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German Pages [512] Year 1995
de Gruyter Lehrbuch Amann · Gewöhnliche Differentialgleichungen
Herbert Amann
Gewöhnliche Differentialgleichungen 2., überarbeitete Auflage
W Walter de Gruyter DE
G Berlin · New York 1995
Autor
Herbert Amann Mathematisches Institut Universität Zürich-Irchel Winterthurerstraße 190 CH-8057 Zürich
Mit 177 Abbildungen 1991 Mathematics Subject Classification: 34-01
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche Bibliothek - CIF'-Einheitsaufnahme Amann, Herbert
Gewöhnliche Differentialgleichungen / Herbert Amann. - 2., überarb. Aufl. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1995 (de-Gruyter-Lehrbuch) ISBN 3-11-014582-0 kart ISBN 3-11-014583-9 Lin. © Copyright 1995 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz und Druck: Tutte Druckerei GmbH, Salzweg-Passau - Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin.
„Unter allen Disziplinen der Mathematik ist die Theorie der Differentialgleichungen die wichtigste. Alle Zweige der Physik stellen uns Probleme, die auf die Integration von Differentialgleichungen hinauskommen. Es gibt ja überhaupt die Theorie der Differentialgleichungen den Weg zur Erklärung aller elementaren Naturphänomene, die Zeit brauchen. Hat somit die Theorie der Differentialgleichungen eine unendliche praktische Bedeutung, so hat sie auf der anderen Seite dadurch eine entsprechende theoretische Wichtigkeit, daß sie in rationeller Weise zum Studium neuer wichtiger Funktionen, beziehungsweise Funktionenklassen leitet." . Sophus Lie (1894)
Vorwort Das vorliegende Buch bietet eine Einführung in die Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen. Dabei wird versucht, dem Leser einen Einblick in die größeren Zusammenhänge zu geben, in welche diese Theorie eingebettet ist. Ich habe mich nicht gescheut, manchmal etwas weiter auszuholen und Fragen zu behandeln, die üblicherweise nicht in Lehrbüchern über gewöhnliche Differentialgleichungen zu finden sind. So werden z. B. die Grundlagen der Variationsrechnung besprochen und eine praktisch in sich geschlossene Darstellung des Brouwerschen Abbildungsgrades sowie ein Beweis des Borsukschen Antipodensatzes gegeben. Im Zusammenhang mit der Poincare-Bendixson-Theorie wird die w-dimensionale Windungszahl eines Vektorfeldes eingeführt und ihre Relation zum Abbildungsgrad aufgezeigt. Die Theorie der Differentialgleichungen ist ein zentrales Gebiet der Analysis, ja der gesamten Mathematik. Sie steht in unzähligen Querverbindungen zu anderen Teilen der Mathematik und vielen naturwissenschaftlichen Disziplinen. So wurden große Teile der modernen linearen und nichtlinearen Funktionalanalysis zur Behandlung von Fragekomplexen aus dem Bereich der Differentialgleichungen entwickelt. Dies gilt zwar in erster Linie für die Theorie der partiellen Differentialgleichungen. Jedoch auch bei gewöhnlichen Differentialgleichungen ist es von großem Nutzen, den etwas abstrakteren Standpunkt der Funktionalanalysis einzunehmen. Die gesamte Theorie gewinnt dadurch erheblich an Klarheit und Durchsichtigkeit sowie an geometrischer Anschaulichkeit. Beim Abfassen dieses Buches - das aus Vorlesungen, die ich an den Universitäten Bochum, Kiel und Zürich (teilweise unter anderen Titeln) gehalten habe, hervorge-
VI
Vorwort
