende Textformen

a) Vergleich 1. Semantik

Literaturwissenschaftlich betrachtet, ist ein Vergleich eine „[s]prachliche, meist syntaktisch explizite Verknüpfung zweier mindest in einem Punkt ähnlicher Vorstellungen aus getrennten Sphären“, die durch eine Vergleichs‐ partikel (‚wie‘, ‚als‘, ‚denn‘) bzw. durch Verben des Scheinens und Gleichens miteinander in Verbindung gebracht werden.28 Die Relation wie – so ist für Vergleiche typisch; sie kann aber auch fehlen. Ein Vergleich verbindet demnach zwei Wirklichkeitsbereiche und benennt dabei ausdrücklich den Vergleichspunkt zwischen beiden Bereichen. Beispiele: Paul ist schlau wie ein Fuchs (Vergleichspunkt: schlau), Maria ist fleißig wie eine Biene (Vergleichspunkt: fleißig). Biblische Beispiele: Mt 13,43 (‚Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne‘), Mt 24,27 (‚Denn wie der Blitz ausgeht vom Osten und leuchtet bis zum Westen, so wird auch das Kommen des Menschensohns sein‘) und Jak 2,26 (‚Denn wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot‘). Voraussetzung für die Plausibilität des Vergleichs ist, dass Füchse sprich‐ wörtlich schlau und Bienen fleißig sind bzw. dass diese Attribute sowohl vom Autor als auch den Adressaten des Vergleichs zuerkannt werden. – Ein Vergleich kann auch in Form einer Aufforderung stehen. In diesem Falle liegt eine vergleichende Mahnung vor. Beispiel: Mt 10,16 (‚Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben‘). Die sprichwörtliche Klugheit der Schlangen und die Ehrlichkeit der Tauben sind die Grundlage des Vergleichs und seiner Wirkung.

28

Knapp 2003, 755f.

31

32

1 Einführung

2. Intendierte Wirkung

Der Vergleich macht zum einen den Charakter bestimmter Personen wie Paul und Maria anschaulich (illustrierende Funktion), zum anderen verän‐ dert er die Sicht auf die beiden Wirklichkeitsbereiche: Sie haben mehr miteinander zu tun, als man denkt; wer Paul sieht, assoziiert zukünftig einen (schlauen) Fuchs, wer Maria sieht, assoziiert zukünftig eine (fleißige) Biene, wer Christinnen und Christen sieht, darf besondere Klugheit und Ehrlichkeit, wie man sie sprichwörtlich im Tierreich vorfindet, erwarten (poietische Funktion). Ob die intendierte Wirkung erreicht wird, hängt an der unmittelbaren Evidenz des Vergleichs – weniger im Sinne rationaler Beweisbarkeit (Bienen sind ‚fleißig‘, Schlangen sind ‚klug‘!), sondern im Sinne spontaner, affektiver Zustimmung. Das heißt, Vergleiche zielen nicht nur auf den Verstand, sondern auch auf das Herz. 3. Funktion

Die emotive Komponente macht vergleichende Sprache zu einem beliebten Argumentationsmittel. Biblische Vergleiche und andere bildhafte Textsorten finden sich daher regelmäßig im Kontext längerer Argumentation und unterstützen diese. Beispiel: Der Vergleich Mt 10,16 motiviert Jesu Anweisungen für die Missionsarbeit (Mt 10,5-26) und zielt auf Emotionen (Angst, Sicherheits‐ bedürfnis). 4. Abgrenzung

Der Vergleich benennt ausdrücklich den Vergleichspunkt und muss daher nicht gedeutet werden – er ist eindeutig. Das ist der Unterschied zur Metapher. Im Unterschied zum ausgeführten Gleichnis überschreitet der Vergleich die Satzgrenze nicht und entwickelt auch keine Dramaturgie. Anders als beim Exemplum werden keine konkreten Größen aus der Natur oder der Historie zitiert.

Definition: Ein Vergleich verknüpft zwei unterschiedliche Wirklichkeits‐ bereiche im Hinblick auf einen klar definierten, einleuchtenden Vergleichs‐ punkt, um etwas Unanschauliches bildhaft anschaulich zu machen.

1.4 Vergleichende Textformen

b) Metapher

Die Metapher ist eine „herausragende Form der nicht-wörtlichen und übertragenen Rede.“29 Sie unterscheidet sich vom Vergleich durch ihren Deutungsbedarf. Dieser kommt dadurch zustande, dass der Vergleichs‐ punkt verschwiegen wird. So bleibt offen, worauf die Aussage ‚Paul ist (wie) ein Fuchs‘, ‚Maria ist (wie) eine Biene‘ oder ‚Achill ist (k)ein Löwe‘ hinausläuft.30 Die Metapher ist nicht eindeutig; daher bleibt es der Interpretation der Hörer- bzw. Leserschaft überlassen, den oder die Vergleichspunkte zu entdecken. 1. Etymologie und Funktion

Der Begriff Metapher bedeutet etymologisch eine Übertragung (gr. meta‐ phorá) bestimmter Merkmale eines Wirklichkeitsbereiches auf einen an‐ deren.31 Literaturwissenschaftlich gesprochen, werden bei der Metapher Bedeutungsanteile von einem Bildspender auf einen Bildempfänger über‐ tragen.32 Beispiel: Bei der Metapher ‚Achill ist ein Löwe‘ ist die Tierwelt der Bildspender und die Menschenwelt der Bildempfänger. Die beiden ursprünglich unabhängigen Wirklichkeitsbereiche werden durch die Metapher (wie durch den Vergleich) zusammengebracht und in ihrer punktuellen Vergleichbarkeit bzw. Unvergleichbarkeit transparent. Hierdurch wird eine neue Sicht auf beide Bereiche ermöglicht: Es werden neue Sinnbezüge geschaffen, Erfahrungen gebündelt, die Alltagswirklich‐ keit neu gedeutet und Emotionen wachgerufen (po[i]etische Funktion). Damit leisten Metaphern einen wichtigen Beitrag zur Erschließung von Wirklichkeit: Neues, Unbekanntes wird durch Analogieschluss mit Be‐ 29 30

31

32

Eggs (2015), 243. Im Unterschied zur weit verbreiteten, schon bei Jülicher beobachtbaren Annahme, Vergleich und Metapher unterschieden sich durch den Gebrauch bzw. Nichtgebrauch einer Vergleichspartikel, sehe ich hierin nicht den entscheidenden Unterschied. Anders urteilt z. B. Asmuth 2006, 260. Mit Zymner 2007a, 494. – Vgl. Aristoteles, Poet. 21, 1457b: „Die Metapher ist das Hinüber-Tragen (epiphorá) eines fremden Wortes entweder von der Gattung [G] zur Art [A] oder von der Art zur Gattung oder von der Art zur Art oder gemäß der Analogie.“ (zitiert bei Eggs 2015, 257). Weinrich 1976b; Richards 1967.

33

34

1 Einführung

kanntem greifbar oder in seiner Differenz verstehbar. Diese Entdeckung führte in den 1960er Jahren zu einer Neubewertung der Metapher (→ 2.2.3b). Die Entdeckung der po(i)etischen Funktion der Metapher ergänzt die frühere Ansicht, Metaphern dienten lediglich der Illustration eines unanschaulichen Sachverhalts oder Geschehens. Wäre dem so, wäre die Metapher durch klares Benennen des Vergleichspunkts übersetzbar und ersetzbar: Beispiel: ‚Achill ist ein Löwe‘ wäre dann etwa durch die Auskunft ‚Achill ist sehr stark‘ zu ersetzen – die ‚uneigentliche‘ Rede (Achill ist ja kein Löwe!) durch eine ‚eigentliche‘ Rede (Achill ist sehr stark).33 Die po(i)etische Funktion und die grundsätzliche Mehrdeutigkeit (Polyva‐ lenz, bleibender Sinnüberschuss) lassen die Metapher indes unersetzbar erscheinen. Metaphern zielen, gerade weil sie unübersetzbar sind, auf die Erfahrung, sie wollen in der Praxis des Lebens angewendet werden.34

Metaphorische Mahnreden wie Lk 10,2 (‚bittet den Herrn der Ernte‘) oder Mt 8,22 (‚lasst die Toten ihre Toten begraben‘) bestätigen die Aussage von Hans Weder. 2. Semantik und Morphologie

Die Metapher ist eine semantische, keine lexikalische Sprachform; sie ist nicht ein einzelnes Wort, sondern ein Begriff, der in Spannung zu einem anderen Begriff innerhalb eines Satzes steht.35 Die Spannung lässt sich auch als Konterdetermination (→ 1.5.7) zwischen Begriff und Kontext begreifen. Durch diese Spannung eröffnet sich „in unserem Sprachbewußtsein ein Bildfeld als virtuelles Gebilde“36, das gewisse Deutungsspielräume vorgibt.

33 34 35 36

Die Bezeichnung ‚eigentliche‘ und ‚uneigentliche‘ Rede ist für Jülichers Metaphernver‐ ständnis zentral (→ 2.1). – Zur Kritik des Gegensatzpaares → 1.5.12. Weder 1978, 72. Vgl. Black 1962; Abraham 1998; Weinrich 1976a, 319 – gegen die ältere Einschätzung der Metapher als lexikalisches Phänomen, das als ‚uneigentliche Rede‘ durch den eigentlich passenden Begriff zu ersetzen sei. Weinrich 1976a, 326.

1.4 Vergleichende Textformen

Metaphern sind äußerst pluriform. Über die gemeinsame, als Satzphä‐ nomen und Konterdetermination gekennzeichnete Gemeinsamkeit gibt es für die Formulierung von Metaphern nahezu keine semantischen Grenzen. Beispiele: ‚Achill ist (k)ein Löwe‘ ist als Aussagesatz ebenso metapho‐ risch wie die Komposita Luftschiff, Drahtesel, Redefluss, Elbflorenz oder die Alltagsmetapher Wasserhahn. Metaphern können auch in Genitivverbindungen stehen (vgl. ‚Mauer des Schweigens‘, ‚am Ende der Schlange‘, ‚Himmel voller Geigen‘ oder biblisch ‚Frucht der Buße‘ [Mt 3,8]). – In metaphorischer Spannung können in einem Satz auch Substantiv und Attribut (vgl. ‚wässrige Herbstluft‘, ‚bleierne Schwüle‘), Substantiv und Prädikat (vgl. ‚der Himmel weint‘, ‚die Sonne lacht‘ oder biblisch ‚wir rühmen uns der Bedrängnisse‘ [Röm 5,3]) oder Subjekt und Prädikativum (vgl. johanneische Ich-bin-Worte) stehen.37 Poetische Neubildungen wie ‚Seelenlandschaft‘, ‚blaues Klavier‘38 oder ‚der Himmel fließt in steinernen Kanälen‘39 erweitern das Spektrum enorm. Metaphorische Mahnreden nutzen das Potenzial der Metaphern, um Aufforderungen emotional zu intensivieren (biblische Beispiele: Mt 8,22; Lk 10,2). 3. Lexikalisierung und Wirkung

Aus ursprünglich kühnen Metaphern werden mit der Zeit usuelle, geprägte, konventionalisierte bzw. lexikalisierte Metaphern.40 Eine neu in die Sprache eingeführte Metapher und damit eine neu entdeckte Analogie zwischen zwei Wirklichkeitsbereichen wirkt fremd, überraschend, aufrüttelnd, kühn und sorgt für einen deutlichen Zugewinn an Wirklichkeitserfahrung. Ein Beispiel ist die paulinische Redeweise ‚ich rühme mich der Trübsale‘ und Ähnliches (Röm 5,3; 2 Kor 11,30; Gal 6,14; vgl. Jak 1,10). Dass sich jemand negativ konnotierter Sachzusammenhänge ‚rühmt‘, erscheint

37 38 39 40

Die Formgeschichte spricht hier von metaphorischen Personalprädikationen, vgl. Berger 2005, 94 f. – Zu den Ich-bin-Worten → 2.5.7d. Lasker-Schüler 1996. Loerke 2010, I 1-3. Ricœur 1974; Black 1983, 390.

35

36

1 Einführung

fremd, verdeutlicht aber den sachlogischen Zusammenhang zwischen Evangelium und Kreuzestheologie. Neben der Bibel produziert insbesondere die Lyrik immer wieder kühne Metaphern. Auch hier ist die Unersetzbarkeit metaphorischer Redeweise offenkundig. Bei häufiger, langfristiger Verwendung verlieren Metaphern freilich das Moment von Überraschung und Fremdheit und werden Teil des normalen Sprachgebrauchs. Der metaphorische Charakter wird nicht mehr bewusst wahrgenommen. Beispiele: Sohn Gottes, Luftschiff, Glühbirne, Zebrastreifen, Drahtesel. 4. Bedeutungsspielraum und Polyvalenz

Metaphern sind grundsätzlich bedeutungsoffen und polyvalent. Das be‐ deutet, sie können ihre Bedeutung je nach Kontext und Hörer- bzw. Leser‐ schaft wechseln. Beispiel: Die biblische Metapher ‚Weinberg‘ verweist nicht immer auf das Volk Israel (so expressis verbis im Weinberglied Jes 5,1-7). ‚Weinberg‘ meint in Mt 20,1-16 eher die Welt insgesamt, in Mk 12,1-12 ein besonderes Erwählungsprivileg. Selbst in ein und demselben Text kann ‚Weinberg‘ Unterschiedliches bedeuten; in Mt 20,1-16 lässt sich in ihm, je nach Deu‐ tungsrahmen, die Welt, die Gemeinde oder Israel als Missionsgebiet früher Christen sehen. – Ein weiteres Beispiel findet sich unter → 3.3.1. Für wen der Hausherr, König oder Sämann in neutestamentlichen Gleich‐ nissen steht, ist längst nicht eindeutig.41 Die vom Autor intendierte Bedeu‐ tung der Metapher ergibt sich in der Regel durch den Ko- oder Kontext. Hinzu kommen der Verstehens- und Erwartungshorizont der Hörer- bzw. Leserschaft. Mit veränderten Verstehensbedingungen und Leserschaften ändert sich oft die Bedeutung. Metaphern haben im Unterschied zu Verglei‐

41

Der ‚Sämann‘ in Mk 4,3-9 ist polyvalent zu verstehen – wer auch immer mit der ‚Aussaat‘ beschäftigt ist: Gott, Jesus, frühchristliche Missionare etc.

1.4 Vergleichende Textformen

chen einen bleibenden Sinnüberschuss, der sie für die Rezeption reizvoll (aber auch schwierig) macht (→ 3.3). 5. Zur Sprachkraft der Metapher

Die Frage der Sprachkraft der Metapher wird kontrovers diskutiert. Können Metaphern lediglich eine neue Sicht auf die (ansonsten unveränderte) Wirk‐ lichkeit vermitteln42 oder auch Wirklichkeit konstituieren?43 Hintergrund der Debatte ist die dogmatisch-theologische Frage nach der Qualität die Gleichnisrede Jesu: Ist sie lediglich ein Augenöffner, ein Appell an die Herzen oder ist sie Offenbarungsrede im Sinne eines Sprachereignisses, in dem Gottes Reich nicht nur zur Sprache kommt, sondern zugleich Wirklichkeit wird (→ 1.5.11; 2.2.3a; 2.5.4d)? 6. Abgrenzung

Wie der Vergleich kennt die Metapher keine Dramaturgie, erzählende Ele‐ mente fehlen. Der Unterschied zum Vergleich liegt nicht in der fehlenden Vergleichskopula, sondern darin, dass das tertium comparationis unterdrückt wird.44 Im Gegensatz zum Gleichnis weist die metaphorische Mahnrede einen direkten Hörerbezug (Verwendung der 2. und 3. Person) auf; Elemente einer narratio mit ausgeprägter Dramaturgie fehlen. Im Unterschied zur Chiffre wird der Bildempfänger genannt.

Definition: Die Metapher verknüpft bildhaft zwei unterschiedliche Wirklichkeitsbereiche miteinander und ermöglicht so die Erschließung von Unbekanntem durch Bekanntes. Da der Vergleichspunkt unter‐ drückt wird, ist die Metapher deutungsbedürftig und polyvalent und hat dadurch einen bleibenden Sinnüberschuss.

c) Gnome, Sentenz, Sprichwort

Die drei Begriffe bezeichnen kurze, allgemeiner Weisheit entstammende Lebensregeln. In kurzer, prägnanter und autoritativ erscheinender Formu‐ 42 43 44

Sellin 1978, Aurelio 1977. Crossan 1973, Jüngel 1974. Gegen Jülicher 1910, I 52.

37

38

1 Einführung

lierung bringen sie Lebensweisheit auf den Punkt. Eine Gnome muss, anders als Sentenz und Sprichwort, kein vollständiger Satz sein. Die Übergänge zwischen den Formen sind freilich fließend; eine eine exakte Abgrenzung der Begriffe ist nicht möglich. Beispiele für Gnome: ‚Der Starke ist am mächtigsten allein‘ (aus Schillers Wilhem Tell); ‚alles in Maßen‘ bzw. ‚von nichts zu viel‘ (gr. mēdén ágan, Solon von Athen). – Beispiele für Sentenzen: ‚Die Ersten werden die Letzten und die Letzten die Ersten sein‘ (Mt 19,30; 20,16 u. a.); ‚viele sind berufen, wenige aber auserwählt‘ (Mt 22,14); ‚wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden‘ (Lk 14,11). – Beispiele für Sprichwörter: ‚Lügen haben kurze Beine‘; ‚pünktlich wie ein Maurer‘; ‚Hochmut kommt vor dem Fall‘ (Prov 16,18).

Definition: Gnome, Sentenz und Sprichwort bieten Lebensweisheit in prägnanter, konzentrierter Form und bringen so komplexe Zusammen‐ hänge auf den Punkt.

d) Exemplum und exemplarische Mahnung

Etymologisch bedeutet exemplum etwas, das aus einer Menge herausge‐ griffen ist, ein ‚Muster‘ (von lat. eximere). Dieses Muster steht exemplarisch für ein bestimmtes Genus.45 Das Exemplum ist ein kurzer Text, der ein treffendes Beispiel aus Natur oder Geschichte für das, was gemeint ist, bietet.46 Die dahinter stehende story wird nur angedeutet. Der römische Rhetoriker Quintilian definiert das Exemplum als die „Erwähnung eines zur Überzeugung von dem, worauf es dir ankommt, nützlichen, wirklichen oder angeblich wirklichen Vorgangs“.47 Der im Exemplum geschilderte Vorgang, das beschriebene Verhalten seiner Akteure, ist im positiven oder negativen Sinne vorbildlich, an ihm sollen die Rezipienten lernen.

45 46 47

Dicke 1997, 534f. A.a.O., 534. Quintilian, Inst. Orat. V 11,6.

1.4 Vergleichende Textformen

Beispiele: Davids Zugriff auf die heiligen Schaubrote in Mk 2,25f.; das Exemplum legitimiert das Ährenraufen am Sabbat. – Hebr 11 bietet eine ganze Reihe an Exempla für den geforderten Glauben. Deutlich wird in beiden Fällen die argumentative Funktion der Textform. Semantisch gemeinsam ist den Exempla, dass sie weder szenische Glie‐ derung noch erzählerische Geschlossenheit aufweisen. Manche Exempla sind imperativisch formuliert und heißen dann exemplarische Mahnrede.48 Worin das Vorbildliche oder Abschreckende im Exemplum besteht, wird ausdrücklich genannt. Beispiele für exemplarische Mahnrede: Mt 5,39f. (Wange und Meile), Mk 9,41 (Becher Wasser), Lk 12,58f. (Versöhnungsbereitschaft).

Definition: Das Exemplum bietet einen Präzedenzfall aus Natur oder Geschichte, der eine Argumentation beispielhaft, kurz und anschaulich unterstützt.

e) Metonymie

Bei der Metonymie (lat. denominatio) wird ein Ausdruck durch einen anderen ersetzt. Die analogische Verbindung zwischen den Begriffen ist qualitativer Art.49 Das entspricht der etymologischen Wortbedeutung: Der gr. Begriff metonomázein bedeutet umbenennen, einen Namen vertauschen.50 Beide Begriffe gehören – im Unterschied zu Vergleich und Metapher – zum gleichen Wirklichkeitsbereich.51

48 49 50 51

Berger 2005, 87. Peil 2008, 469. Zymner 2007b, 497. Birus 2000, 588.

39

40

1 Einführung

Beispiele: Ein ‚Waterloo‘ steht nicht nur für die napoleonische, sondern für jegliche vernichtende Niederlage. – ‚Der Gang nach Canossa‘ steht nicht nur für den Bußgang Kaiser Heinrichs IV. im 11. Jahrhundert nach Rom, sondern für jeglichen Bußgang. – Ein ‚Hoover‘ steht im Englischen für jeden Typ Staubsauger. In der Metonymie wird der ursprüngliche Kontext des Begriffs (Waterloo, Canossa, Hoover) verlassen und auf einen anderen Kontext übertragen.52 Zum Verständnis der Metonymie ist die Kenntnis des ursprünglichen Kon‐ texts hilfreich, aber nicht in jedem Falle zwingend notwendig. Begriffe wie Waterloo und Canossa sind lexikalisiert, ihre Bedeutung ist Teil des allgemeinen Wortschatzes.

Definition: Eine Metonymie ersetzt ein Abstraktum durch ein typi‐ sches, anschauliches Beispiel aus demselben Bereich, das sprichwörtlich für das Gemeinte steht.

f) Synekdoche

Etymologisch geht es bei der synekdochḗ (gr.) um ein Mitverstehen: Ich höre einen Begriff und assoziiere das Ganze.53 Die Synekdoche funktioniert nach dem Prinzip pars pro toto (ein Teil steht für das Ganze). Das Ganze wird aus dem Teil erkannt, das Besondere aus dem Allgemeinen.54 Wie bei anderen vergleichenden Tropen wird der fragliche Begriff nicht wörtlich, sondern übertragen verwendet.

52 53 54

Die konventionelle Inhalt-Ausdruck-Formen-Zuordnung wird überschritten (so Birus, ebd.). Ebd. – Zymner 2007c, 747, verweist auf die Subsumption als leitendes Kriterium der Synekdoche. Sellin 1978, 95.

1.4 Vergleichende Textformen

Beispiele: Der Ausdruck ‚ein kluger Kopf‘ verweist auf den ganzen, klugen Menschen, ‚vier Pfoten‘ auf Katze oder Hund, ‚die eigenen vier Wände‘ bzw. ‚das Dach über dem Kopf‘ auf das ganze Haus. Im Unterschied zu Vergleich und Metapher gehören beide Begriffe nach dem relationalen Verhältnis von Teil und Ganzem dem gleichen Wirklichkeits‐ bereich an; das verbindet die Synekdoche mit der Metonymie.55

Definition: In der Synekdoche repräsentiert ein Einzelteil das gemeinte Ganze.

g) Chiffre

Das Wort Chiffre leitet sich vom arabischen Begriff sifr (leer; Zahlzeichen ohne absoluten Wert‘) ab.56 In der Lyrik ist die Chiffre ein „demonstrativ rätselhafte[s] Sprach- und Stilmittel eines weitgehend esoterischen, meist lyrischen Code-Gebrauchs“.57 Durch Verdichtung und Verkürzung „mit Hilfe mehrdeutiger, unvollständiger sowie unzusammenhängend erscheinender Worte und Sätze“58 erscheint die Chiffre rätselhaft. Ohne Deutungsschlüssel bleibt die Chiffre unverständlich. Vergleichend ist die Chiffre, weil sie auf „ungegenständliche, sprachlich nicht faßbare Sujets, auf komplexe Sprachund Lebenserfahrungen“ verweist.59 Im Gegensatz zur Metapher verschweigt die Chiffre den Bildempfänger. Biblische Chiffren finden sich in apokalyptischen Texten. In ihnen werden bekannte historische Größen (Personen, Institutionen, Entwicklungen) co‐ diert gedeutet. Wer der Bildempfänger ist, weiß lediglich der eingeweihte Adressatenkreis. Semantisch können Chiffren aus lexikalisierten Metaphern hervorgehen. Andere Chiffren sind metaphorisch nicht vorgeprägt. Sie

55 56 57 58 59

Zymner 2007c, 747. Lorenz 1997, 299. Ebd. – Sproll 2007, 121, sieht in der Chiffre ein hermetisches Element, ein poetologisches Verfahren, das „mit der Geste des Deutungsentzugs“ einhergeht. Ebd. Lorenz 1997, 301.

41

42

1 Einführung

resultieren aus gematrischen Zahlenspielen oder aus apokalyptischen Peri‐ odisierungsschemata. Gleichnisse arbeiten aufgrund ihrer missionarischen Grundtendenz nicht mit Chiffren. Außersprachliche Chiffren heißen Symbole (s. u.). Beispiele: Lexikalisiert: ‚Das Tier‘ als Chiffre für Satan, Apk 13 u. a.; ‚das Lamm‘ als christologische Chiffre, Apk 5,12; 19,9 u. a. – Nicht vorgeprägt: ‚Hure Babylon‘ als Chiffre für Rom, Apk 14,8; 17,5. – Zahlenspiele: ‚666‘ als Chriffre für Kaiser Nero, Apk 13,18. – Periodisisierung: ‚3½ Zeiten‘ als Chiffre für die letzte satanische Bedrängnisperiode, Dan 7,15; Apk 11 u. a.

Definition: Die Chiffre ist eine abgekürzte Metapher, die ihren Bild‐ empfänger verschweigt und dadurch einen subversiv-hermetischen Charakter erhält. Nur Kenner des Codes (Eingeweihte, Insider) können das Gemeinte dechiffrieren.

h) Symbol

Nach der Definition von Gerhard Sellin ist das Symbol ein einzelnes Subjekt, das auch nichtsprachlicher Art sein kann (ein Gegenstand, eine Geste oder ein Name), das neben seiner Materialität bzw. seiner wörtlichen Bedeutung eine weitere (höhere bzw. tiefere) Bedeutung transportiert. Das symbolische Subjekt hat also einen Mehrwert an Bedeutung.60

Etymologisch (gr. sýmbolon, lat. symbolum) bedeutet Symbol Merkmal, Kenn‐ zeichen bzw. Wahrzeichen.61 Ein Symbol repräsentiert und bündelt durch ein konkretes Element oder Zeichen einen allgemeinen Sachverhalt bzw. einen abstrakten Bedeutungs- oder Problemzusammenhang.62 Zwischen dem besonderen Sachverhalt […] und dessen allgemeinen Sinn [besteht] ein unmit‐ telbar einleuchtendes, ontologisch begründetes Verhältnis partieller Identität.63 60 61 62 63

Sellin 1997, 96. Müller Farguell 2003, 551. A.a.O., 550. Hellgardt 2006, 387, unter Verweis auf J.W. von Goethe.

1.4 Vergleichende Textformen

Das Symbol bündelt einen Mythos; nur wer diesen kennt, versteht die Bedeutung des Symbols.64 Der Bereich des Religiösen lebt von Symbolen. Symbole können polyvalent sein und bedürfen daher der Deutung.65 Beispiele: Das Kreuz repräsentiert den christlichen Glauben, der Halb‐ mond den Islam, die Taufe die Bekehrung, der Dreizack den Meeresgott Poseidon, die Nationalhymne den Staat, die Taube das Ende der Sintflut oder die Taufe Jesu.

Definition: Ein Symbol ist ein meist außersprachliches Zeichen, das einen komplexen, abstrakten Bedeutungszusammenhang repräsentiert und bündelt.

i) Fazit und tabellarische Übersicht

Die Bandbreite bildhafter, narrativ nicht ausgestalteter Sprachformen ist groß. Den Tropen ist die semantische Spannung zwischen fraglichem Begriff und Kontext, anders gesagt: die übertragene Verwendung eines Begriffs und der Verweischarakter auf eine andere Bedeutungsebene, gemeinsam. Tropen verdeutlichen den kontextuellen Zusammenhang und führen die Analogie zwischen zwei Wirklichkeitsbereichen vor Augen (Vergleich, Me‐ tapher). Die intendierte Wirkung besteht darin, vergleichsweise unanschau‐ liche, abstrakte bzw. transzendente Themen und Vorgänge anschaulich werden zu lassen und darüber hinaus die Wirklichkeit neu zu deuten. Tabellarisch gestalten sich die Merkmale folgendermaßen:66

64 65 66

Sellin, 1997, 97. A.a.O., 386. – Müller Farguell 2003, 550, spricht von ‚poetischer Ambiguität‘ und verweist darauf, dass sich Symbole dank ihres semantischen Eigenwertes nicht ersetzen lassen. Leicht modifiziert aus Erlemann 1999, 74.

43

44

1 Einführung

Form

Kontextbezug

Semantik

Funktion

Vergleich

Analogie; Prädika‐ Nennung des ter‐ tion tium. - 1., 2., 3. Person möglich

Metapher

Analogie; Span‐ nung zwischen zwei Elementen/ Prädikationen

Intensivierung des Unterdrückung des tertium. – 1., 2., Gesagten; prag‐ 3. Person möglich matische und af‐ fektive Ausrich‐ tung; Überzeugung

Metaphorische Mahnrede

Analogie; Span‐ nung zwischen zwei Elementen/ Prädikation

Unterdrückung des tertium. – Im‐ perativ. – 2. oder 3. Person möglich

Stimulierung der Emotionalität; symbuleutische Ausrichtung

Metaphorische Personalprädi‐ kation

Analogie; Span‐ nung zwischen zwei Elementen/ Prädikation

Unterdrückung des tertium. – 1. oder 2. Person möglich

Hervorhebung der einzigartigen Be‐ deutung des Sub‐ jekts

Gnome, Sentenz, Exemplifizierung Sprichwort eines Tun-Ergehen-Zu‐ sammenhangs, eines geforderten Tuns, einer Le‐ bensweisheit

kurz, prägnant, autoritativ. – Gnome auch als unvollständiger Satz; sehr einpräg‐ same Formulie‐ rungen

Verallgemeine‐ rung von Lebens‐ weisheit; Hand‐ lungsorientierung

Exemplum

Analogie zum ge‐ forderten/begrün‐ deten Verhalten

verbal-/hand‐ lungsorientiert. z.T. Hyperbolik

positives/nega‐ tives Vorbild (sym‐ buleutisch); Apo‐ logetik (dikanisch)

Metonymie

Mythos und All‐ tagserfahrung (Mythisierung) (Repräsentanz?)

Nominal- oder Verbalverbindung; Einzelbegriff oder Satzganzes

Assoziation histo‐ rischer oder my‐ thischer Zusam‐ menhänge

Synekdoche

Pars pro toto; Span‐ nung zwischen zwei Elementen/ Analogie

Metapher. – 1., 2., oder 3. Person möglich. – Nomi‐ nalstil

Hervorhebung eines bestimmten Wesensmerkmals

Intensivierung des Gesagten; prag‐ matische und af‐ fektive Ausrich‐ tung; Überzeugung

1.5 Gleichnisspezifische Termini

45

Form

Kontextbezug

Semantik

Chiffre

Analogie, Prädika‐ Metapher o. ä. tion ohne Nennung des Bildempfängers (verkürzte M.)

Codierung von Texten im Sinne einer exklusiven Sondersprache

Symbol

Repräsentation des Subjekts/ Teil-Ganzes

Vergegenwärti‐ gung eines My‐ thos

Sprachlich oder nicht-sprachlich

Funktion

1.5 Gleichnisspezifische Termini Der Abschnitt klärt zentrale Fachtermini wie Ausgangs-, Erzähl- und Deu‐ tungsebene, Bildspender und -empfänger, Vergleichspunkt, Pointe, Fiktio‐ nalität, Appellstruktur, Konterdetermination, Extravaganz, Transfersignal, theologischer Bezugsrahmen, Sprachereignis sowie ‚eigentliche‘ vs. ‚unei‐ gentliche‘ Rede. 1.5.1 Ausgangs-, Übergangs- und Erzählebene

Gleichnisse heben sich aus dem Kontext durch einen Wechsel der Semantik heraus. Der Kotext ist sachgemäß Ausgangsebene (auch: Basisebene) zu nennen. In den Evangelien entwickelt sich auf ihr der Plot der Jesuser‐ zählung, der durch das Gleichnis unterbrochen wird. Die Ausgangsebene wechselt zu einer Bild- besser: Erzählebene mit eigener (bildhafter) Semantik bzw. mit eigenem metaphorischen Bildfeld (Vater – zwei Söhne; Sämann – Acker; Hausherr – Bedienstete etc.). Zwischen den Ebenen vermittelt häufig eine Übergangsebene, die auf die Erzählebene hin- und zur Ausgangsebene zurückführt. Sie kann am Anfang des Textes aus dem Hinweis bestehen, dass nun ein Gleichnis folgt, oder aus einer Frage der Art: „Womit sollen wir das Himmelreich vergleichen?“ Am Ende des Textes steht zuweilen eine Anwendung (‚gehe hin und tue desgleichen!‘ o. ä.), ein Weckruf (‚wer Ohren hat zu hören, der höre!‘) oder eine Schluss-Sentenz (‚viele sind berufen, wenige aber auserwählt‘ o. ä.). Der Übergangsebene kommt eine wichtige Funktion im Hinblick auf das Verständnis des Gleichnisses zu. Sie liefert entweder den Verständniscode oder lenkt die Auslegung in eine vom Autor intendierte Richtung.

46

1 Einführung

Definition: Ausgangsebene bezeichnet den literarischen Kotext eines vergleichenden Textes. Bild- bzw. Erzählebene meint die semantisch abgehobene Ebene der Metapher / des Gleichnisses. Die Übergangsebene vermittelt zwischen beiden.

1.5.2 Bild- bzw. Erzählebene und Deutungsebene

Vergleichende Texte beinhalten neben dem wörtlichen Sinn einen dahinter liegenden, tieferen, theologischen Sinn. Was eigentlich gemeint ist, wird durch eine fiktionale Erzählung, eine Metapher oder eine allegorische Rät‐ selrede ausgesagt. Die vordergründige Erzählebene mit ihrer bildhaft-meta‐ phorischen Semantik verweist auf die hier so genannte Deutungsebene. Diese gilt es im Verlauf der Auslegung zu bestimmen.67 – Bei Gleichnissen, die zu einer dynamischen Erzählung ausgestaltet sind, ist der Begriff Erzählebene adäquat. Der Ausdruck Bildebene bleibt narrativ nicht ausgestalteten Texten vorbehalten.

Definition: Die Bild- bzw. Erzählebene enthält die Metapher bzw. das Gleichnis. Die Deutungsebene ist die zu bestimmende, dahinter liegende Sinnebene.

1.5.3 Bildspender und Bildempfänger

Vergleichende Texte verbinden ursprünglich unabhängige Wirklichkeitsbe‐ reiche miteinander. Hinter vergleichender Redeweise steht die Entdeckung einer oder mehrerer Analogien zwischen den Bereichen. Vergleichende Texte machen einen fremden, unanschaulichen Wirklichkeitsbereich (z. B. ‚Reich Gottes‘) in seinen Eigenheiten und Wirkweisen anschaulich und plausibel. Hierfür greifen sie auf einen bekannten, anschaulichen, in seinen Eigenheiten und Wirkweisen unstrittigen Wirklichkeitsbereich (z. B. den 67

Die ältere Gleichnisforschung spricht abweichend von Bild- und Sachhälfte. Diese Nomen‐ klatur wird heute nicht mehr verwendet, da sie irreführend ist – Bild/Erzählung und theologischer Bezugsrahmen sind keine zwei Hälften, allein schon quantitativ nicht.

1.5 Gleichnisspezifische Termini

bäuerlich geprägten Alltag) als Bildspender zurück, um ihn auf die Deutungs‐ ebene als Bildempfänger zu übertragen. Beispiel: In der Metapher ‚Achill ist ein Löwe‘ ist die Tierwelt der Bildspender und der mythische Held der Bildempfänger. Durch diesen Prozess werden die beiden Wirklichkeitsbereiche füreinander transparent; die Wahrnehmung beider Bereiche ändert bzw. erweitert sich (→ 1.4.4b).

Definition: Der Bildspender spendet das Anschauungsmaterial, anhand dessen das, was zu vergleichen ist (der Bildempfänger), anschaulich gemacht wird.

1.5.4 Tertium bzw. tertia comparationis

Der Vergleichspunkt zwischen Bildspender und Bildempfänger heißt lat. tertium comparationis (wörtlich: das Dritte des Vergleichs). Es steht als drittes, verbindendes Element, als Analogon, zwischen den beiden Ebenen. Beispiel: Beim Vergleich ‚seid klug wie die Schlangen‘ (Mt 10,16) ist die Tierwelt der Bildspender, die Jünger sind die Bildempfänger und ‚klug‘ ist das tertium zwischen beiden. Jülicher postulierte für Gleichnistexte lediglich einen einzigen Vergleichs‐ punkt; die neuere Gleichnisforschung rechnet grundsätzlich mit mehreren Vergleichspunkten, was dem Sinnüberschuss metaphorischer Sprache ent‐ spricht.

Definition: Der Vergleichspunkt, lat. tertium comparationis, ist der Aspekt, der zwei unterschiedliche Wirklichkeitsbereiche vergleichbar erscheinen lässt.

47

48

1 Einführung

1.5.5 Pointe

Der Zielgedanke, auf den die vergleichende Erzählung hinausläuft, heißt in der Gleichnistheorie Pointe. War ihre Ermittlung in Jülichers Methodik gleichbedeutend mit der Ermittlung des Vergleichspunkts zwischen Bild und ‚Sache‘, unterscheidet man heute zwischen beiden Vorgängen. Der Ermitt‐ lung der Pointe kommt in der Exegese eine überragende Bedeutung zu, da sie die Kerngedanken bündelt und die Gefahr von Allegorese (→ 2.2.5b), die sich gerne an Nebenzügen der Erzählung orientiert, eindämmt. Die Pointe bringt den Kern- bzw. Zielgedanken des Gleichnisses in einem einzigen Satz auf den Punkt. Dieser Satz ist ein neuer, nicht-vergleichender Text, der das Gleichnis nicht ersetzen kann, da er die Dynamik und den Sinnüberschuss der narratio nicht einfängt.68 Zu unterscheiden ist, entsprechend der Unterscheidung zwischen Erzählund Deutungsebene, zwischen der erzählintern und der textübergreifend, theologisch formulierten Pointe. Bei der Auslegung ist die Pointe zunächst erzählintern und erst nach der Klärung der Metaphorik theologisch zu formulieren (→ 3.1; 3.3).

Definition: Die Pointe ist der Kern- bzw. Zielgedanke eines verglei‐ chenden Textes, der im Zuge der Deutung zu formulieren ist – entweder in der Semantik der Erzählebene (erzählintern) oder der Deutungsebene (theologisch). Die Pointe ist ein nicht-vergleichender Text, der das Gleichnis bündelt, es aber nicht ersetzt.

1.5.6 Fiktionalität und Appellstruktur

Gleichnisse sind fiktionale Kurzerzählungen, das heißt erfundene Kurzge‐ schichten, die das, worum es geht, plausibel machen sollen. Der Weg über die Fiktionalität erleichtert es, sich als Hörer auf die Argumentation des Textes einzulassen.

68

Im Gegensatz dazu verstand Jülicher unter Pointe bzw. unter tertium comparationis eine religiöse Idee oder ‚Satzwahrheit‘, die, wenn sie gefunden ist, das Gleichnis überflüssig mache (Substitutionstheorie; Jülicher 1910, I 71.105.107 u. ö.).

1.5 Gleichnisspezifische Termini

Rezipienten lassen sich zugleich ‚nur‘ spielerisch und ‚in gewisser Weise‘ ernst‐ haft auf fiktionale Texte ein.69

Frank Zipfel beschreibt fiktionales Erzählen als kulturell institutionalisierte Praxis, über deren Regeln es zwischen Autor und Adressaten Einvernehmen gibt: Der Autor produziert einen Erzähltext mit nicht-wirklicher Geschichte, die von einem Erzähler dargestellt wird, und der Autor tut dies mit der Intention, dass der Rezipient diesen Text mit der Haltung des make-believe aufnimmt bzw. in der Haltung des fiktiven Adressaten, und der Rezipient erkennt diese Absicht des Autors und lässt sich aus diesem Grunde darauf ein, den Erzähl-Text unter den Bedingungen eines make-believe-Spiels zu lesen.70

Fiktionalität ist demnach kein Täuschungsversuch, sondern eine konsensu‐ elle Form des Erzählens. Ihr Sinn und Zweck besteht darin, ein bestimmtes Argument gleichsam spielerisch zu plausibilisieren. Der damit verknüpfte ‚metaphorische Prozess‘ verläuft spielerisch, da die Fiktionalität den Rezi‐ pienten einen pragmatischen Freiraum lässt.71 Konstitutiv ist der Bezug auf bestimmte Aspekte der Wirklichkeit (eine philosophische, moralische oder politische Position), die durch die Erzählung neu gesehen werden sollen.72 Realistik, selbst wenn sie sich als Pseudo-Realistik entpuppt, ist für das Gelingen der fiktionalen narratio entscheidend.73 Gleichnisse sind ein prominentes Beispiel für diese rhetorische Strategie. Die Fiktionalität der gleichnishaften narratio zielt über die Information auf Gefühle und praktisches Handeln. Gleichnisse sind appellativ auf aktives Hören und Handeln angelegt (Mk 4,3.9: ‚Wer Ohren hat zu hören, der höre!‘; Lk 10,37: ‚Geh hin und tu desgleichen!‘).74 Gleichnisse (auch Metaphern) fordern zu einer fälligen Entscheidung oder zu einer Kurskorrektur auf. Mo‐ tivierend wirken die Ansage der Zuwendung Gottes und seiner Herrschaft sowie die Entlarvung der Alltagswirklichkeit mit ihren Wertmaßstäben als zu überwindendes Provisorium.

69 70 71 72 73 74

Zipfel 2015, 97. A.a.O., 98 (kursiv im Original). Ebd.; Iser 1979, 249. Zipfel 2015, 99. A.a.O., 105. Iser 1979; Zymner 1991, 60-62; Zimmermann 2007c, 27 (‚appellativ‘ bzw. ‚deutungs‐ aktiv‘).

49

50

1 Einführung

Definition: Fiktionalität ist das rhetorische Mittel einer erfundenen, in sich schlüssigen narratio, mit deren Hilfe ein bestimmtes Argumen‐ tationsziel, etwa die Plausibilisierung einer neuen Wirklichkeitssicht, spielerisch erreicht werden soll.

1.5.7 Konterdetermination

Der Begriff bedeutet wörtlich Gegen-Bestimmtheit. Gemeint ist die Beobach‐ tung, dass Gleichnisse bis auf wenige Ausnahmen das, worum es eigentlich geht, auf der Erzählebene verschweigen. Bei Metaphern und Vergleichen werden einzelne Begriffe gegen ihren erwartbaren, ‚normalen‘ Gebrauch in einen neuen, ihnen eigentlich fremden Kontext gestellt. Das sorgt für Irritation und Überraschung (metaphorischer Prozess → 2.2.3c). Die Kon‐ terdetermination wird in Gleichnissen, anders als in Allegorien, durch Transfersignale durchbrochen, die das Erzählte für die Deutungsebene transparent machen (→ 1.5.9).

Definition: Konterdetermination meint die rhetorische Technik, das, worum es im Erzählten eigentlich geht, zu verschweigen, um nicht vom Erzählten abzulenken.

1.5.8 Extravaganz

Extravaganzen sind Erzählzüge, welche die Realistik des Erzählten und damit den Erwartungshorizont der Rezipienten durchbrechen. Welche Er‐ zählzüge für die ursprünglichen Rezipienten extravagant erschienen, ist durch Klärung der so genannten Realien und des sozialgeschichtlichen Hintergrunds zu recherchieren.75 Als Transfersignale weisen Extravaganzen darauf hin, dass das Erzählte nicht wörtlich zu verstehen ist. Sie sind Hinweisschilder auf die Punkte, wo der Vergleich ‚hinkt‘; so gleicht Gott eben doch nicht zu hundert Prozent einem irdischen König, sondern unter‐ scheidet sich in markanten Punkten von ihm. 75

Dazu Erlemann/Wagner 2013, 35-41.

1.5 Gleichnisspezifische Termini

Damit ist eine Eigenart der Gleichnisse angedeutet, die sie für die Rede von Gott geradezu prädestiniert: Sie bringen Gott nicht nur nah, indem sie ihn mit irdischen Rollenträgern vergleichbar erscheinen lassen, sondern bringen zugleich das bleibende Anderssein Gottes zum Ausdruck. Das legitimiert vergleichende Rede von Gott, trotz des alttestamentlichen Bil‐ derverbots.

Definition: Extravagant sind Erzählzüge, die den Rahmen des rea‐ listisch Erwartbaren sprengen, für Aha-Effekte sorgen, den verglei‐ chenden Charakter des Textes markieren und auf Differenzen zwischen Erzähl- und Deutungsebene hinweisen.

1.5.9 Transfersignale

Transfersignale (auch: Verweiselemente) sind alle Erzählzüge, die darauf aufmerksam machen, dass sich die Bedeutung des Erzählten nicht auf der se‐ mantischen, wörtlichen Ebene erschöpft, sondern einen dahinter liegenden, theologischen Bezugsrahmen umfasst, der durch das Erzählte illustriert und plausibel gemacht werden soll. Damit durchbrechen sie die Konterdetermi‐ nation der Erzählebene und provozieren Deutung. Transfersignale können die Deutungsebene klären (Übergangsebene, Schluss-Sentenz, Anwendung, geprägte Bildfelder), sie lediglich andeuten (Extravaganzen, geprägte, aber deutungsoffene Metaphern und Bildfelder, zeitgeschichtliche Anspielungen) oder sie sogar verschleiern (kühne Metaphern, Chiffren, surreale Züge). Weiter dazu → 2.5.1c.

Definition: Alle Erzählzüge, die bei den Textrezipienten einen ‚me‐ taphorischen Prozess‘ auslösen, anders gesagt: nach einer externen Deutungsebene fragen lassen, nennt man Transfersignale. Sie können das eigentlich Gemeinte klären, andeuten oder verschleiern. Ein guter Mix aus allem ist für Gleichnisse konstitutiv.

51

52

1 Einführung

1.5.10 Theologischer Bezugsrahmen (‚Sache‘)

Bild und ‚Sache‘ sind in der älteren Gleichnisforschung die beiden ‚Hälften‘ bzw. Ebenen eines Gleichnisses. Das Gleichnisbild veranschaulicht demzu‐ folge eine bestimmte, dem menschlichen Erfahrungshorizont grundsätzlich entzogene, theologische ‚Sache‘. Dieser Begriff ist irreführend und wird hier konsequent vermieden. Er suggeriert eine klar umrissene Bezugsgröße der Gleichnisse. Diese wurde und wird in der Regel mit der Gottesherrschaft (basileía tou theoú bzw. basileía tṓn ouranṓn) identifiziert. Problematisch ist daran zum einen, dass ‚Reich Gottes‘ selbst eine Metapher, wenn auch eine usuelle Metapher, ist: Sie bringt die Wirklichkeit Gottes mit der Wirklichkeit eines weltlichen Königreichs zusammen. Daher ist es so eine Sache mit dem Reich Gottes als ‚Sache‘. ‚Reich Gottes‘ wird überhaupt nur in einigen Gleichnistexten als explizite Rahmenmetapher verwendet.76 Zum anderen ist ‚Reich Gottes‘ nur zum Teil ausdrücklich die Bezugs‐ größe; viele Texte nennen ihre Bezugsgröße nicht ausdrücklich, sprechen auch nicht von einem basileús als kýrios-Figur und verweisen stattdessen auf andere Bezugsgrößen, wie etwa die Freude im Himmel (Gleichnistrilogie Lk 15). Dementsprechend vermuten einige Forscher die ‚Sache‘ im situativen oder literarischen Kontext der Gleichnisse.77 Andere sehen in den Gleich‐ nissen überhaupt keine ‚Sache‘, sondern die Inszenierung einer von Jesus gestifteten, neuen Existenzform: der Liebe.78 Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die so genannte ‚Sache‘, besser: der theologische Bezugsrahmen als aspektreiches Bündel (vor-)religiöser Erfahrungen und theologischer Erkenntnisse.79 Diese haben alle etwas mit der im Gleichnis angezeigten Wirklichkeit Gottes zu tun. Die Alltagswirk‐ lichkeit erscheint, unter dem Vorzeichen der Wirklichkeit Gottes, in einem neuem Licht. Das, worum es geht, ist ein dynamisches Wechselverhältnis zwischen der göttlichen und der menschlichen Wirklichkeit (vgl. → 2.5.6).

76 77

78 79

Erlemann 2017, 25f.167. Erlemann 1999, 40, ausweislich Sellin 1978, 299: Laut Sellin ist die ‚Sache‘ der Gleich‐ nisse „eine bestimmte Struktur der Situation, in die die Bildhälfte hineinwirkt und so erst eine neue Erkenntnis, die die Situation verändert, bewirkt.“ – Vgl. auch Sellin 1978, 313-315. Erlemann 1999, 100 f., ausweislich Via 1970; Linnemann 1978; Harnisch 1985. Erlemann 2017, 46; ders. 2014, 27.

1.5 Gleichnisspezifische Termini

Definition: Das eigentlich Gemeinte eines vergleichenden Textes ist innerhalb eines theologischen Bezugsrahmens zu verorten und umfasst ein aspektreich-komplexes Bündel (vor-)religiöser Erfahrungen und theologischer Erkenntnisse.

1.5.11 Sprachgeschehen bzw. Sprachereignis

Die Rede vom Gleichnis als Sprachereignis (auch: Sprachgeschehen) geht auf die Zeit der ‚metaphorischen Wende‘ ab Mitte des 20. Jahrhunderts zurück, in welcher der po(i)etische Charakter der Metapher neu entdeckt wurde (→ 2.2.3). Als ‚erweiterte Metapher‘ (→ 2.2.3c) wurde dem Gleichnis die Sprachkraft zuerkannt, die Wirklichkeit Gottes nicht nur zu illustrieren, sondern sie sogar zu realisieren. Auf den Punkt bringt diese Auffassung Eberhard Jüngel: Die basileia [Gottesherrschaft] kommt im Gleichnis als Gleichnis zur Sprache. Die Gleichnisse Jesu bringen die Gottesherrschaft als Gleichnis zur Sprache.80

Eine andere Wirklichkeit der basileía als im sprachlichen Vollzug, indem das Gleichnis ausgesprochen wird und es in den Rezipienten wirkt, gibt es nach dieser Auffassung nicht. Das Erzählen von Gleichnissen ist gleichsam ein performativer Akt, der das, wovon er redet, Realität werden lässt.81 Diese besondere Sprachkraft des Gleichnisses macht es zu einer Offenbarungsrede sui generis. – Es ist zu diskutieren, ob Gleichnisse tatsächlich himmlische Fakten schaffen können und es diese jenseits davon gar nicht gibt (→ 2.2.3d; 2.4.3; 2.4.5; 2.5.3b; 2.5.4d).

Definition: Der Begriff Sprachereignis / Sprachgeschehen zielt auf Sprache als performativen Akt ab, der etwas Wirklichkeit werden lässt, indem er es ausspricht.

80 81

Jüngel 1986, 135. Vergleichbar ist der performative Ausspruch ‚Deine Sünden sind dir vergeben‘ oder, auf dem Standesamt: ‚Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau‘.

53

54

1 Einführung

1.5.12 ‚Eigentliche‘ vs. ‚uneigentliche‘ Rede

Dieses Gegensatzpaar begegnet häufig in der Gleichnisforschung. Jülicher greift damit eine Kategorie der antiken Rhetorik auf, die ihm hilft, Gleichnis/ Vergleich mit Allegorie/Metapher zu kontrastieren.82 Die Rhetorik diffe‐ renziert zwischen einer Redeweise im Sinne von unmissverständlichem ‚Klartext‘, der Deutung weder braucht noch zulässt (‚eigentliche‘ Rede), und einer Redeweise, die nicht sagt, was sie meint, und deutungsbedürftig ist (‚uneigentliche‘ Rede). Die qualitative Bewertung der Redeweisen hängt am Sprachbegriff: Wird Sprache primär als Informationsmedium verstanden, wird ‚eigentliche‘ Rede höher bewertet (rhetorische Optik). Wird Sprache je‐ doch primär als Form (po[i]etischer) Wirklichkeitserschließung verstanden, wird ‚uneigentliche‘ Rede hochgeschätzt (poetische Optik). Die ‚metapho‐ rische Wende‘ (→ 2.2.3) war in dieser Hinsicht ein Paradigmenwechsel. Die Metapher gilt seither als Grundbaustein sprachlicher Erschließung von Welt; das lässt die pejorative Bezeichnung ‚uneigentlich‘ deplatziert erscheinen. Dennoch bestimmt das Gegensatzpaar bis heute die Diskussion um vergleichende Texte sowie die Unterscheidung von Vergleich und Metapher.83 Dementsprechend wird der semantische Unterschied zwischen Vergleich und Metapher vielerorts noch heute an der Vergleichspartikel wie festgemacht. Der vorliegende Entwurf unterscheidet stattdessen zwischen ausgesprochenem (Vergleich: kein Deutungsbedarf) und nicht ausgespro‐ chenem Vergleichspunkt (Metapher: Offenheit, Sinnüberschuss, Deutungs‐ bedarf; → 1.4.4a/1.4.4b).

Definition: Das Begriffspaar entstammt der antiken Rhetorik und fokussiert den Gegensatz zwischen wörtlich und übertragen zu ver‐ stehender Rede. Während das rhetorische Sprachverständnis uneigent‐ liche als deutungsbedürftige, zu ersetzende Rede wertet, wertet das Sprachverständnis der Poetik die Metapher als Grundform sprachlicher, poetischer Welterschließung, das heißt als eigentliche Rede.

82 83

Quintilian, Inst. Orat. VIII 6,4f. u. a.; Aristoteles kennt die Unterscheidung so nicht. Zymner 1991; Eggs 2015. – Weiterführende Gedanken → 2.2.3a; 2.4.2.

1.5 Gleichnisspezifische Termini

Abschließend sei die Verschränkung von rhetorischer und poetischer Optik dieses Buches auf eine griffige Formel gebracht: Die Eigentlichkeit ‚uneigentlicher‘ Redeweise besteht darin, dass sie über den Umweg der Uneigentlichkeit so zum Eigentlichen kommt, wie es mittels ‚eigentlicher‘ Redeweise gar nicht möglich wäre.

55

2 Gleichnisforschung im Überblick

liberale Theologie

1900 –

Jülicher eschatologische Neubesinnung

religionsgeschichtlicher Ansatz

1930 –

historis. Ansatz Dodd, Jeremias

metapherntheoretische Neubesinnung

1960 –

1970 –

didakt. Ansatz Baldermann, Güttgemanns

hermeneutische Theologie

metaphorischer Ansatz Jüngel, Linnemann

Ästhetisch-poetolog. Ansatz Via, Harnisch, Vouga

wirkungsgeschichtl.Ansatz Weder

1980 –

neuer religionsgeschichtl. Ansatz Flusser, Dschulnigg, Berger, Klauck

psycholog. Ansatz Schramm, Leiner

integrativer Ansatz Erlemann

redaktionskrit./textpragmat. Ansatz Sellin; Arens, Rau

rezeptionsästhet. Ansatz Massa

2000 – integrativer Ansatz Zimmermann

Grafik erweitert übernommen aus Erlemann 1999, 52.

58

2 Gleichnisforschung im Überblick

Im ersten Durchgang werden einige Wegmarken der Gleichnisforschung abgeschritten (2.1 – 2.3). Der zweite Durchgang arbeitet den Ertrag der Gleichnisforschung anhand leitender Forschungsalternativen auf (2.4); Ab‐ schnitt 2.5 stellt weiterführende Überlegungen zu einer integrativen Gleich‐ nistheorie an. 2.1 Der Ausgangspunkt: Adolf Jülicher Eine kurze Einführung in die Gleichnistheorie Adolf Jülichers (1857-1938) macht die heutige Diskussion verständlich. Mit seinem bahnbrechenden Doppelwerk Die Gleichnisreden Jesu (Tübingen 1886/1898, 2. Auflage 1910) legte Jülicher den Grundstein für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Gleichnissen. Bis heute geschieht Gleichnisforschung in der Auseinander‐ setzung mit Jülicher. 2.1.1 Ausgangspunkt: anti-allegorischer Affekt

Kernanliegen Jülichers ist die Abwehr der bis dato üblichen Allegorese der Texte. Hierfür nimmt er klare, an der antiken Rhetorik orientierte Begriffsdefinitionen vor.84 Er konstatiert einen Gegensatz zwischen ‚eigent‐ licher‘ und ‚uneigentlicher‘ Rede. Erstere (Vergleich, Gleichnis) sagt klar und unmissverständlich, was sie meint – und sie meint auch, was sie sagt! Letztere (Metapher, Allegorie)85 hingegen sagt gerade nicht, was sie meint, bzw. sie meint etwas anderes, als sie sagt. Das entspricht Jülichers liberal-theologischem Jesusbild: Jesus war ein genialer Pädagoge, der in unnachahmlicher Klarheit und Verständlichkeit seine Botschaft (die Idee vom Reich Gottes samt seinen sittlich-religiösen Wahrheiten) an sein Au‐ ditorium richtete und es zu überzeugen wusste. Dieser Jesus konnte nur 84

85

Jülicher greift unter anderem auf Aristoteles und Quintilian zurück. – Für Aristoteles (Rhet. III 4) ist der Vergleich die Grundform des Gleichnisses, der Vergleich wiederum gilt als Form der Metapher (Rhet. III 11,14f.). Der römische Rhetoriker Quintilian sieht dagegen einen Gegensatz zwischen Vergleich und Metapher im Jülicherschen Sinne (Inst. Orat. VIII 6). Für Philodemus v. Gadara, Rhet. IV 3, und Quintilian, Inst. Orat. VIII 6, sind Allegorie, Rätsel, Sprichwort und Ironie ‚uneigentliche‘, vom Rhetoriker zu vermeidende Redeweisen. Jülicher 1910, I 117. – Der Metapher-Begriff Jülichers entspricht der Definition von Chiffre als abgekürzter Metapher, die das, was verglichen werden soll, verschweigt und damit hermetisch wirkt (mit Banschbach Eggen 2006, 42f.55.171; zur Chiffre → 1.4.4g).

2.1 Der Ausgangspunkt: Adolf Jülicher

Klartext gesprochen haben, nicht etwa deutungsbedürftige, ‚uneigentliche‘, metaphorisch-allegorische Rätselrede. Kein Mittel hat er unversucht gelassen, kein Mittel des Wortes, um das Wort seines Gottes an und in die Herzen seiner Hörer zu bringen, nur die Allegorie, die nicht verkündigt, sondern verhüllt, die nicht offenbart, sondern verschließt, die nicht verbindet, sondern trennt, die nicht überredet, sondern zurückweist, diese Redeform konnte der klarste, der gewaltigste, der schlichteste aller Redner für seine Zwecke nicht gebrauchen.86

Was an den Gleichnissen der Evangelien auslegungsbedürftig erscheint, geht, so Jülicher, auf das Konto der Evangelisten, die Jesu Gleichnisse als rätselhafte Allegorien missverstanden und sie mit christologischen Inhalten angereichert hätten. Die schriftlich vorliegenden Gleichnisse seien demnach das Ergebnis eines tiefgreifenden, allegorischen Verfälschungsprozesses.87 Sie [scil. die Evangelisten] verstehen unter parabolḗ nicht bloß eine vergleichende Rede, sondern eine, die außerdem dunkel ist, der Deutung bedarf.88

Diese Einschätzung macht einen inneren Zusammenhang zwischen anti-al‐ legorischem Affekt, Jesusbild und Missverständnis- bzw. Verfälschungsthe‐ orie sichtbar.89 Hinzu kommt Jülichers Annahme eines Gleichnis-Idealtyps, der keinesfalls deutungsbedürftig sei, sondern ‚Klartext‘ spreche und nur einen einzigen Vergleichspunkt (tertium comparationis) habe. Dieser Ide‐ altyp im Munde Jesu beinhaltet, so Jülicher, eine zeitlose, moralisch-religiöse Satzwahrheit als wesentlichen inhaltlichen Kern.90 Die Gleichnisform ist für Jülicher im Gegensatz zu der in ihr transportierten Satzwahrheit letztlich ersetzbar. 2.1.2 Gleichnisdefinition und Auslegungsinteresse

Jülicher sieht das Ziel moderner Gleichnisauslegung in der Rückgewinnung der Gleichnisse im Munde Jesu. Er nennt als Leitkriterien hierfür den

86 87 88 89 90

A.a.O., 118. Jülicher (1910, I 40) postuliert in diesem Zusammenhang auch einen Gegensatz zwi‐ schen klarer Gleichnisrede Jesu und deutungsbedürftigen jüdischen meschalím. A.a.O., 42 (kursiv im Original). Vgl. Erlemann 1999b. Jülicher 1910, I 105-107.

59

60

2 Gleichnisforschung im Überblick

wörtlichen, eindeutigen Textsinn und den Gleichnis-Idealtyp, den er definiert als diejenige Redefigur, in welcher die Wirkung eines Satzes (Gedankens) gesichert werden soll durch Nebenstellung eines ähnlichen, einem anderen Gebiet ange‐ hörigen, seiner Wirkung gewissen Satzes.91

Dem rhetorisch-argumentativen Zweck der Gleichnisse entsprechen, so Jülicher, Präzision und Kürze; ‚Einfachheit als Kennzeichen des Wahren‘ (lat. simplex sigillum veri) sei ein wichtiges Merkmal des Gleichnis-Idealtyps. Die methodische Konsequenz daraus heißt für Jülicher: Verzicht auf Auslegung! Die authentischen Gleichnisse Jesu bedürften sowieso keiner Deutung, die allegorisierten Gleichnisse der Evangelien seien auf ihre ursprüngliche Ge‐ stalt zurückzuführen. Anstatt irgendwelche Gleichniselemente zu deuten, möchte Jülicher lediglich das eine tertium comparationis zwischen ‚Bild- und Sachhälfte‘ herausarbeiten. 2.1.3 Formkritik der Gleichnisse

Für die praktische Auslegungsarbeit entwickelt Jülicher formkritisch zu unterscheidende Gleichnistypen: Erstens, Gleichnisse im engeren Sinne bzw. besprechende Gleichnisse, inklusive so genannter Bildworte und Gnomen92; zweitens, Parabeln bzw. erzählende Gleichnisse oder Gleichniserzählungen; drittens, Beispielerzählungen; viertens, Parömien.93 Der Antityp des Gleich‐ nisses ist für Jülicher die Allegorie.94 Diese Klassifizierung erfuhr, mit kleineren Modifikationen (hinzu kam die Kategorie des Gleichnisdiskurses), eine breite Rezeption über ein ganzes Jahrhundert Gleichnisforschung, stellte sich letztlich jedoch als revisionsbedürftig heraus (→ 2.3; 2.4.9; 2.5.7; 3.2).95 a) Besprechendes Gleichnis bzw. Gleichnis im engeren Sinne

Erstes formales Kriterium dieses Gleichnistyps ist laut Jülicher das Präsens als Erzähltempus. Es signalisiere keinen erzählenden, sondern einen bespre‐ 91 92 93 94 95

Jülicher 1910, I 80, vgl. Aristoteles, Rhet. II, 20. Hinweis bei Dormeyer 2008, 420. Jülicher 1910, I 80ff. A.a.O., 62ff. Die Bildworte werden im folgenden Abschnitt als eigene Kategorie behandelt, da sie über Jülicher hinaus als solche angesehen wurden und werden.

2.1 Der Ausgangspunkt: Adolf Jülicher

chenden Charakter. Zweites Formalkriterium ist die Reduktion auf einen einzigen Akteur (z. B. den Sämann in Mk 4,3-9). Ein drittes, mehr inhaltliches Kriterium ist die Beschreibung eines Natur- oder Alltagsvorgangs wie Aussaat und Ernte.96 Die Beschreibung diene dazu, eine Gesetzmäßigkeit des Reiches Gottes zu illustrieren. Beispiele: die Wachstumsgleichnisse in Mk 4parr., das Fasten auf der Hochzeit (Mk 2,18-20parr.) und die verlorene Drachme (Lk 15,8-10). – Das Gleichnis vom Senfkorn und Sauerteig (Mt 13,31-33) ist eine typische Mischform: Ein Alltagsvorgang mit einem Akteur wird im griechischen Aorist erzählt. Das Alltags- bzw. Naturgleichnis ist auch nach Klaus Berger einer von zwei Grundtypen (neben Gleichnissen, die etwas Unsinniges bzw. Unmögliches beschreiben).97 Beide Typen sind, so Berger, ‚weisheitliche‘ Redeformen, denn sie bringen kollektive Lebenserfahrung auf den Punkt und argumen‐ tieren mit ihr. b) Erzählendes Gleichnis/Gleichniserzählung/Parabel

Im Gegensatz zum besprechenden Gleichnis ist die Gleichniserzählung bzw. Parabel laut Jülicher ein erzählender Text. Formale Kriterien dieses Gleichnistyps sind Vergangenheitstempora (Aorist, Imperfekt) und das Auftreten mehrerer, hierarchisierter Akteure (Herr – Knechte; Vater – Söhne u. a.). Inhaltlich bietet die Parabel eine zwar erfundene (fiktionale), aber realistische, einmalige und szenisch gegliederte Erzählung. Gemeinsam ist besprechenden und erzählenden Gleichnissen das Phänomen der Konterde‐ termination (→ 1.5.7). Sie bewirkt, dass sich die Rezipienten möglichst auf die Erzählung und ihre Pointe konzentrieren (→ 1.5.5). Beispiele: verlorener Sohn (Lk 15,11-32), Schalksknecht (Mt 18,23-35), Arbeiter im Weinberg (Mt 20,1-16), anvertraute Talente (Mt 25,14-30par.).

96 97

Jülicher 1910, I 93. Berger 2005, 101 ff. Als Beispiele für letzteren Gleichnistyp nennt Berger Mk 2,21f. und Lk 16,13.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

c) Beispielerzählung

Jülichers Beispielerzählung ist ein Sonderfall der Parabel und betrifft die vier lukanischen Sondergut-Parabeln vom barmherzigen Samaritaner (Lk 10,30-37), vom reichen Kornbauern (Lk 12,16-21), vom reichen Mann und armen Lazarus (Lk 16,19-31) und vom Pharisäer und Zöllner (Lk 18,9-14). Der Unterschied zu den Parabeln besteht darin, dass die Konterdetermination fehlt; die ‚Sache‘ taucht in der Semantik der Erzählebene (‚Bildhälfte‘) expressis verbis auf.98 Die religiöse Dimension begegnet in Gestalt religiöser Gruppen und Personen oder es werden theologische Themen wie Tod und jenseitiges Ergehen in die Erzählung integriert. Beipiele: Priester, Levit, Samaritaner begegnen auf der Erzählebene von Lk 10,30-37, Mose auf der von Lk 16,19-31, Pharisäer und Zöllner auf der von Lk 18,9-14, Tod und Jenseits auf der von Lk 12,16-21; 16,19-31. Abgeleitet von der Grundform Exemplum (→ 1.4.1.e) führen Beispielerzäh‐ lungen ein vorbildliches oder abschreckendes Verhaltensbeispiel vor Augen. Sie fließen im vorliegenden Buch in die Alltagsgleichnisse ein (→ 2.5.7c). d) Bildwort

Bildwort werden in der Gleichnisforschung Texte genannt, die sich nicht unter die drei bisher beschriebenen Gleichnistypen subsumieren lassen. Sie überschreiten zwar die Satzgrenze (anders als Vergleiche und Metaphern), sind aber weder szenisch entfaltet noch erzählerisch geschlossen. Bildworte werden daher auch als ausgeführte Metaphern oder verkürzte, fragmenta‐ rische Gleichnisse bezeichnet.99 Beispiele: Mt 5,13f. (Salz und Licht), Mt 7,1-5 (Splitter und Balken), Mt 13,52 (Hausvater), Mk 2,21f. (Flicken und Schläuche). Bildworte arbeiten mit rhetorischen Fragen (Mt 5,13.15; 7,4a; Mk 2,21f.); viele stehen im Kontext grundsätzlicher Mahnungen (Mt 7,1; Mk 2,22b). 98 99

„Bild- und Sachhälfte fallen ineinander, die Bilder gehören der religiös-sittlichen Sphäre an“ (Jülicher 1910, I 112). So noch bei Erlemann 2014a, 47.

2.1 Der Ausgangspunkt: Adolf Jülicher

Mehrheitlich sind Bildworte im Verständnis des vorliegenden Entwurfs Weisheitsgleichnisse (→ 2.5.7b). e) Parömie

Für Jülicher sind Parömien ‚mangelhafte Allegorien‘, von Metaphern durch‐ setzte Reden ohne ästhetischen Reiz. Sie seien weder Erzählungen noch Gleichnisse.100 In der weiteren Gleichnisforschung wurden die Parömien stiefmütterlich behandelt. Konstatiert wird eine narrative Entfaltung ohne erzählerische Geschlossenheit und mit fließenden Übergängen zwischen verschiedenen semantischen Ebenen. Klaus Berger erkennt eine Nähe zu apokalyptischen Visionen: Joh 16,29f. kennzeichne die Abschiedsreden Jesu als exklusiv an die Jünger gerichtete, bildfreie Rede. Jesu öffentliche Verkün‐ digung in Joh 1-12 gelte demgegenüber als rätselhafte Rede, die im engen Jüngerkreis enthüllt wird.101 – Als johanneischer Begriff für Gleichnisrede wird Parömie bis heute verwendet (→ 1.4.1). Im vorliegenden Entwurf werden sie den Identitätsgleichnissen zugerechnet (→ 2.5.7d). Beispiele: ‚Hirtenrede‘ (Joh 10,1-18) und ‚Weinstockrede‘ (Joh 15,1-8) werden Parömien genannt. Laut Joh 16,25.29 heißt die Rede Jesu generell paroimía.

f) Gleichnisdiskurs

Ebenso unscharf wie Bildwort ist der Begriff Gleichnisdiskurs.102 Er be‐ zeichnet eine Aneinanderreihung oder Kombination von Vergleichen und Metaphern mit wechselnden Bildfeldern; Bild- und Deutungsebene können sich abwechseln. Beispiele: Mk 13,33-37 (Türhüter); Lk 12,35-40 (Vorbereitung auf das Kommen des Herrn); Joh 12,24 (Samenkorn).

100 101 102

Jülicher 1910, I 115. Berger 2005, 94. A.a.O., 115-117, Erlemann 2014a, 34 f. Zur Kritik vgl. ders. 2017, 23.37f.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

Eine Unterscheidung zwischen Ausgangs- und Erzählebene (→ 1.5.1) ist nicht möglich, eine erzählerische Geschlossenheit ist nicht gegeben. Formal und textpragmatisch stehen die Gleichnisdiskurse den Parömien nahe.103 – Auch diese Kategorie soll die Grauzone zwischen ‚klassischen‘ Gleichnis‐ typen (s. o.) einerseits und Vergleich bzw. Metapher andererseits erfassen. Wegen der fehlenden Begriffspräzision und der problematischen, formkri‐ tischen Einteilung der Gleichnisstoffe wird diese Kategorie nicht weiter berücksichtigt (→ 2.3; 2.4.9; 2.5.7). g) Allegorie

Für Adolf Jülicher ist die Allegorie das negative Pendant zum Gleichnis (→ 2.1.1; vgl. 1.4.3). Die Allegorie ist für ihn, neben ihrem Baustein Meta‐ pher (→ 1.4.4b), ‚uneigentliche‘ Rede par excellence. Jülicher definiert die Allegorie als diejenige Redefigur, in welcher eine zusammenhängende Reihe von Begriffen (ein Satz oder Satzkomplex) dargestellt wird vermittelst einer zusammenhängenden Reihe von ähnlichen Begriffen aus einem andern Gebiete.104

Ihre ‚Uneigentlichkeit‘ mache die Allegorie deutungsbedürftig, sie habe al‐ lenfalls einen ästhetischen Reiz, sei aber pädagogisch wertlos und daher dem auf Eindeutigkeit bedachten Lehrer Jesus abzusprechen. Historisch ist sie für Jülicher das Ergebnis eines Missverständnisses bzw. einer Verfälschung (→ 2.1.1). Beispiele für Allegorien im Sinne Jülichers: das Gleichnis von den bösen Winzern Mk 12,1-12parr., vom Sämann Mk 4,3-9parr. sowie im Grunde jedes andere Gleichnis in seiner vorliegenden, verschriftlichten Form. Jülichers anti-allegorischer Affekt wirkt bis heute nach. In der formkriti‐ schen Unterscheidung von Gleichnistypen wird die Allegorie weiterhin als Literaturgattung, die nach dem Reißverschluss-Prinzip funktioniere, geführt. Sie verwende eine Reihe thematisch passender Metaphern und 103

104

Gleichnisdiskurse zeichnet wie Parabeln „die hierarchische Struktur zwischen meh‐ reren Akteuren, mit den Beispielerzählungen die Aufforderung zur Nachahmung eines exemplarischen Verhaltens, mit den Gleichnissen im engeren Sinne das präsentische Grundtempus“ aus (Erlemann 1999, 82 f.). Jülicher 1910, I 80.

2.2 Zwischenschritte zur modernen Gleichnisforschung

habe damit mehrere Vergleichspunkte zwischen Bild und ‚Sache‘, die nach‐ einander zu entschlüsseln seien.105 Im Gegensatz dazu habe die Parabel nur ein einziges tertium comparationis.106 2.1.4 Das bleibende Vermächtnis Jülichers

Jülicher hat nicht nur die Gleichnisauslegung für die Gefahr allegorisie‐ render Textauslegung sensibilisiert. Sein Beharren darauf, die Bedeutung eines Gleichnisses aus dem Text selbst zu erheben, statt textfremde Kate‐ gorien auf ihn zu applizieren, gehört zu seinen bleibenden Verdiensten. Darüber hinaus hat Jülicher der Gleichnisforschung wichtige Impulse und Fragestellungen mit auf den Weg gegeben, was den Zweck der Gleichnis‐ rede, die Klassifikation vergleichender Texte, das Wesen von Metapher und Allegorie, den theologischen Bezugsrahmen (‚Sache‘), das Verhältnis von Schriftlichkeit und Mündlichkeit, den Einfluss antiker Rhetorik oder das Alleinstellungsmerkmal der Gleichnisbotschaft Jesu anbelangt. Das gilt, auch wenn die Forschung im Einzelnen heute zu anderen Ergebnissen kommt. Jülichers Werk bleibt in seiner Nachhaltigkeit und Breitenwirkung bis heute unerreicht. 2.2 Zwischenschritte zur modernen Gleichnisforschung Die folgende Darstellung beschränkt sich auf wichtige Zwischenschritte der Gleichnisforschung seit Jülicher: Erstens, die Frage nach dem jüdischen Kontext Jesu und der Gleichnisse; zweitens, die Frage nach dem eschato‐ logischen Charakter der Gleichnisbotschaft; drittens, die ‚metaphorische Wende‘; viertens, die kritische Auseinandersetzung mit ihr; fünftens, neuere integrative Ansätze. Der Überblick mündet in die Darstellung der aktuellen gleichnistheoretischen Diskussion.

105 106

Laut Weder 1978, 71, gibt es in der Allegorie weder ein übergeordnetes Subjekt noch eine Pointe. Dithmar 1970, 13.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

2.2.1 Gleichnisse als frühjüdische Gattung

Jülichers Rückbezug auf die griechisch-römische Rhetorik zur Bestimmung von Gleichnisform und -zweck wurde schon früh kritisiert. Nicht die antike Rhetorik, sondern die rabbinischen Talmud-Gleichnisse (hebr. meschalím) seien der adäquate Bezugsrahmen der Gleichnisse Jesu. Gleichnisforscher wie Paul Fiebig (1876-1949), David Flusser (1917-2000) und Peter Dschulnigg (1943-2011) stehen für diese Position. Sie verweisen auf die jüdische Prägung Jesu und auf die große Nähe zwischen rabbinischen und neutestamentlichen Gleichnissen. Wir verstehen die Gleichnisse Jesu nur dann richtig, wenn wir sie als der rabbi‐ nischen Gleichnisgattung zugehörig betrachten. Aus dem Wort Jesu über den Zweck der Gleichnisse [Mk 4,10-12parr.] erfahren wir, dass Jesus die Gleichnisse aus denselben Gründen wie die Rabbinen erzählte.107

Das Argument, die Talmudtexte seien deutlich jünger als die Evangelien, wird unter Verweis auf die lange mündliche Vorgeschichte der relativ konstanten und prägnanten Erzählform der Gleichnisse zurückgewiesen. – Der Vergleich zwischen neutestamentlichen und talmudischen Gleich‐ nissen führt zu einer grundsätzlichen Kritik an Jülichers Postulat eines Gleichnis-Idealtyps: Die frühjüdischen Gleichnisse sind allesamt auslegungs‐ bedürftig und weisen mehr als ein tertium comparationis zwischen Erzählund Deutungsebene auf. Ohne nachweisbaren Gleichnis-Idealtyp ist aber auch die Kontrastierung zur Allegorie hinfällig. 2.2.2 Die eschatologische Deutung

Jülicher sieht den theologischen Bezugsrahmen (‚Sache‘) des Gleichnisses in einer sittlich-religiösen, zeitlos gültigen Satzwahrheit. Die darauffolgende Generation erkennt ihn in der Verkündigung der anbrechenden Herrschaft Gottes. Schon Jülichers Altersgenosse Johannes Weiß (1863-1914) wies auf den eschatologischen Charakter der Gleichnisbotschaft Jesu hin.108 Unter dem Eindruck des verlorenen Ersten Weltkriegs, der sämtliche Illusionen über die innergeschichtliche Realisierbarkeit sozialer Zustände im Sinne des Gottesreiches zunichte machte, stellten Charles Harold Dodd (1884-1973)

107 108

Flusser 1981, 312. Johannes Weiß (1892), Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, Göttingen.

2.2 Zwischenschritte zur modernen Gleichnisforschung

und Joachim Jeremias (1900-1979) die eschatologische Ausrichtung der Gleichnisbotschaft in den Vordergrund.109 Mit der eschatologischen Deutung rückt der Begriff der Krise (gr. krísis – Unterscheidung, Entscheidung, Gericht) ins Zentrum der Gleichnisaus‐ legung. Das nahe Kommen Gottes stelle die Hörerinnen und Hörer der Gleichnisse in die existenzielle Entscheidung für oder gegen Gottes basileía. Alle Gleichnisse Jesu zwingen den Hörer, zu Seiner Person und Seiner Sendung Stellung zu nehmen.110

Jeremias sieht den Kern der Gleichnisbotschaft in der Proklamation des an‐ brechenden Heils, in Gottes Vergebungsbereitschaft, im Ruf zur sofortigen Buße (gr. metánoia), in der Aussicht auf die nahe Erlösung und in der Warnung vor dem kommenden Gericht. Diese Inhalte provozierten konkrete Verhaltensänderung. Jülichers rhetorische Zweckbestimmung der Gleichnisse, ihre Entgegen‐ setzung zur Allegorie und die Missverständnistheorie bleiben indes unan‐ getastet.111 Jeremias sieht sich besonders in einem Punkt als Vollender der Jülicherschen Gleichnistheorie: in der konsequenten Rekonstruktion des mündlichen Gleichnis-Idealtyps. Dessen Merkmale übernimmt Jeremias von Jülicher (Einfachheit, Anschaulichkeit, Realistik des Erzählten). Zusätz‐ lich entwickelt Jeremias insgesamt zehn Umformungsgesetze, die bei der Verschriftlichung (und zugleich Übersetzung aus dem Aramäischen ins Griechische) leitend gewesen seien.112 Die Rückgewinnung der ipsissima vox Jesu ist Jeremias’ Erkenntnis leitendes Hauptinteresse. Der O-Ton Jesu samt seinem situativen Entstehungskontext (Auseinandersetzung Jesu mit seinen Gegnern) ist für ihn der Verstehenscode der Gleichnisse.

109 110 111 112

Dodd 1935; Jeremias 1984. Jeremias 1984, 227. Jeremias, 1984, 17 f., nennt die Gleichnisse eine ‚Streitwaffe‘ Jesu im Kampf gegen seine Gegner. Diese sind: Übersetzung ins Griechische, Wandlung des Anschauungsmaterials, Aus‐ schmückungen, Einflüsse des Alten Testaments und volkstümlicher Erzählmotive, Wechsel der Hörerschaft, Verwendung kirchlicher Mahnrede, Einwirkung der nachös‐ terlichen Situation, Allegorisierung, Sammlung und Fusion von Gleichnissen sowie sekundäre Kontextualisierung.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

2.2.3 Die ‚metaphorische Wende‘

Die nachhaltigste Zäsur in der Geschichte der Gleichnisforschung ist die ‚metaphorische Wende‘ seit den 1960er Jahren. Kern der Wende ist die Neubestimmung der Metapher als po(i)etischer Sprachform im eigentlichen Sinne. a) ‚Eigentliche‘ statt ‚uneigentliche‘ Rede

Während die ältere Gleichnisforschung die Metapher als ‚uneigentliche‘, für argumentativ-rhetorische Zwecke letztlich unbrauchbare Sprachform wertet, die im Deutungsprozess durch ‚Klartext‘ zu ersetzen sei (Substitutionsmodell), sieht die neuere Forschung in der Metapher eine ‚eigentliche‘ Sprachform, die im Unterschied zu unmetaphorischen Sprachformen Wirklichkeit konstituiere. Ein weiterer Vorzug metaphorischer Sprache sei ihre emotional-affektive Aus‐ richtung: Metaphern und Gleichnisse sprechen auch das Herz an, nicht nur den Verstand. In diesem Sinne sei die Metapher eine poetische bzw. poietische Sprachform (gr. poieín – machen, erschaffen).113 Metapher gilt nicht mehr als einzelner Begriff, als semantischer Fremdkörper, der zu ersetzen sei, sondern als Satzphänomen, das von der kontextuellen Spannung lebt (Interaktionsmo‐ dell, Metapher als Phänomen der Prädikation), deutungsoffen ist und einen bleibenden Sinnüberschuss in sich trägt. Daher und wegen ihrer poietischen Sprachkraft sei die Metapher unersetzbar. b) Metaphorische Sprache als Grundmodus der Erschließung von Wirklichkeit

Die Federführung bei dieser Neubewertung lag bei der Sprach- und Literatur‐ wissenschaft.114 Protagonisten waren Max Black (1962), Robert Funk (1966), Ivor A. Richards (1967) und Harald Weinrich (1976). Sie erkannten in der Metapher den Grundbaustein von Sprache, mit dessen Hilfe Wirklichkeit erfasst und verstanden werde, und zwar durch analogische Verknüpfung von Bekanntem mit Unbekanntem.115 Die Metapher ist Gerhard Sellin zufolge 113

114 115

Zur Betonung der Emotionalität der Metapher vgl. Quintilian, Inst. Orat. III 8.19. – Die Erschließung von Wirklichkeit durch Kleinkinder verlaufe analog zu metaphorischen Prozessen (vgl. Lakoff/Johnson 1980; Eco 1985, 134). – Ausführlich zur Emotionalität Dannenmann 2019. Vgl. Pieper 2013. Die Rhetoriklehre Quintilians ist, was die Metapher anbelangt, sowohl für die rhetorische als auch für die poetische Funktionsbestimmung offen (vgl. die Bewertung der Metapher als gegebenenfalls noch direkter und präziser als begriffliche Sprache in Inst. Orat VIII 6).

2.2 Zwischenschritte zur modernen Gleichnisforschung

der deutlichste Ausdruck des analogischen Charakters der Sprache überhaupt, der menschlichen Fähigkeit, Beziehungen zu sehen, zu verbinden, zu interpretieren, Sinn zu erfassen.116

Während Jülicher und seine Nachfolger Sprache als Mittel präziser Infor‐ mationsübermittlung verstanden, wird Sprache jetzt als schöpferischer (poietischer) Akt bewertet, der Wirklichkeit allererst hervorbringe und neuen Sinn konstituiere.117 c) Gleichnis als ‚erweiterte Metapher‘

Der Bereich des Religiös-Transzendenten ist nur mittels metaphorischer Sprache zu erschließen.118 Diese Erkenntnis führt zu einer Neubestimmung des Gleichnisses als einer ‚erweiterten Metapher‘:119 Gleichnis und Metapher verknüpfen unabhängige Wirklichkeitsbereiche miteinander und sind kon‐ terdeterminiert (→ 1.5.7). Der theologische Bezugsrahmen wird über den Umweg der in sich schlüssigen Bild- bzw. Erzählebene mithilfe subtiler Hin‐ weise (Transfersignale) erschlossen. Dieser Vorgang wird als metaphorischer Prozess bezeichnet (zur Kritik → 2.2.4). d) Gleichnis als ‚Sprachereignis‘

Fokussiert wird in diesem Neuansatz der ästhetisch-po(i)etische Charakter des Gleichnisses: Im Erzählen und Hören des Gleichnisses realisiere sich die Gottesherrschaft. Das Gleichnis avanciert hier zum Offenbarungsmedium sui generis, es gilt als Sprachereignis, vergleichbar einem performativen Akt (→ 1.5.11).120 Hierdurch erhält die Gleichnisform eine exklusive hermeneu‐ tische Wertigkeit.

116

117 118 119 120

Sellin 1978, 300; vgl. Klauck 1978, 140; Aurelio 1977; Ricœur 1974. Hinter der Neube‐ wertung der Metapher steht Aristoteles, Rhet. III 2,8 (1405a) bzw. Poet 22 (1459a). Demnach ist die Metapher eine äußerst deutliche Redeweise, die in besonderer Weise Ähnlichkeiten entdecken lässt. Um den Gegensatz zum (veranschaulichenden) Vergleich zu behaupten, verwendet Jülicher einen Metapher-Begriff, der dem der Chiffre nahekommt (→ 1.4.4g; 2.1.1). Jüngel 1974, 71-122; Harnisch 1982. Weder 1978, im Anschluss an Weinrich 1976c, 295-316. – Weitere Vertreter: Eberhard Jüngel (*1934), Ernst Fuchs (1903-1983), Eta Linnemann (1926-2009) und Wolfgang Harnisch (*1934). Die Absolution erfolgt performativ im Sprechen der Formel ‚Hiermit spreche ich dich von deinen Sünden los‘. Vgl. auch den performativen Akt der Eheschließung auf dem Standesamt und im katholischen Trauzeremoniell.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

Jesus von Nazareth hat aber nicht in Gleichnissen gesprochen, weil er eine Wirkung erzielen wollte, sondern weil das Gottesreich, das er verkündigte, eine Wahrheit ist, die gar nicht ‚an sich‘ besteht, sondern wesentlich auf das Einverständnis des Hörers abzielt. Die Sprachform Gleichnis entspricht dieser Wahrheit, und nur deshalb ist sie auf Wirkung bedacht. Wahrheitsaussage und Wahrheitsansage sind eine Einheit, so wie Form und Inhalt des Gleichnisses eine Einheit sind.121

Anders gesagt: Der theologische Bezugsrahmen lässt sich nur in der Form des Gleichnisses ausdrücken; verändert man die Form, verändert man auch den Inhalt. – Als methodische Konsequenz der neuen Betrachtungsweise verbietet sich die Suche nach einem tertium comparationis zwischen Erzählund Deutungsebene: Es gibt kein Drittes, das zwischen der Basileia und dem Gleichnis vermittelt. Vielmehr ist die Basileia nur im Gleichnis und nur als Gleichnis da.122

Die Anschauung vom Gleichnis als Sprachereignis wird zum Teil auf die mündlichen Gleichnisse Jesu begrenzt. Nur die mündliche Gleichnisrede sei, dank fehlender kontextueller und textinterner Transfersignale, von den Hö‐ rerinnen und Hörern Jesu unvoreingenommen, mit maximaler Fokussierung auf das Erzählte rezipiert worden. Diese idealen Rahmenbedingungen seien conditio sine qua non für den ‚metaphorischen Prozess‘, in dessen Verlauf das, wovon das Gleichnis eigentlich handelt, für die Rezipienten Wirklichkeit werde.123 Im Gegenzug wird der Verschriftlichungsprozess mit der damit einhergehenden (Re-)Kontextualisierung als ‚Sprachverlust‘ gewertet.124 e) Gleichnisse und Bilderverbot

Die metaphorisch-poetische Rede von Gott trägt dem alttestamentlichen Bil‐ derverbot Rechnung, denn sie legt Gott nicht in Formulierungen der Art ‚Gott ist XY‘ fest. Sie bringt vielmehr zugleich Analoges und Differentes zum Ausdruck. Das Gottesbild der Gleichnisse oszilliert in den po(i)etischen Sprach‐ bildern und entspricht damit der dynamischen Unverfügbarkeit Gottes.125 121 122 123 124 125

Weder 1978, 65. Ebd., im Anschluss an Jüngel. Harnisch 1985, 66.308. Ebd. – Anders sieht Weder 1978, 74 f., keinen prinzipiellen Unterschied zwischen mündlichen und schriftlichen Gleichnissen, was die Metaphorik von Einzelzügen anbelangt. Erlemann 2017, 201. – Das Bilderverbot findet sich in Ex 20,1-5; Dtn 4,15-19 und Dtn 5,8-10.

2.2 Zwischenschritte zur modernen Gleichnisforschung

f) Existenziale Interpretation

Der theologische Bezugsrahmen wird in diesem Ansatz neu bestimmt. Hob die ältere Gleichnisforschung auf eine sittlich-religiöse Satzwahrheit (Jülicher) oder auf die eschatologische Ansage der Gottesherrschaft (Dodd, Jeremias) ab, gilt jetzt die Gottesherrschaft im Sinne einer Gegenwirklichkeit bzw. einer neuen, von Jesus gestifteten Existenzmöglichkeit unter dem Vorzeichen der Liebe als Kern der Gleichnisbotschaft. Für Dan Otto Via kommt die Gleichnisverkündigung dem Angebot gleich, die eigene Situation in der Geschichte neu zu verstehen.126 g) Ästhetische Autonomie

Die existenziale Interpretation verweist auf zeitunabhängige, unmittelbar einsichtige Existenzialien wie Angst, Freude, Hoffnung, Liebe, Furcht vor dem Tod etc. Die Gleichnisbotschaft erscheint dadurch unabhängig von ihrem historischen Verstehenszusammenhang. Sinngebend sind, so die Vertreter einer ‚ästhetischen Autonomie‘ der Gleichnisse, das Ensemble der einzelnen Erzählelemente und die jeweiligen Rezipienten. Diese deuteten das Gleichnis als Kunstwerk, das jenseits der Autorintention, autonom sein Wirkungspotenzial entfaltet, mithilfe eines eigenen ‚hermeneutischen Entwurfs‘.127 Die ästhetische Autonomie der Texte verdanke sich vor allem ihrer Kürze und ihrer narrativen Geschlossenheit.128 Die Wirkung des Kunstwerks auf die Betrachter bestehe in einer durch Dramaturgie und Geschlossenheit ermöglichten, ästhetischen Erfahrung, die die Sicht auf den Alltag nachhaltig verändere. Transfersignale und überhaupt die Frage nach einer Deutungsebene spielen in diesem Ansatz keine Rolle. Die Deutung sei ausschließlich auf der Erzählebene selbst zu suchen und zu finden. Nicht die basileía Gottes sei der Bezugsrahmen, sondern eine unmöglich erscheinende Möglichkeit der Existenzführung.129 François Vouga definiert die Gleichnisse als

126 127 128 129

Via 1970, 57. Harnisch 1985, 156. – Zum Folgenden vgl. Erlemann 1999, 33-36. Via 1970, 78 f.; Crossan 1973; Harnisch 1985; Vouga 1987; Theißen/Merz 1996 u. a., im Gefolge des französischen Strukturalismus und des anglo-amerikanischen New Criticism. Vouga 1987, 82.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

dramatische Geschichten mit einer oder mehreren Personen, charakterisiert durch die Klarheit ihrer Handlung, durch die Univozität ihrer Sprache und durch die Unabhängigkeit von jedem Kontext.130

Wolfgang Harnisch verbindet das Konzept mit Erkenntnissen der Theater‐ wissenschaften und der Fabeltheorie. Jülichers Postulat eines Gleichnis-Ide‐ altyps wird aufgegriffen und modifiziert: Eine bestimmte Figurenkons‐ tellation sowie eine Szenenfolge in drei Akten, mit dem erzählerischen Schwerpunkt auf dem dritten, dialogisch angelegten Akt der narratio sei typisch für die Gleichnisse im Munde Jesu. Dieses Arrangement verleihe ihnen eine einzigartige Sprachkraft: Die Adressaten würden wie in einem gelungenen Bühnenstück in den Handlungsverlauf verwickelt. Das führe zur Entdeckung einer überraschend möglich erscheinenden, befreienden Existenzweise, welche in einem metaphorischen Prozess mit der Gottes‐ herrschaft verknüpft werde.131 Merkmale dieser neuen Existenzmöglichkeit seien unbedingte Liebe, unbegrenzte Freiheit und maßlose Hoffnung. In der performance des Gleichnisses werde die Möglichkeit verwirklicht (Spracher‐ eignis). Das textpragmatische Ziel des Gleichnisses formuliert Harnisch so: Der Hörer, dem Jesu Erzählung als eine ihn treffende Anrede widerfährt, soll sich im Akt der Rezeption zu einem Glauben ermutigen lassen, der das sprachlich Eröffnete als eine ihm extra se ipsum zukommende, verdankte und damit auf Gott verweisende Möglichkeit wahrnimmt, zu einem Glauben also, der die Sphäre des Möglichen mit der Gottesherrschaft identifiziert. 132

Harnisch bindet seine Theorie an die mündliche Idealform der Gleichnisse, die noch frei von (zentrifugal wirkenden) Transfersignalen sei. In dieser Form begegneten die Rezipienten den Gleichnissen mit einer Unvoreinge‐ nommenheit, die den genannten ‚metaphorischen Prozess‘ allererst ermög‐ liche. Die Verschriftlichung der Texte und die damit einhergehende Anrei‐ cherung mit nach außen ablenkenden Transfersignalen (Allegorisierung) wertet Harnisch als ‚Sprachverlust‘, in dem das Sprachereignis in ein rhe‐ torisches Argument umgewandelt werde. Jülichers Missverständnis- bzw. Verfälschungstheorie lebt damit modifiziert weiter (weiter zum Gleichnis als Bühnenstück → 2.2.6e).

130 131 132

A.a.O., 76f. Harnisch 1985, 66.308. A.a.O., 167 (kursiv im Original).

2.2 Zwischenschritte zur modernen Gleichnisforschung

h) Bleibende Kontinuität mit Jülicher

Die Hochschätzung der Gleichnisform gilt exklusiv für die mündlichen Gleichnisse. Kontextualisierung, Verschriftlichung und Transfersignale machten die ursprüngliche Sprachkraft des Gleichnisses zunichte (‚Sprach‐ verlust‘). So finden Jülichers anti-allegorischer Affekt und seine Verfä‐ schungstheorie eine Fortsetzung.133 i) Fazit: Gleichnisse als Offenbarungsmedium und ‚Sprachereignis‘

Die ‚metaphorische Wende‘ führt zur Wiederentdeckung der po(i)etisch-äs‐ thetischen Sprachkraft und der Unersetzbarkeit von Metapher und Gleichnis. Form und Inhalt, narratio und theologischer Bezugsrahmen bilden eine unauflösliche Einheit. Jesus als Gleichniserzähler etablierte eine unvergleichliche, dem Inhalt und dem Bilderverbot adäquate Form der Rede von Gott. Indem er die anbrechende Gottesherrschaft verkündigte, ließ er sie bei den Menschen Wirklichkeit werden. So gelten die Gleichnisse als Offenbarungsmedium sui generis und als einzigartiges, performatives Sprachereignis. Das in → 1.5.11 zitierte Diktum Jüngels bringt den Kern der ‚metaphorischen Wende‘ auf den Punkt. Inhaltlicher Kern der Gottes‐ herrschaft ist demzufolge die Liebe als den Menschen neu geschenkte Existenzmöglichkeit (existenziale Interpretation). Die Suche nach einem Vergleichspunkt und einer Deutungsebene jenseits des Erzählten ist in diesem Ansatz obsolet. 2.2.4 Kritik an der ‚metaphorischen Wende‘

Die Gleichnisforschung seit den 1970er Jahren findet weiterhin in Ausein‐ andersetzung mit Jülichers Ansatz und zusätzlich mit dem Konzept der ‚metaphorischen Wende‘ statt. Gegen Letztere wurden folgende drei Punkte kritisch eingebracht134: Erstens, eine Gleichsetzung der Metapher als Satzphänomen der Lyrik und des Gleichnisses als narratio sei nicht zulässig:

133

134

Anders sieht Weder 1978, 70-75, im Gebrauch auslegungsbedürftiger, wenn auch usu‐ eller Metaphern eine Gemeinsamkeit zwischen schriftlichen und mündlichen Gleich‐ nissen. Das ist eine Absage an Jülichers Postulat eines deutungsfreien Gleichnis-Ideal‐ typs. Zum Folgenden vgl. Erlemann 2014a, 21-23.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

Wird das Metaphernphänomen der Lyrik auf Gleichnisse übertragen, muss dies fast notwendig zu Verkürzungen im Gleichnisverständnis führen, da hier gleich zwei Grenzen überspielt werden: die Grenze vom Satz zur Erzählung und diejenige von der Gattung Gedicht zur Gattung Gleichnis.135

Ein wichtiger Unterschied zwischen Metapher und Gleichnis bestehe darin, dass die Metapher lediglich Analogien, ein Gleichnis aber auch Differenzen zwischen zwei Wirklichkeitsbereichen sichtbar machen könne.136 Diese Beobachtungen sprechen gegen die Definition des Gleichnisses als einer ‚erweiterten Metapher‘. Ein Gleichnis sei vielmehr eine fiktionale Erzählung, die einzelne Merkmale mit der Metapher gemeinsam hat (Konterdetermina‐ tion, bleibender Sinnüberschuss, mehrere mögliche Vergleichspunkte und Deutungsbedarf). Zweitens, das Gesagte gilt auch für die Rede von der po(i)etischen Sprach‐ kraft der Metapher: Die Ansicht, Metapher und Gleichnis hätten eine be‐ sondere Sprachkraft und ein Gleichnis sei ein performatives Sprachereignis, wird als unangemessen und apologetisch gewertet. It would be difficult to document cases of people who in reading a parable or having it read to them experienced in that moment their lives being ‚torn apart‘.137

Die Sprachkraft von Metapher und Gleichnis beschränke sich auf ihre Fähigkeit, bereits vorhandene Analogien sichtbar zu machen.138 Von einem ‚Sprachverlust‘ bei der Verschriftlichung der Gleichnisse zu sprechen (Har‐ nisch 1985), sei daher unsachgemäß, auch weil die Annahme eines kontext‐ freien, mündlich vorgetragenen Gleichnisses eine Fiktion ist – im Gegenteil: Auch für die Gleichnisse im Munde Jesu seien Kontextmarker ([Vor-]Wissen der Hörerschaft um Jesu Vollmacht, Jesu Taten als situativer Kontext der Gleichnisse u. a.) vorauszusetzen, die das Verstehen der Gleichnisrede vorprägen. Die Gleichnisse seien von Jesus nicht in einem luftleeren Raum, sondern im Kontext seines sonstigen Wirkens gesprochen worden. Absolute Unvoreingenommenheit der Hörerschaft als Voraussetzung dafür, dass das mündlich vorgetragene Gleichnis eine performativ-po(i)etische Wirkung

135 136 137 138

Dschulnigg 1989, 348. Rau 1980, 72; Erlemann 1988, 27. Tolbert 1979, 42f. Rau 1990, 61.

2.2 Zwischenschritte zur modernen Gleichnisforschung

entfalten könne, sei Fiktion.139 Diese Erkenntnis führt in der Folge zur Fokussierung auf die schriftliche Endgestalt der Texte und ihres Kontextes.140 Drittens, die Fokussierung der Metapherntheorie auf poetische Anteile wird als Engführung eingestuft, vergleichbar der rhetorisch-argumenta‐ tiven Engführung bei Jülicher. Schon Quintilian ordne Metaphern und Gleichnisse dem rhetorischen und dem poetischen Bereich zu.141 Metaphern eigneten sich demnach sowohl zur sachlichen Beschreibung von Sachver‐ halten als auch zur emotionalen Steuerung der Hörerschaft. Gemeinsam mit der Beobachtung des grundsätzlichen Kontextbezugs ergebe sich daraus methodisch die Aufgabe, Metaphern und Gleichnisse aus ihrem Kontext heraus zu deuten. Die Sprachformen ließen sich durch Interpretation zwar nicht substituieren, aber im Sinne der Autorintention interpretieren. We‐ sentlich für den Interpretationsrahmen seien der literarische Kontext und der Verstehenskontext der Erstadressaten; deren theologische und zeitge‐ schichtliche Assoziationen beim Hören von Metaphern und Gleichnissen seien zu rekonstruieren. – Die Rückbesinnung auf die argumentativ-rheto‐ rische Funktion von Gleichnis und Metapher führt im weiteren Verlauf zu einer verstärkt redaktionskritischen bzw. kommunikationstheoretischen Betrachtungsweise.142 2.2.5 Revision des Allegorie-Begriffs

Jülichers anti-allegorischer Affekt geriet in der Folgezeit zunehmend in die Kritik. Die Beobachtung von Mischformen (Gleichnisse mit allegorischen Anteilen) und die Neubewertung der Metapher (→ 2.2.3) schlagen sich in einer Neubestimmung der Allegorie und im Verzicht auf ihre Kontrastierung mit Gleichnissen nieder. a) Beobachtung von Mischformen

Es gibt keine scharfe Grenze zwischen eindeutigen und deutungsbedürftigen Texten. Jedes Gleichnis hat klar verständliche und deutungsbedürftige Elemente. Deutungsbedürftige Elemente sind z. B. andeutende und ver‐ schleiernde Transfersignale. Sie durchbrechen die Realistik und die Konter‐

139 140 141 142

Gegen Harnisch 1985, 66.308. Z.B. Sellin 1978, 314. Quintilian, Inst. Orat. III 8.19. Beispiele: Arens 1982; Abraham 1998, Blomberg 1990, Cohen 1979.

75

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determination der narratio und weisen auf eine theologische Deutungsebene hin (→ 1.5.9).143 Beispiel: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) gilt als Mustergleichnis Jesu. Seine Botschaft der unbedingten Liebe des Vaters zu seinen Söhnen leuchtet unmittelbar ein. Gleichwohl enthält es deu‐ tungsbedürftige Elemente: Was besagt der Hinweis auf die Schweine, die der jüngere Sohn zu hüten hat? Was bedeutet der Ring, den der Vater dem Heimgekehrten ansteckt? Was meint die Rede von ‚tot‘ und ‚lebendig‘ (V.24.32)? Ausgehend von der Kohärenz und Integrität des Gleichnisses, müsste man es, Jülichers Logik folgend, Jesus gänzlich absprechen oder aber die besagten Elemente der nachträglichen, verfäl‐ schenden Interpretation durch Lukas zuordnen. Jülichers Entgegensetzung zwischen eindeutigen Gleichnissen und unein‐ deutigen Allegorien sowie sein Postulat eines idealtypischen, eindeutigen Gleichnisses wirken konstruiert.144 Wirkliche Gleichnisse bewegen sich gerne im Raum zwischen diesen beiden Extremen.145

Das Statement von Peter Dschulnigg bringt das Problem auf den Punkt.146 b) Präzisierung der Begrifflichkeit

Hans-Josef Klauck (1978) brachte eine nachhaltige Begriffsdifferenzierung in die Diskussion ein. Er unterscheidet zwischen Allegorie, Allegorese und Allegorisierung. Das Kernanliegen Jülichers erscheint in der Folge als Affekt gegen die Allegorese als Auslegungsmethode. Die nachträgliche allegorische Anreicherung bzw. Allegorisierung von Gleichnissen ist laut Klauck ein po‐ sitiv zu bewertender Aktualisierungsprozess. Außerdem hinterfragt Klauck die formkritische Definition von Allegorie als literarischer Gattung kritisch (→ 1.4.3; 2.1.3g; 2.5.2a).

143 144 145 146

Erlemann 2008, 484 f.; mit Rau 1990, 53; gegen die Missverständnistheorie Jülichers. Schon Bugge (1903) schließt aus der Vielschichtigkeit des maschál-Begriffs auf Misch‐ formen als Normalfall. Dschulnigg 1989, 348; vgl. Sellin 1978, 302. Vgl. Rau 1990, 53 u.a.

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1. Allegorese

Die Allegorese ist ein antikes, bis in die Neuzeit verbreitetes Auslegungs‐ verfahren, das zwischen dem wörtlichen Sinn eines Textes und einem wei‐ teren, tieferen bzw. allegorischen Sinn unterscheidet. Diese Unterscheidung ermöglicht es, auch schwer verständlichen Bibeltexten einen (aktuellen) Sinn abzugewinnen. Texte gelten dabei generell als mehrschichtig und damit als bewusste Herausforderung, den eigentlichen Sinn, die geistliche Tiefendimension, zu entdecken. In diesem Sinne betrieb bereits Philo von Alexandrien (ca. 15 v. – ca. 50 n. Chr.) systematisch Allegorese. Auf diese Weise erschloss er philosophisch gebildeten Nichtjuden in Alexandria den (philosophischen) Sinn biblischer Texte. Beispiel: Entgegen dem ursprünglichen Textsinn von Gen 16-21 deutet Paulus in der Allegorese Gal 4,21-31die beiden Erzmütter Sara und Hagar auf den neuen bzw. den alten Bund. Allein die soziale Konstellation der beiden Frauen genügt Paulus, sein Thema hierin abgebildet zu sehen. Die bekannte, anschauliche Erzmüttergeschichte ist für den Apostel ein geeignetes Medium, um die eher unanschauliche Rede vom alten und neuen Bund begreiflich zu machen. Das Beispiel zeigt, dass Allegorese argumentativen Zwecken und zugleich der Aktualisierung des Erzmüttertexts dient. Von der Alten Kirche bis in die Neuzeit wurde die Allegorese weiter verfeinert (Unterscheidung mehrerer Schriftsinne bei Origenes, Augustin u. a.). Das Verfahren wird pneumatolo‐ gisch legitimiert: Der Autor aller Bibeltexte sei der Heilige Geist, der sie wie einen Teppich zusammengewoben habe. So seien alle Texte miteinander unsichtbar verknüpft; diese Verknüpfungen gelte es offenzulegen – eine frühe Form von Intertextualität!147 Mit dem Aufkommen der historisch-kritischen Bibelauslegung wurde die Allegorese mehr und mehr in Frage gestellt. Nicht eine unhistorische, geistliche Tiefendimension stand nunmehr im Fokus der Exegese, sondern der vom Textautor intendierte, historische Textsinn. Bezugspunkt ist dabei die Semantik des Textes.

147

Das moderne literaturtheoretische Konzept von Intertextualität lässt Allegorese als einen Spezialfall von Intertextualität erscheinen.

