Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge: Rechtsfindung und Inhaltskontrolle 9783161579158, 3161476549

Gesetzlich nicht geregelten Schuldverträgen kommt in der heutigen Vertragswirklichkeit eine immense Bedeutung zu. Hierzu

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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel: Grundbegriffe und Grundlagen
§ 1 Einführung
I. Die gesetzliche Schuldvertragsordnung und die Vertragswirklichkeit
1. Bestehen und Entstehen nicht kodifizierter Vertragstypen als Ausdruck eines offenen und dynamischen Vertragswesens
2. Vom Individualvertrag zum standardisierten Massenvertrag
3. Offene Fragen
II. Problemaufriß
1. Erschwerte Justitiabilität
a) Normenmangel: das Dilemma der Rechtsfindung und der Inhaltskontrolle
b) Weitere Ursachen der erschwerten Justitiabilität
(1) Schwierigkeiten der Integration anglo-amerikanisch beeinflußter Vertragsformen
(2) Problematik langfristiger Beziehungsverträge
(3) Problematik mehrgliedriger Vertragssysteme
2. Die Kodifikationsfrage
III. Präzisierung des Untersuchungsgegenstandes
1. Begriff des gesetzlich nicht geregelten (Schuld-)Vertrages
a) Fehlen einer vertragstypprägenden Regelung im Gesetz
b) Gemischte und typenfremde Verträge als Unterfälle
2. Abgrenzungen
a) Atypische und verkehrstypische Verträge
b) Sonderstellung moderner Vertragstypen?
IV. Gang der Untersuchung
§ 2 Rechtsmethodische Erfassung der normativen Schuldvertragsordnung
I. Begriffliche oder typologische Struktur?
1. Zum Stand der Diskussion
a) Der überkommene begrifflich-kategoriale Ansatz
b) Der Siegeszug der Typuskonzeptionen
c) Kritik der Typologik
2. Eigener Standpunkt
a) Der überschätzte Abstand des qualitativen Gehalts beider Rechtsanwendungsstile
b) Das Zwei-Schichten-Modell
(1) Die Ebene der Deskription
(2) Die Ebene der Rechtsgewinnung
3. Typenzwang und Typenfreiheit
II. Systematisierungsbemühungen der Schuldrechtsdogmatik
1. Gemischte Verträge
a) Einheitlichkeit des Rechtsgeschäfts
b) Abgrenzung zu sonstigen Vertragsgebilden
(1) Vertragsverbindungen
(2) Zusammengesetzte Verträge
c) Typenkombinationsverträge
d) Verträge mit anderstypischer Nebenleistung
e) Verträge mit anderstypischer Gegenleistung
f) Typenverschmelzungsverträge
2. Typenfremde Verträge
a) Abgrenzung zu bloßen Modifikationen gesetzestypischer Verträge
b) Singularität typenfremder Verträge
c) Beispiele typenfremder Verträge
§ 3 Historische Grundlagen des Verhältnisses der gesetzlichen Vertragstypenordnung zur privatautonomen Regelung
I. Die Vertragstypenordnung des römischen Rechts
1. Ausbildung einer strikten Vertragstypenordnung vor dem Hintergrund des Aktionensystems
2. Allmähliche Auflockerungen bis zu den Innominatkontrakten der nachklassischen Zeit
II. Überwindung des starren Typenzwangs durch das Prinzip der Vertragsfreiheit im ausgehenden Mittelalter
1. Der Einfluß kanonischen Rechtsdenkens
2. Naturrechtliche Vertragslehre
III. Vertragstypen in den großen Naturrechtskodifikationen
1. Der Codex Maximilianeus Bavaricus civilis von 1756
2. Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794
3. Der französische Code civil von 1804
4. Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für die gesamten Deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie von 1811
5. Gesamtwürdigung
IV. Frühe Kodifizierung handelsrechtlicher Vertragstypen
1. Vertragstypen im Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch von 1861
2. Die Diskussion um das dispositive Gesetzesrecht im handelsrechtlichen Schrifttum des 19. Jahrhunderts
V. Die Diskussion in der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts
1. Primat selbstbestimmter Gestaltung der Rechtsverhältnisse bei von Savigny
2. Die Pandektistik nach von Savigny
3. Verbindliche Kraft und Ordnungsfunktion auch des nicht zwingenden Rechts
VI. Die Vertragstypenordnung des Bürgerlichen Gesetzbuches
1. Das Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch von 1863
2. Dresdener Entwurf von 1866
3. Der Erste Entwurf von 1887
a) Vorlagen, Text des Entwurfs und Motive
b) Stellungnahmen
4. Der Zweite Entwurf von 1895 – Protokolle
5. Die Gesetz gewordene Fassung von 1896
a) Anerkennung der schuldrechtlichen Vertragsfreiheit in § 305 BGB
b) Fehlen grundsätzlicher Aussagen zur Bedeutung der Vertragstypenordnung und zur Behandlung gemischter Verträge
c) Funktion des dispositiven Gesetzesrechts nach Ehrlich
VII. Weiterungen des Disputs um die Bedeutung des dispositiven Gesetzesrechts
1. Dispositives Gesetzesrecht und ergänzende Vertragsauslegung
2. Dispositives Gesetzesrecht und ergänzende Verkehrssitten
VIII. Entwicklung des Leitbildgedankens
1. Erste Ansätze im Schrifttum
2. Ordnungsvorstellungen der nationalsozialistisch beeinflußten Rechtserneuerer
3. Rechtsprechung und Literatur vor Inkrafttreten des AGB-Gesetzes
4. Die Generalklausel des § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG
IX. Resümee: Vertragstypenfreiheit und Typenkatalog
1. Das historische Spannungsverhältnis
2. Die Anlage des Bürgerlichen Gesetzbuches – ein Anlaß zur methodischen Neubesinnung
§ 4 Die heutige Bedeutung der normativen Vertragstypenordnung
I. Die Vertragstypenordnung als notwendiges Korrelat zur Privatautonomie
II. Funktionen der gesetzlichen Vertragstypen
1. Rechtsfindungshilfe
a) Verkehrserleichterndes Angebot
b) Gewährleistung gleicher und vorhersehbarer Rechtsfolgenableitungen
2. Maßstabsfunktion im Rahmen der Inhaltskontrolle
3. Wertungshilfe bei nicht kodifizierten Vertragstypen
III. Eingeschränkte Rationalität des Kreises der normierten Vertragstypen
1. Gründe für die Normierung einzelner Vertragstypen
2. Aleatorische Züge und fragmentarischer Charakter der normativen Vertragstypenordnung
3. Verengung des Funktionsbereichs der gesetzlichen Regelungsmodelle durch Ausrichtung an bestimmten Lebenssachverhalten
IV. Überlagerung der traditionellen Vertragsmuster durch engere Wertungszusammenhänge
V. Fazit
Zweites Kapitel: Inhaltsbestimmung
§ 5 Rechtsfindungsmethoden der Rechtsprechung
I. Verzicht auf eine methodische Festlegung
II. Die Bedeutung des vertraglich Vereinbarten im Rechtsfindungsprozeß
1. Bezeichnung des Vertrages durch die Parteien
2. Qualifikation des Vertrages durch die Parteien
a) Allgemeine Stellungnahmen zur Beachtlichkeit einer Selbstqualifikation
b) Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zur Abgrenzung des Arbeitsverhältnisses vom freien Dienstverhältnis
c) Die Rechtsprechung zum Gesellschaftsrecht
d) Zusammenfassung
III. Qualifizierung als normativ-typischer Vertrag
1. Beispielsfälle aus der Rechtsprechung
2. Das Beispiel Finanzierungsleasing – der mietrechtliche Ansatz der Rechtsprechung
IV. Probleme der Normenkonkurrenz
1. Die Stellung des Vertrages im Begriffssystem der normativen Typenordnung
2. Methodische Bewältigung einzelner Problembereiche
a) Kombinationslösungen im Bereich der Gewährleistungshaftung
b) Einheitslösungen bei der Anwendung zwingenden Rechts sowie von Kündigungs- und Widerrufsbestimmungen
V. Probleme des Fehlens gesetzlicher Lösungen
1. Orientierung am problemnächsten gesetzlichen Vertragstypenrecht
a) Übernahme des jeweiligen Vertragstypenrechts in toto
b) Übertragung gesetzlicher Einzelwertungen
2. Rückgriff auf das allgemeine Schuldrecht
3. Entwicklung ungeschriebener Normen
VI. Zusammenfassende Bewertung
§ 6 Kritik der im Schrifttum vertretenen Entwürfe
I. Stellungnahme zum Theorienstreit um die Behandlung gemischter Verträge
1. Absorptionstheorie
2. Kombinationstheorie
3. Theorie der analogen Rechtsanwendung
4. Pragmatisch differenzierende Methoden der herrschenden Lehre
5. Zusammenfassende Bewertung
II. Die Rechtsfindung bei typenfremden Verträgen
1. Gesetzesorientierte Zugangsweise
2. Vorrangstellung der (ergänzenden) Vertragsauslegung
3. Zusammenfassende Bewertung
III. Übergreifende Rechtsfindungskonzepte
1. Diskurstheorie
2. Typologische Zuordnungsverfahren
a) Gesamtbildvergleich
b) Isolierende Typenvergleichsmethode
3. Zusammenfassende Bewertung
§ 7 Grundpfeiler eines methodengerechten Rechtsfindungskonzepts
I. Zu den Anforderungen an ein Rechtsfindungskonzept
1. Umsetzung des von den Parteien Gewollten
2. Vorhersehbarkeit der Inhaltskonkretisierung
3. Rechtsdogmatische Stimmigkeit
a) Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge als Gegenstand eines Systems aufeinander abgestimmter rechtlicher Aussagen
b) Verbindung der induktiven, vertragsauslegenden mit der deduktiven, normapplizierenden Zugangsweise
II. Kritik der herrschenden, primär normorientierten Rechtsfindungsmethode
1. Die zu konstatierende Hypertrophierung der gesetzlichen Vertragstypen
2. Gefahren einer vorschnellen Einordnung
a) Mißachtung des Grundsatzes der Privatautonomie
(1) Sachmängelhaftung und Wegfall der Geschäftsgrundlage beim Finanzierungsleasing
(2) Anwendung des § 557 BGB auf Finanzierungsleasingverträge
b) Ausblendung alternativer Lösungen
c) Zerstörung der Sinneinheit mehrgliedriger Vertragswerke durch Reduktion auf bipolare BGB-Verträge
3. Verkennung der Leistungsfähigkeit der normativen Vertragstypenordnung
III. Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten
1. Qualifikationshoheit der Parteien oder Rechtsformzwang?
a) Grundsatz der Qualifikationshoheit als Ausfluß der Privatautonomie
b) Grenzen der Qualifikationshoheit
c) Konsequenzen für die praktische Rechtsanwendung
(1) Würdigung einer Selbstqualifikation im Rahmen der Vertragsauslegung
(a) Die Bedeutung des Wortlautes – aufgezeigt am Beispiel des Akquisitionsvertrages zwischen Kreditkartenausgeber und Vertragsunternehmen
(b) Der Anwendungsbereich der Regel „falsa demonstratio non nocet“
(c) Auflösung von Widersprüchen
(2) Kontrolle und Korrektur einer Selbstqualifikation
(a) Der Geltungsanspruch des zwingenden Gesetzesrechts
(b) Angemessenheitskontrolle einer Selbstqualifikation nach §§ 9 bis 11 AGBG
(c) Rechtsfolgen einer Rechtsformverfehlung und der Nichtbeachtung einzelner unabdingbarer Vorschriften
d) Folgerungen für die rechtliche Behandlung nicht kodifizierter Verträge
2. Die Auslegung gesetzlich nicht geregelter Schuldverträge
a) Feststellung des objektiven Erklärungswertes
b) AGB-spezifische Modifikationen
(1) Grundsatz der objektiven Auslegung
(2) Unklarheitenregel und Restriktionsprinzip
c) Auslegungsrelevante Begleitumstände
(1) Die wirtschaftliche Zwecksetzung
(a) Beispielsfälle aus der Rechtsprechung
(b) Steuerrechtliche Aspekte
(c) Bedeutung der ökonomischen Analyse des Rechts
(2) Das zeitliche Moment
(a) Typische Interessenstruktur bei langfristigen Vertragsbeziehungen
(b) Lehre vom Dauerschuldverhältnis
(c) Lehre von den Relationalverträgen und den komplexen Langzeitverträgen
(d) Dynamische Elemente des vertragsrechtlichen Instrumentariums
(3) Mehrgliedrigkeit neuerer Vertragswerke
(a) Beachtung der Sinneinheit eines Vertragssystems
(b) Lehre von den Vertragsverbindungen, den trilateral-synallagmatischen Leistungsverknüpfungen und den Netzverträgen
IV. Die ergänzende Vertragsauslegung und der Übergang zur deduktiv-normgeleiteten Rechtsfindung
1. Ergänzende Vertragsauslegung
a) Vorrangstellung der ergänzenden Vertragsauslegung bei atypischen Gestaltungen
b) Der hypothetische Parteiwille – wissenschaftlich wertlose Fiktion oder geeigneter Maßstab der Vertragsergänzung?
(1) Kritik: Begründungsersetzende Interpolation materialer Gerechtigkeitsgehalte
(2) Konsequenz: Korrektur und Präzisierung des Ergänzungsmaßstabs
(a) Der hypothetische Parteiwille
(b) Objektiv-generalisierender Maßstab im Falle der Vewendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen
(3) Die ergänzende Vertragsauslegung zwischen autonomer und heteronomer Wertung
c) Zur Methode der Vertragsergänzung im einzelnen
(1) Feststellung einer Vertragslücke
(2) Zuendedenken des Vertrages aus seinem eigenen Zweckzusammenhang
(a) Analoge Anwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen?
(b) Berücksichtigung steuer- und bilanzrechtlicher Aspekte am Beispiel der Verteilung des Restwerts im Falle der ordentlichen Kündigung eines Finanzierungsleasingvertrages
(3) Berücksichtigung normativer Wertungen
(a) Subsidiäre Funktionen der gesetzlichen Regelung
(aa) Maßstab für eine wertungsmäßige Kontrolle
(bb) Analogiebasis für Zweifelsfälle
(b) Bemerkungen zur Einbindung normativer Wertungen – Beispiele
(aa) Wertende Zuordnung auf der Stufe gesetzlicher Einzelanordnungen
(bb) Annäherung an gesetzliches Vertragstypenrecht bei gemischten Verträgen
(4) Beachtlichkeit einer verbreiteten und gleichförmigen Vertragspraxis
(a) Anwendungsbeispiele und Meinungsstand
(b) Stellungnahme
(aa) Grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit in Parallele zu den Verkehrssitten
(bb) Gefahr einseitiger Bevorzugung der Interessen der Verwenderseite?
d) Ergänzende Vertragsauslegung und Geschäftsgrundlage
(1) Eigenständiger Anwendungsbereich der Geschäftsgrundlagenlehre?
(2) Leistungsfähigkeit der ergänzenden Vertragsauslegung
2. Richterliche Vertragsrechtsfortbildung
a) Einordnung der in richterlicher Rechtsfortbildung geschaffenen Rechtssätze
b) Das Verhältnis der richterlichen Vertragsrechtsfortbildung zur ergänzenden Vertragsauslegung
(1) Funktionales Näheverhältnis
(2) Praxis und Theorie der Abgrenzung
(a) Die Verfahrensweise der Rechtsprechung
(b) Kritik der bisher unterbreiteten Abgrenzungsvorschläge (Sandrock und Canaris)
(3) Eigener Vorschlag zur Lokalisierung der Regelungslücke bei nicht kodifizierten Verträgen
(a) Ergänzende Vertragsauslegung zur Lösung ungeregelter, vertragstypenspezifischer Sachfragen
(b) Entwicklung ungeschriebener Normen zur Lösung ungeregelter, vertragstypübergreifender Sachfragen
(c) Bewertung der gefundenen Lösung
3. Typische Vertragsbildungen kraft Gewohnheitsrechts?
a) Zuerkennung gewohnheitsrechtlicher Geltung durch Teile der Literatur
b) Kritik
(1) Bedenken gegen die Erhebung von Richterrecht in den Rang von Gewohnheitsrecht
(2) Die – meist nicht erfüllten – tatbestandlichen Voraussetzungen für die Entstehung von Gewohnheitsrecht
(3) Fazit: Gewohnheitsrechtliche Verfestigung nicht kodifizierter Vertragstypen als höchst singuläres Phänomen
4. Die Regeln des allgemeinen Schuldrechts
a) Anwendung der dispositiven Bestimmungen des allgemeinen Schuldrechts
(1) Exklusivitätsanspruch des allgemeinen Schuldrechts?
(2) Das allgemeine Schuldrecht und die Spezifika des gesetzesfremden Vertrages
b) Exkurs: Die Anwendung zwingender Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts
V. Typische Lösungsmuster innerhalb verschiedener Vertragskategorien?
1. Grundanliegen der Klassifizierungsvorschläge und allgemeine Bedenken
2. Schlüsse aus der Einordnung in das klassische Ordnungssystem der Schuldverträge
3. Inhalt der Leistung als Klassifizierungskriterium
4. Das Grundformen-Paradigma
Drittes Kapitel: Inhaltskontrolle
§ 8 Typenfreiheit und Rechtsordnung
I. Gefahren einer extensiven Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit – zur Kehrseite des modernen Vertragsrechts
1. Der Ausfall der Gerechtigkeitsgewähr des dispositiven Gesetzesrechts
2. Teilhabe an den spezifischen Gefahren der AGB-Verwendung
3. Kautelarjuristische Instrumentalität
4. Fazit
II. Schranken der Inhaltskontrolle gesetzlich nicht geregelter Verträge
1. Problemstellung – Fallbeispiele
a) Abräumklausel im Automatenaufstellungsvertrag
b) Freigabeklausel im Sicherungsvertrag
2. Bestimmung der Reichweite des § 8 AGBG
a) Überblick über den Streitstand
(1) Begrenzung des kontrollfreien Bereichs auf preis- und leistungsbestimmende sowie rechtsdeklaratorische Klauseln
(2) Kontrollfreiheit wegen Fehlens rechtsnormativer Vorgaben
b) Eigener Interpretationsvorschlag
(1) Wortsinn des § 8 AGBG
(2) Argumente aus dem Bedeutungszusammenhang
(a) Systematik der Inhaltskontrollvorschriften
(b) Rückschlüsse aus der EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen
(3) Zur ratio legis des § 8 AGBG
(4) Entstehungsgeschichtliche Argumente
(5) Ergebnis
3. Präzisierung des kontrollfreien Bereichs im Hinblick auf nicht kodifizierte Verträge
a) Rechtsdeklaratorische Klauseln
(1) Erfordernis eines Rechtslagenvergleichs
(2) Konkretisierung des rechtlichen Vergleichsmaßstabs
b) Preis- und leistungsbestimmende Klauseln
(1) Vorrang von Markt und Wettbewerb
(2) Transparenzkontrolle
(a) Transparenz als Vorbedingung der Kontrollfreiheit
(b) Kritik der Rechtsprechung – Urteil zur Herstellergarantie
(3) Materielle Inhaltskontrolle im Leistungsbereich
(a) Teilnahme an den Kontrollmechanismen von Markt und Wettbewerb
(b) Rückschlüsse aus den Klauselverboten der §§ 10 und 11 AGBG
(c) Anwendungsbeispiele
(aa) Entgelt für Auslandseinsatz von Kreditkarten
(bb) Abschlußzahlung beim kündbaren Teilamortisations-Leasingvertrag
c) Ergebnis
III. Ungeschriebene, der Rechtsordnung immanente Anforderungen an Zweck und Inhalt eines nicht kodifizierten Vertrages?
1. Verfolgung gesellschaftlich bedeutsamer und berechtigter Verkehrsinteressen
a) Die Auffassung eines Teils des älteren Schrifttums
b) Stellungnahme: stat pro ratione voluntas
2. Formulierung abgeschwächter Rechtfertigungslasten
a) Erfordernis eines sachlichen Grundes
b) Verkehrstypik
c) Stellungnahme
(1) Nicht kodifizierte Individualverträge
(2) Nicht kodifizierte AGB-Verträge
§ 9 Das Leitbild eines nicht kodifizierten Vertrages
I. Rechtskontrolle trotz fehlender gesetzlicher Ausgestaltung?
1. Inhaltskontrolle als Rechtsanwendung
2. Inhaltskontrolle als Wirksamkeitskontrolle
3. Rechtskontrolle auf der Grundlage von § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG
II. Leitbilder als Maßstab der Inhaltskontrolle
1. Die Leitbildfunktion des dispositiven Rechts als zentrales Denkmodell der heutigen Schuldrechtsdogmatik
2. Grenzen des Leitbilddenkens im Rahmen der Inhaltskontrolle
a) Dynamik der Vertragspraxis versus statische Gesetzesleitbilder
b) Gefahr einer übermäßigen Verkürzung der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit – dargestellt am Beispiel von Nichtlieferungs- und Verspätungsklauseln in Leasingverträgen
3. Vorschlag einer modifizierten Leitbildkonzeption
a) Unentbehrlichkeit eines normativ geprägten Vergleichsmaßstabs
b) Übergang zu differenzierteren und engeren typenspezifischen Leitbildern
c) Strukturierung des Gangs der Leitbildkontrolle
III. Abgrenzung der Funktionsbereiche des § 9 AGBG
1. Die in § 9 Abs. 2 AGBG genannten Fälle unangemessener Benachteiligung
a) Einordnung als in sich abgeschlossene Sondertatbestände der Inhaltskontrolle
b) Das Verhältnis der Sondertatbestände zueinander
(1) Vorrang legislatorischer Wertentscheidungen (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG)
(2) Schwerpunkt des Aushöhlungsverbots im Bereich der nicht kodifizierten Verträge (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG)
2. Der verbleibende Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 AGBG
IV. Unvereinbarkeit mit einem gesetzlichen Leitbild
1. „Grundgedanken der gesetzlichen Regelung“ als Vergleichsmaßstab für vorformulierte Bestimmungen in nicht kodifizierten Verträgen?
a) „Wesentliche Grundgedanken“ der gesetzlichen Regelung
b) Das Merkmal der „gesetzlichen Regelung“
(1) Gesetze im formellen und materiellen Sinne
(a) Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts – Beispiel: Verwendungsrisiko beim Fitneß-Studio-Verträgen
(b) Analog anwendbare Vorschriften des gesetzlichen Vertragstypenrechts – Beispiel: Entziehung von Wahlleistungen in den Allgemeinen Vertragsbedingungen für Krankenhäuser
(2) Ungeschriebene Rechtsgrundsätze und Richterrecht
(a) Grenzen der Einbeziehung ungeschriebenen Rechts
(b) Beispiel: das haftungsrechtliche Verschuldensprinzip
(c) Beispiel: das Äquivalenzprinzip
(3) Vertragstypenspezifische Grundgedanken?
2. Die Merkmale des „Abweichens“ und der „Unvereinbarkeit“
a) Feststellung einer für den Vertragspartner nachteiligen Rechtslagendivergenz
b) Die Unvereinbarkeitsprüfung als abschließende Wertungsstation
V. Verstoß gegen wesentliche Rechte und Pflichten aus der Natur des Vertrages
1. Kritik der bekannten Konkretisierungsvorschläge
a) Beschränkung auf Kontrolle der inneren Stimmigkeit
b) Das Denkmodell der ergänzenden Vertragsauslegung
c) Vertragsnatur – konkretisiert anhand der gemeinrechtlichen Lehre von den naturalia negotii
2. Konkretisierung typischer Erwartungshorizonte auf der Grundlage des Verbots widersprüchlichen Verhaltens
a) Das Aushöhlungsverbot als Ausprägung des Verbots widersprüchlichen Verhaltens
(1) Das Verhältnis von § 9 AGBG zum Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB)
(2) Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens und seine Korrekturfunktion auf dem Gebiet der Inhaltskontrolle
b) Konsequenzen für die Interpretation des § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG – Voraussetzungen und Anwendungsbeispiele
(1) Wesentliche Rechte oder Pflichten aus der Natur des Vertrages – Schaffung eines schützenswerten Vertrauenstatbestandes – zentrale Leistungs- und Schutzerwartungen
(a) Ausgangspunkt: das privatautonom gestaltete Pflichtenarrangement
(b) Typische Erwartungen der beteiligten Verkehrskreise
(aa) Typisierende und generalisierende Betrachtungsweise
(bb) Außervertragliche Einflußfaktoren und normativ begründete Gerechtigkeitserwartungen
(2) Einschränkung – Enttäuschung des geweckten Vertrauens
(3) Vertragszweckgefährdung
(4) Fallbeispiel: der Heizöllieferungsvertrag
VI. Einzelaspekte der Inhaltskontrolle
1. Verschiebung des Kontrollmaßstabs bei Verbraucherverträgen?
a) Autonome Auslegung des Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie?
b) Kombinationslösung nach § 24a Nr. 3 AGBG
2. Anerkennung eines gesetzesfreien Günstigkeitsraums? – dargestellt am Beispiel der Herstellergarantie
a) Ausschluß der Inhaltskontrolle nach § 8 AGBG?
b) Beurteilung kundengünstiger Klauseln im Rahmen des § 9 AGBG
3. Die Folgen der Unwirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Bestand und Inhalt des nicht kodifizierten Vertrags
a) Inhalt des wirksam gebliebenen Vertrags
(1) Ersatzloser Wegfall einzelner AGB-Bestimmungen
(2) Dispositives Recht als Regelersatzordnung
(3) Lückenfüllung im Wege ergänzender Vertragsauslegung
(a) Grundsätzliche Zulässigkeit
(b) Voraussetzungen, Maßstab und Grenzen
b) Gesamtunwirksamkeit bei Vielzahl unwirksamer Klauseln?
(1) Rechtsprechung zur Gesamtunwirksamkeit von Automatenaufstellverträgen
(2) Stellungnahme
Viertes Kapitel: Ausblick
§ 10 Kodifikationsdiskussion im Rahmen der Reform des Schuldrechts
I. Die Überarbeitung des Schuldrechts als gesetzgeberische Aufgabe
1. Punktuelle gesetzgeberische Initiativen im Schuldvertragsrecht
2. Die Arbeiten der vom Bundesminister der Justiz beauftragten Gutachter
3. Der Abschlußbericht der Schuldrechtskommission
4. Der Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes
II. Das Für und Wider einer Kodifikation gesetzlich bislang nicht geregelter Vertragstypen
1. Skeptische Stimmen im Schrifttum
2. Stellungnahme: Plädoyer für eine maßvolle Fortentwicklung der gesetzlichen Vertragstypenordnung
III. Aufgreifkriterien für den Gesetzgeber
1. Hinreichender Reifegrad
2. Homogenes Erscheinungsbild
3. Hoher Verbreitungsgrad im Wirtschaftsleben
4. Beseitigung diagnostizierter Gerechtigkeitsdefizite
5. Rechtstypologische Eigenständigkeit
IV. Leitlinien künftiger gesetzlicher Regelungen
1. Regelungsort
a) Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder zivilrechtliches Sondergesetz?
b) Vorrang vertragstypübergreifender Regelungen im allgemeinen Schuldrecht
c) Kodifikation im besonderen Schuldvertragsrecht
2. Regelungstiefe und Regelungsstil
a) Beschränkung auf die Vorgabe eines rechtlichen Rahmens und Beibehaltung des abstrakten Regelungsstils
b) Grad der Verbindlichkeit
§ 11 Internationale Rechtsvereinheitlichung
I. Fortschreitende Europäisierung des Vertragsrechts
1. Bisherige pointillistisch angelegte Vertragsrechtsharmonisierung in der Gemeinschaft
a) Verbraucherschutzrechtlich begründete Richtlinien
b) Wirtschaftspolitisch motivierte Regeln für kartellierende Schuldverträge
c) Fazit
2. Vertragstypenrecht in einer künftigen europäischen Zivilrechtskodifikation
a) „Grundregeln des europäischen Vertragsrechts“ der Lando-Kommission
b) Die wissenschaftliche Diskussion – „Towards a European Civil Code“
II. Internationales Einheitsrecht auf dem Gebiet des Vertragsrechts
1. Ausstrahlungen des internationalen Kauf- und Transportrechts
a) Wiener UN-Kaufrecht (CISG)
b) Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR)
2. Rechtsvereinheitlichende Modellregeln internationaler Organisationen
a) Internationales Institut zur Vereinheitlichung des Privatrechts (UNIDROIT)
b) Kommission für internationales Handelsrecht (UNCITRAL)
c) Würdigung
III. Internationale Standardisierungselemente ohne eigene Rechtsqualität
IV. Konsequenzen für den nationalen Gesetzgeber
1. Zurückhaltende Kodifikationspolitik zwecks Vermeidung von Inkompatibilitäten
2. Binnenharmonisierung und Schuldrechtsreform
§ 12 Zusammenfassende Schlußthesen
Schrifttumsverzeichnis
Sachregister
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Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge: Rechtsfindung und Inhaltskontrolle
 9783161579158, 3161476549

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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 59

Markus Stoffels

Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge Rechtsfindung und Inhaltskontrolle

Mohr Siebeck

Markus S t o f f e l s , geboren 1963; 1984-1990 Studium der Rechtswissenschaften in Bonn; 1990-92 wissenschaftliche Hilfskraft am Forschungsinstitut für Sozialrecht an der Universität zu Köln; 1993 Promotion; 1994 zweites juristisches Staatsexamen; 1995-2001 wissenschaftlicher Assistent an der Fernuniversität Hagen; 2001 Habilitation; Professor an der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn.

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Rechtswissenschaft an der Fernuniversität Hagen gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Deutsche

Bibliothek

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CIP-Einheitsaufnahme

S t o f f e l s , Markus: Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge : Rechtsfindung und Inhaltskontrolle / Markus Stoffels. - Tübingen : Mohr Siebeck, 2001 978-3-16-157915-8 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 (Jus privatum; 59) ISBN 3-16-147654-9

© 2001 J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen aus der Garamond-Antiqua gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-9610

Michaela

Vorwort Die vorliegende Untersuchung versteht sich als ein Beitrag zur Bewältigung der Rechtsprobleme gesetzlich nicht geregelter Schuldverträge, wozu insbesondere die sogenannten „modernen Vertragstypen" zählen. Es geht darum, ein methodisches Konzept zu erarbeiten, das die spezifischen Probleme solcher Verträge im Bereich der Rechtsfindung und der Inhaltskontrolle einer befriedigenden Lösung näherbringt. Die Arbeit hat dem Fachbereich Rechtswissenschaft der FernUniversität Hagen als Habilitationsschrift im Wintersemester 2000/2001 vorgelegen. Für die Veröffentlichung ist sie auf den Stand Januar 2001 gebracht worden. Erste Stellungnahmen zu dem vom Bundesminister der Justiz veröffentlichten Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes konnten noch berücksichtigt werden, spätere hingegen nur noch sporadisch. Der Verfasser dankt allen voran seinen verehrten Lehrern, den Herren Professoren Eisenhardt und Preis, für die ihm zuteil gewordene Förderung. Beide haben gleichermaßen maßgeblichen Anteil an der Vollendung der vorliegenden Arbeit. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft schuldet der Verfasser Dank für die Unterstützung der Drucklegung in Form eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Bonn, im Frühjahr 2001

Markus Stoffels

Inhaltsübersicht Vorwort

VII Erstes Kapitel: Grundbegriffe und Grundlagen

§1 §2 §3 §4

Einführung Rechtsmethodische Erfassung der normativen Schuldvertragsordnung Historische Grundlagen des Verhältnisses der gesetzlichen Vertragstypenordnung und privatautonomer Regelung Die heutige Bedeutung der normativen Vertragstypenordnung . . . .

1 20 50 103

Zweites Kapitel: Inhaltsbestimmung §5 §6 §7

Rechtsfindungsmethoden der Rechtsprechung Kritik der im Schrifttum vertretenen Entwürfe Grundpfeiler eines methodengerechten Rechtsfindungskonzepts . .

121 153 172

Drittes Kapitel: Inhaltskontrolle §8 §9

Typenfreiheit und Rechtsordnung Das Leitbild eines nicht kodifizierten Vertrages

357 415

Viertes Kapitel: Ausblick § 10 Kodifikationsdiskussion im Rahmen der Reform des Schuldrechts . §11 Internationale Rechtsvereinheitlichung § 12 Zusammenfassende Schlußthesen

542 585 628

Schrifttumsverzeichnis

647

Sachregister

688

Inhaltsverzeichnis Vorwort

VII

Erstes Kapitel: G r u n d b e g r i f f e u n d G r u n d l a g e n §1

Einführung

I. Die gesetzliche Schuldvertragsordnung und die Vertragswirklichkeit . . . . 1. Bestehen und Entstehen nicht kodifizierter Vertragstypen als Ausdruck eines offenen und dynamischen Vertragswesens 2. Vom Individualvertrag zum standardisierten Massenvertrag 3. Offene Fragen II. Problemaufriß 1. Erschwerte Justitiabilität a) Normenmangel: das Dilemma der Rechtsfindung und der Inhaltskontrolle b) Weitere Ursachen der erschwerten Justitiabilität (1) Schwierigkeiten der Integration anglo-amerikanisch beeinflußter Vertragsformen (2) Problematik langfristiger Beziehungsverträge (3) Problematik mehrgliedriger Vertragssysteme 2. Die Kodifikationsfrage III. Präzisierung des Untersuchungsgegenstandes 1. Begriff des gesetzlich nicht geregelten (Schuld-)Vertrages a) Fehlen einer vertragstypprägenden Regelung im Gesetz b) Gemischte und typenfremde Verträge als Unterfälle 2. Abgrenzungen a) Atypische und verkehrstypische Verträge b) Sonderstellung moderner Vertragstypen? IV. Gang der Untersuchung §2

Rechtsmethodische Erfassung der normativen Schuldvertragsordnung I. Begriffliche oder typologische Struktur? 1. Zum Stand der Diskussion a) Der überkommene begrifflich-kategoriale Ansatz b) Der Siegeszug der Typuskonzeptionen c) Kritik der Typologik

1 1 1 2 3 5 6 6 7 7 8 9 11 11 11 12 13 14 14 16 17

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XII

Inhaltsverzeichnis 2. Eigener Standpunkt a) Der überschätzte Abstand des qualitativen Gehalts beider Rechtsanwendungsstile b) Das Zwei-Schichten-Modell (1) Die Ebene der Deskription (2) Die Ebene der Rechtsgewinnung 3. Typenzwang u n d Typenfreiheit

II. Systematisierungsbemühungen der Schuldrechtsdogmatik 1. Gemischte Verträge a) Einheitlichkeit des Rechtsgeschäfts b) A b g r e n z u n g zu sonstigen Vertragsgebilden (1) Vertragsverbindungen (2) Zusammengesetzte Verträge c) Typenkombinationsverträge d) Verträge mit anderstypischer Nebenleistung e) Verträge mit anderstypischer Gegenleistung f) Typenverschmelzungsverträge 2. T y p e n f r e m d e Verträge a) A b g r e n z u n g zu bloßen Modifikationen gesetzestypischer Verträge . b) Singularität t y p e n f r e m d e r Verträge c) Beispiele t y p e n f r e m d e r Verträge

§3

Historische Grundlagen des Verhältnisses der gesetzlichen Vertragstypenordnung zur privatautonomen Regelung I. Die Vertragstypenordnung des römischen Rechts 1. Ausbildung einer strikten Vertragstypenordnung vor d e m H i n t e r g r u n d des Aktionensystems 2. Allmähliche Auflockerungen bis zu den I n n o m i n a t k o n t r a k t e n der nachklassischen Zeit

II. U b e r w i n d u n g des starren Typenzwangs durch das Prinzip der Vertragsfreiheit im ausgehenden Mittelalter 1. Der Einfluß kanonischen Rechtsdenkens 2. Naturrechtliche Vertragslehre III. Vertragstypen in den großen Naturrechtskodifikationen 1. D e r C o d e x Maximilianeus Bavaricus civilis von 1756 2. Das Allgemeine Landrecht f ü r die Preußischen Staaten v o n 1794 3. D e r französische C o d e civil von 1804 4. Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch f ü r die gesamten Deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie von 1811 5. Gesamtwürdigung IV. F r ü h e Kodifizierung handelsrechtlicher Vertragstypen 1. Vertragstypen im Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch v o n 1861 2. Die Diskussion u m das dispositive Gesetzesrecht im handelsrechtlichen Schrifttum des 19. Jahrhunderts V. Die Diskussion in der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts

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Inhaltsverzeichnis 1. Primat selbstbestimmter Gestaltung der Rechtsverhältnisse bei von Savigny 2. Die Pandektistik nach von Savigny 3. Verbindliche Kraft u n d O r d n u n g s f u n k t i o n auch des nicht zwingenden Rechts VI. Die Vertragstypenordnung des Bürgerlichen Gesetzbuches 1. Das Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch von 1863 2. Dresdener Entwurf von 1866 3. D e r Erste Entwurf von 1887 a) Vorlagen, Text des E n t w u r f s u n d Motive b) Stellungnahmen 4. D e r Zweite Entwurf von 1 8 9 5 - P r o t o k o l l e 5. Die Gesetz gewordene Fassung von 1896 a) A n e r k e n n u n g der schuldrechtlichen Vertragsfreiheit in §305 B G B . b) Fehlen grundsätzlicher Aussagen z u r Bedeutung der Vertragstypenordnung u n d zur Behandlung gemischter Verträge . . c) F u n k t i o n des dispositiven Gesetzesrechts nach Ehrlich VII. Weiterungen des Disputs u m die Bedeutung des dispositiven Gesetzesrechts 1. Dispositives Gesetzesrecht u n d ergänzende Vertragsauslegung 2. Dispositives Gesetzesrecht u n d ergänzende Verkehrssitten VIII. Entwicklung des Leitbildgedankens 1. Erste Ansätze im Schrifttum 2. Ordnungsvorstellungen der nationalsozialistisch beeinflußten Rechtserneuerer 3. Rechtsprechung u n d Literatur vor Inkrafttreten des AGB-Gesetzes . . . 4. Die Generalklausel des § 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G IX. Resümee: Vertragstypenfreiheit u n d Typenkatalog 1. Das historische Spannungsverhältnis 2. Die Anlage des Bürgerlichen Gesetzbuches - ein Anlaß zur methodischen N e u b e s i n n u n g

§4

Die heutige Bedeutung der normativen Vertragstypenordnung . . . . I. Die Vertragstypenordnung als notwendiges Korrelat zur Privatautonomie II. F u n k t i o n e n der gesetzlichen Vertragstypen 1. Rechtsfindungshilfe a) Verkehrserleichterndes Angebot b) Gewährleistung gleicher u n d vorhersehbarer Rechtsfolgenableitungen 2. Maßstabsfunktion im Rahmen der Inhaltskontrolle 3. Wertungshilfe bei nicht kodifizierten Vertragstypen

III. Eingeschränkte Rationalität des Kreises der normierten Vertragstypen . . . 1. G r ü n d e f ü r die N o r m i e r u n g einzelner Vertragstypen 2. Aleatorische Züge u n d fragmentarischer Charakter der normativen Vertragstypenordnung

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XIV

Inhaltsverzeichnis 3. Verengung des Funktionsbereichs der gesetzlichen Regelungsmodelle durch Ausrichtung an bestimmten Lebenssachverhalten

IV. Überlagerung der traditionellen Vertragsmuster durch engere Wertungszusammenhänge V. Fazit

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Zweites Kapitel: Inhaltsbestimmung §5

Rechtsfindungsmethoden der Rechtsprechung I. Verzicht auf eine methodische Festlegung II. Die Bedeutung des vertraglich Vereinbarten im Rechtsfindungsprozeß . . . 1. Bezeichnung des Vertrages durch die Parteien 2. Qualifikation des Vertrages durch die Parteien a) Allgemeine Stellungnahmen zur Beachtlichkeit einer Selbstqualifikation b) Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zur Abgrenzung des Arbeitsverhältnisses vom freien Dienstverhältnis c) Die Rechtsprechung zum Gesellschaftsrecht d) Zusammenfassung

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III. Qualifizierung als normativ-typischer Vertrag 1. Beispielsfälle aus der Rechtsprechung 2. Das Beispiel Finanzierungsleasing - der mietrechtliche Ansatz der Rechtsprechung

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IV. Probleme der Normenkonkurrenz 1. Die Stellung des Vertrages im Begriffssystem der normativen Typenordnung 2. Methodische Bewältigung einzelner Problembereiche a) Kombinationslösungen im Bereich der Gewährleistungshaftung . . . b) Einheitslösungen bei der Anwendung zwingenden Rechts sowie von Kündigungs- und Widerrufsbestimmungen

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V. Probleme des Fehlens gesetzlicher Lösungen 1. Orientierung am problemnächsten gesetzlichen Vertragstypenrecht . . .

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a) Übernahme des jeweiligen Vertragstypenrechts in toto b) Übertragung gesetzlicher Einzelwertungen 2. Rückgriff auf das allgemeine Schuldrecht 3. Entwicklung ungeschriebener N o r m e n V I . Zusammenfassende Bewertung

§6

Kritik der im Schrifttum vertretenen Entwürfe I. Stellungnahme zum Theorienstreit um die Behandlung gemischter Verträge 1. Absorptionstheorie 2. Kombinationstheorie 3. Theorie der analogen Rechtsanwendung

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Inhaltsverzeichnis 4. Pragmatisch differenzierende M e t h o d e n der herrschenden Lehre 5. Zusammenfassende Bewertung II. Die Rechtsfindung bei t y p e n f r e m d e n Verträgen 1. Gesetzesorientierte Zugangsweise 2. Vorrangstellung der (ergänzenden) Vertragsauslegung 3. Zusammenfassende Bewertung III. Ubergreifende Rechtsfindungskonzepte 1. Diskurstheorie 2. Typologische Zuordnungsverfahren a) Gesamtbildvergleich b) Isolierende Typenvergleichsmethode 3. Zusammenfassende Bewertung

§7

Grundpfeiler eines methodengerechten Rechtsfindungskonzepts .. I. Zu den A n f o r d e r u n g e n an ein Rechtsfindungskonzept 1. U m s e t z u n g des von den Parteien Gewollten 2. Vorhersehbarkeit der Inhaltskonkretisierung 3. Rechtsdogmatische Stimmigkeit a) Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge als Gegenstand eines Systems aufeinander abgestimmter rechtlicher Aussagen b) Verbindung der induktiven, vertragsauslegenden mit der deduktiven, normapplizierenden Zugangsweise II. Kritik der herrschenden, primär normorientierten Rechtsfindungsmethode 1. Die zu konstatierende H y p e r t r o p h i e r u n g der gesetzlichen Vertragstypen 2. Gefahren einer vorschnellen E i n o r d n u n g a) Mißachtung des Grundsatzes der Privatautonomie (1) Sachmängelhaftung u n d Wegfall der Geschäftsgrundlage beim Finanzierungsleasing (2) A n w e n d u n g des §557 B G B auf Finanzierungsleasingverträge . . b) Ausblendung alternativer Lösungen c) Zerstörung der Sinneinheit mehrgliedriger Vertragswerke d u r c h R e d u k t i o n auf bipolare BGB-Verträge 3. Verkennung der Leistungsfähigkeit der normativen Vertragstypenordnung

III. Vorrangige A u s s c h ö p f u n g des vertraglich Vereinbarten 1. Qualifikationshoheit der Parteien oder Rechtsformzwang? a) G r u n d s a t z der Qualifikationshoheit als Ausfluß der Privatautonomie b) G r e n z e n der Qualifikationshoheit c) Konsequenzen f ü r die praktische Rechtsanwendung (1) W ü r d i g u n g einer Selbstqualifikation im Rahmen der Vertragsauslegung (a) Die Bedeutung des Wortlautes - aufgezeigt am Beispiel des Akquisitionsvertrages zwischen Kreditkartenausgeber u n d Vertragsunternehmen

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203

XVI

Inhaltsverzeichnis (b) D e r Anwendungsbereich der Regel „falsa demonstratio non nocet" (c) Auflösung von Widersprüchen (2) Kontrolle und Korrektur einer Selbstqualifikation (a) D e r Geltungsanspruch des zwingenden Gesetzesrechts . . . . (b) Angemessenheitskontrolle einer Selbstqualifikation nach § § 9 bis 11 A G B G (c) Rechtsfolgen einer Rechtsformverfehlung und der Nichtbeachtung einzelner unabdingbarer Vorschriften . . . . d) Folgerungen für die rechtliche Behandlung nicht kodifizierter Verträge 2. Die Auslegung gesetzlich nicht geregelter Schuldverträge a) Feststellung des objektiven Erklärungswertes b) AGB-spezifische Modifikationen (1) Grundsatz der objektiven Auslegung (2) Unklarheitenregel und Restriktionsprinzip c) Auslegungsrelevante Begleitumstände (1) Die wirtschaftliche Zwecksetzung (a) Beispielsfälle aus der Rechtsprechung (b) Steuerrechtliche Aspekte (c) Bedeutung der ökonomischen Analyse des Rechts (2) Das zeitliche M o m e n t (a) Typische Interessenstruktur bei langfristigen Vertragsbeziehungen (b) Lehre vom Dauerschuldverhältnis (c) Lehre von den Relationalverträgen und den komplexen Langzeitverträgen (d) Dynamische Elemente des vertragsrechtlichen Instrumentariums (3) Mehrgliedrigkeit neuerer Vertragswerke (a) Beachtung der Sinneinheit eines Vertragssystems (b) Lehre von den Vertragsverbindungen, den trilateral-synallagmatischen Leistungsverknüpfungen und den Netzverträgen

IV. Die ergänzende Vertragsauslegung und der Ubergang zur deduktiv-normgeleiteten Rechtsfindung 1. Ergänzende Vertragsauslegung a) Vorrangstellung der ergänzenden Vertragsauslegung bei atypischen Gestaltungen b) D e r hypothetische Parteiwille - wissenschaftlich wertlose Fiktion oder geeigneter Maßstab der Vertragsergänzung? (1) Kritik: Begründungsersetzende Interpolation materialer Gerechtigkeitsgehalte (2) Konsequenz: Korrektur und Präzisierung des Ergänzungsmaßstabs (a) D e r hypothetische Parteiwille (b) Objektiv-generalisierender Maßstab im Falle der Vewendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen

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Inhaltsverzeichnis (3) Die ergänzende Vertragsauslegung zwischen a u t o n o m e r u n d h e t e r o n o m e r Wertung c) Z u r M e t h o d e der Vertragsergänzung im einzelnen (1) Feststellung einer Vertragslücke (2) Z u e n d e d e n k e n des Vertrages aus seinem eigenen Zweckzusammenhang (a) Analoge A n w e n d u n g Allgemeiner Geschäftsbedingungen? (b) Berücksichtigung Steuer- u n d bilanzrechtlicher Aspekte am Beispiel der Verteilung des Restwerts im Falle der ordentlichen Kündigung eines Finanzierungsleasingvertrages (3) Berücksichtigung normativer Wertungen (a) Subsidiäre Funktionen der gesetzlichen Regelung (aa) Maßstab f ü r eine wertungsmäßige Kontrolle (bb) Analogiebasis f ü r Zweifelsfälle (b) Bemerkungen z u r Einbindung normativer Wertungen Beispiele (aa) Wertende Z u o r d n u n g auf der Stufe gesetzlicher Einzelanordnungen (bb) A n n ä h e r u n g an gesetzliches Vertragstypenrecht bei gemischten Verträgen (4) Beachtlichkeit einer verbreiteten u n d gleichförmigen Vertragspraxis (a) Anwendungsbeispiele u n d Meinungsstand (b) Stellungnahme (aa) Grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit in Parallele zu den Verkehrssitten (bb) Gefahr einseitiger Bevorzugung der Interessen der Verwenderseite? d) Ergänzende Vertragsauslegung u n d Geschäftsgrundlage (1) Eigenständiger Anwendungsbereich der Geschäftsgrundlagenlehre? (2) Leistungsfähigkeit der ergänzenden Vertragsauslegung 2. Richterliche Vertragsrechtsfortbildung a) E i n o r d n u n g der in richterlicher Rechtsfortbildung geschaffenen Rechtssätze b) Das Verhältnis der richterlichen Vertragsrechtsfortbildung zur ergänzenden Vertragsauslegung (1) Funktionales Näheverhältnis (2) Praxis u n d Theorie der A b g r e n z u n g (a) DieVerfahrensweise der Rechtsprechung (b) Kritik der bisher unterbreiteten Abgrenzungsvorschläge {Sandrock u n d Canaris) (3) Eigener Vorschlag zur Lokalisierung der Regelungslücke bei nicht kodifizierten Verträgen (a) Ergänzende Vertragsauslegung z u r Lösung ungeregelter, vertragstypenspezifischer Sachfragen

XVII 282 283 284 287 287

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XVIII

Inhaltsverzeichnis

(b) Entwicklung ungeschriebener N o r m e n zur Lösung ungeregelter, vertragstypübergreifender Sachfragen (c) Bewertung der gefundenen Lösung 3. Typische Vertragsbildungen kraft Gewohnheitsrechts? a) Zuerkennung gewohnheitsrechtlicher Geltung durch Teile der Literatur b) Kritik (1) Bedenken gegen die Erhebung von Richterrecht in den Rang von Gewohnheitsrecht (2) Die - meist nicht erfüllten - tatbestandlichen Voraussetzungen für die Entstehung von Gewohnheitsrecht (3) Fazit: Gewohnheitsrechtliche Verfestigung nicht kodifizierter Vertragstypen als höchst singulares Phänomen 4. Die Regeln des allgemeinen Schuldrechts a) Anwendung der dispositiven Bestimmungen des allgemeinen Schuldrechts (1) Exklusivitätsanspruch des allgemeinen Schuldrechts ? (2) Das allgemeine Schuldrecht und die Spezifika des gesetzesfremden Vertrages b) Exkurs: D i e Anwendung zwingender Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts V. Typische Lösungsmuster innerhalb verschiedener Vertragskategorien? . . . 1. Grundanliegen der Klassifizierungsvorschläge und allgemeine Bedenken 2. Schlüsse aus der Einordnung in das klassische Ordnungssystem der Schuldverträge 3. Inhalt der Leistung als Klassifizierungskriterium 4. Das Grundformen-Paradigma

330 332 334 334 335 336 338 340 340 340 341 342 344 347 347 350 351 354

Drittes Kapitel: Inhaltskontrolle §8

Typenfreiheit und Rechtsordnung I. Gefahren einer extensiven Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit - zur Kehrseite des modernen Vertragsrechts . 1. D e r Ausfall der Gerechtigkeitsgewähr des dispositiven Gesetzesrechts 2. Teilhabe an den spezifischen Gefahren der A G B - V e r w e n d u n g 3. Kautelarjuristische Instrumentalität 4. Fazit II. Schranken der Inhaltskontrolle gesetzlich nicht geregelter Verträge 1. Problemstellung - Fallbeispiele a) Abräumklausel im Automatenaufstellungsvertrag b) Freigabeklausel im Sicherungsvertrag 2. Bestimmung der Reichweite des § 8 A G B G a) Überblick über den Streitstand (1) Begrenzung des kontrollfreien Bereichs auf preis- und leistungsbestimmende sowie rechtsdeklaratorische Klauseln . . .

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Inhaltsverzeichnis (2) Kontrollfreiheit wegen Fehlens rechtsnormativer Vorgaben . . . . b) Eigener Interpretationsvorschlag (1) Wortsinn des §8 A G B G (2) Argumente aus dem Bedeutungszusammenhang (a) Systematik der Inhaltskontrollvorschriften (b) Rückschlüsse aus der EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (3) Zur ratio legis des § 8 A G B G (4) Entstehungsgeschichtliche Argumente (5) Ergebnis 3. Präzisierung des kontrollfreien Bereichs im Hinblick auf nicht kodifizierte Verträge a) Rechtsdeklaratorische Klauseln (1) Erfordernis eines Rechtslagenvergleichs (2) Konkretisierung des rechtlichen Vergleichsmaßstabs b) Preis- und leistungsbestimmende Klauseln (1) Vorrang von Markt und Wettbewerb (2) Transparenzkontrolle (a) Transparenz als Vorbedingung der Kontrollfreiheit (b) Kritik der Rechtsprechung - Urteil zur Herstellergarantie . (3) Materielle Inhaltskontrolle im Leistungsbereich (a) Teilnahme an den Kontrollmechanismen von Markt und Wettbewerb (b) Rückschlüsse aus den Klauselverboten der §§10 und 11 AGBG (c) Anwendungsbeispiele (aa) Entgelt für Auslandseinsatz von Kreditkarten (bb) Abschlußzahlung beim kündbaren Teilamortisations-Leasingvertrag •. c) Ergebnis III. Ungeschriebene, der Rechtsordnung immanente Anforderungen an Zweck und Inhalt eines nicht kodifizierten Vertrages? 1. Verfolgung gesellschaftlich bedeutsamer und berechtigter Verkehrsinteressen a) Die Auffassung eines Teils des älteren Schrifttums b) Stellungnahme: stat pro ratione voluntas 2. Formulierung abgeschwächter Rechtfertigungslasten a) Erfordernis eines sachlichen Grundes b) Verkehrstypik c) Stellungnahme (1) Nicht kodifizierte Individualverträge (2) Nicht kodifizierte AGB-Verträge

§9

Das Leitbild eines nicht kodifizierten Vertrages I. Rechtskontrolle trotz fehlender gesetzlicher Ausgestaltung? 1. Inhaltskontrolle als Rechtsanwendung

XIX 370 371 371 372 372 374 376 378 379 380 380 380 381 385 386 387 387 388 390 390 394 398 398 400 402 403 404 404 405 407 408 409 409 409 411

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XX

Inhaltsverzeichnis 2. Inhaltskontrolle als Wirksamkeitskontrolle 3. Rechtskontrolle auf der Grundlage v o n §9 A b s . 2 N r . 2 A G B G

II. Leitbilder als Maßstab der Inhaltskontrolle 1. Die Leitbildfunktion des dispositiven Rechts als zentrales D e n k m o d e l l der heutigen Schuldrechtsdogmatik 2. G r e n z e n des Leitbilddenkens im R a h m e n der Inhaltskontrolle a) D y n a m i k der Vertragspraxis versus statische Gesetzesleitbilder . . . . b) Gefahr einer übermäßigen Verkürzung der inhaltlichen Gestaltungsfreiheit - dargestellt am Beispiel v o n Nichtlieferungsu n d Verspätungsklauseln in Leasingverträgen 3. Vorschlag einer modifizierten Leitbildkonzeption a) Unentbehrlichkeit eines normativ geprägten Vergleichsmaßstabs . . b) U b e r g a n g zu differenzierteren u n d engeren typenspezifischen Leitbildern c) Strukturierung des Gangs der Leitbildkontrolle

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III. A b g r e n z u n g der Funktionsbereiche des § 9 A G B G 1. Die in §9 A b s . 2 A G B G genannten Fälle unangemessener Benachteiligung a) E i n o r d n u n g als in sich abgeschlossene Sondertatbestände der Inhaltskontrolle b) Das Verhältnis der Sondertatbestände zueinander (1) Vorrang legislatorischer Wertentscheidungen (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG) (2) Schwerpunkt des Aushöhlungsverbots im Bereich der nicht kodifizierten Verträge (§9 A b s . 2 Nr. 2 A G B G ) 2. D e r verbleibende Anwendungsbereich des §9 Abs. 1 A G B G

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IV. Unvereinbarkeit mit einem gesetzlichen Leitbild 1. „ G r u n d g e d a n k e n der gesetzlichen Regelung" als Vergleichsmaßstab f ü r vorformulierte Bestimmungen in nicht kodifizierten Verträgen? . . . a) „Wesentliche G r u n d g e d a n k e n " der gesetzlichen Regelung b) Das Merkmal der „gesetzlichen Regelung" (1) Gesetze im formellen u n d materiellen Sinne (a) Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts - Beispiel: Verwendungsrisiko beim Fitneß-Studio-Verträgen (b) Analog anwendbare Vorschriften des gesetzlichen Vertragstypenrechts - Beispiel: E n t z i e h u n g von Wahlleistungen in den Allgemeinen Vertragsbedingungen f ü r Krankenhäuser (2) Ungeschriebene Rechtsgrundsätze u n d Richterrecht (a) G r e n z e n der Einbeziehung ungeschriebenen Rechts (b) Beispiel: das haftungsrechtliche Verschuldensprinzip (c) Beispiel: das Aquivalenzprinzip (3) Vertragstypenspezifische G r u n d g e d a n k e n ? 2. Die Merkmale des „Abweichens" u n d der „Unvereinbarkeit" a) Feststellung einer f ü r den Vertragspartner nachteiligen Rechtslagendivergenz b) Die Unvereinbarkeitsprüfung als abschließende Wertungsstation . .

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Inhaltsverzeichnis V. Verstoß gegen wesentliche Rechte u n d Pflichten aus der N a t u r des Vertrages 1. Kritik der bekannten Konkretisierungsvorschläge a) Beschränkung auf Kontrolle der inneren Stimmigkeit b) Das D e n k m o d e l l der ergänzenden Vertragsauslegung c) Vertragsnatur - konkretisiert anhand der gemeinrechtlichen Lehre von den naturalia negotii 2. Konkretisierung typischer Erwartungshorizonte auf der Grundlage des Verbots widersprüchlichen Verhaltens a) Das Aushöhlungsverbot als Ausprägung des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (1) Das Verhältnis von §9 A G B G z u m G e b o t v o n Treu u n d Glauben (§242 BGB) (2) Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens u n d seine K o r r e k t u r f u n k t i o n auf dem Gebiet der Inhaltskontrolle b) Konsequenzen f ü r die Interpretation des § 9 Abs. 2 N r . 2 A G B G Voraussetzungen u n d Anwendungsbeispiele (1) Wesentliche Rechte oder Pflichten aus der N a t u r des Vertrages - Schaffung eines schützenswerten Vertrauenstatbestandes zentrale Leistungs- u n d Schutzerwartungen (a) Ausgangspunkt: das privatautonom gestaltete Pflichtenarrangement (b) Typische Erwartungen der beteiligten Verkehrskreise (aa) Typisierende u n d generalisierende Betrachtungsweise (bb) Außervertragliche Einflußfaktoren u n d normativ begründete Gerechtigkeitserwartungen (2) Einschränkung - Enttäuschung des geweckten Vertrauens (3) Vertragszweckgefährdung (4) Fallbeispiel: der Heizöllieferungsvertrag VI. Einzelaspekte der Inhaltskontrolle 1. Verschiebung des Kontrollmaßstabs bei Verbraucherverträgen? a) A u t o n o m e Auslegung des Art. 3 Abs. 1 der Klauselrichtlinie? b) Kombinationslösung nach §24a N r . 3 A G B G 2. A n e r k e n n u n g eines gesetzesfreien Günstigkeitsraums? - dargestellt am Beispiel der Herstellergarantie a) Ausschluß der Inhaltskontrolle nach § 8 A G B G ? b) Beurteilung kundengünstiger Klauseln im R a h m e n des § 9 A G B G . 3. Die Folgen der Unwirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen f ü r Bestand u n d Inhalt des nicht kodifizierten Vertrags a) Inhalt des wirksam gebliebenen Vertrags (1) Ersatzloser Wegfall einzelner A G B - B e s t i m m u n g e n (2) Dispositives Recht als Regelersatzordnung (3) Lückenfüllung im Wege ergänzender Vertragsauslegung (a) Grundsätzliche Zulässigkeit (b) Voraussetzungen, Maßstab u n d G r e n z e n b) Gesamtunwirksamkeit bei Vielzahl unwirksamer Klauseln?

XXI

471 471 472 474 476 479 479 479 481 486

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XXII

Inhaltsverzeichnis (1) Rechtsprechung zur Gesamtunwirksamkeit von Automatenaufstellverträgen (2) Stellungnahme

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Viertes Kapitel: Ausblick §10

K o d i f i k a t i o n s d i s k u s s i o n i m R a h m e n d e r R e f o r m des Schuldrechts

I. Die Überarbeitung des Schuldrechts als gesetzgeberische Aufgabe 1. Punktuelle gesetzgeberische Initiativen im Schuldvertragsrecht 2. Die Arbeiten der vom Bundesminister der Justiz beauftragten Gutachter 3. Der Abschlußbericht der Schuldrechtskommission 4. Der Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes . . II. Das Für und Wider einer Kodifikation gesetzlich bislang nicht geregelter Vertragstypen 1. Skeptische Stimmen im Schrifttum 2. Stellungnahme: Plädoyer für eine maßvolle Fortentwicklung der gesetzlichen Vertragstypenordnung III. Aufgreifkriterien für den Gesetzgeber 1. Hinreichender Reifegrad 2. Homogenes Erscheinungsbild 3. Hoher Verbreitungsgrad im Wirtschaftsleben 4. Beseitigung diagnostizierter Gerechtigkeitsdefizite 5. Rechtstypologische Eigenständigkeit IV. Leitlinien künftiger gesetzlicher Regelungen 1. Regelungsort a) Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder zivilrechtliches Sondergesetz? b) Vorrang vertragstypübergreifender Regelungen im allgemeinen Schuldrecht c) Kodifikation im besonderen Schuldvertragsrecht 2. Regelungstiefe und Regelungsstil a) Beschränkung auf die Vorgabe eines rechtlichen Rahmens und Beibehaltung des abstrakten Regelungsstils b) Grad der Verbindlichkeit §11

Internationale Rechtsvereinheitlichung

I. Fortschreitende Europäisierung des Vertragsrechts 1. Bisherige pointillistisch angelegte Vertragsrechtsharmonisierung in der Gemeinschaft a) Verbraucherschutzrechtlich begründete Richtlinien b) Wirtschaftspolitisch motivierte Regeln f ü r kartellierende Schuldverträge c) Fazit

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Inhaltsverzeichnis 2. Vertragstypenrecht in einer künftigen europäischen Zivilrechtskodifikation a) „Grundregeln des europäischen Vertragsrechts" der Ltzu&in%tr-Mayer-Maly, Einl. zu §§433ff. BGB Rdnr.21. 67 Vgl. die Inhaltsübersicht bei Martinek, Moderne Vertragstypen III, S. IXf. 68 Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 1 III, S. 4ff.; ihm folgend sein Adept Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S.38f. 69 Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 1 V, S. 12 und Moderne Vertragstypen III, §30 III, S.388. 70 Skeptisch auch von Olshausen, ZHR 159 (1995), S.514. 64

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III. Präzisierung

des

Untersuchungsgegenstandes

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„modernen Vertragstypen" gerechnete Abreden in Wahrheit gar nicht so neu sind,71 ist es kaum nachzuvollziehen, weshalb zahlreiche gesetzlich ebenfalls nicht geregelte Vertragstypen allein deshalb nicht in die Betrachtung einbezogen werden sollen, weil sie auf eine längere - nicht anglo-amerikanisch geprägte Tradition zurückschauen. Auch den Garantie-, Lizenz- oder Altenheimverträgen - um nur einige wenige Beispiele zu nennen - kommt eine immense praktische und gesamtwirtschaftliche Bedeutung zu; das gleiche läßt sich über den Automatenaufstellungsvertrag sagen, dessen noch relativ junge Herausbildung weitgehend frei von US-amerikanischen Vorbildern verlief. Das im Vordergrund stehende gemeinsame Grundproblem besteht allemal im Fehlen unmittelbar einschlägiger normativer Vorgaben. Dies verlangt eine besondere methodische Vorgehensweise bei der Rechtsfindung und - wegen des fehlenden normativen Leitbildes - auch bei der Inhaltskontrolle solcher Verträge. Der entscheidende Schnitt verläuft somit zwischen den gesetzlich geregelten und den ungeregelten Verträgen. Die die angebliche Sonderstellung „moderner Vertragstypen" nach Martinek begründende geographische Herkunft und ihre hohe wirtschaftliche Bedeutung sind methodologisch betrachtet nahezu indifferente Merkmale, die kein auf sie bezogenes, eigenständiges rechtsmethodisches Konzept rechtfertigen. Der spezifischen Eigenart des jeweiligen Vertrages und der wirtschaftlichen Interessenlage der Beteiligten gilt es hier wie dort besondere Beachtung zu schenken. Insgesamt handelt es sich um eine zu schwache Basis für einen auf „moderne Vertragstypen" zugeschnittenen Allgemeinen Teil oder auch nur für auf sie beschränkte rechtliche Aussagen. Es ist bezeichnend, daß Martinek über die bloße Empfehlung entsprechender Schritte nicht hinaus gekommen ist. Zuletzt sei noch angemerkt, daß sich die Verengung des Blickwinkels auf „moderne Vertragstypen" sogar kontraproduktiv auswirken kann; nämlich dann, wenn sie zugleich das über viele Jahrzehnte angesammelte Erfahrungswissen um die Bewältigung der älteren nicht kodifizierten Verträge ausblenden würde. Ist somit eine Sonderstellung der „modernen Vertragstypen" unter den gesetzlich nicht geregelten Schuldverträgen nicht zu rechtfertigen, so bedeutet dies andererseits aber nicht, daß nun auch die Beibehaltung dieser Bezeichnung nicht mehr opportun wäre. Nur sollte man sich darüber im klaren sein, daß es sich um nicht mehr als einen bloßen Sammelnamen für eine höchst heterogene Gruppe neuartiger, wirtschaftlich bedeutender Vertragsformen vornehmlich US-amerikanischer Provenienz handelt.

IV. Gang der Untersuchung Die Untersuchung will einen Weg aufzeigen, wie sich für den mit gesetzesfremden Verträgen befaßten Rechtsanwender das Zusammenspiel zwischen der 71 Stuudinger-Mayer-Maly, S. 673 ff.

Einl. zu §§433ff. BGB Rdnr.21; ders., in: FS für Larenz (1973),

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§1

Einführung

analytisch-induktiven Auseinandersetzung mit der einzelnen Parteivereinbarung (Auslegung) einerseits und der deduktiv orientierten Normapplikation (Subsumtion, typologische Zuordnung, Inhaltskontrolle) andererseits gestaltet. Es geht mit anderen Worten um die ewig junge Frage, wo die Grenze verläuft, bis zu der hin das von den Parteien autonom gesetzte Programm verbindlich ist und von der an ergänzendes und korrigierendes Gesetzesrecht eingreift. 72 Die einzelnen Stationen des Gedankengangs seien hier nur grob skizziert. Nach einigen kurzen Bemerkungen zum richtigen Verständnis der gesetzlichen Schuldvertragsarten (typologische contra begriffliche Sichtweise) und einem Uberblick über die Systematisierungsversuche des Schrifttums (§2) soll ein historischer Rückblick die geschichtliche Entwicklung des Verhältnisses der gesetzlichen Vertragstypenordnung zur privatautonomen Regelung beleuchten (§3). Auf dieser Grundlage soll dann die heutige Bedeutung der normativen Vertragstypenordnung beschrieben werden (§4). Diese Standortbestimmung ist von Bedeutung für die Frage, in welchem Umfang das Vertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches auch auf gesetzlich nicht geregelte Verträge Anwendung findet und wie weit die Varianzbreite der Rechtsunterworfenen reicht. Die Abhandlung baut auf einer grundlegenden - heute überwiegend akzeptierten - Trennung zweier Vorgänge auf, nämlich der Ermittlung des von den Parteien intendierten Vertragsinhalts und der sich anschließenden Überprüfung des Vereinbarten auf seine Wirksamkeit anhand der Inhaltskontrollvorschriften des Gesetzesrechts. Auf diese Weise gelingt es besser, die der rechtlichen Beurteilung zugrunde liegenden Wertungen offenzulegen und einer verdeckten Inhaltskontrolle im Gewände der Auslegung vorzubeugen. Auch in methodischer Hinsicht unterscheidet sich die rechtsanwenderische Aufgabe auf beiden Stufen. 73 Im ersten Schritt geht es um die Ermittlung des vertraglichen Pflichtenarrangements. Hierzu bedarf es der Auslegung der vertraglichen Vereinbarung, also einer primär analytisch-induktiven Tätigkeit. Sie dominiert auf dieser Ebene, wenngleich auch hier die Rechtsfindung partiell, nämlich zur Lückenfüllung, deduktiv im Wege der Normanwendung verlaufen kann. Auf der zweiten Stufe geht es dann schwerpunktmäßig um die Applikation von außervertraglichen Gerechtigkeitsinhalten, insbesondere durch die Bestimmung der Reichweite normativer Maßstäbe im Hinblick auf den konkreten Fall. Für die erste Stufe auf dem Wege zum verbindlichen Regelungsprogramm werden hier die Bezeichnungen „Inhaltsbestimmung", „Rechtsfindung" und „Vertragsrechtskonkretisierung" gewählt.74 Ihr ist das zweite Kapitel dieser Untersuchung gewidmet. Nach einer Analyse der Rechtsfindungsmethoden der Rechtsprechung (§ 5) und einer kritischen Auseinandersetzung mit den im Schrifttum vertretenen Entwürfen (§ 6) soll der Versuch unternommen werden,

72 Unter dieser Fragestellung steht auch die der Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag gewidmete Schrift von Oechsler (vgl. dort vor allem S. 128). 73 Ahnlich Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.90f., 114, 128f. 74 Zur Terminologie siehe auch Arth. Kaufmann, Verfahren der Rechtsgewinnung, S. 12f.

IV. Gang der Untersuchung

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einige Grundpfeiler eines methodengerechten und praxistauglichen Rechtsfindungskonzepts zu beschreiben (§7). Ein Entscheidungsbaum, an dessen Ende stets eine zweifelsfreie Lösung steht, kann angesichts der Vielgestaltigkeit der vertraglichen Praxis und des Charakters der Jurisprudenz als Wertungswissenschaft nicht das Ziel dieser Arbeit sein. Ihr wird es daher vor allem um die Klärung wichtiger Ausgangsfragen und die Korrektur zutage getretener Fehlentwicklungen gehen. Nachdem der Inhalt eines gesetzlich nicht geregelten Vertrages auf diese Weise aufbereitet worden ist, stellt sich die Frage, ob er vor den inhaltlichen Schranken der Rechtsordnung bestehen kann (Drittes Kapitel, §§ 8 und 9). Angesichts des Ausfalls gesetzlicher Leitbilder spitzt sich hier alles auf die Formulierung des Maßstabs zu, an dem nicht kodifizierte Verträge zu messen sind. Die Untersuchung wird beschlossen durch eine Stellungnahme zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der nationale Gesetzgeber zur Kodifikation gesetzlich bislang nicht geregelter Verträge schreiten soll (§ 10) und welche Entwicklungen in dieser Hinsicht auf internationaler, insbesondere gemeinschaftsrechtlicher Ebene zu gewärtigen sind (§11).

§ 2 Rechtsmethodische Erfassung der normativen Schuldvertragsordnung Mit den im besonderen Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches normierten Schuldverträgen stellt der Gesetzgeber dem Rechtsverkehr für bestimmte, nämlich für die von der gesetzlichen Beschreibung erfaßten, Geschäftsformen der Vertragswirklichkeit musterhafte Binnenordnungen zur Verfügung. Freilich läßt sich schon an dieser Stelle sagen, daß die gesetzliche Schuldvertragsordnung zugleich auch ein Referenzsystem darstellt, das über seinen ex lege festgelegten unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus Wirkungen entfaltet. 1 Im Hinblick auf die hier erstrebte Auseinandersetzung mit den abweichenden, atypischen Vertragsgestaltungen ist es daher von großem Interesse, diese Ausstrahlungen der normativen Vertragstypenordnung näher zu untersuchen. Schon von daher, aber auch um den Standort der nicht kodifizierten Verträge in der Vertragsrechtsordnung des Bürgerlichen Gesetzbuches näher zu bestimmen, erscheint es angezeigt, sich in einem ersten Schritt mit der Bedeutung und Wirkungsweise der gesetzlichen Schuldvertragsordnung zu befassen. Vor allem geht es um die rechtsmethodische Erfassung der vom Gesetzgeber zugrundegelegten Abgrenzung der Geltungsbereiche der einzelnen Regelungskomplexe.

I. Begriffliche oder typologische Struktur der normativen Schuldvertragsordnung ? Der hierbei zutage getretene Widerstreit zweier entgegengesetzter Konzepte soll im folgenden kurz skizziert und im Hinblick auf die rechtsmethodische Bewältigung nicht kodifizierter Verträge bewertet werden. Im Anschluß hieran soll noch zur Bedeutung einiger wichtiger Grundbegriffe Stellung genommen werden, die allesamt den Wortstamm „Typus" in sich führen und deren sich die Wissenschaft oftmals zur Beschreibung der Funktionsweise der gesetzlichen Schuldvertragsordnung bedient.

1

Hierzu näher unter § 7 IV. 1. c) (3).

I. Begriffliche oder typologische

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Struktur?

1. Zum Stand der Diskussion D i e r e c h t s t h e o r e t i s c h e D i s k u s s i o n u m die z u t r e f f e n d e m e t h o d i s c h e E r f a s sung des i m S i e b e n t e n A b s c h n i t t des Z w e i t e n B u c h s des B ü r g e r l i c h e n G e s e t z b u c h s niedergelegten R e g e l u n g s k a t a l o g s der „einzelnen

Schuldverhältnisse"

w i r d bereits seit g e r a u m e r Z e i t geführt. D e m ü b e r k o m m e n e n begrifflichen V e r ständnis w u r d e , b e f r u c h t e t d u r c h e n t s p r e c h e n d e A r b e i t e n auf b e n a c h b a r t e n W i s s e n s c h a f t s g e b i e t e n , 2 eine t y p o l o g i s c h ausgerichtete B e t r a c h t u n g s w e i s e e n t gegengesetzt. D i e beiden widerstreitenden K o n z e p t i o n e n lassen sich u n t e r A u ßerachtlassung m a n c h e r Schattierung u n d A k z e n t v e r l a g e r u n g w i e folgt s k i z z i e ren:

a) Der überkommene begrifßich-kategoriale Ansatz D i e h e r k ö m m l i c h e , in den Z e i t e n der B e g r i f f s j u r i s p r u d e n z 3 v e r s t ä n d l i c h e r weise n a h e z u u n a n g e f o c h t e n e G r u n d a n s c h a u u n g strebt i m Sinne eines b e g r i f f -

2 Der Antagonismus der begrifflich-klassenlogischen und der typologischen Denkform war Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Betrachtungen in den verschiedensten Disziplinen. Einige kurze Hinweise zum geistesgeschichtlichen Hintergrund müssen an dieser Stelle genügen: Auf Max Weber (vor allem: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, S. 190ff. und Wirtschaft und Gesellschaft, S. 9ff.) wird allgemein die Figur des „Idealtypus", einer modellhaft überzeichneten, logisch idealisierenden Darstellung der Wirklichkeit, zurückgeführt. Er führte sie als Instrument in die sozialwissenschaftliche Analyse ein. Weber dürfte freilich seinerseits beeinflußt worden sein durch Georg Jellinek (Allgemeine Staatslehre, S. 30ff. und 287ff.), der sich schon zuvor des Idealtypus als Denkform und Wertungsmaßstab zur Kennzeichnung von Staatsformen bedient hatte (zur Chronologie und den gegenseitigen Einflußnahmen Hans J. Wolff, in Studium Generale V [1952], S. 196 und Radbruch, Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts XII [1938], S. 48). Grundlegend aus wissenschafts- und erkenntnistheoretischer Sicht ferner: Hempel/Oppenheim, Typusbegriff im Lichte der neuen Logik (1936), Heyde, Typus, in: Studium Generale V (1952), S.235ff., Kretschmer, Der Typus als erkenntnistheoretisches Problem, in: Studium Generale IV (1951), S. 399ff. und von Kempski, Zur Logik der Ordnungsbegriffe, besonders in den Sozialwissenschaften, in: Studium Generale V (1952), S.205ff.; weiterführende Schriftumshinweise in Historisches Wörterbuch der Philosophie, Stichworte: Typos und Typologie (bearbeitet von Strenge und Lessing). Wichtig für die Rechtwissenschaft vor allem: Radbruch, Klassenbegriffe und Ordnungsbegriffe im Rechtsdenken, Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts XII (1938), S.46ff.; Hans J. Wolff, Typen im Recht und in der Rechtswissenschaft, in Studium Generale Bd. V (1952), S. 195ff., Engisch, Idee der Konkretisierung, 2. Aufl. 1968, S.237ff. (dort auch zahlreiche weiterführende Schrifttumsnachweise), Latenz, Methodenlehre, S. 461 ff. (zu seiner Konzeption jüngst instruktiv Kokert, Begriff des Typus bei Karl Larenz, 1995), Strache, Denken in Standards, 1968, Kuhlen, Typuskonzeptionen in der Rechtstheorie, 1977, Schluep, in: Festgabe für Obrecht, S.9ff. und Rode, J R 1968, 401 ff.; zum Strafrecht: Hassemer, Tatbestand und Typus; zum Gesellschaftsrecht: Koller, Grundfragen einer Typuslehre im Gesellschaftsrecht, 1967, H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970 und kritisch Ott, Problematik einer Typologie im Gesellschaftsrecht, 1972; zum Bürgerlichen Recht: Leenen, Typus und Rechtsfindung, 1971. 3 Zu diesem zeitgeistlichen Zusammenhang auch H.J. Wolff, Studium Generale Bd. V (1952), S. 199 und Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.49.

22

5 2 Rechtsmethodische

Erfassung der normativen

Schuldvertragsordnung

l i c h - k a t e g o r i a l e n S y l l o g i s m u s n a c h einer klaren klassifikatorischen E i n o r d n u n g einer P a r t e i v e r e i n b a r u n g in das v o r h a n d e n e B e g r i f f s s c h e m a . 4 D a s sie k e n n z e i c h n e n d e V e r f a h r e n ist das der S u b s u m t i o n u n t e r eine als gesetzliche D e f i n i t i o n verstandene N o r m des b e s o n d e r e n Vertragsrechts. D a b e i handelt es sich meist u m die den R e g e l u n g s k o m p l e x

einleitende G e s e t z e s v o r s c h r i f t

(z.B.

§ § 4 3 3 , 6 3 1 B G B ) . D i e D e f i n i t i o n setzt sich aus M e r k m a l e n z u s a m m e n , die i m F a l l e additiver V e r k n ü p f u n g ( K o n j u n k t i o n ) sämtlich erfüllt sein m ü s s e n , damit die jeweiligen R e c h t s f o l g e n eintreten k ö n n e n . D a s E r k e n n t n i s i n t e r e s s e

ist

s c h o n v o m A n s a t z h e r auf ein „ e n t w e d e r " (ja = v o m N o r m e n b e s t a n d einer b e s t i m m t e n gesetzlich geregelten K o n t r a k t f o r m erfaßt) „ o d e r " (nein = n i c h t erfaßt) b e s c h r ä n k t . D i e s e r D e n k f o r m , die den N o r m e n s y s t e m e n des b e s o n d e r e n Vertragsrechts eine „ a u t - a u t - S t r u k t u r " z u e r k e n n t , ist denn auch v o r g e h a l t e n w o r d e n , sie sei n i c h t in der L a g e , das P h ä n o m e n der g e m i s c h t e n o d e r d e m G e setz gar völlig f r e m d e n Verträge in sich a u f z u n e h m e n u n d z u r r e c h t l i c h e n B e wältigung s o l c h e r Verträge b e i z u t r a g e n . 5

b) Der Siegeszug der Typuskonzeptionen U n t e r a n d e r e m einen besseren A u f s c h l u ß ü b e r m ö g l i c h e N ä h e v e r h ä l t n i s s e z u den gesetzlich geregelten V e r t r a g s f o r m e n v e r s p r i c h t sich die h e u t e v o r h e r r s c h e n d e M e i n u n g im r e c h t s w i s s e n s c h a f t l i c h e n S c h r i f t t u m v o n e i n e m t y p o l o gisch fundierten Verständnis der gesetzlichen S c h u l d v e r t r a g s o r d n u n g . 6 I n den 4 Vgl. etwa Beitzke, Nichtigkeit, Auflösung und Umgestaltung von Dauerrechtsverhältnissen, S. 9; typisch für das ältere Schrifttum auch die Uberschrift von Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, zu §§101 und 120 (Begriff und Abschluß des Kaufes bzw. der Schenkung). Die Redaktoren des Bürgerlichen Gesetzbuches gingen nachweislich noch von dem begrifflichen Charakter der von ihnen geschaffenen Ordnung der Schuldverträge aus; vgl. Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 122f. mit Hinweis auf die die Pandektistik beherrschende und als Ausdruck begrifflichen Denkens zu wertende Lehre von den essentialia negotii; ebenso Staudinger-Mayer-Maly, Einl. zu §§433 BGB Rdnr. 5 und Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/ 2, S. 792. In gewissem Kontrast hierzu steht allerdings der Befund, daß der historische Gesetzgeber in nicht wenigen Fällen bewußt davon absah, der geregelten Vertragsform eine gesetzliche Umschreibung beizugeben, also auf eine typologische (?) Konkretisierung durch Praxis und Wissenschaft vertraute (vgl. z.B. Motive II, S. 306 für das Darlehen und Motive II, S. 643 für die Glücksverträge und Motive II, S. 636 für den Leibrentenvertrag). 5 Larenz, Methodenlehre, S. 303; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 133 f. 6 Larenz, Methodenlehre, S.302ff. und 465ff.; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 118ff.; Engisch, Konkretisierung, S. 267ff.; H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.95ff.; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.48ff., Schwark, Rechtstheorie Bd.9 (1978), S.85ff.; Staudinger-Mayer-Maly, Einl. zu §§433 BGB Rdnr. 5; Becker, Auslegung des §9 Abs. 2 AGBGesetz, S. 92ff.; Sannwald, Finanzierungsleasingvertrag, S. 79; Papapostolou, Risikoverteilung beim Finanzierungsleasingvertrag, S.33ff.; Huffer, Das partiarische Geschäft als Rechtstypus, passim; für typologische Erfassung der Geschäftsbesorgung insbesondere Staudinger-Martinek, § 675 B G B Rdnr. A 22; typologisches Denken soll auch die Arbeitsweise der Kautelarjurisprudenz kennzeichnen, vgl. Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rdnr. 40ff. Nachweise zum schweizerischen Schrifttum bei Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 790f.; auch das Bundesarbeitsgericht will die unselbständige von der selbständigen Arbeit und damit den Anwendungsbe-

I. Begriffliche oder typologische Struktur?

23

Legalumschreibungen der die einzelnen Regelungskomplexe einleitenden Gesetzesbestimmungen sieht diese Meinung verkürzte Typenbeschreibungen. 7 Die dort geregelten Vertragsformen werden als „rechtliche Strukturtypen" 8 charakterisiert. Der Grundgedanke des typologischen Ansatzes ist nun der, daß komplexe Lebenserscheinungen oder Sinnzusammenhänge, wie sie etwa in Gestalt der durch Verträge koordinierten mannigfaltigen Interessenkonstellationen einer modernen Wirtschaftsgesellschaft anzutreffen sind, in ihrer Fülle auf rein begrifflicher Ebene nicht zureichend erfaßt werden können. Sachgerechter sei es, die zu erfassende Gestalt, hier also den gesetzlich geregelten Schuldvertrag, als durch typische Züge gekennzeichnet zu begreifen. Diese sollen ein „elastisches Merkmalsgefüge" 9 bilden, soll heißen, daß sie in unterschiedlichen Intensitätsstufen vorliegen und sich bis zu einem gewissen Grad auch wechselseitig vertreten können. Je für sich genommen kommt ihnen hiernach nur indizielle Bedeutung zu. Für entscheidend wird ihre Verbindung, Intensität und die Häufigkeit des Auftretens im konkreten Einzelfall gehalten, wobei es auf das letztlich intuitiv zu erfassende Gesamtbild ankomme. Hervorgehoben wird schließlich, daß sich der Typus als adäquate Denkform vor allem für frühe Phasen der Rechtsbildung empfehle, in denen eine von noch nicht abgeklärten Wertungen geleitete tastende Tatbestandsbildung erfolge. 10 Dem Subsumtionsverfahren scheint damit in methodischer Hinsicht ein flexibleres, wohl aber auch ein normativ schwächer determiniertes Zuordnungsverfahren entgegengesetzt zu werden.

c) Kritik der Typologik Die zu konstatierende Hinwendung zu typologischen Denkformen im Recht allgemein und im zivilen Vertragsrecht im besonderen 11 ist freilich nicht ohne Widerspruch geblieben. Gerade in den letzten Jahrzehnten hat sich eine kritische Gegenbewegung formiert, die sich teils gegen den Grundansatz der Typustheorie und teils gegen die Funktion als Arbeitsmethode wendet. 12 Den Typusreich der §§611 ff. B G B typologisch abgrenzen (vgl. B A G AP Nr.34 zu §611 B G B Abhängigkeit; zuvor schon Herschel, in: Festgabe für Kunze, S. 237; ebenso BSG EzA § 611 B G B Arbeitnehmerbegriff Nr. 40); ferner hat sich das Bundesverfassungsgericht

(2. Kammer des Ersten Se-

nats, N J W 1996, 2644) ausdrücklich für eine typologische Konkretisierung der Legalumschreibung der versicherungspflichtigen Beschäftigung als „nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis" ausgesprochen. 7 Schon Schreiber (JherJb 60 [1912], S.210) notierte, es müsse „Klarheit darüber herrschen, daß diese Bezeichnungen lediglich Abbreviaturen sind, daß sie keineswegs eine Definition enthalten". Ferner Larenz, Methodenlehre, S. 302; H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 106. 8 Larenz, Methodenlehre, S. 302 und 466. 9 Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 34. 10 Leenen, Typus und Rechtsfindung, S.65. 11 Engisch, Konkretisierung, S. 237 formuliert, der Typus sei in neuerer Zeit zum „Modebegriff" avanciert. 12 Grundlegend Kuhlen, Typuskonzeptionen, passim; ferner Reisinger, in: Rechtsphilosophie

24

§ 2 Rechtsmethodische

Erfassung der normativen

Schuldvertragsordnung

theoretikern ist insbesondere vorgehalten worden, sie ignorierten die Erkenntnisse der modernen Begriffsformenlehre, die Begriffsformen - wie etwa den komparativen Begriff - zur Verfügung stelle, mit denen sich die verschieden starken Ausprägungen, in denen eine Eigenschaft vorkommen könne, ausdrükken ließen. Der Vorwurf der mangelnden Leistungsfähigkeit des Klassenbegriffs sei mithin überholt. Das Deduktivitätspostulat für juristische Begründungen brauche nicht partiell aufgegeben zu werden, sondern könne auch in Bezug auf die Regelungskomplexe des besonderen Schuldrechts in vollem Umfang aufrechterhalten werden. Die Konsequenzen der klassischen Typuslehre, nämlich das „Aufgehenlassen" des Zuordnungsverfahrens in einer Ganzheitsbetrachtung ohne die Art und Weise der Verknüpfung der einzelnen Merkmale im vorhinein näher konkretisiert zu haben, seien für eine durchschaubare und kontrollierbare juristische Methode unbrauchbar.13 Um einen weiteren, speziell auf die Methode der typologischen Zuordnung im Bereich des besonderen Vertragsrechts gemünzten Kritikpunkt hat zuletzt Oechsler die Diskussion bereichert.14 Seiner Ansicht nach erweist sich die typologische Zuordnung im methodischen Vergleich zur Analogie unter denklogischen Gesichtspunkten als umweghaft. Denn mit der Feststellung einer überwiegenden Ähnlichkeit eines konkreten Vertrages mit einem gesetzlichen Normstrukturtypus und einer entsprechenden Qualifizierung des Vertrages sei noch nicht die Anwendbarkeit des jeweils zu applizierenden einzelnen Rechtssatzes dargetan. Denn immerhin müsse in Rechnung gestellt werden, daß die Teilunähnlichkeit eine punktuelle Abweichung von der gesetzlichen Regel verlange bzw. insoweit eine Unterstellung unter das Rechtsregime eines anderen Normstrukturtypus erfordere. Der abstrakte Typenvergleich müsse daher unter den Vorbehalt eines konkreten Ähnlichkeitsvergleichs gestellt werden, aufgrund dessen im Einzelfall maßgeblich darüber entschieden werde, ob eine einzelne, dem Normstrukturtypus zugehörige Norm anwendbar sei oder nicht. Dieser letzte konkrete Vergleich entspreche der Ähnlichkeitsprüfung bei der Einzelanalogie, die sich von daher als der direktere Weg zum Ziel darstelle.

und Gesetzgebung, S.148ff.; Kindhäuser, Rechtstheorie 12 (1981), S.226ff.; Wiethölter, N J W 1973,273 („wortreiche Sprachlosigkeit" ohne „theoretisches Fundament"); Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 73 ff.; Wank, Juristische Begriffsbildung, S. 123 ff.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 298ff.; zurückhaltend auch Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S.307ff.; ders., Entartetes Recht, S. 204ff., ders., Rechtstheorie, Rdnr.934, der angesichts der Nähe zum „konkret-allgemeinen Begriff" auf Mißbrauchsgefahren hinweist und die Begriffe „Typus" und „Typenreihe" nur als Darstellungs- und Ordnungsbegriffe, nicht hingegen als Ableitungsgrundlage für Rechtsgebote, akzeptiert. 13 So das abschließende Verdikt von Kuhlen, Typuskonzeptionen, S. 169. 14 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 298 ff.

I. Begriffliche oder typologische

2.

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Struktur?

EigenerStandpunkt

a) Der überschätzte Abstand des qualitativen Gehalts Rechtsanwendungsstile

beider

Eine nähere Auseinandersetzung mit den literarischen Stellungnahmen unter Berücksichtigung der durch ein spezifisches Spannungsfeld (Privatautonomie versus Orientierungs- bzw. Ordnungsfunktion des Gesetzesrechts) geprägten normativen Schuldvertragsordnung nährt den Verdacht, daß sich die Polarität beider Denkformen keineswegs als so ausgeprägt darstellt, wie dies gemeinhin im Schrifttum behauptet wird.15 Zu einer Relativierung des Gegensatzes tragen verschiedene, an beiden Polen ansetzende Überlegungen bei. Zunächst ist hervorzuheben, daß auch dem begrifflichen Verfahren ein Zug zur Öffnung innewohnt.16 Dies folgt bereits daraus, daß auch Rechtsbegriffe häufig - abgesehen von metrisierenden Begriffen - neben einem festen Begriffskern einen Begriffshof mit unscharfen Randzonen aufweisen, also ähnlich wie die Typusbegriffe normativ schwächer determiniert sind. Ebenso wie diese bedürfen auch sie der Verdeutlichung ihres Sinngehalts und Anwendungsbereichs. Zippelius hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß sich auch Begriffe nicht nur mit der Anwendungsregel strenger Identifikation, sondern ebensogut mit derjenigen vergleichend-zuordnenden Denkens verknüpfen ließen.17 Ob sich solche vagen Rechtsbegriffe in qualitativer Hinsicht noch in nennenswerter Weise von Typusbegriffen unterscheiden, ist umstritten, kann hier aber unentschieden bleiben.18 Wichtiger ist die Feststellung, daß auch begriffliches Denken stets mit der Konkretisierung unbestimmter gesetzlicher Vorgaben konfrontiert wird, sich insoweit in der mangelnden Festgelegtheit der Ergebnisfindung ein gemeinsamer Grundzug erkennen läßt. Ferner gilt es an die These Engischs zu erinnern, wonach sich das Anliegen der Bewahrung von der Wirklichkeit immanenten Universalien um so eher ein Asyl außerhalb der eigentlichen Begriffslehre, nämlich eben der Lehre vom Typus, sucht, je mehr sich eine streng logische oder gar logistische Begriffslehre formalisiert und entsubstantialisiert.19 Umgekehrt müßte dann gelten, daß eine betont wertbezogeneteleologische Auslegung der Gesetzesbegriffe das Streben nach einer Alternati15 Wie hier Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 81 Off. Auch Bydlinski (Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 545) spricht von einer „theoretische(n) Übertreibung eines Gegensatzes zwischen Begriff ieS und Typus"; ebenso Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 3; ferner Strache, Denken in Standards, S. 85: „Die sogenannte .freie richterliche Rechtsfindung' im Bereich der Standards und der übrigen Wertbegriffe ist ihrer logischen Struktur nach ein typologisches Verfahren." 16 Zippelius, in: FS für Engisch, S.230fSchluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 811. 17 Zippelius, in: FS für Engisch, S.231. 18 Einen Unterschied zwischen der Offenheit des Typus und der Deutungsbedürftigkeit des geschlossenen Begriffs meint etwa Leerten, Rechtsfindung und Typus, S.34ff. nachweisen zu können. Hiergegen jedoch Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 545. 19 Engisch, Konkretisierung, S.240.

26

5 2 Rechtsmethodische

Erfassung der normativen

Schuldvertragsordnung

ve in Form einer typologisch ausgerichteten Methode zu begrenzen geeignet ist bzw. tendenziell eine methodische Angleichung beider Rechtsanwendungsstile zur Folge hat. In der Tat verfügt die moderne juristische Hermeneutik, die der Auslegung nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes eine hervorragende Bedeutung beimißt 20 und sich von begriffsjuristischen Positionen weit entfernt hat, über ein reichhaltiges Instrumentarium, begriffliche Deduktionen im Hinblick auf typgerechte Ergebnisse zu korrigieren, also typologisches Denken zu integrieren.21 Einschränkungen des Anwendungsbereichs eines Rechtsbegriffs und damit des über ihn eröffneten Normenkomplexes im Hinblick auf die Atypizität des Sachverhalts finden ihren Platz bei der restriktiven Auslegung und der teleologischen Reduktion. Umgekehrt können Erweiterungen des Anwendungsbereichs wegen typologischer Ähnlichkeit mit den Mitteln der extensiven Auslegung und der Analogie bewerkstelligt werden. Nach heutigem Verständnis muß sich eine teleologisch begründete Auslegung zudem auch der Frage öffnen, ob die in Aussicht genommene Rechtsfolgenverteilung „paßt", d.h. ob sich die gesetzliche Risikozuweisung als die im konkreten Fall adäquate darstellt. 22 Hierfür kommt es vor allem auf die wirtschaftliche Zwecksetzung des Vertrages an. Auch der Aspekt der Folgenorientierung, auf den eine typologische Betrachtungsweise in besonderem Maße achtet, muß also im Rahmen einer teleologischen Rechtsanwendung nicht unberücksichtigt bleiben. Stellt man in Rechnung, daß auch der begrifflich fundierte Konkretisierungsvorgang anerkanntermaßen unter teleologisch-axiologischen Leitgesichtspunkten steht, der begrifflichen Fixierung Wertgehalte mithin nicht abgesprochen werden können, 23 so muß die Formulierung von der „Sinnentleerung der klassifikatorischen Begriffe" 24 jedenfalls für die Rechtsanwendung auf dem Gebiete des besonderen Schuldrechts als Ubersteigerung zurückgewiesen werden. Eine Annäherung der scheinbar diametral entgegengesetzten Denkformen ist aber auch vom Typusbegriff ausgehend zu beobachten. Der mit den Attributen „offen", „variabel" und „graduierbar" gekennzeichnete Merkmalskranz steht in der Rechtspraxis in einem ständigen Konkretisierungsprozeß. Dabei kommt 20 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 91; Hassold, in: FS für Larenz II, S.231; Larenz, Methodenlehre, S.345; MünchKomm-&«:&er, Einl. Rdnr. 128; PalandtHeinrichs, Einl. Rdnr.38; aus der Rechtsprechung RGZ 142, 36 (40); BGHZ 17, 266 (275f.); BGH NJW 1967, 343 (348). 21 Auf die starken Berührungspunkte der typologischen Betrachtungsweise zur teleologischen Rechtsanwendung weist zutreffend Engisch, Einführung, S. 256 hin; überaus kritisch gegenüber der klassischen Typuskonzeption aus diesem Grunde Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 546: „Was praktisch herauskommt, scheint im wesentlichen eine (eher überflüssige) Wiederholung des Postulats teleologischer Rechtsanwendung zu sein." 22 Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 811; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §4 Rdnr. 24f.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 404. 23 Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 811. 24 Larenz, Methodenlehre, 2. Aufl. 1969, S.419ff.; Kaufmann, Analogie, S.39; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 44; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 101 f.; Papapostolou, Risikoverteilung beim Finanzierungsleasingvertrag, S. 34.

I. Begriffliche

oder typologische

Struktur?

27

man nicht umhin, sich Gedanken zu machen, auf welche Merkmale es überhaupt ankommt, welche davon zwingend und welche verzichtbar sind und welche Kombinationen von Merkmalen maßgebend sind.25 Gleich dem anglo-amerikanischen reasoning from case to case wird sich die Rechtsprechung dieser Aufgabe stellen und ein Geflecht von Zuordnungsmustern entwerfen, die dem Typus mit der Zeit immer festere Konturen verleihen und ihn mit zunehmend schärferen Grenzen ausstatten werden. Schluep hat hierzu mit Recht bemerkt, der logischen Qualität nach bewege man sich so auf den Allgemeinbegriff in Gestalt des Gattungstypus hin. 26 Als Zwischenergebnis läßt sich festhalten, daß die typologische Denkstruktur im Rahmen des Rechtsanwendungsverfahrens eine gewisse Tendenz zur begrifflichen Verfestigung erkennen läßt, während sich umgekehrt das Subsumtionsdenken infolge der Berücksichtigung des Erfordernisses werthafter Sinnbezüge typologischem Denken öffnet. 27 Die kontradiktorische Gegenüberstellung beider Denkweisen erscheint mithin in der im Schrifttum postulierten Absolutheit eher als theoretische Idealisierung, die in der Praxis der Rechtsanwendung in dieser Form keine Entsprechung findet. Damit soll der denktheoretische und bis zu einem gewissen Grade auch rechtspraktische Unterschied nicht in Abrede gestellt werden; nur sollte die praktische Divergenz richtig eingeschätzt und damit auch die Bedeutung der Kontroverse nicht überbewertet werden.

b) Das

Zwei-Schichten-Modell

Erweisen sich beide Grundideen mithin nicht als feindliche und unversöhnliche Brüder, so läßt sich auch eine Konzeption vorstellen, die auf eine pragmatische Verbindung von Typus und Begriff auf dem Gebiet der normativen Schuldvertragsordnung hinausläuft. Dieses Modell müßte m.E. zwei Ebenen oder Fragestellungen voneinander unterscheiden, nämlich die Ebene der Deskription und diejenige der Rechtsgewinnung. Eine solche Schichtung der Problemlagen hat bereits Rüthers angeregt.28 Seiner Ansicht nach sind die Begriffe „Typus" und „Typenreihe" in einer auf Rationalität bedachten Rechtsmethode nur als Darstellungs- und Ordnungsbegriffe verwendbar. Würden sie hingegen im Stil der „Natur der Sache" zu Gebotsbegriffen umgedacht, aus denen Rechtsnormen abgeleitet würden, so handelte es sich um Scheinbegründungen für Normsetzungen des Rechtsanwenders. Diese Betrachtungsweise verdient auch in der Grundtendenz ihrer Aussagen Zustimmung.

Wank, Juristische Begriffsbildung, S. 131 hält dies für die entscheidende Frage. Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 809. 27 Ahnlich Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 812. 28 Besonders deutlich Rüthers (Entartetes Recht, S. 206ff.) im Sinne einer Konsequenz aus den Erfahrungen mit dem völkischen Rechtsdenken der NS-Zeit; zu letzterem ausführlich ders., Unbegrenzte Auslegung, S. 307ff. 25 26

28

§ 2 Rechtsmethodische

Erfassung der normativen

Schuldvertragsordnung

(1) Die Ebene der Deskription Was zunächst die Ebene der Deskription anbelangt, so besitzt ein typologisches Verständnis der normativen Schuldvertragsordnung den Vorzug der Anschaulichkeit. Es ist darüber hinaus auch didaktisch fruchtbarer. 29 Diese Vorteile erweisen sich insbesondere auf dem Gebiet der Innominatkontrakte. Die Wirklichkeit lehrt den Rechtsanwender hier ein ums andere Mal, daß sich die Grenzen nicht scharf abstecken lassen, sondern zahlreiche Zwischen- und Mischformen existieren und die Übergänge vielfach fließend sind. Eine typologisch ausgerichtete Betrachtungsweise des besonderen Schuldvertragsrechts vermag hier aufgrund ihres weiter gesteckten Erkenntnisinteresses zu einer schärferen rechtlichen Erfassung des jeweils zu beurteilenden Ausschnitts der Lebenswirklichkeit, also eines konkreten Vertrags beizutragen. Denn sie muß sich nicht - wie die klassenlogisch-begriffliche Methode - mit einer nur zwei Antwortvarianten zulassenden Abgrenzung begnügen, sondern ist darüber hinaus auch in der Lage, Auskunft über die Stellung des jeweiligen Vertrages im Koordinatensystem der Schuldvertragsordnung zu geben, also Näheverhältnisse zu den gesetzlich geregelten Schuldverträgen zu beschreiben. 30 Eine zusätzliche Möglichkeit, den Standort eines konkreten Vertrages innerhalb - aber auch außerhalb - der Schuldvertragsordnung zu präzisieren, stellt die Bildung von Typenreihen dar.31 Solche Typenreihen lassen sich nach verschiedenen Kriterien aufstellen. Denkbar ist beispielsweise, daß man sich bestimmte Vertragstypen als in einer auf- oder absteigenden Linie stehend vorstellt 32 oder Schuldverhältnisse nach der Intensität der Pflichtenbindung ordnet. So könnte man sich beispielsweise eine von der einseitigen Leistungsbeziehung (z.B. Wechsel) ausgehende Typenreihe vorstellen, die über normale Austauschgeschäfte (Kauf, Werkvertrag) bis hin zu Dauerschuldverhältnissen reicht, wobei letztere wiederum noch entsprechend dem Grad der persönlichen Bindungen in ein Stufenverhältnis gesetzt werden könnten (z.B. Arbeitsverhältnis und Gesellschaft gegenüber der insoweit weniger pflichtenintensiven Miete). 33 Der Wert solcher Reihenbildungen liegt nun darin, daß die Verortung eines bestimmten - problematischen - Vertrages (z.B. eines partiarischen Pachtvertrags mit gesellschaftlichen Zügen) in einer solchen Typenreihe zum Vergleich, zur Beschreibung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten nötigt und auf diese Weise zugleich die charakteristischen Züge des einzuordnenden Vertrages deutlicher hervortreten läßt. Darin ist ein Beitrag zur Schärfung des Analyseinstrumentariums zu erWie hier Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 812. So zutreffend Larenz, Methodenlehre, S.303; ferner Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rdnr. 46 („Orientierungshilfe im Zwischenbereich"). 31 Hierzu vor allem Larenz, Methodenlehre, S. 469ff. 32 Beispiel einer vom Werkvertrag zum Kaufvertrag verlaufenden Stufenreihe bei Huff er, Das partiarische Geschäft als Rechtstypus, S. 14f. Eine Typenreihe der Absatzmittlungsverträge stellt Martinek (Moderne Vertragstypen II, § 14 III 2, S. 53), eine vom Kaufvertrag zum Bauträgervertrag verlaufende Langenfeld (Vertragsgestaltung, Rdnr. 45) auf. 33 Vgl. wiederum Larenz, Methodenlehre, S. 472. 29

30

I. Begriffliche oder typologische

Struktur?

29

blicken, der sich von einer Interpretation der gesetzlich geregelten Schuldverträge im Sinne scharf gegeneinander abgegrenzter Gebilde kaum erhoffen läßt. Im Hinblick auf das eigentliche Rechtsgewinnungsverfahren läßt sich dem typologischen Entwurf zumindest ein gewisser propädeutischer Wert bescheinigen. Nach allem erscheint es auch gerechtfertigt, den Regelungskatalog des besonderen Schuldrechts als Typenordnung und die dort geregelten Vertragsformen als Vertragstypen zu bezeichnen. (2) Die Ebene der

Rechtsgewinnung

Eine Festlegung hinsichtlich der methodischen Grundausrichtung der Rechtsgewinnung sollte hiermit freilich nicht zwangsläufig verbunden sein. Die Bestimmung der Rechtsfolgen, die die Rechtsordnung an das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts, etwa eines konkreten Vertrages, knüpft, wird durch eine dezidiert typologische Vorgehensweise nach allen bisherigen Erfahrungen nicht entscheidend befördert. 34 Ernüchternd fällt beispielsweise die Bilanz zur Rechtsnaturbestimmung des Finanzierungsleasingvertrages aus. Kokert ist hier nach Auswertung des umfänglichen Schrifttums zu folgendem Ergebnis gelangt: „Die Meinungsvielfalt geht demgegenüber nicht auf die Denkform des Typus zurück. Zwar bedienen sich seit 1969 zahlreiche Diskussionsteilnehmer dieser flexiblen Methode, jedoch wurden bis auf die Einordnung als Darlehen bereits zuvor alle Einordnungsvorschläge im Wege der abstrakt-begrifflichen Methode vertreten. Dies zeigt, daß beide Denkarten die gleiche Leistungsfähigkeit besitzen." 35 Als gescheitert wird man ferner den Versuch des Bundesarbeitsgerichts betrachten dürfen, unselbständige Arbeit typologisch abzugrenzen.36 Das Gericht ist in seiner Rechtsprechung hierzu nicht über den Satz hinausgekommen, daß der Arbeitnehmerbegriff durch eine Reihe von Merkmalen bestimmt werde, die jedoch nicht sämtlich vorzuliegen bräuchten und allesamt auch bei freien Mitarbeitern erfüllt sein könnten. Solange keine Aussagen getroffen werden, nach welchen normativen Kriterien es sich richtet, welche Merkmale sich gegenseitig vertreten können, welche unverzichtbar sind und welche Merkmalskombinationen maßgeblich sind, kann in der Typusbetrachtung des Bundesarbeitsgerichts kein Erkenntnisfortschritt gesehen werden.37 Nun ließe sich einwenden, die typologische Methode könne nicht dadurch als diskreditiert angesehen werden, daß sie in der Hand einiger - eventuell nicht souverän agierender - Rechtsanwender unbefriedigende Ergebnisse zeitigt. Auf der anderen Seite wird man die Begründungslast doch derjenigen Seite zuweisen müssen, die sich für die Abkehr von einer tradierten Methode und für einen Kramer, in: Neue Vertragsformen, S. 41; Wank, Juristische Begriffsbildung, S. 123. Kokert, Begriff des Typus bei Karl Larenz, S.264. 36 Insbesondere BAG AP Nr. 34 zu §611 BGB Abhängigkeit; weitere Nachweise bei ErfKPreis, §611 BGB Rdnr.65f. 37 Wie hier ErfK-Preis, §611 BGB Rdnr.66; MünchArbR-Richardi, §23 Rdnr.42 („Muster ohne Wert"); Rüthers, RdA 1985, 131; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S.23ff. 34

35

30

§ 2 Rechtsmethodische

Erfassung der normativen

Schuldvertragsordnung

Wechsel des methodischen Konzepts ausspricht. Der schmale Ertrag dürfte derzeit wohl kaum eine Hinwendung zum Typus oder - was näher läge, jedoch theoretisch und praktisch erhebliche Schwierigkeiten bereiten würde - eine Zweigleisigkeit von Begriff und Typus innerhalb eines Rechtssystems legitimieren. 38 Ist es mithin bislang nicht gelungen, die Überlegenheit der typologischen Rechtsanwendungsmethode nachzuweisen, so sollte versucht werden, die herkömmliche Methode zu verbessern. Diese bietet - wie gezeigt - durchaus Ansatzpunkte, typologische Zuordnungsgesichtspunkte in sich aufzunehmen. Die Möglichkeiten einer auf einem Subsumtionsschluß aufbauenden, teleologischaxiologisch ausgerichteten Methode sind mit anderen Worten noch nicht ausgereizt. Unabhängig hiervon gilt es, einen befruchtenden Impuls der Typusdiskussion festzuhalten. Der Rechtsanwender sollte sich aufgefordert fühlen, sich der Gefahr einer zu mechanisch objektiven Qualifikation atypischer Verträge aufgrund undifferenziert begrifflicher Auslegung des besonderen Teils des Vertragsrechts bewußt zu werden und ihr nach Möglichkeit entgegenzusteuern. Wenn beispielsweise verschiedene Autoren den Finanzierungsleasingvertrag als Mietvertrag im Sinne der §§ 535ff. B G B begreifen wollen und hierzu anführen, daß wesentlicher Inhalt des Leasingvertrages die entgeltliche Gebrauchsüberlassung des Leasinggegenstandes und nicht die Erlangung der Substanz sei, 39 so greift diese Begründung zumindest zu kurz. 40 Sie übergeht, daß sich der Leasinggeber gewöhnlich von der für einen Mietvertrag charakteristischen Eigenhaftung gegen Abtretung der Ansprüche gegen den Lieferanten freizeichnet. Auch darf in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben, daß es der leasingtypischen Vertragsgestaltung entspricht, die Sach- und Preisgefahr dem Leasingnehmer aufzuerlegen, was ebenfalls mit der Grundwertung der §§ 535 ff. B G B nicht im Einklang steht. Schließlich wird man nicht daran vorbeigehen dürfen, daß die Gebrauchsverschaffungspflicht nur eine von mehreren vertragscharakteristischen Verpflichtungen ist und der Finanzierungsleasingvertrag wie seine Bezeichnung bereits andeutet - zumindest auch eine Finanzierungsfunktion zu erfüllen hat. Das Beispiel zeigt, daß der Appell an den Rechtsanwender noch um die Aufforderung ergänzt werden muß, den Inhalt einer vertraglichen Vereinbarung in erster Linie und soweit wie irgend möglich durch Auslegung der Parteiabreden zu bestimmen. Beiden hier behandelten methodischen Grundausrichtungen eignet die Tendenz, den Blick sogleich auf die nor38 Zum letztgenannten Aspekt siehe auch Frommel, Rezeption der Hermeneutik bei Karl Larenz und Josef Esser, S. 141 f. Typologisch ausgerichtete Methoden zur Bestimmung der Rechtsfolgen eines nicht kodifizierten Vertrages werden im übrigen noch unter § 6 III. 2. und 3. vorgestellt und gewürdigt. 39 Flume, DB 1972, 3ff.; Koch, Störungen beim Finanzierungs-Leasing, S.90ff.; Blomeyer, NJW 1978, 973ff.; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rdnr.1521; Ermzn-Jendrek, Anh. §536 BGB Rdnr. 15. 40 Vgl. zum folgenden Graf von Westphalen, Leasingvertrag (4. Aufl. 1992), Rdnr. 56, der zwar ebenfalls für die weitgehende Anwendung von Mietrecht plädiert, dieses Ergebnis jedoch nicht im Wege strenger begrifflicher Deduktion begründet.

I. Begriffliche oder typologische

Struktur?

31

mative Schuldvertragsordnung zu richten und die Rechtsnaturbestimmung an die erste Stelle zu setzen, sei es im Wege begrifflicher Subsumtion, sei es im Wege typologischer Zuordnung. Eine solche Sichtweise verkennt, daß es die Parteien selbst sind, die über die inhaltliche Ausgestaltung ihrer Vertragsbeziehungen entscheiden. Die gesetzliche Vertragstypenordnung soll - wie noch zu zeigen sein wird - diese rechtsgestalterische Tätigkeit stützen, die Partei jedoch nicht bevormunden. Aus diesem Grunde ist es beispielsweise nicht unbedenklich, wenn ein ausgewiesener Vertreter der Typenlehre zum Phänomen der Typenvermischung bemerkt, man gewinne durch die Einsicht in die Grundtypen einige neue und erweiterte Erkenntnisse auch der zusammengesetzten Typen, da diese aus jenen ihr eigenes Wesen ableiteten.41 Dies mag in manchen Fällen tatsächlich so sein, kann sich aber auch als nicht gerechtfertigte, weil den Parteiwillen verbiegende, Unterstellung erweisen. Denn die Mischung gesetzlicher Grundtypen kann auch zur Folge haben, daß eine neuartige Sinneinheit entsteht. Diese muß dann in erster Linie aus sich heraus unter Berücksichtigung des Regelungsanliegens der Parteien und der wirtschaftlichen Zwecksetzung begriffen werden. Normative Wertungen dürfen hier nur sehr zurückhaltend und möglichst auf der Stufe der gesetzlichen Einzelanordnung in den Rechtsgewinnungsprozeß eingebracht werden.42

3. Typenzwang

und

Typenfreiheit

Die Regelungskomplexe des normativen Vertragstypenrechts werden stets von den Parteien in Geltung gesetzt. Sie sind es, die durch ihre rechtsgeschäftliche Tätigkeit den Anknüpfungspunkt für das Eingreifen des gesetzlichen Vertragsrechts schaffen. Insofern lassen sich die gesetzlichen Vertragstypen als gewillkürte Normenkomplexe bezeichnen.43 Diese Charakterisierung trifft auf alle historisch nachweisbaren Ausgestaltungen des Rechts der Schuldverträge zu, ist jedoch nicht sehr inhaltsreich. Wichtiger, aber schwieriger zu beantworten, ist demgegenüber die Frage, mit welchem Verbindlichkeitsgrad der Gesetzgeber die Normenkomplexe des besonderen Vertragsrechts ausstatten wollte. Zu einer ersten, noch groben Beschreibung der denkbaren Ordnungsmodelle bedient sich die Rechtswissenschaft verschiedener Fachtermini, die auch im Rahmen dieser Arbeit Verwendung finden sollen. Ihr Bedeutungsgehalt soll zur Vermeidung von Mißverständnissen vorab klargestellt werden. Eine der privaten Willensbetätigung nur sehr schmalen Raum lassende Ordnung verbindet sich mit dem Begriff des „Typenzwangs". Gemeint ist hiermit die zwingende Ausgestaltung der gesetzlich vorgeformten Ordnungstypen.44 Sauer, Juristische Methodenlehre, S. 164. In letzterem Sinne nachdrücklich Bücher, ZSR II (1983), S.321. 43 Lauflee, Die Handelsgesellschaften und das zwingende Recht, S. 2f.; H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.42. 44 Teichmann, Parteiautonomie, Typenmischung und Typenzwang, S. 50; Sefrin, Kodifika41

42

32

§ 2 Rechtsmethodische

Erfassung der normativen

Schuldvertragsordnung

Eine Vermischung, Abänderung oder inhaltliche Erweiterung der zur Verfügung gestellten Vertragstypen ist unzulässig, führt zur Unwirksamkeit oder nimmt den aus einem solchen Vertrag resultierenden Ansprüchen zumindest ihre Klagbarkeit. Dieses gesetzgeberische Prinzip läßt sich im allgemeinen nur stringent verwirklichen, wenn auch die Anzahl der zugelassenen Geschäftsformen begrenzt ist, den Parteien mithin nicht das Recht eingeräumt wird, neue, dem Gesetz bislang nicht bekannte, Vertragsformen zu kreieren ( n u m e r u s clau-

sus der

Vertragstypen).45

Der Gegenpol wird üblicherweise mit dem Begriff der Typenfreiheit bezeichnet. Mit ihm wird zum Ausdruck gebracht, daß die Vertragspartner nicht nur berechtigt sind, die gesetzlich vorgegebenen Typen entsprechend ihren Bedürfnissen zu modifizieren und auf diese Weise inhaltliche Gestaltungsfreiheit in Anspruch zu nehmen, sondern daß sie darüber hinaus bei der Gestaltung ihrer Beziehungen von der Beobachtung der vorhandenen Typenschemata frei und autorisiert sind, neue Regelungskomplexe zu erfinden. 46 In dieser Weise wird gemeinhin die geltende Vertragsrechtsordnung charakterisiert. O b diese Beschreibung den status quo gerade auf dem Gebiet der nicht kodifizierten Verträge tatsächlich zutreffend wiedergibt, soll im Rahmen dieser Abhandlung noch untersucht werden. Geradezu zum Leitmotiv avanciert hierbei die Frage, ob Typenfreiheit nicht auch bedeuten muß, daß der Vertragsschließende erwarten darf, daß der von ihm im Grenzbereich verschiedener Kontrakttypen geschlossene Vertrag mit all seinen Eigentümlichkeiten akzeptiert und nicht dem Zwang einer Qualifizierung im Sinne der gesetzlichen Typen unterworfen wird. 47

tionsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 99; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 134ff.; Paulick, Eingetragene Genossenschaft, S.21ff.; Berner Kommentar-Kramer, Bd. VI/1, Art. 19-20 Rdnr. 52. 45 Denklogisch können Typenzwang und numerus clausus der Vertragstypen freilich auseinanderfallen, so zutreffend Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 779, Berner Kommentar-Kramer, Bd. VI/1, Art. 19-20 Rdnr. 53 und H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 115 ff. Mit Bezug auf das ältere und klassische römische Obligationenrecht, das durch Typenzwang und einen numerus clausus der Obligationen gekennzeichnet war, wird bisweilen auch vom „Grundsatz der Typengebundenheit" gesprochen, vgl. etwa Käser, Römisches Privatrecht, §33 I 2, S.154 und Meier-Hayoz, SJK Nr.1134, S.3; gemeint ist offenbar die Verbindung beider Maximen. Näher zum römischen Recht noch unter § 3 I. 1. 46 Dilcher, NJW 1960, 1040ff.; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 97; Berner Kommentar-Kramer, Bd. VI/1, Art. 19-20 Rdnr. 49 mit dem Hinweis, es handele sich um einen Unteraspekt der Gestaltungsfreiheit; Sigulla, Vertragstypologie und Gesetzesleitbilder, S.94; Meier-Hayoz, SJK Nr.1134, S.3; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S.100. Insbesondere im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum hat es immer wieder Überlegungen gegeben, ob sich Innenschranken der Vertragsfreiheit und damit auch der Typenfreiheit bestimmen lassen; vgl. nur H. P. Westermann (Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit), der diese Frage unter dem Topos „Typengesetzlichkeit" erörtert. 47 Bejahend Bucher, ZSR II (1983), S.319.

II. Systematisierungsbemühungen

der Schuldrechtsdogmatik

33

II. Systematisierungsbemühungen der Schuldrechtsdogmatik Die Bemühungen der Zivilrechtswissenschaft, die sich von den gesetzlichen Typenmodellen mehr oder weniger weit entfernenden, im modernen Wirtschaftsleben jedoch in überreicher Vielfalt anzutreffenden Vertragsgestaltungen, in einem nach arttypischen Merkmalen geordneten System einzufangen, stehen in einer langen Tradition. Vor allem Hoeniger beschäftigte sich bald nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches intensiv mit dem Problem der gemischten Verträge und maß ihrer Einteilung in „wenige, einfache Grundformen" wichtige Bedeutung für die „rechtliche Beurteilung im praktischen Einzelfalle" bei.48 Diesem Grundanliegen fühlen sich auch viele der neueren Studien zum Vertragsrecht verpflichtet.49 Es geht dabei nach wie vor um den Versuch, bestimmte im Rechtsverkehr zu beobachtende Grundtypen gesetzlich nicht geregelter Verträge, insbesondere der gemischten Verträge, zu beschreiben. Ihm liegt - auch wenn dies nur selten ausgesprochen wird - 5 0 eine dem Typusdenken verbundene Systematisierungsidee zugrunde.51 Dies zeigt sich sehr deutlich an der allseits hervorgehobenen Unmöglichkeit, die Grenzen der jeweiligen Vertragskategorie trennscharf abzustecken. Vielmehr wird gerade betont, daß sowohl die Ubergänge von den typischen zu den atypischen Verträgen, als auch die Ubergänge innerhalb der verschiedenen Gruppen der gemischten Verträge weitgehend fließend seien und vor allem Kombinationen der Gruppen jederzeit möglich seien.52 Der Versuch einer solchen Einteilung der außerhalb der gesetzlichen Obligationenordnung stehenden Schuldverträge ist entgegen einer mitunter zu vernehmenden Kritik 53 durchaus verdienstvoll. Der Vorteil einer solchen struktu48

Hoeniger, Grundformen, passira. Aus früher Zeit sind ferner zu nennen: Enneccerus, Recht der Schuldverhältnisse, I 2, 4/5. Aufl. (1910), S.266ff., Schreiber, JherJb 60 (1912), S.217ff. und Siber, Schuldrecht, S. 185f. 4 9 Vgl. aus der modernen Kommentar- und Lehrbuchliteratur zum Schuldrecht etwa die Darstellungen bei Staudinger-Löwisch, §305 BGB Rdnr.27ff.; Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr.24ff.; Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V 3, S. 160ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63, S.41 ff.; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §12 II, S.213ff.; Medicus, Schuldrecht II, Rdnr.587ff.; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 649ff. 50 Meist ist sogar von „begrifflicher Einteilung" (vgl. z.B. Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I, S.42) die Rede. 51 Wie hier offenbar Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 128. 52 H.P. Westermann/Bydlinski, BGB-Schuldrecht, Allgemeiner Teil, Rdnr. 2/6; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 128; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 54ff.; Gernhuber, Schuldverhältnis, § 7 V 3, S. 162; Neumann-Duesberg, SAE 1970, 50; Berner Kommentar-Kramer, Bd. VI/1, Art. 19-20 Rdnr. 59. Zum Phänomen der fließenden Grenzen als Charakteristikum des Typusdenkens vgl. statt vieler Larenz, Methodenlehre, S. 468 und Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 133ff. 53 Kohlrausch, Problem der gemischten Verträge, S. 66ff.; Tillmann, Behandlung des gemischten Vertrages, S. 57 und jüngst MünchKomm-77We, §305 BGB Rdnr. 45 („wenig hilfreich"); Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rdnr. 111 („Unterscheidung ... ist vom Standpunkt der kautelarjuristischen Vertragslehre her weitgehend unbrauchbar.").

34

$ 2 Rechtsmetbodische

Erfassung der normativen

Schuldvertragsordnung

rellen Analyse besteht darin, die Zusammensetzung einer geschäftlichen Vereinbarung aus Elementen bestimmter, gesetzlich geregelter Vertragstypen oder die Nähe zu ihnen aufzuzeigen. Damit treten dann auch die in Betracht zu ziehenden gesetzlichen Regelungsmuster hervor. Hier zeigen sich mithin die bereits beschriebenen Vorzüge des typologischen Denkens auf der Ebene der Ordnung und der Deskription. An der prinzipiellen Zweckmäßigkeit des Einteilungsschemas ändert auch die mangelnde begriffliche Festgelegtheit nichts. 54 Im Gegenteil: die typologische Betrachtung hilft den Blick für die allgegenwärtigen Ubergangsformen zu schärfen. Auf der anderen Seite sollte der Nutzen des sogleich vorzustellenden Einteilungsschemas auch nicht überschätzt werden. Denn das angebotene Raster ist zu grob, um exakte, den differenzierten Interessenlagen der Vertragsschließenden Rechnung tragende Ableitungen zu ermöglichen. 55 Abgesehen davon nimmt dieses Ordnungssystem das dualistische Obligationenkonzept des Bürgerlichen Gesetzbuches auf, vermag mithin mehrpolige Rechtsverhältnisse (z.B. Kreditkartensysteme) nicht adäquat zu erfassen. Angesichts dessen sollen hier zunächst nur die die Einteilung tragenden Grundformen vorgestellt werden. Die Frage, welche rechtlichen Schlußfolgerungen sich aus der Einordnung eines Vertrages ziehen lassen, bleibt vorerst zurückgestellt. Entsprechende Überlegungen werden im Zusammenhang mit anderen Gesichtspunkten im zweiten Kapitel dieser Untersuchung angestellt. 56 Verschafft man sich einen Uberblick über die Einteilungsversuche der modernen Schuldrechtsdogmatik, so läßt sich trotz einiger Unterschiede im Detail doch eine auch in terminologischer Hinsicht weitgehend übereinstimmende Klassifikation konstatieren. 57 Allgemein durchgesetzt hat sich zunächst die Unterscheidung zwischen gemischten und fremdtypischen Verträgen. 58

So zutreffend Larenz! Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I, S. 43. Zurückhaltend auch Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 775, Berner Kommentar-Kramer, Bd. VI/1, Art. 19-20 Rdnr.59 und Gernbuber, Schuldverhältnis, §7 V 3, S. 162. Vgl. auch die Mahnung von Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 100 B, S. 394: „Die letzte Entscheidung aber wird stets nur nach der Lage des Einzelfalles, insbesondere nach Maßgabe des wirtschaftlichen Zwecks und der berechtigten Interessen der Parteien durch richterliches Ermessen erfolgen können." 56 §7 V. 2. 57 Eine eigene Gruppenbildung hat in jüngerer Zeit noch Neumann-Duesberg, SAE 1970, 50 entwickelt. Die Larenz'sche (Schuldrecht II, 12. Aufl., §62 II d) Einteilung weicht insofern ab, als sie in den partiarischen Verträgen eine eigene Kategorie erblickt; ebenso wohl Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.54ff. und 155ff.; dagegen zutreffend Gernbuber, Schuldverhältnis, §7 V 3, S. 161. 58 Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 585ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63, S.41ff.; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.20f.; Berner Kommentar-Kramer, Bd. VI/1, Art. 19-20 Rdnr. 56. Freilich sind auch Verträge denkbar, die an der Nahtstelle zwischen einem fremdtypischen und einem gemischten Vertrag stehen. Berner Kommentar-Kramer, Bd. VI/1, Art. 19-20 Rdnr. 58 verweist in diesem Zusammenhang auf den Factoring- und den Alleinvertretungsvertrag. 54 55

II. Systematisierungsbemühungen

1. Gemischte

der Schuldrechtsdogmatik

35

Verträge

Bei den gemischten oder typengemischten Verträgen handelt es sich u m einheitliche Schuldverträge, die teilweise oder ausschließlich Elemente verschiedener - zwei oder mehr - gesetzlicher Vertragstypen aufweisen. 5 9 Ausgegrenzt w e r d e n können damit v o n vornherein solche Verträge, die Elemente verschiedener U n t e r t y p e n ein und desselben Vertragstyps aufweisen, also z.B. Mischmietverhältnis (teils als W o h n r a u m , teils gewerblich genutzt) 6 0 oder Beförderungsverträge im multimodalen Verkehr, 6 1 wenngleich sich Parallelen zu den gemischten Verträgen in der A r t und Weise der methodischen Bewältigung aufdrängen. B e v o r nachfolgend unter c) bis f) einige Unterarten der gemischten Verträge vorgestellt w e r d e n - der Text macht sich insoweit die allgemein verbreitete Vierteilung zu eigen - soll unter a) und b) das Definitionsmerkmal der Einheitlichkeit des Vertrages weiter entfaltet werden.

a) Einheitlichkeit des

Rechtsgeschäfts

Das die gemischten Verträge kennzeichnende Merkmal der Einheitlichkeit des Rechtsgeschäfts liegt nach einer in der Rechtsprechung vielfach v e r w e n d e ten Formel vor, w e n n die Vereinbarungen nach den Vorstellungen der Vertragsschließenden nicht f ü r sich allein gelten, sondern gemeinsam miteinander „stehen und fallen", somit kraft ihrer rechtlichen und nicht nur wirtschaftlichen Verbindung Teile eines Gesamtgeschäfts bilden sollen. 6 2 Ausschlaggebend sei 59 In diesem Sinne Esser/Schmidt, Schuldrecht V\, §12 II. 2., S.215; Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 100 B, S. 395; Gernhuber, Schuldverhältnis, § 7 V 1, S. 157f.; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 54; Eick, Problem der gemischten Verträge, S. 10; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, S. 172; Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr. 19; RGRKBallhaus, Vor §305 BGB Rdnr.35; Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr.27; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 127f. Die Bezeichnung „gemischter Vertrag" hat sich heute allgemein durchgesetzt; vgl. auch den mit „Rechtsfolgen der Kündigung bei gemischten Verträgen" überschriebenen § 6 Fernunterrichtsschutzgesetz. Zur mitunter uneinheitlichen Terminologie kurz nach Inkrafttreten des BGB, Hoeniger, Grundformen, S.5ff.; ders., Vorstudien, S.47ff. Klassisch die Formulierung Schreibers in: JherJb 60 (1912) S. 111, wonach sich gemischte Verträge dadurch auszeichnen, daß sie die gesetzlich aufgestellten Vertragstypen ganz oder teilweise enthalten, ohne sich doch mit ihnen zu decken. Aus schweizerischer Sicht eingehend Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 772f. 60 Hierzu existiert eine umfängliche Rechtsprechung; aus neuerer Zeit etwa BGH WM 1986, 912; OLG Schleswig NJW 1983, 49; OLG Hamburg NJW-RR 1997, 458. 61 Hierzu zuletzt BGH NJW 1988, 640. 62 BGH, MDR 1966, 749; BGHZ 50, 8 (13); BGH, WM 1970, 392 (393); NJW 1976, 1931 (1932); BGHZ 78, 346; BGH, NJW 1983, 985; 1984, 869 (870); 1990, 1473 (1474); 1997, 3304 (3306). Wenig hilfreich sind die im Urteil AP Nr. 2 zu § 611 BGB Gemischter Vertrag vom BAG aufgestellten Hilfskriterien: gleichzeitiger Vertragsabschluß, einheitlicher Inhalt der verschiedenen Vereinbarungen, ihre gleiche rechtliche Behandlung und ihre gegenseitige Abhängigkeit voneinander; zu Recht kritisch insoweit Heckelmann, Anm. AP Nr. 2 zu § 611 BGB Gemischter

36

5 2 Rechtsmethodische

Erfassung der normativen

Schuldvertragsordnung

der Verknüpfungswille der Parteien. 63 Die Einheitlichkeit des Rechtsgeschäfts sei ggf. im Wege der Auslegung nach §§133, 157 B G B zu ermitteln. 64 Mehrere Vereinbarungen seien dabei auch dann als einheitliches Geschäft anzusehen, wenn nur der eine Vertragspartner einen solchen Einheitlichkeitswillen habe, dieser aber dem anderen Partner erkennbar gewesen und von ihm gebilligt oder mindestens hingenommen worden sei.65 Zur Annahme eines einheitlichen Rechtsgeschäfts sei es nicht notwendig, daß zwischen den mehreren Akten ein rechtlicher Zusammenhang bereits durch rechtsgeschäftliche Bedingungen hergestellt werde. 66 Ebensowenig bräuchten die mehreren Vereinbarungen demselben rechtlichen Geschäftstypus anzugehören, sie könnten durchaus wesensungleich sein.67 Bei Zusammenfassung der Teile in einer Urkunde soll eine Vermutung für die Einheitlichkeit des Rechtsgeschäfts streiten, 68 wie umgekehrt die Niederlegung in verschiedenen Urkunden die Vermutung begründe, daß die Verträge nicht in einen rechtlichen Zusammenhang gestellt werden sollten. 69

b) Abgrenzung (1)

zu sonstigen

Vertragsgebilden

Vertragsverbindungen

Der von der Einheitlichkeit des Vertrages ersichtlich ausgeschlossene Gegenbegriff ist derjenige der Vertragsmehrheit. Schließen dieselben Parteien mehrere Verträge, so sind diese in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle voneinander unabhängig und rechtlich selbständig, und zwar auch dann, wenn zwischen ihnen ein gewisser tatsächlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang besteht. 70 Eine Vertragsmehrheit, die durch einen solchen Konnex gekennzeichnet ist, bezeichnet man als Vertragsverbindung. Gernhuber spricht präzisierend von einer „Mehrheit aufeinander bezogener Schuldverhältnisse mit bilateraler oder multilateraler Parteienkonstellation, deren Verknüpfung unmittelbar eintretende Vertrag. Aus dem Schrifttum im übrigen: Soergel-Wolf, § 305 BGB Rdnr. 36; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr.649; Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr. 16; RGRK-Ballhaus, Vor §305 BGB Rdnr.28; Staudinger-Mayer-Maly, Einl. zu §§433ff. BGB Rdnr.24; MünchKomm-Thode, §305 BGB Rdnr. 41. 63 BGHZ 76,43 (49); 78,346 (349); BGH NJW-RR1988,348 (351). Ausführlich zum Einheitlichkeitswillen Eisenhardt, JZ 1991, 273f. mit zahlreichen Nachweisen. Beachte in diesem Zusammenhang Mot. I, S. 223: „Die Bedeutung, die der Verbindung von mehreren, zusammenhängenden Willenserklärungen zukommt, kann lediglich dem Willen der Beteiligten entnommen werden." BGH NJW 1997, 3304 (3306). 64 BGHZ 50, 13; BGH NJW 1976, 1932; BGHZ 78, 348; Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr. 16; MünchKomm-T/We, §305 BGB Rdnr.41 m.w.N. 65 BGH NJW 1976, 1931 (1932); BGHZ 78, 346 (349); 101, 393 (396). 66 BGH MDR 1966, 749; NJW 1976, 1932. 67 RGZ 78,41 (43); BGH DB 1955,508; MDR 1966, 749; NJW 1976,1931 (1932). Ebenso Flume, Rechtsgeschäft, §32, 2, S. 571. 68 BGHZ 54, 71 (72); BGH NJW 1976, 1931 (1932). 69 BGHZ 78, 346 (349); AK-Dubischar, vor §§305ff. BGB Rdnr.21. 70 RGZ 97, 439; Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr. 16; Erman-Battes, Einl. §305 BGB Rdnr. 17.

