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German Pages 338 [364] Year 1969
Guido Kisch Gestalten und Probleme aus Humanismus und Jurisprudenz
Gestalten und Probleme aus Humanismus und Jurisprudenz Neue Studien und Texte
Von
Guido Kisch
Walter de Gruyter & Co. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp.
Berlin 1969
Archiv-Nr. 36 95 681
© 1968 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung * J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung * Georg Reimer * Karl J . Trübner * Veit £c Comp., Berlin 30 Printed in Germany Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikroskopie) zu vervielfältigen. Satt und Druck: H. Heenemann K G • Berlin 31
Vorwort Wiederholt ist in den letzten Jahren für das große Gebiet der Geistesgeschichte von Renaissance und Humanismus der Wunsch nach neuen Untersuchungen und kritischen Ausgaben seltener oder unveröffentlichter Dokumente des 16. Jahrhunderts geäußert worden. „We need much more research, that is, more monographic studies and more critical editions of rare or unpublished texts, before we can hope to agree on a satisfactory synthesis and interpretation of Renaissance thought" (Paul O. Kristeller). Für das erst vor nicht langer Zeit in Angriff genommene Teilgebiet jener Forschungsbereiche, die Geschichte von Humanismus und Jurisprudenz, möchte die hier vereinigte Sammlung von Einzelstudien, welche zwar getrennt zu verschiedenen Zeiten und aus verschiedenen Anlässen entstanden sind, jedoch inneren Zusammenhang aufweisen, neue Beiträge liefern. Sie ergänzen in mancher Hinsicht die früheren Arbeiten des Verfassers und werden vielleicht von neuem Anregung zu weiteren Forschungen geben. Er ist sich aber bewußt, daß sie nur eine Stufe im Fortschritt der Erkenntnis bedeuten. Andere Forscher werden vielleicht weiter gelangen, spätere werden anders fragen, anders sehen. So will es, um mit Werner Näf zu reden, das Gesetz alles geistigen Lebens. Die auf der sicheren Grundlage der Quellen in vorsichtig abwägendem Studium erarbeiteten Ergebnisse werden jedoch nur dann erschüttert werden können und dürfen, wenn ihnen bisher etwa unbekannt gebliebene, neu entdeckte Urkunden entgegengehalten werden können, nicht aber wenn jenen ohne solche Basis bloß intuitiv oder gar willkürlich gebildete Meinungen entgegengesetzt werden. Dann wird sich wohl auch die Hoffnung erfüllen, daß durch die gewonnenen wissenschaftsgeschichtlichen und rechtshistorischen Erkenntnisse die noch immer nicht unumstrittene Bedeutung der Geschichte von Jurisprudenz und Humanismus zu voller Anerkennung gelangen wird. Während der Entstehung der Studien, welche hier sämtlich erst-
Vorwort
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mals veröffentlicht werden, durfte sich der Verfasser mancher Förderung durch Gedankenaustausch mit gelehrten Freunden erfreuen, die sich mit ähnlichen Problemen beschäftigten. Mochten die empfangenen Anregungen seinen Arbeiten auch nur mittelbar zugutegekommen sein, so haben ihn doch die engen wissenschaftlichen und persönlichen Bande veranlaßt, seinem Dank nach altem Humanistenbrauch durch Widmung einzelner Abhandlungen Ausdruck zu geben. Warmer Dank richtet sich auch an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die seine Arbeiten während zweier Jahre durch Gewährung einer Hilfskraft gefördert hat. Basel, im Frühjahr 1968
Guido Kisch
Inhaltsverzeichnis
Vorwort Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Abbildungen
5 7 11
I. Accursius-Studien 1. Die Verbreitung des accursischen Glossenwerks außerhalb Italiens 17 2. Zur Biographie des Accursius 26 3. Die Gegner des Accursius 36 4. Accursius' Verteidiger 56 5. Accursius'Grabschrift 75 6. Das Bild des Accursius im Wandel der Zeiten 79 Die Accursius-Biographien von: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Philippus Villanus Dominicus Bandinus Johannes von Tritheim Thomas Diplovatatius Johannes Fichard Marcus Mantua Benavides Guido Panzirolus Janus Vincentius Gravina
79 81 82 82 83 85 86 90
Anhang 1. Ulrich Zasius' Widmungsvorrede für Johannes Renner zu den LucubrationeSy Basel 1518 2. Claudius Cantiuncula über Accursius und die Glossatoren, aus De ratione studii legatis Paraenesis, Basel 1522
93 96
8
Inhaltsverzeichnis
IL Amerbach und Vadian als Verteidiger des Bartolas 1. Bonifacius Amerbachs Defensio interpretum iuris civilis .... 101 2. Vadians Widmungsschreiben zu seinen Valla-Ausgaben .. 113 3. Amerbach und Vadian 128 4. Äußere Argumente gegen die Abhängigkeit Amerbachs von Vadian 131 5. Die Veranlassung zu Vadians Publikation 141 6. Innere Unschlüssigkeit der Abhängigkeitshypothese . . . . 145 7. Unabhängigkeit der Amerbachschen Gedankenführung .. 152 Anhang 1. Bonifacius Amerbach, Defensio interpretum iuris civilis, 1524—1525 167 2. Ioachimus Vadianus, Epístola dedicatoria ad Laurentii Vallae Contra Bartoli libellum, cui titulus „De insigniis et armis" epistolam, 1516, 1518 179 3. Laurentius Valla, In tertium librum Elegantiarum Praefatio, zwischen 1435 und 1440 181 III. Johannes Saxonius Hattestedius: Ein Verteidiger der mittelalterlichen Interpreten des römischen Rechts 185 Anhang 1. Johannes Saxonius Hattestedius an Bonifacius Amerbach, Basel, Frühjahr 1547 195 2. Empfehlungsschreiben des Andreas Alciatus für Hattestedius an Vigüus van Aytta van Zwiehern, Pavia, 31. Januar 1548 196 IV. Haloander-Studien 1. Zur Biographie Haloanders 201 2. Die Förderung der Corpus iuris-Ausgabe Haloanders durch den Nürnberger Rat 213
Inhaltsverzeichnis
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Anhang Vorbemerkung
223
1. Erste Erwägung des Nürnberger Rats über den Druck der Justinianischen Rechtsbücher und Förderung Gregor Haloanders, 29. Januar 1528 224 2. Gutachten Wilibald Pirckheimers über Haloanders Pandektenausgabe und seine Persönlichkeit, ohne Datum [1528] 226 3. Verhandlung des Nürnberger Rats über die Ausgabe von Haloanders Pandektendruck, 24. April 1529 229 3 a. Beschluß des Nürnberger Rats über die Ausgabe von Haloanders Pandektendruck, 27. April 1529 230 4. Erwägung des Nürnberger Rats über Widmung der Pandektenausgabe an den Kaiser oder Großkanzler, 28. April 1529 230 5. Erörterung über die Beigabe einer Übersetzung zum griechischen Druck der Authentica, 9. März 1530 232 6. Dankschreiben des Zwickauer Rats an Haloander (Konzept), 23. Oktober 1530 235 7. Veräußerung von Philipp Meitzers Behausung, Pfingstwoche 1529 236 Exkurs Die Miniaturen des Nürnberger Prachtexemplars der Haloanderschen Pandektenausgabe 237 V. Petrus Antonius Finariensis' Lobrede auf Basel 1. Basler Lobreden 243 2. Eine Lobrede auf Basel aus dem Jahre 1464 und ihr Verfasser 250 3. Geschichte der Editionsversuche und Gestaltung der Edition 262 4. Text der Laudatio Basileae urbis mit deutscher Übersetzung 268
Inhaltsverzeichnis
10
VI. Cantiuncula-Briefe 1. Zur Einführung
283
2. Bestandsaufnahme
287
3. Drei unveröffentlichte und andere Briefe
294
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Brief an Mathias von Saarburg von 1528 Brief an Johannes Fichard von 1537 Brief an Thomas Platter von 1545 Brief an Guielmus Cnutelius von 1549 Glückwunsch an Johannes Dantiscus von 1537 Brief an Johannes Apel von 1532
294 296 298 299 300 301
4. Die Korrespondenz mit Cornelius Agrippa, 1518—1525 303 5. Wortlaut der Briefe 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
307
An Mathias von Saarburg 307 308 A n Johannes Fichard An Thomas Platter 310 An Guielmus Cnutelius 311 An Johannes Dantiscus 313 An Johannes Apel 314 An Cornelius Agrippa 314 Dedikationsepistel an Bürgermeister und Rat der Stadt Basel zur Ausgabe der deutschen Übersetzung des zweiten Buches von Thomas Morus' Utopia, Basel 1524 323
Register Personen- und Sachverzeichnis
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Verzeichnis modemer Autoren
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Verzeichnis der Abbildungen
1. Accursius Florentinus Porträt unbekannten Meisters • Ende 16. Jahrhundert Erstmals veröffentlicht Öffentliche Kunstsammlung Basel 2. Zierseite aus Digestenhandschrift mit der accursischen Glosse Bologneser Arbeit • Zweite Hälfte 13. Jahrhundert Aus dem Besitz des Basler Professors Arnold zum Luft (1453 bis 1517), früher Petrus zum Luft gehörig Literatur: Konrad Escher, Die Miniaturen in den Basler Bibliotheken, Museen und Archiven, Basel 1917, S. 81, Nr. 113, Mscr. C I 1 Universitätsbibliothek Basel 3. Guilielmus Budaeus Kupferstich von Theodor de Bry aus Ian. Iac. Boissard, Icones virorum illustrium doctrina et eruditione praestantium, II. Band, Frankfurt 1598, Nr. 13, S. 130 Universitätsbibliothek Basel 4. Huldrichus Zasius Holzschnitt von Tobias Stimmer aus Nicolaus Reusnerus, Icones sive imagines virorum literis illustrium, Straßburg 1587, reproduziert nach der Originalplatte des Porträts in los. Ant. Rieggerus, Udalrici Zasii Epistolae ad viros aetatis suae doctissimos, Ulmae 1774 Universitätsbibliothek Freiburg i. Br. 5. Andreas Alciatus Porträt unbekannten Meisters • Ende 16. Jahrhundert Erstmals veröffentlicht Öffentliche Kunstsammlung Basel
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Verzeichnis der Abbildungen
6. Franciscus Hotomanus Porträt unbekannten Meisters • Ende 16. Jahrhundert Erstmals veröffentlicht Öffentliche Kunstsammlung Basel 7. Bartolus de Saxo Ferrato Porträt unbekannten Meisters • Ende 16. Jahrhundert Literatur: Guido Kisch, Bartolus und Basel, Basel i960, S. 8 Öffentliche Kunstsammlung Basel 8. Laurentius Valla Kupferstich von Theodor de Bry aus Ian. Iac. Boissard, Icones virorum illustrium doctrina et eruditione praestantium, I. Band, Frankfurt 1597, Nr. 13, S. 112 Universitätsbibliothek Basel 9. Bonifacius Amorbacchius Porträt von Hans Holbein dem Jüngeren • 14. Oktober 1519 Öffentliche Kunstsammlung Basel 10. Ioachim Vadian Holzschnitt unbekannten Genfer Künstlers aus Theodor Beza. Icones, id est verae imagines virorum doctrina simul et pietate illustrium, Genf 15 80, Seite QI Literatur: Dora Fanny Rittmeyer, Vadian-Bildnisse (VadianStudien, Bd. 2), St. Gallen 1948, S. 67—69 Universitätsbibliothek Basel 11. Gregorius Haloander Kupferstich von [Joh. Martin] Bernigeroth fil. aus Francisci Caroli Conradi Parerga, in quibus antiquitates et historia iuris illustrantur, Helmstadii 1735, Frontispiz Universitätsbibliothek Halle 12. Wilibald Pirckheimer Kupferstich von Albrecht Dürer • 15 24 Literatur: Lewis W. Spitz, The Religious Renaissance of the German Humanists, Cambridge (Mass.) 1963, S. 155 Pierpont Morgan Library, New York