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Beispiel: Das ‚Kalb‘ im Gleichnis vom verlorenen Sohn könnte, allego‐ risch gedeutet, auf den gekreuzigten Christus hinweisen, der für die Vergebung der Sünden ‚geschlachtet‘ wird. Eine solche Deutung wird jedoch der ursprünglichen Intention des Lukas nicht gerecht: Erstens, das ‚Kalb‘ ist ein dekorativer Nebenzug des Gleichnisses, der nicht nach Auslegung ruft; zweitens, ‚Kalb‘ als christologische Metapher ist weder bei Lukas noch sonst irgendwo im Neuen Testament zu finden (im Gegensatz zu ‚Lamm‘). Für die historisch-kritische Methode verbietet sich Allegorese; das ist bis heute common sense der wissenschaftlichen Textauslegung, zumindest in der westlichen, vor allem durch den Protestantismus geprägten, Auslegungs‐ tradition. Der vorliegende Entwurf plädiert für eine Enttabuisierung der Allegorese (→ 2.5.5d). 2. Allegorisierung

Jülicher verstand unter Allegorisierung die nachträgliche, verfälschende Überlagerung ursprünglich allegoriefreier Texte mit ‚allegorischen‘ Ele‐ menten wie z. B. Metaphern, zeitgeschichtlichen Anspielungen etc. – Elemente, die auf eine tiefere Sinnebene hinweisen und zugleich deutungs‐ bedürftig sind.148 Beispiele: 1) Die allegorisierende Anreicherung des Gleichnisses von der königlichen Hochzeit Mt 22,1-14 durch V.7: Die Belagerung einer Stadt mit anschließender Zerstörung durch Feuer passt in keiner Weise zur kontextuellen Handlung der Vorbereitung einer Hochzeitsfeier. Somit sprengt V.7 die Erzählebene und ruft nach Auslegung. Es handelt sich hier wahrscheinlich um einen Reflex auf die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. Für diese Annahme spricht nicht nur die Geschichts‐ theologie des Matthäus (die Zerstörung Jerusalems als Strafe für die Ablehnung Jesu), sondern auch der synoptische Vergleich: Das Element

148

Klauck 1978, 354. – Mit diesen ‚allegorischen‘ Elementen sind Transferisgnale gemeint (→ 1.5.9).

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fehlt in der lukanischen Parallele Lk 14,15-24. – 2) Zum Winzergleichnis Mk 12,1-12parr. vgl. → 1.3, These 8. Die Allegorisierung ist ein Mittel, um schon ursprünglich deutungsbe‐ dürftige und teilweise unverständlich gewordene Texte in einer neuen historischen Situation zu aktualisieren und ihren ursprünglichen Sinn mit historischer Erfahrung zu verbinden. Allegorisierung ist, gegen Jülicher, positiv zu bewerten – als wichtiges und probates Mittel, Texte über ihre Ursprungssituation hinaus zu tradieren. In Umkehrung der Auffassung Jülichers wird folgende These gewagt: Die Evan‐ gelisten haben nicht ursprünglich klare Gleichnisse Jesu missverstanden. Sie haben sie nicht unnötig allegorisiert oder gar vorsätzlich verfälscht, sondern sie haben die oft als rätselhaft empfundenen Gleichnisse Jesu durch Zufügung andeutender und klärender Elemente einem weiteren Adressatenkreis zugänglich gemacht und aktualisiert.149 3. ‚Allegorische‘ Elemente

Bausteine in Gleichnissen, die auf eine externe Deutungsebene hinweisen, werden unter dem Sammelbegriff ‚allegorische‘ Elemente, besser: Transfer‐ signale zusammengefasst (→ 1.5.9; 2.5.1c; 2.5.2a). Klärende, andeutende und den tieferen Sinn verschleiernde Transfersignale stehen in einer ausgefeilten Balance nebeneinander (→ 2.5.2a). Sie sind auch für die mündlichen Gleich‐ nisse Jesu vorauszusetzen und kein Zeichen späterer Verfälschung.150 4. Allegorie

Der herkömmliche, von Jülicher geprägte Begriff ist sehr weit gefasst und bezeichnet prinzipiell jeden vergleichenden Text, der mit deutungsbedürf‐ tigen Elementen arbeitet. Allein die Beobachtung solcher Elemente recht‐ fertigt aber nicht, von einer Textgattung Allegorie zu sprechen (→ 1.4.3). In Konsequenz der Beobachtungen Klaucks wird der Gattungsbegriff Allegorie in Theologie und Literaturwissenschaft seither auf Texte mit hermetischer Tendenz (Codierung, Chiffrierung), erzählerischer Inkonzinnität und Sur‐ realistik eingegrenzt (→ 2.5.2a).

149 150

Erlemann 2017, 44. Blomberg 1990; Banschbach Eggen 2006.

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2.2.6 Neuere Trends

Seit der ‚metaphorischen Wende‘ fokussiert die Gleichnisforschung bis dato vernachlässigte Aspekte, so den didaktischen, kommunikationsthe‐ oretischen, redaktionskritischen, rezeptionsästhetischen und religionsge‐ schichtlichen Aspekt.151 a) Der didaktische Aspekt

Die Wiederentdeckung der Gleichnisform wird von Ingo Baldermann (*1929) und anderen Gleichnisauslegern didaktisch fruchtbar gemacht.152 Dem Gleichnis als Offenbarungsmedium entspreche didaktisch die Methode der Nacherzählung. Ziel dieses Umgangs sei es, die Erzählung aus der Perspektive des Autors zu lesen und zu verstehen. Das Gleichnis hat, so Baldermann, die Kraft der erzählenden Sprache für sich: Jede Erzählung bringt den Hörer dazu, daß er die Dinge mit den Augen des Erzählers liest.153

Die methodische Konsequenz lautet: Rekonstruktion der Entstehungssitua‐ tion der Gleichnisse. Gelingt die Nacherzählung, so Baldermann, können die Adressaten zum Glauben finden und eine neue Existenzmöglichkeit ergreifen; damit hätte das Gleichnis seinen Zweck erfüllt. Der Ansatz ver‐ knüpft das rhetorisch-argumentative Gleichnisverständnis mit der herme‐ neutischen Hochschätzung der narrativen, mündlich vorgetragenen Gleich‐ nisrede und mit ihrer existenzialen Interpretation.154 – Ein Neuerzählen des Gleichnisses ist für Erhardt Güttgemanns (1935-2008) der methodische Ansatz, um den Gleichnissen in veränderten hermeneutischen Situationen ihre ursprüngliche Wirkung zurückzugeben. Hierfür entwickelt er die Auf‐ fassung vom Gleichnis als ‚generativer Poetik‘ – einer Poetik, die das, worum es geht, allererst hervorbringt. Güttgemanns betont die Verschränkung von Form und Inhalt sowie die didaktische Zweckbestimmung der Gleichnisse.155

151 152 153 154 155

Zum Folgenden vgl. Erlemann 2017, 14-16. Baldermann 1966; ders. 1980, 170-177. Baldermann 1966, 126. Baldermann, 1966, 130, wertet wie Jülicher und Harnisch die nachösterliche Verschrift‐ lichung der Gleichnisse als Allegorisierung ab. Güttgemanns 1973.

2.2 Zwischenschritte zur modernen Gleichnisforschung

b) Der kommunikationstheoretische Aspekt

Der von Edmund Arens (*1953) und Eckhard Rau (1938-2011) vertretene Ansatz versteht das Gleichnis als Teil eines historischen Kommunikations‐ geschehens.156 Gleichnisse sind kommunikative Handlungen eines Sprechers in Bezug auf seine Hörer angesichts einer zur Diskussion stehenden Sache.157

Die kommunikative Handlung mit all ihren rhetorischen Techniken sorge für eine Veranschaulichung des Inhalts und dafür, die Herzen der Adressaten zu bewegen.158 Der Zweck der Gleichnisbotschaft sei nicht kognitiver (In‐ formation über Gott und sein Handeln), sondern emotiv-praktischer Art (Verhaltensänderung): „Gleichnisse wollen in die ‚Sache‘ der Praxis des Lebens übersetzt werden.“159 Methodisch entspricht dem Ansatz die Rekonstruktion der ursprüngli‐ chen Verstehensbedingungen und Assoziationsmöglichkeiten mittels einer Kombination von Realienkunde, Traditionsgeschichte, Religionsgeschicht‐ lichem Vergleich und Redaktionskritik. – Gegen die in der ‚metaphorischen Wende‘ und im französischen Strukturalismus entwickelte Auffassung einer ‚ästhetischen Autonomie‘ der Gleichnisse (→ 2.2.6g) gilt der literarische Kontext als Verstehensschlüssel. c) Der redaktionskritische Aspekt

Voraussetzung für eine redaktionskritische Betrachtung ist die Absage an das Postulat eines Gleichnis-Idealtyps und an die damit verbundene Missverständnis- und Verfälschungstheorie Jülichers. Wie im kommuni‐ kationstheoretischen Ansatz gilt auch hier der (literarische) Kontext als Verstehensschlüssel. Gleichnisse sind, so Gerhard Sellin (1943-2017), Kom‐ mentare zum kontextuell geschilderten Verhalten Jesu.160 Es bestehe eine intensive Wechselwirkung zwischen Wirken und Reden Jesu. Der theologi‐ sche Bezugsrahmen der Gleichnisse ist, so Sellin, im literarischen Kontext abgebildet: die Gottesherrschaft, die in Jesu Handeln konkret wird.161 156 157 158 159 160 161

Rau 1990; Arens 1982. Arens 1982, 53. Im Rückgriff auf Quintilian, Inst. Orat. III 8.19. Rau 1990, 25. – Zur praktisch-ethischen Ausrichtung der Gleichnisse vgl. Dannenmann 2019. Sellin 1978. A.a.O., 314f.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

d) Der rezeptionsästhetische Aspekt

In Zuspitzung des kommunikationstheoretischen Ansatzes fragt Dieter Massa (*1966) nach dem Einfluss der Leserschaft auf die Textgestaltung bzw. nach dem Verhältnis von Textproduktion und -rezeption.162 Leitend ist dabei das Bild vom Autor, der das Gleichnis so konzipiere, dass es von der intendierten Leserschaft möglichst optimal verstanden werden kann. Um dies zu gewährleisten, sei nicht nur jedes gleichnisinterne Element sorgfältig formuliert, sondern auch die Implementierung in den literarischen Kontext ein bewusster Akt der Leserlenkung.163 Im Fokus stehen insbesondere die Transfersignale des Textes (→ 1.5.9; 2.2.5b; 2.5.2a). Auch im Blick sind traditionsgeschichtliche Prätexte, Tra‐ ditionen und Motive, die in den Text einfließen und das Verstehen der Adressaten in eine bestimmte Richtung lenken. Damit werde ein Interpre‐ tationsrahmen umrissen, innerhalb dessen die Adressaten den Text deuten könnten; eine eindeutige Festlegung des Textsinns unterbleibe jedoch, was der Polyvalenz der Metaphorik, dem überschießenden Sinnpotenzial des Textes und der individuellen Aneignung durch die Leserinnen und Leser entspricht. Die Frage der Autorintention verliert bei diesem Ansatz an Relevanz; wichtiger ist das (jeweilige) Textverständnis der Adressaten. Der theologische Bezugsrahmen ergebe sich aus dem kreativen Leseakt. Der Bezugsrahmen sei nicht einseitig im Sinne einer ‚zeitlosen, religiösen Satz‐ wahrheit‘ oder einer ‚neuen Existenzmöglichkeit‘ zu verstehen; kritisiert wird auch die Annahme einer ‚ästhetischen Autonomie‘ der Gleichnisse (→ 2.2.6g). Der Ansatz bewegt sich zwischen einer Fixierung des theologischen Bezugsrahmens im Sinne Jülichers und der existenzialen Interpretation einerseits sowie einer völligen Öffnung des Textsinns im Sinne des Struk‐ turalismus andererseits. e) Der psychologische Aspekt

Iver K. Madsens psycholinguistischer Ansatz fragt nach den Assoziationen des Autors beim Verfassen eines Gleichnisses.164 Ähnlich fragt Martin Leiner (*1960) textpsychologisch nach dem Produktionsprozess und seinen

162 163 164

Massa 2000. Zu den theoretischen Grundlagen der Rezeptionsästhetik vgl. Warning 1975. Madsen 1936.

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unbewussten, emotionalen und kognitiven Faktoren.165 Die Emotionalität der Texte sei ausschlaggebend, um die intendierte Einstellungsveränderung zu erreichen. – Tim Schramm (*1940) legt mit dem bibliodramatischen Zugang einen eigenständigen psychologischen Ansatz vor. Dabei wird die Erzählebene ausgelotet und mit persönlicher Erfahrung des Auslegers angereichert.166 Einfühlung in den Text, freie Assoziation und historisch-kri‐ tische Arbeit ergänzten sich gegenseitig. Mithilfe textpragmatischer Tech‐ niken wie ‚antithetischer Zwilling‘ und offenen Erzählschlüssen führten die Gleichnisse unterschiedliche Handlungsmuster vor Augen und provozierten suggestiv Stellungnahme bzw. Parteinahme. Als kleine bibliodramatische Bühnenstücke kämen die Gleichnisse erst dann zu ihrem Ziel, wenn sie ‚ins Leben gezogen‘ bzw. immer wieder neu inszeniert werden.167 – Schramm zufolge führt das Bibliodrama auch zu einer neuen Einschätzung der Alle‐ gorese: Im Bibliodrama – das ist meine Erfahrung – tut sich nicht selten ein (auch) allegorisches Verstehen der Texte auf; die Allegorese kehrt zurück im mimeti‐ schen Spiel, vorwissenschaftlich-spontan und ungeniert. Das ist kein Wunder, denn wer die Bilder ernst nimmt, sich von Symbolen berühren läßt und der Einladung zur Identifikation folgt, der überschreitet schnell den Buchstaben-Sinn; er findet Tiefenschichten in ‚seinem‘ Text, die sich oft als so evident erweisen, daß die strikte Abwehr einer allegorischen Auslegung durch die historisch-kritische Exegese als unangemessen erscheint.168

Ein Beispiel für die Nähe von Bibliodrama und Allegorese ist das in den Gleichnissen Lk 15,3-32 zu entdeckende ‚trinitarische Triptychon‘, das den Hirten auf Jesus Christus, die Frau auf den Heiligen Geist und den Vater auf Gott hin deutet.169

165 166 167 168 169

Leiner 1995, bes. 302-307, im Rekurs auf ,moderne Assoziationspsychologie‘. Eine Fortsetzung findet Leiners Ansatz bei Dannenmann 2019, die die Frage auf den Rezeptionsprozess ausweitet. Schramm 1987, 124. Schramm 2003, im Rekurs auf Eichholz 1965. – Hier zeigt sich eine Nähe zum dramaturgischen Entwurf von Harnisch (→ 2.2.3g). A.a.O., 132. – Schramm plädiert im Gefolge von Klauck und Sellin (beide 1978) für eine Revision des anti-allegorischen Affekts in der Gleichnisforschung. Schramm 1987, 132.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

f) Der religionsgeschichtliche Aspekt

David Flusser (1917-2000), Klaus Berger (1940-2020) und Peter Dschulnigg (1943-2011) verorten den Interpretationsrahmen der Texte im frühjüdischen und hellenistischen Umfeld.170 Der Blick auf außerbiblische Gleichnisse lässt den Gegensatz zwischen Allegorie und Gleichnis fraglich erscheinen.171 Während Flusser und Dschulnigg wie einst Paul Fiebig die enge Verwandt‐ schaft der Gleichnisse Jesu mit den meschalím des frühen Judentums betonen (→ 2.2.1), weist Berger auf die Nähe zu den griechisch-römischen Dekla‐ mationen hin. Diese Übungstexte für angehende Juristen laufen, ähnlich wie manche Gleichnisse, auf ein bestimmtes, durch geschickte rhetorische Leserlenkung suggeriertes Urteil hinaus (→ 1.4.2). In den Fokus rückt dabei die besondere Textpragmatik vergleichender Texte. 2.3 Die aktuelle Diskussion Das 2007 von Ruben Zimmermann (*1968) herausgegebene ‚Gleichniskom‐ pendium‘ markiert eine neue Phase der Gleichnisforschung.172 Erstmalig seit Jülichers Doppelband werden nicht nur die kanonischen und apokry‐ phen Gleichnisse flächendeckend ausgelegt, sondern es erfolgt auch eine breite, interdisziplinär angelegte theoretische Grundlegung. Hierbei werden einzelne Aspekte der Gleichnistheorie neu durchdacht und synthetisiert. Einzelne Aspekte sind: a) Fokussierung auf die Endgestalt der Gleichnisse: Die Rückfrage nach der Urgestalt der Gleichnisse bzw. nach der ipsissima vox Jesu (Jülicher, Jere‐ mias) wird als verfehlt abgelehnt.173 Trotzdem gelten Gleichnisse weiterhin als Urgestein der Überlieferung, als prädestinierte Medien der Jesuserinne‐ rung im Sinne der Wirkungsplausibilität.174 Der Verschriftlichungsprozess wird nicht negativ im Sinne eines Missverständnisses oder bewusster Verfälschung gewertet. b) Absage an apologetische Tendenzen: Anstelle der qualitativen Distanzie‐ rung der Gleichnisse Jesu von jüdisch-hellenistischen Gleichnissen plädiert das ‚Gleichniskompendium‘ für eine konsequent religionsgeschichtliche 170 171 172 173 174

Flusser 1981, Berger 1984b; Dschulnigg 1989. Vgl. die Neubestimmung von Allegorie etc. durch Hans-Josef Klauck, → 2.2.5. Zum Folgenden vgl. Erlemann 2017, 16f. Zimmermann 2007b, 4. Ebd., unter Bezug auf Theißen/Merz 2001, 116-120.

2.3 Die aktuelle Diskussion

Einbettung der Gleichnisse.175 Formale und funktionale Vorläufer stellten die alttestamentlichen Gleichnisse und meschalím dar, bedeutsame Analo‐ gien böten die grieschisch-hellenistische Literaturgeschichte und die antike Rhetorik. c) Die Alternative der rhetorischen oder poetischen Abzweckung wird verworfen: Unter Rückgriff auf Quintilian wird die Ambivalenz der Meta‐ pher als rhetorisches Überzeugungsmittel und als poetische Neubeschrei‐ bung von Wirklichkeit hervorgehoben.176 Die ‚metaphorische Wende‘ wird bestätigt. Metaphern dienten einer Neuerschließung von Welt und Sein bzw. der (Re-)Strukturierung der Wirklichkeit; Gleichnisse gelten als einzig angemessene Form, von Gott zu sprechen.177 Die Gleichnispoetik sorge für eine prinzipielle Unabgeschlossenheit der Deutung.178 d) Gegen die Dominanz der Autorintention: Die einseitige Fokussierung auf die Autorintention wird abgelehnt; das Verständnis der Texte als deu‐ tungsbedürftige Rätselworte mit inhärenter Deutungsvielfalt lenkt das Au‐ genmerk auf die Sinn schaffende Eigenleistung der Rezipienten. Gleichnisse seien ‚deutungsaktiv‘; ihre Mehrdeutigkeit sei ein Appell, in das Erzählte einzusteigen und in ihm konkrete Lebenswahrheiten zu entdecken.179 In‐ tentionale Verstehensrichtung und individuelle Aneignung entscheiden gemeinsam über den Textsinn. Die Koppelung beider Perspektiven richtet sich gegen eine vorschnelle Vereinnahmung der Gleichnisse.180 e) Konsequente Kontextualisierung: Gegen das Konzept ‚autonomer Kunst‐ werke‘ (→ 2.2.6g) verweist Zimmermann auf den historischen, sozialen und literarischen Kontext der Gleichnisse als notwendigen Deutungsrahmen. Sprachlich-narrative Analyse und historische Betrachtung werden mitein‐ ander verschränkt.181 Dies entspricht der Koppelung intentionaler Verste‐ hensrichtung mit individueller Aneignung und verhindert die Beliebigkeit des Verstehens bzw. einen Verstehensverzicht; Offenheit und Verbindlich‐ keit bilden ein dynamisches Gegenüber.182 175 176 177 178 179 180 181 182

A.a.O., 5-8. A.a.O., 7 f., sowie Zimmermann 2008b. – Bei Quintilian, Inst. Orat. V 11, nehmen similitudines eine Zwischenstellung zwischen beiden Bereichen ein. A.a.O., 9-12, unter Rückbezug auf Jüngel 1982. Zimmermann 2008c, 21; ders. 2013, 198. Zimmermann 2007b, 12-14; gegen Jülichers ‚allgemeine Vernunftwahrheiten‘ gerichtet. – Weiterhin Zimmermann 2008c, 4f. Zimmermann 2008c, 19. Zimmermann 2007b, 16 (gegen Via 1970) sowie Zimmermann 2008c, 19. Zimmermann 2008c, 23.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

f) Die Rätselhaftigkeit als hermeneutischer Hebel: Die Rätselhaftigkeit der Gleichnisse wird hermeneutisch fruchtbar gemacht: Gerade das ‚primäre Unverständnis‘ stelle die Rezipienten vor die Aufgabe, genauer hinzuhören und in einen Prozess des Fragens, Staunens und Suchens einzusteigen. Die Verwendung deutungsbedürftiger Rede sei geradezu eine ‚spezielle hermeneutische Strategie‘, um zu einem vertieften Verständnis zu führen.183 g) Absage an die Unterteilung der Gleichnisstoffe: Die formkritische Klas‐ sifikation der Gleichnisstoffe wird zurückgewiesen.184 Jülichers Unterschei‐ dungskriterien seien weder durch die antike Rhetorik abgedeckt noch in der Praxis anwendbar.185 Mischformen sind die formkritische Regel, so Zim‐ mermann in Anlehnung an Fiebig (→ 2.2.1). Zimmermann verweist darauf, dass das Griechische in Hinblick auf vergleichende Texte fast durchweg von parabolaí spricht, anstatt zu differenzieren. In der Konsequenz fordert Zimmermann den Verzicht auf eine Klassifikation: „Parabeln – sonst nichts!“ lautet sein programmatisches Statement.186 Das ‚Gleichniskompendium‘ versteht sich als integratives Modell his‐ torisch-diachroner, literarisch-literaturwissenschaftlicher und hermeneu‐ tisch-leserorientierter Zugänge.187 So verbinden sich die Fragen nach der Entstehungssituation und nach der sozialen Wirklichkeit der intendierten Adressaten sowie die (narrativ-sprachliche) Betrachtung des Texts an sich, religionsgeschichtliche Einbettung, Textpragmatik und Rezeptionsästhetik zu einem breit angelegten Gesamtentwurf. 2.4 Auswertung: Leitende Fragestellungen und Alternativen Der obige Überblick über die Gleichnisforschung wird im Folgenden anhand der die Diskussion leitenden Alternativen systematisch ausgewertet. 2.4.1 Ein einziger vs. mehrere Vergleichspunkte

Jülicher sieht im Gleichnis das rhetorische Beweismittel für eine sittlich-re‐ ligiöse ‚Satzwahrheit‘, die den Vergleichspunkt zwischen ‚Bildhälfte‘ und 183 184 185 186 187

A.a.O., 5 f. Zimmermann spricht von ‚produktiver Unverständlichkeit‘. Ausführlich dazu vgl. Zimmermann 2008d. Weiterhin ders. 2015, 183-191. Zimmermann 2008b, 257f. Zimmermann 2007c, 17-28. Zum Folgenden vgl. Zimmermann 2008c.

2.4 Auswertung: Leitende Fragestellungen und Alternativen

‚Sachhälfte‘ darstellt. Die ‚Satzwahrheit‘ herauszufinden, sei das Ziel der Gleichnisexegese.188 Methodisch entsprechen dem die Rückgewinnung des Entstehungskontextes und die Rekonstruktion des Gleichnisses in seiner mündlichen Urgestalt. ‚Allegorische‘ Elemente (besser: Transfersignale) führt Jülicher auf das Missverständnis der Evangelisten zurück; die Ausle‐ gung solcher Elemente führe in die Irre. Mit der Rehabilitation metaphorischer, das heißt bedeutungsoffener und deutungsbedürftiger, Redeweise erscheint Jülichers Auffassung überholt (→ 2.2.3). Methodisch leitend ist nunmehr die Rekonstruktion der ursprüng‐ lichen Verstehensbedingungen für Bildfelder, Metaphern, zeitgeschichtliche Anspielungen etc. sowie redaktionskritische Überlegungen zu Semantik und Sprachgebrauch des Autors (→ 2.2.6b-d). Die Deutungsoffenheit der Metaphern entspricht nach neuer Sichtweise der Deutungsoffenheit des Gleichnisses und der Annahme potenziell mehrerer Vergleichspunkte zwi‐ schen Bild- und Deutungsebene. Um der Gefahr allegorischer Auslegung zu entgehen, gilt die Pointe des Gleichnisses als kritisches Korrektiv (→ 2.5.5cd; 3.1). 2.4.2 Gleichnis vs. Allegorie

Jülichers Gleichnistheorie basiert auf der Entgegensetzung von Gleichnis/ Vergleich (‚eigentlicher Rede‘) vs. Allegorie/Metapher (‚uneigentlicher Rede‘), von rhetorischem vs. po(i)etischem Zweck, von mündlicher Ur‐ form vs. verschriftlichter Gleichnisform, von einem einzigen vs. meh‐ reren Vergleichspunkten sowie von methodischem Deutungspurismus vs. Auslegungsbedarf. Das dahinter stehende Jesusbild korrespondiert mit der Missverständnis- bzw. Verfälschungstheorie und dem Postulat eines Gleichnis-Idealtyps (→ 2.1.1f.; 2.5.5b). Die Beobachtung von Mischformen als Regelfall frühjüdischer meschalím, die ‚metaphorische Wende‘ und die Revision des Allegoriebegriffs189 erweisen den Gegensatz von Gleichnis und Allegorie als Scheinalternative (→ 2.2.1; 2.2.3; 2.2.5; 2.5.2a). Allegorisierung wird heute weithin als historische und hermeneutische conditio sine qua non einer gelingenden Neukontextualisierung und Aktua‐

188 189

Das macht das Gleichnis freilich nicht entbehrlich, vgl. Jülicher 1910, I 102: „Dass die Erzählung wie eine wertlose Schale behandelt wird, die man wegwirft, sobald man des Kernes habhaft werden kann, ist ein vollends unmotivierter Vorwurf.“ Klauck 1978; Banschbach Eggen 2007; Erlemann 2017, 42.

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88

2 Gleichnisforschung im Überblick

lisierung des ursprünglichen Textes verstanden.190 Die Allegorie gilt heute einerseits als Stilmittel auch im nicht-literarischen Bereich, andererseits als Gattungsbegriff, der auf Texte mit hermetischer Grundtendenz einzu‐ grenzen ist (→ 2.2.5b; 2.5.2a). 2.4.3 Rhetorischer vs. po(i)etischer Zweck

Jülicher verstand Gleichnisse als rhetorische Argumentations- und Beweis‐ mittel, die durch die Rekonstruktion des tertium comparationis im Sinne einer sittlich-religiösen Satzwahrheit in nicht-vergleichende Rede zu über‐ führen sei. Die ‚metaphorische Wende‘ führte zum Neuverständnis der Texte als poetischer, ja poietischer Gattung, deren Sinnpotenzial sich nicht in einer Satzwahrheit erschöpfe, sondern in die Neubeschreibung bzw. Neukonstituierung der Wirklichkeit münde (→ 2.2.3b; 2.5.4b). Gleichnisse gelten als erweiterte Metaphern und als hermeneutisch adäquate Form, von Gottes Wirklichkeit zu sprechen (→ 2.2.3c; 2.5.4c). Hieraus ergibt sich die Auffassung, Gleichnisse seien ein Offenbarungsmedium sui generis und die Realisierung des Reiches Gottes ein Sprachereignis (→ 2.2.3d; 2.5.4d). Die Gleichnisform gilt in der Folge aufgrund ihrer Fiktionalität und Nar‐ rativität als unersetzbar, da nur sie einen ‚metaphorischen Prozess‘ in Gang setzen könne, der zur Entdeckung der Wirklichkeit Gottes führt. Dies gilt, so Harnisch, nur für die mündlichen Gleichnisse; die Verschriftlichung führe zu einem ‚Sprachverlust‘.191 – Die jüngste Gleichnisforschung betont das Wech‐ selspiel zwischen rhetorisch-argumentativer und poetischer Gleichnisfunk‐ tion (→ 2.3c). Vergleichende Rede setze nicht-vergleichende Argumentation mit anderen Mitteln fort. Der Rückgriff auf vergleichende Sprache biete den Vorteil, dass das argumentative Lernziel nicht nur kognitiv, sondern auch affektiv-praktisch vermittelt wird. Gleichnisse seien Jesu Kampf um die Herzen der Menschen (vgl. → 2.2.6b).192

190 191 192

Ausnahme: Harnisch (1985, 66.308), Auffassung vom ‚Sprachverlust‘ (→ 2.2.3g). Harnisch 1985, 66.308. Erlemann 2017, 43.69.

2.4 Auswertung: Leitende Fragestellungen und Alternativen

2.4.4 Kontextualität / Autorintention vs. ästhetische Autonomie / Leserzentriertheit

Für Vertreter der Kontextgebundenheit der Gleichnisse ist die Bedeutungs‐ richtung eines Gleichnisses durch seinen historischen bzw. literarischen Kontext und durch die Intention des Autors vorgegeben. Der Kontext gilt als die maßgebliche Instanz, die über den Textsinn entscheidet. Dem entspricht das Verständnis vom Gleichnis als einem rhetorischen Argu‐ mentationsmittel. Vertreter der po(i)etischen Sichtweise betonen hingegen die prinzipielle Deutungsoffenheit des Gleichnisses im Sinne ästhetischer Autonomie (→ 2.2.6g). Damit erscheint der Textsinn abgelöst von kontex‐ tuellen Faktoren; das Gleichnis entwickle als poetisches Kunstwerk eine Eigendynamik, was den Textsinn anbelangt. Die Sinnkonstitution ergebe sich im individuellen Rezeptionsvorgang jeweils neu und vielgestaltig.193 Diese Auffassung korreliert mit der vom Sprachereignis, das je und je in der Begegnung mit der Gleichnisbotschaft stattfinde. Die historische Analyse zur Erschließung des ursprünglichen Textsinns wird hier als inadäquat ab‐ gelehnt.194 Das, worum es im Gleichnis geht, sei überzeitlich und betreffe die Menschen aller Zeiten und Kulturen gleichermaßen. Die narrativ-poetische Gleichnisform sorge dafür, dass sich der theologische Bezugsrahmen je und je neu und unmittelbar, ohne Rekurs auf historische Gegebenheiten, ergibt (→ 2.2.3; 2.5.3a; 2.5.4d).195 2.4.5 Theologische Inhalte vs. ‚Sprachereignis‘

Ist das Gleichnis ein Sprachereignis, ist sein Inhalt ein Ereignis, das sich je und je im Hören oder Lesen des Gleichnisses einstellt – eine individu‐ elle Begegnung mit der Gottesherrschaft und deren aktuelle Realisierung (→ 1.5.11; 2.2.3d). Der Akzent liege auf dem punktuellen Geschehen der Glaubenserfahrung bzw. Offenbarung Gottes im Gleichnis; das sei die 193 194 195

Via 1970; Harnisch 1985, 156; vgl. Theißen/Merz 1996, 304: „Sie [scil. die Gleichnisse Jesu] sind kleine Kunstwerke, die ihre Pointe in sich tragen und die auch ohne größeren literarischen Kontext existieren können.“ Harnisch 1982, 13. Für Harnisch ist schon die Suche nach einem Vergleichspunkt Allegorese. Harnisch vergleicht das Gleichnis mit der Fabel, deren Erzählarrangement, einem Bühnenstück gleich, den Zuschauer in idealer Weise in die Handlung des Erzählten verwickle, so dass sich ihm die Gottesherrschaft wie ein überraschender ‚Aha-Effekt‘ als neue Lebensmöglichkeit eröffne.

89

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2 Gleichnisforschung im Überblick

poíesis des po(i)etisch wirkenden Textes.196 Hier einen theologischen Bezugs‐ rahmen suchen zu wollen, wäre verfehlt. – Anders die rhetorisch-argumen‐ tative Sichtweise: Das Gleichnis transportiere als Teil eines historischen Kommunikationsgeschehens einen theologischen Inhalt (→ 2.2.6b; 2.5.6), woraus sich die Frage nach dem historischen Textsinn bzw. nach der Autorintention und den Rezeptionsbedingungen der Adressaten ergibt. Diese Alternative spaltet nach wie vor die Gleichnisforschung in zwei Lager. Gegen die Theorie vom Sprachereignis wird kritisch eingewandt197: a) Die Realisierung der Gottesherrschaft im Vollzug des Hörens des Gleich‐ nisses sei nicht überprüfbar; b) Nachprüfbar sei die Vermittlung komplexer religiöser Erfahrung; c) Die Rede vom Sprachereignis sei eine reine Glaubens‐ wahrheit und apologetisch (Dokumentation der Einzigartigkeit der Predigt Jesu; → 2.4.6; 2.5.4d); d) Die Reduktion des theologischen Inhalts auf die Gottesherrschaft werde von den Gleichnissen nicht gedeckt (→ 2.5.6). – Die Alternative entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Scheinalternative: Rhetorik und Poetik gehen beim Gleichnis Hand in Hand, historisches Ver‐ stehen und affektives Angerührtsein ebenso. Die Gottesherrschaft (oder was auch immer als theologischer Bezugsrahmen des Gleichnisses anzusehen ist) gewinnt im Gleichnis Konkretion; dieser poetische Aspekt der Gleichnisse ist jedoch nicht loszulösen von dem rhetorisch-argumentativen Aspekt (→ 2.5.3b). 2.4.6 Mündliche vs. schriftliche Gleichnisse

Diese Entgegensetzung schlug sich ab der ‚metaphorischen Wende‘ in der hermeneutischen Hochschätzung der mündlichen Gleichnisrede Jesu als Sprachereignis und in der Negativbewertung des Verschriftlichungspro‐ zesses nieder (→ 2.2.3dg; 2.5.5b).198 Dem wird in der neueren Gleichnisfor‐ schung widersprochen; das Postulat einer kontextfreien Rezeptionssituation erscheint demnach ebenso fragwürdig wie die hermeneutische Abwertung der schriftlichen Endgestalt der Gleichnisse.199 Das apologetische Interesse, die Einzigartikeit der Gleichnisrede Jesu herauszustellen, deute außerdem auf dogmatische Voreingenommenheit der Exegeten hin (→ 2.2.4; 2.5.8). 196 197 198 199

Vgl. dazu Weder 1978, 275: „Die Gleichnisse setzen keine allgemeinen Wahrheiten über Gott in die Welt; sie machen vielmehr die Nähe Gottes zur Welt zum Ereignis.“ Zum Folgenden vgl. Erlemann 1999, 112-114. Harnisch 1985, 66.308. Vgl. Erlemann 1999, 154.

2.4 Auswertung: Leitende Fragestellungen und Alternativen

2.4.7 Auslegungsbedarf vs. -abstinenz

Jülicher lehnte die Deutung der Gleichnisse ab, da sie ursprünglich keinerlei Deutung benötigten (→ 2.1). Vertreter der Sprachereignis-Theorie lehnen die Deutung ab, da weder der historisch-literarische Kontext noch die Autorintention für das Verstehen ausschlaggebend seien. Vielmehr sei die Wirkung der Erzählung im Sinne eines ‚metaphorischen Prozesses‘, in welchem sich Gottes Liebe und Herrschaft realisierten, entscheidend (→ 2.2.3). Auslegungsabstinenz ist, so gesehen, die Folge einer verengten Sichtweise (das Gleichnis als rhetorisch-argumentative oder als po(i)eti‐ sche Sprachform). Demgegenüber plädiert der vorliegende Band für eine Verschränkung historischer und narrativer, rhetorischer und poetischer Be‐ trachtungsweisen (→ 2.5.5c). Der jeweilige Textsinn eines Gleichnisses ist durch diachrone (historisch-sozialgeschichtliche, traditionsgeschichtliche, religionsgeschichtliche) und durch synchrone (kompositions- und redakti‐ onskritische, textlinguistische, formkritische, textpragmatische) Methoden‐ schritte zu erheben. 2.4.8 Reich Gottes vs. Vielfalt theologischer Inhalte

Ist das ‚Reich Gottes‘ bzw. die ‚Gottesherrschaft‘ das Passepartout der Gleichnisauslegung oder ist mit unterschiedlichen theologischen Bezugs‐ größen zu rechnen? Die Gleichnisforschung nennt seit Jülicher stereotyp die basileía Gottes als ‚Sache‘ der Gleichnisse (zur Diskussion → 1.5.10). Da nur ein Teil der Gleichnisse die Gottesherrschaft explizit als Bezugsrahmen nennt und es sich bei der Rede von der basileía um eine Rahmenmeta‐ pher für Gottes Wirklichkeit handelt, erscheint es sachgemäß, nicht vom ‚Reich Gottes‘ als der einen ‚Sache‘, sondern von einem theologischen Bezugsrahmen zu sprechen, der unterschiedliche Aspekte der göttlichen Wirklichkeit enthält (→ 2.5.6). 2.4.9 Gleichnistypen vs. ‚alles Parabel‘

Die formkritische Einteilung der Gleichnisstoffe (→ 2.1.3) wurde schon früh mit Verweis auf zahlreiche Mischformen kritisiert (→ 2.2.1).200 In jüngster Zeit wird sie unter Verweis auf die antike Rhetorik und auf den biblischen

200

Fiebig 1904; vgl. Rau 1990, 26-35; Klauck 1978, 357.

91

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2 Gleichnisforschung im Überblick

Sprachgebrauch zurückgewiesen.201 Doch ist der Versuch, Gleichnistypen zu bestimmen, legitim, denn er entspringt dem Bedürfnis, das Phänomen Gleichnisse in seiner Differenziertheit zu erfassen.202 Zu fragen ist, ob es eine Alternative zur formkritischen Klassifikation gibt. Der vorliegende Ansatz versucht, von der Textpragmatik aus zu einer zumindest heuristisch tragfähigen Einteilung zu gelangen (→ 2.5.7). 2.4.10 Fazit: Der Erkenntnisgewinn aus hundert Jahren Gleichnisforschung a) Bleibende Grundeinsichten Jülichers

Folgende Grundeinsichten Jülichers stehen nach wie vor in Geltung: Erstens, Gleichnisse sind nicht willkürlich, je nach theologischem Gusto, auszu‐ legen; Allegorese verbietet sich im wissenschaftlichen Diskurs weitgehend (Ausnahme: → 2.5.5d). Dem entspricht die methodische Fokussierung auf den Zielgedanken (Pointe). Dies verhindert Allegorese. Zweitens, Jülichers Problemhorizont gibt nach wie vor den Rahmen der Gleichnisforschung vor. Drittens, die hohe Wertschätzung der Gleichnisse als Urgestein der Jesuserinnerung ist bis heute ein wichtiger und weithin unwidersprochener Impuls der Frage nach den Gleichnissen.203 b) Leitende Alternativen und Scheinalternativen

Die Gleichnisforschung bewegt sich seit Jülicher weitgehend in einem Raster von Alternativen bzw. Scheinalternativen, die die Diskussion beför‐ dern, aber auch behindern. Diese Alternativen lauten204: ▸ 1. formkritischer Aspekt: Gleichnis [Vergleich] vs. Allegorie [Meta‐ pher] bzw. ‚eigentliche‘ vs. ‚uneigentliche‘ Rede (Frage der sprach‐ lich-rhetorischen Grundunterscheidung). ▸ 2. formkritischer Aspekt: Mündliche vs. verschriftlichte Gleichnisse (Frage des Gleichnis-Idealtyps). 201 202

203 204

Zimmermann 2008d; 2007c; → 2.3g. So schon, noch auf der Grundlage formkritischer Unterscheidung, Bultmann 1979, 188f.: „Also: die begriffliche Scheidung ist notwendig zum Verständnis der formgebenden Motive; daß aber der Einzelfall eine Form rein zum Ausdruck bringen müßte, kann kein Verständiger fordern; deshalb soll man um den Einzelfall nicht viel streiten“. Vgl. aber → 1.3, These 7. Die einzelnen Aspekte gehen ineinander über, lassen sich aber unterscheiden.

2.4 Auswertung: Leitende Fragestellungen und Alternativen

93

▸ 3. formkritischer Aspekt: Einzigartigkeit vs. religionsgeschichtliche Einbettung und Vergleichbarkeit (Frage des Alleinstellungsmerkmals Jesu). ▸ 4. formkritischer Aspekt: Verschiedene Gleichnistypen vs. ‚alles Pa‐ rabel!‘ (Frage der Binnendifferenzierung). ▸ 1. hermeneutischer Aspekt: rhetorisch-argumentativer vs. po(i)etischer Zweck (Frage des Verhältnisses von Form und Inhalt). ▸ 2. hermeneutischer Aspekt: Verfälschungsprozess bzw. Sprachverlust vs. notwendige Aktualisierung (Frage der historischen Adaption). ▸ 3. hermeneutischer Aspekt: Vermittlung von Inhalten vs. ‚Spracher‐ eignis‘ bzw. Offenbarungsmedium sui generis (Frage der Sprachkraft). ▸ 4. hermeneutischer Aspekt: Kontextualität vs. ästhetische Autonomie (Frage der [un-]mittelbaren Wirkung). ▸ 1. exegetischer Aspekt: Ein einziges tertium comparationis vs. mehrere Vergleichspunkte (Frage der Substituierbarkeit von Gleichnis / Meta‐ pher). ▸ 2. exegetischer Aspekt: Rekonstruktion der Urform (diachron) vs. Be‐ trachtung der Endgestalt (synchron). ▸ 3. exegetischer Aspekt: Decodierung der Metaphorik vs. Auslegungs‐ abstinenz (Frage der intentionalen Eindeutigkeit einer parabolḗ). ▸ 4a. exegetischer Aspekt: Frage nach Autorintention vs. Leserzentriert‐ heit. ▸ 4b. exegetischer Aspekt: Reich Gottes vs. Vielfalt theologischer Inhalte. Die tabellarische Übersicht zeigt die Erkenntnis leitenden Fragen und die innere Verflechtung der leitenden Alternativen der Gleichnisforschung auf: Aspekte, Leitfragen

formkritisch

hermeneutisch

1

Zweck bildhafter Sprache; Jesus als Pädagoge, Esote‐ riker oder Po(i)etiker

rhetorisch/argu‐ ein einziges ter‐ Gleichnis/ tium compara‐ Vergleich vs. Al‐ mentativ vs. legorie/Meta‐ po(i)etisch tionis vs. mehrere pher Vergleichspunkte

2

Idealtyp; ipsissima mündliche vs. vox Jesu als her‐ schriftliche meneutisch letzt‐ Gleichnisse gültig relevante Instanz

authentische, sachgemäße Ak‐ tualisierung vs. Verfälschung/ Sprachverlust

exegetisch

Rekonstruktion der Urform vs. re‐ daktionskritische Betrachtung

94

2 Gleichnisforschung im Überblick

Aspekte, Leitfragen

formkritisch

hermeneutisch

exegetisch

3

Verhältnis von Form und Inhalt; Sprachkraft; mehrdimensio‐ nales Alleinstel‐ lungsmerkmal Jesu

Einzigartigkeit vs. religionsge‐ schichtliche Ein‐ bettung und Vergleichbarkeit

Vermittlung von Inhalten vs. Sprachereignis / Offenbarungs‐ medium sui ge‐ neris

Decodierung der Metaphorik vs. Verzicht auf Aus‐ legung.

4

Unterschiedliches: Verschiedene Binnendifferen‐ Gleichnistypen zierung // Frage vs. alles Parabel nach der bedeu‐ tungsgebenden In‐ stanz

Kontextualität der Gleichnisse vs. ästhetische Autonomie

Autorintention vs. Leserzentriertheit. – Reich Gottes vs. Vielfalt theologi‐ scher Inhalte

c) Apologetische Tendenzen / Die Jesusfrage

Deutlich ist die Interdependenz von Gleichnisforschung und Jesusfrage. Als ‚Urgestein‘ der Jesusüberlieferung gelten die Gleichnisse zugleich als Schlüssel zum historischen, besser: erinnerten Jesus. Das erklärt apologeti‐ sche, die Gleichnisse Jesu exklusivierende Tendenzen. Die Diskussion um die Gleichnisse ist zugleich eine Diskussion um den Kern der Botschaft Jesu und um ihr religionsgeschichtliches, formkritisches und hermeneutisch-theolo‐ gisches Alleinstellungsmerkmal. Diese theologischen und apologetischen Tendenzen sind für die Gleichnisforschung problematisch. Es handelt sich (1) um das Postulat eines ursprünglichen Idealtyps von Gleichnis, verbunden mit (2) einem bestimmten Jesusbild, (3) die grundsätzliche hermeneutische Höherbewertung des Ursprünglichen gegenüber späteren Entwicklungen, (4) dogmatische Vorentscheidungen über den Inhalt der genuinen Botschaft Jesu sowie (5) apologetisch zu nennende Abgrenzungsversuche von der religionsgeschichtlichen Umwelt in formkritischer und theologisch-herme‐ neutischer Hinsicht.205 Der Verzicht auf diese dogmatisch-apologetischen Vorgaben ermöglicht eine differenzierte, religionsgeschichtlich und histo‐ risch verifizierbare Einbettung der Gleichnisse und ihrer Botschaft in ihren Entstehungskontext. Das ist der Ausgangspunkt des nachfolgenden gleich‐ nistheoretischen Entwurfs.

205

Erlemann, 1999b, 29f.

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie Die Bilanz der Gleichnisforschung führt folgerichtig zu integrativen Kon‐ zepten, die (Schein-)Alternativen zu überwinden und dogmatische bzw. her‐ meneutische Vorentscheidungen mit apologetischer Tendenz zu vermeiden suchen. Auf dieser Grundlage konturiert sich das folgende gleichnistheore‐ tische Modell. 2.5.1 Sprachliche und narrative Merkmale

Gleichnisse sind eine äußerst pluriforme Textgattung; das Bedeutungs‐ spektrum der zugrunde liegenden Begriffe (gr. parabolḗ; hebr. maschál) ist sehr breit (→ 1.4.1). Dass sie alle unter ein und demselben Begriff Platz finden, verdanken sie mehreren gemeinsamen Merkmalen. a) Analogischer Charakter

Alle vergleichenden Formen, ob Tropen oder narrativ ausgestaltete Gleichnisse, leben von Analogie. Vergleichende Texte verbinden zwei ur‐ sprünglich selbstständige Wirklichkeitsbereiche miteinander (Bildspender, Bildempfänger).206 Narrativ ausgestaltete Gleichnisse haben zwei Bedeu‐ tungsebenen: die wörtliche Erzählebene und eine dahinter liegende Deu‐ tungsebene. Die Erzählebene ist grundsätzlich konterdeterminiert, das heißt, die Deutungsebene kommt im Erzählten nicht oder nur versteckt vor; das verleiht der Erzählung eine zentripetale Struktur: Die Adressaten des Gleichnisses fokussieren sich primär auf das Erzählte, nicht auf das Gemeinte. Der Grad der Konterdetermination kann freilich schwanken. Beispiele: Das Sämanngleichnis Mk 4,3-9 ist extrem konterdeterminiert und provoziert damit Allegorese (Mk 4,14-20). Lukanische Gleichnisse verschränken zum Teil Erzähl- und Deutungsebene miteinander (Lk 10,30-37; 16,19-31; 18,9-14), ebenso die ‚Parömien‘ Joh 10,1-18 und Joh 15,1-8.

206

Eine Ausnahme ist die Synekdoche (→ 1.4.4e). Bei der Chiffre wird der Bildempfänger verschwiegen (→ 1.4.4g).

95

96

2 Gleichnisforschung im Überblick

Der analogische Charakter hebt vergleichende Texte aus dem literarischen Kontext heraus. Der narrative Basisplot (Ausgangsebene, Jesus und sein sonstiges Wirken) wird unterbrochen, die Semantik wechselt zur Erzählbzw. Bildebene. Am Ende erfolgt die Rückkehr zur semantischen Ausgangs‐ ebene. Zwischen Ausgangs- und Erzählebene vermittelt bei Gleichnissen häufig, aber nicht immer, eine Übergangsebene (Einleitung, Weckruf, sen‐ tenzartiger Schluss, Anwendung). Beispiele: Der Weckruf ‚Wer Ohren hat zu hören, der höre!‘ (Mk 4,9) weist im Nachgang auf einen tieferen Sinn des Sämanngleichnisses hin. – Die Einleitungsformel ‚Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn …‘ (Mk 4,26) o. ä. verweist explizit auf den Deutungsrahmen. – Die Schluss-Sentenz ‚So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein‘ (Mt 20,16) kennzeichnet das Weinberg-Gleichnis als Deutung der gleichlautenden Sentenz Mt 19,30. – Die Anwendung Lk 10,37 ‚Geh hin und tue desgleichen‘ markiert das Samaritaner-Gleichnis als Exemplum für das geforderte Tun. b) Fiktionalität und Pseudorealistik

Von Tropen abgesehen, teilen Gleichnisse als weiteres gemeinsames Merkmal die Fiktionalität. Die Texte bieten erfundene Konstellationen, Situationen und Begebenheiten, die dem Anspruch allgemeiner Plausibilität genügen; der Inhalt des Textes ist realitätsnah. Durchbrochen wird die Plausibilität mitunter durch verfremdende Elemente (Extravaganzen). Die Realitätsnähe des Geschilderten erweist sich hierdurch als Pseudo-Realistik. Eben diese bildet die Brücke zwischen der erfahrbaren Alltagswelt und der prinzipiell unzugänglichen Welt Gottes (Deutungsebene), die Analogien und Unterschiede zur Alltagswelt zugleich aufweist.207 Beispiele: Extravagant ist die überschwängliche Freude des Vaters des verlorenen Sohnes Lk 15,11-32, ebenso die Vernichtung der Stadt der unwilligen Hochzeitsgäste im Hochzeitsgleichnis Mt 22,1-14 und der Erlass einer astronomischen Schuld im Schalksknecht-Gleichnis Mt 18,23-35. Was extravagant ist, bemisst sich an der Kenntnis der antiken Lebensumstände (Realien).

207

Im Gegensatz dazu machen Tropen ausschließlich auf Analogien oder Differenzen aufmerksam.

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

Eine Ausnahme bilden Naturgleichnisse: Sie sind nicht frei erfunden, sondern bieten plausibel erscheinende Naturvorgänge oder natürliche Zusammen‐ hänge in typisierter Form. In diesem Falle liegt der Fokus ausschließlich auf Analogien zwischen Erzähl- und Deutungsebene; Differenzen werden ausgeblendet. c) Transfersignale

Dass Gleichnisse überhaupt als analogische Texte wahrgenommen werden, ist, neben der Vertrautheit mit dem Genre als solchem, auf Transfersignale zurückzuführen (→ 1.5.9). Diese können die tiefere Bedeutung der narratio klar benennen, sie lediglich andeuten oder sie sogar verschleiern. Der Anteil klärender, andeutender und verschleiernder Signale ist von Text zu Text unterschiedlich. Je höher der Anteil nur andeutender oder gar verschlei‐ ernder Signale ist, desto größer der Deutungsbedarf bzw. der ‚allegorische‘, hermetische Charakter des Erzählten. Allegorien als Textgattung zeichnen sich durch das weitestgehende Fehlen klärender Transfersignale aus (weiter → 2.5.2a). Klärende Transfersignale sind z. B. der Hinweis auf das ‚Reich Gottes‘ in Einleitungsformeln; weiterhin religiöse Termini und Anwendungen. Andeutende Transfersignale sind geprägte, aber polyvalente Metaphern wie Ernte oder Weinberg, sodann Weckrufe wie Mk 4,9parr., weiterhin zeitgeschichtliche Anspielungen wie Mt 22,7 sowie Extravaganzen. Verschleiernde Transfersignale sind Chiffren, ungeprägte bzw. kühne Metaphern sowie surreale Züge, wie sie häufig im Kontext apokalypti‐ scher Visionen zu finden sind (Dan 2 und 7; Apk 6; 9; 12 u. a.).

d) Pointe und Vergleichspunkt(e)

Zwischen Bildspender und Bildempfänger bzw. zwischen dem geschilderten Vorgang und der Deutungesebene gibt es einen oder mehrere Vergleichs‐ punkte. Diese sind im Falle narrativ ausgestalteter Gleichnisse der gemein‐ samen Zielaussage (Pointe) zugeordnet. Die Erschließung und Formulierung der Pointe ist für die Gleichnisexegese von entscheidender Bedeutung (→ 3.1; Beispiele in Kapitel 4).

97

98

2 Gleichnisforschung im Überblick

2.5.2 Gleichnis und Allegorie / Metapher

Das Verhältnis von Gleichnis und Metapher / Allegorie ist ein Dauerthema der Gleichnisforschung (→ 2.1; 2.2.3). Im vorliegenden Entwurf gestaltet es sich so: a) Gleichnis und Allegorie – ein Gegensatz?

Der Allegorie-Begriff wurde von Hans-Josef Klauck 1978 kritisch revidiert (→ 2.2.5). Auf seinen Erkenntnissen gründen die folgenden Überlegungen. 1. Allegorie als problematischer Begriff

Gab für Jülicher die Allegorie das Feindbild seiner Gleichnistheorie ab, hat sich das Allegorie-Verständnis im Verlauf der Gleichnisforschung ra‐ dikal gewandelt (→ 1.4.3; 2.1.3g). Allegorisierung gilt heute als positiv zu wertender Prozess (→ 2.2.5b; 2.5.5b). Da der Begriff allegorische Elemente missverständlich und negativ vorgeprägt ist, wird er durch den Ausdruck Transfersignale ersetzt.208 Die gattungskritische Einordnung eines Textes als Allegorie unterliegt strengen Kriterien. 2. Allegorie als Stilelement

Die Entgegensetzung von Allegorie/Metapher vs. Gleichnis/Vergleich ist hinreichend widerlegt (→ 1.5.12; 2.1.1f.; 2.2.1). Die Beobachtung von Allego‐ rien jenseits der Bibel (Romane, Lyrik, Musik, bildende Kunst), lässt Allegorie als Stilelement subversiv-hermetisch ausgerichteter Genres mit dem Zweck erscheinen, das im Kunstwerk Gemeinte kunstvoll zu chiffrieren bzw. zu verschleiern, um es ausschließlich mit dem Verstehenscode vertrauten Insidern zugänglich zu machen. 3. Allegorie als Extremfall vergleichender Rede

Vom letzten Satz und von Klaucks Neuansatz (1978, → 2.2.5) her stellt sich die Allegorie als Extremfall vergleichender Rede dar, in der klärende und andeutende Transfersignale weitestgehend fehlen und verschleierende Transfersignale (→ 1.5.9; 2.5.1c) dominieren.209 Die damit angezeigte, sub‐ versiv-hermetische Tendenz unterscheidet Allegorien grundsätzlich von 208 209

Mit Blomberg 1990; Banschbach Eggen 2006, 108-114. Vgl. die Definition unter → 1.4.3. Diese Sichtweise entspricht der Bezeichnung allegoria tota bei Quintilian, Inst. Orat. VIII 6,47f. Parabeln sind für Quintilian dagegen allegoriae permixtae, da sie den spirituellen Sinn mit erwähnen (Nachweis bei Eggs 2015, 254).

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

99

den werbend-missionarisch ausgerichteten Gleichnissen. Hierin besteht ihr eigentlicher Gegensatz. Biblische Allegorien finden sich als Baustein prophetischer und apokalyptischer Visionen (vgl. Dan 2 und 7; Apk 6; 9; 12 u. a.).210 – Eine Tabelle verdeutlicht das Verhältnis von nicht-vergleichendem Text, Gleichnis und Allegorie anhand des Verhüllungsgrades. Die Tabelle zeigt den graduellen, fließenden Übergang zwischen den Formen:211 0%

tendenziell

Verhüllungsgrad

tendenziell

100%

nicht-vergleichende Texte:

Gleichnisse:

surreale Texte:

- historische Präzedenzfälle (Exempla) - Schriftbeweise

- Naturgleichnisse - Weisheitsgleichnisse - Alltagsgleichnisse - Identitätsgleichnisse

- Tierfabeln - Träume - Allegorien - lyrische Texte

realistisch Rhetorik

pseudo-realistisch Poesie und Rhetorik

surreal Poesie und Vision

eine wörtliche Bedeutungsebene

zwei Ebenen: wörtlich und übertragen/theologisch

eine übertragene Bedeutungsebene

nicht konterdeterminiert, öffentlich

teilweise konterdeterminiert; missionarisch-werbend; öffentlich

chiffriert; hermetisch; nicht öffentlich

b) Gleichnis als erweiterte Metapher?

Gleichnis und Metapher sind bildhafte Sprachformen und bringen eine un‐ anschauliche Sache anschaulich auf den Punkt. So ermöglichen sie eine neue Sicht auf die Alltagswirklichkeit; insofern sind beide Sprachformen poetisch (→ 2.2.3c). Ein Gleichnis freilich ausschließlich von seiner Metaphorizität her zu definieren, übersieht die bleibenden Unterschiede zwischen Metapher und Gleichnis (→ 2.2.4): Metaphern können lediglich Analogien oder Dif‐ ferenzen zwischen Bildspender und Bildempfänger aufzeigen, Gleichnisse können beides zugleich; sie sind narrative Texte, die zwar mit Metaphern arbeiten, denen aber eine ganz andere Dynamik eigen ist. Zudem lassen sie unterschiedliche textpragmatische Strategien erkennen (weiter → 2.5.7).212

210 211 212

Erlemann 2017, 42. Weiter → 2.1.1; 2.2.5; 2.4.2; 2.5.2a. Aus: Erlemann 2017, 45. Vgl. Dschulnigg 1989, 348 (Zitat → 2.2.4).

100

2 Gleichnisforschung im Überblick

Beispiele: Das Ich-bin-Wort ‚Ich bin das Licht der Welt‘ (Joh 8,12) macht auf eine Analogie zwischen Christus und Licht aufmerksam. Die Metapher ‚Achill ist kein Löwe‘ unterstreicht den Unterschied zwischen beiden Bereichen. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) zeigt die Ähnlichkeit, aber auch die Differenz zwischen Gott und einem ‚normalen‘ Vater.

2.5.3 Poetische Rhetorik, rhetorische Poetik

Rhetorik und Poetik vergleichender Texte wurden lange Zeit als sich aus‐ schließende Alternative gehandelt. Der vorliegende Entwurf sieht keinen Gegensatz zwischen rhetorischer und poetischer Bestimmung der Gleich‐ nisse, sondern sich gegenseitig ergänzende Aspekte. a) Textbeobachtung: Kontextuelle Einbindung

Gleichnisse und Metaphern sind Teil antiker Kommunikationsgeschehen zwischen einem Autor, seinen Adressaten und einer bestimmten Ausgangs‐ frage bzw. -situation.213 Gleichnisse sind regelmäßig Teil längerer Argumen‐ tation, heben diese auf eine andere, bildhaft-narrative Ebene und beför‐ dern durch Einsatz spezieller textpragmatischer Mittel wie Fiktionalität, (Pseudo-)Realistik, Spiel mit Emotionen und Bildfeldern, Identifikation und konkurrierenden Verhaltensmustern das Argumentationsziel. Anders gesagt: Die Poetik von Gleichnissen und Metaphern sind in einen rheto‐ risch-argumentativen Kontext eingebunden. Gleichwohl gibt der Autor durch die Metaphorik nur eine Deutungsrich‐ tung vor. Innerhalb des Deutungsrahmens bzw. Verstehenshorizonts erfolgt die Deutung je und je neu durch die Rezipienten. Die Polyvalenz der Metaphern und Bildfelder sowie die Dynamik der narratio sorgen für einen bleibenden Sinnüberschuss. Intention und Interpretation ergänzen einander zum Akt der Sinngebung. b) Verhältnis von Rhetorik und Poetik

Sind Gleichnisse rhetorische oder poetische Formen? Die Alternative er‐ weist sich bei näherem Hinsehen als Scheinalternative. Gleichnisse sind

213

Arens 1982; Rau 1990 (→ 2.2.6b).

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

bildhaft und fiktional, arbeiten mit Metaphern und zielen auf emotionale Zustimmung. Das macht sie zu poetischen Sprachformen: Sie verbinden Altes mit Neuem (Mt 13,52), lassen die Welt mit anderen Augen sehen, indem sie Analogien zwischen einzelnen Wirklichkeitsbereichen aufzeigen (z. B. zwischen Gottes Wirklichkeit und menschlicher Hochzeitsfeier). Die Poesie ist jedoch kein Selbstzweck, sondern regelmäßig Teil län‐ gerer Argumentation. Gleichnisse fungieren als plausibles und emotional ansprechendes Argument (‚Werbung um die Herzen‘).214 Durch das Mittel (pseudo-)realistischer narratio heben sie die Sachargumentation auf eine andere Ebene; die unumstrittene Plausibilität des bildhaft Geschilderten provoziert Zustimmung, die auf die kontextuelle, nicht-bildhafte Argumen‐ tationsebene zu übertragen ist. Die Zwischenstellung analogischer Redeweise zwischen Rhetorik und Poetik ist bereits bei Quintilian angelegt.215 Das bestätigt die kompositi‐ onskritische Beobachtung, dass Poesie und Argumentation einander zuge‐ ordnet sind.216 Metaphorische Rede hilft, unmetaphorische Argumentation persuasiv auf den Punkt zu bringen, frei nach dem Motto: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Beispiele: Die Auskunft der Bergpredigt: „Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben“ (Mt 6,15) gewinnt durch das Schalksknecht-Gleichnis Mt 18,23-35 eine narrative Ausgestaltung. Diese lässt die Motivlage des Spruchs deutlich werden und sorgt so für unmittelbare Plausibilität. Dasselbe gilt für den programmatischen Spruch Lk 19,10: „Der Men‐ schensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist“; er wird durch die Gleichnisse vom Verlorenen (Lk 15) konkret und nachvollziehbar (himmlische Freude als leitende Motivation). Der aus metaphorischer Rede resultierende Deutungsbedarf spielt den Ball des Verstehens den Adressaten zu; sie haben die Freiheit und die Aufgabe, das Gesagte zu deuten (→ 2.2.6d). Ob dies gelingt, hängt von der

214 215 216

Mit Jülicher 1910, I 164. – Für die ethische Ausrichtung der Emotionen vgl. Dannenmann 2019. Quintilian, Inst. Orat. V 11; → 2.3.c. Erlemann u.a 2014a, 25; → 2.2.6b.

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Bereitschaft ab, sich in die Nachfolge Jesu zu begeben, sprich: das Herz für die göttliche Perspektive zu öffnen (vgl. die synoptische Parabeltheorie Mk 4,10-13parr.). Insofern haben die Gleichnisse eine esoterische Tendenz: Sie bieten Sonderwissen für diejenigen an, die sich auf den Weg Jesu und die nahe basileía Gottes einlassen. Genau hierzu laden die Gleichnisse ein; hierin liegt ihre missionarisch-werbende Ausrichtung.217 2.5.4 Wirkung und Sprachkraft

Dieser Theorie-Aspekt hat seit der ‚metaphorischen Wende‘ intensivere Beachtung gefunden (→ 2.2.3; 2.4.2). Die Erkenntnis, dass Gleichnisse und Metaphern die Sicht auf den Alltag verändern, ist seither common sense. Umstrittener ist die Ansicht, Gleichnisse seien performative ‚Sprachereig‐ nisse‘ (→ 2.2.3d; 2.4.6). a) Textbeobachtung: Polarisierende Wirkung

Die Evangelisten bezeugen die polarisierende Wirkung der Gleichnisse. So unterscheidet die synoptische Parabeltheorie Mk 4,10-13parr. zwischen Insidern und Outsidern, zwischen Menschen, die ins Geheimnis der Got‐ tesherrschaft eingeweiht sind, und Verstockten, die nicht eingeweiht sind und denen die Gleichnisse als Zugangscode rätselhaft bleiben. Das Winzer‐ gleichnis Mk 12,1-12 bezeugt, dass Jesus mit seiner Gleichnisrede teilweise auf erbitterten Widerstand stieß. Die ambivalente Rezeption der Gleichnisse kommt dem Vollzug des Endgerichts in erster Instanz gleich, das heißt: Gleichnisse haben eine eschatologisch-kritische Funktion.218 Das angekün‐ digte Weltgericht als zweite Instanz ratifiziert lediglich am Ende der Zeit das bereits feststehende Urteil. Die Gleichnisse hatten keine zwingende Beweiskraft und waren kein missionarischer Selbstläufer; das erklärt für die Evangelisten, weshalb Jesus zu weiten Teilen abgelehnt wurde (→ 4.5.2e). b) Veränderung der Wirklichkeitssicht

Gleichnisse und Metaphern verändern die Weltsicht, stellen Verhaltens‐ muster in Frage und öffnen ein ‚Fenster zum Himmel‘. Damit sind sie poetisch. Weiterhin sind sie dank ihrer Erzähltechnik dazu geeignet, Wider‐ 217 218

Im Gegensatz zu hermetischen Allegorien, bei denen die Grenzen zwischen Insidern und Außenstehenden nicht (mehr) durchlässig erscheinen. Erlemann 2008.

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

stände gegen die göttliche Wirklichkeit mit ihrem Anspruch auf Geltung und Umsetzung zu überwinden (→ 2.5.7). Wesentlich ist die Plausibilität der narratio, die das strittige Thema spielerisch auf eine vordergründig unverfängliche und unumstrittene Ebene führt. Beispiele: Das Sämanngleichnis Mk 4,3-9 provoziert die Frage der Jünger nach dem Sinn der Gleichnisse (V.10-13). Das Gleichnis von den bösen Winzern Mk 12,1-12parr. lässt die Ablehnung der Angesprochenen erkennen (V.12). Die Hirtenrede Joh 10,1-18 erzeugt Streit unter den Zuhörern (V.19, gr. schísma). Mk 12,37 und Lk 19,48 signalisieren Zu‐ stimmung des Volkes zu den Worten Jesu. Demnach sind Metaphern und Gleichnisse kein Mittel zwingender Beweis‐ führung; sie werben vielmehr um Zustimmung und sind auf Glauben aus (‚Werbung um die Herzen‘). Sie laden dazu ein, sich die göttliche Perspek‐ tive auf die Welt und die Menschen anzueignen; sie zwingen nicht dazu. Dank ihrer Sprachkraft können sie Umdenken (gr. metánoia), Glauben und heilvolle Verhaltensänderung in Gang setzen. Damit sind sie eine adäquate Sprachform der Mission. Wer sich nicht auf sie einlässt, an dem vollzieht sich das Endgericht gleichsam in erster Instanz.219 c) Angemessene Rede von Gott

Auch mit Blick auf das Gottesbild sind die Gleichnisse die Sprachform der Wahl: Sie sprechen von Gott, ohne ihn festzulegen. Sie reden menschlich von Gott, ohne ihn zu vermenschlichen. Sie entsprechen mit ihrer Dynamik dem dynamisch agierenden Gott Israels. Gleichnisse lassen sich nicht in starre Dogmatik überführen; sie sind eher einem an den Rändern ausfransenden Puzzle zu vergleichen, das bei aller Vergleichbarkeit die bleibende Differenz Gottes wahrt. Gleichnisse machen Analogien und Differenzen zwischen Gott und Welt gleichermaßen bewusst. Hierin liegt ihr hermeneutischer Vorzug, ihre theologische Sprachkraft. Daher verstoßen sie auch nicht gegen das alttestamentliche Bilderverbot (→ 2.2.3e).

219

Erlemann 2008.

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d) Das Gleichnis als ‚Sprachereignis‘?

Die Rede vom Gleichnis als ‚Sprachereignis‘ ist zu kritisieren: Die Wirkung der Gleichnisse ist empirisch nicht fassbar. Die Behauptung, sie ließen die Welt neu verstehen und Gottes Reich faktisch Wirklichkeit werden, betont, apologetisch motiviert, die Einzigartigkeit Jesu und seiner Verkündigung. Die Gleichnisse erzählen von Gott und seiner Herrschaft, sie realisieren sie aber nicht. ‚Sprachereignisse‘ sind Gleichnisse nur, sofern sie bei den Adres‐ saten eine heilvolle Veränderung bewirken. Außerdem haben vergleichende Texte einen bleibenden Sinnüberschuss; ihre Deutungsoffenheit ermöglicht immer neue Rezeptionen.220 2.5.5 Grundlagen der Gleichnisauslegung

Wissenschaftliche Gleichnisexegese setzt voraus, dass Gleichnisse und Metaphern deutungsbedürftig und deutungsfähig sind. Dieser Auffassung wurde und wird in der Gleichnisforschung teilweise widersprochen: Gleich‐ nisse seien grundsätzlich klar, eindeutig, ‚eigentliche Rede‘ (Jülicher; → 2.1) oder wirkten unmittelbar, unabhängig vom Verständnis ihres historischen Entstehungskontextes (u. a. Vertreter der ästhetischen Autonomie und psychologischer Zugänge; → 2.2.6g). a) Textbeobachtung 1: Rätselrede

Ausdrücklich gelten Gleichnisse als rätselhafte, deutungsbedürftige Rede im Kontext der synoptischen Parabeltheorie Mk 4,10-13parr. Die Jünger ver‐ stehen sie nicht und erhalten eine exklusive Allegorese (Mk 4,14-20parr.; Mt 13,36-43). Die Wortverkündigung Jesu gilt in den johanneischen Abschieds‐ reden generell als rätselhafte paroimía (Joh 16,25.29; vgl. Joh 10,6). Hinzu kommt die Beobachtung, dass Metaphern und Gleichnisse bedeutungsoffen (polyvalent) sind; die Identifizierung des oder der Vergleichspunkte wird den Rezipienten überlassen. b) Textbeobachtung 2: Allegorisierung

Die hermeneutische Hochschätzung der mündlichen Gleichnisrede Jesu (→ 2.1.1; 2.2.3) sowie die negative Bewertung nachträglicher Allegorisie‐ rung und Verschriftlichung (Jülicher: Missverständnis, Verfälschung; Har‐ 220

Erlemann 2017, 17: „Das Gleichnis wirkt als Erzählung immer wieder neu auf Hörerund Leserschaft und setzt neuen Sinn frei“ (kursiv im Original).

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

nisch: Sprachverlust) geht von fragwürdigen Prämissen aus (Gleichnis-Ide‐ altyp; Kontextfreiheit der ipsissima vox Jesu; → 2.2.1; 2.2.4). Auch mündlich vorgetragene Gleichnisse hatten einen situativen Rahmen, der auf den theo‐ logischen Bezugsrahmen hinwies und damit als Transfersignal fungierte: die Person Jesu und das Vorwissen um seine Bedeutung.221 Ein grundsätzli‐ cher, hermeneutischer Unterschied zwischen mündlichen und schriftlichen Gleichnissen ist nicht erkennbar. Die nachträgliche Kontextualisierung der Gleichnisse, von Jülicher als verfälschende Allegorisierung kritisiert, ist historisch wie hermeneutisch positiv zu werten (→ 2.2.5b). Die verschrift‐ lichten Gleichnisse sind authentische Modelle hermeneutisch angemessener Rezeption der ursprünglich mündlich vorgetragenen Gleichnisse Jesu. c) Grundlagen der Gleichnisexegese

Folgendes ist zu berücksichtigen: Erstens, der bleibende Sinnüberschuss macht Gleichnisse und Metaphern unersetzbar. Gleichwohl sind sie als vergleichende Texte zu deuten. Zweitens, ihre Produktion und Rezeption sind nicht ohne vorgegebene Sprachkonventionen möglich.222 Um sie ange‐ messen zu verstehen, sind die Verstehensvoraussetzungen der Rezipienten zu klären. Drittens, um der Gefahr von Allegorese zu begegnen, ist die Ermittlung der Pointe bzw. der Vergleichspunkte zwischen Bild- und Deu‐ tungsebene (im Falle von Metaphern des dominanten tertium comparationis) vorrangig. Viertens, zu ermitteln ist die Deutungsebene, auf die der Gleich‐ nistext referenziert (Analyse von Transfersignalen). Methodisch ergibt sich aus dem Gesagten die Verschränkung histori‐ scher und narrativer, rhetorischer und poetischer Betrachtungsweisen. Der jeweilige Textsinn eines Gleichnisses ist durch diachrone (historisch-sozial‐ geschichtliche, traditionsgeschichtliche, religionsgeschichtliche) und durch synchrone (kompositions- und redaktionskritische, textlinguistische, form‐ kritische, textpragmatische) Methodenschritte zu erheben (→ Kapitel 3; Beispiele in → Kapitel 4).

221 222

Für die mündliche Gleichnisrede Jesu nicht auszuschließen sind außerdem Einleitungs‐ formeln und Anwendungen sowie die Verwendung von Metaphern und Bildfeldern (mit Weder 1978, 70-75). Abraham 1998, 244.

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d) Enttabuisierung von Allegorese

Das Verdikt gegen die Allegorese gilt als bleibendes Vermächtnis Jülichers (→ 2.1.4). Aufgrund der Revision des Allegoriebegriffs und aufgrund von Textbeobachtungen (Mk 4,10-20.34 u. a.) empfiehlt es sich, die Allegorese zu enttabuisieren – zumindest für Allegorien im strengen Sinne und für Gleichnisse mit hermetischer Tendenz. Wo klärende und andeutende Trans‐ fersignale weitestgehend fehlen, wie im Sämanngleichnis Mk 4,3-9parr. und anderen Naturgleichnissen, ist Allegorese, das heißt die Übertragung einzelner, dekorativer Erzählzüge, schon durch die synoptische Praxis legi‐ timiert. Für alle anderen Gleichnisse gilt im Rahmen historisch-kritischer Exegese weiterhin die strenge Ausrichtung an der Pointe. 2.5.6 Der theologische Bezugsrahmen

Wovon handelt die Deutungsebene der Gleichnisse – von einer ‚Sache‘ im Sinne Jülichers oder schlicht vom ‚Reich Gottes‘? Der Entwurf differenziert nachhaltig. a) Zum Begriff ‚Sache‘

Die Deutungsebene der Gleichnisse enthält keine ‚Sache‘, die auf einen präzisen Begriff zu bringen wäre (→ 1.5.10; 2.4.8). Der Ausdruck theologi‐ scher Bezugsrahmen signalisiert, dass es um einen theologischen Zusammen‐ hang geht, präziser: um einen Rahmen, der mehrere theologische Aspekte enthält.223 Diese lassen sich nur durch vergleichende Sprache vermitteln, denn sie beziehen sich auf eine transzendente, menschlicher Erkenntnis entzogene, himmlisch-göttliche Wirklichkeit, die nicht auf Gottes basileía einzugrenzen ist.224 Diese Rahmenmetapher ist nur bei einem Teil der Gleichnisse expressis verbis die theologische Bezugsgröße. b) Theologische Einzelaspekte

Die Deutungsebene eines vergleichenden Textes baut auf (vor-)religiösen Grunderfahrungen auf und enthält ein komplexes Bündel theologischer Erkenntnisse. Die vorreligiösen Grunderfahrungen betreffen die basics gelin‐

223 224

Der Begriff ‚Theologie der Gleichnisse‘ suggeriert ein Lehrgebäude und wird deshalb vermieden. Gegen Jülicher und die ältere Gleichnisforschung; vgl. Erlemann 1999, 100-106. → 1.5.10.

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

genden Lebens: den Wert von Vergebung, die Freude über Wiedergefun‐ denes, die Sinnhaftigkeit von Geduld und Ausdauer, den Wert intakter Familie, die Unberechenbarkeit der Zukunft, die Wichtigkeit klugen Verhal‐ tens und anderes mehr. Die theologischen Aspekte lassen sich nach den traditionellen theologischen Loci benennen: theologischer (Gott), christologischer (Jesus Christus und sein Geschick), pneumatologischer Aspekt (Gottes Geist), weiterhin anthropologi‐ scher (Mensch), ekklesiologischer (Gemeinschaft), ethischer Aspekt (rechtes Verhalten) sowie soteriologischer (Weg zum Heil) und eschatologischer Aspekt ([End-]Zeit, Wirklichkeit und Geschichte). Nicht alle Aspekte sind in einem Text gleichermaßen angesprochen; pneumatologische Aspekte etwa fehlen in den Gleichnissen der Evangelien völlig, sind aber in vergleichenden Texten der Paulusbriefe vertreten. Aufgrund der Polyvalenz vieler Metaphern gehen in synoptischen Gleichnissen theologischer und christologischer As‐ pekt teilweise ineinander über; die kýrios-Figur kann häufig sowohl auf Gott als auch auf Jesus (Christus) bezogen werden.225 2.5.7 Textpragmatik und Gleichnistypen

Die Kernfrage der Textpragmatik lautet: Wie erreichen die Texte ihre Lernziele bzw. wie erreichen sie die Zustimmung zu einer neuen Sicht von Wirklichkeit mitsamt den praktischen Konsequenzen? Grundsätzlich leben alle Gleichnisse von fiktionaler (Pseudo-)Realistik und innerer Plausibilität. Das textpragmatische Ziel des Gleichnisses hat informative, affektive und praktische Gesichtspunkte.226 Die Erzähltechnik variiert dabei je nach Aus‐ gangsfrage und Intention. Die formkritische Unterteilung der Gleichnisstoffe (→ 2.1.3) hat sich als unbrauchbar erwiesen (→ 2.3g; 2.4.9).227 Eine Alternative zur Systematisie‐ rung der pluriformen Textsorten, zumindest zu heuristischen Zwecken, bietet der Blick auf die Textpragmatik, genauer die Beobachtung, dass in den Gleichnissen bestimmte Themen, Problemstellungen und Ausgangsfragen regelmäßig durch dazu passende Bildspendebereiche und Erzähltechniken einer Lösung zugeführt werden. Vier textpragmatische Modelle und damit

225 226 227

Ausführlich hierzu Erlemann 2003. Erlemann 1999, 99f. Zimmermann 2008d; – Gleichwohl halten die formkritischen Differenzierungsversuche bis heute an, vgl. Erlemann 1999; ders. u. a. 2014a; Berger 2005, 95-120.

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vier Gleichnistypen lassen sich unterscheiden228: Natur-, Weisheits-, Alltagsund Identitätsgleichnisse bzw. -metaphern. a) Naturgleichnisse / Naturmetaphern

Die Natur ist neben Weisheit und Alltag der wichtigste Erfahrungsbereich des Menschen. Sie stellt den Raum für zahlreiche vorreligiöse Grunderfah‐ rungen, die für die Plausibilität der intendierten Wirklichkeitssicht sorgen, dar. Die Natur liefert mehrere Bildspendebereiche für vergleichende Rede. Die wichtigsten sind: Landwirtschaft (Wachstumszyklen), Meteorologie und Astronomie (Bewegungen der Gestirne, Wetterphänomene, Tages- und Jahreszeiten), die menschliche Physiologie (Organfunktionen, Schwanger‐ schaft, Verdauung) sowie Flora und Fauna. Zu den Naturgleichnissen zählen als erste Kategorie Texte, die mit festgelegten Zeiten und Zyklen argumentieren, wie etwa die Wachstums‐ gleichnisse Mk 4parr. – Natürliche, unveränderliche Gesetzmäßigkeiten (Naturgesetze, Größenverhältnisse, Kausalitäten, sachlogische Zusammen‐ hänge, Unvereinbarkeiten) sind Grundlage einer zweiten Kategorie. Diese Texte zeigen zeitlich wie sachlogisch Zusammengehöriges auf, um strittige Zusammenhänge und existenzielle Fragen zu klären oder um ein bestimmtes Verhalten als natürlich bzw. widernatürlich zu erweisen (zur Textübersicht → S 5.1). 1. Kategorie: Plausibilisierung göttlicher Verheißungen

Der Erfahrungsbereich Natur kommt dort zum Einsatz, wo unabsehbare, strittige oder gar unmöglich scheinende Entwicklungen die Ausgangsfrage bestimmen. Zweifel und Skepsis gegenüber Heils- oder Unheilsansagen rufen regelmäßig die Argumentation mittels unbeeinflussbarer, natürlicher Entwicklungen auf den Plan: Woran ist zum Beispiel zu erkennen, dass die angekündigte Gottesherrschaft tatsächlich kommt? Wie lässt sich plausibel machen, dass Jesus Christus tatsächlich wiederkommt? Mithin geht es um die Theodizeefrage. Die Kategorie ist geeignet, Gelassenheit und Hoffnung contra facta visibilia zu schaffen. Wachstumszyklen, astronomisches Wissen oder die Länge einer Schwangerschaft widerlegen den Anschein unveränderlicher Wirklichkeit: Wie die Natur zeigt, vollziehen sich manche Entwicklungen lange Zeit unscheinbar und unsichtbar, um dann doch zu einem allseits 228

Zum Folgenden vgl. Erlemann 2017, 28-35.

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

sichtbaren Abschluss zu kommen (Emergenz). Natürliche Entwicklungen kann man nicht forcieren, aber auch nicht verhindern. Glaube und Hoffnung erscheinen als Sache von Geduld, Gelassenheit und Gottvertrauen. Gott steht zu seinen Verheißungen, auch wenn es nicht danach aussieht; er ist fürsorglich und geschichtsmächtig. Weisheit und Apokalyptik vertrauen darauf, dass jedes geschichtliche Ereignis, selbst der Tod, seine von Gott bestimmte, historische Funktion hat und dass die Geschichte nach einem zum Guten führenden Plan Gottes abläuft.229 Ergo: Zweifel und Ungeduld sind überflüssig! 2. Kategorie: Hinweis auf Zusammengehöriges und Unvereinbares

Diese Textgruppe operiert nicht mit dem Faktor Zeit, sondern mit natürli‐ chen, sachlogischen und kausalen Zusammenhängen (z. B. Naturgesetze, Größenverhältnisse, allgemeine Naturbeobachtungen). Die Texte leiten zur richtigen Deutung bestimmter Phänomene und dazu, ethisches Verhalten auf Machbares zu konzentrieren, an. Ausgangsfragen dieser Kategorie sind etwa: Wer gehört zu wem? Was ist vereinbar? Weshalb müssen Tod und Leiden sein? Was sind heilvolle bzw. widersinnige Prioritäten? Woran kann man das erwartete Ende erkennen? Beliebte Bildspendebereiche sind die menschliche Physis, Fauna und Flora, kosmisch-natürliche Zusammen‐ hänge sowie der Zyklus von Tod und Leben. Themen sind die irrige Ansicht zu Speisegeboten (was unrein macht, Mk 7,15-23par.), die Unmöglichkeit der Verstellung (Pflanzen und Früchte, Mt 7,16-20 u. a.), vermeintliche Vereinbarkeiten, wie die von Besitz und Seligkeit (Auge und Körper, Mt 6,22f.par.; Kamel und Nadelöhr, Mk 10,25parr.; verwelkende Blumen, Jak 1,10), von Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit (Licht und Finsternis, 2 Kor 6,14) oder von Loben und Fluchen (Quellen und Wasser, Jak 3,11f.). Ferner geht es um die unterschätzte Kraft des Gebets (Berge ins Meer, Mt 21,21f.230) und um die vermeintliche Unsinnigkeit der Feindesliebe (Sonne scheint für alle, Mt 5,45). Naturgleichnisse dieser Kategorie entlarven Fehleinschätzungen, was Möglichkeiten und Vereinbarkeiten anbelangt, als geradezu widernatürliche Haltung.

229 230

Vgl. Koh 3,1-8 („alles hat seine Zeit“) und das Motiv kosmischer Unordnung in Mt 24,29parr. Mt 21,21f. ist ein Anti-Naturgleichnis: Was in der Natur unmöglich ist, ist im Gebet möglich!

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2 Gleichnisforschung im Überblick

3. Leitende Alternativen, Lernziele, Sitz im Leben

In Naturgleichnissen geht es um die Alternativen natürlich vs. widerna‐ türlich, verlässlich vs. trügerisch sowie glaubhaft vs. unglaubwürdig. Pri‐ märes Lernziel ist nicht die Information über etwas zu Erwartendes oder etwas (Wider-)Natürliches, sondern eine veränderte Haltung dem Alltag gegenüber: Geduld, Gelassenheit, Gottvertrauen statt Ungeduld, Skepsis, Resignation und Unglaube sowie die nachhaltige Korrektur fataler Fehlein‐ schätzungen. Der Sitz im Leben frühchristlicher Gemeinden ist bevorzugt postconversionale Mahnrede und Paraklese. 4. Textpragmatische Grundtendenz: Vergewisserung

Bei allen kleineren Abweichungen ist die gemeinsame textpragmatische Grundtendenz die Vergewisserung. Der Blick in die Natur, ihre Abläufe und Gesetzmäßigkeiten dient der Vergewisserung der Glaubensgrundlagen. Die Natur zeigt, was zu erwarten und möglich ist – und was nicht. Der Erfah‐ rungsbereich Natur ist unabhängig von kultureller und religiöser Prägung zugänglich und eignet sich daher besonders für den argumentativen und missionarischen Zweck der Gleichnisse. b) Weisheitsgleichnisse / Weisheitsmetaphern

Die Weisheit ist der zweite wichtige Erfahrungsbereich des Menschen. Weisheit ist die Summe kollektiver Lebenserfahrungen über viele Genera‐ tionen hinweg und verbalisiert sich vorzugsweise in sprichwortartigen Sätzen (Gnomen, Sentenzen; → 1.4.4c). In Weisheitsgleichnissen ist kollek‐ tive vorreligiöse Erfahrung Grundlage der Argumentation. Die einzelnen Bildspendebereiche stammen aus dem Alltag; Weisheit ist gewissermaßen konzentrierter Alltag und kann mit einem hohen Grad an Zustimmung rechnen, auch über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg. Viele Bildworte sind nach der Nomenklatur dieses Buches Weisheitsgleichnisse.231 1. Plausibilisierung des einzig vernünftigen Weges

Weisheitswissen wird zur Aufarbeitung problematischer Verhaltensweisen, Einschätzungen oder Entscheidungen eingesetzt. Diese werden entweder negativ als absurd oder positiv als absolut vernünftig und alternativlos erwiesen. Der unstrittige, kollektive Erfahrungsschatz macht plausibel, 231

Die Kategorie Bildwort (→ 2.1.3d; zuletzt Erlemann/Nickel-Bacon/Loose 2014, 47) wird, da sie sich an unscharfen, formalen Kriterien orientiert, fallengelassen.

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

was schon immer funktioniert hat, was schon immer gegolten hat und was erfahrungsgemäß nicht funktioniert oder absehbar ins Unheil führt. Fehlverhalten, Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen werden im Gleichnis mit Weisheitswissen (Sentenzen, Sprichwörter u. ä.) konfrontiert und entlarvt. Über die erwartbare Zustimmung zu diesem Weisheitswissen wird plausibel, dass das bisherige Verhalten dringend und nachhaltig zu korrigieren ist, um den erwartbaren, unheilvollen Folgen zu entgehen. Beispiele: Lk 16,13 (‚Niemand kann nicht zwei Herren dienen‘); Mk 2,21f. (‚Neuer Wein gehört nicht in alte Schläuche‘). Typisch sind rhetorische bzw. suggestive Fragen der Art ‚Wer würde wohl XY tun?‘, vgl. Mt 7,3f. (‚Wie kannst du sagen zu deinem Bruder…?‘), Lk 11,15 (‚Wer unter euch hat einen Freund …?‘), Jak 2,14 (‚Was hilft‘s, Brüder und Schwestern…?‘). 2. Bildspendebereiche, Alternativen, Lernziele, Sitz im Leben

Beliebte weisheitliche Bildspendebereiche sind Haushalt, Handwerk, Berufs‐ leben, soziale Verhältnisse (Familie, Freundschaft, Arm und Reich), Krieg und Militär, Sport und Spiel sowie Riten und Gebräuche. Die weisheitlichen Grunderkenntnisse zu diesen Bereichen gelten Kultur und Religion über‐ greifend, was der argumentativen und missionarischen Ausrichtung der Texte entgegenkommt. Beispiele: Dass Söhne ihre Väter nachahmen (Joh 5,19f.), niemand für Feinde stirbt (Röm 5,6-10), verdeckte Lampen kein Licht abgeben (Mk 4,21f.), Unnützes entsorgt wird (Mt 3,7-10 u. a.) und der Dienst an zwei Chefs zu Loyalitätskonflikten führt (Mt 6,24; Lk 16,13), entspricht allgemeiner Lebenserfahrung. Anhand der genannten Bildspender werden die Alternativen machbar vs. unmöglich, immer schon gültig bzw. vernünftig vs. absurd, klug vs. dumm sowie zielführend vs. vergeblich sichtbar gemacht. Halbherzigkeiten ver‐ bieten sich angesichts dieser klaren Alternativen, problematische Moralvor‐ stellungen ebenso. – Lernziele sind die klare Abgrenzung von unheilvollem Fehlverhalten bzw. eine klare Positionierung, Haltung und Entscheidung zugunsten des eigenen Heils, des Wohlergehens Anderer und im Sinne des erklärten Heilswillens Gottes. Wer dazu nicht bereit ist, ist nicht nur

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2 Gleichnisforschung im Überblick

subjektiv betrachtet auf der falschen Spur, sondern steht außerhalb des gesellschaftlichen, allgemeinen Erfahrungskonsenses. Bevorzugter Sitz im Leben frühchristlicher Gemeinden ist die Missions‐ predigt bzw. die protreptische Mahnrede.232 Weisheitsgleichnisse sind auch in postconversionaler Mahnrede verwendbar (Korrektur des Verhaltens nach der Bekehrung). 3. Kategorien und Themenbereiche

Vier Kategorien lassen sich unterscheiden: Erstens, Texte, die eine absurde Möglichkeit thematisieren (wer tut schon XY? Niemand tut dies oder jenes u. ä.); zweitens, Texte, die allgemeine, positive Lebenserfahrung transpor‐ tieren (was schon immer funktioniert hat u. ä.); drittens, Texte, die auf Prioritätenfragen antworten (was hilft wirklich? u. ä.), und viertens, Texte, die anhand sozialer Verhältnisse auf einzuhaltende Grenzen aufmerksam machen (Textübersicht vgl. → S 5.2). a) Absurde Möglichkeiten: Die Textgruppe schärft die frühchristliche Identität und legitimiert eine deviante Lebenspraxis: Jesus hatte göttliche Vollmacht (Mk 3,22-27parr.), sein Tod hatte Heilsbedeutung (Röm 5,6-10), Neues passt nicht auf Altes (Mk 2,18-22parr.), die Gemeinde hat eine klare Aufgabe (Mk 4,21f.parr.) und es gibt klare ethische Grundsätze.233 Die textpragmatische Vorgehensweise der Texte fordert zudem die klare Abgrenzung der Gemeinde nach außen. Beispiel: Das Gleichnis von Kamel und Nadelöhr (Mk 10,25parr.) un‐ terstützt den argumentativen Schluss vom Kleineren zum Größeren (lat. a minore ad maius): Wenn schon ein Kamel nicht durch ein Nadelöhr passt (was jedem Menschen unmittelbar einleuchtet), um wieviel weniger kommen dann Reiche ins Himmelreich (was rational nicht beweisbar ist)! Die Hyperbolik des Vergleichs zielt auf die Affekte, soll Entsetzen über die augenscheinliche Unmöglichkeit, mit Reichtum ins Himmelreich zu kommen, erzeugen und in der Folge eine radikale Verhaltensänderung provozieren.

232 233

Begriffe protreptisch und postconversional vgl. Berger 2005, 190-196; 276-279. Mt 7,1-11par.; 12,9-14par.; 1 Kor 9,1-7; 14,7f.; Eph 5,28f.; Jak 2,14-16.

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

b) Allgemeine, positive Lebenserfahrung: Der Hinweis auf das, was schon immer gegolten bzw. funktioniert hat, motiviert eine kluge Lebensfüh‐ rung234, eine klare Kehrtwende (Mk 7,24-27par.; Mt 12,43-45par.) und ein klares Bekenntnis zu Christus (Joh 5,19f.; 8,34-36). c) Prioritätenfragen: Erfolgreiches, heilführendes Verhalten steht bei dieser Textgruppe im Vordergrund. Was wesentlich und was unwesentlich ist, wird klar unterschieden235 oder es wird angezeigt, worauf man von vornherein achten muss, damit das Unternehmen (Umkehr, Christsein, Nachfolge) am Ende gelingt.236 d) Soziale Verhältnisse und Grenzen: Die soziale Ordnung mit ihren festgefügten Hierarchien weist auf die unverrückbare Rolle des Menschen und auf unerlaubte Grenzüberschreitungen hin (Mt 10,24-26par.; Lk 17,7-10; Röm 9,20f.). Die Aussicht auf die Umkehrung sozialer Verhältnisse motiviert kluges Verhalten schon jetzt.237 Auch andere Fragen der Rangordnung werden geklärt (Hebr 7,6f.). 4. Textpragmatische Grundtendenz: Entscheidungsfindung

In der Summe aller Weisheitsgleichnisse stellt sich als gemeinsame textprag‐ matische Grundtendenz die Entscheidungsfindung angesichts des Notwen‐ digen, Möglichen, Vernünftigen und Absurden heraus. Der Griff in den kollektiven Erfahrungsschatz und konfrontativ formulierte Suggestivfragen (Wer unter euch? Wie kannst du nur? u. ä.) motivieren kluge, kompromiss‐ lose Entscheidungen und Prioritätensetzungen und schützen vor absurd erscheinden Irrwegen. c) Alltagsgleichnisse / Alltagsmetaphern

Der dritte Erfahrungsbereich der Menschen ist die Alltagswirklichkeit mit ihren vielen Lebensbereichen und Facetten. Alltagserfahrungen sind nicht auf eine weisheitliche Formel eingedampft, sondern ‚im Fluss‘ und trotzdem typisch. Vorreligiöse Grunderfahrungen, die in den Weisheitsgleichnissen direkt und konfrontativ zum Ausdruck kommen, werden hier in subtiler, spielerischer Art und Weise als kritisches Korrektiv zur ‚normalen‘ Alltags‐ wirklichkeit eingebracht. Viele Texte laufen auf einen paradigmatischen 234 235 236 237

Mk 4,25parr.; Mt 3,7-10parr.; Röm 11,17-24; 2 Kor 9,6-10; Gal 6,7f.; Hebr 6,6-8; Jak 3,1-10. Mt 5,29f.; 6,19-21; Lk 12,54-59; Jak 1,23-25. Mt 8,22; Lk 9,62; Lk 14,28-33; 1 Kor 9,24-27; 1 Thess 5,2parr. Freiwilliger Statusverzicht; Sorge um die ‚Letzten‘; Mk 10,31parr.; Mt 23,12parr.; Lk 22,24-30.

113

114

2 Gleichnisforschung im Überblick

Rechtsentscheid hinaus: Der geschilderte, fiktionale Fall provoziert ein ei‐ genständiges Urteil der Rezipienten. 1. Grundsatzkritik an heilloser Moral

Im Unterschied zu Weisheitsgleichnissen bieten Alltagsgleichnisse fiktio‐ nale, pseudorealistische Einzelfälle, die narrativ ausgestaltet sind, zwischen‐ menschliche Konflikte traktieren und qua narratione Verhaltensmuster und moralische Werthaltungen auf ihre Motivlage und ihre ‚Heilführigkeit‘ ana‐ lysieren. Sie zeigen, wo gesellschaftlich etablierte Verhaltensmuster und un‐ strittige moralische Werthaltungen dem Heilswillen Gottes zuwiderlaufen. Alltagsgleichnisse führen deren Diskrepanz zu den Grundlagen gelingenden Lebens vor Augen. Anders gesagt: Alltagsgleichnisse üben Grundsatzkritik an unmenschlichem, heillosem Verhalten. Die unausgesprochene Leitlinie des Gleichnistyps lautet back to the basics (Gerechtigkeit, Gemeinschafts‐ sinn, Barmherzigkeit, Vergebungsbereitschaft, Großzügigkeit, Güte, Solida‐ rität u. ä.). 2. Umkehrung der Wertehierarchie

Mit der Rückbesinnung auf die Grundlagen gedeihlichen Miteinanders ist die Umkehrung der Wertehierarchie verknüpft. An die Stelle moralischer Standards rücken ein Leben in Fülle und Gerechtigkeit für alle, eine intakte Familie, Lebensfreude und Sorge um das künftige Heil an die Spitze der Pyramide. So betrachtet, haben Alltagsgleichnisse etwas Amoralisches, besser: Vormoralisches. Sie setzen Moral als Selbstzweck (‚das gehört sich eben so!‘), als oftmals knebelndes, dem göttlichen Willen zuwider laufendes Machtinstrument außer Kraft. 3. Plausibilisierung der heilvollen Alternative

Alltagsgleichnisse entlarven mit einer subtilen Erzähltechnik die kritisierten Haltungen und Verhaltensweisen als zutiefst unpassend, deplatziert und überholt. Die heilvolle Alternative wird durch perspektivische Darstellung, wohlkalkulierte Szenenfolge, Verfremdungen (Extravaganzen) sowie durch das Spiel mit Sympathie und Antipathie emotional nahegebracht (Appell an die Herzen). Diese Alternative orientiert sich an den genannten, unstrittigen basics. Sie hebelt unheilvolle Denk- und Verhaltensweisen aus (Argument selbstverständlicher Billigkeit) und entspricht dem globalen Heilswillen Gottes. Die angebotene Alternative erscheint heilvoll und alternativlos; ein

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

neuer Lebensstil scheint möglich, ja geboten! So wirken Alltagsgleichnisse zugleich provozierend und befreiend. 4. Themen und leitende Alternativen

Bevorzugte Themen sind moralische Orientierung, Prioritätenkonflikte, problematische Wertehierarchien und daraus resultierende Fehleinschät‐ zungen der Situation. Die Texte malen die Vision einer von Gottes Wohltaten erfüllten Welt vor Augen und laden dazu ein, sich auf sie einzulassen. Die Kehrseite der Vision ist die göttliche Sanktionierung alter, heilloser Denkund Verhaltensmuster. Es geht um ein klares Entweder – Oder zwischen heilvoll vs. unheilvoll, gerecht vs. ungerecht, gelingendem Leben vs. starrer Moral, gedeihlichem Miteinander vs. Ab- und Ausgrenzung. – Bevorzugter Sitz im Leben der matthäischen Texte ist die postconversionale Mahnrede (Gemeinde als corpus permixtum). Der Sitz im Leben der lukanischen Alltagsgleichnisse ist tendenziell die protreptische Mahnrede (werbender Charakter, offener Schluss). – Zu den Alltagsgleichnissen gehören viele der früher Gleichniserzählung bzw. Parabel genannten Texte (→ 2.1.3b). 5. Kategorien und Themenbereiche

Drei Kategorien sind zu unterscheiden: Erstens, Texte, die um Arbeitswelt und Dienstverhältnisse kreisen (wie ist ein Auftrag zu erledigen? u. ä.); zweitens, Texte, die im allgemein mitmenschlichen Bereich angesiedelt sind; drittens, Texte, die Vorsorge und Prioritätensetzung thematisieren (Textübersicht vgl. → S 5.3). a) Arbeitswelt und Dienstverhältnisse: Im Fokus der Erzählebene steht die Beschreibung einer Aufgabe oder einer Verantwortung. Meistens geht es um die Frage, wie eine (zumeist von der kýrios-Figur übertragene) Verantwor‐ tung auszuüben ist.238 Hierarchische Dienst- und Abhängigkeitsverhältnisse sowie der Gegensatz zwischen ‚guten‘ und ‚schlechten‘ Arbeitern bilden oft den metaphorischen Rahmen; andere Texte fokussieren ausschließlich die gestellte Aufgabe, ohne Verantwortlichkeit gegenüber einem Dienstherrn. Motivation, Loyalität und Effizienz sind implizite Bewertungsmaßstäbe des zu leistenden Auftrags. Hierarchisch organisierte Texte laufen auf eine

238

Ausnahmen: Mt 13,47-50; 25,32f.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

Abrechnung mit den genannten Maßstäben als Urteilskriterien hinaus239, in anderen wird lediglich der Erfolg des Tuns festgestellt. b) Allgemeine Mitmenschlichkeit: Diese Textgruppe fokussiert jenseits von Arbeitsverhältnissen Fragen des menschlichen Miteinanders. Es geht um ethische Leitlinien wie Barmherzigkeit, Empathie, Achtsamkeit, Wert‐ schätzung, Zusammenhalt, Besitzverzicht usw. Die Verantwortung erwächst hier nicht aus einer expliziten Übertragung von Aufgaben, sondern aus zufälligen Situationen und Begegnungen sowie aus dem sozialen Status. Die Texte zeigen ein vorbildliches Verhalten und kontrastieren es teilweise mit deplatziertem Verhalten.240 c) Prioritäten und kluge Vorsorge: Die letzte Textgruppe lenkt den Blick auf kluge Vorsorge für das postmortale Geschick und auf Prioritäten, die der eschatologischen Zukunftssicherung dienen. Fragen allgemeiner Mitmenschlichkeit und der Art und Weise, Verantwortung auszuüben, schwingen zwar mit, stehen aber nicht im Fokus. Ein Teil der Texte motiviert eine anstehende Entscheidung241, ein Teil kontrastiert die Folgen klugen und unklugen Verhaltens242, ein Teil stellt heraus, wie vorbildliches oder unkluges Verhalten konkret aussieht.243 6. Textpragmatische Grundtendenz: Verunsicherung

Im Gegensatz zu Naturgleichnissen zielen Alltagsgleichnisse, textpragma‐ tisch betrachtet, auf Verunsicherung: Das Spiel mit konkurrierenden Erfah‐ rungen und Verhaltensweisen, der Blick auf eine heilvolle Verhaltensund Lebensalternative entlarvt etablierte Denkweisen, Moralvorstellungen und Verhaltensmuster als heillos und, angesichts des globalen Heilswillens Gottes, als deplatziert. d) Identitätsgleichnisse / Identitätsmetaphern

Gewissermaßen quer zu den drei genannten Gleichnistypen liegt der vierte Typ: Identitätsgleichnisse und -metaphern definieren sich nicht über den

239 240 241 242 243

Ausnahme: In Mt 18,23-35 und Lk 16,1-8 steht die Abrechnung am Anfang. Der Fokus der Gleichnisse liegt auf dem mitmenschlichen Umgang bzw. auf der klugen Vorsorge. Die Texte werden daher der zweiten bzw. dritten Kategorie zugerechnet. Vorbildlich: Mt 9,36; Mk 6,34; Lk 7,41-43; Lk 13,6-9; Lk 15,8-10; Lk 18,1-8. Kontrastiv: Mt 18,23-35; Lk 10,30-37; Lk 15,11-32; Lk 16,19-31; Lk 18,9-14. Mt 13,44-46; 22,1-14par.; Lk 13,22-30. Mt 7,24-27par.; 25,1-13; Lk 14,7-14. Lk 12,16-21; Lk 12,35-38; Lk 16,1-9.

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

Erfahrungs- und Bildspendebereich, sondern über das gemeinsame Thema, die besondere Erzähltechnik und über die metaphorische, teilweise narrativ ausgebaute Personalprädikation als formalem und textpragmatischem Kern. Zu den narrativ ausgebauten Identitätsgleichnissen gehören die johannei‐ schen Parömien (→ 1.4.1; 2.1.3e). 1. Thema: Identität, Status und Legitimität

Während der Bildspendebereich bei diesem Gleichnistyp zwischen Natur und Alltag variiert, ist das Thema durchgängig die Klärung der Bedeutung und Identität einzelner Personen, Gruppen und Ereignisse. Die Ausgangs‐ frage dieser Gleichnisse und Metaphern ist demgemäß eine umstrittene Identität, etwa: Wer ist Jesus wirklich? Wer oder was ist der Heilige Geist? Welche Legitimität hat der Apostel? Wer oder was ist die christ‐ liche Gemeinde? Welche Bedeutung hat der Tod Jesu? Solche Fragen betreffen die Legitimität eines bestimmten Anspruchs (Vollmachtsfrage) bzw. die Bedeutung und Bestimmung der betreffenden Person und Gruppe. Identitätsgleichnisse und -metaphern haben den Zweck, die Glaubensgrund‐ lagen der Gemeinschaft zu bestätigen, sie gegen Angriffe von außen und innen (Zweifler, Spötter, Irrlehrer) zu verteidigen, Missverständnisse aus‐ zuräumen und die praktischen Konsequenzen der Identitätsbestimmung einzuschärfen. 2. Metaphorische Personalprädikationen

Die Klärung von Identität geschieht in der Regel durch metaphorische Umschreibungen und Prädikationen; narrativ geschlossene Gleichnisse sind die Ausnahme. Charakteristisch sind Semantik und Erzähltechnik: Identitätsgleichnisse bauen großenteils auf metaphorischen Prädikationen244 der Art ‚ich bin XY‘; ‚ihr seid XY‘ oder ‚er, sie, es ist bzw. sie sind XY‘ auf. Die Texte sind erzählerisch nicht geschlossen, sondern Collagen, die die Bedeutungsvielfalt einzelner Metaphern und Bildfelder ausloten und ausreizen. Damit ähneln Identitätsgleichnisse einer Improvisation, die ein durchgängiges Grund‐ motiv (das Thema Identität) virtuos abwandelt, ohne es dabei unkenntlich zu machen. Identitätsgleichnisse wechseln mitunter mehrfach zwischen Erzähl- und Ausgangsebene; dabei werden einzelne Erzählfäden nur ange‐ deutet und neu aufgerollt. An den Schnittstellen können Zwischenfazits 244

Berger 2005, 94f.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

stehen, welche die angedeutete Erzählung interpretierend bündeln, um dann mit einem neuen Aspekt fortzufahren (vgl. Joh 10,1-18; Apk 5,6-13). 3. Erfahrungsbereiche Natur und Alltag

Bildspendebereiche aus der Natur werden regelmäßig zur Klärung von Identität und Legitimität herangezogen, wo es um Themen existenzieller Bedeutung, um Verlässlichkeit, transzendente Identität sowie den beson‐ deren Status der Zielperson bzw. Zielgruppe geht. Motiviert wird eine klare Abgrenzung von widernatürlich erscheinenden Verhaltensweisen und Kräften. – Auch viele Bildspendebereiche des Alltags finden Verwendung. Berufe wie Hirten, Erntearbeiter, Fischer, Ärzte, Anwälte oder Architekten sind beliebt, ebenso Metaphern aus dem Bereich von Haushalt und Familie, Kult und Tempel, von Bräuchen und Ritualen, Liebe und Freundschaft, Recht und Religion, Spiel und Sport sowie von Militär.245 Diese Alltagsmetaphern veranschaulichen plausibel die Rolle und die Funktion der Zielperson bzw. Zielgruppe mitsamt ihrem Verhältnis zu anderen Personen und Zielgruppen. Die Frage der Legitimität wird ebenfalls angesprochen. 4. Leitende Alternativen und Sitz im Leben

Die Klärung von Identitäten schafft personale Orientierung: Auf wen kann ich mich verlassen? Wer steht wie zu mir? Was ist meine Rolle? Die verhan‐ delten Alternativen lauten: legitimer vs. illegitimer Anspruch, Heilsrelevanz vs. Beliebigkeit, heiliger vs. profaner Status sowie Status-angemessenes vs. -unangemessenes Verhalten. Zur Textübersicht → S 5.4. Beispiele: Die johanneischen Ich-bin-Worte und die ‚Parömien‘ Joh 10,1-18 (Hirtenrede) und Joh 15,1-8 (Weinstockrede), sodann die Um‐ schreibung der Gemeinde als ‚Leib Christi‘ (1 Kor 12,12-31) bzw. als ‚Salz der Erde‘ und ‚Licht der Welt‘ (Mt 5,13-16) oder die Umschreibung des einzelnen Christen als ‚Tempel des Geistes‘ (Eph 2,19-22 u. a.). Sitze im Leben dieses Gleichnistyps sind Apologetik, Mission, postconversi‐ onale Mahnrede und Paraklese.