II. Systematisierungsbemühungen

der Schuldrechtsdogmatik

37

Einwirkungen (genetischer, funktioneller oder konditioneller Art) zur Folge hat, mag nun lediglich ein Schuldverhältnis Einwirkungen auf ein anderes (oder andere) zeitigen, mögen auch wechselseitige Einwirkungen festzustellen sein." 71 Die Bezogenheit der Schuldverhältnisse muß nicht korrespektiv angelegt sein (wie z.B. beim finanzierten Abzahlungskauf in Form des sog. B - G e schäfts). Es genügt auch die einseitige Ausgerichtetheit auf ein anderes Schuldverhältnis (wie z.B. im Falle des Schuldbeitritts). 72 Als Beispiel einer unverbundenen Mehrheit von Vertragsverhältnissen, die einen solchen qualifizierten Zusammenhang nicht vorweisen kann, lassen sich die zahlreichen Werkverträge nennen, die anläßlich der Errichtung eines Gebäudes geschlossen zu werden pflegen. 73 Die Abgrenzung der Vertragsverbindung zu den einheitlichen Rechtsgeschäften bereitet keine Schwierigkeiten, wenn inhaltlich weitgehend voneinander unabhängige Verträge nur durch die Vertragsschließung verbunden sind.74 Eine solche rein äußerliche Vertragsverbindung liegt z.B. auch vor, wenn jemand sein Auto zur Reparatur gibt und für die Dauer der Reparatur beim Werkstattinhaber ein Ersatzauto mietet. 75 Rechtlich grundsätzlich unabhängige Verträge liegen des weiteren vor, wenn die Vereinbarungen zwischen jeweils verschiedenen Personen getroffen werden und zwar auch dann, wenn sie wirtschaftlich aufeinander bezogen sind.76 Rechtlich voneinander zu unterscheidende Verträge liegen etwa vor, wenn die Parteien eines Schiedsvertrages mit einem Dritten einen Schiedsrichtervertrag schließen. Die rechtliche Bewertung ändert sich hier selbst dann nicht, wenn beide Verträge in einer Urkunde zusammengefaßt sind.77 Als weiteres Beispiel sei der fremdfinanzierte Abzahlungskauf angeführt. Die Terminologie des §9 VerbrKrG („verbundene Geschäfte") erhellt hier, daß es sich abgesehen vom Einwendungsdurchgriff um rechtlich selbständige Verträge handelt. 78 Ebenso liegt der Fall beim drittfinanzierten Erwerb eines Teilnutzungsrechts an Wohngebäuden (vgl. jetzt §6 TzWrG). Auf der anderen Seite geht die Rechtsprechung nicht so weit, eine Geschäftseinheit für von vornherein ausgeschlossen zu erachten, wenn an den mehreren Rechtsgeschäften nicht durchweg dieselben Personen teilgenommen haben. 79 Um eine Verbindung einzelner Verträge handelt es sich auch bei der verschiedentlich im Schrifttum hervorgehobenen Gruppe der „zusammenhängenden Gernhuber, Schuldverhältnis, §31 I, S.710. Gernhuber, Schuldverhältnis, §31 I, S.710. 73 Gernhuber, Schuldverhältnis, §31 I, S.710. 74 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 100 A, S.394. 75 Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 649; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 62. 76 Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.62; Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 586. 77 BGH LM Nr. 5 zu § 1025 ZPO. 78 Eingehende Studien zu den Konsequenzen dieser Vertragsverbindung vor Erlaß des Verbraucherkreditgesetzes stammen von Gernhuber, in: FS für Larenz, S. 455 ff. und Esser, in: FS für Kern, S.87ff. 79 BGH MDR1966,749; DB 1955,508; NJW1976,1931 (1932); BGHZ 78,346 (349); 101,393 (396); a.A. Flume, Rechtsgeschäft, §32, 2, S.572. 71

72

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§2 Rechtsmethodische

Erfassung der normativen

Schuldvertragsordnung

Verträge". 80 Sie sind durch ein Abhängigkeitsverhältnis gekennzeichnet, so daß Mängel und Störungen des einen Vertrages auf den anderen durchschlagen können, beispielsweise über den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Als Beispiel wird in Anlehnung an eine BGH-Entscheidung 8 1 häufig die Verknüpfung eines Mietvertrages über Geschäftsräume mit der Anstellung des Vermieters als Verkaufsstellenleiter in den Mieträumen angeführt. 82 Der Unterschied zwischen den vorstehend behandelten Vertragsverbindungen und den gemischten Verträgen läßt sich plakativ wie folgt zusammenfassen: Der gemischte Vertrag ist ein Vertrag, der mehrere Vertragstypen zu einer Einheit verbindet, während die Vertragsverbindung nur zu einer Verbindung mehrerer Verträge führt. 83 (2) Zusammengesetzte

Verträge

Gleichsam auf einer Zwischenstufe stehen die sog. zusammengesetzten Verträge, deren Teile zwar jeweils einen selbständigen Inhalt aufweisen, jedoch nach dem Parteiwillen in einem engen funktionalen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. 84 Sie stellen mithin schon ein einheitliches Rechtsgeschäft dar. Wie soeben dargelegt wurde, charakterisiert der Einheitlichkeitswille der Parteien freilich auch die gemischten Verträge. Es stellt sich daher die Frage, was die gemischten Verträge von den zusammengesetzten unterscheidet. Dieses Abgrenzungsproblem ist bislang kaum thematisiert worden. Der Grund hierfür dürfte darin zu sehen sein, daß zumeist die Frage im Vordergrund stand, ob das Vertragsgebilde einer rechtlich einheitlichen Beurteilung sub specie §§ 139, 313, 325,326 B G B unterliegt. Eine Frage, die aber sowohl für den zusammengesetzten als auch für den gemischten Vertrag bejaht werden kann. 85 Gleichwohl sollte man sich um eine Abgrenzung bemühen, schon um in Zweifelsfällen entscheiden zu können, welche ergänzenden Normen Anwendung finden und welche Vereinbarungen durch zwingende Normen ausgeschlossen werden. 86 Allgemein läßt sich sagen, daß es sich beim zusammengesetzten Vertrag um äußerlich selbständige Verträge mit jeweils eigener Gegenleistung handelt, die durch den Parteiwillen zu einer (bloßen) Entstehungs- und Fortbestandseinheit verbunden sind, während der gemischte Vertrag die typenverschiedenen Elemente zu

80 81

145.

RGRK-Ballhaus, Vor §305 BGB Rdnr.33f.; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.62f. BGH MDR 1959,483 mit Anm. Bettermann MDR 1959, 836; weiteres Beispiel: BGHZ 54,

82 KGKK-Ballhaus, Vor §305 BGB Rdnr.33f. mit weiteren Beispielen; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 63. 83 Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 61. 84 Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, §6 A., S.172; Jauernig-Vollkommer, §305 BGB Rdnr.27; Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr.36; Staudinger-LöwiscÄ, §305 BGB Rdnr.44; Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V. 2., S. 159f.; Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr. 16. 85 Staudinger-Löwisch, (12. Aufl. 1979) §305 BGB Rdnr.32f. 86 Staudinger-Löwisch, (12. Aufl. 1979), §305 B G B Rdnr.32f.

II. Systematisierungsbemühungen

der Schuldrechtsdogmatik

39

einer ungeschiedenen Einheit vereinigt. 8 7 Ausgangspunkt der mitunter in A n betracht der fließenden Übergänge 8 8 schwierigen A b g r e n z u n g m u ß auch hier der in den Erklärungen zum A u s d r u c k gelangte Wille der Vertragsparteien sein. 8 9 D a b e i ist vor allem die zugrundeliegende Interessenlage in den B l i c k zu nehmen. H a t der Gläubiger beispielsweise erkennbar Verwendung nur für die Gesamtheit der Leistungen, spricht viel für einen einheitlichen gemischten Vertrag. D e n n nur dieser schützt ihn wirksam v o r unerwünschten Teilleistungen seines Schuldners. 9 0 D i e Teilbarkeit des Gesamtgeschäfts mag eher gegen das Vorliegen eines gemischten Vertrages sprechen, ist aber allein kein hinreichendes Unterscheidungskriterium. 9 1 So ist gerade bei der sogleich zu behandelnden ersten U n t e r g r u p p e der gemischten Verträge, den T y p e n k o m b i n a t i o n s v e r t r ä gen, eine gedankliche Aufspaltung des Leistungsprogramms nicht von v o r n h e r ein ausgeschlossen. A u c h im Fall mehrerer zwischen verschiedenen Personen getätigter Rechtsgeschäfte kann ein einheitliches Rechtsgeschäft vorliegen, so daß die A u s ü b u n g eines Rücktrittsrechts die gesamte Vertragseinheit zu Fall bringt. 9 2

c)

Typenkombinationsverträge

D i e T y p e n k o m b i n a t i o n ist dadurch gekennzeichnet, daß sich die einer Partei kraft des Vertrages obliegenden, im wesentlichen gleichrangigen Leistungspflichten verschiedenen Schuldvertragstypen zuordnen lassen. 9 3 G l e i c h b e d e u tend spricht man auch v o n Verträgen mit mehrfachtypischer Leistung. Als B e i spiel wird oft die zeitlich begrenzte, entgeltliche Überlassung einer Maschine Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V. 2., S. 159; Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr.36. Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.62; Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr. 19; Erman-Battes, Einl §305 BGB Rdnr. 20; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, §6 A., S. 172; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 12 II. 2., S.215; Staudinger-Wufia, §313 BGB Rdnr. 158. 89 Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V. 2., S. 159; Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 586; Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 773. 90 Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 586; Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V. 2., S. 160. 91 Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V. 2., S. 159: „Indiz". 92 BGH NJW 1976, 1932 (rechtliche Einheit von Grundstückskaufvertrag und mit einem Dritten abgeschlossenen Aufbau- und Baubetreuungsvertrag). 93 Manche Autoren ordnen unter der Rubrik „Typenkombination" auch Verträge mit anderstypischer Nebenleistung (z.B. Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 12 II. 2. a), S.215) oder solche Verträge ein, die durch eine anderstypische Gegenleistung charakterisiert sind (z.B. Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I. 1. b), S.42; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.20). Wie hier für eigene Kategorien die h.M., vgl. etwa Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 12 II. 2., S.215; Gernhuber, Schuldverhältnis, § 7 V 3, S. 160f.; Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 305 BGB Rdnr. 19ff.; Staudinger-Mayer-Maly, Einl. zu §§433ff. BGB Rdnr.26; KGKK-Ballhaus, Vor §305 BGB Rdnr. 35ff.; Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr.27ff.; Staudinger-Löwisch, §305 BGB Rdnr.33ff.; Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 100 B, S. 395ff.; Berner Kommentar-Xramer, Bd. VI/1, Art. 19-20 Rdnr. 60; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr.650ff., der im übrigen vorschlägt, den Ausdruck „Typenkombinationsvertrag" durch „Typenverbindungsvertrag" zu ersetzen. 87 88

Für das schweizerische Recht Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 775.

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§2 Rechtsmethodische

Erfassung der normativen

Schuldvertragsordnung

samt des qualifizierten Bedienungspersonals genannt, die zu einer Kombination miet- und dienstverschaffungsvertraglicher Elemente führt. 9 4 Ferner gehört hierher der so alltägliche Speiserestaurantvertrag, der hinsichtlich der dargebotenen Speisen kaufrechtliche Elemente, hinsichtlich der Überlassung des Platzes mietrechtliche und im Hinblick auf die Bedienung dienstrechtliche Züge aufweist. 95 Auch der Factoring-Rahmenvertrag wird von der h.M. als Typenkombination qualifiziert, da er sowohl kauf- bzw. darlehensvertragliche als auch geschäftsbesorgungs- und versicherungsrechtliche Elemente in einem funktional aufeinander bezogenen einheitlichen Gefüge zusammenfasse. 96 Ebenso wird von vielen der sich aus Elementen des Dienstvertrages, des Lizenzvertrages und der Geschäftsbesorgung zusammensetzende Franchisevertrag als Typenkombination angesehen. 97 Bisweilen wird eine solche Typenkombination auch vom Gesetzgeber aufgegriffen und einer Regelung zugeführt; so geschehen beispielsweise beim Reisevertrag (vgl. §§651a ff. BGB). 98 Mitunter greift der Gesetzgeber auch nur bestimmte Aspekte einer bestimmten vertraglichen Beziehung auf. So ist er beispielsweise mit dem sogenannten Heimvertrag verfahren, einem dem Privatrecht unterstehenden, 99 typengemischten Vertrag, der sich aus Elementen der Miete (Überlassung von Wohnraum), des Kaufs (Verpflegung), des Dienstvertrages (Betreuung und Pflege) und des Werkvertrages (Reinigung des Zimmers) zusammensetzt. 100 Eine Teilkodifikation - beschränkt auf bestimmte besonders problematische Fragen - ist hier durch das Heimgesetz erfolgt. 101 N u r punktuell, nämlich allein im Hinblick auf die Haftungsfrage, werden in §§701 ff. BGB die Rechtsbeziehungen zwischen dem Gastwirt und dem Gast behandelt. Die vertragliche Grundlage bildet hier der sogenannte Beherbergungsvertrag, der ebenfalls Elemente verschiedener Vertragstypen kombiniert. 102 Dieser wird 94 Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr.21; R G Z 48, 89, 56, 360 und 69,127 jeweils für die Vermietung eines Schiffes mit dazugehöriger Mannschaft (locatio navis et operarum magistri et nauticorum). 95 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I 1 a), S. 41; Canaris, JuS 1970, 219. 96 Klaas, N J W 1968, 1506; Serick, BB 1976, 431; Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 10 II, S. 254 mit Nachweisen auch der abweichenden Ansichten. 97 Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr.29; Martinek, Franchising, S.385; Giesler, ZIP 2000, 2098. 98 Vgl. hierzu B G H N J W 1987, 1931 (1933). 99 Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, §8 G I, S.215f. 100 B G H N J W 1981, 341 (342); O L G Nürnberg NJW-RR 1998, 780 (781); für gemischten Vertrag in Form eines Typenverschmelzungsvertrags Kunx/Kui/Wiedemann, §4 HeimG Rdnr. 6. Der Stärkegrad der genannten Vertragselemente hängt entscheidend vom Zuschnitt des jeweiligen Heims ab (z.B. Altenwohnheim, Altenheim oder Altenpflegeheim). 101 Heimgesetz i.d.F. vom 23.4. 1990 (BGBl. I, S. 763, ber. S. 1069), zuletzt geändert durch 2. Gesetz zur Änderung des Heimgesetzes vom 3.2. 1997 (BGBl. I, S. 158ff.). 102 Im einzelnen zumeist: Überlassung der Unterkunft (mietvertragliches Element), Aufräumen und Reinigen des Zimmers (dienstvertragliches Element), Beköstigung des Gastes (werklieferungsvertragliches Element). Weitere Leistungen (z.B. Abholung vom Bahnhof, Verwahrung von Wertsachen) können hinzutreten. Vgl. im einzelnen Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, §7 A l l , S. 176.

II. Systematisierungsbemühungen

der Schuldrechtsdogmatik

41

freilich entgegen der irreführenden Einordnung der Vorschriften der §§701 ff. B G B im Vertragsrecht von der gesetzlichen Regelung nicht berührt. Den Ansprüchen aus dem Vertrag wird vielmehr lediglich eine verschuldensunabhängige gesetzliche Einstandspflicht des Gastwirts zur Seite gestellt. 103 Sie kann sich sogar unabhängig von der rechtlichen Existenz eines Beherbergungsvertrages aktualisieren. 104 Der Beherbergungsvertrag bleibt damit ungeachtet des Dreizehnten Titels des Siebenten Abschnitts im Recht der Schuldverhältnisse ein gesetzlich nicht geregelter (typengemischter) Vertrag.

d) Verträge mit anderstypischer

Nebenleistung

Ferner kann es so liegen, daß die Parteien in einem Vertrag eine Nebenleistung vereinbaren, die der typischen Hauptleistung in dienender oder ergänzender Funktion zugeordnet ist, für sich betrachtet jedoch einem anderen Vertragstyp zugehörig erscheint. Solche Verträge werden ganz überwiegend ebenfalls als gemischte Verträge qualifiziert. 105 Man begegnet ihnen im täglichen Leben recht häufig. Als Beispiele lassen sich anführen: die Miete eines Zimmers mit Bedienung 106 , der Vertrag über zahnprothetische Heilbehandlung 107 sowie der (totale) Krankenhausaufnahmevertrag 108 . Die Grenze zur Typenkombination ist fließend; so liegt beim Kauf einer Maschine mit der Verpflichtung des Verkäufers die Montage zu übernehmen je nach Umfang und Bedeutung der Montageverpflichtung eine Typenkombination oder ein Vertrag mit einer anderstypischen Nebenleistung vor. 109

Larenz, Schuldrecht II/l, §59, S.462. Erman-H.P. Westermann, Vor §701 BGB Rdnr.2; Jauernig-Vollkommer, §701 BGB Rdnr. 1; Larenz, Schuldrecht II/l, §59, S.462. 105 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 100 B, S. 396f. (in Abgrenzung von früheren Auflagen); Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 12 II. 2, S.215; Gemhuber, Schuldverhältnis, §7 V 3, S. 160; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr.651; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.54; Staudinger-Mayer-Maly, Einl. zu §§433ff. BGB Rdnr.26; Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr. 20; KGKK-Ballhaus, Vor §305 BGB Rdnr. 35; Erman-Battes, Einl. §305 BGB Rdnr. 23; Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr.28, der von „einseitiger Typenkumulation" spricht; StaudingerLöwisch, § 305 BGB Rdnr. 38, der die Bezeichnung „gemischter Vertrag mit aneinandergereihten Typen und Uberwiegen des einen Typus" verwendet; Siber, Schuldrecht, S. 185, der von „Artverträgen mit Beimischung" spricht. Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 2 II, S. 20 hingegen sieht in ihnen bloße Modifikationen gesetzestypischer Verträge; ähnlich wohl auch Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 773 f. 103

104

106 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, §100 B, S.396; Esser/Schmidt, Schuldrecht V\, §12 II. 2., S.215; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.54; Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr. 20 107 RGRK-Ballhaus, Vor § 305 BGB Rdnr. 36 mit Hinweis auf BGH, NJW 1975, 305. 108 RGRK-Ballhaus, Vor § 305 BGB Rdnr. 36; BGHZ 2, 94 (96); für Typenverschmelzung jedoch Stzudinger-Richardi, Vorbem. zu §§611ff. BGB Rdnr. 1255. 109 So zutreffend RGRK-Ballhaus, Vor § 305 BGB Rdnr. 36; Gemhuber, Schuldverhältnis, § 7 V 3, S. 161 Fn. 127; Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 305 BGB Rdnr. 20; BGH NJW 1998,3197 (3198); O L G Düsseldorf NJW-RR 1992, 564; OLG Stuttgart BB 1971, 239; OLG Köln BB 2000, 15.

42

5 2 Rechtsmethodische

Erfassung der normativen

e) Verträge mit anderstypischer

Schuldvertragsordnung

Gegenleistung

Eine weitere Untergruppe der gemischten Verträge bilden die Verträge mit anderstypischer Gegenleistung, 110 auch gekoppelte Verträge, 111 doppeltypische Verträge, 112 zweiseitige Typenkumulation 1 1 3 oder - sehr plastisch - Zwitterverträge 114 genannt. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß das vertragliche Programm den Austausch von Leistungen vorsieht, die jeweils unterschiedlichen Vertragstypen entstammen. Solche Verknüpfungen zielen zumeist auf die Ausschaltung des Geldfaktors. 115 Sie stellen sich damit als Tauschgeschäfte im weiteren Sinne dar. Musterbeispiel ist insoweit der Hausmeistervertrag, bei dem freies Wohnen gegen Erbringung von Hausmeisterdiensten versprochen wird, mithin mietund dienstvertragliche Leistungspflichten in ein Austauschverhältnis gebracht werden. 116

f)

Typenverschmelzungsverträge

Bei den Typenverschmelzungsverträgen - auch Typenvermengungsverträge117 und gemischte Verträge im engeren Sinne 118 genannt - vereinigen sich ausschließlich Elemente verschiedener gesetzlicher Vertragstypen in einer einzigen, einheitlichen Leistungspflicht. 119 Diese untrennbare Verbindung macht Ausführlich zum Liefervertrag mit Montageverpflichtung Graue, AcP 163 (1963), S. 401 ff. und Droste, Der Liefervertrag mit Montageverpflichtung. 110 Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 594; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.20; Esser/ Schmidt, Schuldrecht 1/1, §12 II. 2., S.215; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I, S.42; Jauernig-Vollkommer, §305 BGB Rdnr.29; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.56. 111 Palandt-Z/einnc/w, Einf. v. §305 BGB Rdnr. 22; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, §6 A, S. 172. 112 Kress, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, S.75; Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V 3, S. 161; Staudinger-Mayer-Maly, Einl. zu §§433ff. BGB Rdnr.26; Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 775; Berner Kommentar-Kramer, Bd. VI/1, Art. 19-20 Rdnr. 62. 113 Soergel-Wo//, §305 BGB Rdnr.34. 114 Siher, Schuldrecht, S.185; Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, §100 B, S.400; Oertmann, Vorbem. vor §§433ff. BGB Anm.4 c); Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr.653. 115 Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 12 II. 2., S.215. 116 Statt vieler Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 594f.; RGRK-Ballhaus, Vor § 305 BGB Rdnr. 38. Zum Hausmeistervertrag auch BAG, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Gemischter Vertrag mit Anm. Söllner und Schelf, in: FS für Herschel, S. 98f. Züge eines Vertrages mit anderstypischer Gegenleistung trägt auch der Vertrag über eine Werkdienstwohnung; Vd&n&t-Heinrichs, Einf. v. § 305 BGB Rdnr. 22 und umfänglich hierzu Gaßner, AcP 186 (1986), S. 323 ff.; hierzu auch die Sondervorschrift des §565e BGB. 117 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 100 B, S. 401 f.; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 654. 118 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, §100 B, S.401f. 119 Medicus, Schuldrecht II, Rdnr.591; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I, S.42; Esser/ Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 12 II. 2., S.215; Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V 3, S. 161; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.20; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.54; PalandtHeinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr.23; Jauernig-Vollkommer, §305 BGB Rdnr.30; R G R K - i W / haus, Vor §305 BGB Rdnr. 39; Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr. 32; Staudinger-LöWjc£, §305

II. Systematisierungsbemühungen

der Schuldrechtsdogmatik

43

den Unterschied zur Typenkombination aus, bei der es sich um eine bloße durch die wirtschaftliche Zwecksetzung der Parteien zusammengefaßte - Aneinanderreihung typenverschiedener Leistungen handelt. Der Hauptfall ist die sog. gemischte Schenkung. 120 Hierbei wird ein Gegenstand bewußt weit unter Wert, mithin teilweise unentgeltlich, veräußert. Ein solches Geschäft steht gleichsam zwischen Kaufund Schenkung. Als weitere Beispiele lassen sich nennen, der Kaufvertrag im Rahmen eines Vergleichs 121 und das Abonnement eines Börsendienstes, bei dem der Kauf und die Übernahme entgeltlicher Beratungspflichten untrennbar miteinander verbunden sind. 122 O b auch der Theatervertrag, der Sanatoriumsvertrag und der Vertrag über eine Schiffspassage hierher zu zählen sind, wird im Schrifttum nicht einheitlich beantwortet. Mitunter werden diese Verträge auch der Typenkombination zugeschlagen. 123 Hinzuweisen ist noch auf einen gesetzlich geregelten Fall eines Typenverschmelzungsvertrages, nämlich den auf eine Geschäftsbesorgung gerichteten Dienst- oder Werkvertrag (§675 BGB). 1 2 4

2. Typenfremde

Verträge

Die den Privatrechtssubjekten eingeräumte inhaltliche Gestaltungsfreiheit umfaßt sogar die Befugnis, dem Gesetz bislang ganz unbekannte Schuldverträge auszuhandeln. Solche neu „erfundenen" Verträge, die sich keinem gesetzlich geregelten Typus zuordnen lassen und sich auch nicht als Modifikation eines solchen oder als Mischung verschiedener derartiger Typen qualifizieren lassen, werden gewöhnlich typenfremde 125 oder synonym atypische Verträge im engeren Sinne 126 genannt. BGB Rdnr.40; Staudinger-Mayer-Maly, Einl. zu §§433 ff. BGB Rdnr.26; Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 775f.; Berner Kommentar-Xramer, Bd. VI/1, Art. 19-20 Rdnr. 63. 120 Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 591; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I, S. 42; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 654. 121 Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr. 32; vgl. hierzu auch O G H Z 3, 20. 122 Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §12 II 2, S.215 Fn 41; Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr. 23; Soergel- Wolf, § 305 BGB Rdnr. 32; für Typenkombination hingegen Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 652; vgl. hierzu auch BGHZ 70, 356. 123 Für Typenverschmelzung: Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 12 II 2, S.215; Soergel-Wolf, § 305 BGB Rdnr. 32; Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 305 BGB Rdnr. 23; für Typenkombination: Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 588 und Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.20 jeweils für den Theatervertrag; Gernhuber, Schuldverhältnis, § 7 V 3, S. 161 (Fn. 128) für den Heim- und Sanatoriumsvertrag. Zur Einordnung des Theatervertrages Faude, JuS 1969,434f.; zur Einordnung des Konzertbesuchervertrages als typengemischten Vertrag AG Herne-Wanne, NJW1998,3651, in der Einordnungsfrage zustimmend H. Roth,]\iS 1999, 220. 124 Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 591 \Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 55 Fn. 10 weist ferner auf die §§651, 700 BGB hin. 125 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 IV, S.60; Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 596. 126 Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 648; Vuhndt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr. 14. Weniger glücklich ist hingegen die Bezeichnung als Verträge sui generis (z.B. bei Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.20; Berner Kommentar-Kramer, Bd. VI/1, Art. 19-20

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5 2 Rechtsmethodische

a) Abgrenzung

Erfassung der normativen

zu bloßen Modifikationen

Schuldvertragsordnung

gesetzestypischer

Verträge

Abzuschichten sind hiervon bloße Modifikationen der gesetzestypischen Verträge, also Abweichungen von einzelnen dispositiven Gesetzesregeln. Lassen diese die essentialia negotii des jeweiligen Vertragstyps im Kern unangetastet, so liegt kein typenfremder Vertrag, sondern ein modifizierter oder variierter BGB-Vertrag vor. Ist die Abweichung zwar von einigem Gewicht, hält sie sich aber im Rahmen des Abänderbarkeitsspektrums des gesetzlichen Vertragstyps, so spricht man auch von atypischen Kauf-, Werk- oder Mietverträgen etc.127 Beispielsweise ist der Kauf typischerweise ein Umsatzgeschäft, das darauf zielt, den Kaufgegenstand endgültig in das Vermögen des Käufers übergehen zu lassen. Begriffsnotwendig ist diese Zweckbestimmung jedoch nicht. Die Rechtsfigur des Kaufs kann daher durchaus auch - atypisch - zu Sicherungszwecken eingesetzt werden, wie es etwa in den Fällen des Wertpapierpensionsgeschäfts oder des Sicherungskaufs geschieht.128 Eine scharfe Grenze, die exakt den Ubergang vom noch den Grundtypus wahrenden Vertrag zum typenfremden beschreiben könnte, gibt es auch hier nicht.129 Denn wiederum handelt es sich um eine durch eine mehr oder weniger an Ubereinstimmung gekennzeichnete Typenreihe, die bruchlos vom gesetzlichen Vertragtypus zum Vollbild eines typenfremden Vertrages reicht. So verwundert es auch nicht, daß in nicht wenigen Fällen unterschiedliche Meinungen darüber bestehen, ob ein bestimmter Vertrag noch von der gesetzlichen Vertragstypenordnung erfaßt wird. Paradigmatisch ist insoweit die Einordnungskontroverse im Hinblick auf Finanzierungsleasingverträge. Während die herrschende Meinung, zumal die Rechtsprechung, den Finanzierungsleasingvertrag als atypischen Mietvertrag einstuft,130 betonen andere den sui-generis-Charakter dieser modernen Vertragsform.131 Vertragsgestaltungen, die sich noch dem Rdnr. 65), da sich auch gemischte Verträge bisweilen weit von der gesetzlichen Typenordnung entfernen und nach eigenen Regeln beurteilt werden müssen, wie hier Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 IV. 1. a), S.60. 127 Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.20. 128 Soergel-Huber, §433 BGB Rdnr.20 m.w.N. 129 Medicus, Schuldrecht II, Rdnr.596; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 IV. 1. b), S.61; Kramer, in: Neue Vertragsformen, S. 40 Fn. 96. 130 Z.B. B G H NJW 1990, 1113 (1114) m.w.N.; Wolf/Eckert, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, Rdnr. 1791 ff.; Koch, Störungen beim Finanzierungs-Leasing, S. 99ff.; Sannwald, Finanzierungsleasingvertrag, S. 87ff.; Erman-Jendrek, Anh. §536 BGB Rdnr. 15; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rdnr. 1514ff.; Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr.90ff. und 133 mit dem Zusatz, daß beim Teilamortisationsleasingvertrag für die Zeit nach seinem Ablauf ein garantievertragliches Element hinzutritt (insoweit ausdrücklich zustimmend Martinek, ZHR1999,596; ablehnend hingegen Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §66 II, S. 105). 131 Vgl. etwa Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 648; Staudinger-Martinek, §675 BGB Rdnr. B 226ff.; ders., Moderne Vertragstypen I, S.88ff. m.w.N.; Ziganke, BB 1982, 710; Lieb, DB 1988, 949; H. Roth, AcP 190 (1990), 312; Becker, Auslegung des §9 Abs. 2 AGB-Gesetz, S.97; Ulmer/ Schmidt, DB 1983, 2565.

II. Systematisierungsbemühungen

der Schuldrechtsdogmatik

45

Strukturmodell eines gesetzlichen Schuldvertrages zuordnen lassen, stehen, auch wenn sie am äußersten Rand des Normbereichs anzusiedeln sind, per definitionem außerhalb des Blickfeldes dieser Untersuchung. Zwei Gesichtspunkte lassen es jedoch angezeigt erscheinen, solche Verträge aus den Überlegungen zur Rechtsfindung und Inhaltskontrolle nicht völlig auszuklammern; zum einen die soeben angesprochene unscharfe und zu arbiträren Distinktionen verleitende Grenze und zum anderen die Problemverwandtschaft in methodischer Hinsicht. Denn auch modifizierte gesetzestypische Verträge, wie z.B. der Vertrag zwischen einem Kreditkartenaussteller und dem Karteninhaber im Dreiparteiensystem 132 und der Software-Kaufvertrag 133 sind durch einen weitgehenden Ausfall des gesetzlichen Referenzsystems und eine starke Eigengesetzlichkeit gekennzeichnet. 134 Auch wenn hier im Rahmen der Rechtsanwendung der deduktiv-normapplizierende Gehalt tendenziell größer ist, lassen sich doch viele der in dieser Abhandlung zu erarbeitenden methodischen Grundaussagen auf solche Verträge übertragen.

b) Singularität typenfremder Verträge Typenfremde Verträge im oben skizzierten Sinne sind eher seltene Ausnahmeerscheinungen. Denn immerhin offeriert schon das Bürgerliche Gesetzbuch eine reiche Palette verschiedenster Vertragstypen, die nahezu allen praktischen Bedürfnissen des Rechtsverkehrs genügen dürfte. 135 Mit dem in §675 B G B angesprochenen Geschäftsbesorgungsvertrag steht zudem ein Auffangbecken für solche Vertragsverhältnisse bereit, bei denen es im Kern um eine entgeltliche selbständige Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen geht. 136 Die gesetzestechnische Konzeption, diese Vorschrift dem Auftragsrecht als bloßen Annex anzugliedern, sowie ihr dünner Regelungsgehalt, 137 der noch dazu nur ergänzenden Charakter für einen begrenzten Kreis von Dienst- und Werkverträgen zu haben scheint, stehen in krassem Gegensatz zu der immensen prakti132 Die h.M. geht von einem Geschäftsbesorgungsvertrag aus: vgl. statt vieler BGHZ 125, 343 (349) und Palandt-Sprau, § 676h BGB Rdnr. 3. Bestätigt wird diese Einordnung durch die jüngst in das Geschäftsbesorgungsrecht (§676h BGB) eingestellte Vorschrift zu den Rechtsfolgen der mißbräuchlichen Verwendung einer Zahlungskarte. 133 Hierzu vor allem Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 281 ff. 134 Dies veranlaßt den BGH beispielsweise zu der Feststellung, ein gesetzlich geregeltes Leitbild des Kreditkartenvertrages gäbe es nicht; vgl. BGH NJW 1991, 1886 (1887); 1998, 383. 135 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 IV. 1. a), S.60; Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 596; Kress, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, S. 72; Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 2 II, S.22. 136 So die Typenbeschreibung der h.M.; vgl. etwa Larenz, Schuldrecht II/l, § 56 V, S. 422; ähnlich BGHZ 45, 223 (229). Musielak, Entgeltliche Geschäftsbesorgung, S. 1231 ff.; StaudingerMartinek, §675 BGB Rdnr. A 21 f.; Erman-Ehmann, §675 BGB Rdnr.l. 137 So schon Planck, BGB-Kommentar (1./2. Aufl. 1902), §675 BGB Anm.2. Als „gesetzestechnischen Geburtsfehler" bezeichnet die Regelung des Geschäftsbesorgungsvertrages zu Recht K. Schmidt, Zukunft der Kodifikationsidee, S. 25. Überlegungen de lege ferenda bei Musielak, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge II, S. 1209ff.

46

§2 Rechtsmethodische

Erfassung der normativen

Schuldvertragsordnung

sehen und theoretischen Bedeutung des Geschäftsbesorgungsrechts. § 675 B G B markiert heute - wie Martinekns treffend herausstellt - eine sowohl dem Auftrags- wie dem Dienstvertragsrecht gegenüber systematisch eigenständige vertragsrechtliche Kategorie. Unter die eingangs formulierte Typenbeschreibung fallen zahlreiche, teils überkommene, teils erst in jüngerer Zeit aufgekommene Vertragsformen mit erheblichem gesamtwirtschaftlichen Gewicht. Vor allem die starke Expansion des Dienstleistungssektors hat die Bedeutung des Geschäftsbesorgungsrechts nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches erheblich gesteigert. 139 Bereits wenige Beispiele genügen, um sich eine Vorstellung von der Weite und der Bedeutung dieser Grundfigur zu machen. Als Geschäftsbesorgungsverträge werden u.a. angesehen: der Bankvertrag mit seinen zahlreichen Unterformen 1 4 0 , Baubetreuungsverträge 141 , Rechtsanwalts-, Wirtschaftsprüfer- und Steuerberatungsverträge 142 , Treuhänder- und Verwaltungsverträge 143 , Kreditkartenverträge im Dreiparteiensystem 144 und zuletzt die Rechtsbeziehungen zwischen der Systemzentrale und eines Teilnehmers bei Tauschhandelsgeschäften im Rahmen eines sog. „Barter-Systems" 145 . Neben solchermaßen „reinen" Geschäftsbesorgungsverträgen kennt die Praxis auch Verträge mit geschäftsbesorgungsrechtlichem Einschlag. Es handelt sich dann zumeist um gemischt-vertragliche Gestaltungen, die ebenfalls nicht den typenfremden Verträgen zugerechnet werden können (z.B. Franchising- 146 Vertragshändler- 147 , und Factoringverträge 148 ). Alles in allem zeigt sich, daß der Gesetzgeber mit §675 B G B der Rechtspraxis eine zwar nur schwach konturierte, dafür aber aufgrund ihres weiten Anwendungsbereichs in hohem Maße integrationsfördernd Stzudinger-Martinek, §675 BGB Rdnr. A 1. Staudinger-Martinek, §675 BGB Rdnr. A 3. 140 Z.B. der Girovertrag, vgl. BGH NJW 1997, 2042 sowie Canaris, Bankvertragsrecht I, Rdnr. 315; vgl. jetzt die §§676a ff. BGB 141 Jauernig-Vollkommer, §675 BGB Rdnr. 12. 142 Für Rechtsanwaltsverträge BGHZ 71, 380 (381), BGH NJW 1985, 2642, Erman-Hanau, § 611 BGB Rdnr. 35; AGB-Klauselwerke-Scfe/er, Rechtsanwälte Rdnr. 2; Rombach, Allgemeine Geschäftsbedingungen bei Dienstverträgen, S. 50ff.; für Steuerberaterverträge BGHZ 54, 106 (107), BGH VersR 1980,264; Staudinger-Richardi, Vorbem. zu §§611 ff. BGB Rdnr. 1688; AGBKlauselwerke-Sc/w/er, Steuerberater Rdnr. 1; Rombach, Allgemeine Geschäftsbedingungen bei Dienstverträgen, S. 102ff.; für Wirtschaftsprüferverträge \J\mer! Brandner/Yiensen, Anh. §§9-11 AGBG Rdnr.951; AGB-Klauselwerke-Scfe/er, Wirtschaftsprüfer Rdnr.l; Rombach, Allgemeine Geschäftsbedingungen bei Dienstverträgen, S. 120ff. 143 Für Treuhandvertrag BGHZ 76, 127 (131); BGH NJW 1987, 2071; für Verwaltervertrag BGH WM 1965,1181 (1182); skeptisch gegenüber einer derart pauschalen Einordnung offenbar Gernhuber, JuS 1988, 358. Neueste Gesamtdarstellung des Treuhandvertrags bei Grundmann, Treuhandvertrag. 144 BGHZ 91, 221 (223); Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr. 1628; Custodis, Kreditkartenverfahren, S.44ff.; AGB-Klauselwerke-P/e^/er, Kreditkartenvertrag Rdnr. 22. 145 BGH NJW 1999, 635 (636); hierzu Benedict, NJW 2000, 190ff. 146 Palandt-Pttizo, Einf. v. §581 Rdnr. 23; Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr. 29; für Dominanz der Geschäftsbesorgung Martinek, Franchising, S.265f. 147 Ulmer, Vertragshändler, S. 264ff. 148 Staudinger-Martinek, §675 BGB Rdnr. B 119 u. 159 m.w.N. 138

139

II. Systematisierungsbemiihungen

der Schuldrechtsdogmatik

47

wirkende Vorschrift zur Verfügung gestellt hat. Nimmt man die Typisierung besonderer Vertragsverhältnisse in den zahlreichen Nebengesetzen hinzu - beispielhaft seien hier nur das Handelsgesetzbuch, das Versicherungsvertragsgesetz und das Verlagsgesetz genannt so wird deutlich, daß der Raum, den die geltende gesetzliche Vertragsordnung für echte Neuschöpfungen läßt, schmal bemessen ist.

c) Beispiele typenfremder

Verträge

Gleichwohl lassen sich doch einige auch praktisch bedeutsame Schuldvertragsarten nennen, die sich einer Einordnung in das System der gesetzlichen Typenordnung widersetzen. Dabei handelt es sich keineswegs ausschließlich um sog. moderne Vertragstypen. Auf eine lange Tradition kann beispielsweise der Garantievertrag zurückblikken. 149 Er ist dadurch gekennzeichnet, daß der Garant eine unbedingte Verpflichtung zur Schadloshaltung übernimmt, falls der garantierte Erfolg nicht eintritt. 150 Da sich der Garantievertrag damit nicht als akzessorische Hilfsschuld darstellt, kann er auch nicht als bloße Abwandlung des Grundtypus der Bürgschaft qualifiziert werden. Es fehlt damit an einer gesetzlichen Normierung dieser in so vielfältigen Unterformen auftretenden Vertragsgestaltung. Ähnlich verhält es sich mit der sog. kumulativen Schuldübernahme, 151 bei der jemand kraft vertraglicher Vereinbarung als weiterer Schuldner in den Haftungsverband eintritt. Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt in den §§414ff. lediglich die sog. privative Schuldübernahme, die zu einem Schuldnerwechsel führt. Auch die vertragliche Unterlassungsverpflichtung, die insbesondere im Wettbewerbsrecht eine lange Tradition aufweist, ermangelt einer gesetzlichen Regelung und kann je nach Ausgestaltung durchaus als eigenständiger typenfremder Vertrag angesehen werden. 152 Das Gegenstück hierzu bildet gleichsam der Gestattungsvertrag, z.B. über den Gebrauch des eigenen Namens. 153 Historische Normierungslücken füllen schließlich auch der Vertrag zwischen Schiedsrich149 Vgl. dazu schon Stammler, AcP 69 (1886), S. lff. Aus der reichsgerichtlichen Rechtsprechung etwa RGZ 61, 157. Zu den typenfremden Verträgen rechnen den Garantievertrag heute beispielsweise Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 99, S. 392; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 IV. 2., S. 61•,Fikentscber, Schuldrecht, Rdnr. 648; Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 596; Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 2 II, S. 20; Coester- Waltjen, J R 1989,195; ferner BGH NJW1988,1726 (1727): Herstellergarantie begründe ein „selbständiges Vertragsverhältnis eigener Art". Ausführlich zum Garantievertrag Hadding, Häuser, Weiter, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge III, S. 682ff. und zuletzt Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 364ff. 150 BGH NJW 1996, 2569 (2570); 1999, 1542 (1543); Staudinger-Z/or«, Vorb. §§765ff. BGB Rdnr. 194; Palandt-Sprau, Einf. v. §765 BGB Rdnr. 16. 151 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, §99, S.392; Heck, Schuldrecht, S.245; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr.648; Palandt-Heinrichs, Überbl. v. §414 BGB Rdnr.2; Kothe, JZ 1990, 997ff.; RGZ 71, 113; B G H NJW 2000, 575. 152 Näher Köhler, AcP 190 (1990), S.496 und BGH NJW 1995, 2788 (2789). 153 Vgl. hierzu jüngst O L G Stuttgart NJW-RR 1997, 603.

48

§ 2 Rechtsmethodische

Erfassung

der normativen

Schuldvertragsordnung

ter und den Parteien (sog. Schiedsrichtervertrag),154 der Vorvertrag,155 sowie der das Innenverhältnis zwischen Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer regelnde Sicherungsvertrag.156 Daneben treten einige dem modernen Wirtschaftsverkehr entspringende Vertragskonstrukte. Als Beispiel läßt sich die Gruppe der an einen Betrieb angelehnten Gestattungsverträge anführen.157 Darunter fällt nicht nur der Automatenaufstellungsvertrag, sondern auch die vertragliche Erlaubnis zum Betreiben einer Buchhandlung in einem Bahnhof oder zur Aufstellung eines Fotokopiergerätes in einer Bibliothek.158 Als Vertrag eigener Art, der keinem gesetzlichen Leitbild entspreche, hat der BGH auch den Kreditkartenvertrag im Zweipersonenverhältnis bezeichnet;159 desgleichen den Patentlizenzvertrag,160 den Filmherstellungs- und Verwertungsvertrag161 sowie den Belegarztvertrag.162 Welche Vertragsgebilde fernerhin hierher zu rechnen sind, ist im Schrifttum umstritten. Von nicht wenigen wird beispielsweise - wie bereits erwähnt - auch der Leasingvertrag als eigenständiger Vertragstyp sui generis163 charakterisiert. Hinzu kommen schließlich Verträge, die Ausdruck eines sehr individuellen und eigengearteten Regelungsbedürfnisses sind und sich in ihrer konkreten Ausgestaltung als eine „Erfindung" gerade dieser Vertragsparteien darstellen. Jüngstes Beispiel ist eine „Topfvereinbarung" zwischen Pkw-Verkäufern unterschiedlicher Sparten eines Autohauses. Diese hatte das Bundesarbeitsgericht als Abrede sui generis eingestuft.164 Als eine solche wird man auch die Absprache zwischen einem bildenden Künstler und einer Gemeinde zu bewerten haben, derzufolge der Künstler von ihm geschaffene Werke der Gemeinde zwecks 154 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, §99, S.392; Heck, Schuldrecht, S.245; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr.648; RGZ 94, 210; BGH LM Nr. 5 zu §1025 ZPO; NJW 1986, 3077. 155 Hierzu schon RGZ 66, 116; aus neuerer Zeit BGH NJW 1988, 1261; vgl. ferner grundlegend Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag. 156 U. Huber, Sicherungsgrundschuld, S. 84 bezeichnet den Sicherungsvertrag als „festumrissenen und eigenständigen schuldrechtlichen Vertragstypus"; zustimmend Friedel, Übersicherung und Teilfreigabe von Sicherheiten, S. 77 sowie Canaris, ZIP 1996,1117; ferner Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 44; zur Auslegung des Sicherungsvertrages jüngst BGH GS NJW 1998,671 ff. 157 Der BGH spricht von „Gestattungsverträgen"; BGHZ 47, 202 (205), BGH NJW 1978, 1155 (1156) und 1983,159 (160), während Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 63 IV. 2., S. 61 von „Betriebsanlehnungsverträgen" sprechen. 158 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 IV. 2., S.61f. 159 BGHZ 114, 238 (241); zust. A G B - K l a u s e l w e r k e - P f e i f f e r , Kreditkartenvertrag Rdnr. 6. 160 BGHZ 105, 374 (378); Benkard-Ulimann, § 15 PatG Rdnr. 49; Schulte, § 15 PatG Rdnr. 15; Martinek, Moderne Vertragstypen II, § 14 II, S. 47; ~Erman-Jendrek, Vor § 581 BGB Rdnr. 7; für analoge Anwendung der Vorschriften über die Pacht Stumpf/Groß, Lizenzvertrag, Rdnr. 20ff. 161 BGHZ 2, 331. 162 BGH NJW 1972, 1128. 163 Auch die 1988 verabschiedete „UNIDROIT CONVENTION on International Financial Leasing" für grenzüberschreitende Leasinggeschäfte geht übrigens von einem Vertrag sui generis aus (vgl. hierzu Röblitz, Mobilien-Finanzierungsleasing und Crédit-bail, S. 64 sowie Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 89). 164 BAG NZA 1999, 306 (307).

II. Systematisierungsbemühungen

der Schuldrechtsdogmatik

49

Ausstellung (ohne Verkauf) in der gemeindeeigenen Galerie ohne Entgelt überläßt, während die Gemeinde die Herstellung und Verbreitung des Ausstellungskatalogs sowie die öffentliche Bekanntmachung der Ausstellung ohne Entgelt seitens des Künstlers übernimmt. 165

165

Hierzu OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, lOOlff.

§ 3 Historische Grundlagen des Verhältnisses der gesetzlichen Vertragstypenordnung zur privatautonomen Regelung I. Die Vertragstypenordnung

des römischen Rechts

1. Ausbildung einer strikten Vertragstypenordnung vor dem Hintergrund des Aktionensystems Die historischen Wurzeln der heutigen Vertragstypenordnung reichen in das römische Recht zurück. Die Ausbildung eines Kreises anerkannter Vertragstypen ist dort auf das engste mit dem die vorklassische und klassische Zeit beherrschenden aktionenrechtlichen System des Formularprozesses verbunden.1 Im Gegensatz zum altrömischen Legisaktionenverfahren, das nur wenige konturenlose Legisaktionen zur Durchsetzung der verschiedenartigen Begehren kannte, zeichnete sich der Formularprozeß durch eine Vielzahl von Klageformularen aus, die für jede actio aufgestellt wurden und in der Regel für jeweils ein einziges Rechtsverhältnis bestimmt waren.2 Die Streitformulare ließen insbesondere die unterschiedlichen Verpflichtungsverhältnisse deutlich hervortreten. Allerdings war der Kreis der den gerichtlichen Rechtsschutz erst eröffnenden actiones weiterhin nahezu geschlossen. Eine allgemeine Vertragsklage haben die Römer nicht entwickelt. 3 Dies hatte zur Folge, daß die Parteien im Geschäftsverkehr auf solche Obligationen beschränkt waren, für die auch eine actio vorgesehen war. Die actiones wirkten so in hohem Maße typusprägend: „Alle Geschäfte, welche dieselbe actio zu erzeugen vermögen, gehören demselben Typus an." 4 Für das römische Obligationenrecht war also der Grundsatz der Typengebundenheit kennzeichnend. 5 Eine Mischung oder Modifizierung 1 Grundlegend Bekker, System des heutigen Pandektenrechts, 2. Bd., S. 121 ff. und Betti, in: FS für Wenger, S. 252ff.; vgl. ferner Vékds, Erneuern und Bewahren, S. 5ff.; Steinwenter, in: Handbuch der Rechtswissenschaft, 3. Bd., Stichw. Innominatkontrakte; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 124 und Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, §2 I, S. 15f. 2 Dulckeit/Schwarz/Waldstein, Römische Rechtsgeschichte, §23 I.5., S. 161; Vékds, Erneuern und Bewahren, S.6f. 3 Zu den Hintergründen Schmidlin, in: Maior viginti quinque annis, S. 113f. 4 Bekker, System des heutigen Pandektenrechts, 2. Bd., S. 124. 5 Käser, Das römische Privatrecht I, § 114, S. 484; ders., Römisches Privatrecht, § 33 12, S. 154; Seiler, System der Schuldverhältnisse, S. 11; Fiume, Rechtsgeschäft, § 1, 8, S. 12; MünchKommSöllner (2. Aufl.), § 305 BGB Rdnr. 4; Meier-Hayoz, SJK Nr. 1134, S. 3; Bärmann, Abriß zur Typenbildung, S.65ff.; Schmidlin, in: Maior viginti quinque annis, S. 112; zum typengebundenen Vertragsschluß im römischen Recht und in der romanistischen Lehrtradition Berner Kommen-

I. Die Vertragstypenordnung

des römischen

Rechts

51

durch individuelle Parteiverfügung war ausgeschlossen.6 Man wird daher trotz der allmählichen Bedeutungssteigerung des konsensualen Elements auch für die in re, verbis oder litteris kontrahierten Obligationen nur von einer eingeschränkten Geltung der Privatautonomie sprechen können. Sie umfaßte zwar die Freiheit des Abschlusses, die Inhaltsbestimmung der Verträge mußte sich hingegen im Rahmen der anerkannten Typen halten. Die Schöpfung neuer Vertragstypen stand grundsätzlich nicht in der Macht der Parteien.7

2. Allmähliche

Auflockerungen bis zu den der nachklassischen Zeit

Innominatkontrakten

In ein Spannungsverhältnis zum eng umgrenzten Korsett anerkannter Schuldvertragsarten trat schon sehr früh das für ein wirtschaftlich prosperierendes Gemeinwesen typische Phänomen der Herausbildung neuartiger, bislang nicht bekannt gewesener Geschäftsarten.8 Die Ausformung der römischen Wirtschafts- und Verkehrsgesellschaft blieb nicht ohne Rückwirkungen auf das römische Recht: das Obligationenrecht verlor seine überkommene Starrheit und gewann ein Element von Flexibilität, das sich auf verschiedenen Ebenen entfaltete. So läßt sich zunächst gerade auf dem Gebiete des Handelsverkehrs eine verstärkte Rücksichtnahme auf die geschäftlichen Gepflogenheiten bis hin zur Verrechtlichung unter dem Aspekt der bonafides verzeichnen. Damit einher ging (in Grenzen) eine freiere Anschauung von Verträgen und Gesetzen, die sich in einer stärker an den Interessen ausgerichteten, flexibleren Rechtsanwendung äußerte.9 tar-Schmidlin, Vorbem. zu Art. 3-10 OR Rdnr. lff. Aufschlußreich insbesondere Ulpian D. 2., 14,7,1: „Quae pariunt actiones, in suo nomine non stant, sed transeunt in proprium nomen contractus: ut emptio venditio, locatio conductio, societas, commodatum, depositum et ceteri similes contractus." Ferner Celsus D. 19, 5, 2; Ulpian D. 19, 3,1 pr., Paulus D. 19, 4,1, 2; Africanus (Julianus) D 17, 1, 34 pr. 6 Betti, in: FS für Wenger, S. 257; Schwarz, AcP 152 (1952/53), S. 197; Schmidlin, in: Maior viginti quinque annis, S. 112. 7 Käser, Das römische Privatrecht I, § 112 II, S. 477; Betti, in: FS für Wenger, S. 257ff. Die freiheitsbeschränkende Wirkung des Typenzwangs wird verkannt von Scherrer, Vertragsfreiheit, S. 9ff., wenn er ausführt, die Möglichkeit beliebige Rechtsgeschäfte abzuschließen sei im alten Rom im Grundsatz nicht eingeschränkt gewesen und den Parteien sei ein großer Spielraum in der Festlegung des Inhalts ihrer Vereinbarungen gelassen worden. Die Beschränkung des Rechtsverkehrs auf ganz bestimmte Kontrakttypen würdigt Scherrer unzutreffend lediglich als Ausdruck besonderer Formstrenge des römischen Rechts. Soweit ersichtlich ist seiner Ansicht auch niemand weiteres beigetreten. 8 Vgl. die Feststellung bei Ulp. D. 19, 5,4: „natura enim rerum conditum est, ut plura sunt negotia quam vocabula". 9 Zur Korrektivfunktion der bona fides im Hinblick auf die Gefahr einer Typenerstarrung Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, 1. Bd., S.68ff.; Schwarz, AcP 152 (1952/53), S.206; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 125; Scherrer, Vertragsfreiheit, S. 10 (inbes. Fn. 11).

52

53 Historische

Grundlagen

Vor allem aber stand bereits sehr früh mit der stipulatio ein sehr elastisches Gestaltungsmittel zur Verfügung. Dabei handelte es sich um ein allgemeines, an eine feste Frage- und Antwortform gebundenes Leistungsversprechen. Gegenstand dieses Verbalkontrakts konnte jede Leistung sein, die überhaupt Gegenstand einer Obligation werden konnte.10 Nimmt man hinzu, daß die strenge Förmlichkeit der stipulatio - verlangt wurde ursprünglich der Austausch ganz bestimmter formelhafter Wendungen - in der nachklassischen Zeit stetig abgebaut, ihr Einsatzbereich mithin entsprechend erweitert wurde,11 so erschließt sich auch ihre wichtige Rolle bei der Auflockerung des Typenzwangs.12 Eine Erleichterung des Geschäftsverkehrs war auch mit der sich allmählich durchsetzenden Praxis verbunden, komplizierte Verträge in schriftlichen Stipulationen festzuhalten.13 Beide Entwicklungen stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern zielen in die gleiche Richtung, nämlich auf eine Anpassung an die geänderten Bedürfnisse des Geschäftsverkehrs. Der numerus clausus anerkannter Klagen aus Schuldverträgen erwies sich ferner dann als unbefriedigend, wenn sich der Leistungsaustausch außerhalb der überkommenen Kontrakttypen vollziehen sollte, der Geschäftspartner dann jedoch abredewidrig trotz Erhalts der Leistung die Gegenleistung nicht erbrachte. Im älteren Recht war die enttäuschte Partei auf die Rückforderung ihrer Leistung beschränkt (condictio ob causam datorum).u Später stattete dann der Prätor auch das Erfüllungsbegehren mit rechtlichem Klageschutz aus, indem er von Fall zu Fall sog. actiones in factum gewährte, die auf den individuellen Sachverhalt zugeschnitten waren.15 Ihre Ausgestaltung suchte man so weit wie möglich an den anerkannten Klagen auszurichten.16 Eine actio in factum wurde beispielsweise gewährt für den Leistungsanspruch aus einem halbseitig vollzogenem Tauschgeschäft (permutatio), dessen Einordnung in das System der anerkannten Kontrakte umstritten war.17 Abgrenzungsschwierigkeiten bereiteten ferner einige besondere Zwischenformen der locatio conductio sowie gemischte Verträge, die Elemente verschiedener Vertragstypen aufwiesen.18 Auch hier 10 Zimmermann, Law of Obligations, S. 89; zur stipulatio allgemein Käser, Das Römische Privatrecht I, § 128 II, S. 538ff.; ders., Römisches Privatrecht, §7 III, S.46f. und §40 I., S. 188ff. 11 Hierzu umfänglich Seuffert, Geschichte der obligatorischen Verträge, S. 23 ff. 12 Nanz, Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 11 f. und S. 18ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 89ff. und 547. 13 Scherrer, Vertragsfreiheit, S. 15f. 14 Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, §124 I., S.340; Käser, Das römische Privatrecht I, § 1351, S. 580; ders., Römisches Privatrecht, § 4511, S. 213; Steinwenter, in: Handbuch der Rechtswissenschaft, 3. Bd., Stichw. Innominatkontrakte. 15 Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 1241., S. 341; Käser, Römisches Privatrecht, §45 I 1, S.213f.; Zimmermann, Law of Obligations, S.533; Steinwenter, in: Handbuch der Rechtswissenschaft, 3. Bd., Stichw. Innominatkontrakte. 16 Zimmermann, Law of Obligations, S.533. 17 Nachweise zum Schulenstreit bei Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 124 I., S. 341 Fn 8. 18 Beispiele: Lab. - Pap. D. 19, 5 , 1 , 1 (Einordnung eines Vertrages mit dem magister navis als Schiffs-charter- oder Frachtvertrag) und Iul. D. 19,5,24 (Mischform aus Mandat und Darlehen).

I. Die Vertragstypenordnung

des römischen

Rechts

53

sollte das berechtigte Leistungsbegehren des Teils, der seinerseits in Vorleistung getreten war, nicht an den Schwierigkeiten juristischer Subsumtion scheitern. 19 Für die zuletzt genannten Mischkontrakte war im übrigen das Bestreben der römischen Juristen kennzeichnend, das gesamte Mischgeschäft unter eine der anerkannten iustae camae zu zwängen, um es auf diese Weise einer bestimmten actio zuordnen zu können. Diese eintypische Subsumtion war allerdings lediglich ein technisches Hilfsmittel zur Begründung der Klagbarkeit und hatte keine verbindliche Bedeutung für die materielle Beurteilung der konkreten Ordnungsfragen des Geschäfts apud mdicem.20 Neben die prätorischen actiones in factum traten vereinzelt auch kaiserliche Erkenntnisse (cognitio extra ordinem), durch die bislang nicht anerkannte Ansprüche klagbar gestellt wurden. 21 Hatte mithin die Klassik fallweise für bestimmte, sich einer eindeutigen Einordnung entziehenden Kontraktformen die Erfüllungsklage zugelassen, so baute die oströmische Schule diesen Ansatz zu einer selbständigen Einrichtung aus. Für die Klagen aus solchen halbseitig erfüllten Vertragsverhältnissen setzt sich in der nachklassischen Zeit die Bezeichnung actio praescriptis verbis durch. 22 Damit einher geht die Ausbildung einer neuen Kategorie von Schuldverträgen, die gleichsam als Auffangbecken für die zahlreichen namenlosen Verträge fungiert. Diese unbenannten Realverträge, der klagbare Gegenleistungsanspruch setzt ja immer noch die Bewirkung der eigenen Leistung voraus, werden auch Innominatrealkontrakte genannt. 23 Das justinianische Recht hat sie noch weiter aufgegliedert und zwar nach dem Schema do ut des, do ut facias,fa-

Ein weiteres Beispiel der Konfrontation mit einem gemischten Vertrag ist der aus werk- und kaufvertraglichen Elementen bestehende Trödelvertrag. Die entsprechende Klage (actio des aestimato) ist sogar in das prätorische Edikt übernommen worden; vgl. auch Ulp. D. 19,3,1 pr.; 19, 5, 13 pr.; hierzu ferner Zimmermann, Law of Obligations, S. 535ff. Zur Behandlung gemischter Verträge im römischen Recht siehe im übrigen Hoeniger, Die gemischten Verträge in ihren Grundformen, S. 338ff.; kritisch zu seinen Ausführungen allerdings Schreiber, JherJb 60 (1912), S. 122ff. 19 Käser, Das römische Privatrecht I, § 135 I, S. 581. 20 So zutreffend Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 184ff.; ferner Hoeniger, Die gemischten Verträge in ihren Grundformen, S. 340 und Kohlrausch, Problem der gemischten Verträge, S. 17 unter Hinweis auf Pomponius, D 19,1,6,1; zum Zusammenhang mit der kurz nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches sehr verbreiteten Absorptionstheorie siehe noch § 6 1 . 1 . 21 Hierzu Käser, Das römische Privatrecht I, § 114 I, S.484. 22 Honsell/Mayer-Maly/Selh, Römisches Recht, § 124 II. und III., S. 341 ff.; Käser, Das römische Privatrecht II, §269 I, S.419. 23 Ausführliche Nachweise zur kontrovers geführten Diskussion um die Innominatverträge bei Honsell/Mayer-Maly/Selh, Römisches Recht, § 124 S. 340 Fn 1; vgl. auch die Aufzählung von Innominatkontrakten des spätrömischen Rechts bei Steinwenter, in: Handbuch der Rechtswissenschaft, 3. Bd., Stichw. Innominatkontrakte. Zutreffend sieht Söllner, in: MünchKomm (2. Aufl.), § 305 BGB Rdnr. 4, in dieser Entwicklung eine Auflockerung des Typenzwangs. Die entsprechende Digestenstelle (Paulus D. 19,5) ist mit „de praescriptis verbis et in factum actionibus" überschrieben. Zum Trödelvertrag als „Ahnherr der Innominatkontrakte" aus neuerer Zeit Bucher, in: Innominatverträge, S.95ff. und Piotet, in: Innominatverträge, S. 115ff.

54

$J Historische

Grundlagen

da ut des und facio utfacias.2i Die Rückforderung der bereits erbrachten Leistung stand der Vertragspartei in diesen Fällen allerdings auch weiterhin wahlweise neben der Erfüllungsklage zur Verfügung.25 Wenngleich die grundsätzliche Geltung des Satzes „nuda pacta obligationem non parit"26 auch im justinianischen Recht nicht in Zweifel gezogen worden ist, so lassen sich doch auch bei den sog. pacta Weiterungstendenzen nachweisen.27 Einige pacta sind im Laufe der Zeit sogar mit einer besonderen Klage versehen worden, so z.B. die Gruppe der unentgeltlichen Leistungsversprechen. Zu diesen sog. pacta legitima zählt beispielsweise das Schenkungsversprechen (donatio). Hinzu kommt, daß im nachklassischen Recht spätestens mit der Durchsetzung des Libellprozesses die Notwendigkeit des Gebrauchs bestimmter Klageformeln entfallen war. Vor diesem Hintergrund konnte das von Justinian reinstallierte klassische Aktionensystem nur noch einen „lockeren Rahmen von Ansprüchen"28 vorgeben. Augenfällig wird diese qualitative Änderung insbesondere an den nunmehr herrschenden Dogmen der natura actionis und der natura contractus, die den Typus der Klage und des Vertrages einer Abänderung gemäß den Umständen des Einzelfalles öffneten.29 Schließlich war auch die Entwicklung auf dem Boden des ehemaligen Westreichs durch eine Emanzipation vom römischen Kontraktrecht gekennzeichnet.30 Festzuhalten bleibt damit, daß sich das römische Obligationenrecht ausgehend von einer relativ strikten Vertragstypenordnung mit steigender Intensität und Komplexität des Wirtschaftslebens bis an die Grenze der Vertragsfreiheit31 öffnete, um den neueren Entwicklungen Rechnung zu tragen. Bereits an der Entwicklung des römischen Privatrechts läßt sich erkennen, daß ein sich wirtschaftlich entwickelndes Gemeinwesen nach einem immer differenzierteren und flexibleren rechtlichen Instrumentarium verlangt, andererseits auf vorgege24 Paulus D. 19, 5, 5, 1. Hierzu Liebs, Römisches Recht, S.215f. und Zimmermann, Law of Obligations, S. 534f. 25 Zimmermann, Law of Obligations, S. 537; Kegel, in: Gedächtnisschrift für Lüderitz, S. 349. 26 Ulp. D. 2,14, 7, 4. Zu weiteren entsprechenden Textstellen Scherrer, Vertragsfreiheit, S. 15 (insbes. Fn 29), Seuffert, Geschichte der obligatorischen Verträge, S. 2 und Zimmermann, Law of Obligations, S.508. 27 Hierzu Käser, Das römische Privatrecht II, §261 I, S. 363 ff.; ders., Römisches Privatrecht, §38 III., S. 181 £. und §45, S.213f.; Dilcher, ZRG Rom. Abt. 77 (1966), S.272f. m.w.N.; Scherrer, Vertragsfreiheit, S. 15. 28 Käser, Römisches Privatrecht, §33 I 3, S. 155; eingehend auch Käser, Das römische Privatrecht II, §253 II, S.324. 29 Bekker, System des heutigen Pandektenrechts, 2. Bd., S. 122f.; Betti, in: FS für Wenger, S. 265ff. 30 Zum Vertragsrecht der leges Barbarorum Mayer-Maly, ZRG Rom. Abt. 108 (1991), S. 212ff.; vgl. auch Käser, Römisches Privatrecht, § 33 13, S. 155 und Nanz, Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 12. 31 So die Einschätzung von Honsell/'Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 124 III.2., S. 344; ganz ähnlich auch Seiler, Systematik der Schuldverhältnisse, S. 13.

II. Überwindung des starren Typenzwangs im ausgehenden

Mittelalter

55

bene Vertragstypen aus Gründen der Verläßlichkeit und Berechenbarkeit des Rechts nicht ohne weiteres verzichten kann.

II. Überwindung des starren Typenzwangs durch das Prinzip der Vertragsfreiheit im ausgehenden Mittelalter Auch das deutsche mittelalterliche Schuldrecht vor der Rezeption kannte eine Reihe von Vertragsarten (Kauf, Tausch, Miete, Pacht, Darlehen, Verwahrung, Dienstvertrag, Werkvertrag). Diese spiegelten die Mannigfaltigkeit der wirtschaftlichen Betätigungsformen dieser Zeit wider, stellten sich ihnen aber nicht entgegen. Eine typenunterscheidende Funktion wiesen sie nicht auf.32 Stobbe bemerkt hierzu, die alten deutschen Verträge hätten sich lediglich dem Inhalte nach unterschieden. Aber auch in dieser Beziehung habe es an einer Veranlassung gefehlt, die Vertragsarten plastisch auszubilden und festen Regeln zu unterwerfen.33 Das schuldbegründende Element erblickte man anfangs noch in der Beachtung überlieferter Förmlichkeiten. 34 Wiederum angestoßen durch die Zunahme des Handelsaufkommens und den Ubergang zur Geldwirtschaft in der zweiten Hälfte des Mittelalters 35 wurde dieser Formalismus allerdings recht bald abgebaut. Der Verpflichtungswille als schuldbegründendes Element trat immer deutlicher zutage.36 Diese Entwicklung ist vor allem vor dem Hintergrund des kanonischen Rechtsdenkens, aber auch der Tätigkeit der Glossatoren und Kommentatoren sowie in der Folgezeit der neueren naturrechtlichen Vertragslehren zu sehen.

1. Der Einfluß kanonischen Rechtsdenkens Entscheidenden Anteil an den veränderten Grundanschauungen hatten die Lehren der Kanonisten. Formlose Verträge wurden - sofern durch Eid bekräftigt - bereits in der kirchlichen Praxis des Mittelalters als verbindlich angesehen.37 Um den Konflikt mit dem neutestamentlichen Eidesverbot (Matth. 5, 34)

Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 186. Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts III, S. 58. 34 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. I, S. 422 ff.; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rdnr. 84; Mitteis/Lieberich, Deutsches Privatrecht, §45, S. 137. 35 Auf diesen Zusammenhang weisen auch Schlosser, Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, S. 58 und Ebel, Berichtung, transactio und Vergleich, S.29 hin; ferner Zimmermann, Law of Obligations, S. 540: „contribution of (commercial) practice". 36 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. I, S.422; Köhler, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 126. 37 Wolter, Jus Canonicum, S. 11; Wesenberg/Wesener, Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte, S.20. 32 33

56

§3 Historische

Grundlagen

a u s z u r ä u m e n , 3 8 e n t w i c k e l t e n die K a n o n i s t e n die Vorstellung, daß a u c h d e r j e n i ge sündhaft handele, der ein n i c h t beeidetes V e r s p r e c h e n b r e c h e , u n d folglich die m o r a l i s c h e F o r d e r u n g a b g e b e n e V e r s p r e c h e n einzuhalten, auch j u r i s t i s c h e K o n s e q u e n z e n zeitigen m ü s s e . 3 9 D i e s e L e h r e läßt sich z u r ü c k f ü h r e n auf den D e k r e t i s t e n HuguccioA0,

der bereits i m 12. J a h r h u n d e r t die k a n o n i s t i s c h e V e r -

b i n d l i c h k e i t der nuda promissio

p o s t u l i e r t hatte. H i e r a n a n k n ü p f e n d gelangten

s o d a n n die / 4 z o - S c h ü l e r Teutonicus41

u n d Gofredus42

b i n d l i c h k e i t des formlosenpa.ctu.-n nudum.n

z u r A n e r k e n n u n g der V e r -

F ü r den B e r e i c h des k a n o n i s c h e n

R e c h t s w a r damit die A b k e h r v o m r ö m i s c h e n T y p e n z w a n g v o l l z o g e n . A n seine Stelle w a r n u n m e h r die Vertragsfreiheit i m Sinne inhaltlicher G e s t a l t u n g s f r e i heit, m i t h i n auch die A n e r k e n n u n g a t y p i s c h e r V e r e i n b a r u n g e n , getreten. E s dürfte damit heute auch geklärt sein, daß n i c h t ein germanisches T r e u e p r i n z i p , s o n d e r n die im k a n o n i s c h e n R e c h t zugrundegelegte V e r b i n d u n g der R e c h t s pflicht mit sittlichen R e c h t s g r u n d s ä t z e n a m A n f a n g der m o d e r n e n V e r t r a g s f r e i heit gestanden hat. 4 4 D i e K a n o n i s t e n traten damit in b e w u ß t e n G e g e n s a t z z u r L e g i s t i k , die z u nächst v o n der t h e o r e t i s c h e n G r u n d k o n z e p t i o n h e r an der überlieferten Q u a l i fizierung des pactum

nudum

als N a t u r a l o b l i g a t i o n festhielt. 4 5 F r e i l i c h h a t t e n

38 Auf diesen Zusammenhang weist Mayer-Maly, ZRG Rom. Abt. 108 (1991), S.214 und in: Rechtsgeltung und Konsens, S. lOOf. hin. 39 Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 98; Wolter, Jus Canonicum, S. 11; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rdnr. 84; Tosch, Entwicklung und Auflösung der Lehre vom Vertrag, S. 14; Seuffert, Geschichte der obligatorischen Verträge, S.45ff.; Zimmermann, Law of Obligations, S.542; Ausführlich auch Nanz, Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 46ff. unter Berücksichtigung der patristischen und scholastischen Theologie und der Quellenlage nach dem Corpus Iuris Canonici. Auch die letzte juristische Konsequenz wurde gezogen, nämlich die Erzwingbarkeit des Schuldversprechens vor den geistlichen Gerichten mit der Exkommunikation. Diesem Umstand mißt Schlosser, Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, S. 58 für die allgemeine Durchsetzung der neuen Maxime von der Verbindlichkeit jedweder vertraglicher Verpflichtung große Bedeutung bei. 4 0 Auszug seines Glossentextes und Analyse bei Dilcher, ZRG Rom.Abt. 77 (1966), S. 281 ff. 41 Bei ihm findet sich erstmals die Wendung „ex nudopacto oritur actio", Johannes Teutonicus, Glossa ordinaria gl distantiam zu C 22 qu 5 c 12 (zitiert nach Dilcher, ZRG Rom.Abt. 77 [1966], S.284). 42 Gofredus des Trano, Summa perutilis d. Gofredi super titu. Decreta., Venetiis, 1502 (Angaben nach Dilcher, ZRG Rom.Abt. 77 (1966), S.284). 43 Hierzu grundl. Dilcher, ZRG Rom.Abt. 77 (1966), S. 281 ff.; vgl. auch Scherrer, Vertragsfreiheit, S. 20ff. (insbes. Fn. 44) und Zimmermann, Law of Obligations, S. 543. Die Entwicklung der kanonistischen Lehre von der Klagbarkeit aller pacta zeichnet auch Nanz, Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S.52ff. nach. 44 Landau, Der Einfluß des kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur, in: Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte, Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, hrsg. von Reiner Schulze, Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Bd. 3,55; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rdnr. 149. Diese Frage war Gegenstand eines historischen Meinungsstreits, Nachweise hierzu bei Wolter, Jus Canonicum, S. lOOff. und Seuffert, Geschichte der obligatorischen Verträge, S.4ff. 45 Beispielsweise Azo, Summa in Codicem, 1564, fol. 8 b (zitiert nach Seuffert, Geschichte der

II. Überwindung

des starren Typenzwangs

im ausgehenden

Mittelalter

57

schon die Glossatoren und erst recht die Kommentatoren nach Möglichkeiten Ausschau gehalten, dem pactum nudum zur Rechtswirksamkeit zu verhelfen. Dilcher46 erkennt hierin sogar die Tendenz, den Abbau des Typenzwangs vom Einzelfall her zu betreiben. Zumindest näherten sich vor allem die Postglossatoren von ihren praktischen Ergebnissen her erkennbar der kanonistischen Doktrin von der Klagbarkeit jeder Vereinbarung an. Spuren kanonistischen Einflusses fanden sich auch im Freiburger Stadtrecht von 1520. §8 des 2. Traktats lautete: „Wer bedechtlich zusagt, der sol es halten. Welcher denn dem andern etwas mit bedachtlichkeit zusagt, es sig mit bloßen worten oder anderen zusagungen, die wort syent wie sy wollen, so sol der ien, der zugesagt hat, sin zusagen halten und mag mit recht darzu gezwungen werden, dann es gepürt sich menschlicher erberkeit, das man glouben halte, es wer dann das zusagen umb unerlich Sachen."

Es handelt sich um die wohl älteste deutsche Gesetzesstelle, die auch einem formlosen Versprechen bindende Kraft und vor allem Klagbarkeit zuerkannte.47 Ob ihr Schöpfer, Ulrich Zasius, insoweit bereits die kanonistische Doktrin der pacta nuda zur Geltung bringen wollte, ist umstritten.48 Die Aufführung der Innominatkontrakte (§§ 1-3), die auch weiterhin ohne Vorleistung keine Leistungspflichten entstehen ließen, muß jedenfalls als Inkonsequenz betrachtet werden. Die wesentlichen Elemente der kanonistischen Vertragslehre fanden im Laufe der Zeit auch Eingang in das ius commune.49 Bei den Autoren des usus modernus setzte sich der Satz von der Klagbarkeit des pactum nudum zögernd durch.50 Ihnen genügte es letztlich, daß in irgendeiner Weise der consensus zwischen den Parteien festgestellt werden konnte.51 obligatorischen Verträge, S. 4ff.): „Ex nudo pacto nascitur naturalis obligatio". Zu seinen Lehren und denen des Accursius Dilcher, ZRG Rom.Abt. 77 (1966), S.278ff.; Tosch, Entwicklung und Auflösung der Lehre vom Vertrag, S. 14. 4 6 Z R G Rom. Abt. 77 (1966), S.302; Wesenberg/Wesener, Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte, S. 48; ähnlich auch Ebel, Berichtung, transactio und Vergleich, S. 65. 4 7 Auf dem Boden des römischen Rechts befand sich in diesem Punkte noch der Anfang des 16. Jahrhunderts verfaßte Klagspiegel; ausführlich hierzu Seuffert, Geschichte der obligatorischen Verträge, S. 87. Der ebenfalls aus dieser Zeit stammende Laienspiegel enthält sich einer Aussage hierzu; vgl. wiederum Seuffert, Geschichte der obligatorischen Verträge, S. 96. 48 Hierzu ausführlich Ebel, Berichtung, transactio und Vergleich, S.70ff. m.w.N. und Seuffert, Geschichte der obligatorischen Verträge, S. 96. Vgl. auch Liebs, Römisches Recht, S. 218f. 49 Coing, Europäisches Privatrecht I, S. 400. 5 0 Hervorzuheben ist vor allem Wesenbeck, der in seinen Commentarii (col. 137), zuletzt erschienen 1593, erstmals die zivile Klagbarkeit des pactum nudum postulierte (zur Rolle Wesenbecks ausführlich Nanz, Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 85; vgl. auch Flume, Rechtsgeschäft, § 12 II 3, S. 166). Später übernommen u.a. von Carpzov und Stryk; weitere Nachweise bei Coing, Europäisches Privatrecht, S. 400f. Fn. 9; vgl. im übrigen Ebel, Berichtung, transactio und Vergleich, S. 85, Nanz, Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 95ff. und materialreich Seuffert, Geschichte der obligatorischen Verträge, S. 118 ff. Allerdings stößt man auch im usus modernus noch auf das Dogma der Unklagbarkeit der nuda pacta; vgl. etwa Mayer-Maly, Z R G Rom.Abt. 108 (1991), S.213 unter Hinweis auf Noodt, Ad

58

§3 Historische

2. Naturrechtliche

Grundlagen

Vertragslehre

Die weitere Entwicklung wurde entscheidend durch die aufkommende Naturrechtslehre beeinflußt. In ihrer Ausprägung als sog. Lehre vom Vernunftrecht zielte sie darauf, die Autorität der Quelle durch die Autorität der Vernunft zu ersetzen. Den Vertretern dieser Lehre - allen voran Hugo Grotius - kommt das Verdienst zu, das die damalige Praxis bereits beherrschende Konsensprinzip in einen größeren rechtstheoretischen Rahmen gestellt und weiter ausgebaut zu haben.52 Zugrunde liegt die naturrechtlich begründete Erkenntnis, daß der verlautbarte individuelle Wille der autonomen Persönlichkeit bindende Wirkung entfalten könne. Dieses Postulat lieferte die dogmatische Begründung des Rechtsinstituts des Versprechens und zwar „ohne Rücksicht auf die formalen Kautelen des gemeinen römischen Rechts, ja entgegen dessen Regeln aus sich selbst heraus".53 Bei Grotius54 steht zu lesen: „Es entspricht nur dem Recht der Natur, Verträge zu halten. Denn irgendein Weg sich zu verpflichten, ist für Menschen notwendig, und ein natürlicherer als der Vertrag läßt sich nicht auffinden." Im Kapitel über die Verträge führt Grotius die interessante Unterscheidung zwischen contractus simplices und contractus compositi seu mixti ein.55 Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit unbenannter Verträge heißt es bei Grotius in betonter Abkehr vom römischen Recht: „Wir folgen also der Natur und erklären alle Verträge, ohne Unterschied zwischen benannten und unbenannten, für vollkommen rechtsverbindlich..,"56

edictum praetoris de pactis. Weitere Nachweise bei Flame, Rechtsgeschäft, § 12 II 3, S. 166. Auch die legistische Kennzeichnung der Innominatkontrakte als Reurecht (ius poenitentiae) hielt sich noch bis ins 18. Jahrhundert, Coing, Europäisches Privatrecht I, S. 404 und S e u f f e r t , Geschichte der obligatorischen Verträge, S. 143 f. 51 Coing, Europäisches Privatrecht I, S.407; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rdnr. 322; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 242; zur Bedeutung des Konsenses in privatrechtsgeschichtlicher Sicht die gleichnamige Abhandlung Mayer-Malys, in: Rechtsgeltung und Konsens, S. 91 ff. 52 Grotius, De iure belli ac pacis libri tres. Zur grotianischen Vertragslehre Diesselhorst, Die Lehre des Grotius vom Versprechen; Lipp, Bedeutung des Naturrechts, S. 133ff.; Tosch, Entwicklung und Auflösung der Lehre vom Vertrag, S. 15ff.; Nanz, Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 139ff. Auf die enge Anbindung insbesondere an die spanische Spätscholastik sowie die Zeugniskraft der Heiligen Schrift und der moraltheologischen Tradition für Grotius ist oft hingewiesen worden, so z.B. von Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.289; Schmidlin, in: Maior viginti quinque annis, S. 123. 53 Lipp, Bedeutung des Naturrechts, S. 135. 54 Grotius, De iure belli ac pacis libri tres, in deutscher Übersetzung von Schätzel, Vorrede, S.34. 55 Grotius, De iure belli ac pacis libri tres, in deutscher Ubersetzung von Schätzel, S. 245. 56 Grotius, De iure belli ac pacis libri tres, in deutscher Ubersetzung von Schätzel, S. 246. Zu Recht konstatiert Schmidlin, in Berner Kommentar, Vorbem. zu Art. 3-10 OR Rdnr. 9, daß das Versprechen inhaltlich von keinem Typenzwang mehr beschränkt wird.

II.

Überwindung

des starren Typenzwangs

im ausgehenden

Mittelalter

59

Der Grundsatz „pacta sunt servanda" wird gleichsam zum Grundpfeiler der neuen Vertragslehre.57 Hatte Grotius den naturrechtlichen Vertrag noch im Rahmen einer (im modernen Sprachgebrauch) völkerrechtlichen Abhandlung wenngleich mit verallgemeinerungsfähigem Inhalt - entfaltet, so bedurfte es noch der Durchdringung des Rechts der privaten Verträge. Diese Arbeit leistet sodann in einer für die deutsche Privatrechtsentwicklung besonders prägenden Weise Samuel Pufendorf5S. Unter Übernahme der grotianischen promissio-Doktrin und wohl auch nicht unbeeinflußt von den rechtstheoretischen Ansätzen des englischen Staatsphilosophen Thomas Hobbes zeichnete er einen anthropologischen Entwurf einer natürlichen Gesellschaft, in dem der individuelle Vertrag - insbesondere der Schuldvertrag - in den Mittelpunkt des Interesses rückt.59 Nach Pufendorfs Grundverständnis sind die Parteien als gleichgeordnete Mitglieder der Gesellschaft frei, vertragliche Bindungen einzugehen und den Inhalt nach ihrem Belieben zu gestalten.60 Im Hinblick auf die Einteilung der Verträge löst sich Pufendorf vom überkommenen römischen Kontraktschema samt seiner Unterscheidung zwischen contractus nominati und innominati.61 Pufendorfs Systematisierungsbemühungen führen erstmals zur Formulierung allgemeiner Lehren (z.B. zu Irrtum, Bedingung, Stellvertretung). Die verschiedenen Schuldvertragsarten werden nach ihrer sozialen Austauschfunktion in freigebige (contractus benefici), lästige (contractus onerosi) und gemischte (contractus mixti) eingeteilt und im einzelnen nach ihren wirtschaftlichen Leistungsinhalten geordnet.62 Pufendorfs ausgeprägter Systemwille läßt mithin auch erstmals eine Konzeption eines besonderen Teils der Schuldverhältnisse hervortreten.63 Die Aufbereitung des Rechtsstoffes dergestalt, daß er später in eine umfassende Kodifikation umgesetzt werden konnte, blieb Christian Thomasius und vor allem Christian Wolff vorbehalten. Ihr Denken zeichnete sich gegenüber dem ihrer Vorgänger durch eine praxisbezogenere Ausrichtung aus. Thomasius trat als entschiedener Kritiker des römisch-kanonischen Rechts hervor und stellte ihm die aus dem mittelalterlichen deutschen Recht gewonneWenig später auch bei Hobbes, vgl. Raisch, Juristische Methoden, S. 65. Grundlegend: De iure naturae et gentium libri octo. Zurückhaltender in der Bewertung Raisch, Juristische Methoden, S.67. 5 9 Zum Vertrag als systematischer Zentralbegriff bei Pufendorf Nanz, Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 149ff.; Kegel, in. Gedächtnisschrift für Lüderitz, S.362. 6 0 Zur Anerkennung der Vertragsfreiheit in ihren Varianten der Abschluß- und der Inhaltsfreiheit bei Pufendorf Nanz, Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 151 f. vor allem unter Hinweis auf die Stelle „quae et qualia pacta a singulis hominibus ineantur, in cujus vis est arbitrio" in De iure naturae et gentium libri, III, IV, § 1 (p. 311). 57 58

Seiler, Systematik der Schuldverhältnisse, S.23. Hierzu Wieacker, in: FS für Welzel, S. 14f.; ders. Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 309; Diesselhorst, Zum Vermögensrechtssystem Samuel Pufendorfs, insbes. S. 52ff. und Seiler, Systematik der Schuldverhältnisse, S.23 f. 63 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 310; zu Unrecht ablehnend Seiler, Systematik der Schuldverhältnisse, S. 26f. 61

62

60

§3 Historische

Grundlagen

nen Rechtsgrundsätze gegenüber.64 Die „subtilitates" des römischen Vertragsrechts, insbesondere die Unterscheidungen zwischen pactu, contractus und stipulatio hielt Thomasius angesichts der bereits von den Germanen anerkannten naturrechtlichen Verbindlichkeit und Klagbarkeit jeder vertraglichen Absprache für nicht mehr zeitgemäß.65 An die Stelle des hinfällig gewordenen römischen Systems der Vertragstypen tritt bei Thomasius eine dem deutschen Recht folgende Einteilung,66 die zunächst Verträge unter Lebenden und Verträge, die den Nachlaß regeln, unterscheidet. Bei den Verträgen unter Lebenden wird wiederum nach Hauptverträgen, das sind zum einen wohltätige Verträge - wie z.B. Schenkungsversprechen, Leihe - und zum anderen belastende Verträge - wie z.B. Kauf, Miete, verzinsliches Darlehen - und akzessorischen Verträge (wie Bürgschaft und Pfand) unterschieden. An die Einordnung in dieses Schema knüpft Thomasius die jeweils anwendbaren Rechtsregeln. Freilich handelt es sich nicht mehr um ein geschlossenes System. Denn aus der Klagbarkeit aller pacta folgert Thomasius, daß die Parteien nicht an bestimmte vorgegebene Vertragstypen gebunden seien.67 Damit einher geht zwangsläufig eine Korrektur der rechtlichen Bewertung der Innominatkontrakte. Aus ihnen sollen nunmehr klagbare Erfüllungsansprüche auch ohne Vorleistung erwachsen. Die römischrechtliche Konstruktion eines Reurechts - Kondiktion der eigenen Leistung bei Ausbleiben der Gegenleistung - wird aufgegeben.68 Ihren Abschluß fand die Naturrechtslehre mit Christian Wolff.w Von besonderer Bedeutung ist neben seiner Pflichtenlehre von den guten und schlechten Handlungen sein Bemühen, auf der Grundlage einer mathematisch-demonstrativen Methode ein rational begründetes vollkommenes Rechtssystem zu schaffen. Da die „Legalordnung" des Corpus Iuris Justinians diesen Anforderungen insbesondere wegen der Verwendung zahlreicher ungeklärter Begriffe in seinen Augen nicht gerecht werden konnte, sprach sich Wolff wie zuvor bereits Thomasius für ihre Aufgabe aus.70 In den Mittelpunkt seiner vermögensrechtlichen Systematik stellt Wolff das Eigentum als wichtigstes Vermögensrecht. Das Ver64 Kleinheyer/Schröder, Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, S. 426. Bezeichnend das Zitat aus Summaria vor Notae ad Pand. 2.14., S. 59 in dem Werk Notae ad singulos Institutionum et Pandectarum titulos, Halae Magdeburgicae, 1713: „Doctrina Romana de pactis non est in usu..". 65 Thomasius, Programma des causis inutilium Doctrinarum in studio Jurisprudentiae, abgedruckt in: Naevi iurisprudentiae Romanae antejustinianeae libri duo, Ed. sec., Halae Magdeburgicae 1707, S. 183. 66 Vgl. Thomasius, Notae ad Pand. 12.1., S. 146. Zum folgenden insbesondere Luig, in: FS für Coing, S. 189f. 67 Luig, in: FS für Coing, S. 196. 68 Thomasius, Programma de causis inutilium Doctrinarum in studio Jurisprudentiae, abgedruckt in: Naevi iurisprudentiae Romanae antejustinianeae libri duo, Ed. sec., Halae Magdeburgicae 1707, S. 185f. 69 Wichtig vor allem sein Lehrbuch Jus naturae methodo scientifica pertractorum (1740-49) und der Auszug hieraus Institutiones juris naturae et gentium (1754), auch in deutscher Fassung (1754). 70 Kleinheyer/Schröder, Deutsche Juristen, S.321.

III.

Vertragstypen in den großen

Naturrechtskodifikation

61

tragsrecht, das er in enger Anlehnung an Pufendorf abhandelt, ist hierauf ausgerichtet. Insbesondere übernahm Wolff im wesentlichen die formale Einteilung der Verträge von Pufendorf.71 Auch die formale Aufgliederung der nunmehr uneingeschränkt klagbaren Innominatkontrakte innerhalb der beschwerlichen Verträge behielt Wolff bei, reduzierte sie aber durch Streichung der Kategorie „facio ut facias" auf ein dreiteiliges Schema. Die Inhaltsfreiheit war im Wolffsehen Vertragsbegriff enthalten.72 Uber seinen Schüler Darjes und dessen Schüler Svarez fand diese Konzeption - freilich in noch gesteigerter Konsequenz Eingang in das preußische Allgemeine Landrecht von 1794.73 Zu nennen ist schließlich noch Daniel Nettelbladt, bei dem sich in Fortsetzung der Systematisierungsbemühungen seines Lehrers Wolff frühe Überlegungen zum Phänomen der gemischten Verträge finden. Er unterschied pacta mixta duplicis generis (doppelte Typizität) und nova species (Atypizität), eine Einteilung, auf der die weitere wissenschaftliche Ausdifferenzierung aufbauen konnte.74

III.

Vertragstypen in den großen

Naturrechtskodifikationen

Die konzeptionellen Vorarbeiten der großen Naturrechtslehrer fanden sodann im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert Eingang in die modernen europäischen Gesetzbücher, die sich ihrerseits als Einlösung der vernunftrechtlichen Forderung nach einer erschöpfenden und systemgeleiteten Neuordnung des gesamten Rechtsstoffs darstellten.75 Angesichts solch weitreichender Neuschöpfungen und Systembildungen geraten diese Gesetzgebungswerke auch in das Blickfeld dieser Untersuchung, galt es doch damals eine ganze Reihe grundsätzlicher Fragen, darunter auch diejenigen nach der Bedeutung der Schuldvertragstypen, zu erörtern und zu entscheiden. Von dieser Grundlegung gingen dann die späteren Gesetzbücher, insbesondere das Bürgerliche Gesetzbuch aus, ohne in eine neuerliche oder gar vertiefte Diskussion hierüber einzu-

71 Niedergelegt vor allem in den Institutiones iuris naturae et gentium, §§468, 515, 580, 667. Eingehend Nanz, Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 168f. 72 Nanz, Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 169. 73 Seiler, Systematik der Schuldverhältnisse, S.30f. 74 Nettelbladt, Systema elementare universae iurisprudentiae naturalis, 1749, Tit. VIII, §§375, 376; hierzu auch Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 187 Fn. 15. 75 Mohnhaupt, IC V, 1975, S. 71 ff., zu Aufstieg, Blüte und Krisis der Kodifikationsidee vgl. auch Wieacker, in: FS für Boehmer, S. 34ff.; ferner K. Schmidt, Zukunft der Kodifikationsidee, S. 31 ff., der mit Recht auf den Zusammenhang zwischen politischer und nationalstaatlicher Konsolidierung und Kodifikation aufmerksam macht. Der Begriff „Kodifikation" (von lat. „codicem facere") wird übrigens dem englischen Juristen und Philosophen Jeremy Bentham zugeschrieben, der sich Ende 1815 dieser kontinentalen Erscheinung wissenschaftlich zu nähern suchte (vgl. mit weiteren Nachweisen F. Ebel, ZRP 1999,47; ders., Uber Legaldefinitionen, S. 156ff.; W. Ebel, Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, S. 73 ff.; Mayer-Maly, Rechtstheorie Beiheft 4 (1982), S.204). Im sog. Kodifikationsstreit von 1814 war bei Thibaut und von Savigny noch durchgängig von einem („allgemeinen") „Gesetzbuch" die Rede.

62

§3 Historische

Grundlagen

treten.76 Von daher verdienen die sich aus der Entstehungsgeschichte, dem Regelungsgehalt und der Systematik der Naturrechtskodifikationen ergebenden Grundaussagen besondere Beachtung. 1. Der Codex Maximilianeus

Bavaricus

civilis von

1756

Gleichsam als „Vorspiel der kommenden großen Kodifikationen"77 stellt sich die bayerische Privatrechtsgesetzgebung des 18. Jahrhunderts dar. Der Codex Maximilianeus Bavaricus civilis von 1756 ist sichtbarer Ausdruck der einsetzenden, vernunftrechtlich begründeten Kodifikationsbestrebungen der neuen Zeit. Die inhaltliche Zielsetzung hingegen war vergleichsweise bescheiden. Nicht aufklärerische Reformen, sondern die Verbesserung der Handhabbarkeit und Berechenbarkeit des Rechts war das erklärte Ziel des Schöpfers dieser Kodifikation, des Freiherrn von Kreittmayr,78 Der Einfluß naturrechtlichen Gedankenguts auf das Gesetzgebungswerk blieb schwach, das römische und gemeine Recht fanden weiterhin Berücksichtigung.79 Der Zivilkodex umfaßt vier Teile, die nach dem erweiterten römischen Institutionensystem angeordnet waren, nämlich das Personen-, Sachen- und Obligationenrecht. Das Obligationenrecht greift in einem ersten Kapitel zunächst einige allgemeine vertragsrechtliche Fragestellungen auf. Beherrscht ist die gesetzliche Regelung dabei vom Konsensprinzip.80 Es ist der zwischen den Parteien erzielte Konsens, der die bindende Wirkung des obligatorischen Vertrages begründet. Die rechtsbegründende Gestaltungsmacht der Vertragspartner verliert Kreittmayr auch bei der Regelung der besonderen Schuldvertragsarten in den nachfolgenden Kapiteln nicht aus den Augen. So ist es für ihn durchaus vorstellbar, daß ein Vertrag durch besondere Abreden eine vom herkömmlichen Erscheinungsbild abweichende inhaltliche Ausgestaltung erfährt. Die Abwandlung könne sogar in letzter Konsequenz zu einem unbenannten Vertrag führen.81 Hervorzuheben ist weiterhin, daß der Codex Maximilianeus die Verbindlichkeit und Klagbarkeit jeder vertraglichen Vereinbarung anerkannt und die römischrechtliche Unterscheidung zwischen pacta und contractus ausdrücklich aufgegeben hat. Auch für die bereits erwähnten unbenannten Kontrakte wurde Charmatz, Vertragstypen, S. 10 und 15. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.327. Vgl. auch Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rdnr.288 („Beginn aufklärerischer Reformen"). 78 Instruktiv bereits das Einführungs-Edikt vom 2. Januar 1756 (die maßgebliche Passage ist wörtlich zitiert bei Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, S.386); Schlosser, Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, S.94; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rdnr. 288. 79 Schlosser, Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, S. 93; Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, S.386f. 80 Teil IV Cap. 1 §§2, 3, 5 CMBC. 81 Kreittmayr, Anmerkungen über den Codicem Maximilianeum Bavaricum civilem, IV, Anm. zu Teil4 Cap.2 § 1 a.E. 76 77

III.

Vertragstypen in den großen

63

Naturrechtskodifikation

die sofortige, von der Gewährung der Vorleistung unabhängige Klagbarkeit sowie der Ausschluß des Reuerechts ausgesprochen.82 Teil IV Cap. 12 § 1 C M B C lautet auszugsweise wie folgt: „Wie nun aber 3. heut zu Tage weder in benannten noch unbenannten Conventionen von der Zeit an, da man einmal schlüssig miteinander worden, und sich zu etwas verbunden hat, einer einseitigen Reue und Abweichung mehr Platz gegeben wird, ..."

Die Annahme Wo Usch lägers^ und Luigsu, die Vorleistung hätte im Rahmen unbenannter Verträge mittels der condictio causa data causa non secuta zurückverlangt werden können, läßt sich mit dieser Gesetzesstelle nicht in Einklang bringen. Sie findet auch in der sich mit dieser Kondiktionsart befassenden Vorschrift (Teil IV Cap. 13 §7 C M B C ) keine Stütze. Dort findet sich vielmehr die gegenteilige Auffassung 85 , die im übrigen auch durch Kreittmayrs%b Anmerkungen bestätigt und näher ausgeführt wird. „Gleich wie im Übrigen fünftens bereits oben cap. 12 § 1. n. 3. verstanden worden, daß die Reue heut zu Tage in Contractibus innominatis so wenig, als in nominatis mehr Platz greife, so folgt von selbst, daß auch gegenwärtige Klage um bloßer Reue willen nicht angestellt werden könne." (Teil IV Cap. 13 §7 C M B C )

Zusammenfassend läßt sich somit feststellen, daß der Codex Maximilianeus bereits vom Grundsatz der Typenfreiheit bei Schuldverträgen beherrscht war.87

2. Das Allgemeine

Landrecht

für die Preußischen

Staaten

von

1794

Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 (ALR) war bereits von den Leitgrundsätzen der Aufklärung geprägt. Der Freiheitsbegriff wurde - innerhalb der Grenzen des spätabsolutistischen Ständestaates - zu einem bestimmenden Richtmaß für die gesamte Kodifikation. 88 Die schuldrechtliche Vertragsfreiheit wird nunmehr als selbstverständlich vorausgesetzt.89 Zwar findet sich im A L R keine ausdrückliche Erwähnung dieses Grundsatzes. Er kommt aber mittelbar in den Vorschriften zum Ausdruck, die sich gegen ganz bestimmte Vereinbarungen wenden und nur diese für ungültig erklären. Die Kodifikation, die im Aufbau den Systementwürfen Pufendorfs und Wolffs folgt, gliedert den weitgespannten Rechtsstoff in zwei Teile. Das PrivatSo zutreffend Seuffert, Geschichte der obligatorischen Verträge, S. 166. Wollschläger, Entstehung der Unmöglichkeitslehre, S. 103. 84 Luig, in: FS für Coing, Bd. I, S. 194 Fn. 137. 85 Etwa vertreten von Seuffert, Geschichte der obligatorischen Verträge, S. 166. 86 Kreittmayr, Anmerkungen über den Codicem Maximilianeum Bavaricum civilem, IV, Anm. zu Teil 4 Cap. 12 §1, 2, S. 610 und Cap. 13 §7, S.652. 87 Nanz, Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 174. 88 Hattenhauer, in: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, S.20. 89 Charmatz, Vertragstypen, S. 4; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 333; Nanz, Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs, S. 182. 82 83

64

§3 Historische

Grundlagen

recht ist in Anlehnung an das dreiteilige Institutionenschema (Personen, Sachen, Handlungen) im ersten Teil geregelt. Die verschiedenen Schuldvertragsarten werden - wie von Pufendorf vorgezeichnet - als Mittel des Güteraustausches in die Regelung des Eigentumserwerbs einbezogen. 90 Im übrigen finden sich im A L R die verschiedenen Vertragstypen in der Gestalt wieder, wie sie sich bereits im Gemeinen Recht herauskristallisiert hatten. Im Entwurfsstadium wurde zudem erwogen, einen Titel „von den ungenannten Verträgen" 91 aufzunehmen, der sich allerdings darauf beschränken sollte, diese Verträge dem allgemeinen Vertragsrecht zu unterstellen. Dies brachte im endgültigen Gesetzestext andeutungsweise auch §875 (1. Teil, 11. Titel) zum Ausdruck: „Ist für die übernommene Handlung nicht Geld oder eine andere Handlung, sondern eine Sache, oder die Abtretung eines Rechts versprochen worden, so sind die Pflichten des Versprechenden, in Ansehung der von ihm zu leistenden Erfüllung, nach den Regeln vom Verkaufe, oder von der Cessionsleistung zu bestimmen."

Nicht zuletzt infolge des sog. Kommentierungsverbots (§ 6 Einl. ALR) 9 2 fand eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem A L R in der zeitgenössischen Literatur kaum statt. Es fehlen vor allem Stellungnahmen zu den grundsätzlichen Fragen der Bedeutung der Vertragstypen und der Behandlung ungeregelter Verträge.93 Aufschlußreicher sind insoweit allerdings einige der zahlreichen monita, die zu dem zur öffentlichen Diskussion gestellten Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten aus den Jahren 1784 bis 1787 94 eingegangen sind. Besonders hervorzuheben ist eine Äußerung Tevenars, eines der angesehensten Juristen der damaligen Zeit, dessen Sichtweise repräsentativ für die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vorherrschenden Anschauungen sein dürfte. Die besagte Stellungnahme Tevenars, der auch Svarez im Kern nicht widersprochen hat, 95 verhält sich in sehr grundsätzlicher Weise zur Bedeutung der Vertragstypen: „Da viele Richter usw., wenn sie Kauf- oder andere Verträge annehmen, oder darüber Streitigkeiten entstehen, in der irrigen Meinung stehen, dass sie dazu in den Gesetzbüchern hinlängliche Belehrung finden, und nicht erwägen, dass die Gesetze zu den Kauf- und anderen klassischen Verträgen nur Zusätze und Einschränkungen machen oder ergänzen, was in der Absicht der in dem Kaufvertrag gar nicht oder nicht sattsam bestimmten Punkte nach der Natur der Geschäfte rechtens ist; die Contrahenten hingegen die eigentlichen Gesetzgeber Zu dieser schon damals nicht unumstrittenen Einteilung Charmatz, Vertragstypen, S. 76ff. Materialien, X X V I I , Fol. 167. Die Materialien zur Entstehung des Preußischen Allgemeinen Landrechts finden sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem unter der Signatur GStA PK, I. HA Rep. 84 Gesetzeskommission und Materialien zum Allgemeinen Landrecht, Abt. X V I Nr. 1-7 und umfassen zahlreiche Foliobände. 92 Die Bestimmung lautete: „Auf Meinungen der Rechtslehrer, oder ältere Aussprüche der Richter, soll, bey künftigen Entscheidungen, keine Rücksicht genommen werden." 93 Charmatz, Vertragstypen, S. 263. 94 Erstdruck bei Decker, Berlin und Leipzig 1784ff., Nachdruck Frankfurt/Main 1984. 9 5 Vgl. seine diesbezügliche Randbemerkung, Materialien, X X I X , Fol. 78. 90 91

III.

Vertragstypen

in den großen

Naturrechtskodifikation

65

über ihre Geschäfte sind, und daher deren Meinung in Absicht des Geschäfts und des Inhalts des Vertrages hauptsächlich in Erwägung gezogen werden muss, dass sie ferner durch einseitige Handlungen und Verträge den Fehlern, Mängeln und Lücken, die sich in den Gesetzen in Absicht eines individuellen Geschäfts und dessen Bestimmung finden, nach der Lehre: dispositio hominum tollit dispositionem legum, täglich abgeholfen, dahingegen durch allgemeine Gesetze die Fehler, Mängel und Lücken, die in einer besonderen Rechtshandlung oder Vertrage angetroffen werden, nicht allzeit täglich erzeugt werden können, so wird es nicht überflüssig sein, nach dem § 2 noch folgenden Paragraph einzuschalten: Die Rechte und Verbindlichkeiten bei Kaufverträgen beruhen, so wie bei allen anderen Verträgen, hauptsächlich auf dasjenige, was die Contrahenten, der Käufer und Verkäufer, wegen der zu überlassenden Sache, des Preises, der Bedingungen, der Erfüllung des Kaufhandels und dessen Folgen, auch dessen Wirkungen, festgesetzt haben." 9 6

Daß die Vorstellung vom parteidispositiven Charakter der zu regelnden Vertragstypen bereits zu Beginn des Kodifikationsprozesses Gemeingut war, erhellt im übrigen der nachfolgend wiedergegebene Paragraph, der sich am Schluß des Titels vom Kauf im ersten Entwurf findet: „Übrigens versteht sich von selbst, dass bei dem Kauf, wie bei allen übrigen Geschäften, die gesetzlichen Bestimmungen, soweit solche kein Verbotsgesetz enthalten, durch Verabredung der Parteien abgeändert werden können." 9 7

Das A L R geht ohne ausdrückliche Erwähnung vom gleichen Grundgedanken aus.

3. Der französische Code civil von 1804 Auch Frankreichs große Zivilrechtskodifikation, der Code civil, war ein Produkt der Aufklärung. Freilich war es erst die Revolution, die durch den Sturz der alten Rechts- und Sozialverfassung Frankreichs die bestehenden Hindernisse auf dem Weg zu einer Rechtsvereinheitlichung beseitigt hatte. 98 Ein allgemeines, für jeden Franzosen gleichermaßen geltendes Privatrecht, war nunmehr als legitimer Anspruch eines Volkes anerkannt, das sich aller ständischen und provinziellen Privilegien entledigt und sich zu einer staatlich geeinten Nation freier und gleicher Bürger erklärt hatte. 99 Eingelöst wurde diese Forderung infolge widriger politischer Umstände allerdings nicht sogleich, sondern erst unter der Herrschaft Napoleons, der auf den Gesetzgebungsgang großen persönlichen Einfluß ausübte. Inhaltlich ist das Rechtsbild der 1804 als Code civil verkündeten Kodifikation von den Forderungen der Revolution nach bürgerlicher Rechtsgleichheit und

9 6 Materialien, X X I X , Fol. 77; ähnliche Ausführungen Tevenars zum Verhältnis von Gesetzen zu Verträgen finden sich in seinem Werk „Versuch über die Rechtsgelahrheit", S. 323 ff. 9 7 §231, Materialien X X V I I I , Fol. 252. 98 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 396. 99 Wilhelm, IC I, 1967, S.263.

66

§3 Historische

Grundlagen

der Freiheit der Individualsphäre geprägt.100 Dem Freiheitspostulat wird im Obligationenrecht durch die Anerkennung der Vertragsfreiheit entsprochen. Art. 1134 bringt dies wie folgt zum Ausdruck: „Les conventions légalement formées tiennent lieu de loi à ceux qui les ont faites." 1 0 1

Das eng mit den Namen Pothiers, Domats und Cambacérès verbundene vernunftrechtliche System des Code civil gliedert den Rechtsstoff in drei Bücher, nämlich: I. Personenrecht, II. Sachenrecht und III. Eigentumserwerb.102 Das Obligationenrecht ordnet es - insoweit übereinstimmend mit der preußischen Kodifikation - unter dem „Eigentumserwerb" ein. Als maßgeblicher Gestaltungsfaktor auf dem Gebiete des Obligationenrechts wird der Wille der Vertragsschließenden herausgestellt. Da dieser jedoch häufig nicht leicht zu fassen sei, hielt man es für geboten, dem Richter als Orientierungshilfe die auf das römische Recht zurückgehenden Vertragstypenregelungen an die Hand zu geben, da sich diese als die besten Entscheidungen der typischen Interessenlagen darstellten.103 Die kodifizierten Vertragstypen wurden mithin lediglich als „Musterbilder der häufigsten Verträge, die durch ihre besondere Interessenlage einer eigenen Regelung bedürfen", 104 qualifiziert, die Dispositivität des Vertragsrechts damit anerkannt. Die Dispositionsfreiheit umfaßt sogar das Recht der Parteien, völlig neuartige Vertragsgebilde zu schaffen. Daß man sich des Aufkommens neuer Geschäftsarten in Konsequenz einer auf den Gedanken der Vertragsfreiheit gegründeten Zivilrechtsordnung durchaus bewußt war, zeigt augenfällig die Bestimmung des Art. 1107, die der Normierung der einzelnen schuldrechtlichen Rechtsgeschäfte vorangestellt ist und sich explizit mit dem Phänomen der ungeregelten Verträge befaßt: „Les contrats, soit qu'ils aient une dénomination propre, soit qu'ils n'en aient pas, sont soumis à des règles générales, qui sont l'objet du present t i t r e . " 1 0 5

Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 343. Dt.: „Die im Einklang mit der gesetzlichen Ordnung stehenden Verträge ersetzen denjenigen, die sie gemacht haben, die Gesetze." Diese Gesetzesstelle geht auf Domat zurück, vgl. dessen Lois civiles dans leur ordre naturel, partie 1,1.1,1.1, sect. 2, art. 7: „Les conventions étant formées, tout ce qui a été convenu tient lieu de loi à ceux qui les ont faites, et elles ne peuvent être révoquées que de leur consentement commun ou par les autres voies qui seront expliquées..." Vgl. Scherrer, Geschichtliche Entwicklung des Prinzips der Vertragsfreiheit, S. 97. 102 Ausführlich zum Hintergrund dieser Dreiteilung, Boehmer, AcP 151 (1950/51), S.292f. 103 Diese zeitgenössische Einschätzung findet sich umfänglich belegt bei Cbarmatz, Vertragstypen, S.153f. 104 So Charmatz, Vertragstypen, S. 152. 105 In der „einzig officiellen Ausgabe für das Königreich Westphalen" vom 1.1.1808 hieß es in deutscher Sprache: „Alle Verträge, sie mögen einen eigenen Namen haben oder nicht, sind allgemeinen Regeln unterworfen" (zitiert nach Tosch, Entwicklung und Auflösung der Lehre vom Vertrag, S. 46). Näher zur rechtlichen Behandlung der unbenannten Verträge unter der Geltung des code civil, Brauer, Erläuterungen über den Code Napoleon, III, Art. 1130 Anm. 39. 100

101

III.

Vertragstypen

in den großen

Naturrechtskodifikation

67

4. Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für die gesamten Deutschen Erbländer der Osterreichischen Monarchie von 1811 Auch die dritte große Kodifikation naturrechtlicher Provenienz, das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für die gesamten Deutschen Erbländer der Osterreichischen Monarchie ( A B G B ) von 1811 fußt auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit, den es in §878 A B G B wie folgt formuliert: „Uber Alles, was im Verkehre steht, können Verträge geschlossen werden."

Die österreichische Kodifikation folgt ebenfalls dem naturrechtlichen System und handelt das Privatrecht in drei Teilen ab, nämlich I. Personenrecht, II. Sachenrecht und III. Gemeinschaftliche Bestimmungen. Die Nachwirkung der römischen Institutionenordnung mit ihrem auch als „natürlich" empfundenen Gegensatz zwischen Personen- und Sachenrecht einerseits und die Herausbildung allgemeiner Lehren in Wolff scher Tradition andererseits kennzeichnen das A B G B . Mit den großen Kodifikationen dieser Zeit teilt es überdies die systematische Besonderheit der Zuordnung des Rechts der Schuldverhältnisse zum Sachenrecht, im A B G B unter der Bezeichnung „persönliche Sachenrechte". Für die Anordnung der einzelnen Vertragstypen ist im A B G B im Gegensatz zum sog. Urentwurf Martinis von 1796 nicht die Frage der Entgeltlichkeit, sondern der Inhalt der Leistung maßgebend. Zur allgemeinen Bedeutung der Vertragstypen ist eine protokollierte Äußerung des Schöpfers und zugleich wichtigsten Interpreten des A B G B Franz von Zeillers erhalten: „Darum müsse der Gesetzgeber theils von jeder bekannteren Art der Verträge den oft schwankenden Begriff festsetzen, und daraus die wesentlichen Rechte und Verbindlichkeiten zu Jedermanns Kenntniß ableiten, theils über solche Punkte, die sich aus dem reinen Begriffe eines Vertrages von gewisser Art nicht entscheiden lassen, und daher nach den verschiedenen empirischen Ansichten und Vermuthungen, selbst unter den Rechtsphilosophen, streitig sind, gesetzliche Vermuthungen aufstellen, die für den Fall, dass sich die Parteien nicht näher darüber erklärt haben, von den Gerichtshöfen zur Beseitigung der Willkühr und widerstreitenden Urtheile als Vorschriften bei der Entscheidung beobachtet werden sollen. Diese Rechtsvermuthungen hiengen zwar nicht nicht ganz von der Willkühr der Gesetzverfasser ab, indem sie sich dabei noch immer an die Natur des Vertrages und die gewöhnliche Absicht der Kontrahenten halten müssen. Vieles dabei sei aber doch willkührlich und könne ohne Unrecht auf die eine oder andere Art bestimmt werden, besonders weil es doch immer den Partheien, welchen die gesetzliche Vermuthung bekannt gemacht wird, überlassen bleibt, es auf andere Weise zu bestimmen." 1 0 6

Hiernach sollten also die Vertragstypen lediglich den mangelhaft ausgedrückten typischen Parteiwillen ersetzen und als dispositive Vermutungsregeln 106 Ofner, Der Ur-Entwurf und die Berathungs-Protokolle des Öster. A B G B , II, S. 2f.; vgl. auch von Zeiller, Vorbereitung zur neuesten Osterreichischen Gesetzkunde, I., S. 9.

68

53 Historische

Grundlagen

die Rechtsfindung leiten. Nach Ansicht von Charmatz107 wollte von Zeiller die Regelungen über die Vertragstypen sogar nur als bloße „Auslegungsregeln" verstanden wissen. Während der Urentwurf noch Vorschriften zu den im Gesetz nicht unmittelbar geordneten Rechtsverhältnissen vorgesehen hatte, begnügte sich das ABGB mit einigen partiellen Vorgaben insbesondere für solche Verträge, die Bestandteile mehrerer Vertragstypen enthalten.108 Wie sich von Zeiller die Rechtsfindung allgemein und wohl auch bei ungeregelten Verträgen vorstellte, erhellt folgendes Zitat: „Der ausübende Rechtsgelehrte muß zur richtigen Beurtheilung sich erst den allgemeinen Begriff des rechtlichen Geschäftes (z. B. der Art des Vertrages), worunter der ihm zur Beurtheilung gegebene Fall gehöret, erneuern, die dahin sich beziehenden Gesetze deutlich fassen, und, da die vorkommenden Fälle nur selten buchstäblich darin entschieden sind, in den Sinn und Geist des Gesetzes eindringen, mithin zu den natürlichen Rechts-Principien, von welchen der Gesetzgeber ausgegangen ist, zurückkehren." 1 0 9

Umgesetzt in die Gesetzessprache des ABGB hieß es sodann in § 7: „Läßt sich ein Rechtsfall weder aus den Worten, noch aus dem natürlichen Sinne eines Gesetzes entscheiden, so muß auf ähnliche, in den Gesetzen bestimmt entschiedene Fälle, und auf die Gründe anderer damit verwandten Gesetze Rücksicht genommen werden. Bleibt der Rechtsfall noch zweifelhaft, so muß solcher mit Hinsicht auf die sorgfältig gesammelten und reiflich erwogenen Umstände nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen entschieden werden."

5.

Gesamtwürdigung

Die großen Privatrechtskodifikationen an der Schwelle zum 19. Jahrhundert verwirklichen den vernunftrechtlichen Gedanken der konsensualen Vertragsordnung. Damit einher geht die endgültige Uberwindung des römischrechtlichen Typenzwangs. Die Verbindlichkeit und Klagbarkeit sämtlicher - auch unbenannter - Verträge wird anerkannt. Zwar wird die überkommene Vertragstypenordnung formal fortgeführt. Der Gesetzestext und die Äußerungen seiner zeitgenössischen Interpreten offenbaren jedoch einen grundlegenden Bedeutungswandel der gesetzlichen Regelung der Schuldvertragstypen. In ihr wird nunmehr lediglich eine dispositive Reserveordnung für den Fall des Fehlens besonderer Absprachen der Parteien gesehen.110 Das Konsensprinzip erklärt mithin nach damaliger Anschauung nicht nur die Verbindlichkeit des Vereinbarten, sondern beinhaltet darüber hinaus den grundsätzlichen Vorrang des konsentierten Vertragsinhalts vor der gesetzlichen Regelung. Denn wenn der Konsens der 107 108 109 110

Charmatz, Vertragstypen, S. 202. Näher hierzu Charmatz, Vertragstypen, S.218f. von Zeiller, Das natürliche Privatrecht, § 25. Charmatz, Vertragstypen, S. 347 („bloße Musterbilder des typischen Parteiwillens").

IV. Frühe Kodifizierung

handelsrechtlicher

Vertragstypen

69

Geltungsgrund des Vertrages ist, so hat er den Vorrang vor den gesetzlichen Typen. Anders ausgedrückt: die gesetzlichen Vertragstypen sind Angebote und keine Gebote.

IV. Frühe Kodifizierung handelsrechtlicher Vertragstypen Auf diesen gefestigten Erkenntnissen konnte nun die moderne rechtsvereinheitlichende Zivilrechtsgesetzgebung des 19. Jahrhunderts aufbauen. Als Motor und Wegbereiter gerade auf dem Gebiete des Vertragsrechts erwies sich vor allem das sich stürmisch entwickelnde Wirtschafts- und Verkehrsleben. Es verlangte einen Rechtssicherheit vermittelnden und territorial nicht begrenzten rechtlichen Rahmen. Dieser mußte jedoch zugleich den Verkehrsteilnehmern möglichst große Bewegungsfreiheit belassen, um neuen Bedürfnissen des Güterumsatzes Rechnung tragen zu können. Der Vertragsfreiheit auf dem Gebiet des Handelsrechts wurde eine ganz besondere Bedeutung zugeschrieben. 111 Die „vormundschaftliche Funktion des Rechts" hatte hier nach Möglichkeit zurückzutreten. 112 Eingelöst wurde diese Forderungen durch das Allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch von 1861, eine herausragende kodifikatorische Leistung des Deutschen Bundes. Das Inkrafttreten dieses Gesetzeswerkes wirkte sich zugleich befruchtend auf die wissenschaftliche Diskussion um die Bedeutung der normativen Vertragstypenordnung aus.

1. Vertragstypen im Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 Das ab 1861 im Wege der Parallelgesetzgebung in den deutschen Ländern in Kraft gesetzte Allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch nahm sich u.a. 113 der besonderen kaufmannstypischen Geschäftsformen an, gab ihnen rechtliche Gestalt. Normiert wurden beispielsweise das Kommissions-, Speditions- und Frachtgeschäft. Der Verlags- und der Versicherungsvertrag wurden hingegen

111 Vgl. Protokolle der Kommission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, 1858-1867 (hrsg. von v. Lutz), S. 565; hierzu ferner Ehrenberg, Handbuch des gesamten Handelsrechts, I., S. 7 und Hauser, Einfluß der Vorschriften, S. 5. Für die Nürnberger Handelsgesetzbuchkonferenz war die Vertragsfreiheit sogar nahezu unantastbares Gut (vgl. hierzu Pappenheim, in: Festgabe Cohn, S.294). 112 So wiederum Ehrenberg, Handbuch des gesamten Handelsrechts, I., S. 7 unter Hinweis auf eine Formulierung Jherings. 113 Hervorzuheben ist weiterhin, daß das Allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch auch Grundregeln des Schuld- und Sachenrechts hervorbrachte, die später in die bürgerlichen Gesetzbücher abwanderten (Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, dogmatische Grundlagen und Sinnwandlung des Handelsrechts, S.50; sowie ders., Die Abgrenzung des Handelsrechts vom Bürgerlichen Recht, S. 119).

70

§3 Historische

Grundlagen

trotz der nach damaliger Ansicht bestehenden Sachnähe 114 ausgeklammert und in der Folgezeit spezialgesetzlich geregelt.115 Die Grundstruktur der gesetzlichen Regelung der Vertragstypen im Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch, also vor allem die Aufgliederung des Rechtsstoffs von der Begriffsbestimmung, über die wesentlichen Pflichten samt den möglichen Störungstatbeständen bis zu speziellen Problemen des jeweiligen Vertragstyps (unter Ausklammerung der sich nach allgemeinen Vorschriften richtenden Fragen), die Verweisungstechnik 116 sowie die Regelungsdichte, findet sich spätestens von da an in allen folgenden Privatrechtskodifikationen deutscher Provenienz. Ausweislich der Kommissionsprotokolle 117 wurde die grundsätzliche Frage nach der Bedeutung der angestrebten Kodifizierung bestimmter Vertragstypen in dem neuen Handelsgesetzbuch und seines Verhältnisses zu privatautonomen Setzungen der Parteien jedoch nicht aufgeworfen. Die Diskussion setzte hier sogleich bei Detailfragen der rechtlichen Regelung an. Hervorzuheben ist, daß die Kodifizierung der handelsrechtlichen Vertragstypen auch Einzelregelungen hervorbrachte, die der Dispositionsmacht der Parteien entzogen sein sollten. 118 Die Einstreuung solchermaßen zwingender Vorschriften in die ansonsten dispositiv ausgestaltete Vertragstypenordnung ist somit - entgegen Charmatz - 1 1 9 keineswegs eine Neuerung, um die der zweite Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches das deutsche Vertragsrecht bereichert hat. Richtig ist nur, daß dieses Phänomen um die Jahrhundertwende verstärkt auftrat - übrigens auch im Handelsgesetzbuch von 1897 - und damit auch ins Blickfeld wissenschaftlicher Betrachtung rückte. 120

114 Großes Gewicht auf die Zugehörigkeit zum Handelsrecht legte z.B. Endemann, Handbuch des deutschen Handels-, See- und Wechselrechts, I, S.35. 1 1 5 Vgl. Gesetz über das Verlagsrecht v o m l 9 . 6 . 1 9 0 1 , R G B l . S . 2 1 7 u n d Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 30.5. 1908, RGBl. S.321; zum Hintergrund der späten Kodifikation des Versicherungsvertragsrechts Lammel, in: Modernisierung des Handelsrechts im 19. Jahrhundert, S. 113ff. 116 Vgl. etwa Art.387 und 408 A D H G B . 117 Protokolle der Kommission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, 1858-1867 (hrsg. von v. Lutz). 118 Z.B. Art.368 Abs.2 A D H G B aus dem Kommissionsvertragsrecht und Art.423 A D H G B für das privatrechtlich zu beurteilende Frachtgeschäft der Eisenbahnen (zum letzteren Pappenheim, in: Festgabe Cohn, S. 294). Eine Auflistung der zwingenden Bestimmungen des Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch findet sich bei Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts I, S.301. 119 Charmatz, Vertragstypen, S.226, 348ff. 1 2 0 Z.B. die 1899 erschienene Monographie Ehrlichs mit dem Titel „Das zwingende und nichtzwingende Recht".

IV. Frühe Kodifizierung handelsrechtlicher

Vertragstypen

2. Die Diskussion um das dispositive Gesetzesrecht im Schrifttum des 19. Jahrhunderts

71

handelsrechtlichen

D i e während der Entstehungsphase des Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches zu k u r z g e k o m m e n e Diskussion um die Bedeutung des dispositiven Gesetzesrechts, dem ja die meisten Gesetzesbestimmungen des handelsrechtlichen Vertragsrechts zugerechnet wurden, ist in der Folgezeit zumindest in A u s schnitten nachgeholt worden. In A n s e h u n g des in Kraft getretenen G e s e t z e s werks e r h o b sich alsbald die aus rechtstheoretischer Sicht interessante und auch praktisch 1 2 1 nicht unwichtige Frage nach dem Geltungsgrund des dispositiven Gesetzesrechts. Gelangt mithin der dispositive Rechtssatz kraft Parteiwillens zur A n w e n d u n g oder handelt es sich um eine objektive N o r m , die lediglich durch einen abweichenden Parteiwillen derogiert werden kann? F ü r die erstgenannte Sichtweise sprach die Fassung des A r t . 3 3 6 A b s . 1 A D H G B : „Maaß, Gewicht, Münzfuß, Münzsorten, Zeitrechnung und Entfernungen, welche an dem Orte gelten, wo der Vertrag erfüllt werden soll, sind im Zweifel als die vertragsmäßigen zu betrachten."

D i e einhellige M e i n u n g im handelsrechtlichen Schrifttum trat dieser D e u t u n g j e d o c h entgegen. D a die dispositiven Rechtssätze auch dann zur A n w e n d u n g gelangten, w e n n die Parteien ihre Geltung nicht positiv gewollt hätten, dürfe der gesetzliche Inhalt des Geschäfts nicht als ein stillschweigend vereinbarter behandelt werden. 1 2 2 D i e R e c h t s o r d n u n g selbst setze in diesen Vorschriften ihren Willen unmittelbar ergänzend an die Stelle des fehlenden Parteiwillens und begründe kraft eigener M a c h t v o l l k o m m e n h e i t gewisse ungewollte R e c h t s f o l gen des Vertrages. 1 2 3 D a b e i lasse sie sich allerdings in der Regel v o n dem B e s t r e ben leiten, gerade j e n e Rechtsfolgen eintreten zu lassen, deren Eintritt die Parteien, als der regelmäßigen N a t u r und W i r k u n g des Vertrages entsprechend, selbst veranlaßt hätten. 1 2 4 D i e dispositiven B e s t i m m u n g e n der R e c h t s o r d n u n g werden daher in den Fällen unvollständiger oder unterbliebener Willensbetätigung als Ergänzungsmittel des Vertragswillens oder als Surrogat der Willenserklärung bezeichnet. 1 2 5 E s bestehe die gesetzliche Rechtsvermutung oder F i k -

121 So kam beispielsweise Goldschmidt Z H R 18. (1873), S. 640 auf die Problematik anläßlich der Erörterung einer konkreten Frage aus dem internationalen Wechselrecht zu sprechen. 122 Thöl, Handelsrecht I, S. 790; Voigtei, Archiv für Theorie und Praxis des Allgemeinen deutschen Handelsrechts, 6. Bd., S. 452; Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts I, S.300; ders., ZHR, 18. (1873), S. 640. 123 Grünhut, Das Recht des Commissionshandels, S. 159; vgl. auch Endemann, Handbuch des deutschen Handels-, See- und Wechselrechts I, S.36: „wirkt von sich aus". 124 Grünhut, Das Recht des Commissionshandels, S. 159 und Endemann, Handbuch des deutschen Handels-, See- und Wechselrechts I, S. 36 unter Hinweis auf Kariowa, Das Rechtsgeschäft und seine Wirkung, S. 177 („Rechtsbestimmungen sind nicht willkürlich ersonnen, sie beruhen vielmehr ... auf sorgfältigster Beobachtung des Verkehrslebens, des regelmäßig gewollten und genauer Analyse der vernünftigen Natur des Willens."). 125 Grünhut, Das Recht des Commissionshandels, S. 160.