gangen ist - war mein Blick stets auf die Theorie der partiellen Evolutionsgleichungen gerichtet. Aus diesem Grunde habe ich an manchen Stellen die Theorie in einem etwas allgemeineren Rahmen entwickelt - z. B. werden die Grundlagen der Halbflüsse auf metrischen Räumen behandelt - als dies für gewöhnliche Differentialgleichungen notwendig und üblich ist. Naturgemäß sind gewöhnliche Differentialgleichungen mit weit weniger technischem Aufwand als partielle Differentialgleichungen zu behandeln, wodurch der geometrisch-anschauliche Hintergrund klarer zum Vorschein tritt. Dem Studenten können so in einfacher und natürlicher Weise die allgemeinen Prinzipien nahegebracht werden, welche großen Teilen der Theorie der partiellen Evolutionsgleichungen zu Grunde liegen. Die Auswahl des Stoffes ist natürlich subjektiv bedingt. Jedoch habe ich mich bemüht, die wichtigsten Methoden und Beweistechniken der allgemeinen Theorie der (Anfangswertprobleme bei) gewöhnlichen Differentialgleichungen vorzustellen. Zwei Ausnahmen betreffen die weitentwickelte und tiefliegende Stabilitätstheorie Hamiltonscher Systeme sowie die allgemeine strukturelle Stabilitätstheorie, d.h. die tieferliegende topologische Dynamik. Für beide Bereiche gibt es ausgezeichnete Darstellungen aus kompetenterer Feder. Nicht behandelt werden Randwertprobleme, die meines Erachtens ihren natürlichen Rahmen in der funktionalanalytischen Theorie elliptischer Randwertprobleme finden. Meine Zielsetzung ist, neben der Einführung in die wichtige dynamische Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen den Studenten auf das Studium von Evolutionsgleichungen in unendlichdimensionalen Räumen vorzubereiten. Das vorliegende Buch stellt auch eine Einführung in die nichtlineare Funktionalanalysis dar. Obwohl die Probleme durchweg endlichdimensional sind, wird man im Zusammenhang mit Fragestellungen aus dem Bereich der gewöhnlichen Differentialgleichungen in natürlicher Weise an Methoden der nichtlinearen Funktionalanalysis herangeführt. So kommt man z. B. über das Problem der Existenz periodischer Lösungen nichtautonomer Gleichungen auf Fixpunktprobleme, die mit Abbildungsgradtechniken behandelt werden können. Ebenso gibt das Studium des Verhaltens von Lösungen bei stetigen Änderungen eines Parameters Anlaß zur Untersuchung von Bifurkationsproblemen, deren Bedeutung weit über die Theorie der gewöhnlichen Differentialgleichungen hinausgeht. Die funktionalanalytischen Hilfsmittel werden zuerst in einfachen endlichdimensionalen Versionen eingeführt und nur dort verwendet, wo sie auch wirklich mit Nutzen eingesetzt werden können. Die Beweise sind aber - falls dies ohne allzu großen Mehraufwand möglich ist - so geführt, daß sie auch im unendlichdimensionalen Fall gültig sind. Eine Ausnahme macht hier lediglich die Theorie der linearen Differentialgleichungen, bei der ich die Methoden der Linearen Algebra verwendet
Vorwort
VII
habe. Da bei partiellen Differentialgleichungen in erster Linie unbeschränkte Operatoren auftreten, scheint es mir sinnvoll, die funktionalanalytische Spektraltheorie erst dann heranzuziehen, wenn sie auch wirklich benötigt wird. Das Buch richtet sich an Studenten ab zweitem Studienjahr. Neben den üblichen Grundkenntnissen über Lineare Algebra wird Vertrautheit mit der Differentialrechnung von Funktionen mehrerer Variablen vorausgesetzt, wobei ich in erster Linie an den koordinatenfreien Zugang denke, wie er in den meisten neueren Lehrbüchern durchgeführt wird. An einigen Stellen habe ich den Kalkül der alternierenden Differentialformen verwendet. Diese wenigen Abschnitte sind jedoch für das Verständnis der übrigen Teile des Buches nicht notwendig. Vorkenntnisse über Differentialgleichungen oder Funktionalanalysis sind nicht erforderlich. Ich habe mich bemüht, einerseits die Anforderungen genügend niedrig zu halten, um einen weiten Leserkreis anzusprechen, andererseits den Leser zu motivieren, sich eingehender mit der funktionalanalytischen Betrachtungsweise vertraut zu machen, um auch komplexere Probleme - wie z. B. partielle Differentialgleichungen - mit