245

Übersicht unter → S 5.4.

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

5. Einzelne Bildempfänger246

a) Auf Gott bezogene Texte: Neben der kýrios-Figur in Gleichnissen gibt es kaum Aussagen der Art ‚Gott ist XY‘. Das liegt an der Zurückhaltung des Judentums, von Gott in festlegenden Formeln zu sprechen (Bilderverbot, → 2.2.3e). Identitätsmetaphern stellen Gottes den Kosmos umspannende (‚Alpha und Omega‘) und Leben ermöglichende (‚Licht‘, ‚Liebe‘) bzw. zerstö‐ rende Kraft (‚Feuer‘) heraus. Die in Gleichnissen öfter begegnende Vaterrolle wird nur einmal, als Antwort auf die Theodizeefrage, aufgegriffen (Hebr 12,5-11, Gott als ‚erziehender Vater‘). b) Auf Christus bezogene Texte finden sich im gesamten Neuen Testament. Das Spektrum ist sehr breit. Die Metaphern deuten Jesu Sendung und sein Geschick, sie bekräftigen die Glaubensgrundlagen und die (baldige) Erlösung. – Die Metaphern betonen die kosmische Bedeutung Christi (prä‐ existenter Schöpfungsmittler, ‚Logos‘, ‚Sohn Gottes‘, kosmischer Orientie‐ rungspunkt [‚Licht‘, ‚Morgenstern‘], ‚Haupt‘ der kosmischen Mächte, kurz: ‚der Herr‘). Sie deuten ihn als Inbegriff des Lebens und des Wegs dorthin (johanneische Ich-bin-Worte) und deuten seinen Heilstod (‚Lamm Gottes‘, ‚neuer Tempel‘, verworfener ‚Schluss-Stein‘, ‚Bürge des neuen Bundes‘, ‚Fluch‘ und ‚Sünde‘). Sie betonen seine soteriologische Funktion als Erhöhter (‚himmlischer Hohepriester‘, ‚Anwalt‘, ‚Anführer‘, ‚Pionier‘, ‚Hirte‘, ‚Woh‐ nungseinrichter‘) und umschreiben seine endzeitliche Rolle (‚Morgenstern‘, ‚Erstling der Auferstehung‘, ‚Scheunenreiniger‘, ‚Bräutigam‘, ‚Menschen‐ sohn‘). Kurz gesagt: Die Metaphern umschreiben die umfassende Heilsbe‐ deutung Jesu Christi. c) Auf den Heiligen Geist bezogene Texte: Solche Metaphern finden sich nur im Johannesevangelium und in der paulinischen Briefliteratur; vor Ostern gilt Jesus als exklusiver Geistträger. Die pneumatologischen Metaphern umschreiben die soteriologische Mittlerfunktion des Geistes (‚Paraklet‘, ‚Sprachrohr‘ der Glaubenden) und seine eschatologische, die baldige Er‐ lösung markierende Funktion (‚Angeld‘ bzw. ‚Vorschuss‘ der Erlösung). Letztgenannte Funktion impliziert einen markanten Rollentausch zwischen Gott und Menschen (→ 4.4.3; 4.5.8). d) Auf den feindlichen, erlösungsbedürftigen Kosmos bezogene Texte: Bild‐ empfänger sind feindliche kosmische Mächte (Sünde, Satan) ebenso wie Kaiser, Irrlehrer, nicht-christusgläubige Juden, Pharisäer sowie Gottlose. Ihr

246

Die Textstellen zu den einzelnen Kategorien sind im Serviceteil unter S 5.4 gelistet.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

illegitimer Anspruch wird entlarvt und der Sphäre des Bösen zugeordnet. Der Vergleich mit wilden Tieren unterstreicht ihre Gefährlichkeit. e) Auf die Gemeinde bezogene Texte: Die christliche Gemeinde wird ähnlich intensiv wie Jesus Christus umschrieben. Die Texte betonen die transzen‐ dente Identität und kosmisch-kultische Bedeutung (‚Tempel Christi‘ bzw. des Geistes; ‚neue Schöpfung‘), die missionarisch-soteriologische Funktion dem Kosmos gegenüber (‚Menschenfischer‘, ‚Erntearbeiter‘, ‚Salz der Erde‘, ‚Licht der Welt‘; ‚ungesäuerter Teig‘, ‚Soldaten Christi‘; ‚lebendige Hoffnung‘), die korporative Verbundenheit mit Christus (‚Leib und Glieder Christi‘; ‚Reben‘; ‚Braut‘) sowie den einzigartigen Erwählungsstatus der Gemeinde (‚Kinder Gottes‘; ‚auserwähltes Geschlecht‘, ‚Miterben Christi‘; ‚Hausgenossen‘ mit ‚himmlischem Bürgerrecht‘). Der letztgenannte Aspekt wird zur Vergewis‐ serung des noch Unsichtbaren durch juristische Metaphern verdeutlicht. – Auch einzelne Funktionsträger sind Bildempfänger (Petrus, Apostel, Ge‐ meindeleiter, Märtyrer). Ihre besondere Bedeutung als Grundlage (‚Fels‘, ‚Fundament‘, ‚Säulen‘, ‚Eltern‘) und als Führungskräfte (‚Hirten‘, ‚Gärtner‘) der Gemeinde wird metaphorisch herausgearbeitet. f) Auf den Erlösungsvorgang bezogene Texte: Prominent ist die Deutung des Todes Jesu als kultisches Heilsereignis (Leib und Blut Christi als ‚neuer Bund‘ bzw. als ‚Blut kultischer Besprengung‘, der Tod Jesu als ‚Tempelvor‐ hang‘). Die Metaphern umschreiben auch Hoffnung, Liebe, ethisches Ver‐ halten (‚geistliche Waffenrüstung‘) und Johannes den Täufer (Elia redivivus) in ihrer soteriologischen Bedeutung. Demgegenüber wird die Relevanz alter Institutionen metaphorisch abgewertet (Gesetz: ‚ausgedienter Pädagoge‘; Tempel: ‚Schatten des himmlischen Heiligtums‘). g) Fazit: Gegenstand neutestamentlicher Identitätsgleichnisse und -meta‐ phern sind insbesondere Christus und die Gemeinde. Sie arbeiten die heils‐ geschichtliche Relevanz Christi und den transzendenten Erwählungsstatus der Gemeinde theologisch auf. Die Umschreibung des erlösungsbedürftigen Kosmos verstärkt die Identitätsbildung der christlichen Gemeinschaft und unterstützt deren antifixierende Abgrenzung nach außen. Gott und Heiliger Geist sind dagegen kaum Gegenstand der Metaphernbildung. Für das Got‐ tesbild sind andere Gleichnistypen hermeneutisch prädestiniert. Der Heilige Geist ist in charismatischen Gruppierungen, wie den johanneischen und paulinischen Gemeinden, Gegenstand metaphorischer Betrachtung.

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

121

6. Textpragmatische Grundtendenz: Vergegenwärtigung

Die metaphorische Klärung von Identität, Legitimität und Status dient der Vergegenwärtigung der Glaubens- und Lebensgrundlagen der christli‐ chen Gemeinschaft. Darin liegt die textpragmatische Grundtendenz dieses Gleichnistyps. e) Tabelle: Gleichnistypen im Vergleich

Die Tabelle dient der Profilierung der einzelnen Gleichnistypen anhand folgender Parameter: Thema, Problemstellung, Erzählstrategie, leitende Alternativen, Lernziele und Sitz im Leben. Ein Gleichnis muss nicht alle auf‐ geführten Merkmale aufweisen. Die Aufzählung der Merkmale ist außerdem auf typische Merkmale reduziert. Typ

Themen, Pro‐ blemstellungen

Erzählstrategie, Leit-Alternativen

Lernziele, Sitz im Leben

Naturgleichnisse

Themen: Zeit, Zukunft, Kommen der ba‐ sileía Gottes, Theodizee

Strategie: Aufdecken der na‐ türlichen Ordnung Hinweis auf Un‐ trüglichkeit der Natur. Entlarvung wider‐ natürlicher Vorstel‐ lungen. Betonung von Ver‐ lässlichkeit. szenische narratio.

Lernziele: → Vergewisserung des Geglaubten, der Verheißungen → für möglich Halten des ‚Unmöglichen‘ → Hoffnung contra facta visibilia → Geduld, Gelassen‐ heit, Abgrenzung → Leben im Einklang mit der Natur.

Probleme: Zweifel, Skepsis, Ungeduld, Resi‐ gnation. Unsichtbarkeit der geglaubten Wirklichkeit. Fehleinschätzung Alternativen: möglich/unmöglich; der geschichtli‐ natürlich/widerna‐ chen Lage. türlich; verläss‐ lich/trügerisch; glaubhaft/unglaub‐ würdig

Tendenz: Vergewisserung Sitz im Leben: postconversionale Mahnrede; Paraklese

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2 Gleichnisforschung im Überblick

Typ

Themen, Pro‐ blemstellungen

Erzählstrategie, Leit-Alternativen

Lernziele, Sitz im Leben

Weisheits‐ gleichnisse

Themen: Entscheidungs‐ findung, Werte‐ skala, Prioritäten‐ setzung; Rangordnung und Grenzen

Strategie: Plausibilisierung des richtigen Weges. Zwei-Wege-Schema. Suggestivfragen. Direkte Konfronta‐ tion/Polarisierung. Sentenzen, Sprich‐ wörter

Lernziele: → Kurskorrektur → klare Entschei‐ dung, Positionierung, Abgrenzung → Erkennen der Kon‐ sequenzen des Han‐ delns → Akzeptieren von Grenzen.

Probleme: Fehlverhalten, Fehleinschätzung der Lage, schwie‐ rige Entschei‐ dung. Halbherzigkeit. Grenzüberschrei‐ tung. Alltags‐ gleichnisse

Alternativen: praktikabel/nicht praktikabel; gültig und ver‐ nünftig/absurd; klug/dumm; ziel‐ führend/vergeblich

Strategie: Spiel mit konkurrie‐ renden Verhaltens‐ mustern. Subtile Korrektur der Wertehierar‐ Probleme: chie. heillose, un‐ Hinweis auf Billig‐ menschliche Moral, Klischees. keit des Selbstver‐ ständlichen. Prioritätenkon‐ Perspektivische flikte. Sorglosigkeit Darstellung. Fehleinschätzung Szenische narratio. der Lage. Verantwortungs‐ Alternativen: losigkeit. heilvoll/unheilvoll; gerecht/ungerecht; menschlich/un‐ menschlich Themen: Moralische Ori‐ entierung; Wert‐ haltungen

Tendenz: Entschei‐ dungsfindung Sitz im Leben: Protreptische/post‐ conversionale Mahn‐ rede; Mission Lernziele: → Korrektur der Wer‐ teskala (back to the ba‐ sics) → Erkennen und Ak‐ zeptanz der heilvollen Alternative → Entwicklung eines neuen Lebensstils → Lebensklugheit. Tendenz: Verunsicherung Sitz im Leben: postconversionale oder protreptische Mahnrede

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

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Typ

Themen, Pro‐ blemstellungen

Erzählstrategie, Leit-Alternativen

Lernziele, Sitz im Leben

Identitäts‐ gleichnisse/ Identitäts‐ metaphern

Themen: Identität und Le‐ gitimität; Status‐ fragen; Glaubens‐ grundlagen

Strategie: Erinnerung an tran‐ szendente Identität und göttlich begrün‐ dete Funktion. Verteidigung und Legitimierung der Person / Gruppe durch schlagende Metaphern und Ver‐ gleiche. Entlarvung poten‐ zieller Gefahren.

Lernziele: → Akzeptanz be‐ stimmter Personen und Gruppen → Erinnerung an bzw. Vergewisserung der Glaubensgrundlagen → Einschärfung ange‐ sagter Aufgaben → Erkennen des Ille‐ gitimen, Gefährlichen

Probleme: umstrittene Voll‐ macht. Unklare Funk‐ tion / Rolle. Zweifel an Grundlagen. Allmähliches Ver‐ gessen. Alternativen: wahr/falsch; le‐ gitim/illegitim; heilsrelevant/be‐ liebig; heilig/profan; dem Status ange‐ messen/dem Status nicht angemessen.

Tendenz: Vergegenwärtigung Sitz im Leben: Apologetik, Mission. Postconversionale Mahnrede, Paraklese.

2.5.8 Das Proprium der Gleichnisse Jesu

Apologetische Abgrenzung der Gleichnisse gegenüber religionsgeschichtli‐ chen Vergleichstexten ist unsachgemäß; ihr Alleinstellungsmerkmal ergibt sich allein aus Textanalyse und nüchterner Abwägung.247 Die in Frage kommenden Analogien sind alttestamentliche und frühjüdische Gleichnisse sowie griechisch-römische Fabeln, Deklamationen, Vergleiche und Meta‐ phern. Grundsätzlich gilt: Gleichnisse sind nicht monokausal von jüdischen oder paganen Vergleichstexten abzuleiten, sondern stehen in einem breiten Traditionsstrom vergleichender Texte. a) Alttestamentliche und frühjüdische Analogien

Die natürlichen Prätexte der Gleichnisse sind die alttestamentlichen Gleich‐ nisse,248 insbesondere paradigmatische Rechtsentscheide wie 2 Sam 12,1-17 (Gleichnis vom reichen und armen Mann), 2 Sam 14,1-24 (Gleichnis von 247 248

Zum Weiteren vgl. Erlemann 1999, 158-166, sowie ders. 2017, 50-89. Mit Schüle 2008.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

den beiden Söhnen), 1 Kön 20,35-42 (Gleichnis vom nachlässigen Soldaten) und Jes 5,1-7 (Gleichnis vom Weinberg). Sie stehen formal, textpragmatisch und funktional den neutestamentlichen Alltagsgleichnissen nahe. Darüber hinaus bieten Prophetie und Weisheit ein breites Repertoire an religiös kon‐ notierten Metaphern und Bildfeldern, die im Neuen Testament aufgegriffen und innovativ verändert werden. Vom Alten Testament führen Traditionslinien zu frühjüdischen und rabbinischen Texten, die dem Neuen Testament zum Teil zeitlich und von den besprochenen Themenfeldern her deutlich näher stehen als die alttestamentlichen Texte. Beispiel 1: Philo von Alexandrien (ca. 15 v. – 50 n. Chr.), Über die Tugend (Virt) § 179 (Zur Situation der Proselyten; vgl. Lk 15,11-32): „Alle nun, die den Schöpfer und Vater des Alls, wenn nicht von Anfang an verehren wollten, aber die doch später die Einherrschaft statt der Vielherrschaft liebten, die muß man aufnehmen wie enge Freunde und Verwandte, da sie das für Freundschaft und Verwandtschaft Wichtigste bieten können: ein gottliebendes Wesen. Mit ihnen muß man sich auch mitfreuen, gleichwie wenn sie zuvor blind waren und nun aufgeblickt haben, indem sie aus tiefster Finsternis heraus hellstrahlendes Licht sehen.“249 – Beispiel 2: Sedrach-Apokalypse (ApkSedr) 6 (1. Jh. n. Chr.?; vgl. Lk 15,11-32:): „Welcher Vater, sage mir, gibt seinem Sohn das Erbe, und er nahm die Habe und verließ den Vater und ging fort und wurde ein Fremder und diente einem anderen. Und der Vater sah, daß ihn verlassen hatte der Sohn, und schnaubte Wut in seinem Herzen. Und der Vater geht hin und nimmt seine Habe und jagt ihn fort aus seiner Herrlichkeit, weil er seinen Vater verlassen hat. Wie aber habe ich, der wunderbare und eifersüchtige Gott, alles ihm gegeben, und er nahm es und wurde Ehebrecher und Sünder?“250 – Beispiel 3: Mekilta (Mek), Traktat Beschallach § 3, 1. Hälfte (Datierung?; vgl. Lk 15,11-32): „Rabbi Abschalom, der Alte, sagte: Ein Maschal. Wem geht die Sache? Einem Menschen, der seinem Sohn zürnte und ihn aus seinem Hause vertrieb. Da ging sein (d. h. des Vaters) Freund hinein, um ihn von ihm (d. h. dem

249 250

Quelle: Berger/Colpe 1987, 137. – Zahlreiche weitere Vergleichstexte bietet der Mate‐ rialteil in Erlemann 1999, 261-302. Quelle: A.a.O., 139.

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

Vater) zu erbitten, daß er ihn (d. h. den Sohn) in sein Haus zurückführen solle. Da sagte er (d. h. der Vater) zu ihm: ,Willst du irgend sonst etwas erbitten von mir außer betreffs meines Sohnes? Schon längst bin ich meinem Sohne wieder gut.‘“251

b) Antike Fabeln

In der griechisch-römischen Antike entwickeln sich, zum Teil unter dem Einfluss antiker Rhetorik, vergleichende Textformen wie Fabeln und De‐ klamationen (→ 1.4.2). Sie stehen den neutestamentlichen Gleichnissen formal, textpragmatisch und funktional nahe. Auch Fabeln sind narrativ ausgestaltete Kurzgeschichten, die mittels Fiktionalität eine veränderte Wirklichkeitssicht oder Moraleinstellung provozieren. Im Gegensatz zu biblischen Gleichnissen sind zumindest Tierfabeln nicht (pseudo-)realistisch gehalten, sondern haben einen surrealen Anstrich. Beispiel 1: Babrios, Fabel 4 (vgl. Mt 13,47-50): „Ein Fischer warf sein Netz aus und zog‘s ein. Er hatte Glück: Voll war‘s mit leckeren Fischen. Die kleinen aber, die nach unten flohen, entkamen durch des Netzes viele Maschen; die großen blieben in dem Bott gefangen.“252 – Beispiel 2: Äsop, Der Bauer und seine Söhne (vgl. Mt 13,44-46): „Kurz vor seinem Tode wollte ein Bauer seine Söhne zum Landbau geschickt machen; so rief er sie zusammen und sprach: ‚Kinder, in einem meiner Weinberge liegt ein Schatz.‘ Nach seinem Tode ergriffen sie Hacken und Spaten und gruben ihr ganzes Gut um; zwar fanden sie keinen Schatz, aber der Weinberg schenkte ihnen ein Vielfaches seines früheren Ertrages. – Die Fabel zeigt, daß harte Arbeit den Menschen ein Schatz ist.“253 – Beispiel 3: Äsop, Zwei Hunde: „Es hatte einer zwei Hunde: den einen bildete er zur Jagd aus, den anderen zum Haushund. Wenn nun der Jagdhund auf die Pirsch ging und etwas fing, warf der Herr auch dem anderen Hund ein Stück von dem Wild vor. Der Jagdhund erboste sich und beschimpfte den anderen, weil er immer hinaus müsse und die ganze Mühe habe,

251 252 253

Quelle: Ebd. (Übersetzt nach Fiebig, 1904, 34 f.). Quelle: Flusser 1981, 62. Quelle: Schnur 1978, 78f.

125

126

2 Gleichnisforschung im Überblick

der andere aber, ohne sich anzustrengen, sich von seiner Arbeit füttern ließe. Der sagte: ‚Nicht mir mache Vorwürfe, sondern unserem Herrn, der mich gelehrt hat, nicht selber zu arbeiten, sondern mich von der Mühe anderer ernähren zu lassen.‘ – So verdienen auch träge Kinder keinen Tadel, wenn ihre Eltern sie so erzogen haben.“254

c) Rhetorische Deklamationen

Deklamationen zielen auf einen paradigmatischen Rechtsentscheid. Die rhe‐ torischen und juristischen Übungstexte arbeiten, wie die Alltagsgleichnisse, mit ausgefeilter textpragmatischer Erzähltechnik, sie schildern fiktionale, aber realitätsnahe Einzelfälle. Gleichwohl lässt sich kein literarischer Ein‐ fluss zwischen biblischen (Alltags-)gleichnissen und Deklamationen nach‐ weisen. Beispiel: Quintilian (35-100 n. Chr.), Declamatio V (vgl. Lk 15,11-32): “Kinder sind schuldig, ihre verarmten Eltern zu unterhalten, oder sie verdienen in Fesseln gelegt zu werden. – Jemand hatte zwei Söhne; der eine war ein guter Haushalter, der andere ein Verschwender. Beide reisten in die Fremde und wurden von Seeräubern gefangen. In dieser Gefangenschaft erkrankte der Verschwender. Beide schrieben nach Hause wegen der Auslösung. Der Vater machte sein ganzes Vermögen zu Geld und reiste damit fort. Die Seeräuber waren mit der mitgebrachten Summe nicht zufrieden und sagten, sie reiche kaum für einen aus. Indessen ließen sie dem Vater die Wahl. Der Vater wählte den Kranken. Dieser starb aber gleich darauf. Der andere Sohn befreite sich selbst durch die Flucht. Von ihm forderte nun der verarmte Vater seinen Unterhalt; aber der Sohn machte Einwendungen … (aus der Rede des Vaters:) keine Besorgnis, keine Erinnerung an mein Herzeleid hat mich voraussehen lassen, daß nach dem Überstehen der Gefahren bei den Seeräubern, nach dem Verlust meines einen Sohnes, nach durchlittener Hungersnot mein Elend dadurch noch größer werden würde, daß mein anderer Sohn zurückgekommen ist … Wenn ein Vater von seinen zwei Söhnen den kranken aus den Ketten der

254

Quelle: A.a.O., 100f.

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

Sklaverei loskauft, so liebt er ihn deswegen nicht mehr als den anderen. Und eben dies, meine Richter, betrübt mich bei all meinem Unglück am meisten, daß dieser mein Sohn durch seine Hartherzigkeit, durch seine Verachtung meiner Armut und Bedürftigkeit den guten Ruf seines lieben Bruders böswillig angreift … Gewähre mir nun Unterhalt, weil ich dich habe auslösen wollen, gib mir mein Brot, weil ich deinen Bruder ausgelöst habe […].“255

d) Pagane Gleichnisse und Metaphern

Darüber hinaus gibt es im hellenistisch-römischen Bereich zahlreiche Metaphern und Gleichnisse, die vom Bildmaterial her biblischen Texten vergleichbar sind. Beispiel 1: Seneca, Briefe an Lucilius, 4. Buch, ep. 38 § 2 (Über die philosophischen Worte; vgl. Mk 4,30-32parr.): „In der Art des Samens müssen sie ausgestreut werden. Denn dieser entfaltet, obwohl er klein ist, wenn er einen geeigneten Ort findet, seine Kräfte, und aus einem sehr Kleinen verzweigt er sich durch Wachstum zu einem sehr Großen. Dasselbe macht die Vernunft: Nicht weit erstreckt sie sich, wenn du sie anschaust; durch die Beschäftigung wächst sie. Weniges ist es, was man nennen kann, aber wenn die Seele jene (d. h. Samen) gut aufnimmt, so gewinnen sie Kraft und erheben sich. Dieselbe Lage besteht, sage ich, hinsichtlich der (philosophischen) Lehren wie der Samen: Viel bewirken sie, auch wenn sie klein sind.“256 – Beispiel 2: Plutarch (45-125 n. Chr.), Politische Vorschriften § 1 (vgl. Mt 25,1-13 u. a.): „… Philosophen, die ermahnen, aber nichts lehren noch eine Basis geben. Denn sie sind gleich denen, die die Lampen putzen, aber kein Öl hineingießen.“257 Die unterschiedlichen Genres, Themen und Bildfelder in ihrer zeitlichen und kulturellen Einordnung zeigen, wie breit der Traditionsstrom verglei‐ chender Sprache in der Antike war. Literarische Abhängigkeiten müssen 255 256 257

Quelle: Berger/Colpe 1987, 138 (Übersetzt von J. H. Steffens, bearbeitet von W. Richmann). Quelle: A.a.O., 43. Quelle: A.a.O., 126.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

nicht konstruiert werden; vergleichende Sprachformen, Themen und Mo‐ tive lagen gewissermaßen in der Luft. Sie wurden von Jesus und den neutestamentlichen Autoren aufgegriffen und auf ihre Fragestellungen hin passgenau zugeschnitten. e) Das Alleinstellungsmerkmal der Gleichnisse Jesu

Das Alleinstellungsmerkmal der Gleichnisse Jesu liegt nicht in einer un‐ vergleichlichen Sprachkraft, auch nicht in einer besonderen, formkritisch ausweisbaren, literarischen Gestaltung oder in ihrem poetisch-rhetorischen Zuschnitt. Auch die verhandelten Themen, Erzähltechniken und Bildfelder sind Allgemeingut. Unvergleichlich ist dagegen ihre kontextuelle Einbin‐ dung in das sonstige Wirken Jesu. Sie kommentieren keine Toratexte wie etwa die rabbinischen Gleichnisse, sondern sie erläutern und begründen Lehre und Verhalten Jesu. Es geht nicht um Schriftgelehrsamkeit, sondern um die Plausibilisierung einer neuen Weltsicht, die mit der von Jesus ange‐ sagten, heilvollen Zuwendung Gottes zu den Menschen zu tun hat. Und es geht um eine Verhaltensänderung, die der frohen Botschaft Jesu entspricht (Appellstruktur). Alttestamentliche Gleichnisse und Metaphernfelder werden im Neuen Testament reichhaltig aufgegriffen, aber im Sinne der Botschaft Jesu, seiner göttlichen Identität und Vollmacht sowie der transzendenten Identität der Gemeinde verändert und zugespitzt (innovatives, provokatives Potenzial). Gegenüber antiken Fabeln laufen biblische (Alltags-)Gleichnisse nicht auf die Vermittlung einer weisheitlichen ‚Moral‘, sondern auf eine Kritik an gängigen Moralvorstellungen auf dem Boden (vor-)religiöser Grunderfahrungen hinaus. Im Unterschied zu Deklamationen haben die neutestamentlichen Gleichnisse ihren Sitz im Leben in der frühchristlichen Gemeinde mit ihren Fragen und Problemen. 2.5.9 Gleichnisdefinition

Die folgenden Definitionen markieren die Entwicklung der Gleichnisfor‐ schung: 1. Laut Adolf Jülicher ist ein Gleichnis „diejenige Redefigur, in welcher die Wirkung eines Satzes (Gedankens) gesichert werden soll durch Nebenstel‐

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

lung eines ähnlichen, einem anderen Gebiet angehörigen, seiner Wirkung gewissen Satzes“.258 2. Die Definition von Gerhard Sellin als einem Vertreter der ‚metaphorischen Wende‘ lautet: „Das Gleichnis ist eine auf ein Satzganzes erweiterte Metapher.“259. 3. Als Sprachereignis kennzeichnet Eberhard Jüngel das Gleichnis: „Die basileia kommt im Gleichnis als Gleichnis zur Sprache. Die Gleichnisse Jesu bringen die Gottesherrschaft als Gleichnis zur Sprache.“260 4. François Vouga betont die ästhetische Autonomie des Gleichnisses und definiert die Gleichnisse als „dramatische Geschichten mit einer oder mehreren Personen, charakterisiert durch die Klarheit ihrer Handlung, durch die Univo‐ zität ihrer Sprache und durch die Unabhängigkeit von jedem Kontext.“261 5. Ruben Zimmermann sieht in Gleichnissen herausfordernde Rätseltexte.262 Die ausführliche Definition lautet: „Eine Parabel ist ein kurzer narrativer (1), fiktionaler (2) Text, der in der erzählten Welt auf die bekannte Realität (3) bezogen ist, aber durch implizite oder explizite Transfersignale zu erkennen gibt, dass die Bedeutung des Erzählten vom Wortlaut des Textes zu unterscheiden ist (4). In seiner Appellstruktur (5) fordert er einen Leser bzw. eine Leserin auf, einen metaphorischen Bedeutungstransfer zu vollziehen, der durch Ko- und Kontextinformation (6) gelenkt wird.“263 Die Definitionen dokumentieren den nachhaltigen Wandel des Gleichnis‐ verständnisses in hundert Jahren Gleichnisforschung und zeigen zugleich die Bandbreite der verhandelten Aspekte auf. – Der vorgestellte gleichnis‐ theoretische Entwurf mündet in folgende Gleichnisdefinition: Definition: „Gleichnisse sind szenisch angelegte Kurzgeschichten, die eine realistisch anmutende Handlung schildern, um damit etwas an‐ schaulich und plausibel zu machen, was sich dem Alltagsblick entzieht; sie sind szenische Plausibilisierungshandlungen und zugleich ‚Fenster zum Himmel‘ in einer Welt, die ansonsten wenig Himmlisches zu bieten

258 259 260 261 262 263

Jülicher 1910, I 80, vgl. Aristoteles, Rhet. II, 20. Sellin 1978, 313. Jüngel 1986, 135. Vouga 1987, 76f. Zimmermann 2013, 196. Zimmermann 2007c, 25.

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2 Gleichnisforschung im Überblick

hat. Diese Fenster lassen Licht in die Welt und ermöglichen damit Orientierung auf dem Weg zu einem gelingenden Leben.“264 In dieser Definition kommen mehrere Erkenntnisse zur Geltung: a) Als fiktionale, pseudorealistisch angelegte Kurzgeschichten bzw. Er‐ zählszenen sind Gleichnisse prinzipiell unersetzbar. Narrative Form und dy‐ namischer Inhalt korrespondieren einander. Die emotional ansprechenden Erzählszenen sprengen die Grenzen des Alltäglichen und laden dazu ein, sich auf eine überraschende, heilvolle Wirklichkeitssicht einzulassen. b) Gleichnisse und Metaphern sind poetische Texte: Sie ermöglichen einen neuen Blick auf den Alltag; Bildspender und Bildempfänger erhellen sich gegenseitig. Und sie sind rhetorische Argumentationsmittel. Sie heben einen Argumentationsgang auf eine andere Ebene, um die Zustimmung der angesprochenen Hörer- bzw. Leserschaft zu erreichen. Somit dient die Poesie der Gleichnisse der argumentativen Plausibilisierung umstrittener Sachverhalte. c) Gleichnisse und Metaphern zielen auf Emotionen und auf Identifika‐ tion, sie werben um die Herzen der Menschen. Die Textpragmatik verglei‐ chender Texte sorgt für Sympathie bzw. Antipathie und ist auf emotional engagierte Zustimmung zu einer neuen Sicht auf Wirklichkeit aus.265 d) Gleichnisse legen Analogien und Differenzen (Metaphern: Analogien oder Differenzen) zwischen göttlicher und menschlicher Wirklichkeit offen. Damit wird das praktische Verhalten in eine heilvolle Richtung gelenkt (Ap‐ pellstruktur), um ein gedeihliches, von Gerechtigkeit, Güte, Barmherzigkeit etc. geprägtes Miteinander zu ermöglichen und die endzeitliche Erlösung des Einzelnen zu sichern. Wie die Plausibilisierung der neuen Wirklichkeitssicht zustande kommt, ist je nach Ausgangsfrage und Gleichnistyp unterschiedlich (→ 2.5.7). – Eine Grafik stellt abschließend die wichtigsten Elemente der Gleichnisdefinition dar:

264 265

Erlemann 2017, 5. – Die Definition gilt nur für narrativ entfaltete Gleichnistexte, nicht für rhetorische Stilformen (→ 1.4.4). Eine differenzierte Darstellung der Emotionalität von Gleichnissen bietet Dannenmann 2019.

2.5 Aspekte einer weiterführenden Gleichnistheorie

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LERNZIEL, INTENDIERTE WIRKUNG: PLAUSIBILISIERUNG / NEUE WIRKLICHKEITSSICHT

DEUTUNGSEBENE

theologischer Bezugsrahmen tertia comparationis

POINTE

Transfersignale

Analogien / Differenzen

Konterdetermination

fiktionale narratio BILDEBENE / ERZÄHLEBENE Ü-EBENE AUSGANGSEBENE

Ü-EBENE AUSGANGSEBENE

ANLASS: AUSGANGSFRAGE / AUSGANGSSITUATION

3 Schritte der Gleichnisauslegung Vergleichende Texte sind auf Deutung angelegt. Die historisch-kritische Auslegung fragt nach dem intentionalen Sinn, besser: nach dem durch den Autor vorgegebenen Deutungsrahmen, der in Wechselwirkung zum Verste‐ henshorizont der Erstadressaten steht. Das ursprüngliche Textverständnis ist ein wichtiges Korrektiv für das individuelle Vorverständnis heutiger In‐ terpretinnen und Interpreten. – Der folgenden Auslegungsmethodik liegen die Methodenschritte historisch-kritischer Exegese zugrunde.266 Sie werden durch folgende Punkte ergänzt: Erstens, Ermittlung der Pointe und zweitens, des Gleichnistyps; drittens, Klärung von Metaphern, Bildfeldern und anderer Transfersignale; viertens, Bestimmung des theologischen Bezugsrahmens. Die Reihenfolge ist nicht zwingend, erweist sich aber als praktikabel und zielführend. 3.1 Ermittlung und erzählinterne Formulierung der Pointe Unter Pointe ist der Zielgedanke bzw. Hauptvergleichspunkt eines Gleich‐ nisses zu verstehen (→ 1.5.5). Der Pointenbestimmung kommt entschei‐ dende Bedeutung zu; sie beugt allegorischer Auslegung (Allegorese) vor und sorgt dafür, dass die Deutung des Erzählten der ursprünglichen Intention des Autors entspricht.267 Grundsätzlich gilt: Die Pointe kann die vergleichende Erzählung nicht ersetzen; sie ist lediglich der Versuch, den Zielgedanken auf den Punkt zu bringen, und stellt einen neuen, nicht-vergleichenden Text dar. 3.1.1 Erzählintern vs. theologisch formulierte Pointe

Zu unterscheiden sind eine erzählinterne und eine theologische Pointen‐ formulierung. Im ersten Auslegungsschritt ist die Pointe erzählintern zu

266 267

Erlemann/Wagner 2013, Berger 1977; Egger 1999; Hardmeier 2003. Bei erzählerisch nicht geschlossenen Texten steht an dieser Stelle die Bestimmung des intentionalen, durch den Kontext bestimmten Vergleichspunktes an.

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3 Schritte der Gleichnisauslegung

bestimmen und zu formulieren.268 Das geschieht im Rahmen der textlingu‐ istischen Analyse. Die Pointenformulierung ist nicht festgelegt, aber auch nicht beliebig. Sie bewegt sich in der Semantik der erzählten Welt; die theologische Deutungsebene bleibt außen vor, bis sie geklärt ist (→ 3.3; 3.4). Die Pointe wendet die vorreligiöse Grunderfahrung, die das Gleichnis transportiert, auf den besonderen Fall an (→ 2.5.6b).269 3.1.2 Methodisches Vorgehen

Zur Ermittlung und Formulierung der Pointe sind folgende Punkte zu beachten: a) Elemente der Deutungsebene bleiben außen vor. Leitend ist die Se‐ mantik der Erzählebene inklusive Metaphorik und Bildfelder. b) Leitend sind die textlinguistisch ermittelten Schwerpunkte des Textes (Basisopposition, Gegensatzpaare, Spannungsbögen, Akteure, Erzählgefälle, Wiederholungen, Gliederung). Die Pointenformulierung bildet die Erzähl‐ struktur ab. c) Rein ausschmückende, dekorative Elemente, deren Fehlen das Funktio‐ nieren der narratio nicht beeinträchtigt, bleiben unberücksichtigt. Leitend sind ausschließlich konstitutive Begriffe und Strukturen. Der Einbezug dekorativer Elemente führt zu Allegorese. Beispiel: Das Gleichnis schildert den sozialen Abstieg des jüngeren Sohnes. Die einzelnen Elemente (Verschwendungssucht, Schweine‐ hüten, Hunger) illustrieren nur den Abstieg; sie sind austauschbar und für die Erzählung nicht konstitutiv. Dasselbe gilt für die Symbole der Wiedersehensfreude (festliches Kleid, Siegelring, Schuhe, geschlach‐ tetes Kalb). Dagegen gehören die Umkehr des Sohnes, die Begründung der Freude (V.24 und 32 in fast wörtlicher Wiederholung!) und die Vorbehalte des älteren Sohnes in die Pointenformulierung. d) Die Formulierung der Pointe ist je nach Betrachtungswinkel variabel. Den Gleichnissen als poetisch-weisheitlichen Texten entsprechen konditio‐ nale (‚wenn X dies oder das tut, passiert Y‘), kausale (‚da X das und das getan 268 269

Zum Folgenden vgl. Erlemann 1999, 183-185.206f. Erlemann 2014a, 52.

3.2 Ermittlung des Gleichnistyps

hat, passiert Y‘) oder verallgemeinernd relative Formulierungen (‚jeder, der X tut, erlebt Y‘). Beispiel: Die erzählintern formulierte Pointe des Gleichnisses vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) hat beide Erzählteile (V.11-24; V.25-32) abzubilden. Sie könnte lauten: Da die Wiederherstellung der Familie beim Vater übergroße Freude auslöst, nimmt er seinen Sohn wieder auf und wirbt bei seinem älteren Sohn um Zustimmung.

3.2 Ermittlung des Gleichnistyps Die formkritische und textpragmatische Analyse wird durch folgende Aus‐ legungsschritte ergänzt: Erstens, die Identifikation des Textes als Gleichnis bzw. Metapher und zweitens, die (textpragmatische) Bestimmung des Gleich‐ nistyps. 3.2.1 Identifikation als Gleichnis / Metapher

Vergleiche und Metaphern zeichnen sich durch einen Wechsel der seman‐ tischen Ebenen (→ 1.5.1; 2.5.1a) und durch den Zusammenprall zweier Wirklichkeitsbereiche aus (z. B. ‚Achill ist ein Löwe‘). Bei Gleichnissen weisen erzählinterne Transfersignale zusätzlich auf den Gleichnischarakter hin (→ 1.5.9; 2.5.1c). 3.2.2 Bestimmung des Gleichnistyps

Dieser Auslegungsschritt ist der Textpragmatik zuzuordnen. Für die Bestim‐ mung ausschlaggebend sind die unter 2.5.7 aufgeführten, textpragmatischen Merkmale270: a) Erfahrungsbereich: Natur, Weisheit und Alltag sind die in Frage kom‐ menden Erfahrungsbereiche. Ihre Wahl korrespondiert mit b) Ausgangsfrage, Thema und Erzähltechnik: Erstens: Verhandelt der Text unmöglich scheinende Entwicklungen und Szenarien? Stehen Zweifel, Un‐ glaube, Ungeduld oder Irrlehre im Raum und müssen ausgeräumt werden? 270

Zur Bestimmung von rhetorischen Stilfiguren (Tropen u. a.) → 1.4.4.

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3 Schritte der Gleichnisauslegung

Geht es darum, was vereinbar und was unvereinbar ist? Geht es um heilvolle oder widersinnige Prioritäten? Wenn dem so ist, liegt ein Naturgleichnis vor. Zweitens: Geht es im Text um abstruse Handlungsoptionen oder um sinnlose, wenn nicht absurde Verhaltensweisen und Entscheidungen? Stellt der Text eine suggestive Frage? Verwendet er Sprichwörter oder Binsenweisheiten als Argumentationsgrundlage? Wenn ja, liegt ein Weisheitsgleichnis vor. Drittens: Thematisiert der Text ein strittiges Handlungsmuster? Kritisiert er gängige moralische Standards? Ist eine Konkurrenz zwischen verschiedenen Handlungsoptionen erkennbar? Wird die Wertehierarchie neu definiert? Benutzt der Text eine alltäglich erscheinende Situation und Konstellation, um die Grundlagen eines gelingenden Miteinanders in Erinnerung zu rufen? Diese Indizien sprechen für ein Alltagsgleichnis. Viertens: Geht es im Text um Identität, Vollmacht und Verlässlichkeit einer Person oder Gruppe? Wird diese im Text metaphorisch umschrieben? Fehlt erzählerische Geschlossen‐ heit, wechselt der Text wiederholt die semantischen Ebenen? In diesem Falle ist von einem Identitätsgleichnis bzw. von einer Identitätsmetapher auszugehen. 3.3 Decodierung von Metaphern und Bildfeldern Die Entschlüsselung der Metaphorik hilft, die intentionale Bedeutung ver‐ gleichender Texte zu klären und ihr innovatives bzw. provokatives Potenzial zu erheben. Der Methodenschritt verteilt sich auf mehrere Auslegungs‐ schritte: Textlinguistik, Traditionsgeschichte, religionsgeschichtlicher Ver‐ gleich und Redaktionskritik. Das Ergebnis spiegelt den Verstehenshorizont der Erstleserinnen und Erstleser wider und zeigt, wo die Erwartung inno‐ vativ bzw. provokativ durchbrochen wird. 3.3.1 Polyvalenz und Dynamik

Metaphern und Bildfelder sind polyvalent sind können mehrere Vergleichs‐ punkte generieren (→ 1.4.4b). Daher ist grundsätzlich damit zu rechnen, dass sich die Bedeutung von Metaphern und Bildfeldern von Text zu Text wandelt.

3.3 Decodierung von Metaphern und Bildfeldern

Beispiel: Die biblische Hirtenmetaphorik ist polyvalent. Alttestament‐ liche Texte umschreiben mit ihr das fürsorgliche Handeln Gottes (Ps 23 u. a.) und kontrastrieren es mit dem verantwortungslosen Tun der ‚Hirten Israels‘ (Ez 34 u. a.) Im Neuen Testament wird die Metapher christologisiert (vgl. Mt 18,12-14par.; Joh 10, 1-18; 1 Petr 5,4 u. a.) und gegen illegitime Führungspersönlichkeiten gestellt (Joh 10,1-18). Des Weiteren werden auch Gemeindeleiter als ‚Hirten‘ bezeichnet (1 Petr 5,1f.). – Weiteres Beispiel vgl. → 1.4.4b.

3.3.2 Innere Logik des Textes

Ausschlaggebend für die Bedeutung der Metaphorik ist der unmittelbare Kontext. Dazu gehört im Falle von erzählenden Gleichnissen die Erzählung selbst mitsamt ihrer inneren Logik und der Funktion der Metaphern im Erzählarrangement. Beispiel: In Mk 12,1-12 (Gleichnis von den bösen Winzern) ist der Weinberg Besitztum des Herrn, Arbeitsplatz der Winzer, Erwerbsquelle beider Parteien, Objekt der Fürsorge des Besitzers und der Begierde der Winzer sowie Erbteil des Sohnes. Die Winzer müssen dem Herrn Pacht aus den Erträgen des Weinbergs zahlen (was sie verweigern). Am Ende wird der Weinberg den Winzern weggenommen und anderen Winzern übertragen. Alle Aspekte zusammengenommen schließen ‚das Volk Israel‘ als Bildempfänger aus: Das Volk kann als solches nicht Objekt der Begierde der ‚Winzer‘ (Führungsschicht Israels) sein. Eher ist an eine Aufgabe und an ein damit gekoppeltes Privileg der ‚Winzer‘ zu denken, mit dem sie dem ‚Herrn‘ (Gott) gegenüber Rechenschaft schuldig sind – etwas, das sie durch die Sendung der ‚Knechte‘ (Propheten) und des ‚Sohnes‘ bzw. ‚Erben‘ (Jesus) bedroht sehen und das ihnen am Ende entzogen wird. – Der ‚Weinberg‘ hat mit Israel zu tun (Schnittmenge mit Jes 5), ist aber nicht einfach mit dem Volk identisch. Zu denken ist erstens an die Führungsposition der Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten (Mk 11,27; 12,12), also an Macht und Ansehen in Israel. Zweitens qualifiziert das angehängte Zitat aus Ps 118,22f. dieses Privileg als besondere Erwählung, die von der Anerkennung des ‚Sohnes‘ abhängt.

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3 Schritte der Gleichnisauslegung

Und drittens ist mit ‚Weinberg‘ auch das Volk gemeint, insofern die Verpflichtung der ‚Winzer‘ darin besteht, für die ‚Ernte‘ zu sorgen und hieraus dem ‚Herrn‘ das abzugeben, was ihm an ‚Früchten‘ zusteht. Mit anderen Worten: Ihre Aufgabe besteht darin, das Volk zu seinem Gott hin- bzw. zurückzuführen, was sie aber nicht tun. Infolge dessen wird der jüdischen Führungsschicht am Ende ihre Verantwortung und damit auch ihr (Erwählungs- und) Machtprivileg entzogen. Das Beispiel zeigt zum einen die Polyvalenz der Metaphorik in ein und demselben Text (Führungsposition in Israel; Erwählungsvorzug; Volk Is‐ rael), zum anderen auch die Veränderung gegenüber dem Prätext Jes 5. In dieser Veränderung liegt das innovative und provokative Potenzial des Winzergleichnisses; es durchbricht den Erwartungshorizont derjenigen Adressaten, die Jes 5 kennen. 3.3.3 Verstehens- und Erwartungshorizont

Folgende Determinanten bestimmen den Verstehens- und Erwartungshori‐ zont der Adressaten: Erstens, der Text und seine innere Logik (Texlinguistik); zweitens, die Metaphorik im Rahmen des Evangeliums (Redaktionskritik); drittens, die Metaphorik in anderen frühchristlichen Schriften (erweiterter synoptischer Vergleich); viertens, die Metaphorik im Alten Testament (Tra‐ ditionsgeschichte); fünftens, die Metaphorik im frühjüdischen und außerjü‐ dischen Texten (religionsgeschichtlicher Vergleich). Zur Veranschaulichung hilft das Modell konzentrischer Kreise: Die Rei‐ henfolge der aufgezählten Determinanten entspricht einer Bewegung vom innersten zum äußersten Kreis. Entscheidend für die aktuelle Bedeutung der Metaphorik ist der innerste Kreis; die anderen Kreise prägen sie in abnehmender Intensität. Werden die Kreise abgeschritten, möglichst viele Vergleichstexte erschlossen271, ergibt sich daraus die bestmögliche Annähe‐ rung an die intentionale Bedeutung des Textes, an den Verstehens- und Erwartungshorizont der Erstadressaten und an das erkennbare innovative und provokative Potenzial des Untersuchungstextes. Grafisch lassen sich Erwartungshorizont und Methodik so darstellen: 271

Vorzugsweise mittels Konkordanz; für den Religionsgeschichtlichen Vergleich emp‐ fiehlt sich Berger/Colpe 1987; weitere Hilfsmittel vgl. Erlemann/Wagner 2013, 138ff.

3.4 Ermittlung der Deutungsebene und theologische Formulierung der Pointe

außerjüdische Texte A.T. / frühes Judentum Neues Testament Evangelium innovatives Potenzial Text / direkter Kontext abnehmende Determinierung

zunehmende Konkretion

Textlinguistik Redaktionskritik erweit. syn. Vergleich Traditionsgeschichte religionsgesch. Vergleich

3.4 Ermittlung der Deutungsebene und theologische Formulierung der Pointe Nach Klärung der Metaphorik lässt sich der theologische Bezugsrahmen des Gleichnistextes bestimmen und die Pointe theologisch formulieren. Die Methodenschritte sind der Redaktionskritik und dem abschließenden Fazit zuzuordnen. 3.4.1 Ermittlung des theologischen Bezugsrahmens

Der theologische Bezugsrahmen beinhaltet ein komplexes Bündel aus reli‐ giösen bzw. vorreligiösen Erfahrungen und theologischen Erkenntnissen (→ 2.5.6b). Der Bezugsrahmen lässt sich methodisch anhand von Leitfragen bestimmen:

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3 Schritte der Gleichnisauslegung

a) Welche vorreligiöse Erfahrung wird genannt?

Diese Erfahrung betrifft die Grundlagen gelingenden Lebens und eines gedeihlichen Miteinanders. Sie ist der Ausgangspunkt der Gleichnis-Theo‐ logie. Beispiel 1: Im Weinberggleichnis Mt 20,1-16 geht es um die Erfahrung, dass Gerechtigkeit allein nicht allen Menschen gerecht wird. Gerade die ‚Letzten‘ sind auf Güte, Barmherzigkeit und Großzügigkeit aller angewiesen. Beispiel 2: Das Gleichnis von der vierfachen Saat (Mk 4,3-9parr.) thema‐ tisiert die vorreligiöse Erfahrung, dass bei einer Aussaat vieles verloren geht und sich trotzdem die Mühe am Ende auszahlt. Beispiel 3: Die Gleichnisse vom Verlorenen (Lk 15) kreisen um die Er‐ fahrung, dass das Wiederfinden von etwas zuvor Verlorenem maximale Freude auslöst. Beispiel 4: Das Gleichnis von Salz und Licht (Mt 5,13-16) gründet auf der Erfahrung, dass Salz Speise würzt und, wenn es nicht mehr taugt, weggeworfen wird. Der zweite Teil des Textes gündet in der Erfahrung, dass es ohne Licht keine Orientierung gibt und es von daher widersinnig ist, es zu verstecken.

b) Was wird über Gott ausgesagt (theologischer Aspekt)?

Die Gleichnisse Jesu sind ‚Fenster zum Himmel‘, die Gottes Wirklichkeit in kleinen Szenen menschlicher Erkenntnis zugänglich machen. Der eigent‐ lich theologische Aspekt, das Gottesbild, ist die theologische Erkenntnis schlechthin. Beispiel 1: Das Weinberggleichnis Mt 20,1-16 zeigt Gott als einen, dessen Gerechtigkeit mit Güte gepaart ist und so selbst den ‚Letzten‘ noch gerecht wird. Beispiel 2: Das Gleichnis von der vierfachen Saat (Mk 4,3-9parr.) zeigt keinen prominenten theologischen Aspekt. Hinter dem Vorgang ist implizit Gott zu denken, der den Erfolg der Aussaat möglich macht. Beispiel 3: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) macht Gott als liebenden Vater kenntlich, für den die vollständige und intakte

3.4 Ermittlung der Deutungsebene und theologische Formulierung der Pointe

Familie das höchste Gut darstellt; das motiviert seine Vergebungsbereit‐ schaft dem Rückkehrer gegenüber und sein Werben um den anderen Sohn. Beispiel 4: Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26-29) nimmt ausdrücklich auf Gottes basileía Bezug. Es fokussiert deren Wachstum bzw. Kommen, das man weder forcieren noch aufhalten kann. Die Saat wächst ‚von selbst‘ (V.28, gr. automátē); dahinter ist Gottes Schöpferwirken zu erkennen.

c) Was wird über Jesus Christus und sein Geschick ausgesagt (christologischer Aspekt)?

Jesus ist der Gleichniserzähler schlechthin. Das qualifiziert ihn als Offen‐ barer bzw. ‚Exegeten Gottes‘ (Joh 1,18). Über diese Rolle hinaus verraten viele Texte etwas über Jesu Sendung, seine Bedeutung und sein Geschick. Viele Texte tragen durch die Polyvalenz der kýrios-Figur zur semantischen Vergöttlichung Jesu bei. Beispiel 1: Der Herr im Weinberggleichnis Mt 20,1-16 ist auf Gott und auf Jesus beziehbar – auch Jesus lädt Menschen zur Arbeit in seinen ‚Weinberg‘ ein (vgl. Mt 9,37f., Metapher von der ‚Erntearbeit‘ [Mission]), auch er wird den ‚Letzten‘ durch Güte, Barmherzigkeit und Großzügigkeit gerecht, auch er kritisiert diejenigen, die sich einseitig auf Gerechtigkeitsansprüche berufen. Beispiel 2: Der Sämann in Mk 4,3-9parr. ist besonders polyvalent: Jeder, der das Wort des Evangeliums aussät (vgl. Mk 4,14), lässt sich darin wiedererkennen: Gott, Jesus, Apostel und Jünger, soweit sie in der Ver‐ kündigung unterwegs sind. Ihre Erfahrungen spiegeln sich im Gleichnis wider. – Beachtenswert ist auch der Aspekt, dass die ‚Aussaat‘ prinzipiell unabhängig von der ‚Bodenqualität‘ erfolgt (Mt 5,45: Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute!). Beispiel 3: Der Vater des verlorenen Sohnes (Lk 15,11-32) verweist auf Gott, aber auch auf Jesus. Seine Sendung ist es, die Verlorenen zu suchen und selig zu machen; Zachäus ist ein prominentes Beispiel dafür (Lk 19,1-10).

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3 Schritte der Gleichnisauslegung

Beispiel 4: Im Winzergleichnis Mk 12,1-12parr. ist der ‚Herr des Wein‐ bergs‘ ausschließlich auf Gott beziehbar, da der ‚geliebte Sohn‘ eine eigene Rolle im Gleichnis spielt. Dessen Sendung und Vollmacht bilden den christologischen Aspekt ab, genauer: Jesus kommt als letzter, ent‐ scheidender Bote, als Zeichen der übergroßen Geduld Gottes, und nicht als Konkurrent der ‚Winzer‘. Im Nachhinein entpuppt sich Jesus als der ‚Schlussstein‘ der Erwählung; sein Tod bedeutet das Aus für die angesprochenen Führungskräfte Israels (‚Winzer‘).

d) Was sagen Gleichnisse über den Heiligen Geist (pneumatologischer Aspekt)?

Die Gleichnisse der Evangelien bieten keinen pneumatologischen Aspekt. Der Geist ist gewissermaßen das Vorzeichen des Wirkens Jesu, auch seiner Gleichnisbotschaft (vgl. Mk 1,9-11parr.). – Das Johannesevangelium und Paulus umschreiben hingegen das Wirken des Geistes in anschaulichen Identitätsmetaphern. Beispiel 1: Die Getauften sind für Paulus der ‚Tempel des Heiligen Geistes‘ (1 Kor 6,19) und damit dem profanen Bereich grundsätzlich entnommen. Die Metaphorik verweist erstens auf die Göttlichkeit des Geistes (er hat einen Tempel), zweitens auf seine schützende und heili‐ gende Funktion und drittens auf die kultische Dignität der Christinnen und Christen. Beispiel 2: Der Heilige Geist ist laut Röm 8,26 der Dolmetscher der menschlichen Gebete und der Anwalt der Menschen vor Gott. Damit erhält er eine prominente Mittlerfunktion, die der des ‚Parakleten‘ in Joh 14-16 analog ist.

e) Was sagen die Gleichnisse über die Welt (kosmologischer Aspekt)?

Auch die Welt und ihre Deutung als Schöpfung und Schauplatz des gött‐ lichen Wirkens sind Thema vergleichender Rede. Vor dem Hintergrund der Ansage von Gottes Nähe und seiner Herrschaft ist die Welt kein neutraler Raum, sondern Betätigungsfeld Gottes, der Gläubigen und des Bösen gleichermaßen.

3.4 Ermittlung der Deutungsebene und theologische Formulierung der Pointe

Beispiel 1: Die Weinbergmetapher in Mt 20,1-16 kann auf die christliche Gemeinschaft oder auf den kósmos gedeutet werden (vgl. Mt 13,38). Gemeinschaft und Welt sind der Wirkort der ‚Erntearbeiter‘, was im matthäischen Kontext auf die weltweite Missionsarbeit bezogen werden kann. Von Gott in die Welt gerufen zu sein, erscheint in diesem Kontext als besondere Verpflichtung. Beispiel 2: Der ‚Acker‘ im Saatgleichnis Mk 4,3-9parr. wird in der nach‐ folgenden Deutung (V.14-20) nicht determiniert, bietet also Interpreta‐ tionsspielraum. Da es um Verkündigung und Mission geht, liegt eine Deutung auf den kósmos nahe; auch Israel, als Adressat der Botschaft Jesu und der Apostel, ist mitzudenken. Wie in Mt 20,1-16 erscheint die Welt als Aufgabenfeld der Gläubigen, als Raum, in den hinein sich Gottes Herrschaft ausdehnen soll. Beispiel 3: Der verlorene Sohn beschreitet einen Weg vom Zuhause in die Welt und wieder zurück (Lk 15,11-32). Sein Bruder ist daheim und doch nicht; er vergräbt sich auf dem Acker. Der Gegensatz zwischen beiden Zonen ist radikal: Das Zuhause steht für Heimat, Geborgenheit und Vergebung, die ‚Welt da draußen‘ für Versuchung, Scheitern und Erbarmungslosigkeit. Die Welt ist die Zone des Verlorenen und des Todes, das Vaterhaus die der Freude und des Lebens. Es geht darum, aus der Welt zurück in die ‚Heimat‘, zu Gott, zu finden. Beispiel 4: Die Gläubigen sind ‚Salz der Erde‘ und ‚Licht der Welt‘ (Mt 5,13-16). Sie haben damit eine besondere Verantwortung dem kósmos gegenüber, sie sollen ihm Würze und Orientierung geben. Das heißt, die Welt ist eigentlich ein fader, dunkler Ort, der durch das Wirken der Gemeinde zu einem hellen, geschmackvollen Ort werden soll. Die Gläubigen setzen damit das Schöpfungswirken Gottes und seines Schöpfungs-Logos fort (vgl. Gen 1,1f.; Joh 1,1-14).

f) Was erfahren wir über den Menschen (anthropologischer Aspekt)?

Gott, Jesus, Geist und Welt kommen in den Gleichnissen in ihrem Gegenüber und in ihrer Interaktion mit den Menschen zur Sprache. Gott erscheint als das Gegenüber des Menschen; er befreit ihn zum Leben, nimmt ihn in die Pflicht, belohnt und bestraft ihn. Der Mensch empfängt von Gott seine Lebensgrundlagen und ist ihm gegenüber für sein Verhalten verantwortlich.

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3 Schritte der Gleichnisauslegung

Über diese grundsätzliche Konstellation hinaus öffnen die Gleichnisse wei‐ tere Fenster zur Selbsterkenntnis. Beispiel 1: Die ‚Ersten‘ im Weinberggleichnis Mt 20,1-16 stehen mit den ‚Letzten‘ auf einer Stufe, da sie alle auf die Arbeit im ‚Weinberg‘ angewiesen sind. Doch sie schauen zuerst auf ihren persönlichen Vorteil, sie tun sich schwer, den ‚Letzten‘ gegenüber großherzig zu sein. Am Ende stehen sie blamiert da; ihre Haltung erscheint angesichts der Güte des ‚Herrn‘ deplatziert. Beispiel 2: Im Sämanngleichnis Mk 4,3-9parr. sind alle Menschen glei‐ chermaßen Adressaten der frohen Botschaft. Sie erweisen sich jedoch als ‚Böden‘ unterschiedlicher Qualität, auf denen die Botschaft gedeiht oder eben nicht. Beispiel 3: Die beiden Söhne in Lk 15,11-32 repräsentieren unterschied‐ liche Menschentypen, deren beider Lebensgrundlage aber identisch ist: die Existenz im ‚Vaterhaus‘ mit all seinen Wohltaten. Ähnlich wie in Mt 20,1-16 müsste diese Erkenntnis für eine tiefe Solidarität sorgen, tut es aber nicht. Beispiel 4: Die Winzer in Mk 12,1-12 stehen primär für eine konkrete historische Gruppe (jüdische Führungsschicht) und geben über jene Auskunft. Mit ihren niedrigen Beweggründen, die zur Tötung des Sohnes führen, sind sie jedoch abschreckendes Beispiel für andere Gruppen. Das verhindert ein antijüdisches Verständnis des Gleichnisses (vgl. das Verbot zu richten in Mt 7,1-5).

g) Was ist über die (christliche) Gemeinschaft zu lernen (ekklesiologischer Aspekt)?

Viele Gleichnisse transportieren ausdrücklich oder zwischen den Zeilen ein Bild von Gemeinschaft, wie sie typischer Weise ist und wie sie angesichts der Wirklichkeit Gottes sein könnte bzw. sollte. Deutlich wird dabei der Son‐ derstatus christlicher Gemeinschaft gegenüber profanen Gemeinschaften und Vereinen.

3.4 Ermittlung der Deutungsebene und theologische Formulierung der Pointe

Beispiel 1: Das Verhältnis von Menschen unterschiedlichen Ranges (‚Erste‘, ‚Letzte‘) wird im Gleichnis Mt 20,1-16 nachhaltig kritisiert. Standesdenken, gepaart mit tendenzieller Ausgrenzung von ‚Letzten‘, passt nicht zum Heilswillen Gottes. Vor ihm zählen keine Standesunter‐ schiede, sondern allein Würde und Bedürftigkeit des Einzelnen. Die Güte und Großzügigkeit Gottes stehen urbildlich für die Grundlagen eines gedeihlichen Miteinanders. In der Gemeinde werden die Unter‐ schiede heilvoll nivelliert: Jeder gönnt jedem sein Glück, die ‚Großen‘ lassen sich für das Wohl der ‚Kleinen‘ in Dienst nehmen. Beispiel 2: Das Sämanngleichnis Mk 4,3-9parr. hat keinen prominenten ekklesiologischen Aspekt; lediglich die Funktion der Gläubigen, bei denen die frohe Botschaft auf fruchtbaren Boden stößt, als wichtige Multiplikatoren kommt zwischen den Zeilen in den Blick. Beispiel 3: Das Verhältnis zwischen den beiden Söhnen in Lk 15,11-32 hat eine ekklesiologische Dimension, vergleichbar der Auskunft in Mt 20,1-16. Beispiel 4: Die christliche Gemeinschaft beerbt laut dem Winzergleichnis Mk 12,1-12parr. die ursprünglichen ‚Pächter‘ und steht damit in der gleichen Verantwortung Israel (und ehemaligen Nichtjuden in der Gemeinschaft) gegenüber. Damit sind ihr Status und die Bedingung, an dem er hängt, geklärt. Beispiel 5: Das Gleichnis von Salz und Licht (Mt 5,13-16) beschreibt den Status der matthäischen Gemeinschaft in ihrer Vorbildfunktion für den Kosmos. Das ist ein hoher Anspruch und zugleich die Existenzberech‐ tigung der Gemeinschaft. Wird sie ihr gerecht, wirkt sie als ‚Salz‘ und ‚Licht‘ in der Gesellschaft, dann ist alles gut; wenn nicht, hat sie ihre Existenzberechtigung verloren.

h) Welches Verhalten wird in Gleichnissen propagiert (ethischer Aspekt)?

Gleichnisse sind nicht auf eine ‚Moral von der Geschicht‘ zu reduzieren, sie haben vielmehr etwas Anti- oder Vormoralisches, sofern sie gängige Moral als oftmals hinderlich fürs Leben kritisieren. Die Gleichnisbotschaft Jesu präsentiert vorzugsweise die göttlichen Wohltaten (theologischer,

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146

3 Schritte der Gleichnisauslegung

christologischer Aspekt). Die implizierte Ethik ist wesentlich eine Ethik der Entsprechung zu diesen Wohltaten Gottes. Beispiel 1: Gott ist gerecht und dazu gütig, barmherzig und großzügig; vor ihm sind alle Menschen gleich; selbst die ‚Letzten‘ erhalten ihre Chance und das, was sie zum Leben brauchen. Das umschreibt die göttlichen Wohltaten im Weinberggleichnis Mt 20,1-16. Ethisch gefor‐ dert ist eine analoge Haltung der ‚Ersten‘; Neid und Missgunst wirken deplatziert. Beispiel 2: Dem Gleichnis vom Sämann (Mk 4,3-9parr.) fehlt der ethische Aspekt weitestgehend. Indirekt motiviert es die Missionsarbeit; das Gleichnis beugt Frustration und Resignation angesichts vieler Rück‐ schläge vor. Beispiel 3: Die im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) impli‐ zierte Ethik wird in V.24 und V.32 gebündelt: Es geht darum, die Freude des ‚Vaters‘ nachzuvollziehen und in sie einzustimmen: Es gibt nichts Großartigeres, als wenn jemand, der ‚tot‘ war, wieder zum Leben kommt! So entspricht es der Haltung des ‚Vaters‘, ‚verlorene‘ Kinder wieder in die Gemeinschaft aufzunehmen oder ihnen sogar hinterher zu laufen und sie zu suchen (Lk 15,3-10). Beispiel 4: Das Winzergleichnis Mk 12,1-12parr. zielt primär auf das ethische Verhalten der Gegner Jesu, des Weiteren aber auch auf das der christlichen Gemeinschaft: Jesus anerkennen und Gott ‚Früchte‘ bringen, heißt die Grundlinie.

i) Welchen Weg zum Heil zeigen die Gleichnisse auf (soteriologischer Aspekt)?

Die Gleichnisse wollen den Menschen einen Ausschnitt der himmlischen Wirklichkeit zugänglich machen. Was darüber zu lernen ist, ist freilich keine pure Information. Vielmehr werden die Adressaten eingeladen, sich auf einen heilvollen Weg für sich selbst und fürs menschliche Miteinander zu machen. Wie dieser Weg aussieht, ist Inhalt des soteriologischen Aspekts der Gleichnis-Theologie.

3.4 Ermittlung der Deutungsebene und theologische Formulierung der Pointe

Beispiel 1: Ein ‚Erster‘ in Gottes Reich zu sein, ist das erstrebenswerte Ziel der matthäischen Jünger (vgl. auch Mt 19,27-30 und 20,20-28). Dieses Ansinnen wird von Jesus nicht zurückgewiesen, sondern als legitimes Ziel bestätigt. Der Weg dorthin erscheint indes paradox: Wer ein ‚Erster‘ in Gottes Welt sein will, solle sich zeit Lebens zu einem ‚Letzten‘ machen, das heißt: sich das Schicksal der nicht Angesehenen und Ausgegrenzten zu eigen machen, sie als gleichrangige Mitmenschen behandeln, ihnen dienen, das ‚Kreuz auf sich nehmen‘ – dem Vorbild Jesu entsprechend (Mt 20,20-28). Der Weg zum Heil geht durch Leiden und Verzicht in diesem Leben (vgl. den reichen Jüngling, Mt 19,16-26). Beispiel 2: Der Weg zum Heil wird von Gott bzw. von den Verkündern der frohen Botschaft eröffnet (Mk 4,3-9parr.). Es ist von den Adressaten der Botschaft abhängig, ob sie ihre heilvolle Wirkung entfalten kann. Die Stichwörter heißen: die Botschaft annehmen und ‚Frucht bringen‘, das heißt sie zur Entfaltung bringen und weitertragen (Mk 4,20). Beispiel 3: Der verlorene Sohn (Lk 15,11-32) geht den Weg der Einsicht, der Reue und der pragmatischen Umkehr. Ohne Umkehr zum Vater hätte dieser keine Chance gehabt, ihn wieder aufzunehmen. Ähnliches gilt für den älteren Bruder: Auch von ihm sind Umdenken und Umkehr gefordert, konkret: Versöhnungsbereitschaft und Mitfreude. Wer sich nicht versöhnlich zeigt, bleibt außen vor.272 Beispiel 4: Für die ‚Winzer‘ in Mk 12,1-12parr. heißt der Weg zum Heil: Anerkennung der Forderungen Gottes und Anerkennung Jesu als seines letzten Boten. Niedrige Beweggründe verhindern diese Erkenntnis. – Der Weg zum Heil für die Gemeinde besteht in der Abgrenzung gegenüber solchen Beweggründen (Machterhalt, gesellschaftliches Re‐ nommée u. ä.).

j) Wie ist die Gegenwart zu beurteilen (eschatologischer Aspekt)?

Der letzte Aspekt betrifft die Deutung und Bewertung der Zeit, in der die Adressaten der Gleichnisse leben. Im Horizont der Wirklichkeit Gottes erscheint die Gegenwart als geschenkte Zeit und als endzeitlich qualifizierte, kritische Zeit (gr. krísis – Entscheidung, Gericht). Was in ihr geschieht, ist für die postmortale Zukunft entscheidend. Nichts von dem, was Men‐ 272

Vgl. den offenen Schluss des Gleichnisses; ähnlich im Gastmahlgleichnis Lk 14,15-24.

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3 Schritte der Gleichnisauslegung

schen tun und lassen, ist ethisch ‚geschmacksneutral‘, sondern hat eine besondere Wertigkeit. Ein kluger, verantwortungsbewusster Umgang mit der (Lebens-)Zeit erscheint daher angebracht. Beispiel 1: Jetzt ist die Zeit der Ernte im ‚Weinberg‘ Gottes (Mt 20,1-16)! Die Gläubigen sind von Gott Berufene und stehen in seinem Dienst . Das ‚Ende des Tages‘ lässt sich kollektiv (Ende der Zeit, Endgericht, ‚Abrech‐ nung‘) und individuell deuten (Todeszeitpunkt). Das Gerufensein ist als Chance zu nutzen, solange Zeit dafür ist. Der eschatologische Horizont des matthäischen Denkens zeigt: Mit Jesu Wirken hat Gottes Herrschaft begonnen; die Zeit zwischen Jesu Tod und seiner Wiederkunft ist die Zeit ethischer Bewährung (vgl. die Parusiegleichnisse in Mt 24 f.). Am Ende wird abgerechnet (vgl. Mt 25,31-46). Beispiel 2: Jetzt ist die Zeit der ‚Aussaat‘ bzw. der Mission! Jetzt ist die entscheidende Zeit, sich zur frohen Botschaft zu verhalten, konkret: sie anzunehmen und ‚Frucht‘ zu bringen oder sie zu verwerfen und weiterzuleben wie bisher. Das ist der eschatologische Aspekt des Sä‐ manngleichnisses Mk 4,3-9parr. Beispiel 3: Jetzt ergeht der Ruf Gottes an die Verlorenen und Verzwei‐ felten, jetzt ist der ideale Zeitpunkt zur Umkehr zur Quelle des Lebens, jetzt ist die Zeit der Vergebung (Lk 15,11-32)! Das gilt für beide Brüder im Gleichnis. Der offene Schluss zeigt, dass die Chance weiterhin besteht, dass sie aber auch nutzlos verstreichen kann (vgl. auch das Gastmahlgleichnis Lk 14,15-24!). Beispiel 4: Jetzt ist die Zeit, die dunkle Welt hell zu machen und ihr Hoffnung zu bringen, sie aus einem faden in einen schmackhaften Ort zu verwandeln (Mt 5,13-16)! Jetzt ist die Zeit, in der die Gemeinde Wirkung entfalten kann und soll. Das ist ein Baustein der eschatologischen Zuwendung Gottes zur Welt.

k) Summe und Fazit

Die Beispiele bieten einen kleinen Ausschnitt aus der Reichhaltigkeit der Gleichnis-Theologie. Um sie zu bestimmen, empfiehlt es sich, die verschie‐ denen Aspekte in der beschriebenen Art und Weise abzuschreiten und ‚durchzudeklinieren‘. Am Ende lässt sich die Summe aller Einzelaspekte ziehen und ein Gesamtbild der Deutungesebene formulieren.

3.4 Ermittlung der Deutungsebene und theologische Formulierung der Pointe

Beispiel: Das Weinberggleichnis Mt 20,1-16 lässt das Miteinander verschie‐ dener sozialer Gruppen neu verstehen: Alle Menschen sind gleichermaßen von Gottes Güte und Großzügigkeit abhängig. Daher verbietet sich ge‐ genseitige Ausgrenzung. Gerechtigkeit allein wird dem Menschen nicht gerecht. Der Weg zum Leben in Fülle besteht im ‚gönnen Können‘ statt in Missgunst – das ist die neue Möglichkeit gedeihlichen Miteinanders! Eschatologisch daran ist: Das Angebot, in Gottes ‚Weinberg‘ zu arbeiten und das neue Miteinander einzuüben, fordert rasche Umsetzung; der ‚Tag‘ läuft bereits, sein Ende ist absehbar. In der Gemeinde wird die heilvolle Wirklichkeit Gottes bereits jetzt sichtbar und spürbar! Die Reduzierung der Deutungsebene auf einen dogmatischen Lehrsatz, eine ‚Moral von der Geschicht‘ greift viel zu kurz. Im Ensemble der verschiedenen Aspekte liegt der Reichtum der Gleichnisse. Die skizzierte Methodik lässt den einzelnen Gleichnistext in seiner thematischen und theologischen Verflechtung mit seinen Nachbartexten und dem gesamten Evangelium wahrnehmen. 3.4.2 Theologische Formulierung der Pointe

Auf Grundlage der erzählintern formulierten Pointe (→ 3.1), der geklärten Metaphorik (→ 3.3) und des theologischen Bezugsrahmens (→ 3.4.1) lässt sich abschließend die Pointe theologisch formulieren. Hierfür gelten folgende Hinweise: Erstens, die Deutungsebene wird nun ausdrücklich einbezogen. Leitend ist die unter → 3.3 vorgenommene Decodierung der Metaphorik. Zweitens, auf dieser Grundlage wird die erzählinterne Formulierung in die theologische Formulierung der Pointe übertragen. Grundsätzlich gilt auch hier: Die Pointe kann die vergleichende Erzählung nicht ersetzen, sie bündelt vielmehr den theologischen Leitgedanken in einem neuen, nicht-vergleichenden Text. Beispiel: Die theologisch formulierte Pointe von Lk 15,11-32 könnte folgendermaßen lauten: Da Gott sich über jeden, der zu ihm findet, über die Maßen freut, lohnt sich Umkehr in jedem Fall, und es gibt keinen Grund, sich als gläubiger Mensch Neubekehrten gegenüber zu verweigern. Wer sich mit Gott und den Neubekehrten mitfreuen kann, wird an Gottes Freudenfest teilhaben!

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4 Musterexegesen und Theologie Dieser Teil konkretisiert Gleichnistheorie und Auslegungsmethodik anhand von Musterexegesen. Die Textauswahl orientiert sich an der textpragmati‐ schen Einteilung der Gleichnisstoffe in Natur-, Weisheits-, Alltags- und Identitätsgleichnisse. Abzubilden ist ein möglichst breites Spektrum ver‐ gleichender Texte: synoptische Metaphern und Gleichnisse, johanneische Parömien sowie Gleichnisse und Metaphern der Briefliteratur.273 Den Mus‐ terexegesen liegt die historisch-kritische Methodik zugrunde, und zwar in einer zielführenden Auswahl; die Exegesen sind also nicht vollständig im Sinne einer Proseminararbeit. Schwerpunktmäßig werden folgende Schritte berücksichtigt: Realien, sozialgeschichtlicher Hintergrund, Textlinguistik, Formkritik, Textpragmatik, Traditionsgeschichte, religionsgeschichtlicher Vergleich sowie Kompositions- und Redaktionskritik. Die Schritte werden nicht schematisch nacheinander abgearbeitet, sondern integrativ behandelt. 4.1 Naturgleichnisse Ausgelegt werden hier das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26-29), von den Vögeln und den Lilien (Mt 6,25-34par.) sowie die Metapher von den Geburtswehen (Mk 13,8par.; vgl. Joh 16,21; 1 Thess 5,3). 4.1.1 Die selbstwachsende Saat (Mk 4,26-29) a) Analyse des Bildspenders: Realien

Das gewählte Bildfeld stammt aus dem Bereich der Landwirtschaft und umfasst die Elemente Sämann, Aussaat, Wachstum, Frucht und Ernte. Die Landwirtschaft war, neben der Fischerei und dem Handwerk, der Haupter-

273

Weitere Musterexegesen finden sich in Erlemann 1999, 218-259 (zu Mt 13,24-30; Mk 13,33-37; Lk 15,8-10; Lk 16,19-31) und ders. 2014, 57-67 (Lk 15,8-10). Diese Exegesen entsprechen dem jeweils aktuellen Erkenntnisstand und sind daher kritisch zu lesen. Erlemann (2017) bietet Kurzexegesen zu sehr vielen vergleichenden Texten des Neuen Testaments und der Apokryphen sowie zu alttestamentlichen Gleichnissen.

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4 Musterexegesen und Theologie

werbszweig der Gesellschaft Palästinas zur Zeit Jesu.274 Durch die Wahl der erzählten Welt erhalten die Leserinnen und Leser einen leichten Zugang zur Erzählung; der dargestellte Vorgang ist natürlich, leicht nachvollziehbar und in sich unstrittig. b) Abgrenzung, Textlinguistik, Gliederung

Der Text ist das vorletzte Gleichnis im Gleichniskapitel Mk 4.275 Es startet mit einer Einleitungsformel (V.26b: ‚Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn‘; Übergangsebene) und bewegt sich im Weiteren auf der Erzählebene (V.26c-29). Durch den Wechsel der Ebenen ist es eindeutig nach vorne und hinten abgrenzbar (V.26a/V.30a: ‚Und er sprach‘; Ausgangsebene) und als Gleichnis erkennbar. Das Gleichnis bewegt sich in der Basisopposition von Aussaat und Ernte (V. (V.26c/29); das heißt, der Text behandelt die Frage, wie es von Aussaat zu Ernte kommt (Spannungsbogen, Erzählgefälle). Der narrative Schwerpunkt liegt auf der Aufzählung der einzelnen Wachstumsphasen: Fünf Mal werden die Schritte mit ‚und‘ verknüpft (V.27), das ‚Fruchtbringen‘ des Ackerbodens wird abermals in drei Phasen unterteilt (‚zuerst‘- ‚danach‘- ‚danach‘, V.28). V.29 schildert den Erntevorgang. – Die Zeit zwischen Aussaat und Ernte ist mit natürlicher Routine gefüllt (V.27a: ‚und schläft und steht auf, Nacht und Tag‘), während der ausgestreute Same aufgeht und wächst (V.27b). Der Wachstumsprozess vollzieht sich auf unerklärliche Weise (V.27c: ‚er weiß nicht wie‘), ganz von alleine (V.28a: gr. automátē). Das heißt, nicht der Wachstumsprozess an sich ist im Fokus (das wäre lapidar!), sondern die Frage, wie der Prozess verläuft, genauer: Welchen Anteil der Sämann dabei hat. Die Antwort lautet: Er kann nichts zum Wachstum beitragen; er kann es nicht einmal erklären, geschweige denn beeinflussen. Aktiv wird der Sämann erst wieder am Ende, wenn er zur Ernte schreitet (V.29). Der Text gliedert sich in drei kleine Szenen: 1) Exposition und Aussaat (V.26b), 2) Wachstum der Saat (V.27f.), 3) Ernte (V.29). c) Erzählinterne Formulierung der Pointe

Auf Grundlage der textlinguistischen Beobachtungen lässt sich die Pointe so formulieren: Ist die Saat erst einmal ausgesät, wächst sie in einem natürlichen, unbeeinflussbaren Prozess ganz von alleine, bis sie zur Ernte reif ist. 274 275

Herz 2005, 190. Zum Folgenden vgl. Erlemann 2017, 91f.

4.1 Naturgleichnisse

d) Textpragmatik, Grunderfahrung, Gleichnistyp

Mk 4,26-29 ist ein Naturgleichnis, wie Bildfeld, Thematik und Erzähltechnik zeigen. Die Ausgangsfrage des Gleichnisses lässt sich aus der Pointe er‐ schließen: Es sind, bildhaft gesprochen, Zweifel am Wachstumsprozess und der Impuls, forcierend in den Prozess einzugreifen. Das in sich unstrittige Bild macht plausibel, dass Zweifel überflüssig sind und ein Eingreifen un‐ möglich und unsinnig, ja geradezu widernatürlich wäre. Der einmal in Gang gesetzte Prozess schreitet unaufhaltsam voran, er führt irreversibel zum Ziel. Das Wachstum braucht seine Zeit – Gelassenheit und Geduld sind angesagt; am Sämann lässt sich ein Beispiel nehmen! Die vorreligiöse Grunderfahrung des Gleichnisses liegt in der Unbeeinflussbarkeit des Wachstumsprozesses bzw. in der Erfahrung, dass ‚gut Ding Weile‘ haben will. e) Kontextbezug und Ausgangsfrage

Das Gleichnis steht in einer Reihe von Gleichnissen über das Kommen des Reiches Gottes (Mk 4). Das Sämanngleichnis (Mk 4,3-9.14-20) traktiert die Frage, ob sich der Aufwand der Aussaat (die Missionsarbeit) lohnt. Die Antwort lautet: Ja, trotz hoher Verluste entlohnt der Erfolg für die Mühe! Das Gleichnis vom Licht und vom rechten Maß (Mk 4,21-25) stellt es als absurd heraus, ein Licht nicht scheinen zu lassen – am Ende lässt es sich eh nicht verbergen! Und es warnt mit Blick auf das Endgericht davor, andere Menschen zu beurteilen. Das Senfkorngleichnis (Mk 4,30-32) versichert die Adressaten, dass Gottes Reich kommen wird, selbst wenn man derzeit kaum etwas davon sieht. Leitend ist der Kontrast zwischen (kleinem) Anfang und (übergroßem) Ende des Wachstumsprozesses. Dazwischen behandelt das Saatgleichnis V.26-29 die Ausgangsfrage, ob man nicht beschleunigend in den Wachstumsprozess eingreifen könne. Dahinter sind die Skepsis, ob das Reich Gottes überhaupt kommt, und eine Portion Übermotivation in der Missionasarbeit zu vermuten. – Die Gleichnisse ergänzen einander, denn sie geben komplementäre Antworten auf die Frage nach dem Kommen des Reiches Gottes. Gemeinsam ist die Struktur ein kaum sichtbarer Anfang wächst überraschender Weise zu einem übergroßem Ganzen heran.

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4 Musterexegesen und Theologie

f) Klärung der Metaphorik276

Saat und Ernte sind ein verbreitetes Bildfeld. Der Verstehenshorizont der Leserschaft ist von der alttestamentlichen Metaphorik geprägt. Sie umschreibt die Folgen menschlichen Tuns (Ps 126,5; Prov 22,8; Jer 12,13 u. a.). ‚Ernte‘ wird in späteren Schriften eine eschatologische Metapher für das (End-)Gericht Gottes (Hos 6,11; Jo 4,13 u. a.). Der Sprachgebrauch setzt sich in der frühjüdischen Apokalyptik und in frühchristlichen Schriften fort (Mk 4,3-9parr; Mt 13,24-30 u. a.; vgl. Apk 14,15).277 Die Metaphorik der Evangelien weist in Richtung Verkündigung (‚Aussaat‘) bzw. Endgericht (‚Ernte‘, vgl. Mt 9,37f.par.; 13,39; Joh 4,35). ‚Aussäen‘, ‚Fruchtbringen‘ und ‚Ernte‘ stehen, kompositionskritisch be‐ trachtet, im Kontext der Missionsarbeit (Mk 4, 14: „Der Sämann sät das Wort“; V.20: ‚Fruchtbringen‘ als Ziel der Verkündigung). Auch das nach‐ folgende Senfkorngleichnis Mk 4,30-32 traktiert das Thema (V.33f.). – Textintern beschreiben Saat und Ernte Anfang und Ende eines laufenden Prozesses. Die Aussaat ist der Job des Sämanns, das Wachstum ein stiller, na‐ türlich ablaufender Prozess, die Ernte wiederum ist der Job des Sämanns.278 Die innere Logik bestätigt den allgemeinen Sprachgebrauch: ‚Sämann‘ ist derjenige, der das Evangelium verkündigt (Polyvalenz!), ‚Aussaat‘ drückt die Missionsarbeit aus, der ‚Acker‘ ist das Missionsfeld (Polyvalenz!), ‚Same‘ steht für den Inhalt der Botschaft (‚das Wort‘), sein Wachstum für die Ausbreitung des Evangeliums und des Reiches Gottes als letztlich unbe‐ einflussbarer, göttlich gefügter Prozess. Die ‚Frucht‘ weist auf den Erfolg der Verkündigung und ‚Ernte‘ steht für die ‚Erfolgskontrolle‘ durch den Verkündiger bzw. für die endzeitliche Sammlung der Gläubigen und das Endgericht. g) Klärung des theologischen Bezugsrahmens

Die Deutungsebene kreist um die Gottesherrschaft (vgl. Einleitungsformel V.26b), genauer um ihr Wachstum und ihre Ausbereitung: Sie breitet sich

276 277

278

Methodisch wird der Weg der konzentrischen Kreise von außen nach innen und somit von allgemeinem Verstehenshorizont zu aktueller Determination gegangen (→ 3.3.3). Traditionsgeschichte und religionsgeschichtlicher Vergleich wären bei einer vollstän‐ digen Exegese auch auf thematische Aspekte anzuwenden (Reich Gottes und sein Kommen; Gott als allmächtiger Planer der Geschichte; die Frage nach dem Kommen Gottes und seines Gerichts u. a.). Die ‚Sichel‘ gehört zu den dekorativen Elementen des Gleichnisses und wird daher nicht weiter berücksichtigt. Dasselbe gilt für Schlafen/Aufstehen, Tag/Nacht, Halm/Ähre.

4.1 Naturgleichnisse

mit der Verkündigung des Evangeliums aus und kommt, letztlich unbeein‐ flussbar vom Menschen, an ihr Ziel, indem die Verkündigung ‚Frucht‘ bringt. 1. theologischer Aspekt: Der ‚Sämann‘ lässt sich nicht auf Gott beziehen; in der (noch ausstehenden) Erntephase ist Gott implizit derjenige, der die endzeitliche ‚Erfolgskontrolle‘ der Mission durchführt. Daneben ist Gott hinter dem Wachstumsprozess zu denken; damit kommt er als Schöpfer und Erhalter der Welt in den Blick (vgl. Gen 8,22!), der dafür sorgt, dass seine basileía zum Ziel kommt, und zwar dann, wenn es an der Zeit ist (Gott als Planer und Lenker der Geschichte). 2. christologischer Aspekt: Jesus ist der Gleichniserzähler und damit derje‐ nige, der den Menschen Einblick in die geschichtsmächtige Planung Gottes gibt. Ansonsten ist er der Prototyp des Verkündigers, der das Evangelium in die Welt setzt und sich im Weiteren auf Gottes Zusage und Segen verlässt – auch wenn die Alltagswirklichkeit einen Erfolg der göttlichen Herrschaft noch nicht vermuten lässt. 3. pneumatologischer Aspekt: Der Aspekt entfällt. 4. kosmologischer Aspekt: Die Welt ist kein profaner, neutraler Ort, sondern Betätigungsfeld christlicher Verkündiger und Adressatin des Evangeliums. Und sie ist ein Ort, der kaum etwas vom Wachstum der Gottesherrschaft verrät. Die Botschaft des Gleichnisses zielt auf Hoffnung und Vertrauen contra facta visibilia. 5. anthropologischer Aspekt: Der Mensch kann den natürlichen Ablauf von Saat und Ernte nicht beeinflussen, er nimmt nur wahr, dass das Wachstum ‚funktioniert‘. Darin wird er in seiner Abhängigkeit vom göttlichen Schöp‐ fungshandeln erkennbar. Allerdings kann er zum Kommen der Gottesherr‐ schaft beitragen, indem er sich an der ‚Aussaat‘ des Evangeliums und an der ‚Ernte‘ beteiligt.279 6. ekklesiologischer Aspekt: Der Aufbau der Gemeinschaft ist Ziel der ‚Aus‐ saat‘, ihr Wachstum Ergebnis göttlichen Segens. Die christliche Gemein‐ schaft ist am Ende der Zeit Gegenstand göttlicher ‚Erfolgskontrolle‘.

279

Die Metapher der Ernte ist polyvalent; sie kann sich auf die ‚Erfolgskontrolle‘ der Mission durch den Verkündiger oder auf das göttliche Endgericht beziehen.

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4 Musterexegesen und Theologie

7. ethischer Aspekt: Eine explizite Ethik hält das Gleichnis nicht vor; es bestärkt aber die Hoffnung, dass das Reich Gottes kommen wird. Indirekt wird damit das Engagement in der Verkündigungsarbeit motiviert. Für die Zeit zwischen ‚Aussaat‘ und ‚Ernte‘ umschreiben Geduld und Gelassenheit die adäquate Haltung. 8. soteriologischer Aspekt: Der menschliche Anteil am Kommen der basileía Gottes besteht in der Verkündigung des Evangeliums, vielleicht in der ‚Er‐ folgskontrolle‘ am Ende, und darin, geduldig und gelassen an der Hoffnung festzuhalten. 9. eschatologischer Aspekt: Jetzt ist die Zeit zwischen ‚Aussaat‘ und ‚Ernte‘, jetzt ist die Zeit des garantierten Wachstums der Gottesherrschaft. Die Verkündigungsarbeit läuft weiter; das Ende (die ‚Erntezeit‘) ist absehbar geworden, auch wenn nur Gott selbst weiß, wie lange es bis dahin noch dauert. Die Gegenwart ist damit als eschatologische Zeit (Endzeit) qualifi‐ ziert. Sie zeichnet sich durch die Verbreitung des Evangeliums und durch Gottvertrauen (menschliche Seite) sowie durch das stille Wachstum der Gottesherrschaft (göttliche Seite) aus. h) Theologische Formulierung der Pointe

Die theologisch formulierte Pointe lautet: Da die Verbreitung des Evange‐ liums bereits begonnen hat, wächst das Reich Gottes still, aber unaufhaltsam und vom Menschen unbeeinflussbar, nach Gottes Plan immer weiter, bis es zur Vollendung kommt. „Anders gesagt: Mehr als verkündigen kann man nicht!“280 i) Zusammenfassung

Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat ist eines unter mehreren in Mk 4, die das Kommen der Gottesherrschaft beschreiben. Sein Alleinstel‐ lungsmerkmal ist der Hinweis auf den von Menschen unbeeinflussbaren Wachstumsprozess der basileía, der mit natürlicher Sicherheit zum Ziel führen wird. Und es weist darauf hin, dass Geduld und Gottvertrauen contra facta visibilia angezeigt sind. Diese Haltung wird durch das unstrittige Bild eines natürlichen Prozesses gegenüber Frustration in der Verkündigungs‐ arbeit, Zweifeln an Gottes Zusage und / oder gegenüber aktionistischer Ungeduld plausibel gemacht. 280

Erlemann 2017, 92.

4.1 Naturgleichnisse

4.1.2 Die Vögel und die Lilien (Mt 6,25-32par.) a) Analyse des Bildspenders: Realien

Sozialgeschichtlich wichtig ist die vorausgesetzte Praxis der Vorratshaltung, die bereits im Alten Testament (Ex 16: Wachteln und Manna) kritisiert wird. Pracht und Herrlichkeit König Salomos waren sprichwörtlich (1 Kön 10,1-29). Irdische Vorsorge und Sammelmentalität werden den Nichtjuden zugeschrieben (V.32a). b) Abgrenzung, Textlinguistik, Gliederung

Mit dem Einstieg in V.19 (‚ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden‘) ist der Text als eigene thematische Einheit (Besitzverzicht; irdische Absicherung) von den Nachbartexten abgegrenzt. Die relative Länge des Textes (16 Verse) indiziert einen thematischen Schwerpunkt innerhalb der Bergpredigt.281 Innerhalb des Abschnitts findet sich das Doppelgleichnis von den Vögeln und den Lilien (V.25-34). Er beginnt mit einem Neueinsatz der Rede Jesu: ‚Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht…‘ (V.25, Einleitung inklusive gebotsähnlicher Ermahnung und rhetorischer Frage) und wird durch das Doppelgleichnis fortgesetzt (V.26a; V.28, unterbrochen von An‐ wendung in Form rhetorischer Fragen, V.26b.27). In V.29-32 folgt wieder eine Anwendung, die in V.33f. generalisiert wird. Die Basisopposition des Doppelgleichnisses ist mit den Stichwörtern ‚sorgt euch nicht!‘ (V.25) und ‚euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft‘ (V.32) benannt. Das Thema bewegt sich demnach zwischen menschlicher (Vor-) Sorge und göttlicher (Für-)Sorge. Bestätigt wird das durch den semantischen Befund: Das Wort sorgen (gr. merimnấn) taucht dreimal an Schlüsselstellen auf (V.25.28.31). Das Sorgen um irdische Sicher‐ heit steht in Opposition zur Aufforderung, zuerst nach Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit zu trachten‘ (gr. zēteín, V.33). Demnach geht es um eine nachhaltige Korrektur der Prioritäten im Leben. Das Doppelgleichnis bietet keine abgeschlossene narratio mit Erzählge‐ fälle, sondern gleicht einer Gleichniscollage, in welcher mehrere verglei‐ chende Textstücke thematisch miteinander verbunden sind; Erzähl- und Deutungsebene gehen ineinander über; es gibt keine Konterdetermination.

281

Zur Metapher von Motten und Rost (V.19f.), vom Auge als Licht des Leibes (V.22f.) sowie zum Spruch ‚niemand kann zwei Herren dienen‘ (V.24) vgl. Erlemann 2017, 101f.145.

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4 Musterexegesen und Theologie

Erkennbar ist ein paralleler Aufbau: Erstens, Benennung des Themas irdische (Vor-)Sorge (V.25a/V.28a); zweitens, Beispiele für die geforderte Haltung aus der Natur (V.26a: Vögel / V.28b: Lilien); drittens, Hinweis auf die göttliche Fürsorge (V.26b/V.30). Dazwischen sind rhetorische Fragen geschaltet, die auf einen Schluss a minore ad maius hinauslaufen (V.25b: Leben und Leib sind wichtiger als Nahrung und Kleidung; V.26c/V.30: Menschen sind kostbarer als Vögel und Lilien; V.27: niemand kann sein Leben verlängern).282 Ein Hinweis auf Salomo dient als Exemplum dafür, dass selbst die größte irdische Pracht nicht gegen die Pracht einer Feldblume ankommt (V.29). Die Argumenten‐ reihe unterstützt die Forderung, statt auf irdische (Vor-)Sorge auf Gottes (Für-)Sorge zu setzen. Die Anwendung in V.31f. (generalisiert in V.33f.) fasst das Argumentationsziel zusammen: ‚Darum sollt ihr nicht sorgen…‘ (V.31). Die (rhetorische) Abgrenzung von den Nichtjuden bestärkt den eingefor‐ derten Weg und unterstreicht den Sonderstatus der christlichen Gemein‐ schaft als Kinder des fürsorglichen himmlischen Vaters (V.32). Gefordert ist radikales Gottvertrauen, das auf irdische Sicherheiten verzichtet. Das Ziel, das sich anders nicht erreichen lässt, heißt: Reich Gottes und seine Gerechtigkeit (V.33). Dieses Ziel ist zugleich der Weg; der Verzicht auf irdische Sicherheit korrespondiert dem Suchen nach Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit. Demnach hat der Verzicht auf irdische (Vor-)Sorge einen sozialen Aspekt – es geht um die ‚bessere Gerechtigkeit‘ des Matthäusevan‐ geliums (vgl. Mt 5,20). c) Erzählinterne Formulierung der Pointe

Auf Grundlage der textlinguistischen Beobachtungen kann man die Pointe des Doppelgleichnisses nur theologisch formulieren (s. u.). d) Textpragmatik, Grunderfahrung, Gleichnistyp

Das Doppelgleichnis von Vögeln und Lilien ist ein Naturgleichnis, das mit anderen rhetorischen Elementen in Form einer Collage zusammengestellt ist. Die Schöpfung, für die Gott perfekt sorgt, ist der Bildspender, der irdische Vorsorge von Menschen, die ebenfalls Teil der Schöpfung Gottes sind und dessen Fürsorge genießen, als nicht zielführend, ja als widernatürlich,

282

Vgl. Mt 10,29.31par. Lk 12,6f.: Kein Spatz stirbt ohne Zutun Gottes, umso weniger die Verkündiger der frohen Botschaft!

4.1 Naturgleichnisse

erweist. Demgegenüber ist Gottes Fürsorge absolut verlässlich, wie die Herrlichkeit der Natur zeigt. Die vorreligiöse Grunderfahrung, die das Doppelgleichnis trägt, lautet: Materielle Vorsorge ist etwas typisch Menschliches, das sich in der Natur nicht beobachten lässt. Umgekehrt ausgedrückt: Radikales sich-Verlassen auf Gottes Fürsorge anstelle eigener Vorsorge widerspricht offensichtlich der menschlichen ‚Natur‘. e) Kontextbezug und Ausgangsfrage

Mitten in der Bergpredigt spricht Jesus vergleichend über die richtigen Prioritäten im Leben. Der Text setzt eine Reihe von gebotsähnlichen Ermah‐ nungen fort (Mt 6,5: ‚ihr sollt nicht sein wie die Heuchler‘ – Beten; V.16: ‚ihr sollt nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler‘ – Fasten; vgl. Mt 7,1: ‚richtet nicht‘ – Be- und Verurteilung Anderer). Das Doppelgleichnis beschließt die Argumentation ab V.19, wonach es beim Weg zur Seligkeit auf die richtigen Prioritäten ankommt: einen Schatz im Himmel statt auf der Erde suchen (V.19-21), sich nicht von seinen Augen verführen lassen (V.22f.) und auf materielle Vorsorge verzichten (V.25-32). Die Ausgangssituation des Gesamtabschnitts ist das Verhalten der Ge‐ meinde, das sich in Sachen (Vor-)Sorge nicht vom Verhalten anderer Men‐ schen unterscheidet und damit die Konsequenzen der Nachfolge-Entschei‐ dung vermissen lässt. Diese Konsequenzen erscheinen im Text als radikale Umsetzung des Glaubens an den treuen, fürsorglichen Schöpfer und Gott Israels, sprich: als radikale Umsetzung des Ersten Gebots (vgl. Mt 6,24!). Die geforderte Haltung ist konsequentes Gottvertrauen gegen den Augenschein unsicherer Lebensverhältnisse. Materielle (Vor-)Sorge wird als Kleinglaube gebrandmarkt (V.30b). f) Klärung der Metaphorik

Da es sich nicht um eine geschlossene, konterdeterminierte narratio handelt, entfällt dieser Arbeitsschritt. Vögel und Lilien stehen als das, was sie sind, und fungieren im Kontext als Beispiele (exempla), an denen sich Gottes Fürsorge ablesen lässt. ‚Säen‘, ‚ernten‘ und ‚in Scheunen sammeln‘ (V.26), ‚arbeiten‘ und ‚spinnen‘ (V.28) weisen auf typisch menschliche Verhaltens‐ weisen, die hier nicht metaphorisch verstanden sind. Sie zeigen den Kontrast

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4 Musterexegesen und Theologie

zwischen natürlicher Sorglosigkeit und menschlichem Sicherheitsstreben auf.283 g) Klärung des theologischen Bezugsrahmens

Der theologische Bezugsrahmen von Mt 6,25-32 ist das Thema der rich‐ tigen Prioritäten im Leben, die zum Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit führen (V.33). Das entscheidende Gegensatzpaar ist irdische (Vor-)Sorge vs. göttliche (Für-)Sorge. Mithin geht es um eine nachhaltige Kurskorrektur der Glaubenshaltung und der ethischen Praxis als Konsequenz der Nach‐ folge-Entscheidung. 1. theologischer Aspekt: Gott ist der Schöpfer, der sich in idealer und wunder‐ barer Weise um seine Schöpfung und seine Geschöpfe kümmert. Dies sagt er auch den Menschen zu und fordert volles Vertrauen ein.284 – Gottes basileía und ihre umfassende Gerechtigkeit sind zugleich Heilsgut und der Weg dorthin (vgl. den ethischen Aspekt). Sie machen irdische Existenzsicherung überflüssig und den Menschen frei von irdischen Sorgen und Sachzwängen. 2. christologischer Aspekt: Jesus ist der Gleichniserzähler und Übermittler der frohen Botschaft. Er lebt das geforderte Vertrauen auf Gott vor (Mt 8,20; 26,39 u. a.). 3. pneumatologischer Aspekt: Ein solcher fehlt in Mt 6,25-32. 4. kosmologischer Aspekt: Die Natur ist Schöpfung Gottes und lebt von dessen bleibender Fürsorge. Sie bietet reichhaltiges Anschauungsmaterial für ein Leben, das sich voll und ganz auf Gott verlässt. Dieses Leben entfaltet sich mikrokosmisch und makrokosmisch in staunenswerter und zugleich natürlicher Art und Weise. Das natürliche Leben ist ganz auf das Hier und Jetzt fokussiert und lebt darin seiner Bestimmung entsprechend. 5. anthropologischer Aspekt: Der Mensch ist Teil, ja Krone der Schöpfung. Auf ihn richtet sich Gottes Fürsorge in besonderer Weise. Es gehört freilich zur ‚gefallenen Existenz‘ des Menschen dazu, dass er arbeiten, sein Leben organisieren und absichern muss (Gen 3,17-19). Dieser Mensch wird dazu

283 284

Das Bildelement des Ofens (V.30b) ist ein dekoratives Element, das die Kurzlebigkeit der Lilien unterstreicht. Die Kurzlebigkeit wiederum unterstreicht den Kontrast zum Leben der Menschen (Schluss a minore ad maius). Vgl. das Erste Gebot (Ex 20,3) sowie das sch‘ma Jisrael (Dtn 6,4f.).

4.1 Naturgleichnisse

eingeladen, ein Leben in Sorglosigkeit und Ebenbildlichkeit, wie einst im Paradies, zu verbringen. 6. ekklesiologischer Aspekt: Es ist ein Markenzeichen der christlichen Ge‐ meinschaft, dass sie, im Gegensatz zur nicht-christlichen Umwelt, ein Leben ohne irdische (Vor-)Sorge lebt. Sie ist privilegiert, da sie hierdurch frei ist, das anzustreben, was am wichtigsten ist: Gottes Reich und seine Gerechtigkeit (Mt 5,20; 6,33). 7. ethischer Aspekt: Radikale Sorglosigkeit und Gottvertrauen folgen als praktische Umsetzung des Ersten Gebotes aus der Nachfolge-Entscheidung (vgl. Mt 6,24). Wer sich daran ausrichtet, verhält sich der Gottesherrschaft entsprechend, er bzw. sie nimmt sie wahr. Die göttliche Gerechtigkeit wird auch den ‚Letzten‘, denen die Existenzsicherung am schwersten fällt, gerecht (vgl. Mt 20,1-16). Nach Gottes Gerechtigkeit zu streben hat demnach eine eminent soziale Komponente. Wer es tut, macht Gottes basileía in der Welt sichtbar. – Diese Ethik widerspricht dem menschlichen Urbedürfnis nach Sicherheit und dem Bestreben, sich abzusichern – theologisch gesprochen: Sie widerspricht der menschlichen ‚Natur‘ nach dem Sündenfall und mar‐ kiert den Weg zurück in den paradiesischen Urzustand. 8. soteriologischer Aspekt: Gottes Reich und seine Gerechtigkeit stehen synonym für die frohe Botschaft und die christliche Hoffnung. Wer Eingang in Gottes Reich erhalten möchte, wird eingeladen, Gottes rundum-Fürsorge schon jetzt zu genießen und sich aufs Wesentliche zu konzentrieren bzw.: Gottes Heilswillen am eigenen Leben wirken zu lassen und so Gottes Herrschaft ein Stück weit zu verwirklichen. 9. eschatologischer Aspekt: Jetzt ist die Zeit, in der Gottes Einladung zu einem von irdischer (Vor-)Sorge freien Leben ergeht. Mit Jesu Botschaft ist die Tür zum Paradies, zum Zustand vollkommenen Gottvertrauens und absoluter Gerechtigkeit, aufgestoßen. Jetzt ist die Zeit, die Prioritäten im Leben neu zu setzen. Jetzt ist die Zeit, in der christliche Gemeinschaften die angesagte Herrschaft Gottes und seine Gerechtigkeit publik machen können und sollen. Jetzt ist die Zeit, in der die Würfel für oder gegen eine neue Lebensweise, für oder gegen eine von Gottes Gerechtigkeit erfüllte Welt, fallen.

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4 Musterexegesen und Theologie

h) Theologische Formulierung der Pointe

Die Pointe, formuliert im theologischen Bezugsrahmen, lautet: Weil Gott, der schon für Vögel und Lilien so perfekt sorgt, umso mehr auch für seine Kinder sorgt, ist materielle (Vor-)Sorge überflüssig, ja deplatziert. i) Zusammenfassung

Mit dem Doppelgleichnis von den Vögeln und Lilien entfaltet Jesus den Kern seiner frohen Botschaft: die Zusage eines neuen Lebens, das auf Gottvertrauen statt auf menschlicher Existenzsicherung gründet. Wer sich darauf einlässt, wird frei, so zu leben, wie es Gott für seine Ebenbilder vorgesehen hat: als Menschen, die unter Gottes Fürsorge und Führung (basileía) zu einem Leben in (paradiesischer) Fülle und in vollkommener Gerechtigkeit finden. So sehr es wider die menschliche ‚Natur‘ scheint, sich allein auf Gott zu verlassen, so sehr liegt paradoxer Weise gerade darin die Befreiung des Menschen zu seiner eigentlichen Natur, Gottes Ebenbild zu sein (vgl. Mt 5,46!). Die Vögel und die Lilien zeigen plausibel, was das Natürlichste auf der Welt ist: auf Gott vertrauen und wunderbar frei und sorglos leben! 4.1.3 Die Geburtswehen (Mk 13,8par. Mt 24,8) a) Analyse des Bildspenders: Realien

Der Beginn der Wehen markiert ein Schwangerschaftsstadium, das äußerst schmerzvoll ist, das aber ein Ende des Leidens und sogar übergroße Freude absehbar erscheinen lässt. Der sozialgeschichtliche Hintergrund der Ölberg‐ rede ist in den Kriegswirren des Ersten Jüdischen Krieges (66-73 n. Chr.) zu sehen, in dessen Folge der Jerusalemer Tempel durch die römischen Truppen unter Titus zerstört wurde (70 n. Chr.). Diese Entwicklung wurde zum Teil als Strafe Gottes für die Tötung Jesu und als Zeichen seiner Wiederkunft gedeutet (vgl. Mt 22,7; Lk 11,49-51; 13,34f.). Das Markusevangelium dürfte in jener Zeit entstanden sein und reagiert auf die Propaganda falscher Christusse und Propheten, das Ende sei da (V.5f.21f.). Die Naherwartung der Parusie wird im Text nicht negiert, aber modifiziert. b) Abgrenzung, Textlinguistik, Gliederung

Der größere Textzusammenhang von Mk 13,8 steht unter der Basisopposition der Frage nach Zeichen und Zeitpunkt des Endes (V.3f.) und dem Aufruf

4.1 Naturgleichnisse

zur Wachsamkeit wegen des unbekannten Zeitpunkts (V.37). Thema der Ölbergrede sind Zeichen und Zeitpunkt der Parusie. Leitend sind die Op‐ positionen von ‚schon jetzt‘ und ‚jetzt noch nicht, sondern erst wenn…‘ sowie von trügerischen Zeichen vs. verlässlichen Zeichen. Der Schwerpunkt liegt auf der Aufzählung von Ereignissen, die noch eintreten müssen, bevor das Ende kommen kann; das zerdehnt die zeitliche Perspektive. Dieser Tendenz gegenläufig sind Aussagen über die prinzipielle Nähe des Endes und die Verkürzung der Zeit durch Gott (V.20.28-31).285 Die gegenläufigen Tendenzen werden in V.32 durch den Hinweis auf den unbekannten Zeit‐ punkt des Endes aufgehoben. Semantisch prominent ist die Schilderung diverser Katastrophen, die der Endzeit zugerechnet werden. Die einzelnen Elemente sind stark formelhaft und entsprechen apokalyptischer Topik. Die Trennlinie zwischen Topik und realem historischem Erleben ist schwierig zu bestimmen. c) Erzählinterne Formulierung der Pointe

Die Metapher von den Geburtswehen sagt zweierlei: Das Baby ist zwar noch nicht da, aber die Schwangere darf Hoffnung schöpfen. Es gilt, die Zeit der Wehen durchzuhalten, denn die Geburt ist absehbar geworden und wird die Erlösung bringen! d) Textpragmatik, Grunderfahrung, Gleichnistyp

Der Blick auf die natürliche Dauer und den typischen Verlauf einer Schwan‐ gerschaft kann massive Irritationen, was den Endzeitfahrplan Gottes an‐ belangt, aus dem Weg räumen. Die vorreligiöse Grunderfahrung, die die Metapher trägt, heißt: Der Ablauf einer Schwangerschaft lässt sich nicht beeinflussen! Zudem macht der Kontrast zwischen äußerst schmerzhaften Geburtswehen und übergroßer Freude über das Neugeborene plausibel, weshalb ein Maximum an Leiden nicht in die Verzweiflung führen muss, sondern auf baldige Erlösung hoffen lassen kann. So, wie eine Schwangerschaft ihre Zeit braucht, so braucht auch die Erlösung der Gläubigen ihre Zeit; so schmerzhaft wie Geburtswehen ist die letzte Phase vor der Erlösung. Das ist die innere Logik der Metapher. Mt 13,8par. ist eine Naturmetapher, wie Bildspender, Ausgangsfrage und Erzähltechnik zeigen. 285

Vgl. 1 Kor 10,13; 2 Petr 3,8f.; Apk 10,6. Zum Thema Endzeit vgl. Erlemann 1996 und 2014b.