Verzeichnis der Abbildungen
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13. Illuminiertes Titelblatt vor Haloanders Pandektenausgabe (Jur. 830 fol. i r ) ; mit Unterschrift in Goldschrift „Concio Locrensium" Nicolaus Glockendon d. Ä. • 15 29 Literatur: siehe den Exkurs auf Seite 237 ff. Erstmals veröffentlicht Stadtbibliothek Nürnberg 14. Illuminiertes Widmungsblatt vor Haloanders Pandektenausgabe (Jur. 830 fol. 2 r); mit Überschrift in Goldschrift IVRISDICTIONIS R A T I O A P V D SABAEOS Nicolaus Glockendon d. Ä. • 1529 Literatur: siehe den Exkurs auf Seite 237 ff. Erstmals veröffentlicht Stadtbibliothek Nürnberg 15. Johannes Fichardus Kupferstich von I. C. Sartorius • 1676 Erstmals veröffentlicht Sammlung Guido Kisch 16. Henricus Cornelius Agrippa Kupferstich von Theodor de Bry aus Ian. Iac. Boissard, Icones virorum illustrium doctrina et eruditione praestantium, II. Band, Frankfurt 1598, Nr. 48, S. 296 Universitätsbibliothek Basel
S. 114. Titelblatt von Vadians Basler Ausgabe der Vallaschen Streitschriften Basel, Andreas Cratander • 1518 Universitätsbibliothek Basel S. 13 5. Signet am Ende von Vadians Erstausgabe der Vallaschen Streitschriften Wien, Leonard Alantse • 1516 Zentralbibliothek Zürich
I Accursius-Studien
HANS T H I E M E zugeeignet
I Die Verbreitung des accursischen Glossenwerks außerhalb Italiens
D as Bartolus-Jubiläum des Jahres 1959 gab Anlaß zu einer Reihe von Studien über die Frage, wann und wie Namen und Lehren des Hauptes der italienischen Kommentatorenschule in die verschiedenen Länder Europas, in welchen das römische Recht Fuß gefaßt hatte, Eingang gefunden haben. Dies wurde aus dem Datum des ersten Auftauchens sowie aus dem Umfang der Verbreitung seiner Schriften in den mittelalterlichen Bibliotheken erschlossen, wo sie frühzeitig schon in Manuskriptform und später in der Gestalt von Frühdrucken zu finden sind. Ein anderes Kriterium bildete Bartolus' Eindringen in die Rechtsliteratur des Mittelalters. Aus der Zahl, dem Umfang und der Fortdauer der Bartoluszitate in Rechtsgutachten, juristischen Abhandlungen und gerichtlichen Entscheidungen wurden Bedeutung, Intensität und Fortwirken seiner Lehren außerhalb Italiens festgestellt und erforscht. Die auf dem Bartolus-Kongreß gehaltenen Vorträge und Referate über diese und ähnliche Probleme liegen nunmehr in umfangreichen Ausarbeitungen vor und füllen zwei Bände von nahezu anderthalb Tausend Seiten 1 . Verhältnismäßig wenige Publikationen sind vorangegangen; andere, die an verstreuten Stellen nachgefolgt sind, ergänzen den Inhalt der Jubiläumsbände 2 . 1 Università degli Studi di Perugia, Bartolo da Sassoferrato : Studi e documenti per il V I centenario, 2 Bände, Milano 1961, 1962. 2 Dem Verfasser sind folgende Schriften bekannt geworden, die in alphabetischer Anordnung aufgezählt werden: Francesco Calatso, Bartolo da Sassoferrato, in: Dizionario Biographico degli Italiani, VI, S. 640—669, mit der bisher vollständigsten Bartolus-Bibliographie; Emanuele Casamassima, Note sui manoscritti di Bartolo nelle biblioteche tedesce, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, rom. Abt., L X X I X , 1962, S. 169—238; Charles Fried, The Lex Aquilia as a Source of Law for Bartolus and Baldus, American Journal of Legal History, IV, i960, S. 142 — 172; Guido Kisch, Zasius und Reuchlin (Pforzheimer Reuchlinschriften, Bd. 1), Konstanz und Stuttgart 1962; Jifl Klabouch, Osvlcenské pràvnl nauky v ceskych zemlch (Die aufgeklärte Rechtswissenschaft
i8
Accursius-Studien
Galten diese Arbeiten natürlich in erster Linie dem „supremus Doctor" Bartolus, so lag es doch verschiedentlich nahe, auch Accursius (um 1 1 8 1 / 1 1 8 5 — 1 2 5 9 / 1 2 6 3 ) und sein Glossenwerk zu erwähnen und mit in den Kreis der Betrachtungen zu ziehen. So ist zu dem über den letzten Glossator und sein opus magnum bereits Bekannten 3 noch in den böhmischen Ländern), Prag 1958, S. 92—95 und passim; Z. Ktyltüfek, Bartolus de Saxoferrato, Pràvnéhistorické Studie, IX, 1963, S. 201—210; Leo M. Mladen, Arms and Names : Bartolus on the Right to Bear Arms, Recueil du V. Congrès international des sciences généalogiques et héraldiques à Stockholm i960, Stockholm 1961, S. 281—297; Bruno Paradisi, La diffusione Europea del pensiero di Bartolo e le esigenze attuali della sua conoscenza, Studia et Documenta Historiae et Iuris, X X V I , i960, S. 1—70 (Sonderabdruck); Vdclav Vanèlek, Bartolovskà povést v Cechàch (Die Bartoluslegende in Böhmen), Pràvnéhistorické Studie, VI, 2, Praha i960, S. 17—38. 3 Eine ausführliche Accursius-Bibliographie kann und braucht hier nicht gegeben zu werden. Allgemein vgl. man die Literaturangaben bei Paolo Vinogradoff, Diritto Romano nell'Europa Medioevale, 2. Aufl. von F. de Zulueta und S. Riccobono, Milano 1950, S. 55 ; ferner grundlegend für das Gesamtverständnis Erich Genzmer, Die justinianische Kodifikation und die Glossatoren, Atti del Congresso Internazionale di Diritto Romano, Bologna 1933, Bd. I, Pavia 1934, S. 345 —430. Besonders hervorgehoben seien (in chronologischer Reihenfolge) : Maurus Sarti et Maurus Fattorini, De claris archigymnasii Bononiensis Professoribus a saeculo X I usque ad saeculum XIV, Bd. I, 1, 2. Aufl., Bologna 1888—1896, S. 151—163 (verfaßt 1757—1766; 1. Aufl. Bologna 1769—1772); Friedrieb Carl von Savigny, Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter, V., 2. Ausgabe, Heidelberg 1850, S. 262—305; Ernst Landsberg, Die Glosse des Accursius und ihre Lehre vom Eigentum, Leipzig 1883, S. 52—64; Karl Neumeyer, Die gemeinrechtliche Entwicklung des internationalen Privat- und Strafrechts bis Bartolus, II, München 1916, S. 60—63, Anm. 1 ; Hermann Kantorotvicz, Accursio e la sua biblioteca, Rivista di storia del diritto italiano, II, 1929, S. 35—62, 193—212; Hermann Kantorowicz, Studies in the Glossators of the Roman Law, Cambridge 1938, Index unter Accursius; Woldemar Engelmann, Die Wiedergeburt der Rechtskultur in Italien durch die wissenschaftliche Lehre, Leipzig 1938, besonders S. 175—242; dazu Erich Genzmer, Kritische Studien zur Mediaevistik I, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, roman. Abt., LXI, 1941, S. 319—325; Genzmer, Zur Lebensgeschichte des Accursius, Festschrift für Leopold Wenger zu seinem 70. Geburtstag (Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte, 35. Heft), München 1945, S. 223—241, mit wichtigen kritischen Bemerkungen zur früheren Literatur, besonders zu Kantorowiczs „Accursio e la sua biblioteca" ; Domenico Maffei, Gli inizi dell'umanesimo giuridico, Milano 1956, Index unter Accursio; Piero Fiorelli, Minima de Accursiis, Annali di storia del diritto, II, 1958, S. 345—359; daselbst, S. 357f., Anm. 79, Angabe der Enzyklopädie-Literatur über Accursius ; Paolo Colliva, Documenti per la biografia di Accursio, Bologna 1963; Giuseppe Forcbielli, „Vita Accursii" estratta dal „De claris iurisconsultis" di Tomaso Diplovataccio (1468 bis 1541), Bologna 1963. Ferner über Accursius' Sohn: E. Magnin, Artikel
ACCVRSIVS
FLORENT-
I. Accursius Florentinus Porträt eines unbekannten Meisters, Ende 16. Jahrh. Öffentliche Kunstsammlung, Basel
Die Verbreitung des accursischen Glossenwerks
manches Detail, namentlich über das frühe Eindringen und die Verbreitung der Glossenkompilation im außeritalienischen Europa hinzugefügt worden. Aus den Ergebnissen der einzelnen Länderstudien und der sonstigen Literatur können hier nur diejenigen hervorgehoben werden, welche sich für die Problemstellung der vorliegenden Arbeit als wichtig erweisen, um den Beginn der Angriffe gegen Accursius und die „Accursianer" sowie die Dauer der Notwendigkeit der Verteidigung klarer ins Licht treten zu lassen. Der Einfluß der „Magna Glossa" in Italien, ihr Vordringen, ihre Verbreitung, ihre Bedeutung und die Dauer ihrer Wirkung nördlich der Alpen müssen jedoch zum Gegenstand einer besonderen Untersuchung gemacht werden, welche schon wegen des umfassenden Problembereichs weder im Rahmen der vorliegenden Arbeit unternommen werden kann, noch überhaupt von ihrem Verfasser geplant ist. Dieser Standpunkt dürfte um so eher berechtigt sein, als zu hoffen ist, daß sich ein annähernd vollständiges Gesamtbild sowohl aus der angekündigten Spezialuntersuchung von Erich Genzmer als auch aus den einzelnen Länderbeiträgen zu den Akten des Bologneser Accursius-Kongresses wird gewinnen lassen4. Da jedoch eine solche erschöpfende Darstellung im Zeitpunkt der Planung und bei Niederschrift der folgenden Forschungsergebnisse noch nicht zur Verfügung stand, schien es dem Verfasser unvermeidlich, ihnen skizzenartig einige Betrachtungen über den gegenwärtigen Stand unseres Wissens zum Problem vorauszuschicken. Wohl am frühesten und stärksten scheint die Verbreitung und Wirkung der accursischen Glosse, über deren Gesamtcharakter die „Accurse, François", Dictionnaire de droit canonique, I, Paris 1924—1935, Sp. i5of., mit Bibliographie. 4 Genzmer hat — ohne spezielle Bezugnahme auf das accursische Glossenwerk — einen Überblick über das Eindringen des römischen Rechts und die Übernahme des Corpus iuris civilis in die verschiedenen Länder Europas gegeben in seiner Studie „Das römische Recht als Mitgestalter gemeineuropäischer Kultur" in der Festschrift für Rudolf Laun zu seinem siebzigsten Geburtstag, Hamburg 1953, S. 513—532; erweitert und ergänzt in italienischer Übersetzung auch erschienen unter dem Titel „II diritto Romano come fattore della civiltà Europea" in Conference Romanistiche, III, herausgegeben von der Università degli Studi di Trieste, Istituto di storia del diritto, Triest 1954. In den seither verflossenen 15 Jahren ist natürlich neue Literatur reichlich hinzugekommen. Einiges davon wird im folgenden erwähnt werden, desgleichen einige Genzmer damals nicht zugängliche Arbeiten.