Gewinn studieren zu können. Der logisch konsequente Aufbau der Theorie beginnt mit dem zweiten Kapitel. Das erste Kapitel spielt eine Sonderrolle. Es hat weitgehend motivierenden Charakter und dient dazu aufzuzeigen, „wo Differentialgleichungen herkommen" und was einige der typischen Fragestellungen sind, die in dieser Disziplin untersucht werden. Die Diskussion besteht hier des öfteren aus Plausibilitätsbetrachtungen und die Anforderungen sind heterogen. An einigen Stellen wird vom Leser eine gewisse mathematische Reife erwartet, da manche Begriffe und Techniken ohne vorherige Einführung verwendet werden. Die späteren Kapitel sind jedoch hiervon unabhängigDie im ersten Kapitel - und insbesondere im ersten Paragraphen - auf heuristischer Basis diskutierten leicht verständlichen Beispiele und Modellprobleme werden in den späteren Kapiteln explizit oder implizit immer wieder aufgenommen, um die bereitgestellte Theorie an ihnen zu testen. Die Ausführungen über Diffusionsprobleme dienen lediglich dazu, dem Leser einen Ausblick über den engen Rahmen der gewöhnlichen Differentialgleichungen hinweg zu verschaffen. Mein besonderer Dank gilt Frau S. Bra wer für das sorgfältige Schreiben des Manuskripts und die geduldige Durchführung der vielen Änderungen, die vom ersten Entwurf zum druckfertigen Manuskript führten. Dem Verlag danke ich für die gute Zusammenarbeit bei der Herstellung dieses Buches. Zürich, im Juni 1983
Herbert Amann
Vorwort zur zweiten Auflage In dieser Neuauflage habe ich einige Beweise vereinfacht und Druckfehler sowie Ungenauigkeiten berichtigt, auf die mich aufmerksame Leser hinwiesen. Ihnen allen möchte ich dafür herzlich danken. Mein besonderer Dank gilt auch dem Verlag - insbesondere Herrn Dr. Karbe - für die stets gute und angenehme Zusammenarbeit. Zürich, im Oktober 1994
Herbert Amann
Inhalt
Kapitel I: Einführung
l
1. ökologische Modelle 2. Variationsprobleme 3. Klassische Mechanik 4. Diffusionsprobleme 5. Elementare Integrationsmethoden
l 14 31 54 74
Kapitel II: Existenz- und Stetigkeitssätze
99
6. Hilfsmittel 7. Existenzsätze 8. Stetigkeitssätze 9. Differenzierbarkeitssätze 10. Flüsse
99 106 117 126 134
Kapitel III: Lineare Differentialgleichungen
151
11. Lineare nichtautonome Differentialgleichungen 12. Lineare autonome Differentialgleichungen 13. Die Klassifikation linearer Flüsse 14. Lineare Differentialgleichungen höherer Ordnung
151 167 184 205
Kapitel IV: Qualitative Theorie
219
15. Ljapunovstabilität 16. Invarianz 17. Limesmengen und Attraktoren 18. Ljapunovfunktionen 19. Linearisierungen
219 233 248 255 276
X
Inhalt
Kapitel V: Periodische Lösungen
301
20. 21. 22. 23. 24.
Lineare periodische Differentialgleichungen Der Brouwersche Abbildungsgrad Die Existenz periodischer Lösungen Die Stabilität periodischer Lösungen Ebene Flüsse
302 311 327 340 358
Kapitel VI: Kontinuitäts- und Bifurkationsprobleme
381
25. Kontinuitätsmethoden 26. Verzweigungsprobleme 27. Die Stabilität der Verzweigungslösungen
382 399 447
Bemerkungen Literatur Register
481 485 495
Bezeichnungen
N
:= {0, l , 2, . . . , } ist die Menge aller natürlichen Zahlen.
R+
ist die Menge der nichtnegativen reellen Zahlen.
K
·= R oder C.
|.|
bezeichnet i. a. die euklidische Norm auf IK m, kann aber auch die Norm in einem beliebigen normierten Vektorraum (NVR) bedeuten (je nach Kontext).
B (je, r) bezeichnet den offenen Ball mit Mittelpunkt und Radius r > 0 in einem metrischen Raum, speziell in einem NVR. Im letzteren Fall schreiben wir auch x + r B. Bm
ist der offene Einheitsball in R m.
Sm
ist die m-dimensionale Einheitssphäre, d.h. S"1 = öB m+1 .
0, derart, daß die Wachstumsrate negativ wird, wenn p den Wert übersteigt, d. h. es soll gelten: r(t,p)£Q
für
^
.