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4 Musterexegesen und Theologie

e) Kontextbezug und Ausgangsfrage

Mk 13,8 steht im ersten Teil der Ölbergrede und ist Teil der Antwort auf die Frage, wann die endzeitlichen Ankündigungen Jesu eintreffen werden (V.3f.). Das Ende, so der Tenor, kommt nicht so schnell, wie von manchen propagiert, sondern dann, wenn es nach dem göttlichen Plan dran ist.286 An‐ gebliche Zeichen des Endes wie Kriege und Naturkatastrophen markieren nicht das eigentliche Ende, sondern lediglich den ‚Anfang der Wehen‘ (gr. archḗ ōdínōn, V.8b). Auf die Ausgangsfrage (V.3f.) ergeht zuerst eine Mahnung vor fake news, als sei Christus bereits wiedergekommen (V.5f.). Die angeblich sicheren Anzeichen (Kriege, Erbeben, Hungersnöte287) werden unter Hinweis auf die in Gottes Geschichtsplan vorgesehene, intensive Leidensphase vor der Erlösung entkräftet.288 Was Falschpropheten als Parusie Christi deuten, deutet V.8b als den Beginn der schlimmsten Phase, der messianischen ‚Geburtswehen‘. Das impliziert, dass noch einige Zumutungen auf die christ‐ liche Gemeinschaft warten: Anklagen und Gerichtsprozesse, Martyrien, Mission unter den Völkern, sozialer Zerfall, das ‚Gräuel der Verwüstung‘289 – kurz: die schlimmste Bedrängnis aller Zeiten kommt erst noch (V.19)! Die positive Kehrseite der Metapher wird im letzten Teil der Ölbergrede ausgeführt: Gott verkürzt die schlimme Zeit und am Ende wird der Men‐ schensohn kommen in Kraft und Herrlichkeit und seine Auserwählten weltweit sammeln (V.26f.). – Die der Schwangerschaftsmetapher analoge, ebenfalls aus der Natur gegriffene Metapher des austreibenden Feigen‐ baums, der den nahen Sommer ankündigt, unterstützt die Argumentation in V.29f. Offen bleibt laut V.32 nur der exakte Zeitpunkt des Endes; das motiviert eine Ethik der Wachsamkeit (V.33-37). Die Ausgangsfrage der Metapher ist mit V.3f. bzw. mit den fake news der Falschpropheten benannt. Mk 13,8 steht innerhalb einer längeren Argumen‐ tation, die eine modifizierte Naherwartung zum Ziel hat. Weder Euphorie noch Resignation, sondern genaues Hinschauen und Wachsamkeit sind das Gebot der Stunde!

286 287 288 289

Das Wörtchen ‚muss‘ (gr. dei) in V.7 weist auf den göttlichen Plan hin. Die Elemente sind nicht 1:1 auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund zu deuten, da sie allgemein gängiger, apokalyptischer Topik entsprechen (Erlemann 2014b, 65). Diese Phase wird im Topos der ‚großen Bedrängnis‘ (gr. megálē thlípsis, V.19) gebündelt. Der Begriff in V.14 greift auf die Umschreibung der Tempelentweihung unter Antiochos IV. Epiphanes im Jahre 167 v. Chr. zurück (vgl. Dan 9,27; 11,31).

4.1 Naturgleichnisse

f) Klärung der Metaphorik

Der weitere Verstehenshorizont der Erstadresaaten ist durch die Metaphorik in frühjüdischer Apokalyptik vorgegeben. Schwangerschaft, Wehen und Geburt haben ihren Ort im Kontext apokalyptischer Leidensparänese, in der Deutung der prekär erscheinenden Gegenwart.290 Vergleichspunkte zwischen Bildspender (Natur, Schwangerschaft) und Bildempfänger (end‐ zeitliche Bedrängnisse) sind die natürliche Dauer einer Schwangerschaft sowie der Kontrast zwischen den Geburtsschmerzen und der Freude danach. Damit eignet sich die Metaphorik in idealer Weise, Ängste, Zweifel und Leidensdruck als vorübergehendes, notwendiges Durchgangsstadium auf dem Weg zur Erlösung zu charakterisieren. – Der Kontext von Mk 13,8 bestätigt dies: Die Situation der verfolgten und bedrängten Gemeinde wird im Rahmen der bekannten apokalyptischen Sprachkonvention gedeutet. g) Klärung des theologischen Bezugsrahmens

Der theologische Bezugsrahmen der Metapher kreist um die Wiederkunft Christi und die damit einhergehende Erlösung. Sie hat folgende Einzelas‐ pekte: 1. theologischer Aspekt: Gott ist implizit der Schöpfergott, der die Fäden der Geschichte in Händen hält. Leidensphasen sind im göttlichen Geschichts‐ plan inbegriffen; sie sind aber zeitlich begrenzt und prinzipiell aushaltbar (vgl. das Motiv der Zeitverkürzung, V.20). Gott kann selbst aus der größten Bedrängnis heraus übergroße Freude entstehen lassen; am Ende wird Gott alles zum Guten wenden! 2. christologischer Aspekt: Jesus kündigt die Endzeitereignisse an und macht Mut, die gegenwärtigen Leiden durchzustehen. Sein Kommen als Menschen‐ sohn wird die Erlösung bringen. Er ist das Vorbild für den Weg durchs Leiden zur Erlösung. 3. pneumatologischer Aspekt: Dieser Aspekt entfällt. 4. kosmologischer Aspekt: Die Welt ist ein von Gottes Planung durchwirktes Gefüge, in dem natürliche und historische Entwicklungen verlässlich und zum Guten hin ablaufen. Sie ist aber auch ein feindlicher Ort, der die Ge‐ 290

Frühjüdische Belegstellen: äthHen 62,4; Josephus Ant 20,169; Bell 2,261. In frühchrist‐ licher Literatur: Joh 16,21; Apk 12,2. Vgl. Jes 26,17f. Hier illustriert die Metapher die Angst des Volkes in Angst und Bedrängnis.

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4 Musterexegesen und Theologie

meinde vor erhebliche Herausforderungen stellt. Die Katastrophen der Zeit sind deutungsbedürftig, undurchschaubar und Gegenstand von Spekulation. Am Ende wird die kosmische Ordnung aus den Fugen geraten – ein sicheres Indiz für die Parusie (V.24f.). 5. anthropologischer Aspekt: Der Mensch ist seit der Vertreibung aus dem Paradies Faktoren ausgesetzt, die Angst machen, Leiden verursachen und lebensbedrohlich sind. Gerade in solchen Situationen ist er für Heilsbot‐ schaften und fake news, die schnelle Erlösung in Aussicht stellen, empfäng‐ lich. – Zugleich ist der Mensch Objekt der göttlichen Fürsorge: Gott stellt ihn zwar hin und wieder unter Leidensdruck, sorgt aber dafür, dass er nicht über Gebühr strapaziert wird (V.20). Am Ende wird der Gläubige für sein Durchhalten belohnt (V.26f.). 6. ekklesiologischer Aspekt: Die christliche Gemeinde erscheint als Gemein‐ schaft auf einem Leidensweg in der Nachfolge Christi, der sie am Ende zur Erlösung führen wird. 7. ethischer Aspekt: Die Metapher erinnert daran, dass es Freude oftmals nur nach vorheriger Leidensbereitschaft gibt. Durchhalten heißt laut Mk 13parr. der Tenor der Endzeitethik. Außerdem ist es geboten, sich von verführerischen Heilsbotschaften zu distanzieren, ‚nüchtern‘ zu bleiben, statt in Euphorie zu verfallen, und letztlich darum, den Gang der Dinge in großem Gottvertrauen zu akzeptieren. 8. soteriologischer Aspekt: Erlösung gibt es nicht zum Nulltarif, sondern setzt mitunter hohe Leidensbereitschaft, Geduld und Durchhaltevermögen voraus. „Wer durchhält bis zum Ende, wird selig werden“ (V.13). Ob damit auf das Martyrium oder auf den Zeitpunkt der Parusie angespielt wird, ist offen. Gott sorgt dafür, dass der Weg durchs Leiden nicht zum Scheitern führt; er warnt die Gläubigen durch die Predigt seines Sohnes und verkürzt gegebenenfalls die Leidenszeit (V.20). 9. eschatologischer Aspekt: Die Gegenwart hat eine apokalyptische Dimen‐ sion, sie ist die Zeit der ‚letzten, großen Bedrängnis‘ und der ‚Geburtswehen‘ einer neuen Zeit. Die Gegenwart ist Zeit der Bewährung und der Verfüh‐ rung, Zeit notwendiger Abgrenzung von Irrlehre und eine Zeit, die man mit Gottvertrauen, einem kühlen Kopf, Geduld und Leidensbereitschaft durchstehen muss. Diese schwierige Phase ist überschaubar kurz und von

4.1 Naturgleichnisse

intensiver Qualität: Hier und jetzt entscheidet sich, wer bei der Wiederkunft Christi zu seinen Auserwählten gehört (V.27). h) Theologische Formulierung der Pointe

Auf die theologische Ebene übertragen, heißt die Pointe: Die Wiederkunft Christi ist absehbar geworden. Es gilt, die Zeit der letzten ‚großen Bedrängnis‘ durchzustehen, denn mit Christus naht die Erlösung! i) Zusammenfassung

Die Naturmetapher von den Geburtswehen (Mk 3,8par.) bringt das Ge‐ schichtsbild des Markusevangeliums und seiner ursprünglichen Leserschaft auf den Punkt: Die Erlösung ist nah, aber sie braucht noch ihre Zeit! Diese Auskunft hält die Mitte zwischen überzogener Euphorie (Nächsterwartung: Christus ist wieder da!) und Resignation (die katastrophale Situation spricht gegen jede Hoffnung!). Der Text stimmt nüchtern auf die ‚große Bedrängnis‘ der Endzeit ein, die paradoxer Weise Vorfreude auf Erlösung in sich trägt; das macht die Metapher vom ‚Anfang der Wehen‘ plausibel. Das textprag‐ matische Lernziel besteht in nüchterner Haltung euphorischer Propaganda gegenüber und in erhöhter Leidensbereitschaft aus der Gewissheit heraus, dass das Leiden in der Nachfolge Christi zur Erlösung führt (V.13!). j) Varianten der Schwangerschaftsmetaphorik

Joh 16,21, ein Vers im Kontext der johanneischen Abschiedsreden, ver‐ wendet dieselbe Metaphorik, allerdings mit anderer Pointierung. Der Kon‐ text bietet Trauerbewältigung: Jesus stimmt die Jüngerinnen und Jünger auf den Abschied ein. Er verheißt die Verwandlung der Trauer in Freude (V.20.22). Die Metapher von den Geburtswehen macht diese überraschende Wende plausibel. Der Blick auf die Natur lehrt, dass nichts unmöglich ist: Selbst aus größter Trauer heraus kann höchste Freude entstehen. Sobald ein Kind geboren ist, sind Angst und Wehenschmerzen vergessen. Die Trauer der Hinterbliebenen erscheint als kurze Episode vor der großen Wiedersehensfreude. Der Weggang Jesu hat, auch wenn es paradox klingt, durchaus positive Seiten (vgl. Joh 12,24; 16,7). – Im Unterschied zu Mk 13,8 fehlt in Joh 16,21 der Aspekt der noch durchzustehenden Wehenschmerzen. Wieder anders pointiert ist 1 Thes 5,3; hier ist das plötzliche Einsetzen der Wehen der Vergleichspunkt: Wie die Wehen eine schwangere Frau überfallen, so wird der ‚Tag des Herrn‘ eintreffen und die Menschen über‐ raschen. Die Überraschung ist enorm, da niemand damit rechnet: ‚Wenn sie

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4 Musterexegesen und Theologie

sagen werden: Es ist Friede, es hat keine Gefahr, dann…‘. Wie in Joh 16,21 macht die Wehenmetapher einen für unmöglich gehaltenen Umschwung plausibel; dieses Mal allerdings vom Guten zum Schlechten. Der Blick auf die Natur zeigt, dass nichts unmöglich ist; daher sollte man sich auf plötzliche Wendungen des Schicksals einstellen. In allen Fällen geht es darum, sich nicht von den facta visibilia täuschen zu lassen. 4.2 Weisheitsgleichnisse Ausgelegt werden das Gleichnis vom Fasten auf der Hochzeit (Mk 2,18-20parr.), vom Olivenbaum (Röm 11,17-24) und vom Testament (Hebr 9,15-17). 4.2.1 Fasten auf der Hochzeit (Mk 2,18-20parr.)

Das Weisheitsgleichnis vom Fasten auf der Hochzeit (Mk 2,18-20parr. Mt 9,14f.; Lk 5,33-35) begründet die Einführung neuer ethischer Regeln durch Jesus. a) Analyse des Bildspenders: Realien

Bildspender ist die antike Hochzeit; zum Metaphernfeld gehören der Bräu‐ tigam (gr. nymphíos, V.19f.) und die ‚Söhne des Brautgemachs‘, sprich: die Freunde des Bräutigams (gr. hyioí tou nymphṓnos, V.19). Fasten (gr. nēsteúein, V.18-20) und leiden (gr. pentheín, Mt 9,15) gehören nicht zu diesem Meta‐ phernfeld, sondern sind der Gegenbegriff zu feiern bzw. essen (gr. esthíein, Lk 5,33) und trinken (gr. pínein, Lk 5,33). Die Braut fehlt, ähnlich wie im Braut‐ jungfern-Gleichnis Mt 25,1-13 (→ 4.3.4). – Die geschilderte Situation betrifft die Vorhochzeit 291, heute würde man sagen: den Junggesellenabschied, den der Bräutigam mit seinen Freunden alleine begeht. Auf dieser Feier zu fasten, wäre absurd. Fasten ist der Zeit zwischen Junggesellenabschied und eigentlicher Hochzeit (vgl. Mt 25,1-13!) vorbehalten. Im jüdischen Festkalender gab es festgelegte Fastenperioden für die Allgemeinheit, vor allem im Kontext bestimmter Feiertage. Daneben gab es auch persönlich motiviertes Fasten.292 Die allgemeine Formulierung in Mk 291 292

Berger 2011, 146. Faßbeck 2005, 233, ausweislich Philo, spec. leg. 1,186, Josephus, Vita 290-293 u. a.

4.2 Weisheitsgleichnisse

2,18parr. (‚die Jünger des Johannes und der Pharisäer‘) spricht dafür, dass das Gleichnis im Kontext eines hohen Feiertags zu verorten ist. b) Abgrenzung, Textlinguistik, Gliederung

Das Stichwort fasten (Mk 2,18) markiert einen neuen Sinnabschnitt. Mit der Antwort auf die Frage, weshalb Jesu Jünger nicht fasten, endet das Gleichnis (V.20). In V.21 wechselt die Metaphorik (Textilgewerbe: Lappen, Tuch, Kleid; Gegensatz von alt und neu). Das Gleichnis ist erzählerisch nicht geschlossen; es besteht aus einer suggestiven Frage (Mk 2,19a) und einer vom Fragesteller selbst gegebenen Antwort (V.19b.20). Damit ist die Gliederung des Gleichnisses vorgenommen. Auslöser der Fastenfrage ist ein Regelverstoß: Die Jünger Jesu fasten nicht, im Gegensatz zu denen der Pharisäer und Johannes des Täufers (V.18).293 Die Antwort Jesu erfolgt in Form vergleichender Rede, verpackt in einer suggestiven Frage (‚wie können die Hochzeitsgäste fasten?‘, V.19a; ‚wie können die Hochzeitsgäste Leid tragen [gr. pentheín, Mt 9,15]?‘; ‚könnt ihr denn die Hochzeitsgäste fasten lassen?‘, Lk 5,34). Die suggestive Frage wird, um alle Missverständnisse auszuschließen, von Jesus selbst beantwortet: Solange der Bräutigam mit seinen Freunden feiert, fasten sie natürlich nicht! Erst nach dem Ende des Junggesellenabschieds, in der Zeit bis zur eigentlichen Hochzeit, ist Fasten angesagt (V.19b.20). Mit den Stichwörtern ‚nicht jetzt fasten‘ (sondern feiern) vs. ‚später fasten‘ ist die Basisopposition des Textes benannt. Es geht demnach um die Frage der (un-)passenden Fastenzeit. Hochzeit und Fastenzeit passen nicht zusammen; dagegen ist die Wartezeit vor der eigentlichen Hochzeit prädestiniert für Fasten.294 Mit der Basisopposition ist das Thema des Gleichnisses benannt: Es geht um die Begründung einer devianten Fastenpraxis der Jesusjünger. Ein Festhalten an der traditionellen Praxis wäre angesichts der Sitation absurd – so das Gleichnis.

293 294

Mt 9,14 nennt die Täuferjünger als Fragesteller; in Lk 5,33 und Mk 2,18 bleiben sie anonym. Fasten ist eine traditionelle Form der inneren Vorbereitung auf hohe Feste, vgl. die Advents- und die Passionszeit als klassische Fastenoperioden im Kirchenjahr.

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4 Musterexegesen und Theologie

c) Erzählinterne Formulierung der Pointe

Auf der Erzählebene lautet die Pointe: Auf einem Junggesellenabschied ist Feiern statt Fasten angesagt. d) Textpragmatik, Grunderfahrung, Gleichnistyp

Die Textpragmatik von Mk 2,18-20parr. spricht für ein Weisheitsgleichnis: Ein bestimmtes Verhalten (Fasten) wird unter Hinweis auf die unpassende Gelegenheit (Junggesellenabschied) als absurd erwiesen. Unterstützt wird das durch die Suggestivfrage und ihre Beantwortung durch den Fragesteller selbst. Der Hinweis auf eine kommende Fastenzeit unterstreicht, dass es nicht um eine grundsätzliche Absage an die Fastentradition, sondern um die Frage des passenden Zeitpunkts geht. Die vorreligiöse Grunderfahrung lautet: Feiern und Fasten passen nicht zusammen; allgemeiner formuliert: Alles hat seine Zeit! (vgl. Koh 3,1-8: V.4). e) Kontextbezug und Ausgangsfrage

Mk 2,18-20 ist ein Glied in einer Kette von Regelverstößen Jesu (Mk 2,1-12: Sündenvergebung; Mk 2,13-17: Tischgemeinschaft mit Sündern und Zöllnern; Mk 2,23-28 und 3,1-6: Durchbrechung des Sabbatgebots). Kern des Konflikts zwischen Jesus und seinen Gegnern ist die Vollmachtsfrage, die vorzugsweise durch heilende Wirkung (Wunder) und Rückführung auf vormoralische basics geklärt wird (Mk 2,18-22: Alt und neu passen nicht zusammen; Mk 2,25f.: Mundraub kann nicht verboten sein; Mk 3,4: Leben retten ist fraglos besser als töten). Die Ausgangsfrage des Gleichnisses ist auf der narrativen Ebene das vermeintliche Fehlverhalten der Jesusjünger. Theologisch geht es um die Deutung der Zeit Jesu und der Zeit danach als ‚Vorhochzeit‘ und Zwischen‐ zeit bis zur eschatologischen ‚Hochzeitsfeier‘ und die daraus resultierende, deviante Gesetzespraxis der Gemeinde. Die Antwort lautet: Die Zeit der irdischen Wirksamkeit Jesu ist eine Zeit ganz eigener (Fest-)Qualität, die ganz eigene Regeln erforderlich macht. f) Klärung der Metaphorik

Die Metaphorik deutet, wie der Kontext zeigt, das irdische Wirken Jesu: Er ist der ‚Bräutigam‘, der mit den Jüngerinnen und Jüngern (‚Freunde des Bräutigams‘) ‚Vorhochzeit‘ feiert. Sein Weggang läutete die Zwischenzeit

4.2 Weisheitsgleichnisse

bis zur endzeitlichen ‚Hochzeit‘ ein.295 – Die weiteren konzentrischen Kreise (→ 3.3.3) bestätigen die messianische Deutung: Mt 22,1-14 und 25,1-13 verwenden die Metaphorik für das endzeitliche Heilsereignis. Joh 3,29; 2 Kor 11,2 und Apk 19,7-9; 21 f. komplettieren den neutestamentlichen Befund. In allen Fällen wird die ‚Hochzeit‘ mit der Parusie verknüpft. – Alttestamentliche Prätexte wie Jes 62,5; Jer 7,34; Hhl u. a. bereiten die Metaphorik durch die Rede von Gott als ‚Bräutigam‘ der ‚Braut‘ Israel vor. Das provokative Potenzial von Mk 2,18-20parr. besteht in der Übertragung der Metaphorik auf Jesus, die damit verbundene Begründung neuer Regeln und die Hereinnahme der ‚Freunde des Bräutigams‘ ins Bildfeld; sie stehen gleichsam in Konkurrenz zur ‚Braut‘ Israel (Mk 2,18-22). All das musste bei den Gegnern den Verdacht der Blasphemie und die Frage der Vollmacht hochkommen lassen. g) Klärung des theologischen Bezugsrahmens

Das Gleichnis deutet die Sendung Jesu als besonderes Heilsereignis und begründet eine neue Gesetzespraxis. Einzelne Aspekte der Gleichnis-Theo‐ logie sind: 1. theologischer Aspekt: Dieser fehlt in Mk 2,18-20. 2. christologischer Aspekt: Jesus ist der endzeitliche ‚Bräutigam‘ Israels. Als solcher steht er an der Stelle Gottes (sprachlich-metaphorische Dei‐ fizierung). Sein irdisches Wirken, die Zeit seiner Abwesenheit bis zur Parusie und sein Auftreten bei der Parusie sind Etappen der endzeitlichen Heilsveranstaltung. Als ‚Bräutigam‘ ist Jesus legitimiert, neue, deviante Regeln einzuführen.296 3. pneumatologischer Aspekt: Dieser Aspekt fehlt. 4. kosmologischer Aspekt: Die Welt kommt lediglich als globaler Bildspende‐ bereich und (indirekt) als feindliche Sphäre (Fragesteller, Gegner Jesu) in den Blick. 5. anthropologischer Aspekt: Der Mensch an sich ist kein Thema des Textes.

295 296

Vgl. die Charakterisierung als Zeit der Askese in Mk 14,25 bzw. der Trauer in Joh 16,16-33. Der Neuheitsvorwurf steht im Raum, wie etwa auch beim Liebesgebot (Erlemann 1999c, 297).

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4 Musterexegesen und Theologie

6. ekklesiologischer Aspekt: Die christliche Gemeinschaft besteht aus den ‚Freunden des Bräutigams‘ Jesus. Sie wartet seit dessen Weggang auf die Parusie und bereitet sich auf dieses Ereignis u.a durch Fasten vor. Sie steht in unausgesprochener Konkurrenz zur Führungselite Israels, die Jesus die Anerkennung verweigert. 7. ethischer Aspekt: Die Freistellung vom Fasten betrifft ausdrücklich nur die Zeit der irdischen Wirksamkeit Jesu. Nachösterlich ist Fasten die Grund‐ haltung der wartenden, trauernden Gemeinde. Legitimiert wird durch das Gleichnis grundsätzlich die Einführung einer neuen, devianten Fasten-ha‐ lachá. 8. soteriologischer Aspekt: Der Weg zum Heil wurde mit der Sendung Jesu eröffnet und führt weiter durch die Zeit seiner Abwesenheit (Zeit der Trauer und des Fastens, vor allem aber Zeit des aktiven Wartens). Wer sich zum Freundeskreis des ‚Bräutigams‘ zählt und auf seine Wiederkunft wartet, wird am Ende mitfeiern – das wird nicht expressis verbis gesagt, aber durch das Bild impliziert. 9. eschatologischer Aspekt: Die Endzeit verläuft in mehreren Phasen. Die erste war die der irdischen Wirksamkeit Jesu, die Zeit des Vorgeschmacks auf die eigentliche Heilsveranstaltung. Die zweite ist die (gegenwärtige) Zwischenzeit, die Zeit der Abwesenheit des erhöhten Christus, die Zeit des aktiven Wartens. Sie endet mit der Parusie Christi und der eigentlichen ‚Hochzeitsfeier‘ (dritte Phase). h) Theologische Formulierung der Pointe

Theologisch formuliert, lautet die Pointe: Wer sich zum ‚Bräutigam‘ Jesus Christus hält, feiert die Zeit der Gemeinschaft mit ihm und bereitet sich durch Enthaltsamkeit auf seine Parusie vor. i) Zusammenfassung

Das Weisheitsgleichnis Mk 2,18-20parr. spiegelt die Situation der früh‐ christlichen Gemeinschaft, die vom zeitgenössischen Judentum weithin als deviant wahrgenommen wird, wider. Das Gleichnis legitimiert eine eigenständige, christliche Gesetzespraxis, indem es die Geschichte als es‐ chatologischen Prozess, der neue Spielregeln fordert, die mit den alten (teilweise) unvereinbar sind, deutet (apologetische Funktion). Damit wird die Geltung traditioneller, jüdischer Gesetzespraxis kritisch hinterfragt; das

4.2 Weisheitsgleichnisse

Alte ist nicht per se weiterhin gültig, sondern gegebenenfalls durch neue Regeln zu ersetzen, die der neuen, eschatologischen Situation entsprechen. Die vorreligiöse Grunderfahrung – alles hat seine Zeit hat, Feiern und Fasten passen nicht zusammen – kennzeichnet die neue Praxis als alternativlos. 4.2.2 Der Olivenbaum (Röm 11,17-24)297 a) Analyse des Bildspenders: Realien

Das Bild aus der Öl- und Olivenproduktion war den Erstadressaten des Römerbriefs geläufig. Oliven und Olivenöl gehörten zu den Grundnah‐ rungsmitteln im mediterranen Bereich.298 Paulus beschreibt den auch in der Rebwirtschaft gängigen Vorgang der Veredelung der Wurzelstöcke. Dabei werden in einen alten Rebstock bzw. Ölbaumstrunk edle Zweige eingepfropft, um eine bessere Fruchtqualität zu erhalten. Paulus verwendet das Bild in paradoxer Umkehrung (‚gegen die Natur‘, gr. katá phýsin, V.24): Wilde Zweige werden auf den edlen Wurzelstrunk aufgepfropft. Die Umkehrung des normalen Vorgangs liegt in der Deutungsebene begründet. b) Abgrenzung, Textlinguistik, Gliederung

Das Gleichnis ist erzählerisch nicht geschlossen. Die Grundmetaphorik wird nach verschiedenen Aspekten hin entfaltet und von Aspekt zu Aspekt direkt auf die Deutungsebene bezogen. Daher liegt auch keine Konterdetermina‐ tion vor; Paulus nimmt vielmehr sukzessive den Transfer zur theologischen Bezugsebene vor. Die Basisopposition ist mit dem Begriffspaar (natürliche) Zweige ausbre‐ chen bzw. wilde Zweige einpfropfen (V.17) vs. natürliche Zweige wieder einpfropfen (V.24) benannt. Strukturierende semantische Gegensatzpaare sind Ölzweig vs. Wurzel, wilde vs. natürliche Zweige, Unglaube vs. Glaube (V.20.23), Arroganz vs. (Ehr-)furcht (V.20), verschonen vs. abhauen (V.21f.) sowie Güte vs. Strenge Gottes (V.22). Der erzählerische Schwerpunkt liegt auf Motiv und Bedingungen des Einpfropfens und seiner möglichen Rückab‐ wicklung. Der Text gliedert sich in drei Teile: a) V.17f., Zielpunkt: Die Wurzel trägt die Zweige, nicht umgekehrt (1. Warnung); b) V.19-21, Zielpunkt: Gott verschont weder die einen noch die anderen (2. Warnung); c) V.22-24, 297 298

Vgl. Erlemann 2017, 141. Herz 2005, 193.

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Zielpunkt: Die natürlichen Zweige können jederzeit wieder eingepfropft werden (Schluss a minore ad maius; 3. Warnung). Aus diesen Beobachtungen ergeben sich als Themen des Gleichnisses der Sinn des widernatürlichen Einpfropfens wilder Ölzweige und das daraus resultierende Verhältnis zwischen edlen und wilden Zweigen. Die Leitfrage heißt: Weshalb werden natürliche Zweige ausgebrochen, um sie am Ende (möglicherweise) wieder einzupfropfen? c) Erzählinterne Formulierung der Pointe

Erzählintern lautet die Pointe des Gleichnisses so: Erfüllen widernatürlich eingepfropfte, wilde Ölzweige ihren Zweck nicht, werden sie wieder abge‐ schnitten. d) Textpragmatik, Grunderfahrung, Gleichnistyp

Betont werden die Widernatürlichkeit und Fragilität des geschilderten Vorgangs sowie die Wertigkeit von Wurzel und Zweigen. Erzählebene und theologische Ebene wechseln sich ab; die Adressaten bekommen das Gleichnis Schritt für Schritt auf ihre Situation hin angewendet. Mit dem Erzählgang entwickelt Paulus eine Argumentationskette, die den Sonder‐ status der eingepfropften ‚wilden Zweige‘ hinsichtlich seiner Ursprünge, Bedingungen, praktischen Konsequenzen und seiner möglichen Aufhebung umkreist. Der Text hat zwar epideiktische und dikanische Elemente, ist insgesamt aber symbuleutisch ausgerichtet: Die Adressaten erfahren, zu welchen Bedingungen sie ihren derzeitigen (eigentlich widernatürlichen) Sonderstatus behalten können und was zu seiner Aufhebung führen würde. Die Antwort lautet: ‚fest sein im Glauben‘ und ‚Ehrfurcht zeigen‘ (V.20). Das Gleichnis ist zu den Weisheitsgleichnissen zu zählen, da es auf einer weisheitlichen, vorreligiösen Grunderfahrung aufbaut: ‚Was unnütz ist, wird entsorgt‘. Wie bei anderen Weisheitsgleichnissen geht es darum, eine bestimmte Verhaltensweise als unheilvoll (negativ), eine andere als alternativlos und vernünftig (positiv) zu kennzeichnen. Es wäre fatal, aus dem (widernatürlich zustande gekommenen) Sonderstatus heraus Arroganz zu entwickeln und denselben Fehler zu machen wie die ‚edlen‘ Zweige zuvor. – Wie bei anderen Texten, die auf derselben Grunderfahrung beruhen (vgl. Salz und Licht, Mt 3,8-12; 5,13-17 u. a.), geht es letztlich um die Existenz‐ berechtigung der Adressaten. Ein Existenzrecht haben nur diejenigen, die ihrem Status und den damit verbundenen Erwartungen gerecht werden.

4.2 Weisheitsgleichnisse

e) Kontextbezug und Ausgangsfrage

Das Gleichnis steht am Ende des Großabschnitts zur Erwählung Israels (Röm 9-11). Paulus behandelt hier die Auswahlkriterien des göttlichen Erwählungshandelns, die Frage der Theodizee, den Erwählungsstatus Israels und das Verhältnis ehemaliger Nichtjuden zu ehemaligen Juden in der Ge‐ meinde. Gegen Ende argumentiert Paulus mittels vergleichender Rede, um ein gedeihliches, von gegenseitigem Respekt getragenes Verhältnis beider Gruppen zu erreichen. Röm 9-11 endet mit der Hoffnung des Apostels auf die endzeitliche Errettung Israels. Der gesamte Argumentationsgang reagiert auf die fatale Fehleinschätzung des angeblich unverlierbaren Sonderstatus‘ als Ausgangssituation. Anders gesagt: Paulus warnt mit dem Gleichnis vom Olivenbaum und seinem Kontext vor einer fatalen antijüdischen Stimmung in der römischen Gemeinde. f) Klärung der Metaphorik

Die Deutung der Metaphorik wird durch den Autor selbst erledigt. Das Gesamtbild steht für das Thema Erwählung. Die ‚edlen Zweige‘, die zum Teil ausgerissen wurden, stehen für den ungläubigen, zeitweise verstockten Teil Israels. Die ‚wilden Zweige‘ repräsentieren die in die Gemeinschaft aufgenommenen Nichtjuden. Der ‚Olivenbaum‘ ist die Wurzel, aus der die Zweige ihren Saft beziehen – Gottes Heilsgeschichte mit Israel. Glaube und ehrfürchtige, bescheidene Haltung garantieren die lebenswichtige An‐ bindung der ‚Zweige‘ an die ‚Wurzel‘. Nicht ausgeführt ist das Bildelement ‚Früchte‘; der Fokus liegt nicht auf der Ethik, sondern auf der Grundlage des Sonderstatus‘ der eingemeindeten Nichtjuden. Im Alten Testament wird der Olivenbaum an mehreren Stellen metapho‐ risch verstanden (Ri 9,8; Ps 52,10; Ps 128,3; Jer 11,16; Sach 4,1-14 u. a.). Die Metapher ist durchgängig positiv konnotiert; sie steht für Wohlergehen, privilegierte Stellung und Segen. Jer 11,16 verbindet dies mit dem Motiv der Erwählung Israels (vgl. den Weinberg in Jes 5,1-7), Sach 4 verwendet die Metaphorik messianisch. Von Jer 11 führt eine direkte Linie zur Verwendung in Röm 11. Das innovative bzw. provokative Potenzial von Röm 11,17-24 besteht im Gedanken, dass die Zugehörigkeit zum erwählten Volk zumindest zeitweise auf Nichtjuden übergeht. g) Klärung des theologischen Bezugsrahmens

Der theologische Bezugsrahmen des Olivenbaum-Gleichnisses kreist um das Thema Erwählung und um den Sonderstatus des ursprünglich nichtjü‐

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dischen Gemeindeteils. Im Einzelnen beinhaltet die Deutungsebene folgende Aspekte: 1. theologischer Aspekt: Gott lenkt in freier Souveränität den Gang der Heilsgeschichte – selbst ‚gegen die Natur‘, das heißt: gegen alle kulturelle Gepflogenheit und Erfahrung. Gott verstockt die Erwählten, erwählt die Ungläubigen und nimmt diese Entscheidungen wieder zurück – alles nach seiner unerforschlichen Weisheit (Röm 11,33). Was gut ist und am Ende zum Heil aller führt, weiß nur Gott allein. 2. christologischer Aspekt: Der Aspekt wird in Röm 11,17-24 nicht themati‐ siert. 3. pneumatologischer Aspekt: Dieser Aspekt entfällt ebenfalls. 4. kosmologischer Aspekt: Auch hierzu lässt sich dem Gleichnis nichts entnehmen. 5. anthropologischer Aspekt: Der Mensch ist Objekt göttlichen Erwählungs‐ handelns und Gott gegenüber für sein Verhalten verantwortlich. En passant wird der Hang des Menschen zur Überheblichkeit kritisiert (V.20). Ausdrück‐ lich ist dieser Aspekt aber kein Thema des Textes. 6. ekklesiologischer Aspekt: Der Text thematisiert die Grundlagen und Be‐ dingungen christlicher Gemeinschaft. Sie verdankt sich Gottes Erwählungs‐ handeln. Ihre Existenzberechtigung steht und fällt mit ihrem Glauben und einem respektvollen, wertschätzenden Miteinander. Speziell auf die Situation der gemischten römischen Gemeinde gemünzt, macht Paulus auf die ‚widernatürliche‘, längst nicht selbstverständliche Position ehemaliger Nichtjuden aufmerksam und warnt eindringlich vor Arroganz Israel und den Judenchristen gegenüber. 7. ethischer Aspekt: Erwähltsein ist ein Privileg, aber auch eine besondere Verpflichtung. Hieraus ergibt sich als Handlungsmaxime, alles daran zu setzen, die Verbindung zum ‚Wurzelstock‘ der Erwählung intakt zu halten. Das gelingt durch Bescheidenheit, Ehrfurcht und Glauben. Das Verhalten der Menschen geschieht unter dem Vorzeichen der Güte und der Strenge Gottes (V.22). 8. soteriologischer Aspekt: Gott eröffnet den Weg zum Heil; sein souveränes Erwählungshandeln kennt weder moralische noch ethnische Grenzen. Gott möchte, dass alle Menschen und Völker zum Heil kommen; daher eröffnet

4.2 Weisheitsgleichnisse

er auch ehemals Nicht-Erwählten den Zugang zu seinen Verheißungen. Der menschliche Anteil am Heil liegt in der wertschätzenden und glaubenden Antwort auf Gottes Angebot. 9. eschatologischer Aspekt: Die gegenwärtige Situation ist von der zeitwei‐ ligen Verstockung Israels und der Hinzunahme von Nichtjuden zu Gottes Volk, der Gemeinde, geprägt. Die Art und Weise des Miteinanders der Gemeindegruppen ist für das Geschick der gesamten Gemeinschaft und des Einzelnen entscheidend. h) Theologische Formulierung der Pointe

Aus dem Gesagten ergibt sich als theologisch formulierte Pointe: Da Gott in seinem Erwählungshandeln frei ist und irdische Verhältnisse auf den Kopf stellen kann, gilt es, sich der göttlichen Erwählung würdig zu erweisen – durch Festhalten am Glauben und einen wertschätzenden, respektvollen Umgang miteinander.299 i) Zusammenfassung

Das Gleichnis vom Olivenbaum klärt die Existenzgrundlage der gemischten römischen Gemeinde: die bleibende Verbindung mit der ‚Wurzel‘, das heißt mit Gott und seinem zuerst an Israel ausgerichteten Heilswillen. Gott bezieht die nichtjüdischen Völker in sein Erwählungshandeln ein; Israel bleibt jedoch sein ‚natürlich‘ erwähltes Volk. An die anderen Völker stellt Gott dieselben Anforderungen wie an Israel: Glaube und gegenseitige Wertschätzung als Grundlage eines gedeihlichen, zum Heil aller führenden Miteinanders. Damit steht und fällt das Privileg, zu Gottes Volk zu gehören. 4.2.3 Das Testament (Hebr 9,15-17)

Keine erzählerisch geschlossene narratio, sondern ein vergleichender Argu‐ mentationsgang liegt in Hebr 9,15-17 vor. Seine Funktion im argumentativen Kontext und seine traditionsgeschichtliche Verankerung stehen im Fokus der Betrachtung.

299

Erlemann 2017, 141, formuliert noch näher an der konkreten Ausgangsfrage: „Die Nichtjuden haben durch den Unglauben der Juden eine einmalige Chance erhalten, die sie aber genauso schnell wieder verlieren können, wenn sie Juden gegenüber arrogant werden.“

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a) Analyse des Bildspenders: Realien

Das antike Erbrecht war in einzelnen Geltungsbereichen (römisches, grie‐ chisches, jüdisches Recht) zwar durchaus unterschiedlich, jedoch ist der Tod des Erblassers die allgemein geteilte Voraussetzung für das Inkraft‐ treten eines Testaments.300 Das Winzergleichnis Mk 12,1-12parr. geht von derselben Voraussetzung aus (Ersitzungsrecht nach dem Tod des letzten Erben).301 Anders liegt beim Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) ein Fall vorweggenommener Erbfolge (Abschichtung) vor. Diese war nach römischem und jüdischem Recht möglich, wurde aber nicht testamentarisch geregelt.302 Ein Testament regelt bis heute den letzten Willen eines Men‐ schen. Die Rechtsgrundlage von Hebr 9,15-17 ist von daher unstrittig. b) Abgrenzung, Textlinguistik, Gliederung

Mit den Stichwörtern ‚Mittler des neuen Bundes‘ (gr. diathḗkēs kainḗs mesítēs) und ‚ewiges Erbe‘ (gr. aiṓnios klēronomía) beginnt in V.15 ein neuer Sinnabschnitt, der durch den Anschluss mit ‚deswegen‘ (gr. diá toúto) als Schlussfolgerung des vorigen Abschnitts gekennzeichnet ist. Es liegt kein erzählerisch geschlossenes Gleichnis vor, sondern eine durch das ausgeführte Bildfeld rund um das Thema Erbrecht (Tod des Erblassers, Testament, Inkrafttreten des Testaments, Erbe, V.16f.) unterstützte Argu‐ mentationskette. Mit V.18 beginnt mit den Stichwörtern Mose, Gebote und Gesetz ein weiterer, abgrenzbarer Sinnabschnitt. Die Basisopposition ist mit den Stichwörtern ‚Mittler des neuen Bundes‘ (gr. diathḗkē) und ‚Inkrafttreten des Testaments‘ (gr. diathḗkē, V.17) be‐ nannt.303 Bindeglied beider Elemente ist der Tod Christi und das dabei vergossene Blut. – Semantische Gegensatzpaare sind: Tod des Einen vs. Erlösung der Berufenen (V.15), Testament zu Lebzeiten des Erblassers vs. Testament nach dessen Tod (V.16f.) sowie ein Testament aufsetzen vs. das Erbe empfangen (V.15/V.17). Thema des vergleichenden Abschnitts ist demnach die conditio sine qua non, damit ein Testament in Kraft gesetzt bzw. das Erbe angetreten werden kann: Der Erblasser muss gestorben sein! Diese gesellschaftliche und juristische Selbstverständlichkeit ist die Argumentationsgrundlage für die theologische Deutung des Todes Jesu. 300 301 302 303

Gröschler 2004, 233 f., für das römische Recht. A.a.O., 237, unter Bezug auf talmudische Quellen. A.a.O., 238. Das griechische Wort diathéke ist doppeldeutig und bezeichnet Testament und Bund. Das Wortspiel ist die Grundlage der vergleichenden Argumentation.

4.2 Weisheitsgleichnisse

c) Erzählinterne Formulierung der Pointe

Die Pointe lautet bildintern: Erst wenn der Erblasser gestorben ist, tritt das Testament in Kraft, und erst dann kann das Erbe angetreten werden. d) Textpragmatik, Grunderfahrung, Gleichnistyp

Anstelle von Leserlenkung mittels perspektivischer Darstellung, rhetori‐ scher Fragen oder anderer narrativer Mittel liegt in Hebr 9,15-17 eine sachlich-stringente Argumentationsführung vor (vgl. die Verknüpfungen ‚darum‘, ‚auf dass‘, ‚denn‘, ‚da‘ und ‚daher‘). Die einzelnen Argumentations‐ schritte werden mittels des Bildfeldes rund um das Erbrecht plausibilisiert. Argumentationsziel ist der Nachweis, dass der Tod Jesu als neuer Bundes‐ schluss zu werten ist (Blut ist geflossen!) und als Voraussetzung für den Empfang des (testamentarisch verfügten) ‚verheißenen ewigen Erbes‘. Die vorreligiöse Grunderfahrung besteht im allgemein gültigen Rechtsgrundsatz, dass erst mit dem Tod des Erblassers das Erbe angetreten werden kann bzw. dass der Tod des Erblassers für die Erben im Allgemeinen von Vorteil ist (sofern der Erblasser nicht verschuldet war). – Diese Art der Argumentation qualifiziert den Text als Weisheitsgleichnis: Was schon immer gegolten hat, gilt auch für die umstrittene Deutung des Todes Jesu! – Hebr 9,15-17 ist Teil einer längeren Argumentationskette, die den Tod Jesu kultisch deutet; die vergleichende Rede macht die vorgetragene Deutung plausibel und spricht dabei, anders als viele erzählerisch geschlossenen Gleichnisse, primär den menschlichen Verstand an. e) Kontextbezug und Ausgangsfrage

Hebr 9 umschreibt die Bedeutung des einmaligen Opfertodes Jesu. Sein Selbstopfer ist gewichtiger als alle bis dato vollzogenen Opfer am Jerusa‐ lemer Tempel. Während Opferblut von Tieren eine zeitlich begrenzte, phy‐ sische Reinigung der Unreinen bewirkt, bewirkt das Blut Christi als das Blut eines Sündlosen eine Reinigung anderer Qualität: Es reinigt die Gewissen der sündigen Menschen, sodass sie dazu fähig werden, dem lebendigen Gott zu dienen (V.11-14). Die nachfolgenden Verse deuten den Tod Christi als neuen Bundesschluss; semantisches Bindeglied ist das vergossene Blut (vgl. V.12-14.18.19-22.25). Die Notwendigkeit des Todes Jesu wird durch die Testamentmetaphorik nachvollziehbar. Ab V.18 vergleicht der Autor den ersten Bundesschluss unter Mose mit dem neuen Bundesschluss unter Christus. Leitend ist dabei das Prinzip der Überbietung des Alten durch das Neue bzw. des Sichtbaren durch das

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Unsichtbare: Der erste Bund hat seinen kultischen Ort am irdischen, der neue Bund am himmlischen Heiligtum.304 Der erste Bund lebt von immer neu zu vollziehenden Opfern, der neue vom einmaligen (gr. eph‘ hápax) Opfer Jesu Christi. Die Opfer am Jerusalemer Tempel haben eine zeitlich begrenzte Reinigungswirkung und Intensität, das einmalige Selbstopfer Jesu Christi hat dauerhafte Tiefenwirkung. Das weist auf die Ausgangsfrage, auf die der Text Antwort gibt, hin: Welchen Sinn hat der Tod Jesu? Weshalb musste Blut fließen? Mit anderen Worten: Der Text versucht, die Diskrepanzerfahrung zwischen theologischer Tradition (jüdische Messiaserwartung) und histori‐ schen Fakten (Tod des Messias Jesus) zu bewältigen. f) Klärung der Metaphorik

Dank der fehlenden Konterdetermination und der sukzessiven Verschrän‐ kung von Bild- und Deutungsebene ist die Bedeutung der Metaphorik klar determiniert: Das ‚Erbe‘ ist die Erfüllung des verheißenen, ewigen Heils, der ‚Erblasser‘ ist polyvalent (Gott bzw. Jesus Christus), das ‚Testament‘ bzw. der ‚neue Bund‘ (beides gr. diathḗkē) ist der Wille Gottes bzw. Christi, welcher die ‚Berufenen‘, das heißt: die Getauften, in den Stand von ‚Erben‘ der ursprünglich an Israel adressierten, göttlichen Verheißungen setzt. g) Klärung des theologischen Bezugsrahmens

Der theologische Bezugsrahmen des Gleichnisses arbeitet die Bedeutung des Todes Jesu Christi für die Themen Verheißung und Erwählung heraus. 1. theologischer Aspekt: Indirekt erscheint Gott als derjenige, der seinem Volk bereits im Alten Testament das ‚ewige Erbe‘ verheißen hat.305 Er ist auch der ‚Erblasser‘, allerdings nur in der Hinsicht, dass es um sein Testament bzw. seinen Bund (beides gr. diathḗkē) geht. Der Vergleich hinkt jedoch: Nicht er musste sterben, damit das Testament in Kraft treten konnte! 2. christologischer Aspekt: Durch Jesu Wirken und Sterben wurde ein neuer Bund zwischen Gott und den Menschen geschlossen, der die Verteilung des ‚ewigen Erbes‘ auf die christliche Gemeinschaft und neue Zugangsbe‐

304 305

Das himmlische Heiligtum ist älter als das Jerusalemer, es diente dem irdischen Heiligtum als Vorlage (Hebr 8,5; Altersbeweis; vgl. Erlemann 1998, 359 f.). Vgl. Ps 2,8: die Völker als Erbe Israels; Ps 28,9; 33,12; 79,1; Jes 47,6: Israel als Erbe Gottes; Ps 119,111: Die Mahnungen Gottes als ewiges Erbe Israels.

4.2 Weisheitsgleichnisse

dingungen zum Inhalt hat (dauerhaft reines Gewissen, sprich: Vergebung, und Dienst an Gott, V.14). 3. pneumatologischer Aspekt: Nicht direkt in V.15-17, aber kurz davor (V.14) wird der ‚ewige Geist Gottes‘ als jene Kraft genannt, die Jesu Selbstopfer ermöglichte. 4. kosmologischer Aspekt: Die Welt ist weder direkt noch indirekt Thema im Text. 5. anthropologischer Aspekt: Der Mensch an sich ist kein Thema; lediglich die ‚Berufenen‘ finden Erwähnung (vgl. den nächsten Aspekt). 6. ekklesiologischer Aspekt: Die christliche Gemeinschaft wird mit dem Prädikat ‚die Berufenen‘ bezeichnet. Ihnen wird das ‚verheißene ewige Erbe‘ in Aussicht gestellt, das ursprünglich nur Israel galt. Die christliche Gemeinschaft bringt den Weg der Glaubenszeugen Israels zur Vollendung (vgl. Hebr 11,39!). Sie ist Bundespartnerin des neuen Bundes und profitiert dadurch vom Tod Jesu. 7. ethischer Aspekt: Dieser Aspekt fehlt in Hebr 9,15-17, ist aber von V.11-14 her einzutragen: Der Erlösungstod Jesu bewirkte eine Reinigung der Gewissen von ‚toten Werken‘, um die Menschen dazu zu befreien, ‚dem lebendigen Gott zu dienen‘ (V.14). Eine Konkretion wird nicht gegeben. 8. soteriologischer Aspekt: Das ‚verheißene ewige Erbe‘ ist durch Jesu Tod zugänglich geworden. Die christliche Gemeinschaft kann es nun in Empfang nehmen. Mit dem Bundesgedanken ist eine ethische Verpflichtung der Gemeinde impliziert, die freilich nicht weiter ausgeführt wird (vgl. Hebr 11,39: Verantwortung gegenüber den Glaubenszeugen Israels; 13,15-19: Lobopfer der anderen Art). 9. eschatologischer Aspekt: Mit Jesu Tod schließt sich der Kreis der Heilsge‐ schichte: Die alten Verheißungen kommen zur Erfüllung; das in Aussicht gestellte ‚Erbe‘ wird nun an Israel und die christliche Gemeinschaft ausge‐ schüttet. Damit ist die Zeit seit dem Tod Jesu als eschatologische Heilszeit qualifiziert.306

306

Im Gegensatz zu Röm 9-11 spielt der Erwählungsstatus Israels im Hebräerbrief keine Rolle.

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h) Theologische Formulierung der Pointe

Unter Berücksichtigung des theologischen Bezugsrahmens lautet die Pointe: Mit seinem Tod am Kreuz wurde Christus der ‚Mittler des neuen Bundes‘; mit seinem Kreuzestod kann nun das verheißene, ewige Heil an die Gläubigen verteilt werden. i) Zusammenfassung

Hebr 9,15-17 ist ein vergleichender Textabschnitt, der dazu beiträgt, die theologische Bedeutung des Todes Jesu herauszuarbeiten. Durch ein unstrit‐ tiges Beispiel aus dem Bereich des Erbrechts wird die Notwendigkeit des Todes Jesu plausibel und nachvollziehbar: Es geht um das Heil, das Gott in der Zeit der Erzväter seinem Volk verheißen hat. Um dieses ‚Testament‘ (gr. diathḗkē) Gottes bzw. seinen neuen Bund (gr. ebenfalls diathḗkē) mit den Seinen in Kraft treten zu lassen, musste Jesus Christus als ‚Erblasser‘ und ‚Mittler des neuen Bundes‘ sterben! j) Ausblick: Pointierung der Metaphorik in Gal 3,15-19

Auch Gal 3,15-19 setzt die Metaphorik argumentativ ein, pointiert sie aller‐ dings anders:307 Im Fokus steht die Unveränderlichkeit eines vom Erblasser bestätigten Testaments (V.15).308 Dies gilt auf der Deutungsebene für die Bundesverheißung Gottes an Abraham und Jesus Christus. Teil des (Alten) Testaments und des alten Bundes ist es, dass die Verheißung in Gnade geschenkt und im Glauben empfangen wird (V.16). Die zeitlich spätere Tora konnte diese testamentarische Verfügung Gottes nicht verändern; der Weg des Gesetzes war eine unzulässige Veränderung (V.19). Die Tora hatte lediglich eine provisorische, pädagogische Funktion, bis die ursprüngliche testamentarische Verfassung von Christus wieder in Geltung gesetzt wurde (V.23-25). – Der veränderten Ausgangsfrage entspricht die veränderte Poin‐ tierung der Metaphorik. Was die argumentative Funktion betrifft, sind beide Texte jedoch vergleichbar.

307 308

Vgl. Erlemann 2017, 143. Dazu ausführlich Berger 2011, 672-675.

4.3 Alltagsgleichnisse

4.3 Alltagsgleichnisse Ausgelegt werden das Gleichnis vom Hausbau (Mt 7,24-27), vom verlorenen Schaf (Mt 18,12-14), vom Schalksknecht (Mt 18,23-35), von den zehn Jung‐ frauen (Mt 25,1-13) und von der bittenden Witwe (Lk 18,1-8).309 4.3.1 Der Hausbau (Mt 7,24-27par.)

Das Gleichnis vom Hausbau (Mt 7,24-27par. Lk 6,47-49) ist der Schlussakkord auf die Bergpredigt bzw. auf die Feldrede und bringt auf den Punkt, worauf es ankommt: Das Gehörte ist praktisch umzusetzen, sonst nützt es nichts. a) Analyse des Bildspenders: Realien

Der Bereich der Architektur spendiert die Metaphorik; Einzelmetaphern sind (für Mt 7,24-27) Haus (gr. oikía, V.24-27), bauen (gr. oikodomeín, Mt 6,24.26), Fels (gr. pétra, V.24f.), gründen (gr. themelioún, V.25), Sand (gr. ámmos, V.26) und einstürzen bzw. Einsturz (gr. píptein, ptṓsis, V.25.27). Ein solides Steinfundament aus Basalt oder Kalkstein ist archäologisch bei vielen Häusern in Palästina zur Zeit Jesu nachweisbar.310 Die dargestellte Alternative – ein Fundament aus Stein bzw. aus Fels oder Sand – ist auch ohne genauere Architekturkenntnisse verständlich. Ein Fundament aus Sand ist nicht wetterfest. b) Abgrenzung, Textlinguistik, Gliederung

Das Gleichnis gibt sich durch die Formulierung ‚jeder nun, der diese Worte hört…‘ (Mt 7,24) als Anwendung der Bergpredigt zu erkennen. Sie ist vergleichender Art, wie der Wechsel der Semantik signalisiert. In V.28 kehrt der Text zur Ausgangsebene zurück (Ende der Rede, Reaktion des Auditoriums). Der Text lebt vom Kontrast zweier Baumodelle – Haus auf Fels vs. Haus auf Sand (V.24bf.26bf.). Den beiden Modellen sind semantische Gegensatz‐ paare zugeordnet: hören und tun vs. hören und nicht tun (V.24a.26a), klug vs. dumm (V.24b.26b), Fels vs. Sand (V.24b.26b), standhalten vs. einstürzen (V.25.27). Die widrigen Umstände, denen das Haus standhalten sollte, sind parallel geschildert (Platzregen, Sturzflut, Windböen, V.25.27). Nicht parallel 309 310

Außerhalb der Evangelien finden sich keine Alltagsgleichnisse (Erlemann 2017, 146). Thiel 2005, 12; Lichtenberger 2005, 202.

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4 Musterexegesen und Theologie

bzw. gegensätzlich ist die jeweilige Schlussnotiz (‚denn es war auf Fels gegründet‘, V.25; ‚und der Einsturz war gewaltig‘, V.27). – Die Gliederung ist einfach: Mt 7,24bf. beschreibt das eine, V.26f. das andere Baumodell.311 c) Erzählinterne Formulierung der Pointe

Die Pointe lautet, erzählintern formuliert: Klug ist, wer sein Haus auf ein festes Fundament gründet; dumm ist, wer es auf Sand setzt. d) Textpragmatik, Grunderfahrung, Gleichnistyp

Das Gleichnis lebt vom Kontrast der Baumodelle. Die erzählte Welt ist bekannt, die aufgezeigte Alternative plausibel. Die Baumodelle und ihre Folgen gehören zum Schatz kollektiver Erfahrung (Weisheit). Das erste Modell erscheint vernünftig und klug, das zweite dumm und angesichts allgemein bekannter Wetterrisiken unheilvoll. Da das Gleichnis narrativ entfaltet ist und nicht mit Suggestivfragen arbeitet, zählt es zu den All‐ tagsgleichnissen. Ein Haus in den Sand zu setzen, ist unheilvoll – so die vorreligiöse Grunderfahrung des Textes. – Die kontrastive Darstellung der Modelle bei gleichzeitig paralleler Darstellung der Risikofaktoren sowie die kontrastiv geschilderten Folgen unterstreichen den Eindruck klugen bzw. dummen Verhaltens – tertium non datur; das kluge Modell ist alternativlos. e) Kontextbezug und Ausgangsfrage

Das Gleichnis zieht die Konsequenz aus der Bergpredigt bzw. Feldrede (Übergangsebene V.24a/V.26a): Aus dem Hören muss das Handeln folgen. Ohne praktische Umsetzung nützt das Gehörte nichts, mehr noch: Ein solches Verhalten wäre geradezu absurd! In der matthäischen Fassung wird das geschilderte Verhalten ausdrücklich bewertet (klug/dumm). Lukas überlässt das Werturteil der Leserschaft. – Die Ausgangssituation, auf die das Gleichnis reagiert, ist die Diskrepanz von Wissen und Handeln. Ein Teil der Angesprochenen lässt praktische Konsequenzen aus der Bergpredigt vermissen. Das Gleichnis stellt diesen Teil als unentschuldbar dumm dar und provoziert eine heilvolle Verhaltensänderung (appellative Funktion; symbuleutische Ausrichtung). Der andere Teil der Leserschaft wird in seiner Haltung bestätigt (affirmative Funktion).

311

Lk 6,47-49 ist straffer erzählt und reduziert die Schilderung auf ein Minimum.

4.3 Alltagsgleichnisse

f) Klärung der Metaphorik

Die Metaphorik rund um den Hausbau macht das der Bergpredigt bzw. Feldrede angemessene Verhalten plausibel. Das ‚Haus‘ steht dabei für den Glauben, der nur Bestand hat, wenn er auf ‚Fels‘ gebaut ist. Die feste Grundlage des Glaubens besteht in der praktischen Umsetzung des Gehörten (V.24a.26a). Der nähere Kontext verwendet hierfür die Fruchtmetaphorik (Mt 7,16-20), die ebenfalls auf die Umsetzung des Willens Gottes bezogen ist (V.21). Wer keine ‚Frucht‘ bringt, das Gehörte nicht umsetzt, verfehlt das Heil (V.21-23). Mt 7,23 interpretiert das geforderte Verhalten: Die Tora ist im Sinne der Bergpredigt bzw. Feldrede zu erfüllen, mit anderen Worten: Es ist die ‚bessere Gerechtigkeit‘ zu üben (Mt 5,20).312 Mit dieser Deutung durchbricht das Gleichnis den Erwartungshorizont der Adressaten; ‚Haus‘ ist im Alten Testament eine geprägte Metapher für das Volk Israel (Ps 98,3; Jes 5,7; Jer 3,18; 31,31 etc.). Auch die metaphorische Umschreibung des Tempels als ‚Haus Gottes‘ oder der davidischen Dynastie als ‚Haus Davids‘ (2 Sam 7,11; 1 Kön 2,24 u. a.) liegt im Erwartungshorizont der Erstadressaten. – An die Stelle Israels tritt in Mt 16,18 die christliche Gemeinschaft als ‚Haus Jesu‘, das auf den ‚Felsen‘ Petrus gebaut wird (vgl. Joh 1,42; Eph 2,20) und deshalb nicht vom Bösen überwunden werden kann. Von hier aus ist der Weg nicht weit zur neutestamentlichen Umschreibung der Gemeinde als ‚Haus‘; die Metapher ist in 1 Kor 3,9-11; Eph 2,19-22; 1 Petr 2,1-8 u. a. zu einem Metaphernfeld ausgebaut. Eine traditionsgeschichtliche Linie zu Mt 7,24-27par. führt von Ps 127,1 her (‚wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen‘). Hier geht es um das Vertrauen auf Gott und seinen Segen, das den Ausschlag über Erfolg und Misserfolg gibt. Auch die prophetische Sozialkritik von Jer 22,13 (‚weh dem, der sein Haus mit Sünden baut und seine Gemächer mit Unrecht‘) geht in die Richtung von Mt 7: Das Gegenteil zur ‚besseren Gerechtigkeit‘ besteht in Heuchelei, Unrecht Tun und darin, keine Konsequenzen aus dem Gehörten Ziehen. Starkregen, Sturzflut und Sturm illustrieren die elementaren Bedro‐ hungen des Hauses. Sie stehen für die Gefahren, die dem Glauben drohen. Diese werden im Sämanngleichnis Mt 13,3-9parr. ebenfalls mit Wetterphä‐

312

Da das Hausbau-Gleichnis kluges und dummes Verhalten kontrastiert, ergibt sich für die Deutung der Metaphorik des Brautjungfern-Gleichnisses Mt 25,1-13 Analoges: Genügend ‚Öl‘ für die brennenden ‚Lampen‘ zu haben, meint das kontinuierliche Tun der ‚besseren Gerechtigkeit‘ (→ 4.3.4).

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4 Musterexegesen und Theologie

nomenen verglichen (versengende Sonne, ‚wetterwendisch sein‘, ‚zu Fall kommen‘). Das positive Pendant heißt ‚Frucht bringen‘ (Mk 4,8). – Vgl. weiterhin das Wunder der Sturmstillung Mt 8,23-27 und vom Seewandel Mt 14,22-33 (ebenfalls starker Sturm). g) Klärung des theologischen Bezugsrahmens

Mt 7,24-27par. Lk 6,47-49 thematisiert den inneren Zusammenhang von Hören und Tun und damit die praktischen Konsequenzen der Bergpredigt bzw. Feldrede. Der theologische Bezugsrahmen stellt sich folgendermaßen dar: 1. theologischer Aspekt: Das Gleichnis selbst bietet kein Gottesbild. Der direkte Kontext spricht von Gottes basileía und vom Willen des himmlischen Vaters (V.21). Das impliziert das Bild von Gott als König und Anwalt der Gerechtigkeit. 2. christologischer Aspekt: Eine explizite Christologie fehlt. Der Kontext zeichnet Jesus als denjenigen, der den Zugang zu Gottes basileía gewährt oder verweigert (V.21-23). – V.28f. thematisiert Jesus als Autor der Bergpre‐ digt und des Hausbaugleichnisses. Im Gegensatz zu den Schriftgelehrten lehrt er in Vollmacht (V.29).313 3. pneumatologischer Aspekt: Dieser Aspekt fehlt. 4. kosmologischer Aspekt: Die Welt kommt als globaler Bildspendebereich und als Sphäre, die den Glauben und damit die Glaubenden bedroht, in den Blick. 5. anthropologischer Aspekt: Der Mensch an sich kommt nicht zur Sprache. Die Evidenz göttlicher Vollmacht löst bei den Menschen Entsetzen aus (V.28). 6. ekklesiologischer Aspekt: Die matthäische Gemeinde erscheint als corpus permixtum aus Klugen und Dummen (vgl. Mt 25,1-13). Der Unterschied beider Gruppen liegt in der Umsetzung der Lehre Jesu. Der Glaube der Gemeindeglieder ist demgemäß von unterschiedlicher Qualität. Nicht alle Getauften werden am Ende das Ziel erreichen (V.27; vgl. V.21-23). – Auch Lk 6,47-49 unterscheidet zwischen beiden Gruppen, ohne sie freilich als ‚Kluge‘ oder ‚Dumme‘ zu bezeichnen.

313

Eine solche Anwendung fehlt in der lukanischen Variante,

4.3 Alltagsgleichnisse

7. ethischer Aspekt: Der Text fordert implizit die Umsetzung des göttlichen Willens und der Lehre Jesu. Matthäus fokussiert die ‚bessere Gerechtigkeit‘ (Mt 5,20), Lukas das Tun der Barmherzigkeit (Lk 6,36). Beides konvergiert im Liebesgebot. 8. soteriologischer Aspekt: Vorab ist die Offenheit für die Lehre Jesu entschei‐ dend – das Hören der Bergpredigt bzw. Feldrede –, danach der Glaube, der sich daraus entwickelt, und die Umsetzung des Gehörten in ethisches Verhalten, sprich: die Fundamentierung des Glaubens. Wer den Willen Gottes erfüllt, wird am Tage X von Jesus erkannt und darf in die basileía einziehen (Mt 7,21; vgl. Lk 6,46). 9. eschatologischer Aspekt: Die Gegenwart ist die Zeit zwischen dem Hören und dem Einzug in das Reich Gottes, die Zeit des ethischen Handelns und der massiven Gefährdung des Glaubens durch widrige Einflüsse. Die Gegenwart ist damit eschatologisch qualifizierte Zeit. – Impliziert ist im Gleichnis auch der Gerichtsgedanke: Wer das Gehörte nicht praktisch umsetzt und den Willen Gottes erfüllt, wird fallen und nicht ins Himmelreich eingehen (V.27; vgl. V.19.21-23). h) Theologische Formulierung der Pointe

Auf der Deutungsebene lässt sich die Pointe so formulieren: Ins Himmelreich zieht nur derjenige ein, der seinem Glauben ethisch angemessene Taten folgen lässt. Wer beim Hören stehen bleibt, dessen Glaube ist zum Scheitern verurteilt. i) Zusammenfassung

Das Hausbaugleichnis Mt 7,24-27par. Lk 6,47-49 zieht die entscheidende Konsequenz aus der Bergpredigt bzw. Feldrede: Ohne praktische Umsetzung nützt das Gehörte nichts! Der Hinweis auf die beiden ‚Baumodelle‘ macht den Konnex zwischen Hören und Tun plausibel; folgenloses Hören erscheint absurd, das geforderte ethische Handeln hingegen alternativlos. Mit Blick auf die Gemeinde heißt das: Getauft sind viele, jedoch nützen die Sympathie für Jesu Lehre allein und ein rein kognitiver Glaube am Ende nichts. Nur diejenigen, die ihr Leben tatsächlich an der Lehre Jesu ausrichten, das heißt: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Liebe praktizieren, werden an der endzeitlichen Heilsveranstaltung teilnehmen.

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4 Musterexegesen und Theologie

4.3.2 Das verlorene Schaf (Mt 18,12-14par.)314 a) Analyse des Bildspenders: Realien

Vor dem sozialgeschichtlichen Hintergrund ist das Verhalten des Hirten nachvollziehbar: Hirten waren entweder Besitzer oder Pächter der Schaf‐ herde. In beiden Fällen gehörten sie zur armen Bevölkerungsschicht, die auf jedes einzelne Schaf angewiesen war bzw. über jedes einzelne Schaf Rechenschaft ablegen musste.315 Das Verhalten des Hirten ist demzufolge nicht sentimental misszuverstehen, sondern eine nüchterne, pragmatische Überlebensstrategie. b) Abgrenzung, Textlinguistik, Gliederung

Die Erzählebene (V.12b-13) bietet im ersten Teil eine rhetorische Frage (V.12b). Teil 2 schildert die Freude des Hirten über das wiedergefundene Schaf. Beide Teile sind teilweise parallel strukturiert (Konditionalsatz V.12b/ V.13a), sodass ein zweigliedriger Aufbau entsteht (Szene 1: Verlust des Schafes und Suche nach ihm; Szene 2: Wiederfinden und Freude darüber). Basisopposition, Gegensatzpaare und erzählerische Schwerpunkte führen zum Thema hin: Zu Beginn hat der Hirte hundert Schafe, am Ende auch wieder. Dazwischen liegt der Verlust eines der Schafe. Semantisch sind die Gegensatzpaare von ‚sich verirren‘ vs. ‚wiederfinden‘ sowie ‚verlassen‘ vs. ‚suchen‘ tragend. Besonderes Gewicht liegt auf dem Kontrast zwischen den 99 Schafen, die nicht verloren gehen, und dem einen Schaf, welches sich verirrt hat und gesucht werden muss. Kontrastiert werden auch die Freude über die nicht-verlorenen Schafe und die übergroße Freude über das eine wiedergefundene Schaf. Thema des Gleichnisses ist demnach die Frage, ob sich die Suche nach einem einzigen Schaf und das Risiko, die anderen 99 zeitweise ohne Aufsicht zu lassen, lohnen. Die Antwort ist eindeutig: Ja, denn die Suchaktion ist für den Hirten (sozialgeschichtlich betrachtet) alternativlos, und: Ja, denn die Freude über das wiedergefundene Tier ist dementsprechend riesig.

314 315

Vgl. Erlemann 2017, 105 (dort irrtümlich zu den Weisheitsgleichnissen gerechnet) (→ S 5.3). Herz 2005, 198; Herrmann-Otto 2005, 89; Scharrer/Zangenberg 2005, 108.

4.3 Alltagsgleichnisse

c) Erzählinterne Formulierung der Pointe

Als erzählintern formulierte Pointe ergibt sich: Da jedes einzelne Schaf uner‐ setzlich ist, ist die Freude des Hirten, wenn er ein verlorenes Schaf wiederfindet, überschwänglich. Der Erzählzug, dass der Hirte die restliche Herde zeitweilig alleine lässt, unterstreicht, wie unersetzbar das eine Schaf für den Hirten ist; das kann, muss aber nicht in die Pointe integriert werden. d) Textpragmatik, Grunderfahrung und Gleichnistyp

Das Gleichnis schildert einen fiktiven Fall (V.12b: ‚Wenn ein Mensch hundert Schafe hätte…‘), zu dem sich die Adressaten eine Meinung bilden sollen (V.12a: ‚Was meint ihr?‘; paradigmatischer Rechtsentscheid).316 Situation und Verhalten des Hirten sind realitätsnah dargestellt (vgl. Realien). Die rheto‐ rische Frage in V.12b (‚lässt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen …?‘) unterstreicht diese Selbstverständlichkeit. Die emphatische Formulierung ‚Amen, ich sage euch‘ (V.13b) stößt die Adressaten auf die erwartbare Reak‐ tion des Hirten. Die Suggestivität der Erzähltechnik lässt ihnen keine andere Möglichkeit, als dem Erzähler recht zu geben. Die Antwort wird freilich gar nicht abgewartet. Die vorreligiöse Grunderfahrung des Gleichnisses liegt in der übergroßen Freude über etwas Wertvolles, das verloren schien und doch wiedergefunden wird. Sie macht das Verhalten des Hirten im Gleichnis plausibel und motiviert die von christlichen ‚Hirten‘ geforderte Haltung gegenüber den ihnen Anvertrauten. – Die Erzähltechnik (paradigmatischer Rechtsentscheid!) qualifiziert den Text als Alltagsgleichnis. Das Verhalten des Hirten erscheint zielführend und heilvoll; wer sich als Hirte anders verhält, beschwört Unheil über sich und die ihm anvertrauten Schafe herauf. e) Kontextbezug und Ausgangsfrage

Das Gleichnis steht im Kontext der Gemeinderede Mt 18. Nach Ausfüh‐ rungen über den rechten Umgang mit den ‚Kleinen‘ in der Gemeinde wechselt in V.12a die semantische Ebene.317 Der Wechsel von Ausgangsebene (bis V.11) zu Übergangsebene/Einleitung (V.12a), Erzählebene (V.12b.13) und zurück (V.14, inklusive Anwendung ‚so…‘) kennzeichnet den Text als Gleichnis. Es provoziert die Meinungsbildung der Adressaten (V.12a); aller‐ 316 317

Die Frage ist im Unterschied zu Lk 15,4 nicht konfrontativ formuliert. In Lk 15,3-7 liegt kein paradigmatischer Rechtsentscheid vor, sondern ein (konfrontativ arbeitendes) Weisheitsgleichnis. V.6-10: ‚Kleine‘, ‚Engel im Himmel‘; V.12f.: ‚Hirte‘, ‚Schafe‘; V.14: ‚Kleine‘, ‚Wille des Vaters‘.

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4 Musterexegesen und Theologie

dings gibt der Gleichniserzähler am Ende selbst die Deutung vor (V.14). – Die Selbstverständlichkeit, mit welcher der Hirte 99 Schafe alleine lässt, um ein für ihn unersetzbares Schaf zu retten, und die Betonung der übergroßen Freude am Ende lassen als Ausgangsfrage vermuten, weshalb sich ein solcher Aufwand, ein solches Risiko lohnen solle. Die Einstellung: ‚Ein bisschen Schwund ist immer‘ oder ‚auf einen mehr oder weniger kommt es nicht an‘ könnte bei der Formulierung Pate gestanden haben. Das Gleichnis macht plausibel, dass sich die Suche nach jedem einzelnen Schaf unbedingt lohnt. f) Klärung der Metaphorik

Die Vorgehensweise orientiert sich am Modell der konzentrischen Kreise (→ 3.3.3) und geht von außen nach innen, das heißt vom allgemeinen Verstehenshorizont hin zur konkreten Bedeutung der Metaphorik in Mt 18,12-14. Die Hirtenmetaphorik ist in der Bibel weit verbreitet, aber mit unter‐ schiedlichen Pointierungen. Die Hirtenrede Ez 34 ist eine Kritik des ‚guten Hirten‘ (Gott) an den schlechten ‚Hirten‘ Israels318: Sie ‚weiden sich selbst‘ und gefährden damit die ‚Herde‘ (V.1-6). Daher verlieren sie ihren Auftrag (V.7-10.17-22), Gott selber übernimmt die Regie (V.11-16). Ps 23 führt das Ide‐ albild des ‚guten Hirten‘ vor Augen.319 Der Psalm ist ein Glaubensbekenntnis, das dazu ermutigt, Gott auch in dunklen Zeiten zu vertrauen. Ez 34,23-31 kündigt einen kommenden ‚guten Hirten‘ aus dem Haus Davids an – die traditionsgeschichtliche Grundlage für die christologische Verwendung der Metaphorik, etwa in Joh 10. Joh 21,15-17; Eph 4,11 und 1 Petr 5,1f. belegen Gemeindeleiter mit der Hirtenmetapher. Mt 9,36 nennt das Volk ‚geängstet und zerstreut wie Schafe, die keinen Hirten haben.‘ Hier wie in Mk 6,34 geht es um die legitime Führung Israels; sie wird Jesus bzw. seinen Jüngern zugesprochen (Mt 9,37-10,10; 25,32; vgl. Mk 6,37). Eine exklusiv christologische Deutung findet sich in Joh 10 und Hebr 13,20. Die Bedeutung der Hirtenmetaphorik in Mt 18,12-14 ist durch den Text selbst und seinen unmittelbaren Kontext determiniert: Der Hirte hat Verant‐ wortung für seine Schafe. Diese können auch einmal verloren gehen. Für den Hirten ist jedes einzelne Schaf unersetzlich, deshalb geht er jedem einzelnen Tier nach. Der hohe Wert der Schafe kommt in der überbordenden Freude 318 319

Vgl. Sach 10,3a; Sach 11,17 sowie die ‚Hirtenrede‘ Joh 10,1-18 (→ 4.4.1). Vgl. Ps 28,9; 78,52; 80,2; Jes 40,9-11; Jes 43,5-11.

4.3 Alltagsgleichnisse

über das Wiedergefundene zum Ausdruck. – Im Kontext der Gemeinderede geht es um den rechten Umgang mit den ‚Kleinen‘ in der Gemeinde. Das Verhältnis der Jünger zu den ‚Kleinen‘ ist analog zum Hirten und seinen Schafen. Daraus ergibt sich, im ‚Hirten‘ diejenigen zu sehen, die für andere Menschen Verantwortung tragen. Im Fokus stehen Gemeindeleiter, aber auch Jesus selbst, der vorbildlich mit den Verlorenen umgeht (vgl. Mt 10,6; 15,24; 18,11.14; Lk 19,10). Wer für eine Gemeinschaft Verantwortung trägt, für den sollte es selbstverständlich sein, jedem einzelnen Gemeindeglied hinterher zu laufen, um es der ‚Herde‘ (und Gott als dem ‚Besitzer‘) zu erhalten. Jeder einzelne Mensch ist wertvoll, keiner soll verloren gehen – das ist der ausdrückliche Wille Gottes (vgl. die Anwendung des Gleichnisses in V.14).320 g) Klärung des theologischen Bezugsrahmens

Der theologische Bezugsrahmen hat mit Gottes Heilswillen gegenüber den ‚Kleinen‘ der Gesellschaft und mit gegenseitiger Verantwortung der Menschen zu tun. 1. theologischer Aspekt: Gott kommt in der Anwendung als ‚euer Vater im Himmel‘ ins Gespräch. Die metaphorische Umschreibung ‚euer Vater‘ weist auf das enge Fürsorge-Verhältnis Gottes zu den Adressaten hin. Es ist der explizite Wille des Vater-Gottes, dass die ‚Familie‘ komplett bleibt; niemand soll verloren gehen! Vollständigkeit der ‚Familie‘ und Leben für alle, auch für die ‚Kleinen‘, stehen auf Gottes Werteskala ganz oben. – Der ‚Hirte‘ ist polyvalent und weist, wie die Anwendung zeigt, auch auf Gott hin: Er ist der ‚gute Oberhirte‘, dem das Wohl aller seiner ‚Schafe‘ am Herzen liegt. Auch diese Metapher bringt die globale Fürsorge Gottes zum Ausdruck. Außerdem sind ihm alle anderen ‚Hirten‘ Rechenschaft schuldig. Vater- und Hirtenmetaphorik ergänzen einander. 2. christologischer Aspekt: Jesus ist nicht nur der Gleichniserzähler, der den Menschen den Willen Gottes nahe bringt, sondern steht mit seinem eigenen Handeln für das, was er sagt, ein. Er kümmert sich um die ‚verlorenen Schafe‘ Israels (Mt 15,24; Lk 19,10) und erweist sich darin als das Vorbild aller christlichen ‚Hirten‘.

320

Die lk. Variante Lk 15,3-7 spricht von der ‚Freude im Himmel‘ über jedes wiedergefun‐ dene Schaf.

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4 Musterexegesen und Theologie

3. pneumatologischer Aspekt: Der Aspekt entfällt. 4. kosmologischer Aspekt: Die Welt spendiert das Anschauungsmaterial und erscheint als Ort der globalen Zuwendung Gottes, wo niemand verloren gehen soll. 5. anthropologischer Aspekt: Jeder Mensch ist für Gott wertvoll, ‚Kleine‘ und ‚Große‘ gleichermaßen, und keiner soll verloren gehen! So wird der Mensch bei Gott auch nicht Opfer von Risiko-Abwägungen oder ökonomischem Kalkül. 6. ekklesiologischer Aspekt: Die Gemeinde ist die ‚Herde‘ Christi bzw. Gottes; ihre Integrität ist ein wertvolles Gut: Eine vollständige Gemeinde, in der sich ‚Große‘ und ‚Kleine‘ zusammengehörig fühlen, entspricht dem Willen Gottes. 7. ethischer Aspekt: Die ‚Großen‘ tragen die Verantwortung für die ‚Kleinen‘ und für den Bestand der Gemeinschaft überhaupt. Das erfordert die Suche nach ‚verlorenen‘ Gliedern, seien sie noch so klein oder in den Augen der Anderen unbedeutend. Angesichts dieses Anspruchs erscheint es ver‐ antwortbar, ja notwendig, die anderen Gemeindeglieder zeitweilig auf sich selbst gestellt sein zu lassen. 8. soteriologischer Aspekt: Der Weg zum Heil geht von Gott bzw. von allen aus, die für die Gemeinschaft Verantwortung tragen: Sie suchen die ‚Verlorenen‘, mitunter mit hohem Aufwand und Risiko. Der menschliche Anteil, die Bewegung hin zu Gott, kommt im Text nicht zum Tragen (anders etwa in Mt 6,33: ‚trachtet zuerst nach dem Reich Gottes…‘; Lk 15,11-32: Der verlorene Sohn muss erst in sich gehen und nach Hause zurückkehren, damit ihm der Vater helfen kann). 9. eschatologischer Aspekt: Jetzt ist die Zeit der Suche und des Gesucht‐ werdens! Jetzt ist die Zeit, in der die Gemeinschaft zusammengehalten werden muss! Die überschwängliche Freude über die Wiedergefundenen hat ebenfalls eschatologischen Charakter. Nur andeutungsweise zeichnet sich das Szenario der Rechenschaft über das ‚Hirtenamt‘ an (V.10, Rede von den Wächterengeln der ‚Kleinen‘ vor Gottes Thron). h) Theologische Formulierung der Pointe

Die Pointe lässt sich theologisch so formulieren: Da es Gottes höchster Wille ist, dass niemand verloren gehe, sind alle ‚Verlorenen‘ und ‚Verirrten‘

4.3 Alltagsgleichnisse

zu suchen. Im weiteren Verlauf wird dies im Sinne schier unendlicher Vergebungsbereitschaft konkretisiert (Mt 18,15-35; → 4.3.3).321 i) Zusammenfassung

Das Gleichnis vom verlorenen Schaf schreibt den Leitern der christlichen Gemeinschaft ihre besondere Verantwortung gerade für die ‚Kleinen‘ und ‚Verlorenen‘ ins Stammbuch. Die Mentalität einer Kosten-Nutzen-Rechnung und des Kalküls, ob sich der Aufwand lohnt, einzelne Menschen zu suchen, konterkariert Gottes globalen Heilswillen. Der Hinweis auf die himmlischen Wächterengel sowie die vorreligiöse Erfahrung, dass das Auffinden von etwas verloren Geglaubtem überbordende Freude auslöst, motiviert eine heilvolle Verhaltenskorrektur. 4.3.3 Der Schalksknecht (Mt 18,23-35)

Das Gleichnis vom Schalksknecht bzw. vom unbarmherzigen Knecht bildet den Abschluss der Gemeinderede Mt 18. Es macht plausibel, dass Wohl und Wehe im Endgericht von Vergebungsbereitschaft und Barmherzigkeit abhängig sind. a) Analyse des Bildspenders: Realien

Das Gleichnis schildert einen alltäglichen Vorgang von Schuldeneintreibung und Schuldentilgung.322 Verhandelt wird ein stattliches Darlehen (V.27, gr. dáneion)323, das der König von seinem Bediensteten (gr. doúlos) am Fälligkeitstag einfordert (gr. lógon synấrai, V.23). Das Gleichnis gründet auf römisch-hellenistischen Sozialverhältnissen (gr. ánthrōpos basileús, tálanta) und nichtjüdischer Rechtsprechung; der Verkauf eines Juden samt seiner Familie in Schuldknechtschaft an einen Nichtjuden (der ‚König‘) ist mit antik-jüdischem Recht nicht zu vereinbaren.324 – Die Höhe der Schuld wird 321

322 323 324

Die Variante Lk 15,3-7 rechtfertigt die Zuwendung Jesu zu den ‚Verlorenen‘ (vgl. Lk 19,10). – Eine weitere Variante bietet EvThom 107: „Jesus sprach: Das Reich ist gleich einem Hirten, der hundert Schafe hat. Eins von ihnen verlief sich, das größte. Er ließ die neunundneunzig; er suchte nach diesem einen, bis er es fand. Als er sich abgemüht hatte, sagte er zu dem Schaf: Ich liebe dich mehr als die neunundneunzig“ (Haenchen 1976, 529). – Die Nuancierung liegt in der Bezeichnung des verirrten Schafes als des ‚größten‘. Die Fürsorge Gottes für die ‚Kleinen‘ ist hier nicht betont. Hengstl 2004, 121. Gröschler 2004, 234. Kellermann 2004, 260.

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4 Musterexegesen und Theologie

mit zehntausend Talenten (gr. myría tálanta, V.24) angegeben – eine astro‐ nomisch hohe Summe, die einen sehr hohen Sozialstatus des Schuldners voraussetzt.325 Der überschuldete Mann steht mitsamt seiner Familie vor der Schuldversklavung und bittet um Stundung (V.26). Überschuldung war in Palästina (und darüber hinaus) im 1. Jh. n. Chr. ein alltägliches Phänomen.326 – Die Schilderung ist realitätsnah; nur die unerwartete, zumindest höchst erstaunliche Großzügigkeit des basileús durchbricht die Realistik (Extrava‐ ganz). b) Abgrenzung, Textlinguistik, Gliederung

Die Formulierung ‚darum gleicht das Himmelreich…‘ (V.23a) markiert die Übergangsebene und Einleitung des Gleichnisses. Das Leitwort für den vorausliegenden Kontext, ‚Vergebung‘ (V.21f.), fehlt im Gleichnis. Es wird erst in der Anwendung V.35 wieder aufgegriffen (Konterdetermination). – Die Erzählebene ist in drei Szenen gegliedert: Erstens, Einforderung des Darlehens mit Entschuldung (erster Bediensteter, König; V.23b-27); zwei‐ tens, Schuldeneintreibung beim zweiten Bediensteten (erster und zweiter Bediensteter, V.28-30); drittens, Rücknahme der Schuldenamnestie (erster Bediensteter, König, V.31-34). Die Erzählung steht unter der Basisopposition von Schuldenerlass und dessen Revision und wird von folgenden semantischen Gegensatzpaaren strukturiert: zahlen müssen vs. Schulden erlassen (V.25.34/V.27.32), über‐ große Schuldensumme vs. geringe Schuld (V.24/V.28: hundert Denare), Er‐ barmen vs. Erbarmungslosigkeit und Zorn (V.27.33/V.30.34) sowie freilassen vs. ins Gefängnis werfen (V.27/V.30.34). Der erzählerische Schwerpunkt liegt auf dem Kontrast zwischen Schuldenerlass und Unbarmherzigkeit (‚parallele Disparallelität‘ zwischen Szene 1 und 2327) bzw. zwischen Erbarmen des Königs und Zurücknahme des Schuldenschnitts (Szene 1 → Szene 3). – Thema des Gleichnisses ist somit die Frage, wie es zur Rückabwicklung der anfänglichen Schuldenamnestie kommen konnte. Die Antwort liegt im kontrastiven Verhalten der Hauptakteure begründet. 325

326 327

Erlemann 1988, 77. – 1 attisches Talent entsprach 6000 Denaren; 1 Denar wird in Mt 20,1-16 als Tageslohn festgesetzt; hieraus ergibt sich für 10.000 Talente die Summe von 60 Millionen Denaren (https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon /lexikon/sachwort/anzeigen/details/drachme/ch/2c2caff0d6e20e40026c31 471ada52da/, letzter Aufruf 10.2.2020) Herz 2005, 191. Berger 1977, 18.

4.3 Alltagsgleichnisse

c) Erzählinterne Formulierung der Pointe

Als erzählinterne Pointenformulierung ergibt sich: Da der Bedienstete die Schuldenbefreiung durch seine Unbarmherzigkeit dem Kollegen gegenüber konterkariert, trifft ihn der Zorn des Königs und er muss am Ende doch seine gesamte Schuld bezahlen. Die kausale Formulierung orientiert sich an der textintern dikanischen Ausrichtung der Erzählebene.328 d) Textpragmatik, Grunderfahrung, Gleichnistyp

Das Gleichnis vom Schalksknecht ist ein Musterbeispiel für Leserlenkung. Die vorreligiöse Erfahrung, die das Gleichnis trägt, ist das Wissen um die befreiende Wirkung von Schuldenerlass und Vergebung (sowie umgekehrt). Vorreligiös ist auch die Grunderfahrung, dass ein Verhalten, das die eigene Großzügigkeit konterkariert, Zorn heraufbeschwört. Hauptlernziel ist es, die Widersinnigkeit unbarmherzigen Verhaltens nachzuvollziehen. Wer das versteht, für den ist die Rücknahme des Schul‐ denschnitts plausibel. Der Text setzt hierfür eine ausgefeilte textpragmati‐ sche Technik ein: Erstens, die Eingangssituation ist bedrückend realitätsnah; die Härte des angedrohten Vorgehens, die Proskynese des Schuldners und sein Flehen um Aufschub sorgen für Spannung und für Sympathie ihm ge‐ genüber. Zweitens, das Erbarmen des Königs überrascht und wirkt befreiend, denn es übertrifft die Bitte des Schuldners bei weitem. Drittens, Szene 2 steht in krassem Kontrast zu Szene 1; das erbarmungslose Verhalten des soeben Amnestierten seinem Kollegen gegenüber erscheint deplatziert, ja grotesk; die Sympathielage dreht sich. Viertens, der Unmut der anderen Bediensteten (V.31), der Zorn des Königs und die Zurücknahme der Schuldenamnestie (V.32-34) wirken nur allzu verständlich und konsequent.329 Das Gleichnis ist den Alltagsgleichnissen zuzuordnen: Es zeigt eine typi‐ sche Alltagssituation mit zwischenmenschlichen Konflikten. Das im Alltag gängige Verhaltensmuster (Schulden werden erbarmungslos eingefordert) wird durch das überraschende Erbarmen des Königs aufgebrochen; der Schuldenschnitt stellt eine heilvolle Verhaltensalternative in den Raum, durch die Menschen von ihren Schulden freikommen und im Leben neu anfangen können. – Das gegenläufige Verhalten des befreiten Schuldners, 328 329

Demgegenüber ist die Leserorientierung symbuleutisch: Die Leserinnen und Leser sollen aus dem Beispiel des unbarmherzigen Knechts lernen! Für Dannenmann 2019, 324, ist dieser Effekt Anlass zur Selbstkritik der Rezipienten, da er (wie das Verhalten der Mitknechte) die grundsätzlich geforderte Vergebungsbereit‐ schaft aushebele.

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4 Musterexegesen und Theologie

eigentlich eine im Alltag erwartbare Verhaltensform, wirkt nach Schilde‐ rung von Szene 1 knebelnd, kleinkariert und existenzbedrohend. Damit übt das Gleichnis Grundsatzkritik an der Alltagsmoral. Ihr gegenüber werden Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Großzügigkeit stark gemacht. Die Wertehierarchie wird auf den Kopf gestellt: Wichtiger als legales, aber emotions- und gnadenloses Einfordern von Schulden ist die Ermöglichung von Leben. Die Alltagsmoral wird als Machtinstrument entlarvt, um die eigenen ‚vitalen Interessen‘ durchzusetzen – ohne Rücksicht auf das Wohl und Wehe der Mitmenschen.330 e) Kontextbezug und Ausgangsfrage

Kontext ist die Gemeinderede Mt 18. Nach dem Umgang mit den ‚Kleinen‘ in der Gemeinde (V.1-14) wird der innergemeindliche Umgang mit Sündern thematisiert. Leitwörter sind sündigen (V.15.21), zurechtweisen (V.15) bzw. binden/lösen (V.18), bitten (V.19) und vergeben (V.21f.35). Kontextueller Anlass des Gleichnisses ist die Frage des Petrus, wie oft vergeben werden müsse (V.21). Die Antwort Jesu heißt: immerzu, grenzenlos! Der Anschluss mit ‚darum gleicht das Himmelreich…‘ (V.23a) qualifiziert den Text als gleichnishaftes Argument für die geforderte Haltung und inhaltlich als Einblick in die basileía Gottes. Die Anwendung am Ende (V.35) bezieht das Verhalten des Königs auf das zu erwartende, erbarmunglose Handeln Gottes im Endgericht (futurische Formulierung und Anschluss mit ‚so‘, gr. hoútōs). Die Ausgangsfrage des Gleichnisses ist mit V.21 gestellt, die göttliche Sanktion des Fehlverhaltens mit V.35. f) Klärung der Metaphorik

Die Bedeutung der Metaphorik ist durch den Kontext vorgegeben: Der König verweist auf Gott bzw. auf den ihn repräsentierenden Sohn, die Bediensteten sind Gottes ‚Schuldner‘, das heißt die Sünder. Die astronomi‐ sche Schuldsumme verweist auf die prinzipielle Unmöglichkeit, sich aus der Sündenschuld aus eigener Kraft zu befreien. Die ‚Abrechnung‘ kann, muss sich aber nicht auf das göttliche Endgericht beziehen; sie lässt sich auch als Hinweis auf die Konfrontation mit Sündhaftigkeit, etwa im Kontext der Verkündigung Jesu, verstehen. Die Schuldenamnestie steht für die befreiende Wirkung der Vergebung, die Rückabwicklung weist auf Gottes 330

Sehr ausführlich zur emotionalen Leserlenkung des Textes vgl. Dannenmann 2019, 274-328.

4.3 Alltagsgleichnisse

Gerichtshandeln am Ende (des Lebens/der Zeit) hin. Die Übergabe an die ‚Folterknechte‘ illustriert die drohende Höllenstrafe.331 Der weitere Verstehenshorizont der Erstadressaten ist von alttestament‐ lichen sowie frühjüdischen Vorstellungen und Sprachkonventionen geprägt. Dort wird das Verhältnis zwischen Gott und Mensch regelmäßig als Rechtsund Geschäftsverhältnis gedeutet. Sünde gilt schon in Ps 32,2.5; 51,3 als Schuld vor Gott. Die ‚Abrechnung‘ ist im frühjüdischen Denken eine beliebte Metapher für das Endgericht.332 – Die Metapher von Gott als ‚König‘ ist ebenfalls fest in der Tradition verankert.333 Konnotiert sind dabei vor allem Souveränität, Autorität und Gerichtshandeln. – Die Rede vom Erbarmen Gottes ist keine Neuerung der Predigt Jesu, sondern begegnet schon in Ez 18,23.31; 33,11 und anderen Texten. Gott gilt auch im frühen Judentum als Vorbild im Erbarmen (EpAr 210; Tanch mishpatim 97b). Der Rücknahme des Heilshandelns entspricht alttestamentlich das Motiv der ‚Reue Gottes‘.334 Ihr Auslöser ist in allen Fällen das menschliche Verhalten. Der Blick in die Tradition macht das innovative Potenzial des Textes deut‐ lich: Erstens, Gott zeichnet sich durch überraschende, das menschliche Maß sprengende Barmherzigkeit als Grundlinie seines Handelns aus (Kontrast zu irdischen Königen); zweitens, die ‚Abrechnung‘ ist in Mt 18 auch auf den Kontext des Verkündigungshandelns Jesu und des Aufrufs zur Umkehr (gr. metánoia) zu beziehen. g) Klärung des theologischen Bezugsrahmens

Die Theologie des Gleichnisses vom Schalksknecht lässt sich wie folgt entfalten: 1. theologischer Aspekt: Gott ist vor allem der Souverän, von dem die Menschen abhängig sind: Er ist der ‚König‘, die Menschen sind ‚Sklaven‘ (so wörtlich gr. doúloi). Er unterscheidet sich freilich fundamental von irdischen Machthabern: Er erhört das Flehen des Menschen und vergibt ihm seine komplette Schuld. Erbarmen ist das Leitmotiv seines Handelns. Darin ist er auch Ur- und Vorbild menschlichen Verhaltens. – Bei Gott ist mit allem zu 331 332 333 334

Vgl. 4 Makk 9,9; äthHen 10,13; slHen 7,2; 4 Esr 77,38.47; Mt 25,14-30; Lk 16,19-31. VitAd 31 f.; 4 Esr 77,78ff; GenR 26; ExR 31; Av 3,1; 4,22. Eng verwandt ist die Vorstellung vom himmlischen Schuldbuch in TosQid 1,14; bTaan 25b; 1 Petr 4,5 u. a. – Ausführlich dazu Erlemann 1988, 87-90. Num 23,21; Jes 6,5; 41,8-16; 43,1-15; Pss; PsSal 2,32; 17,3 u.a. Gen 6,6: Erschaffung des Menschen; 1 Sam 15,11.35: Erwählung Sauls; vgl. weiter Jer 18,7-10.

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rechnen: mit übergroßem Erbarmen und erbarmungslosem Zorn. Zum Zorn kommt es allerdings nur dann, wenn Gottes barmherziges Handeln durch unbarmherziges Verhalten konterkariert wird. In diesem Moment ist bei Gott eine rote Linie überschritten. Das heißt, Gottes Erbarmen will geteilt werden, denn es gilt allen Menschen, die unter Schuld(en) leiden. 2. christologischer Aspekt: Jesus ist der Gleichniserzähler und öffnet den Menschen ein ‚Fenster zum Himmel‘. Mit seinem eigenen Verhalten doku‐ mentiert Jesus den Heilswillen Gottes; wie Gott kritisiert Jesus diejenigen, die es, bei aller sonstigen Korrektheit, an Barmherzigkeit fehlen lassen. 3. pneumatologischer Aspekt: Dieser Aspekt fehlt in Mt 18,23-35. 4. kosmologischer Aspekt: Die Welt bietet das Vorstellungsmaterial für den Text (ungerechte soziale Verhältnisse; irdische Machthaber; vorreligiöse Grunderfahrungen). Gott ist punktuell einem irdischen König ähnlich, hebt sich aber wohltuend von ihm ab. Gottes Wirklichkeit erscheint als befreiende Alternative zur bekannten Alltagswelt. – Die Welt ist auch in den ‚Mitknechten‘ des Bediensteten präsent: An ihnen ist der Heilswille Gottes sichtbar und spürbar zu machen! 5. anthropologischer Aspekt: Der Mensch ist grundsätzlich von Gott ab‐ hängig. Durch ihre Sündenschulden sitzen alle Menschen im gleichen Boot. Sie leben von Gottes Barmherzigkeit, neigen aber dazu, dies zu vergessen und ‚vitale Interessen‘ bzw. das, was ihnen rein formal-juristisch zusteht, gnadenlos durchzusetzen. 6. ekklesiologischer Aspekt: Der Kontext sorgt für einen eminent ekklesiolo‐ gischen Aspekt: Die christliche Gemeinde ist die Gemeinschaft derer, die alle in gleicher Weise von Gottes Barmherzigkeit leben und dies einander weitergeben. 7. ethischer Aspekt: Das einigende Band der Gemeinde ist unendliche Verge‐ bungsbereitschaft (V.21f.). Die entsprechende Ethik ist auf die Befreiung aller zu einem Leben in Fülle ausgerichtet. Alltagsmoral bewirkt oft das Gegenteil. Grenzenlose Vergebungsbereitschaft ist eine Ethik der Nachahmung Gottes und seiner basileía. – Der Kontrast der Schuldensummen erinnert an das Gleichnis vom Splitter und Balken (Mt 7,1-5). Der Verzicht darauf, andere zu be- und verurteilen, bedeutet positiv sich zu erbarmen und Vergebungs‐ bereitschaft zu zeigen.

4.3 Alltagsgleichnisse

8. soteriologischer Aspekt: Der Weg zum Leben in Fülle wird allererst von Gott eröffnet; seine schier unendliche Vergebungsbereitschaft ist die conditio sine qua non einer heilvollen Existenz. Die naheliegende, eigentlich plausible Antwort des Menschen darauf besteht darin, Vergebung und Erbarmen weiterzuschenken, um so Gottes Heilswillen und seine basileía in der Welt publik zu machen. 9. eschatologischer Aspekt: Mit der Verkündigung Jesu ist Gottes ‚Schul‐ denschnitt‘, das Evangelium von Gottes Herrschaft, bei den Menschen angekommen. Damit ist jetzt die Zeit da, dies überall publik zu machen. Wo Menschen den Heilswillen Gottes bekannt machen und die alternative, heil‐ volle Lebensmöglichkeit vorleben, verbreitet sich die heilvolle Herrschaft Gottes. Jetzt ist zugleich die Zeit der Bewährung; das endgültige Urteil über das menschliche Verhalten steht noch aus; es kann jederzeit revidiert werden – zum Positiven wie zum Negativen. h) Theologische Formulierung der Pointe

Die theologisch formulierte Pointe lautet: Gibt der Mensch die ihm von Gott geschenkte Vergebung an seine Mitmenschen weiter, bleibt er vor Gottes Zorn verschont; unterlässt er es jedoch, muss er am Ende mit dem Schlimmsten rechnen. i) Zusammenfassung

Das Gleichnis vom Schalksknecht verweist als Schlüssel zum Heil auf Vergebungsbereitschaft und Barmherzigkeit. Beides gehört zum Kern des christlichen Gottesbildes und zur frohen Botschaft von Gottes Herrschaft. Die gängige, gesellschaftlich etablierte und legal erscheinende Einforderung des ‚guten Rechts‘, ohne Rücksicht auf Wohl und Wehe der Mitmenschen, wird durch Gottes vorgängiges, Leben ermöglichendes Erbarmen als de‐ platziert gekennzeichnet. Der Text lädt dazu ein, sich eine heilvolle, an Gottes basileía orientierte Lebensform zu eigen zu machen. Die ‚vitalen Interessen‘ gegenüber den Mitmenschen sind, angesichts der Grundlage der eigenen Vitalität, unwichtig. Das göttliche Geschenk fordert als Antwort eine barmherzige und vergebungsbereite Haltung. Wer sie verweigert, wird mit der Kehrseite des vergebungsbereiten Gottes konfrontiert.

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4.3.4 Die zehn Jungfrauen (Mt 25,1-13) a) Analyse des Bildspenders: Realien

Der Text bezieht seine Metaphorik aus antiken Hochzeitsbräuchen. Einzelne Elemente sind: Hochzeit (gr. gámos, V.10), Brautjungfern (gr. parthénoi, V.1b.7.11), Bräutigam (gr. nymphíos, V.1b.5f.10), Abholung der Braut – hier der Brautjungfern (gr. hypántēsis bzw. apántēsis, V.1b.6), Lampen (gr. lampádes, V.1b.3f.7f.) sowie Öl als Leuchtmittel (gr. élaion, V.4.8). Die Braut fehlt in der Erzählung.335 Antike Hochzeitsfeierlichkeiten zogen sich über einen längeren Zeitraum und über mehrere Etappen hin. Die im Gleichnis geschilderte Etappe ist die der Heimführung der Braut. Bis dahin lebte die Braut noch im Elternhaus. Verlobung und erste vertragliche Regelungen über Mitgift und Aussteuer waren schon vollzogen.336 In einer prachtvollen Prozession gingen Braut und Brautjungfern dem Bräutigam entgegen (Ps 45,10-16). Dieser führte die Braut anschließend heim (1 Makk 9,37-41). Im Haus des Bräutigams fand dann die eigentliche Hochzeitsfeier statt (vgl. Tob 8,10; 10,7). – Extravagant erscheinen das (über-)lange Ausbleiben des Bräutigams und sein plötzliches Kommen um Mitternacht (V.6). Diese Erzählzüge sind der theologischen Vergleichsebene geschuldet (s. u.). b) Abgrenzung, Textlinguistik, Gliederung

Mt 25,1a signalisiert den Beginn einer Gleichnisrede (‚Dann wird das Himmelreich gleichen…‘). Mit dem Wechsel der semantischen Ebene in V.1b beginnt die Erzählebene. V.13 bildet die Anwendung (‚Darum wachet!‘ etc.). Ab V.14 folgt ein neues Gleichnis. – Die Basisopposition besteht in der Notiz, dass alle zehn Brautjungfern ausziehen, um den Bräutigam abzu‐ passen (V.1b; Zustand A), und in der Notiz, dass nur fünf der ursprünglich zehn Brautjungfern die Hochzeit mitfeiern können (V.12, Zustand B). Dem entsprechen semantische Gegensatzpaare wie hinausgehen vs. hineingehen (V.1b/V.10), klug vs. unklug (V.2.4.8f.), Brautjungfern vs. Bräutigam (passim), einschlafen vs. Geschrei (V.5f.), bereit sein vs. kaufen müssen (V.7-10), Mitternacht vs. später (V.6/V.11) sowie Türe verschließen vs. öffnen (V.10f.). 335 336

Sie wird durch die Brautjungfern ersetzt, die in kluge und unkluge aufgeteilt sind. Das korrespondiert mit dem Bild der matthäischen Gemeinde als eines corpus permixtum (s. u.). Kellermann 2004, 266; Urban 2005, 26.