72

§J Historische

Grundlagen

tion, daß die Parteien mangels entgegenstehender Willensbetätigung die gesetzlich normierten Naturalien des Vertrages eintreten lassen wollen.126 V. Die Diskussion

in der Rechtswissenschaft

des 19.

Jahrhunderts

Das Verhältnis zwischen gesetzlicher Regelung und selbstbestimmter Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch die beteiligten Rechtssubjekte ist von der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts in sehr grundsätzlicher Weise erörtert worden.127 Den größten Einfluß auf die weitere Entwicklung dürfte die Position Savignys gehabt haben, die zwar nicht unwidersprochen geblieben ist, jedoch über die Pandektenwissenschaft bis zur Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuches das Denken der Zeit bestimmte.

1. Primat selbstbestimmter Gestaltung der Rechtsverhältnisse bei von Savigny Ausgangspunkt des Savignyschen Rechtsverständnisses ist seine im Anschluß an Kants Überlegungen zur sittlichen Autonomie der Person128 formulierte Funktionsbeschreibung des Rechts.129 Hiernach bilde das Recht die „Gränze, innerhalb welcher das Daseyn, und die Wirksamkeit jedes Einzelnen einen sichern, freyen Raum gewinne". Das Recht diene der Sittlichkeit, aber nicht indem es ihr Gebot vollziehe, sondern indem es die freie Entfaltung ihrer, jedem einzelnen Willen innewohnenden Kraft sichere.130 Dies erklärt die hohe Bewertung der autonomen Persönlichkeit und ihrer Entfaltung im Rechtsgeschäft. Hinzu kommt Savignys ausgeprägt skeptische Haltung gegenüber kodifikatorischen Eingriffen, die sich schon früh in seiner Streitschrift „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft"131 zeigt. Beides erklärt, daß Savigny das Gesetzesrecht - abgesehen von den wenigen absoluten (= zwingenden) Bestimmungen - im Rang der privatautonomen Regelung unterordnet, es als „Ergänzung einer mangelhaften Willensbestimmung"132 bezeichnet. Die vermittelnden (= nicht zwingenden) Rechtsregeln lie126 Laband, ZHR 17. (1872), S.496; Voigtei, Archiv für Theorie und Praxis des Allgemeinen deutschen Handelsrechts, 6. Bd., S.451. 127 Hierzu auch Weich, NJW 1978, 13 und Sandrock, Ergänzende Vertragsauslegung, S.34ff. 128 Zum Einfluß Kants auf Theorie und Praxis des Zivilrechts im 19. Jahrhundert. Kiefner, in: Philosophie und Rechtswissenschaft, S.3ff. und Püls, Parteiautonomie, S.27ff. 129 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, I, S. 331 f. 130 Zu Savignys autonomer Rechtsethik auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 353. Nach Savigny ist „bey der Beurtheilung der Rechtsgeschäfte" „die vollkommene Freyheit des individuellen Willens als Regel anzusehen" (System des heutigen Römischen Rechts, IV, S. 5). 131 Zuletzt abgedruckt in: Thibaut und Savigny (hrsg. von Hattenhauer), S.95ff. 132 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, I, S.59.

V. Die Diskussion in der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts

73

ßen dem individuellen Willen freie Macht,133 und nur wo dieser unterlassen habe, seine Macht auszuüben, träten sie an seine Stelle, um dem Rechtsverhältnis die nötige Bestimmtheit zu geben. Diese Regeln könne man als „Auslegungen des unvollständig gebliebenen Willens" betrachten.134 Die zahlreichen und mannigfaltigen Obligationen seien nur als Fälle zu betrachten, welche sich durch lange Erfahrung als besonders wichtig und häufig dargestellt hätten.135 Allerdings hütet sich auch Savigny davor, den geschlossenen Vertrag in den Rang einer Rechtsquelle zu erheben. Zur rechtlichen Geltung einer selbstbestimmten vertraglichen Regelung bedürfe es stets eines Gesetzes, welches die Verträge anerkenne.136 Savigny sprach zwar schon vom „Typus", verstand darunter jedoch nicht eine durch gemeinsame Merkmale herausgehobene Grundform. Als „Typus" bezeichnet Savigny das „Rechtsinstitut",137 verstanden als ein sinnvolles Ganzes typischer menschlicher Beziehungen (z.B. Ehe, Eigentum und Kauf). Aus dieser im Rechtsinstitut verkörperten organischen Einheit objektiver Normen werden nach Savigny die einzelnen Rechtsregeln durch einen „künstlichen Prozeß" der „Totalanschauung" herausgelöst.138 Das Rechtsinstitut, der Typus, steht hiernach über dem jeweiligen Rechtsverhältnis, beherrscht und formt es. Interessant ist, wie sich Savigny139 vor diesem Hintergrund die rechtliche Bewältigung des Phänomens vorstellte, daß „ein neues, bisher unbekanntes, Rechtsverhältnis erscheint, für welches daher ein Rechtsinstitut, als Urbild, in dem bisher ausgebildeten positiven Recht nicht enthalten ist". Hier müsse ein solches urbildliches Rechtsinstitut, nach dem Gesetze innerer Verwandtschaft mit schon bekannten, neu gestaltet werden.140

2. Die Pandektistik

nach von

Savigny

In der Frage der Bedeutung des gesetzlichen Vertragsrechts und seines Verhältnisses zur privatautonomen Setzung definierten die meisten Autoren des sich durchsetzenden neuen Wissenschaftsstils der Pandektistik ihre Position in engem Anschluß an Savigny. Das Privatrecht gehe - so heißt es paradigmatisch Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, I, S.58. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, I, S.57f. 135 Savigny, Obligationenrecht I, S.3. 136 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, I, S. 12; so im übrigen auch das noch heute herrschende Verständnis der Wirkungsweise der Privatautonomie, vgl. etwa Flume, Rechtsgeschäft, § 1,4, S. 5f.; Larenz, Allgemeiner Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, (7. Aufl.), § 2 II, S.41; H.P Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.26f.; zum Thema auch Manigk, Privatautonomie im Aufbau der Rechtsquellen, passim. 133 134

137 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, I, S. 9,291; hierzu auch Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert, S.48. 138 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, I, S. 16. 139 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, I, S.291. 140 Hierzu auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 17.

74

Historische

Grundlagen

bei von Wächter141 - von dem Prinzip der Privatwillkür und Autonomie aus. Der Staat müsse es den Beteiligten in der Regel überlassen, ihre Privatrechtsverhältnisse selbst zu regeln (Autonomie). Behandelt wurde die Problematik in den historisch-systematisch ausgerichteten Lehrbüchern dieser Zeit zumeist im Rahmen der Erläuterungen zur „Verbindungskraft" des Rechts142 und des Bedeutungsgehalts der Begriffe „zwingendes" und „dispositives" Recht. 143 Die dispositiven, also nicht zwingenden Rechtssätze, welche ein Rechtsgeschäft bestimmen,144 werden als „Auslegung des unvollständig ausgesprochenen Willens" aufgefaßt.145 Ihrer bedürfe man, um „den unvollständig ausgedrückten Willen der Parteien zu ergänzen".146 Dem dispositiven Gesetzesrecht wird damit bloß subsidiärer Charakter zuerkannt.147 Diese eingeschränkte Verbindungskraft wird als dem Privatrecht eigentümlich bezeichnet, gehe es doch hier vorzugsweise um Privatinteressen, deren Entfaltung einen weiten Spielraum voraussetze.148 Mitunter erblickte man hierin sogar das eigentliche Unterscheidungsmerkmal zum öffentlichen Recht.149 Die Aufgabe des dispositiven Rechts wird demgemäß häufig allein darin gesehen, den jeweiligen Rechtsverhältnissen die nötige Bestimmtheit zu geben150, um die Parteien der Notwendigkeit einer besonderen Vereinbarung über zahlreiche Vertragsmodalitäten zu entheben.151 Gleichwohl finden sich auch differenziertere Funktionsbeschreibungen. So beschreibt Zitelmann152 die geistige Leistung des objektiven Rechts (gemeint ist das dispositive Gesetzesrecht) als eine doppelte: einmal habe das objektive Recht die Gleichartigkeit jener konkret vorkommenden Willenserklärungen begriffen und aus den konkreten beobachteten Fällen heraus den allgemeinen Begriff einer bestimmten Willenserklärung abstrahiert. Sodann habe es dieses abstrakte Rechtsgebilde für alle kommenden Fälle dadurch brauchbar gemacht, daß es dasselbe mit Bestimmungen Wächter, Handbuch Württemb. Privatrecht, S.5f. Wächter, Pandekten I, S. 93ff. Dieser Ausdruck wird auch benutzt von Regelsherger, Pandekten I, S. 131. 143 Keller, Pandekten, S. 17f.; Dernburg, Pandekten I, S. 66ff.; Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts I, S. 74. 144 So Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht, S. 120 in Abgrenzung zu Savigny. 145 Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht, S. 119; Keller, Pandekten, S. 17; Wächter, Handbuch Württemb. Privatrecht, S. 6. 146 Wächter, Handbuch Württemb. Privatrecht, S. 6; ders., Pandekten I, S. 94; Thudichum, JherJb 23 (1885), S . l l . 147 Deutlich etwa bei Wächter, Pandekten I, S. 93 ff.; Unger, System des österreichischen Privatrechts I, S. 53£.; gleichbedeutend spricht Wächter in seinem Handbuch Württemb. Privatrecht, S.6 von „blos hypothetischen Gesetzen". 148 Wächter, Pandekten I, S.93; Dernburg, Pandekten I, S. 69. 149 Brinz, Lehrbuch der Pandekten I, S. 110 und andeutungsweise auch Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht, S. 119f.; Dernburg, Pandekten I, S. 69 beschränkt sich dagegen auf die Feststellung, daß nichtzwingende Gesetze auf dem Gebiete des Privatrechts besonders häufig sind. 150 Keller, Pandekten, S.17. 151 Wächter, Pandekten I, S.95. 152 Titelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, S. 307. 141 142

V. Die Diskussion

in der Rechtswissenschaft

des 19. Jahrhunderts

75

ausgestattet habe, die Platz greifen sollen, wo die Partei selbst nichts bestimmt habe. Fortgeführt wurde unter den Autoren der Pandektenwissenschaft die Diskussion um den Geltungsgrund und die Rechtsqualität der ergänzenden Dispositivgesetze.153 Teilweise wurde ihr Inhalt als ein von den Parteien wirklich oder zumindest mutmaßlich gewollter, also bei Verträgen als ein durch vertragsmäßige Festsetzung bestimmter aufgefaßt.154 Andere haben diesem Verständnis widersprochen und es als „Spielerei" bezeichnet, die dem Handelnden unbekannten Rechtsfolgen gleichwohl als von ihm gewollte anzunehmen.155 Auch Dernburg156 wandte sich gegen eine solche Sichtweise. Seiner Ansicht nach bestimmten vielmehr zahlreiche dieser Dispositivgesetze, was der Gesetzgeber für das dem Verhältnis Entsprechende und dem öffentlichen Nutzen Förderliche halte; sie erachteten es aber nicht für geboten, einer abweichenden Regelung durch die Beteiligten entgegenzutreten. "Wächter157 hat die Bedeutung dieser Kontroverse dann zu relativieren versucht. Für die aus solchen Normen entspringenden Rechte der Parteien sei sie indifferent. Denn durch das ergänzende Recht erfahre das Rechtsverhältnis seine Bestimmung und dieser Inhalt bilde für jede Partei so gut ihr wohlerworbenes und von der Willkür der anderen Partei unabhängiges Recht, als wenn er ausdrücklich festgestellt wäre. Er sei so zu behandeln, als ob er vereinbartes Recht wäre. Aufschlußreich ist auch die Behandlung unbenannter Vertragstypen. Die starke Betonung des Prinzips der Privatautonomie spiegelte sich auch hier in einer sehr aufgeschlossenen Haltung wider. Die grundsätzliche Zulässigkeit solcher neuartigen Vertragsgebilde stand nicht in Frage. So führte Puchta158 im Anschluß an von Savigny159 aus, daß die Zahl der Obligationsfälle so unbeschränkt und ungeschlossen sei als die Bedürfnisse und Gestaltungen des Verkehrs selbst, aus denen ihre Mehrheit und Verschiedenheit sich herschreibe. Jeder Augenblick könne in den wechselnden Richtungen und der wachsenden Mannigfaltigkeit des Verkehrs neue Obligationsarten hervorbringen, welche unter die gegenwärtigen Formen sich nicht schlechthin subsumieren ließen. Puchta warnte in diesem Zusammenhang vor einer vorschnellen Einordnung. Das falsche Be153 Im Schrifttum wird mitunter in gleichem Atemzug die Funktion des dispositiven Rechts erörtert; vgl. etwa die ungeschiedenen Erörterungen bei Dernhurg, Pandekten I, S. 70. 154 Z.B. von Brinz, Lehrbuch der Pandekten I, S. 110. 155 So Bekker, System des heutigen Pandektenrechts II, S. 119; in diese Richtung auch Thöl, Einleitung in das deutsche Privatrecht, S. 120 und Regelsberger, Pandekten I, S. 129f. 156 Dernburg, Pandekten I, S. 70. 157 Wächter, Pandekten I, S.95. 158 Puchta, Pandekten, S. 334. 159 Neben denselben (seil.: den vielen bekannten Obligationen) aber bleibt stets freier Raum für die Bildung neuer Obligationen, wie sie durch das wechselnde Bedürfniß der Zeiten, oder auch durch freie Willkür, herbeigeführt werden mögen. Für solche neu zu bildende Obligationen nun sind zunächst nur die Grundsätze des allgemeinen Theils maßgebend, welche daher, um dieser Aufgabe zu genügen, hinreichend ausgebildet sein müssen."; von Savigny, Das Obligationenrecht als Theil des heutigen Römischen Rechts I, S. 3.

76

§3 Historische

Grundlagen

streben, jedes entstehende Obligationsverhältnis in eine der durch das römische Recht gegebenen Formen zu pressen, habe nicht selten zu einer widernatürlichen Beurteilung solcher Obligationen verleitet.160 Der Pandektenwissenschaft kam in diesem Punkte zu Gute, daß sie sich neben den einzelnen Obligationen schon früh um die Ausbildung allgemeiner Lehren „von der Obligation überhaupt" 161 bemüht hatte.162 Auch die neuen Obligationsarten stehen nach Puchta unter den Gesetzen der Obligation überhaupt. In diesen, mit Hinzunahme der den besonderen Obligationsfall bestimmenden Intentionen und der etwaigen Analogien in den bestehenden einzelnen Obligationen, fänden sie ihre rechtliche Norm. 163 Nicht mehr auf der Höhe der Zeit war in diesem Punkte E.A. Bekker, der in seinem System des Pandektenrechts noch die Meinung äußerte, jedes geschäftliche Tun müsse, um überhaupt rechtlich wirksam zu werden, irgend einem Geschäftstypus entsprechen, der allerdings - so heißt es in einer Fußnote - auch ein noch im Werden begriffener sein könne.164 Die Rechtsfolgen erschienen Bekker als Mischprodukte des Wollens der Handelnden einerseits und der Rechtsvorschriften, welche für die Wirksamkeit des diesem Geschäftstypus entsprechenden Wollens bestünden.165 Fortschrittlich sind hingegen Bekkers Studien zu den Geschäftstypen, die eine historische Rückschau halten und in einer differenzierten „Lehre von der Geschäftstypenbildung" münden.166 Der Begriff „Geschäftstypus" wird bereits in einer dem heutigen Verständnis (Vertragstyp) angenäherten Weise verwandt; das Savignysche Begriffsverständnis wird nicht weiter fortgeführt.

3. Verbindliche

Kraft und Ordnungsfunktion zwingenden Rechts

auch des nicht

In der Späthälfte des 19. Jahrhunderts gewinnt dann die bereits bei Dernburg zaghaft angeklungene Gegenposition zu der von Savigny beeinflußten Theorie an Konturen. 167 Die Funktion des nicht zwingenden Gesetzesrechts erschöpft sich nach dieser neuen Sichtweise nicht in der Ergänzung des unvollständig zum Ausdruck gelangten Parteiwillens. In den Vordergrund rückt nunmehr die normative Determinierungsfunktion des dispositiven Rechts. Nähere Darlegungen finden sich vor allem in den Schriften der beiden namhaften Rechtswissenschaftler Bülow und Stammler. 160 161

162 163 164 165 166 167

Ähnlich auch Sintenis, Das praktische gemeine Zivilrecht, Bd. II, S.2. So die Uberschrift bei Puchta, Pandekten, S. 333. Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 I, S. 16. Puchta, Pandekten, S.334. Bekker, System des heutigen Pandektenrechts II, S. 118. Bekker, System des heutigen Pandektenrechts II, S. 118f. Bekker, System des heutigen Pandektenrechts II, S. 117ff. Überblick bei Weick, N J W 1978,13 und Mayer-Maly, Rangordnung von Normen, S. 129f.

V. Die Diskussion in der Rechtswissenschaft

des 19. Jahrhunderts

17

Bülows Abhandlung von 1881 beschwört bereits in ihrem Titel die „verbindliche Kraft der Rechtsordnung". 168 Sie bezieht Stellung gegen eine „Uberschätzung und Uberhebung des individuellen Willens und der individuellen Willensmacht." 169 Sie widerspricht insbesondere Savigny und seiner „subjectivistischen Auffassung des objectiven Rechts". 170 Vom absoluten Recht unterscheidet Bülow das dispositive Recht, dem ebenfalls verbindliche, wenn auch schwächere Kraft innewohne.171 Aber auch für das dispositive Recht gelte, daß es über jedes gegensätzliche Bestreben des individuellen Willens erhaben sei. Die Rechtsordnung räume dem Individualwillen nie die Macht ein, Rechtsbestimmungen vorzunehmen, die von ihr abwichen. Wohl aber ermächtige sie - und hier beschreibt Bülow sein Verständnis von der Bedeutung des dispositiven Rechts - den Individualwillen, zwischen mehreren von der Rechtsordnung vorgesehenen und bestätigten Rechtsbestimmungsmöglichkeiten zu wählen. Der Einzelwille werde vom Gesamtwillen durch die dispositive Rechtsnormierung als rechtsbestimmendes Hilfsorgan verwendet.172 Vom dispositiven Recht in diesem Sinne unterscheidet Bülow schließlich noch subsidiäre ergänzende Regelungen.173 Die Unterscheidung zum dispositiven Recht bleibt allerdings dunkel und hat in der Folgezeit auch keine Gefolgschaft gefunden.174 Gegen die pandektistische Relativierung der nicht zwingenden Rechtssätze wendet sich im Anschluß an Bülow auch Stammler in seiner Abhandlung über den Garantievertrag.175 Auch Stammler bedient sich einer eigenen Terminologie.176 Dispositives Recht sei inhaltlich durch den erklärten Parteiwillen geprägt. Diese Erklärungen der Parteien fänden in einem vorgegebenen objektiven Rechtssatz Aufnahme und würden durch ihn in den Rang des (dispositiven) Rechts erhoben. Als subsidiäre oder ergänzende Rechtssätze bezeichnet Stammler hingegen das nicht zwingende Gesetzesrecht. Diese subsidiären Rechtssätze erschöpften sich nun keineswegs darin, den unvollkommen geäußerten Privatwillen der Parteien zu ergänzen.177 Dies schon deshalb nicht, weil das subsidiäre Recht im Falle unterbliebener Parteidisposition auch unabhängig von den konkreten Interessen und Intentionen der beteiligten Privatpersonen

168 Bülow, Dispositives Civilprozeßrecht und die verbindliche Kraft der Rechtsordnung, AcP 64 (1881), S. lff. Die Schrift reicht thematisch weit über das Zivilprozeßrecht hinaus. 169 Bülow, AcP 64 (1881), S.92. Besonders scharfzüngig seine Äußerung auf S. 83f.: „Der Cultus der individuellen Willensmacht wird vielmehr meistens so weit getrieben, daß sich das ergänzende Recht vielmehr seine Legitimation von der subjektiven Willensmacht' erbitten muß, nur von der Gnade des allmächtigen Individualwillens sein Leben fristet." 170 Bülow, AcP 64 (1881), S.75ff. (insbes. Fn.46). 171 Bülow, AcP 64 (1881), S.46f. 172 Bülow, AcP 64 (1881), S. 108. 173 Bülow, AcP 64 (1881), S. 71 ff. 174 Ablehnend schon Regelsherger, Pandekten I, S. 128 Fn. 1. 175 Stammler, AcP 69 (1886), S. lff. 176 Stammler, AcP 69 (1886), S. 13ff. 177 Stammler, AcP 69 (1886), S. 19-29.

78

Historische

Grundlagen

eingreife. 178 Vielmehr seien es objektive Interessen des Verkehrs, Bedürfnisse des sozialen Lebens im allgemeinen, denen das subjektive Recht zu genügen habe. 179 Es finde auf ein in das Leben gerufenes Rechtsverhältnis selbständig Anwendung, sobald nicht innerhalb der Schranken des zwingenden Rechts ordnungsgemäße Privatdisposition vorliege. 180 Für Stammler bildete das nicht zwingende Recht mihin einen eigenständigen Ordnungsrahmen für das Leben der Rechtsgemeinschaft. 181 In diese Richtung tendierte auch von Jhering, der in der dritten, 1893 erschienenen Auflage seines Werkes „Der Zweck im Recht" die bindende Kraft des Versprechens und in anderem Zusammenhang - wenn auch eher beiläufig - sein Verständnis der Privatrechte darlegte. 182 Er betonte dabei vor allem den gesellschaftlichen Charakter der Privatrechte. Auch wenn diese zunächst nur das Individuum zum Zweck hätten, so seien sie doch beeinflußt und gebunden durch die Rücksicht auf die Gesellschaft.

VI. Die Vertragstypenordnung des Bürgerlichen

Gesetzbuches

Vor dem aufgezeigten geistigen Entwicklungshorizont und der damals herrschenden Geistesströmung der Pandektenwissenschaft ist nunmehr das Entstehen der heutigen Vertragstypenordnung als Quelle der historischen Auslegung in den Blick zu nehmen.

1. Das Sächsische Bürgerliche

Gesetzbuch

von 1863

Einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf das spätere Bürgerliche Gesetzbuch, dort vermittelt über den Dresdener Entwurf vor allem auf das Recht der Schuldverhältnisse, übte das 1863 verkündete und zwei Jahre später in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen aus. 183 Das Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch markiert den Übergang von den älteren partikularen Kodifikationen zum deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch. 184 Es atmete den Geist der Pandektistik, 185 nicht nur weil es sich die charakteristische Systematik

Stammler, AcP 69 (1886), S.22f. Stammler, AcP 69 (1886), S. 28. Auf S. 25 findet sich eine ähnliche Formulierung. Hiernach soll die Rechtsordnung den materiellen ethischen Bedürfnissen und Interessen der Gesamtheit dienen. 180 Stammler, AcP 69 (1886), S.24. 181 Die Ordnungsfunktion des nicht zwingenden Rechts bei Stammler hebt auch Weick, NJW 1978, 13 hervor. 182 Jhering, Der Zweck im Recht I, S.532. 183 Zu den Wirkungen des Sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuchs Buschmann, JuS 1980,558f. 184 Schlosser, Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, S. 150. 185 Gleichwohl zu drastisch Koschakers Urteil „fast ein in Paragraphen umgegossenes Pan178 179

VI. Die Vertragstypenordnung

des Bürgerlichen

Gesetzbuches

79

dieser Zeit zu eigen machte, sondern auch, weil es in dieser Hinsicht die pandektistischen Grundanschauungen zur Geltung brachte. So wird im dritten, mit „Das Recht der Forderungen" überschriebenen Teil des Gesetzbuches in § 782 das Konsensprinzip festgeschrieben: §782 Durch Vertrag entstehen Forderungen, wenn der übereinstimmende und gegenseitig erklärte Wille Mehrerer auf Begründung einer Forderung gerichtet ist.

Die Kommentatoren des Gesetzbuches bemerkten hierzu, daß damit das römische Kontraktsystem verlassen sei.186 Das Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch gehe von dem Grundsatz aus, daß jedes akzeptierte Versprechen, auch ohne die römische Stipulationsform, eine Klage erzeuge. 187 Aus dem Fehlen besonderer Bestimmungen wurde ferner geschlossen, daß nunmehr auch die früheren Innominatkontrakte nach den Grundsätzen des § 782 zu beurteilen seien. 188 Die weitgehende Parteiherrschaft im Vertragsrecht war ein konzeptioneller Grundpfeiler, der in zahlreichen Vorschriften des Gesetzbuches seinen Niederschlag gefunden hatte. In § 18 hieß es etwa: „Soweit Rechtsverhältnisse durch die Willkühr der Betheiligten bestimmt werden können,..."; ähnlich lautete der Eingang von § 28. Vor diesem Hintergrund sind die Regeln über die „Forderungen aus Verträgen und vertragsähnlichen Verhältnissen" zu sehen.

2. Der Dresdener

Entwurf von 1866

Die wesentlichen Grundsätze des Sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuches fanden sodann Eingang in den Entwurf eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse, kurz Dresdener Entwurf. 189 Dieser war Ausdruck der Bemühungen um eine Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiete des Rechts der Schuldverhältnisse der im Deutschen Bund zusammengeschlossenen deutschen Staaten. Von einer mit namhaften Juristen als Vertreter ihrer Regierungen besetzten Kommission ausgearbeitet, wurde der Kodifikationsvorschlag 1866 der Bundesversammlung vorgelegt. Zu einer Verabschiedung kam es jedoch infolge des Ausbruchs des preußisch-österreichischen Krieges und der Auflösung des Bundes nicht mehr. 190 Der Entwurf zielte nach dem erklärten Willen der Redaktoren auf eine „Erleichterung des Wirtschaftsverkehrs und Anerkennung der Privatautonomie". 191 Auch der Dresdener Entwurf bezog seine Bausteine im dektenlehrbuch" (Europa und das römische Recht, S.258); zurückhaltend auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S.464 Fn 13 und Buschmann, JuS 1980, 558. 186 Schmidt, Vorlesungen I, S. 377. 187 Siebenhaar/Pöschmann, Commentar II., S. 83. 188 Siebenhaar/Puschmann, Commentar II., S. 84. 189 Dölemeyer, in: Handbuch der Quellen III/2, S. 1553; Hedemann, Dresdner Entwurf, S.23f. 190 Vgl. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rdnr. 567. 191 Vgl. Schubert, in: Protocolle der Commission zur Ausarbeitung eines Allgemeinen deut-

80

Historische

Grundlagen

wesentlichen von der Pandektistik. 192 Das Konsensprinzip, die inhaltliche Gestaltungsfreiheit im Recht der Schuldverhältnisse und damit auch die subsidiärergänzende Funktion der gesetzlichen Vertragstypenordnung wurden demgemäß als selbstverständlich vorausgesetzt und ausweislich der Protokolle auch keiner weiteren Diskussion für bedürftig erachtet. 193

3. Der Erste Entwurf von 1887 Des Dresdener Entwurfs bediente sich wiederum die 1874 zur Ausarbeitung eines Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches eingesetzte sog. Erste Kommission, nachdem der Teilentwurf für das Recht der Schuldverhältnisse infolge des Todes seines Redaktors (Franz von Kübel) unvollendet geblieben war. 194

a) Vorlagen, Text des Entwurfs und Motive Die Redaktoren der Vorentwürfe waren sich der unvermeidlichen Lückenhaftigkeit einer zukünftigen Kodifikation des bürgerlichen Rechts bewußt: „Kein Gesetz kann in dem Sinne vollständig sein, daß es für jedes denkbare, in den Rahmen des von ihm behandelten Rechtsstoffes fallende Verhältniß eine unmittelbar anwendbare Norm an die Hand giebt." 1 9 5 An die Spitze des Vorentwurfs zum Allgemeinen Teil meinte der zuständige Redaktor Albert Gebhard dessen eingedenk noch eine ausdrückliche Analogiegestattung stellen zu müssen, 196 die dann in leicht modifizierter Form Eingang in den Ersten Entwurf von 1887 fand: »S1 Auf Verhältnisse, für welche das Gesetz keine Vorschrift enthält, finden die für rechtsähnliche Verhältnisse gegebenen Vorschriften entsprechende Anwendung. In Ermangeschen Obligationenrechtes, Bd. 1, S. XXIII.; hierzu Benöhr, in: Hundert Jahre Schweizerisches Obligationenrecht, S. 60ff. 192 Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, S.229. 193 Als „Grundprinzip des heutigen Obligationenrechts" wurde die „freie Bewegung des Willens" genannt (vgl. Protocolle der Commission zur Ausarbeitung eines allgemeinen deutschen Obligationenrechts, Bd.6, S.4573). Aufschlußreich für das Konsensprinzip z.B. Protocolle der Commission zur Ausarbeitung eines allgemeinen deutschen Obligationenrechtes, Bd. 1, S. 165 f. (zu Art. 86). Die Stelle erhellt, daß das Fehlen einer dem §782 Sachs. BGB entsprechenden Bestimmung keinesfalls als Absage an die für jeden Vertragsschluß erforderliche Willensübereinstimmung der Parteien verstanden werden darf, diese lediglich nicht mehr als besonders hervorhebenswert betrachtet wurde. 194 Dölemeyer, in: Handbuch der Quellen III/2, S. 1584f.; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, S.45; Schlosser, Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, S. 154; ausführlich Hedemann, Dresdner Entwurf, S. 40ff. (Dresdener Entwurf als „Trittbrett bei der Schaffung der deutschen Reichskodifikation", S.46). 195 Gebhard, in: Schubert, Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Allgemeiner Teil 1, S. 101. 196 § 3 des Vorentwurfs zum Allgemeinen Teil, abgedruckt bei Schubert, Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Allgemeiner Teil 1, S. 1.

VI. Die Vertragstypenordnung

des Bürgerlichen

Gesetzbuches

81

lung solcher Vorschriften sind die aus dem Geiste der Rechtsordnung sich ergebenden Grundsätze maßgebend." 1 9 7

Ein direkter Bezug zum Problem der unbenannten Verträge wurde zwar ausweislich der Begründung des Vorentwurfs,198 der Beratungsprotokolle199 und der Motive200 nicht hergestellt. Andererseits liegt es nahe, dieser Bestimmung eine Direktive für die Behandlung gesetzlich nicht geregelter Verträge zu entnehmen, nämlich das Recht u.a. unter Berücksichtigung der für ähnliche Vertragstypen normierten Regeln zu entwickeln. Im Zweiten Entwurf und in der Endfassung ließ man die Vorschrift jedoch wieder fallen. Ihr Regelungsgehalt wurde nunmehr als dem Gesetz selbstverständlich zugrunde liegend und daher einer besonderen Hervorhebung im Gesetz für nicht bedürftig erachtet.201 Die Kübeischen Vorlagen sind getragen von der Einsicht in die „Nothwendigkeit der Autonomie der Person im Privatrecht und der Vertragsfreiheit insbesondere im Verkehrsrecht". Der Person müsse es daher insbesondere gewährleistet sein, sich durch Vertrag beliebig zu verpflichten.202 Der Gegenstand der Vertragsleistung könne im übrigen nach den mannigfachen Gestaltungen und Bedürfnissen des Verkehrs ein sehr verschiedener sein.203 Gründlich bedacht wurde jeweils die Frage, ob bestimmte selten vorkommende Geschäftsformen überhaupt eine eigenständige Regelung erfahren sollten. Die Alternative sah Kübel in der Anwendung allgemeiner Grundsätze, in der Analogie der für verwandte Verträge gegebenen Bestimmungen und in der Ermittlung des Vertragswillens im einzelnen Falle auf dem Wege der Auslegung.204 Für den Trödelvertrag etwa bejahte Kübel in Ubereinstimmung mit dem Sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 1241 ff.) und dem Dresdener Entwurf (Art. 727ff.) ein Regelungsbedürfnis.205 Die Entwürfe und die Gesetz gewordene Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs sparten dagegen den Trödelvertrag aus.206 Die hierzu ge197 Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, §§ 1-240, Teil 2, S. 1192; hierzu auch Raisch, Juristische Methoden, S. 5f. 198 Vgl. Gebhard, in: Schubert, Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Allgemeiner Teil 1, S. 101 ff. 199 Prot I 9; Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, §§1-240, Teil 2, S. 1193. 200 Motive I,S.16f. 201 Prot II 1, 2-Jakobs/Schubert, Beratung des BGB, §§ 1-240, Teil 2, S. 1199. 202 Kübel, in: Schubert, Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Schuldrecht 1, S. 136. 203 Kübel, in: Schubert, Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Schuldrecht 1, S.231. 204 Kübel, in: Schubert, Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Schuldrecht 2, S. 1074. 205 Kübel, in: Schubert, Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Schuldrecht 2, S. 1074ff. 206 Der Grund hierfür wurde zum einen in dem heterogenen Erscheinungsbild der Trödelverhältnisse im Handelsverkehr gesehen, das sich einer Normierung widersetze. Ferner sah man die rechtliche Beurteilung des Trödelvertrages trotz des Verzichts seiner Aufnahme in das Gesetzbuch als nicht mit größeren Schwierigkeiten behaftet an. Aufschlußreich und von allgemeiner Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, wie sich die Entwurfsverfasser die rechtliche Behandlung eines solchen ungeregelten Vertrages vorstellten: „Die Rechtsnormen über Auftrag, Kauf, Verkaufskommission, Dienst- und Werkvertrag und Gesellschaftsvertrag, verbunden mit dem im Einzelfalle zu ermittelnden Parteiwillen, werden regelmäßig die richtige Entscheidung an die Hand geben" (Motive II, S.517). Hierzu auch Charmatz, Vertragstypen, S.230f., 249f.

82

$.3 Historische

Grundlagen

führten Diskussionen lassen erkennen, daß die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches um eine Rückkoppelung mit den damals herrschenden tatsächlichen Verhältnissen bemüht waren,207 die jeweiligen Normierungsentscheidungen somit in erster Linie zeitbedingt zu verstehen sind. Die Motive zum Recht der Schuldverhältnisse im Ersten Entwurf beginnen mit einem Plädoyer für die inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Parteien: „Auch in dem mit einzelnen Rechtsgeschäften sich befassenden Theile des Entwurfs sind selbstverständlich nicht alle denkbaren Verträge normirt. Dies wäre bei der Vielgestaltigkeit der Verkehrsbeziehungen an sich unmöglich. Vermöge des Prinzipes der Vertragsfreiheit, von welchem das Recht der Schuldverhältnisse beherrscht wird, können die Parteien ihre Rechts- und Verkehrsbeziehungen nach ihrem Ermessen mit obligatorischer Wirkung unter sich bestimmen, soweit nicht allgemeine oder bestimmte einzelne absolute Gesetzesvorschriften entgegenstehen." 2 0 8

Es schließt sich an ein kurzer Hinweis auf die Behandlung solcher Verträge, die von dem Entwurf nicht erfaßt werden: „Fehlt es für das in concreto vereinbarte obligatorische Rechtsverhältnis an einer dasselbe unmittelbar deckenden N o r m im Gesetzbuch, so muß, in Ermangelung spezieller Regelung durch die Parteien, die Analogie Platz greifen." 2 0 9

An anderer Stelle heißt es hierzu, in diesem Falle müßten „die für die verschiedenen Arte(n) von Verträgen gegebenen Vorschriften in Verbindung mit einander zur Anwendung kommen. " 210 In eine andere Richtung deutet wiederum die Aussage in den Motiven, „daß sich das juristische Wesen eines Vertrages nach dem Hauptgegenstand desselben bestimmt".2n Konkreter Festlegungen zur rechtlichen Beurteilung solcher atypischer Verträge enthält sich der Erste Entwurf und ihm weitgehend folgend auch die Endfassung. Die Problematik wurde zwar ausweislich der Motive im Einzelfall ansatzweise erkannt, jedoch bewußt nicht entschieden, sondern der fortschreitenden Wissenschaft und Praxis überantwortet.212 Vergebens sucht man in den Motiven auch nach grundsätzlichen Aussagen zur Bedeutung der normativen Vertragstypenordnung und ihres Verhältnisses zur privatautonomen Regelung.213 Das deutet darauf hin, daß die Entwurfsverfasser diese Rechtsfragen für geklärt hielten, und zwar im Sinne der pandektistischen Doktrin vom Vorrang des Parteiwillens und der bloß ergänzenden Reservefunktion des gesetzlichen Vertragsrechts.

207 208 209 210 211 212 213

Schwark, Rechtstheorie Bd.9 (1978), 82f.; ders., JZ 1980, 745. Motive II, S.2. M o t i v e l l , S. 2. M o t i v e l l , S.321. M o t i v e l l , S.476. Vgl. z.B. Motive II, S.321 und S.372. Charmatz, Vertragstypen, S.229.

VI. Die Vertragstypenordnung

b)

des Bürgerlichen

Gesetzbuches

83

Stellungnahmen

Die Entscheidung der Ersten Kommission für die Vertragsfreiheit als konstituierendes Prinzip des Rechts der vertraglichen Schuldverhältnisse ist in den zahlreichen Stellungnahmen aus Wissenschaft und Praxis nicht unwidersprochen geblieben. Aus dem Kreis der Kritiker ragen insoweit von Gierke und

Menger heraus.214

Gierke215 äußerte die Ansicht, der Entwurf übertreibe das Prinzip der Vertragsfreiheit auf dem Gebiete des Obligationenrechts. Ferner rügte von Gierke2U, daß das Vertragsschema des Entwurfs in mancher Beziehung unvollständig sei. Abgesehen von dem Verlagsvertrag und dem Versicherungsvertrag hätten auch andere praktisch wichtige Vertragsarten mit durchgehend ausgeprägtem Typus nicht völlig übergangen werden dürfen, am wenigsten solche modernen Verkehrsgeschäfte, bei denen eine einfache Verweisung auf das Prinzip der Vertragsfreiheit der Ausbeutung des Schwachen durch den Starken Tür und Tor öffne. Auch Menger217 beanstandet, daß auf dem die besitzlosen Klassen besonders interessierenden Gebiete der Schuldverhältnisse, auf welchem vorzüglich der Zusammenstoß der wirtschaftlichen Interessen zwischen den besitzenden und besitzlosen Klassen erfolge, das Prinzip der Vertragsfreiheit anerkannt sei und dadurch - das sei der wahre Grund des Prinzips - den besitzenden Klassen bei der Erhebung des arbeitslosen Einkommens freie Hand gelassen werden solle. Der Hinweis auf die individuelle Natur der Verkehrsbedürfnisse vermöge das Prinzip der vollen Vertragsfreiheit auf dem Gebiete des Obligationenrechts nicht zu rechtfertigen. In Wirklichkeit hätten die Verkehrsbedürfnisse in der Zeit der Massenproduktion und Nivellierung aller Lebensverhältnisse einen schablonenhaften Charakter. Das Interesse der besitzlosen Klassen erheische es, daß die Gesetzgebung (wie im Sachen- und Familienrecht) auch für die wichtigeren Vertragsverhältnisse einen typischen Inhalt festsetze, innerhalb dessen die freie Willkür der Beteiligten sich zu bewegen habe. Diese Bestimmung eines festen und unantastbaren Bestandes, gleichsam als Minimum von Wohlwollen und Menschlichkeit in den Verkehrsbeziehungen der Staatsbürger, sei namentlich bei jenen Vertragsverhältnissen unerläßlich, welche, wie der Lohnvertrag, regelmäßig zwischen wirtschaftlich sehr starken und sehr schwachen Personen abgeschlossen würden. Zum B G B und seinen Kritikern jetzt Schwab, Z N R 2000, 325ff. Gierke, Entwurf, S. 103ff., 192ff.; ders., Verhandlungen des 20. D J T 1889, Bd. 4, S.60ff. 2,6 Gierke, Entwurf, S.99ff., 258ff. 217 Menger, Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, S. 151. Zeitlich später (1913), wenngleich nicht weniger eindringlich Max Weber, Rechtssoziologie, §2 a.E., S.205: „Denn die formal noch so große Mannigfaltigkeit der zulässigen Kontraktschemata und auch die formale Ermächtigung, nach eigenem Belieben unter Absehen von allen offiziellen Schemata Kontraktinhalte zu schaffen, gewährleistet an sich in keiner Art, daß diese formalen Möglichkeiten auch tatsächlich jedermann zugänglich seien. Dies hindert vor allem die vom Recht garantierte Differenzierung der tatsächlichen Besitzverteilung." 214 215

84

§3 Historische

Grundlagen

Die Klagbarkeit aller Verträge, auch der unbenannten, war bereits allgemein anerkannt und bedurfte im Entwurf auch keiner besonderen Erwähnung mehr. Sie war eine zwingende Folge der im Recht der Schuldverhältnisse zugrunde gelegten Vertragsfreiheit und des Konsensprinzips. In den gutachtlichen Äußerungen findet sich hierzu auch kein nennenswerter Widerspruch mehr. 218 Im übrigen finden sich auch in zeitgenössischen Kritiken zum Ersten Entwurf keine grundsätzlichen Auseinandersetzungen mit der Bedeutung und Funktion der zu kodifizierenden Vertragstypen. 219

4. Der Zweite Entwurf von 1895 - Protokolle Der 1895 vorgelegte Zweite Entwurf bestätigte zunächst den Vorgängerentwurf insofern, als er trotz der vorgebrachten Kritik weiterhin am Postulat der Vertrags- und Typenfreiheit im Schuldrecht festhielt. Daß die zu kodifizierenden Vertragstypen keinen numerus clausus bilden sollten, erhellt auch eine Textstelle aus den Protokollen, 220 in der es heißt, die Vertragsfreiheit müsse gemäß ihrer Bestimmung, den Interessen der Einzelnen zu dienen, auch einen Vertrag von ungewöhnlichem Inhalt gestatten. Im Gegensatz zum Ersten Entwurf, der sich auf die Aufstellung der allgemeinen Nichtigkeitsgründe des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 105) und gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung (§ 106) beschränkte, verankerte der Zweite Entwurf aus sozialen Erwägungen zwingende Schutzvorschriften auch in einzelnen Vertragstypen des besonderen Schuldrechts. Betroffen waren hiervon vor allem das Miet- und Dienstvertragsrecht. 221 Charmatz222 hat in Ansehung dessen die These vertreten, die Bedeutung der Vertragstypen habe innerlich im Laufe der Beratung eine grundlegende Änderung erfahren. „Begriff" bzw. „Tatbestand" und „Rechtsfolge" seien in ein engeres Verhältnis gerückt worden, die Abgrenzungsproblematik habe an Bedeutung gewonnen. 223 Die neuen N o r m e n würden auch nicht mehr nur den mutmaßlichen Willen der Parteien wiedergeben, sondern seien Ausdruck der vom Gesetzgeber ohne Rücksichtnahme auf den typischen Parteiwillen getroffenen Interessenwertungen.

218 Als krasse Außenseitermeinung ist die von Bernhöst (Beiträge, Heft 12 S. 64ff.) erhobene Forderung zur Rückkehr zum römischen Kontraktsystem und zur beschränkten Klagbarkeit der Innominatkontrakte zu werten. 219 Charmatz, Vertragstypen, S.229. 220 Protokolle I, S. 281. 221 Im Bürgerlichen Gesetzbuch waren es vor allem die §§ 544, 619, die im Grunde selbstverständlichen §§476, 540, 637 sowie aus dem allgemeinen Schuldrecht §276 Abs. 2 (vgl. Esser/ Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 10 II, S. 165). 222 Charmatz, Vertragstypen, S.226, 348ff. 223 Kritisch zu Charmatz' rechtstheoretischen Ausführungen Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 131 ff.

VI. Die Vertragstypenordnung

des Bürgerlichen

Gesetzbuches

85

In der Tat wurde im Zweiten Entwurf die bereits in den Schriften Bülows und Stammlers vorgezeichnete Ordnungsfunktion der normativen Vertragstypenordnung stärker akzentuiert und als Mittel des Sozialschutzes erkannt. 224 Es handelte sich entgegen Charmatz jedoch nicht um einen Bedeutungsœwwi/e/, sondern um einen Funktionsz«WÄc/?s.225 Die verkehrserleichternde Reservefunktion blieb daneben unangetastet weiter bestehen. Ferner wird man sagen müssen, daß Charmatz die Hinzufügung einiger weniger 226 zwingender Vorschriften in das Miet- und Dienstvertragsrecht doch deutlich überbewertet hat. 227 Auch der Zweite Entwurf steht hinsichtlich der Grundvorstellungen von Funktion und Bedeutung der normativen Vertragstypenordnung in der Tradition der naturrechtlichen Kodifikationen des beginnenden 19. Jahrhunderts und vor allem der Pandektenwissenschaft. 228

5. Die Gesetz gewordene

Fassung von 1896

Der endgültige Gesetzestext weist gegenüber dem Zweiten Entwurf in den hier interessierenden Punkten keine nennenswerten Änderungen mehr auf. Im Sinne einer zusammenfassenden Würdigung sind folgende Punkte hervorzuheben:

a) Anerkennung

der schuldrechtlichen

Vertragsfreiheit

in §305

BGB

Wie schon in den Entwürfen hat sich der Gesetzgeber nicht entschließen können, 229 den sein Schuldrechtskonzept tragenden Grundsatz der Vertrags224 Deutlich formulierte diesen Anspruch der Generalreferent der Zweiten - 1890 eingesetzten - Kommission Planck'. „Auf jeder Zeile des Obligationenrechtes finden Sie die Spur, daß der Entwurf sucht gerecht zu sein und, soweit es mit Gerechtigkeit und Billigkeit vereinbar ist, den ... wirtschaftlich Schwachen zur Hülfe zu kommen." (Mugdan I, S. 885). 225 Wie hier Sigalla, Vertragstypologie und Gesetzesleitbilder, S. 98, der von einer „gesteigerten Bedeutung" der Vertragstypen, spricht, die „zusätzlich eine Ordnungsfunktion erhalten" hätten. 226 Dies betont auch Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 IV 4, S. 155. 227 H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 33 spricht von „Randkorrekturen". Wie unter IV. 1. ausgeführt, war diese gesetzestechnische Variante im übrigen nicht ohne Vorbild und daher keineswegs revolutionär. Richtig Staudinger-ScWosser, Einl. zum A G B G Rdnr. 2, der von einer „- auch rechtsvergleichend - unerhörte(n) Zurückdrängung des zwingenden Rechts im B G B " spricht. 228 Ahnlich in der Bewertung Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 I, S. 16, der das Bürgerliche Gesetzbuch ebenfalls in eine Linie mit den naturrechtlichen Kodifikationen stellt und überdies bemerkt, daß der BGB-Gesetzgeber im besonderen Teil des Schuldrechts mit den dort geregelten Vertragstypen zuvörderst eine dispositive „Mustersammlung" habe konzipieren wollen, die die Beurteilung der einzelnen Vertragsschlüsse erleichtern solle. 229 Nach Hedemann, Fortschritte des Zivilrechts im X I X . Jahrhundert, I, S. 16 hat er es sogar „ängstlich vermieden". Anders Art. 19 Abs.l des Schweizerischen Obligationenrechts: „Der Inhalt des Vertrages kann innerhalb der Schranken des Gesetzes beliebig festgestellt werden."

86

§3 Historische

Grundlagen

freiheit auch positiv auszudrücken. Als gesetzlicher Anknüpfungspunkt bleibt nur der ausdrucksschwache §305 BGB, wonach zur Begründung und Inhaltsänderung eines Schuldverhältnisses ein Vertrag erforderlich ist. Vor der aufgezeigten Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuches und den in den Materialien zum Ausdruck gelangten Intentionen der Gesetzesverfasser erscheint es zutreffend, die schuldrechtliche Vertragsfreiheit als in dieser Vorschrift vorausgesetzt und damit anerkannt anzusehen.230 So konstatierte von Tuhr bald nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches, das Bürgerliche Recht gehe „von der Anschauung aus, daß die Rechtsverhältnisse der Einzelnen am zweckmäßigsten von ihnen selbst geordnet werden, und gestattet daher in weitgehendem Maße den beteiligten Personen, maßgebende Bestimmungen für ihre Rechtsverhältnisse zu treffen".231 Schuldrechtliche Vertragsfreiheit in diesem Sinne ist umfassend zu verstehen als „von der Rechtsordnung zugelassene und sanktionierte Möglichkeit, schuldrechtliche Beziehungen frei, d.h. ausschließlich unter Beachtung der Regeln über Willenserklärungen und Konsens zu begründen."232 Im einzelnen umfaßt die Vertragsfreiheit die Abschlußfreiheit einschließlich der Kontrahentenwahlfreiheit, die Beendigungsfreiheit und die Freiheit der inhaltlichen Gestaltung.233 Die inhaltliche Gestaltungsfreiheit bedeutet, daß der Parteiwille über den Vertragsinhalt entscheidet, die Parteien mithin die ihre Rechte und Pflichten festlegende lex contractus nach ihrem Belieben formen können. An die normativen Vertragstypen sind sie dabei grundsätzlich nicht gebunden (Typenfreiheit).234 D.h. sie können die gesetzlich normierten Vertragstypen modifizieren, mischen und sich sogar vollständig von ih-

Ferner Art. 1322 Abs. 2 des italienischen Codice civile, der die Freiheit des vertraglichen Abgehens von den gesetzlich geordneten Typen ausdrücklich ausspricht: „Le parti possono anche concludere contratti che non appartengono ai tipi aventi una disciplina particolare, purché siano diretti a realizzare interessi meritevoli di tutela secondo l'ordinamento giuridico ". Sehr klar zur Zulässigkeit von Innominatverträgen auch Art. 405 des portugiesischen Codigo civil: „(1) Dentro dos limites da lei, as partes tèm a faculdade de fixar livremente o contuédo dos contratos, celebrar contratos diferentes dos previstos neste código ou incluir nestes as clausulas que Ihes aprouver. (2) As partes podem ainda reunir no mesmo contrato regras de dois ou mais negocios, total ou parcialmente regulados na lei. " 230 Aus dem älteren Schrifttum vor allem Siber, JherJb 70 (1921) S.226ff. und ders., Schuldrecht, S. 177. Von den neueren Darstellungen statt vieler Soergel-Wolf, § 305 BGB Rdnr. 3; Jauernig- Vollkommer, §305 BGB Rdnr. 2; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 I, S. 18. Aus der Rechtsprechung etwa BGHZ 70, 356 (360). Für die Vertragsfreiheit in Gestalt der vertraglichen Inhaltsfreiheit wird man zusätzlich auch auf §241 BGB rekurrieren können (vgl. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, S. 65). Hiernach kann sich der Schuldner zu einer beliebigen Leistung verpflichten. 231 von Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, II 1, S. 143. 232 Dilcher, NJW 1960, 1040; ähnlich Larenz, Schuldrecht I, §4, S.40f. 233 Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 I, S. 17; Medicus, Schuldrecht I, Rdnr.64ff.; Larenz, Schuldrecht I, § 4, S. 41 f.; H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 24; Busche, Privatautonomie und Kontrahierunszwang, S. 67ff. 234 MünchKomm-Sö/foer (2. Aufl.), §305 BGB Rdnr. 3; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 94.

VI. Die Vertragstypenordnung

des Bürgerlichen

Gesetzbuches

87

nen lösen. 235 §305 B G B als Norm des allgemeinen Schuldrechts läßt sich von daher auch gesetzliche „Ermächtigungsgrundlage" für eine beliebige inhaltliche Ausgestaltung der vertraglichen Schuldverhältnisse durch die Parteien begreifen. 236 Einer eingehenden Regelung der Vertragstypen im besonderen Schuldrecht hätte es angesichts der Entscheidung für den Parteiwillen als maßgebliches Gestaltungsinstrument rein theoretisch nicht bedurft. 237 Der BGB-Gesetzgeber sah sich jedoch in der Tradition des römischen Rechts und der nachfolgenden Kodifikationen, die allesamt auf eine normative Vertragstypenordnung nicht verzichtet haben. Außerdem wollte man bei den besonders gängigen und wichtigen Vertragsverhältnissen ein Mindestmaß an Verkehrssicherheit gewährleisten. Unter diesem Gesichtspunkt hielt man es für „unzweckmäßig", alles der freien Parteiverabredung zu überlassen. 238 Beide Grundentscheidungen, einerseits inhaltliche Gestaltungsfreiheit, andererseits Zurverfügungstellung einer den überkommenen Obligationstypen entsprechenden gesetzlichen Regelung, standen nach allgemeiner Ansicht nicht in einem Konfliktververhältnis, 239 sondern in einem eindeutigen Rangverhältnis: maßgeblich und vorrangig ist die privatautonom gesetzte Regelung; nur vorsorglich steht die gesetzliche Regelung bereit, um von den Parteien evtl. ungeregelt gelassene Punkte oder Teilbereiche auszufüllen.

b) Fehlen grundsätzlicher Aussagen zur Bedeutung der Vertragstypenordnung und zur Behandlung gemischter Verträge Das Bürgerliche Gesetzbuch hat zwar mit dem Werklieferungsvertrag (§651 BGB) 2 4 0 und dem Dienst- oder Werkvertrag mit Geschäftsbesorgungscharakter (§ 675 BGB) 2 4 1 , später kam noch der Dienstmietvertrag (§ 565e BGB) 2 4 2 und der Reisevertrag (§§651a ff. B G B ) hinzu, punktuell Vertragstypen angesprochen, die sich aus Elementen mehrerer überkommener Vertragstypen zusammensetzen. Eine generelle Anweisung für die rechtliche Behandlung ähnlich gelagerter 235 In bezug auf die letztgenannte und weitestgehende Möglichkeit spricht man auch plastisch von einem „Vertragserfindungsrecht" der Parteien (z.B. H. Roth, AcP 190 [1990], S.309). Folge sind „gesetzesunabhängige" Entwicklungen (Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 597). 236 So z.B. Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 11.1., S. 3 Fn. 18; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 30. 237 Mit dieser Extremposition hatte sich bereits von Zeiller (in: Ofner, Ur-Entwurf und die Berathungs-Protokolle des Oster. ABGB, II, S.2f.) auseinandergesetzt. 238 So Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, II, S. 396. 239 Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, II, S. 396; in diesem Sinne rückblikkend auch Dilcher, NJW 1960, 1040. 240 „Positivierter Typenkombinationsvertrag", so Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.20; vgl. auch Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V 1, S. 159. 241 „Typenverschmelzungsvertrag" vgl. Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 591; Staudinger-Martinek, §675 BGB Rdnr. A 37ff. spricht demgegenüber von einem „eigenständigen Rechtsstrukturtyp". 242 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 II 2, S.48 und ausführlich Gaßner, AcP 186 (1986), S. 325 ff.

88

53 Historische

Grundlagen

Fälle läßt sich dem jedoch nicht entnehmen. Vielmehr gilt die Feststellung, daß das Bürgerliche Gesetzbuch eine grundsätzliche Stellungnahme zum Problem der Vertragstypen vermissen läßt.243 Dieser Mißstand ist auch recht bald nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches erkannt und z.B. von Rabel wie folgt zur Sprache gebracht worden: „Die Lehre von den Rechtshandlungen und das Problem der gemischten Verträge vermochte noch das deutsche B G B nicht zu bewältigen, es bleibt bei den bloss vermehrten und umgebildeten Vertragstypen stehen." 244 Ob die gesetzgeberische Zurückhaltung auf einer Uberschätzung der klassifikatorischen Leistungen der Pandektistik245 oder aber - und hierfür sprechen die Motive - 246 auf einer einsichtsvollen Selbstbescheidung beruht, mag unentschieden bleiben. Jedenfalls führte gerade das Phänomen der gemischten Verträge in all ihren Erscheinungsformen zu einer lebhaften Debatte in der zeitgenössischen Literatur,247 deren Ergebnisse nicht vorwegzunehmen der Gesetzgeber gut beraten war. c) Funktion

des dispositiven

Gesetzesrechts

nach

Ehrlich

Das Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches regte auch neuerliche Überlegungen zur Funktion der dispositiven Gesetzesvorschriften an.248 Vorherrschend blieb zwar weiterhin das in der Tradition von Savignys und der Pandektenwissenschaft stehende Grundverständnis, das von Tuhr nochmals wie folgt zusammenfaßte: Den nichtzwingenden Vorschriften komme nur die Wirkung zu, „die meist unvollständige Parteiabredung durch Festsetzung von Nebenwirkungen auszugestalten."249 Die Beschreibungen wurden nun komplexer, stellten durchweg mehrere Zwecke in Rechnung. Hervorzuheben sind insbesondere die Ausführungen Ehrlichs in seiner grundlegenden Monographie über Sehr vorwurfsvoll aus diesem Grunde Charmatz, Vertragstypen, S. 227. Zitiert nach Charmatz, Vertragstypen, S. 227; zustimmend Jung, in: Das gesamte Deutsche Recht, §140, S. 786. 245 So Charmatz, Vertragstypen, S. 229 und im Anschluß an ihn H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 97. 246 Vgl. vor allem Motive II, S.2, 321 und 372. 247 v. Blociszewski, Die Vermengung der Vertragstypen; Charmatz, Vertragstypen; Fischer, Gegenseitige Verträge mit Typenvermengung; Frankel, Zwitterverträge; Hoeniger, Vorstudien zum Problem der gemischten Verträge; ders. Die gemischten Verträge in ihren Grundformen; ders., DJZ1913,263 ff.; Kohlrausch, Uber das Problem der gemischten Verträge; Lotmar, Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reichs, Bd. 1, S. 182ff.; Mauritz, Der gemischte Vertrag; v. Meerscheidt-Hüllessem, DJZ 1910, 854ff.; Ochs, Die Theorie des gemischten Vertrages unter kritischer Würdigung des heutigen Standes der Lehre; Rössler, Doppeltypische Verträge; Schreiher, JherJb 60 (1912), 106ff.; Sterner, Methode der Übertragung von Normen des besonderen Teils des Rechts der Schuldverhältnisse auf gemischte Verträge; Tillmann, Die rechtliche Behandlung des gemischten Vertrages; Treichler, Doppeltypische Verträge; Witting, Stellung des §651 BGB zur Lehre von den gemischten Verträgen. 243

244

248 Vgl. z.B. Auerbach, Dispositives Recht insbesondere des BGB (1900); Vocke, Auslegungsregel und subsidiärer Rechtssatz (1909). 249 von Tuhr, Allgemeiner Teil II/l, S. 180.

VII.

Weiterungen

des Disputs um die Bedeutung

des dispositiven

Gesetzesrechts

89

das zwingende und nichtzwingende Recht.250 Hiernach ist der Zweck dieser Bestimmungen, die richterliche Willkür zu binden, ein klares, von jedermann vorhersehbares, in gleichen Fällen gleichartiges Recht zu schaffen, den Interessen der Parteien den Schutz angedeihen zu lassen, den sie zu erwarten Grund haben, und schließlich auf gesellschaftliche Gestaltungen Einfluß zu nehmen. Für die Rechtsfindung zieht Ehrlich daraus den Schluß, daß, soweit der Wille der Parteien mit Sicherheit festgestellt werden könne, sich der Richter daran zu halten habe, während ihm im Zweifelsfalle der Wortlaut des Gesetzes das Geleit geben solle. Die Widerstandsfähigkeit eines gesetzlichen Rechtssatzes gegenüber dem Parteiwillen hänge im übrigen von seinem im Einzelfall zu ermittelnden Zweck ab. Die Abstufung verläuft von dispositiven Rechtssätzen i.e.S., über Auslegungsregeln, ergänzende Vorschriften, fürsorgende Rechtssätze, kodifizierte Verkehrssitten, im öffentlichen Interesse gebotene Rechtssätze bis hin zu solchen Bestimmungen, die die Ausübung oder Geltendmachung rechtsgeschäftlicher Ansprüche regeln.

VII.

Weiterungen des Disputs um die Bedeutung dispositiven Gesetzesrechts

des

Der im 19. Jahrhundert zutage getretene Gegensatz in der Beurteilung der inhaltlichen Qualität des ius dispositivum ist zwar durch die Schrift Ehrlichs nicht überwunden worden, wohl aber verlagerte sich die Diskussion hin zu konkreteren - auch praktisch bedeutsameren - Fragestellungen. Die unterschiedliche Grundeinschätzung des dispositiven Rechts wirkte hierbei unterschwellig fort, wenngleich es schwer fällt, eindeutige Verbindungslinien zu ziehen. Vor allem ging es um die Bestimmung des Verhältnisses des dispositiven Rechts zur ergänzenden Vertragsauslegung und zu abweichenden Verkehrssitten.

1. Dispositives

Gesetzesrecht

und ergänzende

Vertragsauslegung

Zunächst wurden Funktion und Reichweite des dispositiven Rechts dort berührt, wo es darum ging, den methodischen Weg auszuarbeiten, auf dem Lükken im Vertragswerk der Parteien zu schließen sind. Hier stellte sich die Frage, wie weit die von den Parteien kraft der Privatautonomie gesetzte individuelle vertragliche Regelung erstreckt werden kann. Wo endet also die Auslegung und wo beginnt das Gebiet der Gesetzeswirkungen in Form dispositiven Rechts? Hierüber hatte man sich bereits im gemeinrechtlichen Schrifttum Gedanken gemacht.251 Einer subjektivistischen Betrachtungsweise, die die notwendige ErEhrlich, Das zwingende und nichtzwingende Recht, S. 42. Umfangreiche Nachweise bei Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 154ff., bei Sandrock, Ergänzende Vertragsauslegung, S. 34 sowie bei Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S.392f. 250

251

90

§3 Historische

Grundlagen

gänzung als Auslegung der wirklichen oder stillschweigenden Willenserklärung ausgab, 2 5 2 stand die objektivistische Anschauung gegenüber, nach der sich gerade hier die suppletorische F u n k t i o n des dispositiven R e c h t s aktualisiere, die E r gänzung mithin dem G e s e t z zu entnehmen sei. 253 Später wurde der U n t e r s c h i e d zwischen Auslegung und E r g ä n z u n g sogar gänzlich in A b r e d e gestellt. 2 5 4 N e u e n Auftrieb erhielt die D i s k u s s i o n vor allem durch das 1914 erschienene W e r k Oertmanns „ R e c h t s o r d n u n g und Verkehrssitte". 2 5 5 Oertmann bemühte sich u m die Begründung einer dritten, mittleren Auffassung. D i e s e stützte er in erster Linie auf die später v o n zahlreichen A u t o r e n ü b e r n o m m e n e A n n a h m e , die D i s p o s i t i v n o r m e n richteten sich i m m e r nur nach der typischen, durchschnittlichen Interessenlage. D a s besondere Interesse k ö n n e aber sehr w o h l v o n dieser schematischen Interessenabwägung abweichen. D i e gesetzlichen R e g e lungen individualisierten nicht genug, am allerwenigsten im Sinne der weitgehenden A n f o r d e r u n g e n , die unsere Zeit an die besondere Behandlung des besonderen Falles stelle. U m sie zu ermöglichen, bedürfe es eines ungleich beweglicheren F a k t o r s . D i e s e n biete die ergänzende Auslegung des individuellen Parteiwillens. Dieser die ergänzende Vertragsauslegung zulassende und ihr breiten R a u m gewährende Standpunkt ist später v o n Larenz25b gegen die objektivistische K r i tik Franz Leonhards257 verteidigt, dabei allerdings insoweit etwas enger gefaßt w o r d e n , als die Vertragsergänzung im Wege der Auslegung regelmäßig nur dort Platz greife, w o es sich u m einen gesetzlich nicht geregelten oder sonstwie durch eine besondere Interessenlage gekennzeichneten Vertrag handele. F ü r die typischen Fälle hingegen verlange die v o m G e s e t z b e z w e c k t e gleichmäßige B e h a n d lung gleichartiger Fälle den Vorrang des dispositiven Gesetzesrechts v o r der ergänzenden Vertragsauslegung. Festzuhalten ist, daß das Verständnis v o n der F u n k t i o n des dispositiven R e c h t s diesen Meinungsstreit erheblich beeinflußt hat. D a b e i läßt sich mit aller Vorsicht sagen, daß diejenigen, die dem dispositiven Gesetzesrecht eine weiter-

252 Z.B. Rudolf Leonhard, Irrtum als Ursache nichtiger Verträge, Erster Teil, S. 235ff. Der Zusammenhang zu der These, der ganze Inhalt der gesetzlichen Dispositivregeln sei im Grunde auf den Parteiwillen zurückzuführen, ist offensichtlich. Besonders deutlich übrigens bei Brinz, Lehrbuch der Pandekten II, §338, S. 1505ff. 253 Insbesondere Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, III, S. 253,255; Hartmann., AcP 72, 173. 254 So von Danz, DJZ 1908, 31; ders., Auslegung der Rechtsgeschäfte, S. 75, 194 und Titze, Lehre vom Mißverständnis, S.481, 485ff.; ders., Richtermacht und Vertragsinhalt, S. 14ff. 255 Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 151 ff.; in die gleiche Richtung zielten bereits die Ausführungen von Rumpf, Gesetz und Richter, S. 176ff., der von „individualisierender Auslegung" sprach, die einer übertriebenen Wertschätzung bestimmter gesetzlicher Geschäftstypen entgegenwirken sollte; vgl. ferner auch Zitelmann, Die Rechtsgeschäfte im Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Teil I, S. 95f. 256 Larenz, Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, S.92ff., präzisiert später in N J W 1963, 737ff. 257 Franz Leonhard, AcP 120 (1922), S. 14 ff.

VII. Weiterungen des Disputs um die Bedeutung des dispositiven Gesetzesrechts

91

gehende Ordnungsfunktion zuschreiben, auch einer stärkeren Berücksichtigung der nicht zwingenden Vorschriften bei der Vertragsergänzung zuneigen. 2. Dispositives

Gesetzesrecht

und ergänzende

Verkehrssitten

Mit diesem Problemkreis eng verflochten war eine weitere Streitfrage, die ebenfalls den Bedeutungsgehalt und Geltungsanspruch des dispositiven Rechts berührte. Zur Diskussion stand die Konstellation, daß um die Ergänzung eines lückenhaften Vertrages eine einschlägige Vorschrift des dispositiven Rechts und eine hiervon abweichende geschäftliche Übung konkurrieren, die in dem Verkehrskreis, dem das Rechtsgeschäft unterfällt, anerkannt und befolgt wird. Setzt sich also - um eine schon damals umstrittene Frage herauszugreifen ein Handelsbrauch des Inhalts, daß der Makler den Provisionsanspruch nicht schon bei Abschluß, sondern nur bei Ausführung des vermittelten Vertrages erwirbt, gegenüber der dispositiven Vorschrift des §652 BGB durch?258 Daß es sich hierbei um keine Rechtsnormenkollision handelt, war bereits Anfang des Jahrhunderts ganz herrschende Meinung, hatte sich doch die Ansicht durchgesetzt, daß den Verkehrssitten keine Rechtsnormqualität zuerkannt werden könne.259 Ferner wurde zu dieser Zeit schon deutlich gesehen, daß den allgemeinen und kaufmännischen Verkehrssitten auch eine vertragsergänzende Funktion zukommt.260 Bestätigt wurden diese Grundprämissen durch die Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (§157) und im Handelsgesetzbuch (§346). Umstritten blieb, ob die Ergänzungsfunktion der Verkehrssitten dort zu enden habe, wo das nachgiebige Gesetzesrecht eine Regelung bereit hält. Während die Rechtsprechung des Reichsgerichts in dieser Frage uneinheitlich war,261 erkannte die wohl überwiegende Meinung im Schrifttum die derogatorische Kraft der Verkehrssitten und Handelsbräuche gegenüber dem abdingbaren Rechtssatz an.262 Verschiedene Begründungsansätze lassen sich nachweisen. Recht häufig wurde in dem Umstand, daß eine Norm in den betreffenden 258 Entschieden dann durch BGH NJW 1966,502 im Sinne des Vorrangs des Handelsbrauchs. Weitere Praxisbeispiele bei Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 318 ff. 259 RGZ 55, 377; Düringer/Hachenburg-Gri/er, Bandl (3. Aufl. 1930), Allg. Einleitung, Anm. 7; Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.347ff.; Schreiber, Handelsbräuche, S. 48; Rehme, in: Ehrenberg, Handbuch des gesamten Handelsrechts I, S. 273; a.M. Danz, Auslegung der Rechtsgeschäfte, S. 128ff.; für Identifizierung von Verkehrsitten und Gewohnheitsrecht Raiser, Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 82 ff. 260 Vgl. schon Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, §35 Anm. 28b; ferner Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 306ff.; Düringer/Hachenburg- Werner (3. Aufl. 1932), § 346 HGB Anm. 8; Rehme, in: Ehrenberg, Handbuch des gesamten Handelsrechts I, S.273. 261 Für Vorrang des Handelsbrauchs RG JW 1927, 764, RG JW 1924, 814 (815) und RGZ 112, 149 (151); zugunsten des dispositiven Rechts dagegen RGZ 135, 339 (345). 262 Danz, Auslegung der Rechtsgeschäfte, S. 141 ff., Stammler, Schuldverhältnisse, S. 48f.; Deparade, Die Kodifikation von Handelsgebräuchen, S.42ff.; Düringer/Hachenburg-Geiler, Band 1 (3. Aufl. 1932), Allg. Einleitung Anm. 7; Wendt, AcP 100 (1906), S. 105; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, S.272f.

92

§3 Historische

Grundlagen

Kreisen nicht praktiziert wurde, bereits eine Rechtfertigung erblickt, um im Wege der Auslegung des Erklärungstatbestandes eine A b d i n g u n g anzunehmen. 2 6 3 Z u r Begründung wurde ferner angeführt, die Verkehrssitte stelle die speziellere und sachangemessenere Regelung dar. D e r Vorrang dispositiven R e c h t s würde einer gesunden R e c h t s a n w e n d u n g auf der Grundlage der Billigkeit widerstreiten. 2 6 4 A u c h lasse der an die Spitze des Schuldrechts gestellte § 2 4 2 B G B eine solche B e s c h r ä n k u n g der Verkehrssitten nicht erkennen. 2 6 5 D i e G e g e n m e i n u n g berief sich z u m einen auf die Autorität des Gesetzes als staatliches Mittel zur O r d n u n g des Verkehrslebens. 2 6 6 F e r n e r wurde der W e r t gehalt auch des dispositiven Gesetzesrechts hervorgehoben. V o r allem Oertmann2blgelang in diesem Z u s a m m e n h a n g eine die weitere E n t w i c k l u n g prägende Charakterisierung der dispositiven N o r m e n der Privatrechtsordnung. Sie stellten einen v o m G e s e t z g e b e r w o h l e r w o g e n e n K o m p r o m i ß dar zwischen dem Gegensatz der bei diesem und j e n e m Geschäft typisch beteiligten Parteiinteressen, die damit tunlichst gerecht geschlichtet werden sollten. So sei der rechtspolitische, besonders soziologische Wert der gesetzlichen Ergänzungsregeln dem Werte dessen, was aus der Verkehrssitte e n t n o m m e n werden dürfe, durchschnittlich entschieden überlegen. In dieser frühen Schrift w a r mithin die Idee v o n der Leitbildfunktion des dispositiven R e c h t s als gerechtem Ausgleich typischer Interessengegensätze bereits angelegt. E i n weiterer, später v o n Raiser268 für das R e c h t der Allgemeinen G e s c h ä f t s b e dingungen aufgegriffener Vorschlag ging dahin, zwischen solchen R e c h t s s ä t z e n zu unterscheiden, die gegenüber jeder A b w e i c h u n g zurückträten u n d solchen, die zwar durch individuelle A b r e d e , nicht aber durch generelle Sätze eines H a n delsbrauchs zu verdrängen seien. 2 6 9 In erkennbarem Z u s a m m e n h a n g mit der F o r t e n t w i c k l u n g und Ausdifferenzierung des Leitbildgedankens v e r m o c h t e sich in der Folgezeit eine vermittelnde A n s i c h t zum Verhältnis zwischen Verkehrssitte und abdingbarem R e c h t zu etablieren. 2 7 0 H i e r n a c h soll es entscheidend darauf a n k o m m e n , welchen Z w e c k der G e s e t z g e b e r mit einem nachgiebigen Rechtssatz verfolge. Solle nur eine

263 Z.B. Rehme, in: Ehrenberg, Handbuch des gesamten Handelsrechts I, S. 273; so auch übrigens heute wieder Canaris, Handelsrecht, §24 Rdnr.36. 264 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, S.272f. 265 Danz, JherJb 38 (1898), S.463; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, S.272f. 266 EIJYIIQ})^ D a s zwingende und nichtzwingende Recht, S.96; K. Schneider, JherJb 59 (1911), S.383ff. 267 Oertmann, Verkehrssitte und Rechtsordnung, S. 325ff. (insbes. S.332). 268 Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 294. 269 Nußbaum, HansRZ 1922, 647 und ihm folgend Klausing, ZHR 87 (1924), 198ff., insbes. S.201. 270 Andeutungsweise bereits Schreiber, Handelsbräuche, S. 48ff., insbes. S. 63ff.; Gallois, NJW 1954,293ff.; ders., JR 1956,409; heute etwa vertreten von Gierke/Sandrock, Handels- und Wirtschaftsrecht I, §3 III 1 d, S. 40; Schlegelberger-Z/e/ermeW, §346 HGB Rdnr.39; GroßKommRatz, §346 HGB Rdnr.51; K. Schmidt, Handelsrecht, § 1 III, S.28f.; vgl. auch OLG Celle, BB 1961, 1341 und BGH NJW 1966, 502.

VIII. Entwicklung des

Leitbildgedankens

93

L ü c k e geschlossen werden, die bei einer fehlenden Parteiabrede vorhanden w ä re, so müsse einer abweichenden Verkehrssitte der Vorrang eingeräumt werden. Anders sei hingegen zu entscheiden, wenn die nachgiebige R e c h t s v o r s c h r i f t einen ganz bestimmten Gerechtigkeitsgedanken oder Gerechtigkeitsgehalt aufweise.

VIII.

Entwicklung

des

Leitbildgedankens

Oertmann hatte die maßstabsbildende Bedeutung des dispositiven G e s e t z e s rechts im wesentlichen n o c h unter dem eingeschränkten B l i c k w i n k e l des Z u sammentreffens mit abweichenden Verkehrssitten beschrieben. E s lag j e d o c h nahe, diesen Ansatz auf das i m m e r deutlicher in das Blickfeld der R e c h t s w i s s e n schaft geratende P h ä n o m e n der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu ü b e r tragen.

1. Erste Ansätze

im

Schrifttum

G r e i f b a r ist die Verbindungslinie zur P r o b l e m a t i k der Allgemeinen G e schäftsbedingungen bereits in der 1911 erschienenen A b h a n d l u n g Konrad Schneiders „Abänderliches R e c h t und Verkehrssitte". 2 7 1 Z w a r geht es auch in dieser Schrift vornehmlich um die B e s t i m m u n g des Verhältnisses des dispositiven R e c h t s zu abändernden Verkehrssitten. D o c h ist der U n t e r s u c h u n g s g e g e n stand hier dadurch erweitert, daß Schneider die „ G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n " als Vorstufe der Verkehrssitte ansieht und mit in seine Ü b e r l e g u n g e n einbezieht. D i e gesetzliche Regelung erscheint bei Schneider nicht m e h r in erster Linie als E i n s c h r ä n k u n g der persönlichen Freiheitssphäre. 2 7 2 Vielmehr m ö c h t e er sie als „Sicherheitsapparat" gegen die „Vergewaltigung wirtschaftlicher U b e r m a c h t " zur G e l t u n g gebracht wissen. 2 7 3 Ludwig Raiser blieb es dann vorbehalten, den Leitbildcharakter des dispositiven R e c h t s umfassend zu entfalten und als M a ß s t a b zur inhaltlichen K o n t r o l l e Allgemeiner Geschäftsbedingungen nutzbar zu machen. In seiner z u k u n f t s w e i senden M o n o g r a p h i e „Das R e c h t der Allgemeinen G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n " v o n 1935 qualifiziert Raiser274 das dispositive Gesetzesrecht als „ R e c h t " in d e m b e sonderen Sinne einer O b j e k t i v i e r u n g der Rechtsidee durch die G e s a m t r e c h t s g e meinschaft. E s dürfe im allgemeinen als der angemessene natürliche Ausgleich der widerstrebenden Partei- und der übergeordneten Gemeinschaftsinteressen angesehen werden, als die „ n o r m a l e " O r d n u n g des betreffenden Lebensverhältnisses. D i e s e Qualität des dispositiven R e c h t s erhebe es auch z u m M a ß s t a b für die G r e n z e der A b w e i c h u n g e n . F ü r die G r e n z z i e h u n g im Einzelfall k o m m t es 271 272 273 274

Schneider, JherJb 59 (1911), S.383. Weick, NJW 1978, 13. Schneider, JherJb 59 (1911), S.386f. Raiser, Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 293.

94

§3 Historische

Grundlagen

nach Raiser275 entscheidend auf den Gerechtigkeitsgehalt der jeweiligen Dispositivnormen an. Die Freiheit der Parteien sei dort am größten, wo der einschlägige Rechtssatz allein den Zweck habe, eine allgemeine, sichere, vorhersehbare Regelung zu treffen, ohne daß es auf das Wie der Regelung so sehr ankäme. Am anderen Ende der Skala stünden solche Dispositivnormen, die den Anspruch erhöben, Rechte und Pflichten gerecht ausgeteilt zu haben. Hier werde die Grenze der zulässigen Abweichungen am engsten zu stecken sein.

2. Ordnungsvorstellungen der nationalsozialistisch Rechtserneuerer

beeinflußten

Hoch im Kurs standen die Autorität des Gesetzes als staatliches Mittel zur Ordnung des Verkehrslebens und die Leitbildfunktion des dispositiven Rechts vor allem bei den unter dem Dach der Akademie für Deutsches Recht zur Erneuerung des Rechts im nationalsozialistischen Sinne angetretenen Rechtswissenschaftlern. Für das Vertragsrecht im neu zu schaffenden Volksgesetzbuch276 lautete die Vorgabe, „daß auch die ganze Welt der Verträge ... nach nationalsozialistischen Grundanschauungen ausgerichtet sein muß." 277 Hierfür bedurfte es des ordnenden Eingriffs in das gesetzliche Vertragsrecht im Sinne der Zurückdrängung individueller Beliebigkeit zugunsten einer stärkeren Hervorhebung der volksgemeinschaftlichen Verbundenheit getreu der Maxime „Gemeinnutz geht vor Eigennutz". 278 Der Ordnungsgedanke erhielt so eine neue Ausrichtung. Die nationalsozialistisch beeinflußte Rechtsliteratur stand einer ausgedehnten schuldrechtlichen Vertragsfreiheit zumindest reserviert gegenüber.279 Vor allem Larenz propagierte ein gewandeltes und deutlich restriktiveres Verständnis der Vertragsfreiheit. Schuldrechtliche Vertragsfreiheit wurde nun nicht mehr mit individueller Beliebigkeit gleichgesetzt, sondern zum Mittel zur Verwirklichung von Gemeinschaftszielen umfunktioniert.280 „Für uns ist Raiser, Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 295. Hierzu vor allem Hattenhauer, in: FS für Gmür, S.255ff. sowie Pichinot, Akademie für Deutsches Recht. 277 Hedemann, in: Band II der Verwaltungsakademie, 2. Aufl., Beitrag Nr. 40 (1940), S.4 (zitiert nach Schubert, in: Akademie für Deutsches Recht, 1933 - 1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III/4, S. XII). Zum neuen Verständnis des Vertrages und der Vertragsfreiheit im völkischen Recht grundlegend Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 362ff. 278 Punkt 25 des Programms der NSDAP. Exemplarisch die Ausführung von Larenz in seiner 1936 erschienenen Schrift Vertrag und Unrecht I, S. 23 f.; des weiteren auch Freister, D G W R 1940, 169ff.; zum Ganzen auch Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S.365 und 378. 279 S o - e t w a s zu milde - Schubert, in: Akademie für Deutsches Recht, 1933 - 1 9 4 5 , Protokolle der Ausschüsse, Bd. III/4, S. X X I I I . Immerhin wurde die Vertragsfreiheit in dieser Zeit auch grundsätzlich in Frage gestellt. Siebert (DR 1941, 1931) etwa war der Ansicht, der Begriff der „Vertragsfreiheit" habe keine sachliche Berechtigung mehr. 280 Stoll, Vertrag und Unrecht, S.6; vgl. hierzu Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S.364 m.w.N.; zur Programmatik und Umsetzung der „Rechtserneuerung" im Vertragsrecht in den Schriften Larenz' ausführlich Frassek, Von der „völkischen Lebensordnung" zum Recht, S. 51 ff. 275

276

VIII. Entwicklung des

Leitbildgedankens

95

der Vertrag" so war bei Larenz281 zu lesen, „ein Gestaltungsmittel der völkischen Ordnung. Die Gemeinschaft, die nicht alles selbst regeln kann und der verantwortlichen Mitwirkung der einzelnen Volksgenossen bedarf, erkennt ihnen eine von vornherein zweckbestimmte und begrenzte Gestaltungsmöglichkeit zu. Sie kann es ihren Gliedern nicht freistellen, beliebige Verträge zu schließen, wohl aber gestattet sie es ihnen, ihre besonderen Rechtsbeziehungen im Rahmen der völkischen Ordnung und gemäß den Grundsätzen dieser Ordnung, vor allem den Anforderungen des Gemeinschaftsgedankens und von Treu und Glauben selbst zu regeln. Jeder Vertrag muß sich daher, um rechtsgültig zu sein, positiv in die völkische Ordnung einfügen." In dieselbe Richtung weisen auch Äußerungen Heinrich Langes. Ein Vertrag, der sich im Hinblick auf die Funktion „des Vertrages im heutigen Wirtschaftsleben" als zwecklos oder zweckwidrig erweise, verdiente seiner Ansicht nach die Erhaltung nicht. 282 Die Parteivereinbarung wollte man - dies wurde in vielen Arbeiten dieser Zeit deutlich - unter den Vorbehalt der objektiven Bewertung der Interessen nach überindividuellen Kriterien stellen.283 Die Unterordnung des Parteiwillens unter die Gemeinschaftspflicht stufte die rechtsschöpferische Bedeutung des Parteiwillens herab. Dieser sollte nach dem neuen Rechtsverständnis nur Anstoß und Grundlage des Vertrages, aber nicht einziger Gestalter seines Inhalts sein.284 De lege ferenda kam eine Abschaffung der Vertragsfreiheit schon aus praktischen Gründen nicht in Frage und stand nach der eindeutigen Erklärung Fr eislers, daß auch in Zukunft der Grundsatz der Vertragsfreiheit gelten müsse,285 nicht mehr ernsthaft zur Debatte. 286 Wohl aber dachte man über eine Vermehrung zwingender Vorschriften im Vertragsrecht nach.287 Gegenüber „eigenwilligen Vertragsgestaltungen der Kontrahenten" sollte die Autorität des Gesetzes gestärkt werden.288 Hans Brandt etwa forderte, daß jede von dispositiven Normen des Gesetzes abweichende Parteivereinbarung, sei es durch Begründung eines Rechtsverhältnisses sui generis oder durch Abänderung einzelner Bestimmungen, einer Rechtfertigung aus der besonderen vom Gesetz nicht vorausgesetz281 Larenz, Vertrag und Unrecht I, S. 32f. (Hervorhebungen im Original!); ders., DR 1935, 490; ähnlich ders., in: Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, S. 252 sowie Siebert, DR 1944, 9 und ders., in: Frank, NS-Handbuch, S. 962 sprach vom Vertrag als „Grundform der Ordnung des völkischen Lebens". 282 Lange, JherJb 89 (1941), S.297. 283 Ausführlich belegt hat diese Funktionalisierung des Schuldrechts für überindividuelle und staatliche Ziel- und Zwecksetzungen jüngst Wilhelm Wolf (Vom alten zum neuen Privatrecht, S.265ff.) am Beispiel Heinrich Langes. 284 Stoll/Felgenträger, Vertrag und Unrecht, S.45. 285 Vgl. das wörtliche Zitat im Referat von Hedemann vor dem Sonderausschuß für allgemeines Vertragsrecht der Akademie für Deutsches Recht, in: Akademie für Deutsches Recht, 1933 1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III/4, S.408. 286 grundsätzliche Beibehaltung z.B. Hedemann, in: Akademie für Deutsches Recht, 1933 - 1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III/4, S.413 und Lange, ebd., S.415. 287 Hueck, in: Akademie für Deutsches Recht, 1933 - 1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III/4, S.414; Haupt, ZAkDR 1943, 87; Lange, Liberalismus, S. 17. 288 Haupt, ZAkDR 1943, 88.

96

§3 Historische

Grundlagen

ten Sachlage bedürfe. 289 Im Volksgesetzbuch wollte man „eine Vertrags- und Leistungsordnung ... schaffen, die wirklich Geltung erlangt und die Einheitlichkeit gegenüber einer Vielheit willkürlicher Einzelregelungen wahrt, die den Vertragspartnern bisweilen erwünscht erscheinen mögen, aber zur Auflösung der Rechtsordnung führen müssen." 290 Diese, einem komplexen und hochentwickelten Wirtschaftsleben im übrigen kaum angemessenen Ordnungsvorstellungen schlugen sich auch in sehr skeptischen Äußerungen zum Phänomen der gemischten Verträge nieder.291 Einer der führenden Rechtserneuerer, Justus Wilhelm Hedemann, gab zu Protokoll: 292 „Wir werden prüfen müssen, ob man ganz beliebig ein Durcheinanderwürfeln von schuldrechtlichen Typen dulden solle, wie es grundsätzlich im alten Schuldrecht der Fall war, oder ob hier gewisse Schranken am Platz sind." Einen konkreten Regelungsbedarf sah man vor allem auf dem Gebiet der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, bot doch der Maßstab der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) nach überwiegender Ansicht 293 keine effektive Handhabe, die festzustellenden Auswüchse einzudämmen. Die wissenschaftlichen Vorarbeiten Ludwig Raisers, vor allem sein Vorschlag, die dispositiven Gesetzesvorschriften künftig als Richtschnur im Rahmen der Inhaltskontrolle zu berücksichtigen, war offenbar opinio communis. Dies wohl auch deshalb, weil viele hierin einen Beitrag zu der erstrebten Stärkung des Normativcharakters des dispositiven Rechts sahen. In den Beratungen der Akademie für Deutsches Recht wurden mehrere Formulierungsvorschläge unterbreitet, die den Leitbildgedanken in die Form einer gesetzlichen Inhaltskontrollbestimmung umzusetzen versuchten. In seiner Funktion als Referent setzte sich Haupt beispielsweise für die folgende Fassung der in Aussicht genommenen Bestimmung ein:294 „Allgemeine Geschäftsbedingungen können nur insoweit Wirksamkeit erlangen, als sie im Einklang mit der Rechtsordnung, insbesondere mit den Gerechtigkeitsgedanken der etwa durch sie ausgeschalteten oder ergänzten gesetzlichen Regelung, die Interessen beider Vertragsteile angemessen berücksichtigen." Brandt, DRW 1940, 81 ff. Haupt, ZAkDR 1943, 88. 291 In dieselbe Richtung wies die Diskussion im Gesellschaftsrecht. Auch hier war den Rechtserneueren das „Auseinanderfallen von rechtlicher Form und wirtschaftlichem Inhalt" insbesondere in der Ausprägung verschiedener Mischtatbestände ein Dorn im Auge (charakteristisch etwa Hohlfeld, Gedanken zur Neugestaltung des deutschen Unternehmensrechts, passim und Schönle, Das Problem der Grundtypenmischung im neuen Recht, S. 28ff.). Zum ganzen auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 120f. 292 In: Akademie für Deutsches Recht, 1933 - 1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III/4, S.410. 293 Haupt, ZAkDR 1943,85; Dölle, in: Akademie für Deutsches Recht, 1933 -1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III/4, S. 747; nach einem Vermerk von Pritsch (in: Akademie für Deutsches Recht, 1933 - 1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III/4, S.722) auch Hueck, Hedemann und Schmidt-Rimpler während Pritsch, Dietz und Opitz gegen eine Sondervorschrift für Allgemeine Geschäftsbedingungen eintraten. 294 In: Akademie für Deutsches Recht, 1933 - 1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III/4, S.720. 289 290

VIII.

Entwicklung

des

Leitbildgedankens

97

Wilburg formulierte in der Sache ganz ähnlich wie folgt: 295 „Allgemeine Geschäftsbedingungen können nur insoweit Wirksamkeit erlangen, als sie: 1. Die Interessen des anderen Vertragsteils angemessen berücksichtigen und, 2. falls sie gesetzliche Regelungen ausschalten, durch besondere Gründe gerechtfertigt sind."

Die Mehrheit entschied sich dann zwar für eine knappere Fassung: 296 „Allgemeine Geschäftsbedingungen, die nicht behördlich genehmigt sind, sind insoweit unwirksam, als sie zu einer unangemessenen Bevorzugung der Interessen des einen Teils führen."

Eine Absage an den Leitbildgedanken ist hierin jedoch nicht zu sehen. Der Ausschußmehrheit erschien insbesondere das Kriterium „Gerechtigkeitsgedanken des dispositiven Rechts" lediglich zu unklar. 297 Daß damit der Rückgriff auf das dispositive Recht in seiner maßstabsetzenden Funktion ausgeschlossen sein sollte, kann angesichts der zuvor geführten Verhandlungen nicht angenommen werden. Offenbar wollte man der Rechtsprechung eine weit gefaßte Generalklausel in der Erwartung an die Hand geben, daß in deren Rahmen auch der Leitbildcharakter des dispositiven Rechts gebührend zur Geltung gebracht werden würde. Hält man sich vor Augen, daß es erst 35 Jahre später zu einer Sondergesetzgebung auf dem Gebiete der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gekommen ist, so wird man nicht umhin können, den damaligen Entwurfsverfassern - beschränkt auf diese Themenstellung -ein Gespür für das rechts- und sozialpolitisch Gebotene zu bescheinigen. Für die darüber hinausgehenden, auf fragwürdige Beschränkungen der Privatautonomie hinauslaufenden Ordnungsvorstellungen läßt sich dies nicht sagen.298 Und selbst die wenigen Lichtblicke werden verdunkelt durch die allgemeine Zielrichtung der Arbeiten am Volksgesetzbuch, die darin bestand, das Privatrecht „vom Boden des Nationalsozialismus aus" neu zu gestalten.299 Als diskreditiert erachtete man den Ordnungsgedanken auch nach dem Krieg nicht. Insbesondere Nipperdey, der sich schon in den Akademieverhandlungen 295

S.720.

In: Akademie für Deutsches Recht, 1933 - 1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III/4,

2 9 6 In: Akademie für Deutsches Recht, 1933 - 1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III/4, S.720. 2 9 7 Vermerk von Pritsch, in: Akademie für Deutsches Recht, 1933 - 1 9 4 5 , Protokolle der Ausschüsse, Bd. III/4, S. 723. 2 9 8 Zu Recht kritisch die Gesamtbilanz von W. Wolf, Vom alten zum neuen Privatrecht, S. 279 zu den für die damalige Strömung repräsentativen Vorstellungen Heinrich Langes: „Das Ergebnis bleibt schlicht: Es geht nicht um den Ausgleich von frei und sozial, sondern um die Entindividualisierung und Kollektivierung des Schuldrechts." Für eine differenzierende, den Gesamtkontext einbeziehende Würdigung auch Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 667. Den nationalsozialistischen Gehalt insgesamt zu gering veranschlagend Schwark, J Z 1980, 741. 2 9 9 These Nr. 1 von Hueck, in: Akademie für Deutsches Recht, 1933 - 1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III/4, S.358; Hedemann, D R 1941, 1913.

98

§3 Historische

Grundlagen

zu ihm bekannt hatte,300 propagierte ihn erneut, hob jetzt aber stärker auf „Gerechtigkeitsgedanken der durch den Vertrag ausgeschalteten oder modifizierten Regeln" als Kriterium der Abänderbarkeit des dispositiven Rechts ab.301

3. Rechtsprechung

und Literatur

vor Inkrafttreten

des

AGB-Gesetzes

Eingang in die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Uberprüfung Allgemeiner Geschäftsbedingungen fand der von Raiser formulierte Leitbildgedanke erst, nachdem der Bundesgerichtshof von dem auf §138 B G B (Ausnutzung einer Monopolstellung) basierenden Kontrollansatz des Reichsgerichts zu einer offenen Inhaltskontrolle am Maßstab von Treu und Glauben (§242 BGB) übergegangen war.302 Zur Konkretisierung dieses Maßstabs griff der Bundesgerichtshof auf die Wertungen des dispositiven Rechts zurück. Soweit diese ihre Entstehung nicht nur Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern einem aus der Natur der Sache sich ergebenden Gerechtigkeitsgedanken verdankten, müßten bei einer abweichenden Regelung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen Gründe vorliegen, welche für die von ihnen zu regelnden Fälle das dem dispositiven Recht zugrunde liegende Gerechtigkeitsgebot in Frage stellten und eine abweichende Regelung als mit Recht und Billigkeit vereinbar erscheinen ließen. Dabei könne der Gerechtigkeitsgehalt der vom Gesetzgeber aufgestellten Dispositivnormen verschieden groß sein. Je stärker er sei, desto strenger müsse der Maßstab sein, der an die Vereinbarkeit von Abweichungen mit dem Grundsatz von Treu und Glauben angelegt werden müsse.303 Ähnliche Überlegungen wurden Anfang der '70er Jahre auch für das Gesellschaftsrecht angestellt.304 Im Gesellschaftsrecht ist es seit langem im Grundsatz anerkannt, daß die Vorschriften über die innere Struktur der Gesellschaft vielfach nur dispositiver Natur sind, es den Parteien mithin erlaubt ist, innerhalb der zugelassenen Gesellschaftsformen - insoweit besteht Rechtsformzwang entsprechend ihren Zielen und Bedürfnissen Modifikationen vorzunehmen.305 300

In: Akademie für Deutsches Recht, 1933 - 1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III/4,

S.416. 301 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil 1/1, S. 301 f.; kritisch Flume, in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 169. 3 0 2 Gründl. B G H Z 22, 90. 3 0 3 B G H Z 41, 151 (154); ferner B G H Z 54, 106 (109f.); B G H N J W 1973, 1192 (1193); 1975, 647. 3 0 4 Allein drei Habilitationsschriften hierzu datieren aus dieser Zeit: Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen; H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit; Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft. Vgl. ferner auch Wüst, in FS für Konrad Duden, S. 749ff. Weitere Nachweise bei K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 III, S. 116. 305 Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, Rdnr. 32. Von der Gestaltungsfreiheit der Parteien sind grundsätzlich auch atypische Gestaltungen - wie z.B. die PublikumsKG - und Vermischungen der Grundformen - wie z.B die G m b H & C o K G - gedeckt; vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 II, S. 113ff. und Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, Rdnr. 33.

VIII.

Entwicklung

des

99

Leitbildgedankens

In mehreren Monographien ist die Frage aufgeworfen worden, ob das dispositive Recht auch im Gesellschaftsrecht eine Ordnungs- oder Leitbildfunktion entfaltet, die die Variationsbreite der möglichen Gestaltungen über die äußersten Grenzen des zwingenden Rechts hinaus einzuengen vermag. Die Diskussion um die Grenzen der Dispositionsmöglichkeiten wurde und wird im Gesellschaftsrecht meist unter dem Stichwort der „Typengesetzlichkeit" geführt.306

4. Die Generalklausel

des §9 Abs. 2 Nr. 1

AGBG

§9 Abs. 2 Nr. 1 des am 1.4. 1977 in Kraft getretenen Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat sich ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs mit seinem Kriterium der „Nichtvereinbarkeit mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung" an die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die sog. Leitbildfunktion der Normen des dispositiven Rechts angelehnt.307 O b damit zugleich auch die vom Bundesgerichtshof308 fortgeführte Gegenüberstellung von Vorschriften mit Gerechtigkeitsgehalt und solchen mit bloßem Zweckmäßigkeitsgehalt zugrunde gelegt worden ist, wird im Schrifttum zunehmend in Zweifel gezogen.309 Der Wortlaut des § 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G gebe keine Veranlassung zu einer derartigen Unterscheidung. 310 Sie sei im übrigen

306 Vgl. insbesondere H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, passim. Das heutige Schrifttum steht einem Konzept der Typengesetzlichkeit reserviert gegenüber und ist bemüht, die Diskussion auf Detailprobleme zurückzuführen (statt vieler K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 III, S. 126f. und ders., Z H R 1 6 0 [1996], 270ff. jeweils m. w.N.). Deutlicher als zuvor wird nunmehr wieder die Privatautonomie als beherrschender Grundsatz auch des Gesellschaftsrechts herausgestellt {K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §5 III, S. 126f.; Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, Rdnr. 29 und 33. Steding, N Z G 2000,182ff. konstatiert einen verstärkten Trend zu atypischen Gestaltungen im Gesellschaftsrecht und empfiehlt, die Atypizität zu einem festen Bestandteil der Dogmatik im Gesellschaftsrecht zu machen.).

307 BT-Drucks. 7/3919, S.23; vgl. auch den Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages (BT-Drucks. 7/5422, S.6); vgl. ferner Wo///Horn/Lindacher, §9 A G B G Rdnr. 65; von Hoyningen-Huene, §9 A G B G Rdnr.241, Fastrich, Inhaltskontrolle, S.285; Becker, Auslegung des §9 Abs.2 AGB-Gesetz, S. 119: „volle inhaltliche Kontinuität". Mayer-Maly, Rangordnung von Normen, S. 137: gesetzgeberische Anerkennung der Leitbildfunktion des nachgiebigen Vertragsrechts; ders., in: FS für Medicus, S. 384. Dieser Maßstab ist auch Bestandteil von Art. 3 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, vgl. Wolf/ Horn/Lindacher, §9 A G B G Rdnr. 65 und Art. 3 RiLi Rdnr. 6. 308 B G H N J W 1 9 8 4 , 1 1 8 2 ; 1986,1171 (1172); 1986,1608; 1991,1886 (1887); 1991,1953 (1954); NJW-RR 1996,1009; N J W 1999,635 (636); ähnlich auch Schmidt-Salzer, Allgemeine Geschäftsbedingungen, F. 43 und Bucher, in: Festgabe für Deschenaux, S.260ff.; für die Beibehaltung der Differenzierungsformel auch Mayer-Maly, Rangordnung von Normen, S. 133 f. 309 Ebenfalls skeptisch aus der Sicht der ökonomischen Analyse des Rechts Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.395. 310 von Hoyningen-Huene, §9 A G B G , Rdnr.242; Ulmer/ßra«Jner/Hensen §9 A G B G Rdnr. 132; Soergel-Siej«, § 9 A G B G Rdnr. 35.

100

53 Historische

Grundlagen

willkürlich und praktisch undurchführbar.311 Dem Bundesgerichtshof sei es nicht gelungen, reine Zweckmäßigkeitsregelungen zu entdecken.312 Auch scheinbare Zweckmäßigkeitsregelungen, wie die Verjährungs Vorschriften, wiesen stets einen erheblichen Gerechtigkeitsgehalt im Hinblick auf die ausgewogene Gestaltung der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien auf.313 Letztlich lasse sich praktisch jeder Norm des dispositiven Rechts das Bemühen des Gesetzgebers um eine insgesamt ausgewogene Regelung entnehmen.314 Auf der anderen Seite kann der Bundesgerichtshof für sich in Anspruch nehmen, sich im Einklang mit der herrschenden Lehre zum Verhältnis von Verkehrssitten zum dispositiven Recht zu befinden, die ja ebenfalls auf den Gerechtigkeitsgehalt der betreffenden Dispositivnorm abstellen will.315 Die gemeinsame Verwurzelung im Leitbildgedanken des dispositiven Rechts sowie verschiedene Interdependenzen im Rahmen der rechtswissenschaftlichen Entfaltung beider Problemkreise liegen offen zutage. Eine vergleichende Betrachtung hat allerdings in Rechnung zu stellen, daß es bei den Verkehrssitten nicht um Inhaltskontrolle, sondern um Auslegung oder Einbeziehung geht und diese nicht einseitig von einer Partei in den Vertrag eingeführt werden.316 Festzuhalten ist ferner, daß der besondere Gerechtigkeitsgehalt einer dispositiven Gesetzesregel, seine Erkennbarkeit einmal vorausgesetzt, zunächst einmal nur die unmittelbar geregelten Sachverhalte betrifft. Die für den Rechtsanwender entscheidende Frage, ob sich der Anwendungsbereich einer bestimmten dispositiven Gesetzesnorm im Einzelfall auf neue, von den gesetzlichen Regelungsmodellen abweichende Austauschgestaltungen extendieren läßt, ist damit noch nicht beantwortet.317 Allein auf die von der schuldrechlichen Gestaltungsfreiheit grundsätzlich gedeckte Varianz gegenüber den Regelungsmodellen der gesetzlichen Vertragsordnung darf ein Unwerturteil im Sinne einer Gerechtigkeitsverfehlung nicht gestützt werden. Hier bedarf es ersichtlich noch weiterführender Überlegungen.

311 \J\mtr / Brandner/tieasea §9 AGBG Rdnr. 132; Locher, Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 146. 312 Löwe/Graf von Westphalen/Trinkner, §9 AGBG Rdnr. 26, 28; Becker, Auslegung des §9 Abs. 2 AGB-Gesetz, S. 122; Staudinger-Coester, §9 AGBG Rdnr. 185. 313 Ulmer/Brander/Hensen §9 AGBG Rdnr. 132; von Hoyningen-Huene, Inhaltskontrolle nach §9 AGB-Gesetz, Rdnr.243; Erman-//. Hefermehl/Werner, §9 AGBG Rdnr.23. 314 Schlosser/Coester-Waltjen/Graba, §9 AGBG Rdnr. 25; Becker, Auslegung des §9 Abs. 2 AGB-Gesetz, S. 123; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §43 Rdnr.97; kritisch zum „Gerechtigkeitsgehalt" auch Schapp, DB 1978, 621 ff. 315 Vgl. oben VII. 2. 316 Zutreffend Canaris, Handelsrecht, §24 Rdnr. 37. 317 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 138f. moniert zu Recht, daß die auf Überlegungen zum Gerechtigkeitsgehalt des dispositiven Rechts aufbauende rechtsanwenderische Entscheidung insoweit von keiner größeren Sicherheit getragen sei, als die jedes anderen Werturteils.

IX. Resümee:

IX. Resümee:

Vertragstypenfreiheit

Vertragstypenfreiheit

1. Das historische

und Typenkatalog

und

101

Typenkatalog

Spannungsverhältnis

Bei der heute wohl überwiegend als Ausfluß der allgemeinen Vertragsfreiheit verstandenen und allgemein anerkannten Vertragstypenfreiheit handelt es sich - wie gesehen - um eine Frucht des Zeitalters der Naturrechtsphilosophie. Sie findet ihren sinnfälligen Ausdruck in der Existenz des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuches, der das Zustandekommen und die Wirkung der Verträge allgemein und ohne Rücksicht auf den Inhalt des jeweiligen Vertrages normiert. 318 Demgegenüber verkörpert der „Besondere Teil" des Schuldrechts mit seinen gesetzlich vorgegebenen Vertragstypen die romanistische Tradition. 319 Zwar bedarf die Entfaltung der Privatautonomie ganz offensichtlich eines unterstützenden und ordnenden Rechtsrahmens, auch in Form eines Schemas gesetzlich ausgestalteter Vertragsformen. Gleichwohl zeichnet sich im Bürgerlichen Recht ein damals wie heute nur unzulänglich realisiertes Spannungsverhältnis ab: 320 Einerseits wird grundsätzlich jedem nach den Regeln des Allgemeinen Teils zustande gekommenen Vertrag unabhängig von seinem konkreten Inhalt volle Geltung zuerkannt. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber einen Katalog bestimmter Vertragstypen aufgestellt, der einem System des Typenzwangs entstammt und nur dort seine klar bestimmte Funktion besaß.

2. Die Anlage des Bürgerlichen Gesetzbuches - ein Anlaß zur methodischen Neubesinnung Die Milderung dieses Spannungsverhältnisses im Bürgerlichen Gesetzbuch erfolgte in erster Linie vom Besonderen Teil her, und zwar dadurch, daß man seinen Normen keine zwingende Wirkung mehr beilegte. 321 Diese Konzession hat weitreichende Folgen und hätte in verschiedener Hinsicht auch zu einer methodischen Neuorientierung führen müssen. Diese ist jedoch weitgehend ausgeblieben. Die überkommenen Methoden der ganz überwiegend romanistisch geprägten Literatur sind auch auf die wissenschaftliche Bearbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuches angewandt worden. 322 Vor diesem Hintergrund ist vor allem die auch heute noch spürbare Tendenz zu sehen, atypisch ausgestaltete Verträge möglichst einem der gesetzlichen Vertragstypen zu unterwerfen. 323 Sie

318 319 320

321 322 323

So Bücher, ZSR 102 II (1983), S.318 für das schweizerische Recht. So zutreffend Bucher, ZSR 102 II (1983), S.318. Zum folgenden Bucher, ZSR 102 II (1983), S.318. Bucher, ZSR 102 II (1983), S.318. Bucher, ZSR 102 II (1983), S.318. So zutreffend Bucher, ZSR 102 II (1983), S.319.

102

§3 Historische

Grundlagen

verkennt, wie noch zu zeigen sein wird, den im Bürgerlichen Gesetzbuch auf Kosten des gesetzlichen Typenkatalogs erweiterten Geltungsanspruch des Grundsatzes der Typenfreiheit.

§ 4 Die heutige Bedeutung der normativen Vertragstypenordnung I. Die Vertragstypenordnung als notwendiges zur Privatautonomie

Korrelat

D i e B e u r t e i l u n g der heutigen B e d e u t u n g der n o r m a t i v e n V e r t r a g s t y p e n o r d n u n g hat i m L i c h t e der P r i v a t a u t o n o m i e u n d des gegenläufigen P r i n z i p s des S o zialschutzes z u erfolgen. B e i d e P r i n z i p i e n h a b e n ihren N i e d e r s c h l a g im G r u n d gesetz gefunden. S o ist einerseits die P r i v a t a u t o n o m i e als A u s f l u ß der allgemein e n H a n d l u n g s f r e i h e i t ( A r t . 2 A b s . 1 G G ) verfassungsrechtlich verbürgt, 1 w ä h rend andererseits die B e s c h r ä n k b a r k e i t dieser G e w ä h r l e i s t u n g u n d das S o z i a l staatsgebot des G r u n d g e s e t z e s die N o t w e n d i g k e i t eines sozialverträglichen G e b r a u c h s der P r i v a t a u t o n o m i e b e t o n e n . D i e P r i v a t a u t o n o m i e b e d a r f gerade u m ihrer selbst willen gewisser B e g r e n z u n g e n . 2 A l l e n v o r a n o b l i e g t es d e m einfac h e n G e s e t z g e b e r , das P r i n z i p der P r i v a t a u t o n o m i e mit d e m P o s t u l a t der V e r k e h r s s i c h e r h e i t u n d sozialen G e r e c h t i g k e i t s e r w ä g u n g e n in E i n k l a n g z u b r i n g e n u n d den W i d e r s t r e i t in positiven N o r m e n aufzulösen. N e b e n den expliziten G r e n z e n der Vertragsfreiheit ( z . B . § § 1 3 4 , 1 3 8 B G B ) ist es v o r allem der K a t a l o g der n o r m i e r t e n S c h u l d v e r t r a g s t y p e n , der die Basis schafft, u m diesem G e s t a l tungsauftrag gerecht z u w e r d e n . D e m R e c h t s v e r k e h r w e r d e n auf diese Weise 1 Nahezu übereinstimmende Ansicht, vgl. nur BVerfGE 8,274 (328); BVerfG NJW1986,1859 (1860); 1994,36 (38); Papier, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts VI, S. 1210; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, S.98; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §34 Rdnr. 22; anders Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 116ff. Eine andere Frage ist, ob auch der Vertragsfreiheit als Ausprägung der Privatautonomie der grundrechtliche Schutz zuteil wird. Die herrschende Meinung bejaht dies (vgl. statt vieler BGH NJW 1978, 943, 945; Larenz, Schuldrecht I, §4IV, S. 59ff.; Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr. 3; Jauernig-Vollkommer, §305 B G B Rdnr. 2), während die Gegenansicht restriktiver formuliert, die Vertragsfreiheit bestehe nur nach Maßgabe der Privatrechtsordnung (vgl. vor allem Flume, in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, Bd. I, S. 136ff.; Huber, Vertragsfreiheit, S.19f.; Dürig, in: Maunz/Dürig, Art.2 Abs.l GG Rdnr.59; Biedenkopf, Wettbewerbsbeschränkung, S. 144ff. Eine vermittelnde Ansicht zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Vertragsfreiheit vertritt Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltungen, S.37ff. 2 Das BVerfG (BVerfGE 81,242 und 89,214) leitet aus diesem Gedanken die Pflicht der Fachgerichte zur Inhaltskontrolle in Fällen gestörter Vertragsparität ab. Aus der hierdurch neu entfachten Diskussion um die Grenzen der Vertragsfreiheit vgl. nur: Höfling, Vertragsfreiheit; Hillgruber, AcP 191 (1991), 69; Fastrieb, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S.37ff.; Zöllner, AcP 196 (1996), lff.; Wellenhofer-Klein, ZIP 1997, 774.

104

5 4 Die heutige

Bedeutung

der normativen

Vertragstypenordnung

Vertragsmuster angeboten, deren er sich in den weitaus meisten Fällen ohne zu zögern in der begründeten Erwartungshaltung bedient, sich für eine gerechte Vertragsordnung zu entscheiden. Geschieht dies, so ist dem Gesetzgeber damit zugleich eine ordnende Festlegung im Sinne eines im Regelfalle angemessenen Interessenausgleichs gelungen. Gestalten die Parteien den Vertrag abweichend von den gesetzlichen Modellvorstellungen, so kann sich der Sozialschutz immerhin noch über die Kontroll- oder Leitbildfunktion des dispositiven Rechts verwirklichen. Deutlich zeigt sich somit, daß die Privatautonomie auf eine gesetzliche Rahmenordnung des Vertragsrechts angewiesen ist. Eine autonome Rechtsgestaltung ohne eine vorgegebene normative Vertragstypenordnung wäre kaum denkbar, stellt letztere doch - wenn auch ohne Exklusivitätsanspruch - die wichtigsten Gestaltungsformen zur Verfügung, unter denen die am Rechtsverkehr Beteiligten die jeweils passende auswählen können. Die Vertragstypenordnung enthebt die Parteien der lästigen und die Gefahr der Übervorteilung bergenden Aufstellung eines Vertragsprogramms. Von daher läßt sich auf dem Gebiete des Schuldvertragsrechts von einer durch die positive Rechtsordnung zugelassenen und gestützten Privatautonomie sprechen. Uneingeschränkte Zustimmung verdient insoweit die Feststellung Flumes, die Privatautonomie erfordere begrifflich die Rechtsordnung als Korrelat. 3 Anfechtbar oder doch zumindest mißverständlich sind allerdings einige im Zuge der Erläuterung dieser Korrelation explizit zugrunde gelegte Prämissen. Flume geht nämlich davon aus, daß sich die privatautonome Gestaltung von Rechtsverhältnissen nur durch Akte vollziehen kann, die als Aktstypen rechtsgeschäftlicher Gestaltung von der Rechtsordnung anerkannt sind. Die Rechtsordnung enthält nach Flume einen numerus clausus der Aktstypen für die Gestaltung von Rechtsverhältnissen. Dieser numerus clausus gelte auch für das Schuldrecht, allerdings mit der Besonderheit, daß hier neben den besonderen Schuldvertragstypen (Kaufvertrag, Werkvertrag etc.) der allgemeine Vertragstyp „Schuldvertrag" stehe, dessen Leistungsprogramm die Vertragsschließenden selbst festlegen könnten. Damit setzt sich Flume augenscheinlich in Widerspruch zum Postulat der Typenfreiheit, das nach herkömmlicher - im übrigen auch von Flume geteilter - 4 Ansicht gerade nicht nur die Freiheit der Auswahl unter den vorhandenen Vertragstypen, sondern weitergehend auch das Recht der Parteien umfaßt, Verträge zu schließen, deren Inhalt keinen der gesetzlich geregelten Vertragstypen entspricht. Auflösbar ist dieser Widerspruch, wenn man bedenkt, daß Flume auch den „Schuldvertrag" als solchen zu den zur Verfügung gestellten Aktstypen rechnet. 5 Dieser sei von der Rechtsordnung so vor3 Flume, Rechtsgeschäft, §1, 2, S. 1 f., 12f.; ders., in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. 1, S. 147ff.; zustimmend auch Brox ,JZ 1966, 761 und Huber, JurA 1970, 785. 4 Flume, Rechtsgeschäft, § 1, 2, S. 12; zum herkömmlichen Verständnis der Typenfreiheit vgl. im übrigen bereits die Ausführungen unter §2 I. 3. 5 Flume, Rechtsgeschäft, §1, 2, S. 13; ders., in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. 1, S. 148.

II. Funktionen

der gesetzlichen

Vertragstypen

105

geformt, daß die Vertragsschließenden sich zu Leistungen verpflichten könnten, worin sich die Vertragsfreiheit aber auch erschöpfe. Freilich geht mit der Einbeziehung des frei ausgestaltbaren „Schuldvertrags" eine erhebliche Ausdehnung der Dispositionsfreiheit der Parteien einher, so daß im Ergebnis keine substantielle Abweichung mehr vom klassischen Konzept der Typenfreiheit erkennbar ist. Larenzb hat gleichwohl kritisch zu bedenken gegeben, der „Schuldvertrag" könne nicht im gleichen Sinn als ein „Vertragstyp" bezeichnet werden wie beispielsweise der „Kaufvertrag". Der „Schuldvertrag" sei eine Abstraktion. Der Begriff des Geschäftstyps, des Typenzwangs und der Typenfreiheit könne sinnvollerweise nur auf die konkrete Ausprägung des Schuldvertrages (etwa als Kaufvertrag) angewendet werden, und insoweit bestehe eben für die Ausformung von Schuldverträgen Typenfreiheit. Diese Kritik ist zwingend. Aufrechterhalten lassen sich die Thesen Flumes wohl nur, wenn man den numerus clausus der „Aktstypen" und „Rechtsverhältnisse" im Sinne einer Beschränkung der „Grundelemente rechtsgeschäftlicher Gestaltung, aus denen sich Rechtsverhältnisse zusammensetzen," versteht.7 Diese begrifflich-konstruktiven Grundelemente (z.B. die Rechtsfigur der Willenserklärung) sind in der Tat von der Rechtsordnung vorgegeben und limitiert. Eine merklich autonomiebegrenzende Wirkung entfaltet ein so verstandener numerus clausus jedenfalls im Schuldvertragsrecht nicht. Denn die Fülle und Variationsbreite der Gestaltungselemente und Rechtsfiguren ist groß und §305 B G B erlaubt ihre Zusammensetzung und Mischung nach dem Willen der Parteien.8 Mit dieser Einschränkung kann somit dem Grundverständnis Flumes durchaus zugestimmt werden.

II. Funktionen der gesetzlichen

Vertragstypen

Damit sind die beiden voneinander zu unterscheidenden Ebenen, auf denen die gesetzlich normierten Schuldvertragstypen wirken, bereits umrissen.

1. Rechtsfindungshilfe Das normierte Recht der gesetzlichen Vertragstypen unterstützt zunächst den Rechtsanwender bei der Ermittlung des vertraglichen Rechte- und Pflichtenarrangements. Dies liegt auf der Hand bei der Wahl eines herkömmlichen, eigens kodifizierten Vertragstyps, gilt aber auch, in noch aufzuzeigenden Grenzen, für gesetzlich nicht geregelte Verträge. Larenz, Allgemeiner Teil, (1. Aufl. 1967), § 7 IV, S.92f. So H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 30; sich anschließend Huber, JurA 1970, 785, Sigulla, Vertragstypologie und Gesetzesleitbilder, S. 96f. und Schwark, Rechtstheorie, Bd. 9 (1978), 78. 8 H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.30. 6

7

106

§4 Die heutige Bedeutung der normativen

Vertragstypenordnung

Das dispositive Gesetzesrecht ist um eine ausgewogene, am typischen Fall orientierte Regelung bemüht. Es stellt sich insoweit als Antizipation der von redlichen Parteien typischerweise in den Vertrag gesetzten Erwartungsinhalte dar. Für vertragliche Austauschverhältnisse kann diese Beurteilung aus der Sicht der beteiligten Vertragspartner noch dahingehend präzisiert werden, daß das dispositive Gesetzesrecht - entgegen manch mißverständlicher Äußerung nicht nur den (vermuteten) Schuldnerwillen, sondern ebenso das Gläubigervertrauen in das vom Schuldner abgegebene Leistungsversprechen zur Geltung bringen will. In vielen Fällen - Paradebeispiel ist das Gewährleistungsrecht konkretisieren die vertragsergänzenden Dispositivnormen, das „womit der Schuldner rechnen muß, weil es der Gläubiger von ihm aufgrund des Leistungsversprechens erwarten darf."9 Diese überindividuelle, auf einen gerechten Ausgleich zielende Bestimmung steht einer Reduktion der gesetzlichen Dispositivregelung auf eine Verkörperung des vermuteten Parteiwillens entgegen. Heute besteht kein Zweifel, daß der Geltungsgrund des dispositiven Rechts im Gesetz und nicht im rechtsgeschäftlichen Willen zu sehen ist.10 a) Verkehrserleichterndes

Angebot

Das abänderbare gesetzliche Vertragsrecht steht in erster Linie11 als Reserveordnung bereit, das Regelungsprogramm der Parteien abzurunden, ggf. zu ergänzen und im Notfall den Vertrag zu retten.12 Bereits in dieser Funktion und nicht erst im Rahmen der Inhaltskontrolle kann sich der auf Ausgewogenheit zielende Maßstab des dispositiven Gesetzesrechts entfalten. Larenzu hat dies treffend dahingehend ausgedrückt, daß die Aufgabe der gesetzlichen Regelungen darin zu sehen sei, das zur Geltung zu bringen, was, nach Auffassung des Gesetzgebers, verständige und redlich denkende Parteien vereinbart hätten, wenn sie diesen Punkt bedacht hätten. Die Dispositivregelungen treten nach den Vorstellungen des in der Tradition der Naturrechtskodifikationen und der pandektistischen Grundanschauungen stehenden historischen Gesetzgebers nicht in Konkurrenz zum privatautonom festgesetzten Vertragsinhalt. Dieser wird nicht nur respektiert, sondern ihm wird durch subsidiär-flankierende Vorschriften zur Durchsetzung verholfen, die Entfaltung der Privatautonomie auf diese Weise gerade gefördert. Die normierten Vertragstypen lassen sich mithin als ein „subsidiäres, verkehrserleichOechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.292f. Statt vieler Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §28 Rdnr. 103. 11 Diese Prioritätszuweisung dürfte auch heute noch gerechtfertigt sein. Wie hier für das schweizerische Recht Meier-Hayoz, SJK Nr. 1134, S.4. 12 Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §10 II, S. 166. Sandrock, Ergänzende Vertragsauslegung, S. 34 und H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 45 bezeichnen die lex dispositiva treffend als „rettenden Lückenbüßer". Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 34 Rdnr. 22 („Aushilfsfunktion"). 13 Larenz, Schuldrecht II/l, §38, S.4. 9

10

II. Funktionen der gesetzlichen Vertragstypen

107

terndes Angebot an die Rechtsverkehrsteilnehmer" 14 qualifizieren. Sie erlauben es den Parteien, auf die Ausformulierung eines sämtliche Eventualitäten und Komplikationen bedenkenden Vertragsprogramms zu verzichten.15 Insofern kommt dem dispositiven Vertragsrecht ähnlich den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Rationalisierung-, Entlastungs- oder Erleichterungsfunktion zu.16 Diese Funktionsbeschreibung impliziert aus rechtswissenschaftlicher Sicht eine Relativierung der Normen, die im besonderen Schuldrecht für bestimmte Vertragstypen enthalten sind.17 Hierzu steht nicht im Widerspruch die Hervorhebung der praktischen Bedeutung, die den Vertragsmustern des Bürgerlichen Gesetzbuches im Rechtsleben zukommt. 18 b) Gewährleistung gleicher und Rechtsfolgenableitungen

vorhersehbarer

Die dispositiven Vertragsnormen des Gesetzes geben den jeweiligen Geschäften des täglichen Lebens, soweit sie nicht auf Allgemeinen Geschäftsbedingungen beruhen und ihnen auch keine detaillierten Absprachen zugrunde liegen, erst ihre rechtliche Gestalt. Mangels besonderer Parteiabreden ergibt sich immer wieder das gleiche Rechte- und Pflichtenprogramm, mithin ein einheitliches Bild. Die gesetzliche Fixierung wirkt damit zugleich möglichen Unklarheiten und Meinungsverschiedenheiten der Parteien über vertraglich nicht geregelte Punkte entgegen (konfliktvermeidende Funktion). 19 Es ist in der Tat ein Anliegen des Gesetzgebers, mittels des dispositiven Rechts die Masse der typischen Fälle gleichmäßig zu regeln und hierdurch die Vorhersehbarkeit der Rechtsfolgengewinnung zu erhöhen. 20 Die dispositive Vertragsordnung ge14 Martinek, Moderne Vertragstypen, Bd. 1, §21, S. 16. Ähnlich Gernhuber, Schuldverhältnis, § 7 I V 4, S. 155: „von Gesetzes wegen angebotene Muster" und Böhmer, Einführung in das Bürgerliche Recht, S. 269: „nur Vorschläge des Gesetzgebers"; Meier-Hayoz, SJK Nr. 1134, S. 4: „Musterbild des typischen Parteiwillens". 15 Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, Rdnr.340; Sandrock, Ergänzende Vertragsauslegung, S. 33f.; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S.454; Zweigen/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, §24 I, S. 318. 16 Vgl. Kramer, in: Neue Vertragsformen, S.27 Fn. 38; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 43 f.; Sigulla, Vertragstypologie und Gesetzesleitbilder, S. 97; Meier-Hayoz, SJK Nr. 1134, S. 4f.; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 102f. In der Sprache der ökonomischen Analyse des Rechts verbindet sich damit eine Senkung der Transaktionskosten (vgl. hierzu etwa Posner, Economic Analysis of Law, S. 79ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 394; Köhler, ZHR 144 [1980], S. 596; Walz, ZHR 147 [1983], S.293). Zur Rationalisierungsfunktion Allgemeiner Geschäftsbedingungen vgl. UlmerlBrandner/Hensen, AGBG Einl. Rdnr. 3 und MünchKomm-ifötz, AGBG Einl. Rdnr. 1.

So zutreffend MünchKomm-Sö/foer (2. Aufl.), §305 BGB Rdnr. 3. MünchKomm-5ö7/«er (2. Aufl.), §305 BGB Rdnr. 6 und Flume, Rechtsgeschäft, § 12 II 4, S. 170: „Ohne diese Vertragstypen wäre ein Rechtsverkehr gar nicht denkbar." 19 Angedeutet bei Meier-Hayoz, SJK Nr. 1134, S. 5. 20 So zutreffend Larenz, Allgemeiner Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, (7. Aufl.), § 29 17 18

108

§4 Die heutige Bedeutung

der normativen

Vertragstypenordnung

währleistet mithin ein gutes Stück Rechtssicherheit, eine Eigenschaft, deren Bedeutung für das Funktionieren des Rechtsverkehrs nicht gering veranschlagt werden darf. Bei den nicht kodifizierten, aber gleichwohl verkehrstypischen Verträgen übernehmen diese Aufgabe in der Regel ausgefeilte AGB-Klauselwerke.

2. Maßstabsfunktion

im Rahmen der

Inhaltskontrolle

Erst verhältnismäßig spät ist - wie gesehen - erkannt worden, daß die Regelung eines Vertragstyps im Gesetz zugleich die gesetzgeberische Vorstellung einer gerechten Ordnung für die im Rechtsverkehr typischerweise anzutreffenden Interessenkonstellationen offenbart. Dies liegt für die zwingenden Vorschriften des gesetzlichen Vertragstypenrechts auf der Hand. Aber auch die Ordnungs- und Maßstabsfunktion des dispositiven Rechts ist heute im Grundsatz nicht mehr umstritten.21 In § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG ist sie für die Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen nunmehr auch gesetzlich anerkannt. Sie widerstreitet der verkehrserleichternden Reservefunktion nicht, entfaltet sie doch ihre Wirkung vornehmlich auf der der Rechtsfindung gedanklich nachgeordneten Ebene der Inhaltskontrolle. Die dispositive Vertragstypenordnung erleichtert somit einerseits die Ermittlung der lex contractus und bietet sich zum anderen als Richtschnur bei der Rechtswirksamkeitskontrolle des vertraglich Vereinbarten an, so es vom dispositiven Recht abweicht. Nicht Funktionswawdel, sondern VunVtwnsy.uwachs ist mithin auch hier die richtige Beschreibung der nachgezeichneten Entwicklung. Das aufgezeigte judizielle und legislatorische Voranschreiten auf dem Gebiet des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen22 legt die Frage nahe, welII, S.547; andeutungsweise auch Krämer, in: Neue Vertragsformen, S.27 Fn.38. Allgemein zur Bedeutung einer systematisch angelegten Kodifikation für eine einheitliche Rechtsanwendung Raiscb, in: FS für Pfeiffer, S. 887ff. 21 Statt vieler Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, S. 301; Larenz, Schuldrecht I, § 1, S. 2; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §33 Rdnr. 19\ Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.43f.; Schwark, Rechtstheorie Bd. 9 (1978), 80; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 129; Sigulla, Vertragstypologie und Gesetzesleitbilder, S. 98; Staudinger-Mayer-Maly, Einl. zu §§433ff. B G B Rdnr. 11; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 103; eingehend und kritisch H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 40ff. Heftig umstritten sind dagegen Weiterungen, die auf eine ordnungspolitische Instrumentalisierung des geltenden Privatrechts etwa zur Durchsetzung eines bestimmten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Programms (Mestmäcker, Immenga, Reuter) zielen; kritisch hierzu etwa K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 116ff. 22 Der Bestand zwingender Regeln ist nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches - vor allem im Miet- und Arbeitsrecht - kontinuierlich angewachsen. Weitere privatrechtliche Sondergesetze mit unterschiedlicher Zielsetzung sind hinzugekommen - z.B. die Novellierung des Handelsvertreterrechts von 1953 (BGBl. I, S. 771; kritisch zum jetzt erreichten Ausmaß Sonnenschein, in: FS für Boujong, S. 481 ff.) und zuletzt das Verbraucherkreditgesetz (vgl. dessen §18 S. 1). Diese gebietsbezogenen bzw. punktuellen Normierungen, die sicherlich in ihrer Gesamtheit eine Tendenz ausmachen, stellen jedoch nicht die Normqualität des gesamten gesetzlichen

II. Funktionen der gesetzlichen

Vertragstypen

109

chen Spielraum privatautonomer Rechtssetzung das geltende Schuldrecht den Rechtsunterworfenen heute noch läßt; anders und konkreter gefragt: Welche Rückwirkungen auf die „Verbindungskraft" des gesetzlichen Vertragsrechts sind mit dem AGB-Gesetz einhergegangen? Hanau23 hat hierzu die These aufgestellt, Vertragsrecht sei vielfach zwingendes Recht. Das gelte insbesondere für den Arbeitsvertrag, ebenso aber auch für alle anderen Vertragsverhältnisse, weil deren gesetzliche Regelung durch das AGB-Gesetz eine weitgehend zwingende Wirkung erhalten habe. Das AGB-Gesetz enthalte sogar ein ausdrückliches Umgehungsverbot. Damit setzt sich Hanau in deutlichen Widerspruch zur herrschenden Meinung, die sich gegen eine Qualifizierung der Normen des dispositiven Rechts zu quasizwingenden ausspricht und in ihnen lediglich gedankliche Hilfen für die Angemessenheitsprüfung sieht.24 Die Einschätzung Hanaus wird auch in ihrer pointierten Zuspitzung der heutigen Rechtslage nicht gerecht.25 Zunächst ist festzustellen, daß sich legislative Inhaltsbindungen aus den Dispositivvorschriften über § 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G nur gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen begründen lassen, es somit von vornherein allenfalls um eine „halbzwingende" 26 Wirkung gehen kann. Aber auch im Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes sind vom dispositiven Recht abweichende Parteiabsprachen keineswegs generell verpönt. Nach § 8 A G B G ist die Abweichung von Rechtsvorschriften gerade eine Voraussetzung für die Kontrollfähigkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen.27 Entscheidend aber ist die Erkenntnis, daß die gesetzlichen Regelungen (vgl. §9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G ) lediglich als Vorschläge gerechter Ordnungen zu begreifen sind. Keineswegs etwa konstituieren sie den jeweils einzig denkbaren Interessenausgleich.28 Auch das AGB-Gesetz hat das dispositive Recht nicht mit einem Exklusivitätsanspruch ausgestattet. Zu Recht meint Lieb, unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung der Dispositivität würden durch das AGB-Gesetz nur deren Grenzen markiert, ohne daß dadurch die Möglichkeit, die gesetzliche Regelung durch eine andere, ausgewogene und angemessene, zu ersetzen beseitigt würde.29 So widerstreitet der Hanauschen TheVertragsrechts zur Debatte. Sie bleiben daher im folgenden außer Betracht. Die Einschränkung des Bereichs für das Wirken der Privatautonomie sollte gleichwohl nicht überschätzt werden, so zutreffend Fiume, Rechtsgeschäft, § 1, 9, S. 16. 23 Erman-Hanau, §611 BGB Rdnr.9. 24 Schmidt-Salzer, AGB, Bilanz und rechtspolitische Folgerungen, S. 11-13; Becker, Auslegung des §9 Abs. 2 AGB-Gesetz, S.77. 25 Historische Reminiszens: Die Idee, für den Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen das dispositive Gesetzesrecht als zwingendes Recht anzuwenden, kam bereits im frühen Schrifttum auf (Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 293; Mroch, Zum Kampf gegen die unlauteren Geschäftsbedingungen, S.45ff.), fand jedoch keinen nachhaltigen Widerhall. Skeptisch gegenüber einer Vermehrung der zwingenden Regeln des Vertragsrechts zuletzt auch Kötz, Verhandlungen des 50. DJT, Bd. 1 Gutachten, S. A 68f. m.w.N. 26 Die Bezeichnung findet sich bei Schlechtriem, Schuldrecht Allgemeiner Teil, Rdnr. 62; ders., Schuldrechtsreform, S. 51. 27 Ulmer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rdnr. 42. 28 Staudinger-Coester, §9 AGBG Rdnr. 168. 29 Lieh, AcP 178 (1978), S.224.