Eine äußerst einfache Situation dieser Art liegt vor, wenn r eine lineare Funktion von p ist:
r(t,p) = ß t f - p )
V/>eR
mit , >0. Mit diesem Ansatz nimmt die Wachstumsgleichung die spezielle Form
(6)
=
-
2
=( -
) , «:=
an. Dies ist die sog. Gleichung des beschränkten Wachstums oder die logistische Differentialgleichung. Zur Lösung der Gleichung (6), zu ihrer „Integration", gehen wir analog zum Fall (a) vor, d. h. wir trennen die Variablen (nämlich/) und /, wobei die letztere nicht explizit
Kapitel I: Einführung
auftritt). Wir schreiben (6) in der Form (7)
P = 1, (x-ßp)p
wobei wir natürlich die Fälle p = 0 und p = / = ausschließen. Wenn wir mit F eine Stammfunktion von l/(a — ßp)p bezeichnen, d. h. wenn
gilt, so ist (7) offensichtlich äquivalent zu d — (F(p(t)))= l , dt
also zu (8)
F(p(t)) = t + c
mit einer Konstanten c E IR . Hierbei können wir eine beliebige Stammfunktion F wählen, da sich zwei solche Funktionen bekanntlich nur durch eine Konstante unterscheiden, die natürlich mit in c aufgenommen werden kann. Durch Partialbruchzerlegung folgt sofort i/«
dp J
zja-ßp
0, und es folgt Po
« - Po
d.h. (10)
/»(/) =
Vfe
Die Herleitung zeigt wieder, da f r p0 Φ 0 und p0 φ ξ = α/ β die durch (10) gegebene Funktion p die eindeutig bestimmte L sung des AWP
p = (ot- p)p, ist. Aus (10) liest man ab, da gilt p(t) t ξ
f r
t -» oo, falls 0 < p0 < ξ
ρ(ί)1ξ
f r
i-* oo, falls p0 > ξ
und ist. Durch Differenzieren der Differentialgleichung erhalten wir ρ = (ρ)'=(Λ-2βρ)(Λ-βρ)ρ. Also ist p>0 f r p € (Ο,ξ/2) u (i, oo)
und ^) im Punkt /> e R 2 erhalten wir das Richtungsfeld der Differentialgleichung (13). Eine L sung von (13) ist dann eine (durch / e / c= IR parametrisierte orientierte) Kurve C in R 2, derart da in jedem Punkt p von C der Vektor /(p) ein Tangentialvektor an C ist. Im Falle des Systems (12) gibt es zwei Ruhepunkte (d.h. peR2 mit f(p) = 0), n mlich p0 = (0,0) und p1 := (y/ 0 für / -» oo). Ist keine Räuberspezies vorhanden (y0 = 0), wächst die Beutepopulation unbegrenzt (x(t) -» oo für / -> oo). Hierin spiegelt sich natürlich die Tatsache, daß in diesen Fällen das Modell in das in
Kapitel I: Einf hrung
10
(1.1 a) behandelte Einpopulationsmodell bergeht. Im Gegensatz zum obigen Fall ist dieses Verhalten jedoch instabil. Eine kleine nderung in den Anfangsdaten (z. B. der bergang von x0 = 0 zu x0 > 0) hat ein total anderes Langzeitverhalten zur Folge. (b) R uber-Beute-Modelle mit beschr nktem Wachstum. In Analogie zur logistischen Gleichung von (l. l b) modifizieren wir nun das Volterra-Lotka-System durch „soziale Reibungsterme", welche insbesondere verhindern, da bei Abwesenheit des R ubers die Beutepopulation unbeschr nkt w chst. Wir betrachten nun das System Λ: = (α — y)x — λχ2
y = (δχ — y)y — μγ2
mit positiven Konstanten a, , y, δ, λ, μ, d. h. das System
(14)
* = (*- y-W*
Um das Richtungsfeld zu erhalten, beachten wir, da l ngs der Geraden L: α - y - λχ = 0
das Vektorfeld parallel zur y-Achse ist (x — 0), und da auf der Geraden M: δχ — y — μγ = 0
die Tangentialvektoren an die L sungskurven horizontal sind (y = 0). In Abbildung 5 betrachten wir den Fall, da sich die beiden Geraden L und M im
α/λ
γ/6
Abb. 5: Das Richtungsfeld f r (14), wenn L und M keinen Schnittpunkt in IR \ haben
1. Ökologische Modelle
11
ersten Quadranten nicht schneiden. In diesem Fall hat das System (14) im interessierenden Bereich R + die beiden Ruhepunkte (0,0) und (a/A, 0). Wir werden später zeigen, daß die Lösungskurven für alle Zeiten existieren und das in Abbildung 5 angedeutete qualitative Verhalten haben. Insbesondere stirbt also die Räuberspezies stets aus und das System geht asymptotisch in die Ruhelage (a/A, 0) über, die stabil und „anziehend" ist, falls zur Anfangszeit t0 eine positive Beutepopulation x0 vorhanden ist. Ist x0 = 0, so stirbt der Räuber aus, wobei dieser Fall wiederum instabil ist.