4.3 Alltagsgleichnisse

– Der erzählerische Schwerpunkt liegt auf der detaillierten Schilderung des klugen bzw. des unklugen Verhaltens (V.2-4) und auf dem Dialog zwischen den klugen und unklugen Brautjungfern (V.8f.). Ein kleinerer Schwerpunkt ist mit der Schlussszene gegeben (Dialog V.11f.). – Die Erzählebene gliedert sich in drei Szenen: Szene 1: gemeinsames Warten auf den Bräutigam (V.1b-5); Szene 2: Schilderung der Krise beim Kommen des Bräutigams (V.6-9); Szene 3: Trennung der klugen und der unklugen Brautjungfern (V.10-12). –Thema ist die Frage, wie es passieren kann, dass am Ende nur ein Teil der Brautjungfern mitfeiern kann. Die Antwort, die das Gleichnis bietet, lautet: Man muss rechtzeitig kluge Vorsorge treffen, um im entscheidenden Moment vorbereitet zu sein. c) Erzählinterne Formulierung der Pointe

Erzählintern formuliert, heißt die Pointe: Nur diejenigen Brautjungfern, die sich rechtzeitig mit genügend Öl eingedeckt haben, sind im entscheidenden Moment bereit und dürfen die Hochzeit mitfeiern; die anderen bleiben draußen. d) Textpragmatik, Grunderfahrung, Gleichnistyp

Während die Erzählebene, textintern betrachtet, dikanisch ausgerichtet ist (die Folge des Fehlverhaltens ist nicht mehr abwendbar), ist sie, leserori‐ entiert gesehen, symbuleutisch (die Brautjungfern fungieren als positives bzw. negatives Beispiel). Das Hauptlernziel ist dementsprechend praktischer Natur: Das Kommen des ‚Bräutigams‘ ist unberechenbar; daher ist kluge Vorsorge zu treffen. Die Anwendung (V.13) bringt das auf den Punkt. Der Gleichniserzähler setzt folgende textpragmatische Mittel ein, um sein Lernziel zu erreichen: Erstens, das gewählte Bild ist allgemein bekannt und realitätsnah geschildert; das erleichtert die Identifikation. Zweitens, die Deutungsebene bleibt außen vor (Konterdetermination). Drittens, die früh vorgenommene Bewertung der Brautjungern (kluge vs. unkluge, V.2) sorgt für Spannung und weist auf zwei Optionen hin. Viertens, der Kon‐ trast zwischen der Verzögerung des Bräutigams und seinem plötzlichen Erscheinen ‚um Mitternacht‘ sorgt für Dramatik und weitere Spannung. Fünftens, der Dialog zwischen den Jungfrauen und der abschließende Dialog des Bräutigams mit den Unklugen machen deren Verzweiflung offenkundig. Ihr ursprüngliches, sorgloses Verhalten stellt sich im Nachhinein als fatale Fehleinschätzung der Situation heraus. Die perspektivische Darstellung ab V.10 schafft zwar Sympathie für die Unklugen, die sich verzweifelt bemühen, das drohende Unheil abzuwenden; ihr Misserfolg lässt aber auch

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die Leserschaft ratlos zurück. Am Ende steht: Sorglosigkeit rächt sich, Klugheit zahlt sich aus und am Ende kämpft jeder für sich allein! Die Schilderung der Alltagssituation mit ihren zwischenmenschlichen Konflikten und Unwägbarkeiten warnt vor der Fehleinschätzung, man könne im Zweifelsfall auf die Solidarität und das Verständnis der Anderen hoffen. Die Verantwortung für sein Handeln anderen zu überlassen, ist zwar ein gängiges Verhaltensmuster; mit Blick auf das große Ziel empfiehlt sich jedoch dringend eine andere Einstellung! Die vorreligiöse Grunderfahrung lautet erstens, anfänglicher Enthusiasmus schlägt bei zu langer Wartezeit in Motivationslosigkeit und Apathie um; zweitens, letztlich ist jeder für sich selbst und sein Schicksal verantwortlich; drittens, alle Mühe ist umsonst, wenn man nicht auf den Punkt genau ‚fit‘ ist; viertens, Klugheit zahlt sich aus, Dummheit rächt sich. Das Gleichnis fordert, anders als andere Gleichnisse, keine Solidarität der Klugen den Unklugen gegenüber ein und inszeniert auch nicht das Erbarmen der Hauptfigur, sondern spricht den Einzelnen auf seine Klugheit an: Wenn es ums Ganze geht, wenn es kritisch wird, sind Solidarität und Erbarmen nicht mehr zu erwarten! Diese Information provoziert kluges Verhalten schon jetzt. Klugheit ersetzt hier die Moral; kluges Verhalten erscheint ‚heilführend‘ und alternativlos. – Die Textpragmatik kennzeichnet die Erzählung als Alltagsgleichnis. e) Kontextbezug und Ausgangsfrage

Das Gleichnis ist im Kontext der matthäischen Ölbergrede Mt 24 f. das mittlere von drei Gleichnissen zum Thema ‚rechtes Verhalten in der War‐ tezeit‘ (Mt 24,45-51: treuer und böser Knecht; Mt 25,14-30: anvertraute Talente). Alle Gleichnisse stellen einem unheilvollen Verhalten ein vorbild‐ liches gegenüber und teilen die Struktur das gegenwärtige Verhalten ist für das künftige Ergehen ausschlaggebend. Die semantische Klammer ist, als Konsequenz aus dem unbekannten Zeitpunkt der Parusie, der Aufruf zur Wachsamkeit (Mt 24,36.42; 25,13). Die Gleichnisse ergänzen einander: Mt 24,45-52 korrigiert die Fehleinschätzung, als käme der ‚Herr‘ überhaupt nicht mehr; Mt 25,1-13 traktiert die gegenläufige Fehleinschätzung, als käme der ‚Herr‘ sehr bald zurück; Mt 25,14-30 fokussiert den Sinn loyalen Handelns und die Theodizeefrage. Das sogenannte (!) ‚Gleichnis‘ vom Weltgericht (Mt 25,31-46) konkretisiert das geforderte Verhalten. Mit diesem kompositionskritischen Ausblick ist das Thema des Gesamt‐ abschnitts benannt: die richtige Vorbereitung auf die Parusie. Sie besteht

4.3 Alltagsgleichnisse

in kluger Vorsorge, in Ausdauer und loyalem Verhalten Gott bzw. dem Menschensohn gegenüber. Die Ausgangsfrage des Textes lautet: Weshalb verzögert sich die Parusie des Menschensohns derart? Lohnt es sich über‐ haupt noch, auf ihn zu warten? f) Klärung der Metaphorik

Einleitung (Stichwort Himmelreich) und übergreifende Thematik (unbe‐ kannter Zeitpunkt der Parusie) determinieren die Metaphorik weitgehend. Die ‚Hochzeit‘ weist auf die endzeitliche Heilsveranstaltung, das ‚Kommen des Bräutigams‘ auf die Parusie des Menschensohns und die ‚Brautjungfern‘ auf Christinnen und Christen in Erwartung der (nahen) Wiederkunft hin.337 Offen ist die Deutung der Bildfeldelemente ‚Lampen‘, ‚Öl‘ und ‚ein‐ schlafen‘.338 Aus dem textinternen Beziehungsgeflecht lässt sich Folgendes schließen: Das allmähliche ‚Einschlafen‘ betrifft alle Brautjungfern glei‐ chermaßen; es wird nicht als vermeidbares Fehlverhalten kritisiert. Das spricht am ehesten für ‚natürliche‘ Ermüdungserscheinungen.339 – Die leuchtenden Lampen sind das Erkennungszeichen der Brautjungfern.340 Damit sie leuchten können, brauchen sie Öl. Aus dem direkten Zusammen‐ hang erschließt sich die Bedeutung nicht. – Die weiteren konzentrischen Kreise geben Auskunft: Matthäus verwendet die Lichtmetaphorik in Mt 5,13-17 (Salz und Licht), um die Vorbildfunktion der Gläubigen im Sinne der ‚besseren Gerechtigkeit‘ zu unterstreichen. Laut Mt 7,22f. weist Christus diejenigen zurück, die das Gesetz übertreten; nur die wirklich Gerechten gelangen ins Himmelreich (Mt 5,20). Das Hausbaugleichnis Mt 7,24-27 (→ 4.3.1) kontrastiert bei gleicher Thematik kluges und dummes Verhalten. Laut Mt 13,43 werden ‚die

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Die Hochzeitsmetaphorik ist auch in anderen neutestmentlichen Texten eschatologisch ausgerichtet (Mt 22,1-14; Mk 2,18-20parr.; Lk 12,35-38; Apk 19,7-9; 21,9 u. a.). Das Erzählmotiv des ‚Einkaufens‘ (V.9) ist nicht konstitutiv, sondern es illustriert nur die fehlende Solidarität der Klugen. Ebenso ist die Rede von ‚Mitternacht‘ (V.6) nicht auszudeuten; sie illustriert das überfallartige Kommen des Bräutigams zum ungüns‐ tigsten Zeitpunkt. – ‚Lampen‘ und ‚Öl‘ sind hingegen konstitutiv und verlangen nach Deutung. Das ‚Einschlafen‘ steht für den Vorgang, der fatale Folgen der ursprünglichen Sorglosigkeit zeitigt. Außerdem steht es in Opposition zur Anwendung (‚wachet!‘, V.13). Woran denkt der Autor hierbei? Vgl. Erlemann 1988, 119, sowie Mt 13,21f. und Mt 24,12f., wo ähnliche Prozesse angedeutet sind. Zur Beschaffenheit der Lampen vgl. Erlemann 1988, 116 (unter Rückgriff auf Jeremias 1965).

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Gerechten leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich‘; Mt 25,31-46 zufolge ist das Praktizieren der Nächstenliebe das entscheidende Gerichtskriterium. Die matthäische Pointierung der Lichtmetaphorik lehnt sich an die des Alten Testaments und des frühen Judentums an.341 Die ‚Lampen‘ in Mt 25,1-13 verweisen auf das Tun der Gerechtigkeit als Erkennungszeichen der Gläubigen bei der Parusie. Dementsprechend ist das ‚Öl‘ mit Ausdauer und Geduld zu verbinden (vgl. den Makarismus Mt 24,13!).342 Wer sie nicht aufbringt und im gerechten Handeln nachlässt, steht im entscheidenden Moment mit leeren Händen da.343 – Prov 21,20 bestätigt die matthäische Verwendung der Ölmetapher: „Im Hause des Weisen ist ein kostbarer Schatz an Öl; aber ein Tor vergeudet ihn.“ Neben der Verknüpfung mit der Kontrastierung von Weisheit und Torheit bietet Prov 21,22 eine zu Mt 25,1-13 analoge Deutung: „Wer der Gerechtigkeit und Güte nachjagt, der findet Leben, Gerechtigkeit und Ehre.“ g) Klärung des theologischen Bezugsrahmens

Nach Klärung der Metaphorik kann nun die Deutungsebene aufgefächert werden: 1. theologischer Aspekt: Gott kommt nur in der Einleitung zur Sprache: Seine basileía ist explizites Thema des Gleichnisses. Der Vergleichspunkt besteht darin, dass die Tür zum Heil nur einen begrenzten Zeitraum über offen steht und auch nicht alle, die hinein wollen, hinein dürfen. Ein weiterer Aspekt der Gottesherrschaft ist, dass der entscheidende Zeitpunkt unbekannt ist und Gottes Souveränität unterliegt (vgl. Mt 24,36par. Mk 13,32). – In seinem Sohn hat Gott den ‚Bräutigam‘ in die Welt geschickt, um auf seine Heilsveranstaltung hinzuweisen. 2. christologischer Aspekt: Der wiederkommende Christus bzw. Menschen‐ sohn (Mt 24,44) steht im Mittelpunkt. Seine Parusie ist angekündigt, der exakte Zeitpunkt bleibt jedoch offen. Als ‚Bräutigam‘ nimmt er die im

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Hi 18,5; Prov 13,9; 20,20; 24,20; Jer 25,20; Weish 3,7; äthHen 92,4; MidrPs 37 § 1 u. a.; vgl. Lk 12,35; Phil 2,15; Apk 19,14. Traditionsgeschichtlich ist hier wenig zu finden. Lediglich Koh 9,8 verwendet Öl als Metapher für gute Taten (vgl. Erlemann 1988, 120). Strukturell ist die Metapher vom ‚Erkalten der Liebe‘ in Mt 24,12 und Apk 3,15 vergleichbar: Auch diese Metapher drückt einen schleichenden Prozess aus.

4.3 Alltagsgleichnisse

Alten Testament Gott zugeschriebene Rolle an.344 Ziel seiner Wiederkunft ist die Feier der göttlichen Heilsveranstaltung. Er entscheidet schlussendlich darüber, wer an der himmlischen ‚Party‘ teilnehmen darf und wer nicht (Mt 25,12; vgl. 22,11-14). Hierin übt er seine Funktion als endzeitlicher Menschensohn-Richter aus (vgl. Mt 26,64). 3. pneumatologischer Aspekt: Dieser Aspekt fehlt. 4. kosmologischer Aspekt: Die Welt und menschlich-irdische Verhaltens‐ muster stellen das Anschauungsmaterial zur Verfügung (Bildspender, vor‐ religiöse Erfahrungen). Als eigenes Thema kommt der kósmos nicht zur Sprache. 5. anthropologischer Aspekt: Das Menschenbild ist individualisiert: Die ein‐ zelnen Gruppen und Menschen sind letztlich für sich selbst verantwortlich. Solidarität hat ihre Grenzen da, wo es ums Ganze geht. Der Mensch, so der Text implizit, neigt dazu, nach anfänglicher Begeisterung für eine bestimmte Sache allmählich nachzulassen und seine Visionen aufzugeben, wenn sich kein schneller Erfolg einstellt. 6. ekklesiologischer Aspekt: Die christliche Gemeinschaft besteht aus Men‐ schen, die auf die Wiederkunft des Menschensohns hinleben. Offen ist, wer das Ziel erreichen wird und wer nicht. Das matthäische Gemeindebild ist auch sonst von als problematisch empfundenen Dualismen geprägt (Ge‐ meinde als corpus permixtum, Mt 13,24-30; 22,1-14; 25,31-46). Ihre Auflösung wird für das Ende erwartet. 7. ethischer Aspekt: Der Text ist kein Aufruf zu innerer Geschlossenheit und Solidarität innerhalb der Gemeinde. Er legt den Schwerpunkt auf kluges, selbstverantwortliches Handeln mit der Perspektive, zuletzt am Leben in Fülle teilzuhaben. Konkret ist damit ausdauerndes Tun der Gerechtigkeit und der Liebe gemeint. 8. soteriologischer Aspekt: Die Tür zum Heil steht nur für einen begrenzten Zeitraum offen. Der ‚Bräutigam‘ Christus lädt zur ‚Hochzeit‘ ein, die ‚Brautjungfern‘ sind gefragt, sich klug darauf vorzubereiten (dauernde Wachsamkeit, V.13). Der Weg zum Heil setzt einen langen Atem, eine

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Zu Gott als ‚Bräutigam‘ bzw. ‚Ehemann‘ Israels sowie zur Hochzeitsmetaphorik vgl. Jes 62,5; Jer 2,2.32; 3,1ff.; Ez 16,8; Hos 2,4ff.; MekhEx 19,17; Pirque REl 42 u.a.

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hohe Frustrationstoleranz und Klugheit, sprich: weiterzudenken und alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, voraus. 9. eschatologischer Aspekt: Jetzt ist die Zeit des Wartens und kluger Vorsorge! Die Gegenwart läuft auf die Wiederkunft Christi hinaus. Dann wird sich zeigen, wer die ‚Zeichen der Zeit‘ richtig verstanden hat und wer nicht. Am Zeitenende sind Solidarität, Barmherzigkeit, Vergebung etc. nicht mehr gefragt; es gibt nur noch ein klares Entweder – Oder (Mt 24,40f.; 25,31-46; Mk 13,12; Apk 22,11). h) Theologische Formulierung der Pointe

Im theologischen Bezugsrahmen lautet die Pointe: Nur diejenigen, die über den ersten Enthusiasmus hinaus auf die Parusie Christi hinleben und beständig gerechtes und liebendes Handeln zeigen, sind im entscheidenden Moment bereit und erhalten Zugang zur göttlichen Heilsveranstaltung; die anderen bleiben draußen. 345 i) Zusammenfassung

Mit dem Gleichnis von den zehn Jungfrauen wirkt Matthäus Ermüdungs‐ erscheinungen entgegen. Die anfangs enthusiastischen Gemeindeglieder neigen offenbar zu Nachlässigkeit und Desinteresse, was die Parusie Christi und das ethische Verhalten anbelangt. Der Hinweis auf das plötzlich kom‐ mende Ende rüttelt auf und motiviert dazu, die momentane Wartezeit im Sinne der basileía Gottes zu nutzen. 4.3.5 Die Witwe und der Richter (Lk 18,1-8)

Das Gleichnis stellt heraus, wie wichtig Beharrlichkeit im Gebet und Gott‐ vertrauen sind: Die Gebetserhörung ist sicher, denn Gott ist ein gerechter Richter und ein treuer Fürsorger seiner ‚Auserwählten‘! a) Analyse des Bildspenders: Realien

Das lukanische Sondergutgleichnis präsentiert einen antiken Rechtsvor‐ gang zwischen einem Richter (gr. kritḗs, V.12) und einer Witwe (gr. chḗra, V.3.5). Weitere Bildelemente sind Recht schaffen (gr. ekdikḗsai, V.3b.5; ekdí‐

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Es geht auch deutlich kürzer: „Nur wer nicht nachlässt im gerechten Tun, wird am Ende mit Christus feiern!“ (Erlemann 2017, 120).

4.3 Alltagsgleichnisse

kēsis, V.8), Rechtsgegner (gr. antídikos, V.3b) sowie Unrecht (gr. adikía, V.6). Kellermann sieht als Hintergrund die Verweigerung bestimmter Witwen‐ rechte durch die Erben des verstorbenen Ehemanns.346 Das Alter der Witwe ist unklar; sie muss nicht alt gewesen sein.347 Sozial hatten Witwen keinen gesicherten Stand, sie waren rechtlich und wirtschaftlich benachteiligt und im frühen Christentum auf diakonische Fürsorge angewiesen (vgl. Sach 7,10; Mt 23,14; Mk 12,42f.; Lk 7,12; Apg 6,1 u. a.).348 – Das Verhalten des Richters dürfte typisch gewesen sein; Rechtsbeugung war ein alltäglicher Vorgang (vgl. Jer 37 f.; Am 5,7; Zeph 3,1-4 u. a.). b) Abgrenzung, Textlinguistik, Gliederung

Lk 18,1 ist Einleitung und Anwendung zugleich (Übergangsebene). V.6 verlässt die Erzählebene, es folgt die Deutung des Gleichnisses (V.6-8). V.9 bildet die Übergangsebene zu einem weiteren Gleichnis. – Das Gleichnis wird von der Basisopposition in V.2 und V.5 gerahmt: Zustand A beschreibt einen gottfernen und Menschen verachtenden Richter, Zustand B denselben Richter, der einer Witwe nachgibt. Semantische Gegensatzpaare sind Richter vs. Witwe, Bitte um Recht vs. Verweigerung dieser Bitte (V.3f.), mangelnde Gottesfurcht bzw. fehlender Respekt vor Menschen vs. der Witwe zu Willen sein (V.4f.) sowie Recht verweigern vs. Recht schaffen (V.4f.). – Erzählerische Schwerpunkte sind die Beschreibung des Richters (V.2 und 4; Wiederholung) und der Hartnäckigkeit der Witwe (V.3: ‚immer wieder‘; wörtliche Rede; V.5: ‚viel Mühe machen‘) als Motiv für den Richter, ihrem Begehren doch nachzukommen. – Das Thema lautet: Wie gelingt es der Witwe, beim gottfernen und respektlosen Richter ihr Recht geltend zu machen? Die Antwort lautet: durch ihre Hartnäckigkeit, die offenbar bis zu physischer Bedrängung des Richters reicht (V.5a). – Das Gleichnis gliedert sich in V.2 (Exposition; Beschreibung des Richters), V.3-4a (Szene 1: Rechtsbegehren der Witwe und erste Reaktion des Richters), V.4b-5 (Szene 2: zweite Reaktion des Richters und Schilderung der Motivlage).

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Kellermann 2004, 266. Als Möglichkeiten nennt Kellermann „die Verweigerung der Ket‐ tubah, der auszuzahlenden Mitgift, der verschriebenen Nutznießung, des Wohnrechts oder der Versorgung im Hause des verstorbenen Mannes“ (ebd.). Urban 2005, 29, ausweislich 1 Tim 5,3-16. A.a.O., 30.

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c) Erzählinterne Formulierung der Pointe

Die Erzählebene hat folgende Pointe: Durch ihre Hartnäckigkeit kommt die Witwe beim respektlosen Richter am Ende doch noch zum Erfolg. d) Textpragmatik, Grunderfahrung, Gleichnistyp

Das Gleichnis weist eine sparsame Leserlenkung auf. Es lebt vom sozialen Kontrast zwischen dem Richter und der Bittstellerin, zwischen Rechts‐ beugung und Rechtsforderung, zwischen Verweigerungshaltung und for‐ dernder Beharrlichkeit. Die ausgiebige Beschreibung des Richters in V.2 schafft bereits zu Beginn Antipathie gegen ihn und Sympathie für die Witwe. Sie scheint in einer aussichtslosen Position. Die Wirkung ihrer Hartnäckigkeit wird im Selbstgespräch des Richters (4 f.) deutlich. Sein Motiv, der Witwe schließlich doch noch zu helfen, ist nicht ein moralischer Gesinnungswandel, sondern Pragmatismus: Er möchte die Witwe, die ihm gewaltig auf die Nerven geht, vom Hals haben. Eine Reaktion der Witwe wird nicht geschildert; die Erzählebene endet abrupt mit dem Ende des Selbstgesprächs. – Durch geschickt vorgenommene Konterdetermination (der Richter wird zweimal als gottfern beschrieben) werden die Adressaten gezielt in das erzählte Geschehen einbezogen, bevor es zur Deutung kommt. Das Gleichnis zeigt ein zur damaligen Zeit weit verbreitetes Verhaltens‐ muster: Ein Richter beugt das Recht einer sozial und juristisch benachtei‐ ligten Person, die im Normalfall wohl aufgegeben hätte. Die heilvolle Alternative liefert das Gleichnis direkt mit: Durch ihre Hartnäckigkeit kommt die Witwe doch noch zum Erfolg; der Richter besinnt sich eines Besseren und verschafft ihr Recht. Nur der Erfolg zählt; das Motiv ist ver‐ nachlässigbar. Die vorreligiöse Grunderfahrung lautet: Intensive Beharrlich‐ keit selbst in aussichtslos scheinenden Situationen ist der Weg zum Erfolg. Anders ausgedrückt: Wer immer am Ball bleibt und sein Recht nachhaltig einfordert, bringt einen solchen Richter am ehesten dazu, nachzugeben. Wer dagegen von vornherein mutlos aufgibt, hat schon verloren. – Mit dieser Erzähltechnik und den aufgezeigten Handlungsoptionen ist der Text als Alltagsgleichnis ausgewiesen. e) Kontextbezug und Ausgangsfrage

Lk 18,1-8 schließt an die Perikope Lk 17,22-37 mit dem Thema des plötzlichen Kommens des Gerichts und der zu erwartenden Umkehrung der Verhältnisse (Lk 17,33) an. Im Anschluss an das Gleichnis folgt das vom Pharisäer und Zöllner (Lk 18,9-14); auch dieses endet mit der endzeitlichen Umkehrung der

4.3 Alltagsgleichnisse

sozialen Rangfolge. Die Perikope von Jesus und den Kindern (Lk 18,15-17) setzt das Thema fort. Für semantische Verzahnung sorgt der Titel ‚Men‐ schensohn‘ (Lk 17,22.26.30; 18,8b; vgl. Lk 19,31f.), verbunden mit dem Ge‐ richtsgedanken (Lk 17,30-35; 18,14). Im Witwengleichnis werden Gott und Menschensohn(-Richter) mit einem irdischen Richter kontrastiert (V.6/V.8). Gott erscheint als der gerechtere Richter; bei ihm sind die ‚Klienten‘ deutlich besser aufgehoben als bei irdischen Richtern. – Die Ausgangssituation ist in Zweifeln der Angesprochenen daran zu sehen, ob ihre Gebete bei Gott überhaupt ankommen. Die Gemeinschaft leidet unter der Trennung von Christus und sieht sich möglicherweise massiv sozialem Unrecht ausgesetzt. f) Klärung der Metaphorik

Eine Metaphorik im eigentlichen Sinne liegt nicht vor. Der geschilderte Vorgang ist ein Exemplum dafür, dass sich Gebet und Beharrlichkeit lohnen (Lk 18,1). Der Text konstatiert den Erfolg der Hartnäckigkeit – gegen alle Aussicht auf Erfolg. Die Witwe steht für alle sozial Benachteiligten. Der Richter ist Typus des gottfernen, respektlosen Menschen, dem das Schicksal seiner Klienten gleichgültig ist. – Die Deutung des Gleichnisses in V.6-8 besteht in einem Schluss a minore ad maius: Wenn schon ein gottferner Richter einer Witwe Recht verschafft, so wird Gott, der Anwalt der Gerech‐ tigkeit, umso eher den Auserwählten, die sich fortwährend bittend an ihn wenden, Recht verschaffen. Voraussetzungen für die Gebetserhörung sind die Gerechtigkeit als Kerneigenschaft Gottes sowie das beharrliche Gebet und der Glaube der Menschen an die Erhörung (V.8b!). Das Gleichnis macht Mut, Gott im Gebet anzurufen, und stärkt das Vertrauen in ihn. g) Klärung des theologischen Bezugsrahmens

Mit den letzten Sätzen ist der theologische Bezugsrahmen bereits umrissen. Im Einzelnen sind folgende Aspekte erkennbar: 1. theologischer Aspekt: Gott ist gerechter Richter und fürsorglicher An‐ sprechpartner der Gläubigen. Hierin steht er in wohltuendem Gegensatz zu irdischen Richtern, die sich die Belange der Rechtlosen oftmals nicht zu eigen machen. 2. christologischer Aspekt: Jesus erscheint, wie gewohnt, als Gleichniser‐ zähler. Darüber hinaus wird er als der kommende Menschensohn-Richter

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4 Musterexegesen und Theologie

adressiert, der den Glaubenden Recht schaffen wird – sofern er denn Glauben vorfinden wird.349 3. pneumatologischer Aspekt: Dieser Aspekt fehlt. 4. kosmologischer Aspekt: Die Welt mit ihren ungerechten Verhältnissen ist der Bildspender. Sie steht im Kontrast zur Fürsorglichkeit und Gerechtigkeit Gottes. 5. anthropologischer Aspekt: Sofern der Richter stellvertretend für einen bestimmten Typus Mensch steht, zeigt der Text die menschliche Tendenz, das Recht anderer Menschen aus Bequemlichkeit und Respektlosigkeit zu ignorieren, sowie die Tendenz, ebenfalls aus Bequemlichkeit anderen Menschen nachzugeben. – Der Mensch ist Objekt der göttlichen Fürsorge (V.1.6-8); das Gebet ist der heilvolle Kanal zu Gott. 6. ekklesiologischer Aspekt: Die Gemeinde darf sich im Gebet an Gott wenden und auf Hilfe hoffen. Der Kontext zeigt eine Gemeinschaft, die unter der Trennung von Christus leidet (Lk 17,22) und von Glaubenszweifeln geplagt ist (V.8b). 7. ethischer Aspekt: Das Gebot der Stunde lautet: ‚Betet allezeit und lasst nicht nach‘ (V.1). Dadurch wird Gottes helfendes, Recht schaffendes Ein‐ greifen erreicht. – V.8b bringt den Glauben ins Spiel, der bei der Parusie des Menschensohns offenbar wird. – Den Mitmenschen das Recht nicht zu verweigern und für soziale Gerechtigkeit einzutreten, ist die ethische Konsequenz aus dem dargestellten Fall. 8. soteriologischer Aspekt: Gott ist bei der Erlösung der Glaubenden initiativ. Der Text verheißt Gebetserhörung und Gerechtigkeit für die ‚Auserwählten‘. Die Antwort darauf besteht in glaubendem Vertrauen sowie in beständiger Kontaktsuche. 9. eschatologischer Aspekt: Jetzt ist die Zeit des beharrlichen Gebets und des Gottvertrauens; jetzt ist die Zeit, sich für die Benachteiligten einzusetzen. In Kürze ist Gottes Eingreifen zugunsten der ‚Auserwählten‘ und Recht‐ losen zu erwarten; die ungerechten Verhältnisse werden dann überwunden sein. Dieses Szenario wird mit der Parusie des Menschensohn-Richters 349

Der letzte Halbsatz (V.8b) bringt die Skepsis darüber zum Ausdruck, ob das Gleichnis Erfolg zeigt oder ob sich die Menschen als Charaktere wie der gottferne Richter entpuppen.

4.4 Identitätsgleichnisse und -metaphern

verbunden, die plötzlich und schon bald, contra facta visibilia, eintreten wird (Lk 17,26-30). h) Theologische Formulierung der Pointe

Im theologischen Bezugsrahmen lautet die Pointe: Wer beharrlich betet und Gott Vertrauen schenkt, den wird Gott erhören und ihm Recht verschaffen. i) Zusammenfassung

Das Gleichnis von der Witwe und dem Richter macht Mut, sich mit seinen Anliegen jederzeit an Gott zu wenden und ihn beharrlich um Beistand anzurufen. Dass sich die Mühe des Gebets lohnt, zeigt das Beispiel der Witwe, die selbst unter deutlich ungünstigeren Verhältnissen durch ihre Hartnäckigkeit zum Erfolg kommt. 4.4 Identitätsgleichnisse und -metaphern Auswahltexte sind die ‚Hirtenrede‘ (Joh 10,1-18), die Rede von der Gemeinde als ‚Leib Christi‘ (1 Kor 12,12-31) und vom Geist als ‚Angeld‘ (2 Kor 1,22 u. a.). 4.4.1 Der gute Hirte (Joh 10,1-18)

Eine ausführliche Parömie ist die vom guten Hirten (Joh 10,1-18). An ihr lassen sich Thema und Erzähltechnik der Identitätsgleichnisse exemplarisch darstellen. a) Analyse des Bildspenders: Realien

Das Gleichnis kreist um das Metaphernfeld der Schafwirtschaft. Einzelne Elemente sind: Schafe und Schafhof (gr. próbata, ab V.3; aulḗ tōn probátōn, V.1), Türe und Türhüter (gr. thýra, ab V.1, thyrōrós, V.3), Viehdieb und Räuber (gr. kléptēs bzw. lēstḗs, V.1.8.10), Schafhirte und Leiharbeiter (poimḗn, ab V.2; misthōtós, V.12f.), Herde und Weide (gr. poímnē, V.16; nomḗ, V.9) sowie Wolf (gr. lýkos, V.12). Die Metaphorik wird in verschiedene Richtungen entfaltet, wobei die jeweiligen Schwerpunkte mit dem Verlauf des Gleichnisses wech‐ seln. Zum sozialgeschichtlichen Hintergrund der Schafwirtschaft vgl. → 4.3.2a. Der Text erweitert die Metaphorik von Mt 18,12-14 um die

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4 Musterexegesen und Theologie

Frage des legitimen Zugangs zu den Schafen, um das Verhältnis zwischen Hirt und Schafen, das Gegenüber von Hirte und Leiharbeiter, Viehdieben und Räubern, Gefährdung der Schafe durch Raubtiere, um die Frage der Verantwortung des Hirten und um die Zusammenführung der Tiere zu einer Herde. Nicht im Blick ist dagegen der Wert des Einzeltieres. b) Abgrenzung, Textlinguistik, Gliederung

Die Parömie beginnt mit einem Weckruf (V.10a: ‚Amen, amen, ich sage euch‘, Übergangsebene) und endet mit einer ausführlichen Deutung in V.17f. Ab V.19 folgt die Reaktion der Adressaten (Ausgangsebene, Stichwort ‚Zwie‐ tracht‘, gr. schísma). In V.26-28 erfährt die Parömie eine kurze Fortsetzung. Die Hirtenrede ist kein erzählerisch geschlossenes Gleichnis, sondern eine vergleichende Collage, die in mehreren Durchgängen verschiedene Aspekte des Metaphernfelds ausführt: Erzählebene 1 (V.1-5) traktiert den legitimen Zugang zu den Schafen und das Verhältnis von Hirt und Schafen. Semantische Begriffspaare sind offizieller vs. illegaler Zugang zum Schafhof (V.1f.), Hirte vs. Viehdieb (V.1f.), leiten vs. nachfolgen (V.4), nachfolgen vs. fliehen (V.5) und kennen vs. nicht kennen (V.3-5). Deutung 1 (V.7-11) bezieht, als Reaktion auf das Nichtverstehen der Adres‐ saten (V.6), die vergleichende Schilderung auf Jesus und seine Gegner. Parallel zu V.1 beginnt die Deutung mit einem Weckruf (V.7a). Jesus wird mit der (legitimen) ‚Tür zu den Schafen‘ identifiziert und von allen, die vor ihm (illegitim) Zugang zu den Schafen suchten, abgegrenzt (V.7b-9a). Die Akzeptanz Jesu als des legitimen Zugangs zu den ‚Schafen‘ bewirkt Heil (Ma‐ karismus V.9b). Der Gegensatz zwischen dem ‚guten Hirten‘ (Ich-bin-Wort, V.11) und den ‚Viehdieben‘ wird in V.10f. auf die Formel ‚töten‘ vs. ‚sich töten lassen‘ bzw. ‚schlachten‘ vs. ‚Leben in Fülle schenken‘ gebracht. Jesus ist der gute Hirte, der den ‚Schafen‘ volles Leben schenkt und dafür sein Leben opfert. Erzählebene 2 (V.12f.) schildert den verantwortungslosen Umgang des ‚Leih‐ arbeiters‘ mit den Schafen, die ihm fremd sind. Er überlässt sie ihrem Schicksal, anstatt sie zu verteidigen. Semantische Oppositionen sind Leih‐ arbeiter vs. Hirte (V.12a) sowie kommen vs. verlassen/fliehen (V.12b). Deutung 2 (V.14-18) nimmt den Faden von V.11 wieder auf (‚Ich bin der gute Hirte‘) und arbeitet den Kontrast zwischen Jesus und einem ‚Leiharbeiter‘

4.4 Identitätsgleichnisse und -metaphern

heraus: ‚Guter Hirte‘ und Schafe kennen sich gegenseitig, der ‚Hirte‘ riskiert sein Leben für die ‚Schafe‘ (V.14f.). – V.16 bietet einen neuen Aspekt: Andere Schafe, die ‚nicht aus diesem Stall‘ sind, werden mit den ersten zu einer einzigen Herde zusammengeführt werden. – Die Verse 15a und 17f. thematisieren das Verhältnis zwischen Jesus und seinem Vater. Es ist analog zum Verhältnis Jesu zu seinen ‚Schafen‘ (Stichwort Vertrautheit, V.15a) und es ist ein Verhältnis der Liebe: Jesus wird von seinem Vater geliebt, weil er aus freien Stücken (V.18a!) sein Leben für die ‚Schafe‘ riskiert. Er wird es vom Vater zurückerhalten (V.17f.). Nach der kontroversen Reaktion auf die Rede (V.19-21) und der Frage nach Jesu messianischer Identität (V.24) folgt eine kurze Fortsetzung der Hirtenmetaphorik (V.26-28): Die eigenen ‚Schafe‘ kennen Jesus und folgen ihm; fremde ‚Schafe‘ kennen ihn nicht und schenken ihm daher auch keinen Glauben. Niemand kann ‚Hirt‘ und ‚Herde‘ auseinanderbringen (vgl. ‚Viehdiebe‘, V.1-8), denn hinter der Einheit von ‚Hirt‘ und ‚Herde‘ steht die Einheit von Jesus und dem ‚Vater‘ (V.30). Thematisches Band um die einzelnen Durchgänge ist die Frage nach dem legitimen ‚Hirten‘ und seinen Erkennungsmerkmalen. Diese sind: erstens, der Zugang zu den ‚Schafen‘ (Stichwort ‚Türe‘); zweitens, das vertraute Ver‐ hältnis zwischen ‚Hirt‘ und ‚Schafen‘ (Stichwort gegenseitige Vertrautheit und Nachfolge); drittens, das Engagement für die ‚Schafe‘ (Stichwort Leben riskieren), und viertens, die heilvolle Wirkung des Engagements (Stichworte Einheit der ‚Herde‘, ewiges Leben in Fülle). In alledem hebt sich der ‚gute Hirte‘ kontrastiv von anderen, illegitimen ‚Hirten‘ (im Bild: Leiharbeiter, Viehdiebe, Räuber) ab. Die wiederholte Betonung, dass die ‚Schafe‘ den ‚Hirten‘ und seine Stimme kennen (V.3-5.14.16.27), unterstreicht die Legiti‐ mität des ‚Hirten‘ Jesus und die adäquate Haltung ihm gegenüber (folgen: V.4.27; gehorchen: V.8). – Die integrierten metaphorischen Prädikationen (Ich-bin-Worte in V.7 und 9: ‚Ich bin die Tür‘; in V.11 und 14: ‚Ich bin der gute Hirte‘) bringen die Bedeutung Jesu auf den Punkt. c) Erzählinterne Formulierung der Pointe

Auf der Ebene der gewählten Metaphorik lässt sich die Zielaussage der ‚Hirtenrede‘ so bündeln: Den legitimen Hirten erkennt man am vertrauten Verhältnis zu seinen Schafen, daran, dass er sie immerzu auf eine gute Weide führt und dass er alles, selbst sein Leben, riskiert, um die Herde zu schützen.

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d) Textpragmatik, Grunderfahrung, Gleichnistyp

Die erzählte Welt ist realitätsnah geschildert und den intendierten Adres‐ saten bekannt; das erleichtert den Zugang zum Text. Der Text ist knapp und sachlich gehalten; perspektivische Darstellung, rhetorische Fragen und ähnliche textpragmatische Mittel fehlen. Das Verhältnis zwischen dem Hirten und seinen Schafen strahlt Vertrautheit aus; der intensive Einsatz des Hirten für seine Herde zeugt von einer tiefen emotionalen Bindung. Diese steht in Kontrast zum Nicht-Verhältnis zwischen Leiharbeiter und Schafen. Der Gegensatz zwischen Hirt und Leiharbeiter könnte nicht stärker dargestellt sein – es gibt keine wachsweiche Haltung dazwischen! Die vorreligiösen Grunderfahrungen, auf denen das Gleichnis aufbaut, sind: Erstens, gute Hirten tun alles dafür, dass es ihren Schafen gut geht; zweitens, wer keine emotionale Bindung zu den Schafen hat, geht für sie auch kein Risiko ein; drittens, eine gute Beziehung zwischen Hirt und Schafen erkennt man daran, dass sie einander kennen und sich einander vertrauen. Die sukzessive Deutung der einzelnen Bildfeld-Aspekte verstärkt den argumentativen Charakter der Parömie, die einzelnen Metaphern gewinnen an argumentativer Kraft. Der Text macht plausibel, dass nur derjenige ein legitimer Hirte sein kann, der sich bis zum Äußersten für seine Schafe einsetzt und sie auf gute Weide führt. Die drei Ich-bin-Worte verdichten die Bedeutung Jesu als legitimer Zugang zu den ‚Schafen‘ (Tür, V.7.9) bzw. als ‚guter Hirte‘ (V.11 und 14). Lernziel ist die Klärung der Identität und Funktion Jesu. Der Erzählbzw. Argrumentationsverlauf macht plausibel, dass und weshalb Jesus der legitime ‚Hirte‘ ist, an dem kein Weg zu den ‚Schafen‘ vorbeigeht. Dieses Lernziel und die dargestellte Erzähltechnik weisen die Hirtenrede als Identitätsgleichnis aus. e) Kontextbezug und Ausgangsfrage

Im Kontext der Hirtenrede werden Identität und Vollmacht Jesu kontrovers diskutiert. In Kapitel 9 weist sich Jesus durch eine Wundertat als der Men‐ schensohn aus; der geheilte Blinde glaubt an ihn, ja betet ihn an (9,38), was zu seinem Ausschluss aus der Synagoge führt (V.22.34); für die Pharisäer ist Jesus ein Sünder und Gotteslästerer (Joh 9,24; 10,33). – Erkennungsmerkmal des Menschensohns ist laut Joh 9 seine Fähigkeit, Wunder zu wirken. Joh 10 verweist auf das heilvolle Wirken Jesu für die ihm Anvertrauten und auf die enge Bindung zwischen Vater und Sohn. Das heilvolle Wirken setzt sich in der Auferweckung des Lazarus fort (Joh 11). Auch hier ist die Reaktion

4.4 Identitätsgleichnisse und -metaphern

zwiegespalten: Die einen finden zum Glauben, die anderen lehnen Jesus radikal ab (Joh 11,46-54). – Die Ausgangsfrage hinter Joh 10 lautet: Wer hat die Legitimität, die ‚Schafe‘ zu führen? Die umstrittene Vollmacht Jesu und sein Führungsanspruch werden durch das Identitätsgleichnis geklärt, die Vollmacht und der Führungsanspruch anderer als illegitim entlarvt. Die Wahrheitskriterien sind: Vertrautheit zwischen ‚Hirt‘ und ‚Schafen‘, die heilvolle Wirkung der Führung, die authentische Verkörperung des Führungsanspruchs und die Bevollmächtigung von oberster Stelle. f) Klärung der Metaphorik

Einige Metaphern lassen sich textintern und aus dem unmittelbaren Kontext heraus leicht klären, andere hingegen nicht. Der ‚gute Hirte‘ wird expressis verbis auf Jesus bezogen. Die ‚Schafe‘ repräsentieren das Volk, dessen Führung Jesus beansprucht (vgl. auch Mk 6,34). Dieses Volk ist textintern mit Israel, leserbezogen mit der christlichen Gemeinschaft zu identifizieren. Der ‚Schafhof‘ ist nicht eindeutig determiniert: Er ist, bildintern gesprochen, nur durch Jesus als die ‚Tür‘ zugänglich und zugleich der Ort, an dem sich die ‚Schafe‘ sammeln. Zu denken ist an Israel als geographische Größe oder an den Jerusalemer Tempel.350 – Die ‚Viehdiebe‘, die ‚Räuber‘ und der ‚Leiharbeiter‘ stehen für die illegitimen Führer des Volkes vor (V.8) und zur Zeit Jesu, ergo: für Jesu Gegner, die jüdische Führungselite. – Die Metapher der ‚Tür‘ oszilliert in ihrer Bedeutung: In V.2f. ist der Begriff unmetaphorisch gebraucht; es wird zwischen ‚Hirt‘ und ‚Tür‘ unterschieden. In V.7 und 9 ist Jesus die einzige ‚Tür‘ zu den ‚Schafen‘, das heißt: Wer das Volk führen oder zum Volk hinzukommen will, kommt an Jesus nicht vorbei. Er ist der Weg und der Anführer zum Leben. Wer Jesus anerkennt, wird selig werden und zum guten Leben finden (V.9).351 Der weitere Verstehenshorizont der Hirtenmetaphorik wird durch seine alttestamentliche und frühjüdische Prägung markiert. Neben Ps 23, der Gott als ‚guten Hirten‘ lobpreist, ist besonders das königskritische Kapitel Ez 34

350 351

Im letzteren Falle hätte die Hirtenrede eine kultkritische Komponente. Der ‚Türhüter‘ in V.3 ist für das Verständnis der Hirtenrede unerheblich (dekoratives Element). Dasselbe gilt für die Stichwörter stehlen, schlachten und umbringen (V.10), die die unheilvolle Wirkung falscher ‚Hirten‘ dekorativ umschreiben. Der ‚Wolf‘ schließlich repräsentiert die Gefahren, denen das Volk ausgesetzt ist – vor allem den Verlust seiner Einheit (V.13). Auch dieses Element ist nicht auf eine bestimmte historische Größe zu beziehen; jedenfalls ist eine solche historische Konstellation dem Verfasser dieses Buches bislang verborgen (vgl. aber Mt 10,16!).

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zu nennen. Hier wird eine mit Joh 10 vergleichbare Ausgangsfrage (wer ist der legitime König Israels?) mit vergleichbarer Metaphorik argumentativ geklärt. Die Brücke zu Joh 10 bildet Ez 34,23f., die Verheißung eines messianischen ‚guten Hirten‘ aus dem Hause Davids.352 – Das Motiv der Sammlung der Herde findet sich weiterhin in Ez 37,21-24 (der davidische Messias als ‚einziger Hirte‘); Jer 31,10 (Gott als ‚Hirte‘ Israels, der das Volk zerstreut und wieder zusammenbringt), PsSal 17,40 (der königliche Messias als ‚Hirte‘ Israels) und 4 Esr 5,18 (der Prophet als ‚Hirte‘ des Volkes).353 – Auch außerjüdisch ist die Hirtenmetaphorik verbreitet und wird dort, jüdischen Texten vergleichbar, beim Thema der Staatslenkung eingesetzt.354 – Das innovative Potenzial der Parömie Joh 10 ist darin zu sehen, dass der ‚gute Hirte‘ sein Leben für die ‚Schafe‘ gibt und ihnen (dadurch) ein Leben in Fülle schenkt. Auch das Motiv, dass der ‚Hirte‘ Jesus mehrere ‚Herden‘ zusammenführt, ist neu. g) Klärung des theologischen Bezugsrahmens

Die einzelnen Aspekte des theologischen Bezugsrahmens gestalten sich wie folgt: 1. theologischer Aspekt: Dieser kommt in der Hirtenrede nur am Rande zum Tragen. Gott ist der ‚Vater‘ des ‚guten Hirten‘ Jesus; beide haben ein vertrautes und inniges Verhältnis zueinander (V.15.17). Der Vater hat dem Sohn die ‚Herde‘ anvertraut. Was in Gottes Hand ist, kann ihm niemand entreißen (V.29). 2. christologischer Aspekt: Die Klärung der Identität und Vollmacht Jesu ist Thema des Textes. Jesus ist der legitime ‚Hirte‘ des Volkes Israel. Möchte man Zugang zum Volk (um es zu führen oder an ihm teilzuhaben) finden, geht an ihm als ‚Tür‘ kein Weg vorbei. Jesu Tod ist ein souveräner, freier Akt, um das Volk zum Leben zu führen und die Einheit aller Glaubenden herzustellen (V.16-18). Damit ist der Tod Jesu größtes Legitimationszeichen; danach wird er das Leben neu in Empfang nehmen; das ist sein göttlicher Auftrag (gr. entolḗ, V.18b). – Die Aussage ‚Ich und der Vater sind eins‘ (V.30)

352 353 354

In Joh 6,15, im Anschluss an das Speisungswunder, kommt die königliche Messiaser‐ wartung an Jesus zum Ausdruck. Neutestamentliche Belegstellen sind, neben Mk 6,34: Eph 4,11; 1 Petr 2,25; Hebr 13,20. Texte bei Berger/Colpe 1987, 170 f.

4.4 Identitätsgleichnisse und -metaphern

ist nicht im Sinne einer Identität, sondern im Sinne des gleichen Willens zu verstehen und gleichwohl provokativ.355 3. pneumatologischer Aspekt: Der Aspekt fehlt auch hier. 4. kosmologischer Aspekt: Die Welt liefert das Anschauungsmaterial und wird in Gestalt der falschen ‚Hirten‘ und der Gefahren, die auf Israel und die Gemeinde warten, greifbar. Der Kosmos ist ein grundsätzlich feindlicher, beängstigender Ort, der freilich durch Christus überwunden ist (Joh 16,33). Die ‚Schafe‘ stehen unter dem wirksamen Schutz Gottes und des ‚guten Hirten‘ (Joh 10,28-30). 5. anthropologischer Aspekt: Nicht nur die konkret gemeinten ‚Schafe‘, sondern Menschen überhaupt sind Wesen, die der Führung bedürfen und auf Schutz angewiesen sind (vgl. auch Mk 6,34). 6. ekklesiologischer Aspekt: Die Gemeinde ist die ‚Schafherde‘ Jesu. Sie kennt seinen Namen und seine Stimme, erkennt ihn als den ‚guten Hirten‘ an, gehorcht und folgt ihm nach. Daher gilt ihr die Verheißung eines heilvollen Lebens (V.9). Entscheidend ist laut Joh 10 die Einheit der Gemeinde aus ehemaligen Juden und Nichtjuden. Das ist das Vermächtnis Jesu (V.16; Joh 7,35; 11,52; 17). 7. ethischer Aspekt: Nachfolgen und gehorchen sind zwei wesentliche Ele‐ mente der Ethik des Textes. Wichtig ist auch, sich von ‚falschen Hirten‘ abzugrenzen, welche die Einheit und Existenz der Gemeinde gefährden (z. B. Irrlehrer, vgl. 1 Joh!). Jesu Bereitschaft, für die Freunde sogar zu sterben, erscheint nicht in Joh 10, aber in Joh 15,12f. vorbildlich im Sinne einer christlichen Freundschaftsethik. 8. soteriologischer Aspekt: Das Leben in Fülle wird vom ‚guten Hirten‘ Jesus und letztlich von Gott selbst gestiftet und verheißen. Wer sich an Jesus hält, ihn als ‚Tür‘ zum Heil nutzt und sich zu seiner ‚Herde‘ hält, wird selig werden (V.9). – Auch die Einheit der Gemeinde hat soteriologische Qualität; dies wird nicht ausdrücklich gesagt, ist aber aus dem hohenpriesterlichen Gebet Joh 17 zu schließen. 9. eschatologischer Aspekt: Mit dem Kommen und Wirken des Gottessohns ist die letzte entscheidende Phase der Geschichte angebrochen: Jetzt ist

355

Dazu vgl. Erlemann 2012, 37f.

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die Zeit des Bekenntnisses zum ‚guten Hirten‘ Jesus, jetzt ist die Zeit der Nachfolge und des Gehorsams, jetzt ist die Zeit, in der die falschen ‚Hirten‘ entlarvt und entmachtet werden. Die Reaktion auf Jesu Worte und Wunder ist ambivalent. Darin vollzieht sich die krísis, die Trennung zwischen denen, die selig werden, und den Anderen. Das Endgericht vollzieht sich im Wirken Jesu gleichsam in erster Instanz (vgl. Joh 5,19-30). h) Theologische Formulierung der Pointe

Auf der theologischen Ebene lautet die Pointe der ‚Hirtenrede‘: Da Jesus sogar sein Leben für das Wohl der ihm anvertrauten Menschen geopfert hat, ist die Legitimität seines Führungsanspruchs eindeutig und eindrücklich erwiesen. i) Zusammenfassung

Joh 10,1-18 klärt auf der Grundlage eines gängigen Bildes und unstrittiger Erfahrungen die Identität Jesu als legitimer ‚guter Hirte‘ Israels und der Gemeinde. Die Erkennungsmerkmale eines guten Hirten (Fürsorglichkeit, Vertrautheit, Engagement, emotionale Bindung, Einsatz mit Leib und Leben, heilvolle Wirkung) treffen, im Gegensatz zu konkurrierenden, falschen ‚Hirten‘, auf Jesus zu. 4.4.2 Der Leib Christi (1 Kor 12,12-31) a) Analyse des Bildspenders: Realien

Der Text beschreibt, unter welchen Voraussetzungen ein menschlicher Körper funktioniert. Entscheidend ist das harmonische Ineinandergreifen der einzelnen Organe und Glieder, die im Körper zu einer korporativen Einheit verbunden sind. Kein Organ, kein Körperteil kann für sich alleine existieren oder die Funktion eines anderen Körperteils übernehmen. Die innere Differenzierung ist nötig, damit der Mensch vielfältige Aufgaben wahrnehmen kann. Alle Organe und Glieder sind gleichwertig; fällt eines aus, leidet der ganze Körper. – Die Schilderung der Körperfunktionen ist realistisch und in der Sache unstrittig. Sie ist freilich kein medizinisches Lehrstück, die Schilderung ist vielmehr mythisch zugespitzt: Die einzelnen Körperteile werden personifiziert, sie können sprechen, zeigen hierarchi‐ sches Denken, wenn nicht ‚Alleinvertretungsansprüche‘ und separatistische Tendenzen (V.15-26). Diese Zuspitzung ist der theologischen Aussageabsicht geschuldet.

4.4 Identitätsgleichnisse und -metaphern

b) Abgrenzung, Textlinguistik, Gliederung

In 1 Kor 12,1-11 beschreibt Paulus die vielfältigen Geistesgaben der Ge‐ meinde, die auf das Wirken des Heiligen Geistes zurückgeführt werden (V.11). Geist, Christus und Gott sind das Band, das die unterschiedlichen Charismen zusammenhält. Mit V.12a beginnt ein neuer Sinnabschnitt, der durch ‚denn wie…‘ (gr. katháper) als vergleichende Rede gekennzeichnet ist. Die semantische Ebene wechselt zur Leibmetaphorik. Einzelne Elemente sind (in geraffter Form): ‚Leib‘ (gr. sṓma), ‚Glieder‘ (gr. mélē) sowie ein‐ zelne Körperteile wie Hand, Fuß, Auge, Ohr etc. Die Körpermetaphorik wird nach verschiedenen Aspekten hin entfaltet, ohne eine erzählerische Geschlossenheit zu erreichen. Die Metaphorik dient dazu, das kontextuelle Argumentationsziel (alle Glieder sind aufeinander angewiesen; es gibt keine Hierarchie der Körperteile; die Harmonie der Glieder und Organe ist für das Funktionieren des Körpers verantwortlich) plausibel zu machen. Ohne erzählerische Geschlossenheit und Spannungsbogen gibt es auch keine Basisopposition, dafür jedoch strukturierende Begriffspaare: viele Glieder vs. ein Leib, Fuß vs. Hand, Ohr vs. Auge etc., Diversität der Glieder vs. Zusammengehörigkeit, starke vs. schwache Glieder, notwendige vs. unnötige Körperteile, hohes vs. geringes Ansehen, Spaltung vs. Eintracht. – Inhaltliche Schwerpunkte sind separatistische Tendenzen im Körper (V.14-16.25), Alleinvertretungsansprüche einzelner Teile (V.17) und gegen‐ seitige Bewertungen (V.21-24). Das Argumentationsziel bildet die Klammer um die Körpermetaphorik: Der eine Körper lebt von unterschiedlichen Glie‐ dern und Organen; diese sind ausschließlich dazu da, zum Funktionieren des Ganzen beizutragen (V.12.24b.25.27). Die Gemeinde hat als ‚Leib Christi‘ eine besondere Position und Verantwortung (V.12f.27). Dies gilt insbesondere für die charismatischen Funktionsträger (V.28-31). c) Erzählinterne Formulierung der Pointe

Erzählintern ist die Pointe wie folgt formulierbar: Nur wenn alle Körperteile in Harmonie und gegenseitiger Wertschätzung ihre Arbeit tun, tragen sie zum Funktionieren des Körpers bei und erfüllen damit ihre natürliche Bestimmung. d) Textpragmatik, Grunderfahrung, Gleichnistyp

Das unstrittige Bildfeld ist eine ideale Wahl des Apostels, um das Argumen‐ tationsziel zu untermauern und plausibel zu machen. Die Körpermetaphorik wird ökonomisch nach ausgesuchten Aspekten hin entfaltet. Konstitutiv ist das Verhältnis von einzelnen Teilen und dem Ganzem (V.12); das wird

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4 Musterexegesen und Theologie

zwischendurch in Erinnerung gerufen (V.20.27). Die Personifizierung der einzelnen Körperteile mit ihren Redeanteilen sowie von Paulus eingestreute, rhetorische Fragen (V.15b.16b.17.19b.29f.) sorgen für dramaturgische Span‐ nung. Die argumentative Gedankenführung, die fehlende erzählerische Ge‐ schlossenheit und die pointierte metaphorische Prädikation der Gemeinde in V.27 (‚Ihr seid der Leib Christi und jeder Einzelne ein Glied‘) zielen auf die besondere Identität und Dignität der christlichen Gemeinde sowie auf ihre Existenzgrundlage: Die Gemeinde ist der ‚Leib Christi‘ und steht daher in der besonderen Verpflichtung, durch innere Harmonie und Einheit das Wirken Christi in der Welt zu fördern (V.12b). Tendenzen, innergemeindliche Hierar‐ chien zu errichten, sowie die Selbstprofilierung Einzelner auf Kosten anderer erscheinen angesichts der Körpermetaphorik als unnatürlich (V.27-31). Die vorreligiöse Grunderfahrung ist unmittelbar physisch-leiblich: Ein Körper funktioniert nur so gut wie seine Glieder und Organe. Ist ein Körperteil krank, leidet der ganze Körper (V.26). Ebenso leuchtet unmittelbar ein, dass Augen nicht hören und Hände nicht laufen können. e) Kontextbezug und Ausgangsfrage

1 Kor 12 handelt von der christlichen Gemeinde, ihren Charismen, ihrem Zusammenhalt und ihrer transzendenten Bestimmung. Gott, Christus und Heiliger Geist sind die Grundlagen der Gemeinde und gemeinsamer Flucht‐ punkt aller Gemeindeglieder (1 Kor 12,4). Damit die Gemeinde funktioniert, müssen die einzelnen Glieder und Gaben harmonisch zusammenwirken. Indem sie funktioniert, wird die Gemeinde ihrer transzendenten Bestim‐ mung gerecht: Sie ist ‚Leib Christi‘ und bildet mit Christus als dem ‚Haupt‘ (Eph 1,22; 4,15) eine organische Einheit. Damit Christus in der Welt publik wird und wirken kann, hat die Gemeinde vom Heiligen Geist Charismen, von Christus Dienste und von Gott Wunderkräfte verliehen bekommen (1 Kor 12,4). Die Gaben sollen das göttliche Heilshandeln in der Welt erfahrbar machen. Deshalb erinnert Paulus an die ‚Geschäftsgrundlage‘ der Gemeinde (V.13) und bringt ihre transzendente Bestimmung auf den Punkt (V.27). Der ‚Leib Christi‘ ist kein profaner ‚Interessenverein‘; daher hat sie dafür zu sorgen, dass er intakt ist und dem ‚Haupt‘ zuarbeiten kann. – Mit dem Ausblick auf die Liebe (gr. agápē) als höchstem Charisma (1 Kor 13) endet der Abschnitt. – Die Ausgangssituation des Textes ist in der fehlenden gegenseitigen Wertschätzung der Gemeindeglieder bzw. Charismenträger

4.4 Identitätsgleichnisse und -metaphern

zu sehen: Die einen halten sich für besonders wichtig, die anderen leiden darunter bzw. sind mit ihrer Rolle unzufrieden. f) Klärung der Metaphorik

Die Metaphorik erklärt sich textintern und aus dem unmittelbaren Kontext: V.12b und 13 zufolge verweist der ‚Leib Christi‘ auf die Gemeinde, die ein‐ zelnen ‚Glieder‘ auf die Gemeindeglieder. Die aufgeführten Körperteile sind nicht auszudeuten; sie stehen mitsamt der kritisierten Fehlhaltung für un‐ terschiedliche Gemeindeglieder und Charismenträger. Das Gegensatzpaar ansehnlich vs. unansehnlich (V.23f.) deutet auf soziale Gegensätze hin, die durch die Taufe aufgehoben sein sollten (V.12f.24). Der unausgesprochene Kopf des ‚Leibes‘ ist Christus (vgl. Eph 1,22; 4,15; Kol 1,18; vgl. 1 Kor 11,3). Der ‚Leib‘ ist auf den ‚Kopf‘ hin ausgerichtet, der ohne funktionierenden ‚Leib‘ in der Welt nicht wahrnehmbar wäre. g) Klärung des theologischen Bezugsrahmens

Aus den Textbeobachtungen ergibt sich folgender theologischer Bezugs‐ rahmen: 1. theologischer Aspekt: Gott hat den ‚Leib‘ der Gemeinde zusammenge‐ fügt, soziale Differenzen nivelliert und die gemeindlichen Funktionsträger eingesetzt (V.24.28). Damit ist Gott als der Schöpfer der Gemeinde gekenn‐ zeichnet. Die soziale Komponente des Gottesbildes lautet: Gott ist der Anwalt der Gerechtigkeit, der soziale Ungleichheiten ausgleicht; diese sollen in der christlichen Gemeinschaft keine Rolle spielen. 2. christologischer Aspekt: Christus ist der (unausgesprochene) ‚Kopf‘ der Gemeinde; diese ist auf ihn hin ausgerichtet und macht ihn in der Welt erfahrbar. 3. pneumatologischer Aspekt: Der Geist ist das einigende Band zwischen den einzelnen Gemeindegliedern und sozialen Gruppen innerhalb der Ge‐ meinde. Durch die eine, gemeinsame Taufe sind alle miteinander verbunden; soziale Unterschiede zwischen Juden und Nichtjuden sowie Sklaven und Freien sind bedeutungslos (vgl. Apg 10,44f.; Gal 3,28). Der Geist ist für das Christusbekenntnis und die unterschiedlichen Begabungen in der Gemeinde gleichermaßen zuständig (V.3f.). 4. kosmologischer Aspekt: Die Welt wird nicht thematisiert; der Text fokus‐ siert ausschließlich die Gemeinde. Zwischen den Zeilen kommt die Welt als

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4 Musterexegesen und Theologie

Ort sozialer Ungleichheit und ethnischer Aus- und Abgrenzung zur Sprache (V.23-25). 5. anthropologischer Aspekt: Erkennbar ist die menschliche Tendenz, sich auf Kosten der Mitmenschen zu profilieren und sich selbst für allzu wichtig zu nehmen. Die Körpermetaphorik bestätigt, dass der Mensch ein auf Gemeinschaft angelegtes Wesen ist (gr. zṓon politikón, Aristoteles, Politika I, 2; III, 6). 6. ekklesiologischer Aspekt: Die Gemeinde ist ‚Leib Christi‘ und als solcher von anderen Gemeinschaften klar unterschieden. Sie besitzt mit dem er‐ höhten Christus als ‚Haupt‘ eine transzendente Identität; dieser soll sie durch ihr Zusammenspiel gerecht werden. Dadurch, dass sie funktioniert, wird Christus mit seiner Botschaft in der Welt sichtbar und spürbar; so lautet der Anspruch, der aus dem Erwählungsstatus der Gemeinde erwächst (vgl. Mt 5,13-16, Bild von Salz und Licht). 7. ethischer Aspekt: Um ihrer Bestimmung gemäß zu leben, kommt es in der christlichen Gemeinschaft vor allem auf gegenseitige Wertschätzung, Rücksichtnahme und Selbstzurücknahme an. Jede(r) soll der Gemeinschaft mit derjenigen Gabe dienen, die er vom Geist empfangen hat, und sich nicht anmaßen, andere Funktionen mit übernehmen oder überflüssig machen zu können (V.27-31). Die geforderte Haltung heißt in V. 25 ‚einträchtige Fürsorge‘. 1 Kor 13 formuliert es anders: Die Liebe ist das höchste Charisma und zugleich Inbegriff des geforderten Handelns. 8. soteriologischer Aspekt: Dass die Einheit in der Gemeinde Heilsrelevanz hat, erschließt sich indirekt: Lebt die Gemeinde ihrer göttlichen Bestimmung entsprechend, macht sie die christliche Heilsbotschaft in der Welt publik. 9. eschatologischer Aspekt: Mit der Einsetzung der Gemeinde als ‚Leib Christi‘ und mit den verliehenen Geistesgaben sind endzeitliche Größen markiert (vgl. Apg 2,17-21; Röm 12; 1 Kor 12 u. a.). Jetzt ist die Zeit, in der die frohe Botschaft in der Gemeinde manifest sowie für die Öffentlichkeit sichtbar und erlebbar wird. h) Theologische Formulierung der Pointe

Theologisch lautet die Pointe: Wenn alle Gemeindeglieder in Harmonie und gegenseitiger Wertschätzung ihre Arbeit tun, werden sie ihrer von Gott, Christus und dem Heiligen Geist zugesprochenen Sonderstellung als ‚Leib

4.4 Identitätsgleichnisse und -metaphern

Christi‘ gerecht und tragen dazu bei, dass das Evangelium in der Welt spürbar und glaubwürdig wird. i) Zusammenfassung

1 Kor 12,12-31 ist Teil einer längeren Argumentation, die den Sonderstatus der christlichen Gemeinde umschreibt und Konsequenzen daraus zieht. Der Sonderstatus besteht darin, der in der Welt sichtbare ‚Leib Christi‘ zu sein, durch den Christus, unterstützt durch den Heiligen Geist mit seinen Charismen, weiterhin in der Welt wirkt. Die Charismen sind zum Wohl des Ganzen einzusetzen; jedes Gemeindeglied hat dabei seine konkrete Bestimmung. Entscheidend für die Glaubwürdigkeit der Gemeinde und ihrer Botschaft ist ihre Authentizität als Gemeinschaft, in welcher der Heilige Geist sichtbar, spürbar und heilvoll wirkt. Konkret bedeutet das die Überwindung sozialer und ethnischer Unterschiede, gegenseitige Rück‐ sichtnahme und Wertschätzung sowie Selbstzurücknahme und gegenseitige Fürsorglichkeit, kurz: Die Gemeinde verkörpert den Geist der Liebe und der Eintracht. 4.4.3 Das Angeld der Erlösung (2 Kor 1,22 u. a.)

Die Bezeichnung des Heiligen Geistes als ‚Angeld‘ bzw. ‚Vorschuss‘ (gr. arrabṓn, 2 Kor 1,22; 5,5 und Eph 1,13f.) ist eine Identitätsmetapher mit weitreichenden Implikationen für das Gottesbild, das Geistverständnis und die Soteriologie. a) Analyse des Bildspenders: Realien

Die Gabe des Geistes als eschatologisches ‚Angeld‘ bzw. ‚Unterpfand‘ impli‐ ziert eine Naherwartung der Parusie und motiviert dazu, die Zeit bis zum vollständigen Eintreffen des Heils durchzuhalten (2 Kor 5,1-9: himmlische Heimat, neue Körperlichkeit; Eph 1,13f.: Erbe, Erlösung). Mit der Gabe des Geistes schenkt Gott den Glaubenden die Gewissheit, dass ihre Hoffnung nicht trügt (2 Kor 1,21f.). Der Begriff des arrabón ist der antiken Rechtssprache entnommen.356 Das ‚Angeld‘ bzw. der ‚Vorschuss‘ ist Teil eines Kauf-Vorvertrags. Sie wird zur Absicherung des Handels vom Käufer an den Verkäufer geleistet. Kommt der Kauf doch nicht zustande, kann der Verkäufer den Vorschuss 356

Zum Folgenden vgl. Erlemann 1992.

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4 Musterexegesen und Theologie

einbehalten.357 Der Käufer ist damit nicht de jure, aber de facto zur Einhaltung des Kaufvertrags verpflichtet. Das gilt auch für den Verkäufer: Er kann die Ware nicht mehr anderweitig verkaufen; sie ist für den Käufer reserviert. – Die metaphorische Bezeichnung des Heiligen Geistes als arrabón setzt ein Rechts- und Geschäftsverhältnis zwischen Gott und den Glaubenden voraus. So realitätsnah der juristische Vorgang auch geschildert wird – es gibt eine Extravaganz: Die Rollen erscheinen vertauscht; die Glaubenden sind diejenigen, die etwas erhalten sollen, also die ‚Käufer‘. Gott hingegen ist derjenige, der etwas zugesagt hat, sprich: der ‚Verkäufer‘. Extravagant ist es, dass bei der Vorschussmetapher der ‚Verkäufer‘ anstelle des ‚Käufers‘ ein ‚Angeld‘ leistet. Dieser Rollentausch ist theologisch aufschlussreich (s. u.). b) Abgrenzung, Textlinguistik, Gliederung

Da es sich um eine Identitätsmetapher ohne narrative Entfaltung handelt, entfällt die textlinguistische Analyse. c) Erzählinterne Formulierung der Pointe

Die Pointe ist, mangels narrativer Ausführung, nur theologisch formulierbar (s. u.). d) Textpragmatik, Grunderfahrung, Gleichnistyp

Auch die textpragmatische Analyse entfällt. Aufgrund der Thematik lässt sich die Metapher den Identitätsmetaphern zuordnen: Sie klärt über den Heiligen Geist und seine soteriologische bzw. eschatologische Bedeutsam‐ keit auf. Die Gabe des Heiligen Geistes markiert, das macht die Metapher deutlich, einen endzeitlichen Vorgang, der die ersehnte Erlösung in abseh‐ bare Nähe rückt; denn, ist der ‚Vorschuss‘ erst einmal geleistet, ist die Durchführung des ‚Kaufgeschäftes‘ in absehbarer Zeit zu erwarten. Damit ist die vorreligiöse Grunderfahrung benannt. e) Kontextbezug und Ausgangsfrage

Die Metapher bekräftigt in allen drei Belegtexten die Glaubensgrundlagen. 2 Kor 1,18-22 betont, dass der treue Gott zu seinen Verheißungen steht. Jesus Christus war das eindeutige ‚Ja‘ Gottes zu den Menschen (V.18-20), das für alle noch ausstehenden Verheißungen gilt (V.20). Salbung, Versiegelung und 357

Vgl. Salomons 1976, 40. Dort finden sich Angaben zur Höhe des Angelds und weitere Details.

4.4 Identitätsgleichnisse und -metaphern

Ausgießung des Geistes in die Herzen sind ‚Versicherungsleistungen‘ Gottes, damit die Glaubenden die Hoffnung nicht verlieren (V.21f.). – In 2 Kor 5,1-9 beschreibt Paulus seine Gemütslage, die man heutzutage wohl als depressiv bezeichnen würde (V.2.4.8: Todes- und Erlösungssehnsucht). Zugleich hat Paulus Angst vor dem Tod (V.3, Stichwort Tod als ‚Nacktsein‘). Der Geist als ‚Vorschussleistung‘ Gottes ist ein positives Gegengewicht; er macht dem Apostel Mut, seinen Weg weiterzugehen und Gott mit seinem Dienst zu gefallen (V.9). – Eph 1,1-14 beschreibt hymnisch das Erlösungswerk Christi: Die gesamte Weltgeschichte läuft auf Sündenvergebung (V.7) und Einsetzung der Glaubenden als ‚Erben‘ hinaus (V.11). Als ‚Unterpfand‘ für die ausstehende Erbschaft wurden die Glaubenden bei der Taufe mit dem Heiligen Geist versiegelt (V.13f.). Diese Maßnahme sorgt für ihre Erlösung, wie überhaupt die gesamte Heilsgeschichte dem Lob der Herrlichkeit Gottes dient (gr. dóxa, V.12.14). – Die hinter allen drei Texten zu vermutende Ausgangsfrage lautet: Ist es sicher, dass Gott seine Verheißungen (noch) wahr machen wird? Zweifel und Skepsis in einer Zeit, die wenig Erlösung erkennen lässt, fordern eine theologische Antwort. Die Angeldmetapher dient, wie andere auch, der Festigung der Glaubensgewissheit.358 f) Klärung der Metaphorik

Der Methodenschritt entfällt, denn die Rede arrabón ist eindeutig determi‐ niert. g) Klärung des theologischen Bezugsrahmens

Die Angeldmetapher hat großes theologisches Potenzial. Die Einzelaspekte sind: 1. theologischer Aspekt: Als Geber des arrabón untermauert Gott die Treue zu seinen Verheißungen. Der festgestellte Rollentausch zeigt, dass die Einlösung seiner Verheißungen Gottes größtes Interesse ist. Hierfür legt er sich durch die Gabe des Geistes gleichsam juristisch selbst fest – was er nicht müsste. Eigentlich wäre der Mensch gefragt, für seine Erlösung in irgendeiner Weise in Vorleistung zu gehen. 2. christologischer Aspekt: Die Vorschussmetapher hat keine explizit chris‐ tologische Zuspitzung. Im Kontext gilt Jesus Christus als das eindeutige ‚Ja‘ Gottes zu den Menschen, das durch die Gabe des Geistes noch einmal 358

Weiter dazu Erlemann 2001.

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4 Musterexegesen und Theologie

bekräftigt wird (2 Kor 1,18-22). – Eph 1 zeigt, dass Jesus Christus der Rahmen der gesamten Heilsgeschichte ist (V.3f.10f.). Auch hier ist die Versiegelung mit dem Geist ein (letztes) bekräftigendes Vorzeichen Gottes für die anstehende Erlösung. 3. pneumatologischer Aspekt: Der Heilige Geist ist ein eminent soteriolo‐ gisches und eschatologisches Zeichen – soteriologisch insofern, als sich Gott mit dieser Gabe gleichsam juristisch auf die Erlösung festgelegt hat; eschatologisch insofern, als mit der ‚Vorschussgabe‘ der eigentliche ‚Handel‘ (die Erlösung) absehbar geworden ist. Die einzelnen Geistesgaben werden nicht expliziert. 2 Kor 5,5 zeigt jedoch, dass der Geist beim Apostel für Trost, Entspannung und Motivation sorgt. 4. kosmologischer Aspekt: Die Existenz der Welt ist laut Eph 1 kein Zufall oder Selbstzweck; die gesamte Weltgeschichte steht vielmehr unter dem Vorzeichen des Erlösungswerkes Christi. Mit der Gabe des Geistes ist das Ende der Welt nahe gerückt (Eph 1, vgl. Apg 2,17). Die Welt sorgt jedoch weiter für Zweifel an den Zusagen Gottes. Eschatologische Hoffnung ist Hoffnung contra facta visibilia. 5. anthropologischer Aspekt: Die Menschen sind laut der Vorschussmetapher und ihrem Kontext erlösungsbedürftig. Die Glaubenden stehen als Emp‐ fänger des ‚Vorschusses‘ unter besonderer göttlicher Fürsorge. 6. ekklesiologischer Aspekt: Mit der Geistesgabe wird die Gemeinde, die schon immer auf Christus gehofft hat, in ihren Glaubensgrundlagen gefestigt (Eph 1,12-14). Sie ist die Gemeinschaft derer, die bei der Taufe mit dem Geist versiegelt wurden (2 Kor 1,21; Eph 1,13), und damit das ‚Unterpfand‘ der Erlösung bereits in Händen halten. Sie sind Erben der Erlösung und zum Eigentum Gottes bestimmt (Eph 1,14). Auch Paulus profitiert von der Kraft des Geistes (2 Kor 5,5). 7. ethischer Aspekt: Die Antwort der Glaubenden auf das Geschenk des Geistes besteht im Lobpreis Gottes (2 Kor 1,20; Eph 1,12.14) und in der gewissenhaften Erfüllung der gestellten Aufgaben (2 Kor 5,1-9) – alles zur Verherrlichung Gottes. 8. soteriologischer Aspekt: Die Erlösung des Menschen ist, so zeigt die Vorschussmetapher, ein Grundanliegen Gottes. Er tauscht sogar die Rollen, um auf dem Weg zur Erlösung weiterzukommen. Gott setzt die Erlösung selbst in Szene und dokumentiert seine Treue, indem er seinen Geist in

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

die Herzen der Getauften gibt (2 Kor 1,22). Der Anteil des Menschen an der Erlösung ist vergleichsweise gering und trotzdem wichtig: Er führt ein Leben, das der Verherrlichung Gottes dient (2 Kor 1,20; Eph 1,12.14). Für Paulus ist die treue Pflichterfüllung auch im Blick auf das bevorstehende Endgericht bedeutsam (2 Kor 5,10). 9. eschatologischer Aspekt: Mit der Gabe des Geistes ist das Ende absehbar geworden; der ‚Vorschuss‘ signalisiert den kurz bevorstehenden Abschluss und Höhepunkt des Heilshandelns Gottes. Mehr noch: Mit der Geistesgabe halten die Glaubenden bereits einen Anfang der Erlösung in Händen, der das Ganze verbürgt. h) Theologische Formulierung der Pointe

Die Pointe lautet theologisch so: Mit der Gabe des Heiligen Geistes bekräftigt Gott die Verlässlichkeit seiner Verheißungen, schenkt den Glaubenden einen ersten Teil der bevorstehenden Erlösung und hilft ihnen aus Zweifeln und Mutlosigkeit heraus. i) Zusammenfassung

Die Metapher vom Heiligen Geist als ‚Vorschuss‘ bzw. ‚Angeld‘ der Erlösung ist eine kleine theologische Kostbarkeit: Sie zeugt von Gottes unbedingtem Willen, sein Erlösungswerk zu vollenden, und zwar schon in absehbarer Zukunft. Er selbst ergreift die Initiative; er geht, gegen alle Erwartung, in Vorleistung, um die Hoffnung der Glaubenden zu bestätigen und Zweifel an seiner Treue auszuräumen. 4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse Der Abschnitt führt die theologischen Aspekte der Musterexegesen zu‐ sammen und erweitert sie. Dabei geht es ausdrücklich nicht um Vollstän‐ digkeit; die Darstellung fokussiert die Theologie vergleichender Aussagen im Neuen Testament.359

359

Zum Folgenden vgl. Erlemann 2017, 162-185.

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4 Musterexegesen und Theologie

4.5.1 Der theologische Aspekt a) Grundsätzliche Beobachtungen

Das Gottesbild in den vergleichenden Texten ist äußerst vielschichtig und nicht auf einzelne dogmatische Formeln zu reduzieren. Dagegen spricht der vergleichende und oft narrative Charakter der Aussagen. Sie verweisen auf einen dynamisch agierenden, mit den Menschen interagierenden Gott, bei dem man mit allem rechnen kann, nur nicht mit Mittelmaß. Wenn von Gott gesprochen wird, dann meistens in menschlichen Vergleichen und Metaphern, anthropomorph und anthropopathisch. Gott wird in den Gleichnissen menschlich, erscheint verlässlich und berechenbar. Doch er zeigt sich auch extravagant anders als seine Platzhalter in den Gleichnissen. Die Texte kehren Analogien zwischen Gott und Menschen heraus, bringen aber auch die entscheidenden Differenzen zur Sprache. Sie lassen das Got‐ tesbild in der Schwebe, legen Gott nicht auf bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensmuster fest; das ist die Leistung der Gleichnisse. Vergleichende Texte sind, zugespitzt formuliert, die einzige sprachliche Möglichkeit, von Gott zu reden, ohne das Bilderverbot zu verletzen. Sie sind keine dogmati‐ schen Lehrstücke und transportieren keine überzeitlich gültigen ‚religiösen Satzwahrheiten‘, wie Jülicher einst formulierte. Vergleichende Texte sind regelmäßig Teil längerer Argumentation und bieten Lösungsvorschläge für akute oder typische Fragen der Zeit. Die Summe der vergleichenden Aus‐ sagen über Gott ist dementsprechend auch kein dogmatisches Lehrgebäude, sondern ein an den Rändern offenes Puzzle.360 b) Der oberste Souverän

In hierarchisch strukturierten Gleichnissen verweist die kýrios-Figur auf Gott.361 Die kýrios-Figur kann durch unterschiedliche soziale Rollen ausge‐ füllt sein (König, Hausherr, Großgrundbesitzer, Vater, Vorgesetzter u. a.). In jedem Fall verkörpert sie die oberste Instanz, verbunden mit der entschei‐ denden Handlungsinitiative, den größten Redeanteilen und der höchsten Entscheidungsbefugnis. Sein Handeln und sein Urteil können nicht ange‐ fochten werden. Der kýrios ist der Souverän, dem die anderen Gleichnisfi‐ guren (Sammelbegriff: ‚Knechte‘, gr. doúloi) untergeben sowie zu Gehorsam,

360 361

Ausführlich dazu Erlemann 1999, 78f. Andere Bezugsgrößen sind im Einzelfall denkbar (Polyvalenz).

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

Loyalität und Rechenschaft verpflichtet sind. Der kýrios ist niemandem Rechenschaft schuldig; er erscheint aber immer berechenbar, verlässlich und letztlich auch gerecht, freilich nicht nach irdischen Maßstäben. Mit diesen Grundzügen des Gottesbildes stehen die neutestamentlichen Gleichnisse in einer breiten alttestamentlichen und frühjüdischen Tradition. c) Der immerzu wandelbare Gott

Insbesondere Natur- und Alltagsgleichnisse entfalten das Gottesbild sze‐ nisch. Zwischen den Szenen sind große Unterschiede, ja Gegensätze mög‐ lich: Der zuerst überaus barmherzige König wird am Ende zum erbarmungs‐ losen Despoten (Mt 18,23-35). Der Chef, der soeben seinen Geschäftsführer entlassen hat, lobt diesen am Ende wegen seiner Klugheit (Lk 16,1-9). Der anfangs fair handelnde Weinbergbesitzer degradiert am Ende die ‚Ersten‘ zu ‚Letzten‘ (Mt 20,1-16). Der extrem geduldige Weinbergbesitzer tötet am Ende seine ‚Pächter‘ (Mk 12,1-12parr.). Mit diesen Gegensätzen arbeiten die Gleichnisse unterschiedliche theologische und historische Erfahrungen auf: Gott wird als Schöpfer geglaubt und als Retter erhofft, aber zwischenzeitlich als ohnmächtig oder abwesend erfahren. Die Barmherzigkeit Gottes wird durch menschliches Fehlverhalten konterkariert (Mt 18,23-35), Menschen verweigern ihre Loyalität und rechnen nicht mit Gott (Mt 24,45-51; 25,14-30), Menschen weisen Gottes Ansprüche zurück und vergehen sich an seinen Boten (Mk 12,1-12parr.). Diese Erfahrungen verlangen eine differenzierte theologische Antwort. Sie besteht im Bild eines stets wandelbaren, immer wieder anders und überraschend agierenden Gottes, der in dynamischer Interaktion zu den Menschen steht. Der Eindruck von Ohnmacht wird ein‐ hellig zurückgewiesen; am Ende ist der kýrios regelmäßig und eindrucksvoll Herr der Lage und setzt seine Macht durch; Widerspruch ist zwecklos. Der Eindruck der Gottferne wird positiv als Chance zu ethischer Bewährung, als aktiv zu nutzende Zwischenzeit gedeutet. d) Der Gott der Extreme

Das Handeln des kýrios erscheint oft despotisch und willkürlich, aber auch außerordentlich fürsorglich und barmherzig. Er belohnt über die Maßen, bestraft aber auch denkbar hart (Mt 24,45-51; 25,14-30par.). Er ist unendlich barmherzig, aber verurteilt auch gnadenlos (Mt 18,23-35). Er hat Geduld ohne Ende, räumt aber am Ende kompromisslos auf (Mk 12,1-12parr.). Er sorgt für alle seine Arbeiter gleichermaßen, lässt sich in seine Entschei‐ dungen aber nicht reinreden (Mt 20,1-16). In alledem sprengt die Figur die

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4 Musterexegesen und Theologie

Grenzen des menschlich Denkbaren, kurz: Man muss bei Gott mit dem Besten, aber auch mit dem Schlimmsten rechnen; ein Mittelmaß gibt es nicht, denn es geht ums Ganze. Deshalb, und weil alles Undenkbare denkbar erscheint, ist kluge Prioritätensetzung die Ethik der Wahl (→ 4.5.7). e) Unbedingter, universaler Heilswille

Dieses Ganze ist das Kriterium, weshalb aus Barmherzigkeit, Fürsorge und Liebe quasi über Nacht Zorn, Strafe und Vernichtung werden können: Gottes universaler Heilswille, der allen Menschen gleichermaßen, ohne Ansehen der Person oder des sozialen Status’, gilt. Gott ist der Anwalt der Gerechtigkeit, die auch den ‚Letzten‘ gerecht wird (Mt 20,1-16). Er ist unendlich barmherzig und liebevoll, erwartet das aber auch von seinen Begünstigten. Wer anders handelt, überschreitet bei Gott eine rote Linie. Gottes Zorn ist eine Reaktion auf grotesk erscheinendes, menschliches Fehlverhalten, das seinem universalen Heilswillen diametral entgegenläuft. f) Partikularismus und Universalismus

Das neutestamentliche Gottesbild lebt von der Spannung zwischen Partiku‐ larismus und Universalismus: Auf der einen Seite erwählt Gott bestimmte Menschen, Gruppen und Völker, auf der anderen Seite gilt sein Heilswille als universal sowie soziale, religiöse und ethnische Grenzen sprengend. Der Universalismus im Gottesbild zeigt sich in vergleichenden Texten wie Mt 5,45par. (Gott lässt seine Sonne über Böse und Gute aufgehen und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte), Mk 4,3-9 (Gottes Wort fällt auf den ganzen Acker, nicht nur auf guten Boden). Auch das Böse lässt er gedeihen (Mt 13,24-30), Gute und Böse werden zur endzeitlichen ‚Hochzeitsfeier‘ eingeladen (Mt 22,1-14par.); Gott will, dass möglichst alle Menschen zur Umkehr finden (2 Petr 3,9; nicht vergleichend); kein einziges Schaf soll verloren gehen (Mt 18,12-14par.). Israel gilt seit den Erzvätern als Gottes erwähltes Volk. Daran lässt auch das Neue Testament keinen Zweifel (Röm 9-11 u. a.). Israel hat damit eine privilegierte Stellung, was die Frage nach Gottes Gerechtigkeit (Theodizee) aufwirft. Der Eindruck der Willkür wird dadurch relativiert, dass Erwählung vor allem Verpflichtung ist. Das gilt auch für die christliche Gemeinschaft: Sie ist ‚Salz der Erde‘ und ‚Licht der Welt‘ (Mt 5,13-16) und hat damit eine Schlüsselfunktion in Gottes Heilsgeschichte. Sie ist ein Leuchtturm der frohen Botschaft und soll in die Gesellschaft hineinwirken, die Liebe Gottes

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

in aller Welt publik machen (Mt 5,16). Wo sie das nicht tut, verspielt sie ihr Existenzrecht (Unnützes wird entsorgt; Mt 5,13b u. a.). Die zeitliche Strukturierung des Gottesbildes schlägt die Brücke zwischen Universalismus und Partikularismus: Die Gegenwart ist Zeit der Geduld, Sanftmut und Vergebungsbereitschaft Gottes. Solange sie andauert, ver‐ zichtet Gott auf die Durchsetzung seiner Allmacht und lässt Gutes und Böses nebeneinander existieren; unterschiedslos erhalten alle Menschen seine Einladung. Am Ende erfolgt jedoch die Trennung zwischen ‚Weizen‘ und ‚Unkraut‘ (Mt 13,24-30), würdigen und unwürdigen ‚Festteilnehmern‘ (Mt 22,11-14), klugen und unklugen ‚Brautjungfern‘ (Mt 25,1-13), ‚Ersten‘ und ‚Letzten‘ (Mt 19,30; 20,1-16; Mk 10,28-31) usw. Dementsprechend ist der gegenwärtige Dualismus als Chance für alle zu bewerten, ihrem Leben den entscheidenden Dreh zu geben. Menschen sind nicht kompetent, den Dualismus aufzulösen (Mt 7,1-15; 13,24-30); sie müssen mit dem Bösen leben und sich in Vergebungsbereitschaft üben (Mt 13,24-30; 18,23-35 etc.). g) Motive und Gefühle Gottes

Das Gottesbild der Gleichnisse ist nicht nur anthropomorph, sondern auch anthropopathisch. Viele Texte schreiben Gott bzw. der kýrios-Figur Gefühle zu. Dabei reicht die Bandbreite von geradezu närrisch zu nennender (Vater)Liebe, Freude und Vergebungsbereitschaft (Mt 18,23-35; Lk 15) über enttäuschte Erwartungen (Mk 12,1-12parr.), Zorn (Mt 18,23-35; 22,1-14) und Ungerechtigkeit (Mt 20,1-16; 25,14-30) bis hin zu Brutalität (Mt 24,45-51; Lk 19,11-27) und dämonisch anmutenden Zügen (Mt 24,45-25,13: Kommen des kýrios zur Unzeit). Die Gefühlslagen Gottes extrapolieren menschliche Gefühlslagen. Sie sind jedoch kein Zeichen despotischer Willkür oder von Unberechenbarkeit. Sie markieren bildhaft die Motive des Handelns Gottes, seine Werteskala und die ‚roten Linien‘, die man nicht überschreiten sollte. Das leitende Hand‐ lungsmotiv, das hinter den Gefühlen erkennbar wird, ist Gottes unbedingter Wille, die Menschen – und zwar alle! – zu einem guten Leben zu führen. Wohlergehen, Glück, Gerechtigkeit, Freude und gedeihliches Miteinander für alle Menschen, auch und gerade für die verloren Geglaubten, umreißen den Heilswillen Gottes und die frohe Botschaft Jesu. Die Gleichnisse zeigen aber auch die Kehrseite: Verweigern sich Menschen Gottes Heilswillen oder konterkarieren sie seine Vergebung und Liebe durch liebloses Verhalten den Mitmenschen gegenüber, schlägt die Gefühlslage im Gottesbild um.

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4 Musterexegesen und Theologie

h) Göttliche Werteskala

Manche Texte erwecken den Eindruck von Ungerechtigkeit. Das Weinberg‐ gleichnis Mt 20,1-16 etwa passt nicht zum menschlichen Gerechtigkeitsemp‐ finden. Den ‚Letzten‘ und ‚Ersten‘ gleich viel Lohn auszuzahlen, ist für die ‚Ersten‘ eine schallende Ohrfeige. Der kýrios hält ihnen das Konzept einer Gerechtigkeit entgegen, die mit Güte gepaart ist und selbst den ‚Letzten‘ noch gerecht wird; eine Gerechtigkeit ohne ‚Abstandsgebot‘ und Proporz, ohne Ab- bzw. Ausgrenzung. Ausgleich sozialer Unterschiede und Fürsorge für die ‚Letzten‘ und ‚Kleinen‘ entsprechen der göttlichen Werteskala: Ganz oben stehen, unterschiedslos für alle, Lebensmöglichkeit, Glück und Freude. Davon profitieren naturgemäß die gesellschaftlich Ausgegrenzten, ‚Verlorenen‘ und Abgeschriebenen am ehesten. Für die anderen ist das Konzept eine provokative Zumutung. In den Gleichnissen finden sich zahlreiche solcher Geschichten und Motivlagen. Die ‚Ersten‘ gönnen den ‚Letzten‘ ihren Lohn nicht, der ältere Bruder des Rückkehrers verweigert die Mitfreude, der Pharisäer wird nicht gerechtfertigt, dafür der Zöllner usw. An despotische Willkür erinnern die Zerstörung der Stadt der Hoch‐ zeitsgäste und der Hinauswurf des Gastes ohne Hochzeitsanzug im Hoch‐ zeitsgleichnis Mt 22,1-14 (V.7.11-13). Dass der Chef einen Verwalter lobt, der soeben in Überschreitung seiner Kompetenzen ihn, den Chef, massiv hintergangen hat, lässt ebenfalls Fragen aufkommen (Lk 16,1-9). Weshalb der Ölplantagenbesitzer erst wilde Triebe aufpfropft, um sie eventuell wieder auszureißen, erschließt sich menschlichem Denken nicht sogleich (Röm 11,17-24). Solche Texte provozieren ein kluges Verhalten: Weil Gott mit den Menschen feiern möchte, sollten sie seine Einladung wertschätzen (Mt 22,1-14). Weil Gott möchte, dass auch Arme und Verschuldete befreit aufatmen können, sollten Begüterte ihren Besitz teilen (Lk 16,1-9; 16,19-31 u. a.). Weil Gott in seinem unergründlichen, aber heilvollen Plan sein Kommen hinauszögert, gilt es, wachsam zu sein und die Wartezeit aktiv zu nutzen (Mt 24,45-25,30). Heillos wäre es, auf dem eigenen Recht zu bestehen und sich der scheinbaren Willkür zu widersetzen (Mt 25,14-30). Wer so denkt und handelt, zieht am Ende den Kürzeren, denn Gott ist der Souverän. In den Gleichnissen, zumal den Alltagsgleichnissen, werden menschliche Werthierarchien hinterfragt und auf den Kopf gestellt. Gerade die Fälle, in denen das Verhalten der kýrios-Figur nicht nachvollziehbar, ungerecht und willkürlich erscheint, provozieren ein Umdenken, eine Korrektur der Prioritäten im Leben.

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

i) Fazit: Der zum vollen Leben befreiende Gott

Die Gleichnisse weisen auf die Wirklichkeit Gottes hin, die auf das Wohl und das Leben der Menschen ausgerichtet ist. Das steht in Gottes Werte‐ skala ganz oben. Um sie umzusetzen, ist ein Klima der Gerechtigkeit, das nicht abgrenzend, sondern mit Güte gepaart ist, ein Klima der gegensei‐ tigen Wertschätzung, des Gönnen-Könnens, aber auch der Barmherzigkeit und Nächstenliebe gefordert. Damit sind die Kernpunkte des Gottesbildes umrissen. Wer dies durch kleingeistiges, liebloses und unbarmherziges Verhalten konterkariert, provoziert Gottes Zorn. Bei diesem Gott ist kein Platz für Halbheiten, denn es geht ihm ums Ganze: um Versöhnung, Vergebung und um Leben in Fülle für alle. Das ist Inhalt und Ziel seiner Herrschaft, die mit Jesu Wirken einsetzt und die sich wie ausgestreutes Saatgut, wie ein Embryo, der im Mutterleib heranwächst, wie ein Senfkorn, das erstaunlich groß wird, in der Welt verbreitet. Gottes Herrschaft ist mit ihren Wohltaten das größte Glück für die Menschen – der ‚Schatz im Acker‘, das perfekte ‚Hochzeitsfest‘, um nur zwei gleichnishafte Umschreibungen zu zitieren. Um seine Herrschaft in der Welt zu etablieren und möglichst viele Menschen in ihren Genuss kommen zu lassen, verzichtet Gott zeitweise auf den Gebrauch seiner Allmacht und seines Allwissens. Stattdessen setzt er auf Sanftmut, Geduld und Gewaltverzicht sowie auf werbende Appelle und heilvolle Wunderzeichen, um die Herzen der Menschen für seine Sache zu gewinnen. Das skizzierte Gottesbild der Gleichnisse ist dementsprechend auf eines ausgerichtet: auf Glauben, Zustimmung und Umkehr der Men‐ schen, welche die Botschaft hören. 4.5.2 Der christologische Aspekt a) Vorbemerkungen

Längst nicht alle Gleichnisse tragen explizit etwas zur Christologie bei. In vielen erscheint Jesus lediglich als der Gleichniserzähler, der die Herzen der Menschen gewinnen möchte. Was über Jesus, seine Sendung und sein Geschick zu sagen ist, lässt sich oft an der kýrios-Figur der Gleichnisse ablesen. Diese ist in vielen Texten polyvalent und trägt dazu bei, Jesus gewis‐ sermaßen sprachlich zu vergöttlichen. Jesus erscheint als authentischer und vollmächtiger Repräsentant Gottes; so, wie er wirkt, wirkt Gott. In anderen Texten ist die kýrios-Figur nicht polyvalent, sondern nur auf Gott oder Jesus

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zu beziehen, und zwar dort, wo ‚Vater‘ und ‚Sohn‘ semantisch unterschieden werden und in getrennten Rollen erscheinen. Beispiele sind Mt 22,1-14 (Gott als Vater, der dem Sohn die Hochzeit ausrichtet), Mk 12,1-12parr. (Gott als Weinbergbesitzer, der seinen geliebten Sohn schickt), Mt 25,1-13 (Jesus als der Bräutigam, dessen Ankunft erwartet wird; vgl. Mk 2,18-20parr.). b) Sprachrohr Gottes

Als Gleichniserzähler ist Jesus das Sprachrohr Gottes; er ist, so Joh 1,18, der einzige autorisierte Ausleger Gottes. Jesus teilt den Menschen den Willen Gottes mit und öffnet ihnen ‚Fenster zum Himmel‘. Wer Gott ist, lässt sich an Jesu Wirken ablesen. Die Gleichnisse sind regelmäßig Teil längerer Argumentation, die das kontextuelle Verhalten Jesu kommentiert, erklärt und rechtfertigt. Gleichnisrede ist eine Kernkompetenz Jesu. Gleichnisse sind das sprach‐ liche Mittel seiner Wahl, um über Gott zu sprechen. Jesus vergleicht sich am Abschluss seiner Gleichnisrede Mt 13 mit einem Hausvater, der aus seinem Schatz Altes und Neues holt (Mt 13,52). Altes, das sind traditionelle Bildfelder und geprägte Metaphern; Neues, das ist die Abwandlung, Aktualisierung und Zuspitzung der Bilder. Dieser Vorgang führt zu einer Neupointierung des Gottesbildes, in welchem der Glaube an den Gott Israels weiterlebt, allerdings in provokativer Brechung (innovatives Potenzial). Ebenfalls mit Mt 13,52 angesprochen sind gängige, aber angesichts der nahen Gottesherr‐ schaft überholt und deplatziert scheinende Denk- und Verhaltensmuster (Altes), denen Jesus eine neue, heilvollere Art zu denken, zu handeln und zu leben gegenüberstellt (Neues). Die Reaktion auf die Gleichnisbotschaft erscheint ambivalent; sie polarisiert ähnlich stark wie die Wunderheilungen Jesu. c) ‚Promoter‘ der Gottesherrschaft

Als Wundertäter und Gleichniserzähler, überhaupt mit seinem ganzen Wirken, betätigt sich Jesus als ‚Promoter‘ des Gottesreiches. Er kündigt Gottes basileía an, macht mit positiven Vergleichen und Metaphern Appetit auf sie, bringt sie den Menschen nahe und lädt dazu ein, sich auf sie einzu‐ lassen und das Leben auf sie auszurichten. Die Gottesherrschaft kommt als ein Angebot, als ein Katalog der Wohltaten Gottes für die Menschen, als froh machende und befreiende Botschaft, gerade für die Unfreien, Versklavten und Ausgegrenzten der Gesellschaft daher. Mit und in seinen Gleichnissen wird die Herrschaft Gottes verständlich und plausibel; sie erscheint als

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

nahe und aktuelle Größe, als der entscheidende Faktor, der das Leben der Menschen unmittelbar und heilvoll betrifft.362 Wie die Herrschaft Gottes kommt, wie sie sich entwickelt und wie man in den Genuss der göttlichen Wohltaten kommt, ist Inhalt der Reich-Gottes-Gleichnisse. d) Sendung und Vollmacht

Die Bedeutung Jesu Christi umspannt die gesamte Weltgeschichte. Christus ist, in Identitätsmetaphern ausgedrückt, nicht nur ‚Ebenbild‘ (gr. eikṓn) des unsichtbaren Gottes, ‚Erstgeborener vor aller Schöpfung‘ (gr. protótokos pásēs ktíseōs) und Schöpfungsmittler, sondern auch ‚Haupt der Gemeinde‘ und ‚Erstgeborener aus den Toten‘, mit dem die allgemeine Totenauferste‐ hung beginnt (Kol 1,15-17). – Ähnlich formuliert Hebr 1,1-4: Christus ist Schöpfungsmittler und ‚Erbe des Alls‘ (gr. klērónomos pántōn), ‚Abglanz der göttlichen Herrlichkeit‘ (gr. apaúgasma tēs dóxēs) und ‚Ebenbild seines We‐ sens‘ (gr. charáktēr tēs hypostáseōs autoú). – Die Rede vom Schöpfungswort Gottes (gr. lógos, Joh 1,1-14) weist in dieselbe Richtung: Christus ist Urgrund, Inhalt und Ziel der Weltschöpfung (vgl. Eph 1). Die Gleichnisse klären auch Jesu Sendung: Er setzt den ‚Samen‘, sprich: das Evangelium, in die Welt und bringt damit die eschatologische Hoffnung Israels zur Erfüllung (vgl. Jes 61,1f.; vgl. Lk 4,18-21). – Als ‚Bräutigam‘ bereitet sich Jesus mit den Glaubenden auf die endzeitliche ‚Hochzeit‘ vor (Mt 22,1-14; 25,1-13; Mk 2,18-20). In dieser Rolle setzt Jesus das Lie‐ besverhältnis Gottes mit seinem Volk fort und bringt es zur Erfüllung: Der ‚Bräutigam‘ ist da, die ‚Hochzeit‘ steht unmittelbar bevor. – Jesus ist weiterhin der ‚gute Hirte‘, der für seine ‚Schafe‘ sorgt und sein Leben für sie lässt (Joh 10,1-18); er ist der einzig legitime Zugang zum Volk Gottes und der einzig legitime ‚Hirte‘ Israels. Auch mit dieser Metaphorik werden alttestamentliche Vorstellungen von Gott auf Jesus übertragen und messianische Verheißungen erfüllt (Ez 34,23; 37,24; vgl. Jes 9,5f.; 11,1f.). – Nicht zuletzt ist Jesus der ‚geliebte Sohn‘, der letzte Trumpf des ‚Vaters‘, der zu den ‚Winzern‘ geschickt wird, um den fälligen ‚Pachtzins‘ einzutreiben (Mk 12,1-12). An seiner Vollmacht wird kein Zweifel gelassen: Jesus ist der verworfene ‚Schlussstein der Erwählung‘ (V.10, Zitat Ps 118,22f.). Die Gleichnisse sind Zeichen der Vollmacht Jesu. Er versteht es, das Gottesbild auf vorreligiöse Grunderfahrungen zurückzuführen und diese 362

Sie ist jedoch nicht vollumfänglich (und nur) in den Gleichnissen Wirklichkeit (gegen die Theorie vom ‚Sprachereignis‘; → 1.5.11; 2.2.3d; 2.4.5; 2.5.4d).

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den Menschen nahe zu bringen. Back to the basics lautet die Grundtendenz der Gleichnisse, und das gilt auch für das Gottesbild: Gott wird als derjenige sichtbar, der sich um die Existenzgrundlagen der Menschen kümmert; er ist kein ferner Gott, den man durch Opferriten besänftigen oder durch mechanische Gebotserfüllung gnädig stimmen müsste, sondern ein naher Gott, der für die Leidenden Partei ergreift und mit seinem Sohn ebenso wie mit den Menschen durchs Leiden geht. e) Wirken und Geschick

Die Gleichnisse kommentieren Jesu Wirken. Dieses ist wiederum der Schlüssel zum Verständnis der Gleichnisse. So sind beispielsweise die Gleichnisse vom Verlorenen (Lk 15,3-32) eine Apologie Jesu gegen den Vorwurf der Pharisäer und Schriftgelehrten, er habe Umgang mit Sündern (Lk 15,1f.). Die übergroße Freude über etwas Wiedergefundenes sind das Hauptargument für Jesu Umgang mit den ‚Verlorenen‘ der Gesellschaft. Sein Verhalten ist daher nicht Sünde, sondern Erfüllung des göttlichen Willens. Die Gleichnisse setzen das Thema von Lk 14,7-24 (Einladung an Arme und Behinderte; Umkehrung des sozialen Gefüges) fort. Das Gleichnis vom Schalksknecht (Mt 18,23-35) begründet Jesu Verge‐ bungsbereitschaft und macht plausibel, weshalb nur diejenigen auf Verge‐ bung hoffen dürfen, die selbst vergebungsbereit sind (vgl. Mt 6,12.14f.). – Das Winzergleichnis Mk 12,1-12parr. klärt die Frage nach Jesu Sendung und Vollmacht (Mk 11,27-33). Es ist zudem ein Kommentar zu Jesu Geschick und deutet seinen Tod als fatale wechselseitige Fehleinschätzung: Der kýrios irrt sich in der Erwartung, die Winzer würden seinem Sohn Respekt zollen (V.6b); die Winzer verkalkulieren sich mit ihrem kriminellen Denken (V.7). Damit wird die Frage nach Schuld und Motiv geklärt. Anders deuten christologische Metaphern wie ‚Lamm‘ (gr. amnós, Joh 1,29; Apk 5,6.12; 14; 21) und ‚Sühnedeckel‘ (gr. hilastḗrion, Röm 3,25) den Tod Jesu kultisch als Heilstod. Die Weizenkornmetapher Joh 12,24 deutet ihn als notwendige Durchgangsstation, um Jesu Heilswirkung zu potenzieren. Zugleich begründet sie die Notwendigkeit von Leidensbereitschaft und demütiger Nachfolge (V.25f.). Das Gleichnis vom Fasten auf der Hochzeit (Mk 2,18-20; → 4.2.1) be‐ schreibt bildhaft Jesu Bestimmung: Er kam als ‚Bräutigam‘ und wird den Hochzeitsgästen nach einiger Zeit entzogen. Sein Wirken auf Erden ist eine kurze Periode, eine Hoch-Zeit des Feierns, nicht des Fastens. – Das lukanische Gleichnis von den anvertrauten Pfunden (Lk 19,11-27) fokussiert

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

die Ablehnung Jesu in der Zeit seiner Abwesenheit und das Geschick seiner Gegner bei der Parusie (V.27). Es macht deutlich, dass mit dem Reich Gottes bzw. mit Jesu Parusie nicht unmittelbar zu rechnen ist (V.11) und korrigiert damit eine Fehleinschätzung der Lage. An der Reaktion auf die Gleichnisse wird der Zusammenhang von Wirken und Geschick Jesu ablesbar: Die Gleichnisbotschaft polarisiert. Die synop‐ tische Parabeltheorie Mk 4,10-13 unterscheidet zwischen Insidern, welche die Gleichnisse verstehen, und Outsidern, die sie zwar hören, aber nicht verstehen (wollen). Der Text liest sich als Erklärung dafür, warum Jesus mit seiner Gleichnisbotschaft nicht alle Menschen gleichermaßen erreichte (Stichwort Verstockung). – Das schon erwähnte Winzergleichnis Mk 12,1-12 endet mit der offenen Verweigerung der Angesprochenen. Sie merken zwar, dass Jesus mit den ‚Winzern‘ sie selbst meint, sie ziehen daraus aber keine Konsequenzen. f) Vermächtnis und Gemeinde

Die Bildung von Jüngerschaft und Gemeinde ist ein Kernpunkt neutesta‐ mentlicher Christologie. Dies spiegelt sich in den Gleichnissen wider: Jesus ruft ‚Arbeiter‘ in seine ‚Ernte‘ (Mt 9,37), was die Aussendung der Zwölf in die Missionsarbeit umschreibt (Mt 10,1-15; vgl. Mt 20,1-16). Die christliche Gemeinde wird als ‚Reich des Menschensohns‘ tituliert (Mt 13,41), also als der Ort, an dem die Gottesherrschaft schon hier und jetzt sichtbar und spürbar wird. Die Glaubenden sind ‚Salz der Erde‘ und ‚Licht der Welt‘ und sollen Jesu Vermächtnis in die Welt tragen. – Laut dem Gastmahlgleichnis Lk 14,15-24 ist jetzt die Zeit der Einladung zur endzeitlichen Heilsveranstal‐ tung. Wer sich einladen lässt, wird Teil der neuen Gemeinschaft. Zu dieser Gemeinde gehören Juden wie Nichtjuden (Lk 15,11-32), Arme und Reiche (Lk 14,15-24), Gute und weniger Gute (Mt 13,24-30). Das Johannesevangelium arbeitet mit anderer Metaphorik und setzt auch inhaltlich andere Akzente: Jesus ist der ‚gute Hirte‘ seiner ‚Schafherde‘, die er noch mit anderen ‚Herden‘ vereinen möchte. Die Einheit aller ist dabei ein Kernanliegen (Joh 10,16; vgl. nicht vergleichend Joh 17,11f.21-23). Die Weinstockrede Joh 15,1-8 nimmt die bleibende Verbindung zwischen Christus und Gemeinde in den Blick; sie wird durch das Tun der Liebe garantiert (V.9-13). Im Bild gesprochen, haben die Glaubenden die Aufgabe, ‚Frucht zu bringen‘ (Joh 15,4f.8.16). Eintracht und ‚Fruchtbringen‘ sind Eckpunkte des Vermächtnisses Jesu. – Paulus spinnt den Faden weiter und bezeichnet die Gemeinde metaphorisch als ‚Leib Christi‘ (1 Kor 12,12-31 u. a.;

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→ 4.4.2). Christus ist das ‚Haupt‘ (gr. kephalḗ) der Gemeinde, auf das die Gemeinde hinwachsen soll (Eph 4,15; vgl. Eph 1,22; Kol 1,18). g) Erhöhung und Parusie

Die Texte nehmen auch Jesu Funktion als Erhöhter und die eschatologische Hoffnung auf seine Wiederkunft in den Blick. Neben der Metaphorik von ‚Haupt‘ und ‚Gliedern‘ (s. o.), welche die organische Einheit von Christus und Gemeinde betont, gilt Christus als ‚Erstgeborener aus den Toten‘ (gr. aparchḗ bzw. protótokos ek tōn nekrṓn; Kol 1,18; vgl. Röm 8,29; 1 Kor 15,20) und damit als Beginn der allgemeinen Totenauferstehung. Darüber hinaus ‚verbürgt‘ bzw. ‚vermittelt‘ er einen neuen Bundesschluss (Hebr 7,22; 8,6; 12,24). Christus führt die Glaubenden als ‚Pionier‘ (gr. pródromos, Hebr 6,20) und ‚Anführer‘ (gr. archēgós, Apg 3,15) zum Heil. All diese Metaphern impli‐ zieren einen organischen Zusammenhang zwischen Christus und Christen sowie zwischen Jetzt und Dann. Bis zu seiner Parusie betätigt sich Christus als himmlischer Herrscher und Vernichter der gottfeindlichen Mächte (1 Kor 15,24-26; Hebr 10,12) sowie als ‚Anwalt‘ der Glaubenden vor Gottes Thron (gr. paráklētos, 1 Joh 2,1; vgl. Röm 8,31-39). Bei seiner Parusie wird Christus als ‚Bräutigam‘ (gr. nymphíos) kommen, um mit den Seinen ‚Hochzeit‘ zu feiern (Mt 25,1-13; vgl. Apk 22,17). h) Fazit: Einzigartige Heilsbedeutung

Zahlreiche Gleichnisse und Metaphern arbeiten die kosmische Bedeutung und Sendung Christi, sein irdisches Geschick und seine Funktion als erhöhter und wiederkommender Christus heraus. Sie klären seine einzig‐ artige Position als vollmächtiger Sohn und Repräsentant Gottes, der in die Welt kam, um Gottes nahe, befreiende Herrschaft anzukündigen. Jesu (Gleichnis-)Botschaft stieß auf ein geteiltes Echo und brachte ihn schließlich ans Kreuz. Sein Tod wird historisch als fatale Entwicklung und theologisch als Heilstod gedeutet. Themen sind auch das Verhältnis zum erhöhten, den Glaubenden entzogenen Christus und die Hoffnung auf seine baldige Wiederkunft. Jesu Schlüsselstellung für das Heil der Menschen und für die Erlösung der Welt ist der rote Faden in all diesen Umschreibungen. 4.5.3 Der pneumatologische Aspekt

Da der Heilige Geist, abgesehen von Jesu Charisma, als nachösterliche Größe gilt, bieten die synoptischen Gleichnisse keinen pneumatologischen Aspekt.