110

§4 Die heutige Bedeutung

der normativen

Vertragstypenordnung

se auch der rechtstatsächliche Befund, nämlich die Existenz zahlreicher weitverbreiteter Klauselwerke, die mit Billigung der Rechtsprechung weitgehend eigenständige, sich vom dispositiven Recht in vielen Punkten entfernende Regelungssysteme etabliert haben. Solcher bedarf es, um die zwangsläufig verallgemeinernden und zum Teil antiquierten gesetzlichen Modellvorstellungen von der Gestalt der vertraglichen Schuldverhältnisse den Bedürfnissen einer modernen Wirtschaft anzupassen. 30 Das Gesetz darf hierbei nicht Hemmschuh für die notwendige kautelarjuristische Fortentwicklung der rechtlichen Gestaltungsformen sein. Richtig ist, daß das dispositive Recht durch das AGB-Gesetz insofern aufgewertet worden ist, als Abweichungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nunmehr besonderer Rechtfertigung bedürfen. 31 Ferner markiert das gesetzliche Vertragsrecht im Falle der Unvereinbarkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen mit seinen wesentlichen Grundgedanken nach § 6 Abs. 2 A G B G eine inhaltliche Auffanglinie. 32 Insgesamt erscheint es vertretbar, von einer „für den AGB-Sektor verbindlichen Inhaltsdirektive" zu sprechen. 33 Noch treffender ist hingegen das Schlagwort von der „limitierten Dispositivität" 34 , das zum Ausdruck bringen soll, daß die Rechtsordnung nur den AGB-Verwender belohnt, der von den Möglichkeiten des dispositiven Rechts maßvoll und in zu rechtfertigender Weise Gebrauch macht. Die Vertragsfreiheit, insbesondere in ihrer Ausprägung als inhaltliche Gestaltungsfreiheit, wird somit durch das AGB-Gesetz nicht grundsätzlich in Frage gestellt. 35

3. Wertungshilfe bei nicht kodifizierten Vertragstypen Die gesetzliche Vertragstypenordnung hält ein beachtliches Potential von Lösungsmustern für bestimmte Konfliktlagen bereit. Dahinter verbergen sich normative Interessenbewertungen, die über den jeweiligen Regelungszusammenhang hinaus auch auf ähnliche Interessenkonflikte ausstrahlen können und um der Einheit der Privatrechtsordnung willen dort nicht übergangen werden dürfen. Es wäre verfehlt, aus der schuldrechtlichen Typenfreiheit zu folgern, daß sich die rechtliche Bewertung nicht kodifizierter Verträge völlig außerhalb H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 54. Zur gesteigerten Verbindlichkeit des dispositiven Rechts Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 129f. m.w.N. 32 Vgl. E. Schmidt, JuS 1987,933. Demgegenüber läßt das im Grunde überflüssige, weil bereits zum Kanon anerkannter Methoden der Gesetzesauslegung und -analogie zählende, Umgehungsverbot in § 7 A G B G (vgl. nur Staudinger-ScWosser, §7 A G B G ) in diesem Zusammenhang entgegen Hanau (Erman-Hanau, §611 B G B Rdnr. 9) keine weiteren Schlüsse zu. Seine praktische Bedeutung ist denkbar gering (Ulmer/BraKi/rcer/Hensen, § 7 A G B G Rdnr. 1). Insbesondere bietet § 7 A G B G keine Handhabe, die Kontrollvorschriften des AGB-Gesetzes auch auf Individualabsprachen zu erstrecken (MünchKomm-ifötz, § 7 A G B G Rdnr. 2). 33 E. Schmidt, JuS 1987, 933 und von Hoyningen-Huene, § 9 A G B G , Rdnr. 14. 34 von Hoyningen-Huene, § 9 A G B G , Rdnr. 15. 3 5 Wo///Horn/Lindacher, A G B G Einl. Rdnr. 15. 30

31

III.

Eingeschränkte

Rationalität

des Kreises der normierten

Vertragstypen

111

der Wertungen zu vollziehen habe, die der Gesetzgeber im Rahmen der bestehenden Regelung der klassischen Schuldvertragstypen zum Ausdruck gebracht hat.36 Durch einen „Binnenrechtsvergleich" mit entsprechenden gesetzlichen Regelungen anderer Vertragstypen läßt sich manche Konfliktbewertung innerhalb nicht kodifizierter Verträge zumindest argumentativ anreichern. Als „Wertungshilfe" kommt die vergleichende Berücksichtigung anderen Orts positivierter Problemlösungen sowohl auf der Ebene der Rechtsfindung als auch und hier dürfte angesichts der wenig Lücken lassenden vorformulierten Vertragsbedingungen der Schwerpunkt liegen - im Rahmen der Inhaltskontrolle in Betracht. Welche methodischen Konsequenzen sich aus dieser von Sefrin37 als „Problemlösungsfunktion" bezeichneten Rolle des dispositiven Rechts für die gesetzlich nicht geregelten Vertragstypen ergeben, ist hingegen umstritten. Die Frage hängt entscheidend davon ab, wie sich die durch gesetzliche Dispositivnormen festgelegte Schuldvertragsordnung zu dem in rechtsgeschäftlicher Selbstbestimmung gesetzten Vertragsinhalt verhält. Der historische Rekurs hat hierauf erste Anworten zu Tage gefördert. Für eine abschließende Stellungnahme bedarf es freilich noch weiterer Überlegungen. Festgehalten werden soll an dieser Stelle lediglich, daß die normierten Vertragstypen in einer noch näher zu bestimmenden Weise sowohl die Rechtsfindung als auch die Inhaltskontrolle nicht kodifizierter Vertragstypen im Sinne einer „Wertungshilfe" zu beeinflussen vermögen.

III. Eingeschränkte Rationalität des Kreises der normierten Vertragstypen Das Wissen um die Herkunft und das Werden unserer heutigen Vertragstypenordnung trägt mit dazu bei, den Stellenwert des gesetzlichen Vertragsrechts bei der Findung des zwischen den Parteien geltenden Regelungsprogramms sowie seinen Verbindlichkeitsgrad im Rahmen der Inhaltskontrolle richtig zu ermessen. H.P. Westermann hat hierzu die These aufgestellt, das System der rechtsgeschäftlichen Gestaltungselemente und der objektiven Rechtsfiguren sei historisch gewachsen, ohne daß dem zeitlichen Gesetzgeber die Wertungsgrundlagen der Rechtsinstitute immer vor Augen gestanden hätten.38 Dieser Einschätzung ist uneingeschränkt beizupflichten.

36 Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 104; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 187; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.51. 37 Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 104; ähnlich Fehl, Finanzierungsleasing und Bauherrenmodell, S.29f. („Problemlösungskatalog"). 38 H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 31.

112

§4 Die heutige Bedeutung der normativen

Vertragstypenordnung

1. Gründe für die Normierung einzelner Vertragstypen Dafür spricht schon die Entstehungsgeschichte der heutigen Vertragstypenordnung. Obwohl hier vieles noch im Dunkeln liegt, läßt sich doch mit Gewißheit sagen, daß die gesetzliche Regelung nicht logisch-systematisch, sondern historisch-empirisch bedingt ist. 39 Der Gesetzgeber hat die Vertragstypen nicht erfunden, sondern in der Wirklichkeit des Rechtslebens vorgefunden, in ihrer Typizität erfaßt und diejenigen Regeln hinzugefügt, die er einem solchen Vertragstyp als angemessen erachtete. 40 Einige wichtige Vertragstypen (z.B. Kauf, Miete, Darlehen) hatten sich schon sehr früh herausgebildet und bereits im römischen Recht eine rechtliche Ausgestaltung erfahren. An solche Uberlieferungen knüpfte man später an. Aber auch in diesem Falle dürften die Ursprünge im damaligen - antiken - Rechtsleben zu finden sein. 41 Die Kodifizierung neuer Geschäftstypen spiegelt ebenfalls nur entsprechende Entwicklungen der realen Lebensverhältnisse wider, in neuerer Zeit vor allem die Ausdifferenzierung einer modernen Handels- und Wirtschaftsgesellschaft. Mitunter handelt es sich dann bei den entsprechenden gesetzlichen Regelungen um eine bloße Kodifikation bestehender Verkehrssitten, 42 insbesondere langdauernder kaufmännischer Übungen. 43 Im Schrifttum wird hieran die Schlußfolgerung geknüpft, bei unserem Schuldvertragssystem handele es sich streng genommen nicht um ein „System" logisch aufeinander abgestimmter und in sich stimmiger Regelungsinhalte, sondern um eine bloßer Erfahrung entspringende Aneinanderreihung einzelner Schuldverhältnisse. 44 Dies mag im Ergebnis zutreffen, doch sollte hierbei nicht übersehen werden, daß das fortwährende rechtsdogmatische Wirken der Zivilrechtswissenschaft im Dialog mit der Rechtsprechung Verbindungslinien hervorgebracht und die Koordination mit den Regeln des allgemeinen Schuldrechts weiterentwickelt hat, so daß von einer dem Recht der Vertragsschuldverhältnisse zugrunde liegenden Systematik wohl schon gesprochen werden kann.

39 Larenz, Methodenlehre, S. 466; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 646; Sigulla, Vertragstypologie und Gesetzesleitbilder, S. 98; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 42; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 105 ff. Im Schrifttum hat es hingegen auch Versuche einer apriorischen Konstruktion der Vertragstypen gegeben; hierzu Charmatz, Vertragstypen, S.6 m.w.N. 40 Larenz, Methodenlehre, S.466; Canaris, AcP 190 (1990), S.449. 41 Engisch, Konkretisierung, S. 269 und 272; Larenz, Methodenlehre, S. 466; Dellios, Rechtsfindungsmethode, SA2.Jhering (Kampf ums Recht, S. 8 f.) äußerte die Vermutung, daß sich die normative Typisierung vor allem durch Übernahme der damals in Gebrauch stehenden Formularsammlungen vollzogen habe. Hierzu auch Betti, in: FS für Wenger, S. 252f. und Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 106f. 42 Düringer/Hachenburg-Werner, (3. Aufl. 1932), §346 H G B Anm. 2; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, S.273. 43 Ratsch, BB 1968, 528. 44 Heck, Schuldrecht, S.244; Engisch, Konkretisierung, S.269; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 646; Schreiber, JherJb 60 (1912), S.209.

III.

Eingeschränkte

Rationalität des Kreises der normierten Vertragstypen

2. Aleatorische Züge und fragmentarischer Charakter normativen Vertragstypenordnung

113

der

Daß die Entscheidung über die Kodifizierung eines bestimmten Vertragstyps nicht immer auf objektiv-nachvollziehbaren oder gar sachlogischen Gründen beruht, läßt bereits ein Vergleich der verschiedenen, im gleichen Zeitraum entstandenen europäischen Privatrechtsordnungen erkennen.45 Unabhängig von dem Wissen um die Genesis der normierten Vertragstypen fördert aber auch der Blick auf die aktuelle Ordnung der Schuldvertragstypen zahlreiche Zufälligkeiten und Unzulänglichkeiten zutage.46 Immer noch sind beispielsweise die hochbedeutsame Sicherungsabrede als schuldrechtliche Grundlage aller nichtakzessorischen Sicherungsgeschäfte, der schon vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches ausführlich erörterte Garantievertrag47 sowie der im gewerblichen Rechtsschutz seit langer Zeit bekannte Lizenzvertrag vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen worden. Hingegen hat der Reisevertrag Eingang in das Bürgerliche Gesetzbuch gefunden. Andere moderne, mittlerweile jedoch etablierte Vertragsformen (z.B. Leasing) sollen offenbar auf absehbare Zeit ungeregelt bleiben. Der fragmentarische Charakter des gesetzlichen Katalogs der Schuldvertragstypen liegt damit heute offener zu Tage als je zuvor. Nicht nur die Kodifikationsentscheidung als solche, auch die jeweilige Intensität der Regelung vermittelt nicht den Eindruck eines abgestimmten und ausgewogenen Konzepts (vgl. etwa den Umfang der gesetzlichen Regelung des Reisevertragsrechts in §§651a ff. B G B mit der nur aus einer Vorschrift bestehenden Regelung des Vergleichs in §779 BGB). Und selbst inhaltlich offensichtlich verfehlte Regelungen - wie z.B. das Verjährungsrecht für Mängelansprüche des Käufers in §477 B G B - 48 bleiben weiter in Kraft. Im Bürgerlichen Gesetzbuch finden sich sogar ganze Vertrags typen, über die die Zeit hinweggegangen ist. So bedient sich der Rechtsverkehr kaum noch der vom Gesetzgeber als Regelfall gedachten Bürgschaft mit subsidiärer Haftung des Bürgen. 49

3. Verengung des Funktionsbereichs der gesetzlichen Regelungsmodelle durch Ausrichtung an bestimmten Lebenssachverhalten Die Ergänzungsfunktion, die Problemlösungskompetenz sowie die Maßstabsfunktion des dispositiven Gesetzesrechts werden weiterhin dadurch gemindert, daß dem historischen Gesetzgeber bei der Normierung einzelner Ver45

Beispiele unterschiedlicher Normierungsentscheidungen bei Meier-Hayoz,

SJK Nr. 1134,

S.5. Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 IV 4, S. 155; Weber, in: FS für Meier-Hayoz, S.434. Vgl. nur Stammler, AcP 69 (1886), S. lff. 48 Zur Kritik Larenz, Schuldrecht II/l, § 41 II, S. 63; Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 73; SoegelHuber, §477 BGB Rdnr.73. 49 Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 IV 4, S. 153. 46

47

114

§4 Die heutige Bedeutung

der normativen

Vertragstypenordnung

tragstypen mitunter sehr konkrete Lebenssachverhalte vor Augen standen, an denen er seinen jeweiligen Regelungsplan auszurichten versuchte. Das hohe Abstraktionsniveau des Bürgerlichen Gesetzbuches wird zwar nach außen hin gewahrt. Dem Betrachter erschließt sich freilich sehr bald, daß die jeweilige Regelung trotz ihres durch allgemeine Kriterien weit abgesteckten Geltungsbereichs nur einen Ausschnitt der Lebenswirklichkeit zufriedenstellend und erschöpfend regelt. Andere, ebenfalls unter den gesetzlichen Vertragstyp fallende Konstellationen standen damals - aus welchen Gründen auch immer - nicht im Zentrum der Überlegungen, so daß sie auch vom Regelungsplan des Gesetzgebers nur unzureichend erfaßt wurden. Bestimmte Gesetzesvorschriften erweisen sich demgemäß schlicht als unanwendbar oder passen doch nur in modifizierter Form, während andererseits wichtige Grundfragen solcher, nicht im Blickfeld des Gesetzgebers stehender, Sachverhalte nicht geregelt worden sind. Zwei Beispiele mögen das Gesagte veranschaulichen. Die gesetzliche Regelung des Kaufrechts kennt zwar verschiedene Arten des Kaufs (Kauf von Sachen und Rechten, Kauf nach Probe etc.). Beim Sachkauf orientiert sie sich jedoch am Erwerb neuer Sachen. 50 Dies zeigt sich vor allem in der Frage der Mängelgewährleistung (§§459ff. B G B ) . Den Verkäufer einer Ware, die bisher noch nicht in Gebrauch gewesen ist, für die Tauglichkeit zum vorausgesetzten, bestimmungsgemäßen Gebrauch einstehen zu lassen, ist gerechtfertigt. Denn für den Verkäufer schwer zu entdeckende (z.B. verschleißbedingte) Mängel aufgrund der Vorbenutzung können von vornherein ausgeschlossen werden. Das Risiko für den Verkäufer erscheint so grundsätzlich beherrschbar. Anders stellt sich die Situation dar, wenn gebrauchte Gegenstände - etwa ein Gebrauchtwagen - verkauft wird. Hier hat es der Verkäufer - insbesondere wenn er kein Fachmann ist - oftmals nicht in der Hand, sich von der Fehlerfreiheit des Gegenstandes zu überzeugen. Die strenge kaufrechtliche Gewährleistungshaftung erscheint hier weit weniger angebracht. Das AGB-Gesetz hat die Konsequenz hieraus gezogen und in § 11 Nr. 10 eine (begrenzte) Unabdingbarkeit des gesetzlichen Gewährleistungsrechts nur im Hinblick auf neu hergestellte Sachen vorgesehen. Das Haftungskonzept des Bürgerlichen Gesetzbuches hingegen erfaßt sämtliche Verkaufsgeschäfte. Die notwendigen Korrekturen für den Kauf gebrauchter Sachen hat der Gesetzgeber hier ganz offensichtlich der Kautelarpraxis überantwortet. Ferner fällt auf, daß das gesetzliche Kaufrecht, aber auch das allgemeine Leistungsstörungsrecht, auf den flüchtigen, einmaligen Austausch „Ware gegen Geld" zugeschnitten ist. Eine längere Geschäftsverbindung - etwa ein Sukzessivlieferungsvertrag - wird hingegen nicht adäquat erfaßt. 51 Sehr weit ist auch der Anwendungsbereich der Vorschriften über den Werkvertrag gefaßt. Gleichwohl zeigt die Analyse der gesetzlichen Bestimmungen, daß dem Gesetzgeber vor allem die typischen Fälle der Herstellung oder Verän50 51

So zutreffend Brandt, D R W 1940, 79; Becker, Auslegung des § 9 Abs. 2 AGB-Gesetz, S. 95. Brandt, D R W 1940, 78; Soergel-Huber, Vor §433 B G B Rdnr.42.

IV.

Überlagerung

115

durch engere Wertungszusammenhänge

derung eines verkörperten Werkes - etwa durch einen Handwerker - vor Augen standen. 52 Schon auf eine wichtige Unterart des Werkvertrages, den Beförderungsvertrag, lassen sich zahlreiche Vorschriften des Werkvertragsrechts nicht mehr problemlos anwenden - man denke hier nur an §633 B G B . 5 3 Auch dieses vorstehend beispielhaft hervorgehobene Charakteristikum der normativen Vertragstypenordnung führt nochmals die Gefahren eines unreflektierten Rückgriffs auf das dispositive Gesetzesrecht und ganz allgemein der Uberschätzung des gesetzlichen Vertragstypenrechts vor Augen.

IV. Überlagerung der traditionellen Vertragsmuster engere Wertungszusammenhänge

durch

Bereits die bisherigen Ausführungen haben erkennen lassen, daß sich Bedeutung und Funktion der Vertragstypenordnung nicht zuletzt über ihr Verhältnis zur Vertragswirklichkeit bestimmen. 54 Dieses ist kein statisches, sondern ein in stetiger Bewegung befindliches. 55 War die Übereinstimmung zwischen den normativen Gesetzestypen und den empirisch-realen Lebenstypen Anfang des Jahrhunderts immerhin noch erkennbar, so hat sich in den nunmehr einhundert Jahren der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuches eine Schere aufgetan. 56 Der Gesetzgeber hat mit den fortwährenden Änderungen der sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen auch nicht annähernd Schritt halten können. So sind beispielsweise die klassischen Vertragsmuster wie vor allem der Kauf- und Werkvertrag von Gesetzesänderungen weitgehend verschont geblieben, während die Vertragspraxis immer speziellere Ausformungen dieser Vertragstypen hervorgebracht hat, die kaum noch Gemeinsamkeiten aufweisen. 57 Rechtsprechung und Rechtswissenschaft sahen sich gezwungen, sich von den groben Unter52 Vgl. Motive II, S.470; von Tuhr, Allgemeiner Teil, I I / l , S. 180; Larenz, Schuldrecht I I / l , §53 I, S.344; Esser/Weyers, Schuldrecht I I / l , §31, 2, S.250; Soergel-Teichmann, Vor §631 B G B Rdnr.l. 53 Brandt, DRW 1940, 78f.; Larenz, Schuldrecht I I / l , §53 I, S.344. 54 Grundlegend hierzu Schwark, Rechtstheorie Bd.9 (1978), 73 ff. 55 Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 108; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 179; Rode, J R 1968, 407. Ausweislich der Motive (Mugdan I S.362) gingen auch die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches davon aus, daß bei Auftreten neuer Vertragstypen im Geschäftsverkehr der Gesetzgeber entsprechende Erweiterungen des Schuldrechts vornehmen würde. 56 Schwark, JZ 1980, 741. Deutlich zu Sprache gekommen ist dieser Befund im Rahmen der Diskussion um die Reform des Schuldrechts in den 80er Jahren. Vgl. Schmude, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge I, S. XV; ders., N J W 1982,2018 („Einigkeit besteht darüber, daß sich das gelebte Schuldrecht immer mehr vom Text des B G B entfernt."); und nochmals Bundesminister der Justiz (hrsg.), Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 14. Die Versöhnung der Legalordnung mit der praktizierten Vertragswirklichkeit ist eines der Hauptanliegen der Reformer (vgl. hierzu noch im einzelnen unter § 10).

57 Stzatiinger-Mayer-Maly, nerhalb der Typen").

Einl. zu §§433ff. B G B Rdnr. 10 („massive Ausdifferenzierung in-

116

§4 Die heutige Bedeutung der normativen

Vertragstypenordnung

Scheidungen des besonderen Schuldvertragsrechts zu lösen und im Hinblick auf bestimmte Ordnungsprobleme engere Bereiche abzugrenzen, die durch gemeinsame Merkmale gekennzeichnet sind. So ist beispielsweise das gesetzliche Regelungsmodell „Kaufvertrag" in ein weit gespanntes Netz von Untertypen aufgegliedert worden, die sich an den Vertragsgegenständen, den Handelsstufen, den wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen etc. ausrichten.58 Man denke etwa an die Aufstellung entsprechender Leitbilder durch die Rechtsprechung im Rahmen der AGB-Kontrolle zum Kauf fabrikneuer Möbel,59 zum Gebrauchtwagenhandel,60 zum finanzierten Teilzahlungskauf61 etc. Noch deutlicher ist diese Ausdifferenzierung im Bereich des Werkvertragsrechts zu spüren, das formal eine Reihe von überaus heterogenen tatsächlichen Geschäftsformen verklammert.62 Unter dem Dach des Werkvertragsrechts führen diese Untertypen ein Eigenleben, das kaum noch übergreifende Wertungszusammenhänge erkennen läßt. Mitunter verläuft diese Typisierung sogar quer zu den überlieferten Vertragstypen, gliedert diese auf oder faßt Teilbereiche davon zu neuen Ordnungen zusammen.63 Dieser Typisierungsprozeß läßt die klassischen Vertragsgrundformen zwar nicht obsolet werden. Sie bleiben - wie Weick64 es treffend ausgedrückt hat - als Gerüst und behalten ihre Funktion im dogmatischen Gebäude, werden aber gleichsam mit einem Netz engerer und weiterer Gruppierungen überzogen, die sich von den traditionellen Vertragstypen qualitativ unterscheiden und Träger für neue Problemlösungen sind.

V. Fazit Schon diese Bestandsaufnahme zum status quo sollte die verbreitete Wertschätzung relativieren, bei der gesetzlichen Vertragstypenordnung handele es sich um ein nahezu lückenloses Einordnungsschema und zugleich um ein stimmiges Wertungsmodell. Vielmehr nimmt die Vertragstypenordnung zunehmend den Charakter eines überdies fragmentarischen Grobrasters an.65 Dem Kreis der normierten Vertragstypen kann jedenfalls nur eine eingeschränkte Rationalität bescheinigt werden, was sowohl auf der Ebene der Rechtsfindung als auch der der Inhaltskontrolle nicht außer acht gelassen werden darf. Die Lei-

58 Weick, NJW 1978, 14f.; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 108. 59 BGHZ 22, 90; B G H NJW 1985, 320. 60 BGH NJW 1979, 1886 (1888) („Leitbild des Gebrauchtwagenverkaufs"). 61 Vgl. insbesondere die in NJW 1967,1022ff. abgedruckte Entscheidungsserie des Bundesgerichtshofs. Wichtige Fragen des Vertragsinhalts von Verbraucherkreditverträgen sind jetzt im Verbraucherkreditgesetz vom 17.12. 1990 geregelt. 62 Weick, NJW 1978, 14; Staudinger-Mayer-Maly, Einl. zu §§433ff. BGB Rdnr. 10. 63 Weick, NJW 1978, 15; Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rdnr. 83. 64 Weick, NJW 1978, 15. 65 Gernhuher, Schuldverhältnis, §7 IV 4, S. 155.

V. Fazit

117

stungsfähigkeit der gesetzlichen Regelung gerade in ihrer maßstabsbildenden Funktion sollte nicht überschätzt werden.66 Zu konstatieren ist ferner, daß die Herausbildung neuartiger, vom Gesetzgeber nicht aufgegriffener Vertragsformen und die fortschreitende kautelarjuristische Ausdifferenzierung der gesetzlichen Vertragstypen die vormals vom Gesetzgeber in Anspruch genommene Typisierungsaufgabe zunehmend auf die Rechtsprechung übergehen läßt. Zu Recht bemerkt Larenzf7 daß der Anteil der Rechtsprechung an der Fortbildung, Differenzierung und Verfeinerung der gesetzlichen Regeln auf keinem Gebiet des Privatrechts so stark ist wie auf dem des Schuldrechts. Im Bereich der nicht kodifizierten Vertragstypen ist der Judikative sogar gleichsam die Rolle eines Ersatzgesetzgebers zugefallen. Die höchstrichterliche Spruchpraxis hat zu einer ausgreifenden und hochverästelten Kasuistik geführt, die an die anglo-amerikanische case-law-Rechtspraxis erinnert68 und von der Kautelarjurisprudenz wie normativ geltendes Recht angesehen wird. Dies wirft die Frage nach der Legitimation der quasi-normativen Gestaltung des Vertragsrechts - bei abnehmender Gesetzesanbindung - durch die Gerichte auf.69 Angemerkt sei hierzu nur folgendes: Die verfassungsrechtlichen Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung dürfen hier nicht zu eng gesteckt werden,70 hat sich doch das Grundgesetz bewußt für eine auf der Vertragsfreiheit beruhende Privatrechtsordnung entschieden, die Gestaltungsbefugnisse der Parteien auch außerhalb der gesetzlich normierten Vertragstypenordnung einschließt. Den Gerichten fällt damit systembedingt die Aufgabe zu, im Streitfall die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien letztverbindlich zu bestimmen und getroffene Vereinbarungen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen, auch wenn es hierfür an unmittelbaren gesetzlichen Vorgaben fehlt.

H. Schmidt, Vertragsfolgen, S. 166. Larenz, Schuldrecht I, § 1, S. 2; ebenso Kötz, in: Verhandlungen des 60. DJT, 1994, Band II/ 1, S . K 10. 68 Esser, Grundsatz und Norm, S. 19. 69 Ausführlich hierzu mit vielen Nachweisen Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 59ff. 70 Dies vor allem gegen Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 59ff. 66 67

Zweites Kapitel

Inhaltsbestimmung Die Ermittlung des zwischen den Parteien eines tatsächlich abgeschlossenen Vertrages geltenden Rechts, also des verbindlichen Rechte- und Pflichtenprogramms, nimmt seinen Ausgang in der Analyse des konkreten Vertragsinhalts und seiner Begleitumstände. Im Anschluß hieran richtet sich der Blick auf die gesetzlich geregelten Vertragstypen und die für sie vorgesehenen Rechtsfolgen. 1 O b und inwieweit sie das Vertragsverhältnis formen, hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere von der Regelungsintensität des vertraglich Vereinbarten und dem Grad der Ubereinstimmung mit der gesetzlichen Regelung. Wesentlich erleichtert wird die Rechtsfindung, wenn es gelingt, den zu beurteilenden Vertrag einem normierten Vertragstyp zuzuordnen. Man spricht von Rechtsnaturbestimmung, rechtlicher Qualifikation oder rechtlicher Einordnung.2 Dabei handelt es sich um einen - allerdings nicht unbedingt denknotwendigen - Zwischenschritt auf dem Wege zur Rechtsfolgenbestimmung. Er wird durch die Existenz des gesetzlichen Systems der Vertragsarten nahegelegt und vollzieht sich durch ständiges Hin- und Herwandern des Blicks zwischen konkret-faktischem Vertrag und dem normierten Vertragstyp. 3 Die rechtliche Einordnung hat trotz der Absage an einen schuldrechtlichen Typenzwang und einer allseits zu beobachtenden Hinwendung zu einem typologischen Verständnis der Schuldverträge nach Ansicht namhafter Autoren seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches erheblich an Bedeutung gewonnen.4 Das Qualifikationsproblem könne kaum überschätzt werden; 5 eine Rechtsnaturbestimmung sei vielfach unerläßlich. 6 Von der Rechtsnatur des Unbestritten; vgl. etwa Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.21. Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.21; Kritik am Begriff der „Rechtsnatur" äußert Leenen, AcP 190 (1990), S.264. 3 In Anlehnung an die bekannte Formel Engischs zur Subsumtionstechnik (Engisch, Logische Studien, S. 15; übernommen z.B. von Earenz, Methodenlehre, S.281 und Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 44). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß Engisch auch die Zuordnung eines Lebensvorgangs zu einem Typus als „Subsumtion" bezeichnet (vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S.257). 4 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I, S.43; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.21 f.; Staudinger-Mayer-Maly, Einl. zu §§433ff. BGB Rdnr.6. 5 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I, S.43. 6 Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.21 f. 1

2

Inhaltsbestimmung

119

dogmatisch einzuordnenden Vertrages hänge es vielfach ab, welche der sukzessive ausgeweiteten Schranken der Vertragsfreiheit zum Zuge kommen. 7 Dies könnten zum einen einzelne Gesetzesbestimmungen oder Rechtsprechungsgrundsätze, wie z.B. die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften einschließlich der richterrechtlich entwickelten Inhaltsbeschränkungen oder die z.B. bei gemischten Schenkungen Probleme bereitende Formvorschrift des §518 B G B sein. Darüber hinaus gehe es auch um die Anwendbarkeit ganzer Gesetze. Martinek8 verweist insoweit auf das mittlerweile durch das Verbraucherkreditgesetz abgelöste Abzahlungsgesetz; man wird im Hinblick auf die Bereichsausnahmen in §23 Abs. 1 A G B G hier auch an das AGB-Gesetz zu denken haben. Ferner sei die Qualifikation einer Vereinbarung, soweit sie dem AGB-Gesetz unterfalle, zur Entscheidung der Frage von Bedeutung, welches Vertragsleitbild nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G maßgeblich sein soll.9 Schließlich knüpfe auch die insolvenz, bilanz- und steuerrechtliche Behandlung eines Vertrages an seine zivilrechtliche Einordnung an.10 Dieser Sichtweise hat Langenfeld entgegengehalten, daß sie sich in Widerspruch zur Typenfreiheit als Vertragsinhaltsfreiheit setze.11 Die Zuordnungen könnten - so Langenfeld - unter Berücksichtigung der Rechtsnatur der betreffenden Vertragsbestimmung und des Sinnzusammenhangs des Gesamtvertrages vorgenommen werden, ohne daß dem kautelarjuristischen Vertragstyp insgesamt ein nicht passendes Etikett aufgeklebt werden müßte. Dieser Einwand ist bedenkenswert. Es hat den Anschein, als sei die kritisierte Einschätzung der herrschenden Literaturmeinung symptomatisch für die noch aufzuzeigende Tendenz, neuartige Vertragsgebilde möglichst in das Schema der gesetzlichen Vertragstypen einzupassen. Zweifel an der Berechtigung dieser Vorgehensweise hat bereits der historische Rückblick hervorgerufen, verkürzt sie doch unverkennbar den Spielraum autonomer Vertragsgestaltung zugunsten einer entwicklungsgeschichtlich so nicht gerechtfertigten Aufwertung der gesetzlichen Vertragstypenordnung. Diese zentrale Frage soll im Rahmen dieser Untersuchung noch aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet werden.

7 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I, S. 43; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.22; Meier-Hayoz, SJK Nr. 1134, S.5; Wank, Anra. J R 1990, 426. 8 Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 2 II, S. 22. 9 Sitaudinger-Mayer-Maly, Einl. zu §§433ff. BGB Rdnr. 6; Larenz!Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I, S.43; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.22. 10 Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.22. 11 Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rdnr. 109.

§ 5 Rechtsfindungsmethoden der Rechtsprechung Auf dem Gebiete der nicht kodifizierten Vertragstypen fehlt es nicht nur an einem legislativen Rechtsrahmen im Sinne eines Bündels von Lösungsvorschlägen für Zweifelsfragen, sondern damit einhergehend auch an grundlegenden, für den jeweiligen Vertragstyp verallgemeinerungsfähigen Wertentscheidungen. Dieses Defizit kompensieren auch die Regelungsprogramme der Vertragsparteien nur bedingt. Sie sind häufig lückenhaft oder in entscheidenden Punkten mehrdeutig formuliert. So erklärt sich, daß die Rechtsprechung an der Konturierung neuer Vertragstypen entscheidend beteiligt ist und ihren Erkenntnissen höchste Aufmerksamkeit - allen voran von Seiten der Kautelarpraxis - gewiß ist.1 Die Gerichte sehen sich in zahlreichen Einzelfällen jeweils mit einem Ausschnitt aus der vielgestaltigen Vertragswirklichkeit konfrontiert. Ihnen geht es dabei in erster Linie darum, die konkrete Vertragsstreitigkeit ausgehend vom Vertragsinhalt und zugleich - soweit vorhanden - unter Berücksichtigung normativer Vorgaben zu entscheiden. Die Entwicklung eines dogmatisch stimmigen Regelsystems läßt diese Art der Befassung kaum zu. Gleichwohl ist es im Hinblick auf ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen erstrebenswert, daß die Gerichte ihre Entscheidungsfindung an bestimmten, vom jeweiligen Einzelfall abstrahierenden Leitmaximen ausrichten. O b der Rechtsprechung ein solchermaßen methodengeleitetes Vorgehen attestiert werden kann, ob ihr vielleicht sogar ein bestimmtes methodisches Konzept zugrunde liegt und ob Verbindungslinien zur kontroversen Diskussion im Schrifttum bestehen, soll im folgenden untersucht werden.

I. Verzicht auf eine methodische Festlegung Die Rechtsprechung hat sich - von wenigen, vereinzelt gebliebenen Entscheidungen abgesehen - einer grundsätzlichen Stellungnahme zur Methode der Rechtsfindung bei nicht kodifizierten Verträgen enthalten. 1 Eine gewisse Zurückdrängung der Rechtsprechung gerade bei den modernen Vertragstypen - z . B . den Joint-Venture-Verträgen-geht allerdings mit der Übertragung der Konfliktlösung auf private Schiedsgerichte einher; vgl. hierzu Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 III, S. 31 m.w.N. und Nicklisch, in: Der komplexe Langzeitvertrag (hrsg. von Nicklisch), S. 23. Auch ist es eine gesicherte Erkenntnis, daß Streitigkeiten betreffend den Vertragsinhalt meist nur dann vor die Gerichte gelangen, wenn die Vertragsbeziehung gescheitert ist; vgl. hierzu Windbichler, AcP 198 (1998), S.281.

I. Verzicht auf eine methodische

Festlegung

121

Exzeptionelle Züge weist insoweit vor allem ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 1969 auf, handelt es sich doch - soweit ersichtlich - um das einzige höchstrichterliche Judikat, das sich mit den zum Problem der gemischten Verträge vertretenen Theorien auseinandersetzt.2 In diesem Rechtsstreit ging es um die Beendigung eines Vertragsverhältnisses, das - so das Bundesarbeitsgericht - einerseits als unzerstörbare Einheit aufzufassen war, aber andererseits durch Elemente verschiedener Vertragstypen (Arbeitsvertrag, Mietvertrag, evtl. auch Darlehensvertrag) geprägt war. An die Spitze der Urteilsgründe stellte das Bundesarbeitsgericht damals ein klares, wenngleich nicht näher begründetes, Votum für den grundsätzlichen Vorrang der Kombinationsmethode. Im allgemeinen - so hieß es in der Entscheidung - werde man die Beurteilung des Streitverhältnisses dem jeweils einschlagenden Vertragselement zu entnehmen haben, und zwar in unmittelbarer oder in entsprechender Anwendung seiner Normen (Kombinationsgrundsatz). Anders sei zu verfahren, wenn es sich um die Auflösung der Vertragseinheit selbst handele. Dann müßten diejenigen Vertragselemente, die die Auflösung des Gesamtvertrages nicht herbeiführen könnten, zurücktreten zugunsten solcher Vertragselemente, die eine Auflösung des Gesamtvertrages sinnvoll ermöglichten und die darüber hinaus das wirtschaftliche Schwergewicht des Vertragswerkes bildeten (Absorptionsprinzip). Auch die prozessuale Zuständigkeit richte sich in diesem Falle nach demjenigen Vertragstypus, der die Auflösung des Gesamtvertrages sinnvoll ermögliche und wirtschaftlich sein Schwergewicht bilde.3 Zumindest zur Sprache gekommen sind Absorptions- und Kombinationstheorie sowie die Theorie der analogen Rechtsanwendung ferner in einer zu einem Altenheimvertrag ergangenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln.4 Da das Gesetz die Rechtsanwendung bei gemischten Verträgen - als solchen qualifiziert das Gericht im Einklang mit der allgemeinen Meinung 5 den Altenheimvertrag - nicht geregelt habe, sei man auf eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die typischen Verträge des Schuldrechts verwiesen. In diesem Zusammenhang referiert das Gericht - freilich in unzulässig verkürzender Weise - 6 den Inhalt der bekannten Theorien, um diese sodann in ihrer Ergebnisrelevanz entscheidend zu relativieren. Letztlich sei die Heranziehung der konkreten Norm nach allen Theorien der Sache nach Analogie, denn eine direkte Anwendung scheide mangels Vorliegens eines im Gesetz geregelten Vertragstypus aus. Daraus zieht das Oberlandesgericht Köln dann den Schluß, daß es darauf ankomme, ob die Norm ihrem Zweck nach auf den gemischten Vertrag passe. Dafür sei auf die Interessenlage der am Vertrag Beteiligten und deren mutmaßlichen Willen abzustellen. BAG AP Nr. 1 zu §611 BGB Gemischter Vertrag mit Anm. Söllner. Zustimmend zuletzt BGH NJW 1998, 909 (910). 4 OLG Köln NJW 1980, 1395 (1396). 5 BGH NJW 1979,1288; 1981,341 (342); MünchKomm-Thode, §305 BGB Rdnr.46; PalandtHeinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr.21. 6 Zu Recht kritisch Eick, Problem der gemischten Verträge, S. 86. 2

3

122

§3 Rechtsfindungsmethoden

der

Rechtsprechung

Der Bundesgerichtshof vermeidet eine eindeutige Festlegung. Gleichermaßen knapp wie vage formuliert er, es biete sich sowohl die Anwendung allgemeiner Regeln des Schuldrechts als auch die Heranziehung bestimmter Vorschriften aus gesetzlich geregelten Schuldverhältnissen an.7 Der veröffentlichten Judikatur lassen sich ansonsten selbst derart skizzenhafte Überlegungen zur Methode der Rechtsfindung bei gemischten und typenfremden Verträgen nicht entnehmen. Die fallspezifischen Urteilsausführungen werden häufig mit einer bewußt alle Möglichkeiten offen lassenden, allgemein gehaltenen Formel eingeleitet, etwa des Inhalts, daß es auf den Sinn und Zweck des Vertrages, dessen wirtschaftliche Bedeutung und die Interessen der Parteien ankomme.8 Zuweilen wird auch der Inhalt der getroffenen Vereinbarung,9 der Parteiwille,10 oder aber der Zweck der Norm 11 stärker in den Vordergrund gerückt. Näheren Aufschluß über eventuelle Gesetzmäßigkeiten und wiederkehrende Lösungsmuster in der Rechtsprechung zu den nicht kodifizierten Verträgen vermag somit allenfalls eine hierauf gerichtete Inhaltsanalyse der ergangenen Entscheidungen zu geben. Diese Auswertung soll hier in ihren wesentlichen Ergebnissen vorgestellt und belegt werden; einige repräsentativ erscheinende oder aus anderen Gründen bemerkenswerte Judikate werden dabei näher beleuchtet werden. Aus dem Bereich der typenfremden Verträge soll exemplarisch die Rechtsprechung zum Leasingvertrag näher untersucht werden.

II. Die Bedeutung des vertraglich Vereinbarten im Recbtsfindungsprozeß Der Gegenstand der Rechtsnatur- und Rechtsfolgenbestimmung ist der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag als solcher. Er dient daher auch der Rechtsprechung als Ausgangspunkt aller weiterführender Betrachtungen. Erst vor kurzem hat der Bundesgerichtshof diese an sich selbstverständliche Vorgehensweise im Hinblick auf eine näherer Bestimmung bedürftige Unterlassungsverpflichtung bekräftigt.12 Die Rechtsnatur, so seine Mahnung, könne im Blick auf den für sie geltenden Grundsatz der Vertragsfreiheit nicht generell und einheitlich festgelegt werden, sondern hänge maßgeblich vom Inhalt der getroffenen Vereinbarung ab. Ausgehend vom Wortlaut werden in der Rechtsprechungspraxis Inhalt und Sinnzusammenhang der Vertragsbestimmungen geB G H N J W 1992, 2690. Vgl. etwa B G H L M Nr. 20 zu §459 B G B , B G H Z 60, 362 (364), 74, 204 (207) (sämtlich für Bauträgerverträge); ähnlich auch B G H Z 30, 120 (122) (für gemischte Schenkung). 9 B G H N J W 1995, 2788 (2789) für vertragliche Unterlassungsverpflichtung. 10 R G Z 161, 321 (324f.) für Filmherstellungs- und Vewertungsvertrag; B A G D B 1976, 539 (540) für Anstellungsvertrag eines Rechtsanwalts mit Sozietätszusage. 11 O L G Köln N J W 1980, 1395 (1396). 12 B G H N J W 1995, 2788 (2789). 7 8

II. Die Bedeutung des vertraglich Vereinbarten im Rechtsfindungsprozeß

123

würdigt, wird der wirtschaftliche Zweck des Vertrages und die ihn bedingenden Interessen der Parteien in Augenschein genommen. All dies geschieht mit stetem Seitenblick auf die sich als Lösungsmuster anbietenden gesetzlichen Schuldvertragstypen.

1. Bezeichnung

des Vertrages

durch die

Parteien

Gilt hiernach der erste Blick den vertraglichen Vereinbarungen, so erhebt sich sehr bald die Frage, welche Bedeutung dem konkreten Vertragstext, den von den Parteien gewählten Formulierungen und Bezeichnungen für die Rechtsnaturbestimmung zukommt. Spricht es beispielsweise für eine mietrechtliche Qualifizierung, wenn sich die Parteien eines Leasingvertrages einer mietrechtlichen Begrifflichkeit bedienen, also von „Vermieter", „Mieter", „Mietzins" und „Grundmietzeit" sprechen? Die zu dieser Problematik ergangene Rechtsprechung vermittelt schon seit Reichsgerichtszeiten kein geschlossenes Bild. So sah sich beispielsweise das Reichsgericht nicht gehindert, die vertragliche Überlassung von Bahnhofsräumen zum Betriebe eines Wechselgeschäfts trotz entgegenstehender Vertragsüberschrift („Pachtvertrag") als gemischtes und nicht allein den Regeln des Mietrechts unterfallendes Rechtsgeschäft zu beurteilen.13 Darauf, wie die Parteien das Rechtsverhältnis bezeichnet hätten, komme es - so das Reichsgericht nicht an. Damit deckt sich eine apodiktische Formulierung anläßlich der Rechtsnaturbestimmung eines Architektenvertrages.14 Hiernach sollen die Parteien die objektive Rechtsnatur eines Vertrages nicht dadurch ändern können, daß sie ihm eine von dieser abweichende Bezeichnung geben. Aber schon ein nur wenige Jahre später veröffentlichtes Urteil, das sich mit der rechtlichen Einordnung eines Schrankfachvertrages beschäftigte, erkannte der Ausdrucksweise der Parteien einen deutlich höheren Stellenwert zu.15 Zwar sei es keineswegs von ausschlaggebender Bedeutung, daß in der Urkunde stets der Ausdruck „Miete" gebraucht werde. Völlig außer acht gelassen werden dürfe dies auf der anderen Seite aber auch nicht. Letztlich wurde damit das Textargument in den Dienst der Gesamtargumentation gestellt und die Qualifizierung des Schrankfachvertrages als „besonders geartetes Mietverhältnis" zusätzlich untermauert. Der Bundesgerichtshof wiederum hielt die Bezeichnung eines Vertrages über den Erwerb eines Grundstücks mit einem darauf zu errichtenden Bauwerk heute allgemein Bauträgervertrag genannt - als „Kaufvertrag" und der Beteiligten als „Verkäufer" und „Käufer" für bedeutungslos.16 Sie erkläre sich daraus, RGZ 108, 369 (371). RG JW 1930, 1728 (1729) mit in diesem Punkte kritischer Anmerkung von Hoeniger, JW 1930, 1929; ebenso RGZ 135, 104 (107). 15 RGZ 141,99 (103). 16 BGHZ 74, 99 (103); 74, 204 (207); BGH NJW 1989, 2748 (2749); ebenso O L G Frankfurt NJW 1983, 397 und O L G Hamm NJW-RR 1998, 1031. 13

14

124

§J Rechtsfindungsmethoden

der

Rechtsprechung

daß die Parteien einen einheitlichen Vertrag schlössen, der hinsichtlich des Grund und Bodens ein Kaufvertrag sei. Ebenso soll es für die rechtliche Einordnung eines Arbeitnehmer-Überlassungsvertrages nicht auf die Bezeichnungen ankommen.17 Und auch die Einigung über den Erwerb eines noch umzurüstenden gebrauchten Lastkraftwagens beurteilt der Bundesgerichtshof entgegen der Bezeichnung als „Kaufvertrag" als gemischten Vertrag.18 Seine Rechtsprechung resümiert der Bundesgerichtshof in einer zu einem Partnervermittlungsvertrag ergangenen Entscheidung dahingehend, daß es für die rechtliche Einordnung eines Vertrages nicht auf die von den Vertragspartnern gewählte Benennung ankommen soll, sondern auf den tatsächlichen Inhalt der von ihnen übernommenen Verpflichtungen.19 In eine andere Richtung weist wiederum die Judikatur zum Leasingvertrag. Für die weitgehende Unterstellung dieses modernen Vertragstyps unter die Vorschriften des Mietrechts hat sich die Rechtsprechung auch auf die in den Vertragswerken - vor allem der Anfangszeit - vorherrschende mietrechtliche Terminologie berufen.20 So steht in einem der ersten Urteile des Bundesgerichtshofs zum Leasing zu lesen, daß gegen die Einordnung als Mietvertrag jedenfalls dann keine rechtlichen Bedenken bestünden, wenn die Vertragspartner durch die Formulierung des Vertragstextes eindeutig zu verstehen gegeben hätten, daß sie den Vertrag als Mietvertrag in dem vom Gesetzgeber vorgebenen Sinn verstanden wissen wollten und wenn die schuldrechtliche entgeltliche Gebrauchsüberlassung auf Zeit den Inhalt des Vertrages bilde.21 Auch soweit es um die Abgrenzung der Bürgschaft zu den dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht bekannten (typenfremden) Instituten der Schuldmitübernahme und der Garantie geht, wird dem Vertragswortlaut größere Beachtung geschenkt. Sprächen geschäftsgewandte Leute von Bürgschaft, könnten nur besonders gewichtige Umstände eine dem Wortlaut nicht entsprechende Auslegung rechtfertigen.22 Auf dieser Linie bewegt sich schließlich auch eine neuere Entscheidung zu der äußerst umstrittenen23 rechtlichen Beurteilung der Akquisitionsverträge, welche die großen Kreditkartenunternehmen auf der Grundlage ihrer vorformulierten Bedingungen mit ihren Vertragsunternehmen zu schließen pflegen.24 Der Bundesgerichtshof sieht hierin angesichts der verwendeten Begrifflichkeit („sie verkaufen BGHZ 75, 299 (301 ff.). BGH NJW 1983, 2440 (2441). 19 BGH NJW 1989,1479 (1480). Vgl. auch jüngst BGH LM § 662 BGB Nr. 47 (Qualifizierung einer auf treuhänderischen Erwerb gerichteten Vereinbarung entgegen der Bezeichnung als „Kaufvertrag" als nicht formbedürftiger Auftrag). 20 BGH NJW 1977,195 (196); 68,118 (123); BGHZ 71,189 (192); anders hingegen OLG Koblenz NJW-RR 1989, 1526. 21 BGH NJW 1977, 195 (196). 22 So BGH WM 1975, 348 (349), Abgrenzung zum Garantievertrag; vgl. auch BGH DB 1976, 2349, Abgrenzung zur Schuldmitübernahme. 23 Ausführlich zum Meinungsstand mit vielen Nachweisen Martinek, Moderne Vertragstypen III, §23 III, S.95ff. 24 BGH NJW 1990,2880. 17

18

II. Die Bedeutung des vertraglich Vereinbarten im Rechtsfindungsprozeß

125

und übertragen uns alle Forderungen" und „unsere Ankaufsverpflichtung") die Vereinbarung eines Forderungskaufs. Feststellen läßt sich somit insgesamt nur folgendes: Stehen die Bezeichnungen im Vertragstext einer bestimmten aus anderen Gründen für richtig erkannten Einordnung des Vertrages entgegen, so setzen sich die Gerichte hierüber regelmäßig hinweg; vorzugsweise indem sie schlicht die Ausdrucksweise der Parteien für unbeachtlich erklären. Liegt der Fall hingegen umgekehrt, sehen sich die Gerichte also in ihrer Einschätzung durch die von den Parteien gewählte Begrifflichkeit bestätigt, so wird diese Ubereinstimmung zur Verstärkung und Abrundung der Argumentation regelmäßig auch in die Urteilsgründe aufgenommen.

2. Qualifikation des Vertrages durch die Parteien Die soeben wiedergegebenen Rechtsprechungserkenntnisse zur Bedeutung der im Vertragstext verwendeten Bezeichnungen leiten nahtlos über zu der sehr viel grundsätzlicheren Frage, ob das Schuldrechtsmodell des Bürgerlichen Gesetzbuches den Parteien überhaupt die Kompetenz zuweist, über die rechtliche Einordnung ihres Vertrages zu entscheiden. Soweit die Rechtsprechung dieser gleichermaßen privatrechtsdogmatisch wie praktisch bedeutsamen Fragestellung überhaupt Aufmerksamkeit geschenkt hat, ist dies bislang kaum je anläßlich der Beurteilung nicht kodifizierter Verträge geschehen. Vielmehr war zumeist über die Zurechnung eines Vertrages zu einem von mehreren in Betracht kommenden Vertragstypen zu entscheiden. Die in diesem Rahmen aufgestellten Grundsätze sind jedoch über die Abgrenzung innerhalb des gesetzlichen Systems der Schuldvertragstypen hinaus von allgemeiner Bedeutung. Aus diesem Grunde seien die wesentlichen Äußerungen an dieser Stelle kurz zusammengetragen.

a) Allgemeine Stellungnahmen zur Beachtlichkeit einer Selbstqualifikation Nahezu volle Qualifikationshoheit wurde den Parteien in einem frühen, zu einem Architektenvertrag ergangenen, BGH-Urteil zuerkannt. 25 Auch wenn der Vertrag als Dienstvertrag anzusehen sein sollte, was dahingestellt blieb, sei doch der Bauherr nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit berechtigt, diesen Vertrag so zu gestalten, daß Werkvertragsregeln insoweit anzuwenden seien, als dem nicht zwingende Bestimmungen des Dienstvertrages - in concreto § 626 B G B - entgegenstünden. Nach dieser - abgesehen von einem Hinweis auf einen Aufsatz von Hoeniger11' - nicht näher begründeten Aussage steht es den Partei25

26

BGH BB 1952, 635; bestätigt durch BGHZ 31, 224 (226). Hoeniger, JW 1930, 1729.

126

5 5 Rechtsfindungsmethoden

der

Rechtsprechung

en somit grundsätzlich frei, das Recht des an sich einschlägigen Vertragstyps abzubedingen und den Vertrag einem anderen Rechtsregime zu unterstellen. Deutlich zurückhaltender äußerte sich der Bundesgerichtshof, als er sich mit einer formularmäßig getroffenen Qualifikationsentscheidung der Parteien eines Bauträgervertrages auseinanderzusetzen hatte. 27 In dieser Formularbestimmung bekundeten die Parteien ihre Ubereinstimmung, daß ihr Vertrag kein Werk- oder Werklieferungsvertrag, sondern ein Kaufvertrag sei. Freilich ohne sich mit dem vorstehend referierten Urteil auseinanderzusetzen, hielt es der Bundesgerichtshof nunmehr schon für zweifelhaft, ob es überhaupt möglich sei, durch eine solche Klausel einen Vertrag mit eindeutigen werkvertraglichen Elementen entgegen seinem klaren Inhalt zu einem „Kaufvertrag" zu machen, also in einen ganz anderen Vertragstypus umzuwandeln. Ob das etwa im Wege einer Individualvereinbarung erreichbar wäre und welche Anforderungen gegebenenfalls an eine solche Abrede zu stellen wären, ließ der Bundesgerichtshof - da nicht entscheidungserheblich - offen. Durch eine formularmäßige Klausel könne dieses Ziel jedenfalls nicht erreicht werden. Eine solche Bestimmung halte nämlich der nach Treu und Glauben - das AGB-Gesetz fand auf diesen Vertrag noch keine Anwendung - vorzunehmenden Inhaltskontrolle nicht stand. Auch in seiner jüngsten Entscheidung, 28 die diese Thematik allerdings nur am Rande streift, mißt der Bundesgerichtshof den formularmäßigen Festlegungen keine Bedeutung für die Rechtsnatur des Vertrages bei. Regeln in AGB könnten, wie schon § 9 AGBG erkennen lasse, nicht zu einer inhaltlichen Änderung des nach den Erklärungen der Parteien anzunehmenden Vertragstyps führen. Die Annahme einer Abweichung von einem im Gesetz bestimmten Regelfall eines Vertragstyps setze eine hierauf gerichtete Einigung unter den Parteien voraus, die durch Regelungen in AGB nicht ersetzt werden könne. Nicht der Inhalt der AGB bestimme die Vertragsart; von dieser hingen vielmehr Zulässigkeit und Wirksamkeit der von einer Seite einseitig aufgestellten Vertragsbestimmungen ab. Diese könnten daher nur die beiderseitigen Verpflichtungen, die sich aus dem nach den Erklärungen der Beteiligten geschlossenen Vertragstyp ergeben, präzisieren und weiterbilden, nicht jedoch lasse sich aus einer solchen Bestimmung eine Veränderung eines unbedingt geschlossenen Vertrages in eine andere Richtung ableiten. Auch die zivilgerichtliche Instanzrechtsprechung hat einer Selbstqualifikation der Vertragsparteien mehrfach die Anerkennung versagt. Sehr apodiktisch nimmt sich ein Urteil des OLG Karlsruhe aus, in dem ein von den Parteien als „Mietvertrag" eingestufter Vertrag über die entgeltliche Überlassung einer Apotheke auf Zeit gleichwohl als „Pachtvertrag" angesehen worden ist. 29 Wörtlich heißt es in dieser Entscheidung: „Die deutschen Gerichte befinden in eigener Verantwortung über die rechtliche Einordnung eines Vertrages." Bemer27 28 29

BGHZ 74, 258. BGH NJW 1997, 2043 (2045). OLG Karlsruhe, NJW 1970, 1977.

II. Die Bedeutung des vertraglich Vereinbarten im

Rechtsfindungsprozeß

127

kenswert ist ferner ein Urteil des OLG Frankfurt a.M.i0 In dem zugrunde liegenden Fall verlangte ein Ehe- und Partnervermittlungsinstitut von einem ihm durch formularmäßigen Vertrag verbundenen „Mitglied" einen laut Vertrag sofort fälligen „Beitrag" in Höhe von 3900 DM. Fraglich war, ob dem Zahlungsbegehren der Ausschluß der Klagbarkeit nach §656 B G B entgegenstand; dies weniger im Hinblick auf die evident unzutreffende mitgliedschaftsrechtliche Terminologie als auf die Schlußbestimmung des Vertrages. Durch sie wurde nämlich das „Mitglied" darüber in Kenntnis gesetzt, „daß es sich vorliegend nicht um einen Ehemaklervertrag, sondern um einen Dienstvertrag zum Nachweis und zur Förderung partnerschaftlicher Beziehungen handelt." Das Oberlandesgericht sah hierin den Versuch einer Verschleierung des wahren Vertragstyps. Eine solche von einer Vertragspartei, noch dazu in einem Formularvertrag, vorgenommene Einordnung des Vertrages unter einen bestimmten, nach dem objektiven Geschäftsinhalt sachlich unzutreffenden Vertragstyp hielt es demgemäß für unbeachtlich. Es nahm statt dessen einen Ehemaklervertrag an und wies die Klage im Hinblick auf § 656 B G B ab.31 Gegenüber einer teilweisen Substitution oder Ergänzung unpassenden oder lückenhaften Gesetzesrechts durch vertragliche Vereinbarung bestehen dagegen in der Instanzgerichtsbarkeit offenbar keine grundsätzlichen Bedenken. So hat jüngst das OLG Zweibrücken eine Abrede in einem formularmäßig abgeschlossenen Kommissionsvertrag für wirksam erachtet, derzufolge bei Mangelhaftigkeit des Kommissonsguts die Gewährleistungsvorschriften des Kaufrechts entsprechende Anwendung finden sollten. 32 Ebenso hatte zuvor bereits das OLG Frankfurt a.M. entschieden. 33

b) Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zur Abgrenzung Arbeitsverhältnisses vom freien Dienstverhältnis

des

Ablehnend steht der Möglichkeit einer Parteiqualifikation seit jeher die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Abgrenzung des Arbeitsverhältnisses vom freien Dienstverhältnis gegenüber.34 Ihr geht es vor allem darum, zu verhindern, daß der an die Qualifizierung als Arbeitsvertrag anknüpfende arbeitsrechtliche Sozialschutz durch die Wahl einer anderen Vertragsform, z.B. die eines „Freien-Mitarbeiter-Vertrages", ausgeschaltet werden kann. Nach einer in den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts stets wiederkehrenden

O L G Frankfurt a.M. NJW 1983, 397. Der BGH wendet mittlerweile §656 BGB auf Partnerschaftsvermittlungsdienstverträge analog an (vgl. BGH NJW 1990, 2550). 32 O L G Zweibrücken NJW 1998, 1409 (1410). 33 O L G Frankfurt a.M. NJW 1993, 1477. 34 Analyse der Rechtsprechung auch bei Hanau/Strick, DB 1998, Beil. Nr. 14 S. 5f. Ähnliche Fragen wirft die Abgrenzung einer vereinsrechtlichen Mitgliedschaft von einem Arbeitsverhältnis auf; das Bundesarbeitsgericht nimmt trotz formal mitgliedschaftlicher Ausgestaltung ein Arbeitsverhältnis an, wenn eine objektive Umgehung arbeitsrechtlicher Schutzbestimmungen vorliegt (BAG AP Nr. 21 zu §5 ArbGG 1979). 30 31

128

§ 5 Rechtsfindungsmethoden

der

Rechtsprechung

Formel soll sich der Status des Beschäftigten nicht nach den Wünschen und Vorstellungen der Vertragspartner, sondern danach richten, wie die Vertragsbeziehung nach ihrem Geschäftsinhalt objektiv einzuordnen ist.35 Durch Parteivereinbarung könne die Bewertung einer Rechtsbeziehung als Arbeitsverhältnis nicht abbedungen und der Geltungsbereich des Arbeitnehmerschutzrechts nicht eingeschränkt werden. Das gelte erst recht, wenn derartige Verträge nicht ausgehandelt, sondern von der einen Partei vorformuliert würden.36 So kommt es nach einem neueren Urteil zum Status eines Franchisenehmers nicht auf die bloß verbale Typisierung der Vertragsart an.37 Es möge - so das Bundesarbeitsgericbt - zutreffen, daß dem Franchising genaue und detaillierte Anleitungen, Berichtspflichten des Franchisenehmers und Kontrollrechte des Franchisegebers immanent seien. Ob aber jemand, der in diesem System tätig werde, Arbeitnehmer oder Selbständiger sei, richte sich allein danach, ob er weisungsgebunden und abhängig sei oder ob er seine Chancen auf dem Markt selbständig und im wesentlichen weisungsfrei suchen könne. Den für die Qualifizierung eines Dienstverhältnisses entscheidenden wirklichen Geschäftsinhalt will das Bundesarbeitsgericht den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrages entnehmen, wobei es im Falle einer Divergenz der tatsächlichen Durchführung den Vorzug geben möchte.38 Wird also ein als freier Mitarbeitervertrag bezeichnetes Vertragsverhältnis wie ein Arbeitsverhältnis durchgeführt, ist es auch als Arbeitsverhältnis anzusehen.39 Das Abstellen auf die tatsächliche Durchführung kann sogar dazu führen, daß eine vormals als freies Mitarbeiterverhältnis einzustufende Rechtsbeziehung im Laufe der Zeit in ein Arbeitsverhältnis umschlägt.40 Das Bundesarbeitsgericht sieht seine restriktive Rechtsprechung durchaus im Einklang mit dem in Art. 2 Abs. 1 GG verbürgten Grundrecht der Vertragsfreiheit.41 Die Vertragsfreiheit bestehe nämlich nicht schrankenlos. Vielmehr werde ihr Ende durch die rechtliche Einordnung des betreffenden Schuldverhältnisses markiert, und zwar gerade wegen der zwingenden Bestimmungen, die der Gesetzgeber für dieses Schuldverhältnis geschaffen habe. Bemerkenswert ist, daß das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung auch auf die Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes 35 Ständige Rechtsprechung; aus neuerer Zeit B A G NZA 1992, 407 (408); 1992, 899 (900); 1993,174 (175); AP Nr. 21 zu § 5 ArbGG 1979; NZA 1997,1126 (1127); 1998,364 (365); 1998,705 (706); vgl. auch BSGE 51, 164. 36 Dieser Hinweis findet sich erstmals in B A G AP Nr. 122 zu §611 B G B Lehrer, Dozenten. 37 B A G NZA 1997, 1126 (112); im Ergebnis ebenso B G H N J W 1999, 218. 38 B A G AP Nr.21 zu §5 ArbGG 1979; NZA 1998, 705 (706); 2000, 481 (482). 39 B A G AP Nr. 122 zu §611 B G B Lehrer, Dozenten. Allerdings kann die Berufung auf ein Arbeitsverhältnis ausnahmsweise rechtsmißbräuchlich sein, wenn dem Dienstnehmer der Status des freien Mitarbeiters gerade auf sein Drängen hin eingeräumt worden ist (BAG N J W 1997, 2618 und 1997, 2617). 40 B A G AP Nr. 17 und 21 zu §611 B G B Abhängigkeit. 41 B A G AP Nr.26 und 42 zu §611 B G B Abhängigkeit.

II. Die Bedeutung des vertraglich Vereinbarten im

Rechtsfindungsprozeß

129

von der Überlassung von Arbeitskräften im Rahmen eines Werkvertrages übertragen hat. 42 Auch insoweit entscheide der Geschäftsinhalt und nicht die von den Beteiligten gewünschte Rechtsfolge. 43 Verbleiben auch dann noch Zweifel, soll eine typologisch ausgerichtete Vorgehensweise den Ausschlag geben. 44 Es gibt nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nämlich kein Einzelmerkmal, das aus der Vielzahl möglicher Merkmale unverzichtbar vorliegen muß, damit man von persönlicher Abhängigkeit sprechen kann. Ebensowenig gebe es ein Merkmal für die Abhängigkeit, das sich nicht auch gelegentlich bei Selbständigen finde. Es sei deshalb aus Gründen der Praktikabilität und der Rechtssicherheit unvermeidlich, die unselbständige Arbeit typologisch abzugrenzen. Diese Methode ist - wie bereits gesehen - 45 auch zur Bewältigung nicht kodifizierter Vertragstypen ins Gespräch gebracht, in diesem Zusammenhang vom Bundesarbeitsgericht jedoch bislang nicht aufgegriffen worden. Einen Spalt breit hat die Rechtsprechung der Selbstqualifikation im übrigen insoweit die Tür geöffnet, als es auf einen ausdrücklich erklärten Parteiwillen zumindest auch ankommen soll, wenn unter Berücksichtigung der in erster Linie maßgebenden Kriterien, einzelne Momente für die Annahme eines echten Arbeitsverhältnisses, andere für die eines reinen Mitarbeiterverhältnisses sprächen.46 Später formulierte das Bundesarbeitsgericht diesen Grundsatz dahingehend, daß in Grenzfällen, in denen nach den objektiven Gegebenheiten für die Rechtsbeziehungen der Parteien ein Arbeitsverhältnis ebenso geeignet erscheint wie ein Rechtsverhältnis als freier Mitarbeiter, die Wahl zwischen beiden Möglichkeiten je nach Interessenlage auf der einen und der anderen Seite der subjektiven Gestaltung offen stehe. 47 Dies gelte allerdings nicht, wenn dem Dienstverpflichteten nur ein Vertrag als freier Mitarbeiter angeboten worden sei, dieser aber eine Anstellung als Arbeitnehmer gewünscht habe oder aber diesen Wunsch wegen einer Zwangslage nicht geäußert habe. Fehle es in diesem B A G NJW 1984, 2912 mit instruktiver Anm. von Wank in SAE 1985, 74ff. Nach BSG, Urteil vom 19.3. 1992, 7 RAr 34/91 insoweit n.v., handelt es sich um einen Fall des Rechtsformzwangs. 44 Grundlegend B A G AP Nr.34 zu §611 B G B Abhängigkeit. Aus neuerer Zeit B A G vom 26.6.1996,7 A B R 52/95 n.v. Sich anschließend BSG N Z A 1991,907 (908). In verfassungsrechtlicher Hinsicht hat das BVerfG eine typologische Abgrenzungsmethode bei der Anwendung des über die Versicherungs- und Beitragspflicht in der gesetzlichen Sozialversicherung entscheidenden Merkmals der „nichtselbständigen Arbeit" ausdrücklich gutgeheißen; vgl. BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats) NJW 1996, 2644. 45 Vgl. §2 I. 46 So schon R A G ARS 46,146 (148f.); fortgeführt dann von B A G AP Nr. 6 zu §611 B G B Abhängigkeit; vgl. auch B A G AP Nr. 10 zu §611 BGB Abhängigkeit und L A G Saarbrücken AP Nr. 7 zu § 611 B G B Abhängigkeit. Größere Beachtung schenkt dem Parteiwillen im übrigen das B S G bei der gleichliegenden Frage, ob ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt, wenn es sich um Personen mit größeren Dispositions- und Verdienstmöglichkeiten handelt (vgl. etwa BSG BB 1981, 1581; zurückhaltender hingegen Niesei-Brand, §25 SGB III Rdnr.8f.). 4 7 B A G AP Nr. 12 zu §611 B G B Abhängigkeit. 42 43

130

§}

Rechtsfindungsmethoden

der

Rechtsprechung

Falle an einem sachlichen Grund für die Wahl eines Vertrages als freier Mitarbeiter, so stellt sich dies für das Bundesarbeitsgericht als Umgehung des Sozialschutzes und damit als Mißbrauch der Vertragsfreiheit dar. Dies habe dann zur Folge, daß sich der Dienstberechtigte so behandeln lassen müsse, als habe er einen Arbeitsvertrag geschlossen.48 Gleichwohl zeichnet sich in der Instanzrechtsprechung neuerdings eine Tendenz zu einer behutsamen Ausweitung der Qualifikationsbefugnis der Parteien ab.49 Die geschilderte, nach Ansicht des LAG Berlin50 einen gesetzlichen Rechtsformzwang widerspiegelnde arbeitsgerichtliche Rechtsprechung begrenzt die Qualifikationshoheit der Rechtsunterworfenen allerdings nur insoweit, als eine Umgehung arbeitsrechtlicher Schutznormen zu befürchten ist. Unterstellen die Parteien hingegen ihre nach dem objektiven Geschäftsinhalt als freies Mitarbeiterverhältnis zu bewertende Vertragsbeziehung dem Arbeitsrecht, so werden die Parteien beim Wort genommen. Es erfolgt in diesem Fall keine objektive, korrigierende Prüfung dieser parteiautonomen Qualifikationsentscheidung.51 Sehr dezidiert hat sich in dieser Weise jüngst das LAG Köln vernehmen lassen. Wer erklärtermaßen einen „Arbeitsvertrag" abschließe und/oder ein „Arbeitsverhältnis" vereinbare, wähle diese Begriffe im Zweifel nicht nur deklaratorisch als unverbindliches rechtliches Etikett. Vielmehr sei auch diese Bezeichnung Teil seiner Willenserklärung mit dem Rechtsfolgewillen, durch die Vereinbarung nicht nur irgendein Rechtsverhältnis, sondern speziell ein Arbeitsverhältnis konstitutiv zu schaffen. Werde in diesem Sinne ein „Arbeitsverhältnis" vereinbart, sei für eine gerichtliche Statuskontrolle mit dem Ziel, im Hinblick auf angeblich arbeitsvertragsfremde Umstände korrigierend zugunsten eines freien Mitarbeiterverhältnisses einzugreifen, kein Raum.52 Dazu paßt es, daß auch eine Veränderung der tatsächlichen Durchführung des Vertragsverhältnisses hin zu mehr Selbständigkeit nicht automatisch eine Umwandlung des vereinbarten Arbeitsverhältnisses bewirken soll.53 c) Die Rechtsprechung zum

Gesellschaftsrecht

Rundweg abgelehnt wird ein Recht der Parteien zur Selbstqualifikation ihres Rechtsverhältnisses schließlich auf dem Gebiete des Gesellschaftsrechts. Der Bundesgerichtshof geht hier davon aus, daß die Rechtsordnung nur eine beschränkte Anzahl gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsformen mit gesetzlich B A G AP Nr. 12 zu §611 B G B Abhängigkeit. L A G Hamm N Z A 1990, 192 (Wahlmöglichkeit einer Musikschule) und L A G Köln N Z A 1994,1090 (freies Mitarbeiter-Verhältnis auf ausdrücklichen Wunsch eines Empfängers von Altersrente bei vorübergehendem Arbeitsbedarf). 5 0 L A G Berlin AP Nr. 44 zu §611 B G B Abhängigkeit. 51 B A G N Z A 1987, 629 (630); 1997, 194 (196); L A G Thüringen N Z A - R R 1998, 296. 5 2 L A G Köln ArbuR 1996, 412. 53 L A G Köln ArbuR 1996, 412 (413), so andeutungsweise auch B A G AP Nr. 122 zu §611 B G B Lehrer, Dozenten. 48

49

II. Die Bedeutung

des vertraglich

Vereinbarten

im Rechtsfindungsprozeß

131

zwingend vorgegebenen Tatbestandsvoraussetzungen zur Verfügung stellt. Deutlich wird dies etwa, wenn der Bundesgerichtshof54 erklärt, daß sich eine Personenvereinigung, die ein vollkaufmännisches Handelsgewerbe betreibt, nur der durch das Gesetz zur Verfügung gestellten Gesellschaftsformen bedienen könne. Begründet hat dies der Bundesgerichtshof mit §22 BGB. Der dort für wirtschaftliche Vereine verordnete Konzessionszwang lasse nicht die Möglichkeit, auf einem anderen Wege als in den Formen der Aktiengesellschaft, der Gesellschaft mit beschränkter Haftung und der eingetragenen Genossenschaft die Rechtsfähigkeit oder die beschränkte Haftung (Nichthaftung) der Mitglieder zu erreichen. Darüber hinaus spricht der Bundesgerichtshof den Gesellschaftern aber auch die Befugnis ab, den rechtlichen Charakter ihrer Personalgesellschaft selbst zu bestimmen. Die gesetzlichen Begriffsmerkmale für das Bestehen einer offenen Handelsgesellschaft gemäß § 105 HGB seien zwingend und der Disposition der Gesellschafter entzogen. Im Fall einer unzutreffenden Parteiqualifikation existiert der Personenverband nach der Rechtsprechung in der jeweils gemäß den objektiven Voraussetzungen zutreffenden und damit allein zulässigen Rechtsform. Die Vorstellungen der Parteien hinsichtlich der rechtlichen Qualität ihres Zusammenschlusses spielen somit keine Rolle. Selbst ein deutlich artikulierter entgegenstehender Wille hindert die Gerichte nicht, von der objektiv einschlägigen Rechtsform auszugehen. Einige ausgewählte Beispiele aus der reichhaltigen Judikatur mögen dies illustrieren:55 In dem ersten vom Bundesgerichtshof entschiedenen Beispielsfall56 kam es darauf an, ob der Zusammenschluß mehrerer Gesellschafter zu einem Adressbuchverlag eine offene Handelsgesellschaft darstellte oder aber entsprechend der Beurteilung der Gesellschafter als Gesellschaft bürgerlichen Rechts anzusehen war. Der Bundesgerichtshof stellte fest, daß die Voraussetzungen einer offenen Handelsgesellschaft gegeben waren. Das Unternehmen fiel nämlich unter § 1 Abs. 2 Nr. 8 HGB a.F. und war auf einen vollkaufmännischen Betrieb angelegt. Lägen aber die objektiven Voraussetzungen einer offenen Handelsgesellschaft vor, so sei es ohne Belang, ob die Beteiligten für ihren gesellschaftlichen Zusammenschluß auch die Rechtsform der offenen Handelsgesellschaft gewollt hätten oder nicht. Das Vorliegen einer offenen Handelsgesellschaft sei in diesem Fall unabhängig von dem Willen der Vertragsschließenden. Im zweiten hier vorzustellenden Rechtsstreit hatten die Gesellschafter einer sich mit der Herstellung von Rohfaserplatten beschäftigenden GmbH („Rohfaser GmbH") in einer anderen Stadt unter einer Firma, die auf eine neue GmbH hinwies („Rohfa GmbH"), einen Versandhandel mit Rohfleisch aufgezogen. Diese neue von der „Rohfaser GmbH" unabhängige Unternehmung wurde jedoch niemals formgerecht als GmbH errichtet. Auch die Eintragung ins Handelsregister war unterblieben, ihre Herbeiführung von den Gesellschafter sogar 54 55 56

BGHZ 22, 240 (244). Weitere Nachweise der Rechtsprechung bei Jahnke, BGHZ 10, 91 (96f.).

ZHR 146 (1982), S. 603 ff.

132

5-5 Rechtsfindungsmethoden

der

Rechtsprechung

überhaupt nicht beabsichtigt. Obwohl die Gesellschafter hier noch nicht einmal die Absicht gehabt hatten, eine neue Gesellschaft - geschweige denn eine offene Handelsgesellschaft - zu gründen, sah der Bundesgerichtshof die „Rohfa G m b H " als offene Handelsgesellschaft an. 57 Ein OHG-Vertrag sei durch schlüssiges Verhalten der GmbH-Gesellschafter zustande gekommen, der eine beschränkte Haftung nicht erlaube. Daß die Gesellschafter das nicht gewollt und die Rechtsform der offenen Handelsgesellschaft für sich nicht gewünscht hätten, sei unerheblich, da objektiv die Voraussetzungen für die offene Handelsgesellschaft gegeben seien. Im letzten Beispielsfall hat der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung auf den Fortbestand einer offenen Handelsgesellschaft übertragen. 58 Verliere eine Personalgesellschaft eines der gesetzlichen Merkmale (hier: endgültige Aufgabe des Geschäftsbetriebs), dann verliere sie damit ihren Charakter als offene Handelsgesellschaft und werde zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Dabei sei es gleichgültig, ob die Gesellschafter dies gewollt hätten oder nicht und ob der Verlust eines der nach § 105 H G B vorgeschriebenen gesetzlichen Merkmale auf einem Willensentschluß der Gesellschafter zurückzuführen sei oder nicht. Auch in dieser Hinsicht fehle den Gesellschaftern die Befugnis, den rechtlichen Charakter ihrer Personalgesellschaft selbst zu bestimmen. Die gesetzlichen Begriffsmerkmale seien zwingend und der Disposition der Gesellschafter entzogen. Daß sich der Rechtsformzwang nicht auf die Ausgestaltung hinsichtlich der inneren Struktur einer zugelassenen Vereinigung erstreckt, insoweit in den Grenzen des zwingenden Gesetzesrechts vielmehr ein erheblicher Gestaltungsspielraum bis hin zu einer Grundtypenvermischung verbleiben kann, zeigt auf der anderen Seite ein jüngst ergangenes Urteil des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit einer Kommanditgesellschaft auf Aktien mit einer Gesellschaft mbH als alleinigem Komplementär. 59 Der Bundesgerichtshof postuliert in dieser Entscheidung eine Zweifelsregel zugunsten der privatautonomen Gestaltungsfreiheit. Innerhalb der durch zwingende gesetzliche Regelungen und die unabweisbaren Bedürfnisse des Rechtsverkehrs, die im wesentlichen durch die Notwendigkeiten des Gläubiger-und Anlegerschutzes bestimmt würden, gezogenen Grenzen, müsse Freiheit zu privatautonomer Gestaltung bestehen, die auch vom Gesetz nicht vorgesehene Mischformen und atypische Lösungen zulasse. Eine gewisse Relativierung der auch dem nichtzwingenden Recht gemeinhin zugeschriebenen Ordnungsfunktion bedeutet es, wenn der Bundesgerichtshof sodann ausführt, daß kautelarpraktische Gestaltungen nicht schon deshalb unerlaubt seien, weil sie vom gesetzgeberischen Leitbild, dem Regeltypus, abwichen. Die Entscheidung zielt ersichtlich auf eine Stärkung der Privatautonomie

57 58 59

BGHZ 22, 240 (244f.). BGHZ 32, 307 (310). BGH NJW 1997, 1923.

III. Qualifizierung als normativ-typischer

133

Vertrag

im Gesellschaftsrecht, ohne dabei den auf diesem G e b i e t e in ständiger R e c h t sprechung praktizierten R e c h t s f o r m z w a n g in Frage zu stellen.

d) Zusammenfassung Zusammenfassend wird man sagen müssen, daß die ohnehin spärlichen Ä u ßerungen der G e r i c h t e zur grundsätzlichen Zulässigkeit und zu den G r e n z e n einer Parteiqualifikation ebenso kategorisch wie disparat ausfallen. M i t aller Vorsicht wird man sagen k ö n n e n , daß die heutige R e c h t s p r e c h u n g einer uneingeschränkten Qualifikationshoheit der Parteien skeptisch gegenübersteht und jedenfalls eine Ausschaltung zwingender Schutzvorschriften zu verhindern sucht. I m Arbeits- und Gesellschaftsrecht geht die R e c h t s p r e c h u n g sogar v o n einem R e c h t s f o r m z w a n g aus, wenngleich sich in der neueren R e c h t s p r e c h u n g gewisse Auflockerungstendenzen abzeichnen. Z u r G e s a m t p r o b l e m a t i k und ihrer Bedeutung für die rechtliche Behandlung der nicht kodifizierten Verträge soll hier unter Berücksichtigung der Stellungnahmen des Schrifttums im R a h m e n der E n t w i c k l u n g eines eigenen Standpunktes unter § 7 abschließend Stellung g e n o m m e n werden.

III.

Qualifizierung als normativ-typischer

Vertrag

N i c h t selten bereitet es den G e r i c h t e n Schwierigkeiten, festzustellen, o b der k o n k r e t zu beurteilende Vertrag n o c h die typischen Züge eines b e s t i m m t e n B G B - V e r t r a g e s aufweist oder aber bereits die G r e n z l i n i e zu den typengemischten oder typenfremden Verträgen überschritten ist. G e l i n g t die Qualifizierung als normativ-typischer Vertrag, so sieht sich der R i c h t e r mancherlei R e c h t s a n w e n d u n g s p r o b l e m e enthoben. D i e Prüfung beschränkt sich dann zumeist n o c h darauf, o b im k o n k r e t e n Fall im H i n b l i c k auf modifizierende Parteiabreden punktuell A b w e i c h u n g e n v o m gesetzlichen Vertragstypenrecht geboten sind. Dieser Entlastungseffekt erklärt vielleicht die seit langem verbreitete, sich in letzter Zeit allerdings abschwächende N e i g u n g der Rechtsprechung, nach M ö g lichkeit zu einer eindeutigen Qualifikationsentscheidung zu gelangen. D a s auch in der Literatur 6 0 konstatierte Bestreben, den jeweiligen Vertrag in den Kreis der gesetzlich vertypten Schuldverträge einzuordnen, dokumentiert sich in zahlreichen Einzelfallentscheidungen. O h n e A n s p r u c h auf Vollständigkeit sollen nachfolgend einige ausgeurteilte Fälle aus der umfangreichen Kasuistik der R e c h t s p r e c h u n g vorgestellt werden.

60 Gemhuber, Schuldverhältnis, § 7IV 4, S. 155 und Lieb, DB 1988, 946; für die reichsgerichtliche Rechtsprechung schon Brandt, DRW 1940, 82.

134

§ } Rechtsfindungsmethoden

1. Beispielsfälle

aus der

der

Rechtsprechung

Rechtsprechung

Hervorzuheben ist zunächst die Entscheidung des Reichsgerichts zum Rechtscharakter eines Vertrages über die kostenpflichtige Überlassung eines Schrankfaches durch eine Bank. 61 In der dieser Entscheidung vorangegangenen Debatte 62 war verschiedentlich auch die gemischt-vertragliche Einordnung des Schließfachvertrages befürwortet worden. Das Reichsgericht ist dem nicht gefolgt und hat diesen Vertrag dem Mietrecht unterstellt. Es handele sich hierbei keineswegs um einen Vertrag, der über die Grenzen des Mietvertrages hinausgehe. Soweit die Abrede der Bank auch die Bewachung und Sicherung auferlege, diene dies nur der näheren Bestimmung des einheitlichen - wenngleich besonders gearteteten - Mietvertrages. Hinzuweisen ist ferner auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die die dem Kunden anläßlich eines Getränkekaufs auferlegte Verpflichtung, die Flaschen nach Gebrauch wieder zurückzugeben, als Darlehen im Sinne des §607 B G B qualifiziert. 63 Anstelle der Zuordnung zu einem der normativen Schuldvertragstypen boten sich auch hier gemischt-vertragliche Konstruktionen - wie z.B. die eines Kaufs mit Rückkaufverpflichtung - an.64 In die Reihe eindeutiger Qualifikationsentscheidungen fällt des weiteren ein Urteil des Bundesgerichtshofs, in dem über die Rechtsnatur eines Vertrages über die entgeltliche Nutzung eines Steinbruchs zu befinden war.65 Die vertragliche Vereinbarung wies die Besonderheit auf, daß die Verfüllung dem Nutzer zur Pflicht gemacht worden war und von daher auch eine gemischt-vertragliche Qualifikation (kombinierter Miet- und Werkvertrag) in Betracht kam. In der Frage der Verjährung von Ansprüchen wegen unvollständiger Verfüllung des Steinbruchs wäre es dann allerdings zu einer der Entscheidung bedürftigen Konkurrenz zwischen der sechsmonatigen Verjährungsfrist des § 558 B G B und dreißigjährigen Regelfrist des §195 B G B gekommen. Der Bundesgerichtshof vermied diese mißliche Konsequenz, indem er den Vertrag in toto als Mietvertrag einstufte und damit den Weg zur unmittelbaren Anwendung des § 558 B G B eröffnete. Zu eindeutigen Festlegungen tendiert die Rechtsprechung 66 entgegen anderslautenden Stimmen im Schrifttum 67 auch bei der Veräußerung von Standardsoftware mit Installationsverpflichtung.

RGZ 141, 99. Nachweise hierzu bei Schreiber, JherJb 60 (1912), S. 195 Fn.2. 63 BGH NJW 1956, 298. 64 Ausführlich zur Rechtsnatur des Flaschenpfandes Martinek, JuS 1987, 514. Kauf von Wein in zurückzugebenden Flaschen wird von Pzlzndt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr. 20 als gemischter Vertrag, nämlich als typischer Vertrag mit andersartiger Nebenleistung, qualifiziert. 65 BGHZ 86, 71. 66 OLG München CR 1990, 646 und OLG Frankfurt a.M. DB 1998, 2216 (Kaufvertrag); OLG Düsseldorf CR 1990, 122 (Werkvertrag). 67 Für Einordnung als gemischten Vertrag etwa Eickmeier/Eickmeier, CR 1993, 73. Andere belassen es zwar bei der kaufvertraglichen Einordnung, befürworten aber immerhin die Vorschaltung eines Nachbesserungsrechts (so z.B. Mehrings, NJW 1986, 1904 und Röhricht/Graf von Westphalen-Brandi-Dohrn, EDV-Verträge, Rdnr. 6 und 27). 61 62

III.

Qualifizierung ah normativ-typischer

Vertrag

135

Auf der anderen Seite kommt die Rechtsprechung in zahlreichen Fällen nicht umhin anzuerkennen, daß sich ein bestimmter Vertrag nicht unter die Vertragsmuster des Bürgerlichen Gesetzbuches rubrizieren läßt, er sich vielmehr als gemischter oder typenfremder Vertrag darstellt. Die Beispiele reichen vom Altenheimvertrag68 über den Bauträgervertrag69 und Filmverwertungsvertrag70 bis zur gemischten Schenkung.71 Aber selbst bei Annahme eines gemischten Vertrages verwendet die Rechtsprechung viel Mühe auf die Feststellung und Einordnung der vorhandenen Vertragselemente, um sich wenigstens insoweit den Weg in die sicheren Gefilde des dispositiven Gesetzesrechts zu erschließen. Schon das Reichsgericht72 hat sich beispielsweise anläßlich von Streitigkeiten aus einem Filmherstellungs- und Verwertungsvertrag, den es als einen dem patentrechtlichen ausschließlichen Nutzungsvertrage verwandten gemischten gegenseitigen Vertrag eigener Art bezeichnet, eingehend damit befaßt, ob dieser Vertrag neben anderen Elementen einen gesellschaftlichen oder aber einen werkvertraglichen Einschlag aufweise. Bedeutung maß das Reichsgericht dieser Abgrenzungsfrage vor allem für Art und Umfang der Gewährleistungshaftung bei Mangelhaftigkeit des Films bei. Der Hang zum gesetzlichen Vertragstyp setzt sich somit augenscheinlich auch bei der Rechtsfindung im Rahmen eines anerkanntermaßen gemischten Vertrages hinsichtlich seiner Einzelelemente fort. Zutreffend dürfte aber auch die Beobachtung Gernhubers73 sein, daß die Ausrichtung auf den gesetzlichen Vertragstyp heute nicht mehr so deutlich spürbar ist wie in der Anfangszeit des Bürgerlichen Gesetzbuches. Gerade auch die Rechtsprechung der letzten Jahre läßt eine behutsamere Vorgehensweise bei der Typenzuordnung neuartiger Vertragsgebilde erkennen. Der sui-generisCharakter eines Vertrages und die Nichtanwendbarkeit des Rechts der gesetzlichen Vertragstypen wird in neueren Urteilen öfter zugestanden als dereinst. Folgende Richtersprüche seien an dieser Stelle pars pro toto angeführt. Besonders aufschlußreich ist zunächst eine Entscheidung, in der es um die Kündigung eines unentgeltlichen Theaternutzungsvertrages ging.74 Dieser Vertrag war zwischen einem die freie Theaterarbeit betreibenden Verein und der Trägerin des Theaters, einer Stadt, abgeschlossen worden. Er wies insofern einen komplexeren Regelungsgehalt auf, als in ihm über die Einräumung des Rechts zur kostenlosen Benutzung des Theaters hinaus die Einbindung des Theatervereins in das kulturelle Angebot der Stadt festgeschrieben war. Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanz befand der Bundesgerichtshof, daß den Rechtsbeziehungen der Parteien ein Vertrag eigener Art zugrunde liege. Es sei daher nicht angezeigt, die 68 69 70 71 72 73 74

BGH NJW 1979, 1288; 1981, 341; 1989,1673; O L G Köln NJW 1980, 1395. BGH LM §459 BGB Nr. 20; BGHZ 60, 362; 72, 229; 74, 204; 78, 346; 92, 123; 96, 275. RGZ 158, 321; 161, 321; BGHZ 2, 331. BGHZ 2, 206; 30, 120; 112, 40; BGH NJW-RR 1996, 754. RGZ 158,321; 161,321. Gernhuber, Schuldverhältnis, § 7 IV 4, S. 155. BGH NJW 1992, 496.

136

§5 Rechtsfindungsmethoden

der

Rechtsprechung

zur Lösung des Konflikts erforderlichen Wertungen einzelnen Vorschriften für einen der gesetzlich geregelten Vertragstypen zu entnehmen. Ganz auf dieser Linie liegt auch eine neuere Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu einem Sponsoringvertrag.75 Hinzuweisen ist ferner auf Urteilsausführungen zur Rechtsnatur eines Vertrages über die entgeltliche Überlassung eines Krans bei gleichzeitiger Gestellung von Bedienungspersonal.76 Der werkvertraglichen Klassifizierung dieses Vertrages durch das Berufungsgericht stellt der Bundesgerichtshof eine sehr differenzierte Analyse des Vertragsinhalts entgegen, nach der es sich - vorbehaltlich einer noch nachzuholenden Tatsachenaufklärung auch um einen gemischten Vertrag, nämlich einen Mietvertrag verbunden mit einem Dienst- oder Werkvertrag, handeln könnte. Schließlich sei noch auf eine Serie von Urteilen zu den sog. Fitneß- oder Sportstudioverträgen aufmerksam gemacht.77 Der Bundesgerichtshof äußert in diesen Entscheidungen Bedenken, ob - wie wiederum das Berufungsgericht meinte - die dienstvertraglichen Elemente des Vertrages tatsächlich eine so untergeordnete Rolle spielten, daß sie den Gesamtcharakter nicht neben den mietrechtlichen Elementen entscheidend mitprägten. Und auch soweit der Mitgliedsvertrag eine entgeltliche Gebrauchsüberlassung vorsehe, enthalte er Regelungen, die von dem gesetzlichen Leitbild des Mietvertrages erheblich abwichen und daher atypisch seien. Jedenfalls hinsichtlich der Regelung des Verwendungsrisikos stelle der Mitgliedsvertrag einen eigenständigen Vertragstyp dar, für den es zu diesem Punkt keine Regelung des dispositiven Rechts gebe.

2. Das Beispiel

Finanzierungsleasing - der mietrechtliche der Rechtsprechung

Ansatz

Das in starkem Maße den normativen Dispositivordnungen verhaftete Denken und - allerdings in engen Grenzen - eine Hinwendung zu einer differenzierteren Sichtweise kennzeichnet auch die oft thematisierte78 Rechtsprechung zum Finanzierungsleasing. Mit diesem neugearteten Vertragsgebilde in seinen verschiedenen Spielarten war die höchstrichterliche Rechtsprechung seit der Mitte der 70er Jahre in zunehmendem Maße befaßt. Die erste grundlegende Entscheidung aus dem Jahre 197579 betraf einen in „Allgemeinen Mietbedingungen" ausgeformten Vertrag BGH NJW 1992, 2690. BGH WM 1996, 1785. 77 BGH NJW 1997, 193; 1997, 195; 1997, 739. 78 Rechtsprechungsübersichten bei Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 4IV 2, S. 70ff.; Papapostolou, Risikoverteilung beim Finanzierangsleasingvertrag, S. 36ff.; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 175 ff.; Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr. 53 ff. Guter Uberblick über die teils sehr heftigen Auseinandersetzungen im Schrifttum mit vielen Nachweisen bei Martinek, Moderne Vertragstypen I, §4, S.64ff. 79 BGH NJW 1977, 195. 75

76

III.

Qualifizierung

als normativ-typischer

Vertrag

137

über einen Heißgetränkeautomaten. Der Vertrag sah nach Ablauf der vereinbarten Laufzeit kein Erwerbsrecht des „Mieters", sondern lediglich die Möglichkeit der Vertragsverlängerung zu einem reduzierten „Mietzins" vor. Der Bundesgerichtshof schloß aus den Besonderheiten der Vertragsgestaltung, vor allem dem Dreiecksverhältnis zwischen Hersteller, Vermieter und Mieter sowie der Abwälzung der Sach- und Preisgefahr von dem Vermieter auf den Mieter nach kaufrechtlichem Vorbild, daß die Parteien ein Leasing-Geschäft eingegangen seien. Den zentralen Inhalt dieses Vertragsverhältnisses erblickte der Bundesgerichtshof in der schuldrechtlichen entgeltlichen Gebrauchsüberlassung, weshalb gegen die Einordnung eines derartigen Leasingvertrages als Mietvertrag keine rechtlichen Bedenken bestünden. Ferner prägte der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung die noch heute verwandte Formel, die Rechtsbeziehungen der Parteien richteten sich in erster Linie nach den §§535ff. B G B . Im Anschluß an diese Entscheidung erstreckte der Bundesgerichtshof seinen mietrechtlichen Ansatz alsbald auf die sonstigen, in der Praxis vorzufindenden Varianten des Finanzierungsleasing; auf Vollamortisationsverträge mit 80 und ohne 81 Kaufoption ebenso wie auf Teilamortisationsverträge mit Andienungsrecht des Leasinggebers. 82 Für die Rechtsfindung war nun der Zugriff auf die mietrechtlichen Vorschriften eröffnet. So wurde etwa der Leasingnehmer im Falle der verspäteten Rückgabe des Leasinggutes 83 gem. §557 Abs. 1 B G B für verpflichtet gehalten, die vereinbarten Leasingraten für den Zeitraum der Weiterbenutzung fortzuzahlen. 84 Des weiteren sollte die konkursrechtliche Sonderregelung des § 19 K O über die Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen im Falle des Konkurses des Sachnutzers auf Finanzierungsleasingverträge Anwendung finden. 85 Später erklärte die Rechtsprechung dann u.a. auch die kündigungsrechtlichen Vorschriften der §§ 542 86 und 554 B G B 8 7 für anwendbar. Über den Bereich der Rechtsfindung hinausgehend attestierte die Rechtsprechung dem gesetzlichen Mietrecht Leitbildfunktion für die inhaltliche Uberprüfung leasingvertraglicher Regelungen; 88 Vorschriften des Mietrechts dienten der Rechtsprechung fortan immer wieder als Mittel zur Konkretisierung des Maßstabes der Inhaltskontrolle (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G ) . 8 9 Schließlich wurde das ge-

B G H N J W 1978, 1383. B G H N J W 1977, 848. 82 B G H NJW 1978, 1432. 83 Die Rückgabepflicht folgt nach der Rechtsprechung aus §556 BGB; vgl. B G H N J W 1982, 870 (871). 84 B G H N J W 1978, 1432 (1434); später noch mehrfach bestätigt vgl. B G H N J W 1982, 1747 (1748) und 1989,1730; ebenso O L G Frankfurt D B 1987, 2195; anders für erfüllte Vollamortisations-Leasingverträge O L G Düsseldorf BB 1989,173; einschränkend unter dem Gesichtspunkt des Aquivalenzprinzips auch O L G Köln BB 1992, 2386. 85 B G H N J W 1978, 1383; bestätigt zuletzt durch B G H N J W 1994, 516. 86 B G H N J W 1988, 204 (205f.); 1993, 122 (123). 87 B G H N J W 1984, 2687; 1985, 2253; 1995, 1541 (1543). 88 B G H N J W 1977, 195 (197); 1978, 1432 (1434). 8 9 Z.B. B G H N J W 1982, 870 (871); 1986, 179 (180); 1990, 247 (249). 80 81

138

§ } Recbtsfindungsmethoden

der

Rechtsprechung

setzliche Mietrecht konsequent zur Schließung von Lücken im Falle der U n wirksamkeit einzelner Bestimmungen des Leasingvertrages herangezogen, 9 0 etw a mit der Folge, daß beim Scheitern der leasingtypischen Abtretungskonstruktion an die Stelle der kauf- bzw. werkvertraglichen Gewährleistungsansprüche die mietvertraglichen Ansprüche gemäß §§537, 538 BGB treten sollen. 91 War somit die Anfangsphase der gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem neuartigen Phänomen durch eine in jeder Hinsicht - Rechtsfindung, Inhaltskontrolle und Lückenfüllung - strikt mietrechtlich orientierte Entscheidungspraxis gekennzeichnet, setzte sich doch Anfang der '80er Jahre eine nuanciertere Betrachtungsweise durch. Ohne von der grundsätzlichen vertragstypologischen Einordnung des Finanzierungsleasingvertrages als besondere Form des Mietvertrages abzurücken, setzte sich der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen über die Begrenztheit des Denkens in mietrechtlichen Kategorien hinweg, um sich den leasingtypischen Besonderheiten stärker zu öffnen. Diese sieht er vor allem in der Regelung der Gewährleistungspflicht nach kaufrechtlichem Vorbild. Sie gebe dem Finanzierungsleasing sein typisches, insoweit vom Leitbild des Mietvertrages abweichendes Gepräge. 92 In mehreren Urteilen ist nunmehr vom „Leitbild des Mietvertrages in der Sonderform des Leasingvertrages" 93 oder auch nur vom „Leitbild des Leasingvertrages" 94 die Rede. Zu diesem gehöre es, daß zwischen den Vertragsparteien Einigkeit über eine beiderseitige Risikobeteiligung im Falle einer Vertragsbeendigung vor Ablauf der Zeitspanne bestehe. 95 Denn im Unterschied zu sonstigen Vermietern erwerbe der Leasinggeber den vom Leasingnehmer nach dessen Bedürfnissen ausgesuchten Gegenstand zum Zwecke der Vermietung an den Leasingnehmer, wobei die Parteien des Leasingvertrages darüber einig seien, daß die vereinbarten Leasingraten nicht nur Entgelt für die Gebrauchsüberlassung, sondern auch dazu bestimmt seien, den Kapitaleinsatz des Leasinggebers einschließlich des kalkulierten Gewinns zu tilgen. 96 Die volle Amortisation der vom Leasinggeber aufgewandten Gesamtkosten - kalkulatorischer Gewinn inbegriffen - wird als für den kündbaren Teilamortisationsvertrag „leasingtypisch und damit vertragsimmanent" bezeichnet. 97 Für die Rechtsfindung bei Leasingverträgen ist bedeutsam, daß der Bundesgerichtshof sich nun gegen eine strikte Anwendung mietrechtlicher Grundsätze ausspricht. Sie werde der Interessenlage beim Finanzierungsleasing nicht gerecht. 98 Statt dessen biete sich eine ergänzende Vertrags-

90 91 92 93 94 95 96 97 98

BGH BGH BGH BGH BGH BGH BGH BGH BGH

NJW 1977, 1058 (1059); 1978, 1432 (1434). NJW 1984, 2687 (2688); 1987, 1072; 1990, 314 (315). NJW 1982, 105. NJW 1982, 870 (871). WM 1982, 7 (9); NJW 1982, 1747 (1748). NJW 1982, 1747 (1748). NJW 1985, 2253 (2256). NJW 1985, 2253 (2256). NJW 1985, 2253 (2255).

III.

Qualifizierung als normativ-typischer

Vertrag

139

auslegung a n . " Eine Hinwendung zu leasingtypischen Vertragsmerkmalen läßt auch die Äußerung erkennen, daß sich die zu treffende Entscheidung mit Rücksicht auf die durch das Dreiecksverhältnis zwischen Lieferant, Leasinggeber und Leasingnehmer gekennzeichnete Rechts- und Sachlage weder allein aus dem Gesetz noch aus dem Vergleich mit anderen Vertragstypen ableiten lasse, sondern ihre Rechtfertigung in der besonderen Gestaltung des Leasingverhältnisses fände.100 Das neue Verständnis hat dann der Bundesgerichtshof wie folgt zusammengefaßt:101 Zwar seien Leasingverträge „in erster Linie" nach Mietrecht zu beurteilen. Gerade diese Einschränkung beruhe aber darauf, daß sich der typische Vertragsgehalt nicht in der Gebrauchsüberlassung erschöpfe, sondern zusätzliche Elemente enthalte. Dabei handele es sich sowohl um rechtliche Gestaltungen (so bei der typischen Gewährleistungsregelung) als auch um wirtschaftliche Gesichtspunkte (so die Anschaffung allein im Interesse und entsprechend den Wünschen des Leasingnehmers oder die Motivation steuerlicher und betriebswirtschaftlicher Erleichterungen, ferner die Berechnung der Vergütungsleistung fast ausschließlich aufgrund der konkreten Anschaffungs- und Kreditkosten). Diese Besonderheiten gegenüber dem allgemeinen Mietrecht gäben Veranlassung, von den §§535ff. B G B abweichende Klauseln für angemessen zu erklären und modifizierende Rechtsfolgen anzuerkennen. An der vertragstypologischen Grundentscheidung, der Qualifizierung des Leasingvertrages als (Sonder-)Form des Mietvertrages, hat der Bundesgerichtshof freilich auch in dieser Zeit festgehalten. Gegen kritische Stimmen im Schrifttum, die teilweise für eine Einordnung als Geschäftsbesorgungsverhältnis eingetreten waren,102 hat er seinen mietrechtlichen Ansatz unter Hervorhebung der sachlichen und dauernden Zuordnung des Leasinggegenstandes zum Vermögen des Leasinggebers sogar ausdrücklich verteidigt.103 Auch aus dieser Periode stammen im übrigen einige mehr oder weniger streng mietrechtlich ausgerichtete Entscheidungen. 104 Diese nehmen dann ab Mitte der '80er Jahre sogar deutlich zu.105 Der Umschwung zu einer die leasingtypischen Merkmale in den Vordergrund rückenden Sichtweise setzt sich in dieser vorerst letzten Phase nicht weiter fort. Das „Leitbild des Leasingvertrages" wird nicht mehr bemüht. Statt dessen gewinnt wieder eine engere Rückkoppelung an die Bestimmungen des gesetzlichen Mietrechts die Oberhand. Besonders deutlich drückt sich dies in der Erstrekkung der in § 557 Abs. 1 B G B für den Fall der verspäteten Rückgabe des Miet99 BGH NJW 1982, 1747 (1748); 1985, 2253 (2256) es sei denn, der Anspruch ist schon vertragsimmanent. 100 BGH NJW 1986, 1744 (1745). 101 BGH NJW 1988, 198 (200). 102 Canaris, NJW 1982,305ff.; Klamroth, BB 1982,1951 f.; Zinganke, BB 1982,709f.; Lieb,]7. 1982, 561. 103 BGH NJW 1986, 179. 104 Z.B.: BGH NJW 1985, 1539 (1544); 1985, 1547 (1550). 105 BGH NJW 1987, 377; 1988, 204 (205); 1989, 460 (461); 1989, 1730; 1990, 247; 1991, 102 (104); 1992, 683 (686); 1993, 122; 1994, 516 (517).

140

§ 5 Rechtsfindungsmethoden

der Rechtsprechung

o b j e k t s zugunsten des Vermieters vorgesehenen Entschädigung auf entsprechende Konstellationen bei der Beendigung eines Leasingvertrages aus. 1 0 6 D a bei k o m m t es nach der A n s i c h t des Bundesgerichtshofs weder auf die A r t des Leasingvertrages n o c h auf das Stadium seiner A b w i c k l u n g an. § 5 5 7 A b s . 1 B G B gelte daher auch für den „voll erfüllten Vollamortisationsvertrag". I n diesem Zusammenhang äußerte der Bundesgerichtshof ganz allgemein Zweifel, o b die A n w e n d u n g v o n M i e t r e c h t auf Finanzierungsleasingverträge B e s c h r ä n k u n g e n dahingehend unterliegt, daß dem Leasinggeber keine ü b e r eine A m o r t i s a t i o n seiner A u f w e n d u n g e n zuzüglich eines angemessenen G e w i n n s hinausgehenden A n s p r ü c h e zustehen dürfen. E i n anderes Beispiel aus der neueren R e c h t s p r e chung betrifft die Beendigung v o n Leasingverhältnissen. Mangels abweichender vertraglicher Regelungen will der Bundesgerichtshof hier v o m M i e t r e c h t ausgehen. 1 0 7 E i n e Kündigungsklausel wird an den wesentlichen G r u n d g e d a n ken des gesetzlichen Mietrechts gemessen und im Falle ihrer U n w i r k s a m k e i t sollen mietrechtliche Regelungen an ihre Stelle treten. 1 0 8 Festzuhalten ist damit, daß die jüngste J u d i k a t u r des Bundesgerichtshofs wiederum stärker die - angebliche - mietrechtliche Verwurzelung des Leasingvertrages akzentuiert o h n e dabei allerdings auf den Stand der '70er J a h r e z u r ü c k z u fallen. N u r am R a n d e sei vermerkt, daß sich die Instanzgerichte der mietvertraglichen E i n o r d n u n g des Bundesgerichtshofs im G r u n d s a t z zwar weitgehend angeschlossen haben, 1 0 9 gleichwohl hier tendenziell eine zurückhaltendere E i n stellung zu b e m e r k e n ist. 1 1 0 E s lassen sich sogar Urteile nachweisen, die auf eine E m a n z i p a t i o n des Leasingvertrages v o m gesetzlichen M i e t r e c h t zielen. 1 1 1 A u f s G a n z e gesehen handelt es sich in den weitaus meisten Fällen um punktuelle D i f ferenzen, die nicht im Sinne einer grundsätzlichen U n e i n i g k e i t zwischen d e m Bundesgerichtshof und der instanzgerichtlichen R e c h t s p r e c h u n g aufgefaßt w e r den dürfen. F ü r die Rechtsfindung ergibt sich aus alledem, daß der Anteil der für anwendbar erklärten Vorschriften des gesetzlichen Mietrechts heutzutage beträchtlich ist.

IV. Probleme der

Normenkonkurrenz

D i e R e c h t s p r e c h u n g nähert sich den nicht kodifizierten Verträgen - wie b e reits gesehen - in aller Regel v o m System der gesetzlichen Schuldvertragstypen her. D i e s e r gesetzesbezogenen Sichtweise entspricht es, in den Fällen, in denen BGH NJW 1989, 1730 (1731). BGH NJW 1988, 204 (205); 1990, 247 (248). 108 BGH NJW 1991, 102 (104). 109 OLG Frankfurt NJW 1977, 200; LG Hamburg WM 1996, 501. 110 Ebenso die Bewertung von Papapostolou, Risikoverteilung beim Finanzierungsleasingvertrag, S. 44 und Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 178 jeweils m.w.N. 111 OLG Frankfurt WM 1983, 1200; LG Bochum Lpraxis 6/1980, S.24. 106 107

IV. Probleme der Normenkonkurrenz

141

eine Qualifizierung als normativ-typischer Vertrag schlechterdings nicht mehr in Betracht kommt, die Schwierigkeiten der Rechtsgewinnung entweder als Auswahlproblem unter mehreren sich anbietenden Normen oder aber als Problem des Fehlens gesetzlicher Lösungen zu begreifen. Dem Bereich der Normenkonkurrenz unterfallen dann überwiegend die gemischten Verträge, bieten sich doch hier typischerweise die gesetzlichen Regelungen verschiedener normativer Vertragstypen an.

1. Die Stellung des Vertrages im Begriffssystem normativen Typenordnung

der

Die Rechtsprechung hat sich - wie gesehen - von den wissenschaftlichen Auseinandersetzungen um das richtige Rechtsfindungskonzept wenig beeindrucken lassen. Selbst die praxisbezogenen, einer dogmatischen Festlegung weitgehend entsagenden Bemühungen des neueren Schrifttums, die gemischten Verträge nach ihrer typologischen Struktur zu ordnen, sind bislang weitgehend ohne Resonanz geblieben. Expressis verbis hat sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - soweit ersichtlich - erst in einem einzigen Urteil die begrifflich-systematische Einteilung der herrschenden Lehre zunutze gemacht.112 Unter Bezugnahme auf Larenz wurde dort ein Börsenabonnementvertrag als „Typenkombinationsvertrag" qualifiziert, bei dem jede Einzelverpflichtung nach den für sie maßgeblichen Bestimmungen zu bemessen sei. Freilich bedeutet die Hervorhebung dieses Einzelfalles nicht, daß die praktischen Ergebnisse den Erkenntnissen der modernen Kommentarliteratur häufig widersprächen. Das Gegenteil ist der Fall. Eine statistische Auswertung der zu den gemischten Verträgen angefallenen gerichtlichen Entscheidungen offenbart einen Zusammenhang zwischen der Stellung des Vertrages im Begriffssystem der normativen Typenordnung und dem Ergebnis der richterlichen Rechtsfolgenbestimmung. So bevorzugt die Rechtsprechung bei gemischten Verträgen in Gestalt von Typenkombinationsverträgen entsprechend der Empfehlung der herrschenden Lehre ganz offensichtlich das Kombinationsprinzip. 113 Umgekehrt erhält die Absorptionsmethode bei Verträgen mit anderstypischer Nebenleistung und Typenverschmelzungsverträgen zumeist den Vorrang.114 Für die eher seltenen Verträge mit anderstypischer Gegenleistung fehlt es weitgehend an verwertbaren gerichtlichen Erkenntnissen.

BGHZ 70, 356 (361). Vgl. z.B. BGH LM §459 BGB Nr.20; BAG DB 1976, 539; BGHZ 63, 306; BGH N J W 1983, 2440; BGHZ 60, 362; 70, 356; 74, 204; OLG Stuttgart BB 1971, 239. 114 Vgl. z.B. BAG DB 1976, 539 (540); BGHZ 3, 206; 30, 120; 112, 40. 112

113

142

§5 Rechtsfindungsmethoden

2. Methodische

Bewältigung

der

Rechtsprechung

einzelner

Problembereiche

Die rechtliche Problematik der gemischten Verträge ist zwar überaus vielschichtig und facettenreich. Als besonders konfliktträchtig hat sich allerdings nur eine begrenzte Anzahl von Problemfeldern herausgeschält, auf die der weitaus überwiegende Anteil der veröffentlichten Rechtsprechung entfällt. Drei große Gruppen lassen sich unterscheiden: erstens der Bereich der Gewährleistungshaftung, zweitens die Anwendung zwingenden Rechts und drittens Fragen der Kündigung und des Widerrufs des Vertragsverhältnisses. Die Auswertung der Rechtsprechung zeigt, daß unabhängig von der Art der Typenmischung die Lösungen innerhalb der einzelnen Fragenkreise bestimmten methodischen Prinzipien zu folgen scheinen. Nicht unerwähnt soll freilich bleiben, daß sich die Rechtsprechung auch wiederholt - wenngleich nicht gehäuft - mit der Verjährung von Ansprüchen aus gemischten Verträgen zu befassen hatte und zur Klärung der gerichtlichen Zuständigkeit im Falle des Hinzutretens eines arbeitsvertraglichen Elements aufgerufen war. Zu beiden Komplexen bietet die Rechtsprechung kein abgerundetes Bild. In der Frage der Verjährung tendiert sie trotz mehrerer anderslautender Entscheidungen115 mehrheitlich zu einer Einheitslösung im Wege der Schwerpunktbetrachtung.116 Zur gerichtlichen Zuständigkeit liegen zwei Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vor, die sich im Hinblick auf das jeweils befolgte methodische Grundprinzip diametral gegenüberstehen.117 a) Kombinationslösungen

im Bereich der

Gewährleistungshaftung

Ein deutlicher thematischer Schwerpunkt der Rechtsprechung zu den gemischten Verträgen liegt auf dem Gebiet der Gewährleistung. Anders als im Falle von Leistungsstörungen, die sich zumeist relativ problemlos nach den für alle Vertragsarten geltenden Regeln des allgemeinen Schuldrechts bewältigen lassen, kommt es hier zu einem Aufeinandertreffen vertragsspezifisch unterschiedlicher Regelungssysteme. Diesen Normenkonflikt löst die Rechtsprechung durchgängig im Sinne der Kombinationsmethode auf, d.h. sie wendet die Rechtsregeln desjenigen Vertragstyps an, dessen Element in concreto betroffen ist. Auf diesem Prinzip beruht etwa die ständige Rechtsprechung zum Bauträgervertrag, einem gemischten Vertrag, der neben werk- und werklieferungsvertraglichen Elementen (Bauausführung) auch kaufrechtliche Elemente (Grundstückserwerb) sowie je nach den Umständen Bestandteile aus dem Auftrags-

B G H N J W 1983, 2440; B G H Z 70, 356; O L G Hamburg VersR 1977, 567. B G H Z 45,223 (230); B G H N J W 1978,1426; B G H Z 72,229 (232), B G H Urt. v. 31.1.1966 - VII ZR 103/64 (zitiert nach B G H Z 72, 229, 232); O L G Hamm BauR 1991, 620 (621); O L G Hamm N J W - R R 1994, 1297. 117 B A G AP Nr. 1 zu §611 B G B Gemischter Vertrag (Absorptionsprinzip) und B A G D B 1976, 539 (Kombinationsprinzip); vgl. neuerdings auch B G H N J W 1998, 909. 115

116

IV. Probleme

der

143

Normenkonkurrenz

und Geschäftsbesorgungsrecht enthält.118 Weist das Bauwerk Mängel auf, so sieht die Rechtsprechung die nach Werkvertragsrecht zu beurteilende Leistungspflicht zur Errichtung des Bauwerks betroffen; die Gewährleistungsansprüche sollen sich nach Werkvertragsrecht richten.119 Dagegen wäre wohl auf die kaufrechtliche Gewährleistung wegen Rechtsmängeln abzustellen, wenn das Grundstück nicht frei von Recht Dritter übereignet werden könnte. In derselben Weise verfährt der Bundesgerichtshof bei einem auf eine zahnprothetische Behandlung gerichteten Vertrag.120 Soweit es um Mängel bei der technischen Anfertigung der Prothese gehe, also nicht eine spezifisch - nach Dienstvertragsrecht zu beurteilende - zahnärztliche Heilbehandlung vorliege, sei das Gewährleistungsrecht des Werkvertrages zur Entscheidung berufen. Zahlreiche weitere Beispiele ließen sich hier anführen.121 b) Einheitslösungen bei der Anwendung zwingenden von Kündigungs- und Widerrufsbestimmungen

Rechts

sowie

Von einem anderen methodischen Gedanken scheint die Rechtsprechung zur Anwendung zwingenden Gesetzesrechts sowie von Kündigungs- und Widerrufsbestimmungen getragen zu sein. Nicht das Kombinationsprinzip, sondern das Bemühen um eine den gesamten Vertrag erfassende einheitliche Lösung dominiert ersichtlich die Rechtsprechung zu diesen oftmals - in verschiedener Einkleidung - zur Entscheidung gestellten Grundsatzproblemen. Eine nähere Begutachtung der gerichtlichen Spruchpraxis auf diesen beiden Feldern erweist darüber hinaus folgende Zusammenhänge. Dort, wo die Anwendung von ius cogens auf einen gemischten Vertrag in Frage steht, der neben anderen auch dasjenige Vertragselement aufweist, an das die zwingende Wirkung anknüpft, erzielt die Rechtsprechung einheitliche Lösungen auf zwei verschiedenen methodischen Wegen. Der erste Ansatz basiert auf dem Absorptionsprinzip. Die Rechtsprechung unternimmt es, im Wege der Schwerpunktbetrachtung das den Vertrag bestimmende, ihm das Gepräge gebende, Typenelement auszumachen. Unter Ausblendung der übrigen Elemente dehnt sie dann das dem vorherrschenden Typenelement entsprechende gesetzliche Vertragsregime zumindest insoweit aus, als seine zwingenden gesetzlichen Anordnungen nunmehr auch für den gesamten gemischten Vertrag Geltung beanspruchen sollen. Einige Beispiele - allesamt mit einem mietrechtlichen Einschlag - mögen das Gesagte veranschaulichen. Besonders deutlich tritt die geschilderte methodische Vorgehensweise in So die Charakterisierung durch B G H Z 92, 123 (126). B G H Z 60, 362; 72, 229 (231); 74, 204; B G H LM §459 B G B Nr.20. 120 B G H Z 63,306; ebenso O L G Karlsruhe MedR 1995,374 für beinprothetische Versorgung. 121 B G H NJW 1988, 640 (multimodaler Verkehr); B G H Z 70, 356 (Börsenabonnementvertrag); O L G Frankfurt a.M., Urt. v. 12.7.1994,11 U (Kart) 30/94 (Franchisevertrag); O L G Stuttgart BB 1971,239; anders dagegen R G Z 169,54 und B G H N J W 1963,1449 (jeweils zu einem Beherbergungsvertrag). 118

119

144

§ 5 Rechtsfindungsmethoden

der

Rechtsprechung

einem höchstrichterlichen Urteil hervor, in dem über die bis dahin umstrittene Frage zu befinden war, ob Altenheimverträge dem Gesetz zur Regelung der Miethöhe ( M H R G ) unterstehen. 122 Der Bundesgerichtshof stufte in dieser Entscheidung den Altenheimvertrag als gemischten Vertrag ein, da er zusammengesetzt sei aus Elementen des Mietvertrages, des Dienstvertrages und des Kaufvertrages. Er bilde dabei aber doch ein einheitliches Ganzes und könne deshalb bei der rechtlichen Bewertung nicht in seine verschiedenen Bestandteile zerlegt werden in dem Sinne, daß auf den Mietvertragsanteil Mietrecht, auf den Dienstvertragsanteil Dienstvertragsrecht und auf den Kaufvertragsanteil Kaufrecht anzuwenden wäre. Der Eigenart des Vertrages werde vielmehr nur die Unterstellung unter ein einziges Vertragsrecht gerecht, nämlich dasjenige, in dessen Bereich der Schwerpunkt des Vertrages liege. Da der Bundesgerichtshof in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht die von dem Heimträger zu erbringenden Dienst- und Fürsorgeleistungen als im Vordergrund stehend erkannte, ein mietrechtlicher Schwerpunkt damit nicht gegeben war, konnte im Ergebnis auch die Anwendbarkeit des M H R G auf Altenheimverträge verneint werden. Weitere nach demselben Muster entschiedene Fälle betreffen die Frage der Erforderlichkeit der Zustimmung des Mieteinigungsamtes zur Kündigung eines auf die Überlassung von Bahnhofsräumen zum Betriebe eines Wechselgeschäfts gerichteten Vertragsverhältnisses 123 sowie die Anwendung des damals noch geltenden Mieterschutzgesetzes auf einen Vertrag, der einem Reklameunternehmen gegen Entgelt die Nutzung von öffentlichen Straßen und Plätzen für Plakatanschläge gestattete. 124 Eine deutliche Parallele findet diese Praxis schließlich in der rechtlichen Behandlung von sog. Mischmietverhältnissen, bei denen Räumlichkeiten durch einheitlichen Vertrag sowohl zur Benutzung als Wohnung als auch zu gewerblichen Zwecken vermietet werden. Auf die Schutzbestimmungen des sozialen Wohnraummietrechts kann sich der Mieter für den gesamten Vertrag nach ständiger Rechtsprechung berufen, wenn die Nutzung als Wohnraum überwiegt. 125 Anders verläuft die Argumentation hingegen bei der gesetzlichen Formvorschrift des §313 B G B . Begründet ein gemischter Vertrag u.a. auch die Verpflichtung zur Übertragung oder zum Erwerb des Eigentums an einem Grundstück, so soll sich der Beurkundungszwang auf den gesamten Vertrag erstrecken, wenn dieser rechtlich eine Einheit bildet. 126 Hierfür komme es wiederum darauf an, ob die Vereinbarungen nach dem Willen der Parteien nicht für sich allein gelten, sondern miteinander „stehen und fallen" sollen. Bei gemischten Verträgen wird dies jedoch per definitionem vorausgesetzt. 127 Es verwundert daher nicht, daß der Formzwang des §313 B G B weit ausgreift. Für beurkundungsbedürftig 122 123 124 125 126 127

BGH NJW 1981, 341; ebenso dann OLG Karlsruhe NJW-RR 1988, 1402. RGZ 108, 369. BGH NJW 1952, 620. BGH WM 1986, 912 und OLG Hamburg NJW-RR 1997, 458. Vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Palandt-Heinrichs, §313 BGB Rdnr.32ff. Vgl. §3 I. 1.

IV. Probleme der

Normenkonkurrenz

145

wurde etwa ein Darlehensversprechen gehalten, das als Gegenleistung für ein Grundstücksverkaufsangebot gegeben wurde.128 Der notariellen Beurkundung bedarf nach der Rechtsprechung ferner regelmäßig der Vertrag über den Verkauf und die Bebauung eines Grundstücks (Bauträgervertrag).129 Eine nähere Begründung für diese Abweichung von der ansonsten bei der Anwendung zwingenden Rechts auf gemischte Verträge praktizierten Schwerpunktbetrachtung läßt sich den veröffentlichten Entscheidungen nicht entnehmen. Augenscheinlich markiert die Formvorschrift selbst, ihr Sinn und Zweck, den gedanklichen Ansatzpunkt. Als konfliktträchtige Gebiete haben sich schließlich die Beendigung gemischter Vertragsverhältnisse durch Kündigung bzw. das Nichtwirksamwerden des Vertrages infolge eines Widerrufs und der einen Rückforderungsanspruch auslösende Widerruf einer gemischten Schenkung herausgestellt. In allen Fällen geht es um die Ausübung von Gestaltungsrechten und ihre Rechtsfolgen. Insbesondere interessiert die Rechtsgrundlage für eine etwaige Kündigung des Gesamtvertrages, wenn die Parteien hierzu keine weitergehenden Abreden getroffen haben. Nahezu im Recht eines jeden Vertragstyps ist die Befugnis zur Kündigung des Vertrages näher ausgestaltet. Für das Gericht stellt sich dann im Streitfall die Frage, welchem der verschiedenen im Vertrag anklingenden Vertragstypenrechte die maßgebliche Kündigungsregelung zu entnehmen ist. Auch dieses Auswahlproblem löst die Rechtsprechung nach der Absorptionsmethode im Wege der Schwerpunktbetrachtung. Das Bundesarbeitsgericht führt hierzu in dem bereits eingangs zitierten Urteil 130 aus, daß der Kombinationsgrundsatz dann nicht zur Anwendung komme, wenn es um die Auflösung der (in concreto aus Elementen des Arbeits-, Miet- und eventuell auch des Darlehensvertrages bestehende) Vertragseinheit selbst gehe. Dann müßten vielmehr diejenigen Vertragselemente, die die Auflösung des Gesamtvertrages nicht herbeiführen könnten, zurücktreten zugunsten solcher Vertragselemente, die eine Auflösung des Gesamtvertrages sinnvoll ermöglichten und die darüber hinaus das wirtschaftliche Schwergewicht des Vertragswerkes bildeten. In dieselbe Richtung weist die Zivilrechtsprechung zur Kündigung eines Internatsschulvertrages,131 den sie als gemischten Vertrag charakterisiert, der neben dienst- auch miet- und werkvertragliche Elemente aufweise. Den Schwerpunkt der Vertragspflichten bildeten jedoch die für die Schulausbildung und erzieherische Betreuung des Schülers erforderlichen Dienstleistungen. Dies rechtfertige es, den Vertrag grundsätzlich dem Dienstvertragsrecht zu unterstellen, die Kündigung an §626 B G B zu messen132 und die sekundären Kündigungsfolgen §628 B G B zu entnehmen.133 128 129 130 131 132 133

BGH DNotZ 1985, 279. BGHZ 78, 346 (349). BAG AP Nr. 1 zu §611 BGB Gemischter Vertrag; vgl. oben I. Vor allem BGH NJW 1984, 2091 und 1984, 2093. BGH NJW 1984, 2091. BGH NJW 1984, 2093.

146

5-5 Rechtsfindungsmethoden

der

Rechtsprechung

Um die Ausübung eines Gestaltungsrechts, hier mit dem Ziel, den Vertrag erst gar nicht zustande kommen zu lassen, geht es auch beim Widerruf nach dem Haustürgeschäftewiderrufsgesetz. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die sich mit der Anwendbarkeit dieses verbraucherschutzrechtlich motivierten Sondergesetzes auf einen sog. Schlüssel-Funddienst-Vertrag befaßt. 134 Das Leistungsversprechen beinhaltet bei einem solchen Vertrag zweierlei. Zum einen stellt der Unternehmer seinen Kunden seine Dienste zum Auffinden verlorengegangener Schlüssel zur Verfügung und zum anderen erfüllt er im Falle des endgültigen Verlustes die von ihm übernommene Kostendeckungszusage. Problematisch war, ob ein solcher Vertrag dem für Versicherungsverträge geltenden Privileg nach § 6 Nr. 2 HWiG unterfiel. Der Bundesgerichshof ging von einem gemischten Vertrag aus, der sowohl Elemente der Geschäftsbesorgung als auch der Versicherung oder Garantie in sich vereinige.135 Die Frage, nach welchen besonderen Rechtsnormen ein solcher Vertrag zu beurteilen sei, hänge von den besonderen Umständen des Einzelfalls und der Gestaltung der jeweiligen Interessen ab. 136 Überwiege ein Vertragsbestandteil und sei er deshalb für das Wesen des Vertrages prägend, so sei grundsätzlich das Recht dieses Bestandteils auch für den ganzen Vertrag entscheidend. Das wirtschaftliche und rechtliche Schwergewicht sah der Bundesgerichtshof nun bei dem Schlüssel-Funddienst, da es dem Kunden primär um die Wiedererlangung verlorengegangener Schlüssel und erst nachrangig um die für den Fall des Nichtauffindens zugesagte Kostenerstattung gehe. Angesichts dieser Interessenbewertung sei es gerechtfertigt, auf den ganzen Vertrag ungeachtet eines versicherungsrechtlichen Elements das Haustürgeschäftewiderrufsgesetz samt des darin vorgesehenen Widerrufsrechts anzuwenden. Hinzuweisen bleibt noch auf die Rechtsprechung zur Frage, worauf die Herausgabepflicht des Beschenkten im Falle des Widerrufs einer gemischten Schenkung wegen groben Undanks gerichtet ist (§§ 530ff. BGB). Der Bundesgerichtshof1^7 steWt auch hier darauf ab, ob der unentgeltliche oder der entgeltliche Charakter des Vertrages überwiegt und billigt dem Veräußerer im ersten Fall grundsätzlich einen Anspruch auf Rückübereignung in natura gegen Rückgabe der erlangten Gegenleistung, im zweiten dagegen nur einen Geldzahlungsanspruch auf die Differenz zu.

V. Probleme des Fehlens gesetzlicher Lösungen Bei den typenfremden Verträgen wird häufig ein Mangel an gesetzlichen Vorgaben zu beklagen sein. Mitunter mag zu erwägen sein, auf Vorschriften aus 134 135 136 137

BGH NJW 1995, 324. BGH NJW 1995, 324 (325). BGH NJW 1995, 324 (326). BGHZ 30, 120.

V. Probleme des Fehlens gesetzlicher

Lösungen

147

dem Recht ähnlicher, gesetzlich normierter Vertragstypen zurückzugreifen. Um ein Auswahlproblem handelt es sich aber auch in diesem Falle nicht. Ausnahmen mögen nicht ausgeschlossen sein, kann es doch auch umgekehrt bei den gemischten Verträgen vorkommen, daß geeignete gesetzliche Lösungen nicht zur Verfügung stehen. Im Spiegel der höchstrichterlichen Spruchpraxis ergibt sich für den Fall des Fehlens unmittelbar einschlägiger gesetzlicher Lösungen folgendes Bild.