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Accursius-Studien
noch immer lesenswerte Habilitationsschrift von Ernst Landsberg und Hermann U. Kantorowiczs Abhandlung über Accursius und seine Bibliothek einen guten und zum großen Teil trotz der seither erheblichen Fortschritte der Forschung auch heute gültigen Uberblick bieten, in Frankreich gewesen zu sein. Darüber orientieren am eingehendsten die jetzt in einem handlichen Sammelband neu herausgegebenen Arbeiten von E . M . Meijers 5 . E r schreibt wohl zu Recht — gegen Savigny — eine Äußerung dem Pietro Peregrossi (gest. 1295) zu, welcher in Bologna bei Odofredus studiert hatte und seit etwa 1260 ungefähr fünfzehn Jahre in Orléans Professor gewesen ist: „Legarn etiam omnes glossai, quod ante tempora mea non fiebat". Diese Bemerkung in der Einführung zu einer Vorlesung über das Digestum vetus bezieht Meijers auf die daselbst bei jeder Gelegenheit zitierte Glosse des Accursius und schließt, daß „ v o r Pietro die Glossa ordinaria des Accursius in Orléans nicht studiert worden sei".War das Ansehen der Glosse in Italien schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts so gefestigt, daß man von ihr grundsätzlich nicht abweichen wollte und sich damit begnügte, lediglich „Additiones" in ihrem Geiste zu verfassen so kann es nicht wundernehmen, daß ein gleicher Vorgang im Rahmen der Rechtslehre an der Universität Toulouse bereits im 5
E. M. Meijers, Etudes d'histoire du droit, III, hg. von R. Feenstra und H. F. W. D. Fischer, Leyden 1959, S. 3 —148: L'université d'Orléans dans la société du XlIIe siècle; S. 167—208: La première époque d'épanouissement de l'enseignement de droit à l'université de Toulouse (1280—1330). Leider sind in dem sorgfältigen Namensverzeichnis die Lebensdaten der Juristen nicht angegeben, was die Orientierung oft erschwert, um so mehr als auch Meijers diese Angaben im Text seiner Abhandlungen vielfach oder meist unterlassen hat. Zum Folgenden, namentlich über Pietro Peregrossi, Meijers, a. a. O., S. 46 f., 50 und Anm. 191, und passim; vgl. auch Genzmer, Das römische Recht, S. 509, Anm. 10. 4 Genzmer, Das römische Recht, S. 506: „Um 1250 ist diese Arbeit [der Glossatoren] bis in die feinsten Einzelheiten vollendet. Der abschließende Kommentar, die Glosse des Accursius, erlangte in Italien gesetzesgleiches Ansehen". Genzmer, Kritische Studien, S. 322: „In Bologna wirkte die Autorität der Glossa ordinaria zunächst erdrückend, viel mehr als in Padua oder Neapel. . . . Bis ins 14. Jahrhundert hinein beschränken sich die Bologneser Professoren auf Additionenschriftstellerei . . . " ; so auch Meijers, S. 151. Für die Rechtsschule der 1224 gegründeten Universität Neapel hat aber Meijers (S. 149—166, besonders S. 164 ff.) nachgewiesen, daß auch dort die Juristen an den theoretischen Grundlagen der Rechtswissenschaft mitarbeiteten, und daß sich die Glosse des Accursius auch dort großer Schätzung erfreute.
Die Verbreitung des accursischen Glossenwerks
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letzten Viertel des 13. und im ersten des 14. Jahrhunderts beobachtet wurde7. Meijers hat in Manuskripten von dort solche Additiones ehemaliger Kollegen und Schüler des Accursius nachgewiesen. Pierre Legendre hat das Bild durch Vermehrung der Beispiele aus Manuskripten, die Meijers nicht zugänglich gewesen waren, bestätigt und erweitert8. Ähnlich eingehende Untersuchungen wie für die französischen liegen für die im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts in Deutschland gegründeten Rechtsschulen zur Zeit nicht vor. Seit dem 13. Jahrhundert bildete sich daselbst zunächst innerhalb des Klerus eine Schicht von gelehrten Juristen, die sich rasch ausbreitete 9. Im Zusammenhang mit dem kanonischen dürften schon im 13. Jahrhundert Teile des römischen Rechts Gegenstand des Unterrichts in Dom- und Klosterschulen gewesen sein, wobei sicherlich die in vielen Handschriften auf uns gekommenen Kompendien und Vokabularien Verwendung gefunden haben. In der vermutlich in Deutschland entstandenen Tabula utriusque iuris des Johannes Erfordensis (von Erfurt, um 1260— ?), deren älteste bekannte Handschrift aus dem Jahre 1285 stammt, begegnen zahlreiche Zitate aus allen Teilen des römischen Rechts, von den bedeutendsten zeitgenössischen Juristen werden nur Azo und Accursius herangezogen10. Dasselbe trifft für Hermann von Schildesches (gest. 1357) Introductorium iuris zu, das etwa zwischen 1330 und 1332 vermutlich in Westfalen entstanden und die Grundlage des später so verbreiteten Vocabularius iuris utriusque 7
Meijers, S. 170 ff. Pierre Legendre, L a France et Bartole (oben, Anm. 1), S. 142 ff. 9 Siehe Roderich Stintzing, Ulrich Zasius, Basel 1857, S. 3 2 3 f f . : Uber die Vertretung des römischen Rechts auf den deutschen Universitäten im 14. und 15. Jahrhundert; auch Gottbold Bohne,"Die juristische Fakultät der alten Kölner Universität in den beiden ersten Jahrhunderten ihres Bestehens, Festschrift zur Erinnerung an die Gründung der alten Universität Köln im Jahre 1388, Köln 1938, S. i i 4 f f . , woselbst man aber über die benutzten Lehrmittel, namentlich die Glosse des Accursius nichts erfährt (siehe jedoch weiter unten bei Anm. 13). Vgl. Helmut Coing, Bartolus und der Usus modernus Pandectarum in Deutschland (oben, Anm. 1), S. 28ff.; Winfried Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland, ein Beitrag zur Geschichte der Frührezeption (Recht und Geschichte, Bd. I), Wiesbaden 1962, S. 122t. 8
10 Bertrand Kurtscheid, Die Tabula utriusque iuris des Johannes von Erfurt, Franziskanische Studien, I, 1914, S. 284, Anm. 4: „Accursius und A z o kehren wieder in allen bedeutenderen Artikeln zivilrechtlicher Natur".
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Accursius-Studien
geworden ist; ebenso für das in vielen Handschriften in Deutschland bekannte juristische Wörterbuch des Astesanus von Asti, das im Jahre 1 3 1 7 vollendet wurde und von der Tabula iuris des Johannes von Erfurt abhängig i s t 1 1 . Ganz Ähnliches hat Emil Seckel in seinen minutiösen Untersuchungen für eine Reihe anderer populärer Rechtsenzyklopädien ermittelt, welche am Ende des 13. oder während des 14. Jahrhunderts in Deutschland teils entstanden, teils in zahlreichen Handschriften in Umlauf gewesen sind 1 2 . Aus der Zeit kurz nach 1370 ist ein Gutachten Kölner Rechtsgelehrter erhalten, in welchem es heißt : „ . . . ita notât Accursius ff. pro socio l. 1 p.17.2.38]"^. 11 Emil Seckel, Beiträge zur Geschichte beider Rechte im Mittelalter, I, Tübingen 1898, S. 129ff., xj8ff.; 281, 28jff.; Kurtscheid, a. a. O., S. 290; Helmut Coing, Römisches Recht in Deutschland, lus Romanum Medii Aevi, V, 6, Mailand 1964, S. 143 f. 12 Vocabularius Lipsiensis, wohl etwa Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden, Seckel, a. a. O., S. 317 f. ; Vocabularius Quia in libris, von etwa 1330—1350, Seckel, S. 332; Vocabularius Set quia, 14. Jahrhundert, Seckel, S. 371 f.; Epitome alphabetica Basiliensis, 13. Jahrhundert, Seckel, S. 406ff. ; Liber distinctionum des Johannes de Deo, 1234—1242, Seckel, S. 460. 13 J. Kohler und E. Liesegang, Das Römische Recht am Niederrhein. Gutachten Kölner Rechtsgelehrter aus dem 14. und 15. Jahrhundert (J. Kohler, Beiträge zur Geschichte des Römischen Rechts in Deutschland, 1. Heft), Stuttgart 1896, S. i02ff.: Gutachten VII (bald nach 1370), S. 117. Die daselbst, Anm. 7, von Kohler Accursius zugeschriebene Äußerung vermochte ich trotz Aufwendung großer Mühe nicht zu identifizieren. Dagegen wird in dem für die Rezeptionsgeschichte ebenfalls wichtigen Kölner Gutachten von 1352 trotz wiederholter Anführung der Digesten auf die Glosse nicht Bezug genommen. Siehe den Wortlaut bei Kohler und Uesegang, Entäußerung und zukünftiger Rechtserwerb, Archiv für bürgerliches Recht, X , 1895, S. 88—93. — Uber Eindringen und Verbreitung der accursischen Glosse in der Schweiz handelt ausführlich Sven Stelling-Michaud, Catalogue des manuscrits juridiques de la fin du XII e au XIV e siècle conservés en Suisse, Genf 1954, S. 9I.; derselbe, L'université de Bologne et la pénétration des droits Romain et canonique en Suisse aux XIII e et XIV e siècles, Genf 1955, S. î 1 f. Davon zeugt auch das Vorhandensein glossierter Texte der Justinianischen Rechtsbücher in alten Schweizer Bibliotheken; vgl. Ferdinand Elsener, Die juristischen Bücher in der Bibliothek des St. Galler Burgermeisters und Reformators Joachim von Watt, gen. Vadianus, Archiv des Histor. Vereins des Kantons Bern, XLIV, 1958, S. 245 f. ; Max Burckhardt, Aus dem Umkreis der ersten Basler Universitätsbibliothek, Basler Zeitschrift, LVIII—LIX, 1959, S. 175, 183 ff., woselbst jedoch die Anwesenheit der accursischen Glosse zwar nicht erwähnt ist, aber in den ausführlichen Beschreibungen der betreffenden Manuskripte durch Stelling-Michaud bezeugt wird (siehe S. Stelling-Michaud, Catalogue des manuscrits juridiques . . . en Suisse).