Abb. 6: Das Richtungsfeld für (14), falls sich L und M im positiven Quadranten schneiden
Im zweiten Fall schneiden sich die Geraden L und M im positiven Quadranten. Dann ist der Schnittpunkt z ein weiterer Ruhepunkt und das Richtungsfeld hat das in Abbildung 6 angegebene qualitative Verhalten. Wir werden später sehen, daß es dann grundsätzlich zwei Möglichkeiten für das qualitative Verhalten der Lösungskurven gibt, wobei wir uns auf den interessanten Fall XQ > 0, y0 > 0 beschränken.
•-x Abb. 7: Der Fall des global attraktiven Ruhepunktes
12
Kapitel I: Einführung
Im ersten Fall ist z ein „global attraktiver" Ruhepunkt. Jede Lösungskurve nähert sich für t -> oo dem Ruhepunkt z. Im Fall der Abbildung 7 „drehen sich die Lösungen für t -» oo spiralförmig in den Ruhepunkt z hinein". In diesem Fall nähern sich die beiden Populationen langfristig dem „Gleichgewichtspunkt" z = (z1, z2), wobei sie gegenläufige „gedämpfte Schwingungen" um z 1 bzw. z 2 ausführen. Diese Annäherung kann allerdings auch „aperiodisch " geschehen (der Fall des stabilen Knotens). Im zweiten Fall gibt es eine den Ruhepunkt z im Innern enthaltende geschlossene Kurve - einen Grenzzyklus -, um die sich jede im Äußeren startende Lösungskurve unendlich oft herumwickelt und der sie immer näher kommt. Der Ruhepunkt z ist nach wie vor ein stabiler Ruhepunkt, jedoch ist er nicht mehr global stabil. Nur noch solche Lösungskurven, die im Inneren des Grenzzyklus starten, können sich langfristig z nähern. Wir sehen also (wenn die obigen Behauptungen exakt bewiesen sind), daß das Räuber-Beute-Modell, welches durch die Differentialgleichungen (14) beschrieben wird, sich langfristig entweder einem Gleichgewichtszustand oder einer periodischen Populationsentwicklung nähert.
Abb. 8: Der Fall des Grenzzyklus Bemerkungen: (a) Wir gehen hier weder auf den historischen Hintergrund dieser Modelle ein, noch auf die Problematik ihrer Interpretation. Für Geschichte (und Geschichtchen!) verweisen wir auf das Buch von M. Braun [1] und die dort angegebene Literatur. Zur Problematik dieser Modelle sei nur bemerkt, daß es sich - ungeachtet ihrer Beliebtheit in der „biomathematischen Literatur" - nur um allereinfachste Modelle handelt, die Naturvorgänge höchstens in sehr beschränktem Rahmen zu beschreiben vermögen. Verfeinerte Modelle müßten u. a. auch räumliche Verteilungen der Spezies sowie „Wanderungseffekte" berücksichtigen, wie sie z. B. bei Ausbreitungen von Epidemien von großer Bedeutung sind. Derartige Probleme führen zu partiellen Differentialgleichungen (insbesondere zu sog. ReaktionsDiffusionsgleichungen (vgl. Abschnitt 4)), die mathematisch wesentlich schwieriger zu behandeln sind, und über die zum gegenwärtigen Zeitpunkt recht wenig bekannt ist.