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

a) Der Paraklet

In den johanneischen Abschiedsreden verheißt Jesus den Geist als ‚Tröster‘, ‚Beistand‘ und ‚Anwalt‘ (gr. paráklētos). Er ist der Nachfolger Jesu und sein Platzhalter bis zur Parusie. Er hat mehrere Funktionen: Erstens, er erinnert an die Lehre Jesu und setzt sie vollmächtig fort (Joh 14,26; gleichgesetzt mit dem Heiligen Geist).363 Als ‚Geist der Wahrheit‘ sorgt er für christologische und eschatologische Erkenntnis, unterstützt die Gemeinde in ihrem Bekenntnis und zeigt ihr die Wahrheit über Gott (Joh 15,26; 16,13-15). Er tröstet die Trauernden und klärt den ungläubigen kósmos über Sünde (Unglaube), Gerechtigkeit (Funktion des erhöhten Christus beim Vater) und Gericht (erfolgte Verurteilung Satans) auf (Joh 16,7-11). Auch Paulus kennt den Heiligen Geist als ‚Anwalt‘ der Menschen: Laut Röm 8,26f. hilft der Geist den schwachen Menschen auf, vertritt sie mit ‚unaussprechlichem Seufzen‘ (gr. stenagmoís alalḗtois) im Gebet vor Gott und setzt sich (auf Erden) als Anwalt für die ‚Heiligen‘ bei Gott ein. Sein Pendant als ‚Anwalt‘ vor Gottes Thron ist Jesus Christus (Röm 8,34; 1 Joh 2,1). b) Das Unterpfand der Erlösung

Die Metapher ‚Vorschuss‘ bzw. ‚Angeld‘ der Erlösung (gr. arrabṓn, 2 Kor 1,22; 5,5; Eph 1,13f.; → 4.4.3) unterstreicht, dass die Verheißungen Gottes schon bald eintreffen werden. Der Heilige Geist erfüllt den Apostel täglich mit neuem Leben – trotz äußeren Verfalls (2 Kor 4,16; 5.5). Röm 8,23 umschreibt die Bedeutung des Geistes als ‚Erstlingsgabe‘ (gr. aparchḗ) der physischen Erlösung. Auch diese aus dem Opferkult stammende Metapher dient der Vergewisserung: Erstlingsfrüchte signalisieren den Beginn der Ernte. Über‐ tragen heißt das: Mit der Gabe des Heiligen Geistes ist die Erlösung absehbar geworden. Ob arrabṓn oder aparchḗ – beide Metaphern implizieren einen Rollentausch zwischen Gott und Menschen: Eigentlich müsste der Mensch in Vorleistung gegenüber Gott treten und ihm ‚Erstlingsfrüchte‘ opfern; das übernimmt jedoch Gott an seiner Stelle und legt sich damit gleichsam juristisch auf die Einlösung seiner Zusagen fest.364 Die Geistmetaphern sind Teil der theologischen Antwort auf grundlegende Zweifel an der christlichen Erlösungsbotschaft (vgl. Röm 8,18-22!). 363 364

Der ‚Heilige Geist‘ wird in Joh 20,22f. mit Sündenvergebung konnotiert. Andere juristische Metaphern zielen in eine ähnliche Richtung. So gilt Christus als ‚Bürge‘ (gr. éngyos) des neuen Bundes (Hebr 7,22; vgl. Hebr 12,24). Auch die Rede vom ‚Bund‘ oder ‚Testament‘ (gr. diathḗkē, vgl. → 4.2.3) und die vom ‚Rechtsanwalt‘ (gr. paráklētos) gehören hier hinein.

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4 Musterexegesen und Theologie

4.5.4 Der kosmologische Aspekt

Die Welt kommt unter vier Aspekten zur Sprache: erstens, als Lieferant zahlreicher Bildspender; zweitens, als gute Schöpfung Gottes; drittens, als potenziell feindliche Sphäre; viertens, als ‚Arbeitsgebiet‘ und Bewährungs‐ feld der Glaubenden. a) Bildspendebereich

Von der Welt lässt sich jede Menge lernen. Die Natur ist mit ihren Gesetz‐ mäßigkeiten Ort vieler vorreligiöser Erfahrungen. Der Wachstumszyklus eines Getreidefeldes, die Zeit einer Schwangerschaft oder die festgelegte Bewegung der Himmelskörper können unsichtbare Entwicklungen bildhaft sichtbar machen und zu Gelassenheit und Geduld mahnen (Naturgleich‐ nisse). Natürliche Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten zeigen, was machbar ist und was nicht. Einsichten der allgemeinen Weisheit lenken den Blick auf das, was immer schon funktioniert hat und was nicht; bestimmte Verhaltensweisen erscheinen in Weisheitsgleichnissen als absurd, andere als zwingend geboten. Alltagsgleichnisse erweisen menschliche Verhaltens‐ muster und Moralvorstellungen als heillos und, angesichts des universalen Heilswillens Gottes, als deplatziert und überholt. Verhaltensweisen der ‚Kinder dieser Welt‘ (gr. hyioí tou aiṓnos toútou, Lk 16,8; vgl. Joh 12,36; Eph 5,8f.) sind in ihrem klugen Pragmatismus für die ‚Kinder des Lichts‘ vorbild‐ haft. Lebens- und Arbeitswelt bieten ebenfalls viel Anschauungsmaterial für vergleichende Rede. Und so werden die Welt und ihre Zusammenhänge in vergleichenden Texten regelmäßig als Argumentationsgrundlage einge‐ setzt. b) Schöpfung Gottes

Die Welt ist gute Schöpfung Gottes. Gott ist Schöpfer und Erhalter der Welt in ihrem ganzen Schmuck, in ihrer ganzen Ordnung (gr. beides kósmos). Von seiner Fürsorge für die Geschöpfe der Welt lässt sich vieles als plausibles Argument verwenden (vgl. Mt 6,25-32par. → 4.1.2; Wachstumsgleichnisse Mk 4parr.). Aber auch aus der Betrachtung der Natur lässt sich vieles lernen (vgl. Mt 10,16: Klugheit der Schlangen, Ehrlichkeit der Tauben). – Der Noahbund verbürgt die dauerhafte kosmische Ordnung (Gen 8,22; 9,8-17).

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

Kosmische Unordnung ist ein untrügliches Zeichen für das Weltende.365 – Die Schöpfung ist der ‚Knechtschaft der Vergänglichkeit‘ (gr. douleía tēs phthorấs) unterworfen; sie seufzt und ‚liegt in den Geburtswehen‘ (gr. systenázei kai synōdínei) der physischen Erlösung bzw. zur ‚Freiheit der Kinder Gottes‘ (Röm 8,21). c) Feindliche Sphäre

Für Johannes ist kósmos metonymische Umschreibung für die feindliche Umge‐ bung der Gemeinde. Die Welt ist der Ort der Sünde (Joh 1,29; 7,7; 16,8; 1 Joh 2,17), sie steht Jesus und der Gemeinde hasserfüllt gegenüber (Joh 7,7; vgl. Joh 16,20.22), in ihr herrscht ‚Finsternis‘ (gr. skotía, Joh 1,5; 8,12). Sie muss gerichtet werden (Joh 9,39), sie untersteht Satan, dem ‚Fürsten dieser Welt‘ (gr. árchōn tou kósmou toútou, Joh 12,31; 16,11; vgl. 1 Joh 5,19). Die Welt schenkt Scheinfrieden (Joh 14,27) und ist ein Ort der Angst (Joh 16,33). Unrecht und Gewalt sind gleichsam Markenzeichen des kósmos (Mt 5,39; Mk 10,42-44; Lk 16,1-9; Joh 4,37 u. a.). Diese facta visibilia machen den Glauben schwer. Der kósmos ist auch metonymische Umschreibung für die Ungläubigen, für die Menschen ohne Gottes- und Christuserkenntnis (Joh 1,10; 16,3.8-11; 1 Joh 3,1). Ungetaufte sind ‚Sklaven der Mächte dieser Welt‘ (Gal 4,1-7). Die Gemeinde ist dagegen ‚nicht von dieser Welt‘ (1 Kor 12,12-31; vgl. Mt 13,41; Joh 18,36). Joh 16,33 deutet Jesu Tod als Überwindung der Welt und der Angst in ihr. Darin besteht auch die Wirkung des Glaubens (1 Joh 5,4f.; Apk 2 f.). Am Ende der Welt steht die ‚Ernte‘, das heißt das Endgericht mit der Trennung von Gut und Böse (Mt 13,39). Der Menschensohn-Richter wird die ‚Auserwählten‘ aus allen Enden der Welt ‚sammeln‘ und sie dadurch retten (Mt 24,31; vgl. Mt 13,38-42). d) Betätigungsfeld

Die Welt ist zwar auch die gottferne Sphäre des Bösen, aber trotzdem von Gott so sehr geliebt, dass er seinen Sohn sandte, um sie zu retten (Joh 3,16f.; 12,47; vgl. Mk 12,1-12parr.). Die Welt ist das Missionsfeld Jesu, der Jünger und Apostel. Der ‚vierfache Acker‘ (Mk 4,3-9parr.) steht für die Welt, in die das Wort des Evangeliums eingestreut wird. Der ‚Sauerteig‘ der frohen Botschaft wird die Welt ‚durchsäuern‘ (Mt 13,33). Gott bzw. Jesus 365

Mk 13,24-27; Apg 2,19f.; 2 Petr 3,10-13; Apk 21; vgl. Ps 104 und 4 Esr 5,4; Pistis Sophia 27 u.a.

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rufen Menschen, um in seinem ‚Weinberg‘ Arbeit zu verrichten (Mt 20,1-16). ‚Weinberg‘steht hier unspezifisch für die Welt als Missionsgebiet (vgl. Mt 13,38). Laut Mt 10,16 werden die Jünger ‚wie Schafe mitten unter die Wölfe‘ geschickt, um zu missionieren. – In der Welt leben ‚Kinder des Reiches‘ und ‚Kinder des Bösen‘ beisammen (Mt 13,38). Dieser unbefriedigende Zustand muss ausgehalten werden, da Gott es so will. Ziel und Zweck der Geduld Gottes ist es, möglichst alle Menschen zum Heil zu bringen (2 Petr 3,9) und Schaden von den Glaubenden abzuwenden (Mt 13,29). – Identity marker der Gemeinde ist es, ‚Salz der Erde‘ und ‚Licht der Welt‘ zu sein (Mt 5,13-16; vgl. Joh 8,12), das heißt, der Welt Orientierung zu geben, Vorbild zu sein und damit Gott in der Welt publik zu machen. Das Wirken Jesu und der Jüngerschaft zielt letztlich auf die ‚Verherrlichung‘ Gottes (Joh 15,8, vgl. Joh 9,3; 11,4; 12,28). e) Fazit: Erlösungsbedürftiger Raum

Als von Gott geliebte Schöpfung ist die Welt grundsätzlich positiv konno‐ tiert. Die vorreligiösen Grunderfahrungen, die sich in der Welt machen lassen, ‚erden‘ den Glauben und das Gottesbild, bringen sie auf ihre Grund‐ lage zurück. An der Welt lässt sich lernen, was gut ist, welches Verhalten zum Ziel führt, welches die richtigen Prioritäten im Leben sind und umge‐ kehrt. Vergänglichkeit und Dualismus von Gut und Böse kennzeichnen den Ist-Zustand der Welt. Der kósmos wird zum Teil feindlich erlebt, aber seine Überwindung durch Christus und den Glauben betont. Als Sphäre der ‚Finsternis‘, sprich: des Bösen, der Sünde und des Unglaubens, ist sie Bewährungs- und Betätigungsfeld der Glaubenden. Ziel des Heilshandelns Gottes und des Engagements der Gemeinde ist die Erlösung der Welt. 4.5.5 Der anthropologische Aspekt

Die Gleichnisse setzen einerseits ein starkes Hierarchiegefälle zwischen Gott und Menschen voraus (kýrios vs. doúloi), andererseits zeichnen sie den Menschen als Geschäftspartner und Mitarbeiter Gottes. Anthropologische Aussagen im strengen Wortsinn finden sich jedoch ebenso wenig wie ein dogmatisches Gottesbild; die Aussagen über den Menschen sind vielmehr der Erzählstruktur, dem Verhältnis der Akteure und den Verhaltensmustern innerhalb der Texte zu entnehmen.

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

a) Ebenbilder mit freiem Willen

Allgemein gesprochen, ist der Mensch ein von Gott abhängiges Wesen. Die Texte sprechen summarisch von ‚Sklaven‘ bzw. ‚Knechten‘ (gr. doúloi), die ihrem Herrn zu gehorchen und Rechenschaft abzulegen haben.366 Sie sind aber nicht nur als Befehlsempfänger gezeichnet, sondern auch als eigenverantwortlich agierende, von höchster Stelle bevollmächtigte Man‐ datsträger. Mit ihrem Verhalten repräsentieren sie den kýrios und seinen Willen gegenüber ihren Mitmenschen. Vorausgesetzt ist dabei der freie Wille des Menschen. Die Menschen sind grundsätzlich Gottes Ebenbilder, entsprechen diesem Status aber dank ihres freien Willens häufig nicht. b) Hohe Beamte, kleine Leute

Der Status der einzelnen Menschen variiert von Text zu Text: Sie sind Söhne (Mt 21,28-32; Lk 15,11-32), hohe Beamte (Mt 18,23-35; 24,45-51; 25,14-30par.; Lk 16,1-9), Boten und Erben (Mk 12,1-12parr.), aber auch Tagelöhner (Mt 20,1-16) und arme Witwen (Lk 18,1-8). Alltagsgleichnisse unterscheiden außerdem oft zwischen Personen unterschiedlichen Status’.367 Unterm Strich sitzen sie alle in einem Boot; sie sind abhängig vom kýrios. Das macht sie zu Sympathie- (bei einem despotischen kýrios) oder zu Antipathieträgern (als undankbare Bedienstete). c) Loyale und eigensinnige Mitarbeiter

Alltagsgleichnisse kontrastieren gerne gute und schlechte, besser: loyale und eigensinnige Mitarbeiter des kýrios. Die Antipoden verkörpern heilvolle bzw. heillose Verhaltensmuster und fungieren textpragmatisch als positive bzw. negative Vorbilder für die Leserschaft. Typisch ist der Kontrast zwi‐ schen den beiden treuen und dem eigensinnigen Knecht im Talentegleichnis Mt 25,14-30: Die Erstgenannten machen sich den Willen ihres Arbeitgebers zu eigen, der dritte verweigert sich. Er wird hart bestraft, die Anderen werden hoch entlohnt. Urteilskriterium ist die unbedingte Loyalität dem kýrios und seinem (ausgesprochenen oder unausgesprochenen) Willen ge‐ genüber. – Ähnlich verläuft das Knechtsgleichnis Mt 24,45-51: Wer allezeit 366 367

So auch die generalisierende Bezeichnung bei Philo von Alexandria, Det Pot Ins 146; De Mut Nom 26.46 (Texte vgl. Erlemann 1999, 289). – ‚Knechte‘ werden auch die Propheten Israels genannt (Jes 42,1; 49,6: Gottesknecht; weiter Jer 7.25 u. a.). Mt 20,1-16: ‚Erste‘/‚Letzte‘; Mt 18,23-35: erster/zweiter Knecht; Mt 24,45-51: Oberauf‐ seher/Sklaven; Lk 14,15-24: erste Gäste/‚Zaungäste‘; Lk 10,30-37: Passanten/Gewalt‐ opfer usw.

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4 Musterexegesen und Theologie

mit der Rückkunft des Herrn rechnet und sich an seine Anweisungen hält, wird hoch belohnt; der andere, der sich innerlich verweigert, wird getötet. Loyalität und Eigensinn werden auch an der Haltung den ‚Kollegen‘ gegenüber erkennbar: Weder die ‚Ersten‘ im Weinberggleichnis Mt 20,1-16 noch der ältere Bruder im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32), weder der amnestierte Knecht im Schalksknechtgleichnis Mt 18,23-35, die Erstgeladenen im Gastmahlgleichnis Lk 14,15-24 noch der reiche Mann (Lk 16,19-31) sind dem ‚Herrn‘ gegenüber loyal, denn sie gönnen ihrem Gegenpart das Glück nicht. So stehen sie in der Gefahr, alles zu verlieren. Eigensinn führt auch im Winzergleichnis Mk 12,1-12parr. zur Katastrophe. – Verweigerte Solidarität wird im Brautjungferngleichnis Mt 25,1-13 gerade nicht kritisiert; hier stehen kluge Vorsorge und Eigenverantwortlichkeit im Vordergrund. Ähnlich ist es im Verwaltergleichnis Lk 16,1-9: Die Klugheit des korrupten Verwalters gibt den Ausschlag, dass am Ende Lob und nicht Verurteilung steht. In allen Fällen steht der kýrios als der Souverän da, dessen Urteil nicht anfechtbar ist und der keine Halbheiten zulässt: Maximaler Lohn oder maximale Strafe, mitfeiern oder draußenbleiben, die Arbeit behalten oder Vernichtung: Die Alternative ist klar; das angesagte Verhalten – Loyalität dem Herrn gegenüber sowie kluge Vorsorge für die Zeit, die kommt – ergibt sich folgerichtig daraus. d) ‚Kinder‘ und ‚Erben‘

Anders als die synoptischen Gleichnisse impliziert die paulinische Meta‐ phorik einen Statuswechsel der Getauften: Aus ‚Sklaven‘ werden ‚Kinder‘ und ‚Erben‘ bzw. ‚Miterben Christi‘ (gr. [syn]klēronómoi Christoú; Röm 8,14-17; Gal 4,5-7; 1 Joh 3,1f. u. a.).368 Sie dürfen Gott ‚Väterchen‘ (aram. Ábba ho patér, Röm 8,16; Gal 4,5f.; vgl. Mt 6,9) nennen. In diesem Status sind sie die jüngeren ‚Geschwister‘ Christi, des ‚Erstgeborenen‘ Gottes (gr. protótokos, Kol 1,15; Apk 3,14). Sie sind aber auch mit Christus ‚Mitgekreu‐ zigte‘ (Röm 6,3-7,6; vgl. Gal 2,19; Kol 2,12), was die Hoffnung auf allgemeine Auferstehung impliziert. Das ‚Erbe‘, um das es geht, sind die im Himmel vorbereiteten, göttlichen Verheißungen (Röm 1,17; Eph 1,11; 1 Petr 1,3). – In ironischer Abwandlung der Metaphorik werden die Getauften auch als 368

Vor dem Statuswechsel waren die ‚Kinder‘ noch ‚unmündig‘, unterstanden Vormündern und Rechtspflegern (Gal 4,1f.), waren ‚Sklaven der Mächte der Welt‘ (V.4). Merkmal des neu geschenkten Standes ist die Gabe des Heiligen Geistes (V.6).

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

‚unmündige Kinder‘, die noch ‚Milch‘ trinken, bezeichnet (1 Kor 3,1f.; Hebr 5,12-14). Die Ironie zielt auf mangelnde Erkenntnisfähigkeit. – Die ‚Kinder Gottes‘ stehen in scharfem Gegensatz zu den ‚Kindern des Teufels‘ (1 Joh 3,10), von denen sie sich abgrenzen sollen.369 e) Ziel göttlicher Fürsorge

Ganz gleich, ob ‚Knechte‘, ‚Kinder‘ oder ‚Erben‘: Die in den Gleichnissen auftretenden Menschen sind das Ziel göttlicher Fürsorge und Rettungsbe‐ mühungen. Alle erhalten vom kýrios eine faire Chance, alle sind ihm grund‐ sätzlich gleich wichtig. Er sieht die Bedürfnisse des Einzelnen und schafft die Grundlagen für ein gutes Leben. Das Bild vom ‚Hirten‘ und seinen ‚Schafen‘ (Mt 18,12-14; Joh 10,1-18) führt das plastisch vor Augen: Das Wohl der anvertrauten Schafe hat für den Hirten oberste Priorität. Das einzelne Schaf geht in der Herde nicht unter, sondern behält seinen unverwechselbaren, einzigartigen Wert. Die Einheit der Herde garantiert das Wohlergehen des einzelnen Tieres. – Die Verschuldeten, ‚Letzten‘, Ausgegrenzten, Behin‐ derten usw. sind Gott besonders wichtig; sie werden genauso eingeladen wie alle anderen auch. Die Anderen haben dieselbe Chance bei Gott, stehen aber in der Gefahr, sich selbst vom Heil auszuschließen (offener Schluss in den Gleichnissen Lk 14 f.). – Gottes universale Fürsorglichkeit gibt selbst dem ‚Unkraut‘ eine Chance, sich noch zu gutem ‚Weizen‘ zu entwickeln (Mt 13,24-30). Der Fürsorge Gottes entsprechend, vermitteln die Gleichnisse eine Ethik der Fürsorglichkeit und der gegenseitigen Akzeptanz (→ 4.5.7). Die Erfahrung zeigt, dass nicht alle Menschen die Fürsorglichkeit Gottes verstehen und wahrnehmen. Viele lehnen sie ab, verweigern sich oder sehen nicht den Zusammenhang zwischen dem eigenen Glück und dem der Anderen. Die Reaktion auf die erzählten Einladungen und auch auf die Gleichnisse selbst ist ambivalent. Viele reagieren ablehnend, sehen keine Notwendigkeit, sich zu entscheiden oder sich zu verändern. Viele greifen zu, schaffen den Dreh und polen ihr Leben um. Die Erfahrung zeigt auch, dass diejenigen, die nichts zu verlieren haben, die Chance am ehesten wahrnehmen. Unterm Strich bewirken die Texte (wie auch das sonstige 369

Der Sonderstatus der Getauften wird durch andere Metaphern bestätigt: Sie sind Gottes ‚Hausgenossen‘, ‚Mitbürger der Heiligen‘ mit himmlischem ‚Bürgerrecht‘ (Eph 2,19-22; Phil 3,20). Sie sind ‚Geliebte Gottes‘, berufene ‚Heilige‘ (Röm 1,7; vgl. 1 Petr 2,9), ‚Gefäße der Barmherzigkeit‘ (Röm 9,23), ‚neue Schöpfung‘ (2 Kor 5,17), ‚Braut Christi‘ (2 Kor 11,2f.; Apk 19,7-9), ‚lebendige Hoffnung‘ (1 Petr 1,3) sowie ‚Erstlinge der Geschöpfe Gottes‘ (Jak 1,18).

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4 Musterexegesen und Theologie

Wirken Jesu) eine Scheidung zwischen ‚Spreu‘ und ‚Weizen‘, das heißt, sie haben eine endzeitlich-kritische Wirkung (gr. krísis, Gericht).370 f) Fazit: Befreit zum Leben und zur Verantwortung

Mensch und Gott stehen sich nicht ebenbürtig gegenüber. Gott ist der Souverän, der Mensch grundsätzlich von ihm abhängig. Der Mensch ist aber auch Ebenbild Gottes und als solches Objekt der umfassenden Fürsorge Gottes. Das Wohl seiner Ebenbilder ist für Gott das wichtigste Handlungs‐ motiv. Er ruft sie, lädt sie ein, befreit sie von Altlasten und schenkt ihnen neue Lebensmöglichkeiten. Er nimmt sie in die Pflicht, betraut sie mit Verantwortung, stattet sie mit Talenten aus, macht sie zu Mitarbeitern seiner basileía und lässt ihnen weitgehend freie Hand. Wer die Chance nutzt und seine Aufgabe loyal erfüllt, hat bei Gott gewonnen. Wer kleinlich nach dem eigenen Vorteil fragt und sein eigenes Ding macht, hat bei Gott verloren. Halbheiten gibt es nicht, denn es geht um Gottes Heilswillen für alle Menschen, um die Durchsetzung seiner Herrschaft und um ‚Publicity‘ in der Welt. 4.5.6 Der ekklesiologische Aspekt

Vergleichende Aussagen über die christliche Gemeinschaft finden sich über das gesamte Neue Testament verteilt. Dies unterstreicht die große Relevanz der Frage nach identity markers der neu entstandenen Gruppen in den ersten Generationen. a) ‚Schafherde‘ und ‚Erntearbeiter‘ Jesu

Die Jüngerberufung ist der Ausgangspunkt christlicher Gemeinschaft. Der Jüngerkreis übt sich in Nachfolge, begleitet Jesus auf seinem Weg und erhält von ihm eine Sonderunterweisung in Sachen Reich Gottes (synopti‐ sche Parabeltheorie und Gleichnisdeutung, Mk 4,10-20). Der Zwölferkreis repräsentiert das neue Israel und wird von Jesus in die ‚Ernte‘ geschickt (Mt 9,37). Leitend ist die Hirtenmetaphorik (Mt 9,36): Die Mission gilt zuerst den ‚verlorenen Schafen Israels‘ (Mt 10,6), später allen Völkern (Mt 28,18-20). Die Jünger sind ihrerseits ‚Schafe‘, die unter die ‚Wölfe‘ geschickt werden (Mt 10,16). Sie erhalten Wundervollmacht und den Auftrag zur Verkündigung (Mt 10,7f.). – Mt 26,26-28 deutet das letzte Mahl mit den Jüngern und Jesu 370

Dazu Erlemann 2008.

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

Tod als neuen Bundesschluss; die Gemeinde ist damit als endzeitliche Heils‐ gemeinschaft, als Vermächtnisverwalterin Jesu charakterisiert. Noch einmal findet die Hirtenmetaphorik Verwendung (Mt 26,31: Jesus der geschlagene ‚Hirte‘, die Jünger die zerstreuten ‚Schafe‘ [Zitat Sach 13,7]). Die Eintracht der Gemeinde und die bleibende Verbindung zu Christus ist für das Johannesevangelium ein zentrales Thema (Joh 10,16; 15,1-10; 17). Sie wird durch Erfüllung des Liebesgebots (Joh 15,9-17), Sendung des Parakleten (Joh 14-16) und Fürbitte Jesu bei Gott (hohepriesterliches Gebet, Joh 17) gesichert. 1 Petr 5,1-4 umschreibt die Verantwortung der Gemeindeleiter ebenfalls mit der Hirtenmetaphorik: Sie sind ‚Hirten‘ und haben die ‚Herde Gottes‘ zu ‚weiden‘. Dabei haben sie eine hervorgehobene Vorbildfunktion (V.3). Am Ende wird ihnen von Christus, dem ‚Oberhirten‘ (gr. archipoímēn), die unvergängliche ‚Krone der Herrlichkeit‘ aufgesetzt werden (V.4; ähnlich 1 Kor 9,25 und 2 Tim 4,7f.). b) ‚Reich des Menschensohns‘

Die Gemeinde ist laut Mt 13,41 das ‚Reich des Menschensohns‘, das vom kommenden ‚Reich des Vaters‘ (Mt 13,43) zu unterscheiden ist. Dies qua‐ lifiziert die matthäische Gemeinde als den Raum, in dem der Menschen‐ sohn seine Herrschaft schon jetzt wohltuend und sichtbar ausübt. Ihre Kennzeichen sind: Verzicht auf gegenseitige Verurteilungen (Mt 7,1-5), Aushalten des Dualismus (Mt 13,24-30), grenzenlose Vergebungsbereitschaft (Mt 18,23-35), Aufhebung von Rangunterschieden (Mt 20,1-16), Sorge um die ‚Kleinen‘ (Mt 18; 24,45-51) und loyale Pflichterfüllung (Mt 25,14-30). Kurz gesagt: In diesem ‚Herrschaftsbereich‘ herrscht der heilvolle Geist Christi bzw. der Geist der basileía Gottes. Lukas zufolge sind die Gemeindeglieder aufeinander angewiesen, trägt einer Verantwortung für den Anderen (Lk 10,30-37) und freut sich über das Glück des Anderen (Lk 15,11-32). Einer entlastet den Anderen von Schulden (Lk 16,1-9). Besitz wird geteilt, Arme werden unterstützt (Lk 16,19-31; Apg 2,44-46), Arme und Reiche pflegen Gemeinschaft (Lk 14). Kurz: Es herrscht innergemeindliche Solidarität, wobei beim Geld die Freundschaft nicht aufhört, sondern anfängt. c) ‚Salz der Erde, Licht der Welt‘

Das Wort von Salz und Licht (Mt 5,13-16) umschreibt die privilegierte Position der Gemeinde. In ihr wird der neue, wohltuende Geist des ‚Men‐

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4 Musterexegesen und Theologie

schensohns‘ eingeübt. Nach außen soll sie als Leuchtturm wirken. Ihr Vorbild macht die Welt ‚schmackhafter‘ und gibt ihr eine Vorstellung davon, wie gerecht und heilvoll es insgesamt zugehen könnte. Damit trägt sie Gottes Heilswillen in die Welt, macht ihn publik und glaubwürdig. Authentisches Vorbild und aktive Verkündigungsarbeit gehören zusammen; erfüllt die Ge‐ meinde ihre Leuchtturmfunktion nicht, büßt sie ihre Existenzberechtigung ein (Mt 5,13b; Lk 12,48; 14,34f.). Für Paulus ist die funktionierende Gemeinde ein ‚Siegel‘ bzw. ein ‚Emp‐ fehlungsbrief‘ Christi und für ihn selbst (1 Kor 9,2; 2 Kor 3,1-3, vgl. ‚Ruhmeskranz‘ in 1 Thess 2,19), also Werbung im besten Sinne für das Evangelium. Die intakte Gemeinde trägt Konflikte weder nach außen noch vor den Richter (1 Kor 6,1-11), zeigt gegenseitige Wertschätzung und arbeitet am gemeinsamen Ziel. Die Getauften sind ‚Kinder des Lichts‘ (gr. hyioí phōtós, 1 Thess 5,5.8; Eph 5,6-8) zur Erleuchtung der Welt (2 Kor 4,6; Phil 2,15; vgl. Mt 5,13-16 u. a.). d) ‚Leib Christi‘ und sein ‚Haupt‘

Für Paulus hebt sich die Gemeinde wohltuend von anderen Gemeinschaften ab. In ihr sind soziale, ethnische und religiöse Unterschiede dank des Heiligen Geistes aufgehoben (1 Kor 12,13; Gal 3,28; vgl. Röm 10,12). Die Gemeinde ist göttlichen Ursprungs (1 Kor 12,4-6). Sie ist ‚Leib Christi‘ (gr. sṓma Christoú, 1 Kor 12,12-31; Eph 1,23 → 4.4.2) und bildet mit Christus als ihrem ‚Haupt‘ (gr. kephalḗ) eine organische, transzendente Einheit. Sie macht Christus in der Welt sichtbar und repräsentiert die versöhnte Schöpfung (2 Kor 5,17-20, ‚neue Kreatur‘). Sie hat ihren Ursprung und ihr Ziel in der göttlichen Sphäre (‚wachsen hin zur Fülle Christi‘, Eph 1,23; 4,15; Kol 1,24).371 Das heißt, sie ist heilig, der weltlichen Sphäre entnommen, und steht unter Gottes besonderen Schutz. Dementsprechend werden die Getauften ‚Tempel Gottes/des Geistes‘ genannt; damit sind sie als der Ort der neuen Gottesverehrung gekennzeichnet (gr. naós theoú / naós hagíou pneúmatos, 1 Kor 3,16f.; 6,19; 2 Kor 5,16 u.a). Körperliche Sünden sind für Paulus daher als kultische ‚Entweihung‘ zu beurteilen (vgl. 1 Kor 5,5). Nur mit innerer Eintracht wird die Gemeinde ihrem Status gerecht: Die unterschiedlichen ‚Glieder‘ ergänzen einander (1 Kor 1 f.; 6,1-11 usw.). Herrscht zwischen ihnen Harmonie, kommt der ganze Körper vorwärts. 371

Der Begriff ‚Fülle‘ (gr. plḗrōma) bezeichnet religionsgeschichtlich die jenseitige, gött‐ liche Sphäre.

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

Leidet ein Glied, leiden alle anderen mit (1 Kor 12,26). Gegenseitige Wert‐ schätzung, Selbstzurücknahme des Einzelnen und gemeinschaftsförderndes Verhalten sind Markenzeichen der paulinisch-christlichen Gemeinden (Röm 14; 1 Kor 8-11). Wo Gemeinde so zusammensteht, ist sie auch ein Bollwerk gegen das Böse (Joh 17,11-16; Phil 1,27f.). Die übrige Briefliteratur weitet die Metaphorik aus, um den Sonderstatus und die Verantwortung der Gemeinde zu markieren: Die Getauften sind ‚Haushalter der Gnade Gottes‘ (gr. oikonómoi cháritos theoú, 1 Petr 4,10) sowie ‚lebendige Steine‘ am Haus des Geistes (gr. líthoi zṓntes, 1 Petr 2,5-7; vgl. Hebr 3,6). e) Fazit: Repräsentantin der Gottesherrschaft

Die Umschreibungen der christlichen Gemeinschaft fokussieren ihre tran‐ szendente Wirklichkeit und lassen sie als Raum verstehen, in dem schon jetzt die Wohltaten der Herrschaft Gottes sichtbar und spürbar werden – in einem heilvollen, solidarischen Miteinander, das keine ethnischen, religiösen und sozialen Grenzen kennt und sich so in der Welt nirgendwo sonst finden lässt. In dem Maße, wie dieses Miteinander nach außen strahlt, wird Gottes Heilswille in der Welt publik, wird er ‚verherrlicht‘. Darin besteht ihre Leuchtturmfunktion in der Welt. 4.5.7 Der ethische Aspekt

Gleichnisse und Metaphern transportieren expressis verbis und zwischen den Zeilen viele ethische Weisungen. Sie ergeben sich aus der neu eröffneten Wirklichkeitssicht und machen die heilvolle, göttliche Alternative zur oft heillosen Welt konkret. Die Texte bieten keine systematische Ethik, son‐ dern ad-hoc-Empfehlungen auf aktuelle Anfragen und typische Problem‐ stellungen. Die folgende Darstellung fokussiert vergleichende Texte, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. a) Heilvolle Prioritäten

Die Gleichnisethik Jesu ist kein Tugendkatalog; Moral wird kritisch beur‐ teilt, sofern sie mit selbstgerechter Abgrenzung verknüpft ist. Die ethischen Weisungen zielen auf die dankbare Antwort auf die Wohltaten Gottes und sind der Weg zu Gottes Herrschaft; diese wird schon jetzt in der christlichen Gemeinschaft gelebt und ist zugleich das Lebensziel der Christinnen und Christen.

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4 Musterexegesen und Theologie

Die Gleichnisse eröffnen eine neue, heilvolle Möglichkeit der Lebensge‐ staltung, die der heilvollen Zuwendung Gottes entspricht. Für die ethische Umsetzung ist in der Regel eine Kurskorrektur (gr. metánoia) notwendig. Alte Lebensprioritäten werden auf den Kopf gestellt; Besitz, Renommee, Familie und vermeintliche Rechtsansprüche verlieren ihre Wertigkeit. Die Alternative lautet: Reichtum bei Gott (Lk 12,16-21; Lk 16), Nachfolge und Zuwendung zu Außenstehenden (Lk 14), Ausrichtung auf Gottes basileía (Mt 13,44-46; 6,25-32par. → 4.1.2) sowie eine Gerechtigkeit, die auch den ‚Letzten‘ gerecht wird (Mt 20,1-16). Die Alternative provoziert eine Grundsatzentscheidung (Zwei-WegeSchema). Kompromisse sind unmöglich, da es ums Ganze geht. ‚Man kann nicht zwei Herren dienen‘ (Mt 6,24; Lk 16,13; vgl. Jak 4,4) bringt das auf den Punkt. Paulus nennt die Alternative ‚Leben nach dem Fleisch‘ (gr. katá sárka) vs. ‚Leben nach dem Geist‘ (gr. katá pneúma, Röm 8). Die lukanischen Weherufe Lk 6,24-26 kontrastieren irdisches Wohlbefinden mit zukünftigem Wohlbefinden; die Sprüche vom Dienen und Herrschen unterstreichen dies (Mt 20,26f.; 23,11; Mk 10,43; 1 Kor 9,19) ebenso wie die Aussicht auf die endzeitliche Umkehrung der Verhältnisse.372 Paulus kontrastiert die kurzen Leiden hier mit der ewigen Herrlichkeit bei Gott (2 Kor 4,17; vgl. 1 Petr 1,6). Das Unsichtbare ist mehr wert als das Sichtbare (2 Kor 4,18; vgl. Apg 7,47-50; Kol 2,17; Hebr 8,5). Es geht um die Wahl zwischen ‚Licht‘ und ‚Finsternis‘ (Joh 1,5; 8,12; 1 Thess 5,5 u. a.). Hyperbolisch formulierte Forderungen (etwa Mt 8,22: ‚lasst die Toten ihre Toten begraben‘) relativieren moralische Standards und zeigen, dass es bei der Umkehr ums Ganze geht. Der Weg zum Heil ist kompromisslos und unumkehrbar. Überwindung sozialer, religiöser und ethnischer Grenzen, Besitzverzicht, Leidensbereitschaft, Selbstzurück‐ nahme sowie Abbruch sozialer Bindungen entsprechen Gottes Heilswillen. b) Konformität mit Gottes Heilswillen

Loyalität mit dem kýrios ist in den Alltagsgleichnissen das ethische Grund‐ prinzip. Gottes universaler Heilswille, von dem alle Menschen profitieren, ist Ur- und Vorbild des geforderten Verhaltens. Göttliche Vergebungsbereit‐ schaft provoziert eine analoge menschliche Haltung. Gottes Barmherzigkeit fordert zwischenmenschliches Erbarmen, seine großzügige Güte verträgt keine menschliche Kleingeisterei. Seine Vaterliebe ruft zur Versöhnung

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Mt 19,30; 20,16; 23,12; Lk 14,11; 18,14; Jak 4,10.

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

untereinander auf; seine Fürsorge für die Schöpfung macht menschliche Vorsorge überflüssig. Neben dieser Nachahmungs-Ethik rufen speziell die Alltagsgleichnisse dazu auf, die gestellten Lebensaufgaben zu erfüllen. Die doúloi der Gleich‐ nisse sind Mandatsträger des Herrn und sollen ihren Auftrag loyal und nachhaltig erfüllen. Tun sie das, erhalten sie unermesslichen Lohn; ver‐ weigern sie sich, müssen sie mit dem Schlimmsten rechnen. Auch hier gibt es keine Kompromisse, denn Gott ergreift kompromisslos Partei für die Schwächeren und will seine Gerechtigkeit durchsetzen. Niemand wird überfordert oder ungerecht beurteilt; die Angestellten im Talentegleichnis Mt 25,14-30 erhalten ihre Aufgaben ‚nach individueller Kraft‘ (gr. katá tēn idían dýnamin, V.15). Am Ende gilt das Prinzip: Wer viel hat, von dem wird viel gefordert werden (Lk 12,48). Kurz gesagt: Es geht darum, die Wohltaten der göttlichen basileía weiterzugeben und so die Welt zu einem heilvollen Ort zu machen. Wo das gelingt, wird Gott selbst sichtbar und glaubwürdig. c) Selbstverantwortung und Klugheit

Die Gleichnis-Akteure handeln eigenverantwortlich; ihre Aufgabe ergibt sich oft schon aus ihrer beruflichen Stellung (Mk 12,1-12parr.; Lk 10,30-37; 16,1-9). Wie sie ihre Arbeit machen, wird nicht vorgeschrieben; es findet auch keine regelmäßige Kontrolle statt. Der kýrios agiert im Hintergrund; er scheint im Alltag nicht präsent zu sein. Die ‚Abrechnung‘ erfolgt am Ende; wann genau, ist unbekannt (Mt 24 f.). Das provoziert kluges Verhalten: Selbst wenn alltägliche Kontrolle fehlt, fordert Gott am Ende doch Rechenschaft. Da der Zeitpunkt X unbekannt ist, gilt es, ‚wachsam‘ zu sein und im guten Handeln nicht nachzulassen (Mt 24 f.; Mk 13,32-37). Die vorreligiöse Grunderfahrung lautet: Wer am Tag X nicht bereit ist, dem nützt die beste Gesinnung nichts! Im entscheidenden Moment ist man ganz auf sich alleine gestellt und kann sich nicht auf andere verlassen (Mt 25,1-13)! Von der Klugheit der Welt lässt sich viel lernen; das zeigt das Verwalter‐ gleichnis Lk 16,1-9. Der Verwalter nutzt in der Krise (Kündigung wegen Veruntreuung) den verbleibenden Handlungsspielraum, um seine Zukunft zu sichern: Er manipuliert Schuldscheine und sichert sich damit die Dank‐ barkeit der Schuldner. Übertragen gesagt: Die konsequente Sicherung der

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4 Musterexegesen und Theologie

postmortalen Zukunft führt zum Ziel und wird ausdrücklich gut geheißen.373 Besitzverzicht und Barmherzigkeit sind lobenswerter Heilsegoismus. Wer dagegen die Not vor seiner Haustüre ignoriert, handelt unklug und gegen die Tora (Lk 16,19-31). Bei den letztgenannten Gleichnissen kommt noch ein Aspekt hinzu: Die Möglichkeit, sich Gottes Willen konform zu verhalten, ist zeitlich begrenzt und endet definitiv mit dem Tod. Da der eigene Todes‐ zeitpunkt unbekannt ist, sollte man das Gute nicht aufschieben; auch das ist ein Gebot der Klugheit (vgl. Lk 12,16-21). d) Achtsamkeit und Empathie

Mitmenschen achtsam zu begegnen heißt, sie als gleichwertige Ebenbilder Gottes wahrzunehmen und sie in ihrem Anderssein zu respektieren und wertzuschätzen. Soziale Ausgrenzung ist hingegen heillos. Vorzugsweise die Alltagsgleichnisse arbeiten auf Achtsamkeit als Grundhaltung hin, die Gottes Heilswillen entspricht. Achtsamkeit setzt erstens die Bereitschaft voraus, sich in die Lage des Anderen, in sein Denken, Fühlen, in seine Möglichkeiten und Grenzen hineinzuversetzen. Dies provoziert zweitens Empathie, was das Leid des Gegenübers betrifft. Das griechische Wort für ‚sich erbarmen‘, splangchnízesthai, umschreibt die Grundhaltung Jesu beim Anblick menschlicher Not. Etymologisch meint der Begriff, dass sich die Gedärme zusammenziehen, sodass man geradezu physisch mit dem Mitmenschen mitleidet und gar nicht anders kann, als zu helfen (vgl. Mt 9,36; Mk 6,34; Lk 10,30-37 u. a.). Drittens bedeutet Achtsamkeit Bereitschaft zur Selbstkritik und den Verzicht darauf, Mitmenschen zu be- oder verurteilen (Mt 7,1-5; Joh 8,7; 1 Kor 6,1-8 u. a.). Wer auf den Mitmenschen Acht gibt, wird viertens Solidarität üben und nach Gerechtigkeit ‚hungern und dürsten‘ (Mt 5,6). Besitzverzicht und diakonisches Engagement machen Achtsamkeit konkret. Fünftens ist das Leben auf Gewaltverzicht, Sanftmut und Demut auszurichten, da diese Verhaltensweisen ein gedeihliches Miteinander er‐ möglichen (Mt 5,38-44; Mk 10,45 u. a.). Die beschriebene Grundhaltung entspricht dem achtsamen Weg Gottes mit seinen Ebenbildern: Er verzichtet auf den Gebrauch von Allmacht und Allwissen, um ihnen Gelegenheit zu geben, den richtigen Weg zu finden. Aus demselben Motiv heraus geht er in seinem Sohn durch das Leiden, um so das 373

Die Untreue gegenüber dem Chef fällt nicht ins Gewicht; der Fokus liegt darauf, aus dem Wissen heraus, sterben zu müssen, die richtigen Konsequenzen zu ziehen (hier: Besitzverzicht).

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

Böse in der Welt zu überwinden. Achtsamkeit überwindet Egozentrismus; das ist die Grundlinie der Lebenshingabe Jesu. Achtsamkeit ist somit auch eine Ethik der Nachfolge Jesu. e) Fazit: Werbung für den Weg Gottes

Gleichnisse machen plausibel, weshalb Loyalität Gott gegenüber und Acht‐ samkeit dem Mitmenschen (und sich selbst) gegenüber Leitkriterien ethi‐ schen Verhaltens sind: Beides macht Gottes universalen Heilswillen in der Welt bekannt und glaubwürdig, beides führt zu endzeitlichem Lohn. Loya‐ lität mit Gottes Willen und umfassende Zuwendung zu den Mitmenschen markieren den Weg Jesu zu einer lebenswerten Welt unter der basileía Gottes und zur Überwindung des Bösen. Das Fernziel der Nachfolge lautet: Werbung für den sanftmütigen, liebenden und barmherzigen Gott, der mit seiner Herr‐ schaft eine Gerechtigkeit bringt, die allen Menschen gleichermaßen gerecht wird. Die Gleichnisse machen mit ihren vorreligiösen Grunderfahrungen, ihrer einladenden Fiktionalität und ihrer überzeugenden Textpragmatik plausibel, dass dieser Weg Gottes alternativlos ist. 4.5.8 Der soteriologische Aspekt

Der Aspekt fokussiert den Weg zur Erlösung. Hierbei wirken göttliches Heilshandeln und menschliches Handeln zusammen. a) Die Heilsinitiativen Gottes

Die kýrios-Figur ergreift in den Gleichnissen regelmäßig die Handlungsini‐ tiative: Er erteilt Aufträge, richtet Weinberge ein, erlässt Schulden, fordert Rechenschaft, wirft Samen aus, teilt ein Erbe aus, lädt zu einem Fest ein usw. Das heißt, der kýrios eröffnet einen Lebens- und Betätigungsraum, in dem sich die doúloi dann bewegen und bewähren können. Weiterhin stellt er Arbeits- oder Lebenszeit zur Verfügung, die selbstverantwortet zu nutzen ist. Mit all diesen Maßnahmen ist der Weg zum Heil eröffnet. – Am Ende der Alltagsgleichnisse steht erneut der kýrios und beurteilt, was die ‚Knechte‘ aus ihrem Freiraum gemacht haben. Manche Gleichnisse lassen das Ende offen, um anzuzeigen, dass der Freiraum weiterhin geöffnet ist (appellative Funktion, vgl. Lk 14,15-24 und 15,11-32). Die Sendung Jesu Christi wird vor allem in Identitätsgleichnissen als die Heilsinitiative Gottes schlechthin gedeutet: Er ist der ‚geliebte Sohn‘ (Mk 12,1-12parr.), der ‚Bräutigam‘ (Mt 22,1-14; 25,1-13; Mk 2,18-20), der ‚gute

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4 Musterexegesen und Theologie

Hirte‘ bzw. ‚Oberhirte‘ (Joh 10,1-18; 1 Petr 5,4) sowie der ‚Weinstock‘, an dem die Glaubenden als die ‚Reben‘ wachsen (Joh 15,1-8). Jesus repräsentiert das volle Leben und den Weg dorthin (Ich-bin-Worte, Joh 6-15). Laut Kol 1,15-18; Hebr 1,1-3 und Joh 1,1-18 ist er sogar der Sinn und Zweck der Weltschöpfung. Sein Tod ist ein Akt der Feindesliebe Gottes, um die Menschen mit sich zu versöhnen (Röm 5,6-11). Der Tod Jesu gilt einhellig als das von Gott selbst initiierte, entscheidende Heilsereignis. Mit der Jüngerberufung begründet Jesus die Gemeinde. Gott, Christus und Heiliger Geist sind ihre Grundlage (1 Kor 12,4-6). Christus ist ‚Haupt‘ und Ziel der Gemeinde (Eph 1,22; Kol 1,18). Der Geist ist für Paulus die eschatologische Gabe schlechthin: Er ist ‚Angeld‘ der Erlösung (Röm 8,23; 2 Kor 1,22; 5,5; Eph 1,13f. → 4.4.3), den Menschen von Gott in einem revolutionären Rollentausch geschenkt. Christus ‚verbürgt‘ als ‚Erstling‘ die allgemeine Totenauferstehung und mit seinem Tod den ‚neuen Bund‘ (Hebr 7,22; 8,6; 12,24). Er bringt den Glaubenden den Genuss des ‚Erbes‘ der alten Verheißungen (Hebr 9,15-17 → 4.2.3; vgl. Gal 3,15-19). b) Die Antwort der Menschen

Paulus schreibt (nicht vergleichend), ‚allein der Glaube‘ genüge als mensch‐ licher Anteil an der Erlösung (Röm 3,28). Jesu Gleichnisse sehen den menschlichen Anteil in einer adäquaten Antwort auf Gottes befreiendes Handeln, das heißt: in der Umkehr zu ihm als Quelle des Lebens und in der Werbung für diesen Gott. Dies geschieht durch Weitergabe der empfangenen Wohltaten, durch Verkündigung und Glaubenszeugnis (gr. martyría, eine juristische Metapher!), kurz: durch Nachfolge. Die Antwort auf die Geistesgabe besteht für Paulus in ‚Heiligung‘, Abgrenzung von der Welt, Leben ‚nach dem Geist‘ (gr. katá pneúma, Röm 8), darin, der ‚Sünde abzusterben‘ und sich mit Jesus ‚mitkreuzigen‘ zu lassen (Röm 6,1-7; vgl. Mt 10,38; 16,24). Die ethische Konkretion wurde bereits besprochen (→ 4.5.7). c) Fazit: Gott tut alles, der Mensch muss nur Ja sagen

Gott ist bei der Erlösung der Welt und aller Kreatur die treibende Kraft. Er schafft den Frei- und Lebensraum, den die Menschen brauchen, um den Weg zum vollen Leben zu gehen. Die Gaben seines Sohnes und des Heiligen Geistes bestätigen seine Verheißungen. Jesu Tod ist ein Neubeginn im Verhältnis zwischen Gott und den Menschen. Mit dem Geist als ‚Vorschuss‘ legt sich Gott gleichsam juristisch auf die Erlösung fest. Zu alledem muss der Mensch nur ‚Ja‘ sagen, Gottes Einladung annehmen, sich auf seine Le‐

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

bensalternative einlassen, umkehren und für Gott werben. Da die Menschen an der Messlatte der göttlichen Gerechtigkeit scheitern, kommt Gott ihnen, wie der Vater dem verlorenen Sohn, auf halbem Weg entgegen, tauscht die Rollen, verkürzt die Leidenszeit oder verzögert das Endgericht – immer so, dass möglichst viele Menschen zum Heil finden (2 Petr 3,9). 4.5.9 Der eschatologische Aspekt

Die Leitfragen dieses Aspekts vergleichender Rede sind: Wie sind Zeit und Geschichte zu deuten? Wann und wie kommt das Ende? Was ist das Rezept, um die Zeit der eschatologischen Bedrängnis unbeschadet zu überstehen? a) Die Gegenwart ist eine entscheidende Zeit

Die erste eschatologische Auskunft der Gleichnisse lautet: Jetzt ist eine besondere Phase der Geschichte, die Phase wesentlicher, vormals angekün‐ digter Ereignisse, die Phase, die für die kommende Heilszeit entscheidend ist. In szenisch gegliederten Texten begegnet die Gegenwart als Zwischen‐ phase zwischen Exposition und Schlussszene. Manche Entscheidungen sind bereits gefallen (Exposition), andere stehen noch aus (Schluss). Die Phase dazwischen ist für das, was noch aussteht, von enormer Tragweite. Es ist die Zeit des eigenverantwortlichen Handelns, die Zeit des Wartens auf den Herrn, die Zeit des Wachstums bis zur ‚Ernte‘. Die Gegenwart erscheint als geschenkte Zeit, als Freiraum für mensch‐ liche Entscheidung und Entfaltung, als Zeit der Bewährung und Versuchung, als Zeit der Besinnung und Kurskorrektur, als Zeit der Einladung in die göttliche Heilsveranstaltung, kurz: als Zeit, die es im Sinne Gottes aktiv zu nutzen gilt. Jetzt werden die Weichen für das künftige Schicksal gestellt. Die Schlussphase der Texte beinhaltet oft eine Abrechnungsszene (‚Ernte‘: Sammlung und Vernichtung; ‚Abrechnung‘: Belohnung und Bestrafung; große ‚Feier‘: Teilnahme und Ausschluss). Die Gegenwart ist eine entscheidende und schwierige Zeit: Jetzt ist die Zeit der ‚letzten großen Bedrängnis‘ (Mk 13,3ff.), der ‚Geburtswehen‘ der neuen Welt (Mk 13,8par. → 4.1.3), die Zeit satanischer Versuchungen und Irrlehre (Mt 13,24-30; Mk 13,5f.21f.), die Zeit des Dualismus von Gut und Böse (Mt 13,24-30; 47-50; 22,11-13) und des ängstlichen Wartens auf Erlösung (Röm 8,18-22). In der endzeitlichen Situation wird das Leben der Glaubenden metaphorisch als Kampf der ‚Soldaten Christi‘ (gr. stratiṓtai Christoú Iēsoú, 2 Tim 2,3-5) bezeichnet. Im Kampf gegen das Böse tragen

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256

4 Musterexegesen und Theologie

sie eine ‚Waffenrüstung‘, bestehend aus Glaube, Liebe und Hoffnung.374 Die Johannes-Offenbarung spricht die ‚Überwinder‘ selig (Apk 2 f.). b) Gottes Herrschaft ist schon wirksam

Die Gegenwart ist auch die Zeit der Erfüllung alter Verheißungen. Gottes Herrschaft nimmt mit dem irdischen Wirken Jesu ihren Anfang (Mt 12,28: Exorzismen; vgl. Lk 11,20 und andere präsentisch-eschatologische Aus‐ sagen). Die Wirksamkeit Jesu ist Lk 4,18-21 zufolge Erfüllung prophetischer Heilsankündigung (Zitat Jes 61,1f.). Mit Jesus ist der ‚Bräutigam‘, der die messianische Heilszeit bringt, gekommen (Mt 22,1-14; 25,1-13; Mk 2,18-20). Er wirft den ‚Samen‘ des Evangeliums aufs Feld und macht damit das Kommen der Gottesherrschaft unumkehrbar (Mk 4parr.). Abendmahl und Kreuzestod erfüllen die Bundesverheißung von Jer 31,31-36; Ez 36,26-28 und überwinden das Böse (Lk 10,18: Satan fällt vom Himmel ‚wie ein Blitz‘; vgl. Joh 12,31; 16,11; 19,30). Jesu Auferstehung ist das Fanal der allgemeinen Totenauferstehung (Kol 1,18; vgl. Apg 26,23; 1 Kor 15,20). Das Pfingstge‐ schehen ist laut Apg 2,17 eschatologische Erfüllung von Joel 3,1-5. Der Heilige Geist ist ‚Vorschussgabe‘ der Erlösung (2 Kor 1,22; 5,5; Eph 1,13f.), er ‚versiegelt‘ die Getauften und immunisiert sie damit gegen die Übergriffe des Bösen (Eph 1,13f.; Apk 7,1-8). In den christlichen Gemeinden wird Gottes Herrschaft schon jetzt sichtbar. Sie ist das ‚Reich des Menschensohns‘ (Mt 13,41), der ‚Leib Christi‘ (1 Kor 12,12-31; → 4.1.5.). Die Glaubenden sind ‚Licht der Welt‘ und ‚Salz der Erde‘ (Mt 5,13-16). – Mit alledem ist die Gegenwart als eschatologische Zeit qualifiziert. Gottes Herrschaft ist nahe gekommen, das Ende dieser Welt ist absehbar geworden (Mk 1,15parr; 1 Kor 7,29.31 u. a.). c) Die Alltagswelt ist ein Auslaufmodell

Vieles von dem, was den Alltag prägt, erscheint vor dem Hintergrund der Herrschaft Gottes deplatziert und überholt; die jetzige, heillose Welt verliert an Bedeutung. In der neuen Welt Gottes wird ein gedeihliches Miteinander (hebr. schalóm) umfassend Wirklichkeit. – Paulus zufolge ist die jetzige Welt ihrem Ende nah (1 Kor 7,29.31), die neue Zeit ist durch den Geist und seine Gaben gekennzeichnet, die alte durch den Buchstaben des Gesetzes

374

2 Kor 10,3-5.8; Eph 6,10-17; 1 Thess 5,8; 1 Tim 6,12.

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

(2 Kor 3,6).375 – Mit dem Kommen Jesu, so Mk 2,18-20, sind alte Gebote außer Kraft gesetzt, denn die Zeit messianischer Freude ist angebrochen. ‚Neue Flicken‘ passen nicht auf ein altes Kleid, ‚neuer Wein‘ passt nicht in ‚alte Schläuche‘ (Mk 2,21f.). – Der Hebräerbrief überträgt das Modell auf den kultischen Bereich: Der alte Kult am Jerusalemer Tempel ist seinem Ende nah (Hebr 8,13). Mit dem Selbstopfer Jesu Christi ist das himmlische Heiligtum gereinigt; der irdische Tempelkult ist ersetzt (Hebr 9,23; vgl. Joh 4,23: Anbetung Gottes ‚im Geist und in der Wahrheit‘ als Merkmal des neuen Kultes). d) Gottes Zeitplan kennt niemand

Gott ist der Herr der Zeit, auch der nächsten Zukunft; das bringen die Gleichnisse anschaulich zur Sprache. Gott schenkt Zeit zum Leben und Handeln, er schafft Freiraum und hält sich dafür mit dem Gebrauch seiner Allmacht und seines Allwissens zurück. Wann dieser Zustand endet, ist ein Geheimnis, das nicht einmal der ‚Sohn‘ kennt (Mk 13,32parr.). Wann der kýrios kommt und Rechenschaft fordert, weiß niemand. Gott kann die Zeit bis zum Ende ausdehnen (2 Petr 3,9), er kann sie aber auch zugunsten seiner Auserwählten verkürzen (Mk 13,20; vgl. 1 Kor 10,13). Am Ende wird die Zeit ‚abgeschnitten‘ (Apk 10,6). Die Einsicht, dass der Zeitpunkt des Endes unbekannt ist, und die Mög‐ lichkeit, dass der ‚Tag des Herrn‘ plötzlich, ‚wie ein Dieb in der Nacht‘, eintritt (1 Thess 5,1-3; vgl. Mt 24 f.), rät zu einem klugen Umgang mit der Ressource Zeit. Eph 5,16 und Kol 4,5 verwenden hierfür die merkantilistische Metapher ‚Kauft die Zeit aus‘. Solange die individuelle Lebenszeit oder die globale Weltzeit noch läuft, besteht die Möglichkeit, zu handeln und die eigene Zukunft zu beeinflussen (vgl. Lk 23,43, Schächer am Kreuz). Mit dem Tod ist diese Möglichkeit vorüber (Lk 16,19-31; vgl. Mt 25,1-13). e) Fazit: Zeit ist Geschenk und Verpflichtung

Jesu irdisches Wirken läutete eine neue Phase der Geschichte ein. Die Gegenwart ist ‚Endzeit‘ mit allen positiven und negativen Aspekten: Gottes Herrschaft ist nahe gekommen (Mk 1,15parr.); es ist die Zeit des Aufbruchs und der (Vor-) Freude auf Gottes große Heilsveranstaltung (Mt 22,1-14; 25,1-13; Mk 2,18-20). Mit Jesu Gleichnisbotschaft werden Fenster 375

Ohne Vergleich markieren die Antithesen der Bergpredigt den Paradigmenwechsel (Mt 5,21-48).

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4 Musterexegesen und Theologie

zu Gottes Wirklichkeit geöffnet, welche die Alltagswirklichkeit heillos und überholt erscheinen lassen. Ungerechte Verhältnisse, ausgrenzende Moral, Heuchelei, Kleingeisterei, Standesdünkel – all das wird in den Texten entlarvt und kritisiert. Das Bild des gütigen, liebenden, barmherzigen, gerechten und vergebungsbereiten Gottes zeigt den Weg auf, der zu einem gedeihlichen Miteinander und zu einem guten Leben für alle Menschen führt. In der christlichen Gemeinde soll das hier und jetzt schon erlebbar werden. Die vergleichenden Texte weisen auch auf die sichtbaren Anfänge der neuen Heilswirklichkeit hin, die derzeit noch unsichtbar, winzig klein ist. Die Wachstumsgleichnisse Mk 4parr. zeigen, dass aus winzigen Anfängen schon bald ein großes Ganzes wird. Identitätsmetaphern unterstreichen, dass mit Tod und Auferstehung Christi sowie mit der Gabe des Geistes bereits wichtige Etappen der Endzeit erreicht sind; die verbleibende Zeit erscheint überschaubar, das heilvolle Ende spürbar nahe. – Gegenläufig dazu ist die Gegenwart eine Zeit der Bewährung inmitten von Verfolgungen und der so genannten ‚großen Bedrängnis‘. Positive und negative Aspekte zusammen genommen, ergeben die Vor‐ stellung einer Übergangszeit, die für die ersten Christengenerationen eine schwer zu ertragende und schwierig zu überdauernde Phase darstellte. Die Gegenwart, so die Deutung in den Gleichnissen, ist die entscheidende Zeit der Bewährung, der Geduld, der ‚Wachsamkeit‘, des Kampfes und des Durchhaltens, die Zeit des Glaubens, nicht des Schauens (2 Kor 5,7; vgl. Röm 8,24).376 Erst nach dieser endzeitlichen Phase kann die Erlösung kommen; wann sie kommen wird, weiß Gott allein. Die gegenwärtige Zeit der Einladung Gottes, seiner Sanftmut und Geduld ist begrenzt. Daher ist kluges Ausnutzen der geschenkten (Lebens-)Zeit das Gebot der Stunde. Alles kommt jetzt darauf an, die richtigen Prioritäten zu setzen und sich das zukünftige Heil zu sichern. Hinter dem skizzierten Geschichtsbild wird der planende und geschichts‐ mächtige Gott sichtbar, der alles dafür tut, dass die Glaubenden (und möglichst alle anderen Menschen auch) das rettende Ufer der Heilszeit erreichen.

376

Die Metapher ‚Zeiten der Heiden‘ (Lk 21,24) bringt die Ambivalenz des Geschichtsver‐ ständnisses zum Ausdruck: Jetzt haben Nichtgläubige das Sagen, jetzt ist auch die Zeit der Weltmission.

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

4.5.10 Ergebnis: Keine einfache ‚Sache‘!

Gleichnisse umschreiben keine einfache ‚Sache‘. Dieser Begriff kann die komplexe theologische Erkenntnis, welche die Texte ermöglichen, längst nicht erfassen; zu vielschichtig sind die vorreligiösen Erfahrungen und die einzelnen Aspekte der Gleichnis-Theologie. Vor dem Horizont der Nähe Gottes und seiner basileía erscheint der Alltag in neuem Licht. Zugleich werden die Koordinaten theologischen Denkens neu ausgerichtet. Die Gleichnisse vernetzen unterschiedlichste Themen miteinander; sie sind ein Brennglas der neutestamentlichen Theologie. a) Vorreligiöse Erfahrungen, theologische Einsichten

Die theologischen Einsichten der Texte führen zurück zu weisheitlich-vor‐ religiösen Grunderfahrungen, die jenseits kultureller und religiöser Grenzen liegen und von hoher Plausibilität sind. Der Fundus des menschlichen Erfahrungsschatzes und Wissens führt die Vorstellungen über Gott, die Welt und die Geschichte sowie über das menschliche Miteinander, das Böse und seine Überwindung auf selbstverständliche Grundlagen für ein gedeihliches Miteinander zurück. Der Gleichniserzähler Jesus wirkt dabei als ‚Promoter‘ der Gottesherrschaft, der in kleinen Szenen ‚Trailer‘ der Erlösung vorführt und Appetit auf Gottes ‚Hauptfilm‘ macht.377 b) Verwandlung der Alltagswelt

Die Texte kritisieren etablierte Verhaltensmuster, Moralvorstellungen, Got‐ tesvorstellungen usw. grundsätzlich. Damit werden nicht alttestamentliche und frühjüdische Traditionen über Bord geworfen; alt- und neutestament‐ liches Gottesbild lassen sich nicht kontrastieren (im Sinne von zorniger vs. liebender Gott, Gesetz vs. Evangelium, bestrafender vs. vergebender Gott, ferner vs. naher Gott). Die Neuorientierung ist weder eine Abkehr von der Tradition noch von der Tora. Sie betrifft vielmehr deren Deutung (hebr. halachá). Nicht die Erfüllung der Tora an sich wird kritisiert, sondern die Grundlinie ihrer praktischen Umsetzung mit der dahinter stehenden Werteskala. An die oberste Stufe der Skala rücken das Leben und das Wohlergehen der Menschen. Eine aus- und abgrenzende Moral, die das Leben knebelt und sich dabei auf äußerliche Gebotserfüllung beruft, wird als heuchlerisch und heillos entlarvt.

377

Zu dieser Metaphorik vgl. Erlemann 2014b, 41.

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4 Musterexegesen und Theologie

In Gottes neuer Welt wartet auf jeden Menschen ein Leben in Fülle. Gottes Wohltaten bilden die Leitlinien eines gedeihlichen Miteinanders: Barmher‐ zigkeit und Güte, Vergebungsbereitschaft und Liebe, Gewaltverzicht und Demut, Versöhnung und Freude. Das Wohlergehen aller Menschen, ohne Ansehen der Person, ist Gottes höchstes Anliegen. Er tut alles Vorstellbare, aber auch schier Unvorstellbares, um auch den ‚Letzten‘ in der Gesellschaft gerecht zu werden. Um die Welt davon zu überzeugen, schickt er ihr seinen Sohn. Seinen Tod münzt er in ein heilvolles Geschehen um. Mit der Gabe des Heiligen Geistes legt er sich gleichsam juristisch auf die baldige Einlösung der noch offen stehenden Verheißungen fest. Das Gottesbild und die alternative Weltsicht nehmen dem Alltag seinen bedrängenden, mutlos machenden Charakter. Allein schon die Vision einer gerechten, lebenswerten Welt unter Gottes Herrschaft bringt Hoffnung in die Welt, die eine Verwandlung bewirken kann. Sie bringt Lebensfreude und Kreativität hervor, ungerechte Verhältnisse schon hier und heute abzubauen. Die christliche Gemeinschaft ist die Keimzelle und das ‚Leuchtturmprojekt‘ Gottes auf diesem Weg. Die Verwirklichung dieser Vision erfordert einen langen Atem; der Reifeprozess der basileía braucht Zeit. Aber er ist unumkehrbar in Gang gesetzt; der Weg zur Erlösung ist geebnet. Die Menschen sind eingeladen, ihn zu gehen, sich versöhnen und erlösen zu lassen, das gute Leben schon jetzt zu ergreifen sowie Bedrängendes und Beengendes loszulassen. Dort, wo Menschen dieser Einladung folgen und sich verwandeln lassen, verwandelt sich auch die reale Lebenswelt. c) Werbung um die Herzen

Vergleichende Sprache hat gegenüber anderen Sprachformen den Vorteil, dass sie nicht nur den Verstand, sondern auch das Herz anspricht. Gleich‐ nisse sind Gottes Kampf um die Herzen der Menschen. Veränderung muss von innen heraus, von Herzen, kommen, damit sie nachhaltig ist. Äußerer Zwang und Machtdemonstrationen sind nicht Gottes Weg, um zur Versöh‐ nung zu kommen. Sanftmut, Gewaltverzicht, Angreifbarkeit und Liebe markieren Gottes Weg; nur so ist das Böse zu überwinden. Jesu Reaktion auf die Versuchungen Satans (Mt 4,1-11) zeigt das programmatisch: Er verzichtet auf die Versuchungen der Macht, er lässt sich nicht korrumpieren, sondern geht den Weg des liebenden, sanftmütigen Gottes (vgl. Phil 2,6-11). Er verweigert sich den Strategien Satans und entmachtet ihn damit.

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

Der Kampf um die Herzen zielt auf Glauben, auf freiwillige Zustimmung zum Angebot Gottes. Dem entspricht, dass Menschen Gottes Ebenbilder sind, ausgestattet mit einem freien Willen. Die doúloi der Gleichnisse sind keine willenlosen Marionetten, sondern eigenverantwortlich, zum Teil eigensinnig handelnde Personen. Sie machen sich den Willen des kýrios zu eigen oder lehnen ihn ab. Als kurze fiktionale Texte erzwingen die Texte keine Zustimmung, machen sie aber schmackhaft und plausibel. Das macht sie zur geeigneten Sprachform, um Gottes Weg deutlich zu machen. Ihre vorreligiösen Grunderfahrungen haben das Potenzial, möglichst viele Menschen anzusprechen und auf die Seite Gottes zu ziehen. d) Bewertung des Gottesbildes

Vergleichende Sprache ist der Rede von Gott hermeneutisch angemessen. Metaphern bringen Analogien oder Differenzen zwischen zwei Bereichen zum Vorschein, Gleichnisse beides zugleich. Sie bringen Gott nah, machen ihn verständlich (Anthropomorphismen, Anthropopathien), stellen aber auch seine bleibende Unvergleichlichkeit heraus (Extravaganzen). Dadurch fixieren sie Gott nicht auf bestimmte Vorstellungen. Das Gleichnisbild ist ein situativ bedingtes Schlaglicht. Es zeigt, wie Gott ‚tickt‘, bewahrt aber seine Wandlungsfähigkeit (vgl. den Gottesnamen Jahwe – ich bin der, der ich sein werde, Ex 3,14). Wer Gott wirklich ist, bleibt letztlich verborgen. Die Gleichnisse bieten keine Dogmatik, sie sind der Kompromiss zwischen einer theologia negativa und einer sprachlichen Vereinnahmung Gottes. Gott wird ein Stück weit verständlich, bleibt aber letztlich unverfügbar. Vor allem der Aspekt der Parteilichkeit Gottes sorgt für Sympathie und Überzeugung: Gottes Herz schlägt für seine Menschen, und zwar kompromisslos. e) Gleichnisse und nicht-vergleichende Texte

Einerseits sind Gleichnisse eine poetische Sprachform. Ihre Narrativität und Handlungsdynamik erlaubt es, Emotionen zu transportieren bzw. zu erzeugen. Die Texte sprechen nicht nur den Verstand an, sondern auch das Herz als Sitz der Gefühle. Sie schaffen Identifikationen und Antipathien, ihre Botschaft erscheint als ‚Herzensangelegenheit‘. Dies lädt ebenso wie die Metaphorik zu immer neuen Deutungen ein (Sinnüberschuss). Kurz: Die Gleichnisse sind eine hermeneutisch nicht zu ersetzende Sprachform der Rede von Gott und seiner Wirklichkeit. Andererseits haben Gleichnisse eine rhetorisch-didaktische Funktion. Sie sind regelmäßig Teil längerer Argumentation. Sie erläutern das Wirken Jesu,

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4 Musterexegesen und Theologie

rechtfertigen es und lassen es durch metaphorische Sprache und kleine, fik‐ tionale narrationes lebendig werden. Das Verhältnis zu nicht-vergleichender Rede ist an einigen Beispielen zu skizzieren: Erstens, die Vaterunser-Bitte ‚Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern‘ (Mt 6,12) und ihr Kommentar in Mt 6,14f. werden im Gleichnis vom Schalksknecht (Mt 18,23-35; → 4.3.3) narrativ entfaltet. Der Zusammenhang zwischen göttlicher und menschli‐ cher Vergebungsbereitschaft sowie die Rücknahme der Schuldenamnestie werden durch Szenenfolge, perspektivische Darstellung und weitere text‐ pragmatische Mittel nicht nur anschaulich, sondern plausibel gemacht. Das Spiel mit gegenläufigen Emotionen und die Konterdetermination ziehen die Adressaten des Textes in Bann und provozieren emotionale Zustimmung. Zweitens, die Gleichnisse vom Verlorenen in Lk 15 rechtfertigen das Ver‐ halten Jesu gegenüber dem Pharisäer-Vorwurf in V.1f. Außerdem bereiten sie den programmatischen Satz Lk 19,10 (‚Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist‘) narrativ vor, lassen ihn mit diversen textpragmatischen Mitteln lebendig werden und machen ihn plausibel. Der Erzähler erreicht durch perspektivische Darstellung, wie etwa das Selbstgespräch des verlorenen Sohnes (V.18), eine Identifikation, die der konventionellen Erwartung (Sympathie für den fleißigen, älteren Bruder) zuwiderläuft und Jesu Verhalten auf einer ersten Ebene begründet. Die Begründung der übergroßen Freude des Vaters (V.24.32, Metametaphorik von tot/lebendig) gewährt einen Einblick in die göttliche Motivlage und rechtfertigt das Verhalten Jesu auf einer zweiten Ebene. Drittens, der Aufruf, ‚wachsam‘ zu sein (Mt 24,42), gewinnt durch die an‐ geschlossenen Gleichnisse Mt 24,45-25,30 an Plausibilität und Dringlichkeit. Das Schicksal der Protagonisten provoziert eine Positionierung und erweist kluges, ‚wachsames‘ Verhalten als Gebot der (eschatologischen) Stunde. Vergleichende und nicht-vergleichende Sprache sind, wie die Beispiele zeigen, aufeinander bezogen; sie erläutern und ergänzen einander. Die Gleichnisse bewirken eine narrative Verlebendigung der Worte Jesu und machen die dahinter liegenden Zusammenhänge und Motivlagen sichtbar. Sie sind eng mit vorreligiösen Grunderfahrungen verknüpft, die einen hohen Grad an Zustimmung erwarten dürfen und die intendierten Lernziele plausibel machen. Insbesondere das Mittel poetischer Fiktion ermöglicht geradezu spielerisch ein Umdenken und ‚Umfühlen‘ – anders als program‐

4.5 Ausblick: Die Theologie der Gleichnisse

matische Sätze und apodiktische Sentenzen es erlauben. Darin liegt der didaktisch-rhetorische Vorzug vergleichender Sprache.

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5 Didaktische Impulse Das Kapitel zieht Konsequenzen aus Gleichnistheorie und Auslegungs‐ methodik für einen theologisch verantworteten und zugleich hermeneu‐ tisch-didaktisch fruchtbaren Religionsunterricht. Die nachfolgenden Im‐ pulse betreffen pädagogische Überlegungen (5.2), den methodischen Weg von der Textauslegung zur Unterrichtsplanung (5.3), die Einbettung der Gleichnisse und ihrer Botschaft in die Curricula verschiedener Schulstufen in Nordrhein-Westfalen (5.4), grundsätzliche didaktisch-methodische Op‐ tionen (5.5) sowie Musterbeispiele (5.6). 5.1 Vorbemerkungen Dem integrativen gleichnistheoretischen Ansatz entspricht ein integrativer didaktischer Ansatz. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass verglei‐ chende Texte mittels vorreligiöser Grunderfahrungen und einer bestimmten Erzähltechnik eine neue Sicht auf die Wirklichkeit ermöglichen und diese plausibel machen. Ebenso bestimmen sie die Koordinaten theologischer Vorstellungen neu und unterziehen Moralvorstellungen sowie Verhaltens‐ muster einer Grundsatzkritik. Vorreligiöse Grunderfahrungen und Theo‐ logie sind aufeinander bezogen; der Gott der Gleichnisse ist ein Gott, der sich an menschlichen Grundbedürfnissen orientiert. Ein exegetisch-theologisch reflektierter Religionsunterricht berücksichtigt diese Kerneinsichten und macht sie im Unterrichtsgeschehen fruchtbar.378 5.2 Pädagogische Überlegungen Gleichnisse gehören bis heute zum Kernbestand der Curricula für den Evangelischen Religionsunterricht aller Schulstufen.379 In der Religionspäd‐

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Ausführlich zu religionspädagogischen Konzepten und didaktischen Erwägungen zu Gleichnissen im Religionsunterricht vgl. Müller u. a. 2002; Loose 2014; Kollmann 2019, 157-163. Loose 2014, 115. Loose nennt expressis verbis Mt 13,31-35; 20,1-16 und Lk 10,30-37.

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5 Didaktische Impulse

agogik gibt es freilich seit 1945 eine Kontroverse darüber, ob und ab wann gegebenenfalls die Behandlung von Gleichnissen im Religionsunterricht sinnvoll ist. Sofern man in der Ermittlung des historischen Kontextes und der Deutungsebene das wesentliche Lernziel didaktischer Bemühungen ansieht, wird man die Behandlung von Gleichnissen frühestens ab dem zwölften Lebensjahr für sinnvoll erachten. Hintergrund sind entwicklungspsycholo‐ gische Erkenntnisse, denen zufolge Kinder erst ab dem besagten Alter zu abstraktem Denken und damit zur Übertragung des Erzählten fähig sind.380 Gleichnisse früher anzubieten, stelle eine massive Überforderung der Kinder dar und würde dem theologischen Gehalt der Gleichnisse nicht gerecht.381 Anders wird geurteilt, sofern das Eigenrecht der Erzählebene betont wird. Diese Sichtweise dominiert seit der ‚metaphorischen Wende‘. Histo‐ risch-exegetische Fragen und die nach der Gleichnis-Theologie treten in den Hintergrund; die Texte wirkten als fiktionale Kurzgeschichten unmittelbar. In der Konsequenz wird der Einsatz von Gleichnissen bereits ab der Grund‐ schule empfohlen.382 Das integrative Konzept des Buches sieht in den Modellen keine sich ausschließenden Alternativen. Gleichnisse sind, zumal die in den aktuellen Lehrplänen favorisierten Alltags- und Naturgleichnisse, großenteils konter‐ determiniert. Das heißt, sie sind in einem ersten Durchgang als narrationes zu lesen und zu verstehen. Schon hier sind wesentliche Aspekte der Gleich‐ nisbotschaft ablesbar – die vorreligiöse Grunderfahrung ebenso wie die (erzählintern zu formulierende) Pointe.383 Auf der Erzählebene finden zudem wesentliche Identifikationsprozesse statt; die Rezipienten werden affektiv in das Geschehen involviert und zur Parteinahme animiert. Das alles ist auch für Kinder möglich, die noch nicht zur Abstraktion fähig sind. Kurz gesagt: Gleichnisse laden dazu ein, Transfersignale zu entdecken und mit

380 381 382

383

A.a.O., 116f. Frör 1961; Bucher 1987a, 201. Halbfas 1994; Rupp 1998; Müller u. a. 2002; Müller-Friese 2002; Baldermann 2005; Loose 2014, 117.174 u. a. – Das Konzept der Kinder- bzw. Jugendtheologie geht Hand in Hand mit rezeptionsästhetischen, tiefenpsychologischen, metapherntheoretischen, sozialgeschichtlichen und integrativen Zugängen, für die die historische Dimension der Texte nachrangig ist. Stattdessen ermögliche der Erfahrungsbezug der Texte eine Vermittlung schon in der Grundschule (Loose 2014, 134-147). Mit Müller u. a. 2002, 73; Schweitzer 2011, 48; Loose 2014, 167.174. – Der Rekurs auf vorreligiöse Grunderfahrungen erfordert gegebenenfalls die Theologie als Korrektiv, verbietet aber kognitive Engführungen bei der Vermittlung der Gleichnisse (mit Büttner 1998, 154 f.; Freudenberger-Lötz 2007, 35; Lück 2008, 439; Loose, 2014, 175 f.).

5.3 Von der Exegese zum Unterricht

den Kindern nach Möglichkeit einen Schritt über das wörtliche Verstehen des Erzählten hinauszugehen. Als Leitlinie für den Einsatz von Gleichnissen im Unterricht der Grundschule formuliert Reinhard Feldmeier zutreffend: Wenn es, wie es die Gleichnisse selbst nahe legen, auch im Unterricht gelingt, dass ‚nicht Selbstverständliches‘ selbstverständlich und ‚Selbstverständliches‘ fraglich wird, können die Schüler neue Erfahrungen im Blick auf das individuelle wie das soziale Leben in der Gruppe […] machen, und Veränderungen möglich werden.384

Ohne Wahrnehmung der Deutungsebene bleiben zum Beispiel Naturgleich‐ nisse banal. Ohne Deutungsebene verlieren sie ihren Sinn und Zweck. Daher wird die Gleichnisvermittlung darauf ausgerichtet sein, diese zu erschließen. Im Falle von Wachstumsgleichnissen ist das geradezu unumgänglich, will man nicht beim Anschauungsunterricht über wachsende Senfkornsamen stehen bleiben. – Für den Einsatz von Gleichnissen im Religionsunterricht heißt das: Gleichnisse, die auch ohne Transfer verständlich sind und einen (noch zu bestimmenden) Lerneffekt haben, können bereits in der Grundschule eingesetzt werden. Andere Texte, die ohne ausdrücklichen Bezug auf die theologische Ebene banal oder unverständlich bleiben, sind gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt (ab Sekundarstufe I) erneut aufzugreifen und dann auf die Deutungsebene zu beziehen. Texte, deren Ver‐ ständnis eine erhöhte Reflexionsleistung voraussetzt, wie etwa das Gleichnis vom treulosen Verwalter (Lk 16,1-9), sollten einer höheren Klassenstufe vorbehalten sein.385 5.3 Von der Exegese zum Unterricht Der Weg von der Exegese zum Unterricht führt, bildlich ausgedrückt, über eine Brücke. Auf der einen Seite des Flusses stehen die historischen Ver‐ ständnismöglichkeiten der Erstadressaten mitsamt ihren sozialen Lebens‐ bedingungen und vorreligiösen Grunderfahrungen. Auf der anderen Seite stehen die heutigen Verstehensmöglichkeiten mitsamt den Lebensweltbe‐ zügen und Grunderfahrungen der Zielgruppe. Der didaktische Vermitt‐

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Feldmeier 2001, 333. Als Beispiele für sinnvolle Texte in der Grundschule nennt Feld‐ meier (a. a. O., 333-335), unter Hinweis auf leicht nachvollziehbare Grunderfahrungen, Mk 4,3-9; Mt 18,23-35; 20,1-16; Lk 10,30-37; Lk 15 und Lk 18,1-8. Ähnlich differenzierend votiert Büttner 2013, 9f.

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5 Didaktische Impulse

lungsprozess hat beide ‚Brückenköpfe‘ zu berücksichtigen. – Die folgenden Impulse sind, leicht modifiziert, vom Schema zur Unterrichtsvorbereitung von Christian Grethlein inspiriert.386 Grethlein lehnt sein Schema an eine ‚lernzielorientierte[n] Didaktik‘ an.387 Religionsunterricht als ‚kommunika‐ tives Geschehen‘ ist ein ‚zirkulärer Prozess‘ zwischen spontanen Gedanken zum Thema und einer systematischen Unterrichtsplanung, so Grethlein.388 Schritt 1: Persönliche Begegnung. Wie bei der Exegese389, so ist es auch bei der Unterrichtsplanung notwendig, das eigene Vorverständnis von Text und Thema offenzulegen. Hierbei werden subjektive Klischees aufgearbeitet und persönliche Leitfragen formuliert. Schritt 2: Analyse des didaktischen Bedingungsfeldes. Um einschätzen zu können, welche Verstehensmöglichkeiten die Schülerinnen und Schüler mitbringen, welche Lernziele realisierbar sind und wo die Schwerpunkte bei der exegetischen Arbeit zu setzen sind, ist, mit Grethlein, schon früh eine Analyse des didaktischen Bedingungsfeldes vorzunehmen. Hierzu gehören erstens, die Situation der Schule (Schulart, soziales Umfeld, Schulprofil) sowie die Vernetzung des Religionsunterrichts etwa mit Kirchengemeinden und Behinderteneinrichtungen; zweitens, die spezifische Klassensituation (Raumgröße und Ausstattung, Sitzordnung, Gruppengröße, Genderaspekte, Religionszugehörigkeit, Migrationshintergrund sowie das standing des Re‐ ligionsunterrichts an der Schule und im Stundenplan); drittens, das Profil der Zielgruppe inklusive entwicklungspsychologischer Aspekte. – Die Erkennt‐ nisse zu diesem Punkt fließen in die weitere exegetische, hermeneutische und didaktisch-methodische Arbeit ein, um das ausgewählte Thema mög‐ lichst optimal vermitteln zu können. Schritt 3: Verortung von Text und Thema im Lehrplan (Curriculum). 390 Sodann ist zu fragen, an welcher Stelle des staatlich vorgegebenen Kerncurriculums für Evangelische Religionslehre sich Text und Thema ‚andocken‘ lassen. Über das Curriculum ergeben sich oft Verknüpfungen mit Nachbarthemen, die helfen können, Text und Thema mit anderen Inhalten des Curriculums zu vernetzen. Die aktuellen Curricula sind kompetenzorientiert und geben an‐ 386 387 388 389 390

Grethlein 2005, 321-329. A.a.O., 322. Ebd. Erlemann/Wagner 2013, 7-12. In Ergänzung zum Grethlein‘schen Entwurf.

5.3 Von der Exegese zum Unterricht

stelle von kurzfristigen Lernzielen langfristig zu erreichende Kompetenzen vor. Die nachfolgenden didaktischen Impulse orientieren sich an beiden Perspektiven. – Weiter dazu → 5.4.2. Schritt 4: Exegetische und theologische Orientierung. Eine sorgfältige Durch‐ führung dieses Arbeitsschritts schafft das notwendige historische und theo‐ logische Problembewusstsein. Soziale Hintergründe sowie sprachliche und theologische Verstehensmöglichkeiten der Erstadressaten geben Aufschluss über die Funktion des Textes in seinem ursprünglichen Kontext (Ausgangs‐ frage, Autorintention, innovatives und provokatives Potenzial). Die kir‐ chenhistorische und systematisch-theologische Analyse von Begriffen und Themen sorgt für zusätzliches Problembewusstsein, macht die theologische Verortung der Lehrkraft sichtbar und bewahrt sie davor, das ‚Rad der Geschichte‘ neu zu erfinden. Die exegetischen, auf Gleichnisauslegung zugespitzten Arbeitsschritte sind in Kapitel 3 und 4 dieses Buches vorgestellt. Je nach Zielgruppe ist die Methodik zu modifizieren. Religionsgeschichtlicher Vergleich, Kompo‐ sitions- und Redaktionskritik sowie die Entwicklung der Gleichnis-Theo‐ logie etwa können von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe II aktiv betrieben werden. In den anderen Schulstufen werden historische Spezialfragen allenfalls im Hintergrund mitschwingen. Realienkunde, Poin‐ tenermittlung, textpragmatische Analyse, Klärung der Metaphorik und des theologischen Bezugsrahmens sind für die Unterrichtsvorbereitung in allen Schulstufen unabdingbar. Je sorgfältiger der Arbeitsschritt bearbeitet wird, desto breiter ist das Fachwissen der Lehrkraft und desto interessanter und abwechslungsreicher wird der Unterricht sein. Auch wenn viele Erkenntnisse am Ende nicht eins zu eins in den Unterricht einfließen, sorgen sie doch für Sicherheit im Un‐ terrichtsgeschehen; man denke nur an unerwartete Fragen der Schülerinnen und Schüler, die über den Tellerrand des eigentlichen Themas und Textes hinausgehen. Schritt 5: Hermeneutische Überlegungen.391 Aus der Fülle der historischen und theologischen Erkenntnisse ist eine auf die Zielgruppe abgestimmte

391

Dieser Schritt heißt bei Grethlein (2005, 326) ‚Didaktische Orientierung‘ und ist auf Lernmöglichkeiten ausgerichtet. Der Begriff ‚Hermeneutische Überlegungen‘ fo‐ kussiert hingegen mehr den Brückenschlag zwischen theologisch-exegetischer und didaktisch-methodischer Arbeit.

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5 Didaktische Impulse

Auswahl vermittelnswerter und vermittelbarer Aspekte zu treffen. Leit‐ kriterium ist die Relevanz für die Zielgruppe; Text und Thema werden auf gegenwartsrelevante Aspekte geprüft. Damit wird eine theologische Reduktion vorgenommen, die den hermeneutischen ‚Brückenschlag‘ – die Vermittlung des biblischen Textes bzw. Themas mitsamt den Lebensweltbe‐ dingungen seiner Erstadressaten sowie den Verstehensmöglichkeiten und Lebensweltbedingungen der Zielgruppe – vorbereitet. Schritt 6: Suche nach Lebensweltbezügen. Nach Klärung gegenwartsrele‐ vanter Aspekte empfiehlt es sich, in Ergänzung des Grethlein-Papiers, die dazu passenden Lebensweltbezüge der Zielgruppe zu recherchieren. Die Leitfrage lautet: Wo kommen bestimmte Grunderfahrungen, Begriffe oder Themen in ihrer Lebenswelt vor? Umgangssprachliche Wendungen, Songtexte, Werbung, YouTube-Videos, Zeitungen, Zeitschriften, bildende Kunst, kurz: Alle den Kindern und Jugendlichen zugänglichen Medien sind auf Spurenelemente oder offene Bezugnahmen auf Grunderfahrungen, Begriffe und das Thema des Unterrichts abzusuchen. Das schärft den Blick für den Verstehenshorizont der Zielgruppe. Zugleich werden Möglichkeiten der Aktualisierung ausgelotet. Schritt 7: Formulierung von Lernzielen (Didaktische Entscheidungen). Die vermittelbaren und vermittelnswerten Aspekte von Text und Thema werden als Nächstes in Lernziele gegossen. Diese sind auf die unterschiedlichen Schulstufen und Klassensituationen hin zuzuschneiden. Von der Analyse des didaktischen Bedingungsfeldes (Welche Verstehensleistungen sind er‐ wartbar? Wie ist die Klassensituation beschaffen?) und von hermeneuti‐ schen Überlegungen aus (Was ist vermittelnswert? Was hat Relevanz für die Zielgruppe?) ergeben sich konkrete Lernziele. Diese sind kognitiv (Welche Fakten und Zusammenhängen sind zu lernen?), aber auch expressiv-emotiv (Welche innere Haltung ist zu entwickeln?) und praktisch (Was heißt das für ethisches Handeln?) zu formulieren, kurz: Die drei Dimensionen Kopf, Herz und Hand sind gleichermaßen anzusprechen. – Zu unterscheiden sind globale Lernziele für die Unterrichtsreihe, Ziele für die Einzelstunde(n) sowie Teillernziele innerhalb einer Unterrichtsstunde. Die Teillernziele führen auf die der Unterrichtsstunde und diese auf die globalen Lernziele hin. Schritt 8: Methodische Entscheidungen. Die gesamte Unterrichtsreihe und die einzelnen Unterrichtsstunden werden im Anschluss konzipiert und

5.4 Gleichnisauswahl und Curricula

aufeinander abgestimmt. Im Hinblick auf die Lernziele werden Methoden und Medien ausgewählt. Auswahlkriterien sind: Was stringent auf die Lernziele hinführt, was altersgemäß ist und zur Klassensituation passt, ist einsetzbar. Um eine möglichst vielseitige Auswahl zu erreichen, sind Unterrichtsmaterialien, Medien, Schulbücher und Materialsammlungen zu bestimmten Texten und Themen zu sichten sowie Arbeitsblätter oder auch eigene Übersetzungen bzw. Nacherzählungen des Textes zu erstellen. – Neben Methoden und Medien dienen die Entwicklung von Impulsfragen und Überlegungen zu Lern- und Sozialformen der Strukturierung des Un‐ terrichts. Schritt 9: Verlaufsplanung. Im letzten Arbeitsschritt wird der Unterrichts‐ verlauf möglichst kleinschrittig geplant. Grethlein schlägt dafür eine Ta‐ bellenform in sieben Spalten vor (Zeit, Ziele, Inhalte, Methoden, Medien, Sozialformen, Kommentar).392 Das ermöglicht die Kontrolle darüber, ob die einzelnen Unterrichtskomponenten zueinander passen und (lern-)zielfüh‐ rend sind. Außerdem verhilft der Schritt zu einem realistischen Zeitmanage‐ ment. Dieses sollte nicht zu knapp bemessen sein, damit noch Raum für Unvorhergesehenes und Spontanes bleibt. Das Grethlein-Konzept hat sich, mit den genannten Ergänzungen und Modifikationen, bewährt. Vor allem schärft es den Blick fürs Detail und die ‚Zielführigkeit‘ der Unterrichtsplanung. Außerdem verschränkt es die historisch-theologische und die gegenwärtig-didaktische Perspektive in vorbildlicher Weise miteinander. 5.4 Gleichnisauswahl und Curricula Welche Texte eignen sich für den Religionsunterricht und speziell für welchen curricularen Kontext (Inhaltsfelder, Schwerpunkte, Kompetenzer‐ wartungen)?

392

A.a.O., 328.

271

272

5 Didaktische Impulse

5.4.1 Vorgaben der Kerncurricula

Die aktuellen Kerncurricula für den Evangelischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen für Primarstufe, Sekundarstude I und II393 beziehen Inhaltsfelder, Schwerpunktthemen und Kompetenzbereiche aufeinander. Ausdrücklich kommen Gleichnisse im Kernlehrplan der Sekundarstufe I, Klassen 7-9, bzw. Realschule, Klassen 7-10, Inhaltsfeld 2 (Christlicher Glaube als Lebensorientierung; Schwerpunkt: Die Botschaft Jesu vom Reich Gottes) sowie im Kernlehrplan der gymnasialen Oberstufe, Inhaltsfeld 3 (Das Evangelium von Jesus Christus; Schwerpunkt: Reich-Gottes-Verkündigung Jesu in Tat und Wort) vor. In Bezug auf die in → Kapitel 4 durchgeführten Musterexegesen betrifft dies Mk 2,18-20parr. (Fasten auf der Hochzeit), Mk 4,26-29 (selbstwachsende Saat), Mt 6,25-32 (Vögel und Lilien), Mt 7,24-27par. (Hausbau), Mt 18,12-14par. (verlorenes Schaf) sowie Mt 18,23-35 (Schalksknecht); darüber hinaus betrifft dies natürlich alle Gleichnisse, die auf Gottes basileía zu beziehen sind. Auch einzelne Gleichnistexte werden in den Kernlehrplänen erwähnt, so z. B. die Gleichnisse vom Verlorenen (Lk 15) im Inhaltsfeld 3 der Grundschule (Gott begleitet auf dem Lebensweg; Schwerpunkt: Gott bewahrt vor dem Verlorengehen). Schulinterne Lehrpläne werden noch konkreter.394 Das heißt, für die einzelnen Schwerpunkte der Kernlehrpläne ist die Textgrund‐ lage recht variabel. 5.4.2 Einordnung der Mustergleichnisse

Die in Kapitel 4 behandelten Gleichnistexte gehören bis auf Mt 18,12-14 nicht zu den explizit genannten Textgrundlagen der Curricula-Schwerpunkte. Trotzdem können sie durchaus gewinnbringend und zielführend im Religi‐ onsunterricht eingesetzt werden. Im Einzelnen sind folgende Zuordnungen denkbar: 393

394

Grundschule: www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/upload/klp_gs/LP_GS_2008. pdf; Realschule: https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/lehrplannavigator -s-i/realschule/ evangelische-religionslehre/evangelische-religionslehre-klp/kompeten zen/kompetenzen.html; Sek I: https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/uplo ad/klp_SI/ev_religionslehre/KLP_ GY_ER.pdf; Sek II: https://www.schulentwicklung. nrw.de/lehrplaene/lehrplan/24/ KLP_GOSt_ Religionslehre_ev.pdf (alle zuletzt aufge‐ rufen 26.2.2020). Ich danke Simon Dietz für seine wertvollen Hinweise. So z. B. im Stoffverteilungsplan für das Fach Religion an der Realschule Essen-Überruhr (https://www.realschule-ueberruhr.de/?page_id=69; zuletzt aufgerufen 26.2.2020)

5.4 Gleichnisauswahl und Curricula

Mk 4,26-29 (selbstwachsende Saat): Erstens, Grundschule, Klassen 3+4, Inhaltsfeld 5: Jesus lebt und verkündet das Gottesreich (Schwerpunkt: Hoffnung wächst – Frieden ist möglich).395 Zweitens, Realschule, Klassen 5+6, Inhaltsfeld 2: Christlicher Glaube als Lebensorientierung (Schwerpunkt: Leben, Handeln und Botschaft Jesu Christi). Drittens, Realschule/Sekundarstufe I, Klassen 7-9(+10), Inhaltsfeld 2: Christli‐ cher Glaube als Lebensorientierung (Schwerpunkt: Die Botschaft Jesu vom Reich Gottes). Viertens, Sekundarstufe II GK/LK, Inhaltsfeld 3: Das Evangelium von Jesus Christus (Schwerpunkt: Reich-Gottes-Ver‐ kündigung Jesu in Tat und Wort). 2. Mt 6,25-32 (Vögel und Lilien): Erstens, Grundschule, Klassen 1+2, Inhaltsfeld 2: Wir leben in Gottes Schöpfung (Schwerpunkt: Die vielfältige Schönheit der Schöpfung staunend entdecken). Zweitens, Realschule, Klassen 5+6, Inhaltsfeld 2: Christlicher Glaube als Le‐ bensorientierung (Schwerpunkt: Leben, Handeln und Botschaft Jesu Christi). Drittens, Realschule/Sekundarstufe I, Klassen 7-9(+10), In‐ haltsfeld 2: Christlicher Glaube als Lebensorientierung (Schwerpunkt: Die Botschaft Jesu vom Reich Gottes). Viertens, Sekundarstufe II GK/LK, Inhaltsfeld 3: Das Evangelium von Jesus Christus (Schwer‐ punkt: Reich-Gottes-Verkündigung Jesu in Tat und Wort). 3. Mk 13,8 (Geburtswehen): Sekundarstufe II GK/LK, Inhaltsfeld 6: Die christliche Hoffnung auf Vollendung (Schwerpunkt: Apokalyptische Bilder von Angst und Hoffnung). 4. Mk 2,18-20parr. (Fasten auf der Hochzeit): Erstens, Grundschule, Klassen 3+4, Inhaltsfeld 6: Jesus Christus begegnen (Schwerpunkt: Leben aus der Fülle.396 Zweitens, Realschule/Sekundarstufe I, Klassen 5+6, Inhaltsfeld 2: Christlicher Glaube als Lebensorientierung (Schwerpunkt: Leben, Handeln und Botschaft Jesu Christi bzw. Le‐ bensangebote von Jesus aus Nazareth). Drittens, Sekundarstufe I/ Realschule, Klassen 7-9(+10), Inhaltsfeld 2: Christlicher Glaube als Lebensorientierung (Schwerpunkt: Die Botschaft Jesu vom Reich Gottes). Viertens, Sekundarstufe II GK/LK, Inhaltsfeld 3: Das Evange‐

1.

395 396

Im Lehrplan explizit angegeben sind Lk 13,18f. (Senfkorn) und Mt 5,3-10 (Seligprei‐ sungen). Explizit angegeben sind Mk 6,35-44 (Speisung der Fünftausend), Joh 6,35 (das Brot des Lebens) und Joh 4,7-15.25f. (Jesus und die Frau am Brunnen).

273

274

5 Didaktische Impulse

5.

6.

7.

8.

9.

397 398

lium von Jesus Christus (Schwerpunkt: Reich-Gottes-Verkündigung Jesu in Tat und Wort). Röm 11,16b-24 (Olivenbaum): Realschule/Sekundarstufe I, Klassen 5+6, Inhaltsfeld 5: Religionen und Weltanschauungen im Dialog (Schwerpunkt: Der Glaube an Gott in den abrahamitischen Religionen und seine Konsequenzen für den Alltag). Hebr 9,15-17 (Testament): Erstens, Realschule/Sekundarstufe I, Klassen 7-9(+10), Inhaltsfeld 2: Christlicher Glaube als Lebensorien‐ tierung (Schwerpunkt: Der Hoffnungshorizont von Kreuz und Aufer‐ weckung Jesu Christi). Zweitens, Sekundarstufe II GK/LK, Inhaltsfeld 3: Das Evangelium von Jesus Christus (Schwerpunkt: Jesus von Nazareth, der Christus: Kreuz und Auferweckung). Mt 7,24-27par. (Hausbau): Erstens, Grundschule, Klassen 3+4, Inhalts‐ feld 5: Jesus lebt und verkündet das Gottesreich (Schwerpunkt: Hoff‐ nung wächst – Frieden ist möglich). Zweitens, Realschule, Klassen 5+6, Inhaltsfeld 2: Christlicher Glaube als Lebensorientierung (Schwer‐ punkt: Leben, Handeln und Botschaft Jesu Christi). Drittens, Real‐ schule/Sekundarstufe I, Klassen 7-9(+10), Inhaltsfeld 2: Christlicher Glaube als Lebensorientierung (Schwerpunkt: Die Botschaft Jesu vom Reich Gottes). Viertens, Sekundarstufe II GK/LK, Inhaltsfeld 3: Das Evangelium von Jesus Christus (Schwerpunkt: Reich-Gottes-Verkün‐ digung Jesu in Tat und Wort). Mt 18,12-14 (verlorenes Schaf): Erstens, Grundschule, Klassen 3+4, In‐ haltsfeld 3: Gott begleitet auf dem Lebensweg (Schwerpunkt: Gott be‐ wahrt vor dem Verlorengehen).397 Zweitens, Realschule, Klassen 5+6, Inhaltsfeld 2: Christlicher Glaube als Lebensorientierung (Schwer‐ punkt: Leben, Handeln und Botschaft Jesu Christi). Drittens, Real‐ schule/Sekundarstufe I, Klassen 7-9(+10), Inhaltsfeld 2: Christlicher Glaube als Lebensorientierung (Schwerpunkt: Die Botschaft Jesu vom Reich Gottes). Viertens, Sekundarstufe II GK/LK, Inhaltsfeld 3: Das Evangelium von Jesus Christus (Schwerpunkt: Reich-Gottes-Verkün‐ digung Jesu in Tat und Wort). Mt 18,23-35 (Schalksknecht): Erstens, Grundschule, Klassen 3+4, In‐ haltsfeld 1: Miteinander leben (Schwerpunkt: Gott vergibt – wir können vergeben.398 Zweitens, Realschule, Klassen 5+6, Inhaltsfeld Ausdrücklich angegebene Texte sind die Gleichnisse vom Verlorenen Lk 15 sowie Ps 23. Vorschläge des Lehrplans sind Mt 6,12; Ps 103,2.3a.8.

5.4 Gleichnisauswahl und Curricula

10.

11.

12.

13.

399 400

2: Christlicher Glaube als Lebensorientierung (Schwerpunkt: Leben, Handeln und Botschaft Jesu Christi). Drittens, Realschule/Sekundar‐ stufe I, Klassen 7-9(+10), Inhaltsfeld 2: Christlicher Glaube als Lebens‐ orientierung (Schwerpunkt: Die Botschaft Jesu vom Reich Gottes). Viertens, Sekundarstufe II GK/LK, Inhaltsfeld 3: Das Evangelium von Jesus Christus (Schwerpunkt: Reich-Gottes-Verkündigung Jesu in Tat und Wort). Fünftens, Sekundarstufe II GK/LK, Inhaltsfeld 2: Christliche Antworten auf die Gottesfrage (Schwerpunkt: Biblisches Reden von Gott). Mt 25,1-13 (zehn Jungfrauen): Sekundarstufe II GK/LK, Inhaltsfeld 6: Die christliche Hoffnung auf Vollendung (Schwerpunkt: Apokalypti‐ sche Bilder von Angst und Hoffnung). Lk 18,1-8 (bittende Witwe): Erstens, Grundschule, Klassen 1+2, Inhaltsfeld 4: Gott sucht den Menschen, Menschen suchen Gott (Schwerpunkt: Mit Gott reden). Zweitens, Grundschule, Klassen 3+4, Inhaltsfeld 4: Gott sucht den Menschen, Menschen suchen Gott (Schwerpunkt: Reden mit Gott – fragen nach Gott). Drittens, Sekun‐ darstufe II GK/LK, Inhaltsfeld 3: Das Evangelium von Jesus Christus (Schwerpunkt: Reich-Gottes-Verkündigung Jesu in Tat und Wort). Joh 10,1-18 (der gute Hirte): Erstens, Grundschule, Klassen 3+4, In‐ haltsfeld 6: Jesus Christus begegnen (Schwerpunkt: Leben aus der Fülle).399 Zweitens, Realschule/Sekundarstufe I, Klassen 5+6, Inhalts‐ feld 2: Christlicher Glaube als Lebensorientierung (Schwerpunkt: Leben, Handeln und Botschaft Jesu Christi bzw. Lebensangebote von Jesus aus Nazareth). Drittens, Sekundarstufe I/Realschule, Klassen 7-9(+10), Inhaltsfeld 2: Christlicher Glaube als Lebensorientierung (Schwerpunkt: Der Hoffnungshorizont von Kreuz und Auferweckung Jesu Christi). Viertens, Sekundarstufe II GK/LK, Inhaltsfeld 3: Das Evangelium von Jesus Christus (Schwerpunkt: Jesus von Nazareth, der Christus: Kreuz und Auferweckung). 1 Kor 12,12-31 (Leib Christi): Erstens, Grundschule, Klassen 3+4, Inhaltsfeld 1: Miteinander leben (Schwerpunkte: Gemeinschaft ist möglich und Gemeinschaft wird geschützt – Regeln und Rituale).400 Zweitens, Sekundarstufe I/Realschule, Inhaltsfeld 4: Kirche und andere Explizit angegeben sind Mk 6,35-44 (Speisung der Fünftausend), Joh 6,35 (das Brot des Lebens) und Joh 4,7-15.25f. (Jesus und die Frau am Brunnen). Ausdrücklich erwähnt werden Mt 25,40b (Weltgericht) und der Dekalog (Ex 20).

275

276

5 Didaktische Impulse

Formen religiöser Gemeinschaft (Schwerpunkt: Kirche in konfessio‐ neller Vielfalt). Drittens, Sekundarstufe II, Klassen 10+11, Inhaltsfeld 4: Die Kirche und ihre Aufgabe in der Welt (Schwerpunkt: Kirche als Leib Christi und Gemeinschaft der Glaubenden). 14. 2 Kor 1,22; 5,5; Eph 1,13f. (der Geist als Angeld): Sekundarstufe II GK/LK, Inhaltsfeld 6: Die christliche Hoffnung auf Vollendung (Schwerpunkt: Apokalyptische Bilder von Angst und Hoffnung). 5.4.3 Ergebnis

Die Zuordnungen sind rein inhaltlicher Art, sie besagen nichts über die Altersgemäßheit der Texte in der angegebenen Schulstufe. Auch ist die ‚Zielführigkeit‘ der Texte im Hinblick auf Lernziele und Kompetenzerwar‐ tungen zu überprüfen. – Die Übersicht zeigt, dass bestimmte Texte mehrfach Verwendung finden können, andere jedoch, wenn überhaupt, nur in einem einzigen Inhaltsfeld. Thematische Passepartouts sind Jesu Botschaft sowie Reflexionen über Kirche und christliche Gemeinschaft; sie begegnen in allen Schulstufen und -formen. Reflexionen über den Tod Jesu sind erst ab Klasse 7 vorgesehen. Der interreligiöse Dialog ist Thema in Klassen 5+6, biblische Zukunftsbilder lediglich in der gymnasialen Oberstufe. 5.5 Didaktische Möglichkeiten Der Abschnitt rekurriert auf didaktisch relevante Ergebnisse der Gleich‐ nistheorie und entwickelt, zuerst textunabhängig, mögliche didaktische Methodenschritte. 5.5.1 Gleichnistheorie und Methoden

Vergleichende Texte plausibilisieren auf Grundlage vorreligiöser, existen‐ zieller Grunderfahrungen eine veränderte Weltsicht und eine dementspre‐ chende Verhaltenskorrektur. Insbesondere narrativ entfalteten Gleichnissen sind ein Sinnüberschuss und eine besondere Dynamik eigen. Dynamisch ist auch der theologische Bezugsrahmen – ein komplexes Bündel theologi‐ scher Einsichten und Erfahrungen. Gleichnisse betreiben mit ihrer starken

5.5 Didaktische Möglichkeiten

Emotionalität Werbung um die Herzen der Menschen und sind Appelle, lebenspraktische Konsequenzen zu ziehen.401 Für die Gleichnisdidaktik heißt das grundsätzlich: Erstens, sie greift le‐ bensweltliche Bezüge der Schülerinnen und Schüler auf und verknüpft diese mit den vorreligiösen Grunderfahrungen der Gleichnistexte. Zweitens, sie beinhaltet dynamische Elemente, welche die narratio zur Geltung bringen. Drittens, sie lässt Deutungen der Kinder und Jugendlichen als eigenständige und legitime Deutungen zu und tritt mit ihnen darüber in einen Dialog. Viertens, sie bringt den ursprünglichen theologischen Bezugsrahmen des Textes, insbesondere das Gottesbild, als Korrektiv ein. Fünftens, sie versucht durch entsprechende Methoden die Schülerinnen und Schüler nicht nur kognitiv, sondern auch emotiv und praktisch zu erreichen.402 5.5.2 Textunabhängige Methoden

Folgende Methoden bieten sich textunabhängig an: a)

b)

c)

d)

401 402 403

Annäherung an den Text mittels altersgerechter Übersetzung bzw. Übertragung (Kinderbibel, Gute Nachricht Bibel u. ä.) oder mittels eigenständiger, wenn möglich freier Wiedergabe des Textes durch die Lehrkraft.403 Auch kann das Ende ausgelassen werden (für eigenstän‐ dige Ergänzungen durch die Schülerinnen und Schüler). Zur Vertiefung und Memorierung bieten sich Lückentexte an. Erschließung fremder Begriffe und der sozialen Welt, in welcher der Text entstanden ist, beispielsweise durch Internet- oder Literatur-Recherche (Realienkunde, z. B. mit anschließenden Kurzreferaten). Abrufen des Vorwissens/der Lebensweltbezüge der Schülerinnen und Schüler zum Thema, zu einzelnen Begriffen durch Brainstorming, Standbilder o. ä. Erschließung der vorreligiösen Grunderfahrung, des Themas oder kon‐ stitutiver Begriffe durch Handlungsprodukte (Bibliodrama, Rollenspiel, Standbild, Kurzgedicht, short story, Songtext, Wortwolke, Poster, Fo‐ tocollage, Videoclip, Grafik u. a.). Dieser Schritt dient zugleich der Mit Zimmermann 2013, 197. A.a.O., 199. Zimmermann spricht von ‚ganzheitlichem Verstehen‘ als Grundlinie der Vermittlung. Mit Zimmermann 2013, 200. Zimmermann schlägt ergänzend die Erschließung der Wirkungsgeschichte und kreative Neubildungen von Gleichnissen vor.