Die Verbreitung des accursischen Glossenwerks
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In analoger Weise wie in Deutschland ist in den Ländern der Böhmischen Krone schon gegen Ende des 1 3 . Jahrhunderts durch die Lehre und Praxis der geistlichen Juristen die Glossa ordinaria des Accursius zu Kenntnis und Einfluß gelangt, auch zum Gegenstand zusätzlicher Kommentierung in Form von Additiones gemacht worden. Dies wird durch eine ganze Anzahl (nicht weniger als neun) glossierter Glossenmanuskripte aus dem Ende des 1 3 . und v o m Anfang des 14. Jahrhunderts im Besitz der Bibliothek des Metropolitankapitels zu Olmütz (Olomouce) bezeugt, welche im Z u g e einer umfassenden Bestandsaufnahme der unkatalogisierten und daher bisher größtenteils unbekannten juristischen Handschriften in der Tschechoslowakischen Republik zutage gekommen sind 1 4 . Einzelne von diesen sind im 1 3 . Jahrhundert in Bologna geschrieben und von Studenten aus Olmütz und Prag dort erworben, sodann in ihre Heimat mitgebracht 14
Miroslav Bohdlek, Literatura stredovékych právních äkol y rukopisech kapitulní knihovny olomoucké (Die Literatur der mittelalterlichen Rechtsschulen in Handschriften der Olmützer Kapitelsbibliothek), Rozpravy Ceskoslovenské akademie vèd (Berichte der tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften), sozialwissenschaftliche Serie, Jahrg. 70, Heft 7, Praha i960, besonders S. 12—23; in italienischer Ubersetzung auch in Studia Gratiana, VIII, 1962, S. 3 20 ff. Die rechtsgeschichtliche Bedeutung dieser Manuskripte mit der accursischen Glosse ist von Boháiek in kenntnisreicher und sorgfältiger Analyse quellengeschichtlich gewürdigt worden. Vgl. auch Bohdlek, Zur Geschichte der Stationarii von Bologna, Symbolae Raphaeli Taubenschlag dedicatae, II, Warschau und Breslau 1957, S. 247ff. Schon früher hat er auf ein Gutachten des Dr. Kuneä von Tfebovel, der bereits 1376 an der Prager Universität kanonisches Recht lehrte, hingewiesen, in welchem sich um 1388 Hinweise auf die Glosse zu Codex und Digesten finden; Bohdlek, Il diritto Romano propagatore della libertà nel trattato del vicario generale di Praga mag. Cunsso dell' anno 1388, in Atti del Congresso internazionale di diritto Romano e di storia del diritto Verona 1948, Bd. I, Milano 1951, S. 416. Vgl. auch Frantiíek ¿dda, K recepci v fieském právu (Zur Rezeption im böhmischen Recht), Právník, L X X I , 1932, S. 8—14, 45—56. — Die Literatur über die Frühzeit des römischen Rechts in Polen ist spärlich. Die wenigen Monographien sind vorwiegend dem 16. Jahrhundert gewidmet und enthalten kaum Nachrichten über die älteren Perioden. Vgl. Joannes Fijalek, Dominus Bartolus de Saxoferrato eiusque permagna in Polonos auctoritas, Cracoviae 1914; Stanislaw Estreicher, Kultura prawnicza w Polsce X V I wieku, Kultura staropolska, Krakau 1931; Karol Koranyi, Jurisconsultos y jurisprudencia Españoles en Polonia desde el siglo X V hasta el siglo XVIII, Madrid 1929; Rafael Taubenschlag, La storia della recezione del diritto romano in Polonia fino alla fine del secolo X V I , in: L'Europa e il diritto romano, Studi in memoria di Paolo Koschaker, I, Milano 1954, S. 227ff.; Tatibenschlag, Einflüsse des römischen Rechts in Polen, in: Ius Romanum Medii Aevi, Pars V, 8, Milano 1962, S. 9ff.
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Accursius-Studien
worden. Die accursische Glosse ist daselbst durch voraccursisches Glossenmaterial ergänzt, das namentlich auf Hugolinus und Azo zurückgeht und für die Entwicklungsgeschichte der Magna Glossa von größter Bedeutung ist. Auch in den Niederlanden wird bereits um die Mitte des 14. Jahrhunderts zugleich mit den römischen und kanonischen Rechtsbüchern die Glosse des Accursius zitiert, und zwar in Zusammenhang mit praktischen staatsrechtlichen Erörterungen bezüglich des Grafen von Holland. Es geschieht dies in dem etwa 13 5 j verfaßten Tractatus de cura reipublieae et sorte principantis Philipps von Leyden (gest. 1382), der in Orléans Jura studiert hatte und in dessen Bibliothek sich Handschriften dieses Werkes sowie anderer Kommentare aus dem 13. und vom Beginn des 14. Jahrhunderts befanden. Seine testamentarische Verfügung aus dem Jahre 1372 hat sich erhalten, in welcher Bestimmungen über sein Exemplar der „quinque volumina Iuris Civilis" mit dem „apparatusnämlich der accursischen Glosse, getroffen sind 15 . Wenn auch das Eindringen römischen Rechts für andere niederländische Territorien schon im 13. und 14. Jahrhundert nachgewiesen wurde, so fehlt es doch für die letzteren an einer ausdrücklichen, wenngleich immerhin vermutbaren, Bezugnahme auf Accursius oder das Vorhandensein von Manuskripten seines Werkes 16 . 15 Philippus de Leyden, De cura reipublieae et sorte principantis, hg. von R. Fruin und P. C. Molhuijsen (Werken der Vereeniging tot uitgave der bronnen van het oude vaderlandsche recht, Tweede reeks, Nr. 1), s'Gravenhage 1900 (die neuere Ausgabe von 1915 war mir nicht zugänglich), S. 473—489): Disposicio librorum magistri Philippi de Leyden. Daselbst, S. 47 j , verfügt er über „quinque volumina Iuris Civilis, inter quos primum meum Volumen incipit a tribus libris Codicis, quod ab inicio scripture illius computando in quinto folio apparatus [ = die Glosse] incipit ,ut supra de hereditatibus decurionum' per totum, textus vero incipit 'ad personam aliam' [1. un. C. 10.14]". . . . Vgl. Robert Feenstra, Zur Rezeption in den Niederlanden, in „L'Europa e il Diritto Romano", Studi in memoria di Paolo Koschaker, I, Milano 1954, S. 256t.; ferner S. 259ff.; Feenstra, Influence de l'enseignement du droit Romain sur les nations étrangères, Actes du Congrès sur l'ancienne Université d'Orléans (XIII e —XVIII e siècles), sine loco et anno, S. 57; in beiden Abhandlungen weitere Angaben für andere niederländische Territorien und weitere Literatur. — Über Philipp von Leyden P. van Heijnsbergen, Geschiedenis der Rechtswetenschap in Nederland, Amsterdam 1925, S. 15 f. 14 Vgl. auch L.J. van Apeldoorn, Nicolas Everaerts (1462 — 1532) en het recht van zijn tijd, Mededeelingen der Koninklijke Akademie van Wetenschappen, Afdeeling Letterkunde, Deel 8o, Serie B, Nr. 7, Amsterdam 1935, S. 291—348;
Die Verbreitung des accursischen Glossenwerks
Bekanntlich wurde den von Bartolus in seinen Kommentaren niedergelegten Ansichten in zahlreichen theoretischen und praktischen Rechtsfragen, seitdem sie geäußert worden waren, größte Bedeutung beigemessen. Jahrhunderte hindurch hatten sie vielfach entscheidendes Gewicht. In Spanien wurde im 15. Jahrhundert durch königliches Dekret angeordnet, daß in Zweifelsfällen seiner Meinung maßgebende Kraft zukommen solle 17 . Das Glossenwerk des Accursius hatte sich bereits viel früher ähnliches Ansehen erobert. Es hat im Recht der italienischen Statuten schon im 14. Jahrhundert, wenn auch zunächst nur vereinzelt, gesetzliche Geltung erlangt. Anerkennung durch das Gesetz, wie zum Beispiel in den Statuten von Verona des 14. Jahrhunderts, bedeutete dann natürlich noch viel mehr als die der Glosse von der Praxis allgemein zugebilligte „Autorität", weil diese durch eine herrschend gewordene Lehre überwunden werden konnte. Weil das Glossenwerk den Bedürfnissen der Lehre entgegenkam, Unterricht und Praxis in gleicher Weise befriedigte, letzterer namentlich eine bequem zugängliche autoritäre Kasuistik bot, ist die schnelle und weite Verbreitung des glossierten Textes der römischen Rechtsbücher leicht erklärlich. Für Rechtslehrer, Richter, Advokaten und Rechtsgutachter waren die Glossen das unentbehrliche Handwerkszeug. „Die Praxis hat durch dauerndes Festhalten an Auslegungen und Entscheidungen der Glosse die Rechtslehre genötigt, die in der Praxis herrschende Rechtsanschauung für Richter und Gutachter als maßgebend anzuerkennen, falls sie nicht von der herrschenden Lehre als irrig und unbillig verworfen wurde". So war die Glosse zur Grundlage der herrschenden Lehre geworden, ihrer „Autorität" wegen wurde an ihr festgehalten. Es mußten schon sehr triftige Ursachen vorliegen, wenn für das Abgehen von ihren Meinungen eine Begründung gefunden werden sollte 18 . /. E. Schottens, Early Roman-Dutch Law, Acta Juridica (früher Butterworth's South African L a w Review), 1959, S. 75 f. 17 /. L. J. van de Kamp, Bartolus de Saxoferrato 1 3 1 3 — 1 3 5 7 , Leven, Werken, Invloed, Beteekenis, Amsterdam 1936, S. 181 ff.; Paul Kosebaker, Europa und das römische Recht, München 1947, S. 105 und Anm. 2. 18 Engelmann, Die Wiedergeburt der Rechtskultur in Italien, S. 178 ff., 181 ff., i86ff., 18gff.; vgl. oben, Anm. 6; ferner Hermann Lange, Die Rechtsquellenlehre in den Consilien Paul de Castros, in Gedächtnisschrift für Rudolf Schmidt, Berlin 1966, S. 43 2f.
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Zur Biographie des Accursius V o r nahezu hundertvierzig Jahren begann Savigny sein Kapitel über Accursius und die Glosse mit den Worten: „Keiner unter den Glossatoren hat einen größeren Ruhm erlangt" und fuhr wie folgt fort: „Seinen großen Ruf und Einfluß verdankt Accursius keiner eigenen Schrift, sondern der großen Sammlung von Glossen seiner Vorgänger und Zeitgenossen . . . , dieser für die ganze juristische Literatur höchst wichtigen Arbeit . . . W i e sich mehr als vierhundert Jahre früher ein so „scharfsinniger und selbständig urteilender Jurist" wie Raphael Fulgosius (gest. 1427) über das Werk „des maßgebenden Ordners und Sichters der ganzen Glossenarbeit" ausgesprochen hat und welches Gewicht den von Accursius gebilligten Meinungen bereits von den zeitgenössischen Advokaten und Richtern beigemessen wurde, ist oft in Erinnerung gebracht w o r d e n K e i n Geringerer auch als Coluccio Salutati (1331—1406) schrieb im Jahre 1399: „Ciaruit urbs nostra Florentia legum civilium glossatore, quem summa fame gloria celebrat, cuius nomen Accursius, cui successit Franciscus, quem sicut carne genuit, sie suorum laborum defensorem et pugilem dereliquit" 2 . 1 Friedrich Carl von Savigny, Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter, V , 1. Aufl., Heidelberg 1829, 2. Ausg. Heidelberg 1850, S. 264, 279. — Uber die Äußerungen des Raphael Fulgosius siehe Woldemar Engelmann, Die Wiedergeburt der Rechtskultur in Italien durch die wissenschaftliche Lehre, Leipzig 1938, S. 190t., 1 9 5 f . ; G.Kisch, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, german. Abt., L X X I V , 1957, S. 375 und Anm. 10 mit ausführlichen Literaturangaben. 2 Coluccio Salutati, De nobilitate legum et medicinae, a cura di Eugenio Garin (Edizionc nazionale dei classici del pensiero italiano, Bd. 8), Firenze 1947, S. 72, Z . 15. — Thomas Diplovatatius' Biographie des Accursius aus dem Ende des 15. oder Anfang des 16. Jahrhunderts stellt fast ausschließlich eine Dokumentierung der Autorität der accursischen Glosse dar, belegt durch eine seitenlange Zusammenstellung der Aussprüche bedeutender italienischer Juristen des 14. und 15. Jahrhunderts; siehe Giuseppe Forchielli, „Vita Accursii" estratta dal „ D e daris iurisconsultis" di Tomaso Diplovataccio (1468 — 1541), Bologna 1963, S. 8 1 — 9 5 .