l . ökologische Modelle
13
(b) Alle Probleme dieses Abschnitts sind AWP der folgenden Art. Es ist eine (glatte) Funktion
gegeben, und gesucht ist eine (stetig differenzierbare) Funktion p : I c R -> R m , welche die Differentialgleichung
j(0=/0»(0), V i e / und die Anfangsbedingung
P (t ) = Po erfüllt, wobei /ein Intervall in IR ist mit t0 e /. Von Interesse ist neben der reinen Existenz von Lösungen deren qualitatives Langzeitverhalten, insbesondere auch in Abhängigkeit von den Anfangswerten p0 (das „Stabilitätsproblem"). Geometrisch wird hierbei/als Vektorfeld auf IRm interpretiert („in jedem Punkt p e R m wird der Vektor /(/>) e IR m angeheftet"), und gesucht sind Kurven, C, welche in jedem Punkt p e C den Vektor f(p) als Tangentialvektor besitzen Im allgemeinen Fall wird also/ein Vektorfeld auf einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit M sein (d. h./ist ein Schnitt im Tangentialbündel T(M)) und gesucht sind Kurven C in M, welche in jedem Punkt p e C den Vektor f(p) e Tp(M) als Tangentialvektor besitzen.
Aufgaben 1. Verifizieren Sie die Behauptungen des Textes, daß die AWP p = ) eindeutig lösbar sind. 2. Gegeben sei das einparametrige System
x = 2x, y =
,
.
Bestimmen Sie alle Lösungen und skizzieren Sie die Phasenporträts für 3. Bestimmen Sie alle Lösungen des Systems
= — l, 0, l, 2.
und skizzieren Sie das Phasenporträt. (Hinweis: führen Sie neue Variablen ( , ) durch
Kapitel I: Einführung
14
die Transformation
ein.) Warum wird diese Transformation wohl ausgeführt?
2. Variationsprobleme (2.1) Geodätische: Es sei M 0 mit dist(M, Wc) = inf inf \m meM
\ > 2r
(mit der Vereinbarung: dist(M, ) :— oo) . Für jedes yeE mit \\x — y\\c> < r gilt dann yeUw, d.h. Uw ist offen in E,
D m
(2.5) Lemma: Cjflot, ß], R ) := {xeE\x(u) = x(ß) = 0} ist ein abgeschlossener Untervektorraum von E. Für jedes xeE mit Je (a) = a und x(ß) — b gilt
18
Kapitel I: Einführung
M:= {xeE\x(a) = a,x(ß) = b] = x + (^([a, ß ] , R m ), d. h. M ist eine (abgeschlossene) lineare Mannigfaltigkeit in E. Beweis: Die Behauptung ist trivial.
D Es seien nun U:= M r\ Uw (d. h. U = Z) und (1)
f(x):=]L(t,x(t\x(i))dt
V* ei/.
oc
Dann ist U offen in M, und / ist eine reellwertige Funktion auf U,
Das obige Variationsproblem hat nun die einfache abstrakte Formulierung: gesucht wird ein e U mit
d. h. gesucht wird ein globales Minimum der Funktion / in U. Wir sehen also, daß durch geeignete Interpretation (die Wege der Klasse Z werden als Punkte in einem Funktionenraum, nämlich E, interpretiert) das Variationsproblem auf eine einfache Gestalt gebracht wird, welche dem klassischen Problem, eine Funktion von einer Variablen zu minimieren, formal analog ist. Im klassischen Fall einer reellen Variablen ist bekannt, daß ein Minimum auf einer offenen Menge notwendigerweise in einem kritischen Punkt angenommen werden muß, d. h. in einem Punkt, in dem die Ableitung verschwindet. Ist U eine offene Menge des Rm, so verschwinden in einem kritischen Punkt insbesondere alle Richtungsableitungen. Wir werden nun sehen, daß sich - wiederum bei geeigneter Interpretation dieses Kriterium wörtlich auf den abstrakten Fall übertragen läßt. Da in unserem Fall U nur in der linearen Mannigfaltigkeit M offen ist, können natürlich nur solche Richtungen ve E betrachtet werden, für die x0 + t v für kleine 1 1 \ in U liegt. Dies ist in der folgenden Definition der Richtungsableitung zu berücksichtigen. Es seien E ein normierter Vektorraum und M eine lineare Mannigfaltigkeit in E (d. h. es existieren ein eindeutig bestimmter Untervektorraum V von E und ein Element m e E mit M = m + V. Hierbei ist natürlich m nur modulo V bestimmt, d. h. m + V = m^ + V genau dann, wenn m — ml e V gilt). Ferner sei U offen in M, und /: U -»· R sei gegeben. Für «0 e M und jedes v e V setzen wir
2. Variationsprobleme
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falls dieser Grenzwert existiert. D. h. ) V A e R . In der Tat, für A
0 gilt
.,, . , ,. ...