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5 Didaktische Impulse

e)

f)

g)

h)

i)

j)

Elementarisierung und Aktualisierung des Textes (hermeneutischer Brückenschlag). Hinführung zur Pointe durch Reduktionsaufgaben: ‚Versucht etwa, den Text für eine Nachrichtenmeldung auf ein Minimum zu reduzieren!‘404 Auch die Frage nach der Essenz des Textes führt zur Pointe hin. Schaffung von Identifikation/Antifixierung durch perspektivische Dar‐ stellung (Schreiben einer side-story, Entwicklung eines eigenständigen, eventuell alternativen Erzählendes, Drehbuch für eine fiktive Gerichts‐ verhandlung etc.). Entschlüsselung der Metaphorik des Textes und anderer Transfersignale durch Leitfragen und Diskussion (Was erscheint euch ‚normal‘? Was findet ihr anstößig oder ungerecht? Was findet ihr super? Wofür könnte der ‚Herr des Weinbergs‘ stehen?). In der Sek II ist auch Konkordanz‐ arbeit vorstellbar. Kontextualisierung des Gleichnisses durch Abrufen des Vorwissens über Jesus und seine Botschaft (Sammmlung von Aspekten der Gottesherr‐ schaft; Zuwendung Jesu zu Ausgegrenzten; Wundergeschichten; Berg‐ predigt). In der Sek II ist auch die kompositionskritische Recherche eine Option. Ergebnissicherung etwa durch Entwicklung eines Anti-Gleichnisses oder eines zweiten Handlungsprodukts, das mit dem ersten verglichen werden kann. Vertiefung und Anwendung durch ein praktisches Projekt im Anschluss.

Die Methodenschritte sind auch in anderer Reihenfolge denkbar. Auch sind sie auf das aktuelle Gleichnis sowie auf den Bedarf und die Möglichkeiten der jeweiligen Zielgruppe anzupassen. Nicht zuletzt sind die Methoden so auszuwählen, dass sie im Sinne der Lernziele und Kompetenzerwartungen zielführend sind. 5.6 Musterbeispiele Anhand von Musterbeispielen werden die didaktischen Überlegungen kon‐ kretisiert. Von den 14 in → Kapitel 4 behandelten Texten werden sieben mit didaktischen Impulsen versehen – pro Schulstufe je eines: Für die Grundschule 404

Grasser 2009, 32.

5.6 Musterbeispiele

(Klassen 3+4): Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26-29). Für die Sekundarstufe I/Realschule (Klassen 5+6): Gleichnis vom Schalksknecht (Mt 18,23-35) und vom Olivenbaum (Röm 11,17-24). Für die Sekundarstufe I/Realschule (Klassen 7-9[+10]): Gleichnis von den Vögeln und Lilien (Mt 6,25-32). Für die Sekundarstufe II (10./11. Klasse): die Gemeinde als ‚Leib Christi‘ (1 Kor 12,12-31). Für die Sekundarstufe II (GK/LK): Gleichnis vom guten Hirten (Joh 10,1-18). Für das Berufskolleg: Gleichnis vom Hausbau (Mt 7,24-27). – Der Weg von der Exegese zum Unterricht wird nicht vollständig gegangen. Die theologische Orientierung findet sich in Kapitel 4 dieses Bu‐ ches. Eine Analyse des didaktischen Bedingungsfeldes wäre, da fiktiv, wenig aussagekräftig. Die Musterbeispiele konzentrieren sich auf Überlegungen zu den Verstehensmöglichkeiten der Zielgruppe, auf den hermeneutischen Brückenschlag und auf didaktisch-methodische Impulse. 5.6.1 GS (3./4. Klasse): Selbstwachsende Saat a) Verortung im Lehrplan

Das Naturgleichnis Mk 4,26-29 findet im Kernlehrplan der Grundschulen NRW keine ausdrückliche Erwähnung, passt aber vom Thema ins Inhaltsfeld 5: Jesus lebt und verkündet das Gottesreich, mit dem Schwerpunkt Hoffnung wächst – Frieden ist möglich (Klassen 3+4).405 Der Schwerpunkt soll, wie alle anderen auch, vier Erfahrungsräume der Kinder berühren: Erfahrungen des Kindes in seiner Beziehung zu sich selbst, zu Gott, zu anderen Menschen und zur Schöpfung.406 Die entsprechenden Lernperspektiven heißen: ▸

Identität entwickeln anhand des biblischen Menschenbildes als ein‐ zigartiges Geschöpf. ▸ Gemeinschaft leben. ▸ Verantwortung übernehmen vor dem Hintergund eines umfassenden Schöpfungsverständnisses. ▸ Hoffnung schöpfen anhand biblischer und kirchengeschichtlicher Beispiele.407

405 406 407

Weitere Zuordnungen zu den Kerncurricula vgl. → 5.4.2. Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen, Lehrplan Evangelische Religionslehre, 153 (online unter https://www.schulentwicklung.nrw.de/ lehrplaene/upload/klp_ gs/LP_GS_2008.pdf; zuletzt aufgerufen 21.4.2020). Ebd.

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5 Didaktische Impulse

Diese Lernperspektiven sind verbindlich vorgegeben. Anzustreben ist eine vernetzte Sicht der Erfahrungsräume und Lernperspektiven als grundlegendes und unverzichtbares Unterrichtsprinzip […]. Deshalb gehen die Religionslehrerinnen und Religionslehrer von den Fragen der Kinder aus und nehmen eigenverantwortlich die theologisch und religionspädagogisch begrün‐ dete Vernetzung vor.408

Zum Inhaltsfeld 5 lauten die im Kernlehrplan vorausgesetzten Fragen der Kinder: Hat Jesus wirklich gelebt? Warum reden die Leute heute noch von ihm? Was hat er gesagt und getan? Gibt es Menschen, die in seinem Sinne gelebt haben? Kann er für mich wichtig sein? Die Auseinandersetzung mit dem Wirken des historischen Jesus und mit Personen der Wirkungsgeschichte Jesu vermittelt den Kindern Vorbilder, denen sie nacheifern können, die modellhaft Anregung für die eigene Lebensgestaltung geben können. Den Schülerinnen und Schülern eröffnen sich Lernchancen, aus dem Vorbild des Eintretens Jesu für Benachteiligte und Bedrückte ihre Lebenswelt als zukunftsoffen und veränderbar wahrzunehmen und dabei Impulse für das eigene Gestalten und christliches Handeln zu finden.409

Der Schwerpunkt Hoffnung wächst – Frieden ist möglich (Klassen 3+4) wird im Lehrplan zum einen an das Gleichnis vom Senfkorn (Lk 13,18f.par. Mk 4,30-32), zum anderen an die Seligpreisungen (Mt 5,3-10) gekoppelt.410 Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat ist dem vom Senfkorn benachbart und bezieht sich ebenfalls auf das stille, überraschende Wachstum der Gottesherrschaft. Zielvorgabe sind laut Kernlehrplan folgende Kompetenzerwartungen zum Ende von Klasse 4: Die Schülerinnen und Schüler ▸ deuten die Reden Jesu als Veranschaulichung des anbrechenden Gottesreiches. ▸ nennen Menschen aus der Wirkungsgeschichte, für die sich aus der Botschaft Jesu eine neue Lebensperspektive eröffnet hat. ▸ leiten aus den Erfahrungen dieser Menschen Impulse für verantwort‐ liches christliches Handeln ab.411 408 409 410 411

Ebd. A.a.O., 155. A.a.O., 160. Ebd.

5.6 Musterbeispiele

Die erste Kompetenzerwartung ist mit dem oben genannten Schwerpunkt verbunden, die zweite und dritte mit dem Schwerpunkt Ruf zum Frieden und zur Gerechtigkeit. – Mit Erfahrungsräumen, Lernperspektiven und Kompetenzerwartungen sind die pädagogischen Rahmenbedingungen für den Einsatz des Gleichnisses im genannten Schwerpunkt benannt. Die didaktisch-methodischen Überlegungen haben sich daran auszurichten. Konkret bedeutet das: ▸ Das Gleichnis ist ein Beispieltext für die Lehre Jesu vom anbrechenden Gottesreich. ▸ Das Gleichnis ist in den Kontext des Wirkens Jesu zu stellen. ▸ Die mit der Gottesherrschaft verbundenen sozialen Hoffnungen sind deutlich zu machen. ▸ Es sind Lebensweltbezüge zu den Erfahrungsräumen der Kinder herzustellen (Beziehung des Kindes zu sich selbst, zu Gott, zu den Mitmenschen, zur Schöpfung). Anmerkung: Laut den gängigen entwicklungspsychologischen Erkennt‐ nissen sind Kinder der 3. und 4. Klasse noch nicht in der Lage, den Transfer auf die Deutungsebene zu leisten. Das zieht in der Konsequenz aber nicht den Verzicht auf Transfer nach sich; vielmehr hat die Lehrkraft hier im Sinne hermeneutischer Mäeutik mit der notwendigen Behutsamkeit die Deutungsebene ins Gespräch zu bringen. b) Hermeneutische Überlegungen

Als vermittelnswerte und vermittelbare Ergebnisse der theologischen Ori‐ entierung (→ 4.1.1) ergeben sich, auch in Hinsicht auf die curricularen Vorgaben, folgende Punkte: ▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸

Jesus spricht in Gleichnissen vom Kommen des Reiches Gottes. Das Bild von Saat und Ernte gehört zur Landwirtschaft. Der Wachs‐ tumszyklus ist von der Natur fest vorgegeben. ‚Gut Ding will Weile haben!‘ Die frohe Botschaft vom Reich Gottes umfasst viele Hoffnungen der Zeitgenossen Jesu. Mit der Verkündigung der frohen Botschaft hat die Gottesherrschaft bereits begonnen. Die Gottesherrschaft braucht ihre Zeit, um zu wachsen. Sie wächst unabhängig vom Engagement der Menschen.

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▸ Auf Gott ist Verlass, auch wenn man manchmal wenig von ihm sieht. ▸ Wenn man genau hinschaut, kann man etwas von Gottes guter Herrschaft sehen (in der Natur, zwischen den Menschen, im eigenen Leben). ▸ Die christliche Gemeinschaft ist eine ‚Frucht‘ der frohen Botschaft. c) Suche nach Lebensweltbezügen

Fragen, die bei der Suche nach lebensweltlichen Bezügen der Kinder helfen können, sind: ▸ ▸ ▸ ▸ ▸

Welche Prozesse gibt es, außer in der Landwirtschaft, die nach be‐ stimmten, unbeeinflussbaren Gesetzen ablaufen? Worauf hoffen Menschen, insbesondere Kinder, heute? Was macht ihnen zu schaffen, was macht ihnen Hoffnung? Wann fällt der Spruch ‚Gut Ding will Weile haben‘ und was bedeutet er? Worauf warten Kinder und große Leute auch einmal ungeduldig? Wann fällt es schwer zu warten und sich in Geduld zu üben? Wo finden sich Spuren der Herrschaft Gottes in der heutigen Zeit?

Die Recherchen in den analogen und digitalen Medien könnten Folgendes zutage fördern: ▸ Unbeeinflussbare, natürliche Prozesse sind z. B. eine Schwanger‐ schaft, der Lauf von Sonne, Mond und Sterne, die Abfolge der Tagesund Jahreszeiten sowie der Tod als natürliche Grenze allen Lebens. ▸ Manche Kinder leiden unter schwierigen Familienverhältnissen, dem Streit der Eltern oder unter Mobbing. Kinder hoffen, dass sich die Eltern (wieder) vertragen, dass sie selbst eines Tages groß sind und tun können, was sie selbst wollen. Viele Kinder leiden unter der Bedrohung durch den Klimawandel oder durch Corona-Viren. In vielen Gegenden der Welt fehlt es Kindern am Nötigsten. – Kinder hoffen unter anderem auf Gerechtigkeit sowie auf ein Umdenken der Menschen, was den Klimaschutz angeht. Kinder hoffen auf Akzeptanz in der Gruppe. – Was Kindern Hoffnung macht, sind Personen wie Greta Thunberg, sind Zeichen der Versöhnung unter den Erwach‐ senen, ist die Zuwendung ihrer Eltern, Großeltern, Geschwister und Freunde.

5.6 Musterbeispiele

▸ ‚Gut Ding will Weile haben!‘ kommt immer dann, wenn man (zu) ungeduldig ist und irgendein Ziel herbeizwingen möchte. Der Spruch meint, dass es sich lohnt, geduldig zu sein, damit eine Sache richtig gut wird bzw. dass Entwicklungen, die länger dauern, zu einem tendenziell besseren Ergebnis führen. ▸ Ungeduldig sind Kinder z. B. im Advent, beim Warten auf die Be‐ scherung, auf die nächste Pause, auf die Ferien, auf den Geburtstag, auf einen tollen Ausflug, auf ein Treffen mit Freunden oder auf andere ‚Highlights‘. Dann kann einem die Zeit schon einmal sehr lang werden! ▸ Spuren der Herrschaft Gottes finden wir da, wo Menschen friedlich und in Liebe miteinander umgehen, wo sich Menschen versöhnen, wo Armen Gerechtigkeit widerfährt, wo Menschen anfangen zu teilen, wo auf Gewalt verzichtet wird, wo die Guten gewinnen. d) Formulierung von Lernzielen

Der Schwerpunkt Hoffnung wächst – Frieden ist möglich ist im Musterbei‐ spiel auf sechs Unterrichtsstunden à 45 Minuten ausgelegt. Die globalen Lernziele für den gesamten Schwerpunkt könnten lauten: a) kognitiv: Mit seinem Wirken und Reden vom Gottesreich brachte Jesus große Hoffnung in die Welt. b) expressiv-emotiv: Gott ist verlässlich; wir können ihm vertrauen. c) praktisch: Wenn wir uns für Benachteiligte und Bedrückte einsetzen, tragen wir die Hoffnung auf Gottes Herrschaft weiter. Die globalen Lernziele werden in sechs Schritten bzw. Unterrichtsstunden à 45 Minuten erreicht: 1. Stunde: Hinführung – Das Gleichnis vom Senfkorn (Lk 13,18f.). Lernziele a) kognitiv: Jesus spricht in Gleichnissen / Jesus spricht vom Reich Gottes; b) expressiv-emotiv: auch winzig Kleines kann riesengroß werden (Hoffnung, Vertrauen); Jesus brachte Hoffnung in seine Welt; c) praktisch: Hegen und Pflegen kleiner Pflänzchen. 2. Stunde: Vertiefung – Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26-29). Lernziele a) kognitiv: Das Reich Gottes kommt von ganz alleine/un‐ abhängig vom Menschen; b) expressiv-emotiv: Gut Ding will Weile haben! (Geduld, Vertrauen); c) praktisch: Einander Zeit lassen! 3. Stunde: Kontextualisierung – Sorgen und Hoffnungen der Zeitgenossen Jesu. Lernziele a) kognitiv: Die meisten Menschen lebten in großer Armut.

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284

5 Didaktische Impulse

Sie hofften darauf, dass Gott sie bald befreien würde; b) expressiv-emotiv: Armut drückt nieder (Empathie); c) praktisch: Das Leid anderer Menschen geht mich etwas an (Zuwendung). 4. Stunde: Erweiterung – Die Seligpreisungen (Mt 5,3-10). Lernziele a) kognitiv: Jesus wendet sich besonders den Benachteiligten zu; b) ex‐ pressiv-emotiv: Die Benachteiligten dürfen sich freuen (Freude contra facta visibilia, oder: ‚Wer zuletzt lacht, lacht am besten‘); c) praktisch: Zurück‐ schlagen, Streit anzetteln usw. ist heillos! 5. Stunde: Aktualisierung – Sorgen und Hoffnungen der Menschen heute. Lernziele a) kognitiv: Die Sorgen haben sich gewandelt, sie sind aber nicht geringer geworden; b) expressiv-emotiv: Angst drückt nieder, Hoffnung lässt aufleben (Hoffnung, Empathie); c) praktisch: Das Leid der Welt, die Klimakatastrophe etc. gehen mich etwas an. 6. Stunde: Anwendung/Ergebnissicherung – Die Botschaft Jesu vom Reich Gottes gibt auch heute noch Hoffnung. Lernziele a) kognitiv: Bis heute leben viele Menschen aus der Hoffnung auf den treuen, geschichtsmächtigen Gott; b) expressiv-emotiv: Wir dürfen uns an Gott wenden (Vertrauen, Hoffnung); c) praktisch: Wir alle können etwas dafür tun, dass die Welt ein Ort der Hoffnung wird. Die anvisierte Unterrichtsstunde ist die zweite von sechs in der Unterrichts‐ reihe Hoffnung wächst – Frieden ist möglich. Sie vertieft die Kenntnis der Gleichnisse mitsamt ihrer Botschaft und vermittelt, wie wichtig Geduld ist. e) Methodische Entscheidungen

In der ersten Stunde der Unterrichtseinheit (Hinführung) wurden die Kinder mit dem Gleichnis vom Senfkorn (Lk 13,18f.) vertraut gemacht. Sie haben gelernt, dass Jesus in Gleichnissen von Gottes guter Herrschaft sprach und dass dies für die Menschen seiner Zeit eine große Hoffnung bedeutete (soziale Lebenswelt, Realien). Die zweite Unterrichtsstunde zeigt anhand des Gleichnisses von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26-29), dass die Herrschaft Gottes auch ohne Engagement des Menschen in der Welt wächst und gedeiht, dass sie aber ihre Zeit braucht. Nach einer kurzen Anamnese (Rückblick auf die erste Unterrichtsstunde) wird das Gleichnis in einer kindgerechten Übertragung dargeboten bzw. von der Lehrkraft eigenständig nacherzählt. Der (wahrscheinlich nicht allen Kindern geläufige) Naturzyklus von Saat und Ernte wird geklärt (Realien). Im Fokus steht dann die Frage nach der Pointe; Gemeinsamkeiten und

5.6 Musterbeispiele

285

Unterschiede zu Lk 13,18f. werden erarbeitet. Der zentrale Aspekt der Ge‐ duld wird anschließend auf die Lebenswelt der Kinder bezogen (Leitfragen wie: Wart ihr schon einmal so richtig ungeduldig? Wie fühlt sich das an? Hat sich eure Geduld schon einmal gelohnt?). Ein Geduldsspiel soll helfen, den Spruch ‚Gut Ding will Weile haben‘ zu verinnerlichen. Am Ende der Unterrichtsstunde steht die Ergebnissicherung.412 f) Verlaufsplanung

ZEIT

ZIELE

INHALT

METHODEN / MEDIEN

5 min.

Einstim‐ mung

Begrüßung

Lied ‚Senfkorn‘ Kreis

3 min.

Ana‐ mnese

Senfkorn‐ gleichnis

Impulsbild, Lied

Rundge‐ spräch

3 min.

neues Gleichnis kennen‐ lernen

Mk 4,26-29

Vortrag/Nach‐ erzählung eigener Text / Kinderbibel

Kreis

12 min.

Begriffs‐ klärung / Pointe

Arbeitsblatt

Gruppen‐ arbeitstei‐ arbeit und liges Vor‐ Präsenta‐ gehen tion

8 min.

Lebens‐ Erfahrungen Rundgespräch, weltbezug mit (Un-)Ge‐ Tafelanschrieb duld

8 min.

prakti‐ sche Ver‐ tiefung

Thema Ge‐ duld

Geduldsspiel

6 min.

Ergebnis‐ sicherung

Gottes Reich, Hoff‐ nung und Geduld

Tafel o. ä., Lied Kreis zum Abschluss

412

SOZIALFORMEN

Kreis

KOMMENTAR

Lied ist aus der 1. Stunde bekannt

Ein Textblatt kann das Me‐ morieren un‐ terstützen

Ergebnisse werden an der Tafel ge‐ sammelt

Ein sehr empfehlenswertes Heft zur Vermittung von Gleichnissen und Wunderge‐ schichten samt reichhaltigen Materialien ist der Sammelband Grundschule religon: Von Jesus zählen: Gleichnisse und Wunder. Seelze 2006. – Herzlichen Dank an Gunther vom Stein für diesen Hinweis!

286

5 Didaktische Impulse

5.6.2 Sek I (5.+6. Klasse): Der Schalksknecht a) Verortung im Lehrplan

Das Alltagsgleichnis vom Schalksknecht (Mt 18,23-35) wird nicht ausdrück‐ lich im Kernlehrplan der Sekundarstufe I erwähnt, passt aber zum Inhaltsfeld 2: Christlicher Glaube als Lebensorientierung und zum Schwerpunkt Leben, Handeln und Botschaft Jesu Christi (Realschule Klassen 5+6)413 bzw. Lebens‐ angebote von Jesus aus Nazareth (Sekundarstufe I GYM).414 Wie alle Inhalts‐ felder und Schwerpunkte ist auch dieser in den Kontext des allgemeinen Bildungsauftrags des Evangelischen Unterrichts gestellt: Religiöse Bildung geschieht im evangelischen Religionsunterricht an fachlich unverzichtbaren Inhalten, die aus dem Bildungsauftrag, den Leitzielen, der spezi‐ fischen Perspektive des Faches und seiner dialogischen Anlage abgeleitet werden. Die Inhalte konstituieren sich durch die Verschränkung und wechselseitige Erschließung der Erfahrungen und Fragen der Schülerinnen und Schüler mit theologischen, religiösen und weltanschaulichen Deutungen der Wirklichkeit. In diesem Sinn werden zentrale Inhalte des christlichen Glaubens in seiner evangelischen Ausprägung in ihrer Bedeutung für den Menschen im Horizont seines Gottes-, Selbst- und Weltbezuges zu Gegenständen des Unterrichts.415

Mit anderen Worten: Die Erfahrungen und Fragen der Schülerinnen und Schüler und die biblisch-religiöse Deutung der Wirklichkeit sind aufein‐ ander zu beziehen. Die Inhaltsfelder und ihre Schwerpunkte stellen das ‚Was?‘, festgelegte Kompetenzbereiche das ‚Wie?‘ des Unterrichts dar. Die Verknüpfung beider Aspekte mündet in Kompetenzerwartungen, das heißt, in

413 414

415

Kernlehrplan für die Realschule in Nordrhein-Westfalen Evangelische Religionslehre (2013), online abrufbar unter https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/lehrpl an/68/KLP_RS_Ev_ Religionslehre.pdf (zuletzt aufgerufen 1.3.2020). Auszug aus dem Amtsblatt des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen Nr. 6/11 Sekundarstufe I – Gymnasium; Richtlinien und Lehr‐ pläne; Kernlehrpläne für die Fächer Kunst, Musik, Evangelische Religionslehre, Katho‐ lische Religionslehre und Sport RdErl. d. Ministeriums für Schule und Weiterbildung v. 11.05.2011 – 532 – 6.08.01.13 – 94565. Online verfügbar unter https://www.schulent wicklung.nrw.de/lehrplaene/upload/klp_SI/ev_religionslehre/KLP_GY_ER.pdf (zuletzt aufgerufen 1.3.2020). A.a.O., 10 f.

5.6 Musterbeispiele

die fachlichen Anforderungen und intendierten Lernergebnisse, die bis zum Ende der Erprobungsstufe […]/ der Sekundarstufe I verbindlich erreicht werden sollen.416

Das Inhaltsfeld 2 Christlicher Glaube als Lebensorientierung soll den Heran‐ wachsenden Lebensorientierung „in einer sich wandelnden pluralen Gesell‐ schaft“ sowie aus dem christlichen Glauben heraus „tragfähige Gründe für die eigene Lebensgestaltung“ bieten.417 Person und Botschaft Jesu stehen hier im Fokus. An das Inhaltsfeld 2 werden folgende Kompetenzerwartungen gebunden (in Auszügen):418 ▸





▸ ▸

416 417 418

Sachkompetenz/Wahrnehmungskompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können Eckpunkte der Biographie des Juden Jesus benennen, an ausgewählten Beispielen Auftreten und Handeln Jesu als Ausein‐ andersetzung mit seiner jüdischen Tradition beschreiben, Beispiele für das Orientierung gebende Auftreten und Handeln Jesu benennen. Deutungskompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können An‐ sprüche aus Jesu Auftreten für das christliche Handeln der Menschen heute ableiten und darstellen, erklären, dass für Christinnen und Christen Jesus von Nazareth der von den Juden erwartete Messias ist, die Bedeutung der Bibel als Urkunde des Glaubens erklären. Urteilskompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können Fragen des Alltags sowie individuelle und gesellschaftliche Handlungsweisen aus ihrem Erfahrungsraum auf der Grundlage ausgewählter biblischer Erzählungen und ihrer Maßstäbe bewerten. Handlungskompetenz/Dialogkompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können Möglichkeiten von Christinnen und Christen erläu‐ tern, sich am Handeln und Auftreten Jesu zu orientieren. Gestaltungskompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können exem‐ plarisch die Bedeutung biblisch-metaphorischer Sprache auf die ei‐ gene Lebenssituation übertragen und kreativ darstellen; ansatzweise können sie Handlungen und Verhaltensweisen zur Wahrnehmung von eigener Verantwortung aus christlicher Motivation prüfen.

A.a.O., 12. A.a.O., 15. Kernlehrplan Realschule. Für Sekundarstufe I (GYM) sind die Kompetenzerwartungen ähnlich formuliert.

287

288

5 Didaktische Impulse

▸ Methodenkompetenz: Schülerinnen und Schüler können sich in der Bibel angeleitet orientieren, biblische und religiös relevante Texte durch vorgegebene Zugänge erschließen (u. a. Rollenspiele, Stand‐ bilder), in Ansätzen die charakteristischen Eigenschaften biblischer und religiös relevanter Texte sowie in ihnen vorliegende Ausprä‐ gungen religiöser Sprache beschreiben (Psalm, Bekenntnis, Erzäh‐ lung, Rechtstext), zu religiös relevanten Sachverhalten unter Anlei‐ tung Informationen sammeln, religiös relevante Sachverhalte im Unterricht unter Zuhilfenahme von in Inhalt und Struktur klar vorge‐ gebenen Medienprodukten verständlich und in sprachlich angemes‐ sener Form präsentieren. Konkrete Textvorschläge zur Ausgestaltung des Schwerpunkts nennt der Kernlehrplan nicht. Der ausgewählte Text ist als inhaltlich passend und zielführend einzustufen. Die didaktisch-methodischen Überlegungen orien‐ tieren sich an den zitierten, verbindlichen Rahmenvorgaben. Das bedeutet für die Einbindung des Gleichnisses Mt 18,23-35 Folgendes: ▸ Das Gleichnis ist ein Beispieltext für die Lehre Jesu vom anbrechenden Gottesreich. Die mit der Gottesherrschaft verbundenen sozialen Hoff‐ nungen sind deutlich zu machen. ▸ Das Gleichnis ist in den Kontext des Wirkens Jesu, speziell der Bergpredigt, zu stellen. ▸ Die Fragen der Schülerinnen und Schüler sind aufzugreifen und mit dem Inhalt des Gleichnisses ins Gespräch zu bringen. ▸ Der Inhalt von Mt 18,23-35 wird als Orientierungsangebot für die Her‐ anwachsenden fruchtbar gemacht und mit anderen Sinnentwürfen ins Gespräch gebracht. ▸ Die Schülerinnen und Schüler erkennen im Gleichnis eine alternative Möglichkeit der Lebensgestaltung sowie eine Verantwortung aus dem Glauben heraus für gesellschaftliche Veränderung. Anmerkung: Laut den gängigen entwicklungspsychologischen Erkennt‐ nissen sind Kinder der 5. und 6. Klasse zumindest teilweise zur Abstraktion fähig und somit in der Lage, den Transfer auf die Deutungsebene zu leisten. Besonders in dieser Schulstufe muss die Lehrkraft mit weit divergierenden kognitiven Entwicklungsstufen rechnen. Außerdem stellt sich für die Ju‐ gendlichen mit Beginn der Pubertät die Frage nach einer eigenständigen

5.6 Musterbeispiele

Identität; auch dies ist ein wichtiger Faktor bei der Einschätzung der Lernmöglichkeiten der Zielgruppe. b) Hermeneutische Überlegungen

Vermittelnswert und vermittelbar sind, in Anbetracht der Kompetenzerwar‐ tungen und Lernmöglichkeiten der Zielgruppe, folgende Erkenntnisse aus der theologischen Orientierung: ▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸

Viele Menschen lebten zur Zeit Jesu in prekären Abhängigkeitsver‐ hältnissen und waren den Herrschern auf Gedeih und Verderb ausge‐ liefert. Der erste Schuldner hatte bei dem König Schulden in astronomischer Höhe. Die Schulden seines Kollegen waren dagegen lächerlich wenig. Die Vergebungsbereitschaft des Königs und das Verhalten des Schuld‐ ners stehen in einem scharfen Kontrasts zueinander, sodass der Zorn des Königs am Ende allzu verständlich ist. Die Ermöglichung von Leben und Freiraum hat höchsten Stellenwert bei Gott. Gott solidarisiert sich mit den Armen und Bedrückten und verlangt dies auch von den Menschen. Das ist Teil der Herrschaft Gottes. Vergebungsbereitschaft schafft Luft zum Leben. Menschen werden von Gott mit demselben Maß gemessen, welches sie selbst an andere Menschen anlegen. Jesus ist in seiner barmherzigen Zuwendung zu den Randständigen der Gesellschaft ein großes Vorbild. Mit seinem Wirken hat er den Menschen die Hoffnung auf eine gerechte und rundum lebenswerte Welt gebracht.

c) Suche nach Lebensweltbezügen

Bei der Frage nach Anknüpfungspunkten in der Erfahrungswelt der Schü‐ lerinnen und Schüler könnten folgende Fragen helfen: ▸ Habt ihr schon einmal Undankbarkeit erlebt? ▸ Habt ihr schon einmal erlebt, dass euch jemand Schulden erlässt? ▸ Kennt ihr Menschen, die etwas verloren haben, was ihnen wichtig war? ▸ Habt ihr euch schon einmal richtig über jemanden geärgert und wart richtig sauer?

289

290

5 Didaktische Impulse

d) Formulierung von Lernzielen

Der inhaltliche Schwerpunkt Leben, Handeln und Botschaft Jesu Christi (Realschule) bzw. Lebensangebote von Jesus aus Nazareth (Sekundarstufe I GYM) ist im Musterbeispiel auf sechs Unterrichtsstunden à 45 Minuten zu‐ geschnitten. Die globalen Lernziele für den gesamten Schwerpunkt werden folgendermaßen festgelegt: a) kognitiv: Die Schülerinnen und Schüler lernen, dass Jesus Vergebung gelehrt und praktiziert hat. Er brachte damit einen wichtigen Aspekt der Herrschaft Gottes und Hoffnung für die Menschen in die Welt. Außerdem heilte Jesus und befreite die Menschen von ihren Ängsten. b) expressiv-emotiv: Wem etwas Unerwartetes geschenkt wird, der freut sich riesig. Die Schülerinnen und Schüler erfahren, dass sie von Gott alles erwarten dürfen (Hoffnung, Gottvertrauen). c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler entwickeln Vorschläge dafür, wie man sich gegenseitig das Leben schöner machen kann. Die globalen Lernziele werden in sechs Schritten bzw. Unterrichtsstunden à 45 Minuten erreicht: 1. Stunde: Hinführung – Was uns Sorgen macht, was uns Freude macht. Lernziele a) kognitiv: Jeder Mensch hat Ängste und Sorgen, aber auch Träume und Hoffnungen; b) expressiv-emotiv: Geteilte Freude ist doppelte Freude, geteiltes Leid ist halbes Leid! c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler entwickeln kleine Gesten, die Mitschülern Freude machen. 2. Stunde: Lebensangebote I – Jesus heilt Bartimäus (Mk 10,46-52). Lern‐ ziele a) kognitiv: Jesus kann Menschen gesund und glücklich machen; b) expressiv-emotiv: Auch Außenseiter werden von Jesus gehört und geheilt (Hoffnung); c) praktisch: Beharrlichkeit zahlt sich aus! Niemand soll ausge‐ grenzt werden! 3. Stunde: Lebensangebote II – Das Gleichnis vom barmherzigen Samari‐ taner (Lk 10,30-37). Lernziele a) kognitiv: Die Not des Mitmenschen löst Unterschiedliches aus: Ignoranz, Hilfe; b) expressiv-emotiv: Die Not der Mitmenschen geht mich etwas an (Empathie, Achtsamkeit); c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler entwickeln Ideen, wie man Menschen in Not helfen kann. 4. Stunde: Lebensangebote III – Das Gleichnis vom Schalksknecht (Mt 18,23-35). Lernziele a) kognitiv: Schuldner leben von der Güte der Gläubiger; b) expressiv-emotiv: Undankbarkeit macht traurig und zornig; c) praktisch:

5.6 Musterbeispiele

291

Die Schülerinnen und Schüler reflektieren ihr eigenes Verhalten (Kleinlich‐ keit/Großzügigkeit). 5. und 6. Stunde: Praxisprojekt (Anwendung) – Besuch im Seniorenheim. Lernziele a) kognitiv: Es gibt viele einsame Menschen mitten in unserer Stadt; b) expressiv-emotiv: Zeit zu schenken, macht beiden Seiten Freude; c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler lernen den Umgang mit alten, ge‐ brechlichen und einsamen Menschen (und schreiben einen Zeitungsartikel darüber). e) Methodische Entscheidungen

Die geplante Unterrichtsstunde ist die vierte von insgesamt sechs in der Unterrichtsreihe. Grundlegende Lebensweltbezüge und zwei Beispiele für Lebensangebote Jesu wurden bereits behandelt. Durch das dritte Beispiel wird das Wissen um Jesu umfassendes Lebensangebot ergänzt. Die Schüle‐ rinnen und Schüler erfahren etwas über die soziale Lebenswelt damals wie heute (Kreditwesen) und denken darüber nach, wie man sich gegenseitig das Leben schöner machen kann. Der Unterricht beginnt mit einer kurzen Rückschau auf die vorherge‐ hende Stunde (Gleichnis vom barmherzigen Samaritaner) und bündelt noch einmal die Reaktion, die das Leid von Menschen bei anderen Menschen auslösen kann. Als Nächstes wird der Text Mt 18,23-35 in einer kindge‐ rechten Übertragung oder in Form einer Nacherzählung bekannt gemacht – allerdings ohne Szene III. Realien werden geklärt (Kreditwesen, konstitutive Begriffe). Die Schülerinnen und Schüler haben sodann die Aufgabe, das Gleichnis zu vervollständigen (eigenständiger Schluss). Die Ergebnisse werden im Anschluss ausgetauscht und diskutiert. Ein Rollenspiel sorgt abschließend für Identifizierung/Antifixierung. f) Verlaufsplanung

ZEIT

ZIELE

INHALT

METHODEN / MEDIEN

8 min.

Anamnese

Stoff der 3. Rundgespräch, Sunde (Lk Tafelanschrieb 10)

4 min.

Text‐ kenntnis

Schalks‐ knecht Mt 18,23-35

SOZIALFORMEN

KOMMENTAR

Kreis

Kindgerechte Kreis Textvorlage oder Übertragung

kindgerechte Vorlage ist zu erstellen

292

5 Didaktische Impulse

ZEIT

ZIELE

INHALT

METHODEN / MEDIEN

SOZIALFORMEN

KOMMENTAR

Infoblatt ist vorzube‐ reiten

Mt 18,23-35 3 min.

Vertieftes Textver‐ ständnis

Schalks‐ Rundgespräch knecht, Re‐ alien

Infoblatt

10 min.

Nach‐ vollzug des Gleichnis‐ endes

Gleichnis‐ ende; Revi‐ sion der Amnestie

Partner‐ arbeit

10 min.

Nach‐ Gleichnis‐ vollzug des ende Endes

Schülervortrag, Kreis Diskussion, Leh‐ rervortrag

Gleichnis‐ ende Mt 18 wird ‚ver‐ raten‘

10 min.

Emotio‐ naler Nach‐ vollzug

Rollenspiel und Ergebnissiche‐ rung

Lehrkraft bündelt die Ergebnisse

Mt 18,23-35

Entwicklung eines eigenstän‐ digen Erzähl‐ endes

5.6.3 Sek I (5.+6. Klasse): Der Olivenbaum

a) Verortung im Lehrplan

Das Weisheitsgleichnis vom Olivenbaum (Röm 11,17-24) wird im Kernlehrplan der Sekundarstufe I (Realschule) nicht aufgeführt, lässt sich aber sehr gut ins Inhaltsfeld 5: Religionen und Weltanschauungen im Dialog (Realschule Klassen 5+6)419 mit dem Schwerpunkt: Der Glaube an Gott in den abrahamitischen Religionen und seine Konsequenzen für den Alltag einordnen. – Zum allgemeinen Bildungsauftrag des Religionsunterrichts in der Schulstufe vgl. → 5.6.2a. Zu verschränken sind die Schülererfahrungen und -fragen mit der biblisch-religiösen Deutung der Wirklichkeit. Das Inhaltsfeld 5: Religionen und Weltanschauungen im Dialog soll den Schülerinnen und Schülern der Klassen 5 und 6 in der globalen und pluralen Welt Kenntnis vom Leben der Menschen anderer religiöser Prägung geben und zu einer Reflexion der 419

Kernlehrplan für die Realschule in Nordrhein-Westfalen Evangelische Religionslehre (2013), online abrufbar unter https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/lehrplan/68/KLP_ RS_Ev_ Religionslehre.pdf (zuletzt aufgerufen 3.4.2020).

5.6 Musterbeispiele

eigenen religiösen Prägung anleiten.420 Fragen der Wirklichkeitsdeutung, des Wahrheitsanspruchs und der ethischen Orientierung spielen hier hinein.421 Die Arbeit am Inhaltsfeld 5 soll folgende Kompetenzen trainieren:422 ▸



▸ ▸ ▸ ▸

Sachkompetenz/Wahrnehmungskompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können die wesentlichen Stationen der Geschichte Israels benennen, sie können Formen und Merkmale des Gottesglaubens in den abrahamitischen Religionen identifizieren und unterscheiden sowie Formen der Lebensgestaltung in Judentum, Christentum und Islam als Konsequenz des Glaubens benennen. Deutungskompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können anhand ausgewählter Erzählungen aus der Abrahamgeschichte gemeinsame Wurzeln von Judentum, Christentum und Islam erklären, sie können grundlegende Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Verständnis Gottes in Judentum, Christentum und Islam erläutern. Urteilskompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können sich mit der Bedeutung einer religiös bestimmten Lebensführung für Juden, Christen und Muslime auseinandersetzen. Handlungskompetenz/Dialogkompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können als Voraussetzung für einen Dialog adressatenorientiert eigene Standpunkte zu einfachen religiösen Fragestellungen formulieren. Gestaltungskompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können sich im schulischen Umfeld für ein friedliches Miteinander von Menschen verschiedener Religionen einsetzen. Zur Methodenkompetenz: vgl. → 5.6.2a.

Der Kernlehrplan bietet keine konkreten Textvorschläge zur Ausgestaltung des Schwerpunkts. Röm 11,17-24 deckt die inhaltliche Umschreibung ab und ist geeignet, die geforderten Kompetenzen auszubilden. Die didaktisch-me‐ thodischen Überlegungen orientieren sich an den Rahmenvorgaben. Das bedeutet für die Einbindung des Gleichnisses Röm 11,17-24 Folgendes: ▸

420 421 422

Das Gleichnis ist ein wichtiger Text des Neuen Testaments, der das historische und religiöse Verhältnis von Juden und Christen themati‐

A.a.O., 15. Ebd. A.a.O., 22f.

293

294

5 Didaktische Impulse

▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸

siert und grundlegende Verhaltensregeln für ein Miteinander in der Gemeinde aufstellt. Das Gleichnis zeigt die Verwurzelung des Christentums im Judentum auf. Das Gleichnis stellt die Geschichte der beiden älteren abrahamitischen Religionen in einen größeren heilsgeschichtlichen Zusammenhang. Das Gleichnis formuliert den bleibenden Erwählungsstatus Israels. Das Gleichnis verschränkt den Gedanken der Erwählung mit dem der besonderen Verpflichtung Gott und den Mitmenschen, auch denjenigen mit anderer religiöser Prägung, gegenüber. Die Fragen der Schülerinnen und Schüler sind aufzugreifen und mit dem Inhalt des Gleichnisses ins Gespräch zu bringen. Der Inhalt von Röm 11,17-24 kann den Heranwachsenden Orientie‐ rung hinsichtlich ihrer eigenen religiösen Identität geben und zum interreligiösen Umgang mit Juden (und Muslimen) anleiten. Die Schülerinnen und Schüler lernen anhand des Textes eine grund‐ sätzliche Bescheidenheit, was den Wahrheitsanspruch des eigenen Be‐ kenntnisses anbelangt, und erkennen den Zusammenhang zwischen Bekenntnis und gegenseitiger Wertschätzung.

Anmerkung: Zu den entwicklungspsychologischen Vorgaben vgl. → 5.6.2a. b) Hermeneutische Überlegungen

Zu vermitteln gibt es, angesichts der erwartbaren Lernmöglichkeiten der Zielgruppe sowie der obligatorischen Kompetenzerwartungen, folgende Erkenntnisse aus der theologischen Orientierung (→ 4.2.2): ▸ Oliven und Olivenöl gehörten in der Zeit Jesu zu den Grundnah‐ rungsmitteln; das gewählte Bild war den Erstleserinnen und -lesern bekannt. ▸ Die römische Christengemeinde bestand aus ehemaligen Juden und ehemaligen Nichtjuden; zwischen beiden Gruppen gab es aufgrund religiöser Bestimmungen und Riten Konflikte. ▸ Auslöser des Gleichnisses war offensichtlich arrogantes Verhalten der nichtjüdischen Gemeindegruppe der jüdischen gegenüber. ▸ Paulus war selber Jude und identifizierte sich mit seinen Glaubens‐ geschwistern; für ihn waren die Juden weiterhin das erwählte Volk Gottes, auch wenn es inzwischen eine christliche Gemeinde gab.

5.6 Musterbeispiele

▸ Paulus erinnert daran, dass die Erwählung Israels auch die bleibende Grundlage für die christliche Gemeinde ist. ‚Antijudaismus‘ bedeutet, den Ast abzusägen, auf dem man sitzt. ▸ Das Gleichnis lehrt einen wertschätzenden Umgang der Religionen untereinander. Alle sind miteinander verflochten; die Glaubwürdig‐ keit einer Religion hängt ganz wesentlich daran, wie sie mit anderen Religionen umgeht. c) Suche nach Lebensweltbezügen

Bei der Frage nach Anknüpfungspunkten in der Erfahrungswelt der Schü‐ lerinnen und Schüler könnten folgende Fragen helfen: ▸ Was wisst ihr über jüdische Bräuche und Glaubensinhalte? ▸ Hattet ihr schon einmal Kontakt zu Juden? ▸ Habt ihr schon einmal judenfeindliche bzw. antisemitische Parolen gehört? ▸ Seid ihr schon einmal von nicht- oder andersgläubigen Menschen von oben herab behandelt worden? ▸ Was sind Gemeinsamkeiten, was sind Unterschiede zwischen Islam und Christentum? ▸ Habt ihr schon einmal den Spruch ‚jemand sägt den Ast ab, auf dem er sitzt‘, gehört? Die Recherchen in den Medien zu Lebensweltbezügen heutiger Schüle‐ rinnen und Schüler könnten Folgendes zutage fördern: ▸ Grundinformationen zu den Weltreligionen in gedruckter und digi‐ taler Form. ▸ Informationen zu Antijudaismus und Antisemitismus in Film und anderen Medien. ▸ Erfahrungsberichte ‚gestrandeter‘ Flüchtlinge im Internet, in Zei‐ tungen etc. ▸ Dokumentarfilme, etwa zu Anne Frank und zur Judenverfolgung im Dritten Reich. ▸ Infomaterial zu den Realien (Weinbau, Olivenproduktion). d) Formulierung von Lernzielen

Der inhaltliche Schwerpunkt Der Glaube an Gott in den abrahamitischen Religionen und seine Konsequenzen für den Alltag ist für die folgende Skizze

295

296

5 Didaktische Impulse

auf sechs Unterrichtsstunden à 45 Minuten konzipiert. Als globale Lernziele für die Unterrichtsreihe werden vorgeschlagen: a) kognitiv: Die Schülerinnen und Schüler lernen, dass die drei abraha‐ mitischen Religionen dieselbe religionsgeschichtliche Wurzel haben und historisch sehr eng miteinander verflochten sind. Sie lernen, ihren eigenen Glauben zu artikulieren sowie Muslimen und Juden gegenüber in gegensei‐ tiger Achtung zu vertreten. b) expressiv-emotiv: Die Schülerinnen und Schüler entwickeln ein Gespür für die Nähe der Religionen zueinander und dafür, dass gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung Grundlagen für ein gedeihliches Miteinander der Welt‐ anschauungen und Religionen in der pluralen Gesellschaft sind. c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler entwickeln Vorschläge für gemeinsame Projekte mit Muslimen und Juden, zum Abbau von Vorurteilen etc. Die globalen Lernziele werden in sechs Schritten bzw. Unterrichtsstunden à 45 Minuten erreicht: 1. Stunde: Hinführung – Religiöse Symbole von Christen, Juden und Mus‐ limen. Lernziele a) kognitiv: Die Religionen unterscheiden sich, haben aber auch vieles gemeinsam; b) expressiv-emotiv: Die Schülerinnen und Schüler lernen, dass ein gedeihliches Miteinander nur auf der Grundlage gegensei‐ tigen Verstehens und gegenseitiger Akzeptanz möglich ist. c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler entwickeln Ideen, wie man mit Andersgläubigen ins Gespräch kommen kann und wie man seinen eigenen Glauben darstellen kann, ohne ausgrenzend zu sein. 2. Stunde: Biblische Grundlegung I – Die Geschichte von Isaak und Ismael (Gen 21,1-21). Lernziele a) kognitiv: Hagar und Ismael sind Vertriebene und werden von Gott umsorgt; b) expressiv-emotiv: Das Schicksal der beiden ruft Empathie hervor; die Frage nach Gerechtigkeit wird gestellt; c) praktisch: Schülerinnen und Schüler lernen, auf Menschen mit Migrationshintergrund zuzugehen und nach ihrem Schicksal zu fragen. 3. Stunde: Exkursion in den islamischen Religionsunterricht; Thema: Jesus im Koran (Referat u. ä.). Lernziele a) kognitiv: Der Koran spricht von Jesus als wichtigem Propheten und zeigt Hochschätzung seiner Mutter Maria gegenüber; b) expressiv-emotiv: Es gibt eine Nähe zwischen Islam und Christentum, die verbindend wirkt; c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler entwickeln Ideen für einen Austausch mit den muslimischen Mitschülern über ihre jeweilige Religion.

5.6 Musterbeispiele

4. Stunde: Biblische Grundlegung II – Jesus provoziert die Pharisäer (Mk 3,1-6). Lernziele a) kognitiv: Jesus und seine Gegner unterschieden sich in Fragen des Umgangs mit religiösen Regeln und mit menschlicher Not; b) expressiv-emotiv: Die Schülerinnen und Schüler gewinnen Empathie auch für die Gegner Jesu; c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler reflektieren den Wahrheitsanspruch ihrer Religion und entwickeln Kriterien der Glaubwürdigkeit. 5. Stunde: Biblische Grundlegung III – Das Gleichnis vom Olivenbaum (Röm 11,17-24). Lernziele a) kognitiv: Auch für Christen wie Paulus sind die Juden das auserwählte Volk Gottes. Die christliche Gemeinde wurzelt im Ju‐ dentum. Erwählung bedeutet Verpflichtung; b) expressiv-emotiv: Die Schü‐ lerinnen und Schüler entwickeln ein Gespür für das gespannte Verhältnis zwischen Juden und Christen und für die gemeinsame Heilsgeschichte; c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler beschreiben das Verhältnis zum Judentum in Bildern, Grafiken etc. 6. Stunde: Abschluss: Exkursion in eine Synagoge oder Moschee. Lernziele a) kognitiv: Die Kinder lernen die religiöse Symbolik der anderen Reli‐ gion kennen; b) expressiv-emotiv: Die Schülerinnen und Schüler erfahren, wie wohltuend Gastfreundschaft und gegenseitige Wertschätzung sind; c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler entwickeln Ideen für weitere gemeinsame Projekte. e) Methodische Entscheidungen

Die geplante Unterrichtsstunde ist die fünfte von insgesamt sechs Stunden. Die Schülerinnen und Schüler kennen bereits grundlegende Gemeinsam‐ keiten und Unterschiede der drei abrahamitischen Religionen sowie einige biblische Grundlagentexte zum Thema. Sie haben bereits ein Gespür für die gemeinsame historische Tradition und für die Konfliktpunkte zwischen den Religionen entwickelt. Das Gleichnis vom Olivenbaum fokussiert das christliche Verhältnis zum Judentum und macht die Verflochtenheit beider deutlich. Der Unterricht beginnt mit einer kurzen Anamnese auf die vorige Unter‐ richtsstunde (Mk 3,1-6), insbesondere auf das provokative Potenzial des Verhaltens Jesu und die Frage nach der strittigen Werteskala. Es folgt eine kurze Einführung in die Veredelungstechniken im Weinbau heute und in der Landwirtschaft zur Zeit Jesu (Realien; Einpfropfen anderer Rebsorten in alte Rebstöcke). Im Anschluss wird das Gleichnis vom Olivenbaum in einer vereinfachten, altersgerechten Übertragung präsentiert. Schwerpunkte sind

297

298

5 Didaktische Impulse

die gegenseitige Abhängigkeit und die Möglichkeit einer Rückabwicklung des Vorgangs. Die Schülerinnen und Schüler erhalten Leitfragen zur Vertie‐ fung und die Aufgabe, die Pointe herauszuarbeiten. Zum Schluss werden die Ergebnisse ausgetauscht und diskutiert.423 f) Verlaufsplanung

ZEIT

ZIELE

INHALT

METHODEN / MEDIEN

8 min.

Ana‐ mnese

Stoff der 4. Rundgespräch, Stunde Tafelanschrieb (Mk 3,1-6)

Kreis

10 min.

Realien‐ kenntnis

Realien: Weinbau etc.

Folien / Video / kurzer Text

Kreis

Material ist zu sichten und aufzubereiten

5 min.

Text‐ kenntnis Röm 11,17-24

Oliven‐ altersgerechte baum Röm Textvorlage 11, 17-24 oder Übertra‐ gung

Kreis

altersgerechte Vorlage ist zu erstellen

10 min.

Nach‐ vollzug des In‐ halts

Erzählter Vorgang

Gruppen‐ arbeit

Paper mit Leit‐ fragen ist vor‐ zubereiten

12 min.

Ergebnis‐ sicherung

Antworten gegenseitige Kreis auf die Präsentation; Leitfragen ggf. Diskussion

Arbeit zu Leit‐ fragen

SOZIALFORMEN

KOMMENTAR

5.6.4 Sek I (7.-10. Klasse): Die Vögel und Lilien a) Verortung im Lehrplan

Das Naturgleichnis von den Vögeln und Lilien ist unter anderem im In‐ haltsfeld 2 der Realschule bzw. Sekundarstufe I (GYM), Klassen 7-9(+10): Christlicher Glaube als Lebensorientierung, Schwerpunkt: Die Botschaft Jesu

423

In Weinbaugebieten ergibt sich als zusätzliche Option eine Exkursion in einen Wein‐ berg, um sich vom Winzer die Technik des Aufpfropfens erklären zu lassen. In diesem Falle wäre mindestens eine zusätzliche Schulstunde einzuplanen.

5.6 Musterbeispiele

vom Reich Gottes einzubringen. Folgende Kompetenzerwartungen sind an das Inhaltsfeld 2 gekoppelt (in Auszügen):424 ▸











424

Sachkompetenz/Wahrnehmungskompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können Wundererzählungen, Gleichnisse und Passagen der Bergpredigt als Möglichkeiten, vom Reich Gottes zu sprechen, iden‐ tifizieren und deren Bedeutung als mögliches Orientierungsangebot beschreiben. Deutungskompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können an Bei‐ spielen erklären, wie Jesus an die jüdische Tradition anknüpft und diese weiter ausführt; sie können den Gehalt der Wundertaten und Gleichnisse Jesu als Hoffnungsbotschaft beschreiben. Urteilskompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können die Wunder‐ taten und Gleichnisse als Hoffnungsbotschaft Jesu beurteilen, die Realisierbarkeit ethischer Implikationen der Botschaft Jesu vom Reich Gottes erörtern, sich mit der Frage der Umsetzbarkeit ausgewählter Passagen der Botschaft Jesu in der Gegenwart auseinandersetzen. Handlungskompetenz/Dialogkompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können in interreligiösen Gesprächen Auskunft bezüglich der Bedeutung von Person und Botschaft Jesu für evangelische Christen unter Berücksichtigung der Perspektive des Gesprächspartners oder der Gesprächspartnerin geben. Gestaltungskompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können zu aktuellen gesellschaftlichen Themen Ideen zur Bewältigung dieser Lebenswirklichkeit anhand von Deutungen zentraler biblischer Texte entfalten, Handlungen und Verhaltensweisen zur Wahrnehmung von eigener Verantwortung aus christlicher Motivation prüfen und erproben; Formen, Motive und Ziele gesellschaftlicher Handlungs‐ weisen zur Wahrung der Menschenwürde und weltweiter Gerechtig‐ keit an ausgewählten Beispielen aus christlicher Perspektive prüfen und eine eigene reflektierte Haltung dazu äußern. Methodenkompetenz: Die Schülerinnen und Schüler können sich selbstständig in der Bibel orientieren, biblische und religiös rele‐ vante Texte durch selbstständig gewählte Zugänge erschließen (u. a. Perspektivwechsel), die charakteristischen Eigenschaften biblischer https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/lehrplan/68/KLP_RS_Ev_Religionsl ehre.pdf, 29 f. (zuletzt aufgerufen 2.3.2020). – Zu den Rahmenvorgaben des Schwer‐ punkts vgl. → 5.6.2a.

299

300

5 Didaktische Impulse

und religiös relevanter Texte sowie in ihnen vorliegende Ausprä‐ gungen religiöser Sprache erläutern; sie können einige ausgewählte Möglichkeiten des Zugangs und der Auslegung biblischer Texte be‐ schreiben (u. a. historisch-kritischer Zugang); sie können zu religiös relevanten Sachverhalten selbstständig Informationen sammeln und präsentieren, religiös relevante Sachverhalte im (schul-)öffentlichen Raum unter Zuhilfenahme von Medienprodukten (u. a. computerge‐ stützt) verständlich, adressatenorientiert und fachsprachlich korrekt präsentieren. Konkrete Textvorschläge macht der Kernlehrplan nicht. Der ausgewählte Text wird als inhaltlich passend und zielführend eingestuft. Die didak‐ tisch-methodischen Überlegungen orientieren sich an den zitierten, ver‐ bindlichen Rahmenvorgaben. Das bedeutet für die Einbindung des Gleich‐ nisses Mt 6,25-32 Folgendes: ▸ Der Text bietet ein Beispiel für Jesu Lehre vom anbrechenden Gottes‐ reich. Die damit verbundenen sozialen Hoffnungen sind zu verdeut‐ lichen. ▸ Das Gleichnis ist in den Kontext des Wirkens Jesu, insbesondere der Bergpredigt, zu stellen. ▸ Die Fragen der Schülerinnen und Schüler sind aufzugreifen und mit dem Inhalt des Gleichnisses ins Gespräch zu bringen. ▸ Der Inhalt von Mt 6,25-32 wird als Orientierungsangebot für die Her‐ anwachsenden fruchtbar gemacht und mit anderen Sinnentwürfen ins Gespräch gebracht. Dabei ist die Frage der Umsetzbarkeit des Textes zu prüfen. ▸ Die Zielgruppe wird gegenüber Konsumangeboten kritisch und er‐ kennt im Gleichnis eine alternative Möglichkeit der Lebensgestaltung sowie eine Verantwortung aus dem Glauben heraus für gesellschaft‐ liche Veränderung. Anmerkung: Entwicklungspsychologisch betrachtet, sind die Jugendlichen der 7.-9.(+10.) Klasse zur Abstraktion fähig und können einen Transfer leisten. Es ist auch in dieser Schulstufe mit divergenten kognitiven Entwick‐ lungsstufen zu rechnen. Die Frage nach einer eigenen Identität nimmt weiterhin großen Raum ein.

5.6 Musterbeispiele

b) Hermeneutische Überlegungen

Folgende Aspekte erscheinen vor dem Hintergrund der Lernmöglichkeiten und der (zu vermutenden) Fragen der Schülerinnen und Schüler vermittelbar und vermittelnswert: ▸ Vorratshaltung wird schon im Alten Testament kritisiert und mit Gottvertrauen bzw. mit dem Ersten Gebot konfrontiert (Jesu Lehre in der Tradition des Alten Testaments). ▸ Nachfolge Jesu bedeutete für die Jüngerinnen und Jünger eine unge‐ sicherte Existenz und die Aufgabe vieler sozialer Verbindungen. ▸ Die Sorge um Gottes Herrschaft und ihre Gerechtigkeit soll dem Geichnis zufolge oberste Priorität im Leben haben. Unter Gottes Herrschaft ist materielle Vorsorge nicht erforderlich. Die Frage der Umsetzbarkeit ist zu stellen. ▸ Materielle Vorsorge ist typisch menschlich, hat aber einen negativen sozialen Aspekt (Unrecht). ▸ An Jesu Leben und Wirken kann man ablesen, dass auf Gott Verlass ist. Gott ist Schöpfer und Erhalter der Welt. Er hat zugesagt, für sie zu sorgen. ▸ Wer sich von materiellen Sorgen frei macht, wird frei, sich auf etwas anderes zu konzentrieren und gewinnt viele Lebensmöglichkeiten dazu. c) Suche nach Lebensweltbezügen

Folgende Fragen tragen zur Erschließung der Lebenswelt der Zielgruppe bei: ▸ Was ist der Sinn meines Lebens? Gibt es andere Ziele als materiellen Besitz? ▸ Machen materielle Dinge zufrieden oder steigern sie eher den Wunsch nach noch mehr Besitz? ▸ Wie frei bin ich davon, auf das zu schauen, was meine Mitschüler haben? ▸ Weshalb gibt es weltweit so viel Krieg und Unrecht (Verteilungs‐ kämpfe…)? ▸ Was gibt im Leben Halt und Sicherheit? ▸ Kennt ihr Leute (im wirklichen Leben oder in der Medienwelt), die ‚alternativ‘ leben (Aussteiger…)?

301

302

5 Didaktische Impulse

Der Blick in die Medienlandschaft könnte folgende Anknüpfungspunkte ergeben: ▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸

Naturfilme bringen das Wunder der Schöpfung näher, Kriegsfilme den Horror, der sich aus Verteilungskämpfen ergibt. Reichtum macht nicht unbedingt glücklich. Viele Krimis haben mit Reichtum, Neid und Gier zu tun. Ebenfalls entsteht Mobbing häufig aus den genannten Gründen. Der Song ‚Imagine‘ von John Lennon enthält die Textzeile ‚Imagine no possession, I wonder if you can!‘ Aussteiger werden oft belächelt oder gemobbt. Sie sind aber auch ein Vorbild bei der Suche nach Sinn-Alternativen. Prominentes Beispiel: Greta Thunberg. Halt und Sicherheit geben Freunde und Familie mehr als das gut gefüllte Konto, das Häuschen oder das Auto vor der Tür. Im Zeitalter des Klimawandels ist die Ideologie des Wirtschaftswachs‐ tums zu kritisieren. Der Wert intakter Natur fürs kollektive Überleben wird bewusst. Rede des Häuptlings Seattle 1854 (auszugsweise unter https://www.wwf -jugend.de/blogs/2743/1776/auszuge-der-rede-des-hauptlings-seattle).

d) Formulierung von Lernzielen

Der inhaltliche Schwerpunkt Leben, Handeln und Botschaft Jesu Christi (Re‐ alschule) bzw. Lebensangebote von Jesus aus Nazareth (Sek I GYM) ist hier auf sechs Unterrichtsstunden à 45 Minuten zugeschnitten. Die globalen Lernziele für den gesamten Schwerpunkt werden folgendermaßen festgelegt: a) kognitiv: Jesus setzte sich für die Ausgegrenzten seiner Zeit ein und brachte mit der Vision von Gottes Herrschaft Hoffnung in die Welt. Am Ende starb er für seine Überzeugung am Kreuz. – Es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen materiellem Wohlstand und globalem Unrecht. Kriege sind in der Regel Verteilungskämpfe um die knappen Ressourcen dieser Welt. b) expressiv-emotiv: Jesu Lebensangebot macht bis heute vielen Menschen Hoffnung, dass das Leben einen tieferen Sinn hat, als nach Besitz zu streben. Liebe, Zuwendung, Freunde, Familie geben mehr Halt im Leben als materieller Besitz.

5.6 Musterbeispiele

c) praktisch: Die eigenen Lebensziele dürfen von denen der Erwachsenen abweichen. Persönliches Glück und Engagement für Gemeinschaft und Umwelt sind nicht zu trennen. Umgesetzt werden die globalen Lernziele in sechs Unterrichtsstunden à 45 Minuten Dauer: 1. Stunde: Hinführung – Schülerbefragung nach dem Sinn ihres Lebens. Leitfragen: Was wollt ihr werden, was wollt ihr erreichen? Welche Werte sind euch wichtig, was macht euch glücklich? Lernziele a) kognitiv: Die persönlichen Vorstellungen vom Sinn des Lebens gehen möglicherweise weit auseinander. Materieller Besitz kann im Sinne des Ganzen nicht der höchste Wert sein; b) expressiv-emotiv: Viele Menschen sind bewegt und umgetrieben von globalen Fragen wie Klimawandel, Unrecht, Krieg; c) praktisch: Schülerinnen und Schüler entwickeln Überlegungen zu einem nachhaltigen Lebensstil und zu globaler Gerechtigkeit. 2. Stunde: Vertiefung – Lebensangebote Jesu I: Jesus und Zachäus (Lk 19,1-10). Lernziele a) kognitiv: Jesus schenkt dem Außenseiter Zachäus Zuwendung und macht ihn damit so glücklich und dankbar, dass er einen großen Teil seines Besitzes verschenkt; b) expressiv-emotiv: Wir leben alle von achtsamer Zuwendung und Vergebung (Dankbarkeit, Glück); c) praktisch: Schülerinnen und Schüler reflektieren ihre Lebensziele, den Begriff ‚Glück‘ und ihre Werteskala. 3. Stunde: Lebensangebote Jesu II – Das Gleichnis von Schatz und Perle (Mt 13,44-46). Lernziele a) kognitiv: Das Reich Gottes ist etwas ganz Besonderes, für das manche Menschen alles andere hergeben; das Reich Gottes beinhaltet eine tiefe Erfüllung, einen tieferen Sinn des Lebens als materieller Besitz; b) expressiv-emotiv: Es lohnt sich, im Leben nach höheren Zielen zu streben; c) praktisch: Schülerinnen und Schüler entwickeln Perspektiven, was ‚Schätze‘ und ‚Perlen‘ in ihrem Leben sein könnten. 4. Stunde: Aktualisierung: Werte und Sinnangebote in den Medien (Werbung, YouTube etc.). Lernziele a) kognitiv: Die Medien transportieren ein Bild von einer schönen Welt, die man kaufen kann, und Werte, die den Konsum stimulieren; b) expressiv-emotiv: Nicht alles, was die Werbung suggeriert, ist wirklich gut! (Abgrenzung); c) praktisch: Schülerinnen und Schüler hinterfragen kritisch die Werbeindustrie und die Werte der Medienwelt und entwickeln alternative Werbespots. 5. Stunde: Lebensangebote Jesu III – Das Gleichnis von den Vögeln und Lilien (Mt 6,25-32). Lernziele a) kognitiv: Die Natur zeigt, dass Gott für

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5 Didaktische Impulse

seine Schöpfung und für die Menschen sorgt; b) expressiv-emotiv: Für uns ist gesorgt; wir müssen und können das Leben nicht gegen alles absichern (Hoffnung, Gottvertrauen); c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler entwickeln Ideen für eine gerechte Welt. 6. Stunde: Abschluss – Jesu Leiden und Tod. Lernziele a) kognitiv: Jesus starb für seine Überzeugung vom besseren Leben, er bezahlte sein Engage‐ ment für die Benachteiligten mit dem Leben; b) expressiv-emotiv: Jesus ist authentisch und glaubwürdig (Vertrauen, Hoffnung); c) praktisch: Schüle‐ rinnen und Schüler können Jesu Leben und Wirken deuten, erkennen seine Bedeutung für ihr eigenes Leben. Die anvisierte Unterrichtsstunde ist die fünfte von sechs Stunden im Schwer‐ punkt Lebensangebote von Jesus aus Nazareth. Sie erweitert das Spektrum der Lebensangebote Jesu und wirft die Frage nach den Prioritäten im Leben und einer gerechteren Welt auf. Außerdem fördert sie das Vertrauen in den fürsorglichen Gott Jesu. e) Methodische Entscheidungen

Die Schülerinnen und Schüler sind durch die vier vorhergehenden Unter‐ richtsstunden schon über Lebensangebote heute und bei Jesus informiert. Sie haben auch eine erste Vorstellung davon, was der Begriff ‚Reich Gottes‘ meint. Die Frage des persönlichen Lebensstils wurde aufgeworfen und bereits in Ansätzen reflektiert. In der fünften Unterrichtsstunde kommen die Schülerinnen und Schüler mit einem Gleichnis aus der Bergpredigt in Kontakt; ihr Wissensspektrum zum Reich Gottes erweitert sich und es werden praktische Konsequenzen sichtbar. Die Unterrichtsstunde beginnt mit einer kurzen Rückschau auf die vor‐ herigen Stunden (Doppelgleichnis von Schatz und Perle, Mt 13,44-46, sowie Werte- und Sinnangebote der Medienwelt). Nach einer ersten Begegnung mit dem Text (vorgelesen durch die Lehrkraft) erarbeiten die Schülerinnen und Schüler den Text anhand von Leitfragen und eines Textblattes weiter. Die Leitfragen lauten: Was kann man durch den Blick auf die Natur lernen? Was sagt das Gleichnis über die Möglichkeiten, für die Zukunft vorzusorgen? Wie wird Gott beschrieben? Was ist die Pointe des Textes? Die Ergebnisse werden anhand der think – pair – share-Methode entwickelt und ausgetauscht. Eine Diskussion um die Umsetzbarkeit der Gleichnispointe schließt sich an. Zuletzt ist der Blick auf V.33 zu richten: Was bedeutet

5.6 Musterbeispiele

305

‚Reich Gottes und seine Gerechtigkeit‘? Wie könnte eine gerechte(re) Welt aussehen und was können wir selbst dazu beitragen? f) Verlaufsplanung ZEIT

ZIELE

INHALT

METHODEN / MEDIEN

SOZIALFORMEN

KOMMENTAR

8 min.

Ana‐ mnese

Stoff der 3. Rundgespräch, und 4. Tafelanschrieb U-Stunde

3 min.

Vögel und Text‐ kenntnis Lilien Mt 6,25-32

Gute Nachricht Kreis Bibel o.ä.

15 min.

Vertieftes Textver‐ ständnis

Vögel und Lilien

Arbeitsblatt Einzel-, mit Leitfragen; Partnerar‐ think-pair-share beit, Kreis

10 min.

Einschät‐ zung der Umsetz‐ barkeit

Reflexion Diskussion um Um‐ setzbarkeit

Kreis

Lehrkraft moderiert und struktu‐ riert nur

6 min.

Impulse für eine gerech‐ tere Welt

Mt 6,33

Brainstorming

Kreis

Ergebnisse werden an der Tafel ge‐ sammelt

3 min.

Ergebnis‐ sicherung

Stunden‐ thema

Tafelanschrieb

Tafel

Lehrkraft bündelt die Ergebnisse

Kreis

Textblatt ist vorzube‐ reiten

5.6.5 Sek II (10./11. Klasse): Der Leib Christi a) Verortung im Lehrplan

Das Identitätsgleichnis von der Gemeinde als ‚Leib Christi‘ (1 Kor 12,12-31) ist unter anderem in der Sekundarstufe II, Klassen 10+11, genauer im Inhalts‐ feld 4: Die Kirche und ihre Aufgabe in der Welt mit dem Schwerpunkt Kirche als Leib Christi und Gemeinschaft der Glaubenden einsetzbar (→ 5.4.2). Das Thema von Inhaltsfeld 4 erfährt im Kernlehrplan folgende Beschreibung: In diesem Inhaltsfeld geht es um die Frage, in welchen Formen sich Vorstellungen und Überzeugungen, die Menschen mit anderen teilen, umsetzen lassen. Christli‐

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5 Didaktische Impulse

cher Glaube ist nicht nur Privatsache, sondern konkretisiert sich in Gemeinschaft. Daraus haben sich vielfältige Institutionen und Formen von christlicher Kirche herausgebildet. Die evangelischen Kirchen verstehen sich auf biblischer Grund‐ lage und in ihrer reformatorischen Tradition als Leib Christi und Gemeinschaft der Glaubenden. In diesem Sinn sind sie herausgefordert, ihren Auftrag in einer sich wandelnden Welt wahrzunehmen.425

Folgende Kompetenzerwartungen sind für die Behandlung des Schwer‐ punkts bis zum Ende der Einführungsphase gestellt (in Auszügen):426 ▸ Sachkompetenz/Wahrnehmungskompetenz: Die Schülerinnen und Schüler unterscheiden verschiedene Funktionen und Ämter der Kirche (u. a. prophetisch, diakonisch), die ihr theologisch und ge‐ sellschaftlich zugeordnet werden. Sie erläutern die nachösterlichen Anfänge der christlichen Gemeinden und ihrer Strukturen aus ver‐ schiedenen biblischen Perspektiven. ▸ Deutungskompetenz: Die Schülerinnen und Schüler erläutern das Bild vom ‚Leib Christi‘ und seine Bedeutung für das Selbstverständnis von Kirche zwischen Institution, sozialer Gemeinschaft und Gestalt des Heiligen Geistes. Sie beschreiben die Entwicklung der Gemeinden zur christlichen Kirche und deuten sie im Kontext der Institutionali‐ sierung der Gemeinschaft der Glaubenden. ▸ Urteilskompetenz (allgemein): Die Schülerinnen und Schüler erörtern Anfragen an Religiosität und christlichen Glauben. Sie erörtern reli‐ giöse und säkulare Deutungsangebote im Hinblick auf ihre Tragfä‐ higkeit, Plausibilität und Glaubwürdigkeit und sie erörtern religiöse und säkulare Deutungsangebote im Kontext der Pluralität. ▸ Handlungskompetenz/Dialogkompetenz (allgemein): Die Schülerinnen und Schüler nehmen die Perspektive einer anderen Position bzw. religiösen Überzeugung ein und berücksichtigen diese im Dialog mit anderen. ▸ Methodenkompetenz (allgemein): Die Schülerinnen und Schüler beschreiben Sachverhalte in begrenzten thematischen Zusammen‐ hängen unter Verwendung eines Grundrepertoires theologischer 425

426

Kernlehrplan Ev. Religionslehre in der Gymnasialen Oberstufe, online verfügbar unter: https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/lehrplannavigator-s-ii/gymnasialeoberstufe/evangelische-religionslehre/ev.-religionslehre-klp/kompetenzen/kompeten zen.html (zuletzt aufgerufen 4.4.2020). Ebd.

5.6 Musterbeispiele

Begriffe. Sie erläutern einzelne Schritte einer historisch-kritischen Texterschließung und erschließen angeleitet biblische Texte unter Berücksichtigung unterschiedlicher methodischer Zugänge. Sie iden‐ tifizieren Merkmale religiöser Sprache, benennen ihre Besonder‐ heiten und erläutern ihre Bedeutung. Sie analysieren sprachliche, bildlich-gestalterische und performative Ausdrucksformen zu religiös relevanten Inhalten unter der Berücksichtigung ihrer Formsprache und sie analysieren kriterienorientiert biblische, kirchliche, theologi‐ sche und andere religiös relevante Dokumente in Grundzügen. Konkrete Textvorschläge fehlen im Kernlehrplan. 1 Kor 12,12-31 ist der Referenztext der Wahl für den genannten Schwerpunkt. Im Rahmen der vorgegebenen Inhalte und Kompetenzerwartungen sind für die Verwendung des Textes folgende Aspekte leitend: 1 Kor 12,12-31 ▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸

wird als ekklesiologischer Grundlagentext wahrgenommen. dokumentiert den Prozess frühchristlicher Identitätsbildung am Bei‐ spiel der korinthischen Gemeinde. wirft ein Licht auf den Umgang mit sozialen, religiösen und ethni‐ schen Gegensätzen in einer christlichen Gemeinschaft. ist ein Beispiel für die metaphorische Umschreibung transzendenter Identität und ihrer praktischen Konsequenzen. zeigt, dass christliche Gemeinschaft in gegenseitiger Wertschätzung und in Gemeinsinn ihr ethisches Alleinstellungsmerkmal hat. erläutert, welche Funktion Charismen bzw. Dienste in der Gemeinde haben, und reflektiert zugleich das Wirken des Heiligen Geistes. zeigt, dass sich eine intakte Gemeinschaft insbesondere durch Solida‐ rität mit den schwächsten Gliedern auszeichnet. lehrt, dass ohne gegenseitige Wertschätzung die Einheit einer Ge‐ meinschaft auf dem Spiel steht.

Anmerkung: Die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe zu abstraktem und analytischem Denken wird vorausgesetzt. Dies ermöglicht grundsätzlich eine differenzierte methodische Vorgehensweise, vor allem eine historisch-kritische Erschließung des Textes in seinem Kon‐ text.

307

308

5 Didaktische Impulse

b) Hermeneutische Überlegungen

Vermittelnswerte und vermittelbare Erkenntnisse aus der theologischen Orientierung (→ 4.4.2) sind, Kompetenzerwartungen, inhaltliche Füllung des Schwerpunkts und Lernmöglichkeiten der Zielgruppe im Blick, fol‐ gende: ▸ Der charismatische Charakter des paulinischen Gemeindetyps. ▸ Der sozialgeschichtliche Hintergrund des Textes (Ausgangssituation: die soziale Welt Korinths, das Problem von Glossolalie, die gesetzes‐ freie paulinische Mission unter Nichtjuden). ▸ Das paulinische Gemeinde- und Menschenbild als ein Typus früh‐ christlicher Ekklesiologie und Anthropologie. ▸ Gegenseitige Wertschätzung, Solidarität und das Gebot der freiwil‐ ligen Selbstzurücknahme bzw. Achtsamkeit als Grundlinien der pau‐ linischen Ethik. ▸ Die soteriologische Funktion der paulinischen Gemeinde. c) Suche nach Lebensweltbezügen

Die Lebensweltbezüge der Jugendlichen im Bezug auf Kirche und Gemeinde dürften sich durch folgende Überlegungen erschließen: ▸ Viele Jugendliche kennen Gemeindeleben nur aus punktuellen bio‐ grafischen Erlebnissen (Kasualien, Konfirmandenunterricht, Weih‐ nachtsgottesdienst). ▸ Viele Jugendliche haben überhaupt keinen Bezug zu Kirche. ▸ Andere Jugendliche haben Erfahrungen mit freikirchlichem Leben, wieder andere bringen Erfahrungen aus der Moschee (oder der Syn‐ agoge) mit. ▸ Viele Jugendliche haben, was Kirche anbelangt, große Wissenslücken und Vorurteile (Missbrauchsskandale etc.). ▸ Alle Jugendlichen wissen, wie ein intakter Körper funktioniert, und dass es auf das Zusammenspiel aller Organe ankommt, damit der Mensch leistungsfähig ist (anderes Beispiel: Auto, Computer und andere technisch differenzierte Produkte). Einige Jugendliche haben möglicherweise Erfahrungen mit Unfall oder Krankheit und deren Folgen für das Allgemeinbefinden. ▸ Erfahrungen mit der Familie lassen das Gespür für die Relevanz von gegenseitiger Rücksichtnahme und Wertschätzung wachsen.

5.6 Musterbeispiele

▸ Aufgrund der Corona-Krise wissen die Schülerinnen und Schüler um die Bedeutung solidarischen Verhaltens, um gerade die schwächsten Glieder der Gesellschaft zu schützen (Selbstzurücknahme, Achtsam‐ keit, Abstandsgebot). ▸ Mannschaftssportarten können ebenfalls Wertschätzung, Solidarität und freiwillige Selbstzurücknahme als Säulen eines erfolgreichen Miteinanders plausibel machen. d) Formulierung von Lernzielen

Der inhaltliche Schwerpunkt Kirche als Leib Christi und Gemeinschaft der Glaubenden (Inhaltsfeld 4, Sekundarstufe II) hat im Musterbeispiel einen Umfang von zehn Unterrichtsstunden à 45 Minuten. Die globalen Lernziele für den Schwerpunkt werden wie folgt definiert: a) kognitiv: Christliche Kirche hat eine transzendente Dimension als ‚Leib Christi‘ und lebt einerseits unter dem Zuspruch besonderer Verheißung und andererseits unter dem Anspruch, als intakte Gemeinschaft der Gesellschaft ein Vorbild für wertschätzendes, solidarisches und gemeinschaftsförderndes Verhalten zu bieten. b) expressiv-emotiv: Die Schülerinnen und Schüler erleben und erfahren, dass Solidarität, Wertschätzung und freiwillige Selbstzurücknahme bzw. Achtsamkeit gut tun, den Einzelnen stärken und die Gemeinschaft vorwärts bringen. c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler beteiligen sich an einem der diakonischen Projekte der EKD und sind befähigt, Wesen und Auftrag von Kirche nach außen hin sachkundig zu kommunizieren. Umgesetzt werden die globalen Lernziele in zehn Unterrichtsstunden à 45 Minuten Dauer: 1. Stunde: Hinführung – Über den Erfolg einer Fußballmannschaft. Lernziele a) kognitiv: Eine Mannschaft ist erfolgreich, wenn ihre Einzelspieler als Teamplayer agieren. Übertragbar ist das auch auf andere Lebensbereiche; b) expressiv-emotiv: Gegenseitige Wertschätzung, Solidarität und mann‐ schaftsdienliches Verhalten tun jedem einzelnen Spieler gut; c) praktisch: Befähigung der Schülerinnen und Schüler zur Analyse erfolgreichen Grup‐ penverhaltens. 2. Stunde: Thema persönliche Erfahrungen mit Kirche bzw. anderen reli‐ giösen Korporationen (Moschee, Synagoge). Lernziele a) kognitiv: Kirche ist ein vielgestaltiger Raum, in dem Menschen ihre religiöse Überzeugung

309

310

5 Didaktische Impulse

ausleben und teilen können. Kirche ist aber auch eine gesellschaftlich umstrittene Institution; b) emotiv-expressiv: Teamplay und gemeinsames Agieren helfen, gesetzte Ziele zu erreichen; Gemeinschaft sorgt dafür, dass auch die Schwächsten vorwärts kommen; c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler werden befähigt, Sinn und Zweck kirchlich-religiöser Gemein‐ schaften nach außen hin zu kommunizieren. 3. Stunde: Biblische Grundlegung I – Die Jüngerberufung Mt 4,18-25. Lern‐ ziele a) kognitiv: Die Berufung der Jünger ist die Initialzündung für die Bildung von Kirche. Die Begegnung mit Jesu Charisma wirkt als Auslöser für Nachfolge; b) expressiv-emotiv: Charisma wirkt ansteckend! c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler können den historischen Ausgangspunkt christlicher Gemeinschaft benennen. 4. Stunde: Biblische Grundlegung II – Das Pfingstwunder / Die Jerusa‐ lemer Urgemeinde (Apg 2,1-12.42-47). Lernziele a) kognitiv: Das Pfingst‐ wunder ist die Geburtsstunde der nachösterlichen Gemeinde. Die Jerusa‐ lemer Urgemeinde stellt das Idealbild von christlicher Gemeinde dar; b) expressiv-emotiv: Die Wirkung des Geistes ist polarisierend; c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler können das charismatische Element als kirchenbildend verstehen und kommunizieren. 5. Stunde: Thema: Pfingstlerisch-charismatische Gemeinden heute. Lern‐ ziele: a) Kenntnis dieses Gemeindetyps und seiner religionssoziologischen Verortung; b) expressiv-emotiv: Verständnis für die theologische Begrün‐ dung dieser Gemeinden; c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler können theologische Argumente für und gegen charismatische Gemeinden ab‐ wägen. 6. und 7. Stunde: Exkursion zu einer Pfingstgemeinde (eventuell mit Gottes‐ dienstbesuch). Lernziele a) kognitiv: Wahrnehmung gottesdienstlicher und anderer Vollzüge des Gemeindelebens; b) expressiv-emotiv: Kritische, aber tolerante Haltung entwickeln; c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler sind mit Vertretern anderer Gemeinschaften dialogfähig. 8. und 9. Stunde: Biblische Grundlegung III – Die Kirche als ‚Leib Christi‘ (1 Kor 12,12-31). Lernziele a) kognitiv: Historisch-soziale Einordnung der paulinischen Ausführungen zur Gemeinde; b) expressiv-emotiv: Gegensei‐ tige Wertschätzung, Solidarität und freiwillige Selbstzurücknahme bzw. Achtsamkeit als wohltuende und zielführende Grundlagen christlicher Gemeinschaft nachvollziehen; c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler sind imstande, die paulinische Ekklesiologie zu diskutieren und mit anderen Modellen ins Gespräch zu bringen.

5.6 Musterbeispiele

311

10. Stunde: Abschluss und Ergebnissicherung. Lernziele a) kognitiv: Das Selbstverständnis von Kirche und ihr Alleinstellungsmerkmal sind bekannt; b) expressiv-emotiv: Kirchliche Lebensvollzüge von ihrer Grundlegung und Motivation her nachvollziehen können; c) praktisch: persönliche Positionie‐ rung, ggf. Entwicklung eines diakonischen Projekts. e) Methodische Entscheidungen

Die skizzierte Unterrichtsstunde ist eine der letzten Stunden der Unterrichts‐ reihe zum Schwerpunkt Kirche als Leib Christi und Gemeinschaft der Glau‐ benden. Die Schülerinnen und Schüler haben schon reichlich Vorwissen und können auch Lebensweltbezüge zum Thema herstellen. Die Doppelstunde beginnt mit einer Anamnese der schon besprochenen Bibeltexte und der herausgearbeiteten ‚Erfolgsrezepte‘ von Gemeinschaft. Mannschaftssport, Familie und menschliche Physis werden als Bereiche memoriert, die auf vergleichbaren Grundlagen fußen. Der Text 1 Kor 12,12-31 wird daraufhin vorgestellt und nach bestimmten Leitfragen hin entwickelt: Welche Aus‐ gangsfragen sind erkennbar? Welche Gruppierungen sind zu identifizieren? Was ist das einigende Band der paulinischen Gemeinde? Hintergrundinfor‐ mationen zur Soziologie Korinths und zur korinthischen Gemeinde sind zu erheben, die Metaphorik von ‚Leib‘, ‚Gliedern‘ und ‚Haupt‘ ist zu decodieren. Zum Abschluss ist das paulinische Gemeindemodell nach ‚Zielführigkeit‘ und Gegenwartsrelevanz zu befragen. f) Verlaufsplanung

ZEIT

ZIELE

INHALT

METHODEN / MEDIEN

15 min.

Ana‐ mnese des Vorwis‐ sens

Mt 4,18-25; Rundgespräch, Apg 2; Le‐ Tafelanschrieb benswelt‐ bezüge

15 min.

Erfolgsre‐ zepte für das Ge‐ lingen

Gemein‐ samkeiten von Sport, Familie, Physis

15 min.

siehe oben

Austausch Gruppenprä‐ über die sentation Ergebnisse

SOZIALFORMEN

KOMMENTAR

Kreis

Gruppenarbeit, 3 Gruppen eventuell Ar‐ (arbeits‐ beitsblatt teilig)

eventuell ist ein Text- und Arbeitsblatt zu erstellen

312

5 Didaktische Impulse

ZEIT

ZIELE

INHALT

METHODEN / MEDIEN

SOZIALFORMEN

KOMMENTAR

3 min.

Kennen‐ 1 Kor lernen des 12,12-31 Textes

Vortrag / Vor‐ lesen des Textes

Kreis

geeignete Bi‐ belausgabe bereitstellen

20 min.

Kontextu‐ Leitfragen Arbeit in alisierung zu 1 Kor 12 Gruppen

15 min

Ergebnis‐ sicherung

Leitfragen Gruppenprä‐ zu 1 Kor 12 sentation

Arbeitsblatt mit Leit‐ fragen Kreis

Tafelan‐ schrieb; Handouts

5.6.6 Sek II (GK, LK): Der gute Hirte

a) Verortung im Lehrplan

Unter anderem lässt sich das Identitätsgleichnis vom guten Hirten (Joh 10,1-18) im Kernlehrplan der Sekundarstufe II (GK und LK), Inhaltsfeld 3: Das Evangelium von Jesus Christus mit dem Schwerpunkt Jesus von Nazareth, der Christus: Kreuz und Auferweckung verorten. Das Thema des Inhaltsfelds 3 wird im Kernlehrplan folgendermaßen umschrieben: Dieses Inhaltsfeld beschäftigt sich mit der Frage, wer oder was Menschen Orientierung für ein gelingendes Leben angesichts der Widersprüchlichkeiten des Lebens und der Welt bietet. Der christliche Glaube an Jesus von Nazareth, den Christus, gewinnt aus der Botschaft Jesu vom Reich Gottes, dem Zeugnis von seiner Passion und dem Glauben an seine Auferstehung Leitlinien für die Gestaltung eines gelingenden Lebens.427

Folgende Kompetenzerwartungen sind mit dem Schwerpunkt verknüpft (in Auszügen): ▸

427

Sachkompetenz/Wahrnehmungskompetenz (GK/LK): „Die Schüle‐ rinnen und Schüler stellen zentrale Aspekte der biblischen Überliefe‐ Kernlehrplan für die Sekundarstufe II Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-West‐ falen. Evangelische Religionslehre, Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2014, 18 (online verfügbar unter www.schul entwicklung.nrw.de/lehrplaene/lehrplan/24/KLP_GOSt_Religionslehre_ev.pdf; zuletzt aufgerufen 3.3.2020).

5.6 Musterbeispiele









428 429 430 431 432 433 434 435

rung von Passion, Kreuz und Auferweckung Jesu dar“; „beschreiben in Grundzügen die christliche Akzentuierung des Gottesverständnisses durch die Person, die Botschaft und das Leben Jesu Christi“;428 (nur LK): „unterscheiden und beschreiben Beteiligte und Verantwortliche an Prozess und Hinrichtung Jesu.“429 Deutungskompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler erläutern Le‐ bensorientierungen und Hoffnungsperspektiven, die sich aus der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu und aus dem Glauben an Jesu Aufer‐ weckung für Christinnen und Christen ergeben“; „deuten die biblische Rede von Passion, Kreuz und Auferweckung Jesu als spezifisch christ‐ liche Akzentuierung des Gottesverständnisses.“430 Urteilskompetenz (GK/LK): „Die Schülerinnen und Schüler erörtern Fragen nach Verantwortung und Schuld im Kontext der christlichen Rede von der Kreuzigung Jesu“; „erörtern die Relevanz der Botschaft von der Auferweckung“;431 (nur LK): „erläutern alttestamentliche Bezüge in den Passionserzählungen.“432 Handlungskompetenz/Dialogkompetenz: „Die Schülerinnen und Schüler begegnen anderen religiösen und weltanschaulichen Über‐ zeugungen aus der Perspektive des christlichen Glaubens diskursiv sowie mit einer Haltung des Respekts und der Achtung“; „formulieren ihre eigene Überzeugung zur Frage nach Gott und dem Menschen und vertreten diese im Dialog.“433 Methodenkompetenz (GK/LK): „Die Schülerinnen und Schüler be‐ schreiben Sachverhalte in unterschiedlichen thematischen Zusammen‐ hängen angemessen unter Verwendung eines Repertoires theologischer Begriffe“; „erschließen biblische Texte durch unterschiedliche metho‐ dische, insbesondere historisch-kritische Zugänge“; „identifizieren me‐ thoden- und kriterienorientiert religiöse Sprache und erläutern ihre Bedeutung“;434 (nur LK): „erproben exegetische Methoden im Hinblick auf ihre Möglichkeiten und Grenzen für die Texterschließung.“435

A.a.O., 31. A.a.O., 42. Ebd. A.a.O., 32. A.a.O., 43. A.a.O., 26f. A.a.O., 27f. A.a.O., 38.

313

314

5 Didaktische Impulse

Der Kernlehrplan enthält sich konkreter Textvorschläge.436 Joh 10,1-18 fügt sich in die beschriebenen Inhalte und Kompetenzerwartungen ein. Diese einbezogen, ergeben sich für die Verwendung des Gleichnisses folgende Leitaspekte: ▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸

Joh 10,1-18 wird als vergleichender Text wahrgenommen und ansatz‐ weise einer historisch-kritischen Analyse unterzogen. Joh 10,1-18 wird in den Kontext des Lebens und der Passion Jesu gestellt und als Deutungsmuster für den Tod Jesu erkannt. Die in Joh 10,1-18 eingebetteten Ich-bin-Worte werden als zentrale christologische Metaphern wahrgenommen und gedeutet. Auf Grundlage von Joh 10,1-18 werden Aspekte des christlichen Gottesbildes sichtbar gemacht. Die christliche Hoffnung, die sich aus Joh 10,1-18 ergibt, wird erar‐ beitet. (nur LK): Joh 10,1-18 wird in den Rahmen der alttestamentlichen Hirtenmetaphorik gestellt; das innovativ-provokative Potenzial des Textes wird eruiert. (nur LK): Anhand von Joh 10,1-18(-30) werden Motive der Gegner Jesu verdeutlicht, die zum Prozess gegen Jesus führten.

Anmerkung: Die Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe sind grundsätzlich zu abstraktem und analytischem Denken fähig. Dies ermöglicht eine differenzierte methodische Vorgehensweise und eine histo‐ risch-theologische Vernetzung des Gleichnisses. b) Hermeneutische Überlegungen

Kompetenzerwartungen, inhaltliche Füllung des Schwerpunkts und Lern‐ möglichkeiten der Zielgruppe ergeben als vermittelnswerte und vermittel‐ bare Erkenntnisse aus der historisch-exegetischen Orientierung (→ 4.4.1): ▸

Merkmale des legitimen ‚Hirten‘ Jesus Christus (Textlinguistik, Pointe). ▸ Die soziale Welt der Hirten zur Zeit Jesu. ▸ Die Hirtenrede ist Teil apologetischer Argumentation um die Voll‐ machtsfrage.

436

Der Kernlehrplan verweist für ein Umsetzungsbeispiel, für einen schulinternen Lehr‐ plan sowie für weitere Unterstützungsmaterialien auf www.lehrplannavigator.nrw.de.

5.6 Musterbeispiele

▸ Jesu Wirken und Reden wirken polarisierend. ▸ Die Hirtenmetaphorik hat eine lange Vorgeschichte und kann poly‐ valent eingesetzt werden (nur LK). ▸ Die Motive, Jesus den Prozess zu machen, sind laut Joh 10,1-30 Konkurrenz um die Macht im Volk und ein theologischer Dissens. ▸ Das spezifisch Christliche am Gottesbild besteht in der engen Ver‐ trautheit von Vater und Sohn (mit trinitätstheologischen Implika‐ tionen). ▸ Der Tod legitimiert Jesus als vollmächtigen Herrn Israels und der christlichen Gemeinschaft. ▸ Die christliche Hoffnung bezieht sich laut Joh 10,1-18 auf ein Leben in Fülle in der Nachfolge Christi; Jesus Christus ist der Weg und die ‚Tür‘ zum Heil. c) Suche nach Lebensweltbezügen

Eine Annäherung an die Lebenswelt der Zielgruppe mit Blick auf die christliche Vollmachtsfrage und den damit implizierten Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens ist durch folgende Beobachtungen denkbar: ▸ ▸

Ps 23 dürfte einem Teil der Schülerinnen und Schüler vertraut sein. Im interreligiösen Dialog mit nichtchristlichen Mitschülerinnen und Schülern spielt die Frage der Gottessohnschaft Jesu eine wichtige Rolle. ▸ Die Frage eines legitimen politischen Führungsanspruchs stellt sich in allen politischen Systemen und wird in Deutschland aktuell kontro‐ vers diskutiert. ▸ Charismatische Leitfiguren polarisieren mit ihrem Auftreten, ihrem Lebensstil und mit ihren Visionen. ▸ Der Umgang mit politischen Gegnern ist häufig vielschichtig – Sach‐ argumente und ‚niedere Motive‘ gehen Hand in Hand. d) Formulierung von Lernzielen

Der inhaltliche Schwerpunkt Jesus von Nazareth, der Christus: Kreuz und Auferweckung (Inhaltsfeld 3, Sekundarstufe II GK/LK) hat im Musterbeispiel einen Umfang von zehn Unterrichtsstunden à 60 Minuten. Die globalen Lernziele für den Schwerpunkt werden wie folgt definiert: a) kognitiv: Die Schülerinnen und Schüler können Jesu Wirken, Tod und Auferstehung historisch und theologisch deuten.

315

316

5 Didaktische Impulse

b) expressiv-emotiv: Die Schülerinnen und Schüler erfahren, dass Lebenshin‐ gabe für Glaubwürdigkeit sorgt und dass aus Jesu Lebenshingabe bis heute Hoffnung auf die Überwindung des Bösen entsteht. c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler sind befähigt, den christlichen Glauben im interreligiösen Dialog fundiert und mit Respekt vor den Dialog‐ partnern darzustellen und zu Fragen christlicher Hoffnung und Lebensfüh‐ rung Stellung zu beziehen. Umgesetzt werden die globalen Lernziele in zehn Unterrichtsstunden à 60 Minuten Dauer: 1. Stunde: Hinführung – Grundlagen des christlichen Glaubens (Brainstor‐ ming, Apostolikum, kirchliche Lebenvollzüge). Lernziele a) kognitiv: Ana‐ mnese des bis dato gelernten Grundwissens; b) expressiv-emotiv: Kritische Auseinandersetzung mit christlichen Glaubensgrundsätzen; c) praktisch: Befähigung der Schülerinnen und Schüler, die Spezifika christlichen Glau‐ bens darzustellen. 2. und 3. Stunde: Thema Entstehung des Glaubens an Jesus, den Christus anhand ausgewählter Textaussagen (etwa Jüngerberufungen; Wunderer‐ zählungen; Ostertexte; 1 Kor 15; Phänomen Charisma). Lernziele a) kognitiv: Die Erfahrungsgrundlage für das christologische Bekenntnis wird erfasst; b) expressiv-emotiv: Jesus wird als mitreißender Charismatiker entdeckt; c) praktisch: Historisch plausible Erfahrungen mit Jesus werden von doxo‐ logischen Auskünften unterschieden. 4. bis 6. Stunde: Thema Motive für die Hinrichtung Jesu anhand ausgewählter Texte wie Mk 3,1-6 (Sabbatheilung), Mk 12,1-12parr. (Winzergleichnis) und Joh 10,1-18 (Hirtengleichnis). Lernziele a) kognitiv: Die polarisierende Wirkung Jesu wird erkannt; die Motivlage der Gegner Jesu wird wahrge‐ nommen; die Vollmachtsfrage wird als zentrale Frage des (innerjüdischen) Konflikts entdeckt; b) expressiv-emotiv: Verständnis für beide Konfliktpar‐ teien wird entwickelt (Empathie); c) praktisch: Befähigung, die innere Logik zwischen dem Anspruch Jesu und dem Prozess gegen ihn argumentativ darzulegen. 7. und 8. Stunde: Thema Theologische Deutungen des Todes Jesu anhand ausgewählter Texte wie Mk 14,22-24 (Bund), Joh 19,30 (Überwindung des Bösen) oder Röm 3,25 (Jom Kippur). Lernziele a) kognitiv: Die Deutung des Todes Jesu wird als zentrale frühchristliche Herausforderung begriffen; die Pluralität der Deutungsmuster und ihre alttestamentlichen Bezüge werden erkannt; b) expressiv-emotiv: Das Ringen der neutestamentlichen

5.6 Musterbeispiele

Autoren um ihre eigene, jüdische Identität wird nachvollzogen; die eigene Verwurzelung im jüdischen Glauben wird wahrgenommen (Identifikation); c) praktisch: Befähigung, die Frage nach der Heilsnotwendigkeit des Todes Jesu differenziert zu beantworten und das jüdisch-christliche Gespräch über Jesus sachlich fundiert mitzugestalten. 9. Stunde: Thema Osterglaube anhand ausgewählter Textpassagen wie Lk 24,13-35; 1 Kor 15. Lernziele a) kognitiv: Das Ostergeschehen wird als zentrale Erfahrung der Jünger Jesu erkannt; b) expressiv-emotiv: Die Ge‐ fühlslage der ersten Auferstehungszeugen wird nachvollzogen; c) praktisch: Befähigung, den Osterglauben argumentativ als Umschreibung einer zen‐ tralen Erfahrung (‚er ist wieder da!‘) darstellen zu können. 10. Stunde: Zusammenfassung und Ergebnissicherung. e) Methodische Entscheidungen

Die Unterrichtsstunde der Wahl ist die sechste von insgesamt zehn Unter‐ richtsstunden des Schwerpunkts Jesus von Nazareth, der Christus: Kreuz und Auferweckung, genauer: die dritte von drei Sitzungen zum Thema Motive für die Hinrichtung Jesu. In den beiden Stunden zuvor wurden mit Mk 3,1-6 und Mk 12,1-12parr. zwei Texte besprochen, welche die Motive hinter der Hinrichtung Jesu darlegen. Mit dem Hirtengleichnis Joh 10,1-18 kommen zwei weitere wesentliche Aspekte hinzu: Jesu Führungsanspruch über Israel und sein provokatives Gottesverhältnis. Die Sitzung beginnt mit einem Brainstorming über legitimen politi‐ schen Führungsanspruch heute: Woran bemisst sich politische Legitimität? Welche Faktoren sind ausschlaggebend für das Wahlverhalten? Mit welchen Bandagen werden politische Gegner (oder Visionäre) bekämpft? Aspekte wie Verfassungstreue, Wohl des Volkes, Charisma und Sachargumente dürften hier genannt werden. – Mithilfe eines Textblatts wird im Anschluss Joh 10,1-8 arbeitsteilig erschlossen. Leitfragen sind: Wie ist das Gleichnis aufgebaut? Welches sind die Argumente für den legitimen Führungsan‐ spruch Jesu? Was bedeutet das Ich-bin-Wort von der ‚Tür‘ (V.7.9)? Wo begegnet die Hirtenmetaphorik sonst noch in der Bibel (Konkordanzarbeit, nur LK)? Die Ergebnisse der Gruppenarbeit werden in einem weiteren Arbeitsschritt medial aufbereitet präsentiert (Powerpoint, Handout). Zuletzt

317

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5 Didaktische Impulse

ist eine Diskussion um die im Text genannten Argumente wünschenswert (falls die Zeit ausreicht).437 f) Verlaufsplanung

ZEIT

ZIELE

INHALT

METHODEN / MEDIEN

SOZIALFORMEN

8 min.

Lebens‐ politische Rundgespräch, weltbezug Legitimität Tafelanschrieb heute

15 min.

Erschlie‐ ßung von Joh 10,1-18

Hirtenrede Text- und Ar‐ Joh 10,1-18 beitsblatt mit Leitfragen

20 min.

Kennen‐ lernen weiterer Text‐ aspekte

Hirtenrede Präsentation Joh 10,1-18 durch Arbeits‐ gruppen (Handout, Powerpoint)

10 min.

Begrün‐ dung des Füh‐ rungsan‐ spruchs Jesu

Hirtenrede Diskussion Joh 10,1-18 über Textargu‐ mente zum Thema

Diskussi‐ onsrunde

7 min.

Ergebnis‐ sicherung

Hirtenrede Joh 10,1-18

Kreis

KOMMENTAR

Kreis

Gruppenar‐ Text- und Ar‐ beit (ar‐ beitsblatt ist beitsteilig) zu erstellen Technische Vorausset‐ zungen sind zu prüfen

5.6.7 Berufskolleg: Der Hausbau a) Verortung im Lehrplan

Das Alltagsgleichnis vom Hausbau (Mt 7,24-27) wird hier für den Religions‐ unterricht am Berufskolleg (Fachrichtung Erziehung und Soziales) vorge‐ schlagen. Der Religionsunterricht in diesem Bereich „erhält sein spezifisches Gepräge durch das Zusammenwirken von vier Dimensionen:

437

Die ambivalente Reaktion der Zuhörer Jesu (V.19-30) ist im LK ein weiterer Betrach‐ tungsaspekt.

5.6 Musterbeispiele



Als Unterricht in evangelischer Religionslehre stellt er die Grundlagen und die Lehre der evangelischen Kirche dar, vermittelt Einsichten in Sinn- und Wertfragen des Lebens, ermöglicht die Auseinandersetzung mit Ideologien, Weltanschauungen und Religionen und motiviert zu verantwortlichem Handeln in der Gesellschaft. ▸ Als Unterricht im Fachbereich ‚Erziehung und Soziales‘ […] entwickelt er ein besonderes religionspädagogisches Profil und bringt spezifisch christliche Aspekte zu den anthropologischen Grundlagen pädagogi‐ scher Arbeitsfelder in die jeweiligen Bildungsgänge ein. ▸ Als Unterricht im Dialog mit jungen Menschen hat der evangelische Religionsunterricht deren Lebensalltag im Blick und stellt sich deren Fragen nach Werten und Lebenssinn. Dabei werden junge Menschen nicht nur als Suchende, sondern auch als religiös produktive Personen wahrgenommen, die eigene Perspektiven in das unterrichtliche Ge‐ schehen einbringen. Der Religionsunterricht bringt sein biblisches und protestantisches Profil als Hilfe zur Orientierung ein und wird damit zu einem Ort, an dem die Dialogfähigkeit des christlichen Glaubens überprüft und weiter entwickelt wird. ▸ Als Unterricht, der zur allgemeinen Hochschulreife führt, hat er wis‐ senschaftspropädeutische Ausrichtung und führt exemplarisch in wissenschaftliche Denk- und Arbeitsformen ein. […] Dies schließt die Einübung von wissenschaftlicher Reflexivität ein, die einen auf‐ geklärten Glauben fördert. So leistet er einen Beitrag dazu, dass Glaubens-, Sinn- und Wertfragen kommunizierbar, diskutierbar und kritisierbar werden […].“438

Im Fokus des Religionsunterrichts stehen inhaltlich vorwiegend die religiöse Entwicklung des Menschen, die Reflexion der eigenen religiösen Biografie sowie die christliche Anthropologie und Ethik sowie, laut Lehrplan: Über den messbaren fachlichen Kompetenzzuwachs hinaus unterstützt der Un‐ terricht in evangelischer Religionslehre die Entwicklung von Mitempfinden und Barmherzigkeit.439

438

439

Bildungspläne zur Erprobung, Teil III: Fachlehrplan Evangelische Religionslehre (Fach‐ bereich Erziehung und Soziales), Düsseldorf 2008, 7 f. (online verfügbar unter https://w ww.berufsbildung. nrw.de/cms/upload/_lehrplaene/d/erziehung_und_soziales/teil3/lp _ev_religion_grundkurs.pdf; zuletzt aufgerufen 8.3.2020). Ebd.

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320

5 Didaktische Impulse

Das alles dient dazu, die Kompetenz der künftigen Erzieher, Sozialpädagogen etc. im pädagogischen Umgang mit religiösen Fragen der Kinder und Jugendlichen zu steigern. – Wie in allen anderen Schulformen auch, sind die Inhalte des Religionsunterrichts an Berufskollegs auf Kompetenzerwar‐ tungen ausgerichtet. Diese lauten (in gekürzter Fassung):440 Wahrnehmungs- und Darstellungsfähigkeit: Die Schülerinnen und Schüler können „religiös bedeutsame Phänomene wahrnehmen und beschreiben; Situationen erfassen, auch aus dem beruflichen Kontext, in denen letzte Fragen nach Grund, Sinn, Ziel und Verantwortung des Lebens aufbrechen; religiöse Spuren und Dimensionen in der Lebenswelt und in beruflichen Handlungsfeldern aufdecken […]; ethische Herausforderungen in der indi‐ viduellen Lebensgeschichte, im angestrebten Beruf sowie in unterschiedli‐ chen gesellschaftlichen Handlungsfeldern als religiös bedeutsame Entschei‐ dungssituationen erkennen.“ Deutungsfähigkeit: Die Schülerinnen und Schüler können „religiös be‐ deutsame Sprache und Zeugnisse verstehen und deuten; religiöse Sprach‐ formen analysieren und als Ausdruck existentieller Erfahrungen verstehen (Beispiele: Gebet, Lied, Segen, Bekenntnis, Mythos, Symbol) […]; biblische Texte, die für den christlichen Glauben grundlegend sind, methodisch reflek‐ tiert auslegen; theologische und religionspädagogische Texte sachgemäß erschließen […].“ Urteilsfähigkeit: Die Schülerinnen und Schüler können „in religiösen und ethischen Fragen begründet urteilen; deskriptive und normative Aussagen unterscheiden; Modelle ethischer Urteilsbildung kritisch beurteilen und beispielhaft anwenden; Gemeinsamkeiten von Konfessionen und Religionen sowie deren Unterschiede erklären und kriteriengeleitet bewerten […]; im Kontext der Pluralität einen eigenen Standpunkt zu religiösen und ethischen Fragen einnehmen und argumentativ vertreten.“ Dialogfähigkeit: Die Schülerinnen und Schüler können „am religiösen Dialog argumentierend teilnehmen; […] Gemeinsamkeiten von religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sowie Unterschiede benennen und im Blick auf mögliche Dialogpartner kommunizieren, sich aus der Perspek‐ tive des christlichen Glaubens mit anderen religiösen und weltanschauli‐ chen Überzeugungen argumentativ auseinandersetzen […].“

440

A.a.O., 10-12.