Zur Biographie des Accursius
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Accursius, für den man Ehrentitel findet wie Imperator, uberrimus Jons iuris civilis, carrocium veritatis3, war sich selbst der Bedeutung seiner lebenslangen Bemühungen im Interesse der Rechtsanwendung und Rechtswissenschaft wohlbewußt. In der Erläuterung zu einer Digestenstelle gibt er die Etymologie seines Namens vermittels einer Wortspielerei mit den lateinischen Vokabeln: Accursius — accurrere — succurrere. Sein ehrbarer (ehrenhafter) Name (homstum nomen) habe Bezug auf seine Tätigkeit, im Kampf gegen die Unklarheiten des bürgerlichen Rechts zu Hilfe zu eilen und zu ihrer Erläuterung seine Mitwirkung zu gewähren 4 . Nicht nur zu streng, sondern geradezu ungerecht scheint mir Savignys Urteil, daß es sich um „eine prahlerische Etymologie" handle, die Accursius von seinem Namen gibt, und daß es „falsch" sei, „daß er den Namen erst spät um seiner Gelehrsamkeit willen erhalten haben sollte" 5 , was Accursius wenigstens an dieser Stelle nicht behauptet hat. Gegen die Bezeichnung als „prahlerisch" wendete sich Hermann Kantorowicz mit der Meinung, es handle sich um einen in der toskanischen Heimat des Glossators häufig vorkommenden Familiennamen, welcher deshalb durch ein Scherzwort (jocular etymology) erklärt werde, wie solche in den Glossatorenschriften nicht selten begegnen 8 . 3
Carolus Ferdinandus Hommel, Litteratura Iuris, 2. Aufl., Leipzig 1779, S. 304. Savigny, V, S. 296 f., Anm. c, erwähnt ebenfalls die zuletzt angeführte Ehrenbezeichnung des Accursius, die auf Baldus zurückgeht, und fügt zur Erklärung bei: „Der Caroccio war bekanntlich in den italienischen Städten der große Streitwagen, auf welchem das Banner der Stadt aufgestellt war, und dessen Verteidigung in der Schlacht der höchste Ehrenpunkt war". 4 Glossa Conditio est ad 1. Facta ff., Ad senatusconsultum Trebellianum (D. 36.I.6J[63].IO), ed. Venetiis apud Nicolaum Bevilaqua 1569, II, S. I I 4 7 F . : „Conditio est] Ut instituo te haeredem, si imponas tibi nomen meum, scilicet Accursius, quod es honestum statutum nomen, dictum quia accurrit et succurrit contra tenebras iuris civilis. Secus si dixi: si imponas tibi nomen Vespillo, quod est turpe nomen; ut hic,etsupra. eodem. lege sed sciendum".li\ anderen Ausgaben, 2. B. ed. Lugduni 1556, S. 766, und ed. Lugduni 1589, S. 1681, steht „Accursium" und fehlt das Wort „statutum"; so auch in dem Zitat bei Savigny, V, S. 265, Anm. b. 5 Savigny, V, S. 265. 6 Hermann Kantorowicz, Accursio e la sua biblioteca, Rivista di storia del diritto Italiano, II, 1929, S. 36; Kantorowicz, Studies in the Glossators of the Roman Law, Cambridge 1938, S. 122. — Man hätte wohl auch auf die in der Renaissance sehr verbreitete Ruhmsucht hinweisen können, die schon Jacob Burckhardt beobachtet hat; vgl. Myron P. Gilmore, Humanists and Jurists: Six
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Accursius-Studien
Savignys Charakterisierung und Kritik geht wohl auf diejenige des von ihm als Quelle nicht erwähnten Paduaner Juristen und Kunstsammlers Marcus Mantua Benavides ( 1 4 8 9 — 1 5 8 2 ) zurück, der in seiner Kurzbiographie des Accursius beide Behauptungen aufgestellt hat 7 . Freilich weist dieser zugleich darauf hin, daß Bernardus, das ist Bernardus Parmensis de Botone (gest. 1265 in Bologna), also ein Zeitgenosse des Accursius, der Urheber der Glossa ordinaria zu den Dekretalen Gregors I X . , dasselbe getan habe wie Accursius 8 . Der Hinweis auf die Selbsterwähnung des Bernardus in der Dekretalenglosse scheint mir jedoch keine passende Parallele zu sein, namentlich nicht, wenn man Accursius' Namensetymologie als „prahlerisch" („gloriatur" ) auffaßt, wie es Mantua Benavides getan hat 9 . Studies in the Renaissance, Cambridge, Mass. 1963, S. 3g f. All das kommt hier jedoch kaum in Betracht. 7 Marcus Mantua Benavides, Epitoma virorum illustrium, qui vel scripserunt, vel iurisprudentiam docuerunt in scholis, et quo tempore etiam floruerunt, ordine alphabetico constitutum, quo studiosi facilius alliciantur ad legendum, nunc primum in gratiam ipsorum editum, Patavii 15$5, Nr. 16, fol. 7b: „Accursius Florentinus, non ignobilis iurisconsultus, qui Bononiae docuit, ut ipse testatur in autben. ut praepo. no. imp. in prin., floruit anno 1236, nonnulli anno 1246; sed nulli magis quam ipsi credendum est. Sic appellatus deinde fuit, quia occurrit tenebris iuris civilis et gloriatur, hoc ipsumque ore proprio dixit, in /. facta in § si in danda ff. ad Treb.; et idem, quod Accursius hic facit, etiam Bernardus in c. quod sicut de electione [X. 1.6.28]"; auch abgedruckt bei Guido Panzirolus, De claris legum interpretibus, cura D. Christiani Godofr. Hoffmanni, Lipsiae 1721, S. 440. — Über Mantua Benavides, seine juristisch-historischen Kunstsammlungen und Publikationen siehe Guido Kisch, Recht und Gerechtigkeit in der Medaillenkunst (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse, Jahrg. 1955, 1. Abh.), Heidelberg 1955, S. 30ff. 8 Gl. dividatur ad c. quod sicut 28. X. de elect. 1.6: „De hoc, quod dixit Hug. quaesitum fuit, a me Bernardo Parmensi, Canonico Bonon., capellano domini papae, in consecratione [domini Octaviani] Bon. Episcopi, utrum archiepiscopus posset consecrare et alius missam cantare". In der von mir benützten glossierten Ausgabe der Dekretalen Gregors IX., Venedig 1572, S. 96, befindet sich folgende Randglosse gedruckt: „Bernardus glossator Decretalium manifestai seipsum". Unabhängig von Mantua war diese Glosse dem Kanonisten Schulte aufgefallen, der aus ihr den Beweis ableitete, daß Bernardus (ähnlich wie Accursius) an seinem Glossenapparat bis in seine letzte Lebenszeit gearbeitet hat: „Diese Konsekration fällt in die ersten Monate des Jahres 1263; am 18. Januar schreibt Urban IV. an Octavian als .electus' (Potthast, Nr. 18 469)" ; Johann Friedrieb von Schulte, Die Geschichte der Quellen und Literatur des kanonischen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart, II, Stuttgart 1877 (Neudruck, Graz 1956), S. 115 und Anm. 5. 8 Vielleicht ist es nicht allzu abwegig, bloß am Rande eine passendere, freilich moderne Parallele zu erwähnen. Der bekannte Journalist und Reiseschriftsteller
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Sämtliche Erklärungsversuche für die von Accursius gegebene Namensdeutung sind zudem abwegig. Offenbar hat weder Mantua Benavides, noch Savigny, noch Kantorowicz die unmittelbar vorangehende Glosse Nominis beachtet, die aus dem einzigen Wort „bonesti" besteht. Ferner können sie auch den Wortlaut der oben in der Anmerkung abgedruckten Glosse Conditio est nicht vollständig gelesen oder beachtet haben. Sonst hätte ihnen nicht entgehen können, daß Accursius seine Namensdeutung lediglich als Beispiel zur Erklärung des „bonestum nomen" bringen wollte, bonestum im Hinblick auf seine ehrbare Beschäftigung mit der Interpretation des Zivilrechts, im Gegensatz zu einem „turpe nomen", turpe im Hinblick auf den nicht ehrbaren Beruf des Namensträgers. Denn auch dafür gibt er ein Beispiel: „Secus si dixi: si imponas tibi nomen Vespillo, quod est turpe nomen". Vespillo bedeutet eigentlich den Scharfrichter, dann den Leichenträger oder Totengräber für Arme, die abends bestattet wurden (Sueton), in übertragenem Sinne auch Leichenberauber, Grabschänder10. In der Literatur findet sich die Auffassung, welche Accursius Prahlerei mit seiner Namensetymologie zur Last legt, — wie es scheint — erstmals in der Kurzbiographie des erwähnten Mantua Benavides. Obwohl ihn dieser durch Beibringung der vermeintEgon Erwin Kisch hat 1924 eine Selbstschilderung in Buchform unter dem Titel „Der rasende Reporter" erscheinen lassen, die ihm für sein ganzes Leben und über dieses hinaus den Namen „der rasende Reporter" eintrug. 1 0 Siehe Schellers Lateinisch-deutsches und deutsch-lateinisches Handlexikon, hg. von Franz Xaver Schönberger, II, Wien und Triest 1819, ad vocem „Vespillo"; ebenso Menge-Gütbling, Enzyklopädisches Wörterbuch der lateinischen und deutschen Sprache, 8. Aufl., Berlin 1954. Für die übertragene Bedeutung Heinrich Georges, Lateinisch-deutsches Handwörterbuch, II, 10. Aufl. (Neudruck), Basel 1959, S. 3450. — Lange nach Niederschrift des obigen Textes finde ich in Thomas Diplovatatius' Biographie des Accursius (siehe oben, Anm. 2) folgende Stelle nach Bezugnahme auf des Glossators eigene Namenserklärung: „ . . . dicit Iovanes Andree in additione Speculatoris in tit. de actore § 1 v. ,item excipitur', quod Accursius ibi etymologizat nomen suum, et ideo secundum ipsum dicebat Ubertus de Bonaccurso, quod malum est inhonesti hominis nomen assumere. Et quare non inscripsit nomen suum in principiis librorum, habes per Iovanem Andree in ,data' sexti libri in ultima questione in 4. columna in mercurialibus et dixi supra in cap. de Gratiano". Leider liegt Forchiellis Ausgabe des mittelalterlichen Teiles von Diplovatatius* Werk noch nicht vor, so daß der Hinweis nicht verfolgt werden kann.