1. Orientierung am problemnächsten

gesetzlichen

Vertragstypenrecht

Von den sich anbietenden Lösungsmechanismen genießt in der Rechtsprechung der wertende Vergleich mit der Normierung (teilweise) wesensverwandt erscheinender Vertragstypen erste Priorität. Dieser erfolgt mit dem Ziel, herauszufinden, ob der gesetzlich ungeregelte Vertrag nicht zumindest teilweise den Regelungen eines normierten Vertragstyps unterstellt werden kann. Für diese Praxis läßt sich immerhin anführen, daß auch die typenfremden Verträge nicht in jeder Hinsicht eigengeartet sind, sondern sich erfahrungsgemäß zumindest in Einzelpunkten Parallelen zu den Regelungsanliegen normierter Vertragstypenrechte ziehen lassen.

a) Übernahme des jeweiligen Vertragstypenrechts in toto Wird ein Vertrag als „typenfremd" eingestuft oder wird ihm gleichbedeutend „sui-generis-Charakter" bescheinigt, so impliziert diese Kennzeichnung zugleich, daß der betreffende Vertrag ein eigenes Gesicht aufweist und in deutlicher Distanz zu den gesetzlichen Vertragstypen anzusiedeln ist. Eine typologische Unterordnung unter einen normierten Vertragstyp oder die entsprechende Anwendung eines Großteils seiner Regelungen scheidet daher aus Gründen der Sachlogik aus. Dieser Sperre hat die Rechtsprechung bislang auch stets widerstanden. Auf ein von ihr als Vertrag sui generis erkanntes Gebilde wendet sie allenfalls einzelne problemnahe Regelungen entsprechend an. Den „im Gesetz als Vertragstyp nicht geregelt(en)" Automatenaufstellungsvertrag hat der Bundesgerichtshof beispielsweise trotz festgestellter mietvertraglicher Elemente genauso wenig dem Mietrecht unterstellt 138 wie die Interzessionsgarantie dem Recht der Bürgschaft. 139 Auf der anderen Seite ist festzustellen, daß der Rechtsprechung die Tendenz innewohnt, auch weitgehend verselbständigte Vertragsgebilde noch als (atypische) Unterformen eines kodifizierten Vertragstyps zu begreifen, um sie auf BGHZ 42, 202; BGH NJW 1969, 230; 1978, 1155; 1983, 159. BGH WM 1962,576; NJW 1967,1020 (1021); ebenso schon das RG, vgl. RG SeuffArch. 79 Nr.21 S.37; RGZ 61, 157 (160). So aber die Forderung von Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §64 III, S.77 und von Caemmerer, in: FS für Riese, S.305f. 138

139

148

5 -5 Rechtsfindungsmethoden

der

Rechtsprechung

diese Weise dem jeweiligen gesetzlichen Vertragstypenrecht zu unterstellen. Im Ergebnis kommt es so oftmals doch zu einer Übernahme des für einschlägig erachteten Vertragstypenrechts in toto. Erinnert sei an die bereits referierte Rechtsprechung zum Finanzierungsleasing. Weitere Beispiele lassen sich nennen, so die typologische Einordnung der Bürgschaft auf erstes Anfordern als (atypische) Bürgschaft. 140

b) Übertragung gesetzlicher

Einzelwertungen

Weitaus häufiger finden sich in den zivilgerichtlichen Entscheidungen Erwägungen, ob - unter Wahrung der Eigengesetzlichkeit des zu beurteilenden Vertrages - ein punktueller Rückgriff auf einzelne Normen oder Wertungen eines normierten Vertragstyps in Betracht kommt. Aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts sei beispielhaft eine Entscheidung zu einem Rechtsstreit aus einem Schiedsrichtervertrag herausgegriffen.141 Dieser Vertrag ist nach der Ansicht des Reichsgerichts kein Werkvertrag. Er falle überhaupt unter keine der im Bürgerlichen Gesetzbuch ausdrücklich geregelten Vertragsarten, sei vielmehr mit Rücksicht auf die Eigenart der schiedsrichterlichen Tätigkeit als ein Vertrag besonderer Art anzusehen. Ob der Schiedsrichter für seine geleistete Tätigkeit insbesondere im Falle der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses für das bis dahin Geleistete - eine Vergütung zu beanspruchen habe, bestimme sich allerdings „entsprechend den in §§612 Abs. 1, 632 B G B für Dienst- und Werkvertrag gegebenen Vorschriften". Auf dieser Grundlage billigte das Reichsgericht dem Schiedsrichter angesichts der nach den Umständen für gerechtfertigt erachteten Vergütungserwartung einen (Teil-)Vergütungsanspruch zu. Auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, daß, wenn der Vertrag keinem gesetzlichen Vertragstyp entspricht, im Einzelfalle doch „bestimmte Vorschriften aus gesetzlich geregelten Schuldverhältnissen direkt oder analog zur Lösung von Konflikten herangezogen werden können." 142 Auch insoweit bietet sich reiches Anschauungsmaterial dar. Instruktiv ist etwa die rechtliche Behandlung des Belegarztvertrages. Dieser räumt einem frei praktizierenden Arzt das Recht ein, in einem Krankenhaus eine bestimmte Anzahl von Betten mit Patienten zu belegen. Es handelt sich nach allgemeiner Meinung 143 hierbei um einen Vertrag eigener Art, der keinem der Vertragstypen des Bürgerlichen Gesetzbuches voll entspricht. Gleichwohl hält der Bundesgerichtshof die Kündigungsbestimmungen der §§553, 626 und 723 B G B für entsprechend anwendbar.144 140 BGHZ 74,244 (246f.); BGH WM 1989,1496 (1497). Die Nähe zur Garantie und damit die Ausgrenzung aus dem Kreise der normativen Vertragstypenordnung betonen Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, S.81 und Bydlinski, AcP 190 (1990), 170f. 141 RGZ 94, 210 (212ff.). 142 BGH NJW 1992, 2690. 143 BGH NJW 1972, 1128; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, S.209f.; StaudingerMayer-Maly, Einl. zu §§433ff. BGB Rdnr.22. 144 BGH NJW 1972, 1128 (1129).

V. Probleme

des Fehlens gesetzlicher

Lösungen

149

Erwähnung verdient, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung in nicht wenigen Urteilen eine Analogie zwar in Betracht gezogen, am Ende jedoch unter Hinweis auf die unterschiedlich gelagerten Interessenlagen verworfen hat. Abgelehnt wurde etwa die analoge Anwendung der mietrechtlichen Formvorschrift des §566 B G B auf Automatenaufstellungsverträge,145 der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 B G B auf die Kündigung eines Unterlassungsvertrages146 und die Bestimmung des §553 B G B über das außerordentliche Kündigungsrecht des Vermieters auf einen unentgeltlichen Theaternutzungsvertrag.147 2. Rückgriff

auf das allgemeine

Schuldrecht

Eine andere methodische Strategie zielt darauf, das Rechtsfolgeprogramm eines nicht kodifizierten Vertrages vornehmlich anhand der Regeln und Grundsätze des allgemeinen Schuldrechts zu bestimmen. Auch die Gerichte lassen sich von ihr - wenngleich eher sporadisch - in ihrer Entscheidungspraxis leiten. Das Haupteinsatzfeld stellt das Recht der Leistungsstörungen dar. So hat bereits das Reichsgerichtus zu einem Filmverwertungsvertrag, einem „Vertrag eigener Art, der dem Rechtsgebilde der patentrechtlichen Lizenz verwandt" sei und starke gesellschaftliche Elemente aufweise, ausgeführt, dieser unterstehe grundsätzlich den Vorschriften der §§320ff. BGB. Die im Vertrag vorgesehene Übernahme des Zensurrisikos durch die Filmherstellerin bewertete das Reichsgericht als eine Verpflichtung nach § 323 B G B . Dies erlaubte es dem Gericht, die Rechtsfolgen der getroffenen Risikozuweisung dem Unmöglichkeitsrecht des allgemeinen Schuldrechts zu entnehmen. Aus der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verdienen zunächst zwei Urteile des zwölften Zivilsenats besondere Aufmerksamkeit. Beide sind getragen von dem Bemühen, die allgemeinen Regeln des Schuldrechts an die jeweilige Fragestellung heranzutragen. Die erste hier vorzustellende Entscheidung hatte einen Sponsoring-Vertrag zum Gegenstand. 149 Auch wenn die hierin begründeten Leistungspflichten - so der Senat - keinem gesetzlich geregelten Vertragstyp entsprächen, also atypisch seien, unterlägen sie doch jedenfalls den allgemeinen Regeln des Schuldrechts. Dies führte den Senat dann zum Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und in dessen Rahmen zu einer Risikozuweisung im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung. In der zweiten kurz zuvor ergangenen Entscheidung 150 ging es um die Kündigung eines unentgeltlichen Theaternutzungsvertrages. In den Urteilsgründen heißt es hierzu: Da 145 146 147 148

B G H Z 42, 202. B G H M D R 1997, 570. B G H N J W 1992, 496 (497). R G Z 126, 65 (67); 158, 321; R G Gruchot 53, 932ff.; SeuffA 96 Nr. 56. vgl. im übrigen oben

III.l. 149 150

B G H N J W 1992, 2690. B G H N J W 1992, 496 (497).

150

§ 5 Rechtsfindungsmethoden

der

Rechtsprechung

den Rechtsbeziehungen der Parteien ein Vertrag eigener Art zugrunde liege, biete es sich an, die zur Lösung ihres Konflikts erforderlichen Wertungen nicht einzelnen Vorschriften für einen der gesetzlich geregelten Vertragstypen zu entnehmen, sondern die für Dauerschuldverhältnisse allgemein entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Für entscheidungserheblich hielt der Bundesgerichtshof den Satz, daß sich ein Vertragsteil grundsätzlich erst dann einseitig vom Vertrag lösen kann, wenn der andere nachdrücklich auf die Folgen einer weiteren Nichterfüllung hingewiesen worden ist. Eines ähnlichen Lösungsansatzes hat sich jüngst der erste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf dem Gebiete des Wettbewerbsrechts bedient und zwar bei der rechtlichen Bewertung von sog. Altunterwerfungen, also von vor dem Wegfall der Sachbefugnis durch das UWG-Anderungsgesetz (1994) 151 geschlossenen Unterlassungsverträgen. In zwei Urteilen vom 26.9. 1996 152 heißt es - insoweit wortlautidentisch - , der Umstand, daß der klagende Verband einen aufgrund des beanstandeten Verhaltens in Betracht kommenden gesetzlichen Unterlassungsanspruch wegen Wegfalls der Sachbefugnis nicht mehr verfolgen könne, lasse es nach Treu und Glauben (§ 242 B G B ) grundsätzlich gerechtfertigt erscheinen, daß der Beklagte sich von der vertraglichen Unterlassungsverpflichtung lösen könne. Insoweit konnte der Bundesgerichtshof die Entscheidungen außer auf Treu und Glauben noch auf die Grundsätze über die Lösung von Dauerschuldverhältnissen, also auf allgemeines Schuldrecht stützen. Freilich nähern sich die beiden zuletzt angeführten, auf die allgemeinen und ungeschriebenen Grundsätze über Dauerschuldverhältnisse 153 gestützten Entscheidungen schon der dritten und letzten noch vorzustellenden Methode, der Entwicklung ungeschriebener Normen. 154

3. Entwicklung

ungeschriebener

Normen

Allerdings sind Entscheidungen zu nicht kodifizierten Verträgen, in denen sich die gerichtliche Rechtsfindung vom gesetzlichen Vertragsrecht löst und zur Entwicklung ungeschriebener Normen übergeht, ausgesprochen selten. Vom Ansatz her kommt diese Methode übrigens nicht nur für gesetzesfremde, sondern auch für typengemischte Verträge in Betracht. Wie man sich die Aufstellung gesetzlich nicht vorgesehener Regelungen vorzustellen hat, zeigt exemplarisch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu Gesetz vom 25.7. 1994, B G B l . I 1994, 1738. B G H N J W 1997, 1702 und 1997, 1706. 153 Hierzu im übrigen ausführlich Oetker, Dauerschuldverhältnis, passim. Auch für die gesetzlich nicht geregelten Lizenzverträge, die ebenfalls ein Dauerschuldverhältnis begründen, ist ein außerordentliches Kündigungsrecht anerkannt, vgl. zuletzt B G H B B 1997,1503; zum Franchisevertrag jüngst B G H N J W 1999, 1177. 154 Vgl. die diesbezügliche Anregung von Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 63 II, S. 46 und 53. 151

152

VI. Zusammenfassende

Bewertung

151

einem Internatsschulvertrag.155 Für diesen gemischtvertragliche Züge aufweisenden Kontrakt hatte der Bundesgerichtshof über die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung seitens der Eltern im ersten Jahr nach der Aufnahme des Schülers in das Internat zu befinden. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ergibt sich gem. §§157, 242 BGB im Wege ergänzender Auslegung des auf den Zeitpunkt des Schulabschlusses befristeten Vertrages ein zusätzliches ordentliches Kündigungsrecht der Vertragspartner des Schul- und Internats Vertrages. Dies gebiete die Erfahrung, daß ein Teil der Kinder die Umstellungsphase nicht bewältigen, sich mit anderen Worten als internatsunfähig erweisen würde. Auf der anderen Seite müsse der Bindungszeitraum so lange bemessen sein, daß ein verfrühtes Resignieren des Kindes und voreiliges elterliches Nachgeben verhindert werde. Eine ausgewogene, die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigende Kündigungsregelung erblickte der Bundesgerichtshof im konkreten Fall in der Zubilligung eines zusätzlichen selbständigen Kündigungsrechts zum Ende des ersten Schulhalbjahres. Auf gesetzliche Vorbilder konnte sich der Bundesgerichtshof insoweit nicht stützen. Für Internatsschulverträge hat er somit im Ergebnis eine ungeschriebene, gleichwohl im geltenden Vertragsrecht verankerte Lösung entwickelt.

VI. Zusammenfassende

Bewertung

Die Betrachtung der zu den nicht kodifizierten Verträgen ergangenen Entscheidungen hat gezeigt, daß der Rechtsprechung kein festes methodisches Konzept zugrunde liegt. Zwar lassen sich auf dem Gebiete der gemischten Verträge gewisse an übergreifende Problemstellungen anknüpfende Gesetzmäßigkeiten nachweisen. Dies zeugt jedoch weniger von einem bewußt methodengeleiteten Vorgehen als von ganz offensichtlich Beachtung erheischenden Sachgesetzlichkeiten. Im Vordergrund steht das gerechte Einzelfallergebnis, die methodischen Prinzipien werden diesem Ziel untergeordnet.156 Die determinierenden Faktoren sind kaum erkennbar oder alternieren je nach Lage des Einzelfalles. Weiterhin hat sich ergeben, daß die Rechtsprechung immer noch in beträchtlichem Maße dem gesetzlichen Vertragstypenrecht verhaftet ist. Die Lösung der Probleme nicht kodifizierter Verträge sucht sie sehr oft aus den Regelungen gesetzlich vertypter Verträge abzuleiten. Dies bringt ihr nicht selten wie z.B. beim Finanzierungsleasing - scharfe Kritik aus den Reihen der Schrifttumsvertreter ein. Ferner fällt auf, daß Grundfragen von für die Rechtsfindung geradezu essentieller Bedeutung entweder widersprüchlich oder sogar überhaupt nicht entschieden werden, so die Frage nach den Möglichkeiten und den

155 B G H N J W 1985,2585; ebenfalls auf dieser Linie B G H ZIP 1993,367 (371 f.) betreffend einen Direktunterrichtsvertrag; weiteres Beispiel B G H N J W 1955, 337: zeitliches befristetes Rückkehrverbot im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung bei Arztpraxistausch. 156 So auch Eick, Problem der gemischten Verträge, S. 87f.

152

5 i Rechtsfindungsmethoden

der

Rechtsprechung

Grenzen einer Parteiqualifikation sowie des Verhältnisses der analogen Anwendung des Rechts der besonderen Schuldverhältnisse zur ergänzenden Vertragsauslegung. Im Ergebnis hat sich damit die Einschätzung von Esser/Schmidt^7 und Martinek™ bestätigt, derzufolge die Gerichte in der Praxis bei der Rechtsnaturbestimmung letztlich theorielos ergebnisorientiert verfahren, um sich den Zugriff auf die als problemadäquat erscheinenden Folgevorschriften zu eröffnen. Die mangelnde methodische Festlegung erlaubt der Rechtsprechung zwar eine flexible Rechtsanwendung und damit eine hohe Einzelfallgerechtigkeit. Auf der anderen Seite leiden die Rechtssicherheit und die Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen. Gemildert, nicht jedoch beseitigt, wird diese Unsicherheit durch die - ihrerseits allerdings fragwürdige - starke Ausrichtung der Rechtsprechung auf die gesetzlichen Vertragstypen, mit der sie sich bewährte Lösungsmuster erschließt. Als schwierig erweist sich auf dieser Grundlage auch eine verläßliche Vertragsgestaltung, insbesondere in der frühen Phase eines sich erst allmählich herausbildenden neuen Vertragstyps. Die Kritik darf freilich nicht daran vorbeigehen, daß die Möglichkeiten der Rechtsprechung von vornherein begrenzt sind. Ausgehend von Einzelfällen läßt sich angesichts der allseits diagnostizierten Hyperkomplexität der Materie159 eine gleichermaßen dogmatisch stimmige wie praktisch brauchbare methodische Systematik kaum entwickeln. Hier ist vor allem die Rechtswissenschaft gefordert.

157 158 159

Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 12 II 3, S.217. Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.25. Vgl. nur Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 III, S.27.

§ 6 Kritik der im Schrifttum vertretenen Entwürfe Im Zentrum der wissenschaftlichen Diskussion um die angemessene methodische Vorgehensweise zur Bestimmung des zwischen den Parteien eines nicht kodifizierten Vertrages geltenden Rechts stehen seit langem die gemischten Verträge, während die typenfremden Verträge kaum behandelt werden.

I. Stellungnahme zum Theorienstreit um die Behandlung gemischter Verträge Zur rechtlichen Erfassung der gemischten Verträge sind im Schrifttum verschiedene auf bestimmten Prinzipien beruhende, methodische Handlungsanweisungen - ungenau „Theorien" genannt - erarbeitet worden. Die aufgestellten „Theorien" sind zuletzt zunehmend als unbrauchbar, ja der gesamte Streit als unfruchtbar qualifiziert worden. 1 Immerhin zeigen sie das Spektrum der verschiedenen denktheoretischen Lösungsansätze auf,2 die latent auch heute noch in der keineswegs einheitlichen Literaturbeurteilung eine Rolle spielen. Von daher sei im folgenden der Entwicklung eines eigenen Standpunktes eine kurze und kritische Rekapitulation der wichtigsten Strömungen im deutschen 3 Schrifttum vorangestellt.

1 Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.22; Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V 4, S. 162. 2 Ebenso Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I, S. 44. 3 Im schweizerischen Schrifttum sind weitere Lösungsvorschläge unterbreitet worden: so eine von Mayer-Maly (in: Staudinger, Einl zu §§433ff. BGB Rdnr.27) als Theorie der Wertungsanalogie bezeichnete Lehre von der Übernahme gesetzlicher Einzelanordnungen, die nach Regelungen für bestimmte Sachprobleme, die denen eines gemischten Vertrages ähnlich sind, Ausschau halten will (Hauptvertreter: Bucher, ZSR 102 II (1983), S. 321 f.); weiterhin eine sog. Kreationstheorie, die es dem Richter auferlegt, das zur Beurteilung nicht typengerechter Verträge erforderliche Recht anhand des jeweiligen Einzelfalles selbst zu kreieren (Gugelmann, Die Rechtsverhältnisse bei Geschäften gemischter Art nach schweizerischem Obligationenrecht; MeierHayoz, SJK, Nr. 1135; Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 802f.); kritisch hierzu Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.24 und'iAzxx&va%lzx-Ma.yer-Mcdy,Einl. zu §§433ff. BGB Rdnr.27.

154

§ 6 Kritik der im Schrifttum vertretenen

1.

Entwürfe

Absorptionstheorie

Nach der im gemeinen Recht und in der Frühzeit des Bürgerlichen Gesetzbuches vorherrschenden Absorptionstheorie, 4 als deren letzter Verfechter sich Lotmar5 hervortat, war bei gemischten Verträgen immer nur das Recht des dominanten Typenelements anzuwenden. Die für die übrigen untergeordneten Typenelemente geltenden Rechtsfolgeanordnungen sollten verdrängt - absorbiert - werden. Lotmar bemühte sich anhand verschiedener Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzesbuches (insbes. §§675, 651) und des Handelsgesetzbuches (§§406 Abs. 2,381 Abs. 2) nachzuweisen, daß der Gesetzgeber im Falle des Zusammentreffens verschiedener Typenelemente regelmäßig einer eintypischen Subsumtion den Vorzug gegeben habe, er mithin vom Absorptionsprinzip ausgegangen sei.6 Diese Ableitung ist überwiegend auf Kritik gestoßen,7 soll hier jedoch nicht weiter hinterfragt werden. Denn dafür, daß der historische Gesetzgeber dem Absorptionsprinzip nicht gänzlich ablehnend gegenüber stand, spricht bereits die Aussage in den Motiven des Bürgerlichen Gesetzbuches, das juristische Wesen eines Vertrages bestimme sich nach seinem Hauptgegenstand.8 Wesentlich bedeutsamer ist aus historischer Sicht freilich die bereits oben 9 belegte Erkenntnis, daß der Gesetzgeber die Erarbeitung einer sachangemessenen Rechtsfindungsmethode grundsätzlich der fortschreitenden Wissenschaft und Rechtspraxis überantworten wollte. Gerade in dieser Hinsicht scheint die Zeit über die Absorptionstheorie hinwegegangen zu sein. Nicht allein, daß sie ja ganz offensichtlich einem heute gerade im Recht der Schuldverträge überwundenen begriffsjuristischen Denken verhaftet ist10 - ihre stringente Durchführung ließe sich insbesondere nicht mit dem heutigen Verständnis der Vertragsfreiheit ver-

4 Blociszewski, Vermengung der Vertragstypen, S. 41; F. Endemann, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts 1, S.908 Anm.9 und S. 1022f.; Planck-Gre;^, §535 BGB Erl. 10a und b (3. Aufl., Berlin 1907); Staudinger-Kober, §535 BGB I, 30 (5./6. Aufl. 1910); RGRK-Brückner, Vorbem. 1 zum Titel Miete, Pacht (1910); Cosack, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, S.484,552; ebenso die auffallend zahlreichen Dissertationsschriften zum Schrankfachgeschäft, Nachweise hierzu bei Schreiber, JherJb 60 (1912), S. 195 Fn.2. Ahnliche Gedanken finden sich noch bei Betti, in: FS für Wenger, S.271. 5 Lotmar, Arbeitsvertrag I, S. 176ff. (insbes. S. 191ff.) und S.686ff. 6 Sehr deutlichen Ausdruck findet die Absorptionstheorie - nebenbei bemerkt - in § 1055 des Osterreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, der wie folgt lautet: „ Wird eine Sache teils gegen Geld, teils gegen eine andere Sache veräußert, so wird der Vertrag je nachdem der Wert am Gelde mehr oder weniger, als der gemeine Wert der gegebenen Sache beträgt, zum Kaufe oder Tausche, und hei gleichem Werte der Sache, zum Kaufe gerechnet." 7 Vor allem bei Hoeniger, Grundformen, S. 360ff.; vgl. auch aus neuerer Zeit Eick, Problem der gemischten Verträge, S. 41 ff. 8 Motive II, S. 476; vgl. bereits § 3 VI. 3. a) mit dem Hinweis auf das disparate Bild, das die Motive in diesem Punkte zeichnen. 9 Siehe §3 VI. 3. a). 10 Hierauf hat Raisch, BB 1968, 528 hingewiesen.

I. Stellungnahme zum Theorienstreit um die Behandlung gemischter Verträge

155

einbaren.11 Zu ihr gehört es nämlich auch, durch die Wahl eines gemischten Vertrages die den verschiedenen Vertragstypen zuzuordnenden Rechtsfolgen zu vereinbaren. Auf ein „entweder-oder" sind die Parteien nicht beschränkt. Im übrigen ist die Absorptionstheorie schlicht „zu einfach, um richtig zu sein".12 Die Simplizität wird in der praktischen Durchführung durch willkürliche und unhaltbare Ergebnisse zu teuer erkauft.13 Denn das absorbierte Element bleibt virulent und verlangt Berücksichtigung. Abgesehen davon, versagt die Absorptionstheorie, wenn die Beimischungen nicht nur untergeordnete Bedeutung haben, eine Dominanz einer Leistung mithin nicht feststellbar ist.14 Als Beispiel sei hier nur auf die Verträge mit anderstypischer Gegenleistung hingewiesen.

2.

Kombinationstheorie

Aus der Kritik an der eintypischen Subsumtion im Sinne der Absortionstheorie ist alsbald ein neuer Vorschlag zur Lösung des Problems der gemischten Verträge hervorgegangen, der auf das Prinzip der Normenkombination setzte (daher Kombinationstheorie genannt). Angeregt durch entsprechende Vorüberlegungen Rümelins15 war es Hoeniger16, der diese dem Absorptionsprinzip polarisierend gegenübergestellte Methode näher zu entfalten suchte. Seine Ausführungen basieren auf der Vorstellung, daß sich die gesetzliche Regelung der einzelnen Vertragsverhältnisse in eine Vielfalt von Tatbestandstücken nebst zugehörigen Rechtfolgen zerlegen lasse. Zwischen Tatbestand und Rechtsfolge bestehe - so Hoeniger im Anschluß an Rümelin - ein abstrakter Zusammenhang in der Weise, daß jedem Tatbestandselement stets eine bestimmte gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge zur Seite gestellt sei, und zwar auch dann, wenn es in einem anderen Vertragsverhältnis, z.B. in einem gemischten Vertrag, aufträte. Daher gälte es, die gesetzlichen Vertragstypen gedanklich aufzulösen, ja zu zertrümmern, um auf diese Weise die einzelnen Tatbestandsstücke und die ihnen zugeordneten Rechtsfolgen zu isolieren. Nach dieser Parzellierung erhalte man die Bausteine des gesetzlichen Vertragsrechts, aus denen sich letztlich - nur in ande11 Eick, Problem der gemischten Verträge, S. 58; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 193; Dilcher, NJW 1960, W4\; AK-Dubischar, vor §§305ff. BGB Rdnr. 20; Schwark, Rechtstheorie Bd. 9 (1978), 92. 12 S t a u d i n g e r - § 3 0 5 BGB Rdnr. 30. 13 Eick, Problem der gemischten Verträge, S. 58; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 190; Schreiber, JherJb 60 (1912), S.197, 199. 14 Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S. 23; Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V 4, S.163; Neumann-Duesberg, Anm. SAE 1970, 51; Staudinger -Löwisch, §305 BGB Rdnr.30; Schelp, in: FS für Herschel, S.92. 15 Rümelin, Dienstvertrag und Werkvertrag, S.320ff. 16 Hoeniger, Vorstudien zum Problem der gemischten Verträge; ders., Grundformen, insbes. S.382ff.; ders., DJZ 1913, 263ff.; ebenso dann auch Witting, Stellung des §651 BGB zur Lehre von den gemischten Verträgen, S.63ff. und Treichler, Doppeltypische Verträge, S.29f. Für unmittelbare Normenkombination auch Lent, Gesetzeskonkurrenz I, S.208ff.

156

5 6 Kritik der im Schrifttum vertretenen

Entwürfe

rer Kombination - auch die gemischten Verträge zusammensetzten. Das Rechtsfolgeprogramm solcher Mischverträge ergibt sich demnach ebenfalls im Wege der Kombination der den einzelnen tatbestandlichen Vertragselementen zugehörigen Rechtsfolgeanordnungen. Hierbei auftretende Widersprüche sollen durch den mutmaßlichen Parteiwillen ausgeglichen werden. Der Haupteinwand gegen diese mechanistisch-begriffliche Rechtsfindungsmethode liegt auf der Hand:17 Sie verkennt, daß - wie bereits der geschichtliche Rückblick gezeigt hat - die gesetzlichen Vertragstypen nicht das Ergebnis einer Konstruktion nach einzelnen Tatbestandstücken und ihnen fest zugeordneten Rechtsfolgen sind, sondern, daß es sich um meist im realen Leben gewachsene Sinneinheiten handelt, die weit mehr sind als die Summe ihrer Teile. Die einzelnen Regelungen stehen in einem organischen Beziehungsgeflecht, sind aufeinander abgestimmt und der isolierten Betrachtung regelmäßig nicht zugänglich. Ebenso bildet auch der jeweilige gemischte Vertrag ein Sinnganzes, das nicht durch schematische Dekonstruktion aufgelöst werden darf.18 Als weiterer berechtigter Kritikpunkt an der Kombinationsmethode ist die unbefriedigende weil praktisch nicht brauchbare - Antwort auf die Frage zu nennen, wie die in nicht geringer Zahl zu erwartenden Normenkollisionsfälle gelöst werden könn-

3. Theorie der analogen

Rechtsanwendung

Auf scharfe Ablehnung sind sowohl die Absorptions- als auch die Kombinationsmethode bei Schreiber20 gestoßen. In der Auseinandersetzung mit Hoenigers Lehre formulierte er eine dritte, heute „Theorie der analogen Rechtsanwendung" genannte Methode der Rechtsfindung. Gerade weil „die Gruppen von Rechtsnormen, die sich im Gesetz als ein .Vertragstypus' darstellen, nicht zu einer Summe, sondern zu einem Organismus vereinigt sind" und „auch die vom Gesetz abweichenden Tatbestände in sich Organismen sind, deren Einheitlichkeit ein Auseinanderreißen ihrer Elemente verbietet", müssen diese Tatbestände nach Schreiber als Ganzes als vom Gesetz nicht geregelt angesehen werden; dies selbst dann, wenn sie noch so große Verwandtschaft mit den geregelten Tatbeständen zeigten.21 Schreiber zog daraus die Konsequenz, daß die gemisch17 Ablehnend daher zu Recht schon Schreiber,60 (1912) S. 208 und Charmatz, Vertragstypen, S. 304ff. sowie das heutige Schrifttum: Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.23f.; Schwark, Rechtstheorie Bd.9 (1978), S.93; ders., JZ 1980, 746; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 199ff.; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 168; Schelp, in: FS für Herschel, S. 93; Eick, Problem der gemischten Verträge, S.63ff. 18 Schreiber, JherJb 60 (1912), S.210; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.24. 19 Schelp, in: FS für Herschel, S.93; Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V 4, S.163; Eick, Problem der gemischten Verträge, S. 64. 20 Schreiber, JherJb 60 (1912), S. 106ff.; ähnlich schon zuvor Meerscheidt-Hüllesem, DJZ 1910, 856. 21 Schreiber, JherJb 60 (1912), S.208ff.

I. Stellungnahme zum Theorienstreit um die Behandlung gemischter Verträge

157

ten Verträge unmittelbar nur den Sätzen des Allgemeinen Teils des Schuldrechts zu unterstellen seien, aus dem Gebiet des speziellen Schuldrechts hingegen ausschließlich analoge Rechtsanwendung zugelassen werden könne. 22 Dem Richter wird die Nachbildung der gesetzlichen Normen nach Rechtsähnlichkeit innerhalb des gemischten Vertrages auferlegt.23 Die Interessenlage und der Gesetzeszweck des einzelnen Rechtssatzes seien dabei die beiden Stützpunkte, auf denen die analoge Anwendung sich aufbaue. Letztlich sucht auch diese Lehre die Lösung in einer Kombination der Normen des gesetzlichen Vertragsrechts, so daß sie trotz ihres abweichenden dogmatischen Ansatzes der Kombinationstheorie in den praktischen Ergebnissen recht nahe kommen dürfte. 24 Positiv hebt sie sich von ihr immerhin dadurch ab, daß sie von einer begrifflichen Erfassung der normativen Vertragstypenordnung abgeht und sich einem typologischen Verständnis öffnet. 25 Gleichwohl kann auch diese Theorie nicht überzeugen. Denn sie vermag die praktische Rechtsfindung kaum zu befördern. Dem zur Entscheidung berufenen Richter interessiert es allenfalls am Rande, ob eine Norm unmittelbar oder analog anzuwenden ist. Viel wichtiger ist für ihn die Frage, welche Normen in concreto überhaupt zur Anwendung gelangen sollen. Gerade hier läßt ihn jedoch die Theorie der analogen Rechtsanwendung mit ihren vagen Hinweisen auf Interessenlage und Gesetzeszweck im Stich. 26 Rechtssicherheit im Sinne vorhersehbarer Ergebnisse läßt sich auf dieser Grundlage schlechterdings nicht erhoffen. 27

4. Pragmatisch differenzierende Methoden der herrschenden

Lehre

Im heutigen Schrifttum herrscht angesichts der offensichtlichen Schwächen der in der Vergangenheit verfochtenen Rechtsfindungsmethoden eine ausgeprägte Skepsis gegenüber jedwedem Versuch, der Problematik der gemischten Verträge mit einer Einheitsformel Herr zu werden. Die Vielgestaltigkeit der Mischverhältnisse verbiete die Aufstellung abstrakter Regeln. 28 Allenfalls lieSchreiber, JherJb 60 (1912), S. 211. Schreiber, JherJb 60 (1912), S. 211. 24 So bereits Schreiber selbst in: JherJb 60 (1912), S. 211; vgl. ferner Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, S. 173; Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr.24; Staudinger-LóWsc/;, §305 BGB Rdnr.29. 25 Vgl. hierzu Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 168. 26 Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.205; Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V 4, S.163 mit Hinweis auf die Arbeiten von Sterner, Übertragung von Rechtsnormen, S. 10ff., Ochs, Theorie des gemischten Vertrages, S. 37ff. und Tillmann, Rechtliche Behandlung des gemischten Vertrages, S. 47, die an dieser Stelle ansetzen und versuchen, die Theorie der analogen Rechtsanwendung mit der Kombinationstheorie zu vereinigen. 27 Eick, Problem der gemischten Verträge, S.68. 28 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, §100 B, S.395; Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr.25; RGRK-Ballhaus, Vor §305 BGB Rdnr.35; Eick, Problem der gemischten Verträge, S. 106; Heckelmann, Anm. AP Nr. 2 zu §611 BGB Gemischter Vertrag. 22

23

158

5 6 Kritik der im Schrifttum vertretenen

Entwürfe

ßen sich Richtlinien oder Anhaltspunkte formulieren.29 Geboten sei nicht eine schematisierte, sondern eine differenzierte und elastische Rechtsfolgenzuordnung. Entscheidend seien die Interessenlage des einzelnen Falles, der Sinn und Zweck des Vertrages sowie die ratio der in Betracht kommenden Normen. 30 Im übrigen muß die Schrifttumslage als recht heterogen bezeichnet werden. So sind einige Autoren mit Einzelvorschlägen hervorgetreten, die ganz bestimmte Rechtsfindungsmomente in den Vordergrund rücken. Raisch31 etwa kann sich vorstellen, daß sich die Rechtsfolgenzuordnung gemischter Verträge durch eine Rechts- oder Gesamtanalogie befruchten lasse. Diese knüpfe nicht an eine einzelne Norm eines Vertragstypus an, sondern durchmustere alle geregelten Vertragstypen auf Bestimmungen, die ähnliche Interessenlagen regelten. Bei sorgfältigem Vorgehen könne auf diese Weise ein mit verhältnismäßig großer Überzeugungskraft ausgestattetes Wahrscheinlichkeitsurteil gewonnen werden. Eine andere Ansicht32 präferiert eine Gesamtbetrachtung der typologischen Züge des zu beurteilenden Geschäfts, um so die Nähe zu den in Betracht kommenden Gesetzestypen festzustellen. Nach der Bestimmung der konkreten Typenmerkmale, auf die der Sinn und Zweck jeder einzelnen der konkurrierenden gesetzlichen Regelungen zugeschnitten sei, müsse ein Vergleich der Erkenntnisse dieser teleologischen mit denen der zuvor erfolgten typologischen Betrachtung erfolgen. Dies wird von Delliosn gleichsam als Grundlage des weiteren wertenden Rechtsfindungsgangs verstanden. Die Mehrzahl der Vertreter des Schrifttums plädiert hingegen für eine an die Stellung des jeweiligen Vertrages im Begriffssystem der normativen Typenordnung anknüpfende, differenzierende Rechtsfolgenbestimmung.34 Trotz mancher Unterschiede im Detail und teilweise verschiedener Akzentsetzungen läßt sich die sich abzeichnende Tendenz wie folgt beschreiben: Vorbehaltlich der Umstände des jeweiligen Einzelfalles, insbesondere der zugrunde liegenden Interessenlage, scheint die herrschende Lehre der Kombinationsmethode den Vorrang einräumen zu wollen.35 Die Heranziehung der für den jeweiligen Ver29 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, §100 B, S.395f.; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, §6 B, S. 174. 30 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, §100 B, S. 396; Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr.27; Erman-Battes, Einl. §305 BGB Rdnr.21; RGRK-Ballhaus, Vor §305 BGB Rdnr. 35; Heckelmann, Anm. AP Nr. 2 zu § 611 BGB Gemischter Vertrag. 31 Raisch, BB 1968,530. 32 Aufbauend auf den allgemeineren Überlegungen von Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 170 und 188 vor allem Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.215ff. 33 Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 215 ff. 34 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, §100 B, S.396ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I, S.45; Gernhuher, Schuldverhältnis, § 7 V, S. 163ff.; Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 587ff.; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr.650ff.; Soergel -Wolf, §305 B G B Rdnr.27ff.; RGRK-Ballhaus, Vor §305 BGB Rdnr.35ff.; Erman-Battes, Einl. §305 BGB Rdnr.21 ff.; Staudinger-Löwisch, §305 BGB Rdnr.32ff.; ablehnend allerdings MünchKomm-Thode, §305 BGB: „weitergehende Differenzierungen wenig hilfreich". 35 Vgl. etwa Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I 3, S.44; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1,

I. Stellungnahme zum Theorienstreit um die Behandlung gemischter Verträge

159

tragsbestandteil geltenden Rechtsnormen biete sich vor allem bei den Typenkombinationsverträgen und bei Verträgen mit anderstypischer Gegenleistung an.36 Bei Verträgen mit anderstypischer Nebenleistung komme hingegen in erster Linie das Recht des Hauptvertragstypus zur Anwendung, wenngleich analog auch die Regeln desjenigen Vertragstypus angewandt werden könnten, für den die Nebenleistung als selbständiger Vertragsgegenstand vertragscharakteristisch wäre, soweit Zweck und Eigenart des Vertrages nicht entgegenstehen.37 Auch bei den Typenverschmelzungsverträgen liege wegen der besonders engen Verbindung der verschiedenen Elemente der Rückgriff auf das Absorptionsprinzip nahe,38 wenngleich nach wohl überwiegender Ansicht zunächst eine Zerlegung und Anwendung des Kombinationsprinzips versucht werden soll.39 Manfred Wolfa hat diese auch von ihm befürwortete pragmatisch differenzierende Vorgehensweise als „Theorie der interessengerechten Rechtsanwendung" bezeichnet. 5. Zusammenfassende

Bewertung

Das Ringen um die „richtige" Methode zur Bestimmung des zwischen den Parteien eines gemischten Vertrages geltenden Rechts hat die verschiedenen vorstellbaren Lösungswege vor Augen geführt. Gleichzeitig hat sich gezeigt, daß eine einseitige methodische Ausrichtung nicht selten zu einer „Vergewaltigung des einzelnen Schuldverhältnisses" führen kann.41 Die Hinwendung zu einer interessen- und einzelfallgerechten Rechtsanwendung ist vor allem eine logische Konsequenz aus dieser Erkenntnis. Hinzu kommt, daß sich die geschäftlichen Austauschbeziehungen seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches dynamisch weiterentwickelt haben. Die Erfahrung lehrt, daß die vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten offensiv und innovativ genutzt werden, um den sich immer differenzierter darstellenden Interessenlagen ein passendes rechtliches Gewand zu schneidern. Ausgefeilte Vertragswerke begründen immer öfter hochkomplexe, mitunter auch mehrpolige Rechtsverhältnisse. Nur ein offenes § 12 II, S.215; Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr.25; Heckelmann, Anm. AP Nr.2 zu §611 BGB GemischterVertrag. 36 Medicus, Schuldrecht II, Rdnr.589 und 595; Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, §100 B, S.400f.; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr.652f.; Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr. 31 und 35; RGRK-Ballhaus, Vor §305 BGB Rdnr.37f.; Staudinger-LoWic/;, §305 BGB Rdnr.33 und 43; Canaris, JuS 1970, 219. 37 Gernhuber, Schuldverhältnis, § 7 V, S. 164; Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, §100 B, S.397; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 651; Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr. 28; RGRK-Ballhaus, Vor §305 BGB Rdnr.36; Staudinger-Löwisch, §305 BGB Rdnr.38; a.A. Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr.25. 38 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I 3, S.45. 39 Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V 8, S.169f. und Medicus, Schuldrecht II, Rdnr.592f.; Soergel -Wolf, §305 BGB Rdnr.33. 40 Soergel-Wo//, §305 BGB Rdnr. 27. 41 Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, §100 B, S.395.

160

5 6 Kritik der im Schrifttum vertretenen

Entwürfe

und flexibles methodisches Konzept, das den jeweils verfolgten Zweck und der jeweiligen Interessenlage der Parteien hinreichend Beachtung schenkt, ermöglicht hier eine sachgerechte Rechtsfindung. Auf der anderen Seite muß der Gefahr begegnet werden, daß die Abkehr von starren Methoden mit einem beträchtlichen Verlust an Rechtssicherheit, schlimmstenfalls sogar mit einer dann eintretenden Maßstabslosigkeit, zu teuer erkauft wird.42 Diese Sorge könnte auch der unausgesprochene Grund dafür sein, das anwendbare Recht in enger Anbindung an das gesetzliche Dispositivrecht zu gewinnen. Nahezu allen Vorschlägen eignet diese Tendenz.43 Sowohl die weithin präferierte Kombinationsmethode als auch die Absorptionsmethode zielen auf eine möglichst weitgehende Anwendung der Vorschriften des gesetzlichen Vertragsrechts und streiten nur darüber, nach welchem Prinzip der Zugriff zu erfolgen hat. Regelmäßig wird die Aufgabe in der Auflösung einer Normenkollision gesehen. Bezeichnend ist etwa die von Lent fomulierte These: „Irgendwelche gesetzlichen Vorschriften müssen zur Anwendung kommen; denn daß mehrere sich darbieten, kann kein Grund sein, keine anzuwenden."44 Die typologische Betrachtungsweise hat ebenfalls den jeweiligen gesetzlich vertypten Vertrag und die ihm zuteil gewordene Regelung im Gesetz fest im Blick. Und auch die von Raisch angeregte Rechts- oder Gesamtanalogie setzt am Recht der gesetzlich geregelten Vertragstypen an. Ausgesprochen selten wird die Möglichkeit der Entwicklung gesetzlich nicht vorgesehener Lösungen gesehen.45 Gleichwohl erweist sich der erreichte dogmatische Stand in punkto Rechtssicherheit, aber auch darüber hinaus, als unbefriedigend. Die Differenzierung nach der Art des gemischten Vertrages bietet letztlich nur einen vagen Anhalt einen Erfahrungswert.46 Die Durchbrechungen sind zu zahlreich, um aus der Klassifizierung eines gemischten Vertrages verläßlich Auskunft über seine rechtliche Behandlung zu erhalten. Die hier vertretene Relativierung der Bedeutung des tradierten Ordnungsgefüges, die Warnung vor einer Uberschätzung seiner Leistungsfähigkeit, ist bemerkenswerterweise im schweizerischen Schrifttum die ganz vorherrschende Sichtweise.47 Im glücklichsten Falle dürfe man erwarten, daß die für die richtige Rechtsanwendung im einzelnen Falle erforderlichen Sachverhaltsabklärungen durch das auch heuristisch verwertbare „System" kanalisiert würden.48 Das größte Manko der pragmatisch differenzieMahnend Raisch, BB 1968, 528. Sehr deutlich auch bei Berner Kommentar-Kramer, Bd. VI/1, Art. 19-20 Rdnr. 83. 44 Lent, Gesetzeskonkurrenz I, S.206. Vgl. auch Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V 1, S. 157: „dem Sachproblem konkurrierender Vertragsordnungen zuzuordnen". 45 Ausnahmein dieser Hinsicht: Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I, S.46. Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr.31 und 33, Raisch, BB 1968, 530 und Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr. 26 ziehen immerhin die Möglichkeit in Erwägung, aus verschiedenen Vorschriften eine „mittlere Lösung" abzuleiten. 46 Noch kritischer MünchKomm-Thode, §305 BGB Rdnr.45. 47 Vgl. nur Meier-Hayoz, SJK Nr. 1135, S. 3 und Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/ 2, S.775. 48 Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 775. 42

43

II. Die Rechtsfindung

bei typenfremden

Verträgen

161

renden Lehren ist jedoch darin zu sehen, daß ihre Vertreter kaum je offen Rechenschaft über die ihren methodischen Ansatz leitenden Wertungsgrundlagen ablegen. Kennzeichnend ist eine verengte, problemspezifische Betrachtungsweise. Grundlegende Vorfragen, wie die nach dem Verhältnis des gesetzlichen Vertragsrechts zur privatautonomen Regelung der Parteien werden zumeist nicht in die Betrachtung einbezogen. So bleibt auch die soeben beschriebene Neigung, die Lösungen vom Gesetz an das jeweilige gemischtvertragliche Schuldverhältnis heranzutragen, ein noch der rechtfertigenden Begründung harrender Sachverhalt. Kaum aufgegriffen werden weiterhin die für das Verständnis der Gesamtproblematik so wichtigen Fragen nach der Möglichkeit und den Grenzen einer Parteiqualifikation und dem Anwendungsbereich der ergänzenden Vertragsauslegung. Zu wenig beachtet wurde bislang auch, daß die nicht kodifizierten und damit auch die gemischten Verträge häufig auf formularvertraglicher Grundlage abgeschlossen werden. Insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, daß sich für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen besondere Regeln herausgebildet haben, wäre es dringlich, über die Konsequenzen auf den Rechtsfindungsgang bei gemischten Verträgen nachzudenken.

II. Die Rechtsfindung bei typenfremden

Verträgen

In der Kommentar- und Lehrbuchliteratur werden die Problemkreise „gemischte" und „typenfremde" Verträge zumeist separiert. Dabei stehen die doch eher spärlichen literarischen Äußerungen zur Problematik der typenfremden Verträge in auffälligem Kontrast zu dem mit großem Aufwand geführten Methodenstreit um die rechtliche Erfassung gemischter Verträge. Die Stellungnahmen sind nicht nur gering an Zahl; sie beschränken sich auch inhaltlich zumeist auf knappe und sehr allgemein gehaltene methodische Bemerkungen. Zwar mangelt es nicht an monographischen Einzeldarstellungen, die die spezifischen Probleme des jeweiligen Vertragstyps ausführlich erörtern. Eine - naheliegenderweise voranzustellende - methodische Grundlegung sucht man jedoch in diesen Werken regelmäßig vergebens. 49 Ein Grund für diese vergleichsweise geringe methodologische Durchdringung des Phänomens der typenfremden Verträge könnte in der weitgehenden Absenz gesetzlicher Dispositivnormen liegen. Dieser Umstand entkoppelt die Rechtsfindung in stärkerem Maße von der gesetzlichen Vertragsordnung als dies bei den gemischten Verträgen der Fall ist. Konkrete, insbesondere auf eine wie auch immer geartete Heranziehung gesetzlichen Vertragsrechts gerichtete Handlungsanweisungen sind hier noch problematischer; die literarische Zurückhaltung ist begreiflich.

49

ges.

Hervorhebenswerte Ausnahme: Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertra-

162

§6 Kritik der im Schrifttum vertretenen

Entwürfe

Die Äußerungen zu den typenfremden Verträgen fallen nicht einheitlich aus. Zwei Hauptrichtungen lassen sich ausmachen:

1. Gesetzesorientierte

Zugangsweise

Eine gewichtige Strömung in der Literatur betont - allerdings in durchaus unterschiedlicher Intensität - die Bedeutung des gesetzlichen Vertragsrechts für die inhaltliche Konkretisierung nicht kodifizierter Verträge. Sehr weit geht beispielsweise Pfeiffer.50 Seiner Meinung nach haben auch die nicht ausdrücklich geregelten Vertragstypen einen gesetzlichen (!) Inhalt, sofern sie in ihrer Bedeutung den ausdrücklich vertypten Verträgen gleichstehen. Dieser Vertragsinhalt erschließe sich durch Anwendung allgemeiner schuldrechtlicher Prinzipien, durch Transposition der für ausdrücklich gesetzlich geregelte Geschäfte geltenden besonderen Prinzipien, durch Analyse der nach §§133, 157, 242 B G B beachtlichen Interessenlage der Parteien sowie durch eine sich entwickelnde Verkehrsanschaung von dem vorauszusetzenden Inhalt eines bestimmten Geschäfts - gegebenfalls auch durch gewohnheitsrechtliche Verfestigungen. Die eine typologische Betrachtungsweise favorisierenden Autoren nehmen auch hier wiederum an den gesetzlich vertypten Verträgen Maß. Zwar sei weder die Absorptions- noch die Kombinationsmethode für typenfremde Verträge ohne weiteres brauchbar, doch könne man auch bei diesen zum Teil ähnlich vorgehen, indem man sich am typologisch nächststehenden Vertrag oder an der problemnächsten Norm orientiere. 51 Canaris hat dieses Verfahren an dem von ihm als typenfremden Vertrag qualifizierten Automatenaufstellungsvertrag zu exemplifizieren versucht. 52 Gerade Canaris betont allerdings auch, daß es zum Teil der Entwicklung gesetzlich nicht vorgesehener Lösungen bedürfe. Dies sei für gesetzesfremde Verträge sogar evident.53

2. Vorrangstellung

der (ergänzenden)

Vertragsauslegung

Andere Schrifttumsvertreter 54 richten ihr Augenmerk zuallererst auf den im Vertrag manifestierten Parteiwillen. Diesen gelte es im Wege der Auslegung zu ermitteln. Soweit ein solcher nicht feststellbar sei, seien die Rechte und Pflichten unter Berücksichtigung des Vertragszwecks im Wege der ergänzenden AuslePfeiffer, ZIP 1997, 50. Larenz! Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I 3, S.45; Medicus, Schuldrecht II, Rdnr.585; Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 305 B G B Rdnr. 15; Kress, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, § 6, S. 72. 52 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 IV 2, S.61ff. 53 Larenz!Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I 3, S. 46. 54 Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 648; Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr.26. 50

51

II. Die Rechtsfindung

bei typenfremden

Verträgen

163

gung festzustellen.55 Erst wenn Vereinbartes, Auslegung, Verkehrssitte und Treu und Glauben nicht mehr weiterhülfen, sei an einen Vergleich mit typischen Verträgen sowie an Abgrenzungen zu ihnen zu denken. 56

3. Zusammenfassende

Bewertung

Die methodische Bewältigung typenfremder Verträge findet sich im Schrifttum nur skizzenhaft angedeutet. Die zuletzt referierten Stellungnahmen rücken zwar zweifelsohne sehr wichtige Momente der Rechtsfindung in das Bewußtsein des Rechtsanwenders. Sie in eine systematische Ordnung einzustellen, ihr Verhältnis zueinander und ihre Gewichtung untereinander zu begründen, ist bislang noch nicht unternommen worden. Folgende Erkenntnisse sollten dabei nicht unberücksichtigt bleiben: In methodischer Hinsicht ist es zunächst eine logische Konsequenz des Fehlens gesetzlicher Dispositivnormen, daß die Lösung tendenziell noch weniger als bei gemischten Verträgen im Gesetz gesucht werden darf. Bedenklich ist daher der stark gesetzesorientierte Ansatz Pfeiffers?1 Dieser konstruiert - offenbar um befürchtete Spannungen im Rahmen der AGB-Kontrolle vorzubeugen - einen gesetzlichen Inhalt des ungeregelten Vertrages und muß sich damit selbst den Vorwurf einer Fiktionslösung gefallen lassen.58 Das von Pfeiffer als „allgemeinen Lehrsatz zum Recht der nicht ausdrücklich geregelten Vertragstypen" 5 9 postulierte Paradoxon eines gesetzlich nicht (ausdrücklich) geregelten Vertrages mit gesetzlichem Inhalt basiert im wesentlichen auf einer unzulässigen Normativierung spezifisch parteiautonomer Wertungen auf der Ebene des Gesetzesrechts. Schwer nachzuvollziehen bleibt im übrigen, weshalb nur solche nicht ausdrücklich geregelte Verträge einen gesetzlichen Inhalt aufweisen sollen, die in ihrer Bedeutung den ausdrücklich vertypten Verträgen gleichstehen. Abgesehen davon, daß die Bedeutung der gesetzlich vertypten Verträge außerordentlich schwankt (z.B. Tausch und Leihe auf der einen sowie Kauf und Miete auf der anderen Seite) und sich insoweit kein brauchbarer Maßstab gewinnen läßt, sind die wirtschaftliche Bedeutung oder die Häufigkeit des Abschlusses solcher Geschäfte jedenfalls keine Kriterien, von denen die gesetzliche Vertragsordnung ihr Eingreifen abhängig macht. Auf der anderen Seite spielt das gesetzliche Vertragsrecht auch bei typenfremden Verträgen im Rahmen der Rechtsfindung eine noch näher zu definie-

55 Staudinger-Mayer-Maly, Einl. zu §§433ff. B G B Rdnr.23; Soergel-Wolf §305 B G B Rdnr.26. 56 Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 648. 57 Pfeiffer, ZIP 1997, 50. 58 Pfeiffer (ZIP 1997, 50) geißelt die Mobilisierung eines stillschweigenden Parteiwillens als „Fiktionslösung". 59 Pfeiffer, ZIP 1997, 50.

164

§ 6 Kritik der im Schrifttum

vertretenen

Entwürfe

rende Rolle. Denn abgesehen davon, daß auch für sie grundsätzlich die Normen des allgemeinen Schuldrechts gelten, lehrt die Erfahrung, daß sich bestimmte vertragsrechtliche Zweifelsfragen in ähnlicher Form auch bei anderen kodifizierten Vertragstypen stellen und dort vom Gesetzgeber entschieden worden sind. Ein jedenfalls punktueller Wertungsvergleich sollte daher nicht vornherein ausgeschlossen werden.

III.

Übergreifende

Rechtsfindungskonzepte

Wenn aber das Recht der gesetzlich vertypten Verträge auch die Bestimmung des Rechtsfolgeprogramms eines typenfremden Vertrages zu beeinflussen vermag, so legt dies die Frage nahe, ob sich die Problematik von derjenigen der gemischten Verträge tatsächlich wesensmäßig derart unterscheidet, daß jeweils eine spezifische Rechtsfindungsmethode für typengemischte und für typenfremde Verträge geboten ist. In der Literatur wird diese Unterscheidung mit dem Hinweis gerechtfertigt, die Eigenart der gemischttypischen Verträge sei in der Konkurrenz (Uberfluß) zu sehen, während das Problem bei eigentlich atypischen Verträgen gerade im Fehlen einer gesetzlichen Regelung liege.60 Ob damit die Grundproblematik der gemischten Verträge richtig beschrieben ist, mag bereits zu Zweifeln Anlaß geben. Im Schrifttum sind jedenfalls auch rechtsübergreifende Konzepte vorgestellt worden. Mit diesem Anspruch trat schon die von Schreiber formulierte „Theorie der analogen Rechtsanwendung"61 auf. Daß dies in der literarischen Diskussion nicht erkannt worden ist, seine Ausführungen dort vielmehr als ausschließlich den gemischten Verträgen gewidmet zur Kenntnis genommen worden sind, dürfte durch den insoweit unglücklich formulierten Titel der Abhandlung Schreibers hervorgerufen worden sein.62 Jedenfalls bezieht Schreiber seine Feststellung, diese Tatbestände (seil, gemischte Verträge) seien als Ganzes als vom Gesetz nicht geregelt anzusehen, ausdrücklich auch auf typenfremde Verträge: „Demnach unterscheiden sie sich grundsätzlich in nichts von den ... ,Verträgen ohne typische Elemente', denn diese wie jene entbehren direkter gesetzlicher Regelung."63 In beiden Fällen dürften Normen des speziellen Schuldrechts nur analoge Anwendung finden.64

Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 59. Schreiber, JherJb 60 (1912), S. 106ff. 62 „Gemischte Verträge im Reichsschuldrecht", in: JherJb 60 (1912), S. 106ff. 63 Schreiber, JherJb 60 (1912), S.211. 64 Daß die Theorie der analogen Rechtsanwendung ansonsten die Rechtsfindung nicht weiter zu befördern vermag, wurde bereits dargelegt; vgl. insoweit I. 3. 60 61

III.

Übergreifende

1.

Rechtsfindungskonzepte

165

Diskurstheorie

Einen neuen und eigenständigen Ansatz zur Rechtsnatur- und Rechtsfolgenbestimmung „moderner Vertragstypen", bei denen es sich um eine Teilmenge der nicht gesetzlich geregelten Verträge handeln soll, die mal als gemischttypischer, mal als Vertrag sui generis aufträten, aufgezeigt zu haben, beansprucht offensichtlich die jüngst von Martinek aufgestellte und von ihm so genannte „Diskurstheorie". 65 Hierbei handelt es sich um ein Gedankenmodell, das auf einer soziologischen Betrachtungsweise basiert und die Problematik auf einer anderen Ebene zu erfassen sucht. Inspiriert durch die pragmatische Vorgehensweise anglo-amerikanischer Rechtsinstitutionalisierungsprozesse beschreibt Martinek die Rechtsnatur- und Rechtsfolgenbestimmung als einen langwierigen Entwicklungsprozeß, an dem alle Beteiligten, Kautelarjurisprudenz, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie die Rechtsprechung teilhaben. Nur in einem solchen pluralistischen diskursiven Kommunikationsprozeß ließen sich die entsprechenden normativen Rechtsstrukturtypen kongruent konturieren. Die Diskurstheorie geht dabei statt von einer bloßen nachvollziehenden Unterworfenheit der Rechtsanwender von ihrer Mitgestaltungsmacht aus. In unserer säkularen Rechtskultur, die nicht mehr wie vordem an eine einzige richtige Entscheidung eines jeden Rechtsproblems glauben könne, bezeichne die Diskurstheorie die allein adäquate Rechtsfindungsmethode für moderne Vertragstypen.

2. Typologische

Zuordnungsverfahren

Mit dem Anspruch, ein sich gerade in Zweifelsfällen bewährendes, rational nachprüfbares Verfahren der Rechtsgewinnung offerieren zu können, treten zunehmend auch Anhänger eines typologischen Verständnisses unserer Schuldvertragsordnung auf. Während der mit den Vertretern der herkömmlichen Methodenlehre geführte grundsätzliche Disput 66 in der Anfangszeit sehr theoretisch anmutete und keine Entsprechung in der Lehre von den praktischen Anwendungsverfahren fand, verlagert sich die Diskussion heute hin zur praktischen Nutzbarkeit entsprechender Rechtsfindungskonzepte.

a)

Gesamtbildvergleich

Erste skizzenhafte Ansätze einer typologischen Rechtsfindungsmethode stammen von Larenz.b7 Nach seiner Auffassung kommt es bei der Zuordnung eines bestimmten Vertrages zum gesetzlichen Vertragstypus nicht so sehr auf die Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 III, S.29ff. und III, §30 III, S.386ff. Zum Streit um die begriffliche oder typologische Erfassung der normativen Schuldvertragsordnung vgl. bereits § 2 I. 67 Zur Typuskonzeption bei Larenz vgl. mit vielen Nachweisen Kokert, Der Begriff des Typus bei Karl Larenz, 1995 und Kuhlen, Typuskonzeptionen, S. 87ff. 65

66

166

5 6 Kritik der im Schrifttum vertretenen

Entwürfe

Übereinstimmung in allen Einzelzügen, als auf die des „Gesamtbildes" an.68 Erhebliche Abweichungen vom Gesamtbild des „Normaltypus" werde man als Sondertypen oder als „atypische Gestaltungen" einzustufen haben. Wo jeweils die Grenze liege, bis zu der hin eine Zuordnung zu diesem Typus noch möglich sei, lasse sich nicht generell angeben. Wo die Grenzen fließend seien, wie das beim Typus regelmäßig der Fall sei, da sei die Zuordnung immer nur möglich auf Grund einer Gesamtbewertung. Ferner eröffnet die typologische Betrachtung nach Larenz die Möglichkeit, Typenabwandlungen und Typenmischungen in adäquater Weise einzuordnen.69 Für eine typologische Betrachtung könne ein konkret-faktischer Vertrag in einigen Hinsichten dem einen, in anderen dem anderen Typus zuzuordnen sein, oder Züge verschiedener Typen in eigenartiger Weise zu einem neuen Typus in sich vereinigen. Neben der „Zuordnung" zum Typus bedürfe es einer „Abwägung" der verschiedenen Vertragselemente in ihrer jeweiligen Bedeutung für den Vertrag als einheitliches Rechtsverhältnis. Bei einem außergesetzlichen Vertragstypus, der sich im Rechtsverkehr entwickelt hat, will Larenz an die Stelle der gesetzlichen Regeln zunächst die gebräuchlich gewordenen Vertragsmuster treten lassen.70 Sie seien auf dem Hintergrund der von den Parteien verfolgten wirtschaftlichen Zwecke, ihrer „typischen" Interessenlage und der von ihnen in Betracht gezogenen Risiken zu sehen. Danach könnten die für die vertragliche Regelung kennzeichnenden Züge herausgehoben und in ihrer Bedeutung gewürdigt werden. Durch den Vergleich mit anderen Vertragstypen ließen sich dann Unterschiede wie Gemeinsamkeiten feststellen und daraus Folgerungen für die rechtliche Beurteilung ziehen. Interessant ist das Verhältnis dieser aus der typologischen Struktur der gesetzlichen Schuldvertragsregelungen abgeleiteten methodischen Anweisungen zur ergänzenden Vertragsauslegung. Larenz sieht die Einsatzstelle für die ergänzende Vertragsauslegung offensichtlich dort, wo der unmittelbare Wertungsbezugspunkt der gesetzlichen Regelung endet.71 Dies belegt seine Aussage, daß die ergänzende Vertragsauslegung dort zum Zuge kommen könne, wo die Zuordnung eines konkretfaktischen Vertrages zu den Regelungen eines gesetzlichen Vertragstyps versage, wo der konkrete Vertrag weitergehende Besonderheiten gegenüber dem gesetzlich geregelten „Normaltypus" aufweise, oder wo aus dem Gesamtinhalt des Vertrages sich ergebe, daß die Parteien die Geltung der dispositiven Gesetzesregel nicht wollten, ohne dabei eine andere an ihre Stelle gesetzt zu haben. 72 Verteidigt und für die Rechtsfindung im Vertragsrecht weiter ausgebaut worden ist diese klassische Typuskonzeption vor allem von LeenenP Er zerlegt den 68 Larenz, Methodenlehre, S.468; sich anschließend Papapostolou, Risikoverteilung beim Finanzierungsleasingvertrag, S. 33ff. 69 Larenz, Methodenlehre, S.303f. 70 Larenz, Methodenlehre, S. 469. 71 So Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 185. 72 Larenz, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 1989, § 29 II, S. 547f.; ähnlich ders., Methodenlehre, S. 301 und ders., NJW 1963, 740. 73 Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 179ff.

III.

Übergreifende

Rechtsfindungskonzepte

167

Rechtsfindungsgang in drei voneinander zu unterscheidende Schritte. Zunächst müsse im Wege einer Gesamtbetrachtung der normative Typus aus dem Sinnzusammenhang der einzelnen Normen (zurück-)gewonnen werden. Die Gesamtbetrachtung habe die erläuternde Norm, ebenso wie die nachfolgende Regelung, zwingendes wie nachgiebiges Recht sowie die nicht geregelten Fragen zu umschließen und die hieraus zu gewinnenden Züge je in ihrer verschieden starken Kennzeichnungskraft für den Typus zu erfassen. In einem zweiten Schritt soll nach Leenen sodann der Sachverhalt aufzubereiten sein. Hierbei sei auch die nähere Art und Weise der Verknüpfung der einzelnen Züge, das Gewicht der verschiedenen Züge untereinander, bei Rechtsgeschäften die wirtschaftliche Zwecksetzung zu berücksichtigen und auch nach solchen Merkmalen zu fragen, deren Vorliegen die Typenzugehörigkeit trotz Ubereinstimmung in den sonstigen Zügen ausschließen kann. Der dritte und letzte Schritt soll in der Zuordnung des Falles zur Norm bestehen. Entscheidend sei hierbei die Ähnlichkeit im Gesamtbild. Im Rahmen der Ähnlichkeitsprüfung biete sich in erster Linie ein Vergleich mit dem Merkmalskomplex an, der durch die nähere Beschreibung des Typus gewonnen worden sei. Untersucht werde nicht die Frage exakter Ubereinstimmung, sondern das Maß der Entsprechung. Nicht ein bestimmtes begriffliches Merkmal, sondern der jeweilige die Norm rechtfertigende, konstitutive Wertungsgesichtspunkt entscheide dabei letztlich über die Zugehörigkeit zum Typus. Als Konkretisierung des Larenzschen Standpunktes sieht es Leenen, bei gesetzesatypischen Fallgestaltungen die angemessene Rechtsfolge zunächst im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu suchen, also zu fragen, was die Parteien in ihrer besonderen Lage und angesichts ihrer besonderen Zielsetzung vernünftigerweise für den nicht geregelten Fall festgesetzt haben würden.74 Seiner Ansicht nach verbindet dabei die ergänzende Vertragsauslegung die Ergänzung des Rechtsgeschäfts durch Auslegung mit der Anwendung ergänzender Rechtsnormen. Denn im Rahmen der ergänzenden Auslegung des Vertragsinhalts komme den einzelnen Vertragstypen in doppelter Hinsicht eine subsidiäre Funktion zu: einmal als objektiver Kontrollmaßstab bei der Konkretisierung des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben und zum anderen als Potential von Problemlösungen für vergleichbare Fragestellungen.

b) Isolierende

Typenvergleichsmethode

Auch Teile des modernen Schrifttums versprechen sich von einer typologischen Betrachtungsweise Fortschritte bei der Rechtsgewinnung, und zwar insbesondere im Recht der besonderen Schuldverhältnisse. Der Blick richtet sich dabei noch stärker als bisher auf die praktische Rechtsanwendung. Neben der ausschließlich dem Problem der gemischten Verträge gewidmeten Arbeit von Dellios75 sind vor allem die methodologischen Untersuchungen Franz Bydlins74 75

Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 186f. Dellios, Rechtsfindungsmethode; vgl. zu ihm bereits I. 4.

168

5 6 Kritik der im Schrifttum

vertretenen

Entwürfe

kis76 hervorzuheben, die in dem Vorschlag münden, an die Stelle des Gesamtbildvergleichs eine vergleichende Analyse der Einzelzüge treten zu lassen. Für die gemischten Verträge folgert er daraus, daß, soweit die einzelnen Züge des zu beurteilenden Sachverhalts den in Frage kommenden Begriffen entsprächen, die jeweils auf das betreffende Merkmal abgestellten Regeln aus allen in Frage kommenden Vertragstypen in kombinierender Weise analog anzuwenden seien. 77 Dabei bedürfe es auch einer Überprüfung der auf diesem Wege gewonnenen vorläufigen Ergebnisse auf ihre zureichende Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit mit Hilfe der erkennbaren Zwecke der Vertragsschließenden und der allgemeinen Rechtsprinzipien und -normen, besonders des allgemeinen Vertragsund Schuldrechts. Grundsätzlich seien die Rechtsfolgen beim gemischten Vertrag abgestuft (beweglich) je nach seiner Ubereinstimmung mit den „beteiligten" Vertragstypen zu bestimmen. Bei atypischen Verträgen sei dagegen wohl nur - vorsichtige - Analogie zu ihrem Zweck nach „passenden" einzelnen Regeln möglich, die unmittelbar für bestimmte gesetzliche Vertragstypen Geltung beanspruchten. Fortgeführt und verfeinert wird der Ansatz Bydlinskis in einer jüngst von Sefrin vorgelegten Dissertation. 78 Auch seiner Ansicht nach erleichtert der Vergleich der einzelnen Vertragstypenmerkmale die Einordnung des konkreten Vertrages in das Raster der gesetzlich geregelten Schuldvertragstypen bzw. die genauere Bestimmung seiner Rechtsnatur. Das von Sefrin „isolierende Typenvergleichsmethode" genannte Vefahren soll in drei Schritten verlaufen: 79 Zunächst müßten der einzuordnende Vertragstyp als auch die für eine Einordnung in Frage kommenden Gesetzestypen in möglichst viele einzelne Vertragstypenmerkmale zerlegt werden („mikrodogmatische Zerlegung"). Sodann seien die jeweiligen Einzelmerkmale miteinander zu vergleichen („Vergleich der Einzelmerkmale"). Je mehr und intensiver die Einzelmerkmale eines außergesetzlichen Vertragstyps mit den Merkmalen eines gesetzlich geregelten Vertrages übereinstimmten, desto mehr spreche für die Gleichbehandlung der Fälle. Auf der dritten und letzten Stufe müsse das Ergebnis einer wertungsmäßigen Kontrolle unterzogen werden („Gesamtwürdigung"). Im Rahmen dieser Gesamtbewertung würden die übereinstimmenden Einzelmerkmale in ihrem jeweiligen typologischen Gewicht für den Vertragstypus berücksichtigt und ihre innere Verbundenheit zur Erreichung des von den Parteien beabsichtigten Vertragszwecks offengelegt.

76 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 543ff.; seinerseits beeinflußt von 2ippelius, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie II (1972), S. 482ff. 77 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 552. 78 Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 123 ff. 79 Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 123 ff.

III.

Übergreifende

Rechtsfindungskonzepte

3. Zusammenfassende

169

Bewertung

Begrüßenswert ist zunächst der Versuch, ein Rechtsfindungskonzept zu entwickeln, das für alle vom Gesetz nicht mehr unmittelbar erfaßten, damit also nicht kodifizierten Vertragstypen Geltung beansprucht - bei Martinek allerdings nur für einen, wenngleich hochbedeutsamen, Ausschnitt hieraus. Denn es hat sich gezeigt, daß der Ubergang von den gemischten zu den typenfremden Verträgen fließend ist. Gerade die modernen Vertragstypen werden teils als gemischte und teils als typenfremde Verträge eingestuft.80 Sollen diese doch eher arbiträr anmutenden Einordnungsentscheidungen tatsächlich über die Art und Weise der Rechtsfindung entscheiden? In beiden Fällen geht es letztlich darum, von den Parteien neu geschaffene Sinneinheiten, die sich vom gesetzlichen Vertragstypenschema mehr oder weniger weit entfernen, rechtlich angemessen zu würdigen. Die besseren Argumente sprechen daher dafür, hier keine grundsätzlich verschiedenen methodischen Wege zu beschreiten.81 Die für gemischte Verträge zu erarbeitende methodische Grundkonzeption sollte mutatis mutandis auch den Rahmen für die typenfremden Verträge setzen. Das Verdienst des Diskursmodells liegt entgegen den Verheißungen seines Hauptprotagonisten nicht in der Bereitstellung einer „Rechtsfindungsmethode". Von einer solchen erwartet man herkömmlicherweise die Beförderung der Rechtsanwendung durch die Aufstellung rechtsdogmatisch begründeter Entscheidungsmuster. Ein gewisser Erkenntniswert ist der Diskurstheorie dagegen im außerrechtlichen, soziologischen Bereich zu bescheinigen. Hier bietet sie eine realitätsnahe Beschreibung der Art und Weise, in welcher sich die rechtliche Integration neuartiger Vertragstypen vollzieht und welche Rollen die an diesem - zutreffend als „Prozeß" charakterisierten - Vorgang Beteiligten einnehmen. Gerade die Rechtswissenschaft darf sich jedoch mit einem solchen deskriptiven Erklärungsmodell nicht zufrieden geben. Ihre Aufgabe ist es, methodisch geleitet komplexe Erscheinungen unter Wahrung ihres Sinnzusammenhangs präzise zu analysieren, eine widerspruchsfreie begriffliche Ordnung zu schaffen und auf dieser Basis dogmatisch-konstruktive Erklärungsvorschläge zu formulieren.82 Hierzu trägt die Diskurstheorie nichts bei.83 Daß die Diskurstheorie dem Richter, der als Rechtsanwender im konkreten Einzelfall zu einer Rechtsnaturund Rechtsfolgenbestimmung aufgerufen ist, unmittelbar nichts nutzt, gesteht im übrigen auch Martinek zu.84 Hat der Diskurs hingegen zu verfestigten Er8 0 Für gemischtvertragliche Einordnung etwa Mayer-Maly, Einl. zu §§433ff. B G B Rdnr.28; für sui-generis-Charakter z.B. des Leasingvertrages dagegen Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr.648; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §4 I X , S. 88ff.; Ziganke, B B 1982, 710; Lieb, D B 1988, 949. 81 Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 187ff. 82 So zutreffend an anderer Stelle Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 III, S.30. 83 Den mangelnden praktischen Nutzen kritisiert auch Staudinger-Mayer-Maly, Einl. zu §§433ff. B G B Rdnr.27. 84 Martinek, Moderne Vertragstypen I, §2 III, S.32.

170

§ 6 Kritik der im Schrifttum vertretenen

Entwürfe

gebnissen geführt, so kann nach Martinek der Rechtsanwender hierauf rekurrieren.85 Hier bleibt freilich unklar, ob der Rückgriff auf einzelne im Diskurs vorgebrachte Argumente oder aber auf die mehrheitlich für richtig erachteten Ergebnisse eröffnet wird. Letzteres wäre nicht unbedenklich. Denn daß bestimmte Rechtsansichten im Verlaufe eines streitigen pluralistischen Diskurses die Oberhand gewinnen - übrigens eine keineswegs auf moderne Vertragstypen beschränkte alltägliche Erscheinung - 86 hebt sie nicht auf ein qualitativ höheres Niveau im Sinne dialektischer Synthesevorstellungen. Daraus folgt insbesondere keine Legitimationsbasis, wie sie in Ermangelung eindeutiger gesetzlicher Regelungen nur eine dogmatisch verankerte Rechtsfindungsmethode erzeugen kann. Als Rechtsfindungstheorie ist die Diskurstheorie mithin eine inhaltsleere „Theorie der Theorielosigkeit";87 als Urzelle eines künftigen „Allgemeinen Teils der modernen Vertragstypen" ist sie denkbar ungeeignet.88 Zweifelhaft ist aber auch der rechtspraktische Ertrag der beiden oben vorgestellten typologisch ausgerichteten Konzeptionen.89 Vor allem ist nicht erkennbar, daß sie in der Lage sind, die an sich selbst gestellte Forderung einzulösen, den Rechtsfindungsgang rationaler und damit kalkulierbarer zu gestalten. Zu vage bleibt bei" Larenz, wie ein ganzheitlicher Gesamtbildvergleich im einzelnen auszusehen hat, wie also die einzelnen Typusmerkmale zu einer „Ganzheit" zusammengefaßt werden sollen.90 Gerade durch den Verweis auf die Ganzheitlichkeit wird dem Rechtsanwender ein normativ nicht weiter determinierter Wertungsspielraum eröffnet. Diese Schwäche des Gesamtbildvergleichs vermag auch das abgestufte methodische Konzept Leenens nicht zu beheben. Als Unsicherheitsmoment entpuppt sich hier der „die Typenbildung leitende Wertgesichtspunkt". Hierzu ist bemerkt worden, daß dies im Ergebnis im wesentlichen auf eine Wiederholung des Postulats teleologischer Rechtsanwendung hinausliefe.91 In der Tat ist nicht zu erkennen, wo letztlich der Unterschied zwischen dem „leitenden Wertgesichtspunkt" und der einer Norm zugrunde liegenden Wertung, die es nach herkömmlicher Sichtweise92 im Rahmen der teleologischen Rechtsfindung zu ermitteln gilt, liegen soll. Von daher ist es nicht verwunderlich, daß sich neuere Strömungen vom Gesamtbildvergleich der klassischen Typuskonzeption abwenden und einen Einzelmerkmalsvergleich vorziehen. Die entsprechenden Überlegungen sind freiMartinek, Moderne Vertragstypen I, §2 III, S.32. v. Olshausen, ZHR 159 (1995), S. 514 spricht insoweit von einer „Binsenweisheit". 87 Martineks Verdikt über die Kreationstheorie (Moderne Vertragstypen I, §2 II, S.25) fällt damit letztlich auch auf seine eigene Diskurstheorie zurück. 88 In diese Richtung auch v. Olshausen, ZHR 159 (1995), S.514. 89 Zu den grundsätzlichen Einwänden gegen die Typologik als rechtstheoretische Erkenntnismethode vgl. bereits §2 1. 90 Kuhlen, Typuskonzeptionen, S. 102f.; Ott, Problematik einer Typologie im Gesellschaftsrecht, S.39; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 122. 91 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 546f.; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 122. 92 Statt aller Larenz, Methodenlehre, S. 333 ff. 85 86

III.

Übergreifende

Rechtsfindungskonzepte

171

lieh noch nicht sehr weit gediehen.93 Bei der von Sefrin entwickelten isolierenden Typenvergleichsmethode steht zu vermuten, daß die Entscheidung in vielen Fallkonstellationen erst auf der dritten Stufe fallen wird, auf der die innere Verbundenheit der Merkmale, der Vertragszweck, die wirtschaftliche Interessenlage der Parteien etc. in Augenschein genommen werden sollen.94 Daß eine Korrektur des Merkmalsvergleichs auf dieser Stufe die Ausnahme bleibt, erscheint entgegen Sefrin eher unwahrscheinlich. Vor diesem Hintegrund vermißt man nähere Explikationen zu den Kriterien der Wertungskontrolle umso schmerzlicher. Hinzu kommt, daß sich die Vertreter eines Einzelvergleichs über das Verhältnis ihrer Methode zur ergänzenden Vertragsauslegung ausschweigen und damit auch eine Rechtfertigung für den unvermittelten Zugriff auf die gesetzlichen Muster schuldig bleiben. Dies bedeutet auf der anderen Seite nicht, daß typologisch ausgerichteten Konzeptionen jeglicher Erkenntniswert abzusprechen ist. Gleiches gilt im übrigen für die von Raisch95 vorgeschlagene Rechts- oder Gesamtanalogie. Die Frage ist aber, welcher Stellenwert einer solchen vergleichenden Analyse beigemessen werden kann, ob sie beispielsweise die Anwendung bestimmter gesetzlicher Regelungen zu indizieren vermag.

Dies konzediert auch Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 550. So verhält es sich auch bei seinem Anwendungsbeispiel, dem Finanzierungsleasingvertrag, vgl. Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 190f. 95 Raisch, BB 1968, 530. 93

94

§ 7 Grundpfeiler eines methodengerechten Rechtsfindungskonzepts Die soeben durchgeführte Bestandsaufnahme hat gezeigt, daß sich die Rechtsfindung im Bereich der gesetzlich nicht geregelten Schuldverträge auf unsicherem Terrain vollzieht. Der gestiegenen Bedeutung nicht kodifizierter Verträge korrespondiert zwar eine ständig steigende Flut von Einzeldarstellungen. Die rechtsmethodischen Überlegungen im Schrifttum sind indessen weniger weit gediehen. Die bislang vorgelegten Entwürfe, am tiefsten durchdrungen ist immer noch das Phänomen der gemischten Verträge, vermögen nur in Teilen zu überzeugen. Die Rechtsprechung verfährt weitgehend theorielos und bemüht sich mit mehr oder weniger großem Erfolg um eine gerechte Pflichtenverteilung im Einzelfall. Vor diesem Hintergrund soll hier der Versuch gewagt werden, ein methodisches Konzept von den Prämissen her zu entwickeln und die Rangverhältnisse der verschiedenen Kriterien zu beschreiben. Das bedeutet nicht notwendig eine Aufgabe bewährter methodischer Vorgehensweise, sondern in erster Linie eine dogmatische Fundierung und die Korrekturen zutage getretener Fehlentwicklungen.

I. Xu den Anforderungen

an ein

Rechtsfindungskonzept

Die Ausarbeitung eines zustimmungsfähigen Rechtsfindungskonzepts ist ein Akt juristischer Dogmatik, denn es geht darum, das für ein bestimmtes Gebiet maßgebliche Material an Rechtsregeln nach einheitlichen, übergreifenden und durchlaufenden Grundgedanken namhaft zu machen. 1 Ziel der Überlegungen hat ein durch innere Stimmigkeit gekennzeichnetes „Strukturmodell von Konkretisierung" 2 zu sein. Die juristische Dogmatik darf dabei allerdings nicht zum Selbstzweck werden. Die praktische Ausrichtung der Jurisprudenz im allgemeinen verlangt auch von der juristischen Theorie, daß sie die Praxis in die Lage versetzt, künftig 3 Rechtsprobleme überzeugender zu lösen. 4 Im einzelnen las1 So die Beschreibung dogmatischer Arbeit bei Kötz, RabelsZ 54 (1990), S.204. Zum schillernden Begriff der „Dogmatik" vgl. Herberger, Dogmatik, passim; aufschlußreich auch Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 307ff. und Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S.8ff. (insbes. S. 16). 2 Müller, Juristische Methodik, 01, S.23. 3 Juristische Dogmatik zeichnet sich nach allgemeiner Meinung durch eine Zukunftsgerichtetheit im Sinne einer Maßstabsbildung für künftige, noch nicht bekannte Fallgestaltungen aus;

1. 7.U den Anforderungen

an ein

Rechtsfindungskonzept

173

sen sich die Anforderungen an ein Rechtsfindungskonzept für nicht kodifizierte Verträge wie folgt formulieren.

1. Umsetzung

des von den Parteien

Gewollten

Privatautonomie bedeutet, daß die Parteien durch ihren rechtsschöpferischen, vom Recht anerkannten Akt ihren Bindungswillen in rechtlich verbindlicher Weise realisieren können. Ihre Ubereinkunft ist für den Rechtsanwender Ausgangspunkt und primäre Quelle auf dem Weg der Vertragsrechtskonkretisierung, also der Feststellung des rechtsverbindlichen Normenprogramms. Die von den Parteien getroffene Vereinbarung eröffnet - in den Worten Oechslers -5 in einem logisch-zeitlichen Sinne den Prozeß der Konkretisierung des Vertragsrechts. In dieser ersten Phase bedarf die tatsächliche Ubereinkunft, also beispielsweise der in der Vertragsurkunde enthaltene Text, lediglich der klarstellenden Transformation in die Sprache des Rechts. Gegebenenfalls muß sich die Parteivereinbarung im Rahmen der Inhaltskontrolle eine Korrektur anhand der Maßstäbe des Rechts gefallen lassen. Passiert die privatautonome Gestaltung allerdings dieses Tor, so ist sie in der rechtlichen Entscheidung einfach zu befolgen.6 Der rechtsverbindliche Vertrag, so läßt sich sagen, repräsentiert das von den Parteien tatsächlich Vereinbarte.7 Diese notwendig „vermittelte" Entfaltung des rechtsgeschäftlichen Willens der Handelnden birgt allerdings auch die Gefahr einer Verfälschung. Der Rechtsanwender hat sich daher in der der Inhaltskontrolle vorgelagerten Phase der Rechtsfindung um möglichste „Nähe zum Original" zu bemühen.8 Das heißt, die Übereinkunft ist inhaltlich vollständig zu erschöpfen, das Gewollte ist optimal zur Geltung zu bringen und den Parteien dürfen keine Bindungen über das vereinbarte Maß hinaus auferlegt werden. So ist es dem Rechtsanwender beispielsweise untersagt, eine Parteivereinbarung, derzufolge es die eine Partei im eigenen Interesse übernimmt, für eine Geldzahlung unter allen Umständen und losgelöst von der Forderung gegen den Hauptschuldner, einzustehen, als Bürgschaft (§ 765 B G B ) anstatt als Garantieübernahme zu verstehen, und sie der Formvorschrift des §766 S. 1 B G B zu unterwerfen. Für ein Rechtsfindungskonzept folgt daraus, daß es vor allem die Gebundenheit durch die inhaltlichen Festlegungen der Parteien zu respektieren hat (Gebot möglichster Abbildungstreue). hierzu Dreier, Recht - Moral - Ideologie, S. 83; Canaris, JZ 1993, 384; Wagner, JuS 1963, 460f.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.29. 4 Zur Bedeutung der Jurisprudenz für die Rechtspraxis Larenz, Methodenlehre, S. 234ff.; vgl. auch Canaris, JZ 1993, 380 und 390f.; zum Verhältnis der Dogmatik zur Praxis und ihrer Leistung für deren Verständnis auch Esser, AcP 172 (1972), S. 97ff.; zu den Funktionen der Rechtsdogmatik im übrigen Rüthers, Rechtstheorie, §7 Rdnr. 321 ff. 5 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 275. 6 Flume, Rechtsgeschäft, §1, 4, S. 5. 7 Vgl. Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.275ff. 8 Ebenso Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 276.

174

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

2. Vorhersehbarkeit

der

Rechtsfindungskonzepts

Inhaltskonkretisierung

Von einem Rechtsfindungskonzept erwartet man idealiter, daß es dem mit der Vertragsrechtskonkretisierung befaßten Rechtsanwender ein Gerüst methodischer Grundsätze und Entscheidungskriterien an die Hand gibt, die er seinem Entscheidungsgang im konkreten Fall nutzbringend zugrunde legen kann. Der Vorteil einer ausgearbeiteten Dogmatik zeigt sich insbesondere in der erhöhten Transparenz der Begründung9 und damit der rationalen Kontrollierbarkeit des Gedankengangs. Dies ist zugleich eine wesentliche Voraussetzung für die anzustrebende Gleichmäßigkeit und Voraussehbarkeit der Rechtsanwendung. 10 Bereits an dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, daß eine in hohem Maße normorientierte Konkretisierung von Vertragsrecht, wie sie die herrschende Praxis kennzeichnet,11 nur scheinbar eine größere Berechenbarkeit des Entscheidungsvorgangs erlaubt. Denn die Normapplikation steht in diesem Fall immer unter einem Ähnlichkeitsvorbehalt, der den Rechtsanwender zwingt, vor der Übertragung einer gesetzlich für einen bestimmten Vertragstyp vorgesehenen Rechtsfolge auf einen nicht unmittelbar in den Anwendungsbereich der Norm fallenden Vertrag, die Vergleichbarkeit der Fälle im Hinblick auf den jeweiligen Normtelos zu begründen. Abgesehen davon fragt es sich, für wen die Vertragsrechtskonkretisierung eigentlich voraussehbar zu sein hat - doch wohl in erster Linie für die Parteien des Vertrages, die sich in ihm in verbindlicher Weise zur Erbringung bestimmter Leistungen verpflichtet haben. An ihren in den Vertrag gesetzten Erwartungen, soweit sie berechtigt erscheinen, hat sich die Rechtsfindung auszurichten. Problematisch, weil die Vorhersehbarkeit der Vertragsrechtskonkretisierung für die Parteien beeinträchtigend, ist es, den Vertragspartnern Pflichten aufzuerlegen, die das Gesetz für einen ähnlichen Vertrag vorsieht, mit denen die Parteien jedoch nicht zu rechnen brauchten. Von daher läßt sich sagen, daß eine hohe Abbildungstreue im oben beschriebenen Sinne im Rahmen des Rechtsfindungsganges zugleich der beste Garant für voraussehbare Ergebnisse aus der (maßgeblichen) Sicht der Vertragsparteien ist. Daß sich im übrigen Unsicherheiten und Wertungsspielräume niemals vollständig ausräumen lassen, liegt in der Natur der Sache begründet und muß nicht weiter beunruhigen. Rechtsdogmatik ist ebenso wie die juristische Methodik keine exakte Anleitung zur Technik von Fallösung. 12

9 Zu Offenlegung der Wertungen bei der Konkretisierung von Vertragsrecht Oechsler, rechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 37ff. 10 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 9. 11 Hierzu sogleich noch ausführlich unter II. 12 Müller, Juristische Methodik, S. 20.

Ge-

I. Zu den Anforderungen

an ein

3. Rechtsdogmatische

175

Recbtsfindungskonzept

Stimmigkeit

Wie jede wissenschaftliche Theorie muß auch ein Konzept zur Bestimmung der Rechte und Pflichten von nicht kodifizierten Verträgen dem grundlegenden Erfordernis der Konsistenz genügen.13 Rechtlich resultiert diese Vorgabe aus dem Prinzip formaler Gerechtigkeit, also dem Gebot gleiche Fälle gleich und ungleiche ungleich zu behandeln.14 Das Konsistenzerforderais umfaßt dabei nicht nur die logische Widerspruchsfreiheit, sondern auch die Freiheit von Wertungswidersprüchen des Aussagensystems.15 a) Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge als Gegenstand Systems aufeinander abgestimmter rechtlicher Aussagen

eines

Grundvoraussetzung, um überhaupt über ein sinnvolles System aufeinander abgestimmter rechtlicher Aussagen nachdenken zu können, ist allerdings zunächst, daß sich der Gegenstand der Betrachtung als ein abgrenzbarer Komplex herauskristallisiert, der durch bestimmte, rechtlich relevante, Spezifika gekennzeichnet ist und deswegen eigenen rechtlichen Wertungen folgt. 16 Für die Gruppe der sog. modernen Vertragstypen läßt sich dies nach hier vertretener Ansicht17 nicht behaupten, handelt es sich doch hierbei letztlich um einen bloßen Realitätsausschnitt, dessen Elemente über keine hinreichenden rechtlichen Gemeinsamkeiten verfügen. Demgegenüber stimmen die nicht kodifizierten Verträge in einem wichtigen, sie zu einem einheitlichen Problembereich verknüpfenden, Punkt überein. Die Rechtsfindung kann nicht auf ein eigens für diesen Vertragstyp geschaffenes gesetzliches Referenzsystem rekurrieren. Hieraus resultieren eine Reihe spezifischer Folgeprobleme, die sich für den Rechtsanwender im Bereich der gesetzestypischen Verträge üblicherweise so nicht stellen. Dies legt die Entwicklung einheitlicher methodischer Grundaussagen für die Kategorie der nicht kodifizierten Verträge nahe. Eine solche Bereichsdogmatik muß jedoch in enger Abstimmung mit dem Recht der gesetzlich geregelten Verträge entwickelt werden. Denn zum Konsistenzerfordernis gehört neben der inneren Stimmigkeit auch die Ubereinstimmung mit den Vorgaben des übergeordneten Systems, hier mit dem Vertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches. Das anzustrebende Rechtsfindungskonzept sollte aber auch nicht in der Weise 13 Zur Konsistenz als Ausweis juristischer Dogmatik vgl. bereits Puchta, Institutionen, § 15, S. 35; aus neuerer Zeit Dreier, Recht - Moral - Ideologie, S. 83, Großfeld, Macht und Ohnmacht der Rechtsvergleichung, S.29. 14 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.27. 15 Dreier, Recht - Moral - Ideologie, S. 83; zustimmend Larenz, Methodenlehre, S. 450. 16 Vgl. hierzu etwa Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 14f. Bekannt ist das Selbstzeugnis v. Jberings (JherJb 4 [1860], 7) zu den Hintergründen der „Entdeckung" des Rechtsinstituts der culpa in contrahendo, nach dem er sich zunächst „das Eigenthümliche der bisher mitgeteilten ... Fälle der culpa im Gegensatz zu sonstigen Fällen derselben zum Bewußtsein" gebracht habe. 17 Vgl.§l III. 2. b).

176

§ 7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

zu kurz greifen, daß seine Aussagen einzig und allein für typenfremde oder wie in der Vergangenheit oftmals geschehen - nur für gemischte Verträge Geltung beanspruchen. Beide Erscheinungsformen des gesetzlich nicht geregelten Schuldvertrages zeichnen sich nämlich dadurch aus, daß die Parteien ihre Leistungsbeziehungen abweichend von den tradierten Gesetzesmustern gestalten. Dies kann im Wege völliger Neuschöpfungen oder durch Zusammenfügen bereits bekannter Elemente geschehen. In jedem Fall steht am Ende eine neue Sinneinheit, die sich nicht im Wege schlichter Normapplikation rechtlich erfassen läßt. Ein Rechtsfindungskonzept sollte daher auf einem übergreifenden, gemischte und typenfremde Verträge vereinenden Ansatz beruhen.

b) Verbindung der induktiven, vertragsauslegenden mit der deduktiven, normapplizierenden Zugangsweise Ein methodisches Konzept der Vertragsrechtskonkretisierung muß schließlich, um die verlangte Konsistenz nicht zu gefährden, die konstituierenden Grundgedanken unserer Vertragsrechtsordnung in sich aufnehmen und rechtspraktisch umsetzen. Vor allem ist dem Prinzip der Privatautonomie Rechnung zu tragen, das die Vertragsschließenden im Gegensatz zur Rechtsstellung der Rechtsunterworfenen in anderen Rechtsbereichen (z.B. Strafrecht, Steuerrecht) an der Aufstellung des für sie rechtlich verbindlichen Regelwerks maßgeblich beteiligt. Das zwischen den Parteien eines Vertrages geltende Recht kann somit nicht allein aus gesetzlich positivierten Rechtssätzen abgeleitet werden. Dies ist unmittelbar einsichtig im Bereich der nicht kodifizierten Verträge, wo eine rein deduktiv-normapplizierende Konkretisierung mangels normativer Maßstäbe von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre. Es gilt darüber hinaus aber auch für die gesetzestypischen Verträge, bei denen sich der Gesetzgeber in Anbetracht der Kompetenzzuweisung an die handelnden Rechtssubjekte beispielsweise näherer Vorgaben zur Ausgestaltung der vertraglichen Hauptleistungspflichten (Preis, Gegenstand, Art der zu erbringenden Dienste etc.) enthalten hat. Es ist somit festzuhalten, daß die Annahme, alle Rechtsfragen des jeweiligen Vertragsverhältnisses seien von der objektiven Rechtsordnung gleichsam a priori vollständig und abschließend entschieden, den Funktionsmechanismus unserer Vertragsrechtsordnung verfehlt. 18 Auf der anderen Seite legt schon die bloße Existenz einer ausgeführten gesetzlichen Vertragstypenordnung den Schluß nahe, daß diese auch Funktionen im Prozeß der Vertragsrechtskonkretisierung übernehmen soll. 19 Für nicht kodifizierte Verträge kommt sie - wie bereits erwähnt - 2 0 zumindest als Wertungshilfe in Betracht. Die Rechtsfindung beruht somit - auch auf dem Gebiete der nicht kodifizierten Verträge - auf einer Antinomie zweier unterschiedlicher methodischer Zugangsweisen, einer an der

18 19 20

So im Ergebnis auch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 13. Vgl. hierzu §4 II. Vgl. §4 II. 3.

II. Kritik der herrschenden, primär normorientierten Rechtsfindungsmethode

177

Parteivereinbarung ausgerichteten analytisch-induktiven und einer deduktivnormapplizierenden. 21 Für ein Konzept zur Gewinnung des zwischen den Parteien eines gesetzlich nicht eigens geregelten Vertrages geltenden Rechts bedeutet dies, daß es beide Ansätze (Vertragsauslegung und Anwendung von Gesetzesrecht) in möglichst überzeugender Form zu verbinden hat.

II. Kritik der herrschenden, primär normorientierten Rechtsfindungsmethode Diesen soeben formulierten Anforderungen vermögen die Gerichte ebenso wie die Stellungnahmen aus den Reihen des rechtswissenschaftlichen Schrifttums nur sehr bedingt zu entsprechen. In bezug auf die zivilgerichtliche Judikatur fällt es schon schwer, überhaupt ein leitendes methodisches Konzept zu erkennen. Als oftmals wiederkehrender Zug springt lediglich das auch im Schrifttum verbreitete Bestreben ins Auge, nach Möglichkeit zu einem gesetzlich ausgeführten Vertragstyp zu gelangen. Hierbei handelt es sich allerdings um eine verzerrte, mit dem vollmundigen Bekenntnis zur Gestaltungsfreiheit der Parteien im Schuldrecht schwerlich in Einklang zu bringende Wahrnehmung der geltenden Vertragsordnung. 22 Ein Vorrang der gesetzlichen Vertragstypenordnung im Vertragskonkretisierungsgeschehen läßt sich nicht nur de lege lata nicht begründen; er würde auch - wie bereits gezeigt wurde - 2 3 der historischen Entwicklung des Verhältnisses der gesetzlichen Dispositivordnung zur privatautonomen Regelung nicht gerecht werden.

1. Die zu konstatierende Hypertrophierung der gesetzlichen Vertragstypen Das heutige Verständnis des Vorgangs der inhaltlichen Konkretisierung von Parteiübereinkünften zu einem verbindlichen Rechte- und Pflichtenprogramm ist geprägt durch die hohe Wertschätzung, deren sich die gesetzliche Vertragstypenordnung als Palette von als ausgewogen geltenden Vertragsentwürfen im2 1 Vgl. allgemein hierzu auch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.4 und 13; zur Unterscheidung von deduktiv-axiomatischen und induktiv-pragmatischen Begründungsweisen in der juristischen Dogmatik Wieacker, in: FS für Gadamer II, S. 323ff. 2 2 Kritisch vor allem Gernhuher, Schuldverhältnis, § 7 IV 4, S. 155; Lieh, D B 1988, 946; Leenen, AcP 190 (1990), 265; Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rdnr. 108f. Vor zu schneller Subsumtion warnend auch Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §12 I, S.212 und Larenz, Schuldrecht I I / l , §38, S. 5. Ebenso für das schweizerische Privatrecht Bucher, ZSR 102 II (1983), 319 und Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 796. Grundsätzliche und bedenkenswerte Vorbehalte gegen das Denken in Leitbildern und die Bestimmung der Rechtsnatur moderner Austauschverträge hat jüngst Oechsler (Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 296ff. und S. 376ff.) erhoben. 23

Vgl. §§3 und 4.

178

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

mer noch erfreuen darf. Der Gesetzgeber hat in neuerer Zeit mit der Anerkennung des Leitbildgedankens im Rahmen der Inhaltskontrolle in § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG ebenfalls dazu beigetragen, daß der Blick weiterhin auf die dispositive Vertragsordnung, hier in ihrer maßstabsbildenden Funktion, gerichtet bleibt. Das Denken in normativen Leitbildern und das Bemühen um Zuordnung und Rechtsnaturbestimmung prägen demzufolge in erheblichem Maße die methodischen Vorstellungen über die Art und Weise der Vertragsrechtskonkretisierung. Diese Tendenz macht auch vor solchen Verträgen keinen Halt, die sich bei näherem Hinsehen als atypisch erweisen und inhaltlich Distanz zu den gesetzlich geregelten Vertragstypen wahren. Gerade die für viele offenbar erschreckende, im einzelnen noch zu überprüfende Konsequenz der Annahme eines Vertrages sui generis, der Verlust des normativen Leitbildes im Rahmen der AGB-Kontrolle nach §9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG, scheint die Qualifizierungsentscheidung maßgeblich zu beeinflussen. Die Sorge, ohne Rechtsnatur in ein juristisches Vakuum zu geraten, sitzt offenbar tief. Deutlich wird dies beispielsweise bei Graf von Westphalen, wenn er ausführt: „Es bleibt dann dunkel, nach welchen Kriterien eine richterliche Inhaltskontrolle durchzuführen ist. Wie bei allen modernen Vertragstypen ist es daher sach- und interessengerecht, soweit irgend vertretbar auf die Normen des dispositiven Rechts abzuheben ...", 24 Bezeichnend ist auch die Äußerung von Eike Schmidt, es bedürfe, da der Richter nicht dazu berufen sei, den Vertrag gleichsam in freier Rechtsfindung ohne jeden Gesetzesanhalt „fortzuentwickeln", der Subsumtion der Vereinbarung unter den ihr am nächsten stehenden gesetzlich vorgeformten Typus.25 Ganz ähnlich legitimiert Eick in einer neueren Untersuchung zum Problem der gemischten Verträge den Rückgriff auf das gesetzliche Vertragstypenrecht. Der durch §9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG vom Gesetzgeber bestätigte Ordnungs- und Leitbildgedanke führe, übertragen auf die Behandlung der gemischten Verträge, zwingend dazu, die im gemischten Vertrag enthaltenen Vertragstypen zu bestimmen und ihre gesetzlichen Regeln und Rechtsfolgen in dem gemischten Vertrag zu berücksichtigen. Eine Lösung außerhalb dieser Regeln würde dem Willen des Gesetzgebers nicht gerecht werden.26 Mit diesen Erklärungen stimmen die bereits analysierten Lösungsstrategien in Schrifttum und Rechtsprechung weitgehend überein. Die in der Rechtswissenschaft herausgearbeiteten Theorien zur rechtlichen Bewältigung gemischter Verträge gehen beispielsweise unisono von der Anwendung des gesetzlichen Vertragstypenrechts aus. Gestritten wird hier nur noch darüber, welchem Normenkomplex das anwendbare Recht zu entnehmen ist und auf welche Weise es zur Anwendung gelangen soll. Auf dem Gebiete der typenfremden Verträge herrschen ebenfalls primär normorientierte Konzepte vor. Dies gilt vor allem für die auf einem typologischen Ansatz beruhenden 24 A G B - K l a u s e l w e r k e - G r a / von Westphalen, Leasing, Rdnr. 28; ebenso Graf von Westphalen, ZIP 1985, 1437 und ganz ähnlich Wolf/Eckert, H a n d b u c h des gewerblichen Miet-, Pacht- u n d Leasingrechts, Rdnr. 1792. 25 Esser/Schmidt, Schuldrecht, Bd. 1 (6. Aufl.), S. 181. 26 Eick, Problem der gemischten Verträge, S. 91.

II. Kritik der herrschenden, primär normorientierten

Rechtsfindungsmethode

179

Strategien, richten sie doch ihr Hauptaugenmerk auf die Vergleichbarkeit mit den gesetzlichen Vertragstypen. Außergesetzliche Lösungen werden selbst dann kaum erwogen, wenn das gesetzliche Vertragstypenrecht erkennbar keine Analogiebasis mehr bietet. Typischerweise wird in solchen Fällen statt dessen Klage über die fehlenden normativen Vorgaben geführt, meist verbunden mit dem Appell an den Gesetzgeber, für Abhilfe zu sorgen. 27 Auch die Rechtsprechung bewegt sich, wie im einzelnen bereits gezeigt wurde, auf dieser Linie. Vor allem der älteren Rechtsprechung eignete eine deutlich spürbare Tendenz, den Geltungsbereich der gesetzlich geregelten Vertragstypen extensiv abzustecken und neuere Vertragsformen zumindest als atypische Gesetzesverträge einzufangen. Die Rechtsprechung zum Finanzierungsleasing steht hier pars pro toto. Hinzuweisen ist ferner auf die, auch im Schrifttum überwiegend geteilte, skeptische Haltung gegenüber der Möglichkeit einer Vertragsqualifikation durch die Parteien selbst. Hier wird offenbar der gesetzlichen Vertragstypenordnung als solcher der Vorrang vor anderslautenden Rechtsfolgeanordnungen der Parteien eingeräumt.

2. Gefahren einer vorschnellen Einordnung Mit dem frühen Zugriff auf das dispositive Vertragsrecht kann sich der Rechtsanwender zwar unbestreitbar ein wertvolles Potential von Lösungsmustern für nicht vorhergesehene oder nicht zur Sprache gebrachte Konfliktmöglichkeiten erschließen. 28 Auf der anderen Seite birgt diese Vorgehensweise eine Reihe von Gefahren, die ihren rechtspraktischen Vorteil in Frage stellen.

a) Mißachtung des Grundsatzes der Privatautonomie Das frühe Aufgreifen der Frage nach der Rechtsnatur und die Neigung, den zu beurteilenden Vertrag möglichst einem normativ vorgeformten Vertragstyp zu unterstellen oder doch anzunähern, läuft vor allem Gefahr, die den Parteien eines Schuldvertrages eingeräumte Gestaltungsfreiheit über Gebühr zu beschneiden und damit ein Konstituens unserer bürgerlichen Vertragsordnung zu beschädigen. Anerkennt man grundsätzlich das Recht der Parteien, ihre Rechtsverhältnisse nach ihrem Willen selbst gestalten zu können, so darf der Inhalt einer Parteivereinbarung nur in begründeten Ausnahmefällen heteronom durch Rückgriff auf ein außervertragliches Referenzsystem bestimmt werden. Ausgangspunkt müssen vielmehr stets die autonomen Festsetzungen der Parteien und ihr rechtsgestaltender Wille sein. Wird eine vertragliche Ubereinkunft hingegen ohne Rücksicht auf ihre Eigentümlichkeit in das Raster der gesetzlichen

27 28

Z.B. Krämer, in: Neue Vertragsformen, S.42f. Staudinger-Mayer-Maly, Einl zu §§433ff. B G B Rdnr.7.

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eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Vertragstypenordnung gepreßt, so droht eine Verfälschung des Parteiwillens.29 Lieb bemerkt hierzu treffend, daß dann das, was die Parteien wirklich wollten, schon im Stadium der Auslegung überlagert werde, von dem was sie (nach Auffassung des Gerichts) wollen durften.30 Der rechtsverbindliche Vertrag geht damit seiner Legitimationsgrundlage verlustig. Rechtsfolgen treten ein, nicht weil die Parteien es so gewollt haben, sondern weil der Rechtsanwender einen ihm passenden, vom Gesetzgeber als bloßen Vorschlag gedachten, Entwurf zur Geltung verhelfen will. Dies soll nachfolgend anhand zweier Beispiele aus der Rechtsprechung zum Finanzierungsleasingvertrag verdeutlicht werden. (1) Sachmängelhaftung Finanzierungsleasing

und Wegfall der Geschäftsgrundlage

beim

Als geradezu paradigmatisch für die Gefahr einer „Vergewaltigung des Parteiwillens"31 infolge einer expansiven Anwendung des gesetzlichen Vertragstypenrechts muß die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Rechtslage im Falle der Mangelhaftigkeit des Leasinggutes beim sog. reinen Finanzierungsleasing gelten.32 Die vorformulierten Vertragswerke der Leasingbranche schließen bekanntlich eine Gewährleistungshaftung des Leasinggebers aus. Der Leasingnehmer wird vielmehr an den Lieferanten, bei dem er den Leasinggegenstand ausgesucht hat, verwiesen. Hierzu tritt der Leasinggeber dem Leasingnehmer regelmäßig seine Gewährleistungsansprüche aus dem Beschaffungsgeschäft (Kauf- oder Werkvertrag) ab; seltener wird der Leasingnehmer lediglich zur Geltendmachung in eigenem Namen ermächtigt.33 Diese leasingtypische Gewährleistungs- und Abtretungskonstruktion, die einen kardinalen Bestandteil der leasingvertraglichen Vereinbarung bildet, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich für mit dem AGB-Gesetz vereinbar befunden.34 Das Risiko des Scheiterns des Liefergeschäfts kann der Leasinggeber hierdurch jedoch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht dauerhaft von sich weisen. Gelingt es nämlich dem Leasingnehmer, den ihm abgetretenen Anspruch auf Wandelung gegen den Lieferanten durchzusetzen, so soll dies auch auf die Vertragsbeziehung zum Leasinggeber durchschlagen. Konstruktiv-dogmatisch liegt dem die Vorstellung zugrunde, daß der Erwerb einer gebrauchsfähigen Sache die Geschäftsgrundlage des Leasingvertrages bilde, die mit der Wandelung des Kaufoder Werkvertrages mit ex-tunc-Wirkung entfalle. Der Leasingnehmer ist hier-

So zutreffend Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 332. Lieb, D B 1988, 946. 31 Lieh, D B 1988, 953. 3 2 Das sog. absatzfördernde Finanzierungsleasing, das durch eine besondere Nähe des Leasinggebers zum Hersteller/Lieferanten gekennzeichnet ist, soll im folgenden außer Betracht bleiben; vgl. hierzu eingehend Berger, Typus und Rechtsnatur des Herstellerleasing, passim. 33 Hierzu im einzelnen Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr.422ff. 3 4 B G H N J W 1982, 105; vor Geltung des AGB-Gesetzes bereits B G H N J W 1977, 848. 29 30

II. Kritik der herrschenden, primär normorientierten

Rechtsfindungsmethode

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nach berechtigt, die Zahlung der Leasingraten einzustellen und die Rückzahlung bereits geleisteter Raten zu verlangen.35 Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß die zivilgerichtliche Rechtsprechung in diesem Punkt maßgeblich von der Annahme einer mietvertraglichen Verwurzelung des Finanzierungsleasingvertrages geprägt wird. So besteht für den Bundesgerichtshof offenbar kein Zweifel, daß den Leasinggeber wie jeden Vermieter zunächst die mietvertragliche Einstandspflicht für Sachmängel nach den §§537ff. BGB trifft. Von dieser den „Leasinggeber ... treffenden, aus der entsprechenden Anwendung der mietrechtlichen Vorschriften herzuleitenden Gewährleistungspflicht (§§537ff. BGB)" muß sich der Leasinggeber nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs nämlich erst einmal freizeichnen. Bei der Abtretung der Gewährleistungsansprüche gegen den Lieferanten handelt es sich dann folgerichtig in den Augen des Bundesgerichtshofs nur um einen „Ausgleich" für den erlittenen Rechtsverlust.36 Die mietrechtliche Verhaftung erweist daneben auch die lückenfüllende Heranziehung der §§ 537ff. BGB im Falle der Unwirksamkeit der Gewährleistungs- und Abtretungskonstruktion nach §6 Abs. 2 AGBG. 3 7 Von der ihn ursprünglich treffenden Einstandspflicht kann sich der Leasinggeber, so wird man den Bundesgerichtshof verstehen dürfen, niemals vollständig freizeichnen. In Ubereinstimmung mit der mietvertragsrechtlichen Risikobewertung lastet auf ihm stets eine latente Restverantwortlichkeit für die Gebrauchsfähigkeit der Leasingsache. Rechtstechnisch kann sie sich nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auf dem Wege des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aktualisieren. Hierzu paßt es, daß der Bundesgerichtshof die Zahlung der Leasingraten als „Äquivalent für die Bereitstellung einer mangelfreien Leasingsache" bezeichnet.38 Es trifft daher den Kern der Sache, wenn der Rechtsprechung in diesem Punkt ein „Heimwärtsstreben zum vertrauten Mietrecht" 39 attestiert wird. Problematisch ist diese Beobachtung nun aber vor allem deshalb, weil sich die Geschäftsgrundlagenlösung in eben jenem Maße zugleich von den vertraglichen Festsetzungen der Parteien und ihren im Leasingvertrag rechtlich koordinierten Interessen entfernt hat. Als Ergebnis einer am objektiven Inhalt und typischen 35 Ständige Rechtsprechung seit BGH NJW 1977, 848; z.B. BGH NJW 1982,105; 1985, 1535; 1990, 314; 1991, 1746. Vorgedacht war die Geschäftsgrundlagenlösung schon bei Flume, DB 1972,55 und Reich, in: Vertragsschuldverhältnisse, S. 77f. Zustimmend auch weite Teile des heutigen Schrifttums: z.B. Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr. 719ff.; Wolf/Eckert, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, Rdnr. 193 7ff.; Erman-Jendrek, Anh. §536 BGB Rdnr. 31; Palandt-Weidenkaff, Einf. v. §535 BGB Rdnr.42; im Ergebnis auch Martinek, Moderne Vertragstypen I, §7 III, S. 172 und Flume, DB 1991, 268f. 36 B G H NJW 1982, 105; NJW-RR 1998, 123 (124). 37 B G H NJW 1984, 2687 (2688). 38 BGH NJW 1982,105 (107); ähnlich Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, § 11 B I, S. 329. 39 H. Roth, AcP 190 (1990), 296. Als Konsequenz der mietvertraglichen Qualifizierung verstehen diese Rechtsprechung auch Papapostolou, Risikoverteilung beim Finanzierungsleasingvertrag, S. 90; Lieb, DB 1988, 946ff., 2495ff.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 326.

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Rechtsfindungskonzepts

Sinn ausgerichteten Auslegung des Leasingvertrages nach §§133, 157 BGB 4 0 läßt sich die Konstruktion der Rechtsprechung nicht halten.41 Eine originäre Einstandspflicht des Leasinggebers läßt sich insbesondere nicht aus der mitunter noch anzutreffenden Wendung entnehmen, Gewährleistungsansprüche nach §§537ff. BGB seien ausgeschlossen.42 Derartige Formulierungen sind lediglich als Reaktion auf die mietvertraglich orientierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu verstehen.43 Entscheidenden Aufschluß gibt vielmehr der mit solchen Klauseln verfolgte Zweck, also die Ermittlung dessen, was die Parteien hiermit erreichen wollten. Diesen läßt der Bundesgerichtshof unberücksichtigt. Statt dessen heißt es apodiktisch, der Leasinggeber erkläre, indem er sich von der Gewährleistung freizeichne und dem Leasingnehmer die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche abtrete, daß er die rechtlichen Folgen, die sich aus der Geltendmachung der Gewährleistungsrechte durch den Leasingnehmer ergeben, als für sich verbindlich hinnehme. Wäre die Klausel nämlich nicht so auszulegen, so würde der Leasingnehmer in unangemessener Weise rechtlos gestellt mit der Folge der Unwirksamkeit der Freizeichnungsabrede.44 Hier werden ganz offensichtlich Gesichtspunkte der Auslegung und der Inhaltskontrolle miteinander verquickt. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Rechtslogisch kann jedoch nur etwas rechtlich bewertet werden, was zunächst tatbestandlich genau fixiert worden ist. Die Auslegung hat mithin an erster Stelle zu stehen und ist von Kontrollerwägungen möglichst freizuhalten. Erst in einem zweiten Schritt geht es dann um die Frage, ob die privatautonom getroffene Regelung vor den Inhaltsschranken der Rechtsordnung bestehen kann. Die Äußerung des Bundesgerichtshofs mißachtet diese auch in der Systematik des AGB-Gesetzes zum Ausdruck gelangte Zweistufigkeit der Rechtsanwendung im Vertragsrecht und - das wiegt am schwersten - verschleiert die tragenden Wertungen.45 Richtigerweise ist hingegen die zugrunde liegende tpyische Inter40 Zur Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen eingehend [//mer/Brandner/Hensen, §5 AGBG Rdnr.l3ff. 41 Wie hier im Ergebnis Lieb, DB 1988, 946ff., 2495ff.; ders., Anm. JZ 1982, 562; Leenen, AcP 190 (1990), S.275ff.; H. Roth, AcP 190 (1990), S. 306ff.; Canaris, AcP 190 (1990), S.418; MünchKomm-Habersack, Leasing, Rdnr. 71 bezeichnet dagegen die subsidiäre Gewährleistungshaftung des Leasinggebers als Resultat einer „interessengerechten Auslegung". 42 So aber Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rdnr. 1521. 43 Wie hier Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 7 II, S. 152 und Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.326 Fn. 128. Neuere Leasingbedingungen deuten noch weniger darauf hin, daß den Leasinggeber eine originäre Verpflichtung trifft, dem Leasingnehmer eine mängelfreie Sache zu überlassen; vgl. hierzu Leenen, AcP 190 (1990), S.277f. 44 BGH NJW 1982, 105 (106); zust. Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rdnr. 1530. 45 Fastrich, Inhaltskontrolle, S.21ff.; Leenen, AcP 188 (1988), S.386ff.; ders., AcP 190 (1990), S.268f.; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §43 Rdnr.40; Staudinger-ScWosser, §5 A G B G Rdnr.5; zur entsprechenden Problematik („Auslegung als kaschierte Vertragskontrolle") in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung Preis, Vertragsgestaltung, S. 153ff. Noch weitgehender, jedoch in dieselbe Richtung zielend der Vorwurf von Canaris (AcP 190 [1990], S. 419), die Bewältigung des Problems mittels Rückgriffs auf die Lehre von der Geschäftsgrundlage, stelle sich insgesamt als verkappte Kassation, verbunden mit einer geltungserhaltenden Umdeutung, dar.

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essenlage in den Blick zu nehmen. Diese hat der Bundesgerichtshof selbst prägnant - wenngleich seiner rechtlichen Beurteilung diametral zuwiderlaufend wie folgt beschrieben: „Andererseits ist es aber typischerweise der Leasingnehmer, der nach seinen Vorstellungen die benötigte Ware beim Hersteller bzw. Händler aussucht, mit diesem den Verwendungszweck erörtert und festlegt und daher in erster Linie, jedenfalls aber besser als der zumeist erst später eingeschaltete Leasinggeber, beurteilen kann, ob die ihm übergebene Sache gebrauchstauglich ist, dem besonderen Vertragszweck entspricht und ein etwaiger Mangel so gewichtig ist, daß er eine Wandelung des Kaufvertrages zwischen Leasinggeber und Hersteller bzw. Händler geboten erscheinen läßt." 46 Diese typische Interessenkonstellation spricht nach der Ansicht des Bundesgerichtshofs für die Sachangemessenheit und Wirksamkeit des leasingtypischen Gewährleistungsausschlusses. Tatsächlich läßt sich auf dieser Grundlage gar nicht erkennen, daß der Leasinggeber eine genuine Einstandspflicht übernehmen will. 47 Auch sein Vertragspartner wird eine solche Erwartung nicht hegen können. In seinen Augen ist stets der Verkäufer der kompetente und rechtlich zuständige Ansprechpartner für Probleme im Zusammenhang mit der Beschaffenheit des Leasinggutes. Der Leasinggeber, der den Leasinggegenstand vor der Überlassung an den Leasingnehmer in der Regel noch nicht einmal gesehen hat oder der sogar erst später in den bereits abgeschlossenen Kaufvertrag eintritt, übernimmt lediglich die Finanzierung der Gebrauchsüberlassung. Die Investitionsentscheidung mit all ihren Folgen trifft allein der Leasingnehmer. Der sich mit der Gewährleistung befassende Passus in den Leasingverträgen kann somit nur so verstanden werden, daß der Leasinggeber sich bewußt von einer Einstandspflicht für die Gebrauchstauglichkeit des Leasinggutes fernzuhalten sucht. Dies ist letztlich eine sinnvolle und zwingende Folgerung aus wirtschaftlichen Grundlagen. Eine Interpretation, die von einer a priori bestehenden Gewährleistungsverpflichtung nach mietrechtlichem Vorbild ausgeht, die dann unter gewissen Voraussetzungen abbedungen werden darf, verfehlt mithin den Sinn und die Eigentümlichkeit eines Leasingvertrages. Das von den Parteien Gewollte wird so rechtlich nicht zutreffend umgesetzt. Uber die Anwendung der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage wird der gemeinsame Parteiwille geradezu in sein Gegenteil verkehrt. Der Leasingvertrag enthält mit der Gewährleistungsklausel eine klare Risikozuweisung an den Leasingnehmer. 48 Diese läßt sich nicht in der Weise marginalisieren, daß sie letztlich nur den Leasingnehmer verpflichtet, den Wandlungsprozeß für den Leasinggeber zu führen. Wenn aber das Risiko der Mangelhaftigkeit im Vertrag geregelt und der be-

BGH NJW 1982, 105 (106); vgl. auch BGH NJW 1988, 198 (200). Wie hier Lieh, DB 1988, 948ff., 2497f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §66 III, S. 111; Larenz/Leenen, Schuldrecht II (12. Aufl.), §63 II, S. 455; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §4 IV, S. 72ff. und §7 II, S.162; H. Roth, AcP 190 (1990), S.306ff.; Papapostolou, Risikoverteilung beim Finanzierungsleasing, S. 78 ff. 48 Anderer Ansicht, wenngleich nicht überzeugend, Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 7 III, S. 177 auf der Grundlage einer sui-generis-Einordnung des Finanzierungsleasingvertrages. 46 47

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Rechtsfindungskonzepts

lasteten Partei zugewiesen ist, so sind bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht erfüllt.49 (2) Anwendung

des §557 BGB auf

Finanzierungsleasingverträge

Höchst bedenklich erscheint die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Finanzierungsleasing darüber hinaus in einem weiteren Punkt, der das Stadium der Vertragsbeendigung betrifft. Hier entspricht es ständiger Rechtsprechung, daß der Leasingnehmer im Falle der verspäteten Rückgabe des Leasinggegenstandes zur Fortentrichtung der Leasingraten nach § 557 Abs. 1 BGB verpflichtet ist.50 Eine Klausel im Leasingvertrag, die diese Rechtsfolge ausdrücklich festschreibt, soll daher nur deklaratorischen Charakter haben und demgemäß einer Inhaltskontrolle entzogen sein (§8 AGBG). 51 Die mietvertraglich orientierte Literaturansicht hat sich auch in dieser Frage auf die Seite des Bundesgerichtshofs geschlagen.52 Graf von Westphalen z.B. erklärt ohne Umschweife, die Anwendung des §557 BGB stelle sich als unmittelbare und zwingende Konsequenz der primär mietvertraglichen Beurteilung des Finanzierungsleasingvertrages dar.53 Auch hier verstellt die mietrechtliche Grundeinstellung offensichtlich den Blick auf die typischen Besonderheiten des Leasingvertragsverhältnisses. Die wirtschaftliche Interessenlage beim Finanzierungsleasingvertrag weicht gerade in diesem Punkt deutlich von derjenigen eines herkömmlichen Mietvertrages ab. Der Leasinggeber befriedigt nämlich anders als der Vermieter nicht nur das Gebrauchsüberlassungs- und Nutzungsinteresse seines Vertragspartners. Indem der Leasinggeber die finanziellen Mittel für die Anschaffung des Gegenstandes bereitstellt, entspricht er zugleich dem Finanzierungsbedürfnis des Kunden. Vor diesem Hintergrund kommt den periodischen Zahlungen des Leasingnehmers eine andere Bedeutung zu als den Mietzinszahlungen des Mieters. Die Leasingraten stellen sich keineswegs als bloßes Äquivalent für die Gebrauchsüberlassung während der Vertragsdauer dar. Die Parteien des Leasing49 Wie hier teils noch mit zusätzlichen Kritikpunkten Lieb, DB 1988, 2496f.; ders., Anm. JZ 1982, 562; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §66 IV, S.114f.; Canaris, AcP 190 (1990), S.417; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 862; Papapostolou, Risikoverteilung beim Finanzierungsleasing, S.90ff. Zu den Voraussetzungen der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage im allgemeinen siehe Larenz, Schuldrecht I, §21 II, S. 320ff. 50 BGH NJW 1978, 1432 (1434); 1989, 1730 (1731f.); O L G Frankfurt DB 1987, 2195; O L G Hamm DB 1999, 892; anders für erfüllte Vollamortisations-Leasingverträge OLG Düsseldorf BB 1989, 173; einschränkend unter dem Gesichtspunkt des Aquivalenzprinzips auch OLG Köln BB 1992, 2386. 51 BGH NJW 1989, 1730 (1731 f.). 52 Wolf/Eckert, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, Rdnr. 2022; Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr. 1002ff.; MünchKomm-Habersack, Leasing, Rdnr.27; Friedrich/Gölzenleuchter, Anm. BB 1989, 175ff.; Erman-Jendrek, Anh. §536 BGB Rdnr. 36; Palandt-Weidenkaff, Einf. v. §535 BGB Rdnr. 49; Flume DB 1991, 267; Ulmer/Brandner/Hensen-H. Schmidt, Anh. §§9-11 AGBG Rdnr. 467a. 53 Graf von Westphalen, BB 1988, 224.

II. Kritik der herrschenden, primär normorientierten

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Vertrages sind sich, wie der Bundesgerichtshof anderenorts wiederum zutreffend ausgeführt hat, „darüber einig, daß die vereinbarten Leasingraten nicht nur Entgelt für die Gebrauchsüberlassung, sondern auch dazu bestimmt sind, den Kapitaleinsatz des Leasinggebers einschließlich des kalkulierten Gewinns zu tilgen". 54 Die Höhe der Leasingraten ist mithin anders als im Mietrecht vom aktuellen Nutzungswert abgekoppelt. Mit zunehmender Entwertung des Leasingobjekts gegen Ende der Vertragszeit übersteigen die Leasingraten nicht selten den Nutzungswert sogar um ein Mehrfaches. 55 § 557 B G B steht jedoch der Fall vor Augen, daß sich die Überlassung der Sache und die Zahlung des Mietzinses über die gesamte Vertragsdauer nahezu gleichwertig gegenüberstehen. Die Entschädigungsregelung des §557 B G B beruht auf der Annahme, daß das Mietobjekt nach der Beendigung des Mietvertrages zu annähernd gleichen Konditionen weiter vermietet werden kann, dem Vermieter durch die unberechtigte Vorenthaltung der Mietsache daher in dieser Höhe ein Schaden entstehen wird. Auf Finanzierungsleasingverträge kann die Vorschrift mithin nicht erstreckt werden. 56 Für diese Rechtsansicht spricht im übrigen auch, daß den Parteien eines Leasingvertrages, der den Fall der unberechtigten Vorenthaltung des Leasinggutes nach Vertragsbeendigung nicht näher regelt, schlechterdings nicht unterstellt werden kann, ihrem Regelungsplan entspreche es durchaus, daß der Leasinggeber über eine Amortisation seiner Aufwendungen zuzüglich eines angemessenen Gewinns hinausgehende Ansprüche geltend machen könne. 57 Dies widerspricht der leasingspezifischen Interessenlage und überschreitet zudem auch den Erwartungshorizont der Vertragsparteien. Denn weder wird der Leasinggeber damit rechnen, daß er aus der Vorenthaltung der Mietsache in nennenswerter Weise Kapital schlagen kann, noch muß der Leasingnehmer mit einer Sanktion rechnen, die über der Belastung durch die Ratenzahlungspflicht bei einer gedachten Verlängerung des Leasingvertrages (nach Amortisation allerdings zu einem erheblich niedrigeren Satz) liegt. Die Anwendung des §557 B G B würde somit im Ergebnis die Gesamtkalkulation der Parteien derangieren 58 und das ansonsten gerade im Leasingrecht oftmals bemühte Aquivalenz-

B G H NJW 1985, 2253 (2255). Z.B im Falle des O L G Köln BB 1992, 2386. 56 Die Rechtsprechung des BGH stehen aus diesem Grunde ablehnend gegenüber: Canaris, AcP 190 (1990), S.441f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §65 V, S. 124f.; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §8 I, S. 193f.; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rdnr.1601; Tiedtke, ZIP 1989, 1437ff.; den., Anm. JZ 1993, 742ff.; Salje, Anm. JR 1990, 69ff.; O L G Düsseldorf BB 1989, 173 (Unanwendbarkeit des § 557 BGB auf vollständig erfüllte Vollamortisations-Leasingverträge). 57 Der BGH ist eine Begründung schuldig geblieben, weshalb der dem Leasingvertrag immanente Amortisationsgedanke einen entsprechenden Anspruch des Leasinggebers zwar zu begründen vermag, jedoch nicht in der Lage sein soll, diesen zugunsten des Leasingnehmers auf das Amortisationsinteresse zu beschränken. Einen Verstoß gegen das Amortisationsprinzip sehen in dieser Rechtsprechung: Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rdnr. 1601 und Canaris, AcP 190 (1990), S.441. 58 Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 8 I, S. 193. 54 55

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prinzip59 außer Kraft setzen.60 Im Leasingvertragsrecht würde die nach §557 BGB geschuldete Entschädigung - anders als im Mietrecht - sogar Züge einer (schadensunabhängigen) Vertragsstrafe annehmen.61 Eine solche Sanktion bedarf jedoch vertraglicher Vereinbarung und kann den Parteien nicht qua Gesetzesinterpretation untergeschoben werden. Abgesehen davon dürfte eine explizit für den Fall der Vorenthaltung des Leasinggutes stipulierte Vertragsstrafe dieses Inhalts kaum den inhaltlichen Anforderungen des AGB-Gesetzes genügen. Alles in allem handelt es sich um eine „besonders krasse Ubersteigerung der mietrechtlichen Sichtweise",62 die den Interessen und Vorstellungen der Leasingvertragsparteien zuwider läuft. Der vorgestellten Rechtsprechung zur Gewährleistungsproblematik und zu den Rechtsfolgen einer unterbliebenen Rückgabe der Leasingsache nach Vertragsende ist der Vorwurf zu machen, sich von einem rechtsanwenderischen Vorverständnis leiten zu lassen, das der durch privatautonome Gestaltung geschaffenen Eigenart des Vertragsgebildes „Leasing" nicht gerecht werden kann. Daß es der Rechtsprechung in anderen Punkten durchaus gelungen ist, sich von den mietrechtlichen Vorschriften zu lösen und den leasingtypischen Besonderheiten Raum zu geben (z.B. durch Anerkennung eines Vollamortisationsanspruchs bei Kündigung)63, soll hier nicht bestritten werden. Nur scheint die Grundannahme eines atypischen Mietvertrages eine solche souveräne Würdigung nicht eben zu erleichtern. Es spricht schon aus diesem Grunde viel dafür, den Finanzierungsleasingvertrag keinem gesetzlichen Schuldvertrag zuzuordnen und statt dessen anzuerkennen, daß die Rechtspraxis hier einen Gebrauchsüberlassungs- und Finanzierungsvertrag eigener Art hervorgebracht hat. Wie gerade Canaris gezeigt hat, gelingt es weitgehend, die anstehenden Sachprobleme mit Argumenten zu lösen, die unabhängig von der typologischen Qualifikation des Finanzierungsleasing sind.64 Als entlarvend und der Praxis einer vorschnellen Einordnung den Spiegel vorhaltend erweist sich, die - allerdings durchaus nicht selbstkritisch verstandene - Bemerkung Flum.es, die Zuweisung des Finanzierungsleasing zur Miete habe insoweit ihre Pflicht getan, als sie dazu beigetragen habe, anderen fehlsamen Einordnungen vorzubeugen.65 Dies kann aber unmöglich die Aufgabe der typologischen Zuordnung zu einem schuldvertraglichen Regelungsmodell sein. Der richtige methodische Weg liegt vielmehr

BGH NJW 1986, 179 (180). Canaris, AcP 190 (1990), S.441f.; Larenz! Canaris, Schuldrecht II/2, §66 V, S. 125; so sah sich das OLG Köln (BB 1992,2386) beispielsweise gezwungen, in einem Fall, in dem die monatliche Leasingrate den vom Leasinggeber selbst angegebenen Restwert um mehr als das Doppelte überstieg, die Berufung auf §557 BGB für rechtsmißbräuchlich zu erklären. 61 Tiedtke, ZIP 1989, 1440f.; Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 8 I, S. 193. 62 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §66 V, S. 124f.; ebenso, wenngleich etwas verhaltener, Medicus, Schuldrecht II, Rdnr.603 und H. Roth, AcP 190 (1990), S.318. 63 BGH NJW 1985, 2253; 1991, 221; zuletzt B G H NJW 1997, 452 (453). 64 Larenz!Canaris, Schuldrecht II/2, §66 III, S . l l l . 65 Flame, DB 1991, 270f. 59 60

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darin, von vornherein auf Distanz zu den gesetzlichen Referenzmodellen zu gehen und eine Annäherung nur behutsam und punktuell zu erwägen. b) Ausblendung

alternativer

Lösungen

Das Bestreben, die Rechtsfolgen nicht kodifizierter Verträge aus dem gesetzlichen Dispositivrecht abzuleiten, hat zur Folge, daß der Blick sehr schnell und ausschließlich auf ein bestimmtes gesetzliches Lösungsmodell fällt. Das Spektrum der denkbaren und mitunter den Anliegen der Parteien sogar besser entsprechenden Lösungsvarianten ist aber zumeist größer als vom Rechtsanwender angenommen. Denn bei der Rechtsfindung auf dem Gebiete der gesetzlich nicht strukturierten Verträge ist er freier als im Bereich der normativ-typischen Verträge, schwächt sich doch der Geltungsanspruch des dispostiven Rechts in dem Maße ab, in dem sich der Vertrag von den typisierten Interessenarrangements entfernt und an Eigenart gewinnt. Für typenfremde Verträge, die ja definitionsgemäß in deutlicher Distanz zu den gesetzlich normierten Vertragstypen stehen, müßten sich diese Lockerungen von selbst verstehen. Aber auch die typengemischten Verträge sind mehr als die Summe ihrer Teile. Die Art und Weise der Verknüpfung verschiedener Elemente bekannter Vertragstypen führt vielfach zu einem neuen Sinnganzen, das nach neuen - sinnwahrenden - Antworten auf Regelungsfragen verlangt.66 Auch hier besteht die Gefahr einer Verengung der Perpektive auf die Lösungsangebote des Rechts der involvierten normativen Vertragstypen. Es fällt auf, daß die tradierten Theorien zur rechtlichen Behandlung gemischter Verträge67 allesamt - trotz im einzelnen unterschiedlicher Ausgangspunkte - primär auf das im konkreten Vertrag wiedererkannte Gesetzesrecht rekurrieren wollen. Kaum Chancen sich durchzusetzen hat unter diesen Umständen beispielsweise ein Vorschlag, wie ihn Canaris für Typenkombinationsverträge mit dienstvertraglichen Elementen unterbreitet hat.68 Canaris spricht sich dafür aus, bei solchen Verträgen grundsätzlich die Möglichkeit der Minderung bei mangelhaften Dienstleistungen anzuerkennen. Praxisrelevant ist dies vor allem bei Altenheimverträgen, wenn im Rahmen dieses Vertragsverhältnisses Service und Pflege nicht den vertraglichen Anforderungen entsprechen. Die h.M. dürfte sich hier schwer tun, ein Minderungsrecht des Heimbewohners im Hinblick auf den mangelhaften Service des Heimbetreibers zu bejahen, sieht doch das Dienstvertragsrecht, das hier wohl aufgerufen wäre, einen solchen Rechtsbehelf nicht vor. Daß hier nicht nur der Rückgriff auf das allgemeine Schuldrecht, sondern auch die Fortbildung des Rechts durch eine verschuldensunabhängige Minderungsmöglichkeit in Betracht zu ziehen sind, wird sich der Rechtsanwender auf der Grundlage einer strengen Gesetzesanbindung nur schwerlich ins Be66 67 68

Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I, S.46 und §63 II, S.53. Vgl. im einzelnen § 6 I. Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 II, S.53.