5.6 Musterbeispiele

Gestaltungsfähigkeit: Die Schülerinnen und Schüler können „religiös bedeutsame Ausdrucks- und Gestaltungsformen reflektiert verwenden; ty‐ pische Sprachformen der Bibel adressatengerecht transformieren […].“ Das Gleichnis vom Hausbau wird für das Kursthema Das Evangelium von Jesus Christus (Kurshalbjahr 12.2) eingesetzt. Hier wird für das Teilthema Die Botschaft Jesu neben Reich-Gottes-Gleichnissen und Wundergeschichten die Bergpredigt expressis verbis genannt. Der Berufsbezug wird mit der religionspädagogischen Vermittlung der Botschaft Jesu angegeben. Als Leitmethode gilt der synoptische Vergleich.441 Die Behandlung von Mt 7,24-27par. als Teiltext der Bergpredigt bzw. Feldrede passt thematisch an dieser Stelle in den Lehrplan. Didaktisch und methodisch werden, mit Blick auf die genannten Dimensionen und Kompetenzerwartungen, folgende Aspekte für zielführend erachtet: ▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸

Das Gleichnis stellt die unmittelbare Anwendung der Bergpredigt bzw. Feldrede dar. Bergpredigt und Feldrede sind zentrale ethische Texte des frühen Christentums. Die Glaubwürdigkeit einer Religion ergibt sich unmittelbar aus der Kongruenz von Lehre und Handeln. Die im Gleichnis angesprochenen Werthaltungen (Gerechtigkeit, Barmherzigleit) sind herauszuarbeiten. Das Gleichnis ist in den Kontext des Wirkens Jesu zu stellen. Der Lebensweltbezug der Schülerinnen und Schüler ist zu eruieren. Das Gleichnis ist auch exegetisch zu behandeln.

Anmerkung: Die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler zum Transfer des vergleichend Gesagten auf die Deutungsebene ist vorausgesetzt. b) Hermeneutische Überlegungen

Im Rahmen der Lernmöglichkeiten und des Lehrplans finden folgende Erkenntnisse der historisch-exegetischen Arbeit besondere Beachtung:

441

A.a.O., 17.

321

322

5 Didaktische Impulse

▸ Der innere Zusammenhang von Hören und Tun ist konstitutiv für den christlichen Glauben und seine Vermittlung. ▸ Das Insistieren auf die Kongruenz von Hören und Handeln ist ein Charakteristikum der Botschaft Jesu. ▸ Ein Glaube ohne praktisch-ethische Konsequenzen ist eine halbe Sache, die zur Verbreitung von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit nichts austrägt. ▸ Wer sein Wissen nicht in verantwortliches Handeln umsetzt, handelt verantwortungslos. ▸ Gott ist der Anwalt von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. ▸ Glaube war zu allen Zeiten eine gefährdete Sache. ▸ Der gegenwärtige Dualismus von ‚Guten‘ und ‚Bösen‘ ist auszuhalten! ▸ Das Metaphernfeld rund um den Begriff ‚Haus‘ ist exegetisch zu erarbeiten und daraus das innovative bzw. provokative Potenzial des Textes zu ermitteln. c) Suche nach Lebensweltbezügen

Die Lebenswelt der Zielgruppe zu erschließen, könnte durch folgende Fragestellungen gelingen: ▸ ▸ ▸ ▸ ▸ ▸

Haben Sie schon einmal Heuchelei erlebt? Was bedeutet Heuchelei? Welchen Stellenwert messen Sie ethischem Handeln bei? Was trägt ehrenamtliches Engagement zur eigenen Sinnfindung bei? Welche Werte und Werthaltungen sind Ihnen besonders wichtig? Was ist Ihre Hauptkritik an Kirche und Politik? Welche religiösen Inhalte halten Sie für besonders vermittelnswert?

In den Medien werden die angeschnittenen Themen Werte, Glaube, Glaub‐ würdigkeit, Sinn und Kirche / Religion in vielfältiger Weise aufgearbeitet: ▸ Die Konsumindustrie verkauft Konsumgüter als Sinnersatz. ▸ Kirchen werden in den Medien überwiegend negativ dargestellt (Missbrauchskandale, Rückschrittlichkeit, fehlende gesellschaftliche Relevanz etc.). ▸ Dasselbe gilt für die Politiker, denen oftmals Unehrlichkeit und Betrug vorgeworfen werden. ▸ Bei der Jugend sind besonders Klimaschutz, Glaubwürdigkeit, Gerech‐ tigkeit und Friede hoch angesehene Werte. ▸ Songs und Filme gibt es dazu in reicher Auswahl.

5.6 Musterbeispiele

d) Formulierung von Lernzielen

Das Teilthema Die Botschaft Jesu aus dem Kursthema Das Evangelium von Jesus Christus ist im Musterbeispiel auf zehn Unterrichtsstunden à 60 Minuten ausgelegt. Leitend sind folgende globale Lernziele: a) kognitiv: Die Schülerinnen und Schüler können den Begriff ‚Reich Gottes‘ anhand ausgewählter Gleichnisse inhaltlich füllen. Sie können weiterhin die Wundergeschichten als Teil der Reich-Gottes-Botschaft Jesu interpretieren. Schließlich können sie die Bergpredigt bzw. Feldrede als ethischen Kerntext deuten und kennen die Grundlinien der Bergpredigt-Ethik. b) expressiv-emotiv: Die Schülerinnen und Schüler erfahren, dass Lehre und Handeln Jesu untrennbar miteinander verbunden sind, dass die Reich-Gottes-Botschaft auf praktische Umsetzung im Sinne von Gerechtig‐ keit und Barmherzigkeit ausgelegt ist und dass Menschen von der Empathie Gottes und ihrer Mitmenschen leben. c) praktisch: Die Schülerinnen und Schüler sind befähigt, auf der Grundlage der Lehre Jesu bzw. des Evangeliums von der Herrschaft Gottes ethische Grundentscheidungen zu treffen und zu begründen. Sie sind außerdem in der Lage, im Umgang mit den ihnen anvertrauten Menschen den christli‐ chen Glauben Gestalt werden zu lassen und durch ihr eigenes Handeln glaubwürdig zu vertreten. Die einzelnen Lernschritte innerhalb der zehn Unterrichtsstunden gestalten sich folgendermaßen: 1. Stunde: Hinführung – Was wir über Jesus von Nazareth wissen (Brain‐ storming; biblische Impulstexte). Lernziele a) kognitiv: Anamnese des bekannten Wissens; b) expressiv-emotiv: Nachvollzug der Wirkungsge‐ schichte Jesu; c) praktisch: Befähigung der Schülerinnen und Schüler, Grundlinien des Lebens und der Lehre Jesu darzustellen. 2. und 3. Stunde: Thema Reich-Gottes-Botschaft Jesu anhand ausgewählter Gleichnisse (etwa Sämanngleichnis Mk 4,3-9parr.; Arbeiter im Weinberg Mt 20,1-16); Lernziele a) kognitiv: Verstehen des Begriffs ‚Reich Gottes‘, inhalt‐ liche Grundlinien der Gottesherrschaft im Sinne einer ‚frohen Botschaft‘ für die Menschen damals und heute; b) expressiv-emotiv: Nachvollzug der Hoffnung, welche die Botschaft Jesu den Menschen brachte (sozialer und religiöser Aspekt); c) praktisch: Befähigung zum respektvollen Dialog mit Nichtchristen über Jesu Botschaft. 4. bis 6. Stunde: Thema Die Wunder Jesu als Hoffnungsgeschichten anhand ausgewählter Wundererzählungen wie Mk 2,1-12 (Heilung des Gelähmten)

323

324

5 Didaktische Impulse

oder Mk 10,46-52 (Heilung des Bartimäus). Lernziele a) kognitiv: Die Wun‐ dergeschichten als Kommentar zur Reich-Gottes-Botschaft Jesu verstehen; den Wahrheitsanspruch von Wundertexten einschätzen können; Deutungs‐ ansätze für Wundergeschichten kennen; b) expressiv-emotiv: Nachvollzug der polarisierenden Wirkung der Wunder Jesu; Reflexion des persönlichen Wahrheitsverständnisses; c) praktisch: Befähigung, das Thema Wunder argumentativ zu vertreten (Wirklichkeitsverständnis). 7. und 8. Stunde: Thema Jesu Lehre nach der Bergpredigt bzw. Feldrede anhand ausgewählter Teiltexte wie Seligpreisungen (Mt 5,3-10), Salz und Licht (Mt 5,13-16), Antithesen (Mt 5,21-48), Vater-Unser (Mt 6,9-13) sowie Splitter und Balken (Mt 7,1-5). Lernziele a) kognitiv: Inhalte der Bergpredigt kennen und kontextuell einordnen können; Deutungsmodelle der Bergpredigt erschließen können; b) expressiv-emotiv: Nachvollzug des provokativen Potenzials der halachá Jesu nachvollziehen können; c) praktisch: Auskunft zur Frage der Realisierbarkeit der Bergpredigt geben können und ein eigenständiges Modell des Umgangs mit der Bergpredigt entwickeln. 9. Stunde: Thema Konsequenzen aus der Bergpredigt bzw. Feldrede anhand des Gleichnisses von Salz und Licht (Mt 5,13-16) und vom Hausbau (Mt 7,24-27par.). Lernziele a) kognitiv: Den inneren Zusammenhang von Hören und Handeln als charakteristisch für die Ethik Jesu und des christlichen Glaubens erkennen; b) expressiv-emotiv: Das Problem der Glaubwürdigkeit von Religion und Kirche nachvollziehen können; c) praktisch: Befähigung, auf der Grundlage des Themas einen interreligiösen Dialog über das Thema ‚was wirklich zählt‘ zu führen. 10. Stunde: Zusammenfassung und Ergebnissicherung anhand der Lessing‐ schen Nathanparabel. e) Methodische Entscheidungen

Die gewählte Unterrichtsstunde ist die vorletzte der gesamten Unterrichts‐ reihe. In ihr geht es um die praktischen Konsequenzen aus der Ethik der Bergpredigt bzw. Feldrede. Ihr voraus gehen zwei Sitzungen über den Inhalt und Grundlinien der Bergpredigt-Ethik. Die Gleichnisse vom Salz und Licht (Mt 5,13-16) und vom Hausbau (Mt 7,24-27) werden im gleichen Zusammenhang besprochen und aufeinander bezogen. Zu Beginn der Sitzung findet eine kurze Anamnese der Bergpredigt-Ethik statt. Sodann wird der Lebensweltbezug der Schülerinnen und Schüler ins Gespräch gebracht. Leitfragen dazu könnten die unter Punkt c) genannten Fragen sein. Eigenständige Gruppenarbeit zu den beiden Gleichnissen

5.6 Musterbeispiele

325

schließt sich an. Dabei sollen die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unter‐ schiede beider Texte erschlossen werden. Überlegungen zur Metaphorik und zur Pointe der Texte sind ebenfalls in Gruppen anzustellen. Die Sitzung endet mit dem Austausch der Ergebnisse und gegebenenfalls mit einer Diskussion zur Kongruenz von Hören und Handeln als Merkmal einer glaubwürdigen ethisch-religiösen Haltung (über die Religionsgrenzen hinweg). f) Verlaufsplanung

ZEIT

ZIELE

8 min.

INHALT

METHODEN / MEDIEN

SOZIALFORMEN

KOMMENTAR

Anamnese Grundli‐ der Bergpre‐ nien der digt Bergpre‐ digtethik

Rundge‐ spräch, Tafel‐ anschrieb

Kreis

12 min.

Erschlie‐ ßung von Lebenswelt‐ bezügen

Verhältnis von Reden und Han‐ deln im Alltag

Arbeitsblatt Partner‐ Arbeitsblatt mit Leitfragen arbeit und ist zu er‐ Plenum stellen

15 min.

Kennen‐ lernen zweier Gleichnisse

Salz und Licht; Hausbau

Textblatt mit Leitfragen

Gruppen‐ arbeit

Textblatt mit Leitfragen ist zu erstellen

15 min.

Erschlie‐ ßung der Textaspekte

siehe oben

Präsentation der Gruppen‐ ergebnisse

Referate

ggf. techni‐ sche Voraus‐ setzungen prüfen

10 min.

Klärung dessen, worauf es in der Religion ankommt

Praktische Konse‐ quenzen religiöser Überzeu‐ gung

Diskussion

Kreis

Serviceteil S 1 Abkürzungen Die Abkürzungen der biblischen Bücher und der Apokryphen richten sich nach den Loccumer Richtlinien (S CHWERTNER, Siegfried M. [1992], Interna‐ tionales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG). 2. Auflage Berlin). Weitere Abkürzungen des Buches sind: 4 Esr:

4. Esrabuch

Av:

Avot – Mischna-Traktat zu den Vätergeschichten

äthHen:

äthiopisches Henochbuch

Ant:

Flavius Josephus, Biblische Altertümer

aram.:

aramäisch

Arist Poet:

Aristoteles, Poetik

Arist Rhet II:

Aristoteles, 2. Buch der Rhetorik

bTaan:

bab. Talmud, Mischna-Traktat Taanith (über das Fasten)

Bell:

Flavius Josephus, Jüdischer Krieg

EpAr:

Aristeasbrief

EvThom:

Thomasevangelium

ExR:

Exodus Rabba (haggadische Auslegung des Buches Exodus)

f./ff.:

plus ein / mehrere weiter(e) Vers(e)

GenR:

Genesis Rabba (haggadische Auslegung der Genesis)

gr.:

griechisch

hebr.:

hebräisch

Hg./Hgg.:

Herausgeber (einer oder mehrere)

lat.:

lateinisch

MekhEx:

halachischer Midrasch zum Buch Exodus

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Serviceteil

MidrPs:

Midrasch zu den Psalmen

par(r.):

plus eine / mehrere Parallelüberlieferungen

Pirque REl:

haggadischer Midrasch des Rabbi Eliezer (Pseudonym)

PsSal:

Psalmen Salomos

slHen:

slawisches Henochbuch

Tanch mishp:

Midrasch Tanchuma mishpatim (Gesetze und Statuten)

TosQid:

Tosefta zum Traktat Qiddushin (Eheschließung)

VitAd:

Leben Adams und Evas (= Mose-Apokalypse)

vs.:

versus (lat.: gegen)

S 2 Glossar Im Glossar gelistet sind nur Begriffe, die zur (theologischen) Fachsprache zählen, sowie fremdsprachliche Ausdrücke. Querverweise (→ ) zeigen an, wo sich eine nähere Beschreibung oder Definition des Begriffs findet. a minore ad maius (lat.): Analogieschluss vom Kleineren zum Größeren hin affirmativ (lat.): versichernd, vergewissernd, bestätigend Allegorese: Auslegungsverfahren, das einen Text als Allegorie liest und deutet → 2.2.5b; 2.5.5d Allegorie (allegorisch): Ein Text, der etwas Anderes meint, als er sagt → 1.4.3; 2.2.5b; 2.5.2a Allegorisierung: nachträgliche Anreicherung eines Textes mit Elementen, die den Textsinn auf einen neuen Kontext beziehen → 2.2.5b; 2.5.5b Anthropologie: die Lehre vom Menschen anthropomorph (gr.): menschengestaltig anthropopathisch (gr.): menschlichen Gefühlen entsprechend Apokalyptik (apokalyptisch) (gr.): Antike Weltanschauung, rechnet mit baldigem Weltende und der Rettung der Frommen durch Gott. Oft mit Visionen zu Endzeit und Jenseits verbunden Apokryphen (apokryph) (gr.): ‚geheime‘ Schriften am Rande der Bibel Apologie, Apologetik, (apologetisch) (gr.): Verteidigung, Rechtfertigung basileía (tou theoú) (gr.): Gottesreich, Gottes Herrschaft basileús (gr.): König, Herrscher

S 2 Glossar

Basisopposition: Anfangs- und Endpunkt einer Erzählung Charisma (charismatisch) (gr.): wörtl. Gnadengabe; Geistesgabe Chiffre (chiffrieren): rätselhaftes Sprach- und Stilmittel; verschweigt den Bild‐ empfänger → 1.4.4g Christologie (christologisch): Lehre von Jesus Christus communis opinio (lat.): Mehrheitsmeinung, allgemeiner Konsens conditio sine qua non (lat.): unverzichtbare Vorbedingung contra facta visibilia (lat.): gegen die sichtbaren Fakten corpus permixtum (lat.): gemischter Körper, heterogene Gemeinde Deklamation: juristisch-rhetorisches Übungsbeispiel deskriptiv (lat.): bildlos beschreibend deviant (Devianz) (lat.): von der sozialen, kultisch-religiösen Norm abweichend dikanisch (gr.): beurteilender Charakter eines Textes doúlos (pl. doúloi) (gr.): Knecht, Sklave, Diener Dualismus (dualistisch): Gegeneinander zweier Prinzipien wie Gut und Böse, Gott und Satan Ekklesiologie (ekklesiologisch): Lehre von der Gemeinde / Kirche epideiktisch (gr.): darstellender Charakter eines Textes Eschatologie (eschatologisch): Lehre von der Endzeit Esoterik (esoterisch) (gr.): exklusive Geheimlehre, Insiderwissen Etymologie (etymologisch): Ursprung der Wortbedeutung exemplum (lat.): Beispiel, Präzedenzfall → 1.4.4d existenziale Interpretation: Interpretation, die nach dem textinternen Existenz‐ verständnis fragt Exorzismus: Dämonenaustreibung expressis verbis (lat.): ausdrücklich extra se ipsum (lat.): von außerhalb seiner selbst. Extravaganz (extravagant): Auffälligkeit, Überzogenheit fiktional: erfunden, erdichtet Formkritik: Methode der Erschließung literarischer Formen und Gattungen sowie der Bestimmung der Aussagerichtung eines Textes Gematrie (gematrisch): chiffrierende Ersetzung von Wörtern durch die Zahlen‐ werte ihrer Buchstaben Glossar (glossarisch): Auflistung / Erklärung von Fachwörtern halachá (pl. halachót) (hebr.): mündliche, nach-alttestamentliche Auslegung der Mosetora Hellenismus (hellenistisch): vom griechischen Denken beeinflusste Kultur‐ epoche, ca. 3. Jh. v. – 3. Jh. n.Chr.

329

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Serviceteil

Hermeneutik (hermeneutisch): Lehre von der Übersetzung, Anwendung oder Aktualisierung von Texten hermetisch: abgeschlossen, geheim heuristisch: auf die Findung von Erkenntnissen bezogene, methodische Suche hyperbolisch (Hyperbolik): übertrieben, überzeichnet Inkonzinnität (inkonzinn): unharmonisch, unausgewogen intravisionär: innerhalb einer Vision befindlich ipsissima vox (lat.): die ureigenste Stimme (Jesu) Kausalität (kausal): Abfolge von Ursache und Wirkung Kohärenz (kohärent): literarische, thematische oder semantische Einheitlichkeit eines Textes Konterdetermination: sprachliches Mittel, das eigentlich Gemeinte nicht zu erwähnen (vgl. ‚Tabu‘) → 1.5.7 Kontext: der situative, historische, aber auch sprachliche Zusammenhang eines Textes (engerer Begriff: Kotext) Konvention: (Sprach-)Gewohnheit Kosmologie (kosmologisch): Lehre von der Welt; Weltbild Kotext: der sprachliche Kontext eines Textes (weiterer Begriff: Kontext) kýrios (gr.): Herr, Herrscher Leidensparänese: tröstend-mahnende Deutung von Leiden Mäeutik: wörtl. Hebammenkunst, sokratische Argumentationsweise Metonymie (metonymisch): Trope; Ersetzung eines Wortes durch einen ver‐ wandten Begriff → 1.4.4e Morphologie: die Lehre von der äußeren Gestalt bzw. Form narratio (pl. narrationes) (lat.): szenisch gegliederte Erzählung pagan: nichtjüdisch, heidnisch, polytheistisch paradigmatisch: beispielhaft Paraklese: Trost, Ermutigung Paränese → Leidensparänese pars pro toto (lat.): ein Teil (steht) für das Ganze (vgl. → Synekdoche) Parusie(-verzögerung): Wiederkunft (Christi); lat. adventus performativ: ein Spruch, der im Redevollzug bewirkt, was er sagt („ich verzeihe dir“ u. ä.) Perikope: abgrenzbarer Sinnabschnitt der Bibel Pneumatologie: Lehre vom Heiligen Geist poietisch (von gr. poieín – tun, machen): Wirklichkeit schaffend Pointe: Zielgedanke eines Textes → 1.5.5 Polyvalenz (polyvalent): Offenheit für mehrere Deutungen

S 2 Glossar

postconversional: nach der Bekehrung bzw. Taufe Prätext: Textvorgabe protreptisch: vor der Bekehrung / Taufe pseudorealistisch: nur zum Schein realistisch Rabbinen (rabbinisch): frühjüdische Schriftgelehrte; Toralehrer Redaktionskritik: Auslegungsmethode, die nach der theologischen Intention eines Autors fragt Rezeptionsästhetik: methodische Betrachtung eines Textes aus der Verstehens‐ optik der Leser sowie Frage nach Verstehenssignalen im Text Rezipient: Empfänger, Adressat, Bearbeiter Semantik: Lehre von den Wortbedeutungen Soteriologie (soteriologisch): Lehre von der Erlösung Substitution: Ersetzung sui generis (lat.): eigener Art symbuleutisch: beratende Funktion eines Textes synoptische Evangelien (Synoptiker): Markus-, Matthäus-, Lukasevangelium tertium comparationis (lat.): Vergleichspunkt zw. Bild- und Deutungsebene tertium non datur (lat.): ein Drittes gibt es nicht! Textlinguistik: Methode, um einen Text in seiner semantischen Struktur zu erfassen. Ziel: Das Erkennen seiner Einheitlichkeit (Kohärenz) und Gliederung Textpragmatik: Auslegungmethode, die nach Lernzielen und Strategien der Leser‐ lenkung fragt Theodizeefrage: Frage nach Gottes Gerechtigkeit und Allmacht angesichts von Leid theologia negativa (lat.): Theologie, die von Gott nur in Negationen spricht. Traditionsgeschichte: Methode der Erschließung alttestamentlicher Textvor‐ gaben und Motive Transfersignal: erzählinternes Textsignal, das auf eine externe Deutungsebene hinweist (auch: Verweiselement; ‚allegorisches‘ Element) → 1.5.9. Transzendenz (transzendent): Jenseitigkeit; Gegenbegriff: Immanenz Trope (gr.): geprägte, richtungsverändernde Wendung; Wortvertauschung. Zu den klassischen Tropen gehören unter anderem Vergleich, Metapher, Metonymie, Gleichnis, Allegorie, Ironie, Periphrase, Antonomasie und Litotes. zentrifugal: vom Textzentrum weg verweisend zentripetal: aufs Textzentrum hin verweisend

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Serviceteil

S 3 Schlagwörter (in Auswahl) Anmerkung: Schlagwort- und Textstellenregister verweisen nicht auf Sei‐ tenzahlen, sondern auf Textabschnitte. Zentrale Abschnitte für den betref‐ fenden Begriff und die betreffende Textstelle sind fett hervorgehoben. Zahlen in Klammern bezeichnen die Nummer einer These (hinter 1.3); der Buchstabe ‚S‘ steht für ‚Serviceteil‘. ästhetische Autonomie: 2.2.6bd; 2.4.4; 2.2.6g; 2.5.3a Aktualisierung: 1.3(5,8); 2.2.5b; 2.4.2; 2.5.2a; 4.5.2b; 5.3; 5.5.2 Allegorese: 1.3 (10,11); 2.1.1; 2.2.5b; 2.2.6e; 2.5.5; 2.5.5d; 3.1.2 Allegorie: 1.3(9,10); 1.4.3; 1.5.12; 2.1.1; 2.1.3g; 2.2.1; 2.2.5; 2.2.6f; 2.4.2; 2.5.2a allegorisches Element → Transfer‐ signal allegorische Auslegung → Allegorese Allegorisierung: 1.3 (7,8); 2.1.1f.; 2.2.5b; 2.4.2; 2.5.2a; 2.5.5b Alleinstellungsmerkmal → Gleichnisse (Einzigartigkeit) Alltagsgleichnisse: 2.1.3ac; 2.5.7c; 3.2.2; 4.3; 4.5.1c; 4.5.5b; 4.5.7; 5.6.2; 5.6.7; S 5.3 andeutende Elemente → Transfersig‐ nale Anthropologie: 2.5.6b; 3.4.1f; 4.1.1g-4.4.3g; 4.5.5 Anthropomorphismus: 4.5.1; 4.5.10b Anthropopathie: 4.5.1; 4.5.10b Anwendung: 1.3(11); 1.5.1; 1.5.9; 2.5.1c Apokalyptik: 1.3(10); 1.4.4g; 2.1.3e; 2.5.1c; 2.5.2a; 2.5.7a Apokryphen: 2.3

Apologetik: 2.2.4; 2.3; 2.4.5; 2.4.6; 2.4.10; 2.5.4d Appellstruktur: 1.5.6; 2.3; 2.5.8 Ausgangsebene: 1.5.1; 2.5.1a; 2.5.7d Auslegungsverzicht: 2.1.2; 2.3 Bedeutungsebene → Deutungsebene Beispielerzählung: 2.1.3c; 2.1.3f Bezugsrahmen: 1.3(13); 1.5.9; 1.5.10; 2.2.1-2.2.3; 2.2.6cd; 2.4.4; 2.4.5; 2.4.8; 2.5.3a-2.5.6; 3.4 Bildebene → Erzählebene Bildempfänger: 1.3(1); 1.4.4b; 1.4.4g; 1.5.3-1.5.4; 2.5.1; 2.5.2b; 2.5.7d; 2.5.8 Bilderverbot: 1.5.8; 2.2.3eh; 2.5.4d; 2.5.7d; 4.5.1a Bildfelder: 1.3(12); 1.4.2; 1.5.1; 1.5.9; 2.1.3f; 2.5.7d; 3.1.2; 3.3 Bildhälfte → Erzählebene Bildspender: 1.3(1); 1.4.4b; 1.4.4g; 1.5.3-1.5.4; 2.5.1; 2.5.2b; 2.5.7d; 2.5.8 Bildwort: 2.1.3d; 2.5.7b Chiffre: 1.4.4g Christologie: 2.1.1; 2.5.6; 2.5.7d; 3.4.1c; 4.1.1g-4.4.3g; 4.5.2 Christusmetaphern: 2.5.7d; S 5.4 Deklamation: 1.4.2; 2.2.6f; 2.5.8

S 3 Schlagwörter (in Auswahl)

Deutungsebene: 1.3(10,13); 1.5; 1.5.2; 2.1.3f; 2.2.1; 2.2.3d; 2.2.5; 2.4.1; 2.5.1ab; 2.5.5c; 2.5.6a; 2.5.8; 3.1; 3.4; 5.2 Dynamik Gottes: 1.5.10; 2.2.3e; 2.5.3b; 2.5.8; 4.5.1a; 5.5.1 eigentliche Rede: 1.5.12; 2.1.1; 2.1.3g; 2.2.3a Einleitungsformel: 1.5.9; 2.5.1ac Ekklesiologie: 2.5.6b; 3.4.1g; 4.1.1g-4.4.3g; 4.5.6 Emotionalität: 1.3(4); 1.4.2; 1.4.4ab; 2.2.3a; 2.2.4; 2.2.6e; 2.5.3b; 2.5.7c; 2.5.8; 5.5.1 Entscheidungsfindung: 2.5.7be Entstehungssituation: 2.2.6a; 2.3 Erfahrung → Weisheit erweiterte Metapher: 1.3(2); 1.5.11; 2.2.3c; 2.2.4; 2.4.3; 2.5.3b Erzählebene: 1.5.1; 1.5.2; 1.5.7; 1.5.9; 2.1.3cf; 2.2.3c; 2.2.6e; 2.5.1a; 2.5.8 Erzählgefälle: 3.1.2 Erzählstrategie: 1.3(12); 1.4.2; 2.5.7; 3.2.2 Erzähltechnik → Erzählstrategie Eschatologie: 1.3(6,13); 2.2.2; 2.5.4a; .5.7c; 3.4.1j; 4.1.1g-4.4.3g; 4.5.9 Esoterik: 1.3(5); 1.4.4g; 2.5.3b; 2.5.5a Ethik: 2.2.2; 3.4.1h; 4.1.1g-4.4.3g; 4.5.7 exemplarische Mahnung: 1.4.4d Exemplum: 1.4.4d; 2.1.3c existenziale Interpretation: 2.2.3fh; 2.2.6ad Extravaganz: 1.3(8); 1.5.8; 1.5.9; 2.5.1b; 2.5.7c; 4.5.10d Fabel: 1.4.2; 2.5.8 Fiktionalität: 1.5.6 Gegenwirklichkeit → Heilswirklichkeit Geist → Heiliger Geist

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Geistmetaphern: 2.5.7d; S 5.4 Gerichtsrede: 1.3(6); 2.2.2 Gleichnis: 1.4.1; 2.1.1; 2.1.3g; - Ästhetik: 2.2.3d; 2.2.6d; 2.4.4; 2.5.3a - Altes Testament: 1.4.2; 2.3; 2.5.8; 3.3.1; 3.3.3 - Auslegbarkeit: 1.3(3); 2.4.3; 2.5.5c - Auslegungsmethoden: 2.2.5b; 3.1-3.4 - Aussageabsicht: 2.5.3b - Definition: 2.1.2; 2.5.8 - Einzigartigkeit: 2.2.4; 2.3; 2.4.5; 2.4.6; 2.4.10; 2.5.4d; 2.5.5b; 2.5.8 - Form und Inhalt: 2.2.3d; 2.2.6a; 2.4.3; 2.5.3b - Forschung: 2.1-2.5 - Idealtyp: 1.3(7); 2.1.1; 2.1.2; 2.2.1; 2.2.2; 2.2.5a; 2.2.6c; 2.4.2; 2.5.2a; 2.5.5b - Lernziele: 1.4.2; 2.4.3; 2.5.3b; 2.5.7; 4.5.10e - ‚Sache‘ → Bezugsrahmen - Sprachkraft: 1.4.4b; 1.5.11; 2.2.3a; 2.2.4; 2.5.3b - sprachl. Merkmale: 2.5.1 - Stellenwert: 4.5.10e - Typen: 2.1.3; 2.3; 2.5.7 - Übersetzbarkeit: 1.4.4b - Unersetzbarkeit: 1.3(3); 1.4.4b; 2.2.3a; 2.4.3; 2.5.3b; 2.5.5c; 2.5.8 - Zweck → Aussageabsicht Gleichnis im engeren Sinn: 2.1.3a; 2.1.3f; 2.3 Gleichnisdidaktik: Kapitel 5 Gleichnisdiskurs: 2.1.3f Gleichniserzählung: 2.1.3b; 2.3; 2.5.7c Gleichnisform: 2.1.1; 2.2.1; 2.2.3d; 2.2.6a; 2.4.2-2.4.4; 2.5.2a; 2.5.3ab Gleichnistypen: 2.1.3; 2.3; 2.5.7

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Serviceteil

Gnome: 1.4.4c; 2.1.3; 2.5.7b Gottesbild: 1.3(13); 2.2.3e; 2.5.4c; 3.4.1b; 4.1.1g-4.4.3g; 4.5.1 Gottesherrschaft → Reich Gottes Gottesmetaphern: 2.5.7d; S 5.4 Gottesreich → Reich Gottes Halacha → Toraauslegung Halbheit → Halbherzigkeit Heiliger Geist: 2.2.5b; 2.5.7d; 3.4.1d; 4.5.3 Hermeneutik: 4.5.10de; 5.3; 5.5.2 Hermetik: 1.3(10,11); 1.4.3; 1.4.4g; 2.2.5b; 2.4.2; 2.5.1; 2.5.2a; 2.5.3b Herrschaft Gottes → Gottesreich Himmelreich → Reich Gottes historischer Jesus: 1.3(7) Hoheitstitel: S 5.4 Hyperbolik: 1.4.4i; 2.5.7b; 4.5.7a Ich-bin-Worte: 1.4.4b; 2.5.2b; 2.5.7d; 4.5.8 Identitätsgleichnisse: 1.3(12); 2.1.3e; 1.4.1; 2.1.3e; 2.5.7d; 3.2.2; 4.4 Identitätsmetaphern → Identitäts‐ gleichnisse Interaktionsmodell: 2.2.3a ipsissima vox: 1.3(7); 2.2.2; 2.3; 2.5.5b Jesusbild (neuzeitl.): 1.3(5); 2.1.1; 2.4.10 jüdische Gleichnisse → rabbinische Gleichnisse klärende Elemente → Transfersignale Konterdetermination: 1.4.4b; 1.5.7; 1.5.9; 2.1.3bc; 2.2.3c; 2.2.4; 2.2.5a; 2.5.1; 2.5.2a; 4.5.10e Lebensweisheit → Weisheit Lesesignale → Verstehenssignale

maschál: 2.1.1; 2.2.1; 2.2.6f; 2.3; 2.4.2; 2.4.10; 2.5.1; 2.5.2a Menschenbild: 4.1.1g-4.4.3g Metapher: 1.4.4b; 2.1.1; 2.1.3dg; 2.2.3 - geprägte M.: 1.4.4b; 1.5.10; 2.5.5b; 4.5.2b - konventionalisierte M. → geprägte M. - kühne M.: 1.3(10); 1.4.4b; 1.5.9; 2.2.3g; 2.5.1c - lexikalisierte M.: 1.4.4b; 1.4.4g - usuelle M → geprägte M. - Neubewertung: 1.4.4b; 2.2.3; 2.2.5 - Polyvalenz: 1.4.4b; 2.2.6d; 2.5.1b; 2.5.5a; 2.5.6; 3.3.1; 3.3.2; 3.4.1c; 4.5.1b; 4.5.2a - Sinnüberschuss: 1.3(3); 1.4.4b; 1.5.4; 1.5.5; 1.5.12; 2.2.3a; 2.2.4; 2.5.3b; 2.5.5c; 4.5.10; 5.5.1 - Sprachkraft: 1.4.4b; 1.5.11; 2.2.3a; 2.2.4; 2.5.4 - Unersetzbarkeit: 1.3(3); 1.4.4b; 2.2.3a; 2.4.3; 2.5.3b; 2.5.5c; 2.5.8 - vs. Gleichnis: 1.3(2); 2.2.3c; 2.2.4; 2.5.2b metaphorische Prädikation: 1.4.4b; 1.4.4i; 2.5.7d metaphorischer Prozess: 1.5.7; 1.5.9; 2.2.3; 2.4.3; 2.4.7; 2.5.3b; 2.5.5c metaphorische Wende: 1.5.11; 1.5.12; 2.2.3; 2.2.4; 2.2.6; 2.3; 2.4.2; 2.4.3; 2.4.6; 2.5.2a; 2.5.5b; 5.2 Metonymie: 1.4.4e; 1.4.4f Mischformen: 1.3(12); 1.4.3; 2.2.1; 2.2.5; 2.3; 2.4.2; 2.4.9; 2.5.2a; 2.5.7 Missverständnis-Theorie: 2.1.1; 2.1.3g; 2.2.2; 2.2.6c; 2.3; 2.4.1; 2.4.2; 2.5.1; 2.5.2a; 2.5.5b

S 3 Schlagwörter (in Auswahl)

Mythos: 1.4.2; 1.4.4h Naturgleichnisse: 2.1.3a; 2.5.1; 2.5.2a; 2.5.7a; 3.2.2; 4.1; 4.5.4a; 5.2; S 5.1 Offenbarungsmedium: 1.4.4b; 1.5.11; 2.2.3d; 2.2.3h; 2.2.6a; 2.4.3; 2.4.5; 2.5.3b; 2.5.4d O-Ton Jesu → ipsissima vox Parabel → Gleichnis Parabeltheorie (Mk 4): 1.3(5,9,11); 2.5.4; 2.5.5a; 4.5.2e; 4.5.6a paradigmatischer Rechtsentscheid: 1.4.2; 2.5.7c; 2.5.8; 4.3.2d Parömie: 1.4.1; 2.1.3ef; 2.5.5a performative Rede: 1.3(6); 1.5.11; 2.2.3dh; 2.2.4 Plausibilisierung: 1.4.2; 1.4.4a; 1.5.3; 1.5.6; 1.5.9; 2.5.1b; 2.5.3b; 2.5.7; 2.5.9; 4.5.2ce; 4.5.4b; 4.5.7e; 4.5.10; 5.1; 5.5.1 Poetik: 1.5.12; 2.2.3; 2.2.4; 2.2.6a; 2.3; 2.4.3-2.4.5; 2.4.7; 2.5.2b; 2.5.3; 2.5.4; 2.5.5c; 2.5.9; 3.1.2; 4.5.10 poietische Funktion: 1.4.4ab; 1.5.11; 2.2.3; 2.2.4; 2.4; 2.4.3; 2.5.3b Pointe: 1.3(11); 1.5.5; 2.1.3b; 2.4.1; 2.4.11; 2.5.1; 2.5.1d; 2.5.5c; 2.5.5d; 2.5.9; 3.1; 3.4; 5.2; 5.3; 5.5.2 Polarisierung: 1.3(6); 2.5.4a; 2.5.7e; 4.5.2b; 4.5.2e Pseudorealistik: 1.5.6; 2.1.3b; 2.5.1b; 2.5.2a; 2.5.3b; 2.5.7c; 2.5.9 Rabbinische Gleichnisse: 2.2.1; 2.4.10; 2.5.8 Rätselrede: 1.3(3); 1.4.1; 1.5.2; 2.1.1; 2.1.3e Realistik → Pseudorealistik

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Redaktionskritik: 1.3(7); 2.2.4; 2.2.6bc; 2.4.1; 2.4.7; 2.5.1; 2.5.5c; 3.3; 3.4; 5.3 Reich Gottes: 1.3(4-6,13); 1.5.6; 1.5.10; 1.5.11; 2.1.1; 2.2.2; 2.2.3d; 2.2.3h; 2.2.6c; 2.4.4; 2.4.5; 2.4.7; 2.4.8; 2.5.3ab; 2.5.4; 2.5.5c; 2.5.6; 2.5.7e; 3.4.1; 4.5.1; 4.5.2bc; 4.5.6b; 4.5.7-4.5.10; 5.4.1 Religionsgeschichte: 1.4.2; 2.2.1; 2.2.6f; 2.3; 2.4.10; 2.4.11; 2.5.8; 3.3.3; 4.5.6d; 5.3 Rezeptionsästhetik: 2.2.6d; 2.3; 5.2 Rhetorik: 1.3(4,9); 1.4.2; 1.4.4; 1.5.6; 1.5.7; 1.5.12; 2.1.1; 2.1.2; 2.2-2.4; 2.4.3; 2.5.2a; 2.5.3b; 2.5.8 ‚Sache‘ → Bezugsrahmen Sachhälfte → Deutungsebene Satzwahrheit: 1.5.5; 2.1.1; 2.2.2; 2.2.3f; 2.2.6d; 2.4.1; 2.4.3; 2.5.1; 2.5.3b; 4.5.1a Scheidung (endzeitlich) → Polarisie‐ rung Schlussformel → Anwendung Sentenz: 1.4.4c; 1.5.1; 1.5.9; 2.5.1a; 2.5.7b; 4.5.10 Soteriologie: 2.2.2; 2.5.6b; 2.5.7d; 3.4.1i; 4.5.8 Sozialgeschichte: 1.5.8; 2.4.7; 2.5.5c; 4.1.1a-4.4.3a; 5.2 Sprachereignis: 1.3(6); 1.4.4b; 1.5.11; 2.2.3; 2.2.4; 2.4; 2.4.5; 2.5.4d Sprachgeschehen → Sprachereignis Sprachverlust: 2.2.3d; 2.2.3g; 2.2.4; 2.4.3; 2.4.5; 2.5.3b; 2.5.4d Sprichwort: 1.4.1; 1.4.4c; 2.5.7b; 3.2.2 Substitutionsmodell: 1.5.6; 2.2.3a Suggestivfrage → rhetorische Frage Surrealistik: 1.3(10); 1.4.2; 1.4.3; 2.2.5b Symbol: 1.4.4g; 1.4.4h; 2.2.6e

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Serviceteil

symbuleutische Funktion: 1.4.4i Synekdoche: 1.4.4f Talmud: 2.2.1; 2.5.8 tertium comparationis → Vergleichs‐ punkt Textpragmatik: 1.3(10,12); 1.4.2; 2.1.3f; 2.2.3f; 2.3; 2.4.9; 2.5.2b; 2.5.3b; 2.5.7; 2.5.9; 3.2.2; 4.1.1d-4.4.3d; 4.5.5c; 4.5.7e; 4.5.10; 5.3 Transfersignal: 1.3.(8,10,11); 1.4.3; 1.5.7-1.5.9; 2.2.3; 2.2.5; 2.2.6d; 2.4.1; 2.5.; 2.5.1c; 3.2.1; 5.2 Traum: 1.4.2; 2.5.2a Tropen: 1.4.4; 2.5.1ab Übergangsebene: 1.5.1; 1.5.9; 2.5.1a Umformungsgesetze → Verschriftli‐ chung uneigentliche Rede: 1.3(9); 1.4.3; 1.4.4b; 1.5.12; 2.1.1; 2.1.3g; 2.2.3a; 2.4.2; 2.5.2a Unverfügbarkeit Gottes: 2.2.3e; 4.5.10 Urgestein (der Jesusüberlieferung): 1.3(7); 2.3; 2.4.11 Verfälschung → Missverstehen Verfremdung des Alltags → Extrava‐ ganz Vergegenwärtigung: 4.5.8d; 4.5.8e Vergewisserung: 2.5.7a; 2.5.7de; 4.5.3b Vergleich: 1.4.1; 1.4.4; 1.4.4a; 1.5.4; 1.5.12; 2.1.1; 2.1.3; 2.2.3b; 2.4.2; 2.5.2a

Vergleichspunkt(e): 1.4.4; 1.5.4; 1.5.5; 1.5.12; 2.1.1-2.1.3g; 2.2.1; 2.2.3d; 2.2.4; 2.4; 2.4.1; 2.5.1d; 2.5.5c; 2.5.9; 3.1; 3.3.1 Verschlüsselung → Chiffrierung Verschriftlichung: 1.3(7); 2.1.1; 2.1.3g; 2.2.2; 2.2.3dg; 2.2.4; 2.4.2; 2.4.3; 2.4.6; 2.5.2a; 2.5.5b Verstehensbedingungen: 1.3(3); 1.4.4b; 2.2.4; 2.2.6b; 2.4.1; 2.5.1; 2.5.5c; 3.3; 3.3.3; 5.3 Verstehenscode: 1.3(10); 2.2.2; 2.2.6bc; 2.5.2a Verunsicherung: 2.5.7c; 2.5.7e Verweiselement → Transfersignal Vision (apokalyptisch): 1.3(11); 2.1.3e; 2.5.1c; 2.5.2a Wachstumsgleichnisse: 2.1.3a; 2.5.7a; 4.5.4b; 4.5.9e; 5.2 Weisheit: 1.4.4c; 2.5.7a; 2.5.7b Weisheitsgleichnisse: 2.1.3d; 2.5.7b; 2.5.7c; 3.2.2; 4.2; 4.5.4a Weltsicht → Wirklichkeitssicht Wirklichkeitssicht: 1.4.2; 1.5.6; 2.5.7a; 2.5.9; 4.5.7a Wunder: 1.3(7); 1.4.2; 4.5.1i; 4.5.2bc; 4.5.6a; 5.5.2 Zeitgeschichte: 1.3(8); 1.5.9; 2.2.4; 2.2.5b; 2.4.1; 2.5.1c Zwei-Wege-Schema: 2.5.7e; 4.5.7a

S 4 Textstellen

337

S 4 Textstellen Altes Testament 1. Mose (Genesis)

Gen 1,1f.: 3.4.1e Gen 1,17-19: 4.1.2g Gen 6,6: 4.3.3f Gen 8f.: 4.1.1g; 4.5.4b Gen 16-21: 2.2.5b; 4.6.3d 2. Mose (Exodus)

Ex 3,14: 4.5.10d Ex 16: 4.1.2a Ex 20: 4.1.2g; 5.4.2 Num 23,21: 4.3.3f Dtn 6,4f.: 4.1.2g Ri 9,8: 4.2.2f 1./2. Samuel

1 Sam: 15,11.35: 4.3.3f 2 Sam 7,11: 4.3.1f 2 Sam 12.14: 1.4.2; 2.5.8 1. Könige

1 Kön 2,24: 4.3.1f 1 Kön 10.1-29: 4.1.2a 1 Kön 20,35-42: 2.5.8 Hi 18,5: 4.3.4f Psalter

Ps 23: 3.3.1; 4.3.2f; 4.4.1f; 5.4.2; 5.6.6c Ps 28,9: 4.3.2f Ps 32,2.5: 4.3.3f Ps 45,10-16: 4.3.4a

Ps 51,3: 4.3.3f Ps 52,10: 4.2.2f Ps 78,52; 80,2: 4.3.2f Ps 98,3: 4.3.1f Ps 103: 5.4.2 Ps 104: 4.5.4b Ps 118,22f.: 3.3.2; 4.5.2d Ps 126,5: 4.1.1f Ps 127,1: 4.3.1f Ps 128,3: 4.2.2f Sprüche (Proverbien)

Prov 13,9: 4.3.4f Prov 16,18: 1.4.4c Prov 21,20-22: 4.3.4f Prov 22,8: 4.1.1f Prov 24,20: 4.3.4f Prediger Salomos (Kohelet)

Koh 3,1-8: 4.2.1d Koh 9,8: 4.3.4f Hhl: 4.2.1f Jesaja

Jes 5,1-7: 1.4.2; 1.4.4b; 2.5.8; 3.3.2; 4.3.1f Jes 6,5: 4.3.3f Jes 9,5f.; 11,1f.: 4.5.2d Jes 26,17: 4.1.3f Jes 40,9-11: 4.3.2f Jes 41,8-16: 4.3.3f Jes 42,1: 4.5.5a Jes 43,1-15: 4.3.2f; 4.3.3f

338

Serviceteil

Jes 49,6: 4.5.5a Jes 61,1f.: 4.5.2d; 4.5.9b Jes 62,5: 4.2.1f; 4.3.4g

Daniel

Dan 2+7: 2.5.1c; 2.5.2a Dan 7,15: 1.4.4g Dan 9,27: 11,31: 4.1.3e

Jeremia

Jer 2f.: 4.3.4g Jer 3,18: 4.3.1f Jer 7,25.34: 4.2.1f; 4.5.5a Jer 11,16: 4.2.2f Jer 12,13: 4.1.1f Jer 18,7-10: 4.3.3f Jer 22,13: 4.3.1f Jer 25,20: 4.3.4f Jer 31,10: 4.4.1f Jer 31,31: 4.3.1f; 4.5.9b Jer 37f.: 4.3.5a

Hosea

Hos 2,4ff.: 4.3.4g Hos 6,11: 4.1.1f Joel

Joel 3,1-5: 4.5.9b Joel 4,13: 4.1.1f Am 5,7: 4.3.5a Zeph 3,1-4: 4.3.5a Sacharja:

Ezechiel

Ez 16,18: 4.3.4g Ez 18,23.31; 33,11: 4.3.3.f Ez 34: 3.3.1; 4.3.2f; 4.4.1f; 4.5.2d Ez 36,26-28: 4.5.9b Ez 37,21-24: 4.4.1f; 4.5.2d

Sach 4,1-14: 4.2.2f Sach 7,10: 4.3.5a Sach 10,3a: 4.3.2f Sach 13,7: 4.5.6a

Alttestamentl. Apokryphen 1. Makkabäer (1 Makk): 4.3.4a Psalmen Salomos (PsSal): 4.3.3f; 4.4.1f

Tobit (Tob): 4.3.4a Weisheit (Sap): 4.3.4f

Frühjüdische Schriften 4. Makkabbäer (4 Makk) 9,9: 4.3.3f 4. Esrabuch (4 Esr): 4.3.3f; 4.4.1f; 4.5.4b Aristeasbrief (EpAr): 4.3.3f

Henoch (äthiopisch, äthHen): 4.1.3f; 4.3.3f; 4.3.4f Henoch (slawisch, slHen): 4.3.3f Josephus: 4.1.3f; 4.2.1a

S 4 Textstellen

Philo v. Alexandria: 4.2.1a; 2.5.8; 4.5.5a Pistis Sophia: 4.5.4b Sedrach-Apokalypse (ApkSedr): 2.5.8

339

Talmud: 2.5.8; 4.3.3f; 4.3.4fg TosQid 1,14: 4.3.3f VitAd 31f: 4.3.3f

Neues Testament Matthäusevangelium

Mt 3,1-12: 1.4.4b; 2.5.7b; 4.2.2d; Mt 4,1-11: 4.5.10c; S 5.2b; S 5.4b Mt 4,18-25: 5.6.5df; S 5.4e Mt 5,3-10: 4.5.7d; 5.4.2; 5.6.1ad; 5.6.7d Mt 5,13-16: 2.1.3d; 2.5.7d; 3.4.1; 4.2.2d; 4.3.4f; 4.4.2g; 4.5.1f; 4.5.4d; 4.5.6c; 4.5.9b; 5.6.7de; S 5.2ab; S 5.4e Mt 5,20: 4.1.2bg; 4.3.1g; 4.3.4f Mt 5,21-48: 2.5.7b; 5.6.7d; S 5.2c Mt 5,38-44: 1.4.4d; 4.5.4c; 4.5.7d Mt 5,45f.: 2.5.7a; 4.1.2i; 5.3.1f; S 5.1b Mt 6,5-18: 2.5.3b; 4.1.2e; 4.5.2e; 4.5.5d; 4.5.10e; 5.4.2; 5.6.7d Mt 6,19-21: 2.5.7b; 4.1.2be; S 5.2c Mt 6,22f.: 2.5.7a; 4.1.2be; S 5.1b Mt 6,24: 2.5.7b; 4.1.2; 4.5.7a; S 5.2a Mt 6,25-32: 4.1.2; 4.5.4b; 4.5.7a; 5.4; 5.6.4; S 5.1b Mt 6,33: 4.1.2g Mt 7,1-5: 2.1.3d; 2.5.7b; 3.4.1f; 4.3.3g; 4.5.1f; 4.5.6b; 4.5.7d; S 5.2a Mt 7,6: S 5.2a Mt 7,7-11: 2.5.7b; S 5.2a Mt 7,15: S 5.4d Mt 7,16-23: 2.5.7a; 4.3.1fg; 4.3.4f; S 5.1b; S 5.2b Mt 7,24-27: 2.5.7c; 4.3.1; 4.3.4f; 5.4; 5.6.7; S 5.3c Mt 8,20: 4.1.2g

Mt 8,22: 1.4.4b; 2.5.7b; 4.5.7a; S 5.2c Mt 8,23-27: 4.3.1f Mt 9,14-17: 4.2.1; S 5.2a; Mt 9,36-38: 3.4.1c; 4.1.1f; 4.3.2f; 4.5.2f; 4.5.6a; 4.5.7d; S 5.3b; S 5.4e Mt 10,5-26: 1.4.4a; 1.5.4; 2.5.7b; 4.3.2f; 4.4.1f; 4.5.2f; 4.5.4bd; 4.5.6a; S 5.2d Mt 10,28-31: 4.1.2b Mt 10,34-36: S 5.4b Mt 10,38: 4.5.8b Mt 11,14: S 5.4f Mt 11,16-19: S 5.4d Mt 12,9-14: 2.5.7b; S 5.2a Mt 12,15-21: S 5.4b Mt 12,24-32: S 5.2a Mt 12,28: 4.5.9b Mt 12,33-35: S 5.1b Mt 12,43-45: 2.5.7b; S 5.2b Mt 13,1-9: 4.3.1f; S 5.1a Mt 13,10-15: 1.3(6); S 5.2b Mt 13,18-23: 1.3(5); 4.3.1f; 4.3.4f Mt 13,24-30: 4.1.1f; 4.3.4g; 4.5.1f; 4.5.2f; 4.5.4d; 4.5.5e; 4.5.6b; 4.5.9a; S 5.3a Mt 13,31-33: 2.1.3a; 4.5.4d; 5.2; S 5.1a Mt 13,36-43: 1.3(5.9); 1.4.4a; 2.5.5a; 3.4.1e; 4.1.1f; 4.3.4f; 4.5.2f; 4.5.4cd; 4.5.6b; 4.5.9b Mt 13,44-46: 2.5.7c; 5.6.4de; S 5.3c Mt 13,47-50: 4.5.9a; S 5.3a Mt 13,52: 2.1.3d; 2.5.3b; 4.5.2b; S 5.3a

340

Serviceteil

Mt 14,22-33: 4.3.1f Mt 15,10-20: S 5.1b; S 5.4d Mt 15,21-28: S 5.2b Mt 15,24: 4.3.2fg Mt 16,17f.: 4.3.1f; S 5.4e Mt 16,24: 4.5.8b Mt 18: 4.3.2e; 4.5.6b Mt 18,12-14: 3.3.1; 4.3.2; 4.4.1a; 4.5.1.f; 4.5.5e; 5.4; S 5.3a Mt 18,23-35: 2.1.3b; 2.5.1b; 2.5.3b; 4.3.2h; 4.3.3; 4.5.1; 4.5.2e; 4.5.5bc; 4.5.6b; 5.2; 5.4; 5.6.2; S 5.3b Mt 19,24: S 5.1b Mt 19,27-30: 1.4.4.c; 2.5.1a; 2.5.7b; 3.4.1i; 4.5.1f; 4.5.7a; S 5.2d Mt 20,1-16: 1.4.4bc; 2.1.3b; 2.5.1a; 2.5.7b; 3.4.1; 4.1.2g; 4.3.3a; 4.5.1; 4.5.2f; 4.5.4d; 4.5.5bc; 4.5.6b; 5.2; 4.5.7a; 5.2; 5.6.7d; S 5.2d; S 5.3a Mt 20,20-28: 3.4.1i; 4.5.7a Mt 21,21f.: 2.5.7a; S 5.1b Mt 21,28-32: 4.5.5b; S 5.3a Mt 21,33-46: 1.3(8); S 5.3a Mt 22,1-14: 1.3(8); 1.4.4c; 2.2.5b; 2.5.1bc; 2.5.7c; 4.1.3a; 4.2.1f; 4.3.4fg; 4.5.1; 4.5.2ad; 4.5.8a; 4.5.9; S 5.3c Mt 23,11-14: 2.5.7b; 4.3.5a; 4.5.7a; S 5.2d Mt 23,37f.: S 5.4b Mt 24f.: 3.4.1j; 4.5.7c; 4.5.9d; 4.5.10e Mt 24,8: S 5.1a Mt 24,12f: 4.3.4f Mt 24,27-31: 1.4.4a; 4.5.4c; S 5.1b Mt 24,36-44: 4.3.4eg; S 5.3a Mt 24,45-51: 4.3.4e; 4.5.1; 4.5.5bc; 4.5.6b; S 5.3a Mt 25,1-13: 2.5.7c; 4.2.1f; 4.3.1fg; 4.3.4; 4.5.1; 4.5.2ad; 4.5.5c; 4.5.7c; 4.5.8a; 4.5.9; 5.4.2; S 5.3c

Mt 25,14-30: 2.1.3b; 4.3.3f; 4.3.4e; 4.5.1; 4.5.5bc; 4.5.6b; 4.5.7b; S 5.3a Mt 25,31-46: 3.4.1j; 4.3.2f; 4.3.4; 5.4.2; S 5.3a Mt 26,26-28.31: 4.5.6a; S 5.4f Mt 26,39: 4.1.2g Mt 26,61: S 5.4b Mt 26,64: 4.3.4g Mt 27,40: S 5.4b Mt 28,18-20: 4.5.6a Markusevangelium

Mk 1,9-11: 3.4.1d Mk 1,15: 4.5.9be Mk 1,17: S 5.4e Mk 2,1-17: 4.2.1e; 5.6.7d Mk 2,18-20: 2.1.3a; 2.5.7b; 4.2.1; 4.3.4f; 4.5.2; 4.5.8a; 4.5.9; 5.4; S 5.2a Mk 2,21f.: 2.1.3ad; 2.5.7b; 4.2.1e; 4.5.9c; S 5.2a Mk 2,23-3,6: 1.4.4d; 4.2.1e Mk 3,1-6: 5.6.3; 5.6.6de Mk 3,7-12: S 5.4b Mk 3,22-27: 2.5.7b; S 5.2a Mk 4parr.: 2.5.7a; 4.1.1; 4.5.4b; 4.5.9be Mk 4,3-9: 1.3(11); 1.5.6; 2.1.3ag; 2.5.1ac; 2.5.4; 2.5.5d; 3.4.1; 5.2; 4.1.1ef; 4.3.1f; 4.5.1f; 4.5.4d; 5.6.7d; S 5.1a Mk 4,10-13: 1.3(5f.9.11.15); 2.2.1; 2.5.3b; 2.5.5a; 2.5.5d; 4.5.2e; 4.5.6a Mk 4,14-20: 1.3(5.9.11.15); 2.5.1a; 2.5.5ad; 3.4.1; 4.1.1ef; 4.5.6a Mk 4,21-25: 2.5.7b; 4.1.1e; S 5.2ab Mk 4,26-29: 2.1.3a; 2.5.1a; 3.4.1b; 4.1.1; 5.4; 5.6.1; S 5.1a Mk 4,30-32: 2.1.3a; 4.1.1ef; 5.6.1ae; S 5.1a Mk 4,33f.: 1.3(5.15); 2.5.5d; 4.1.1f

S 4 Textstellen

Mk 6,30-44: 4.3.2f; 4.4.1fg; 4.5.7d; 5.4.2; S 5.3b Mk 6,52: 1.3(5) Mk 7,15-23: 2.5.7a; S 5.1b Mk 7,24-26: S 5.2b Mk 9,11-13: S 5.4f Mk 9,41: 1.4.4.d Mk 10,25: 2.5.7ab; S 5.1b Mk 10,28-31: 2.5.7b; 4.5.1f; S 5.2d Mk 10,42-45: 4.5.4c; 4.5.7ad Mk 10,46-52: 5.6.2d; 5.6.7d Mk 11,27-33: 3.3.2; 4.5.2e Mk 12,1-12: 1.3(6.8); 1.4.4b; 2.1.3g; 2.2.5b; 2.5.4; 3.3.2; 3.4.1; 4.2.3a; 4.5.1; 4.5.2; 4.5.4d; 4.5.5bc; 4.5.7c; 4.5.8a; 5.6.6de; S 5.3a; S 5.4b Mk 12,37: 2.5.4 Mk 12,42f.: 4.3.5a Mk 13: 4.1.3; 4.5.9a Mk 13,5f.21f.: 4.1.3ae; 4.5.9a Mk 13,8: 4.1.3; 4.5.9a; 5.4.2; S 5.1a Mk 13,12f.: 4.1.3g; 4.3.4g Mk 13,20f.: 4.1.3; 4.5.9d Mk 13,24-31: 4.1.3; 4.5.4b; S 5.1a Mk 13,32: 4.1.3e; 4.3.4g; 4.5.9d Mk 13,33-37: 2.1.3f; 4.1.3eg; 4.5.7c; S 5.3a Mk 14,22-25: 4.2.1f; 5.6.6d; S 5.4f Lukasevangelium

Lk 1,78: S 5.4b Lk 2,31f.: S 5.4b Lk 3,16f.: S 5.4b Lk 4,18-21: 4.5.2d; 4.5.9b Lk 4,23: S 5.4b Lk 5,10: S 5.4e Lk 5,33-35: 4.2.1; S 5.2a Lk 5,36-39: S 5.2a Lk 6,17-19: S 5.4b

341

Lk 6,24-26: 4.5.7a Lk 6,36.46: 4.3.1g Lk 6,39: S 5.4d Lk 6,40: S 5.2d Lk 6,43-45: S 5.1b Lk 6,47-49: 4.3.1; S 5.3c Lk 7,12: 4.3.5a Lk 7,31-35: S 5.4d Lk 7,41-43: S 5.3b Lk 8,4-10: 1.3(6); S 5.1a Lk 8,16-18: S 5.2ab Lk 9,60-62: 2.5.7b; S 5.2c Lk 10,2: 1.4.4b; S 5.4e Lk 10,18: 4.5.9b Lk 10,30-37: 1.5.6; 2.1.3c; 2.5.1a; 4.5.5b; 4.5.6b; 4.5.7cd; 5.2; 5.6.2de; S 5.3b Lk 11,5-13: S 5.2a Lk 11,14-23: S 5.2a Lk 11,15: 2.5.7b Lk 11,20: 4.5.9b Lk 11,24-26: S 5.2b Lk 11,33: S 5.2a Lk 11,34-36: S 5.1b Lk 11,49-51: 4.1.3a Lk 12,6f.: 4.1.2b Lk 12,16-21: 2.1.3c; 2.5.7c; 4.5.7ac; S 5.3c Lk 12,22-31: S 5.1b Lk 12,35-40: 2.1.3f; 2.5.7c; 4.3.4f; S 5.3ac Lk 12,48: 4.5.6c; 4.5.7b Lk 12,49-53: S 5.4b Lk 12,54-59: 1.4.4.d; 2.5.7b; S 5.2c Lk 13,6-9: S 5.3b Lk 13,18f.: 5.4.2; 5.6.1; S 5.1a Lk 13,20f.: S 5.1a Lk 13,22-30: 2.5.7c; S 5.2d; S 5.3c Lk 13,34f.: 4.1.3a; S 5.4b Lk 14: 4.5.6b; 4.5.7a Lk 14,1-6: S 5.2a

342

Serviceteil

Lk 14,7-14: 1.4.4c; 2.5.7c; 4.5.2e; 4.5.7a; S 5.2d; S 5.3c Lk 14,15-24: 2.2.5b; 3.4.1j; 4.5.1f; 4.5.2ef; 4.5.5be; 4.5.8a; S 5.3c Lk 14,28-35: 2.5.7b; 4.5.6c; S 5.2bc Lk 15: 1.5.10; 2.5.3b; 3.4.1ab; 4.5.1g; 4.5.2e; 4.5.10e; 5.2; 5.4 Lk 15,1-7: 3.4.1h; 4.3.2; 4.5.2e; S 5.2b Lk 15,8-10: 3.4.1h; S 5.3a Lk 15,11-32: 2.1.3b; 2.2.5ab; 2.5.1b; 2.5.2b; 2.5.8; 3.1.2; 3.4.1; 4.2.3a; 4.5.2f; 4.5.5; 4.5.6b; 4.5.8a; 4.5.10e; S 5.3b Lk 16: 4.5.7a Lk 16,1-9: 2.5.7c; 4.5.1ch; 4.5.4ac; 4.5.5bc; 4.5.6b; 4.5.7c; S 5.3c Lk 16,13: 2.1.3a; 2.5.7b; 4.5.7a; S 5.2a Lk 16,19-31: 2.1.3c; 2.5.1a; 4.3.3f; 4.5.1h; 4.5.5c; 4.5.6b; 4.5.7c; 4.5.9d; S 5.3b Lk 17,7-10: 2.5.7b; S 5.2d Lk 17,22-37: 4.3.5eg; S 5.1b Lk 18,1-8: 4.3.5; 4.5.5b; 5.2; 5.4.2; S 5.3b Lk 18,9-14: 2.1.3c; 2.5.1a; 4.3.5e; 4.5.7a; S 5.3b Lk 18,15-17: 4.3.5e Lk 18,25: S 5.1b Lk 19,1-10: 2.5.3b; 3.4.1c; 4.3.2fg; 4.5.10e; 5.6.4d Lk 19,11-27: 4.5.1g; 4.5.2e; S 5.3a Lk 19,31b: 4.3.5e Lk 19,48: 2.5.4 Lk 20,9-19: 1.3(8); 2.2.5b; S 5.3a Lk 21,24: 4.5.9e Lk 21,29-31: S 5.1a Lk 22,19f.: S 5.4f Lk 22,24-30: 2.5.7b; S 5.2d Lk 23,42f.: 4.5.9d Lk 24,13-35: 5.6.6d

Johannesevangelium:

Joh 1-12: 2.1.3e Joh 1,1-18: 3.4.1ce; 4.5.2bd; 4.5.4c; 4.5.7a; 4.5.8a; S 5.4d Joh 1,29: 4.5.2e; 4.5.4c Joh 1,42: 4.3.1f Joh 2,19-21: S 5.4b Joh 3,8: S 5.1b Joh 3,16: 4.3.4d Joh 3,29: 4.2.1f; S 5.4bef Joh 4: 4.1.1f; 4.5.4c; 4.5.9c; 5.4.2 Joh 4,20-24: S 5.4b Joh 4,37f.: S 5.2b Joh 5,19-30: 2.5.7b; 4.4.1g; S 5.2b Joh 6,15: 4.4.1f Joh 6,35: 5.4.2; S 5.4b Joh 7,7: 4.5.4c Joh 7,35: 4.4.1g Joh 8,7: 4.5.7d Joh 8,12: 2.5.2b; 4.5.4cd; 4.5.7a; S 5.4b Joh 8,34-36(-59): 2.5.7b; S 5.2b Joh 8,44: S 5.4d Joh 9: 4.4.1e; 4.5.4cd Joh 10,1-18: 1.4.1; 2.1.3e; 2.5.1a; 2.5.4; 2.5.5a; 2.5.7d; 3.3.1; 4.3.2f; 4.4.1; 4.5.2df; 4.5.5e; 4.5.6a; 4.5.8a; 5.6.6; S 5.4b Joh 10,19-21: 2.5.4; 4.4.1b Joh 10,30-33: 4.4.1eg Joh 11,1-45.52: 4.4.1eg; 4.5.4d; S 5.1a; S 5.4b Joh 12,24: 2.1.3f; 4.1.3j; 4.5.2e; S 5.1b Joh 12,28.31: 4.5.4cd; 4.5.9b Joh 12,36.47: 4.5.4ad Joh 14-16: 3.4.1d; 4.5.6a Joh 14,(1-)6: S 5.4b Joh 14,26f.: 4.5.3a; 4.5.4c; S 5.4c

S 4 Textstellen

Joh 15,1-17: 2.1.3e; 2.5.1a; 2.5.7d; 4.4.1g; 4.5.2f; 4.5.6a; 4.5.8a; S 5.4be Joh 15,26: 4.5.3a; S 5.4c Joh 16,3.7-11: 4.1.3j; 4.5.3a; 4.5.4c; 4.5.9b; S 5.4c Joh 16,13-15: 4.5.3a Joh 16,16-33: 2.5.5a; 4.2.1f; 4.4.1g; 4.5.4c; S 5.1b Joh 16,21: 4.1.3fj Joh 16,25.29: 1.4.1; 2.1.3e Joh 17: 4.4.1g; 4.5.2f; 4.5.6ad Joh 18,36: 4.5.4c Joh 19,30: 4.5.9b; 5.6.6d Joh 20,22f.: 4.5.3a Joh 21,15-17: 4.3.2f Apostelgeschichte:

Apg 1,8.22: S 5.4e Apg 2,1-12: 5.6.5df Apg 2,17-21: 4.4.2g; 4.4.3g; 4.5.4b; 4.5.9b Apg 2,24: S 5.1b Apg 2,32-40: S 5.4ae Apg 2,44-46: 4.5.6c; 5.6.5df Apg 3,15: 4.5.2g; S 5.4b Apg 3,25f.: S 5.4bd Apg 4,11: S 5.4b Apg 4,27-30: S 5.4abe Apg 5,31: S 5.4ab Apg 6,1: 4.3.5a Apg 7,25-50: 4.5.7a; S 5.4a Apg 8,10: S 5.4d Apg 8,32: S 5.4b Apg 9,15.41: S 5.4e Apg 10,42: S 5.4b Apg 10,44f.: 4.4.2g Apg 13,10f.: S 5.4ad Apg 13,47: S 5.4e Apg 14,27: S 5.4f

343

Apg 15,10; 16,17: S 5.4e Apg 17,29: S 5.4a Apg 20,24.28f.: S 5.4.e Apg 20,32: S 5.4ef Apg 23,3: S 5.4.d Apg 26,10: S 5.4e Apg 26,18: S 5.4.d Apg 26,23: 4.5.9b Römerbrief:

Röm 1,7.17: 4.5.5d; S 5.4e Röm 3,12-18: S 5.4d Röm 3,25.28: 4.5.8b; 5.6.6d Röm 5,3: 1.4.4b Röm 5,6-11: 2.5.7b; 4.5.8a; S 5.2a Röm 6f.: 4.5.5d; 4.5.8b; S 5.4de Röm 8: 4.5.7a; 4.5.8b Röm 8,14-17: 4.5.5d; S 5.4e Röm 8,18-22: 4.5.3b; 4.5.4b; 4.5.9a Röm 8,23f.: 4.5.3b; 4.5.8a; 4.5.9e; S 5.4c Röm 8,26-39: 3.4.1d; 4.5.2g; 4.5.3a; S 5.4bc Röm 9-11: 4.2.2eg; 4.2.3g; 4.5.1f Röm 9,20-23: 2.5.7b; 4.5.5d; S 5.2d; S 5.4e Röm 10,12: 4.5.6d Röm 11,17-24: 2.5.7b; 4.2.2; 4.5.1h; 5.4.2; 5.6.3; S 5.2b Röm 12: 4.4.2g Röm 14: 4.5.6d 1. Korintherbrief:

1 Kor 1,f.: 4.5.6d 1 Kor 3,1f.: 4.5.5d; S 5.4e 1 Kor 3,6-17: 4.3.1f; 4.5.6d; S 5.4e 1 Kor 4,15: S 5.4e 1 Kor 5,5: 4.5.6d 1 Kor 5,6-8: S 5.4e 1 Kor 6,1-11: 4.5.6cd; 4.5.7d

344

Serviceteil

1 Kor 6,15.19: 3.4.1d; 4.5.6d; S 5.4de 1 Kor 7,29.31: 4.5.9bc 1 Kor 8-11: 5.1.4; 4.5.6d 1 Kor 9,1-11: 2.5.7b; 4.5.6c; S 5.2a; S 5.4e 1 Kor 9,16-27: 2.5.7b; 4.5.6a; 4.5.7a; S 5.2c 1 Kor 10,13: 4.1.3b; 4.5.9d 1 Kor 11,3: 4.4.2f 1 Kor 12: 4.4.2bg; 4.5.6d; 4.5.8a 1 Kor 12,12-31: 2.5.7d; 4.4.2; 4.5.2f; 4.5.4c; 4.5.6d; 4.5.9b; 5.6.5; S 5.4e 1 Kor 13: 4.4.2eg; S 5.4df 1 Kor 14,7f.: 2.5.7b; S 5.2a 1 Kor 15: 5.6.6d 1 Kor 15,20-23: 4.5.2g; 4.5.9b; S 5.4b 1 Kor 15,24-26: 4.5.2g 1 Kor 15,36-49: S 5.1b 2. Korintherbrief:

2 Kor 1: 4.4.3eg 2 Kor 1,22: 4.4.3; 4.5.3b; 4.5.8a; 4.5.9b; 5.4.2; S 5.4c 2 Kor 3,1-6: 4.5.6c; 4.5.9c; S 5.4e 2 Kor 4: 4.5.3b; 4.5.6c; 4.5.7a 2 Kor 4,6: S 5.4e 2 Kor, 5,1-10: 4.4.3; 4.5.9e 2 Kor 5,5: 4.4.3; 4.5.3b; 4.5.8a; 4.5.9b; 5.4.2; S 5.4c 2 Kor 5,16-21: 4.5.5d; 4.5.6d; S 5.4be 2 Kor 6,14: 2.5.7a; S 5.1b 2 Kor 9,6-10: 2.5.7b; S 5.2b 2 Kor 10,3-8: 4.5.9a; S 5.4f 2 Kor 11,2: 4.2.1f; 4.5.5d; S 5.4e 2 Kor 11,30: 1.4.4b Galaterbrief:

Gal 2,19: 4.5.5d; S 5.4e Gal 3,13: S 5.4b

Gal 3,15-19(-25): 4.2.3j; 4.5.8a; S 5.2b; S 5.4f Gal 3,28: 4.4.2g; 4.5.6d Gal 4,1-7: 4.5.4c; 4.5.5d; S 5.4d Gal 4,1f.: 4.5.5d Gal 4,19: S 5.4e Gal 4,21-31: 1.3(11); 2.2.5b Gal 6,7.14: 1.4.4b; 2.5.7b; S 5.2b Epheserbrief:

Eph 1: 4.4.3eg; 4.5.2d; 4.5.5d Eph 1,11: S 5.4e Eph 1,13f.: 4.4.3; 4.5.3b; 4.5.8a; 4.5.9b; 5.4.2; S 5.4c Eph 1,21-23: 4.4.2ef; 4.5.2f; 4.5.6d; S 5.4be Eph 2,19-22: 2.5.7d; 4.3.1f; 4.5.5d; S 5.4e Eph 4,4: S 5.4b Eph 4,11-15: 4.3.2f; 4.4.1f; 4.4.2ef; 4.5.2f; 4.5.6d; S 5.4b Eph 5: 2.5.7b; 4.5.4a; 4.5.6c; 4.5.9d; S 5.2a; S 5.4e Eph 6,10-17: S 5.4f Philipperbrief:

Phil 1,27f.: 4.5.6d Phil 2,6-11: 4.5.10c Phil 2,15: 4.3.4f; 4.5.6c; S 5.4de Phil 3,20: 4.5.5d; S 5.4e Kolosserbrief:

Kol 1,15-18: 4.4.2f; 4.5.2; 4.5.5d; 4.5.8a; 4.5.9b; S 5.4b Kol 1,24: 4.5.6d Kol 2: 4.5.5d; 4.5.7a Kol 2,10: S 5.4b Kol 2,12: S 5.4e Kol 4,5: 4.5.9d

S 4 Textstellen

345

1./2. Thessalonicherbrief:

Hebräerbrief:

1 Thess 2,19: 4.5.6c; S 5.4e 1 Thess 5,1-8: 2.5.7b; 4.1.3j; 4.5.6c; 4.5.7a; 4.5.9ad; S 5.1a; S 5.2c; S 5.4def 2 Thess 2,3: S 5.4d

Hebr 1,1-4: 4.5.2d; 4.5.8a; S 5.4b Hebr 2,10: S 5.4b Hebr 3,6: 4.5.6d; S 5.4e Hebr 5,12-14: 4.5.5d; S 5.4e Hebr 6,6-8: 2.5.7b; S 5.2b Hebr 6,19: S 5.4f Hebr 6,20: 4.5.2g; S 5.4b Hebr 7-9: S 5.4b Hebr 7,6f.: 2.5.7b; S 5.2d Hebr 7,22: 4.5.2g; 4.5.3b; 4.5.8a Hebr 8,5f.: 4.5.2g; 4.5.7a; 4.5.8a; S 5.4bf Hebr 8,13: 4.5.9c Hebr 9: 4.2.3eg; 4.5.9c Hebr 9,15-17: 4.2.3; 4.5.8a; 5.4.2; S 5.2b Hebr 9,23f.: S 5.4f Hebr 10,12: 4.5.2g Hebr 10,20: S 5.4f Hebr 11: 1.4.4d; 4.2.3g Hebr 12,2: S 5.4b Hebr 12,5-11: S 5.4a Hebr 12,24: 4.5.2g; 4.5.3b; 4.5.8a; S 5.4bf Hebr 12,29: S 5.4a Hebr 13,15-19: 4.2.3g Hebr 13,20: 4.3.2f; 4.4.1f

Pastoralbriefe:

1 Tim 5,3-16: 4.3.5a 1 Tim 6,12: 4.5.9a; S 5.4e 2 Tim 2,3-5: 4.5.9a; S 5.4e 2 Tim 4,7f.: 4.5.6a; S 5.2c 1./2. Petrusbrief:

1 Petr 1,3.6: 4.5.5d; 4.5.7a; S 5.4e 1 Petr 1,18f.: S 5.4b 1 Petr 2,1-9: 4.3.1f; 4.5.5d; 4.5.6d; S 5.4be 1 Petr 2,25: 4.4.1f; S 5.4b 1 Petr 4,5.10: 4.3.3f; 4.5.6d; S 5.4e 1 Petr 5,1-4: 3.3.1; 4.3.2f; 4.5.6a; 4.5.8a; S 5.4be 1 Petr 5,8: S 5.4d 2 Petr 1,1: S 5.4e 2 Petr 1,19: S 5.4b 2 Petr 2,12.17: S 5.4d 2 Petr 3,1-13: 4.1.3b; 4.5.1f; 4.5.4bd; 4.5.8c; 4.5.9d; S 5.2c

Jakobus- und Judasbrief: 1. Johannesbrief:

1 Joh 1,5-7.8: S 5.4ab 1 Joh 2,1: 4.5.2g; S 5.4b 1 Joh 2,17: 4.5.4c 1 Joh 3,1f.: 4.5.4c; 4.5.5d; S 5.4e 1 Joh 3,10: 4.5.5d; S 5.4de 1 Joh 4,16-18: S 5.4a 1 Joh 5,4.19: 4.5.4c

Jak 1,6-8: S 5.4d Jak 1,10: 1.4.4b; 2.5.7a; S 5.1b Jak 1,17f.: 4.5.5d; S 5.4ae Jak 1,23-25: 2.5.7b; S 5.2c Jak 2,14-26: 1.4.1a; 2.5.7b; S 5.2a Jak 3,1-12: 2.5.7ab; S 5.1b; S 5.2b Jak 4,4.10: 4.5.7a; S 5.2d Jak 5,7f.: S 5.1a Jud 10: S 5.4d

346

Serviceteil

Johannesoffenbarung (Apk):

Apk 1,8: S 5.4a Apk 2f.: 4.5.4c; 4.5.9a Apk 2,9; 3.9: S 5.4d Apk 3,3: S 5.2c Apk 3,7: S 5.4b Apk 3,12: S 5.4e Apk 3,14f.: 4.3.4f; 4.5.5d Apk 4,8: S 5.4a Apk 5,6-13: 2.5.7d; S 5.4b Apk 5,6.12: 1.4.4g; 4.5.2e Apk 6+9: 2.5.1c; 2.5.2a Apk 7,1-8: 4.5.9b

Apk 10,6: 4.1.3b; 4.5.9d Apk 11: 1.4.4g; S 5.4f Apk 12: 2.5.1c; 2.5.2a; 4.1.3f Apk 13f.: 1.4.4g; 4.5.2e Apk 14,15: 4.1.1f Apk 16,15: S 5.2c Apk 19,7-21: 1.4.4g; 4.2.1f; 4.3.4f; 4.5.5d; S 5.4be Apk 21: 4.3.4f; 4.5.2e; 4.5.4b; Apk 21,6: S 5.4a Apk 21,9: S 5.4b Apk 22,11.17: 4.3.4g; 4.5.2g Apk 22,16: S 5.4b

Ntl. Apokryphen Thomasevangelium (EvThom): - Log 47: S 5.2a

- Log 65f.: S 5.3a - Log 107: 4.3.2h

Sonstige Autoren Äsop: 2.5.8 Aristoteles: 1.4.2; 1.4.4b; 1.5.12; 2.1.1; 2.1.2; 2.2.3; 4.4.2g Babrios, Plutarch, Seneca: 2.5.8

Cicero: 1.4.3; 1.4.4 Quintilian: 1.4.2; 1.4.3; 1.4.4d; 1.5.12; 2.1.1; 2.2.4; 2.3; 2.5.2a; 2.5.3b; 2.5.8

S 5 Übersicht: Gleichnistexte S 5.1 Naturgleichnisse und Naturmetaphern

Texte dieses Gleichnistyps lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Gleich‐ nisse, die mit unbeeinflussbaren Entwicklungen und Zeiten argumentieren, und solche, die natürliche, unveränderliche Gesetzmäßigkeiten (Kausali‐

S 5 Übersicht: Gleichnistexte

täten, Größenverhältnisse, Zusammengehöriges und Unvereinbares) als Argument einsetzen. a) Unbeeinflussbare Entwicklungen und Zeiten

Mk 4,3-9parr. Mt 13,1-9; Lk 8,4-8 (vierfache Saat); Mk 4,26-29; vgl. Jak 5,7f. (selbstwachsende Saat); Mk 4,30-32parr. Mt 13,31f.; Lk 13,18f. (Senfkorn); Mk 13,8par. Mt 24,8; 1 Thess 5,3 (Wehen); Mk 13,28par. Lk 21,29-31 (wachsende Blätter); Mt 13,33par. Lk 13,20f. (Sauerteig); Joh 11,9f. (auf Tag folgt Nacht). b) Unveränderliche, natürliche Gesetzmäßigkeiten

Mk 7,15-23par. Mt 15,10-20 (Unreinheit kommt von innen); Mk 10,25parr. Mt 19,24; Lk 18,25 (Kamel und Nadelöhr); Mt 5,45 (Sonne scheint für alle); Mt 6,22f.par. Lk 11,34-36 (das Auge ist das Licht des Leibes); Mt 6,25-34par. Lk 12,22-31 (Vögel und Lilien sorgen nicht vor); Mt 7,16-20; vgl. 12,33-35; Lk 6,43-45 (Pflanzen erkennt man an ihren Früchten); Mt 21,21f. (Berge stürzen nicht ins Meer); Mt 24,27par. Lk 17,24; vgl. Mt 24,30 (Blitze erleuchten den Himmel); Mt 24,28par. Lk 17,37 (Aas lockt Geier an); Joh 3,8 (der Wind weht, wo er will); Joh 12,24; 1 Kor 15,36-49 (Samenkorn muss ‚sterben‘, um Frucht zu bringen); Joh 16,21 (keine Geburt ohne Wehen); Apg 2,24 (‚Wehen des Todes‘); 2 Kor 6,14 (Licht und Finsternis schließen sich aus); Jak 1,10 (die Sonne lässt Blumen welken); Jak 3,11f. (Quellen können nur eine Sorte Wasser hervorbringen). S 5.2 Weisheitsgleichnisse

Die vier Kategorien dieses Gleichnistyps lauten: a) Thema: Absurde Möglichkeiten

Mk 2,18-20parr. Mt 9,14f.; Lk 5,33-35 (Fasten auf der Hochzeit); Mk 2,21f.parr. Mt 9,16f.; Lk 5,36-39; EvThom 47 (Neues auf Altem); Mk 3,22-27parr. Mt 12,24-32; Lk 11,14-23 (niemand kämpft gegen sich selbst); Mk 4,21f.parr. Mt 5,15f.; Lk 8,16-18; 11,33 (Licht unter dem Scheffel); Mt 6,24par. Lk 16,13 (zwei Herren dienen); Mt 7,1-5 (Splitter und Balken)442; Mt 7,6 (Perlen vor die Säue); Mt 7,7-11par. Lk 11,5-13 (Freunde in Not); Mt 12,9-14par. Lk 14,1-6 (Schaf in der Grube); Röm 5,6-10 (Sterben für die Feinde); 1 Kor 9,1-11 (Lohnverzicht); 442

Der Text wurde in Erlemann 2017, 113, den Alltagsgleichnissen zugeordnet. Dagegen sprechen die suggestiven Fragen als textpragmatisches Element.

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1 Kor 14,7f. (Verstehen akustischer Signale); Eph 5,28f. (Selbsthass); Jak 2,14-16 (wer hungert, braucht Nahrung). b) Thema: Allgemeine, positive Lebenserfahrung

Mk 4,25parr. Mt 13,12; Lk 8,18 (Reiche werden reicher, Arme ärmer); Mk 7,24-26par. Mt 15,21-28 (Hunde bekommen, was vom Tisch fällt); Mt 3,7-10; 5,13; 7,19; Lk 14,34f. u. a. (Unnützes wird entsorgt); Mt 12,43-45par. Lk 11,24-26 (rachsüchtige Dämonen); Lk 15,3-7 (Wiederfinden macht Freude)443; Joh 4,37f. (der eine sät, der andere erntet); Joh 5,19f. (der Sohn ahmt den Vater nach); Joh 8,34-36 (Knecht und Sohn); Röm 11,17-24 (Olivenbaum); 2 Kor 9,6-10; Gal 6,7f. (Saat und Ernte); Gal 3,15-19; Hebr 9,15-17 (Tod und Testament); Hebr 6,6-8 (Dornen werden verbrannt); Jak 3,1-10 (Macht der Zunge). c) Thema: Prioritätenfragen

Mt 5,29f. (Selbstverstümmelung)444; Mt 6,19-21 (Schatz und Herz); Mt 8,22 (Tote sollen Tote begraben); Lk 9,62 (Hand am Pflug); Lk 12,54-59 (Wetter‐ prognosen); Lk 14,28-33 (Turmbau und Krieg); 1 Kor 9,24-27 (Siegerkranz; vgl. 2 Tim 4,7); 1 Thess 5,2; 2 Petr 3,10; Apk 3,3; 16,15 (Dieb in der Nacht); Jak 1,23-25 (Selbstbespiegelung). d) Thema: Soziale Verhältnisse und Grenzen

Mk 10,31parr. Mt 19,30; 20,16; Lk 13,30 (Erste und Letzte); Mt 10,24-26par. Lk 6,40 (Sklaven und Herren); Mt 23,12parr. Lk 14,11; 18,14; Jak 4,10 (Erhöhung und Erniedrigung); Lk 17,7-10 (Knechtslohn); Lk 22,24-30 (Umkehrung der Rangordnung); Röm 9,20f. (Ton und Töpfer); Hebr 7,6f. (wer segnet, steht über dem Gesegneten). S 5.3 Alltagsgleichnisse

Die drei Kategorien kreisen a) um das Thema Arbeitswelt und Dienstverhält‐ nisse, b) um das Thema allgemein mitmenschlicher Umgang und c) um das Thema Prioritätensetzung und kluge Vorsorge. 443 444

Die suggestive Frage im nachfolgenden Drachmen-Gleichnis Lk 15,8-10 ist nicht konfrontativ formuliert, sondern wie in Mt 18,12-14 allgemein gehalten; das spricht für ein Alltagsgleichnis. Auch dieser Text wird hier anders als in Erlemann 2017, 112 f., eingruppiert. Ausschlag‐ gebend ist die Formulierung ‚es ist besser …‘ etc.

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a) Thema: Arbeitswelt und Dienstverhältnisse

Mk 12,1-9parr. Mt 21,33-41.43; Lk 20,9-16; vgl. EvThom 65 f. (böse Winzer); Mk 13,33-37 (Türhüter); Mt 13,24-30 (Unkraut unter dem Weizen); Mt 13,47-50 (Fischzug)445; Mt 13,52 (Hausvater); Mt 18,12-14 (verlorenes Schaf);446 Mt 20,1-16 (Arbeiter im Weinberg); Mt 21,28-32 (zwei Söhne); Mt 24,43par. Lk 12,39 (Hausherr und Dieb); Mt 24,45-51 (treuer und böser Knecht); Mt 25,14-30par. Lk 15,8-10 (Drachme); Lk 19,11-27 (anvertraute Talente/Pfunde); Mt 25,32f. (endzeitlicher Hirte)447. b) Thema: Allgemeine Mitmenschlichkeit

Mt 9,36; Mk 6,34 (Menschen als hirtenlose Schafe); Mt 18,23-35 (unbarm‐ herziger Knecht); Lk 7,41-43 (Gläubiger und Schuldner)448; Lk 10,30-37 (barmherziger Samaritaner); Lk 13,6-9 (unfruchtbarer Feigenbaum)449; Lk 15,11-32 (verlorener Sohn); Lk 16,19-31 (reicher Mann und armer Lazarus); Lk 18,1-8 (bittende Witwe); Lk 18,9-14 (Pharisäer und Zöllner). c) Thema: Prioritäten und kluge Vorsorge

Mt 7,24-27par. Lk 6,47-49 (Hausbau); Mt 13,44-46 (Schatz und Perle); Mt 22,1-14par. Lk 14,15-24 (königliche Hochzeit/großes Gastmahl); Mt 25,1-13 (zehn Jungfrauen); Lk 12,16-21 (reicher Narr); Lk 12,35-38 (Warten auf den Bräutigam); Lk 13,22-29 (enge Pforte); Lk 14,7-14 (Sitzordnung); Lk 16,1-9 (schlauer Verwalter). S 5.4 Identitätsgleichnisse und –metaphern

Die Identitätsgleichnisse und -metaphern werden im Folgenden nach der zu identifizierenden Person bzw. Gruppe gelistet: Gott, Jesus Christus, Heiliger

445 446 447 448 449

Das Gleichnis erfüllt nicht die Kriterien eines Naturgleichnisses (Evidenz einer Ent‐ wicklung oder einer Gesetzmäßigkeit). Im Fokus steht das Tun der Fischer (gegen Erlemann 2017, 96). Der Text arbeitet zwar mit einer suggestiven Frage; diese provoziert aber, anders als die Parallele Lk 15,3-7, einen paradigmatischen Rechtsentscheid (Was meint ihr?) und gehört daher zu den Alltagsgleichnissen (in Korrektur von Erlemann 2017, 105 f.). Der Text zeigt, wie Mk 9,36par., im Ansatz eine narrative Entfaltung, arbeitet nicht konfrontativ oder mit Suggestivfragen. Er ist daher (gegen Erlemann 2017, 103.106) ein Alltagsgleichnis. Das Gleichnis läuft auf einen paradigmatischen Rechtsentscheid hinaus und gehört daher zu den Alltagsgleichnissen (gegen Erlemann 2017, 106). Der Text kann auch als prophetische Zeichenhandlung gedeutet werden.

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Geist, Kosmos (verstanden im johanneischen Sinne als erlösungsbedürftige oder feindliche Umwelt), Mensch, Gemeinde und Erlösung. Intern werden die Metaphern nach Bildspendebereichen gelistet: Schöpfung, kosmische Elemente, Lebensgrundlagen, belebte/unbelebte Natur, menschliche Physis, Haus und Familie, Kult und Tempel, Recht und Gesetz, Berufe, Architektur, Militär, Spiel und Sport, Sonstiges. Metaphern, die zwei Kategorien abde‐ cken, werden doppelt aufgeführt. a) Auf Gott bezogene Metaphern

Kosmische Elemente: Apg 7,49 (Himmel als Thron Gottes; Erde als Schemel seiner Füße); 1 Joh 1,5-7; Jak 1,17 (Licht); Hebr 12,29 (verzehrendes Feuer). Menschliche Physis: Apg 2,33; 4,28; 5,31; 7,25.50; 13,11 u. a. (Rede von der [rechten] Hand Gottes). Familie: Apg 7,32 (Gott der Väter); Hebr 12,5-11 (erziehender Vater). Sonstige: 1 Joh 4,16-18 (Liebe); Apg 17,29 (Gott ist nicht wie menschliche Bilder); Apk 1,8; 4,8; 21,6 (Alpha und Omega). b) Auf Christus bezogene Metaphern

Schöpfung: Kol 1,15-17; Hebr 1,2 (Christus als Schöpfungsmittler). Kosmische Elemente: Lk 2,31f.; Apg 13,47 (Licht der Nichtjuden); 1 Joh 1,8 (wahres Licht); Apk 22,16; vgl. Lk 1,78; 2 Petr 1,19 (Morgenstern); Eph 1,21f.; 4,15; Kol 2,10 (Haupt der Mächte und Gewalten bzw. der Gemeinde). Lebensgrundlagen: Johanneische Ich-bin-Worte (Brot des Lebens Joh 6,35; Licht der Welt Joh 8,12, Tür Joh 10,9, guter Hirte Joh 10,11.14, Auferstehung und Leben Joh 11,25, Weg, Wahrheit und Leben Joh 14,6, Weinstock Joh 15,5); Apk 3,7; Apk 22,16 (Wurzel und Geschlecht Davids). Belebte Natur: Mt 23,37f.par. Lk 13,34f. (Mutterhenne Israels); Joh 1,29; Apg 8,32; 1 Petr 1,18f.; Apk 5,6-13; 19,7-9; 21,9 (Schlachtschaf bzw. Lamm Gottes). Menschliche Physis: Eph 1,21f.; 4,15; Kol 2,10 (Haupt der Mächte und Ge‐ walten). Haus und Familie: Hoheitstitel wie Sohn Gottes, Sohn Davids, Menschen‐ sohn; Röm 8,29 u. a. (Erstgeborener der Auferstehung); Joh 3,29 (Bräutigam); Apk 3,7; 22,16 (Wurzel und Geschlecht Davids); Mt 12,15-21parr. Mk 3,7-12; Lk 6,17-19; Apg 3,26; 4.27.30 (Gottesknecht). Kult und Tempel: Joh 1,29; Apg 8,32; 1 Petr 1,18f.; Apk 5,6-13; 19,7-9; 21,9 (Schlachtschaf bzw. Lamm Gottes); Joh 2,19-21; vgl. Mt 26,61parr.; 27,40parr. (neuer Tempel); 1 Kor 15,20.23 (Erstlingsgabe der Auferstehung); Hebr 7-9; vgl. Joh 4,20-24 (himmlischer Hoherpriester).

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Recht und Gesetz: Apg 10,42 (Richter der Lebenden und Toten); 1 Joh 2,1 (himmlischer Anwalt); Hebr 7,22; 8,6; 12,24 (Bürge des besseren Bundes). Berufe: Mt 3,11f.par. Lk 3,16f. (Geist- und Feuertäufer, Scheunenreiniger); Joh 10,1-18 (Hirte); 1 Petr 2,25 (Hirte und Bischof der Seelen); 1 Petr 5,4 (Oberhirte); Lk 4,23 (Arzt); Joh 14,1-6 (Wohnungseinrichter). Architektur: Mk 12,10f.parr.; Apg 4,11; Eph 4,4.12.15; 1 Petr 2,4 (verworfener Schluss-Stein). Militär: Mt 10,34-36par. Lk 12,49-53 (Schwertbringer); Apg 3,15; 5,31; Hebr 2,10; 12,2 (Anführer); Hebr 6,20 (Pionier). Sonstiges/Abstrakta: Hoheitstitel wie ‚der Herr‘, ‚das Wort‘; 2 Kor 5,21 (Christus wurde zur Sünde gemacht); Gal 3,13f. (Christus wurde zum Fluch). c) Auf den Heiligen Geist bezogene Metaphern

Kult und Tempel: Röm 8,23 (Erstlingsgabe der Erlösung). Recht und Gesetz: Joh 14,26; 15,26; 16,7; Röm 8,26f. (Paraklet/Fürsprecher, Anwalt, Sprachrohr); 2 Kor 1,22; 5,5; Eph 1,13f. (Angeld bzw. Vorschuss der Erlösung). d) Auf den feindlichen Kosmos bezogene Metaphern

Kosmische Elemente: Joh 1,5; Apg 26,18; 1 Thess 5,4 u. a. (Welt des Unglaubens als Finsternis); Apg 8,10 (Simon Magus als große Kraft Gottes); Röm 7 (Die Sünde als Macht); Jak 1,6-8 (Zweifler als Meereswoge). Belebte/unbelebte Natur: Mt 7,15; Apg 20,29 (Irrlehrer bzw. Falschpropheten in Schafskleidern und als reißende Wölfe); 1 Petr 5,8 (Satan als brüllender Löwe); 2 Petr 2,12.17; Jud 10 (Gottlose als unvernünftige Tiere bzw. Brunnen ohne Wasser, umhergetriebene Wolken). Menschliche Physis: Röm 3,12-18 (Rachen, Zunge, Mund, Füße der Gottlosen); 1 Kor 6,15.19 (Gottlose als Hurenglieder). Haus und Familie: Mt 11,16-19par. Lk 7,31-35 (spielende Kinder); Joh 8,44 (Juden als Kinder Satans); Apg 3,25 (Israel als Söhne der Propheten und des Bundes); Apg 13,10 (Elymas als Sohn des Teufels); Phil 2,15 (Gottlose als Kinder des Ungehorsams); 2 Thess 2,3 (Kaiser als Mensch der Bosheit bzw. Sohn des Verderbens); 1 Joh 3,10 (Ungläubige als Kinder des Teufels); Gal 4,1-7 (Ungetaufte als Sklaven der Mächte). Kult und Tempel: Apk 2,9; 3,9 (Juden als Synagoge Satans). Berufe: Mt 15,14par. Lk 6,39 (Pharisäer als blinde Blindenführer).450 450

Der Ausdruck wird in Erlemann 2017, 105, irrtümlich als Weisheitsgleichnis gelistet.

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Sonstiges: Mt 23,27; Apg 23,3 (Schriftgelehrte und Pharisäer bzw. Hananias als übertünchte Gräber/als getünchte Wand); 1 Kor 13,1 (lieblose Menschen als tönendes Erz, klingende Schelle). e) Auf die Gemeinde bezogene Metaphern

Schöpfung: 2 Kor 5,17 (Getaufte als neue Schöpfung); Jak 1,18 (Getaufte als Erstlinge der Geschöpfe Gottes). Kosmische Elemente: Mt 5,13-16 (Salz der Erde, Licht der Welt); Mt 16,17f. (Petrus als Fels der Gemeinde); Apg 13,47 (Paulus als Licht der Nichtjuden). Lebensgrundlagen: Mt 5,13-16 (Salz der Erde, Licht der Welt); 1 Kor 5,6-8 (Gemeinde als ungesäuerter Teig). Belebte Natur: Joh 10,1-18; Apg 20,28; 1 Petr 2,25 (Gemeinde als Schafe / Herde); 1 Petr 2,25 (Hirte und Bischof der Seelen); Joh 15,1-8 (Jünger als Reben); Apg 15,10 (indirekt: ein Joch auf dem Nacken der Jünger). Menschliche Physis: 1 Kor 6,15.19 (Gemeinde als Glieder Christi); 1 Kor 12,12-31; Eph 1,23 u. a. (Gemeinde als Leib Christi).451 Haus und Familie: Joh 3,29 (Braut Christi);452 Apg 4,29; 16,17 (Gemeinde bzw. Paulus als Knechte Gottes); Röm 1,7 (Getaufte als Geliebte Gottes, berufene Heilige); Röm 8,14-17; 1 Joh 3,1f.10 u. a. (Getaufte als Kinder Gottes); 1 Kor 3,1f.; Hebr 5,12-14 (Getaufte als unmündige Kinder); 1 Kor 4,15 u. a.; Gal 4,19 u. a. (Apostel als Vater bzw. Mutter der Gemeinde); 2 Kor 11,2f.; Apk 19,7-9 (Gemeinde als Braut Christi); Eph 5,6-8; 1 Thess 5,5.8; ; vgl. 2 Kor 4,6; Phil 2,15 (Getaufte als Kinder des Lichts); 1 Petr 2,9 (Gemeinde als auserwähltes Geschlecht); 1 Petr 4,10 (Gemeinde als Haushalter der Gnade Gottes); Röm 8,17; Eph 1,11, 1 Petr 1,3 (Getaufte als Miterben Christi); 2 Petr 1,1 u. a. (Apostel als Diener Christi); Eph 2,19-22; Phil 3,20 (Gemeinde als Hausgenossen mit himmlischem Bürgerrecht). Kult und Tempel: Apg 9,41; 26,10 (Gemeinde als die Heiligen); 1 Petr 2,5-7 (Getaufte als lebendige Steine bzw. geistliches Haus); Röm 1,7 (Getaufte als Geliebte Gottes, berufene Heilige); 1 Kor 3,16f.; 6,15.19; 2 Kor 5,16; Eph 2,19-22 u. a. (Gemeinde als Tempel des Geistes); Hebr 3,6 (Gemeinde als Haus und Tempel Christi); Jak 1,18 (Getaufte als Erstlinge der Geschöpfe Gottes); Apk 3,12 (Märtyrer als Säulen des himmlischen Tempels). 451 452

1 Kor 12,12-31 wird in Erlemann 2017, 139, als Naturgleichnis gelistet. Das ist auch möglich, wird hier aber anders bewertet, da die Gleichung Gemeinde = Leib Christi den Ausgangspunkt des Textes bildet. Erlemann 2017, 108, sieht hierin ein Weisheitsgleichnis. Das ist gemäß der nachjus‐ tierten Kategorien des vorliegenden Buches nicht korrekt.

S 5 Übersicht: Gleichnistexte

Recht und Gesetz: Apg 1,8.22; 2,32.40 u. a. (Jünger und Apostel als Zeugen der Auferstehung bzw. des Reiches Gottes); Apg 20,32; Röm 8,17; Eph 1,11; 1 Petr 1,3 (Getaufte als Miterben Christi); Eph 2,19-22; Phil 3,20 (Gemeinde als Hausgenossen mit himmlischem Bürgerrecht); 1 Kor 9,2; vgl. 2 Kor 3,2f. (Gemeinde als Siegel bzw. Empfehlungsbrief des Apostels). Berufe: Mk 1,17parr. Mt 4,19; vgl. Lk 5,10 (Jünger als Menschenfischer); Mt 9,37f.par. Lk 10,2; 1 Kor 3,6-15 (Apostel als Gärtner und Baumeister); Apg 20,28; 1 Petr 5,1f. (Gemeindeleiter als Hirten). Architektur: Eph 2,19-22 (Apostel als Fundament der Gemeinde); 1 Petr 2,5-7 (Getaufte als lebendige Steine bzw. geistliches Haus); 1 Kor 3,6-15 (Apostel als Gärtner und Baumeister). Militär: 2 Tim 2,3-5; vgl. 1 Tim 6,12 (Getaufte als Soldaten Christi). Spiel und Sport: Apg 20,24 (Paulus vollendet seinen Lauf); 1 Thess 2,19 (Gemeinde als Ruhmeskranz des Apostels). Sonstiges/Abstrakta: Apg 9,15 (Paulus als Werkzeug Gottes); Röm 6,3-7,6; vgl. Gal 2,19; Kol 2,12 (Getaufte als Mitgekreuzigte); Röm 9,23 (Getaufte als Gefäße der Barmherzigkeit); 1 Petr 1,3 (Gemeinde als lebendige Hoffnung). f) Auf den Erlösungsvorgang bezogene Metaphern

Kult und Tempel: Mt 26,26-28parr. Mk 14,22-24; Lk 22,19f. (Leib und Blut als neuer Bund); Hebr 12,24 (Tod Jesu als Blut der Besprengung, das lauter redet als Abels Blut); Hebr 8,5; 9,23f. (der Jerusalemer Tempel als Schatten des himmlischen Tempels); Hebr 10,20 (Tod Jesu als Tempelvorhang). Berufe: Gal 3,24f. (das Gesetz als Pädagoge). Militär: 1 Thess 5,8; 2 Kor 10,3-5.8; Eph 6,10-17 (geistliche Waffenrüstung). Sonstiges: Apg 14,27 (Verkündigung als Öffnen der Tür des Glaubens); Apg 20,32 u. a. (Rede vom Erbe Gottes); Hebr 6,19 (Hoffnung als sicherer und fester Anker der Seele); Mt 11,14; Mk 9,11-13par.; vgl. Joh 3,29 (Johannes als Freund des Bräutigams); Apk 11,1-14 (Johannes als Elia redivivus); 1 Kor 13,4ff. (Umschreibung der Liebe).

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S 6 Literatur 1. Primärliteratur A RISTOTELES (1980): Rhetorik. Übers. F. G. Sieveke. München. B ERGER, Klaus/C OLPE, Carsten (1987): Religionsgeschichtliches Textbuch zum Neuen Testament. Texte zum Neuen Testament (NTD Textreihe Bd. 1). Göttingen. D ITHMAR, Reinhard (Hg.) (1995): Fabeln, Parabeln und Gleichnisse. Paderborn. F LUSSER, David (1981): Die rabbinischen Gleichnisse und der Gleichniserzähler Jesus (Teil I; Judaica et Christiana 4). Bern u. a. H AENCHEN, Ernst (1976): Das Thomas-Evangelium, in: Kurt Aland (Hg.), Synopsis Quattuor Evangeliorum. Locis parallelis evangeliorum apocryphorum et patrum adhibitis. Stuttgart, S. 517-530. L ASKER -S CHÜLER, Else (1996): Mein blaues Klavier [EA 1937], in: Norbert Oellers u. a. (Hgg.), Else Lasker-Schüler. Werke und Briefe. Kritische Ausgabe Bd. I.1. Frankfurt am Main, S. 267. L ESSING, Gotthold Ephraim (1967): Fabeln. Abhandlungen über die Fabel. Hgg. von Heinz Rölleke. Stuttgart. L OERKE, Oskar (2010): Sämtliche Gedichte Bd. 1. Göttingen. S ALOMONS, Robert P. (1976): Einige Wiener Papyri. Amsterdam. S CHNUR, Harry C. (Hg.) (1978): Fabeln der Antike. München. 2. Sekundärliteratur A BRAHAM, Werner (1998): Linguistik der uneigentlichen Rede. Analysen an den Rändern der Sprache. Tübingen. A RENS, Edmund (1982): Kommunikative Handlungen. Die paradigmatische Bedeutung der Gleichnisse Jesu für eine Handlungstheorie. Düsseldorf. A SMUTH, Bernhard (2006): Metapher, in: Horst Brunner/ Rainer Moritz (Hgg.), Litera‐ turwissenschaftliches Lexikon. Grundbegriffe der Germanistik. 2. Auflage Berlin, S.  259-263. A URELIO, Tullio (1977): Disclosures in den Gleichnissen Jesu. Eine Anwendung der disclosure-Theorie von I.T. Ramsey, der modernen Metaphorik und der Theorie der Sprechakte auf die Gleichnisse Jesu. Frankfurt/M. u. a. B ALDERMANN, Ingo (1966): Biblische Didaktik. Die sprachliche Form als Leitfaden unterrichtlicher Texterschließung am Beispiel synoptischer Erzählungen. 3. Auflage 1966 (1. Auflage 1963) Hamburg.

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Das Standardwerk für den wissenschaftlichen Umgang mit biblischen Gleichnissen und Metaphern bietet einen Überblick über die Gleichnisforschung seit Jülicher, führt die Gleichnistheorie innovativ weiter und eröffnet so einen umfassenden Problemhorizont. Thesen und Begriffsklärungen erleichtern den Einstieg ins Thema. Ein Leitfaden zur Auslegungsmethodik und Musterexegesen helfen bei der exegetischen Erschließung der Texte. Ein Abschnitt zur Theologie der Gleichnisse zeigt deren inhaltliche Reichhaltigkeit. Pädagogische und didaktischmethodische Impulse mit exemplarischen Unterrichtsskizzen runden das Konzept ab. Textboxen, Tabellen, Grafiken und ein ergiebiger Serviceteil machen das Lehrbuch zu einem wertvollen Begleiter für Studium und Unterrichtspraxis.

Dies ist ein utb-Band aus dem Narr Francke Attempto Verlag. utb ist eine Kooperation von Verlagen mit einem gemeinsamen Ziel: Lehrbücher und Lernmedien für das erfolgreiche Studium zu veröffentlichen.

ISBN 978-3-8252-5494-0

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