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lichen Parallele aus der Dekretalenglosse des Bernardus Parmensis zu entlasten oder zu entschuldigen suchte, blieb seit dem ersten Erscheinen seiner öfter wieder abgedruckten Epitoma virorum illustrium (1555) der Makel am Charakter des Accursius haften. So ist in der von mir benutzten Ausgabe des glossierten Digestum Vetus, Venedig 15 69, die betreffende Stelle angestrichen und mit einer Randbemerkung von alter Hand versehen: „lactatio Accursii"; und in der Lyoner Ausgabe von 1589 steht sogar als zusätzliche Randglosse gedruckt: „Male Accursius gloriatur de nomine suo". Ein solcher Vorwurf findet sich aber noch nicht bei den dem Zeitalter des Glossators näherstehenden Chronisten Philippus Villani und Dominicus Bandini (beide Ende des 14. und Anfang des 1 j. Jahrhunderts). Freilich erwähnen beide Autoren übereinstimmend, daß sich Accursius „spretis lucris" in die Einsamkeit zurückgezogen habe, nur um seiner wissenschaftlichen Arbeit, nämlich der Kommentierung des Corpus iuris zu leben 11 . Villani allein berichtet, daß der Glossator nicht des Gewinnes halber, sondern um berühmt zu werden, etwa vierzig Jahre in Bologna als Rechtslehrer gewirkt habe. Dieser Behauptung, welche jedoch mit der Namensdeutung nicht in Bezug gebracht wird, kommt um so weniger eine Bedeutung zu, als sie in 11
Die Kurzbiographien des Accursius von Villani und Bandini sind abgedruckt bei Maurus Sarti und Maurus Fattorini, De claris archigymnasii Bononiensis Professoribus a saeculo X I usque ad saeculum X I V , Tom. II, Bologna 1888 — 1896, S. 293 f. und 297 (jetzt auch im Kapitel V I dieser Studien wiedergegeben) ; daselbst, S. 291 f. und 297 in den Anmerkungen Näheres über die Werke von Villani und Bandini sowie über ihre rätselhafte gegenseitige Abhängigkeit. Villani, De viris illustribus Florentinis, Sarti-Fattorini, II, S. 291, 294 (auch Filippo Villani, De origine civitatis Florentiae et eiusdem famosis civibus, Florenz 1847, S. 22 f. ; dazu Piero Fiorelli, Minima de Accursiis, Annali di storia del diritto, II, 1958, S. 351 und Anm. 32): „Factusque doctor maximus, non lucri, sed fame cupidus iura civilia Bononie publice docuit annis circiter quadraginta. Tandem cum animi esset ingentis cureque illi permaxime bonum publicum foret, spretis lucris et omni cura forensis rei atque familiaris abiecta, solitarie vite datus, glossandis legibus civilibus operam concessit assiduam, multisque vigiliis et labore permaximo totum eiusdem Iuris Corpus per breves et solemnes glossas accuratissime commentava". Bandini, Fons mirabilium universi, Sarti-Fattorini, II, S. 297 : „Cumque ab utraque parte omnia evacuasset, et iam ubique doctissimus diceretur, Bononie annis circiter quadraginta concurrens cum Odofredo de Odofredis de Bononia, tandem spretis lucris, solitariam vitam elegit, et totum Corpus Iuris subtili brevitate glossavit".
Z u r Biographie des Accursius
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sich widerspruchsvoll ist. Sie lautet: „Nachdem er ein hochbedeutender Doktor geworden war, lehrte er öffentlich die Rechte in Bologna etwa vierzig Jahre lang, nicht des Gewinnes halber, sondern um berühmt zu werden". Außerdem widerspricht die Behauptung jeder Logik, ein bereits angesehener Rechtslehrer habe sich zu wissenschaftlicher Arbeit in die Einsamkeit zurückgezogen, um noch größere Berühmtheit durch sein Werk zu erlangen. Hundert Jahre später noch haben weder der gelehrte Spanheimer Abt Johannes Tritheim (1462—1516) im Jahre 1494, noch der Begründer der juristischen Biographie Thomas Diplovatatius (1468—1541), etwa zwischen 1508 und 1517, noch auch der Frankfurter Jurist Johannes Fichardus (1512—1581) im Jahre 1537 einen solchen Tadel in ihren Kurzbiographien des Accursius gegen ihn ausgesprochen12. Er lag selbst dem bei aller Ehrerbietung zu Accursius in seiner Ausdrucksweise oft nicht besonders freundlich eingestellten Ulrich Zasius (1461—1535) fern, als er in der Dedikation zu seinen Lucubrationes an Bonifacius Amerbach vom Jahre 1518 schrieb: „Quamvis Accursius ille noster iuris civilis obscuritatibus et tenebris, ut de se ipse pronunciat, accurrerit et succurrerit fideliter et egregie, pleraque tarnen in eo desiderari non est ignotum" 13 . Trotz seiner kritischen Stellungnahme billigt also Zasius dem Glossator in beachtenswerter Weise ehrliches und anerkennenswertes Streben zu, ohne wegen der Namensdeutung den Vorwurf der Ruhmredigkeit gegen ihn zu erheben. Ja, er findet für ihn und sein Werk sogar Worte hoher Anerkennung, auf die in anderem Zusammenhang zurückzukommen sein wird.
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Johannes de Trittenbem, Liber de Scriptoribus Ecclesiasticis, Basel 1494, fol. 64 v ; Trittenbem, Catalogus Scriptorum Ecclesiasticorum sive illustrium virorum, Köln 15 3 1 , fol. L X X X I I I v ; Thomas Diplovatatius, D e claris iurisconsultis (siehe oben, A n m . 2); Jobannes Ficbard, Vitae recentiorum iureconsultorum, Erstdruck als Anhang zur Neuausgabe von Bernardinus Rutilius, Iurisconsultorum Vitae veterum, Basel ohne Jahr [frühestens 1 5 3 9 ; das V o r w o r t ist 1 5 3 7 datiert], S . 2 2 9 f . ; 2. Aufl., Padua 1 5 6 5 , fol. 2 v — 3 r. Beide kurze Lebensbeschreibungen des Accursius sind im Kapitel V I wiedergegeben. 13 Neuer Abdruck bei Aljred Hartmann, Die Amerbachkorrespondenz, II, Basel 1943, S. 1 4 2 , N r . 640 (28. November I J I 8 ) . Daß Zasius hier auf die Glosse Conditio est zu D . 3Ö.I.65(63).IO anspielte, ist Hartmann entgangen. — Z u beachten ist, daß Zasius' Ausdruck neutral „pronmtiat" lautet, und daß er nicht „gloriatur" sagt.
Accursius-Studien
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Um so eifriger wurde später die Legende von der Ruhmredigkeit des Accursius aufgenommen und um so umständlicher wurde sie ausgestaltet und ausgeschmückt, wovon noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Giammaria Mazzuchelli und Maurus Sarti Zeugnis ablegen 1 4 . Bald wurde behauptet, daß Accursius seinen Namen erst erhalten habe, nachdem er schon Berühmtheit erlangt hatte ; bald daß er ihm bereits bei der Geburt von Gott zuteil geworden sei, wodurch angekündigt werden sollte, zu welcher Bedeutung als glänzender Erklärer des Zivilrechts sein Träger dereinst bestimmt sei; bald daß Accursius seinen Vornamen abgelegt und nur den Zunamen beibehalten habe, den ihm seine hervorragende geistige Beanlagung erworben hatte. So darf ich wohl glauben, Accursius von dem jahrhundertealten Vorwurf der Prahlerei und Ruhmsucht gereinigt zu haben. Übrigens 14
Maurus Sarti und Maurus Fattorini, De claris archigymnasii Bononiensis Professoribus (oben, Anm. n ) , Tom. I, 2. Aufl., Bologna 1888—1896, S. i j i f . : „Plurimum vero sibi placuit Accursius ipse in hoc nomine, cuius etymon sibi sane gloriosum sed putride tarnen et non sine iactantiae nota confinxit huiusmodi. [Es folgt die Glosse in 1. Facta § Si in danda., f f . Ad SC. Trebel/.] Quasi vero id ei nomen divinitus a nativitate ipsa impositum fuerit, quo portenderetur quantus vir futurus esset et quam excellens iuris civilis interpres. Sed patiebatur illa aetas eiusmodi etymologica somnia, in quibus lusisse etiam videbimus Hugonem sive Huguccionem, praeclarum iuris canonici interpretem ac postea episcopum Ferrariensem, qui paulo ante Accursium in nostra academia floruit Itaque quod aliqui existimant Accursium proprio nomine amisso hoc retinuisse, quod ei conciliaverat ingenii celeritas, merum commentimi censeo, magis inane et putidum quam ea ipsa etymologica ratio, quam venditavit Accursius"; daselbst, S. 159: „Meminit Accursius ipse huiusce domus [sc. in agro bononiensi splendida villa], quam, ut erat satis gloriosus, palatium vocat . . . " . Sarti weist a.a.O. die Unrichtigkeit von Nachrichten nach, denen zufolge Accursius durch ein bedeutendes, von König Richard oder Eduard von England für Rechtsbeistand gezahltes Honorar zu großem Reichtum gelangt sei. Dieselbe Bewandtnis dürfte es mit seiner Ruhmredigkeit haben. — Le vite d'uomini illustri Fiorentini, scritte da Filippo Villani, ora per la prima volta date alla luce, colle annotazioni del conte Giammaria Mazzuchelli, Accademico della Crusca, Venezia MDCCXLVII, S. X X X I I — X X X V I ; neue Ausgabe in Collezione di Storici e Cronisti italiani editi ed inediti, VII, Firenze 1847. Bibliotheca classica italiana secolo XIV, No. 21 : Croniche di Giovanni, Matteo e Filippo Villani, Vol. II, Trieste 1858, S. 431—433. Vgl. auch Gli scrittori d'Italia cioè notizie storiche e critiche intorno alle vite e agli scritti dei letterati italiani del Conte Giammaria Mazzuchelli Bresciano, Vol. I., Parte I., Brescia 1753, S. 81—86, sub voce Accorso. (Ein Exemplar in der Zentralbibliothek Zürich, Sign. Praes. A 491 I 1.) Über Johannes Maria Mazzuchelli (1707—1768) siehe Sarti, II, S. 291 f., Anm. 2.
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•jriix ncffifcsjnt _____ q!«r •iiHi!9oflllirimb.\Loiifii.6iS6ii.iroihm\™#^fi in hiis, quae res grammaticas spectant, in aliis non"ai. Diese Äußerungen sprechen eine deutliche Sprache; sie bedürfen keines Kommentars. Zusammen mit allem früher Vorgebrachten zeigen sie mit Deutlichkeit Amerbachs Selbständigkeit in seinem auf den Text der römischen Rechtsbücher und die Glossierung derselben gestützten juristischen Denken und Argumentieren sowie seine vollständige Unabhängigkeit von einem nichtjuristischen Vorbild, indem er Valla zwar als Grammatiker anerkennt, als Juristen jedoch durchaus nicht gelten läßt. Hatte er doch schon in seiner ganzen Beweisführung die rein grammatisch-historische Interpretation der römischen Rechtsquellen mit Hilfe einschlägiger und belangreicher juristischer Beispiele
2 1 Fol. L X X V I Ü r . (Die direkte Anrede Toter oder künftiger Geschlechter findet sich schon bei Petrarca; vgl. Gtlmore, S. 11.) Ähnlich hat sich über diesen „prächtigen und zu Heiterkeit stimmenden" Vergleich Franciscus Floridus Sabinus (1511 —1547) in seinem Werke In M. Act» Plauti aliorumque latinae linguae scriptorum calumniatores Apologta 1538 geäußert; siehe die Ausgabe Basel IJ40, S. 203; vgl. oben, Accursius-Studien, Kap. IV, Anm. 16. Auch Gregorius Haloander (über ihn unten, IV. Haloander-Studien) hatte die — durch seinen frühen Tod vereitelte — Absicht, die „alten Rechtsgelehrten" gegen Vallas Anwürfe zu verteidigen: „Laurentii Vallae criminationibus caeterorumque calumniis, quibus tarn iureconsultos veteres quam ipsum Iustinianum convitiis impetunt, alio tempore, cum plus ocii nactus ero et firmiore valetudine fuero, respondere conabor"; Haloander in der Dedikationsepistel an den Nürnberger Rat zum ersten Bande seiner Pandektenausgabe, S. a. Illb.