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Rechtsfindungskonzepts

wußtsein bringen können. Die möglichen Vorzüge einer alternativen rechtlichen Beurteilung geraten so erst gar nicht ins Blickfeld; ein möglicherweise sogar Vertrags- und interessengerechteres Konzept kann dann schon aus diesem Grunde nicht zum Zuge kommen.

c) Zerstörung der Sinneinheit mehrgliedriger Vertragswerke durch Reduktion auf bipolare BGB-Verträge Das Vertragstypenschema des Bürgerlichen Gesetzbuches huldigt ebenso wie das allgemeine Schuldrecht einem abstrahierenden und isolierenden Denkstil. 69 Der Austauschvertrag in seinen klassischen Formen ist seit Anbeginn auf zweigliedrige, synallagmatische Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse ausgerichtet gewesen. Die einzige als Alternative anerkannte Form des vertraglichen Zusammenschlusses ist der Verband. Tertium non datur - so scheint es. Diese Sichtweise bestimmt bis auf den heutigen Tag die rechtsdogmatische Erfassung der Schuldverhältnisse in Rechtsprechung und Wissenschaft. O b es sich bei der Beschränkung des Schuldverhältnisses auf Schuldner und Gläubiger auch heute noch um ein kaum erschüttertes Dogma der Rechtstheorie handelt, 70 mag man angesichts jüngerer Untersuchungen zu diesem Thema 71 bezweifeln. Daß es jedenfalls immer noch in den Köpfen der Rechtsanwender - einschließlich der Kautelarjuristen - fest verankert ist, haben die mitunter recht hilflos erscheinenden Bemühungen der Rechtsprechung bei der Bewältigung neuerer, nicht kodifizierter Vertragstypen eindrucksvoll vor Augen geführt. Diese Vertragsgebilde zeichnen sich nämlich - wie bereits einführend angemerkt wurde - 7 2 häufig durch eine komplexe, mehrgliedrige Pflichtenstruktur aus. Hier zeigt sich deutlich die Begrenztheit des Denkens in isolierten zweiseitigen Schuldvertragsbeziehungen. 73 Vor allem kann es von einem solchen methodischen Grundverständnis aus nur schwer gelingen, die wirtschaftliche Sinneinheit solcher aufeinander abgestimmter Vertragssymbiosen angemessen zu erfassen. Jedenfalls läuft eine solche Zugangsweise Gefahr, die mehrgliedrigen Vertragsverhältnisse ihrer inneren Bindung zu berauben und die Wertungszusammenhänge aus den Augen zu verlieren. 69 Gernhuber, in: FS für Larenz, S. 455; ders., Schuldverhältnis, § 311, S. 711; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 50; Pfister,]2. 1971, 284. 70 So etwa noch jüngst Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 50 in Anlehnung an eine Formulierung Gernhubers (in: FS für Larenz, S.455) aus dem Jahre 1973. 71 Neben Gernhubers Lehre von der Vertrags Verbindung (FS für Larenz, S. 455 ff. und Schuldverhältnis § 31, S. 708ff.) sind beispielhaft die Monographien von Oechsler (Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, insbes. S.340ff.), Rohe (Netzverträge), Lange (Recht der Netzwerke) und Heermann (Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte) zu nennen. 72 Vgl. §111.1. b) (3). 73 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.386ff.; Gernhuber, in: FS für Larenz, S.455ff. am Beispiel des finanzierten Abzahlungsgeschäfts; ders., Schuldverhältnis, §31 I, S. 710 („verschüttet den Zugang zu Komplexen von Schuldverhältnissen"); Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 50.

II. Kritik der herrschenden, primär normorientierten

Rechtsfindungsmethode

189

Durch einen isolierenden, den vertrauten Bahnen der bipolaren BGB-Verträge zustrebenden Denkstil ist namentlich die Rechtsprechung zum Leasingrecht geprägt.74 Zwar hat der Bundesgerichtshof in Bezug auf das Finanzierungsleasing schon früh ausgesprochen, daß die Rechts- und Sachlage durch ein „Dreiecksverhältnis" zwischen Lieferant, Leasinggeber und Leasingnehmer gekennzeichnet sei und es deshalb auf die besondere Gestaltung des Leasingverhältnisses ankomme.75 Die gebotenen Konsequenzen hat er aus dieser zutreffenden Erkenntnis in der Folgezeit freilich nicht immer gezogen. Ein krasses Negativbeispiel bietet sich insoweit in Gestalt der höchstrichterlichen Judikatur zur Anwendbarkeit der kaufmännischen Rügeobliegenheit im Vertragsverhältnis zwischen dem Lieferanten und dem Leasinggeber, wenn letzterer es mit einem Nichtkaufmann als Kunden zu tun hat. Auf der Grundlage eines formalen, bipolar strukturierten Vertragsverständnisses ließe sich argumentieren: Die von §377 Abs. 1 H G B vorausgesetzte Kaufmannseigenschaft ist in der Person des Leasinggebers in aller Regel gegeben, und zwar zumeist schon nach § 6 H G B , da das Leasinggeschäft üblicherweise von in Form von Handelsgesellschaften organisierten Kredit- oder Finanzierungsinstituten betrieben wird. Ferner stellt der Kauf- oder Werklieferungsvertrag für beide Seiten in aller Regel auch ein Handelsgeschäft (§ 343 H G B ) dar. Führt man diesen Gedanken weiter, so obläge es dem Leasinggeber, das Leasinggut zu untersuchen und etwaige Mängel zu rügen. Auf eine Nachlässigkeit seines Leasingnehmers könnte er sich nicht berufen, da dieser insoweit als sein Erfüllungsgehilfe (genauer Obliegenheitsgehilfe) angesehen werden müßte. Die verabsäumte Rüge hätte den Verlust der Sachmängelgewährleistungsansprüche gegenüber dem Lieferanten zur Folge (§377 Abs. 2 HGB). Der Leasingnehmer könnte mit seinem Wandlungsbegehren (aus abgetretenem Recht) gegenüber dem Lieferanten nicht mehr durchdringen. Im Innenverhältnis der Leasingvertragspartner würde sich dann allerdings noch die Frage erheben, ob tatsächlich dem Leasingnehmer die Folgen der Rügeversäumnis aufgebürdet werden können oder ob von einer subsidiären Einstandspflicht des Leasinggebers ausgegangen werden kann, was naheliegt, wenn man eine mietvertragliche Restverantwortlichkeit des Leasinggebers anzunehmen bereit ist. Den hier skizzierten Weg ist der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 24.1. 1990 in der Tat gegangen.76 Sein Grundverständnis der Problematik offenbaren einige Formulierungen im Urteilstext. So heißt es an einer Stelle, es gehe nicht darum, ob der Leasingvertrag unter §377 H G B falle, sondern allein um die Anwendbarkeit der §§377,378 H G B auf die Leasinggeberin und auf den

74 So zutreffend Roth, AcP 190 (1990), S.299; ähnlich Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.388ff.; Canaris (AcP 190 [1990], S.432) bemängelt ebenfalls die „Zuflucht zu starren Konstruktionen". 75 BGH NJW 1977,195 (196), 1979, 2077,1985,1544 (1544) und vor allem BGH NJW 1986, 1744 (1745). 76 BGH NJW 1990, 1290.

190

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

von ihr mit dem Lieferanten geschlossenen Kaufvertrag.77 Einige Zeilen später findet sich dann der Hinweis, die Pflichten und Obliegenheiten eines Schuldners beurteilten sich grundsätzlich in seiner Person und seiner vertraglichen Beziehung zum Gläubiger.78 Im Hinblick auf eine von Vertretern der Wissenschaft für diese Fallgestaltung erwogene,79 von ihm jedoch nachdrücklich abgelehnte, teleologische Reduktion des §377 HGB heißt es sodann, die Vertragsbeziehung zwischen dem Lieferanten und dem Leasinggeber unterscheide sich in nichts von einem gewöhnlichen Handelskauf. Daß der kaufmännische Käufer mit der Kaufsache einen Vertrag mit einem Nichtkaufmann erfüllen wolle, sei nichts Besonderes und rechtfertige nicht die Beurteilung, die Vorschrift des §377 HGB „passe" hier nicht.80 Der Bundesgerichtshof judiziert mithin erkennbar auf der Basis einer strikten Trennung der beiden, für die Rechtsfigur des Finanzierungsleasing typischen, Vertragsverhältnisse, die er in die Kategorien des Bürgerlichen Gesetzbuches (Kauf und atypische Miete) einzuordnen bestrebt ist. Die bereits beschriebenen Gefahren einer solchen Vorgehensweise zeigen sich indes gerade in diesem Falle besonders deutlich. Der Verlust des Gesamtzusammenhangs des komplexen Vertragsgefüges führt zu erheblichen Wertungswidersprüchen. So fällt auf, daß es dem Lieferanten, dem es ja in der Regel gleichgültig ist, ob er den Beschaffungsvertrag unmittelbar mit dem nichtkaufmännischen Interessenten oder einem Leasinggeber schließt, nach der Lösung des Bundesgerichtshofs rechtlich zum Vorteil gereichen würde, wenn es zur Zwischenschaltung eines Financiers in Gestalt eines Leasinggebers käme. Eine solche Privilegierung läßt sich wertungsmäßig nicht rechtfertigen, ist es doch der Lieferant, der den Vertrag mit dem Leasingnehmer abschlußreif aushandelt (beim Eintrittsmodell sogar abschließt) und damit einen Nichtkaufmann als Abnehmer der Ware akzeptiert.81 Dem Leasinggeber im Verhältnis zum Lieferanten eine Rügeobliegenheit aufzuerlegen, erscheint im übrigen nachgerade lebensfremd, denn zum einen gelangt das Leasinggut entsprechend der leasingtypischen Vertragsgestaltung, also bestimmungsgemäß, gar nicht in die Hand des Leasinggebers, und zum anderen ist der Leasinggeber mangels eigener Kompetenz oftmals nicht in der Lage, die angelieferte Ware zu begutachten.82 Zudem BGH NJW 1990, 1290 (1291 f.). BGH NJW 1990, 1290 (1292). 79 Vorangegangen waren insbesondere die Vorträge und Diskussionsbeiträge anläßlich eines Symposions über Rechtsfragen des Finanzierungsleasing in Bad Nauheim, ausführlich dokumentiert in AcP 190 (1990). In die schriftliche Fassung der Referate ist bereits die Auseinandersetzung mit der in der Zwischenzeit ergangenen Entscheidung BGH NJW 1990, 1290 eingearbeitet worden. Vgl. vor allem Canaris, AcP 190 (1990), 428ff.; Hager, AcP 190 (1990), 350. Für eine Einschränkung war im übrigen auch bereits die Vorinstanz eingetreten. 80 BGH NJW 1990, 1290 (1292f.). 81 Canaris, AcP 190 (1990), 429 bezeichnet die Anwendbarkeit des §377 HGB als „blankes Zufallsgeschenk" für den Lieferanten und Tiedtke, JZ 1991, 910 spricht von einem „Geschenk des Himmels". Kritisch auch Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rdnr. 1612; Lieh, Anm. JZ 1990,977. 82 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 64 IV, S. 120; Lieb, Anm. JZ 1990,977; Knops, JuS 1994, 77 78

II. Kritik der herrschenden, primär normorientierten

Rechtsfindungsmethode

191

müßte er bei einer solchen Prüfung den vertraglichen Erwartungshorizont des Leasingnehmers zugrunde legen, mithin die Eignung der Sache (z.B. Hardwarekonfiguration oder Softwareeigenschaften beim Computerleasing) für die speziellen Bedürfnisse des Leasingnehmers untersuchen. Die Kritik an diesem Diktum hat Flume prägnant auf den Punkt gebracht.83 Der Kauf und der Leasingvertrag bildeten, so führt er aus, zusammen die Rechtsfigur des Finanzierungsleasing, und diese Zusammengehörigkeit gehe auch den Lieferanten an. Die Entscheidung verleugne letztlich die besondere Rechtsfigur des Finanzierungsleasing, die sich aus dem Dreiecksverhältnis Lieferant, Leasinggeber, Leasingnehmer ergebe. Flume wird man auf der anderen Seite nicht dahin verstehen dürfen, daß die rechtliche Beurteilung nur auf der Grundlage eines einheitlichen dreigliedrigen Vertragsgebildes erfolgen dürfe.84 Dies wäre sicherlich eine bedenkliche Übersteigerung in die entgegengesetzte Richtung, die der Vertragsanlage ebenfalls nicht gerecht würde. Wohl aber bedarf eine an den bipolaren Grundstrukturen des Bürgerlichen Gesetzbuches ausgerichtete Betrachtungsweise der Korrektur durch eine größere Beachtung des Sinnzusammenhangs des gesamten Vertragsgefüges. Auf dieser Grundlage ließe sich sodann - worauf hier nur am Rande hingewiesen werden soll - erwägen, § 377 H G B entgegen der ganz h.M. im Verhältnis Leasinggeber - Leasingnehmer anzuwenden, wenn letzterer Kaufmann ist. 85

3. Verkennung

der Leistungsfähigkeit Vertragstypenordnung

der

normativen

Der hohe Stellenwert, der dem gesetzlich normierten Vertragstypenrecht von vielen Seiten bescheinigt wird, erweist sich somit auf dem Gebiete der nicht ko109; y[ünc\i1Lomm-Habersack, Leasing, Rdnr.37. Hinzu kommt, daß es dem Leasinggeber-jedenfalls in Allgemeinen Geschäftsbedingungen - rechtlich nicht möglich sein dürfte, die Rügelast auf den Leasingnehmer abzuwälzen (vgl. nur Ulmer/Brandner/Hensen-Zf. Schmidt, Anh. §§9-11 AGBG Rdnr.463; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rdnr. 1612). 83 Flume, DB 1991, 269; dem BGH im Ergebnis widersprechend ferner Canaris, AcP 190 (1990), S.428ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §64 IV, S.120; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.392ff.; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rdnr. 1612; MünchKommHabersack, Leasing, Rdnr. 37; Lieb, Anm. JZ 1990, 976ff.; Hager, AcP 190 (1990), S. 350; Knops, JuS 1994,109; Tiedtke, JZ 1991,907ff.; im Sinne des BGH haben sich dagegen geäußert Wank, J R 1990, 426f.; Wolf/Eckert, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, Rdnr. 1963 ff.; Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr. 501 ff.; ders., BB 1990, 4f.; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §6 II, S. 124. 84 In diese Richtung tendierend jedoch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 392ff.; noch weiter geht Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte, S. 111, der auf der Basis einer trilateral-synallagmatischen Leistungsverknüpfung von einer Lieferpflicht des Verkäufers/Lieferanten gegenüber dem Leasingnehmer ausgeht. 85 Wie hier nur Canaris, AcP 190 (1990), 431f.; im Sinne der h.M. dagegen etwa Reinicke/ Tiedtke, Kaufrecht, Rdnr. 1608 und Soergel-Kummer, Vor § 535 BGB Rdnr. 120, der eine vertragliche Abwälzung der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit verlangt.

192

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

difizierten Verträge nicht selten als Gefahr oder Hemmschuh für eine flexible und interessengerechte Umsetzung der konkreten Parteivereinbarung in die Sprache des Rechts. Er kontrastiert zudem in auffälliger Weise mit der zurückgehenden Leistungsfähigkeit der normativen Vertragstypenordnung. Diese hat den Anschluß an die rasant fortschreitende Ausdifferenzierung der Vertragspraxis bereits seit langem verloren, so daß sich - wie hier bereits beschrieben wurde - 8 6 die gesetzlichen Vertragstypen immer mehr zu einem Grobraster entwickelt haben. Die heutige Vertragswirklichkeit verlangt nach sehr viel differenzierteren Aufgliederungen, etwa nach Vertragsgegenständen, Handelsstufen, wirtschaftlichen und sozialen Gruppierungen, für die das Bürgerliche Gesetzbuch keine Handreichung bietet. Auch vor diesem Hintergrund bedarf die Rechtsfindungsmethode auf dem Gebiete der gesetzlich nicht geregelten Verträge einer Neuorientierung. Diese wird zwar nicht auf eine gänzliche Abkoppelung vom Recht der besonderen Schuldverhältnisse hinauslaufen dürfen, 87 begäbe man sich doch sonst vieler wertvoller Lösungsmuster. Wohl aber ist ein kritischeres und reservierteres Verständnis vonnöten, das das vertragliche Interessenarrangement in den Vordergrund rückt und sich ggf. differenzierten, vertragstypübergreifenden Systematisierungen öffnet.

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

Die primäre Rechtsquelle, aus der die Rechte und Pflichten der Parteien fließen, ist der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag. 88 Dies ist unmittelbar einsichtig für die nähere Ausgestaltung der Hauptleistungspflichten, deren Festlegung durch die Vertragsparteien die Rechtsordnung selbst im Bereich der gesetzlich geregelten Verträge erwartet, gilt aber auch in weitem Umfange für die Neben(leistungs-)Pflichten. Teils werden sich einem Vertrag klare Rechtsfolgeanordnungen entnehmen lassen, teils bedarf die Feststellung des vertraglichen Interessenarrangements der Erforschung der privatautonom festgelegten Interessen und Ziele der Parteien. Die damit einhergehende sorgfältige Durchdringung des spezifischen Problempotentials eines Vertrages schafft zugleich die Beurteilungsgrundlage, auf der dann auch über die eventuelle Übernahme einer gesetzlichen Vertragsregel entschieden werden kann. Die Vertragsrechtskonkretisierung verläuft damit „vom Problem zur Lösung". Einer frühzeitigen Rechtsnaturbestimmung eignet hingegen die gegenläufige - verfehlte - Tendenz. 89

86 87 88 89

Vgl. §4 III. Ebenso Martinek, Moderne Vertragstypen I, §4 I, S. 65. Zu diesem unstreitigen Ausgangspunkt Leenen, AcP 190 (1990), S.263. In diesem Sinne auch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 281.

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

1. Qualifikationshoheit

der Parteien oder Rechts

193

formzwang?

In der kautelarjuristischen Praxis stößt man immer wieder auf sog. Qualifizierungs- oder Vertragswahlklauseln, also vertragliche Abreden, mit denen die Parteien ihren Vertrag einem bestimmten Vertragstypenrecht zu unterstellen oder - im entgegengesetzten Falle - zu entziehen versuchen. Zwei praktische Anwendungsfälle aus dem Bereich der gesetzlich nicht geregelten Verträge seien den nachfolgenden Überlegungen zu diesem Thema vorangestellt. Beispiel (1): Die Parteien eines Bauträgervertrages vereinbaren, daß ihr Vertrag nicht dem Recht des Werk- oder Werklieferungsvertrages, sondern dem Kaufrecht unterstehen soll. Beispiel (2): Die Parteien eines Finanzierungsleasingvertrages schließen die Anwendung mietrechtlicher Vorschriften für ihr Vertragsverhältnis definitiv aus.

Bei der Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang derartige Vereinbarungen das für den konkreten Vertrag geltende Recht festlegen können, handelt es sich nicht nur um eine praktisch wichtige, sondern vor allem um eine grundsätzliche privatrechtsdogmatische Problematik, die der rechtlichen Würdigung nicht kodifizierter Verträge gedanklich vorgeordnet ist. Ihre Beantwortung hat bestimmenden Einfluß auf den weiteren Gang der Rechtsfindung. Im folgenden sollen nun einige eigene Gedanken zu diesem Thema vorgestellt werden. In Verfolg dieser Überlegungen soll der Versuch unternommen werden, die rechtliche Beurteilung von Qualifizierungsklauseln zu strukturieren und in den Rechtsfindungsgang zu integrieren.

a) Grundsatz der Qualifikationshoheit Privatautonomie

als Ausfluß

der

Der Konflikt setzt bereits bei der Frage an, ob eine Selbstqualifikation des Vertragsverhältnisses durch die Parteien noch als ein Akt privatautonomer - also im Grundsatz von der schuldrechtlichen Vertragsfreiheit gedeckter - Rechtsgestaltung begriffen werden kann. Wäre dies der Fall, so ginge es nur noch darum, die Grenzen einer solchen privatautonomen Betätigung abzustecken. Die Gegenansicht ist solcher Erwägungen enthoben. Die Erklärungen der Parteien wären nicht erheblich, ihnen käme keine materiellrechtlich verpflichtende Wirkung zu. Soweit die Qualifikation eines Vertragsverhältnisses als eine ausschließlich der Rechtsprechung obliegende Aufgabe und Befugnis charakterisiert wird, findet sich damit zugleich ein Kompetenzkonflikt zwischen den Vertragsschließenden auf der einen und der Zivilgerichtsbarkeit auf der anderen Seite angedeutet. Ausführlicher begründete Stellungnahmen zur Rechtslage nach dem Schuldvertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches sucht man im Schrifttum nahezu vergebens. In einigen Werken wird das Problem am Rande gestreift und - freilich ohne vertiefende Analyse - in der ein oder anderen Weise entschieden. Das Grundverständnis derjenigen, die sich gegen ein Recht der Vertragspar-

194

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

teien zur Selbstqualifikation aussprechen, läßt sich auf entsprechende Äußerungen Flumes90 zurückführen. Hiernach werde durch die für einzelne Vertragstypen bestehenden unabdingbaren Vorschriften bewirkt, daß dem Grundsatz der Vertragsfreiheit auch für das Schuldrecht die vom Gesetz aufgestellten und mit bindenden Normen erfüllten Vertragstypen vorgeordnet seien. Die Einordnung der Rechtsgeschäfte unter die gesetzlichen Vertragstypen ist für Flume demgemäß eine Sache rechtlicher Wertung auf Grund der Rechtsordnung und die unrichtige Einordnung durch die Geschäftspartner deshalb ohne Belang.91 Im Anschluß an Flume hat auch Ulrich Huber92 die Ansicht vertreten, die Klassifikation eines Rechtsverhältnisses unterliege nicht mehr der Vertragsfreiheit. Die Parteien könnten nicht bestimmen, daß ein Rechtsverhältnis, das nach der gesetzlichen Definition ein Kauf sei, als Miete gelten solle. Wohl aber könnten sie wählen, ob sie kaufen oder mieten wollen - wenn sie nur bereit seien, die Rechtsfolgen, die mit der einen oder anderen Form notwendigerweise verbunden seien, wirklich in Geltung zu setzen. Ganz ähnlich heißt es bei Canaris, die Privatautonomie schließe zwar die Freiheit in der Wahl des Vertragstyps, nicht aber die Freiheit zu dessen beliebiger Qualifikation ein.93 Ablehnend steht einem Recht der Parteien zur Selbstqualifikation neben anderen94 auch Gernhuber95 gegenüber, wobei dieser seine These, es gäbe keine Qualifikationshoheit der Parteien, immerhin insoweit abschwächt, als den Parteien die Möglichkeit verbleibe, die gewünschte Vertragsordnung total oder partiell (bis zu den Grenzen der Unverträglichkeit) ausdrücklich in ihren Vertragsinhalt aufzunehmen. Dieses - wohl als herrschend zu bezeichnende - Rechtsverständnis schlägt sich im übrigen folgerichtig auch in der Beurteilung von vertragsrechtlichen Einzelfragen nieder, so etwa bei der Frage, welche Bedeutung Aussagen der Parteien über die rechtliche Zusammengehörigkeit bzw. Trennung bestimmter Geschäfte zukommen soll.96

Flume, Rechtsgeschäft, § 1, 8, S. 13. Flume, Rechtsgeschäft, § 20, 2, S. 406; zust. MünchKomm-tframer, § 117 B G B Rdnr. 14. 92 U. Huber, JurA 1970, 796. 93 Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr. 1626. 94 Pawlowski, Methodenlehre, Rdnr. 318; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 10 III, S. 173, § 12 I, S. 211; Walz, Z H R 1 4 7 (1983), S. 287; Beuthien, in: 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 6ff.; ferner Beuthien/Wehler, Anm. AP Nr. 21 zu § 611 B G B Abhängigkeit; H. Roth, AcP 190 (1990), S. 310; Sigulla, Vertragstypologie und Gesetzesleitbilder, S. 121 ff.; Schulze-Osterloh, AcP 190 (1990), S. 145,149. Gegen ein „Prinzip der freien Rechtsformwahl" im Hinblick auf die Abgrenzung einer gesellschaftsrechtlichen Verbindung vom Arbeitsverhältnis jüngst auch von HoyningenHuene, N J W 2000, 3234f. 90 91

Gernhuber, Schuldverhältnis, § 7 IV 2, S. 153. Nicht im Sinne einer zwingenden Vorgabe für den Rechtsanwender wollen den Unifikations- oder Separationswillen verstehen: Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.345; Pfister, J Z 1971, 285; klar auch die Position von Tuhrs, Allgemeiner Teil I I / l , S. 191 Fn. 3: „Auf den Parteiwillen kann man in dieser technisch-juristischen Frage nicht abstellen: die Parteien machen sich keine Vorstellung darüber, ob bei gleichzeitigen Willenserklärungen verschiedenen Inhalts ein oder mehrere Rechtsgeschäfte vorliegen". 95

96

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

195

Das entgegengesetzte Grundverständnis geht - wie es etwa Reimer Schmidt97 formuliert hat - davon aus, daß das Prinzip der Vertragsfreiheit es der Parteiautonomie grundsätzlich einräume, einen bestimmten Vertrag den Regeln eines anderen Vertragstyps zu unterwerfen.98 In diese Richtung tendiert auch MayerMaly." Er will nach dem Charakter der Qualifikationserklärung unterscheiden. Sie könne bloße Wissenserklärung sein. Dann sei sie Ausdruck einer unzutreffenden Annahme einer oder beider Seiten und als Falschbezeichnung unbeachtlich. Es könne aber auch sein, daß die Vertragsteile ihre Regelung den für einen anderen als den verwirklichten Typ geltenden Maximen unterstellen wollten. Dann stelle sich die Qualifikationserklärung als eine Willenserklärung dar, die in den Grenzen des zwingenden Gesetzes, der guten Sitten und der übrigen Maßstäbe zulässiger Inhaltskontrolle zu beachten sei. Wäre beispielsweise Leasing allgemein nach mietvertraglichen Grundsätzen zu beurteilen, müßte es den Parteien eines Leasingvertrages unbenommen bleiben, ihn dem Darlehensrecht zu unterstellen. Sicherlich läßt sich die Problematik nicht - wie dies zuweilen anklingt - 1 0 0 im Sinne eines schlichten „iura novit curia" auflösen. Dieser Satz gibt keine Antwort auf die vorgreifliche Frage, aus welchen Quellen sich das anzuwendende Recht speist und in welchem Umfang es auf Festlegungen der Parteien beruht. Auszugehen ist vielmehr von der gesicherten Erkenntnis, daß dem objektiven Recht die vorrangige Kompetenz zusteht, die metasprachliche Entscheidung über die Anerkennung von Parteivereinbarungen zu treffen.101 Für das Schuldrecht des bürgerlichen Rechts enthält das objektive Recht in Gestalt der normativen Vertragstypen zahlreiche Einzelanerkennungen. In § 305 BGB hat der Gesetzgeber darüber hinaus zu erkennen gegeben, daß grundsätzlich auch solche Vereinbarungen rechtlichen Bestand haben sollen, die nicht oder nur teilweise unter einen gesetzlichen Vertragstyp fallen. Die in §305 BGB zum Ausdruck gelangende schuldrechtliche Vertragsfreiheit ist auf das engste verbunden mit der geschichtlichen Ausbildung des Konsensprinzips, der Maßgeblichkeit des übereinstimmenden Parteiwillens für das „Ob" und „Wie" einer rechtsgeschäftlichen Bindung. Die Vertragsfreiheit streitet für eine möglichst weitgehende Berücksichtigung des übereinstimmenden Parteiwillens.102 Der Schutzumfang der schuldSoergel-Ä. Schmidt, (10. Aufl.), Vor §305 BGB Rdnr. 14. Im Ansatz ähnlich Konzen/Rupp, EzA Art. 5 GG Nr. 9; Martens, RdA 1979, 347f. (insbes. Fn. 6); Gundlach, Konsumentenkredit und Einwendungsdurchgriff, S. 174f. 99 Staudinger-Mayer-Maly, Einl zu §§ 433 ff. BGB Rdnr. 8; ders., Rangordnung von Normen, S. 125. 100 OLG Karlsruhe NJW 1970, 1977; Hilger, RdA 1981, 266; Esser/Schmidt, Schuldrecht 11, 5. Aufl. 1975, § 1112 (S. 117f.); Fenn, Mitarbeit in den Diensten Familienangehöriger, S. 50; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §4 I, S.64 für die Unmaßgeblichkeit einer am Mietvertrag ausgerichteten Nomenklatur eines Leasingvertrages; im Ergebnis wie hier Baur, in: FS für Bötticher, S.4 und Sigulla, Vertragstypologie und Gesetzesleitbilder, S. 125. 101 Eingehend Wank, Rechtstheorie 13 (1982), S.490ff. m.w.N. 102 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 104. 97 98

196

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

rechtlichen Vertragsfreiheit sollte daher, aber auch in Anlehnung an allgemeine grundrechtstheoretische Vorstellungen,103 im Zweifel eher weit abgesteckt werden.104 Die notwendige Einengung kann dann von den Schranken her erfolgen. Zu widersprechen ist daher der nicht weiter begründeten Behauptung Flumes, daß die vom Gesetz aufgestellten Vertragstypen dem Grundsatz der Vertragsfreiheit für das Schuldrecht vorgeordnet seien.105 Eine solche Sichtweise trägt dem Bedeutungswandel, den das gesetzliche Vertragstypenrecht seitdem in langer Entwicklung erfahren hat, nicht hinreichend Rechnung. Die Väter des Bürgerlichen Gesetzbuches gingen jedenfalls - wie der historische Rückblick gezeigt hat - 1 0 6 von einem Vorrang der privatautonom gesetzten Regelung vor der Reserveordnung des dispositiven Gesetzesrechts aus. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang ferner die Entstehungsgeschichte des heutigen §651 BGB. Der Entwurf der ersten Kommission sah für den Werklieferungsvertrag in § 568 Abs. 1 folgende Regelung vor: „Hat der Unternehmer sich verpflichtet, aus einem von ihm selbst zu beschaffenden Stoff das Werk herzustellen und dem Besteller zu liefern, so finden auf den Vertrag, sofern nicht ein Anderes vereinbart ist, die für den Kaufvertrag geltenden Vorschriften Anwendung." In den Motiven107 heißt es hierzu, den Parteien müsse es mit Rücksicht auf die verschiedenen möglichen Auffassungen des in Rede stehenden Vertrages kraft der Autonomie gestattet sein, sich den Rechtsnormen über den Werkvertrag in beliebigem Umfang zu unterwerfen. Zwar ist diese Regelung des ersten Entwurfs nicht Gesetz geworden. Daß im Bürgerlichen Gesetzbuch schließlich einer nach obj ektiven Kriterien differenzierenden Lösung der Vorzug gegeben wurde, läßt jedoch nicht den Schluß zu, daß damit die Typenwahlfreiheit aus grundsätzlichen Erwägungen ausgeschlossen sein sollte. Vielmehr bestand unter den ersten Interpreten des §651 B G B weiterhin Einigkeit, daß es den Parteien auch im Hinblick auf den geänderten Wortlaut freistehe, die Anwendbarkeit des Werkvertrags- oder Kaufrechts zu vereinbaren.108 Zumindest für einen bestimmten Anwendungsfall wurde somit die Qualifikationsbefugnis der Parteien bejaht. 109 Die Begründung in den Motiven deutet sogar darauf hin, daß der damalige Ge-

103 P. Schneider, in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. 2, S. 263 ff. Die Tendenz zu einer weiten Auslegung der Grundrechtsnormen hat sich in der Rechtsprechung des BVerfG in zahlreichen Entscheidungen manifestiert. Aus der Rechtsprechung des BVerfG neben vielen Einzelentscheidungen vor allem BVerfGE 6 , 5 5 , 7 2 („Dabei ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die die juristische Wirkungskraft der betreffenden Norm am stärksten entfaltet."); ebenso BVerfGE 32, 54 (71). 104 Ahnlich Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S. 199: „Vermutung für die Regelungstauglichkeit der Vertragsfreiheit". 105 Flume, Rechtsgeschäft, § 1, 8, S. 13. 106 Vor allem §3 VI. 107 Motive Bd.2, S.475f. 108 Wittich, GruchBeitr. 49 (1905), S.279; Planck-Oegg, §651 B G B Anm. 1; Oertmann, §651 B G B Anm. 4; Staudinger-Kober, 7.1%. Aufl. 1912, § 651 B G B Anm. V; Riezler, Werkvertrag, S. 69. 109 Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S.214. Zurückhaltender in der Bewertung Sigulla, Vertragstypologie und Gesetzesleitbilder, S. 128.

III. Vorrangige

Ausschöpfung

des vertraglich

Vereinbarten

197

setzgeber von einem grundsätzlichen Recht der Parteien zur Qualifikation ihres Vertrages als Ausfluß des Autonomieprinzips ausgegangen ist. Vor diesem Hintergrund wird man die schuldrechtliche Vertragsfreiheit nicht auf das bloße Recht der Partner eines Schuldvertrages verkürzen können, die Leistungen inhaltlich frei zu bestimmen. 110 Die Parteien können sich in ihrem Vertrag auch des Rechtsfolgeprogramms annehmen, also beispielsweise die Sanktionen für den Fall einer mangelhaften Lieferung abweichend vom Gesetz regeln oder in diesem Punkte der Regelung eines anderen gesetzlichen Vertragstyps angleichen. 111 Von hier verläuft linear ansteigend und ohne Zäsur eine Linie zu einer Vertragsgestaltung, die das gewünschte Vertragstypenrecht in toto gleichsam in den Vertrag inkorporiert. Im Beispielsfall (1) werden etwa die §§433ff. BGB sinngemäß im Vertragstext wiederholt. Auf nichts anderes zielt eine entsprechende Qualifikation des Vertrages durch die Parteien. Diese stellt sich bei Lichte besehen somit als eine bloße rechtstechnische Verkürzung der oben geschilderten Vorgehensweise dar.112 Letztere ist aber - wie gesehen - im Ausgangspunkt von der schuldrechtlichen Vertragsinhaltsfreiheit gedeckt ist und nimmt diese letzlich nur in extensiver Weise in Anspruch. Bemerkenswert ist auch, daß anderenorts gestützt auf §305 BGB Qualifizierungserklärungen der Parteien durchaus Beachtung finden. So liegt es beispielsweise, wenn es den Partnern eines abgeschlossenen Vertrages gestattet sein soll, dessen Rechtsnatur durch übereinstimmende Erklärung unter Wahrung seiner Identität zu ändern. 113 Das hier befürwortete weite Verständnis der Privatautonomie im Schuldvertragsrecht steht entgegen manchen Stimmen im Schrifttum 114 auch nicht im Widerspruch zur Dogmatik der Willenserklärung. Der subjektive Tatbestand einer Willenserklärung setzt sich nach herrschender Meinung aus dem Handlungswillen, dem Erklärungswillen oder -bewußtsein und dem Geschäftswillen zusammen. 115 Als Geschäftswillen bezeichnet man dabei den Willen des Erklärenden, mit seiner Erklärung eine bestimmte Rechtsfolge herbeizuführen. 116 Dieses So aber Flume, Rechtsgeschäft, § 1, 8, S. 12. So zutreffend OLG Frankfurt a.M. NJW 1993, 1477 und OLG Zweibrücken NJW 1998, 1409 (1410). 112 Dies gegen Gernhuber, Schuldverhältnis, § 7IV 2, S. 153; wie hier Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S. 203, treffend schreibt er: „Die Bestimmung des Tatbestandes durch eine Qualifizierungsklausel ist in Wahrheit die verkappte Bestimmung von Rechtsfolgen durch eine Generalverweisung auf ein bestimmtes Vertragsmodell." 113 OLG Celle WM 1988, 1815f. (Bürgschaft in Darlehen); zustimmend Palandt-Heinrichs, §305 BGB Rdnr.2. 114 Beuthien/Wehler, Anm. AP Nr.21 zu §611 BGB Abhängigkeit; Beuthien, in: 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S.9f.; Rosenfelder, Der arbeitsrechtliche Status des freien Mitarbeiters, S.132f.; vgl. auchiC Schmidt, Stellung der oHG, S. 161 ff., der hinter dem gesellschaftsrechtlichen Rechtsformzwang eine Verkürzung der Willensseite beim Vertragsschluß wähnt. 115 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §24 Rdnr.2ff.; Palandt-Heinrichs, Einf. v. §116 BGB Rdnr. 1; S o e r g e l - H e f e r m e h l , Vor § 116 BGB Rdnr. 6; Erman-Palm, Vor § 116 BGB Rdnr. 2ff.; Eisenhardt, Allgemeiner Teil, Rdnr. 61 ff.; kritisch Flume, Rechtsgeschäft, § 4, 3, S. 47ff. 116 Erman-Palm, Vor § 116 BGB Rdnr. 4; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §24 Rdnr. 9. 110 111

198

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Element kommt auch in der Definition der Willenserklärung als Äußerung, die auf die Herbeiführung eines rechtsgeschäftlichen Erfolges gerichtet ist,117 zum Ausdruck. Ein solcher Geschäfts- oder Rechtsfolgewille setzt nicht voraus, daß der Erklärende eine ins einzelne gehende Vorstellung über die rechtstechnische Herbeiführung des angestrebten wirtschaftlichen Erfolges hat. Es genügt vielmehr, daß dieser als rechtlich gesichert und anerkannt gewollt ist. 118 Verlangt wird nur, daß sich der Wille auf die tatsächlichen Umstände bezieht, aus denen sich die Rechtsfolge ergibt.119 Diesem geminderten Anforderungsprofil entspricht die Abgrenzung des beachtlichen Inhaltsirrtums vom unbeachtlichen Rechtsfolgeirrtum, nach der - kurz gesagt - ein Anfechtungsrecht nur dann bestehen soll, wenn sich der Irrtum auf die mit der Erklärung erstrebte rechtsgeschäftliche Hauptfolge bezieht, während Fehlvorstellungen hinsichtlich der sonstigen ex lege eintretenden Rechtsfolgen kein Anfechtungsrecht begründen sollen.120 Eine Willenserklärung kann den gewünschten rechtlichen Erfolg mithin auch dann erzielen, wenn sie keine Entscheidung über die rechtliche Qualifizierung umfaßt. Man kann dies dahingehend ausdrücken, daß die Zuordnung eines erklärten und durch das Erklärungsbewußtsein der Rechtsordnung unterstellten Geschäftswillens zu einem bestimmten Geschäftstyp in diesem Falle durch die Rechtsordnung erfolgt.121 Bedenken ruft hingegen die weitergehende Schlußfolgerung hervor, die rechtliche Zuordnung des Parteiwillens zu einem bestimmten gesetzlich vorgeformten Vertragstyp vollziehe stets die Rechtsordnung.122 Denn der Schluß aus der Entbehrlichkeit auf die Unbeachtlichkeit jeglicher eigener Qualifizierung durch die Beteiligten ist schlechterdings nicht zwingend.123 Die unterstützende Reservefunktion der dispositiven Vertragsordnung, die auch einem nur rudimentär ausgebildeten Geschäftswillen zur Geltung verhilft und ihm einen angemessenen Rechtsrahmen zur Verfügung stellt, kann zurücktreten, wenn sich die Parteien dieser Aufgabe selbst angenommen haben. Es ist - wie Wank zutreffend feststellt - 1 2 4 nicht Sache der Rechtsordnung, die Gewichte anders zu verteilen, als die Parteien gewollt haben oder ihnen sogar - so wird man hinzufügen müssen - ein nicht gewolltes Vertragstypenrecht aufzuoktroyieren. Der Geschäftswille muß sich somit nicht

Vgl. bereits Motive I, S. 126; ferner Erman-Pa/m, Vor § 116 BGB Rdnr. 1. BGH NJW 1993, 2100; Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 116 BGB Rdnr. 4. 119 Beuthien/Wehler, Anm. AP Nr.21 zu §611 BGB Abhängigkeit, Beuthien, in: 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 9 und Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 109 jeweils unter Hinweis auf Flume, Rechtsgeschäft, §4, S.46ff. und §23, 4, S.465ff. 120 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §36 Rdnr.83; Erman-Palm, §119 BGB Rdnr.37; Lieb, Ehegattenmitarbeit, S.27ff.; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 109. 121 Beuthien/Wehler, Anm. AP Nr.21 zu §611 BGB Abhängigkeit; Beuthien, in: 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 9f. 122 Beuthien/Wehler, Anm. AP Nr. 21 zu §611 BGB Abhängigkeit; Beuthien, in: 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 9f.; ebenso Flume, Rechtsgeschäft, §20, 2, S. 406. 123 Lieb, Ehegattenmitarbeit, S. 20. 124 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 110. 117 118

III. Vorrangige

Ausschöpfung

des vertraglich

Vereinbarten

199

in der Individualisierung des Geschäftsinhalts erschöpfen. 1 2 5 Er kann darüber hinaus in der Weise qualifiziert sein, daß er zugleich eine Entscheidung über die Zuweisung des sachlich G e w o l l t e n zu bestimmten N o r m e n k o m p l e x e n beinhaltet. D e r Qualifizierungswille ist Teil des rechtlich Gewollten, der Willenserklärung. 1 2 6 Im Rahmen der Bestimmung des rechtlich maßgebenden Inhalts einer Willenserklärung ist eine Qualifikationsabrede demnach - in noch aufzuzeigenden Wirksamkeitsgrenzen - durchaus beachtlich. Ein Widerspruch zur D o g m a tik der Willenserklärung ist nicht erkennbar. W e n n im übrigen f ü r die Abgrenzung des freien Dienstvertrages v o m A r beitsvertrag 1 2 7 und f ü r das Gesellschaftsrecht 1 2 8 unter Aufbietung allen argumentativen Scharfsinns ein Rechtsformzwang postuliert wird, so zeigt sich daran nur augenfällig, daß es sich hierbei ganz offensichtlich u m besonders begründungsbedürftige Ausnahmeerscheinungen handelt, die letztlich nur die Regel bestätigen. Bezeichnenderweise w i r d der Rechtsformzwang auf diesen Gebieten auch sehr häufig als Einschränkung der Privatautonomie ausgegeben. 1 2 9 Zudem bestätigt gerade die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung die grundsätzliche Beachtlichkeit einer Selbstqualifikation. Z u m einen, indem sie es f ü r zulässig erachtet, ein freies Dienstverhältnis durch Parteiabsprache dem Arbeitsrecht zu unterstellen, 1 3 0 und z u m anderen, indem sie im Falle eines non liquet den Partei-

125 Konzen, ZfA 1982, 293; Konzen/Rupp, Anm. EzA Art 5 GG Nr. 9: „Die Parteien dürfen mehr regeln, als zur Individualisierung des Geschäftsinhalts erforderlich ist." 126 Lieb, Ehegattenmitarbeit, S. 18ff.; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 109; wohl auch Fenn, in: FS für Bosch, S. 184ff. 127 MünchArbR-Richardi, §23 Rdnr.53; Erman-Hanau, §611 BGB Rdnr.9; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 104ff.; Fenn, Mitarbeit in den Diensten Familienangehöriger, S. 4$tf.-Jahnke, ZHR146 (1982), 613ff.; Konzen/Rupp, Anm. EzA Art. 5 GG Nr. 9; Konzen, ZfA 1982,292f.; Martens, RdA 1979,347ff.; Beuthien/Wehler, AP Nr. 21 zu §611 BGB Abhängigkeit; Beuthien, in: 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 6ff.; ebenso schon Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 97. Für mißverständlich hält dies Preis (Grundfragen der Vertragsgestaltung, S. 380ff. und ErfK, §611 BGB Rdnr. 48), folgt der h.M. im Ergebnis jedoch in weiten Teilen. Vollkommen eigene Wege, die im Ergebnis auf eine Stärkung der parteiautonomen Qualifikationsentscheidung zielen, beschreiten Heinze (Der richtige Vertrag für jede Arbeit, S. 94,103ff.) und Lieb (RdA 1975, 49ff.; vgl. hierzu vor allem die Kritik von Fenn, in: FS für Bosch, S. 178ff. und Jahnke, ZHR 146 [1982], S.617ff.). 128 H.P Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.118ff.; Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, S.5f.; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §9 Rdnr.36;/^¿«¿e, ZHR 146 (1982), S.602ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, §1 III, S.42; Eisenhardt, Gesellschaftsrecht, Rdnr.29f.; eingehend unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte K. Schmidt, Stellung der oHG, S. 121 ff.; für das schweizerische Recht Koller, Grundfragen einer Typuslehre im Gesellschaftsrecht, S. 96ff. und 126ff.; abweichend hinsichtlich der Folgen einer Rechtsformverfehlung auch hier wieder Lieb, Ehegattenmitarbeit, S. 18 ff. und sympathisierend Wiedemann, in: FS für Harry Westermann, S. 601 und Battes, AcP 174 (1974), S. 429ff. 129 Vgl. etwa Battes, AcP 174 (1974), S.433; Martens, RdA 1979, 347; Fenn, in: FS für Bosch, S.177; Jahnke, ZHR 146 (1982), S.598. 130 BAG NZA 1987,629 (630); LAG Köln ArbuR 1996,412. Zustimmend etwa Jahnke, ZHR 146 (1982), S.621; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung, S.385; ErfK-Preis, §611 BGB Rdnr. 46.

200

5 7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

willen entscheiden lassen will. 131 Erkennbar wird hier zudem, daß eine Parteiqualifikation umso eher respektiert werden kann, je weniger sie an zwingenden Sozialschutzvorschriften rüttelt. Dies deutet wiederum darauf hin, daß es in Wahrheit allein um eine sachgerechte Begrenzung der grundsätzlich anzuerkennenden Qualifikationshoheit der Parteien geht. Eine interessante, die hier vertretene Rechtsansicht unterstützende Parallele findet die Problematik der Parteiqualifikation im übrigen im internationalen Schuldvertragsrecht. 132 Dort findet die materiellrechtliche Privatautonomie ihre Entsprechung in dem sog. Grundsatz der Parteiautonomie, der Vorherrschaft des Parteiwillens, die sich in der Freiheit der Parteien niederschlägt, das für ihre Vertragsbeziehung maßgebliche Recht selbst zu bestimmen. 133 Dieser heute in Art. 27 Abs. 1 EGBGB verankerte Grundsatz weist nicht nur entwicklungsgeschichtlich engste Verbindungen zur Ausbildung des Prinzips der Privatautonomie auf. 134 Auch ihre sachliche Rechtfertigung findet die Parteiautonomie in ähnlichen Gründen wie die materiellrechtliche Privatautonomie: „Die materiellrechtliche Privatautonomie rechtfertigt sich als Chance, ein Leistungsverhältnis gemäß den individuellen Bedürfnissen der Parteien und damit besser als eine notwendigerweise grob typisierende generelle Norm regeln zu können. Dementsprechend bietet die Parteiautonomie die Möglichkeit, die für das konkrete Vertragsverhältnis charakteristischen ökonomischen Verknüpfungen zu berücksichtigen." 135 Ferner wird als wichtiger Vorzug der kollisionsrechtlichen Parteiautonomie hervorgehoben, daß sie die Rechtssicherheit erhöhe, indem sie es den Parteien ermögliche, die hoffnungslosen Schwierigkeiten einer objektiven Anknüpfung zu überwinden. 136 Analog hierzu bietet es sich an, auch den Parteien eines deutschem Recht unterfallenden Schuldvertrages durch die Zuerkennung einer autonomen Qualifizierungsbefugnis ein Mittel an die Hand zu geben, ihren Vertrag den Unsicherheiten zu entheben, die eine vom herkömmlichen abweichende Vertragsgestaltung angesichts der unscharfen und mitunter umstrittenen Grenzen der einzelnen gesetzlichen Schuldvertragstypen typi131 BAG AP Nr. 6, 10, 12 zu §611 BGB Abhängigkeit. Zustimmend die h.L., allerdings zumeist mit der Einschränkung, daß keine Störung der Vertragsparität gegeben sein darf: G. Hueck, DB 1955, 387; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S.106ff.; MünAKrb^-Richardi, §23 Rdnr. 56; Fenn, in: FS für Bosch, S. 188; Martens, RdA 1979, 353. Kritisch gegenüber einer solchen Öffnung dagegen Hilger, RdA 1989, 6f. und Rosenfelder, Der arbeitsrechtliche Status des freien Mitarbeiters, S. 150f. 132 Hierauf haben schon Sieg, SGb. 1968, 513f. und Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S.214ff. hingewiesen. 133 Dies umfaßt übrigens auch das Recht, eine negative Rechtswahl zu treffen, also eine Rechtsordnung, die kraft objektiver Anknüpfung Vertragsstatut wäre, auszuschließen (vgl. Soergel-von Hoffmann, Art. 27 EGBGB Rdnr. 19). Insoweit fällt eine gewisse Parallele zum Beispielsfall (2) ins Auge. 134 Hierzu neuerdings eingehend Pills, Parteiautonomie, insbes. S.24ff.; vgl. ferner MünchKomm-Thode, §305 BGB Rdnr.47 m.w.N. 135 Soergel-fo« Hoffmann, hn.27 EGBGB Rdnr.5; ferner lAünchKomm-Martiny, Art.27 EGBGB Rdnr. 7. 136 Simitis, JuS 1966, 210; Wischer!Huber/Oser, Internationales Vertragsrecht, Rdnr.23.

III.

Vorrangige Ausschöpfung

des vertraglich

Vereinbarten

201

scherweise mit sich bringt. 137 Die Rechtswahlfreiheit des Art. 27 Abs. 1 E G B G B wird im übrigen auch deshalb für unbedenklich gehalten, weil der größte Teil des Schuldrechts ohnehin von dispositiver Natur sei,138 eine Erwägung, die in gleicher Weise auch für eine Qualifikationshoheit der Vertragsparteien im nationalen Schuldrecht ins Feld geführt werden kann. Die Parteiautonomie erlaubt es den Vertragspartnern mithin, sich über eine gesamte Rechtsordnung grundsätzlich einschließlich ihrer zwingenden Vorschriften - hinwegzusetzen. Die von den Vertragspartnern vorgenommene Zuordnung ihres Vertrages zum Recht eines gesetzlich geregelten Vertragstyps innerhalb des nationalen Rechts wird man zwar demgegenüber nicht unbedingt als ein „minus" verstehen dürfen. Aber selbst wenn ein Schluß a fortiori nicht gestattet sein sollte - die These, daß den Parteien keine materiellrechtlich wirkende Qualifikationsbefugnis zusteht, wäre immerhin vor diesem Hintergrund nochmals zu überdenken. 139 Nach hiesiger Ansicht empfiehlt sich gerade auch die Regelungstechnik des internationalen Privatrechts, nämlich einerseits die Gewährung umfassender Wahlfreiheit (Art. 27 Abs. 1 E G B G B ) und andererseits die Verhinderung unerwünschter Auswüchse durch Aufstellung äußerster Grenzen (Art. 27 Abs. 3,29 Abs. 1, 30 Abs. 1, 34,6 E G B G B ) , als das freiheitlichere und flexiblere Modell. 140

b) Grenzen

der

Qualifikationshoheit

Das Problem der sonach grundsätzlich anzuerkennenden Qualifikationshoheit der Parteien eines schuldrechtlichen Vertrages ist mithin das ihrer Grenzen. Es geht im Kern darum, die Qualifikationsabrede der Vertragsparteien darauf hin zu überprüfen, ob sie den unverzichtbaren inhaltlichen Mindestanforderungen der Zivilrechtsordnung (§§ 138, 242 B G B , §9 A G B G ) entspricht. Dogmatisch korrekt und darüber hinaus verallgemeinerungsfähig ist die mit Blick 137 Den Vorteil der Rechtssicherheit erwähnt auch Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S.213. 138 MünchKomm-Martiny, Art. 27 E G B G B Rdnr. 7 und Kege/Schurig, Internationales Privatrecht, §18 I, S.571. 139 Anregend in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung des O L G Hamm NJW-RR 1999, 364, nach der die Parteien eine bindende Rechtswahl in der Weise treffen können, daß sie erklären, nicht das CISG, sondern das Werkvertragsrecht des B G B solle Anwendung finden. 140 Die Grenzziehung im einzelnen ist umstritten (vgl. hierzu MünchKomm-Martiny, Art. 27 E G B G B Rdnr. 8ff.; zur Rolle des AGB-Gesetzes Ulmer/Brandner/Hensen-//. Schmidt, Anh. §§ 9-11 A G B G Rdnr. 575ff.). Hervorzuheben ist, daß jedenfalls bei einem reinen Binnensachverhalt eine Verweisung auf das Recht eines ausländischen Staates zwar zulässig ist, gem. Art. 27 Abs. 3 E G B G B jedoch sämtliche zwingenden Vorschriften des materiellen Rechts des Staates, in dem alle anderen Elemente des Sachverhalts liegen, weiterhin Geltung beanspruchen. Im Ergebnis kommt der Verweisung somit nur materiellrechtliche Wirkung zu (zum Unterschied zwischen einer kollisionsrechtlichen und einer materiellrechtlichen Verweisung siehe Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 18 I, S.571 f. und Palandt-Heldrich, Kn.27 E G B G B Rdnr. 1). Wie die Diskussion um den Rechtsformzwang im Arbeits- und Gesellschaftsrecht gezeigt hat, markieren die zwingenden Vorschriften auch die äußersten Grenzen einer privatautonomen Qualifikationsentscheidung, so man sie - wie hier vertreten - überhaupt für zulässig erachtet.

202

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

auf das Arbeitsrecht von Preis aufgestellte These, bei der Diskussion um die Dispositivität des Arbeitnehmerbegriffs gehe es vor allem um Fragen der Inhalts- bzw. Angemessenheitskontrolle.141 Es ist allein der vorwirkende Vertragsinhaltsschutz, der mögliche Einschränkungen der Qualifikationsautonomie der Vertragsparteien zu rechtfertigen vermag. Wo diese Grenze verläuft, ist für jede Fallkonstellation gesondert festzustellen. Besonderes Gewicht kommt hierbei den zwingenden Bestimmungen des gesetzlichen Vertragsrechts zu. Deren Geltungsanspruch und Schutzzweck gilt es zu analysieren und zu dem in Rede stehenden konkret-faktischen Vertrag in Beziehung zu setzen. Tendenziell gilt: „Die Rechtsformwahl ist umso eingeschränkter, je mehr der jeweilige Vertragstyp von zwingenden Rechtsregeln geprägt ist."142 Vorformulierte Qualifikationsklauseln unterliegen zudem einer verschärften, nämlich am Maßstab der Unangemessenheit ausgerichteten Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG. Ergänzend ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß solchen Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch ein Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt innewohnen kann mit der Folge, daß sie als überraschend im Sinne des § 3 AGBG zu qualifizieren wären und schon gar nicht Vertragsbestandteil werden könnten. Fänden sich etwa die Beispielsklauseln (1) und (2) in einem Formularvertrag, so wäre - wenn der Verwender nicht ausdrücklich auf sie hinweist und ihren Regelungsgehalt dem Vertragspartner verdeutlicht - ihre Einbeziehung in den Vertrag doch mehr als zweifelhaft. Die Frage der inhaltlichen Unangemessenheit bliebe freilich auch dann für das Verbandsklageverfahren von Bedeutung. c) Konsequenzen

für die praktische

Rechtsanwendung

Im folgenden sollen nun die praktischen Konsequenzen dieser Feststellungen für die Rechtsanwendung aufgezeigt und die maßgeblichen Kriterien näher aufgeschlüsselt werden.143 Aus dem bisher Gesagten ergibt sich eine Zweiteilung des Prüfungsgangs:144 Zunächst ist der Parteiwille im Wege der Auslegung der qualifikatorischen Passagen einschießlich der übrigen Vertragsbestimmungen zu ermitteln. Im Anschluß hieran tritt die Bewertung durch die Rechtsordnung. Erst auf dieser zweiten Stufe kommt es zu einer kontrollierenden Wertung des Vertragsinhalts. Die maßgeblichen Kriterien der inhaltlichen Überprüfung sollen wegen des engen Zusammenhangs und der Rückwirkungen auf die Auslegung der übrigen Vertragsbestimmungen bereits in diesem Kapitel mitbehandelt werden. 141 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung, S. 380ff.; ErfK-Preis, §611 BGB Rdnr. 53 und 78; in diese Richtung jetzt auch Kreuder, ArbuR 1996, 387f. 142 ErfK-Preis, §611 BGB Rdnr. 53. 143 Speziell zu den Konsequenzen für die praktische Rechtsanwendung im Arbeitsrecht Stoffels, NZA 2000, 693 ff. 144 In diesem Sinne schon Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 109; ähnlich Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung, S.380ff.; ErfK-Pra's, §611 BGB Rdnr. 48 und 77f.

III.

Vorrangige Ausschöpfung

(1) Würdigung einer Selbstqualifikation Vertragsauslegung

des vertraglich

Vereinbarten

im Rahmen

203

der

Die Ermittlung des rechtlich maßgeblichen Sinnes einer Parteivereinbarung nimmt ihren Ausgang in der Auslegung der Parteierklärungen. Finden sich im Vertrag Aussagen der Parteien zur rechtlichen Einordnung ihrer Rechtsbeziehungen, so ist die Auslegung auch hierauf zu erstrecken. Es gilt dann die Bedeutung derartiger Äußerungen zu bestimmen und im Kontext der Einzelregelungen das vertragliche Pflichtenarrangement zu entfalten. Im Vertrag enthaltene Aussagen der Parteien zur Rechtsnatur ihres Vertragsverhältnisses können entweder eine von einem entsprechenden Rechtsfolgewillen getragene Willenserklärung oder aber eine nicht weiter bedachte, evtl. auf oberflächlicher Formulierung beruhende, deklaratorisch verstandene Wissenserklärung sein. 145 Die Abgrenzung beider Alternativen ist ebenfalls eine Frage der Auslegung. 146 (a) Die Bedeutung des Wortlautes - aufgezeigt am Beispiel des Akquisitionsvertrages zwischen Kreditkartenausgeber und Vertragsunternehmen Die Auslegung richtet sich auch bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach den allgemeinen Regeln, allerdings mit der Maßgabe, daß die besonderen Umstände des Einzelfalles regelmäßig keine Berücksichtigung finden. Es gehört zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen, daß die Vertragsauslegung in erster Linie den von den Parteien gewählten Wortlaut der Vereinbarungen und den diesem zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen zu berücksichtigen hat. 147 Äußerungen zur rechtlichen Einordnung des abgeschlossenen Vertrages können innerhalb des Vertragstextes in zweierlei Gestalt auftreten. Zunächst ist es denkbar, daß sich die Parteien über die Rechtsnatur ihres Vertrages verständigen und diese Einigung expressis verbis in Form einer sog. Qualifizierungsklausel in den Vertragstext aufnehmen. 148 Einer solchen Parteiabrede kommt ob ihres eindeutigen Inhalts ein hoher Stellenwert im Interpretationsgeschehen zu. Die in ihr enthaltene Rechtsfolgeanordnung kann im Rahmen der Auslegung allenfalls dann noch überwunden werden, wenn sie sich in Widerspruch zu den sonstigen Festsetzungen des Vertrages begibt. 149 Korrigieren läßt sich eine solch eindeutige Festlegung meist nur noch im Wege der Inhaltskontrolle.

145 Zutreffend Stza&mger-Mayer-Maly, Einl zu §§433ff. B G B Rdnr. 8; ders., Rangordnung von Normen, S. 125. 1 4 6 B G H LM §2084 B G B Nr. 13; MünchKomm-Mayer-Maly, § 133 B G B Rdnr. 133; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 25; Larenz/Wolj, Allgemeiner Teil, §28 Rdnr. 34. 147 Ständige Rechtsprechung; zuletzt B G H NJW 1993, 721 (722); 1994,188 (189); 1995,1212 (1213); Palandt-Heinrichs, § 133 B G B Rdnr. 14. 1 4 8 Hierfür steht stellvertretend Beispiel (1). 149

Vgl. hierzu sogleich unter (c).

204

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Der Qualifizierungswille der Parteien kann sich allerdings auch in der Wahl einer entsprechenden Terminologie ausdrücken. Die Aussagekraft der Bezeichnung der Vertragspartner und der geschuldeten Leistung hängt von den Umständen und Hintergründen des jeweiligen Sachverhalts ab und läßt sich schwerlich allgemeingültig beschreiben. Jedenfalls dürfte sie tendenziell geringer sein als die einer entsprechenden ausdrücklichen Qualifizierungsklausel. So war die in der Anfangszeit des Leasing verbreitete mietrechtliche Terminologie eher Ausdruck einer Verlegenheit der Kautelarjurisprudenz als eines Willens, diesen Vertragstyp dem Mietrecht zu unterstellen. Die Rechtsprechung hat ihr sicherlich zu große Beachtung geschenkt. Zutreffend hat der Bundesgerichtshof hingegen auf die Wortwahl der Parteien abgestellt, als es um die Beurteilung der Rechtsnatur eines Akquisitionsvertrages des Ausstellers einer Universalkreditkarte mit einem ihm verbundenen Vertragsunternehmen ging.150 Die Entscheidung und ihre Aufnahme im Schrifttum zeigen exemplarisch die typischen Argumentationsmuster auf und sollen daher nachfolgend näher betrachtet werden. Im Akquisitions- oder Akzeptanzvertrag verpflichtet sich das Vertragsunternehmen (z.B. Hotel, Tankstelle, Dienstleistungsunternehmen) die von dem Kreditkartenunternehmen emittierten Kreditkarten als Zahlungsmittel zu akzeptieren und den Kunden die gleichen Bedingungen wie Barzahlern zuzugestehen. Unter der Voraussetzung der Vorlage ordnungsgemäßer Belastungsbelege verspricht das Kreditkartenunternehmen im Gegenzug die Schulden des Karteninhabers bei dem Vertragsunternehmen abzüglich eines Prozentsatzes vom Nominalbetrag (Disagio) zu begleichen. Die rechtliche Qualifikation dieser Zahlungszusage des Kreditkartenausgebers ist Gegenstand einer lebhaften Diskussion. Ihr kommt erhebliche Bedeutung zu für den Fall, daß das Valutaverhältnis zwischen dem Karteninhaber und dem Vertragsunternehmen Mängel aufweist, die Forderung insbesondere nicht entstanden ist. Ein solcher Fall lag auch der bereits erwähnten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde.151 Der Karteninhaber war unerkannt geisteskrank und konnte sich nicht wirksam gegenüber dem Vertragsunternehmen verpflichten. Zu entscheiden war, ob das Kreditkartenunternehmen aufgrund des formal ordnungsgemäß ausgestellten Belastungsbelegs dem Vertragsunternehmen gleichwohl zur Zahlung verpflichtet war. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Kreditkartenunternehmens waren in den hier maßgeblichen Punkten wie folgt formuliert: 152

150 B G H N J W 1990, 2880; ebenso hat mittlerweile entschieden O L G Schleswig W M 1991, 453; a.A. noch zuvor L G Düsseldorf W M 1984, 990. 151 B G H N J W 1990, 2880. 152 Die heute aktuellen Vertragspartnerbedingungen der führenden Kreditkartenemittenten weichen in diesem Punkte nicht nennenswert von den Formulierungen der damals streitgegenständlichen Eurocard-Bedingungen ab. Vgl. im einzelnen die Zusammenstellung bei Taupitz, Zivilrechtliche Haftung bei Kreditkartenmißbrauch, S. 309ff. Im Sinne einer Zahlungsgarantie sind

III.

Vorrangige Ausschöpfung

des vertraglich

Vereinbarten

205

„3 • Übertragung von Forderungen. Sie verkaufen und übertragen uns alle Forderungen gegen Karteninhaber gemäß den nachstehenden Allgemeinen Richtlinien .... Wir werden Ihnen den Gesamtbetrag der Forderungen abzüglich der vereinbarten Gebühren vergüten. Unsere Ankaufsverpflichtung für jede einzelne Forderung ist jedoch auf einen Gesamtbetrag von 1000 D M für Eurocard ... pro Tag und Karteninhaber beschränkt. (•••) Sollten wir Forderungen, die den Bestimmungen des vorstehenden Absatzes nicht entsprechen, dennoch kaufen und darauf Zahlung leisten, so erfolgt dies unter Vorbehalt des vollen Rückgriffs gegen Sie. 5. Beschwerden und Reklamationen. Beschwerden und Reklamationen wegen erbrachter Leistungen Ihres Unternehmens werden Sie unmittelbar mit dem Karteninhaber regulieren. Wenn sich ein Karteninhaber weigert, die uns übertragene Forderung zu begleichen, werden Sie uns den in Frage stehenden Betrag erstatten. Wir sind auch berechtigt, einen solchen Betrag von anderen Zahlungen in Abzug zu bringen oder anderweitig Rückerstattung zu fordern. Die uns übertragene Forderung gegen den Karteninhaber werden wir an Sie zurückübertragen."

Der Bundesgerichtshof bekräftigte zunächst seine ständige Rechtsprechung, wonach Allgemeine Geschäftsbedingungen nach dem typischen Verständnis redlicher Vertragspartner unter Abwägung der Interessen der an Geschäften dieser Art normalerweise beteiligten Kreise auszulegen seien. Auszugehen sei daher vom gewählten Wortlaut des Vertrages. Er weise wegen der in den Vertragsbedingungen gebrauchten Formulierungen auf einen Rechtskauf hin. Der mehrfach verwendete Begriff „Kauf" sei in seiner rechtlichen Bedeutung allgemein bekannt; deshalb müsse davon ausgegangen werden, daß Vertragsparteien „Kauf" meinten, wenn sie von „Kauf" sprächen, zumal wenn sie Kaufleute seien. Ferner stützte der Bundesgerichtshof sein Auslegungsergebnis (Akquisitionsvertrag als Forderungskauf mit nicht abbedungener Rechtsmängelhaftung des Vertragsunternehmens) auf die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Nr. 5) vereinbarte Rückforderungsklausel. Seiner Ansicht nach wäre es unverständlich, daß das Vertragsunternehmen nach dieser Klausel den gezahlten Betrag zwar erstatten muß, falls der Karteninhaber gegen die bestehenden Forderungen Einwendungen aus Gewährleistungsrechten erhebt, während es den von dem Kreditkartenunternehmen geleisteten Betrag soll behalten können, wenn eine wirksame Forderung nicht begründet worden ist. In einem zweiten Schritt stellte der Bundesgerichtshof fest, daß sich auch aus dem Inhalt der Vereinbarung keine Gesichtspunkte ergäben, die gegen die Annahme eines Forderungskaufs angeführt werden könnten. Schließlich führte der Bundesgerichtshof näher aus, weshalb seiner Ansicht nach in der Uberbürdung des Veritätsrisikos (Bestandsrisikos) im Sinne von § 437 BGB keine unangemessene Benachteiligung des Vertragsunternehmens liege. Das Kreditkartenunternehmen konnte mithin im Ergebnis mangels bestehender Zahlungsverpflichtung gegenüber

lediglich die Bedingungen der Citicorp Kartenservice GmbH ausgestaltet (Abdruck bei Taupitz, Zivilrechtliche Haftung bei Kreditkartenmißbrauch, S.313ff., 334ff.).

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§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

dem Vertragsunternehmen die Rückerstattung der bereits geleisteten Zahlungen verlangen. Die Rechtsmeinung des Bundesgerichtshofs hat im Schrifttum ein gemischtes Echo hervorgerufen.153 Mehrere Autoren haben sich vehement gegen die Annahme eines Forderungskaufs gewandt und sich statt dessen für die Einordnung als Garantie,154 als abstraktes Schuldversprechen, dem ein Geschäftsbesorgungsvertrag zugrunde liege,155 oder ganz allgemein als Vertrag sui generis156 ausgesprochen. Oechsler hat die Entscheidung als Ausdruck eines undifferenzierten rechtsanwenderischen Vorverständnisses kritisiert, das den wirklichen Willen der Parteien durch Maßstäbe substituiere, die nicht an der wirtschaftlichen Interessenlage der Parteien, sondern an normativen Leitbildern und einer vorgefaßten Überzeugung von der eigentlich gerechten Verteilung der Rechte und Pflichten ausgerichtet seien.157 Auch wenn diese Tendenz als allgemeine Erscheinung in der zivilgerichtlichen Judikatur in der Tat zu beklagen ist158 - in casu ist der Vorwurf unberechtigt. Die Kritiker dieser Entscheidung müssen sich vielmehr selbst vorhalten lassen, den Willen der Parteien nicht hinreichend zu berücksichtigen. Denn das Kreditkartenunternehmen hatte in seinen vom Vertragsunternehmen akzeptierten Allgemeinen Geschäftsbedingungen sehr deutlich seinen Qualifizierungswillen artikuliert. Der gesamte Vertrag ist auf diese rechtliche Konstruktion zugeschnitten. Sie wird an verschiedenen Stellen zum Ausdruck gebracht und findet auch in dem dazu passenden Verfügungsgeschäft („Übertragung") ihre Entsprechung. Vor allem im Hinblick auf das durch die Bezeichnung „Übertragung" charakterisierte komplementäre Verfügungsgeschäft müßte die Auslegung schier Unmögliches leisten, um zu begründen, daß in Wirklichkeit keine Abtretung im Sinne des §398 BGB gemeint sei. Die Wortlautauslegung läßt sich auch nicht - wie vielfach behauptet - 1 5 9 unter 153 Zustimmend Hönn, ZBB 1991, 12; Reinfeld, WM 1994,1506; Köndgen, NJW 1992, 2271; Palandt-Sprau, §676h BGB Rdnr. 6; ablehnend Martinek, Moderne Vertragstypen III, §23 III, S. 95 ff. (inhaltlich nahezu identisch sind die Darstellungen von Martinek in: Staudinger, §675 BGB Rdnr. B 93ff. und in: Bankrechts-Handbuch, §67 Rdnr.35ff.); Einsele, WM 1999, 1802; AGB-Klauselwerke-P/ei/fer, Kreditkartenvertrag, Rdnr. 13 ff.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.332ff.; Bitter, ZBB 1996, 115ff. 154 Bitter, ZBB 1996,119; Horn, ZBB 1995,277; ebenso schon früher Schönle, Bank- und Börsenrecht, §29 I 2a, S. 345 und Zähmt, NJW 1972,1078f.; schwankend zwischen Garantievertrag und Schuldanerkenntnis von Usslar/von Morgen, Aktuelle Rechtsfragen der Kreditkarten-Praxis, 35ff. 155 Martinek, Moderne Vertragstypen III, §23 III, S. lOOff.; Baumhach/Hopt, BankGesch Rdnr. F/12; Bröcker, WM 1995, 475; Einsele, WM 1999,1801ff.; für die Qualifizierung der Zahlungszusage des Kartenherausgebers als Schuldversprechen bereits zuvor Hadding, in: FS für Pleyer, S.31ff. und Custodis, Kreditkartenverfahren, S.95ff. 156 Weller, Kreditkartenverfahren, S. 103f.; für den Rahmenvertrag auch AGB-KlauselwerkePfeiffer, Kreditkartenvertrag, Rdnr. 15. 157 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 332ff. 158 Vgl. oben II.l. 159 Martinek, Moderne Vertragstypen III, §23 III, S. 99f.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 334f.; von Usslar/von Morgen, Aktuelle Rechtsfragen der Kreditkar-

III.

Vorrangige Ausschöpfung

des vertraglich

Vereinbarten

207

Hinweis auf das angeblich vorherrschende Motiv für die Wahl einer kaufvertraglichen Begrifflichkeit relativieren, das in dem Bestreben erblickt wird, sich auf diese Weise der bankenrechtlichen Kreditaufsicht zu entziehen. 160 Selbst wenn dem so wäre, spräche dies im Gegenteil gerade für einen Forderungskauf. Denn eine nur zum Schein erfolgte Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses als Forderungskauf wäre nicht geeignet, § 1 K W G auszuschalten. Diese Vorschrift knüpft nicht an die Ausdruckweise der Parteien, sondern an den objektiv-rechtlichen Gehalt des Vertrages an, so daß es den Parteien sehr wohl daran gelegen sein muß, einen Kontrakt einzugehen, der sich nicht nur der äußeren Form, sondern gerade seinem Inhalte nach als Kaufvertrag und nicht etwa als Garantievertrag oder als Schuldversprechen darstellt.161 Es mag durchaus sein, daß diese alternativen Vertragsmodelle der Interessenlage der Parteien und insbesondere der zahlungsverkehrstechnischen Zwecksetzung des Kreditkartenverfahrens (Bargeldersatzfunktion) besser entsprechen würden. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, sich über den eindeutigen Vertragswortlaut hinwegzusetzen und den Parteien das nach Ansicht des Rechtsanwenders passendere Gewand überzustülpen. 162 Die Gegenansicht gerät hier in Gefahr, Auslegung und Inhaltskontrolle zu vermengen. 163 Erweist sich die von den Parteien erkennbar gewollte rechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses als der Interessenlage nicht adäquat, so kann sich dieser Befund allenfalls unter den Voraussetzungen der §§ 8 bis 11 A G B G im Rahmen der Inhaltskontrolle auswirken. 164 Die Auslegung jedenfalls hat keine korrektorische Funktion. 165

ten-Praxis, S. 44; AGB-Klauselwerke-P/eü^/er, Kreditkartenvertrag, Rdnr. 18; Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr.1626; Bitter, Z B B 1996, 116. 160 Es wird angenommen, daß das Kreditkartengeschäft im Falle einer kaufvertraglichen Qualifizierung kein Bankgeschäft im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 2 K W G wäre und der Kreditkartenausgeber damit nicht der Bankenaufsicht unterfiele. Von dieser Vorfrage hängt dann im weiteren auch die kartellrechtliche Privilegierung ab (vgl. §29 i.V.m. §§2ff. GWB). Ausführlich zur Problematik Martinek, Moderne Vertragstypen III, § 23 III, S. 98f. 161 Vgl. hierzu die Parallele zu steuerlichen Umgehungsgeschäften unter dem Aspekt des Scheingeschäfts (Palandt-Heinrichs, § 117 B G B Rdnr.4 m.w.N.). 162 So aber Martinek, Moderne Vertragstypen III, §23 III, S. lOOf. und ihm folgend Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 335f.; von Usslar/von Morgen, Aktuelle Rechtsfragen der Kreditkarten-Praxis, S.45ff.; AGB-Klauselwerke-P/ez^/er, Kreditkartenvertrag, Rdnr. 18; wie hier hingegen Eckert, W M 1987, 162 und Königen, N J W 1992, 2271. 163 Sehr deutlich wird dies bei Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 336: „Allgemeine Lebensrisiken, denen das Vertragsunternehmen bei Bargeschäft und Kreditverfahren gleichermaßen ausgesetzt ist, können nicht Gegenstand der Einstandspflicht sein". Widersprüchlich mutet es zudem an, wenn Oechsler (Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.409ff.) im Schlußteil seiner Arbeit den Wert hypothetischer Aquivalenzvergleiche, die auf einer Reduzierung der mehrgliedrigen Pflichtenorganisation auf das Modell eines zweigliedrigen Vertrages beruhen, in Frage stellt, die Pflichten der Parteien eines mehrgliedrigen Kreditkartengeschäfts jedoch aus einem Vergleich mit dem zweipoligen Barkauf zu gewinnen sucht. 164 Vgl. hierzu Bitter, Z B B 1996,117, der immerhin konzediert, daß es sich bei der Annahme eines Garantievertrages oder eines Schuldversprechens um eine „Qualifizierung gegen den Wortlaut" handeln würde. Er erwägt daher, die auch seiner Ansicht nach Berücksichtigung er-

208

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Verfehlt ist auch der Einwurf Martineks, das dem Vertragsunternehmen gegenüber vorbehaltene Rückforderungsrecht lasse entgegen dem Bundesgerichtshof deswegen keinen Schluß auf eine von den Parteien gewollte kaufvertragliche Einordnung einschließlich der Geltung des §437 BGB zu, weil nicht geklärt sei, ob die Rückforderungsklausel selbst wirksam vereinbart werden könne. 166 Für die Ermittlung des Parteiwillens im Wege der Auslegung ist nämlich nach allgemeiner Ansicht in der AGB-rechtlichen Literatur von der Wirksamkeit sämtlicher Bedingungen auszugehen. 167 Dies leuchtet auch ein, würden doch anderenfalls wiederum bereits auf der Ebene der Auslegung normative Kontrollerwägungen Platz greifen mit der Folge, daß der Parteiwille nicht mehr unverfälscht festgestellt werden könnte. Abzulehnen ist schließlich die mehrfach anklingende Ansicht, die Leitbildbestimmung sollte im Interesse der Vermeidung einer inakzeptablen Rechtszersplitterung unabhängig von den jeweiligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen erfolgen, so daß den kaufvertraglichen Formulierungen schon aus diesem Grunde keine entscheidende Bedeutung zukomme. 168 Damit würde man den Geltungsanspruch des Prinzips der Privatautonomie auf dem Gebiete der vorformulierten Verträge in bedenklicher Weise zur Disposition stellen. Auslegungsgegenstand ist nach dem AGB-Gesetz immer noch das konkrete Vertragswerk in seiner jeweiligen Ausgestaltung. Daß die Mehrheit der Verwender sich für eine bestimmte Vertragsvariante entscheidet, kann die privatautonome Gestaltungsmacht eines anderen Vorstellungen zuneigenden Verwenders nicht verkürzen. Daß es dann unter Umständen zu einer Rechtszersplitterung kommt, mag man bedauern - es handelt sich dabei letztlich um eine keineswegs ungewöhnliche, weil folgerichtige Erscheinung der privatautonomen Handlungsmacht. Die Kritik an der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zeigt, daß die Qualifikationsprärogative der Parteien mitunter Gefahr läuft, allzu schnell auf dem Altar einer angeblich interessenorientierten, wirtschaftlichen Betrachtungsweise geopfert zu werden. Richtiger Ansicht nach kann die rechtliche Bewertung je nach Ausgestaltung des Akquisitionsvertrages durchaus unterschiedlich ausfallen, nämlich im Sinne eines Forderungskaufs - wie im Falle des Bundesgerichtshofs - oder eines Garantievertrages bzw. eines Schuldversprechens. 169 heischende Interessenlage im R a h m e n der Inhaltskontrolle zur Geltung zu bringen u n d die A G B - m ä ß i g e Vereinbarung eines Forderungskaufs gem. § 9 A G B G für u n w i r k s a m zu erklären. 165 Zutreffend Fastrich, Inhaltskontrolle, S.22; Larenz, Allgemeiner Teil, 7. A u f l . 1989, § 2 9 a II, S. 558; Soergel- Wolf, § 157 B G B Rdnr. 27; vgl. auch B G H N J W 1 9 8 5 , 1 8 3 6 (1838), w o n a c h eine „vernünftige A u s l e g u n g " nicht in Betracht k o m m e , w e n n ihr der gewählte Wortlaut entgegenstehe. 166 Martinek, M o d e r n e Vertragstypen III, § 2 3 III, S.97f. 167 Vgl. nur Leenen, A c P 190 (1990), S.269; ders., A c P 188 (1988), S.389. 168 AGB-Klauselwerke-P/ez/Jer, Kreditkartenvertrag, Rdnr. 17; Martinek, M o d e r n e Vertragstypen III, § 2 3 III, S.100. 169 Wo///Horn/Lindacher, § 9 A G B G Rdnr. K 64; Meder, N J W 1994, 2597 F n . 5 ; Taupitz, Zivilrechtliche H a f t u n g bei Kreditkartenmißbrauch, S.61; Eckert, W M 1987, 162ff.

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

(b) Der Anwendungsbereich

der Regel „falsa demonstratio

209

non nocet"

In der gerichtlichen Praxis wird freilich nicht nur der von den Parteien gewählten Terminologie, sondern auch sehr deutlich formulierten Qualifizierungsabreden vielfach die Anerkennung mit der Begründung versagt, die Parteien hätten sich im Grunde genommen nur einer falschen Bezeichnung bedient.170 Schon das Reichsgericht meinte in diesem Zusammenhang, die unrichtige Bezeichnung eines Vertrages könne dessen wirkliche Eigenschaft nicht verändern.171 Im heutigen Schrifttum wird eine solche Relativierung des Parteiwillens sogar ganz offen mit der Auslegungsregel „falsa demonstratio non nocet" zu rechtfertigen versucht.172 Dieser schon im gemeinen Recht anerkannte Satz besagt, daß eine objektive Mehrdeutigkeit oder gar Unrichtigkeit einer Bezeichnung dann nicht schadet, wenn der Empfänger sie in der vom Erklärenden gemeinten Bedeutung verstanden hat.173 Auch gegenüber Falschbezeichnungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen soll sich das übereinstimmend Gewollte durchsetzen.174 Die falsa-demonstratio-Regel setzt eine Diskrepanz zwischen dem inneren Willen, verstanden als psychische Tatsache, und dem objektiven Erklärungssinn des Erklärten voraus. In diesem Falle bestimmt das übereinstimmend konvergierende Verständnis der Parteien den Inhalt des Vertrages. Bei vertraglichen Qualifizierungsklauseln und meist auch bei der Wahl einer spezifischen Vertragsterminologie gestalten sich die Verhältnisse demgegenüber anders.175 Die Parteien verstehen ihre Abrede im Regelfall nicht abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch. Die wesentlichen Vertragstypen des Bürgerlichen Gesetzesbuches sind dem Rechtsverkehr durchaus wohlbekannt. Wenn es im Vertragstext heißt: „Sie sind freier Mitarbeiter", so kann man den Parteien bis auf wenige Ausnahmefälle nicht unterstellen, sie wollten in Wirklichkeit doch Arbeitsrecht zur Anwendung gelangen lassen.176 Daß sich die Vertragsparteien mit dieser Erklärung unter Umständen in Widerspruch zur sonstigen Ausgestaltung ihres Vertrages und zur Bewertung durch die Vertragstypenord170 So zutreffend die Einschätzung von Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S. 204. Besonders deutlich z.B. BAG AP Nr. 21 zu §611 BGB Abhängigkeit mit der Berufung auf einen angeblich „wirklichen Parteiwillen" (zu Recht ablehnend Martens, RdA 1979, 347 und Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 108). Weitere Nachweise der Rechtsprechung bei Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S. 64ff. 171 RGZ 135, 104 (107). 172 Z.B. MünchKomm-Kramer, § 117 BGB Rdnr. 14. Dieser Begründungsansatz ist vor allem im Arbeitsrecht oft anzutreffen: Beuthien/Wehler, Anm. AP Nr. 21 zu §611 BGB Abhängigkeit; EdK-Preis, § 611 BGB Rdnr. 50, 74; Heinze, Der richtige Vertrag für jede Arbeit, S. 105; MünchArbR-Richardi, §23 Rdnr.53; Trinkhaus, RdA 1958, 13. 173 Larenz/Wolf Allgemeiner Teil, §28 Rdnr.31; ausführlich ferner Fiume, Rechtsgeschäft, §16, 1, S.299ff.; teils abweichend Wieling, AcP 172 (1972), S.297ff. 174 BGH NJW 1991,1604 (1606); WM 2000, 783 (785); UlmerlBrandner/Hensen, §5 AGBG Rdnr. 24; Wolf/Horn/Lindacher, §5 AGBG Rdnr. 4. 175 So zutreffend nur Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S.203f. und Sigulla, Vertragstypologie und Gesetzesleitbilder, S. 126f. 176 Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S.204.

210

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

nung setzen, ist ein anderes Problem, für dessen Lösung der Grundsatz der Unschädlichkeit einer übereinstimmenden Falschbezeichnung nichts hergibt. Für die Anwendung der falsa-demonstratio-Regel verbleibt hier mithin nur ein schmaler Anwendungsbereich. Eine unschädliche Falschbezeichnung wird man beispielsweise dann annehmen können, wenn die Vertragspartner mit ihrer Erklärung lediglich die Einordnung ihres Vertragsverhältnisses durch die Rechtsordnung wiederzugeben glaubten und eine autonome - ggf. abweichende - Qualifizierung nicht vornehmen wollten. 177 Eine übereinstimmende rechtliche Fehlvorstellung läge z.B. auch dann vor, wenn die Parteien eines Mietkaufvertrages, ihr Vertragsverhältnis aus Unkenntnis oder um einen moderneren Begriff zu verwenden als „Leasingvertrag" apostrophieren. 178 Oder: im Beispiel (1) wollen die Parteien übereinstimmend Werkvertragsrecht zur Anwendung kommen lassen, vergreifen sich jedoch in der rechtlichen Bezeichnung. 179 Im Zweifel jedoch sind die Parteien beim Wort zu nehmen. Die falsa-demonstratioRegel darf weder dafür in Anspruch genommen werden, stillschweigend die grundsätzlich mögliche Selbstqualifikation zu unterminieren, noch mögliche Widersprüche zum übrigen Vertragsinhalt, zur tatsächlichen Durchführung des Vertragsverhältnisses oder zur Einordnung durch die Rechtsordnung zu glätten. (c) Auflösung von

Widersprüchen

Gegenstand der Auslegung ist nicht nur die ausdrückliche Qualifizierung des Vertrages durch die Parteien. Hinzu kommen anerkanntermaßen die sonstigen von den Vertragspartnern getroffenen Vereinbarungen, also der gesamte vertragliche Kontext der Qualifizierungsabrede. 180 Dabei kann sich ergeben, daß die Selbstqualifikation der Parteien nicht mit dem objektiven Geschäftsinhalt korrespondiert, wie er sich aus den im Vertrag fixierten Rechten und Pflichten ergibt. Die Problematik ist im Arbeitsrecht seit langem bekannt (Stichwort: Rundfunkmitarbeiter). 181 Aus dem allgemeinen Zivilrecht sei folgendes Beispiel (3) genannt: In einem notariell beurkundeten Vertrag verpflichtet sich die als „Verkäufer" bezeichnete Partei, dem anderen Teil - im Vertrag „Käufer" genannt - ein wertvolles Grundstück zu einem „Freundschaftspreis", der in etwa der Hälfte des erzielbaren Marktpreises entspricht, zu übereignen. In der abschließenden Wendung heißt es, die Parteien seien sich einig, daß es sich bei dieser Vereinbarung um einen Kaufvertrag handele.

177 S t a u d i n g e r - M a y e r - M a l y , Einl. zu §§433ff. BGB Rdnr. 8 spricht von einer bloßen Wissenserklärung, in der sich eine unzutreffende Annahme ausdrücke. 178 Zutreffend BGH NJW 2000, 1569 (1570). 179 Sigulla, Vertragstypologie und Gesetzesleitbilder, S. 127. 180 Jahnke, ZHR 146 (1982), S.619; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 111. 181 Hierzu Hilger, RdA 1981, 265 und zuletzt Bezani, NZA 1997, 856ff.

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinharten

211

Die Vereinbarung der Partner enthält zwei sich widersprechende Willensäußerungen, nämlich die Qualifizierung des Vertrages als „Kaufvertrag", also die Unterstellung des gesamten Vertrages unter die Vorschriften des gesetzlichen Kaufrechts (§§ 433ff. B G B ) , und zum anderen die auf eine gemischte Schenkung hindeutende Unentgeltlichkeit eines Teils der Leistungsverpflichtung des Veräußerers. Die Qualifizierungsabrede wird man nicht schon wegen mangelnder Ernstlichkeit (§118 B G B ) für nichtig erachten können. Näher liegt schon die Annahme eines Scheingeschäfts (§117 B G B ) . Dagegen ließe sich jedoch einwenden, daß ein - was hier im Hinblick auf die ansonsten anfallende Schenkungssteuer nicht fern liegt - aus steuerlichen Gründen ungewöhnlich gestalteter Vertrag üblicherweise nicht als Scheingeschäft angesehen wird, da die angestrebte steuerliche Privilegierung gerade die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts voraussetzt. 182 Gegen die Bewertung als Scheingeschäft 183 spricht unabhängig davon zudem, daß es im Beispielsfall nicht um das für ein Scheingeschäft charakteristische Auseinanderfallen von wirklich Gewolltem und äußerem Schein geht, sondern daß statt dessen der objektive Erklärungsgehalt der Willensäußerung zumindest in erster Annäherung - zweideutig ist. Die Erklärungen der Parteien leiden offenbar an einem inneren Widerspruch. Läßt sich dieser nicht durch Auslegung beheben, so liegt ein Fall der Perplexität vor, der die Unwirksamkeit der Erklärungen zur Folge hat. 184 O b eine Auflösung des Widerspruchs möglich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. In gedanklicher Anlehnung an die Regel „lex specialis derogat legi generali" spricht viel dafür, der konkreten Fixierung der geschuldeten Leistung im Vertragstext und der dort ggf. auch enthaltenen Normierung der sonstigen Rechte und Pflichten den Vorrang vor einer hiermit nicht zu vereinbarenden pauschalen Vertragswahlklausel einzuräumen. 185 Je exakter mithin die charakteristischen Züge eines gesetzlichen Vertragstyps in den Parteiabsprachen abgebildet werden, desto weniger ist eine anderslautende Selbstqualifikation geeignet, den Vertrag dem Rechtsregime eines anderen Vertragstyps zu unterstellen. Auch im obigen Beispielsfall sollte sich die sachnähere und konkretere Festlegung der Leistungsverpflichtung im Sinne einer gemischten Schenkung im Wege der Auslegung des Gesamtvertra-

182 Flame, Rechtsgeschäft, §20, 2, S.408; Palandt-Heinrichs, §117 BGB Rdnr.4 m.w.N; Gundlach, Konsumentenkredit und Einwendungsdurchgriff, S. 175. Vgl. hierzu vor allem die zum Baubetreuungsvertrag ergangenen Entscheidungen BGH NJW 1977, 295 und 1980, 992. Am Rande sei vermerkt, daß Nichtigkeit nach § 134 BGB nach der Rechtsprechung nur dann anzunehmen ist, wenn der Hauptzweck des Vertrages eine strafbare Steuerhinterziehung ist und der Vertrag darüber hinaus keine wirtschaftliche Substanz aufweist (vgl. BGHZ 14, 25, 30f.; BGH NJW 1966, 588, 589; WM 1975, 1279, 1281). 183 Wie hier im Ergebnis auch MünchKomm-Kramer, § 117 BGB Rdnr. 14; vgl. hierzu auch Rosenfelder, Der arbeitsrechtliche Status des freien Mitarbeiters, S. 143 f. 184 Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 133f. und 155; vgl. hierzu auch BGH NJW 1986,1035. 185 pjj r vorformulierte Vertragswerke ist beispielsweise anerkannt, daß bei einem Widerspruch zwischen zwei Klauseln die speziellere der allgemeinen vorgeht, soweit zwischen den Regelungen eine derartige Abstufung feststellbar ist, vgl. LG Essen NJW 1979, 555 und Ulmerl Brandner/Hensen, §5 AGBG Rdnr. 16.

212

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

ges durchsetzen. In solchen Fällen läßt sich - wenn entsprechende Anhaltspunkte gegeben sind - allenfalls erwägen, einzelne Vorschriften des Kaufrechts (z.B. die strengeren kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften) anstelle der entsprechenden Gesetzesbestimmungen des Schenkungsrechts analog anzuwenden. Eine andere Frage zielt darauf, welche Bedeutung der tatsächlichen Durchführung des vertraglichen Regelungsprogramms im Interpretationsgeschehen zukommt. Gerade bei Dauerschuldverhältnissen wie dem Arbeits- oder Gesellschaftsverhältnis wird dem tatsächlichen Verhalten der Parteien üblicherweise große Beachtung geschenkt. Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung nimmt beispielsweise - wie bereits erwähnt - 1 8 6 ein Arbeitsverhältnis schon dann an, wenn das Vertragsverhältnis tatsächlich als solches praktiziert wird. Fenn bemerkt hierzu, der Schluß vom tatsächlich gelebten Rechtsverhältnis auf seine wahre Rechtsnatur sei ein geläufiger Auslegungsvorgang. 187 Demgegenüber ist zu betonen, daß außerhalb des eigentlichen Erklärungsaktes liegende Umstände nicht Gegenstand der Auslegung sind, sondern allenfalls als bloße Hilfsmittel der Auslegung in Betracht kommen.188 Soweit nach der Rechtsprechung bei der Auslegung eines Rechtsgeschäfts auch das nachträgliche Verhalten der Parteien berücksichtigt werden kann, bedeutet dies - wie der Bundesgerichtshof selbst klargestellt hat - 1 8 9 nur, daß spätere Vorgänge Rückschlüsse auf den tatsächlichen Willen und das tatsächliche Verständnis der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten zulassen können. Davon zu unterscheiden ist der objektive Erklärungswert einer Willenserklärung. Der sich aus dem Erklärungswert erschließende notfalls durch Auslegung zu ermittelnde - Sinn ist unabhängig von späteren Ereignissen, denn eine Willenserkärung kann nicht in dem Zeitpunkt, zu dem sie wirksam wird, den einen und später einen anderen Sinn haben.190 Inhalt und Vgl. §5 II 2 b). Fenn, in: FS für Bosch, S. 181. 188 Larenz, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 1989, §19 II, S.342f.; Köhler, Allgemeiner Teil, §16 Rdnr.2. 189 BGH NJW 1988, 2878 (2879); NJW-RR 1989, 198 (199); WM 1994, 267 (268); NJW-RR 1998, 259; BAG AP Nr. 32 zu §133 BGB; OLG München, NJW-RR 1987, 1500 (1502). Für Indizwert auch Palandt-Heinrichs, § 133 BGB Rdnr. 17 und Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 111. 190 BGH LM § 133 BGB (B) BGB Nr. 7; NJW 1988,2878 (2879). Die Erklärung erhält in den Worten des BGH (LM §133 BGB [B] Nr. 7) mit dem Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens ihren grundsätzlich unveränderlichen Erklärungswert. Zust. Flume, Rechtsgeschäft, §16, 3, S. 310. Eine Auslegung unter maßgeblicher Berücksichtigung des tatsächlichen Verhaltens der Parteien nach Vertragsschluß erlaubt im übrigen entgegen Rosenfelder (Der arbeitsrechtliche Status des freien Mitarbeiters, S. 146f.) auch nicht die gemeinrechtliche Parömie „protestatio facto contraria non valet" (zu dieser Rechtsfigur etwa Flume, Rechtsgeschäft, § 5,5, S. 75 f.; MünchKommMayer-Maly, § 133 BGB Rdnr.45; Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 145 BGB Rdnr.27). Schon ihre grundsätzliche Anerkennung wird heute zunehmend in Zweifel gezogen ( B y d l i n s k i , Privatautonomie, S. 94ff.; Teichmann, in: FS für Michaelis, S. 294ff.; Köhler, JZ 1981, 464ff.; zurückhaltend jetzt auch Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr.249f.; ders., Bürgerliches Recht, Rdnr. 191). Auch wird ihr entgegengehalten, sie gehöre nicht zur Auslegung ( W i l b u r g , AcP 163 [1964], S.368ff. und Hanau, AcP 165 [1965], S. 271 ff.). Davon abgesehen zeichnen sich die bislang diskutierten 186

187

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

213

Rechtsnatur eines Vertrages ergeben sich mithin vorrangig aus den vertraglichen Festlegungen, stehen also im Zeitpunkt des Vertragsschlusses fest. Eine nachträgliche, durch konkludentes Verhalten herbeigeführte Vertragsänderung ist zwar denkbar,191 kann aber insbesondere dann nicht ohne weiteres unterstellt werden, wenn die Parteien ihren Qualifizierungswillen im Vertragstext deutlich bekundet haben. Mitunter ist eine Berücksichtigung der tatsächlichen Durchführung des Vertragsverhältnisses auch gar nicht möglich, so etwa beim Streit um die Wirksamkeit einer Kündigung vor Dienstantritt. Schwer nachvollziehbar ist es auch, weshalb der Stellenwert des tatsächlichen Vollzuges im Interpretationsgeschehen auf Null sinken soll, wenn die Parteien ein als freies Dienstverhältnis praktiziertes Vertragsverhältnis dem Arbeitsrecht zu unterstellen wünschen. Gerade dieser Vergleich zeigt, daß es offenbar der Geltungsanspruch der zwingenden Sozialschutzbestimmungen des Arbeitsrechts ist, der eine Berücksichtigung der tatsächlichen Durchführung des Vertragsverhältnisses verlangt. Hierfür ist jedoch die Auslegung, bei der es um die Ermittlung des von den Parteien nach ihrem Willen bestimmten Vertragsinhalts geht, nicht der richtige Ort. Es geht nicht an, in Durchbrechung anerkannter Auslegungsgrundsätze einen - noch dazu nur partiellen - Vorrang des tatsächlichen Vollzugs bei der Inhalts- und Rechtsnaturbestimmung zu postulieren. Richtigerweise ist eine von den Parteiabsprachen abweichende tatsächliche Praxis im Rahmen der Inhaltskontrolle zu würdigen, soweit das zwingende Gesetzesrecht dies erfordert.192

(2) Kontrolle und Korrektur einer

Selbstqualifikation

In einem zweiten Schritt gilt es nunmehr festzustellen, ob sich die Eigenqualifikation der Parteien innerhalb der Wirksamkeitsschranken der Privatrechtsordnung hält. Als Vertragsinhaltsschranken kommen neben dem zwingenden Vertragsrecht im Verein mit § 134 BGB, vor allem § 138 B G B und die §§9 bis 11 A G B G in Betracht. Hinzu treten die gesetzlichen, meist an einen bestimmten Geschäftstypus anknüpfenden Formvorschriften. Der geänderte Blickwinkel auf dieser zweiten Stufe erfordert auch eine andere methodische Vorgehensweise.193 Ging es zuvor um die Auslegung des Vertrages, so ist nunmehr der Geltungsanspruch des Gesetzes im Hinblick auf den konkreten Sachverhalt zu bestimmen. Dies hat im Wege der Gesetzesauslegung zu erfolgen; auf den Willen Anwendungsfälle dadurch aus, daß sich eine Partei im Zeitpunkt der Inanspruchnahme einer Leistung, also einer Handlung mit grundsätzlich rechtsgeschäftlichem Gehalt, gegen die Begründung einer vertraglichen Bindung verwahrt (paradigmatisch der berühmte „Hamburger Parkplatz-Fall" BGHZ 21,319ff.). Die hier zu erörternden Fälle unterscheiden sich von dieser Konstellation in mehrfacher Hinsicht, vor allem fehlt es schon an der Gleichzeitigkeit beider Erklärungsakte. 191 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 111; Yxhndt-Heinrichs, §305 BGB Rdnr.4. 192 So offenbar auch ErfK-Prez's, §611 BGB Rdnr.56. 193 So zutreffend Teichmann, Parteiautonomie, Typenmischung und Typenzwang, S. 57.

214

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

der Parteien, sich einer bestimmten Gesetzesvorschrift zu unterwerfen oder ihr auszuweichen, kommt es in diesem Stadium der Prüfung nicht an. 194 (a) Der Geltungsanspruch

des zwingenden

Gesetzesrechts

Die Diskussion um den Rechtsformzwang im Gesellschafts- und Arbeitsrecht hat gezeigt, daß es letztlich das zwingende Recht ist, in dem sich die wichtigsten Ordnungsvorstellungen des Gesetzgebers manifestieren und welches der Qualifikationshoheit Grenzen setzt. 195 Legt das Gesetz einer Bestimmung zwingenden Charakter bei, was gegebenenfalls im Vorfeld durch Auslegung geklärt werden muß, so ist die rechtliche Aussage der Norm in ihrem Geltungsbereich verbindlich, sie ist der Disposition der Parteien entzogen. Das zwingende Recht setzt sich durch, auch wenn die Parteien den Versuch unternehmen, es punktuell oder durch Unterstellung des Vertrages unter ein anderes Rechtsregime außer Kraft zu setzen. Für die Frage, in welchem Umfange eine Vertragswahlklausel Wirksamkeit entfaltet, kommt es somit entscheidend darauf an, ob die jeweilige, dem zwingenden Recht zuzuordnende Norm die konkrete vertragliche Regelung - nicht unbedingt den Vertrag als solchen - erfassen soll oder nicht. Nicht in der vertragstypologischen Einordnung des Vertrages, sondern in der näheren Bestimmung des Zwecks der zwingenden Gesetzesregel ist mithin die Aufgabe zu sehen. Da zwingende Bestimmungen des gesetzlichen Vertragsrechts zumeist bestimmte Schutzanliegen verfolgen, gilt es zu erkunden, welchem typischen Interesse der Gesetzgeber besonderen Schutz verleihen wollte. 196 Das zwingende Gesetzesrecht kann sich in einer Einzelregel - z.B. einem Formerfordernis - erschöpfen, es kann aber auch gleichsam einen Ring zwingender Regeln um einen bestimmten Vertragstyp legen. In beiden Fällen bedarf es der Konkretisierung des mit solchen Regelungen verfolgten Schutzzwecks. Zwei Beispiele sollen die methodische Vorgehensweise exemplifizieren. Zunächst zum Geltungsbereich eines verbindlichen Regelungskomplexes, dem gesetzlichen Arbeitsvertragsrecht: Die Hauptaufgabe des Arbeitsrechts liegt in der Kompensation eines vermuteten Ungleichgewichts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. 197 Diese unterstellte Paritätsstörung begründet unter anderem die Gefahr unangemessener Vertragsbedingungen zu Lasten des Arbeitnehmers, für den das Arbeitsverhältnis oftmals die einzige Erwerbsquelle ist. Die Mindestanforderungen an den Inhalt der Arbeitsbedingungen, mit denen der Gesetzgeber die inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Vertragsparteien in Teichmann, Parteiautonomie, Typenmischung und Typenzwang, S. 57. So vor allem Jahnke, ZHR 146 (1982), S.623. 196 Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §12 I, S.211; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.42, erscheint „teleologische Präzision" bei der Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs einer Norm geradezu als eine „zentrale Implikation formaler Gerechtigkeit". 197 Statt vieler ErfK-Preis, §611 BGB Rdnr. 55; den gleichen Gedanken bemüht das BAG (NZA 1994, 937) zur Rechtfertigung der gerichtlichen Inhaltskontrolle. 194

195

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

215

erheblichem Maße einschränkt, greifen viele der kritischen Punkte auf (z.B. Kündigungsschutz, Arbeitszeitschutz, Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall etc.) und wirken hierdurch auf einen sozial gerechten Interessenausgleich hin. Aus dieser Zielrichtung des gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts folgt, daß es den Parteien nicht erlaubt sein kann, den Kompensationsgedanken zu umgehen, indem sie selbst darüber befinden, ob ihr Vertrag dem Arbeitsrecht unterfallen soll oder nicht. 198 Der Schutz des Arbeitsrechts wäre aber auch dann höchst unvollkommen, wenn allein auf die vertragliche Ausgestaltung des Rechte- und Pflichtenprogramms, nicht aber auf eine hiervon eventuell abweichende Vertragspraxis geschaut würde. Dem Regelungsanliegen des Gesetzgebers entspricht es, die vertragliche Regelung auch mit dem tatsächlichen Vollzug des Vertragsverhältnisses zu vergleichen und letzterem im Falle einer Divergenz den Vorrang zu geben. Es handelt sich hierbei um eine vom Schutzzweck des Arbeitsrechts geforderte, der eigentlichen inhaltlichen Überprüfung anhand einzelner Rechtsvorschriften vorgelagerte Kontrolle des Vertrages am Maßstab der Wirklichkeit. Erhebt man den Schutzzweck des Arbeitsvertragsrechts zur Richtschnur, so eröffnen sich auf der anderen Seite aber auch Freiräume für eine privatautonome Vertragstypenwahl. So ist es zunächst unmittelbar einsichtig, daß es den Parteien freistehen muß, einen Vertrag, der sich nach seinem objektiven Geschäftsinhalt als freier Dienstvertrag darstellt, als Arbeitsvertrag zu qualifizieren. Ebenso muß den Parteien die Qualifikationshoheit dort zugestanden werden, wo das typische Ungleichgewicht nicht vorliegt, die Einordnung des Vertragsverhältnisses sich mithin als Ergebnis einer freien und in Kenntnis der Konsequenzen getroffenen Entscheidung beider Parteien darstellt. 199 Äußert der Arbeitnehmer als schwächere Partei etwa von sich aus den Wunsch, auf der Basis eines freien Dienstvertrages tätig zu werden, darf einer solchen Einordnungsentscheidung nicht die Anerkennung versagt werden. Das B A G kommt zum selben Ergebnis, hält aber - dogmatisch kaum haltbar - die nachträgliche Berufung auf ein Arbeitsverhältnis für rechtsmißbräuchlich. 200 Geht man schließlich davon aus, daß die Merkmale, die über die Arbeitnehmereigenschaft entscheiden, zugleich einen Tatbestand besonderer sozialer Schutzbedürftigkeit beschreiben, so wird auch verständlich, weshalb es gerechtfertigt sein kann, in Grenzfällen den Parteiwillen entscheiden zu lassen. Denn in dem Maße, in dem sich das Vertragsverhältnis einem freien Dienstverhältnis annähert, nimmt auch die soziale Schutzbedürftigkeit des Dienstverpflichteten ab. Führt die Abgren-

198 ErfK-Preis, §611 B G B Rdnr.55; Fenn, in: FS für Bosch, SA78-Jahnke, ZHR 146 (1982), S.615; Konzen/Rupp, Anm. EzA Art.5 GG Nr.9; Konzen, ZfA 1982, 293; Martens, RdA 1979, 348; Hilger, RdA 1989,6; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 110 und 115 führt zusätzlich noch die fehlende funktionale Äquivalenz des Selbständigenrechts für wirtschaftlich abhängige Selbständige an. Mehr „Respekt vor der Vertragsautonomie" und Anerkennung der Möglichkeit, das Arbeitsrecht aus guten sachlichen Gründen abzuwählen, forderte hingegen zuletzt Adomeit, NJW 1999, 2087f. ein. 199 ErfK-Preis, §611 BGB Rdnr.55. 200 BAG NJW 1997, 2617 und 1997, 2618.

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§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

zung des Arbeitsvertrages vom freien Dienstvertrag nach objektiven Kriterien zu keinem klaren Ergebnis mehr, so muß auch der Geltungsanspruch des gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts zugunsten einer parteiautonomen Qualifizierung zurückgenommen werden. Die Bestimmung des Geltungsanspruchs einer zwingenden Einzelnorm des gesetzlichen Vertragstypenrechts läßt sich anhand der bereits kurz referierten Entscheidung zur Qualifikationshoheit der Parteien eines Architektenvertrages veranschaulichen.201 Die - entgegen der damals vorherrschenden dienstvertraglichen Beurteilung - vereinbarte Anwendung der Werkvertragsregeln hat der Bundesgerichtshof in diesem frühen Urteil - wie bereits erwähnt - im Grundsatz gebilligt, allerdings mit einer Einschränkung: der zwingende Rechtssatz des §626 BGB, der das Kündigungsrecht aus wichtigem Grunde festlege, dürfe nicht ausgeschlossen werden.202 Der Hinweis auf den zwingenden Charakter dieser Norm allein überzeugt allerdings noch nicht, geht es doch vor allem darum, den Geltungsbereich unter besonderer Berücksichtigung des Regelungsanliegens des Gesetzgebers abzustecken. Insoweit wäre folgendes zu bedenken gewesen: § 626 BGB garantiert ein unverzichtbares Freiheitsrecht für beide Vertragsteile, sich bei extremen Belastungen ihres Dienstverhältnisses von diesem zu lösen.203 In einem Dienstverhältnis, das durch persönliche Zusammenarbeit über einen längeren Zeitraum gekennzeichnet ist, soll keiner Partei von Rechts wegen zugemutet werden, an einem unzumutbar gewordenen Vertragshältnis festhalten zu müssen (Recht zum Selbstschutz).204 Dieser in §626 B G B verkörperte Grundgedanke gilt über die Grenzen des Dienstvertrages hinweg für alle Dauerschuldverhältnisse, insbesondere, wenn sie eine persönliche Zusammenarbeit erfordern. Nimmt beispielsweise ein Werkvertrag den Charakter eines Dauerschuldverhältnisses an, so besteht eine außerordentliche Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund für beide Teile und zwar ohne Geltung des §649 Satz 2 BGB. 205 Umstritten ist, ob es sich hierbei um eine analoge Anwendung des §626 BGB 2 0 6 oder um einen letztlich in §242 BGB gründenden allgemeinen Rechtsgedanken handelt.207 Der Architektenvertrag, in dem die nun-

BGH BB 1952, 635; vgl. §5 II. 2. a). Zur Klarstellung: Die Kündigungserklärungsfrist des §626 Abs. 2 BGB war nicht Gegenstand dieser Entscheidung. Diese Regelung ist erst später - durch das 1. Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz von 1969 (BGBl. I, S. 1106ff.) - in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt worden. 203 Staudinger-Prra, §626 BGB Rdnr.5. 204 K.K-Hillebrecht, §626 BGB Rdnr.37a. 205 Jauernig-Schlechtriem, §649 BGB Rdnr.9f.; BGH BB 1962, 497; NJW-RR 1989, 1248 (1249); NJW 1993, 1972. 206 KR-Hillebrecht, §626 BGB Rdnr.5; Staudinger-Ateamarcra (12. Aufl.), §626 Rdnr. 113; für einen in § 626 und § 723 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 enthaltenen Grundgedanken BGH NJW 1972,1128 und Palandt-Putzo, §626 BGB Rdnr. 1. 207 Popp, HAS § 19 B Rdnr. 97; für Anwendungsfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Staudinger-Preis, §626 BGB Rdnr.5; ausführlich zur Problematik Oetker, Dauerschuldverhältnis, S.248ff., 264ff. 201

202

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

217

mehr h.M.208 einen Werkvertrag oder einen dem Werkvertrag nahestehenden Sondertypus sieht, dürfte auch heute noch von dem durch Analogie erweiterten Geltungsanspruch des § 626 BGB erfaßt werden; dies jedenfalls insoweit, als der Architekt neben der Erstellung der Baupläne auch die Bauleitung und -aufsieht übernimmt. Denn dann handelt es sich um ein Dauerschuldverhältnis, das zum Teil durch handlungsbezogene Pflichten geprägt ist und hinsichtlich des Interesses an einer Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grunde durchaus den klassischen Dienstverhältnissen zur Seite gestellt werden kann.209 Es zeigt sich mithin, daß es in diesem Punkt auf die vertragstypologische Einordnung des Gesamtvertrages nicht ankommt. Ein unabdingbares Kündigungsrecht aus wichtigem Grunde besteht in diesem Fall unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung durch die Rechtsordnung oder die Parteien.210 Im Ergebnis verdient die Entscheidung des Bundesgerichtshofs daher Zustimmung. (b) Angemessenheitskontrolle AGBG

einer Selbstqualifikation

nach §§9 bis 11

Einer intensivierten Inhaltskontrolle unterliegen vorformulierte Qualifizierungsabreden, wenn sie dem Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes unterfallen. §8 AGBG hindert hier eine Inhaltskontrolle nach den §§9 bis 11 AGBG nicht. Klauseln, die Rechtsvorschriften in einem fremden Rechtsverhältnis oder in einem gesetzesfremden Zusammenhang zur Anwendung bringen, sind insbesondere keine rechtsdeklaratorischen Klauseln.211 Denn durch sie wird eine gesetzliche Regelung für anwendbar erklärt, die für die fragliche Vertragsart sonst nicht ipso iure gelten würde, sei es, weil das Gesetz eine andere subsidiäre Regelungsalternative bereit hält, sei es, weil eine gesetzliche Regelung des Vertragstyps vollkommen fehlt.212 Die Wirksamkeit beurteilt sich - wenn die Klausel208 Für Werkvertrag: BGHZ 31,224; BGH NJW 1969,419 (421); 1982,438; Staudinger-Peters, Vorbem. zu §§ 631 ff. BGB Rdnr. 117ff.; für einen dem Werkvertrag nahestehenden Sondertypus Larenz, Schuldrecht II/l, §53 I, S.343; für gemischtvertragliche Einordnung: Esser/Weyers, Schuldrecht II/l, §27 II 3, S.235 und Tempel, in: Vertragsschuldverhältnisse, §3, S. 173ff. 209 Ahnlich auch Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 362, der sich zwar für die grundsätzliche Einordnung als Werkvertrag ausspricht, aber eine ergänzende Anwendung des Dienstvertragsrechts auf die handlungsbetonten Teile des Architektenvertrages empfiehlt. 210 Wohl aber entfaltet die Qualifizierungsabrede ihre Wirkung im dispositiven Bereich - hier: Sekundäransprüche im Gefolge der Kündigung (§§628 bzw. 647 BGB), so zutreffend auch BGH BB 1952, 635. 211 Wo///Horn/Lindacher, §8 AGBG Rdnr. 26; Ulmer/Brandner/Hensen, §8 AGBG Rdnr. 31; Staudinger-Coester, § 8 AGBG Rdnr. 35 spricht von „scheindeklaratorischer" „Umtypisierung von Verträgen"; die Bezeichnung „scheindeklaratorisch" hat Dylla-Krebs, Schranken der Inhaltskontrolle, S. 75 ff. in die Debatte eingeführt. Mehrere Urteile setzen unmittelbar bei § 9 AGBG an und geben auf diese Weise zu erkennen, daß die erkennenden Gerichte die Voraussetzungen des § 8 AGBG für erfüllt gehalten haben: OLG Frankfurt a.M. NJW 1993, 1477 (1478); OLG Zweibrücken NJW 1998, 1409 (1410); ebenso noch vor Inkrafttreten des AGB-Gesetzes BGH NJW 1979, 2207 (2209). 212 Ulmer/ßrarccfoer/Hensen, § 8 AGBG Rdnr. 31.

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§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

verböte der §§10 und 11 AGBG nicht eingreifen - gem. § 9 AGBG danach, ob durch sie der Vertragspartner des Verwenders unangemessen benachteiligt wird. 213 Es sind mithin zunächst die Rechtswirkungen der Vertragswahlklausel - ihre Wirksamkeit unterstellt - zu erfassen, um dann in einem zweiten Schritt zu untersuchen, ob die durch sie herbeigeführte Vertragslage noch einen angemessenen vertraglichen Interessenausgleich gewährleistet. Der Bundesgerichtshof scheint - wie bereits angedeutet - in jüngster Zeit vorformulierten Qualifizierungsklauseln generell die Anerkennung versagen zu wollen.214 Die zur Begründung dieser Rechtsansicht angeführten Gründe offenbaren jedoch ein problematisches vertragstheoretisches Verständnis von der Bedeutung und der Stellung Allgemeiner Geschäftsbedingungen im Gesamtgefüge eines Vertrages. Bedenken ruft vor allem die Aussage hervor, die Erklärungen der Parteien bestimmten die Vertragsart, während die Allgemeinen Geschäftsbedingungen lediglich die beiderseitigen Verpflichtungen präzisierten.215 Dies mag in manchen Fällen so sein, insbesondere wenn es sich bei den (Haupt-)Erklärungen um im einzelnen ausgehandelte Individualabreden handelt (§4 AGBG). Für die große Zahl der vollständig vorformulierten Vertragswerke - auf formularvertraglicher Grundlage beruhen insbesondere sehr viele moderne Vertragstypen - trifft diese Differenzierung jedoch nicht zu. Hier werden auch die teilweise von den gesetzlichen Regelungsmodellen abweichenden Hauptpflichten durch Allgemeine Geschäftsbedingungen festgelegt. Im übrigen geht auch das AGB-Gesetz nicht davon aus, daß Allgemeinen Geschäftsbedingungen lediglich die Präzisierung der a priori vorgegebenen vertragstypischen Pflichten zufalle. So ist es heute anerkannt, daß auch die vorformulierte Festlegung der Hauptleistungen dem AGB-Begriff unterfällt und dementsprechend grundsätzlich den Vorschriften des AGB-Gesetzes unterliegt. Das bedeutet vor allem, daß eine Einbeziehungskontrolle stattfindet und das Transparenzgebot zu beachten ist; und auch die Inhaltskontrolle ist infolge der restriktiven Handhabung des §8 AGBG nur in einem engen Kernbereich ausgeschlossen. Die These, daß §9 AGBG einer inhaltlichen Änderung des Vertragstyps durch eine vorformulierte Qualifizierungsklausel generell im Wege steht, weil Allgemeine Geschäftsbedingungen als gleichsam sekundäres Recht die Vertragsart nicht bestimmen können, läßt sich somit nicht aufrechterhalten. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind gleichberechtigter Bestandteil der vertraglichen Einigung216 und müssen im Verein mit den sonstigen Erklärungen der Par-

213 In den Fällen der formularmäßigen Umtypisierung dürfte konkret § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG den Prüfungsmaßstab abgeben, in diesem Sinne auch Staudinger-Coesier, §9 A G B G Rdnr. 181; von Hoyningen-Huene, §9 AGBG Rdnr.264; Staudinger-Schlosser, 12. Aufl. 1980, §9 AGBG Rdnr. 20; Becker, Auslegung des § 9 Abs. 2 AGB-Gesetz, S. 99; Schlosser/Coester-Waltjen/Graba, §9 AGBG Rdnr.26; Schmidt-Salzer, AGB, Rdnr. E 18f. 214 Vor allem BGHZ 74, 258 (zustimmend Wo///Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr. 76) und BGH NJW 1997, 2043 (zustimmend EdK-Preis, §611 BGB Rdnr.56); vgl. §5 II. 2. a). 215 BGH NJW 1997, 2043 (2045). 216 Auch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 317 betont, daß alle

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

219

teien ausgelegt werden. In diesem Rahmen lassen sie durchaus Rückschlüsse auf die von den Parteien gewünschte Vertragsart zu, insbesondere wenn der Wille in einer Qualifizierungsklausel zum Ausdruck gekommen ist. Hier ist dann im Einzelfall zu prüfen, ob sich in der gesetzlichen Regelung, die durch die parteiautonome Rechtsnaturbestimmung an ihrem Eingreifen gehindert wird, ein wesentlicher Grundgedanke verkörpert und ggf. wie weit sein Geltungsanspruch reicht. 217 Und selbst dann bedarf es noch eines nicht unerheblichen Eingriffs in rechtlich geschützte Interessen des Vertragspartners. 218 Die Bestimmung der inhaltlichen Grenzen, die das AGB-Gesetz vorformulierten Qualifizierungsabreden setzt, läßt sich anhand des Beispielsfalles (1) zum Bauträgervertrag verdeutlichen. Die entgegen der herrschenden Sichtweise, die im Bauträgervertrag einen gemischten Vertrag sieht, 219 vereinbarte Anwendung der Kaufvertragsregeln auf den gesamten Vertrag - nicht nur auf den Grundstückserwerb - wird vor allem deshalb als problematisch empfunden, weil dann die im Gegensatz zu §638 B G B kürzere Verjährungfrist des §477 B G B für Gewährleistungsansprüche wegen Baumängeln Platz griffe. Sedes materiae ist hier ausnahmsweise nicht § 9 A G B G , sondern das absolute Klauselverbot des § 11 Nr. 10 Buchst, f A G B G . 2 2 0 Die methodischen Überlegungen sind jedoch ähnlich und wären im Falle des Fehlens eines einschlägigen Klauseltatbestandes auf § 9 A G B G übertragbar. § 11 Nr. 10 Buchst, f A G B G erklärt Allgemeine Geschäftsbedingungen für unwirksam, die gesetzliche Gewährleistungsfristen verkürzen. Damit gerät §638 B G B ins Blickfeld. Verfehlt wäre es nun wiederum, mit Blick auf den der Vorschrift vom Gesetzgeber unmittelbar zugeordneten Anwendungsbereich zu versuchen, die „wahre Rechtsnatur" des konkreten Vertrages zu ermitteln. Zu fragen ist vielmehr auch hier, ob die in §638 B G B zum Ausdruck gekommene, gesetzliche Bewertung der Parteiinteressen auch für den konkreten Bauträgervertrag Geltung beansprucht. 221 Die gegenüber § 477 B G B deutlich längere Verjährungsfrist des § 638 B G B soll offensichtlich dem Umstand Rechnung tragen, daß sich bei neuerrichteten Bauwerken Mängel erst im Laufe einer längeren Benutzung zeigen. Im Interesse des Erwerbers ist daher eine ausreichende „Erprobungsfrist" geboten. 222 Teichmann hat dem hinzugefügt, daß der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 477 B G B nicht an Klauseln gleichermaßen den Vertragsinhalt ausmachen und somit nicht ein Teil dem anderen gegenüber vorrangig gilt. 217 Es ist anerkannt, daß der wesentliche Grundgedanke einer zwingenden gesetzlichen Vorschrift ausstrahlen und eine nicht unmittelbar unter diese subsumierbare Vertragsbestimmung erfassen kann (vgl. Fastrich, Inhaltskontrolle, S.284 und Ulmer/Sra«ci«er/Hensen, §9 AGBG Rdnr. 134 Fn. 422). Gleiches wird auch für die im dispositiven Recht verkörperten Grundgedanken zu gelten haben. 218 Palandt-Heinrichs, §9 AGBG Rdnr.21. 219 BGHZ 60, 362 (364); 92, 123 (126); 96, 275 (277); Wolf/Hora/Lindacher, §23 AGBG Rdnr. 301. 220 Teichmann, Parteiautonomie, Typenmischung und Typenzwang, S. 57ff. 221 So zutreffend Teichmann, Parteiautonomie, Typenmischung und Typenzwang, S.58. 222 Vgl. BGHZ 68, 372 (375).