Amerbach und Vadian als Verteidiger des Bartolus
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ohne viel Aufhebens entkräftet, um nicht zu sagen ad absurdum geführt 22 . So folgt aus der Verschiedenart der beiden Gelehrten, aus der Unterschiedlichkeit der von ihnen vertretenen Wissenschaftszweige und aus der Verschiedenheit ihrer Charaktere auch die Verschiedenheit ihrer gelehrten Stellungnahmen und ihre gegenseitige Unabhängigkeit. Die Selbständigkeit von Amerbachs Gedankenführung erscheint somit von mehreren Gesichtspunkten aus in aller Deutlichkeit und wohl in kaum widerlegbarer Weise erwiesen. 22
Das war etwa sechzig Jahre vor Albericus Gentiiis (1552—1608), für den der moderne Herausgeber seiner De iuris interpretibus dialogi sex (zuerst London 1582), Guido Astuti, in Testi inediti o rari, IV (Torino 1937, S. X X I ) Folgendes in Anspruch nimmt: „Illud tarnen animadvertas, volo, Albericum, quod quidem haud sane Semper aliis aetatis hominibus licuit, perlucide tenuisse diversitatum et dissimilitudinum in iuris cognitione causas; aliud enim est ad criticam rationem iuris históricas vices revocare, aliud contra ad doctrinae normas et regulas ius enucleare atque interpretan".
Anhang I Bonifacius Amerbach Defensio interpretum iuris civilis 1524-1525 Vgl. oben, Kapitel I, Anm. 5
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Inter ea, quae uel publice uel priuatim ex omni aetatum memoria in disciplinis nobis salutaria contìngere potuerunt, magnifice Rector, venerande Doctorum coetus, viri celeberrimi, nihil praeclarius, nihil salutarius aut magis necessarium nobis à Deo optimo maximo iuris civilis disciplina elargitum credo, quae veram viuendi rationem civilisque vitae formulam praescribit et in qua summa rerum publicarum ex solido constituitur, divinarum humanarumque rerum noticiam, aequi ab iniquo, iusti ab iniusto, iuris ab iniuria discernendi viam ostendens. Ad cuius tarn praeclarae scientiae professionem cum mihi hodie sumenda sint auspicia, ex vetusto et recepto maiorum institute edam huius laudandae onus incumberet. Verum hoc tarn à multis eruditionis nomine insignibus hucusque tentatum quid à me post tot panegyricos, post tot doctas animas in medium deduci potest huius excellentia aut eruditissima vestra expectatione dignum ? Itaque quando illius encomia sepius atque iterum hic decantata sunt, ne in graecanicumilludnàv TÒ jteoi-rtòv axaigovincidamus neue eadem crambe (quod proverbio dicitur 1 ) toties proposita tedium pariat, huius tam praeclarae scientiae interpretes defendere consilium sedet, quòd hi tam bene de studiis nostris meriti nimium quam seuere à nonnullis traducuntur, non solum male audientes tanquam ad capescendam iuris cognitionem inutiles, sed et eò dementiae ventum est, ut sine horum adminiculo quidam sacrosancta studia profiteri non vereantur. 1 Adagia, Desiderit Erasmi Rotcrodami Opera omnia emendatiora, ed. J. Clericus, II. Lugduni Batavorum 1703 (künftig abgekürzt: Adag. LB.), c. 196 D.
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Hoc tam pium propositum benigno assensu atque auribus aequis — quae vestra est humanitas — prosequemini, prosequemini autem 25 eò libentius, quod, etsi argumento suscepto non suffecero, causae bonitas sibi ipsi et patrocinatura sit et evictura. Exoritur indies nouum genus hominum sese etiam sub iureconsultorum titulo venditans, quod Bartolo, legalis prudentiae principi, Baldo, Paulo de Castro, Alexandra ab Imola ceterisque iuris 30 interpretibus dicam scripsisse non satis putat, sed et ipsum Accursium, admirabili doctrina virum, internetione quadam totum conficere cupit, quòd hie glossis, illi uero infinitis, vt inquiunt, commentariis opinionibusque clara faciant obscura, lucida tenebrosa, plana intricata, certa dubia, ordinata confusa, aequa pro lucelli spe iniqua, et in 35 summa, quod antiquam illam iurisprudentiam Vlpiani, Sceuolae, Papiniani et caeterorum non solum suis neniis et portentosa barbarie calumnientur, contaminent, cavillentur, deprauent, sed in ipsum quoque Justiniani principis nostri edictum in altera de vet. iur. enucl. lege [C. 1.17.21] positum incidant, eòque nomine omnia eorum 40 uolumina iuxta istius praeceptum abolenda, quin et ipsos vti falsarios plectendos esse censent. Ego, quantum venerandis et incorruptis antiquorum iureconsultorum responsis imperatorumque rescriptis deferendum sit, non ignoro; à quibus iuris studioso non aliter atque nautae à Cynosura aut Helice pendendum esse, ad hec tanquam ad 45 archetypum omnia referenda et ab his — quatenus Christiana admittit religio — ne latum quidem vnguem discedendum puto. Quod ipsum cum mihi pro virili fecisse nostri videantur interpretes, cur tot colaphis, iniuriis, preiudiciis cedantur, proscindantur, condemnentur, satis dispicere non possum. 50 Initio quòd ad commentariorum molem attinet, anniuersaria etiamnum foetura increscentem, miror, quid conqueri possint, perinde quasi non indies noua incidant facta, aliis atque aliis accedentibus circumstantiis, nec prope hora sit (vt varia sunt hominum commercia) in qua non noui aliquid suboriatur, hic in personalibus, illic in rebus, 55 hic in contractibus, illic in maleficiis, ne quid de vltimis voluntatibus dicam; quae cum secundum facti qualitatem varient, quid mirum, si uoluminum numerus vna cum factorum identidem de nouo superuenientium multitudine exereseat? Porro eos tam iudicio esse resupino vix crediderim, vt omni (iuxta proverbium) pedi eundem veünt indui
Amerbach, Defensio interpretum iuris civilis,
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60 calceum2, quando quidem et ipse Aristoteles TÔJV F|{HXCTJV Nixona/eicov libro quinto [1137b] sic natura comparatum esse tradii, vt omnia, quae aguntur, eodem legis praescripto constitui non possint. Pro loco ergo, pro tempore, pro natura negocii, pro qualitate rei vel personae semper aliae atque aliae suboriuntur decisiones, quae cum dein in 65 republica uersaturis magno sint vsui, nempe factorum qualitate nunc discussa, tantum abest, vt tantam librorum copiam de medio sublatam cupere debeamus, vt etiam illis gratia habenda sit non vulgaris, qui suis vigiliis cuncta fusius explicate non cessant. Adiuuamur enim his, non adobruimur, erudimur, non impedimur, explicamur, non tenebris 70 suffundimur. Sed inquiunt: illisne decidendi aut nouas leges condendi potestas ? Bona uerba quaeso! Novas leges non condunt, sed responsis iureconsultorum atque imperatorum constitutionibus à Justiniano in uolumen redactis innitentes has tanquam Lesbiam normam ad infinita 75 facta pro circumstantiarum varietate adhibent et, vt aurifices indice lapide ad probandum aurum vtuntur, ita illi, quae[cun]que ilia species facti fuerit, quo iure quave iniuria subsistere possit vel cadere, ad responsa haec et constitutiones cum expendunt, tum accommodant, semper aliquid vel adicientes pro natura negocii aut detrahentes. 80 Hoc vt fiat, necesse est. Quottum quodque enim factum accidere credis, quod ex ôiauétQou et in hypothesi à iureconsultis vel imperatoribus decisum sit, quin (non) in circumstantiis aliquo pacto variet et sit diuersum ? Quemadmodum igitur Sabinus iureconsultus regulam quasi causae coniunctionem nominat [D. 50.17.1 cum glossa], quod 85 ex ratione plurimorum factorum eandem rationem habendum constituatur, ita iurisconsultis nunc totae Pandectae, totus Codex cum novissimarum constitutionum, quod Authenticum uocant, libris régula sunt, ad quam omnia facti incidentia eaque infinita discutiunt et adaptant, quae dein speciatim in commentarla relata librorum ac 90 voluminum cumulum in immensum protendunt, nec tamen improbandum, cum hoc et res ipsa exigat et in summam iuris studiosorum cedat vtilitatem. Verum obiciunt nobis opiniones et damnant varios legum intellectus. Et certe vtrumque in iure fieri negare non possum: 2
A d a g . L B . , c. 1038 B — C .
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95 plurimae opiniones sunt, plurimi aliquarum legum intellectus. Sed quid in hoc damnandum veniat, non satis video. Si vrgeant ex sententia Boethii, eius quod multipliciter intelligitur veritatem ignorari, ibo in eorum sententiam manibus et pedibus. Si subinferant, has igitur leges ab interpretibus non esse intellectas, in aliquibus non 100 admodum repugnabo: habebunt eo fine (quod aduersario maxime optandum est) confitentem reum. Sed hanc in textibus (vt more communi loquar) intelligendis aut opinionibus varietatem iuris studioso plus emolumenti adferre dico quam detrimenti. Id vt fiat clarius, quaeram de aduersario : „Quid aliud sunt legalium studiorum 105 sectatori opiniones quam variarum sententiarum collationes ? Collatione autem in studiis vno omnium authorum calculo quid fructuosius aut magis vtile?" „Confundor", inquiet, „ex tot opinionum varietate". Immo adiuuaris et iudicium tibi comparas. Nam cum tot sententiae tibi propositae sint, tot citatae rationes, campus tibi, quae 110 magis uerbis legis affinia sint quaeve opinio solidioribus nitatur fundamentis, diiudicandi latissimus aperitur, non secus atque in aliorum studiorum collatione, vbi plurimorum proposita sententia ansa tibi altiora investigandi prebetur et iudicium non modo certius et verius paris, sed alioqui vacillans et fortassis à vero declinaturum 115 et reformas et emendas. Non profecto (non) tam ex silicum collisione ignis excutitur, quam ex variarum opinionum collatione, quid legibus amicius sit, quid veritati magis consentaneum, elicietur. Et hec quidem fieri velim ab his, qui aliquousque in hac disciplina profecerint; alioqui, si in ipso tirocinio limen iuris non sint praetergressi, 120 consultius crediderim solis textibus (adiunctis glossis) adherere, tantisperdum elementa hauserint; quae certe nunquam intelligent ex veritate, nisi dein visis interpretibus et opinionum collatione diligentius facta. Iam vero quid de inconstantia Doctorum, quam obiciunt, varia 125 cum in lecturis (vt vocant) turn in consiliis docentium dicemus ? Et hanc inprimis satis excusare credo studii incrementum — frustra studeremus, inquit M. Fabius 3 , si nihil melius inuenire liceret cum retractatione aliqua —, dein locorum plurium collatio continuo studio
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Vgl. Quintiliani Institutionis oratoriae liber decimus, 2, 4Ö.