220

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

die Veräußerung neuer, seriell gefertigter Wohneinheiten gedacht habe, §477 BGB folglich zugunsten des §638 BGB teleologisch zu reduzieren sei.223 Diese hier nur angedeutete Interessenbewertung legt es nahe, auch Bauträgerverträge als vom Geltungsanspruch des §638 B G B erfaßt anzusehen.224 Entsprechende Überlegungen müßten hier auch einer weiteren Konsequenz der vorformulierten Vertragswahl gelten, nämlich dem Ausschluß des dem Besteller nach Werkvertragsrecht zustehenden Nachbesserungsrechts (§633 BGB). Bei der Frage, ob eine Qualifizierungsabrede mit dem AGB-Recht vereinbar ist, wird im übrigen auch auf eine Kompensation durch in anderen Punkten eingeräumte Vertragsverbesserungen zu achten sein. Um die Möglichkeiten der Parteien, ein autonomes Regelungswerk zu errichten, nicht über Gebühr zu beschneiden, sollte man für eine Kompensation nicht zu strenge Voraussetzungen statuieren.225 Im Beispielsfalle (1) ist allerdings nicht ersichtlich, welche ausgleichenden Vorteile die Anwendung kaufvertraglicher Regeln dem Erwerber bringen könnte.226 Im Rahmen der Inhaltskontrolle nach §9 AGBG sind Vertragswahlklauseln schließlich auch am Transparenzgebot zu messen.227 Das hat vor allem zur Folge, daß unklar gefaßte Klauseln, die in ihren Rechtsfolgen für den Vertragspartner nicht überschaubar sind, dem Unwirksamkeitsverdikt des § 9 A G B G unterfallen.228 So verhält es sich etwa, wenn der Verweisungsumfang der Qualifizierungsabrede nicht eindeutig ist, insbesondere weil sich diese als mit den übrigen Vertragsbedingungen nicht abgestimmt erweist.229 Ist beispielsweise - wie im bereits erwähnten Falle des OLG Frankfurt a.M. - 2 3 0 ein formularmäßig als „Dienstvertrag zum Nachweis und zur Förderung partnerschaftlicher Beziehungen" bezeichneter Vertrag entsprechend seinem objektiven Regelungsgehalt als Ehemaklervertrag einzustufen, so ist - will man § 656 BGB auf Partnerschaftsvermittlungsdienstverträge nicht schon analog anwenden - 2 3 1 in der abTeichmann, Parteiautonomie, Typenmischung und Typenzwang, S. 58. So im Ergebnis auch BGHZ 68, 372 (375); zustimmend Wolf///or«/Lindacher, §23 AGBG Rdnr.304. 225 Die im allgemeinen gebotene Zurückhaltung bei der Annahme einer Kompensationswirkung, vor allem die Voraussetzung, daß Vor- und Nachteil in einem Wechselverhältnis stehen müssen (vgl. etwa Ulmer/ßrawrfwer/Hensen, §9 AGBG Rdnr.85 und Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 301 ff.), könnte hier mithin vorsichtig gelockert werden. 226 Für Unwirksamkeit im Ergebnis auch BGHZ 74,258 (267ff.); von Hoyningen-Huene, §9 AGBG Rdnr.264; Wo///Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr.76. 227 Grundlegend BGH NJW 1989, 222, seither ständige Rechtsprechung; weitere Nachweise und aktuelle Ubersicht bei Ulmer/Brandner/Herisen, §9 AGBG Rdnr. 87ff. 228 Zu dieser wichtigen - auch Verständlichkeitsgebot genannten - Ausprägung des Transparenzgebots vgl. statt vieler Wolf/Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr. 148 m.w.N. 229 Zu weitgehend jedoch Sigulla, Vertragstypologie und Gesetzesleitbilder, S. 132f., der für die Anwendung von Normen aus anderen Vertragstypen eine ausdrückliche und inhaltlich detaillierte andere Regelung verlangt. 230 OLG Frankfurt a.M. NJW 1983, 397; vgl. §5 II. 2. a). 231 So aber jetzt B G H NJW 1990, 2550; zu Recht kritisch jedoch Peters, Anm. NJW 1990, 2552 und Vollkommer/Grün, JZ 1991, 96ff. 223

224

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

221

weichenden Parteiqualifikation in der Tat der Versuch einer „Verschleierung des wahren Vertragstyps" zu erblicken. 232 Denn durch die Klausel soll nicht etwa - wie es den Anschein hat - in vollem Umfang Dienstvertragsrecht zur Anwendung gebracht werden; dies schon deshalb nicht, weil der mit dieser Verweisung diskordante Vertragsinhalt ja offensichtlich nicht tangiert werden soll. Vielmehr geht es einzig und allein um die Ausschaltung des mißliebigen § 656 BGB, 2 3 3 was dem Durchschnittskunden jedoch in aller Regel verborgen bleiben wird. Führt die Vertragsgestaltung zu derart gravierenden Nachteilen für den Vertragspartner, so kommt es auch nicht mehr darauf an, ob schon die Verschleierung der wirtschaftlichen und rechtlichen Vertragsfolgen für sich geeignet ist, einen Verstoß gegen das Transparenzgebot zu begründen. 234 Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Transparenzgebot stellen sich auch im Beispielsfall (2) ein. Zwar umfaßt die Wahlfreiheit auch grundsätzlich das Recht, bestimmte Rechtsfolgen einer nicht gewünschten rechtlichen Qualifikation explizit negativ abzugrenzen. 235 Für den Durchschnittskunden ist es kaum erkennbar, welche Rechtsfolgen der Ausschluß der Regeln des gesetzlichen Mietrechts auf den Leasingvertrag hätte. Denn dies wäre nur bei genauer Kenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung möglich, die den Finanzierungsleasingvertrag in verschiedenen Punkten dem Mietrecht unterstellt hat. Davon abgesehen wäre es selbst für einen rechtskundigen Leasingnehmer schwierig, festzustellen, welche Regelung an die Stelle des gesperrten Mietrechts treten soll. Hier dürfte es dem Verwender von Rechts wegen zuzumuten sein, seine rechtlichen Vorstellungen zu konkretisieren, so daß der Vertragspartner Gewißheit über Inhalt und Umfang seiner Rechte und Pflichten erhält. 236 Negative Qualifizierungsklauseln sind vor diesem Hintergrund generell problematisch. Im Beispielsfall (2) würde die Rechtsprechung die intendierten Abweichungen vom Mietrecht im übrigen wohl auch inhaltlich nicht hinnehmen, geht sie doch im Rahmen der Inhaltskontrolle gerade vom Leitbild des Mietverträges aus.

1-17

So O L G Frankfurt a.M. NJW 1983, 397 (398) - allerdings ohne Rekurs auf §9 AGBG. Für Unwirksamkeit gem. §9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG daher Wo///Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr. M 19. 234 In diesem Sinne etwa Fastrich, Inhaltskontrolle, S.321 f.; von Hoyningen-Huene, §9 AGBG Rdnr.209ff. 235 Gundlach, Konsumentenkredit und Einwendungsdurchgriff, S. 174 weist zutreffend daraufhin, daß die Bevorzugung einer anderen als der vom Gesetz vorgesehenen Rechtsform für das in Geltung gesetzte Rechtsgeschäft zugleich die Anwendung derjenigen Regeln ausschließt, die die vermiedene Rechtsform kennzeichnen. 236 Das Gebot einer möglichst weitgehenden Konkretisierung des Klauselinhalts als Ausprägung des Transparenzgebots ist allgemein anerkannt, vgl. statt vieler Ulmer/Brandner/Yiensen, §9 AGBG Rdnr.97 m.w.N. 237 BGH NJW 1977, 848; 1978, 1383 (1384); 1986, 179; 1990, 247 (248). 232

233

222

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

(c) Rechtsfolgen einer Rechtsformverfehlung einzelner unabdingbarer Vorschriften

Rechtsfindungskonzepts

und der

Nichtbeachtung

Für die Rechtsfolgen einer mit dem Gesetz nicht in Einklang stehenden Parteiqualifikation kommt es zunächst darauf an, ob die Rechtsordnung zwingend eine bestimmte Vertragsform vorgibt oder lediglich die Beachtung einzelner Gesetzesbestimmungen einfordert. Im ersten Fall, wenn also der Gesetzgeber einen bestimmten Vertragstyp (z.B. den Arbeitsvertrag) mit einem Bündel zwingender Vorschriften umgibt und auf diese Weise einen Rechtsformzwang statuiert, vermag die Qualifizierungsklausel keinerlei Rechtswirkung zu entfalten. An die Stelle der unzutreffenden Einordnung durch die Parteien tritt automatisch die objektiv geeignete Rechtsform. 238 Dagegen hieße es den Schutzzweck des zwingenden Rechts zu konterkarieren und der geschützten Partei Steine statt Brot zu geben, die Nichtigkeitsfolge auf den gesamten Vertrag zu erstrecken oder der enttäuschten Partei ein besonderes Lösungsrecht (etwa ein Anfechtungs- oder außerordentliches Kündigungsrecht) zuzubilligen. 239 Anders liegt der Fall, wenn die Qualifizierungsabrede nur in einzelnen Punkten den verbindlichen Geltungsanspruch des gesetzlichen Vertragsrechts mißachtet. Handelt es sich um eine Individualvereinbarung, so beurteilt sich der Umfang der Nichtigkeit, die infolge des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§134 BGB) oder gegen eine zwingende Formvorschrift (§125 S. 1 BGB) eintritt, nach der Regel des § 139 BGB. Diese dem Gedanken der Privatautonomie verpflichtete Norm will verhindern, daß den Parteien anstelle des von ihnen gewollten Rechtsgeschäfts ein Geschäft mit anderem Inhalt aufgedrängt wird. 240 Die Vermutungswirkung des §139 BGB zugunsten der Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäfts ist vorliegend jedoch, gerade um der angemessenen Berücksichtigung der Parteiinteressen willen, in zweifacher Hinsicht einzuschränken. Zunächst ergreift die Nichtigkeit eines abtrennbaren Teils - hier der Qualifizierungsvereinbarung - nicht den gesamten Vertrag, wenn dieser aus zahlreichen weiteren Einzelbestimmungen besteht und durch den Wegfall eines Teils nicht gestört wird. 241 Sodann ist aber auch die Qualifizierungsabrede als solche inhaltlich teilbar. Denn sie vereinigt in sich lediglich die Einzelanordnungen, die ansonsten notwendig wären, um den Regelungsplan des gewünschten Vertrags238 Z.B. B A G N Z A 1992, 407 (408) u n d B G H Z 10, 91 (96); 22, 240 (244); 32, 307 (310). A u s dem Schrifttum: E r m a n - H a n a u , § 6 1 1 B G B Rdnr. 11; Fenn, in: FS f ü r Bosch, S. 183; Flume, Personalgesellschaft, § 13 III; J4. Hueck, Recht der o H G , S. 11 ;John, Die organisierte Rechtsperson, S. 312; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 II, S. 108; im Ergebnis ebenso Jahnke, Z H R 146 (1982), S. 609. 2 3 9 Für die h.M. Fenn, in: FS für Bosch, S. 178ff.\Jahnke, Z H R 146 (1982), S. 617ff. u n d Wank, Arbeitnehmer u n d Selbständige, S. 112f. A . A . Lieh, R d A 1975, 49ff. u n d ders., Ehegattenmitarbeit, S. 18ff. 2 4 0 Palandt-Heinrichs, § 1 3 9 B G B R d n r . l ; M ü n c h K o m m - M a y e r - M a l y , § 1 3 9 B G B Rdnr.4; Flume, Rechtsgeschäft, § 3 2 , 7, S.584. 241 Vd&nix-Heinriebs, §139 BGB R d n r . l l .

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinharten

223

typs zum Vertragsinhalt zu machen. Schießt nun eine nicht vorformulierte Q u a lifizierungsvereinbarung punktuell über das Ziel hinaus, ignoriert sie z . B . das außerordentliche Kündigungsrecht des § 6 2 6 B G B , so dürfte es im allgemeinen dem mutmaßlichen Parteiwillen entsprechen, die angestrebten R e c h t s w i r k u n gen im übrigen so weit wie möglich eintreten zu lassen. D a h e r ist in solchen F ä l len lediglich der Verweisungsumfang der Klausel entsprechend zu reduzie242

ren. A b w e i c h e n d gestaltet sich in diesem P u n k t e die Rechtslage, w e n n die Q u a l i fizierungsklausel A G B - C h a r a k t e r aufweist. Z w a r bleibt auch hier das R e s t g e schäft wirksam (vgl. § 6 A b s . 1 A G B G ) . Eine teilweise Aufrechterhaltung der Qualifizierungsklausel entspräche j e d o c h nicht A G B - r e c h t l i c h e n G r u n d s ä t zen. Verstößt nämlich eine vorformulierte Klausel teilweise gegen die Inhaltskontrollvorschriften der § § 9 bis 11 A G B G , so ist diese grundsätzlich im ganzen unwirksam. 2 4 3 E i n e geltungserhaltende R e d u k t i o n findet nicht statt. 2 4 4 A n ders ist nur bei Teilbarkeit zu verfahren. Hieran werden j e d o c h im A G B - R e c h t erhöhte Anforderungen gestellt. Voraussetzung für die Teilbarkeit ist hier, daß die B e s t i m m u n g nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich zerlegbar ist, also einfach weggestrichen werden kann. 2 4 5 D a dies bei einer vorformulierten und zu weit gehenden Qualifizierungsabrede nicht möglich ist, m u ß es bei der N i c h tigkeit der gesamten Klausel verbleiben. D i e L ü c k e wird geschlossen durch das dem objektiven Geschäftsinhalt entsprechende gesetzliche Vertragstypenrecht ( § 6 Abs. 2 A G B G ) , w o m i t sich zugleich die Reservefunktion der dispositiven Vertragsordnung aktualisiert.

d) Folgerungen für die rechtliche Behandlung nicht Verträge

kodifizierter

F ü r die B e s t i m m u n g der Rechtsfolgen nicht kodifizierter Verträge bleibt nach alledem folgendes festzuhalten: D i e Parteien haben es grundsätzlich in der H a n d , den Inhalt ihres Vertrages nach ihren eigenen Vorstellungen und o h n e A n l e h n u n g an die gesetzlichen Vertragstypenmodelle auszugestalten. U m g e kehrt steht es ihnen im G r u n d s a t z aber auch frei, ihren Vertrag (teilweise) dem R e c h t eines bestimmten gesetzlichen Vertragstyps zu unterstellen. F ü r die Rechtsfindung k o m m t einer parteiautonomen Qualifizierung somit besondere So im Ergebnis wohl auch BGH BB 1952, 635. BGH NJW 1982,2309 (2310); 1986,1610 (1612); 1989, 582 (583); Palandt-Heinrichs, Vorbem. v. §8 AGBG Rdnr.9. 244 BGH NJW 1983, 1322 (1325); 1991 2141 (2142f.); 1993,326 (330); Ulmer/Brandner/Hensen-H. Schmidt, §6 AGBG Rdnr.14; Wolf/Horn/Lindacher, §6 AGBG Rdnr.29, 31; Locher, Recht der AGB, § 10,4, S. 78f.; von Hoyningen-Huene, § 9 AGBGRdnr. 69; a.A. Hager, JZ 1996, 175ff.; für weitgehende Ausnahmen auch Canaris, in: FS für Steindorff, S. 547ff. 245 BGH NJW 1982, 178 (179, 181); 1989, 3215 (3216); 1993, 1133 (1135); 1997, 3437 (3439); Palandt-Heinrichs, Vorbem. v. §8 AGBG Rdnr.ll; Erman-//. Hefermehl/Werner, §6 AGBG Rdnr.ll; Soergel-Stez«, §6 AGBG Rdnr.ll; Ulmer/Brandner/Hensen-//. Schmidt, §6 AGBG Rdnr. 12. 242

243

224

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Bedeutung zu; über ihren rechtlichen Aussagegehalt und ihre Rechtswirksamkeit hat sich der Richter alsbald Klarheit zu verschaffen. Äußerste Grenzen zieht die Rechtsordnung einer Parteiqualifikation dort, wo zwingendes Recht bzw. - im Falle Allgemeiner Geschäftsbedingungen - Grundgedanken der gesetzlichen Regelung Geltung beanspruchen. Hierfür kommt es nicht in erster Linie auf die Bestimmung der Rechtsnatur des Vertrages, sondern auf den unter Umständen im Wege des Analogieschlusses zu erweiternden Geltungsbereich der Norm an. Teichmann hat dies treffend wie folgt formuliert: „Da das Gesetz einen bestimmten Interessenkonflikt verbindlich entscheidet, kommt es maßgeblich auf den objektiven Tatbestand, also das Vorhandensein von Interessen an, nicht aber darauf, wie die Parteien diese Interessen formulieren." 246 Anknüpfend an neuere Tendenzen in der Diskussion um das gesetzliche Leitbild (§9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG) 2 4 7 wird man im Rahmen dieser Interessenbewertung vor allem die typischen, die gesetzlichen Vertragstypen nicht selten überlagernden Interessenstrukturen bei der Güterverteilung zu beachten haben. 248 Formularmäßigen Qualifizierungsklauseln setzt schließlich auch das Transparenzgebot zunehmend engere Grenzen. Der Kautelarjurisprudenz ist daher anzuraten, sich nach Möglichkeit um eine Konkretisierung der vertraglichen Rechte und Pflichten unter Verzicht auf Qualifizierungsklauseln zu bemühen.

2. Die Auslegung gesetzlich nicht geregelter

Schuldverträge

Haben die Parteien auf eine autonome Vertragsqualifizierung verzichtet oder entfaltet diese nach dem oben Gesagten keine Wirkungen, so muß der - vorbehaltlich der Inhaltskontrolle - rechtlich maßgebliche Inhalt der Parteivereinbarung im Wege der Auslegung nach den §§133, 157 B G B festgestellt werden. Verfehlt wäre es indes, sogleich die Qualifikationsfrage aufzuwerfen. Die typologische Einordnung ist nämlich, wie Canaris treffend bemerkt hat, ein „rein analytischer Schluß in dem Sinne, daß er nur explizit macht, was schon zuvor implizit im Vertrag enthalten ist." 249 Folglich muß die Ermittlung des Vertragsinhalts im Wege der Auslegung an erster Stelle stehen. Während es bei gesetzestypischen Verträgen in der Praxis üblich ist, die Rechtsfolgenbestimmung sogleich mit einem Seitenblick auf das in Betracht kommende gesetzliche Muster durchzuführen, sollte bei den gesetzesfremden Verträgen die gedankliche Trennung beider Ebenen auch praktisch vollzogen werden. Der somit eine Vorrangstellung zukommenden Auslegung können unterschiedliche Aufgaben zuwachsen. 250 Zuvörderst dient sie der Aufklärung unklarer oder mehrdeutiger Regelungen im Vertrag im Hinblick auf eine konkrete 246 247 248 249 250

Teichmann, Parteiautonomie, Typenmischung und Typenzwang, S. 60. Hierzu vor allem Weick, NJW 1978, 15; vgl. hierzu auch die Ausführungen unter §4 IV. Teichmann, Parteiautonomie, Typenmischung und Typenzwang, S. 63. Canaris, AcP 190 (1990), S. 457. Hierzu Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §28 Rdnrn. 4ff.

III.

Vorrangige

Ausschöpfung

des vertraglich

Vereinbarten

225

Fragestellung, die nach Vertragsschluß von den Parteien aufgeworfen wird. Das Ziel dieser erläuternden Auslegung ist es, das von den Parteien tatsächlich Gemeinte, also ihren realen Willen bei Vertragsschluß zu ermitteln. Die Auslegung hat in diesem Falle bei den Vertragsschlußerklärungen der Parteien anzusetzen, muß aber gegebenenfalls auf den abgeschlossenen Vertrag als Sinnganzes erstreckt werden. Konflikte über den Inhalt des von den Parteien ins Werk gesetzten Vertrages können ferner dadurch entstehen, daß sich im nachhinein der Vertrag als unvollständig erweist. Der Vertrag schweigt zu einem bestimmten Punkt, weil die Parteien diesen nicht bedacht haben. Soweit die Auslegung zur Schließung einer solchen Lücke eingesetzt wird, ist ihr Ziel nicht mehr die Ermittlung des realen, sondern eines hypothetischen Parteiwillens. Sie reichert den Rechtsgewinnungsvorgang in nicht unbeträchtlichem Maße durch außervertragliche Wertungen der Rechtsordnung an. Damit ist sie weitaus stärker normativ geprägt als die lediglich durch die Beachtlichkeit des Empfängerhorizonts normativierte erläuternde Auslegung. 251 Die lückenfüllende Funktion teilt sich die ergänzende Auslegung in einer noch näher aufzuhellenden Weise mit den dispositiven Gesetzesregeln des besonderen Schuldvertragsrechts. Die ergänzende Vertragsauslegung steht damit auf einer Zwischenstufe zwischen autonomer und heteronomer Wertung. 252 Gegenüber dem gesetzlichen Dispositivrecht zeichnet sie sich durch eine engere Rückkoppelung an den geschlossenen Vertrag aus, während sie sich von der erläuternden Auslegung durch eine stärkere Berücksichtigung außervertraglicher - objektiver - Bewertungskategorien abhebt. Wohl aber dürfte die ergänzende Auslegung näher bei der erläuternden Auslegung stehen, was sich schon in den vielfach übereinstimmenden Mitteln und Anhaltspunkten, derer sie sich beide bedienen, dokumentiert. Wenn im folgenden wichtige Punkte der erläuternden Auslegung erörtert werden, so wird darauf im Rahmen der ergänzenden Auslegung zurückzukommen sein. Die Überlegungen zur ergänzenden Vertragsauslegung, deren besondere Bedeutung bei der Inhaltsbestimmung nicht kodifizierter Verträge sich angesichts des dort herrschenden spezifischen Normenmangels aufdrängt, sollen hier noch für einen Moment zurückgestellt werden. a) Feststellung des objektiven

Erklärungswertes

Bei der Ermittlung des in den empfangsbedürftigen Willenserklärungen der Vertragsparteien gewillkürten Rechtsfolgeprogramms im Wege der Auslegung kommt es nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich auf die Warte des Erklärungsempfängers an. Auf seinen Horizont und seine Verständnismöglichkeiten ist die Auslegung abzustellen. Im schweizerischen Recht wird in diesem Zusammenhang treffend vom „Vertrauensprinzip" gesprochen. Ihm folge sowohl die Auslegung der benannten auch als auch der unbenannten Verträge. Für das 251 252

Flume, Rechtsgeschäft, § 16, 4, S.325. Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S.452f.

226

$ 7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

deutsche Recht gilt im Ergebnis nichts anderes. Allgemeingut ist insbesondere die - im schweizerischen Recht aus dem Vertrauensprinzip abgeleitete - Vorgabe, nicht nur den Worten einer Willensäußerung Beachtung zu schenken, sondern die Gesamtheit der konkreten Verhältnisse und Begleiterscheinungen zu berücksichtigen. Es muß das ganze dem Adressaten erkennbare Verhalten als Auslegungsmaterial herangezogen werden. Hierzu gehört selbstverständlich auch der Umstand, daß die fragliche Einzeltransaktion in einen größeren Rahmen - einen Rahmenvertrag - eingebettet ist, aus dem sich erst der Sinn einer bestimmten Vertragsbestimmung erschließt. 253 b) AGB-spezifische

Modifikationen

Für die Auslegung einer Vertragsbestimmung kommt es ferner darauf an, ob es sich bei ihr um eine Individualvereinbarung oder um eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 1 A G B G handelt. Für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gelten einige Modifikationen, die ihrem Massencharakter und der besonderen Klauselverantwortung des Verwenders Rechnung tragen. Da die nicht kodifizierten Vertragstypen in besonderem Maße durch vorformulierte - das fehlende Gesetzesrecht substituierende - Bedingungswerke geprägt sind, erheischen die AGB-spezifischen Auslegungsregeln besondere Aufmerksamkeit. (1) Grundsatz der objektiven

Auslegung

Abweichend von dem an individuell vereinbarten Regelungsprogrammen ausgerichteten Auslegungsmaßstab sind Allgemeine Geschäftsbedingungen objektiv, das heißt grundsätzlich ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles auszulegen. Abzustellen ist auf das typische Verständnis redlicher Vertragspartner unter Abwägung der Interessen der an Geschäften dieser Art normalerweise beteiligten Kreise. 254 Allgemeine Geschäftsbedingungen zielen auf eine einheitliche Verwendung gegenüber sämtlichen Kunden. Dem muß auch eine einheitliche objektivierende, mithin stärker bei § 157 B G B angesiedelte Auslegungsmethode entsprechen. Anderenfalls würde der mit der Aufstellung Allgemeiner Geschäftsbedingungen erstrebte Rationalisierungseffekt in Frage gestellt. Die objektive Auslegung schränkt den Kreis der Auslegungsmittel auf solche ein, die dem typischen Kunden des jeweiligen Geschäfts-

Ausführlich hierzu Windbichler, AcP 198 (1998), S.275f. Aus neuerer Zeit B G H Z 84, 268 (272); B G H N J W 1992, 2629; NJW-RR 1996, 856 (857); Wmer/Brandner/Hensen, §5 A G B G Rdnr.20ff.; Soergel-Stein, §5 A G B G Rdnr.6; MünchKomm-Kötz, §5 A G B G Rdnr.2, 4; H. Roth, WM 1991, 2126; a.A. Woli/Hom/Lindacher, §5 A G B G Rdnr. 6ff. und Staudinger-Schlosser, §5 A G B G Rdnr. 18, 22; einschränkend auch Schmidt-Salzer, JZ 1995, 223ff. 253

254

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinharten

227

kreises zugänglich sind. 2 5 5 F e r n e r führt die mangelnde Berücksichtigungsfähigkeit der individuellen Begleitumstände des Vertragsschlusses zu einer gewissen Aufwertung des Wortlautarguments im Auslegungsgeschehen. 2 5 6 D i e G e r i n g schätzung des Wortlautverständnisses würde im übrigen verkennen, daß der Vertragstext der primäre und häufig auch einzige A n s a t z p u n k t für den K u n d e n ist, sich den Vertragsinhalt zu erschließen. A u f der anderen Seite ist vor Ü b e r treibungen zu warnen. Keinesfalls darf eine Klausel gestützt auf ihren Wortlaut entgegen ihrem der Gegenseite erkennbaren Sinnzusammenhang ausgelegt werden. W e n n beispielsweise die vertraglichen Festlegungen der Parteien eines Leasingvertrages im Sinne mietrechtlicher R e c h t s f o l g e a n o r d n u n g e n gedeutet werden, weil sich die Parteien eines mietrechtlichen Vokabulars bedient haben, so spiegelt sich hierin eine krasse U b e r b e w e r t u n g des Wortlauts gegenüber den sonstigen Auslegungsmethoden. U n r i c h t i g ist die mitunter zu vernehmende Behauptung, das Transparenzgeb o t stehe einer maßgeblichen Berücksichtigung teleologischer und systematischer Gesichtspunkte entgegen. 2 5 7 Das Transparenzgebot entscheidet ü b e r die E i n b e z i e h u n g und die W i r k s a m k e i t Allgemeiner Geschäftsbedingungen, beeinflußt hingegen - außer in der Gestalt der Unklarheitenregel - 2 5 8 nicht das Auslegungsgeschehen. Voraussetzung für seine A n w e n d b a r k e i t ist vielmehr, daß der Auslegungsvorgang abgeschlossen ist. I m A n s c h l u ß hieran kann auf der G r u n d lage des Transparenzgebotes darüber nachgedacht werden, o b das Auslegungsergebnis für den typischen K u n d e n n o c h vorhersehbar ist und die Klausel gegebenenfalls wegen Intransparenz zu eleminieren ist. U b e r h a u p t verfestigt sich der E i n d r u c k , daß das Transparenzgebot zunehmend G e f a h r läuft, die G r e n z e n zwischen Auslegung, E i n b e z i e h u n g und Inhaltskontrolle zu verwischen und sich zu einem freischwebenden, rechtsmethodisch k a u m mehr handhabbaren K o r r e k t i v gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu entwickeln.

(2) Unklarheitenregel

und

Restriktionsprinzip

F ü r die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen existiert in Gestalt der Unklarheitenregel des § 5 A G B G eine besondere Entscheidungshilfe für 255 BGH WM 1978, 10 (11); Ulmer/Brandner/Hensen, §5 AGBG Rdnr.22; Palandt-Ztewrichs, §5 AGBG Rdnr.7. 256 Ulmerl Brandner/Hensen, §5 AGBG Rdnr. 13; H. Roth, AcP 190 (1990), 306. Die Rechtsprechung ist uneinheitlich. Von einer am Wortlaut ausgerichteten objektiven Auslegung einer AGB-Klausel spricht z.B. BGH NJW 1988,3149 (3150), während Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen sein sollen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muß (BGH NJW 1993, 2368). 257 Ulmer/Brandner/Hensen, § 5 AGBG Rdnr. 21; H. Roth, WM 1991,2127;/. Schäfer, Transparenzgebot, S. 115f. 258 Die Unklarheitenregel des § 5 AGBG wird vielfach mit dem Transparenzgebot in Verbindung gebracht; vgl. t/Zmer/Brandner/Hensen, §5 AGBG Rdnr. 1; Wolf/Horn/Lindacher, §5 AGBG Rdnr. 24.

228

¡7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

den Fall objektiver Mehrdeutigkeit. Nicht behebbare Auslegungszweifel gehen hiernach zu Lasten des Verwenders. Dies ist nicht gleichbedeutend mit kundenfreundlicher Auslegung. Zu Lasten des Verwenders kann auch eine kundenfeindliche Auslegung gehen, nämlich dann, wenn diese zur Unwirksamkeit der betreffenden Klausel nach §§ 9ff. AGBG führt. Dieses Verständnis der Unklarheitenregel ist im Verbandsprozeß anerkannt259 und setzt sich zunehmend auch für den Individualprozeß durch.260 Freilich ist zu beachten, daß es sich um eine subsidiäre Auslegungsregel handelt, die die Ausschöpfung der bekannten Auslegungsmethoden voraussetzt.261 Die Rechtsprechung hat es hier mitunter an der gebotenen Zurückhaltung fehlen lassen. Nicht hinreichend beachtet wurde beispielsweise, daß eine Unklarheit dann nicht besteht, wenn der Rahmenvertrag Aufklärung verschafft.262 Eine problematische Entscheidung ist ferner zu einer formularmäßigen Haftungsklausel in einem Kreditkartenvertrag ergangen, der, wenn er - wie im entschiedenen Fall - ein zweipoliges Kreditkartensystem begründet (sog. Kundenkreditkarte), als Vertrag eigener Art qualifiziert wird.263 Die fragliche Bestimmung im Vertragswerk des Kartenherausgebers sah vor, daß die Haftung des Karteninhabers für mißbräuchliche Verwendung einer abhanden gekommenen Karte ab dem Tage des Eingangs der Verlustmeldung entfalle, wobei grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten des Karteninhabers ausgenommen sei. Im Wege der „kundenfeindlichsten", zur Unwirksamkeit führenden, Auslegung verstand der Bundesgerichtshof diese Klausel dahingehend, daß der Kunde vor Eingang der Verlustanzeige das Mißbrauchsrisiko auch dann tragen solle, wenn ihm keinerlei Verschulden vorgeworfen werden könne. Hierbei handelt es sich jedoch um eine ganz fernliegende Deutung, die im Wege der objektiven Auslegung hätte verworfen werden müssen.264 Die Klausel regelt erkennbar nur die Haftung nach Eingang der Verlustanzeige. Für diese Fallkonstellation bestätigt sie sogar ausdrücklich das grundsätzlich geltende Verschuldensprinzip. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überzeugend, wenn dem Klauselverwender unter259 Vgl. z.B. BGH NJW 1991, 1887; 1998, 3119 (3121); UlmerlBrandner/Hensen, §5 AGBG Rdnr.6; WoWHorrdLindacher, §5 AGBG Rdnr.41; a.A. noch Erman-Werner, §13 AGBG Rdnr.28. 260 U/mer/Brandner/Hensen, §5 AGBG Rdnr.31; Wolf/Horn/Lindacher, §5 AGBG Rdnr.33; Soergel-Stein, §5 AGBG Rdnr.16; Palandt-Heinrichs, §5 AGBG Rdnr.9; Erman-H. HefermehllWerner, §5 AGBG Rdnr.22; v. Olshausen, ZHR 151 (1987), S.639f.; Schlosser, ZIP 1985, 457£.; Horn, WM 1984, 451; Locher, Recht der AGB, S.68. 261 BGH NJW-RR1995,1303; 1996,857 (858); NJW 1997,3434 (3435); Schmidt-Salzer, AGB, E.51; ¥z\anAt-Heinrichs, §5 AGBG Rdnr. 8; prononciert anderer Ansicht Schlechtriem, in: FS für Heinrichs, S. 503ff.; seiner Ansicht nach sei die kundenfreundlichste Auslegung (schon) dann zu wählen, wenn der Wortlaut bei objektiver am Verständnishorizont eines durchschnittlichen Adressaten ausgerichteten Lesart unklar und mehreren Auslegungen zugänglich ist. 262 Vgl. etwa BGH NJW 1985, 623 (626) zu einem Vertragshändlervertrag; zu Recht kritisch Windbichler, AcP 198 (1998), S.276. 263 BGH NJW 1991, 1886. 264 Für bedenklich hält diese Vorgehensweise auch Wolf/Horn/Lindacher, §5 AGBG Rdnr. 42.

III.

Vorrangige Ausschöpfung

des vertraglich

Vereinbarten

229

stellt wird, er habe die Mißbrauchsgefahr vor Eingang der Verlustanzeige auch dann auf den Karteninhaber abwälzen wollen, wenn dieser alle ihm zumutbaren Vorkehrungen gegen einen Kartenmißbrauch getroffen habe und ihm ein Verschuldensvorwurf nicht gemacht werden könne. Als weitere AGB-spezifische Auslegungsregel wird bisweilen der Grundsatz angeführt, den Kunden belastende Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen seien restriktiv auszulegen.265 Vor Inkrafttreten des AGB-Gesetzes war dies ein probates Mittel, den Kunden vor benachteiligenden Wirkungen vorformulierter Klauseln zu schützen. Freizeichnungsklauseln, Haftungsausschlüsse und -begrenzungen hat die Rechtsprechung bis an die Grenze des Wortlauts - gelegentlich sogar darüber hinaus - zugunsten des Kunden eng auslegt.266 Zwar hat sich in der neueren Rechtsprechung eine zurückhaltendere Einstellung gegenüber dem Restriktionsprinzip durchgesetzt. Die Tendenz früherer Jahre wirkt freilich bis auf den heutigen Tag fort. Begründet wird eine enge Auslegung nunmehr zumeist mit einer Abwägung der Interessen beider Seiten bzw. mit dem typischen Verständnis des Kunden. Noch ganz in der Tradition des Restriktionsprinzips steht beispielsweise eine neuere Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu einer haftungsbeschränkenden Klausel in einem im Rahmen eines Bauherrenmodells geschlossenen Treuhandvertrag.267 Die Abrede sah vor, daß die Haftung des Treuhänders bei einfacher Fahrlässigkeit auf den Ersatz des unmittelbaren Schadens begrenzt sei. Zu entscheiden war, ob der Begriff des „unmittelbaren Schadens" auch einen Zinsmehraufwand für die Zwischen- und Endfinanzierung infolge einer vom Treuhänder leicht fahrlässig verursachten Bauverzögerung umfaßt. Der Wortlaut sprach bei unbefangener Betrachtung dafür, den eingetretenen Vermögensnachteil als mittelbaren Schaden einzustufen. Denn er war immerhin insoweit „vermittelt", als erst die eigenständige Entscheidung des Bauherrn, ein höheres Darlehen aufzunehmen, zu einer Erhöhung der Baukosten führte. Der Bundesgerichtshof kam zum entgegengesetzten Ergebnis und berief sich dafür auf eine „nach beiden Seiten interessengerichtete Auslegung". Ließe man für solche ih265 p r e ilj c h m i t ; m einzelnen differierenden Begründungen und Modifikationen: Knütel, J R 1981, 223; Stein, §5 A G B G Rdnr. 11; Palandt-Heinrichs, §5 A G B G Rdnr. 12 (in Ergänzung zur Unklarheitenregel); Wolf/Horn/Lindacher, § 5 A G B G Rdnr. 37ff. (eigenständige und subsidiäre Auslegungsregel); für Beachtlichkeit im Zusamenhang mit Auslegung von Leasingverträgen Sannwald, Finanzierungsleasingvertrag, S.95. Nach Schmidt-Salzer (AGB, E. 51) kommt das Restriktionsprinzip für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zwar grundsätzlich in Betracht. Da es aber nur einen Teilbereich der Unklarheitenregel umfasse, gehe es darin auf und könne keine selbständige Geltung beanspruchen. 266 B G H Z 5,111; 22,90 (96); 24,39 (45); 40, 65 (69); sehr weitgehend insbesondere B G H Z 62, 251 ff. Auch heute noch begegnet man mitunter noch der These, Freizeichnungsklauseln seien grundsätzlich eng auszulegen (vgl. beispielsweise B G H N J W 1986, 2757, 2758; und dieser Grundsatz wird bisweilen auch ausdrücklich von der Unklarheitenregel geschieden (vgl. B G H N J W 1979, 2148). Zur geschichtlichen Entwicklung des Restriktionsprinzips im AGB-Recht vgl. Samhuc, N J W 1981, 315f. m.w.N. 267 B G H N J W 1994, 2228.

230

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

rer Art nach naheliegende Schäden die Haftung nur bei einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung eintreten, so lasse dies die Interessen des Bauherrn in nicht mehr hinnehmbarer Weise außer acht. Denn dieses Ergebnis laufe auf eine Aushöhlung der dem Treuhandvertrag sein Gepräge gebenden Hauptpflicht des Treuhänders hinaus. Hier zeigt sich m.E. die Gefahr einer restriktiven - vom Bundesgerichtshof „interessengerichtet" genannten - Auslegung. Sie gesteht der Auslegung eine korrektorische Funktion zu, die ihr nach der Konzeption des AGB-Gesetzes nicht zukommt. Das AGB-Gesetz hat sich für eine offene Inhaltskontrolle und für eine klare Abgrenzung der Auslegung von der Inhaltskontrolle entschieden. Wenn der Bundesgerichtshof jedoch die eindeutig der Inhaltskontrolle (dort § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG) zuzuordnende Frage der Aushöhlung der vertraglich übernommenen Hauptpflicht im Rahmen der Auslegung aufgreift, so eleminiert er die problematische Aussage bereits auf der Stufe der Auslegung und leistet damit der nicht erwünschten verdeckten Inhaltskontrolle Vorschub. Gegen das Restriktionsprinzip in seiner Bedeutung als eigenständiges Auslegungsmittel sprechen zudem noch weitere Gründe, die hier nur kurz angedeutet seien. Vor allem läuft das Restriktionsprinzip Gefahr, das allgemein befürwortete Verbot der geltungserhaltenden Reduktion zu unterminieren, indem es die Klausel in der unbedenklichen Lesart sanktioniert, den problematischen Teil hingegen ausscheidet. Ferner kann das Restriktionsprinzip schwerlich mit der gesetzlich verankerten Unklarheitenregel in Einklang gebracht werden. Es kann insbesondere auch nicht als Unterfall der Unklarheitenregel angesehen werden.268 Denn dann müßte es - wie diese - durch die herkömmlichen Auslegungsmethoden nicht behebbare Auslegungszweifel voraussetzen, was aber offenbar nicht der Fall sein soll. Und zum anderen führt die Unklarheitenregel im Verbandsprozeß und in einem ersten Anwendungsschritt auch im Individualprozeß zur Annahme der kundenfeindlichsten Deutung, die in aller Regel gerade nicht in einer restriktiven Auslegung der den Kunden belastenden Klausel zu finden sein wird. Schließlich hat das Restriktionsprinzip nur die dem Kunden lästigen Klauseln im Blick. Es trägt nichts zur Interpretation von Klauseln bei, die dem Kunden über das dispositive Recht hinaus eine weitergehende Rechtsposition einräumen. Soll hier zusätzlich ein Gebot der extensiven Auslegung gelten? Aus alledem wird deutlich, daß das Restriktionsprinzip, verstanden als eigenständiges Auslegungsmittel aber auch als die Auslegung beeinflussender, im Unklarheitenprinzip wurzelnder Faktor, im geltenden Recht ein Fremdkörper ohne Existenzberechtigung wäre.269 Folglich sollte es auch die Auslegung der üblicherweise vorformulierten Innominatverträge samt ihren Freizeichnungs- und Haftungsklauseln nicht beeinflussen.

Ulmer/Brandner/Hensen, § 5 AGBG Rdnr. 40; Locher, Recht der AGB, S. 68. Wie hier Ulmerl Brandner/Hensen, § 5 Rdnr. 40; Soergel-Sfein, § 5 AGBG Rdnr. 9; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 143; Locher, Recht der AGB, S.68; Sambuc, NJW 1981, 315. 268

269

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

c) Auslegungsrelevante

231

Begleitumstände

Nach der Ermittlung des Wortsinnes und der - allerdings nur eingeschränkt aussagekräftigen - 2 7 0 systematischen Stellung der betreffenden Klausel im Gesamtbedingungswerk sind die außerhalb der Erklärungsaktes liegenden Umstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluß auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen.271 Aufgrund der in der Praxis der nicht kodifizierten Verträge vorherrschenden AGB-Verwendung ist der Kreis der berücksichtigungsfähigen sinngebenden Umstände allerdings von vornherein eingeschränkt. Umstände, die den besonderen Einzelfall kennzeichnen, haben grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Da weiterhin auch die dem typischen Kunden nicht bekannnte Entstehungsgeschichte des Bedingungswerks in aller Regel nicht zu verwerten ist, 272 rückt auf der zweiten Stufe - nach der Würdigung des Wortlauts - der typische Sinn und Zweck der AGB-Bestimmung in den Vordergrund. (1) Die wirtschaftliche

Zwecksetzung

Sinn und Zweck einer vorformulierten Klausel zu ergründen, bedeutet allem voran, die mit dem Vertrag und der betreffenden Klausel typischerweise verfolgte wirtschaftliche Zwecksetzung aufzudecken. Im Zweifel verdient dann diejenige Interpretation der Abrede den Vorzug, die dem erstrebten wirtschaftlichen Erfolg am besten zur Geltung verhilft. Auslegungsentwürfe dagegen, die am wirtschaftlichen Zweck des Vertrages vorbeigehen oder ihn sogar durchkreuzen, sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Daß teleologische Gesichtspunkte auch im Rahmen der Auslegung von Rechtsgeschäften zu berücksichtigen sind und bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen sogar eine hervorgehobene Rolle spielen, ist weithin erkannt. 273 Bei gesetzlich nicht geregelten Verträgen, mit denen häufig neue markt- und verkehrswirtschaftliche Bedürfnisse aufgegriffen werden, ist der Blick „hinter" den Vertrag, die Frage nach dem „wozu", noch wichtiger. Der Zweckgedanke ist hier nicht zu entbehren. 274 270 Hierzu H. Roth, WM 1991, 2128; relativierend auch Wolf/Horn/Lindacher, §5 AGBG Rdnr. 7; unter dem Gesichtspunkt des - in dieser Stoßrichtung allerdings zweifelhaften (vgl. oben b) (1)) - Transparenzgebotes auch [//mer/Brandner/Hensen, §5 AGBG Rdnr. 21. 271 Palandt-Heinrichs, § 133 BGB Rdnr. 15 m.w.N.; Flame, Rechtsgeschäft, § 16, 3, S.310ff.; 272 Wmer/Brandner/Hensen, §5 AGBG Rdnr. 22; VloWHom/Lindacher, §5 AGBG Rdnr. 15; Erman-H. Hefermehl/Werner, §5 AGBG Rdnr.8; Dreher, AcP 189 (1989), S.361; Staudinger-ScWosser, § 5 AGBG Rdnr. 21; Schmidt-Salzer, AGB, Rdnr. E. 50; anders für die Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen jedoch BGH NJW 1981, 870 (873). 273 BGH NJW 1984, 1184 (1185); 1984, 2536; 1986, 310 (314); 1988, 1261 (1262); 1990, 1177 (1178); 1993,1381 (1382); 1997, 3087 (3088); Wolf/Horn/Lindacher, § 5 AGBG Rdnr. 7; als vorrangige Auslegungsmethode bezeichnet sie Soergel-Stein, §5 AGBG Rdnr. 7. 274 So auch H. Roth, AcP 190 (1990), S.307; ferner Leenen, AcP 190 (1990), 269f.; für einen problemspezifischen Zugang zur einzelnen Parteivereinbarung bzw. zum Häufigkeitstypus auch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 296ff. Hierzu paßt es, wenn Langen-

232

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Große Bedeutung mißt die Rechtsprechung der Interessengemäßheit des Auslegungsergebnisses bei. 275 Zwar bestehe im Grundsatz keine Schranke der Vertragsfreiheit dahin, daß nur allseits interessengerechte Regelungen vereinbart werden dürften. Dies stehe aber im Regelfall eines interessengerecht ausgehandelten Vertrages einer Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragsparteien nicht entgegen, sondern erfordere diese vielmehr. Anders als bei der Gesetzesauslegung darf sich die Auslegung vorformulierter Vertragswerke jedoch nicht einseitig an den Interessen und Vorstellungen des Regelaufstellers orientieren. 276 Zwar werden auch Allgemeine Geschäftsbedingungen von einer Seite entworfen und dem anderen - per definitionem - einseitig auferlegt. Diese werden jedoch Bestand einer rechtgeschäftlichen Übereinkunft, so daß auch die Zweckvorstellungen der Gegenseite den Geschäftsinhalt prägen. Diese müssen keineswegs mit denjenigen des Verwenders konform gehen. Die Rechtsprechung hat es bislang verstanden, der mit der teleologischen Auslegung einhergehenden Gefahr einer einseitigen Betonung der Verwenderinteressen entgegenzuwirken. Das Zweckkriterium hat die Gerichtsbarkeit in der Vergangenheit wohlweislich dahingehend erweitert, daß es auf die typischerweise verfolgten Zwecke und Interessen der auf beiden Seiten beteiligten Kreise ankomme. 277 Die bekannte Formel der Rechtsprechung verlangt sogar eine „Abwägung der Interessen" beider Teile. Freilich ist diese Formulierung angreifbar, betritt sie doch das der Auslegung versperrte Gebiet der Inhaltskontrolle. Dieser ist die Bewertung und Abwägung der Interessen, also die Feststellung, ob ein angemessener Interessenausgleich erzielt worden ist, vorbehalten. Richtig ist zwar, daß der normativ-objektiven Auslegung im Randbereich wohl immer auch ein korrektorisches Element innewohnt. Dies gebietet schon ihre Ausrichtung auf den typisierten Horizont eines verständigen und redlichen Erklärungsempfängers. Auch dürfte eine teleologische Vertragsauslegung eine die typischen Folgen berücksichtigende Betrachtung umschließen, 278 jedenfalls in dem Sinne, daß offenkundig unvernünftige, nicht praktikable oder beiderseits nicht interessenfeld (Vertragsgestaltung, Rdnr. 87) bemerkt, der Vertragszweck sei das konstituierende Element des kautelarjuristischen Vertragstyps. 275 So zuletzt das zu einer vorformulierten Klausel in einem Planungsvertrag ergangene Urteil, BGH NJW 1999, 418 (420), in dem im Anschluß an einige Vorgängerentscheidungen der „Grundsatz der interessengerechten Auslegung" postuliert wird; ebenso BGH NJW 1999,1542 (1543) und NJW-RR 2000,1581 (1582) in Bezug auf Garantievereinbarungen, BGH NJW 1999, 3776 (3777) betreffend eine Sicherungsabtretung und BGH NJW 2000,1403 (1404) betreffend einen Bauträgervertrag. 276 Medicus (Allgemeiner Teil, Rdnr. 308) mahnt daher allgemein zur Vorsicht gegenüber der teleologischen Vertragsauslegung. Speziell im Hinblick auf die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen H. Roth, AcP 190 (1990), S.307; ders., WM 1991, 2127f. 277 BGH NJW 1988, 1261 (1262); 1992, 2629; 1999, 3776 (3777). 278 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §4 Rdnr. 24f.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 404; aus dem umfänglichen Spezialschrifttum zuletzt Deckert, Folgenorientierung in der Rechtsanwendung. Auf die Bedeutung folgenorientierten Entscheidens gerade beim Fehlen einer gesetzlichen Regelung eines bestimmten Problems hat zuletzt Eidenmüller (JZ 1999, 58) hingewiesen.

III. Vorrangige

Ausschöpfung

des vertraglich

Vereinbarten

233

gerechte Ergebnisse zu vermeiden sind. Eine regelrechte „Abwägung" der beiderseitigen Interessen überschreitet freilich die Grenze zur Inhaltskontrolle. Das oben besprochene Urteil zur Haftung eines Treuhänders279 belegt dies anschaulich. Erlaubt und geboten ist auf der Stufe der Auslegung die Feststellung und Gegenüberstellung der mit dem Rechtsgeschäft von beiden Seiten verfolgten Ziele und Interessen. Soweit sie kongruent sind, sollte ihnen im Wege der Auslegung auch gegenüber einem in die entgegengesetzte Richtung weisenden Wortlaut zur Geltung verholfen werden.280 Ausreichend sollte aber auch sein, daß der mit dem Geschäft verfolgte Zweck vom durchschnittlichen Kunden erkannt und akzeptiert wird. Ist dies nicht der Fa'l oder verfolgt der Kunde - wiederum für den Verwender erkennbar - andere Absichten, so ergibt die Teleologie des Vertrages keinen verwertbaren Anhalt im Rahmen der Auslegung. Die Auslegung nach Sinn und Zweck des Vertrages unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien gleicht mithin einer Gratwanderung - zur einen Seite der Abgrund der einseitigen Verwenderausrichtung und zur anderen derjenige der verdeckten Inhaltskontrolle.

(a) Beispielsfälle

aus der

Rechtsprechung

Die Begutachtung des angefallenen Entscheidungsmaterials zeigt, daß die mit der Auslegung gesetzlich nicht geregelter Verträge befaßten Gerichte die oben beschriebene Gratwanderung in der Mehrzahl der Fälle zu meistern verstanden. Abstürze - wie beispielsweise die verfehlte, auf der Verkennung der Interessenlage und damit des Vertragszwecks beruhende Annahme einer genuinen Einstandspflicht des Leasinggebers beim Finanzierungsleasing - 281 sind doch eher seltene Ausnahmen. Zwei Beispiele sollen näher illustrieren, in welcher Weise die Offenlegung des ökonomischen Geschäftszwecks unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Motivation und der Interessen der Vertragsparteien den Rechtsgewinnungsgang zu befördern vermag. In einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1987282 ging es um die Bindungswirkung einer „Verpflichtungserklärung", die ein Bauherr gegenüber einem Architekten abgegeben hatte. Hierin verpflichtete sich der Bauherr, dem Architekten die Architektenleistungen (Planungs-, Ausführungsund Uberwachungsleistungen) für ein näher bezeichnetes Bauvorhaben auf der Grundlage eines noch abzuschließenden Architektenvertrages zu übertragen. Unterschiedliche Auffassungen bestanden zwischen den Parteien über die Tragweite der „Verpflichtungserklärung" mit Blick auf den eingetretenen Fall, Bundesgerichtshof daß das Bauvorhaben nicht zur Ausführung gelangt. Der qualifizierte die „Verpflichtungserklärung" zu Recht als Vorvertrag. Hinsicht279 280 281 282

BGH NJW 1994, 2228. Zurückhaltender demgegenüber £//mer/Brandner/Hensen, §5 AGBG Rdnr. 21. Hierzu bereits ausführlich oben II. 2. BGH NJW 1988, 1261.

234

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

lieh des Umfangs der Bindungswirkung monierte er die einseitig am Wortlaut ausgerichtete, Sinn und Zweck der „Verpflichtungserklärung" vernachlässigende Auslegung der Vorinstanz. Die Revisionsentscheidung korrigierte diese Fehlgewichtung in überzeugender Weise. Zunächst wurden die Interessen des typischen Bauherrn offengelegt. Das Hinausschieben des eigentlichen Hauptvertragsabschlusses liege aus seiner Sicht regelmäßig darin begründet, daß er seine Entscheidung über den endgültigen Vertragsschluß von der Durchführung des Bauvorhabens abhängig machen wolle. Die Entscheidung über die Durchführung wiederum hänge von typischen Umständen wie dem Ergebnis der Kostenschätzung und der Finanzierbarkeit des Bauvorhabens ab. Im Anschluß hieran nahm der Bundesgerichtshof die Interessen des Architekten in den Blick. Hierzu stellte er fest, daß die Wertung der „Verpflichtungserklärung" dahingehend, daß der Abschluß des eigentlichen Architektenvertrages von der tatsächlichen Durchführung des Bauvorhabens abhängig sein solle, auch dem Interesse des Architekten gerecht werde. Dieser wolle mit der Verpflichtungserklärung den Bauherrn möglichst frühzeitig binden. Dies gelinge ihm auch mit einer unter dem Vorbehalt der Durchführung des Bauvorhabens stehenden Verpflichtung. Damit gewinne der Architekt die konkrete Aussicht auf den Abschluß eines Hauptvertrages. Dies sei für den Architekten insbesondere dann von Interesse, wenn anschließend nicht die gesamten Architektenleistungen auf einmal in Auftrag gegeben würden, sondern nur einzelne Leistungsphasen. Komme es später zur vollen Durchführung des Bauvorhabens, habe der Architekt aufgrund des Vorvertrages letztlich die gesamten Architektenleistungen „an der Hand". Die Entscheidung legt die wirtschaftlichen Interessen beider Teile offen und zeigt, daß es eine beiderseits interessengemäße Auslegungsvariante gibt. Dieses drängt sich angesichts der für den Architekten ohne weiteres erkennbaren Erwartungshaltung des durchschnittlichen Bauherrn geradezu auf. Eine Interpretation, die ohne Not, nur gestützt auf ein vages Wortlautargument, dem Verwender unterstellt, er wolle sich in derart gravierender Weise über die Interessen seines Vertragspartners hinwegsetzen, würde das Ziel der Auslegung verfehlen. Der Berufung auf den Rechtsgedanken des §5 A G B G oder auf das Restriktionsprinzip bedarf es hierzu nicht. Die Grenze zur Inhaltskontrolle wird anders als im „Treuhand-Fall" im Ergebnis noch nicht überschritten. Eine Abwägung der widerstreitenden Interessen findet nicht statt. Vielmehr beschränkt sich die Entscheidung auf die Feststellung, daß die Auslegung im Sinne der erkennbaren Erwartungshaltung des Bauherrn auch dem Interesse des Architekten Rechnung trägt. Eine knapp acht Jahre später ergangene Entscheidung zeigt wiederum, daß auch die Interessen des Gläubigers und Verfassers des Vertragstextes die Auslegung maßgeblich beeinflussen können.283 Zu beurteilen war die rechtliche Bedeutung einer - offenbar nicht für eine Vielzahl von Fällen vorformulierten wettbewerblichen Unterwerfungserklärung. Diese hatte der Gläubiger einem 283

B G H N J W 1995, 2788.

III. Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinharten

235

Mitbewerber als Reaktion auf eine von diesem begangenen Verletzungshandlung abverlangt. Fraglich war, ob es sich dabei lediglich um eine rein deklaratorische Bekräftigung eines bestehenden Anspruchs oder - wofür sich der Bundesgerichtshof aussprach - um eine neugeschaffene vertragliche Unterlassungsverpflichtung handelte, aus der im Verletzungsfall selbständige vertragliche Schadensersatzansprüche resultieren konnten (Novation in Form eines abstrakten Schuldversprechens). Der 1. Zivilsenat begründete die Anerkennung der Unterwerfungserklärung als selbständige vertragliche Unterlassungsverpflichtung damit, daß eine andere Sichtweise dem bei der Auslegung des beiderseits Gewollten mitzuberücksichtigenden Interesse des Gläubigers nicht gerecht werden könne. Letzteren ginge es nämlich - für den Schuldner erkennbar - bei jeder Unterwerfung hauptsächlich darum, daß der Schuldner eine über den kurzfristig verjährenden gesetzlichen Anspruch, der ihren Anlaß bilde, hinaus rechtsbeständige Unterlassungspflicht eingehe. Daher begründe grundsätzlich jeder wettbewerbsrechtliche Unterwerfungsvertrag - unabhängig davon, welchem Vertragstyp er rechtdogmatisch zugeordnet werden könne - stets ein auf Unterlassung einer bestimmten Verletzungsform gerichtetes Dauerschuldverhältnis. Auch dieser Entscheidung ist zuzustimmen. Sie hätte auch im Falle der Verwendung eines Formulars nicht anders ausfallen dürfen. Maßgeblich ist, daß das Interesse des Gläubigers an einer eigenständigen vertraglichen Rechtsgrundlage für den Schuldner erkennbar war und der Schuldner dem auch keine eigenen berechtigten Interessen entgegenzusetzen hatte. Das Prinzip der Auslegung nach dem Empfängerhorizont wird nicht aufgegeben, denn das (typische) Verständnis des Erklärungsempfängers - hier des Schuldners - bleibt maßgeblich. Soweit aus dieser Warte aber die Interessen des Verwenders - hier des Gläubigers - in den Blick geraten, fließen sie auch in die Auslegung des Vertrages ein. Daß es bei der Auslegung eines Unterlassungsvertrages mit einem vom Abmahnenden vorformulierten Erklärungsinhalt maßgeblich auf die Sicht des Abgemahnten ankommt, hat im übrigen jüngst der Bundesgerichtshof nochmals deutlich hervorgehoben.284 In diesem Rahmen ist aber - wie auch diese bislang letzte Entscheidung hervorhebt - für die Auslegung maßgeblich auf den regelmäßig anzunehmenden Zweck eines Unterlassungsvertrages abzustellen. (h) Steuerrechtliche

Aspekte

Eine insbesondere für den Finanzierungsleasingvertrag mit Vehemenz diskutierte Frage geht dahin, ob die zivilrechtliche Bewertung eines Vertrages und die Feststellung einzelner Rechtsfolgen auch von den zu erwartenden steuerrechtlichen Implikationen abhängen. Zweifellos ist vor allem die Entwicklung des Finanzierungsleasingvertrags maßgeblich durch die steuerlichen Rahmenbedingungen geprägt worden. Denn die Attraktivität dieser Vertragsform rührt vor 284

B G H N J W 1997, 3087 (3088).

236

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

allem auch daher, daß der kaufmännische Leasingnehmer die Leasingraten anders als die Erwerbskosten ertragssteuermindernd als Betriebsausgaben geltend machen kann. Voraussetzung hierfür ist, daß die Leasingsache gem. §39 Abs. 2 AO dem Leasinggeber steuerrechtlich zugeordnet werden kann. Präzisiert wurden die Kriterien durch eine grundlegende Entscheidung des Bundesfinanzhofs285 und die nachfolgend ergangenen sog. Leasingerlasse des Bundesministers der Finanzen.286 Diese beschreiben die Anforderungen an Voll- und Teilamortisationsverträge sowie an Immobilienleasingvertäge, denen sich die Praxis verpflichtet fühlt. Das Phänomen, daß sich das Steuerrecht noch vor dem Zivilrecht eines neu aufgekommenen Vertragstyps annimmt und dabei zugleich wesentliche Züge dieses Vertragstyps beschreibt, ist jüngst auch für den Sponsoring-Vertrag zu beobachten gewesen. Mit Schreiben vom 9.7. 1997 hat der Bundesminister der Finanzen Grundsätze für die ertragssteuerrechtliche Behandlung des Sponsoring aufgestellt.287 Für den Sponsor gilt danach, daß die im Zusammenhang mit dem Sponsoring gemachten Aufwendungen enweder als Betriebsausgaben wenn mit der Aufwendung wirtschaftliche Vorteile im weiteren Sinne erstrebt werden - oder als Spenden - wenn sie zur Förderung steuerbegünstigter Zwekke freiwillig erbracht werden - berücksichtigt werden können. Die steuerliche Behandlung beim steuerbegünstigten Empfänger soll sich unabhängig davon, wie die entsprechenden Aufwendungen beim Sponsor behandelt werden, nach allgemeinen Grundsätzen richten. Dem Erlaß ist sogar eine Begriffsbestimmung des Sponsoring vorangestellt: „Unter Sponsoring wird überlicherweise die Gewährung von Geld oder geldwerten Vorteilen durch Unternehmen zur Förderung von Personen, Gruppen und/oder Organisationen in sportlichen, kulturellen, kirchlichen, wissenschaftlichen, sozialen, ökologischen oder ähnlich bedeutsamen gesellschaftspolitischen Bereichen verstanden, mit der regelmäßig auch eigene unternehmensbezogene Ziele der Werbung oder Öffentlichkeitsarbeit verfolgt werden. Leistungen eines Sponsors beruhen häufig auf einer vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Sponsor und dem Empfänger der Leistungen (Sponsoring-Vertrag), in dem Art und Umfang der Leistungen des Sponsors und des Empfängers geregelt sind." Wie auf dem Gebiete der Finanzierungsleasingverträge dürfte auch die steuerliche Behandlung des Sponsoring die künftige Vertragspraxis beeinflussen. Fraglich ist hingegen, ob das Steuerrecht auch die zivilrechtliche Würdigung präjudiziert. Anders gewendet: Muß die zivilrechtliche Bewertung so ausfallen, BFH BStBl. 1970/11, 264 = BFHE 97, 466 = BB 1970, 332. Insbesondere BMF-Schreiben vom 19.4.1971 - IV B/2 - S 2170 - 31/71 (betr. Vollamortisationsverträge), abgedruckt in BStBl. 1971/1, 264 = BB 1971, 506 = Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr. 1869; BMF-Schreiben vom 22.12.1975 - IV B 2 - S 2170 - 161/75, BB 1976, 72 (betr. Teilamortisationsverträge) = Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr. 1870; BMFSchreiben vom 21.3. 1972 .- F/IV B 2 - S 2170 - 11/72, BB 1972,433 (betr. Immobilienleasing) = Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr. 1871. 287 BMF-Schreiben vom 9.7.1997 - IV B 2 - S 2144 - 118/97, abgedruckt in NJW 1997, 3425. 285 286

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

23 7

daß die angestrebten steuerrechtlichen Bonifikationen auch tatsächlich realisiert werden können? Für das Finanzierungsleasing hat Graf von Westpbalen die These aufgestellt, der kardinale Ausgangspunkt für die zivilrechtliche Qualifizierung liege in der strikten Kongruenz in bezug auf die ertragssteuerrechtlichen Klassifizierungen.288 Lieb hat demgegenüber den Zivilrechtlern empfohlen, sich auf die zivilrechtlichen Fragen zu beschränken und sich nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, ob die Leasinggesellschaften mit ihrer zivilrechtlichen Gestaltung den bilanz- und steuerrechtlichen Anforderungen gerecht werden.289 Die Stellungnahmen markieren divergierende Standpunkte zu einem grundsätzlichen Problem, das sich in ähnlicher Form (beispielsweise für das Sponsoring) auch bei anderen neuen Vertragsgestaltungen stellen kann. Nachfolgend sollen daher einige allgemeinere Überlegungen zu diesem Thema ausgebreitet werden. Hilfreich erscheint es zunächst, die korrekte Verankerung des Problems im Rechtsfindungsprozeß offenzulegen. Hierzu ist vorab festzuhalten, daß es um die Feststellung des im Vertrag stipulierten Rechte- und Pflichtenprogramms geht, die Überlegungen mithin nicht vom Steuerrecht ihren Ausgang nehmen können. Ausgangspunkt für die zivilrechtliche Beurteilung eines Vertrages ist und bleibt das zivilrechtliche Instrumentarium der Vertragsrechtskonkretisierung, also die zur Inhaltsbestimmung eines Vertrages entwickelten Auslegungsmethoden und -regeln. Ein außerhalb dieses Ansatzes stehendes Gebot unbedingter Kongruenz zwischen der steuerrechtlichen und der zivilrechtlichen Beurteilung eines Vertrages würde die dogmatische Eigenständigkeit der Methoden und Erkenntnisziele des Privatrechts vernachlässigen und ist daher nicht anzuerkennen.290 Auf der anderen Seite ginge es zu weit, die zivilrechtliche Beurteilung eines Vertrages von seinem steuerlichen Hintergrund völlig zu lösen und in einen zivilrechtlichen Isolationismus zu verfallen.291 Diese Vorgehensweise widerspräche den anerkannten zivilrechtlichen Auslegungsmaximen, die - wie bereits dargelegt - dem Zweck des Vertrages und den ökonomischen Zielvorstellungen der Parteien durchaus Beachtung schenken. Die Inanspruchnahme steuerlicher Vergünstigungen292 kann ebenfalls zu den von beiden Seiten 288 Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr.90; ähnlich Erman-Jendrek, Anh. §536 B G B Rdnr. 15. 289 Lieb, DB 1988, 2499; ähnlich und verallgemeinernd Walz, ZHR 147 (1983), S. 309. 290 Dies gegen Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr.90; ihm nahestehend Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 7 III, S. 179; die enge Anbindung an das Steuerrecht betonend auch Reinicke/Tiedtke, BB 1982, 1145; sehr weitgehend auch BGH NJW 1985, 2253 (2256): „Der steuerrechtliche Gesichtspunkt (bestimmt) maßgeblich das Wesen des Finanzierungsleasingvertrages."; wie hier im Ausgangspunkt Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 14; Meincke, AcP 190 (1990), S.359f. 291 Uberpointiert jedenfalls Lieb, DB 1988,2499; insoweit berechtigt die Kritik von Martinek, Moderne Vertragstypen I, §7 III, S. 179. 292 Die steuerliche Vorteilhaftigkeit des Finanzierungsleasing für den Leasingnehmer ist übrigens noch nicht einmal unbestritten (vgl. hierzu die Ausführungen von Mellwig, DB 1983, 2261 ff. und Meincke, AcP 190 [1990], S. 361 ff.). Das entwertet freilich diesen Vertragstyp zum

238

§7 Grundpfeiler

eines methodengerecbten

Rechtsfindungskonzepts

konsentierten Zwecken des Vertrages gehören und somit grundsätzlich auch das Auslegungsgeschehen beeinflussen.293 Freilich sind hierzu einige klarstellende Anmerkungen vonnöten. Ubersehen wird bisweilen, daß das Steuerrecht oftmals nicht an die zivilrechtliche Nomenklatur der Vertragstypen anknüpft, sondern wirtschaftliche Tatbestände zum Anlaß bestimmter steuerlicher Regelungen, etwa in Form von Vergünstigungen, nimmt.294 Aus der Sicht des Steuerrechts ist dann nicht die begriffliche Einordnung eines Vertrages von Interesse, sondern bestimmte, aus dem Vertrag resultierende Rechtsfolgen, die entweder für oder gegen die Verwirklichung des betreffenden Steuertatbestandes sprechen. Dies hat Canaris295 im Anschluß an Schulze-Osterloh296 überzeugend dargelegt. So verhält es sich übrigens auch beim Finanzierungsleasing. Weder § 39 Abs. 2 AO, noch die in Ausfüllung dieser Vorschrift ergangenen Leasingerlasse des Bundesministers der Finanzen erheben einen bestimmten Vertragstyp zur Voraussetzung für die Zuordnung des Leasingguts zum Leasinggeber. Ebenso hatte schon der Bundesfinanzhof 'm seiner grundlegenden Entscheidung vom 26.1. 1970 deutlich gemacht, daß es aus steuerlicher Sicht allein auf die wirtschaftliche Zurechnung, auf das „wirtschaftliche Eigentum", ankomme und aus der bürgerlich-rechtlichen Einordnung des Vertrages, insbesondere aus einer eventuellen Einordnung als Miete, für die steuerliche Behandlung kaum etwas zu gewinnen sei.297 Denkbar ist somit allenfalls, daß bei der Auslegung des Vertrages im Hinblick auf einzelne konkrete Rechtsfolgeanordnungen die einzelnen Auslegungsentwürfe auf ihre Steuerkonformität überprüft werden. Beispielsweise läßt sich fragen, ob eine Interpretation des Vertrages, die dem Leasingnehmer uneingeschränkt das Gewährleistungsrisiko zuweist, die steuerrechtliche Zuordnung des Leasinggegenstandes zum Leasinggeber in Frage stellt. Erwiese sich eine solche Vertragsgestaltung tatsächlich als steuerschädlich,298 so wäre die wirtschaftliche Zielvorstellung der Parteien durchkreuzt und man hätte ein Argument - unter mehreren - gewonnen, das gegen die Auslegung des Vertrages in diesem Sinne spräche. Zwecke der Exemplifikation des Grundproblems nicht. Ausreichend ist, daß die Parteien von der steuerlichen Vorteilhaftigkeit ihres Geschäfts ausgehen und die ihnen günstig erscheinende Bewertung durch das Steuerrecht erstreben. 293 Leenen, AcP 190 (1990), S.272L; Schulze-Osterloh, AcP 190 (1990), S.146f.; MünchKomm-Habersack, Leasing Rdnr. 14; Canaris, AcP 190 (1990), S. 457f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/l, §66 II, S. 108; Meincke, AcP 190 (1990), S.360; die grundsätzliche Möglichkeit einer „steuersparenden Auslegung" von Rechtsgeschäften hat im übrigen schon Lüderitz (Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 351) dargetan. 294 Beispiel ist das Umsatzsteuergesetz, das sich mit den Begriffen „Lieferungen und sonstige Leistungen" auf eine vertragstypologisch unabhängige Grundlage gestellt hat. 295 Canaris, AcP 190 (1990), S. 457ff.; Larenz!Canaris, Schuldrecht II/l, § 66 II, S. 108; ebenso Leenen, AcP 190 (1990), S.273 Fn.33. 296 Schulze-Osterloh, AcP 190 (1990), S. 139ff.; ähnlich zuvor schon Walz, WM 1985 Beil. 10, S. 5, 17ff. 297 B F H BStBl. 1970/11, 264 = B F H E 97, 466 = BB 1970, 332. 298 So etwa die Einschätzung von Martinek, Moderne Vertragstypen I, §7 III, S. 178; tendenziell auch Meincke, AcP 190 (1990), S.374f.

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

239

Freilich spricht, das sei hier nur am Rande vermerkt, wenig für diese steuerrechtliche Einschätzung, denn die Leasingerlasse knüpfen nun einmal an die Vertragslaufzeit sowie die Restwertregelung, nicht aber an die Verteilung des Gewährleistungsrisikos an. 299 Werden steuerliche Apekte in die Auslegung inkorporiert, so ist darauf zu achten, daß die steuerlichen Ziele dem gemeinsamen Parteiwillen entsprechen, wobei es wiederum ausreichend ist, daß sich eine Partei steuerliche Vorteile verspricht und dies für den anderen Vertragsteil erkennbar ist. 300 Bei Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen kommt es im übrigen auch hier grundsätzlich nicht auf die aktuellen Vorstellungen der Vertragsparteien bei Vertragsschluß an. Maßgeblich ist dann, ob mit einem solchen Geschäft typischerweise steuerliche Vorteile erstrebt werden. Wo jedoch ein solchermaßen beschaffener übereinstimmender Parteiwille nicht feststellbar ist, verbietet sich die Einbeziehung steuerlicher Gesichtspunkte. Schließlich ist daran zu erinnern, daß die mit dem Vertrag verfolgten Steuerzwecke keineswegs das alleinige oder entscheidende Argument im Auslegungsgeschehen konstituieren. Überlegungen zur Steuerkonformität einer bestimmten Vertragsgestaltung können überhaupt nur dort Platz greifen, wo die Klausel noch einen Auslegungsspielraum beläßt. Einer sprachlich und inhaltlich klar gefaßten Klausel, die sich auch nicht in Widerspruch zu den sonstigen Vertragsbedingungen setzt, kann schwerlich im Wege der teleologischen Auslegung in der Weise verändert werden, daß sie die intendierte steuerliche Privilegierung nicht verfehlt. Dies wäre eine Mißachtung der privatautonomen Gestaltungsbefugnis der Parteien. 301 Immerhin - und dies erschließt sich dem Rechtsanwender nicht ohne weiteres - ist es ja auch denkbar, daß die Parteien die Steuerschädlichkeit ihrer Vereinbarung in Kauf genommen haben, da ihnen andere Ziele wichtiger waren, oder sie es auf einen Steuerrechtsstreit ankommen lassen wollten.

(c) Bedeutung der ökonomischen Analyse des Rechts Mit einem sehr viel weitergehenden Verbindlichkeitsanspruch ist der Gedanke der Wirtschaftlichkeit des Handelns in der Rechtsgemeinschaft von Vertretern des anglo-amerikanischen Schrifttums aufgegriffen und zu einer ökonomischen Theorie des Rechts ausgebaut worden. O b und wie diese neue wirtschaftswissenschaftlich fundierte Ausrichtung in unsere Rechtsordnung integriert werden kann, ist derzeit eine noch offene Frage. Immerhin liegt der Ge299 Canaris, AcP 190 (1990), S.467; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/l, §66 II, S. 108; Leenen, AcP 190 (1990), S.273, 279; Lieh, WM 1992, Beil. Nr. 6, S. 16. 300 Dies kann zweifelhaft sein, wenn die steuerliche Entlastung des einen eine entsprechende Belastung des anderen zur Folge hat; hierzu Meincke, AcP 190 (1990), S.376f. 301 Auch Canaris, AcP 190 (1990), S.467 hält die Grenzen der Auslegung für überschritten und kennzeichnet eine solche Vorgehensweise zutreffend als „Derogation". Larenz/Canaris, Schuldrecht II/l, §66 II, S.108.

240

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

danke nicht ganz fern, daß dieser Ansatz gerade im Hinblick auf die im Zentrum der aktuellen Diskussion stehenden modernen Vertragstypen US-amerikanischer Provenienz gewinnbringende Erkenntnisse zu liefern vermag. Die Hauptaussagen der ökonomischen Theorie des Rechts können im folgenden nur skizzenhaft angedeutet werden. Dabei wird manche Vereinfachung und Weglassung in Kauf genommen. Überdies wird man sagen müssen, daß sich unter dem Dach der ökonomischen Analyse des Rechts sehr heterogene Ansätze und mannigfaltige Spielarten vereinen. 302 Genannt seien etwa die Theorie der property rights, 303 die Instititutionenökonomik 304 und die aus ihr heraus entwickelte Principal-Agent-Theorie. 305 Hinzu kommt, daß die tragenden Theorieaspekte nicht unabänderlich feststehen, sondern abhängig von dem jeweils zu analysierenden Rechtsbereich changieren. Im Schrifttum wird demgemäß auch von „Teiltheorien" der ökonomischen Analyse gesprochen. 306 Eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen unterschiedlichen Ausrichtungen muß einer eigenständigen Untersuchung vorbehalten bleiben. Hier soll es vor allem um die vertragsrechtstheoretische Verwertbarkeit der im folgenden darzustellenden Grundidee der ökonomischen Analyse des Rechts gehen. Die Anfänge reichen zurück bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts und sind vor allem mit den Namen der Ökonomen Gary S. Becker, Ronald Coase, Guido Calabresi und Richard A. Posner verbunden. 307 Während der spätere Nobelpreisträger Becker seit den 50er Jahren durch Überlegungen zur ökonomischen 302 Übersicht über die verschiedenen Spielarten bei Mercuro/Medema, Economics and the Law, passim; Rose-Ackermann, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung, S. 269; ferner Fezer, JZ 1986, 819; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 35; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 195. Von ¿er ökonomischen Analyse des Rechts zu sprechen, ist vor diesem Hintergrund nicht unproblematisch. Wenn im folgenden gleichwohl von der ökonomischen Analyse oder Theorie des Rechts die Rede ist, so geschieht das vor allem mit Blick auf die gemeinsame Grundidee dieser Schule. 303 Hierzu insbesondere Furubotn/Pejovich, The Economics of Property Rights, S. Iff. und Gäfgen, in: Ansprüche, Eigentums- und Verfügungsrechte, Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F. Bd. 140 (1984), S.43ff. 304 Stigler, The Journal of Political Economy 3 (1961), S. 213ff.; Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 1996, passim; hierzu einführend Schwintowski, JZ 1998, 583ff. 305 Alchian/Demsetz, American Economic Review Vol. 62 (1972), S.777ff.; Holmström, The Bell Journal of Economics Vol. 10 (1979), S. 74ff.; Rosen, The Bell Journal of Economics 13 (1982), S. 311 ff.; Fama/Jensen, Journal of Law and Economics Vol. 26 (1983), S. 327; Rees, Bulletin of Economic Research Vol. 37 (1985), S. 3ff. und 75ff.; sowie verschiedene Beiträge in Bamberg/Spremann, Agency Theory, Information, and Incentives (1987) und in Pratt/Zeckhauser, Principal and Agents, The Structure of Business (1985); Hart/Holmström, in: Advances in Economic Theory (1987), S. 71 ff.; Kreps, A course in microeconomic theory (1990), S. 577ff.; Schanze, in: Ökonomische Probleme des Zivilrechts, (hrsg. von Ott/Schäfer), S. 60ff.; Karmann, Wirtschaftswissenschaftliches Studium 1992, 557ff.; kurze Beschreibung dieses Ansatzes bei Martinek, Moderne Vertragstypen III, §30 II, S. 371 ff. 306 Lehmann, Bürgerliches Recht und Handelsrecht, S. 11; zu dieser Beobachtung auch Horn, AcP 176 (1976), S.331. 307 Uberblick über die historische Entwicklung bei Schanze, in: Assmann/Kirchner/Schanze, Ökonomische Analyse des Rechts, S.2ff.

III.

241

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

E r k l ä r u n g m e n s c h l i c h e n Verhaltens auf sich a u f m e r k s a m m a c h t e , 3 0 8 hatten u n abhängig v o n e i n a n d e r Coase mit einem B e i t r a g z u den sozialen K o s t e n ( 1 9 6 0 ) 3 0 9 und

Calabresi

mit einer h a f t u n g s r e c h t l i c h e n

Untersuchung

(1961)310

den

G r u n d s t e i n einer T r a n s a k t i o n s k o s t e n a n a l y s e gelegt. D i e s e n hatte dann v o r allem Posner

A n f a n g der 7 0 e r J a h r e zu einer „ E c o n o m i c A n a l y s i s o f L a w " w e i t e r -

entwickelt. 3 1 1 H e u t e stellt sich diese L e h r e als g r o ß a n g e l e g t e r V e r s u c h einer K o s t e n - N u t z e n - A n a l y s e des gesamten R e c h t s s y s t e m s dar. 3 1 2 Sie hat es sich z u r A u f g a b e g e m a c h t , das geltende R e c h t an ö k o n o m i s c h e n E f f i z i e n z k r i t e r i e n 3 1 3 einer o p t i m a l e n R e s s o u r c e n a l l o k a t i o n z u messen. D i e A n a l y s e setzt bei den beteiligten A k t e u r e n an, v o n denen a n g e n o m m e n wird, daß sie danach s t r e b e n , ihren individuellen N u t z e n z u m a x i m i e r e n . 3 1 4 A u s der S u m m e der N u t z e n n i v e a u s al308 Eine Aufsatzsammlung mit dem Titel „Ökonomische Erklärung menschlichen Verhaltens" ist 1982 in deutscher Ubersetzung erschienen. 309 Coase, Journal of Law and Economics 3 (1960), S. 1 ff. (anknüpfend an einen lange unbeachtet gebliebenen Aufsatz desselben in Economia 4 [1937], S.386ff.); übersetzt abgedruckt bei Assmann/Kirchner/Schanze, Ökonomische Analyse des Rechts, S. 129ff. Auch Coase wurde 1991 für seine Forschungsergebnisse der Nobelpreis verliehen. 310 Calabresi, Yale Law Journal 70 (1961), S. 499; übersetzt abgedruckt bei Assmann/Kirchner/ Schanze, Ökonomische Analyse des Rechts, S.239ff.; grundlegend sodann ders., The Costs of Accidents (1970). 3 , 1 So auch der gleichnamige Titel des 1973 in erster Auflage erschienenen Hauptwerks Posners. 312 Neben den bereits zitierten Schriften sind vor allem folgende Abhandlungen von Interesse: die Beiträge in dem von Assmann, Kirchner und Schanze herausgegebenen Sammelband „Ökonomische Analyse des Rechts" (1993); Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts (1986); Cooter/Ulen, Law and Economics; Lehmann, Bürgerliches Recht und Handelsrecht; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts (3. Aufl. 2000); Schwintowski, JZ 1998, 581 ff.; kritisch einführende Darstellungen in deutscher Sprache von Blaschczok, Gefährdungshaftung und Risikozuweisung (1993), S. 141-278; Burow, JuS 1993, 8ff.; Horn, AcP 176 (1976), S.307ff.; Salje, Rechtstheorie 15 (1984), S.277ff.; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §2 IV, S. 38ff.; Taupitz, AcP 196 (1996), S. 115ff.; aus kritischer Distanz neuestens auch die großangelegte Monographie von Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip. 313 In diesem Zusammenhang sei vor allem auf die mikroökonomische Standardliteratur verwiesen, in der die Behandlung der Effizienzkriterien einen großen Raum einnimmt: Hoyer/Rettig/Rothe, Grundlagen der mikroökonomischen Theorie, S. 26ff.; Varian, Grundzüge der MikroÖkonomie, S.483ff.; Sen, Collective Choice and Social Weifare, S.21ff.; von Böventer/Illing, Einführung in die MikroÖkonomie, S. 256ff.; Schumann/Meyer/Ströbele, Grundzüge der mikroökonomischen Theorie, S. 245ff. 314 Das aus der MikroÖkonomie entnommene und auch der ökonomischen Analyse des Rechts zugrundeliegende Menschenbild des „homo oeconomicus" geht davon aus, daß die Marktteilnehmer rational handeln und danach streben, ihren Nutzen zu maximieren (vgl. Pindyck/Rubinfeld, Microeconomics, S. 73 ff.; Hoyer/Rettig/Rothe, Grundlagen der ökonomischen Theorie, S. 10f.; Moritz, Mikroökonomische Theorie des Haushalts, S.38). Der Mensch handelt nach diesem Verhaltensmodell auch gegenüber rechtlichen Regeln und gerichtlichen Standards rational und eigennützig (vgl. Posner, Economic Analysis of Law, S. 3 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.56ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 28; Köhler, ZHR 144 [1980], S. 590; Steinmetzler, JA 1998, 337). Zur Diskussion über diesen modellhaften Menschen vgl. Hamann, in: FS für Hesse, S. 400f.; ders., 7. Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie (1988), S. 115ff.; Becker, in: 101 Journal of Political Economy (1993), S.385; Pies, Normative Institutionenökonomik, S. 94ff., Suchanek, Ökonomischer Ansatz und theore-

242

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

ler Beteiligten kann dann die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt abgelesen werden. Die Aufgabe, die dem Recht zufällt, geht somit dahin, Rechte und Verantwortlichkeiten so zuzuteilen, daß sich - vermittelt über das rational-wirtschaftliche Nutzenstreben des einzelnen - eine optimale Nutzung der knappen Ressourcen erreichen läßt (Allokationseffizienz). Das Recht wird mithin in den Dienst einer gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsökonomik gestellt. Freilich beschränken sich die Anhänger der ökonomischen Analyse des Rechts zumeist nicht - wie die deutsche Ubersetzung vermuten lassen könnte - 3 1 5 auf eine Durchdringung und Erklärung des geltenden Rechts. Vielmehr zeichnete sich diese Lehre schon immer durch einen starken rechtspolitischen Impetus aus.316 Der Gesetzgeber ist aufgefordert, das Recht nach ökonomischer Rationalität zu gestalten und zu Tage getretene Allokationsdefizite zu beseitigen. Darüber hinaus - und insoweit gerät diese Theorie im Rahmen dieser Untersuchung ins Blickfeld - soll das Kosten-Nutzen-Kalkül auch de lege lata als Leitprinzip die konkrete Rechtsanwendung beeinflussen. 317 Das Effizienzprinzip wird also in den Rang eines normativ verbindlichen Rechtsprinzips erhoben. Mit der schon seit langem anerkannten „wirtschaftlichen Betrachtungsweise" 318 hat die ökonomische Analyse mithin nur gemein, daß sie den wirtschaftlichen Zusammenhängen besondere Beachtung schenkt. Ansatz und Anspruch werden demgegenüber weitaus ehrgeiziger formuliert. Von besonderem Interesse ist nun, in welcher Weise das Effizienzprinzip von den Vertretern der ökonomischen Analyse des Rechts im Rahmen der Rechtsanwendung auf dem Gebiete der Schuldverträge eingesetzt wird. Argumentativer Ausgangspunkt ist hier das Gedankenkonstrukt des „fully specified contische Integration, S. 85ff.; Simon, Administrative Behavior, S.XXIX; ders., in: Models of Man, S.204f.; ders., Homo Rationalis, S.29ff.; Tietzel, Jahrbuch für Sozialwissenschaften Bd. 32, S. 133; einer Grundsatzkritik unterzieht das durch methodologischen Individualismus und die Hypothese vom rational egoistischen Menschen gekennzeichnete Menschenbild der ökonomischen Analyse des Rechts Fezer, JZ 1986, 822 und ders., JZ 1988, 227f. 315 Die englische Wortbedeutung reicht weiter. 316 Ott/Schäfer, JZ 1988,214; hierzu auch Horn, AcP 176 (1976), S.310 und Taupitz, AcP 196 (1996), S. 123. 317 Insbesondere vermittelt über die als Einfallstore fungierenden „offenen Wertbegriffe" (vgl. Ott/Schäfer, JZ 1988, 214). 318 Daß vom Anspruch her beide nicht gleich gesetzt werden dürfen, betonen zu Recht Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S.237 und Taupitz, AcP 196 (1996), 127. Rittner, (Die sogenannte wirtschaftliche Betrachtungsweise in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, S. 33) hingegen meint, einer besonderen wirtschaftlichen Betrachtungsweise bedürfe es nicht. Enthalte der Rechtssatz Elemente, die wirtschaftlicher Art oder Herkunft seien, so werde dies selbstverständlich berücksichtigt, aber nur im Rahmen einer Auslegung, wie sie auch sonst stattfinde, und in der Konkretheit des betreffenden Rechtssatzes. Ob es einer besonderen Bezeichnung bedarf, mag in der Tat zweifelhaft sein. Daß die wirtschaftlichen Grundlagen des Rechtsgeschäfts und die Intentionen der Parteien im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen sind, ist jedenfalls ein Gebot der teleologischen Auslegung (vgl. bereits oben (a)). Insoweit spricht Vallender, Auslegung des Steuerrechts, S.53ff. zu Recht von einem „Standardargument im Rahmen der teleologischen Auslegung". Ebenso auch Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 158f.

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

243

tract". 319 Dessen Prämissen sind, daß sich die Vertragsparteien rational verhalten, über alle vertragsrelevanten Informationen verfügen und sich bei Vertragsschluß über die Zuordnung sämtlicher Risiken, die mit der Durchführung des Vertrages verbunden sind, einigen. Ferner wird unterstellt, daß der Vertrag unter fairen Bedingungen geschlossen wird (z.B. keine Ausnutzung von Machtund Monopolpositionen). In diesem Modell werde der abgeschlossene Vertrag stets die ökonomische Funktion der Wohlfahrtssteigerung erfüllen, indem er den Nutzen beider Parteien fördere (Pareto-Kriterium) 320 . Dieser fiktive vollständige Vertrag wird nun zum zentralen Referenzsystem. Die Aufgabe des Vertragsrechts wird darin gesehen, diesen vollständigen Vertrag, den es wegen der hiermit verbundenen prohibitiv hohen Transaktionskosten 321 in der Realität niemals geben wird, zu rekonstruieren. Die ökonomische Analyse des Rechts will diesem Rekonstruktionsvorgang nun durch Angabe effizienzsteigernder Entscheidungskriterien Kontur verleihen. 322 An erster Stelle soll die Feststellung treten, ob das Risiko explizit oder implizit im Vertrag einer Partei zugeordnet worden ist. Wenn das Risiko nicht Gegenstand vertraglicher Vereinbarung geworden ist, so soll es demjenigen zugeordnet werden, der es mit dem geringsten Aufwand beherrschen kann, vorausgesetzt, die Risikovermeidungskosten sind niedriger als der Erwartungswert 323 des Risikos (Frage nach dem cheapest cost avoider). 324 Kann die Realisierung des Risikos nicht oder nur mit einem nicht vertretbaren Aufwand abgewendet werden, so wird danach gefragt, ob das Risiko versicherbar ist und wenn ja, welche Partei es mit der geringsten Versi-

319 Hierzu insbesondere Ayres/Gertner, Yale Law Journal Vol. 99 (1989), 87ff.; Shavell, Bell Journal of Economics, 11 (1980), S. 466ff.; Polinsky, An Introduction to Law and Economics, S.29ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.373ff. m.w.N.; Wehrt, KritV 1992, 359ff.; Kornhauser, Journal of Law and Economics, Bd.26 (1983), S. 691 ff.; Cooter, California Law Review (1985), S. lff. 320 Nach dem Pareto-Kriterium ist ein sozialer Zustand dann besser als ein anderer, wenn sich durch diesen kein Gesellschaftsmitglied im Vergleich zu dem anderen Zustand benachteiligt sieht und wenn ihn mindestens ein Mitglied dem anderen Zustand persönlich vorzieht (vgl. Pareto, Manual d'economie politique, S. 617; hierzu Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 26ff.; Dow, in: Transaction Costs, Markets and Hierarchis, S. 11 Off.; von Böventer/Illing, Einführung in die Microökonomie, S. 256ff.). 321 Transaktionskosten sind die Kosten des Austauschvorgangs auf dem Markt, bei einem Vertrag also u.a. die zur Installation des Vertrages erforderlichen Informations-, Verhandlungs- und Entscheidungskosten sowie die zur Durchführung des vertraglichen Leistungsaustausches erforderlichen Kontroll- und ggf. Anpassungskosten, vgl. grundlegend Coase, Problem der sozialen Kosten, in: Ökonomische Analyse des Rechts (hrsg. von Assmann/Kirchner/Schanze), S. 148ff.; ferner Williamson, Institutionen, S.22ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 90. 322 Zum folgenden insbesondere Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 373ff. und Wehrt, KritV 1992, 362ff. 323 Unter Erwartungswert versteht man in diesem Zusammenhang die Summe der Merkmalsausprägungen multipliziert mit ihren relativen Häufigkeiten, vgl. etwa Schwarze, Grundlagen der Statistik II, S.56ff. 324 Kötz, VersR 1983, Sonderbeil., S. 147; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.376ff.; Salje, Rechtstheorie Bd. 15 (1984), S.285f.

244

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

cherungsprämie hätte versichern können (Frage nach dem cheapest insurer). 325 Dieser Partei ist dann grundsätzlich das Risiko zuzuweisen. Die Rekonstruktion eines unvollständigen Vertrages könne auch - so wird hervorgehoben dessen Ergänzung bedingen. Hier diagnostiziert die Lehre von der ökonomischen Analyse des Rechts eine weitgehende Übereinstimmung zwischen dem rechtlichen Referenzsystem der ergänzenden Vertragsauslegung (normativierter hypothetischer Parteiwille) und dem ökonomischen Modell des vollständigen Vertrages. Ein weiterer Problemkreis, nämlich die Haftung für enttäuschtes Vertrauen, hat die Aufmerksamkeit der ökonomischen Analyse des Rechts auf sich gezogen. 326 Dem ökonomischen Modell des vollständigen Vertrages ist hier ein ökonomisches Konzept des Vertrauensschutzes zur Präzisierung und Weiterentwicklung der Rechtsgrundlagen der Vertrauenshaftung an die Seite gestellt worden. Schließlich soll ein wichtiges Einsatzgebiet der ökonomischen Analyse des Rechts bei der Inhaltskontrolle vertraglicher Abmachungen liegen. Hier verspricht man sich vor allem eine sachgerechte Konkretisierung der Generalklausel des § 9 A G B G . 3 2 7 Als Gesamterklärungsmodell mit normativem Verbindlichkeitsanspruch sind die Chancen einer Vollrezeption der ökonomischen Analyse des Rechts in der deutschen Rechtswissenschaft weiterhin ausgesprochen gering. 328 Es mag sein, daß diese Lehre hier auf andere historisch gewachsene und weniger offene Strukturen trifft, der anglo-amerikanische Rechtskreis mithin privatrechtsdogmatisch weniger durchdrungen und festgelegt ist. 329 Unabhängig hiervon läßt sich mit einigem Recht die Frage aufwerfen, ob die immer komplexer werdende 325 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.378ff.; Trimarchi, ZHR 136 (1972), S. 122; Kötz, VersR 1983, Sonderbeil., S. 147. 326 Hierzu etwa Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.483ff. m.w.N. des anglo-amerikanischen Schrifttums; die Beiträge von Ott und Schäfer in dem von ihnen herausgegebenen Sammelband „Ökonomische Probleme des Zivilrechts", S. 142ff. und S. 117ff.; Adams, AcP 188 (1988), S. 453ff. 327 Kötz, in: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung (hrsg. von Schäfer/Ott), S.193ff.; Lehmann, Bürgerliches Recht und Handelsrecht, S.240; Burow, JuS 1993, lOf. mit einem Fallbeispiel; hierzu auch Horn, AcP 176 (1976), 321f. Nicht verschwiegen werden sollte allerdings, daß strenge Verfechter der ökonomischen Analyse des Rechts mitunter allerdings schon die Notwendigkeit einer gerichtlichen Inhaltskontrolle bestreiten. Da sich ökonomisch ineffiziente Vertragsgestaltungen im Wettbewerb nicht halten könnten, bedürfe es auch keiner staatlichen Intervention (vgl. Posner, Economic Analysis of Law, S. 102ff.; ähnlich Grunsky BB 1971, 1117). 328 So schon die Einschätzung von Horn, AcP 176 (1976), S. 311. Die Rechtsprechung hat eine ausdrückliche Bezugnahme auf die ökonomische Analyse des Rechts bislang strikt vermieden. Partielle Begründungsgleichklänge lassen sich allerdings nachweisen; hierzu Taupitz, AcP 196 (1996), S. 120ff. Gegen die Berücksichtigungsfähigkeit außerrechtlicher Argumente im Rahmen der richterlichen Rechtsfindung hat sich jüngst Langenbucher (Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, insbes. S.30ff.) in einer methodologischen Untersuchung ausgesprochen. Ihr Alternativkonzept, nämlich die Beschränkung des Richters auf „principies" und rechtliche Argumente, erscheint hingegen doch recht praxisfern. 329 Zu den Gründen für die breite Rezeption der ökonomischen Analyse in den USA im Vergleich zu ihrer zurückhaltenden Aufnahme im kontinentaleuropäischen Recht Taupitz, AcP 196 (1996), S. 128 ff.

III. Vorrangige

Ausschöpfung

des vertraglich

Vereinbarten

245

Lebenswirklichkeit mit einem monokausalen Erklärungsversuch noch angemessen bewältigt werden kann. 330 Die Annahme liegt nahe, daß die Konzentration auf einen einzigen Realitätsaspekt eine verzerrte Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit zur Folge hat. Ob das auf dieser Grundlage erarbeitete Konzept als Steuerungsinstrument taugt, kann daher füglich bezweifelt werden. Richtig ist jedenfalls, daß außerhalb des Erklärungsansatzes der ökonomischen Lehre liegende Zielsetzungen des Rechts (z.B. Verteilungsgerechtigkeit, Verbraucherschutz, Erhaltung der natürlichen Lebensbedingungen) ins Hintertreffen zu geraten drohen. 331 Soweit die Vertreter der ökonomischen Analyse dieser Gefahr dadurch zu begegnen versuchen, daß sie derartige außerökonomische Ziele als vom Effizienzprinzip umfaßt ausgeben, 332 heben sie dieses auf eine Abstraktionshöhe, die seine praktische Handhabbarkeit in Frage stellt. 333 Auch wenn der normative Verbindlichkeitsanspruch im deutschen Schrifttum 334 keineswegs mit der den angloamerikanischen Autorenkreis auszeichnenden Rigidität vorgetragen wird, bleibt Skepsis angeraten. Wenn etwa Ott/ Schäfer335 die offenen Wertbegriffe als Einfallstor für normative Aussagen der ökonomischen Analyse in die Rechtsanwendung bezeichnen, so impliziert dies eine merkwürdige Verkürzung des Geltungsanspruchs des positiven Rechts auf einen Bereich außerhalb von Wertungen. Fezer spricht insoweit treffend von einem Neopositivismus, der die Gestaltungsaufgabe des Rechts beschädige. 336 Kritisch fällt auch die Bilanz für das Recht der Schuldverträge aus. Dieses ist von dem Prinzip der Privatautonomie beherrscht. Vertragliche Regelungen erlangen rechtliche Verbindlichkeit für die Parteien allein deshalb, weil sie von ihnen so gewollt und formuliert worden sind. Aufgabe des Rechtsanwenders ist es, dem Willen der Parteien nach Möglichkeit zur Geltung zu verhelfen. Die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrtsperspektive der ökonomischen Analyse des Rechts - die sich beispielsweise im sog. Kaldor-Hicks-Kriterium spiegelt - 3 3 7 330 Grundsätzliche Zweifel, ob ein „singulärer Zugangspunkt zu dieser Welt der distributiven Arrangements und Ideologien" noch Sinn macht, artikuliert aus rechtsphilosophischer Sicht Walzer (Sphären der Gerechtigkeit, S. 27ff.). Allgemein zum philosophischen Hintergrund der ökonomischen Analyse des Rechts, zu ihren Verbindungslinien zum Utilitarismus (wichtig insbesondere Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation) und Konsequentialismus vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S.22ff.; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 52ff.; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 136ff. 331 Taupitz, AcP 196 (1996), S. 124f.; Fezer, JZ 1986, 823f.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 273ff.; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 195. 332 Eger/Nagel/Weise, in: Ökonomische Probleme des Zivilrechts, hrsg. von Ott/Schäfer, S.26ff.; ähnlich Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §2 IV, S.39. 333 Horn, AcP 176 (1976), S.313; kritisch auch Fezer, JZ 1988, 228 und Eidenmüller, JZ 1999, 55. 334 Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, insbes. S. 81 ff.; Ott/Schäfer, JZ 1988, 214. 335 Ott/Schäfer, JZ 1988, 214. 336 Fezer, JZ 1988, 226. 337 Hiernach ist eine Entscheidung effizient, wenn die Begünstigten aus ihrem Vorteil die Be-

246

§7 Grundpfeiler eines methodengerecbten

Rechtsfindungskonzepts

paßt hierzu nicht. Auf den Vertragsparteien lastet grundsätzlich keine Verantwortung für das wirtschaftliche Wohlergehen der Gesellschaft. Sie sind keine Rechenschaft über die Sozialnützlichkeit ihres Tuns schuldig. Allenfalls der Gesetzgeber kann äußerste Begrenzungen statuieren - und auch dies nur unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben. Ferner steht es den Vertragsparteien frei, auch für sich selbst ein unvernünftiges oder nur das „zweitbeste" Interessenarrangement zu treffen. 338 Eine paternalistische Korrektur via ökonomische Effizienz stellt das Selbstbestimmungsrecht der Vertragspartner zur Disposition. Die hier vorgetragenen kritischen Anmerkungen 339 zum Anspruch und zu den Aussagen der ökonomischen Theorie des Rechts werfen die Frage auf, ob die rechtliche Bewältigung gesetzlich nicht geregelter Verträge durch diese Lehre überhaupt nennenswert befördert werden kann. Ein gewisser Erkenntnisgewinn ergibt sich sicherlich durch die verbesserte Aufbereitung des mitunter komplizierten wirtschaftlichen Hintergrundes gerade der neueren Verträge und Vertragssysteme. Dem Rechtsanwender wird ein wirtschaftswissenschaftlich fundiertes Analyseinstrumentarium an die Hand gegeben, das die Transparenz ökonomisch definierter Zusammenhänge zu fördern und die sich anschließende rechtliche Bewertung auf eine solidere Grundlage zu stellen vermag. Pauschalen und vorschnellen Zuordnungen zu einem gesetzlich fixierten Vertragstypus würde entgegengewirkt. Nicht ausgeschlossen ist, daß die Analyseleistung der ökonomischen Theorie auch einen Beitrag zur Verfeinerung und Aktualisierung der mit gravierenden Regelungsdefiziten konfrontierten Vertragstypenlehre durch Anknüpfung an die jeweilige Wirtschaftsstufe und die in Anspruch genommene und ausgeübte Funktion der jeweiligen Markteilnehmer zu leisten vermag. 340 Im Blickpunkt stehen damit die deskriptiven Leistungen der ökonomischen Analyse des Rechts. 341 Zurückhaltung ist nach dem oben Gesagten demgegenüber dort angebracht, wo der Theorieansatz der ökonomischen Lehre das Analyseergebnis zu einem normativ verbindlichen Gebot für den mit der Vertragsrechtskonkretisierung befaßten Richter zu extendieren sucht. Zwar ergibt sich unbestreitbar eine gewisse Begründungslast für den Rechtsanwender, wenn er eine offenkundig ineffiziente Lösung zu präferieren gedenkt. 342 Der Integration des ökonomischen nachteiligten entschädigen können und trotzdem noch einen Vorteil davon tragen (vgl. näher zu diesem Effizienzkriterium Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.32ff. m.w.N.) 338 Horn, AcP 176 (1976), S. 333; Köhler, ZHR 144 (1980), S. 606; Bydlinski, Privatautonomie, S. 107; Kramer, „Krise" des liberalen Vertragsdenkens, S. 39; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 37 und 41 ff. m.w.N. 339 Weitere Einwände gegen die theoretischen Grundpositionen der ökonomischen Analyse des Rechts bei Weber, in: FS für Meier-Hayoz, S.425ff. 340 Köhler, ZHR 144 (1980), S.596ff. 341 Diese bescheinigt ihr auch Horn, AcP 176 (1976), S. 331; ähnlich Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 35. 342 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.497f.; Ott/Schäfer,

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

247

Effizienzprinzips in den Prozeß der Vertragsrechtskonkretisierung einschließlich der Inhaltskontrolle sind freilich enge Grenzen gesetzt. Die erläuternde Auslegung ist am Parteiwillen ausgerichtet und kann allgemeinen Kosten-Nutzen-Erwägungen allenfalls bei der Frage nach dem Vertragszweck einen schwachen indiziellen Wert beimessen. 343 Schon eher lassen sich die Erkenntnisse der ökonomischen Theorie des Rechts im Rahmen der ergänzenden Auslegung nutzbar machen. Denn der hypothetische und um normative Elemente angereicherte Parteiwille ist tendenziell offener für die Erwägungen ökonomischer Vernunft als der reale Parteiwille. 344 Die größte argumentative Wirkkraft dürfte den Aussagen der ökonomischen Lehre freilich noch im Rahmen der Inhaltskontrolle zukommen. Hier ist der Maßstab zwar auch nicht derjenige der wirtschaftlichen Vernunft. Doch ist es immerhin vorstellbar, daß die durch unbestimmte Generalklauseln nur schwach determinierte Abwägung der entgegenstehenden Positionen und Interessen der Vertragsparteien durch die Einbeziehung ökonomischer Kosten-Nutzen-Überlegungen an Profil gewinnt. Betrachtet man die zivilgerichtliche Kontrollpraxis näher, so zeigt sich, daß die Rechtsprechung Einsichten der ökonomischen Analyse des Rechts - wie z.B. die Figuren des cheapest cost avoider und des cheapest insurer - schon seit langem argumentativ zu verwerten pflegt. Schließlich ist an den Fall zu denken, daß die AGB-Kontrolle zur Unwirksamkeit einer Klausel führt und dispositives Recht nicht zur Verfügung steht, um die aufgerissene Lücke zu schließen. Auch in diesem Fall kann eine ergänzende Vertragsauslegung geboten sein. Dabei vermag die ökonomische Analyse mitunter eine nicht ohne weiteres zu erkennende, effiziente Lösung aufzuzeigen, die der Richter dann auch als vom hypothetischen Parteiwillen getragen anerkennt. 345 Die Bedeutung, die der ökonomischen Analyse des Rechts im Hinblick auf den Gegenstand dieser Untersuchung zugestanden werden kann, ist somit begrenzt. Einen Erkenntnisgewinn versprechen noch am ehesten die analytischdeskriptiven Möglichkeiten der neuen Lehre. Soweit es dagegen um normative Einsichten im Rahmen der Vertragsrechtskonkretisierung geht, dienen die Analyseergebnisse der ökonomischen Lehre als „Vergewisserungshilfe". 346 Darüber hinaus kann ihnen eine Anstoßfunktion zukommen. Sie akzentuieren aus ökonomischer Sicht eine mögliche Problemlösung, die vom Rechtsanwender aus JZ 1988, 215f.; Kirchgässner, JZ 1991, 110; Behrens ZfA 1989, 219f.; Taupitz, AcP 196 (1996), S. 166; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 35. 343 Auf diesen Ansatzpunkt weist auch Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 29 hin. 344 Zur Bedeutung der ökonomischen Analyse des Rechts für die Auslegung unter dem speziellen Blickwinkel der Übernahme von Zukunftsrisiken Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 121 ff. 345 Als Beispiel die instruktiven Ausführungen von Schäfer/Ott (Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S.413ff.) zum Tagespreisklausel-Urteil des BGH (BGH NJW 1984,1177). Daß die ökonomische Analyse des Rechts allgemein auch dem Zweck dient, andere (zusätzliche) Lösungsmodelle zu präsentieren, betont auch Koch, in: FS für Zweigert, S. 876f. 346 Koch, in: FS für Zweigert, S. 875; Taupitz, AcP 196 (1996), S. 167.

248

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

der Sicht des Rechts bedacht werden sollte. Sich der ökonomischen Analyse des Rechts gänzlich zu verschließen, wäre somit gerade auf dem Gebiete der nicht kodifizierten Verträge nicht ratsam. 347

(2) Das zeitliche

Moment

Ein wichtiger, den Charakter eines Vertrages prägender und das Auslegungsgeschehen beeinflussender Umstand ist weiterhin die von den Parteien projektierte Laufzeit des Vertrages. 348 Für die Gruppe der nicht kodifizierten Verträge gilt, daß sich unter ihnen verhältnismäßig viele Kontrakte befinden, die auf eine längere Laufzeit angelegt sind. O b es sich nun um Treuhand-, Unterlassungsoder Altenheimverträge oder um anglo-amerikanisch inspirierte Vertragsformen wie z.B. Leasing, Franchising, Factoring, Joint-Venture-Verträge handelt, stets liegt zwischen Vertragsschluß und der endgültigen Erfüllung des Vertrages eine beachtliche Zeitspanne. Teils werden bestimmte Laufzeiten vereinbart, teils handelt es sich um unbefristete Verträge. Der Hintergrund dieses rechtstatsächlichen Befundes ist in der in dieser Richtung ausgesprochen defizitären gesetzlichen Ausgangslage zu erblicken. Das Bürgerliche Gesetzbuch und ihm folgend die allgemeinen Lehren des Vertragsrechts orientieren sich überwiegend am Modell des punktuellen, einmaligen Leistungsaustausches. 349 Dies zeigt sich exemplarisch in dem für viele Fälle der Leistungsstörung vorgesehenen Rücktrittsrecht, daß sich für auf längere Dauer angelegte Verträge als unpassende Rechtsfolge erweist und in der Kautelarpraxis demgemäß oftmals einer abweichenden Regelung weichen muß. Uberhaupt wird man konstatieren dürfen, daß die Parteien dem gesetzlichen Regelungsdefizit und der daraus resultierenden Rechtsunsicherheit häufig dadurch entgegenzuwirken suchen, daß sie sich selbst um eine eingehende und möglichst vorausschauende Formulierung des Rechte- und Pflichtenarrangements kümmern.

(a) Typische Interessenstruktur bei langfristigen

Vertragsbeziehungen

Ihre diesbezüglichen Bemühungen sind geprägt durch eine Dichotomie der Regelungsanliegen, die sich in dieser Schärfe beim kurzfristigen Leistungsaustausch nicht stellt. 350 Die längere zeitliche Perspektive läßt zum einen das Bedürfnis nach Planungssicherheit und damit Stabilität der Vertragsbeziehungen 347 Zurückhaltend, aber nicht gänzlich ablehnend auch Horn, AcP 176 (1976), S.312 („Erklärungschancen" und „Orientierungsmöglichkeiten"). 348 Zur zeitlichen Dimension der Vertragsbeziehungen vgl. Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 18ff.; ferner G. Husserl, Recht und Zeit, S. 37. 349 v. Gierke, JherJb 64 (1914), 406ff.; Schanze, in: Franchising and the Law (hrsg. von Joerges), S. 77ff.; Nicklisch, JZ 1984, 757f.; ders., in: Der komplexe Langzeitvertrag (hrsg. von Nicklisch), S.21; Kern, JuS 1992, 14; Palandt-Heinrichs, Einl. v. §241 BGB Rdnr.21; Martinek, Moderne Vertragstypen III, §30 II, S.383. 350 Zum folgenden insbes. Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 25ff.; Müller-Graff, ZgS Bd. 141 (1985), S.549ff.

III.

Vorrangige Ausschöpfung

des vertraglich

Vereinharten

249

hervortreten. Gerade der Abschluß eines langfristigen Vertrages geht nämlich häufig mit nicht unerheblichen Investitionen der Vertragspartner einher, die sich nur rentieren, wenn der Vertrag über einen längeren Zeitraum praktiziert werden kann. Auf der anderen Seite verbietet die bei Vertragsschluß nicht oder nur in Umrissen erkennbare Entwicklung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse eine allzu statische Fixierung des Vertragsprogramms. Es liegt im Interesse der Parteien Flexibilitätsreserven zur Verfügung zu haben, um den Vertrag ggf. weiterzuentwickeln. Dabei handelt es sich durchaus um zwei widerstrebende Anliegen. Zu viel Flexibilität wirkt tendenziell destabilisierend, während umgekehrt die Akzentuierung der Vertragsstabilität die Beweglichkeit der Vertragsparteien einengt. Neben diesen Zielkonflikt zwischen Stabilität und Flexibilität tritt ein weiteres spezifisches Phänomen längerfristiger Verträge, nämlich die sich mit dem Lauf der Zeit verstärkende wechselseitige Abhängigkeit der Parteien. 351 Der ausgedehnte - häufig persönliche - Kontakt läßt Vertrauen wachsen, begründet aber auf der anderen Seite immer auch eine besondere Verletzungsanfälligkeit. Dieser spezifischen Interessenlage versuchen die Parteien auf unterschiedlichem Wege Rechnung zu tragen. Teils bedienen sie sich ausgefeilter Vertragswerke, die eine Vielzahl denkbarer Eventualitäten zu erfassen versuchen, ggf. aber auch Anpassungsmechanismen vorsehen. Eine andere Regelungstechnik besteht im Abschluß eines allgemein gehaltenen Rahmenvertrages, der im weiteren Verlauf durch zahlreiche Einzelgeschäfte konkretisiert wird. Solche die einzelnen Transaktionen überwölbende Rahmenbeziehungen kennzeichnen nicht nur das Vertragshändlersystem, 352 sondern beispielsweise auch die neueren Vertriebsformen wie das Produktfranchising und die Zulieferverträge der Automobilindustrie. 353 Der Schwerpunkt des Regelungsprogramms eines längerfristigen Vertrages wird damit anders als bei einem kurzfristigen Austauschvertrag eher auf den strukturellen und prozeduralen Aspekten des Vertragsverhältnisses liegen. Die skizzierte Interessenstruktur, die den längerfristigen Vertrag prägt und sich in immer neuen Akzentuierungen offenbart, ist auch für den mit der Vertragsrechtskonkretisierung befaßten Rechtsanwender von großer Bedeutung. Denn langfristige Verträge sind ihrer Natur nach stets mehr oder weniger unvollkommene Verträge, 354 die im Hinblick auf nicht erwartete Entwicklungen der sorgsamen, oftmals ergänzenden Auslegung bedürfen. In der juristischen, teils wiederum wirtschaftswissenschaftlich beeinflußten Literatur sind gerade in jüngerer Zeit einige bemerkenswerte Versuche unternommen worden, Konzepte zur rechtlichen Bewältigung der besonderen Probleme langfristiger Verträge auszuarbeiten. Sie sollen im folgenden kurz vorgeGernhuber, Schuldverhältnis, §16 II 2, S.388f.; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S.26f. P. Ulmer, Vertragshändler, S. 296ff. 353 Windbichler, AcP 198 (1998), S.268ff. (dort auch nähere Ausführungen zu den spezifischen Problemen dieser zweistufigen Vertragsarchitektur) sowie neuerdings Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge im Privat- und Wirtschaftsrecht, S. 102. 354 Windbichler, AcP 198 (1998), S.268. 351 352

250

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

stellt und auf ihre Problemlösungskompetenz im Rahmen der Konkretisierung nicht kodifizierter Verträge hinterfragt werden.

(b) Lehre vom

Dauerschuldverhältnis

Neu belebt worden ist in jüngster Zeit die Diskussion um das Dauerschuldverhältnis. 355 Als Dauerschuldverhältnisse bezeichnet man gemeinhin solche Schuldverhältnisse, deren Abwicklung sich nicht in einem punktuellen Leistungsaustausch erschöpft, sondern einen mehr oder minder langen Zeitraum ausfüllt. Die Vertragsdurchführung kann ein dauerndes Verhalten oder aber die Erbringung wiederkehrender Leistungen in bestimmten Zeitintervallen beinhalten. 356 Als essentiell für ein Dauerschuldverhältnis wird überwiegend die Abhängigkeit des Umfangs der Gesamtleistung von der Länge der Vertragslaufzeit angesehen. 357 Das Dauerschuldverhältnis ist damit als Unterfall der langfristigen Verträge zu verstehen. Nach dieser Definition begründen zahlreiche legislativ nicht strukturierte Schuldverträge wie z.B. Leasing-, 358 Factoring-, 359 Franchising-, 360 Automatenaufstellungs-, 361 Bezugs-, 362 Belegarzt-, 363 unentgeltliche Theaternutzungs-, 364 Sicherungs-, 365 Just-in-time-Zuliefer- 366 und Unterlassungsverträge 367 ein Dauerschuldverhältnis. Welcher Erkenntniswert für die Konkretisierung der Vertragspflichten ergibt sich nun aus dieser Zuordnung? Richtig ist zunächst die Beobachtung, daß sich als Folge des ausgedehnteren persönlichen Kontakts der Parteien regelmäßig eine Verdichtung des Pflichten355 Hinzuweisen ist vor allem auf die grundlegende Monographie von Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung (1994); gründlich ferner Gernhuher, Schuldverhältnis, § 16, S. 377ff. Das Phänomen ist früh erkannt und beschrieben worden; vgl. etwa den Beitrag von v. Gierke in JherJb 64 (1914), S.355. 356 Larenz, Schuldrecht I, §2 VI, S.29; Nicklisch,1984, 761. 357 Larenz, Schuldrecht I, §2 VI, S.29f.; Medicus, Schuldrecht I, Rdnr.ll; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 134ff.; Palandt-Heinrichs, Einl. v. §241 BGB Rdnr.17; Nicklisch, JZ 1984, 761; kritisch Gernhuber, Schuldverhältnis, §16 I 1, S.378f. Mitunter wird auch (zusätzlich) das Merkmal der ständigen Pflichtenanspannung genannt (so etwa Palandt-Heinrichs, Einl. v. §241 BGB Rdnr. 17 und bis zur 7. Aufl. auch Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 15 II). In § 10 Nr.3 sowie § 11 Nrn. 1 und 12 AGBG hat der Begriff des Dauerschuldverhältnisses Eingang in die Gesetzessprache gefunden. 358 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 174; Gernhuber, Schuldverhältnis, § 16 I 3, S. 381. 359 BGH NJW 1980, 44; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 174. 360 BGH NJW 1999,1177 (1178); Martinek, Franchising, S. 259; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 175; Gernhuher, Schuldverhältnis, § 1 6 1 3 , S.381. 361 v. Olshausen/K. Schmidt, Automatenrecht, Rdnr. 90. 362 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 175. 363 BGH NJW 1972, 1128; Palandt-Heinrichs, Einl. v. §241 BGB Rdnr. 17. 364 BGH NJW 1992, 496. 365 Huber, Sicherungsgrundschuld, S. 82. 366 Martinek, Moderne Vertragstypen III, § 28 II 1, S. 296; Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge im Privat- und Wirtschaftsrecht, S. 77ff. 367 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 176; Palandt-Heinrichs, Einl. v. §241 BGB Rdnr. 17.

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

251

gefüges einstellt, mithin die Nebenleistungspflichten und die weiteren Verhaltenspflichten eine Erweiterung erfahren.368 Hierbei handelt es sich freilich um eine eher der Deskription zuzurechnende Erkenntnis, die noch keine normativen Rückschlüsse auf die konkrete Ausgestaltung dieser erweiterten Pflichten und ihre rechtliche Begründung erlaubt. Aus der Qualifizierung eines Vertragsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis werden gemeinhin anknüpfend an die spezifische zeitliche Dimension verschiedene rechtliche Konsequenzen gezogen. Der Bundesgerichtshof spricht sogar von „für Dauerschuldverhältnisse allgemein entwickelten Grundsätze(n)" 369 oder von „Regeln zur Abwicklung von Dauerschuldverhältnissen"370. Bei Lichte besehen handelt es sich freilich um einige wenige, in ihrer inhaltlichen Reichweite zudem nicht immer präzise eingegrenzte Sätze. Die wichtigsten seien hier kurz genannt.371 Der thematische Schwerpunkt der höchstrichterlichen Aussagen zum Dauerschuldverhältnis liegt bei der Beendigungsproblematik. Unter Berufung auf eine Rechtsanalogie zu §§554a, 626, 723 BGB und §89b HGB 3 7 2 aber auch schlicht auf Treu und Glauben (§242 BGB) 3 7 3 hat die Rechtsprechung den Rechtsgrundsatz aufgestellt, daß Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund gekündigt werden können.374 Das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund stehe den Parteien auch dann zu, wenn es im Vertrag nicht ausdrücklich vorgesehen sei. In seinem Kern wird das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund sogar für zwingend erachtet; selbst durch eine Individualvereinbarung könne es nicht völlig ausgeschlossen werden.375 Wichtig ist dieser Rechtsgrundsatz vor allem für solche Verträge, die von den zitierten Gesetzesvorschriften nicht unmittelbar erfaßt werden. Darunter befinden sich naturgemäß vor allem die nicht kodifizierten Vertragstypen.376 368 Gernhuber, Schuldverhältnis, § 16 II 2, S.388; ähnlich BGH NJW 1980, 44 (45): „Pflicht zur besonderen Rücksichtnahme und Loyalität". 369 BGH NJW 1992, 496 (497). 370 BGH NJW 1989, 27 (28). 371 Uber einige weitere dauerschuldspezifische Regeln wird man diskutieren können (vgl. statt vieler Gernhuber, Schuldverhältnis, § 16 II u. III, S. 395ff.). Als unstreitig dürfte jedenfalls der Ausschluß des §266 BGB (Verbot von Teilleistungen) gelten (vgl. hierzu wiederum nur Gernhuber, Schuldverhältnis, § 16 I 4, S. 384; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 36; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 15 II, S.256. 372 RGZ 78, 385 (389); 140, 264 (275); BGHZ 29, 171 (172); BGH NJW 1964, 1128 (1130); 1989,1482 (1483); zust. Gernhuber, Schuldverhältnis, § 16 II 5, S.392ff.; Larenz, Schuldrecht I, §2 VI, S.32; Nicklisch, JZ 1984, 762. 373 BGHZ 41, 104 (108); 50, 312 (315); 51, 79 (82); WM 1978, 271 (273); abl. Gernhuber, Schuldverhältnis, § 16 II 5, S.392f. 374 Der Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes will diesen Rechtsgrundsatz nun in das geschriebene Recht überführen (vgl. den neuen §308 Disk-E und die Begründung dieser Einfügung auf den S. 330ff.; dort auch interessante rechtsvergleichende Hinweise). Allgemein zum Diskussionsentwurf die Ausführungen unter § 10 I. 4. 375 B G H NJW 1986, 3134; Pzhndt-Heinrichs, Einl. v. §241 BGB Rdnr. 18. 376 B G H NJW 1999, 1177 (Franchisevertrag); B G H NJW 1992, 496 (Theaternutzungsvertrag); BGH BB 1997,1503 (Lizenzvertrag); O L G Hamburg MDR 1976, 577 und v. Olshausen/

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§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Bei solchen Verträgen kommt es mitunter vor, daß sich der Vertragstext auch über ein ordentliches Kündigungsrecht ausschweigt, d.h. es weder positiv im Vertrag verankert, noch ein solches ausdrücklich ausschließt. Zur Verhinderung einer unlösbaren Dauerverbindung wird in diesem Falle eine zeitliche Begrenzung in Form eines ordentlichen Kündigungsrechts befürwortet - auch dies wiederum in Analogie zu verschiedenen Bestimmungen gesetzlich geregelter Dauerschuldverhältnisse. 377 Im Hinblick auf die spezifische Ausgestaltung der Hauptleistungspflicht als Dauerleistungspflicht werden auch Modifikationen im Bereich des Leistungsstörungsrechts für notwendig erachtet. An die Stelle des gesetzlich vorgesehenen Rücktrittsrechts soll bei einem vollzogenen Dauerschuldverhältnis das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund treten. Weil man das störungsfrei Erbrachte als schuldgemäß bewirkt ansieht, werden die Rechtsfolgen auf die noch nicht oder fehlerhaft erbrachten Leistungen beschränkt. Eine Rückabwicklung in toto soll es mithin nicht geben. 378 Die als zu den allgemeinen Grundsätzen des Dauerschuldverhältnisses gehörig gerechneten Rechtsfolgenbestimmungen setzen auf unterschiedlichen Stufen an. Teils zielen sie, insbesondere wenn es um die Implementierung eines Kündigungsrechts geht, auf eine Ergänzung der Parteivereinbarung, wobei als methodisches Intrument die ergänzende Vertragsauslegung und - besonders naheliegend - die Entwicklung ungeschriebener Normen des Vertragsrechts in Betracht kommen. 3 7 9 Soweit hingegen Aussagen zur Wirksamkeit einer dieses Kündigungsrecht beschränkenden oder ausschließenden Abrede getroffen werden, ist die Ebene der Inhaltskontrolle tangiert. Der Ausschluß des Rücktritts und die Rückabwicklungssperre bei vollzogenen Dauerschuldverhältnissen bedeutet schließlich eine Modifikation des gesetzlichen Leistungsstörungsrechts. Die große inhaltliche Varianzbreite der Dauerschuldverhältnisse - man betrachte nur die oben exemplarisch aufgeführten, vom Zuschnitt des Leistungsprogramms her höchst unterschiedlich strukturierten Vertragsverhältnisse dürfte weiteren Verallgemeinerungen enge Grenzen setzen. Für eine „Theorie der Dauerschuldverhältnisse" ist die gemeinsame Basis zu schmal. 380 Für wei-

K. Schmidt, Automatenrecht, Rdnr. B 94 (Automatenaufstellungsvertrag); BGH NJW 1964, 1128 (1129), BGHZ 51, 79 und LG Kassel NJW 1992, 3107 (Schiedsvertrag); Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §66 V, S. 124 für das Finanzierungsleasing (a.A., nämlich Anwendung der §§553 und 554 BGB, die h.M; vgl. nur Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr. 1132ff. m.w.N.); zum Franchising Gross-Skaupy, Franchising in der Praxis, S.284 und Mack, Neuere Vertragssysteme, S. 135; differenzierend hier freilich Martinek, Moderne Vertragstypen II, § 16 III, S. 124ff. 377 BGH NJW 1972, 1128 (1129); NJW-RR 1993, 1460; O L G München NJW-RR 1996, 561 (563); Palandt-Heinrichs, Einl. v. §241 BGB Rdnr. 22. 378 BGH NJW 1986,124 (125); Palandt-Heinrichs, Einl. v. §241 BGB Rdnr.21; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 15 II, S.256; Nicklisch, JZ 1984, 762. 379 Zum Verhältnis dieser beiden methodischen Ansätze zueinander vgl. noch §7 IV 2 b (3). 380 Ebenfalls zurückhaltend Beitzke, Nichtigkeit, Auflösung und Umgestaltung von Dauer-

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

253

tergehende Aussagen bedarf es differenzierterer Kategorisierungen, die die spezifischen Besonderheiten einzelner Vertragsgruppen aufgreifen. Diese verlaufen jedoch quer durch die Dauerschuldverhältnisse. 381 Mitunter ist der argumentative Rückgriff auf die Figur des Dauerschuldverhältnisses sogar angetan, die prägenden Eigentümlichkeiten eines Vertragsverhältnisses auszublenden und damit von der tragenden Begründung abzulenken. 382 Die Quintessenz lautet damit: Begründet ein nicht kodifizierter Vertrag ein Dauerschuldverhältnis, so sollten für Problemlagen, in denen sich die charakteristische zeitliche Dimension der Dauerschuldverhältnisse spiegelt, bestimmte bewährte Antworten als noch zu verifizierendes Lösungsmodell gleichsam im Sinne einer Arbeitshypothese in Betracht gezogen werden. Zu prüfen ist insbesondere, ob die für Dauerschuldverhältnisse allgemein als passend erachtete Lösung nicht durch spezifische Besonderheiten des zu beurteilenden Interessenarrangements verdrängt oder doch modifiziert wird. Im Hinblick auf ihre - wenn auch begrenzte - Problemlösungskompetenz mag es von Vorteil sein, den Dauerschuldcharakter eines Vertragsverhältnisses herauszustellen. In den Rang einer eigenständigen Kategorie der Schuldrechtsdogmatik muß die Figur des Dauerschuldverhältnisses damit noch nicht erhoben werden. Im Rahmen der Rechtsanwendung läßt sich den Lösungsentwürfen der Lehre vom Dauerschuldverhältnis vielmehr - wie noch zu zeigen sein wird - zwanglos im Wege der ergänzenden Auslegung und der Gesetzesanalogie zur Geltung verhelfen.

(c) Lehre von den Relationalverträgen Langzeitverträgen

und den

komplexen

Im Gefolge der zur Überwindung des neoklassischen Vertragsrechtsdenkens angetretenen economic analysis of law ist auch die spezifische Problematik des langfristigen Vertrages ins Visier der anglo-amerikanischen Vertragsrechtstheoretiker geraten. Besonderen Einfluß hat in der US-amerikanischen Diskussion die Lehre von den Relationalverträgen gewonnen. Sie ist dort zu einem beeindruckenden interdisziplinären Forschungsansatz ausgebaut worden. Im deutschen Schrifttum hat es insbesondere in Form der Theorie von den komplexen Langzeitverträgen erste zaghafte Rezeptionsversuche gegeben. Gegenüber der economic analysis of law zeichnet sich die Theorie des relational contract 383 durch einen breiteren Ansatz aus. Die mikroökonomische Berechtsverhältnissen, S.7f.; Ulmer, Vertragshändler, S.262f.; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §15 II, S. 257; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S.707. 381 Ulmer, Vertragshändler, S.263; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S.707. 382 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S.707. 383 Die bekanntesten Protagonisten sind Macneil und Macaulay. Letzterer leistete vor allem wichtige empirische Vorarbeiten. Wichtige Beiträge aus ihrer Feder: Macneil, Southern California Law Review 47 (1974), S.691ff.; ders., Northwestern University Law Review 72 (1978), S. 854ff.; ders., in: Der komplexe Langzeitvertrag (hrsg. von Nicklisch), S. 31 ff.; Macaulay, American Sociological Review 28 (1963), S. 55; ders., in: Franchising and the Law (hrsg. von Joerges), S.179ff. Stärker ökonomisch ausgerichtet Williamson, The Economic Institutions of Capitalism,

254

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

trachtung - der Gedanke des social welfare tritt erkennbar in den Hintergrund wird in ein Modell der Analyse des sozialen Kontexts der vertraglichen Interaktion eingebettet. Man könnte auch von einer Synthese ökonomischer und behavioristischer Zugangsweisen sprechen. Ausgangspunkt ist die Unterscheidung zwischen den Denkmodellen des „diskreten" und des „relationalen" Vertrages. Für den diskreten Vertrag ist das scharf abgegrenzte Synallagma, der unpersönliche und gegenwartsbezogene Leistungsaustausch kennzeichnend. Das mittlerweile schon klassische Beispiel ist das einmalige Tanken eines Reisenden an einer Tankstelle. 384 Den Gegenpol bilden die relationalen Verträge, die eine langfristige Kooperation begründen und demgemäß tendenziell größere Investitionen der Parteien bedingen. Aufgrund der Komplexität und Dauer der Geschäftsbeziehung kann das vertragliche Regelungsprogramm die Entwicklungsmöglichkeiten und Störanfälligkeiten auch nicht annähernd antizipieren. Der relationale Vertrag ist daher immer auch ein unvollständiger, unvollkommener Vertrag. Macneil verdeutlicht dies am Ehevertrag. 385 Als Paradebeispiel aus dem modernen Wirtschaftsleben ließe sich der Franchisevertrag anführen, der in besonderem Maße auf eine langfristige, komplexe Kooperation angelegt ist. 386 Die Theorie des relational contract bricht mit der klassischen versprechensorientierten Konzeptualisierung des Vertragshandelns. 387 Die wesentlichen Inhalte der zwischen den Parteien eines Relationalvertrages bestehenden Rechte und Pflichten ergeben sich hiernach nicht aus einer Willensübereinstimmung der Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern sind durch den sozialen Kontext, die zugrundeliegenden Sozialbeziehungen (relation), gleichsam a priori vorgegeben. Das soziale und wirtschaftliche Beziehungsgeflecht der Kontrahenten setzt sich aus einem breitgefächerten Datenkranz zusammen. Macneil zählt hierzu u.a. den sozialen Status, die bürokratischen Strukturen und die Gewohnheiten. 388 Dieses außerrechtliche Beziehungsgeflecht avanciert in den Augen der Vertragsrechtstheoretiker des relational contract zum zentralen Referenzsystem für alle sich im Verlaufe eines langfristigen Vertragsverhältnisses stellenden Fragen. 389 Der normative Anspruch zeigt sich paradigmatisch S. 68ff. (in der deutschen Übersetzung unter dem Titel „Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus" erschienen, dort S. 77ff.). Beachtenswert auch die zeitlich vor den Veröffentlichungen von Macneil erschienene rechtsvergleichende Studie Müller-Graffs zu den „Rechtlichen Auswirkungen einer laufenden Geschäftsverbindung im amerikanischen und deutschen Recht" (1974). 384 Macneil, Southern California Law Review 47 (1974), S. 720f. 385 Macneil, Southern California Law Review 47 (1974), S. 721. 386 Vgl. statt vieler Dnes, in: Franchising and the Law (hrsg. von Joerges), S. 133. 387 Macneil, Southern California Law Review 47 (1974), S. 805f. versteht seinen Ansatz als „attempt to free contract from the myth of pure transactionism which so dominates many current [contract] concepts, to put exchange in its real life context of relation... It is intended as an initial effort at conceptualizing contract behavior in the interplay of transaction and relation." 388 Macneil, Southern California Law Review 47 (1974), S. 715. 389 Macneil, Northwestern University Law Review 72 (1978), S.886ff.