Amerbach, Defensio interpretum iuris civilis, 1524—1525
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et longo rerum vsu effecta certior et minus corrupta. Quae omnia 130 cum nostro relinquantur iudicio, nunquid, quia aliquando retractando ueriora docuerunt, damnati merentur ? At instat maioris abollae crimen, quo interpretibus falsitatis nota impingitur, nempe imperatoris nostri constitutione, qua sub poena falsi cavetur, ne in hec volumina interpretationes seu commentarla, 135 sed solum annotationes, quae ipse itaQautXa nominat, componere liceat [C. 1.17.1.12]. A qua quidem nota Accursium nostrum liberum credo, qui glossis iura consimilia aut dissidentia colligentibus annotationum genus à Justiniano admissum non est praetergressus. Doctores autem eo nomine noxae eximendos credo, quod hoc potius 140 necessitate quam uoluntate facere coacti sunt. Nam cum pro Pomponii sententia [D. 1.2.2.5] naturaliter euenire soleat, ut leges prudentum interpretationem desiderent, quid, rogo, iuri naturali Princeps detrahere potest? Nihil equidem, idque legibus admissum esse vos ipsi eritis testes. Adhec cum Pandectis coaugmentandis Septem et triginta 145 iureconsulti symbola sua contulerint, inter quos diuersarum sectarum aliqui vt Atteius Capito et Labeo Antistius vtque eorum successores Massurius Sabinus et Nerua, praeterea cum tam variae variorum imperatorum constitutiones in Codicem consarcinatae sint, debebat Justinianus (absit uerbo invidia) aut tot prudentissimorum virorum 150 labores intactos relinquere aut, si in compendium redigendi consilium erat, eorum dissensiones componere, dubia interpretari, obscura explicare, abstrusa ita in apertum proferre, ne vllum interpretandi locum doctoribus reliquisset. Quam autem hoc factum non sit, uel inde est perspicuum, quod etiam in suis constitutionibus seipsum ad 155 viuum non expressit, id quod vel vnicus tractatus sententiarum eius quod interest obscurissime scriptus satis superque commonstrat, taceo de centonibus et rhapsodiis ex iureconsultorum voluminibus in Pandectas consutis, in quibus explicandis aliquando non interprete, sed divinatore, non doctore, sed Oedipo, non libris, sed vel lauro 160 vel cribro vel tripode, quibus apud veteres vaticinia peragebantur, opus est. Ergo quae in suae aetatis iureconsultis non aegre tulit, non semel promulgatis constitutionibus manifestiorem aliquorum declarationem petentibus, nec in posteris damnabit, quando hoc principes admittunt, cum sua tum aliorum responsa elucidantibus, vel Pomponii 165 authoritate [D. 1.2.2.13] i u s constare non posse tradentis, nisi sint
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aliqui iurisperiti, per quos cottídie in melius produci possit, eamque interpretationem necessariam esse satis superque cognitum est. Proinde si in mathemacitis, dialecticis, philosophia, re medica et caeteris disciplinis ac etiam in ipsa — si parua componere magnis licet — theologia vnum locum per alium interpretamur et collatio vitro citroque facta omnia obscura discutiat et germanum omnium sensum ostendat, cur idem etiam in nostra disciplina non admittemus ? Quomodo autem admittemus, si denegata sit interpretatio ? Denegatam autem quare dicemus, cum hoc inevita[bilis] exigat necessitas et Justinianus suis rescriptis, nisi hoc admiserimus, in suum ipse mucronem incurrat se ipsum confodiens, qui semel atque iterum nullam àravoixiav sive contrarietatem in suis voluminibus esse professus est, et tot sunt, quae, nisi interpreteris, pugnantia videantur ? Quae cum ita se habeant, ut Doctores nostros omni culpa carere videtis, auditores optimi, ita mihi hie appellandi sunt, qui sine glossis aut interpretibus sese aliquid in iure effecturos sperant. Aberrant siquidem, aberrant toto (quod aiunt) coelo. Ecquam interpretan poterunt legem, ni alterius, quae contra stare videtur, quomodo intelligenda sit, admoneantur? Vel qua fronte vnius paragraphi talem dicent esse intelligentiam, si nullus supersit, cum quo conferendus veniat? Quo pacto autem hoc scire possunt nisi ex glossis et interpretibus tanta cura et diligentia locum concordem aut dissidentem semper citantibus ? vt interim multa responsa cum Pandectarum tum Codicis praeteream, novissimo Authenticorum iure correcta, quae, nisi Accursium in consilium adhibuerint, emendata esse scire non possunt. Prioris exemplum inter innumera esto Marcelli responsum in lege, cuius caput „In depositi" ff. de re iud., quae [D. 42.1.12] ita habet: „In depositi vel commodati iudicio, quanquam dolo aduersarii res absit, condemnato succurri solet, ut ei actiones suas dominus cedat". Audi nunc Paulum in tractatu rei vendicationis [D.6.1.69] ita inquientem: ,,Is qui dolo fecit, quominus possideret, hoc quoque nomine punitur, quod actor eicauere non debet, actiones, quas eius rei nomine habeat, se ei praestaturum". Quid magis contrarium, nisi vna alterius intelligentiam moderetur? Occurrunt et aliae duae, quarum vtraque Venulei est, nempe 1. fi. ff. de praetor, stip. [D. 46. j . 11], 1. procurator ad exhibendum § si quis à procuratore ff. rem rat. hab. [D. 46. 8. 8. 2], quae uolunt, (quod) in stipulationibus
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quae „quanti ea res est" promissionem habeant, commodius esse certam summam comprehendere, quoniam plaerumque difficilis probatio sit, quanti cuiusque intersit, et ad exiguam summam deducatur. Cuius contrarium Paulus et Vlpianus velie videntur in 1. inter haec uerba [D. 50.16.179] et 1. haec uerba ff. de uerb. et rer. signi. [eod. tit. 73] in huiusmodi clausulis, „quanti ea res erit" uel „quanti earn rem esse apparet", non interesse, sed ueram rei aestimationem fieri tradentes. Quid hie dicet, qui, contemptis glossis, contemptis interpretibus, iuris non profitendi, sed temerandi munus aggredì non erubescit? Inprimis, vtcunque sese aliqua lex obtulerit, more grammatico interpretabitur et se verissima docuisse credei simplici uerborum explicatione proposita. Quid autem, si casu in aliam, huic aduersantem, incidat? Num ea, quae prius docuerat, recantabit? Sed hoc non audebit, ignarus, vtri earum adherendum sit, neutram intelligens. Num contrarias admittet? At quis ferret Peripatheticum aut Academicum (ne quid de caeteris disciplinis dicam) in suo Aristotele aut Platone pugnantia contrariaue admittentem? Quanto minus hoc in iuris professore ferendum, quando Justinianus, vo(xotìÉt^5 noster, nullas àvxivo|iiag siue contrarietates suis in uoluminibus inueniri dicat [C. 1.17.1.8]! Quid igitur fiet? Certe nihil aliud, quam quòd ignorantiam suam et sibi incognita interpretandi temeritatem prodens à Celso iureconsulto nostro discet, scire leges non hoc esse, uerba earum tenere, sed vim et potestatem (habere) [D. 1.3.17]. Quae cum non nisi longo vsu, assidua cura, solerti locorum hincinde dissidentium collatione comparari possit, videtis, quantum ipsi Accursio caeterisque interpretibus debeamus, qui à multis retro saeculis ad haec vsque tempora multis vigiliis, infinitis sudoribus loca locis conferendo, vt nulla supersit contrarietas, obscura nobis reddiderunt clara, abstrusa manifesta et ex tot responsorum et rescriptorum numero, quatenus omnia intelligenda veniant, ex intimis adytis in lucem proferentes Yvr|aiov et germanum omnium intellectum tandem eruerunt. Ex his igitur satis constare arbitror, viri celeberrimi, quam iniuria immeritissima ab id genus male feriatis hominibus interpretes nostri traducantur et male audiant, quàmque pro summo beneficio illis summum remetiantur maleficium, non absimiles in hoc Graecis ; qui vt Agamemnonem pro dignitate Graeciae tot apud Troiam labores
Anhang
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240 exantlantem pessime affecerunt — vnde et adhuc iactatus uersiculus 4 àvT1 eùeQYEaiag 'Avané(ivova Sfjaav 'Axaioi — ita hi nihilo magis grati in interpretes pro tot sudoribus, quibus nostra studia salebrarum et obscuritatum pienissima reddiderunt peruia et clara nosque immensis atque infinitis subleuarunt laboribus, gratiam reddunt pessimam et 245 nullis non Gemoniis puniendam. E quorum numero ne nos simus, auditores optimi, nobis pro virili laborandum est. Si viam qui nescit eam, qua deueniat ad mare, amnem querit comitem sibi 5 , nos in tanto iuris pelago vti prospera velificatione vtamur, nobis interpretes nostros duces deligamus, quorum auspiciis summa cum mollicie in 250 portum concupitum apellemus. Quod si aliquando maculis, quas aut incuria fudit aut humana parum cauit natura, aspersi sint, Horatiani huius 6 meminerimus oportet „et quandoque bonus dormitat Homerus; verum opere in longo fas est obrepere somnum". Quid mirum, si in tanto scriptorum 255 numero, in tam infinita causarum varietate non semper ad scopum collimarint? Eapropter vestro in hoc opus iudicio, vestra diligentia, et ut cochleae lente incedunt nec attingunt, quicquam aut vsquam se mouent, nisi cornibus praetentarint, ita nos cunctabundi minimeque precipites, quid sequendum sit quidue fugiendum, delectu quodam 260 multa iam lectione comparato discernemus. Nam etsi Accursius ea fuerit ingenii praestantia, ut nihil in iure non ab eo ad aequilibrium et trutinam discussum, perpensum et examinatum credere libeat, nec minore cura subsecuti interpretes pleraque tractauerint, tamen cuncta promiscue, non habito delectu, tanquam sacrosancta amplectenda 265 esse non dico. Homines fuerunt, nihil humani ab eis alienum puto 7 . Multa inepta apud hos inuenire licet, sed multo plura apta, multa friuola, sed plura egregia, multa inerudita, sed longe plura summam ingenii acrimoniam, memoriam incomparabilem ac reconditissimam eruditionem comprobantia. 270 Quo loco mihi propter barbariem et dictionis filum minus purum latinumue excusandi videntur, cum studiorum partitio, aliis solam eloquentiam, aliis cetera singulatim studia assectantibus, apud Graecos 4 8 4 7
Adag. LB., c. 585 C. Plautus, Poenulus, v. 627. Ars poetica, 359f. Vgl. Terenz, Heautontimorumenos, v. 77.
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edam ante Ciceronis tempora fuerit et alii habiti sint eloquentiae studiosi, alii aliorum studiorum sectatores. Equidem quod ad Accursium pertinet, parum latine scripsit crebroque in uocabulis paulo obscurioribus explicandis lapsus est, id quòd mirum videri non debet seculo tam inerudito, in quo etiam illi ipsi, qui se non nisi bonis litteris addixerant, à litteris erant alienissimi, et adhuc nostra aetate, iamiam ob literas emergentes feliciore, plura in iure [vocabula] sint