III. Vorrangige

Ausschöpfung

des vertraglich

Vereinharten

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in der Forderung, im Falle einer eintretenden Störung eine dem Erhalt der Sozialbeziehung dienende Streitbeilegung dem strikten Festhalten am vertraglich Vereinbarten vorzuziehen. Das hier nur verkürzt referierte Modell des relational contract hat in den USA eine weit verzweigte Diskussion ausgelöst. Zahlreiche Einzeluntersuchungen und Modifikationen des Grundansatzes sind zu verzeichnen. Hervorzuheben ist insbesondere die von Williamson propagierte Integration der Überlegungen zum relational contract law in eine Theorie der ökonomischen Institutionen auf der Grundlage der Transaktionskostenanalyse. 390 In der deutschen Vertragsrechtstheorie hat die Lehre von den Relationalverträgen nur vereinzelt Widerhall gefunden; es überwiegen die ablehnenden Stimmen. Soweit das U.S.-amerikanische Gedankenmodell aufgegriffen wird, geschieht dies zumeist mit dem Ziel der Ausarbeitung einer eigenständigen Kategorie des Vertragsrechts, etwa derjenigen des „komplexen Langzeitvertrages"391 oder - allerdings kaum ausgeführt - der „symbiotischen Verträge".392 Angestrebt wird die Ersetzung von als unpassend erachteten Normen des allgemeinen Schuldrechts durch ein dem komplexen langfristigen Vertrag angepaßtes Regelungsprogramm. 393 Offensichtlich inspiriert durch die soziologisierende Zugangsweise der Lehre vom relational contract hat es in der neueren deutschen Vertragsrechtsdogmatik ferner Versuche gegeben, die bekannten rechtssoziologischen Kategorien von Status und Kontrakt 394 für die nähere Charakterisierung komplexer, langfristiger Verträge fruchtbar zu machen.395 Insbesondere Joerges hat diesen Gedanken in eine Analyse der Regelungsprobleme im Franchise-Recht einfließen lassen.396 Williamson, The Economic Institutions of Capitalism. Insbes. Nicklisch, JZ 1984, 757ff. „Der komplexe Langzeitvertrag" hieß das Generalthema eines 1986 in Heidelberg veranstalteten internationalen Symposiums. Versucht werden sollte, wie Nicklisch (in: Der komplexe Langzeitvertrag, S. V) das Programm formulierte, den komplexen Langzeitvertrag in seinen Strukturen zu erfassen und Ansätze zu allgemeinen Rechtsgrundsätzen für solche Verträge zu entwickeln. Die überwiegend „technologischen Verträgen" gewidmeten Beiträge sind in einem von Nicklisch herausgegebenen Tagungsband (Der komplexe Langzeitvertrag) nachzulesen. Auf eine festumrissene Definition des „komplexen Langzeitvertrages" wurde bewußt verzichtet. Nicklisch meinte, eine Definition könne nicht am Anfang eines Prozesses stehen. Demgemäß beschränkte er sich auf die Angabe einiger prägender Strukturelemente. Diese sah er in der längeren Zeitspanne, in den ausgeprägten Ungewißheiten bei Vertragsschluß, in der besonderen Bedeutung fortwährender Kooperation und Kommunikation und in der besonderen Störanfälligkeit solcher Verträge (Nicklisch, in: Der komplexe Langzeitvertrag, S. 19f.; ähnlich schon ders., JZ 1984, 762f.). 392 Schanze, in: Franchising and the Law (hrsg. von Joerges), S. 67ff. 393 Nicklisch, in: Der komplexe Langzeitvertrag (hrsg. von Nicklisch), S.24. 394 Berühmt ist der Ausspruch von Maine (Ancient Law, S. 168ff.), daß „the movement of the progressive societies has hitherto been the movement from Status to Contract." Ferner Max Weber, Rechtssoziologie, S. 133ff. (zu seinem Konzept W. Schmidt, Zur sozialen Wirklichkeit des Vertrages, S.38ff.). 395 Joerges, Wisconsin Law Review 1985, S.581 ff.; ders., AG 1991, 325ff.; Schanze, in: Franchising and the Law (hrsg. von Joerges), S. 86ff.; P f l u g , Kontrakt und Status im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. 396 Joerges, AG 1991, 325ff. (Diese Untersuchung geht jedoch im Ergebnis auf Distanz zum 390

391

256

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Schließlich ist auf neuere Untersuchungen hinzuweisen, die sich dem langfristigen Vertrag aus streng ökonomischer Sicht zuwenden, das spezifische Gedankengut der Lehre vom relational contract mithin nicht rezipieren, es zumindest nicht zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtung machen. Im Zentrum dieser eher moderat und deskriptiv angelegten Abhandlungen stehen die Anpassung und Beendigung langfristiger Verträge sowie der Problemkreis der Opportunismuskontrolle. 397 Eine kritische Stellungnahme zu dem Konzept der Relationalverträge und den auf ihrer Basis erarbeiteten Umsetzungsvorschlägen muß auf zwei Ebenen ansetzen. Geklärt werden muß zunächst die Vereinbarkeit mit den Grundgedanken der geltenden Vertragsrechtsordnung. Sodann ist der rechtspraktische Ertrag bei der Inhaltsbestimmung nicht kodifizierter, komplexer Langzeitverträge in Augenschein zu nehmen. Der außerrechtliche Ansatz der mit dem Anspruch normativer Verbindlichkeit vorgetragenen Theorie von den Relationalverträgen kann aus der Sicht des Rechts ebenso wie im Falle der economic analysis of law nur als Widerspruch in sich aufgefaßt werden. Das Recht erhebt den Anspruch - und es muß diesen in der rechtsstaatlich verfaßten Demokratie auch erheben - , die alleinige und unangefochtene Instanz zu sein, die bestimmte Verhaltensgebote und -verböte in den Rang normativer Verbindlichkeit befördert. Für den Leistungsaustausch auf privater Ebene hat die Rechtsordnung die Rechtssetzungskompetenz abgesehen von notwendigen Begrenzungen an die beteiligten Akteure abgegeben. Geknüpft ist diese Delegation an das den Rechtsfolgeneintritt legitimierende Konsensprinzip. Die Willensübereinstimmung der Parteien rechtfertigt den Eintritt von Rechtsfolgen und begrenzt ihn zugleich. Insoweit ist die Vertragsrechtsordnung festgelegt und keiner grundsätzlichen Neubestimmung zugänglich. Radikalen Ansätzen nach dem Muster der U.S.-amerikanischen Doktrin von den Relationalverträgen gilt es daher eine entschiedene Absage zu erteilen. Der Kontext des Vertrages, seien es nun die Sozialbeziehungen oder die ökonomische Rationalität des Vertragshandelns, interessiert aus der maßgeblichen Sicht des Rechts nur, wenn es „die Filter der Rechtsgeschäftslehre und des Schuldrechts passiert hat". 398 Hinzu kommt, daß das Gedankengut des relational contract eng mit besonderen Gegebenheiten des amerikanischen common Law of Contract, etwa den Schriftformerfordernissen nach dem Statute of Frauds oder dem Uniform Commercial Code, verwoben ist, für die es hierzulande durchweg keine Entsprechung gibt. 399 Denken in Statusordnungen und Kontraktmodellen. Sie mündet vielmehr in einer Aufforderung an die Rechtsordnung, die Autonomieansprüche der Vertragspartner und ihre Reziprozitätsforderungen in ein Gleichgewicht der Vertragsgerechtigkeit zu bringen). 397 Zuletzt die Tübinger Habilitationsschrift von Jickeli, Der langfristige Vertrag; ferner Kern, JuS 1992, 13 ff.; streng ökonomisch Eger, Ökonomische Analyse von Langzeitverträgen. 398 So zutreffend Martinek, Vertragstypen III, §30 II, S.382; zu unkritisch hingegen Lange, Recht der Netzwerke, Rdnr.401, 427. 399 Oechsler, RabelsZ 60 (1996), S. 109ff.

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Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinbarten

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Auch der rechtspraktische Ertrag ist enttäuschend. Bislang ist es nämlich nicht gelungen, konkrete rechtsanwendungsbezogene Konsequenzen des neuen Ansatzes aufzuzeigen. 400 Dies gilt in besonderem Maße für die nur angedeutete Konstruktion der symbiotischen Verträge, trifft aber kaum weniger auf die Lehre von den Relationalverträgen und ihrer deutschen Entsprechung in Form der Theorie von den komplexen Langzeitverträgen zu. Die im Tagungsband des Heidelberger Symposiums enthaltenen Abhandlungen zu Investitionsverträgen, Verträgen auf dem Energiesektor und Software-Verträgen 401 stehen nahezu unverbunden nebeneinander und lassen ein einheitliches Regelungskonzept des komplexen Langzeitvertrages nicht hervortreten. Selbst für den bevorzugt untersuchten Franchisevertrag sind kaum praktisch verwertbare Erkenntnisse publik geworden. 402 In diesem Befund spiegelt sich die generelle Schwierigkeit, Beschreibungen faktischen Verhaltens in ein Normenprogramm zu übersetzen. Dort, wo ein solcher normativer Konkretisierungsversuch unternommen wurde, kam es zu wenig überzeugenden Ableitungen, so der Begründung einer Rechtspflicht zur gemeinsamen Planung und Organisation. 403 Schließlich haben die Befürworter relationaler Vertragsmodelle bislang nicht nachzuweisen vermocht, daß sich auf der Grundlage der geltenden Vertragsrechtsordnung und den anerkannten Vertragslehren keine angemessenen Antworten auf die Fragen langfristiger komplexer Verträge finden lassen. Der lapidare Hinweis auf die Ausrichtung des Bürgerlichen Gesetzbuches auf den punktuellen (diskreten) Austauschvertrag genügt hierfür nicht, blendet er doch das reichhaltige Instrumentarium der Zivilrechtsdogmatik aus. Hierzu gehören unter anderem die erläuternde und die ergänzende Vertragsauslegung, der Wegfall der Geschäftsgrundlage, die Möglichkeit der Erwirkung von Rechten und die Grundsätze über die rechtliche Behandlung von Dauerschuldverhältnissen und laufenden Geschäftsverbindungen. Diese tradierten Einrichtungen müßten - so steht zu vermuten - aufgrund ihrer tatbestandlichen Weite und ihres flexiblen Rechtsfolgenprogramms auch für komplexe und langfristige Vertragsformen adäquate Lösungen bereithalten. Die Leistungsfähigkeit und das endogene Entwicklungspotential des gewachsenen Vertragsrechts scheint noch keineswegs ausgereizt zu sein. Vor einem Übergang zu einem erst rudimentär ausgeführten Alternativkonzept müßte die Möglichkeit der Fortschreibung der überkommenen Institute genauestens geprüft werden. 404 Solange dies nicht gesche-

400 ¡-¡eermannt Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte, S. 83; Martinek, Moderne Vertragstypen III, §30 II, S.381. 401 Der komplexe Langzeitvertrag (hrsg. von Nicklisch). Ein weiterer, ebenfalls von Nicklisch herausgegeberner Tagungsband ist vor kurzem unter Titel „Netzwerke komplexer Langzeitverträge" erschienen. 402 Joerges, ZHR 151 (1987), S.212. 403 Vgl. etwa Zähmt, CuR 1992, 86; /. Schneider, Praxis des EDV-Rechts, Rdnr. D 60ff.; zu Recht kritisch Oechsler, RabelsZ 60 (1996), S. lOlf. 404 Martinek, Moderne Vertragstypen III, §30 II, S.382f.; Oechsler, RabelsZ 60 (1996), S.lllff.

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§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

hen ist, kann bereits ein Bedüfnis für eine durchgreifende Revision nicht anerkannt werden. Der vertragstheoretische Nutzen der Relationalvertragstheorie hält sich nach alledem in bescheidenen Grenzen. Er liegt, da ihr normativer Anspruch zurückgewiesen werden muß, im deskriptiven Bereich. Die Verhaltensmuster der Parteien lassen sich auf dieser Basis gut erklären; vertiefte Einsichten in die jeweiligen Binnenstrukturen erscheinen möglich. Mittelbar folgt daraus eine - allerdings begrenzte - Bereicherung des Argumentationshaushaltes; 405 ein Urteil, das mutatis mutandis auch für neuere Untersuchungen zum Langzeitvertrag aus ökonomischer Sicht gilt. 406 (d) Dynamische Elemente

des vertragsrechtlichen

Instrumentariums

Der Wille der Vertragsparteien beim Vertragsschluß, an den die gesetzliche Vertragsrechtsordnung den Rechtsfolgeneintritt in erster Linie knüpft, kann eine langfristige Kooperation nur unvollkommen programmieren. 407 Die Frage, wie das Vertragskonzept gleichwohl als Grundlage einer längerfristigen Bindung fortgeschrieben werden kann, beschäftigt die Zivilrechtsdogmatik nicht erst seit der Infiltration der Vertragspraxis durch moderne Verträge anglo-amerikanischen Ursprungs. Im Laufe der Zeit ist hier durch den Ausbau gesetzlich vorgesehener Institute, aber auch durch rechtsfortbildende Ergänzungen ein Instrumentarium geschaffen worden, daß ein beachtliches Flexibilitätspotential bereit hält, um langfristige Vertragsbeziehungen zu konkretisieren und damit auch zu stabilisieren. Diese Möglichkeiten sollen im folgenden kurz beleuchtet werden. Vorab ist jedoch darauf hinzuweisen, daß es den Parteien nicht verwehrt ist, durch kautelarjuristische Maßnahmen vorausschauend Lösungsmechanismen für künftige Konflikte zu installieren. Die Kautelarpraxis kann hier auf ein reichhaltiges Repertoire bewährter Gestaltungen zurückgreifen. Hinsichtlich der Leistungspflichten können - unter Beachtung der sich aus dem A G B - G e setz ergebenden Einschränkungen - einseitige Leistungsbestimmungsrechte begründet oder unterschiedlich ausgestaltete Anpassungsklauseln in den Vertrag aufgenommen werden. 408 Für einen Franchisevertrag wird in einem füh405 Ähnlich beurteilt Simitis (AcP 172 [1972], S. 149) den Wert der Sozialwissenschaften für die rechtswissenschaftliche Methode. Von ihnen könnten keine fertigen Lösungen, sondern nur Mittel und Wege für eine bessere, weil differenziertere Argumentation erwartet werden. Sie seien niemals Reflexionsersatz, vielmehr nur ein allerdings unverzichtbarer Reflexionsanreiz. Ihm zustimmend Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 197f. 406 Jickeli, Der langfristige Vertrag; Kern JuS 1992,13 ff.; zur Auseinandersetzung mit der economic analysis of law siehe oben III. 2. c) (1) (c). 407 Joerges, AG 1991, 326. 408 HierzuJ. Baur, Vertragliche Anpassungsregelungen; ders., in: FS für Steindorff, 509ff. (insbes. zu sog. „Wirtschaftsklauseln"); Bilda, Anpassungsklauseln in Verträgen; Kötz/Frhr. Marschall v. Bieberstein (Hrsg.), Anpassung langfristiger Verträge, mit Beiträgen von Horn, Fontaine, Maskow und Schmitthoff; Paulusch, Vorformulierte Leistungsbestimmungsrechte des Verwenders, in: Zehn Jahre AGB-Gesetz (hrsg. von Heinrichs, Löwe und Ulmer), S. 55ff.; Staudin-

III.

Vorrangige

Ausschöpfung

des vertraglich

Vereinharten

259

renden Vertragshandbuch beispielsweise folgender Änderungsvorbehalt vorgeschlagen:409 „Änderungen des Geschäftsordnungssystems gegenüber dem Stand bei Vertragsabschluß werden dem Franchise-Nehmer jeweils rechtzeitig vor Inkrafttreten bekannt gemacht. Änderungen werden ausschließlich in dem Umfang vorgenommen, der aus Marketing-, organisatorischen, technischen oder betriebswirtschaftlichen Gründen als zweckmäßig erscheint. Der Franchise-Geber hat dabei die Interessen des Franchise-Nehmers angemessen zu berücksichtigen. Das im Vertrag zum Ausdruck kommende Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung, die allgemeine Abgrenzung der Risikosphären sowie die Leistungsfähigkeit des Franchise-Nehmers müssen gewahrt bleiben." Für langfristig angelegte Verträge bietet es sich des weiteren an, Regelungen mit dem Ziel zu treffen, den Kommunikationsfluß der Parteien zu verbessern und die Art und Weise der Bereinigung möglicher Konflikte zu kanalisieren. Als durchaus sanktionsbewehrte (positive Vertragsverletzung, Kündigung) vertragliche Nebenpflicht sehen beispielsweise Franchiseverträge eine gegenseitige Unterrichinfortungspflicht der Vertragsparteien vor. Beispiele: „Der Franchise-Geber miert den Franchise-Nehmer regelmäßig über die Entwicklungen des Unternehmens, des Wettbewerbs und der aktuellen Marktentwicklungen. "410 „Der Franchise-Nehmer wird dem Franchise-Geber über die Geschäftsentwicklung, die Marktsituation und die Tätigkeit von Konkurrenzunternehmen im Vertragsgebiet zumindest einmal im Monat berichten. Er ist insoweit verpflichtet, dem Franchise-Geber jede sachdienliche Auskunft zu erteilen. " 4 U Typisch sind für Franchise-, Joint-Venture-Verträge etc. weiterhin auch prozedurale Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung.412 Die allgemeinen Lehren des Vertragsrechts verhindern ebenfalls eine allzu statische Bestimmung des vertraglichen Regelungsprogramms. So können etwa von den Parteien bei Vertragsschluß nicht aktuell bedachte Entwicklungen im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung aufgefangen werden. Enthält der Vertrag keine inhaltlichen Regeln für das Fehlen, den Wegfall oder die Veränderung bestimmter Umstände, so ist an eine Anpassung gemäß §242 BGB nach den Grundsätzen über das Fehlen bzw. den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu denken. Die Generalklausel des § 242 BGB sorgt im übrigen in ihrer pflichtenbegründenden Funktion für eine beachtliche Dynamisierung. Aus Treu und Glauger-/. Schmidt, %242 B G B Rdnrn. 1065ff.; Lörcher, D B 1996,1269ff. Zu den Anpassungsklauseln lassen sich auch die sog. Neuverhandlungsklauseln rechnen (zu ihnen Horn, AcP 181 [1981], 256ff.). Für generellen Vorrang von Neuverhandlungspflichten gegenüber der ergänzenden Vertragsauslegung jüngst Nette, Neuverhandlungspflichten, S.206ff.; hiergegen jedoch überzeugend Martinek, AcP 198 (1998), S.329ff. 409

Flohr, Franchisevertrag, S. 90.

Flohr, Franchisevertrag, S. 79; ähnlich Rechtsformularbuch-Gra/ von Kap. 106, Muster 106a, S. 1604. 411 Eßer, Franchising, S.241; ähnlich Rechtsformularbuch-Gra/ von Westphalen, Muster 106a, S.1605. 412 Umfängliche Klauselbeispiele für den Franchisevertrag wiederum bei Flohr, Vertrag, S. 190 und 201 ff. 410

Westphalen, Kap. 106, Franchise-

260

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

ben wird die Pflicht des Schuldners abgeleitet, alles zu tun, den Leistungserfolg vorzubereiten, herbeizuführen und zu sichern. 413 Treten mithin im Laufe einer längeren Vertragsbeziehung Leistungshindernisse auf, so trifft den Schuldner die (Leistungstreue-)Pflicht, das Hindernis aus dem Wege zu räumen, wenn dies mit vertretbarem Aufwand geschehen kann. Aus §242 BGB resultieren ferner Schutzpflichten gegenüber dem Vertragspartner sowie weitere Nebenpflichten. 414 Gemeinsam ist all diesen in §242 BGB verankerten Nebenpflichten, daß sie sich erst in einer bestimmten, bei Vertragsschluß meist noch nicht vorhersehbaren Situation aktualisieren. 415 Dem Gesetzesrecht kommt so eine wichtige Ergänzungsfunktion zu, von der vor allem langfristige Vertragsbeziehungen profitieren. Im Zusammenhang mit der Generalklausel des § 242 BGB sei ferner an die Möglichkeit der Begründung einer Leistungspflicht durch „Erwirkung" erinnert. 416 Auch hier handelt es sich um ein Institut, das zu einer Veränderung (Erweiterung) des vereinbarten Regelungsprogramms im Hinblick auf bestimmte Entwicklungen in der Vertragsbeziehung (Bildung eines Vertrauenstatbestandes) führt. Pflichtenbegründende Wirkung wird einem Vertrauenstatbestand, der sich im Verlaufe eines lange währenden Vertragsverhältnisses bilden konnte, von der wohl überwiegenden Meinung unter bestimmten Voraussetzungen auch über die Rechtsfigur des Geschäftsverbindungsbrauchs beigemessen. 417 Aus ihr ergibt sich beispielsweise, daß die Abkehr von einer über einen langen Zeitraum praktizierten - wenn auch vertraglich nicht geschuldeten Übung der vorherigen Ankündigung bedarf; ein Verstoß gegen diese Auskunfts-, Mitteilungs- oder Hinweispflichten kann haftungsrechtliche Konsequenzen zeitigen. 418 Schließlich ist noch auf die Regeln über Dauerschuldverhältnisse 419 hinzuweisen, die zumindest einige allgemeine Aussagen zur Beendigungsproblematik eines beträchtlichen Teils der langfristigen komplexen Ver413 MünchKomm-Emmerich, Vor §275 BGB Rdnr.119; Jauernig-Vollkommer, §242 BGB Rdnr.27; Palandt-Heinrichs, §242 BGB Rdnr.27; Gernhuber, Schuldverhältnis §2 IV 1, S.22; BGH NJW 1978, 260; 1983, 998. 414 Statt aller Larenz, Schuldrecht I, § 2 I, S. 6ff. und Gernhuber, Schuldverhältnis, § 2 III und IV, S. 15 ff. 415 Medicus, Probleme um das Schuldverhältnis, S. 17: „Die Entstehung von Schutzpflichten ist situationsgebunden; erst aus der konkreten Situation ergibt sich nicht nur die Pflicht selbst, sondern auch die Zuweisung der Gläubiger- und der Schuldnerrolle." 416 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 372ff.; Larenz, Schuldrecht I, §10 II, S. 142f.; MünchKomm-Roth, §242 BGB Rdnr.380. 417 Müller-Graff, Rechtliche Auswirkungen einer laufenden Geschäftsverbindung im amerikanischen und deutschen Recht; Larenz, Schuldrecht I, §9 II, S. 122; K. Schmidt, Handelsrecht, § 2013, II, S. 603 ff.; kritisch Gernhuber, Schuldverhältnis, § 17 II, S. 409ff., der die „laufende Geschäftsverbindung" lediglich als Kategorie der Lehre vom Rechtsgeschäft, also insbesondere als Interpretationsmaxime, gelten lassen will. Die dogmatische Einordnung dieser vor allem für das Handelsrecht bedeutsamen Rechtsfigur ist umstritten (hierzu Müller-Graff, a.a.O, S.233ff.). Uberwiegend wird ein gesetzliches Schutzpflichtverhältnis angenommen (vgl. etwa K. Schmidt, Handelsrecht, §20 I 3, II, S.603ff.; Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr. 12ff.). Den Maßstab bilde Treu und Glauben (§242 BGB). 418 BGH NJW 1989, 2532: Pflicht zum Hinweis auf Änderung der Warenbeschaffenheit. 419 Vgl. hierzu oben (b).

III.

Vorrangige Ausschöpfung

des vertraglich

Vereinbarten

261

träge beisteuern. In der Gesamtschau ergibt sich damit ein vielschichtiges Instrumentarium, daß flexiblen und dynamischen Elementen breiten Raum gewährt. Die Aufgabe dürfte in der Abgrenzung, Konkretisierung und ggf. auch in der Fortentwicklung dieser Institute liegen. Die hiesige Untersuchung möchte hierzu insoweit einen (Teil-)Beitrag leisten, als versucht werden soll, das Anwendungsfeld der ergänzenden Vertragsauslegung im Hinblick auf nicht kodifizierte Verträge näher zu bestimmen. Keinen Fortschritt verheißt meines Erachtens der Vorschlag Oechslers, als weiteren vertraglichen Verpflichtungsgrund neben dem übereinstimmenden Parteiwillen den Gesichtspunkt des Vertrauensschutz anzuerkennen. 420 Oechsler möchte damit das Gemengelage vertraglicher und gesetzlicher Pflichten, das das vertragliche Schuldverhältnis nach der Konzeption der ganz herrschenden Meinung prägt, zugunsten eines einheitlichen rechtsgeschäftlichen Verständnisses auflösen. Die Konkretisierung von Vertragsrecht erfolgt hiernach in zwei Schritten. Während der erste Akt in der Auslegung der Willenserklärungen gem. §§ 133,157 BGB bestehe, seien in einem zweiten Schritt die Willenserklärungen als Vertrauenstatbestände zu würdigen. Abgesehen von Bedenken grundsätzlicher Art, etwa der zweifelhaften Vereinbarkeit dieses Ansatzes mit der auf dem Selbstbestimmungsprinzip gründenden Rechtsgeschäftslehre, die Oechsler jedoch meint ausräumen zu können, 421 läßt sich nicht nachweisen, daß sich auf dieser Basis Ergebnisse erzielen lassen, die dem Prinzip formaler Gerechtigkeit besser entsprechen. Das eigentliche Problem, nämlich die Konkretisierung des Vertrauenstatbestandes und die Entscheidung über die Schutzwürdigkeit des Vertrauens, stellt sich bei Oechsler nur in einem neuen Gewand. Denn viele der oben angesprochenen gesetzlichen Pflichtenbegründungen beruhen ebenfalls auf dem Vertrauensschutzgedanken. Und gerade in diesem Punkt bleibt Oechslers Maßstab blaß: schützenswert soll der Gläubiger insoweit sein, als er auf eine Durchführung der Pflichten nach durchschnittlichen Sorgfalts- und Treuemaßstäben vertraut. 422 Schließlich muß das Nebeneinander vertraglich und gesetzlich begründeter Rechtspflichten nicht schon für sich ein Nachteil sein. Die neuere - vor allem von Canaris propagierte - Auffassung spricht sich mit guten Gründen sogar für die generelle Anerkennung eines die vertraglichen Rechte und Pflichten überwölbenden gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses aus. 423

420

Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 199ff., insbes. S. 242ff. Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.209ff. 422 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 257. 423 Canaris, J Z 1965,475ff.; ders., in: FS f ü r Larenz (1983), S.27ff. (insbes. S. 102ff.); Thiele, JZ 1967, 649ff.; Gerhardt, J u S 1970, 597ff.; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 2 9 ; Soergel-Teichmann, § 2 4 2 B G B Rdnr. 181; dagegen Medicus Bürgerliches Recht, Rdnr.203; Larenz, Schuldrecht I, § 9 I, S. 119f.; Palandt-Heinrichs, § 2 7 6 B G B Rdnr. 106; Staudinger-Löwisch, Vorbem. zu § § 2 7 5 - 2 8 3 B G B Rdnr. 26; Gemhuber, Schuldverhältnis, § 2 IV 4, S.26ff. 421

262

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

(3) Mehrgliedrigkeit

neuerer

Rechtsfindungskonzepts

Vertragswerke

Die interpretatorische Erfassung eines gesetzlich nicht geregelten Vertrages kann den Rechtsanwender vor besondere Probleme stellen, wenn der entsprechende Bilateralkontrakt in ein Gesamtsystem aufeinander abgestimmter Verträge integriert ist. 424 Im Zuge der zunehmenden sozio-ökonomischen Differenzierung hat diese Erscheinung in der Vertragspraxis immer größere Bedeutung gewonnen. Es sei nochmals daran erinnert, daß insbesondere zahlreiche neuere Vertragsformen wie das Franchising, das Leasing und das Kreditkartengeschäft wirtschaftlich und rechtlich nicht allein durch eine einzelvertragliche Beziehung begründet werden, sondern sich dem Betrachter nur in einer Gesamtschau vollständig erschließen. (a) Beachtung

der Sinneinheit

eines

Vertragssystems

Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß das Bürgerliche Gesetzbuch bis auf wenige Ausnahmen am klassischen Bilateralvertrag, der vertraglichen Gläubiger-Schuldner-Beziehung, ausgerichtet ist. Anhand des Leasingvertrages ist ferner gezeigt worden, daß die Eingebundenheit des Vertrages in ein Gesamtsystem oder einen Verbund bei der Auslegung nicht negligiert werden darf. 425 Den durch den besonderen Geschäftszweck vermittelten Zusammenhang der vertraglichen Regelung darf der Interpret nicht aus den Augen verlieren. Der einzelne Vertrag kann das angestrebte Ziel nur erreichen, wenn auch das gegliederte Ganze funktioniert. Für die Auslegung ist daher davon auszugehen, daß jeder in das Gesamtgefüge integrierte Einzelvertrag auch den übergeordneten Sinnzusammenhang in sich aufnimmt. Dem Rechtsanwender ist es aufgegeben, diesen im Rahmen der Interpretation des einzelnen Vertrages aufzudecken und ihm das gebührende Gewicht beizumessen. Freilich handelt es sich auch hier nur um einen auslegungsrelevanten Umstand unter mehreren, so daß sich die interpretatorische Rücksichtnahme auf den Gesamtzusammenhang nicht stets und unbedingt durchsetzen muß. Auf der anderen Seite dürfte sich eine Auslegung, die die Sinneinheit eines abgestimmten Vertragssystems in wesentlichen Punkten desavouiert, im Regelfall verbieten. Eine enumerative Zusammenstellung der sich aus der Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs ergebenden Konsequenzen für die Bestimmung der vertraglichen Rechte und Pflichten dürfte sich angesichts der Vielgestaltigkeit der in der Praxis vorfindbaren, mehrgliedrigen Vertragsgeflechte verbieten. Freilich können exemplarisch einige typische Einwirkungen aufgezeigt werden. So stellt sich nicht selten die Frage, ob gesetzliche Vorschriften, deren Tatbestand bei einer allein an der vertraglichen Gläubiger-Schuldner-Beziehung ausgerichteten Betrachtungsweise verwirklicht erscheint, auch dann zur Anwendung zu bringen sind, wenn dies der differenzierten Interessenstruktur eines 424 425

Hierzu bereits unter § 1 Il.l.b) (3). Oben II. 2. c).

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinharten

263

mehrgliedrigen Vertragssystems nicht gerecht würde. Ein solcher Fall ist im Rahmen dieser Untersuchung bereits zu Sprache gekommen. Es ging dabei um die Anwendung des §377 H G B auf die Lieferung an den nichtkaufmännischen Leasingnehmer zu Lasten des Leasinggebers. 426 Die Besonderheiten des leasingtypischen Dreiecksverhältnisses rechtfertigen - wie gezeigt - richtiger Ansicht nach eine teleologische Reduktion der Rügeobliegenheit des §377 H G B . Eine ähnliche Problematik ergibt sich bei Just-in-time-Zulieferverträgen. 427 Eine Untersuchungs- und Rügeobliegenheit des Endherstellers paßt hier augenscheinlich in vielen Fällen nicht in das Konzept der Just-in-time-Produktion. Schon aus purem Zeitmangel - man denke insbesondere an eine „an-Band-Lieferung" - sieht sich der Endhersteller oftmals zu einer umfänglichen Eingangskontrolle nicht in der Lage. Vor Ort gilt es das Zusammenspiel der zahlreichen Zulieferer zu koordinieren. Die Uberprüfung muß nach der Idee der Just-intime-Produktion als Warenausgangskontrolle im Betrieb des Zulieferers stattfinden. Dort müssen mögliche Mängel erkannt und ausgemerzt werden. Käme eine Eingangskontrolle beim Endhersteller hinzu, so würde dies zu einer ökonomisch nicht sinnvollen Doppelkontrolle führen. Nicht selten dürften dem Endhersteller überdies die notwendigen Spezialkenntnisse für eine rasche und sachgerechte Begutachtung der Lieferung fehlen. Das System der Just-in-timeProduktion kennt andere Kontrollmechanismen, die den Normzweck des §377 H G B in anderer, der Organisation besser angepaßten Weise verwirklichen. Zu nennen ist vor allem das Ersatzmodell der Qualitätssicherungsvereinbarung, daneben lieferantenbezogene Kontrollen des Endherstellers. Aus der kooperativen Dauerrechtsbeziehung trifft den Endhersteller ferner die von §377 H G B unabhängige Nebenpflicht, den Lieferanten auf offensichtliche oder erkannte Mängel hinzuweisen. 428 Eine teleologische Reduktion des §377 H G B für Justin-time-Zulieferverhältnisse muß - wie Rohe zuletzt im einzelnen nachgewiesen hat - , 4 2 9 nicht mit einer Benachteiligung der Zulieferer einhergehen. Die für diese Vertragsverhältnisse typische Pflichtengruppierung begründet gegenüber der gesetzlichen Regelung ein wirkungsähnliches aliud und beschränkt sich keineswegs auf die Derogation des §377 H G B . M.E. sollte unter diesen Umständen der privatautonomen Regelungsmacht der Parteien Rechnung getragen und der Geltungsanspruch des § 377 H G B - soweit erforderlich - zurückgenommen werden. 430 Oben II. 2. c). Deren Rechtsnatur ist keineswegs geklärt. Martinek, Moderne Vertragstypen III, §28 II, S. 304 spricht von einem „Typenkombinationsvertrag mit werklieferungsvertraglichen Elementen und mit mehr oder weniger ausgeprägten geschäftsbesorgungsvertraglichen Elementen sowie mit Dauerschuldcharakter", ganz ähnlich Lange, Recht der Netzwerke, Rdnr. 175 und Wolf/ Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr. Z 101, der freilich noch einen Schritt weiter geht und den Zuliefervertrag sogar als „eigenständigen Vertragstyp mit besonderer Interessenlage" qualifiziert. 428 K. Schmidt, Handelsrecht, §29 III, S.828; Rohe, Netzverträge, S.403. 429 Rohe, Netzverträge, S.400f. 430 Ebenfalls für eine teleologische Reduktion Rohe, Netzverträge, S.401; „hilfsweise" auch Lehmann, BB 1990, 1852f.; dagegen jedoch Lange, Recht der Netzwerke, Rdnr.320. Vertretbar 426 427

264

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Bei hierarchisch strukturierten Vertragssystemen, als Beispiele seien Vertragshändler- und Franchisesysteme genannt, trifft die einzelnen Beteiligten eine Pflicht zur Förderung des Systems. Der übergeordnete Gesamtzweck des Zusammenschlusses fließt damit im Ergebnis in die Auslegung aller zum System gehörenden Bilateralverträge ein. Veranschaulichen läßt sich dies anhand eines Sachverhalts, über den der Bundesgerichtshof in seiner vielbeachteten Entscheidung zum McDonald's Franchisesystem zu befinden hatte. 431 Konkret ging es in diesem Fall um die Berechtigung zu einer außerordentlichen Kündigung des Franchise-Vertrages durch den Franchise-Geber. Gestützt wurde diese Kündigung auf eine Bestimmung des Vertrages, nach der der Franchise-Geber außerordentlich kündigen konnte, wenn und soweit „¿zj der Franchise-Nehmer es unterläßt, das von ihm betriebene Restaurant in guter; sauberer und zweckdienlicher Weise und in Übereinstimmung mit den auf Grund des McDonald's-Systems vorgeschriebenen Grundsätzen und Richtlinien zuführen Einbezogen in den Vertrag waren die detaillierten Vorgaben der Betriebshandbücher, u.a. zur Grilltemperatur der in dem Restaurant hauptsächlich verkauften „Hamburger" und „Viertelpfünder". Wegen mehrerer Verstöße des FranchiseNehmers gegen die ihm auferlegten Pflichten betreffend die Zubereitung der Speisen (insbesondere Grilltemperaturen), Bedienung und Sauberkeit sprach der Franchise-Geber nach vorheriger Abmahnung eine außerordentliche Kündigung aus. Für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung kam es nun zunächst darauf an, wie die generalklauselartig formulierte Kündigungsbestimmung des Franchisevertrages zu konkretisieren war. In diesem Zusammenhang muß bedacht werden, daß die Funktionsfähigkeit und der Goodwill des Vertriebssystems in entscheidendem Maße von dem homogenen Erscheinungsbild der einzelnen Franchisebetriebe abhängen. Der Kunde soll in jedem Restaurant die gleichen Qualitätsansprüche stellen können. Daß er sich eines bestimmten Standards sicher sein kann, begünstigt positive Präferenzentscheidungen zugunsten aller angeschlossenen Betriebe. Auf diese Weise profitieren auch alle im Vertriebssystem zusammengeschlossenen FranchiseBetriebe von der strikten Einhaltung des vorgegebenen Qualitätsstandards. Umgekehrt kann das Ausscheren einzelner Franchisees das einheitliche Erscheinungsbild des Systems beeinträchtigen. Der Zusammenschluß und damit alle Systembeteiligten können hierdurch einen beträchtlichen Schaden erleiden. Opportunistisches Verhalten einzelner muß mithin im übergeordneten Interesund auf dasselbe Ergebnis hinauslaufend ist es, §377 H G B in Just-in-time-Lieferverhältnissen für abdingbar zu erklären (so z.B. K. Schmidt, Handelsrecht, §29 III, S. 828; Wellenhofer-Klein, Zulieferverträge im Privat- und Wirtschaftsrecht, S. 338ff.). Freilich wird hier übersehen, daß die Frage nach einer teleologischen Reduktion der Norm vorrangig zu beantworten ist. Für Unwirksamkeit von Rügeverzichtsklauseln jedoch Grunewald, N J W 1995, 1780ff. 431 B G H N J W 1985,1894. Instruktiv aus neuerer Zeit ferner B G H N J W 1999,1177: hohe Anforderungen an den wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Franchisenehmers im Hinblick auf die als Folge des plötzlichen Ausscheidens zu erwartende Gefährdung der Grundlage des Gesamtsystems (Transport leichtverderblicher Tiefkühlkost). Zur Auslegung eines Restaurant-Franchisevertrages jüngst auch B G H NJW-RR 2000,1159ff.

III.

Vorrangige

Ausschöpfung

des vertraglich

Vereinbarten

265

se aller unbedingt verhindert werden. Um die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems in dieser Hinsicht zu gewährleisten, bedarf es einer entsprechenden inhaltlichen Konkretisierung der vertraglich eingegangenen Bindungen. Im Verhältnis zum Franchise-Geber wird der Franchise-Nehmer folgerichtig aus dem Franchisevertrag für verpflichtet gehalten, das System anzuwenden und zu fördern,432 und zwar auch, wenn dies vertraglich ausnahmsweise einmal nicht gesondert vereinbart sein sollte. Die gebotene Rücksichtnahme gegenüber den Systembeteiligten äußert sich mithin in einer Pflichtenintensivierung gegenüber der Zentrale. Diese wiederum hat gegenüber den übrigen Systembeteiligten nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, gegen Systemschädigungen einzelner Franchisenehmer einzuschreiten.433 Bleibt sie pflichtwidrig untätig, setzt sie sich Schadensersatzansprüchen wegen positiver Verletzung der einzelnen Franchiseverträge aus. Vor diesem Hintergrund kann die fristlose Kündigung durch den Franchisor auch auf Gründe gestützt werden, die in einer herkömmlichen, nicht in ein Gesamtsystem eingebetteten, zweigliedrigen Vertragsbeziehung eine sofortige Auflösung nicht ohne weiteres rechtfertigen könnten. Auf der anderen Seite ist das Kündigungsrecht systemimmanent begrenzt. Letzteres kommt in der Formulierung des Bundesgerichtshofs zum Ausdruck, wonach es der Regelungsgehalt der vertraglichen Kündigungsbestimmung einschließe, daß die Nichtbeachtung vertraglich festgelegter Grundsätze und Richtlinien den Vertragszweck, die Verwirklichung des unternehmerischen Ziels des Franchise-Gebers, zu gefährden geeignet sein müsse.434 Das Fallbeispiel erlaubt zwei Feststellungen. Zum einen wird deutlich, daß der Rechtsnaturbestimmung eines Vertrages mitunter nur zweitrangige Bedeutung zukommt. Wichtiger und ihr vorgelagert ist allemal die sorgfältige Analyse des Vertrages einschließlich der mit ihm verfolgten Ziele und der ihn motivierenden Interessen. Zum anderen zeigt sich, daß der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse einer interessengerechten Ausformung des Rechte- und Pflichtengefüges eines multilateralen Vertragssystems nicht im Wege stehen muß. Die der gängigen Vertragspraxis Rechnung tragende rechtliche Aufgliederung in bipolare Vertragsverhältnisse muß nicht in einem vertragsrechtlichen Isolationismus enden, so man denn den Erhalt und die Förderung der Funktionsfähigkeit des Systems in die Interpretation der Einzelverträge einfließen läßt. So gesehen vereint das Denken in bipolaren Vertragsstrukturen den Vorzug einer Reduzierung von Komplexität mit einer doch immerhin noch beachtlichen rechtsanwenderischen Flexibilitätsreserve.

432 433

Vgl. Canaris, Handelsrecht, §20 Rdnr. 15; Martinek, Franchising, S.260ff. So auch Rohe, Netzverträge, S. 444 - allerdings eingefügt in sein Konzept des Netzvertra-

ges. 434

B G H N J W 1985, 1894 (1895).

266

§ 7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

(b) Lehre von den Vertragsverbindungen, den trilateral-synallagmatischen Leistungsverknüpfungen Netzverträgen

und den

Gleichwohl soll hier nicht bestritten werden, daß die rechtstheoretische Durchdringung mehrgliedriger, aufeinander bezogener Vertragssysteme eine wichtige Aufgabe künftiger Vertragsdogmatik darstellt. Es fehlt derzeit eine übergreifende Lehre, die sich nicht nur als Interpretationshilfe versteht, sondern darüber hinaus, rechtliche Konsequenzen der finalen Verknüpfung begründet. Erst in letzter Zeit sind Bemühungen erkennbar geworden, das in der Anlage des Bürgerlichen Gesetzbuches begründete rechtstheoretische Defizit abzubauen. Aufmerksamkeit ist insbesondere dem drittfinanzierten Abzahlungskauf zuteil geworden. Mit Blick auf die spezifische Problematik dieses Geschäfts hat sich Gernhub er um eine „Lehre von den Vertragsverbindungen" bemüht.435 Als Vertragsverbindung bezeichnet er jede Mehrheit aufeinander bezogener Schuldverhältnisse mit bilateraler oder multilateraler Parteienkonstellation, deren Verknüpfung unmittelbar eintretende Einwirkungen (genetischer, funktioneller oder konditioneller Art) zur Folge hat.436 Gernhuber geht es darum, den Finalnexus in dem der Kauf- und der Darlehensvertrag stünden, in einer rechtlich formierten Zweckstruktur mit zwingenden oder dispositiven Rechtssätzen zu entfalten. Wichtigste praktische Konsequenz ist, daß sich Störungen des einen Schuldverhältnisses unmittelbar auf das andere auswirken. Seine Skizze entfaltet Gernhuber freilich nahezu ausschließlich anhand des finanzierten Abzahlungskaufs. Eine allgemeine Morphologie des vertraglichen Verbundes mehrerer Rechtsgeschäfte war - wie Gernhuber selbst hervorhob - 4 3 7 nicht beabsichtigt. Skeptisch ob der Erfolgsaussichten eines solchen Unternehmens bemerkte er, daß dann angesichts der Inhaltsunterschiede der verbundfähigen Rechtsgeschäfte eine Abstraktionshöhe unvermeidbar wäre, die weit über jene des synallagmatischen Schuldverhältnisses hinausginge. Gernhubers Ansatz ist überwiegend auf Kritik gestoßen438 und in der Folgezeit im Schrifttum nicht weiter vertieft worden. Die von Gernhuber vorgezeichnete Richtung nimmt allerdings die jüngst erschienene Habilitationsschrift Heermanns wieder auf.439 Ihr Anliegen ist eine Bereichsdogmatik der drittfinanzierten Erwerbsgeschäfte auf der Grundlage eines neuen Ansatzes. Dessen Grundidee besteht darin, das überkommene RelatiGernhuber, in: FS für Larenz (1973), S.455; ders., Schuldverhältnis, §31 I, S.710ff. Gernhuber, Schuldverhältnis, §31 I, S.710. 437 Gernhuber, in: FS für Larenz (1973), S.471. 438 Vgl. insbesondere Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr. 1397; Gundlach, Konsumentenkredit und Einwendungsdurchgriff, S. 166ff.; differenzierend hingegen Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte, S. 72ff. 439 Heermann, Drittfinanzierte Erwerbsgeschäfte (1998). Die Arbeit greift ferner Gedanken Pfisters (JZ 1971,284ff.) auf, geht jedoch auf Distanz zu der Annahme eines Vertragsgebildes sui generis im Sinne eines dreiseitigen Vertrages (so Vollkommer, in: FS für Larenz [1973], S. 712f.). 435

436

III. Vorrangige Ausschöpfung

des vertraglich

Vereinbarten

2(>7

vitätsdogma zugunsten einer trilateral-synallagmatischen Leistungsverknüpfung aufzubrechen. Für den drittfinanzierten Abzahlungskauf, das Factoringund das Kreditkartengeschäft sowie das Finanzierungsleasing wird die Konstruktion eines dreiseitigen Rechtsgeschäfts befürwortet. Damit einher geht eine Neubestimmung des Leistungsbegriffs im Sinne eines tatsächlichen Verständnisses. Gerade diese Prämisse dürfte freilich einer breiten Akzeptanz der hierauf aufbauenden Konzeption durch das Fachpublikum im Wege stehen. Hinzu kommt, daß die Figur der trilateralen-synallagmatischen Verknüpfung der Leistungspflichten kaum noch vom Parteiwillen gedeckt sein dürfte - ein Vorwurf übrigens, der zu Recht auch gegen Gernhuhers Lehre von den Vertragsverbindungen erhoben wurde. Allein der Nachweis, daß die aus dem neuen Ansatz abgeleiteten Rechtsfolgen den Vertragsparteien nicht aufoktroyiert werden müssen, weil sie sich mit ihren Vorstellungen weitgehend decken, genügt nicht, um dieses Monitum zu entkräften. Die privatautonome Regelungsmacht kann sich nämlich auch darin äußern, daß die Parteien bewußt von einem mehrseitigen Rechtsgeschäft Abstand nehmen und - etwa um die bisherige Beurteilung solcher Verträge durch die Rechtsprechung nicht in Frage zu stellen zu dem bewährten Abschluß zweier Verträge greifen. Zur einer Belebung der Diskussion um die adäquate Erfassung mehrgliedriger Vertragssysteme hat des weiteren eine scharfsinnige Analyse Möschels zu den dogmatischen Strukturen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs geführt.440 Möschel gab in diesem vor der Zivilrechtslehrertagung in Passau gehaltenen Vortrag zu bedenken, ob die bisherige isolierende Betrachtung nicht durch eine neue dogmatische Kategorie des Verbund- oder Netzvertrages ergänzt werden könne. Der Denkansatz vom Verbundsystem und Netzvertrag mache Ernst mit dem für alle Beteiligten selbstverständlichem Faktum, daß die Einzelverträge in ihrer wechselseitigen Aufeinanderbezogenheit ein System konstituieren mit dem einheitlichen Zweck der Zahlungsdurchführung, ohne daß dies ein gemeinsamer im Sinne eines Gesellschaftsvertrages wäre. Die grundsätzlich individualistischen Vertragsstrukturen sieht Möschel wertungsmäßig überlagert von ihrer Einbettung in ein Gesamtsystem. Dessen Funktionsfähigkeit, aber auch die Instrumentalität des Netzes werden in die Betrachtung einbezogen. Weitergehend sollen über die „Kanten" und „Knoten" des Netzes sogar unmittelbare Sonderrechtsverhältnisse zwischen allen Beteiligten entstehen. Für vertragsrechtliche Probleme des bargeldlosen Zahlungsverkehrs sollen sich daraus unmittelbare rechtliche Konsequenzen ergeben, die mit dem Bild des Uberspringens von Kettengliedern zusammenfassend charakterisiert werden können. Für den bargeldlosen Zahlungsverkehr soll sich dies konkret in der Zurückdrängung individualrechtlich begründbarer Warnpflichten, der Ausdehnung von Schutzpflichten und der Anerkennung eines rechtsverbindlichen Direktwiderrufs äußern. Möschel hat schon frühzeitig darauf hingewiesen, daß sich entsprechende Vertragssysteme auch innerhalb der Energiewirtschaft, bei 440

Möschel,

A c P 186 (1986), S.211ff.

268

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Absatzmittlungssystemen und Projektverträgen finden lassen. Da sich hierunter auch gesetzlich nicht geregelte Vertragsformen befinden, rückt dieses Erklärungsmodell auch in das Blickfeld dieser Untersuchung. Im Schrifttum ist die Kategorie des Netzvertrages zwar als interessantes und durchaus faszinierendes Konstrukt bezeichnet worden;441 im Ergebnis hat Möschels Theorieentwurf jedoch überwiegend keine Gefolgschaft gefunden.442 Lediglich Teubner hat den Verbundgedanken aufgegriffen und auf die Außenhaftung beim Franchising übertragen.443 Franchise-Systeme besitzen seiner Meinung nach als „Netzwerke" eigenständige Risiko- und Interessenstrukturen, die eine Anpassung der überkommenen Haftungsformen an die spezifischen Risiken dieser Vertriebsform verlangen. Die Kritik bemängelt in erster Linie, daß sich der Netzvertrag vertragsrechtlich nicht mehr erklären lasse. Der Abschlußtatbestand sei nicht konstruierbar und der Vertragsinhalt bleibe unklar. Es handele sich letztlich um eine „willensunabhängige Haftung im Gewand einer Vertragsfiktion". 444 Auch wird überwiegend ein Bedürfnis für eine - so der Vorwurf - gleichermaßen weitausgreifende wie konturenlose Neuerung nicht gesehen. Der Kritik zum Trotz hat Rohe die Idee des Netzvertrages in seiner unlängst veröffentlichten Habilitationsschrift verteidigt und diesem Gebilde konkretere Gestalt zu verleihen versucht.445 Wie von Möschel vorgezeichnet wird die Kategorie des Netzvertrages in dieser Untersuchung ausgehend vom bargeldlosen Zahlungsverkehr auf zahlreiche weitere Vertragssysteme - wie z.B. das Kreditkartengeschäft und das Franchising - ausgedehnt. Als praktische Konsequenzen des Netzverbundes werden insbesondere die netzkonforme Gestaltung der internen Pflichtenlage und - im bargeldlosen Zahlungsverkehr - die Begründung einer Durchgriffshaftung genannt. Freilich entfernt sich auch diese Weiterentwicklung - trotz gegenteiliger Beteuerungen - in bedenklicher Weise von dem unsere Vertragsordnung prägenden Grundprinzip der Privatautonomie und der hieraus fließenden Maßgeblichkeit des privatautonomen Gestaltungsakts für die Verteilung der Rechte und Pflichten der Vertragspartner untereinander.446 Mit dem „einheitlichen Netzzweck" wird eine nicht mehr primär partei441 So trotz ihrer negativen Bewertung beispielsweise K. Schmidt, Handelsrecht, §35 III, S. 1018 und Schürmann, Haftung im mehrgliedrigen bargeldlosen Zahlungsverkehr, S.211. 442 Ablehnend Hüffer, ZHR 151 (1987), S. 108; ders., WM 1987, 645; Schröter, ZHR 151 (1987), S. 126ff.; Koller, in: Neue Entwicklungen im Bankhaftungsrecht (hrsg. von Köndgen), S.25; Köndgen, in: Neue Entwicklungen im Bankhaftungsrecht (hrsg. von Köndgen), S. 144f.; Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr.393; Schön, AcP 198 (1998), S.451; van Gelder, WM 1995, 1253; K. Schmidt, Handelsrecht, §35 III, S. 1018; MünchKomm-^ramer, Vor. §145 BGB Rdnr.27a; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 150, 353ff., 381 ff.; Schürmann, Haftung im mehrgliedrigen bargeldlosen Zahlungsverkehr, S. 31 ff. und S. 198ff.; zustimmend dagegen offenbar Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §23 Rdnr. 122f. 443 444 445 446

Teubner, ZHR 154 (1990), S.295ff. Hüffer, ZHR 151 (1987), S.108. Rohe, Netzverträge. Ähnlich Martinek, NJW 2000, 1397.

III.

Vorrangige Ausschöpfung des vertraglich Vereinharten

269

autonom fundierte Kategorie ins Zentrum gerückt und damit die Pflichtenbestimmung jedenfalls tendenziell in die Hand eines „sozial-administrativen Rechtsanwenders" 447 gelegt, der sich einer „den Interessen aller dienliche Pflichtenverteilung" 448 verpflichtet weiß. Problematisch ist auch das Gewicht, daß der ökonomischen Analyse des Rechts im Rahmen des Auslegungsvorgangs eingeräumt wird. Die Einbindung des Netzvertrages in die Rechtsgeschäftslehre läßt sodann auch bei Roheu9 Fragen offen. Anfechtbar ist es etwa, die ergänzende Auslegung auch auf die vertragskonstitutiven Erklärungen anzuwenden, also auf diese Weise zu ermitteln, ob und mit wem ein (weiterer) Vertrag zustande gekommen ist. Generell bezweifelt werden muß schließlich, daß der einheitliche Zweck eines dezentral oder hierarchisch strukturierten Vertragssystems einen überwölbenden Netzvertrag erfordert. Es sei in diesem Zusammenhang nur an die Existenz der condictio ob rem nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 B G B erinnert, für deren Eingreifen eine tatsächliche Einigung über die Zweckbestimmung einer Leistung nach dem Willen der Parteien verlangt wird, die aber gerade nicht den Charakter einer vertraglichen Bindung haben darf. 450 Unabhängig von diesen ernstzunehmenden Bedenken, sollte die Lehre von den Netzverträgen m.E. schon deshalb nicht weiter verfolgt werden, weil der vorrechtlichen Assoziation der netzvertraglichen Verbundenheit die Tendenz eines freischwebenden und universell einsatzbaren Begründungsmittels eignet. 451 Der Verlust der vertragsrechtlichen Bodenhaftung führt nämlich gleichzeitig zu einer Verminderung des Schutzes gegen unübersehbare Weiterungen und beliebige praktische Ergebnisse, die im Bild des Netzes angelegt sind. Zwar mag der Verzicht auf die Rechtsfigur des Netzvertrages dem Rechtsanwender zusätzliche Mühe bereiten; die Begründungsanforderungen der klassischen Vertragsrechtsordnung haben aber auch unbestreitbar ihr Gutes, indem sie den Rechtsfindungsgang anhand systemgerechter Kriterien strukturieren und damit einen verläßlichen Rahmen vorgeben. Von daher gilt auch hier: Vorrang sollte die behutsame Fortschreibung der überkommenen Institute, also insbesondere des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte oder Drittschadensliquidation zukommen. In den meisten Fällen dürfte hingegen - wie hier beispielhaft gezeigt wurde - schon eine dem einheitlichen Vertragszweck gebührende Beachtung schenkende (ergänzende) Auslegung des jeweiligen Bilateralvertrages ausreichen, um eine dem multilateralen Vertragssystem angemessene Lösung zu erreichen. Eine grundsätzliche Abkehr von der zweipoligen Gläubiger-Schuldner-Struktur im Vertragsrecht kann daher derzeit nicht befürwortet werden.

So die kritische Wortwahl Martineks, NJW 2000, 1397. Rohe, Netzverträge, S. 157f. 449 Rohe, Netzverträge, S. 141 ff. 450 Vgl. nur BGH NJW 1992, 2690; Pzhndt-Thomas, §812 BGB Rdnr.86; Soergel-AfäW, §812 BGB Rdnr.206. 451 Ahnlich Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.381 ff., der insbesondere die Umkehrung der Grundregel „von der Vertragsanalyse zur Lösung" beklagt. 447 448

270

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

IV. Die ergänzende Vertragsauslegung und der Übergang deduktiv-normgeleiteten Rechtsfindung

zur

Im Zentrum der bisherigen Ausführungen standen die von den Parteien selbst gesetzten Rechtsfolgeanordnungen. Zur Behebung etwaiger Unklarheiten oder Mehrdeutigkeiten dienen die oben im einzelnen besprochenen Regeln der erläuternden Auslegung. Das Bedürfnis nach einer näheren Bestimmung der zwischen den Parteien bestehenden Rechte- und Pflichtenlage kann sich freilich auch aus dem Umstand ergeben, daß die Parteien an einen Punkt, der der Regelung bedurfte, nicht gedacht haben. Vor allem zeigt sich immer wieder, daß die Vertragspartner von der tatsächlichen Entwickung überrascht werden. Es tritt während der Vertragslaufzeit eine Situation ein, mit der sie nicht gerechnet haben. Demgemäß läßt sich auch dem Vertrag vorderhand keine Antwort auf die Frage entnehmen, was nun zwischen den Parteien gelten soll. Der Vertrag erweist sich mit anderen Worten im nachhinein als lückenhaft. Will man den Vertrag nicht aus diesem Grunde für unverbindlich erklären, was die Stabilität vertraglicher Bindungen ernsthaft in Frage stellen würde und zudem nicht im Interesse der Parteien läge, so muß über ein Verfahren nachgedacht werden, wie eine solche Lücke geschlossen werden kann. Mangels eines feststellbaren realen Willens der Parteien im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses steht von vornherein fest, daß die Lückenfüllung nicht ohne Heranziehung außervertraglicher, objektiver, insbesonderer normativer Wertungen, wird auskommen können. Diese stehen jedoch bei den nicht kodifizierten Verträgen nur in begrenztem Umfang zur Verfügung. Wie sich vor diesem Hintergrund die Schließung vertraglicher Regelungslücken zu gestalten hat, soll nachfolgend näher erörtert werden.

1. Ergänzende Vertragsauslegung Ein weithin anerkanntes Verfahren der Lückenschließung stellt die ergänzende Vertragsauslegung dar. Verankert in § 157 B G B knüpft sie an die im Vertrag objektivierte Regelung an und versteht diese als selbständige Rechtsquelle, aus der unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte Regelungen für offen gebliebene Punkte abgeleitet werden können. 452 Eine Regelungslücke im Vertrag, verstanden als „planwidrige Unvollständigkeit", ist hiernach entsprechend dem hypothetischen Parteiwillen zu ergänzen. Dabei ist darauf abzustellen, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten. 453 452 453

Staudinger-H. Roth, § 157 B G B Rdnr. 12; Palandt-Heinrichs, § 157 B G B Rdnr.2. Ständige Rechtsprechung vgl. B G H Z 7, 231 (235); 9, 273 (278); 16, 71 (76); B G H N J W

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

271

Das Rechtsinstitut der ergänzenden Vertragsauslegung wird von der herrschenden Meinung zu Recht auch zur Schließung anfänglicher Lücken in A G B Verträgen herangezogen.454 Damit sind Regelungsdefizite gemeint, die nicht aus einem Einbeziehungsmangel oder einer Beanstandung im Rahmen der Inhaltskontrolle resultieren. Der in §6 Abs. 2 A G B G statuierte Vorrang der gesetzlichen Vorschriften schließt die ergänzende Vertragsauslegung insoweit nicht aus, denn diese Vorschrift gilt nur für den hier nicht zur Debatte stehenden Fall, daß Vertragsbestimmungen nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind.455 Die Unklarheitenregel des § 5 A G B G vermag die ergänzende Vertragsauslegung entgegen einer vereinzelt vertretenen Meinung 456 ebenfalls nicht zurückzudrängen; dies schon deshalb nicht, weil das Auslegungsstadium der Anwendung des § 5 A G B G zwingend vorgeordnet ist. Außerdem unterscheidet sich das von §5 A G B G aufgegriffene Problem der objektiven Mehrdeutigkeit von demjenigen der Lückenhaftigkeit eines Vertrages in einem wesentlichen Punkte. Geht es im ersten Fall um die Auflösung eines non liquet hinsichtlich zweier möglicher Auslegungsvarianten, so läßt sich im zweiten Fall allenfalls von einem Konkurrenzverhältnis zwischen ergänzender Vertragsauslegung und gesetzlichem Dispositivrecht sprechen. Zu diesem auf einer qualitativ anderen Ebene liegenden Konflikt läßt sich der Regelung des § 5 A G B G auch mittelbar keine Direktive entnehmen. Gegen einen auf § 5 A G B G gestützten generellen Vorrang des dispositiven Gesetzesrechts vor der ergänzenden Vertragsauslegung im Bereich Allgemeiner Geschäftsbedingungen, spricht im übrigen schon der Umstand, daß die aus dem abdingbaren Gesetzesrecht abgeleitete Lösung keineswegs stets die für den Kunden günstigere sein muß. Ernstzunehmender ist schon der Einwand Harts, aufgrund des einseitigen Stellens der Bedingungen durch den Verwender fehle es an einer konkreten Aushandlungssituation und damit an einem konkreten gemeinsamen Parteiwillen sowie einem

1982, 2184 (2185); zuletzt BGH NJW 1994, 1008 (1011); ferner BAG NZA 1999, 306 (309). Ebenso übrigens die schweizerische und die österreichische Rechtsprechung, umfängliche Nachweise bei Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, S. 180 Fn. 55. Inhaltlich nicht weit entfernt auch Art. 4.8 der „Principles of International Commercial Contracts" (UNIDROIT), wenn es dort heißt, daß „where the parties to a contract law have not agreed with respects to a term which is important for a determination of their rights and duties, a term which is appropriate in the circumstances shall be supplied. In determining what is an appropriate term, regard shall be had, among other factors, to (a) the intention of the parties; (b) the nature and purpose of the contract; (c) good faith and fair dealing; (d) reasonableness." 454 Ulmer/Brandner/Hensen-//. Schmidt, §6 AGBG Rdnr.31; ^fioWHom/Lindacher, §5 AGBG Rdnr.22; Staudinger-ScWosser, §5 AGBG Rdnr.29; Soergel-Wolf, § 157 BGB Rdnr. 120; aus der Rechtsprechung insbesondere BGH NJW 1985, 480; 1988, 1590 (1591); 1993, 57 (61); OLG Düsseldorf ZIP 1981, 172 (173f.); NJW-RR 1999, 305. 455 BGH NJW 1985, 480 (481); Ulmer/Brandner/Hensen-H. Schmidt, §6 AGBG Rdnr.31. 456 Boemke-Albrecht, Rechtsfolgen unangemessener Bedingungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 72; andeutungsweise auch Palandt-Heinrichs, § 5 AGBG Rdnr. 11, der eine ergänzende Vertragsauslegung zugunsten des Verwenders wegen seiner Formulierungsverantwortung nur ausnahmsweise zulassen will; wie hier Ulmer/Brandner/Hensen-//. Schmidt, §6 AGBG Rdnr.31; MünchKomm-iföiz, §5 AGBG Rdnr. 11; Soergel -Wolf, § 157 BGB Rdnr. 120.

272

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

gemeinsam ins Werk gesetzten Regelungsplan. Wenn die Gerichte trotz fehlender privatautonomer Legitimation die Lückenschließung auf ergänzende Vertragsauslegung stützten, so handele es sich in Wahrheit um richterliche Fortbildung des dispositiven Vertragsrechts.457 Dieses Monitum gibt Veranlassung, die Funktionsbereiche der ergänzenden Vertragsauslegung neu zu vermessen und über eine der abstrakt-generellen Natur der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Rechnung tragende Modifikation des Ergänzungsmaßstab nachzudenken. Es entzieht jedoch - wie noch zu zeigen sein wird - der ergänzenden Vertragsauslegung auf dem Gebiet Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht den Boden. a) Vorrangstellung Gestaltungen

der ergänzenden

Vertragsauslegung

bei

atypischen

Die ergänzende Vertragsauslegung bereitet in mehrerlei Hinsicht Kopfzerbrechen. Gegenstand eingehender Untersuchungen ist insbesondere das Verhältnis der ergänzenden Vertragsauslegung zum dispositiven Gesetzesrecht. Wenn ein Vertrag eine Regelungslücke aufweist, so bietet sich nämlich zu ihrer Schließung neben der ergänzenden Vertragsauslegung grundsätzlich auch der Rückgriff auf die Normen der gesetzlichen Dispositivordnung an. Deren vornehmste Aufgabe ist es ja gerade, lückenhafte Parteiarrangements zu komplettieren. Für das ältere Schrifttum stellte sich hier ein Konkurrenzproblem. Kennzeichnend war eine „entweder-oder"-Sichtweise.458 Eingebettet war dieser Meinungsstreit zudem in den noch weiter zurückreichenden Disput um die zutreffende Einordnung der ergänzenden Vertragsauslegung, bei der es im wesentlichen darum ging, ob es sich bei ihr noch um „Auslegung" oder um die ergänzende Anwendung von Rechtsnormen auf das Vertragsverhältnis handelt.459 Im neueren Schrifttum hat sich zur Abgrenzung der Einsatzfelder eine differenzierende Betrachtungsweise durchgesetzt, der es zudem gelingt, die sich gegenüberstehenden Ansätze gleichsam in dialektischer Manier zu einer Synthese zu vereinen. Die Polarität früherer Tage scheint zu schwinden. Die neuere, bereits in den Schriften Oertmanns460 angeklungene und sodann maßgeblich von Larenz461 entfaltete Lehre basiert auf folgendem, unmittelbar 457 Hart, KritV 1989, 184; 190f.; prinzipielle Vorbehalte unter dem Topos der „faktischen Normqualität" auch bei Rüßmann, BB 1987, 845f. und E. Schmidt, ZIP 1987, 1508f. 458 Für Vorrang der ergänzenden Vertragsauslegung Soergel-Siebert, 9. Aufl. 1959, § 157 BGB Rdnr.80; Erman-Hefermehl, 3. Aufl. 1962, §157 BGB Anm.7 d, Staudinger-Coing, 11. Aufl. 1957, §133 BGB Rdnr.37; in diesem Sinne auch RGZ 131, 343 (351) und R O H G 22, 361 (371); für den Vorrang dispositiven Gesetzesrechts Henckel, AcP 159 (1960), S. 106ff. 459 Vgl. zu diesem Fragenkreis schon die Ausführungen unter §3 VII. 1. 460 Insbesondere Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 152f. 461 Larenz, NJW 1963, 737ff.; ders., Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 1989, §29 II, S. 546ff.; fortgeführt in Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §28 Rdnr. 109ff.; ebenfalls auf dieser Linie Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 185 ff.; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 46ff.; MünchKomm-Mayer-Maly, §157 BGB Rdnr. 26; Staudinger-//. Roth, §157 BGB

IV. Übergang

zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

273

einleuchtenden Gedankengang. Dem dispositiven Vertragstypenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches kommt - wie hier bereits eingehend dargelegt worden ist - 4 6 2 die Funktion einer Reserveordnung zu, die einspringt, wenn es die Vertragsparteien an der näheren Ausführung ihres Vertragsprogramms haben fehlen lassen. Die gesetzlichen Vertragsmuster verstehen sich als stark schematisierende Typenbeschreibungen, mit denen der Gesetzgeber eine große Zahl der üblicherweise anfallenden Geschäfte zu erfassen strebt. Fällt ein Rechtsgeschäft nicht aus diesem vorgegebenen Rahmen, handelt es sich also um den aus der Sicht des Gesetzes typischen Fall, so sind auch die gesetzlichen Dispositiworschriften vorrangig zur Lückenfüllung berufen. Gäbe man hier der ergänzenden Vertragsauslegung den Vorrang, obwohl eine passende Regel der lex dispositiva zur Verfügung steht, so wäre das gesetzliche Dispositivrecht seiner wichtigsten Funktionen beraubt. Nicht nur der ihm zugedachten Ergänzungsfunktion ginge es verlustig. Zu befürchten wäre ferner eine Einbuße an Rechtssicherheit, lassen sich doch die im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu gewinnenden Ergebnisse tendenziell nicht mit der Gewißheit vorhersagen, wie sie der Subsumtion unter gesetzliche Normen eignet. Unerfüllt bliebe schließlich auf der Ebene der Rechtsfindung auch die Ordnungsaufgabe der gesetzlichen Schuldvertragsordnung. Denn um ihr nachzukommen wäre es notwendig, daß sich die vom Gesetzgeber als beiderseits interessengerecht eingestuften Muster, soweit nicht durch Parteiwillen abbedungen oder modifiziert, in den typischen Anwendungsfällen auch tatsächlich durchsetzen. Eine Ausnahme wird man lediglich für solche Normen des dispositiven Rechts erwägen können, die gleichsam als „letzte Aushilfe" zu verstehen sind. 463 Sie finden sich überwiegend im allgemeinen Schuldrecht (z.B. §§269, 271, 426 Abs. 1 BGB). Rdnr.23; S o e r g e l - W o l f , §157 BGB Rdnrn. 109ff.; Ermzn-Hefermehl, § 157 BGB Rdnr.20; Palandt-Heinrichs, § 157 BGB Rdnr.6; Neumann, Geltungserhaltende Reduktion und ergänzende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, S. 113 ff.; im Grundsatz auch Flume, Rechtsgeschäft, § 16,4, S.325; wohl auch Schwark, Rechtstheorie 9. Bd. (1978), S. 81 und Raisch, BB 1968, 528; beschränkt auf Individualverträge auch Hart, KritV 1989,187f.; teilweise abweichend Sandrock, Ergänzende Vertragsauslegung, S. 85f., der der ergänzenden Vertragsauslegung nur bei atypischen, individuelle Züge aufweisenden Sachverhalts- oder Vertragskonstellationen den Vorrang gibt, sich bei typischen, im Verkehrsleben häufig zu beobachtenden (wenn auch nicht gesetzlich geregelten) Vertragstatbeständen hingegen für eine Prävalenz des (ungeschriebenen) dispositiven Rechts ausspricht. Gegen Sandrock freilich Neumann, Geltungserhaltende Reduktion und ergänzende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, S. 113 ff. Kritisch zum Konzept der herrschenden Meinung und für grundsätzlichen Vorrang der ergänzenden Vertragsauslegung Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 103 ff. Vgl. §4 II. Soergel-Wolf, § 157 BGB Rdnr. 112; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §28 Rdnr. 110; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 341; Flume, Rechtsgeschäft, § 16,4, S. 325; Staudinger-//. Roth, § 157 BGB Rdnr. 24; in diesem Sinne auch RG JW 1935,1233; HRR 1939, Nr. 937. Nach der Qualität der dispositiven Gesetzesnorm differenziert auch Bucher, in: FS für Deschenaux, S.249ff., insbes. 269: Vorrang dispositiver Normen mit materiellem Ordnungsgehalt gegenüber ergänzender Vertragsauslegung und Vorrang ergänzender Vertragsauslegung gegenüber Normen, die lediglich Ausdruck des vermuteten Parteiwillens sind. Diese Ansicht beurteilt Larenz (Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 1989, §29 II, S.547 Fn.28) als im Widerspruch zu seinem Konzept stehend. 462 463

274

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Anders verhält es sich freilich dort, wo die Parteivereinbarung punktuell oder gar insgesamt vom gesetzlichen Modell abweicht. Der Grundsatz der Privatautonomie gebietet es hier, die Eigenart des atypischen Vertrages in den Grenzen des zwingenden Rechts zu respektieren. Das bedeutet keineswegs nur, daß der Vertrag nicht zwangsweise einem der gesetzlichen Typen zugeordnet werden darf. Das Gebot möglichster Abbildungstreue ist umfassender zu verstehen. Es beansprucht Beachtung auch bei der Vervollständigung eines atypischen Vertrages. Diese muß mithin am besonderen Vertragszweck oder an der Zielrichtung der Modifikation ansetzen und die der gesetzesatypischen Fallgestaltung angemessene Lösung auf dieser Basis suchen. Das den Normaltypus beschreibende Modell des dispositiven Gesetzesrechts muß hier zunächst zurücktreten. Daß dem Gesetzgeber diese Aufgabenverteilung vor Augen gestanden haben dürfte, erscheint naheliegend. Die Materialien zeugen davon, daß der Gesetzgeber sich bewußt war, die Vertragspraxis auch nicht annähernd vollständig abbilden, geschweige denn künftige Entwicklungen auf dem Gebiete des Vertragsrechts antizipieren zu können.464 Diese Selbstbescheidung impliziert die Verlagerung auf andere Methoden der Lückenschließung, vor allem auf diejenige der bereits vom Reichsgericht465 in Anspruch genommenen ergänzenden Vertragsauslegung. Festzuhalten ist, daß die ergänzende Vertragsauslegung immer dort vorrangig zum Zuge kommt, wo der zu ergänzende Vertrag vom gesetzlich geregelten Normalfall abweicht. Diese Abweichung kann in einer punktuellen Modifikation eines gesetzestypischen Vertrages, in der Abbedingung dispositiver Gesetzesregeln466,467 in einer dem Gesetz nicht bekannten Kombination verschiedener Vertragstypen und schließlich in der Kreation eines typenfremden Vertrages bestehen.468 Auf dem Gebiet der gesetzlich nicht geregelten Verträge ist die ergänzenden Vertragsauslegung nach alledem die erstrangig zur Lückenfüllung berufene Methode.469 Die Gerichte haben sich mit grundsätzlichen Stellungnahmen zu der hier erörterten Abgrenzungsproblematik auffallend zurückgehalten. Hervorzuheben ist zum einen eine knappe Äußerung in einem Urteil des Bundesgerichtshofs

Vgl. vor allem Motive II, S.2, 321 und 372. R G Warn 1915, Nr. 121; J W 1915, 87; R G Z 87, 211 (213); 99, 82 (85f.); 136, 178 (185). 466 Das dispositive Recht kann auch durch einen entgegenstehenden mutmaßlichen Willen der Vertragsparteien abbedungen sein. Dies ist dann der Fall, wenn das dispositive Recht der Interessenlage offensichtlich nicht gerecht wird ( B G H N J W 1982, 2816; Staudinger-//. Roth, §157 B G B Rdnr.25; Palandt-Heinrichs, §157 B G B Rdnr.5; Soergel- Wolf, §157 B G B Rdnr.114). 467 Freilich muß die zu schließende Lücke in diesen beiden Fällen eine besondere Bezüglichkeit zu der vertraglichen Abänderung aufweisen. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die von den Parteien vorgenommene Abänderung die Lücke erst hervorgerufen hat. 468 Eine weitere, besondere Schwierigkeiten bereitende, Fallgruppe ist die Schließung von Lücken, die sich durch die Unwirksamkeit vertraglicher Abreden ergeben. Hierauf wird im Rahmen der Ausführungen zur Inhaltskontrolle und ihrer Rechtsfolgen für den Vertrag zurückzukommen sein. 469 So sehr deutlich auch Staudinger-//. Roth, §157 B G B Rdnr.27. 464

465

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

275

vom 3.4. 1957,470 in der es - ganz im Sinne der hier vorgetragenen Gedanken heißt: „ Diese Auslegung zur Ergänzung des Vertragswillens hat aber ihre Grenze da, wo an und für sich bestehende Vertragslücken durch gesetzliche Vorschriften geschlossen werden, die zu diesem Zweck erlassen sind, denn in diesem Falle sind die Lücken nicht ausfüllungsbedürftig." Präzisiert wurde diese Aussage sodann im Urteil vom 1.6. 1979:471 „Das dispositive Recht gibt den allgemeinen, auf eine typisierte Interessenabwägung gegründeten Beurteilungsmaßstab; die (ergänzende) Vertragsauslegung trägt der Individualität des Einzelfalles Rechnung, sei es daß der zu regelnde Sachverhalt, sei daß die von den Parteien getroffene Regelung Besonderheiten aufweisen, denen das hiervon notwendigerweise abstrahierende dispositive Gesetzesrecht nicht Rechnung tragen kann." Die Praxistauglichkeit der hier befürworteten Abgrenzung erweist im übrigen auch ein Blick auf die reiche Kasuistik der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Eine querschnittartige Sondierung der entschiedenen Fälle zeigt, daß die ergänzende Vertragsauslegung sehr oft dort bemüht wurde, wo es atypischen Vertragsgestaltungen Rechnung zu tragen galt, sei es, daß es um einen gesetzlich ungeregelten Fall wie den Praxistausch zweier Arzte 472 oder um eine punktuelle Modifikation gesetzestypischer Verträge, wie z.B. die von §536 BGB abweichende Abrede über Schönheitsreparaturen in einem Mietvertrag, 473 ging. Die Probleme der gemischttypischen Verträge werden demgegenüber erstaunlicherweise kaum mit dem Instrumentarium der ergänzenden Vertragsauslegung in Verbindung gebracht. Schließlich fällt auf, daß die Gerichte auf die ergänzende Vertragsauslegung auch in Fällen zurückgreifen, in denen der durchaus gesetzestypische Vertrag lediglich eine ungewöhnliche Frage aufwirft, für die das Gesetz keine Anwort bereithält. 474

b) Der hypothetische Parteiwille - wissenschaftlich wertlose Fiktion oder geeigneter Maßstab der Vertragsergänzung? Kernpunkt der weiteren Überlegungen hat die Frage nach der genauen Beschaffenheit des Ergänzungungsmaßstabs zu sein. Medicus hat die gängige Formel der Rechtsprechung dahin kommentiert, daß bei der ergänzenden Vertragsauslegung wenigstens auf drei verschiedenen Ebenen argumentiert werde: hypothetischer Parteiwille („was die Parteien vereinbart hätten"), Üblichkeit 470

B G H DB 1957, 454. Im Schrifttum wird auch dieser Urteilssentenz mitunter der Schluß gezogen, der Bundesgerichtshof habe sich für einen grundsätzlichen Vorrang des dispositiven Rechts ausgesprochen (vgl. Soergel-Wolf, § 157 BGB Rdnr. 109). Die Formulierung läßt sich jedoch durchaus auch im Sinne der hier vertretenen differenzierenden Sichtweise verstehen. 471 B G H N J W 1979, 1818 (1819). 472 B G H N J W 1955, 337 (Rückkehrverbot qua ergänzender Vertragsauslegung). 473 B G H NJW 1981,48 und B G H NJW 1985,480 (Geldausgleich, wenn Schönheitsreparaturen nach Umbaumaßnahme nicht mehr durchführbar sind.) 474 Als Beispiel sei auf die Entscheidung RGZ 119, 354ff. verwiesen. Dort wurde es dem Vermieter in ergänzender Auslegung des Mietvertrages untersagt, eine weitere Fläche in unmittelbarer Nähe an einen Mitbewerber des Mieters zu vermieten (Zigarrenladen).

276

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

(„Verkehrssitte") und Billigkeit („nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner").475 Kritik hat immer wieder das Kriterium des hypothetischen Parteiwillens ausgelöst,476 das vor allem deshalb im Blickpunkt des Interesses steht, weil es die Brücke zu der von den Parteien gesetzten Regelung schlägt und erst diese Rückkoppelung es in den Augen vieler erlaubt, das praktizierte Ergänzungsverfahren noch „Auslegung" zu nennen. (1) Kritik: Begründungsersetzende Gerechtigkeitsgehalte

Interpolation

materialer

Einer grundsätzlichen Kritik hat die ergänzende Vertragsauslegung zuletzt Oechsler in seiner den modernen Austauschverträgen - darunter befinden sich zahlreiche nicht kodifizierte Verträge - gewidmeten Habilitationsschrift unterzogen.477 Der hypothetische Wille präsentiert sich nach Oechsler ebenso wie der „vernünftige" oder „richtig gebrauchte" als dialektische Rechtsfigur, die die Entscheidung zwischen heteronomem Gerechtigkeitssatz und privatautonomer Gestaltung zumindest sprachlich in der Schwebe halte. Er erlaube - so sein Hauptvorwurf - die Interpolation allgemeiner, materialer Gerechtigkeitsinhalte in den Vertrag und deklariere diese nachträglich als Ausdruck eines mittelbaren Parteiwillens. Problematisch ist dies in seinen Augen deshalb, weil der Rechtsanwender einer sorgfältigen Begründung und Rechtfertigung von ungeschriebenem Gesetzesrecht enthoben sei, wenn es ihm gelinge, die entsprechenden Regelungsinhalte als rechtsgeschäftlich vereinbart zu fingieren.478 Denn was auf dem Parteiwillen gründe, bedürfe wegen §305 BGB keiner weiteren Begründung. Ferner bezieht sich Oechsler auf Medicus, der im hypothetischen Parteiwillen die Gefahr ausufernden Billigkeitserwägungen angelegt sieht.479 (2) Konsequenz:

Korrektur

und Präzisierung

des

Ergänzungsmaßstabs

Die kritischen Äußerungen im Schrifttum geben Veranlassung, das Rechtsinstitut der ergänzenden Vertragsauslegung erneut zu überdenken. Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 344. Die Kritik reicht weit zurück: Bereits Oertmann (AcP 140 [1935], S. 147 und Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 153) nannte die Ableitung der Ergebnisse aus einem hypothetischen Parteiwillen eine „bare, wissenschaftlich völlig wertlose Fiktion". 477 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 165 und 235ff. Er knüpft hierbei insbesondere an die kritischen Bemerkungen Gernhubers (in: FS für Nikisch, S. 261 f. und JZ 1962, 555) an. Den hohen Stellenwert der ergänzenden Vertragsauslegung unter der Herrschaft der Privatautonomie hat zuletzt hingegen wiederum Rohe (Netzverträge, S. 149) herausgestellt. 478 In diese Richtung zielend neben Oechsler und Gernhuber (a.a.O.) auch Brecher (in: FS für Nikisch, S. 239), der von einer „Quelle für Scheinbegründungen" spricht, J. Schmidt, AcP 178 (1978), S. 103 und Hübner, Allgemeiner Teil, Rdnr. 1033. 479 Medicus, in: FS für Flume, S. 638. Ferner warnt Medicus (Allgemeiner Teil, § 25 Rdnr. 344) vor der Gefahr einer richterlichen Gängelung der Parteien, die der Privatautonomie widerspreche. 475

476

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

(a) Der hypothetische

Rechtsfindung

277

Parteiwille

Ein streng subjektives Verständnis der ergänzenden Vertragsauslegung, das im hypothetischen Parteiwillen gleichsam den spiritus rector jeglicher Vertragsergänzung erblickt, kann in der Tat nicht überzeugen. 480 Methodenehrlichkeit bedeutet nun einmal, die tragenden Wertungen offenzulegen und sie nicht hinter einem angeblichen mutmaßlichen Willen der Vertragsschließenden zu verstecken. Freilich schießt die Kritik aus den Reihen des Schrifttums über das Ziel hinaus, wenn sie dem Rechtsinstitut der ergänzenden Vertragsauslegung aus diesem Grunde seine Existenzberechtigung abspricht. Vor der Zurückdrängung oder gar Verabschiedung der von der Praxis vielfach in Anspruch genommenen ergänzenden Vertragsauslegung sollte die Prüfung stehen, ob den Mängeln nicht systemintern durch eine das Institut fortentwickelnde Korrektur abgeholfen werden kann. In diese Richtung zielt die Präzisierung des Ergänzungsmaßstabs im neueren Schrifttum im Anschluß an Larenz.m Wichtig und zutreffend ist zunächst die Klarstellung, daß die ergänzende Vertragsauslegung nicht Auslegung einzelner Willenserklärungen ist. Als solche geriete sie in die Nähe einer petitio principii, weil dann Auslegungsgegenstand und Auslegungsmethode kaum mehr unterscheidbar wären. 482 Ergänzende Auslegung muß vielmehr auf die Ermittlung des rechtlichen maßgeblichen Sinngehalts der durch den Vertrag geschaffenen objektiven Regelung gerichtet sein. Der Vertrag ist eben nicht nur die Addition zweier Willenserklärung. Durch die Vertragsschlußerklärungen wird eine neue Sinneinheit geschaffen, die einmal in Geltung gesetzt, durchaus ein eigenes Gewicht entfalten kann. 483 Objektiviert werden muß aber auch der Maßstab der Auslegung. Nicht auf einen meist nur spekulativ erfaßbaren hypothetischen Parteiwillen kommt es an, sondern auf ein vertragsgerechtes Zuendedenken der von den Parteien geschaffenen Regelung. Die Aufgabe der ergänzenden Vertragsauslegung - so formulieren Larenz/Wolf treffend - 4 8 4 besteht darin, daß 480 Von dieser Position hat sich auch die Rechtsprechung seit langem gelöst. Eine klare Linie läßt sich freilich auch heute nicht ausmachen. Die Terminologie ist schwankend und deutet mal auf ein eher subjektives (z.B. B G H LM Nr. 5 zu § 133 [A] B G B ) und ein anderes mal auf ein eher objektives (z.B. B G H N J W 1986,1429,1431: „Interessenabwägung auf objektiver Grundlage") Verständnis hin. 481 Larenz, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 1989, § 29 I, S. 538ff.; fortgeführt in Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §33 Rdnrn. 9ff. 482 Insoweit zutreffend Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 237. 483 Larenz/Wolf Allgemeiner Teil, § 33 Rdnr. 9f.; Soergel-Wolf § 157 B G B Rdnr. 104; Staudinger-H. Roth, § 157 B G B Rdnr. 33; Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, S. 154f. Dieser sich in die hermeneutische Tradition einfügenden Sichtweise hat Lüderitz (Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 399) widersprochen, für seine Position jedoch keine Zustimmung erfahren. Die von ihm formulierte Gegenansicht, nach der der Vertrag keinen anderen Inhalt haben könne als die ihn konstituierenden Willenserklärungen, ist auch deswegen bedenklich, weil sie das Entwicklungspotential des Vertrages außerhalb förmlicher Vertragsänderungen einengt, eine gerade bei langfristigen Verträgen mißliche Konsequenz. 484

Larenz/Wolf

Allgemeiner Teil, § 33 Rdnr. 11.

278

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

man die im Vertrag getroffene Regelung auf der Grundlage der von beiden Parteien angenommenen Bewertungsmaßstäbe, unter Berücksichtigung des Vertragszwecks und der gesamten Interessenlage, folgerichtig weiterdenkt, die unvollständige Regelung also aus ihren eigenen Voraussetzungen und ihrem Sinnzusammenhang heraus ergänzt.485 Freilich hat Oechsler auch dieser alternativen - mittlerweile aber wohl vorherrschenden - Begründung der Lehre von der ergänzenden Vertragsauslegung vorgeworfen, Vertragszweck und Vertragssinn ergäben kein eigenständiges, abgrenzungsfähiges Zurechnungskriterium.486 Freilich handelt es sich bei diesen Kriterien um bewährte Kernelemente teleologischer Auslegung, auf die auch im Rahmen der erläuternden (eigentlichen) Vertragsauslegung zurückgegriffen wird. Gerade ausgefeilte vorformulierte Vertragsbedingungen, wie sie in der modernen Vertragspraxis nur allzu häufig vorkommen, lassen die mit dem jeweiligen Geschäft verfolgten wirtschaftlichen Zwecke und die vertragsimmanenten Bewertungsmaßstäbe häufig deutlich hervortreten. Der AGB-Vertrag bietet gegenüber einem häufig aus dürren Worten bestehenden Individualvertrag eine tendenziell deutlich bessere Ansatzfläche für eine Ergänzung in der oben beschriebenen Art und Weise. Nicht selten läßt sich aus der eingehenden Regelung eines Parallelproblems im Vertragstext ein Schluß auf die „richtige", daß heißt im Regelungsplan der Parteien liegende, Ausfüllung einer sich an anderer Stelle auftuenden Lücke ziehen. Das vertragsgerechte Zuendedenken muß somit keineswegs regelmäßig in einem Stochern im Nebel enden. Erkennbar wird bei allem, daß sich die Deutungsschwierigkeiten im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung nicht grundlegend von denjenigen der Gesetzesauslegung unterscheiden. Freilich soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, daß sich der Regelungsplan der Parteien stets aus sich heraus vervollständigen lasse. In vielen Fällen wird man nicht ohne Rückgriff auf heteronome, insbesondere normative, Bewertungsmaßstäbe auskommen können. In welcher Weise außervertragliche Wertungen in das Ergänzungsverfahren einfließen, soll im folgenden noch näher besprochen und an einigen Beispielen aus dem Bereich der nicht kodifizierten Verträge veranschaulicht werden. An dieser Stelle gilt es vorerst zwei Punkte festzuhalten. Erstens setzt die ergänzende Auslegung an der vertraglichen Regelung an. Diese gibt die Richtschnur ab, insofern der Interpret aufgefordert ist, den Grundgedanken des Vertrages aufzunehmen und die Lücke in seinem Geist 485 Ahnlich schon Oertmann, Verkehrssitten und Rechtsordnung, S. 176 („Die ergänzende Auslegung hat es ... zu tun ... mit der Regelung der nicht durch Erklärung geregelten Punkte aus dem Zusammenhange, dem Zweck des Geschäftsganzen"); verwandte Formulierung bei MünchKomm-Mayer-Maly, § 157 B G B Rdnr.28. Auch in der Rechtsprechung finden sich immer wieder entsprechende Formulierungen. I n B G H N J W 1988,2099 (2100) heißt es etwa: „Zunächst ist hierfür an den Vertrag selbst anzuknüpfen, denn die in ihm enthaltenen Regelungen und Wertungen, sein Sinn und Zweck sind Ausgangspunkt der Vertragsergänzung". In BGH NJW 1990,1723 (1725) wird der Vertragsinhalt als „Stütze und Richtlinie" der ergänzenden Vertragsauslegung bezeichnet. 486 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.237f.

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

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zu schließen. Gleichzeitig erweist sich die vertragliche Regelung auch als Grenze heteronom fundierter Lückenfüllung. Die ergänzende Vertragsauslegung darf sich nicht in Widerspruch zum Vertragsinhalt, wie er sich im Wege der erläuternden Auslegung darstellt, und zu seiner Teleologie stellen.487 Daraus folgt, daß die ergänzende Vertragsauslegung kein Korrekturinstrument in der Hand des Richters ist, das es ihm erlaubt, im Regelungsplan der Parteien liegende, gegen von ihm für vernünftiger oder billiger gehaltene Inhalte auszutauschen.488 Zweitens ist vom Rechtsanwender, insbesondere von den mit der ergänzenden Vertragsauslegung befaßten Gerichten, zu verlangen, daß sie den Ergänzungsvorgang transparent gestalten. Die verschiedenen Quellen der Ergänzung sind offenzulegen. Dabei ist deutlich zu machen, an welcher Stelle außervertragliche Wertungen einfließen und welche Gründe für ihre Berücksichtigung sprechen. Die Formel vom hypothetischen Parteiwillen ist wenig förderlich. Sie ist geeignet, die notwendig differenzierten Erwägungen zu verschütten. Von ihr sollte daher Abstand genommen werden.489 (b) Objektiv-generalisierender Maßstab im Falle der Allgemeiner Geschäftsbedingungen

Verwendung

Nicht hinreichend durchdacht wirkt ferner die Stellungnahme der herrschenden Lehre zur Frage, in welcher Weise im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung an den lückenhaften Vertrag anzuknüpfen ist und - damit eng zusammenhängend - wo die Grenze zur richterlichen Fortbildung des dispositiven Gesetzesrechts verläuft. Von zahlreichen Autoren490, aber offenbar auch vom Bundesgerichtshof,491 wird unterstrichen, daß es bei der ergänzenden Auslegung nur darum gehe, den für ein bestimmtes individuelles Rechtsgeschäft maßgeblichen Sinn zu ermitteln, nicht aber darum, einen für alle Rechtsgeschäfte der fraglichen Art verbindlichen Grundsatz aufzustellen. Es komme auf die Atypik, Besonderheit und Individualität des konkreten Vertrages an. Folglich sei ein individueller, kasuistischer und nicht ein gesetzgeberisch generalisierender Maß487 Soergel-Wo//, §157 BGB Rdnr.126; Staudinger-//. Roth, §157 BGB Rdnr.38; PalandtHeinrichs, § 157 BGB Rdnr.8. Auch der Bundesgerichtshof (BGH NJW 1984, 1177 [1178] und früher schon BGH DB 1957,454) führt aus, daß das, was dem tatsächlichen Willen der Vertragsparteien widerspreche, nicht als Inhalt ihres hypothetischen Willens gelten könne (ebenso Wiüach}Loram-Mayer-Maly, § 157 BGB Rdnr.41; ders., in: FS für Flume, S.625; Erman-Hefermehl, § 157 BGB Rdnr.24). 488 Soergel-Wolf, § 157 BGB Rdnr. 105; mißverständlich hingegen Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, §205 II, S. 1254. 4 8 9 Wie hier Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 100. Allerdings dürfte es sich hierbei vor allem um eine terminologische Klarstellung handeln. 490 WixinchKomm-Mayer-Maly, §157 BGB Rdnrn. 24, 39; ders., in: FS für Flume, S.625; Erman-Hefermehl, § 157 BGB Rdnr. 22; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §33 Rdnr. 11; Sandrock, Ergänzende Vertragsauslegung, S. 102; Brox, JZ 1966, 765f.; Staudinger-//. Roth, §157 B G B Rdnr. 32 allerdings mit dem Hinweis, die Akzente verschöben sich bei der ergänzenden Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen. 491 BGH NJW 1979, 1818 (1819).

280

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

stab anzulegen. Für die ergänzende Vertragsauslegung seien alle Umstände von Bedeutung, die gerade diesem Vertrag seinen besonderen Charakter gäben. Anlaß zu dieser „Klarstellung" hatte eine Äußerung Flumes492 gegeben, nach der es für das Eingreifen der Rechtsordnung und der Verkehrssitte im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung Voraussetzung sei, daß das fragliche Rechtsgeschäft hinsichtlich seines Inhalts als Typus begriffen werde. Flume hielt dafür, daß nicht für „diesen" Vertrag, sondern für „einen solchen" Vertrag die ergänzende Regelung gefunden werden müsse. Ahnlich hat sich im Anschluß an Flume auch Canaris vernehmen lassen.493 Auch er hebt hervor, daß dann, wenn das fragliche Problem keine Besonderheiten aufweise, die Lösung aus der typischen Interessenlage herzuleiten sei. Sein methodisches Urteil lautete, daß der Richter hier nicht anders vorgehe, als der Gesetzgeber bei der Aufstellung dispositiver, ergänzender Normen. Führt man sich diese Kontroverse näher vor Augen, so fällt auf, daß der Art des Zustandekommens der vertraglichen Regelung in diesem Zusammenhang offenbar keine Beachtung geschenkt wird. Dies ist erstaunlich, ließe sich doch in Anknüpfung an die Diskussion zur erläuternden Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen auch über eine Maßstabsanpassung bei der ergänzenden Vertragsauslegung nachdenken, wenn der ergänzungsbedürftige Vertragsbestandteil im Umfeld Allgemeiner Geschäftsbedingungen anzusiedeln ist. Angesichts der großen Zahl von Verträgen, die heutzutage nicht mehr individuell ausgehandelt werden, darf die Dimension dieser Fragestellung nicht unterschätzt werden. Das AGB-rechtliche Schrifttum hat sich mit der ergänzenden Vertragsauslegung sehr intensiv beschäftigt. Dabei ging es jedoch nahezu ausschließlich um die Ergänzung eines infolge der Unwirksamkeit einer Klausel lückenhaft gewordenen AGB-Vertrages. 494 Der Fall, daß das vorformulierte Vertragswerk von Anfang an eine Regelungslücke aufweist, gerät demgegenüber seltener in den Blick, 495 dies, obwohl seine praktische Relevanz weit höher liegen dürfte. Jedenfalls für diese Konstellation verdient der Ansatz Flumes entgegen der Kritik der herrschenden Lehre Anerkennung. Eine gewisse Generalisierung des Flume, Rechtsgeschäft, §16, 4, S.324. Canaris, Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 53f. und ders., ZIP 1996,1116; ähnlich auch H. Schmidt, Vertragsfolgen, S. 195ff.; eingeschränkt auch Berner Kommentar-Merz, Art. 2 ZGB Rdnr.138. 494 Bechtold, BB 1983,1638ff.; Boemke-Albrecht, Rechtsfolgen unangemessener Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 64ff.; Bunte, NJW 1984,1145ff.; Medicus, in: Zehn Jahre AGB-Gesetz, S. 93ff.; Mockenhaupt, Ergänzende Vertragsauslegung bei unwirksamen AGB-Klauseln am Beispiel der Tagespreisklausel in Kaufverträgen über fabrikneue Personenkraftwagen, passim; Neumann, Geltungserhaltende Reduktion und ergänzende Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 133ff.; H. Schmidt, Vertragsfolgen, S. 172ff.; sowie zahlreiche - teils heftige - Reaktionen auf das Urteil zur sog. Tagespreisklausel (BGH NJW 1984, 1177), hingewiesen sei insbesondere auf Trinkner, BB 1983, 1874ff. 495 Rüßmann, BB 1987, 843ff.; sowie die Kommentarstellen bei Ulmer/Brandner/Hensen-H. Schmidt, §6 AGBG Rdnr.31f. und Wolf/Horn/Lindacher, §5 AGBG Rdnr.22. 492 493

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

281

Ergänzungsmaßstabs ergibt sich bereits aus der Beachtlichkeit der in §157 B G B in bezug genommenen Verkehrssitten. 496 Die richterliche Anerkennung vertragsergänzender Verkehrssitten hat - wie im Schrifttum zutreffend hervorgehoben wird - 4 9 7 Bedeutung vor allem für standardisierte Verträge. Weitergehend wird man sogar sagen müssen, daß es gerade der Massencharakter der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist, der einen objektiv-generalisierenden Maßstab der Vertragsergänzung verlangt. 498 Allgemeine Geschäftsbedingungen sind auf eine gegenüber allen Kunden gleichmäßige Geltung angelegt. Ihre praktische Verwendbarkeit würde empfindlich gestört, wenn ihr Inhalt einzelfallbezogen bestimmt bzw. ergänzt würde. Weshalb im Rahmen der ergänzenden Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen im Gegensatz zur erläuternden Auslegung, die nach verbreiteter und zutreffender Ansicht einem objektiven Maßstab folgt, entscheidend auf die individuellen Züge gerade des zu beurteilenden Geschäfts abgestellt werden soll, ist nicht einsichtig. 499 Dies gilt jedenfalls uneingeschränkt für die verkehrstypischen, durch umfangreiche Bedingungswerke konstituierten Vertragstypen. Hier muß sich die Vertragsergänzung als allgemeine und angemessene Lösung eines stets wiederkehrenden Interessengegensatzes darstellen. Die hiervon abweichende Interessenlage sowie die Intentionen der konkreten Parteien treten demgegenüber zurück, es sei denn, sie hätten im Vertrag erkennbar ihren Niederschlag gefunden. Anders mag zu entscheiden sein, wenn der konkrete Vertrag eine atypische durch die besondere Interessenlage gerade dieser Parteien geprägte Struktur aufweist oder sich ein spezifisches, atypisches Problem aufgrund der Umstände gerade dieses Einzelfalles stellt. 500 Nur wird es dann häufig schon am AGB-Charakter fehlen.

496 Zur ergänzenden Auslegung nach der Verkehrssitte vgl. MünchKomm-Mayer-Maly, § 157 BGB Rdnr.43ff. 497 Hart, KritV 1989, 187. 498 So besonders deutlich BGH NJW 1993,57 (61) und OLG Düsseldorf ZIP 1981,172 (174); vgl. ferner BGH NJW 1989, 3010 (3011); BGH NJW 1990, 115 (116); ferner Ulmer/Brandner/ Hensen-//. Schmidt, §6 AGBG Rdnr.32; Soergel-£/. Stein, §5 AGBG Rdnr. 10; MünchKommKötz, §5 Rdnr. 12; Erman-H. Hefermehl/Werner, §5 AGBG Rdnr. 16; Roth, JZ 1989, 416. 499 So aber in Fortführung der in den Erläuterungswerken zum Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches vertretenen Ansicht auch für die ergänzende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen Bechtold, BB 1983, 1639; für Berücksichtigung individueller Umstände wohl auch Stein, § 5 AGBG Rdnr. 8. Die Autoren, die für Mitberücksichtigung individuell-konkreter Momente schon im Rahmen der erläuternden Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen eintreten, votieren folgerichtig auch für eine Übertragung dieses Ansatzes auf die ergänzende Auslegung (so vor allem Wolf/Horn/Lindacher, §5 AGBG Rdnr. 22 und StaudingerSchlosser, §5 AGBG Rdnr. 29). Wie hier dagegen H. Schmidt, Vertragsfolgen, S. 196. 500 Zwei Typen der ergänzenden Vertragsauslegung unterscheidend Canaris, ZIP 1996, 1116f.; ders., AcP 184 (1984), S.216.

282

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

(3) Die ergänzende Vertragsauslegung heteronomer Wertung

Rechtsfindungskonzepts

zwischen autonomer

und

Welches sind nun die Wertungsgrundlagen der ergänzenden Vertragsauslegung und wie ist ihr Verhältnis zum Prinzip der Privatautonomie zu bestimmen? Provokant und anfechtbar ist die Aussage des Bundesgerichtshofs, die Lückenschließung qua ergänzender Vertragsauslegung habe keine unmittelbaren Berührungspunkte zur Parteiautonomie, weil der hypothetische Parteiwille nicht durch die subjektiven Vorstellungen der Vertragsschließenden, sondern aufgrund einer vom Gericht vorgenommenen Interessenabwägung auf objektiver Grundlage bestimmt werde.501 In dieser Aussage dokumentiert sich neben einer die eigene Entscheidungspraxis unzutreffend charakterisierenden Uberbetonung der normativ-objektiven Komponente ein zu enges Verständnis der Privatautonomie bzw. ihrer Ausprägung im internationalen Privatrecht. Das Postulat der Privatautonomie verlangt keineswegs eine Berücksichtigung des aktuellen inneren Willens allein, sondern deckt auch die von den Parteien geschaffene lex contractus als sinn-einheitliche Regelung.502 Die Sinnhaftigkeit des Vertrages, seine immanenten Wertungen und Grundgedanken markieren den Ausgangspunkt aller Überlegungen und begrenzen zugleich den Handlungsrahmen des Interpreten. Was sich hiernach als sachlich geboten und damit durch den Vertrag selbst gefordert ergibt, läßt sich als von den Parteien miterklärt ansehen oder - wie Larenz es ausgedrückt hat - 5 0 3 den Parteien als von ihnen geschaffene Regelung zurechnen. Auch der auf dem Gebiete der AGB-Verträge gebotene objektiv-generalisierende Maßstab führt zu keiner grundsätzlichen Verschiebung der Gewichte. Denn immerhin entscheiden sich die Parteien in Kenntnis der Vertragspraxis für einen solchen vorformulierten Vertrag und damit für das vertragsadäquat ergänzende Recht. Die Rechtsfindung bleibt durch einen privatautonomen Willensakt der Parteien getragen. Als Fazit läßt sich festhalten, daß die Anreicherung durch objektiv-normative Kriterien und - im AGB-Bereich - die Orientierung an der typischen Interessenlage zwar die Anbindung an den privatautonomen Rechtsetzungsakt lokkert, das auf den Bindungswillen der Parteien hinführende Band jedoch nicht zerstört. Die ergänzende Vertragsauslegung ist daher sehr wohl im Grundsatz der Privatautonomie verankert.504 Das schließt es nicht aus, die ergänzende Vertragsauslegung mit Lüderitz als Zwischenstufe im Ubergang von der autono-

501 BGH NJW 1986, 1429 (1431); kritisch zu Recht Staudinger-H. Roth, § 157 BGB Rdnr.4 und Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 343. 502 H.R Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.49; Soergel-Wolf, §157 BGB Rdnr. 104; vgl. auch Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, S.463 mit dem Hinweis, die Ergänzung entspreche „dem willentlich gesetzten Hauptstück der Rechtsgestaltung". Dezidiert anderer Auffassung Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 50f. 503 Larenz, NJW 1963, 740. 504 Wie hier Larenz, NJW 1963, 740; Staudinger-H. Roth, § 157 BGB Rdnr.4.

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

283

men zur heteronomen Wertung zu bezeichnen.505 Diese Charakterisierung bringt zutreffend den aus mehreren Quellen gespeisten Ergänzungsmaßstab zum Ausdruck. Die ergänzende Vertragsauslegung oszilliert in der Tat zwischen autonomer Parteiwertung und den heteronomen Wertungen der Rechtsordnung. Das Pendel kann je nach Einzelfall in eine der beiden Richtungen ausschlagen. Die von Lüderitz formulierte These bedarf nur insoweit der Ergänzung, als einer vom Selbstbestimmungsrecht und der Erklärungsverantwortung der Parteien getragenen oder zumindest nahegelegten Lösung stets der Vorrang zuerkannt werden sollte. Erst wenn der privatautonome Gestaltungakt aus sich heraus nicht ergänzt werden kann, dürfen in der von ihm vorgezeichneten Bahn heteronome Zweck- und Risikoverteilungsvorstellungen bemüht werden, die keinen unmittelbaren Rückhalt im Selbstbestimmungsrecht der Parteien finden.506 Dieser Befund rechtfertigt es m.E. die ergänzende Auslegung insgesamt noch der „Auslegung", verstanden als Ermittlung des Inhalts des von den Parteien ins Werk gesetzten Interessenarrangements, zuzurechnen.507 c) Zur Methode

der Vertragsergänzung

im

einzelnen

Die methodische Vorgehensweise im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung weist zahlreiche Berührungspunkte zur eigentlichen, erläuternden, Auslegung auf. Trotz der unterschiedlichen Aufgabenstellung, Schließung von Vertragslücken auf der einen und Sinndeutung auf der anderen Seite, ist die Differenz nur eine graduelle und nicht eine prinzipielle oder strukturelle.508 Zurechnungs- und Bewertungsakte kennzeichnen nicht nur die ergänzende, sondern auch die erläuternde Auslegung. Nur kommt diesen objektiven, privatautonom eher schwächer legitimierten,509 Elementen bei der ergänzenden Vertragsausle505 Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 452f.; ähnlich Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 104. 506 Ahnlich Rohe, Netzverträge, S. 149: „Dem Beteiligtenwillen muß bei privatautonomer Rechtsgestaltung stärkeres Gewicht zukommen als dem dispositiven Recht, welches in einer Makro-Perspektive auch Allgemeininteressen fördern soll." 507 So auch die heute herrschende Meinung BGHZ 9,273 (277); BGH WM 1969,1237 (1239); vgl. etwa Soergel-Wolf, § 157 BGB Rdnr. 104; MäacbKomm-Mayer-Maly, § 157 BGB Rdnr.24; Staudinger-//. Roth, § 157 BGB Rdnr. 4; Neumann, Geltungserhaltende Reduktion und ergänzende Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 121 f.; wohl auch Flume, Rechtsgeschäft, §16, 4, S.322. Die entgegengesetzte Position ist zuletzt von Henckel (AcP 159 [1960], S. 117) vertreten worden. 508 Hart, KritV 1989, 183; Hager, Auslegung, S. 161f.; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 97; vgl. auch Neumann, Geltungserhaltende Reduktion und ergänzende Vertragsauslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 115. Einige Autoren bestreiten sogar die Möglichkeit, zwischen ergänzender und erläuternder Auslegung zu unterscheiden: so etwa Hager, Auslegung, S. 160ff. und Damm, JZ 1986,922. Einen prinzipiellen Unterschied zwischen Ermittlung und Erweiterung des Vertragsgegenstandes sieht jedoch Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S.51. 509 Aufgrund der engeren Verknüpfung der erläuternden Auslegung mit der Privatautonomie, gebührt ihr gegenüber der ergänzenden Vertragsauslegung der Vorrang; vgl. etwa Staudinger-//.

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§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

gung regelmäßig eine gesteigerte Bedeutung zu. Daraus folgt, daß die Ausführungen zur erläuternden Auslegung mutatis mutandis auch für die ergänzende Vertragsauslegung Geltung beanspruchen. Insbesondere ist die Berücksichtigung des wirtschaftlichen Zwecks, der Interessenlage einschließlich der typischen Intentionen der Parteien, des Zeitmoments und der Sinneinheit mehrgliedriger Vertragswerke hier wie dort gleichermaßen geboten. Die folgenden Ausführungen können sich daher auf einige Ergänzungen des bereits Gesagten beschränken. (1) Feststellung einer

Vertragslücke

Die ergänzende Vertragsauslegung setzt - insoweit abweichend von der erläuternden Auslegung - voraus, daß die rechtsgeschäftliche Regelung eine Lükke aufweist, die der Schließung bedarf. 510 Berechtigung und Brauchbarkeit dieses das Tor zur ergänzenden Vertragsauslegung aufstoßenden Kriteriums sind nicht unumstritten. 511 Für seine Beibehaltung spricht, daß es geeignet ist, solchen Eingriffen in das Vertragsgefüge tendenziell entgegenzuwirken, die hauptsächlich von allgemeinen Billigkeitserwägungen getragen sind. 512 Die Rechtsprechung zeigt sich von dieser dem Grundsatz der Privatautonomie verpflichteten Schranke denn auch nicht unbeeindruckt. Es sind zahlreiche Urteile nachweisbar, die sich einer ergänzenden Vertragsauslegung versagen, weil eine ausfüllungsbedürftige Lücke nicht vorgelegen habe. In diesen Fällen formulieren die Gerichte häufig, eine Lücke setze voraus, daß der Vertrag einen offengebliebenen regelungsbedürftigen Punkt enthalte, dessen Ergänzung zwingend und selbstverständlich geboten sei, um einen offenbaren Widerspruch zwischen der tatsächlich entstandenen Lage und dem vertraglich Vereinbarten zu beseitigen. 513 Im übrigen ist der Kritik durchaus zuzugeben, daß sich die zur Lückenfeststellung und die zur Schließung der Lücke erforderlichen Denkschritte weitgehend überschneiden können. Denn häufig handelt es sich bei der im VerRoth, § 157 BGB Rdnr. 5; im Ergebnis ebenso Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 51. 510 Ständige Rechtsprechung vgl. z.B. BGHZ 40, 91 (103); BGH NJW 1980, 2347; 1984,1177 (1178); 1994, 1008 (1011); 1997, 652 und ganz herrschende Lehre vgl. z.B. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §28 Rdnr. 114; Staudinger-H. Roth, § 157 BGB Rdnr. 15; MünchKomm-Mayer-Maly, §157 BGB Rdnr.29; Soergel-Wolf, §157 BGB Rdnr. 123; Palandt-Heinrichs, §157 B G B Rdnr. 3; Erman-Hefermehl, § 157 BGB Rdnr. 17. Die Rechtsprechung verwendet mitunter auch den Begriff der „planwidrigen Unvollständigkeit" (vgl. zuletzt BGH NJW 1997, 652); anders als im Falle der Gesetzesanalogie kann jedoch eine ergänzende Vertragsauslegung auch dann stattfinden, wenn die Parteien den betreffenden Punkt bewußt ungeregelt gelassen haben (Staudinger-H. Roth, §157 BGB Rdnr. 17; Soergel-Wo//, §157 BGB Rdnr. 123; MünchKomm-MayerMaly, § 157 BGB Rdnr.31), so daß diese Bezeichnung zumindest mißverständlich ist. 511 Von einem Scheinproblem gehen beispielsweise Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S.410 und Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, S. 165 aus. Gegen sie MünchKomm-Mayer-Maly, § 157 BGB Rdnr. 30. 512 Soergel- Wolf, § 157 BGB Rdnr. 124; Staudinger-//. Roth, § 157 BGB Rdnr. 15. 513 BGHZ 12, 337 (343); BGH WM 1969, 1237 (1238); NJW 1980, 2347.

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

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trag vermißten Regel zugleich um die, die zur Ausfüllung der Lücke hinzuzufügen ist. Hierbei handelt es sich freilich um ein allgemeines Problem ergänzender juristischer Normanwendung, das insbesondere vom Analogieverfahren her bekannt ist.514 Bei der ergänzenden Vertragsauslegung kommt hinzu, daß die Feststellung der Lückenhaftigkeit eines Vertrages keineswegs regelmäßig die Art und Weise der Vervollständigung präjudiziert. Dies ist beispielsweise dann nicht der Fall, wenn sich mehrere Lösungen zur Schließung der Vertragslücke anbieten und kein Anhaltspunkt erkennbar ist, welche der Regelungsplan der Parteien präferiert. Trotz bestehender Vertragslücke hat hier nach allgemeiner Meinung eine Ergänzung zu unterbleiben. 515 Was die Anforderungen an eine Vertragslücke anbelangt, so erscheint die oben zitierte Formel der Rechtsprechung freilich allzu eng. Machte man mit ihr Ernst, so käme die ergänzende Vertragsauslegung nur noch ausgesprochen selten zum Zuge. Eine derartige Restriktion ist auch von der Sache her nicht geboten. Vorzugswürdig ist demgegenüber eine ebenfalls in der Rechtsprechung anzutreffende Formulierung, nach der eine Lücke dann vorliegt, „wenn die Vertragsparteien über ein bestimmtes Lebensverhältnis eine abschließende Vereinbarung getroffen, aber dabei bestimmte Fragen nicht geregelt haben, sei es, daß sie diese bewußt in der Erwartung offenließen, daß sie darüber schon noch einig würden, sei es, daß sie an einen bestimmten Fall nicht gedacht haben." 516 Auf den Punkt gebracht kommt es darauf an, ob die von den Parteien vereinbarte Regelung eine Bestimmung vermissen läßt, die „erforderlich ist, um den ihr zugrunde liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen." 517 Bei A G B Verträgen erfolgt die Feststellung einer Vertragslücke aufgrund einer objektivgeneralisierenden Betrachtungsweise.518 Es wäre widersprüchlich, nur den Ergänzungsmaßstab objektiv-generalisierend auszugestalten, bei der mit ihm in engem Zusammenhang stehenden Ermittlung des Vorliegens einer Vertragslükke hingegen konkret-individuelle Umstände zu berücksichtigen. Verfehlt ist daher eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes, die eine Vertragsergänzung durch eine Preisänderungsklausel bei einem Bauvertrag mit der Begründung ablehnt, die Bindung an die Festpreisabrede sei für den Verwender aufgrund der konkreten Vertragsumstände nicht als unbillig anzusehen.519

514 Grundlegend Canaris, Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 71 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 401; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S.474; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 138. 515 BGHZ 54,106 (115); 62, 83 (90); BGH NJW 1984,1177 (1179); 1999,711 (712) betr. ergänzende Auslegung eines Garantievertrages; Staudinger-/i. Roth, §157 BGB Rdnr. 43; SoergelWolf, §157 BGB Rdnr. 130; Palandt-Heinrichs, §157 BGB Rdnr. 10; Ermun-Hefermehl, §157 BGB Rdnr. 25. 516 BGH LM § 157 BGB (D) Nr. 1; ähnlich BGH WM 1979, 889 (891). 517 Larenz, Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 1989, § 291, S. 538; zust. Staudinger-//. Roth, § 157 BGB Rdnr. 15; ähnlich wiederum BGH NJW 1985, 2581 (2582). 518 Ulmer/Brandner/Hensen-Ä Schmidt, §6 AGBG Rdnr. 32. 519 BGH NJW 1985, 2270 (2271).

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§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Zustimmung verdient hingegen eine zur Kündbarkeit eines Bauträgervertrages ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofes.520 Sie verdeutlicht, daß es bereits für die Lückenfeststellung darauf ankommt, die typische Eigenart des Vertrages zu erfassen und diese mit dem gesetzlichen Referenzsystem in Beziehung zu setzen. Der zu beurteilende Standardvertrag - laut Tatbestand des Urteils kam er bei mindestens neunzehn Abschlüssen zum Einsatz - wies keine Regelung hinsichtlich der ordentlichen Kündbarkeit vor Vertragserfüllung auf. Denkbar war nun, das Schweigen des Vertrages zu diesem Sachkomplex als „beredt" zu werten, also anzunehmen, daß die Parteien ein Kündigungsrecht im Vertrag gerade nicht verankert wissen wollten. Dies stößt freilich auf Bedenken, weil § 649 BGB prima vista die gegenteilige Wertung (freies Kündigungsrecht des Bestellers) zu formulieren scheint. Der Bundesgerichtshof gewinnt seine Lösung, die einen Zusammenhang zur Möglichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung allerdings nicht herstellt, vor allem aus einer Analyse der wirtschaftlichen Eigenart der in einem Bauträgervertrag zu einer Einheit verbundenen Vertragselemente.521 Den Bauträgervertrag sieht er nicht nur dadurch gekennzeichnet, daß er sich aus verschiedenen in den einzelnen Schuldverhältnissen des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelten Vertragstypen (vor allem Werk- bzw. Werklieferungsvertrag und Kaufvertrag) zusammensetzt. Seine Eigenart zeige sich auch darin, daß diese Vertragstypen - soweit sie abdingbares Recht enthielten nur insoweit berücksichtigt werden könnten, wie sie mit dem auch vom Erwerber akzeptierten, im weitesten Sinne wirtschaftlichen Ziel des Bauträgervertrages vereinbar seien. Dieses beschreibt der Bundesgerichtshof sodann wie folgt:522 Im Bauträgervertrag verpflichte sich der Bauträger zu einer Gesamtleistung, die zu erbringen er deshalb auch grundsätzlich berechtigt sei. Grundstücksveräußerung und Bauwerkserrichtung seien für ihn in der Regel schon aus kalkulatorischen und bautechnischen Gründen untrennbar. Beide Teile des Vertrages sollten - auch seinem Vertragspartner erkennbar - miteinander stehen und fallen. Dem so zutreffend beschriebenen wirtschaftlichen Hintergrund des Bauträgervertrages würde es nun in der Tat zuwiderlaufen, wenn der Erwerber den bauvertraglichen Teil des Bauträgervertrages ohne wichtigen Grund nach §649 BGB kündigen und auf der Ubereignung des Grundstücks bestehen könnte. Bauträgerverträge, die kein ordentliches Kündigungsrecht des Erwerbers vorsehen, lassen somit keineswegs eine Bestimmung vermissen, die erforderlich wäre, um den ihnen zugrunde liegenden Regelungsplan zu verwirklichen. Eine Vertragslücke läßt sich mithin nicht feststellen.

520 521 522

BGHZ96, 275. BGHZ 96, 275 (279). BGHZ 96, 275 (279).

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

(2) Zuendedenken des Vertrages aus seinem Zweckzusammenhang

Rechtsfindung

287

eigenen

Ist eine vertragliche Regelungslücke in der soeben beschriebenen Weise festgestellt worden, so geht es in einem zweiten Schritt um das Verfahren ihrer Schließung. Dem Rechtsanwender ist es in diesem Stadium aufgegeben, die Wertungen und Grundgedanken des Vertrages offenzulegen und ihn in diesem Geiste - ggf. auch unter Hinzuziehung normativer Wertungen - zuende zu denken. (a) Analoge

Anwendung

Allgemeiner

Geschäftsbedingungen?

Um die von den Parteien angenommenen Bewertungsmaßstäbe, den Vertragszweck und die Interessenlage auszuloten und den Vertrag auf dieser Basis folgerichtig weiterzudenken, bedarf es zunächst einer sorgfältigen Analyse des Vertragsinhalts. Gesetzlich ungeregelte Verträge erweisen sich in diesem Punkt aufgrund ihrer hohen Regelungsdichte, meist in Form ausgearbeiteter A G B Vertragswerke, verhältnismäßig häufig als ergiebige Quelle. Diese besondere Qualität sticht vor allem dann hervor, wenn der Vertragstext selbst eine Lösung präsentiert, die zwar, weil auf einen anderen Regelungsgegenstand bezogen, den Vertrag nicht unmittelbar zu komplettieren vermag, aber aufgrund der wertungsmäßig gleichen Interessenlage extendiert werden kann. 523 In Schrifttum und Rechtsprechung wird im Hinblick auf einen solchen methodischen Schritt häufig von einer analogen Anwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gesprochen. 524 Bei Lichte besehen handelt es sich um ein Paradebeispiel der ergänzenden Vertragsauslegung. Der AGB-Vertrag wird schlicht auf der Grundlage seiner hier sogar dem Vertragstext entnehmbaren Bewertungsmaßstäbe folgerichtig zuende gedacht. Der Kunstfigur der analogen Anwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen bedarf es hierfür nicht. (b) Berücksichtigung Steuer- und bilanzrechtlicher Aspekte am Beispiel der Verteilung des Restwerts im Falle der ordentlichen Kündigung eines Finanzierungsleasingvertrages Worauf bei einer Vervollständigung eines nicht kodifizierten Vertrages aus sich heraus u.a. zu achten ist, soll die nachfolgende Fallgestaltung illustrieren. Die Wahl einer atypischen vertragsrechtlichen Gestaltung kann in nicht unbeträchtlichem Maße durch Steuer- und bilanzrechtliche Aspekte beeinflußt 523

483).

Auch nichtige Vertragsklauseln lassen insoweit Rückschlüsse zu (vgl. BGH MDR 1960,

524 Angesprochen wird diese Möglichkeit etwa in BGH NJW-RR 1998,235 (236). Befürwortet wird beispielsweise die analoge Anwendung von § 13 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B von Ingenstau/ Korbion, VOB (10. Aufl. 1984 Teil B § 4 Rdnr. 157a). Müller-Foell, NJW 1987,1610 hält dies - im Ergebnis zutreffend - wegen der Rechtsnatur der VOB/B als Allgemeine Geschäftsbedingungen für nicht möglich.

288

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

sein. In diesem Falle muß diese Motivation als ein den Zweck des Vertrages und die Interessenlage der Parteien prägender und somit auch die Auslegung beeinflussender Umstand angesehen werden. Dies ist im Rahmen dieser Untersuchung für die erläuternde Auslegung unter Betonung der Grenzen der steuerrechtlich motivierten Rechtsanwendung im Zivilrecht bereits näher dargelegt worden.525 Der notwendige Auslegungsspielraum, den die vertragliche Regelung dem Interpreten lassen muß, ist in der Situation der ergänzenden Vertragsauslegung vielfach eher zu bejahen, fehlt es doch hier per definitionem an einer dem Text zu entnehmenden Vorgabe. Ein Beispiel für eine durchaus sachgerechte Ergänzung eines gesetzlich nicht geregelten Vertrages unter maßgeblicher Berücksichtigung steuerrechtlicher Gesichtspunkte liefert die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Verteilung des Restwertes im Falle der ordentlichen Kündigung eines Teilamortisations-Leasingvertrages durch den Leasingnehmer. Die meisten Leasingverträge sehen für diesen Fall eine Pflicht des Leasingnehmers zur Leistung einer Abschlußzahlung vor. Aber selbst, wenn diese typische Klausel fehlt oder - was keinen Unterschied ausmacht - etwa infolge Intransparenz unwirksam ist, steht dem Leasinggeber ein Amortisationsanspruch zu. Diesen bezeichnet der Bundesgerichtshof als „leasingtypisch und damit vertragsimmanent".526 Problematisch ist dann weiter - und hierum soll es im folgenden allein gehen wie der Amortisationsanspruch zu berechnen ist, insbesondere inwiefern der Leasingnehmer an dem Verwertungserlös der zurückzugebenden Leasingsache zu beteiligen ist. Der Bundesgerichtshof stützt sich in dieser Frage vor allem die Leasingerlasse des Bundesministers der Finanzen.527 Die Berechnung des Ausgleichsanspruchs beim kündbaren Teilamortisationsvertrag gleicht der Bundesgerichtshof bewußt der Berechnung des Erfüllungsinteresses bei ungekündigtem Vertragsablauf und damit den steuerrechtlichen Richtlinien des Teilamortisationserlasses vom 20. Dezember 1975 an. Im Ergebnis führt dies den Bundesgerichtshof dazu, dem Leasingnehmer 90% des Verwertungserlöses zuzugestehen. Das bietet in den Augen des Senats zugleich die Gewähr dafür, daß die mit dem Leasinggeschäft erstrebten steuerlichen Vorteile erhalten bleiben. In methodischer Hinsicht ist der Entscheidung zuzustimmen. Der Bundesgerichtshof vermeidet zwar eine ausdrückliche Festlegung; der Sache nach geht es jedoch eindeutig um die Schließung einer vertraglichen Regelungslücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung.528 In diesem Rahmen bezieht das Gericht zutreffend die von den Parteien erstrebten steuerlichen Ziele in seine Überlegungen ein. Kommt es den Vertragspartnern typischerweise in besonderem Maße auf die Erlangung steuerlicher Vorteile an, so spricht viel dafür, ein Auslegungsergebnis als im Vertrag angelegt anzusehen, das diese Bonifikationen auch tatsächlich zu realisieren imstande ist. Sprechen wie hier keine III. 2. c) (1) (b). BGH NJW 1985, 2253 (2256f.). 527 BGH NJW 1985, 2253 (2257); ebenso Wolf/Eckert, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, Rdnr. 2047f. 528 Ebenso Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §66 II und III, S. 108 und 110. 525

526

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

289

durchgreifenden Gründe gegen die steuerkonforme Auslegungsvariante, so verdient diese in der Tat den Vorzug. (3) Berücksichtigung

normativer

viertürigen

Die Analyse der vertraglichen Wertungszusammenhänge und der Versuch, hierauf aufbauend eine im Regelungsplan der Parteien liegende Lösung der offengelassenen Rechtsfrage zu formulieren, sollten als erste Stufe im Verfahren der ergänzenden Auslegung angesehen werden. Hieran hat sich sodann eine Würdigung des Vertragsproblems unter heteronomen, insbesondere objektivnormativen, Gesichtspunkten anzuschließen.529 Positivrechtlich ist der Rekurs auf normative Wertungen durch § 157 B G B gerechtfertigt, der u.a. auf das Gebot von Treu und Glauben verweist. Konkretisierungen des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben finden sich insbesondere in den Normen des allgemeinen Schuldrechts und des Vertragstypenrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches. 530 Für gesetzlich nicht näher geregelte Verträge kann die normative Schuldvertragsordnung freilich nur eine subsidiäre, vermittelte Wirkung entfalten. (a) Subsidiäre

Funktionen

der gesetzlichen

Regelung

Leenen kommt das Verdienst zu, die subsidiären Funktionen der gesetzlichen Regelung im Hinblick auf gesetzesatypische Vertragsgestaltungen näher expliziert zu haben.531 Resultat seiner Überlegungen ist eine funktionale Zweiteilung. (aa) Maßstab für eine wertungsmäßige

Kontrolle

Zum einen sollen die Normen der gesetzlichen Schuldvertragsordnung als objektiver Kontrollmaßstab heranzuziehen sein. Soweit ein Zuendedenken des Vertrages aus seinem eigenen Zweckzusammenhang ein auf der Linie der konkreten Interessenabgrenzung des atypischen Vertrages liegendes Ergebnis zeitige, sei dieses anhand der gesetzlichen Regelung für typische Verträge einer wertungsmäßigen Kontrolle zu unterziehen. 532 Dem ist zuzustimmen, da der Verzicht des Gesetzes auf eine Beschränkung des Rechtsverkehrs auf bestimmte Vertragstypen in der Tat nicht in der Weise mißverstanden werden darf, daß atypische Vertragsgestaltungen nunmehr außerhalb jeglicher normativer Wertungen stehen. Sie sind im Gegenteil in ein differenziertes normatives Wertungssystem eingebettet, daß durchaus vergleichende Betrachtungen auch auf der EbeDiese Reihenfolge klingt auch bei Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 186 an. Wieacker, Präzisierung, S. 23. 531 Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 186f.; andeutungsweise auch Larenz/Wolf, meiner Teil, §28 Rdnr. 112. 532 Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 186f. 529 530

Allge-

290

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

ne der Auslegung erlaubt. Ergibt sich ein offensichtlicher Widerspruch zu den kodifizierten Regeln der gesetzestypischen Verträge, so bedarf das auf der Grundlage der vertraglichen Wertungen und der typischen Interessenlage gefundene, vorläufige Auslegungsergebnis einer Korrektur anhand der als einschlägig erkannten normativen Vorgabe. Bereits auf dieser Ebene kann somit in gewissem Maße der Gefahr einer einseitig am Regelungsplan des Verwenders orientierten und damit seine Interessen fortschreibenden Auslegung des Vertragswerks entgegengewirkt werden.533 Der Grat zur verdeckten Inhaltskontrolle534 ist allerdings schmal. Der Rechtsanwender muß in jedem Einzelfall prüfen, ob die von ihm für normativ geboten gehaltene Lösung noch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung als Setzung der Parteien angesehen werden kann oder ob eine solche Auslegung den Rahmen sprengt und die normativen Kontrollerwägungen erst auf der Stufe der Inhaltskontrolle Platz greifen. In Zweifelsfällen sollte der Konflikt auf der Ebene der Inhaltskontrolle ausgetragen werden. Als Beispiel für die Kontrollfunktion normativer Wertungen sei auf eine vom Reichsgericht535 entschiedene Fallkonstellation verwiesen, in der das Auslegungsergebnis der Vorinstanz einer kritischen Nachprüfung anhand des Maßstabes von Treu und Glauben unterzogen wurde. Gestritten wurde in diesem Verfahren um die Pflicht zur Entrichtung einer Vergütung an einen für die Vertragsparteien tätig gewordenen Schiedsrichter. Das Schiedsgericht war entsprechend der von den Parteien getroffenen Vereinbarung mit zwei Schiedsrichtern zu besetzen, die jeweils von einer Partei benannt werden konnten. Der von der mittlerweile vermögenslos gewordenen Gegenpartei ernannte Schiedsrichter verlangte nunmehr von dem anderen Vertragsteil die Vergütung der bisher erbrachten schiedsrichterlichen Bemühungen. Schon die vertragstypenspefizischen Wertungszusammenhänge - das Reichsgericht spricht von der „Eigenart des schiedsrichterlichen Verhältnisses"536 - hätten hier in einem ersten Schritt eine Ergänzung im Sinne einer gesamtschuldnerischen Haftung beider Vertragsteile nahelegen müssen. Denn der Schiedsrichter soll - worauf dann das Reichsgericht zutreffend hinweist - gleich einem staatlichen Richter, über den Parteien stehen. Die notwendige Unparteilichkeit wäre aber nicht gewährleistet, wenn der einzelne Schiedsrichter mit seinen Vergütungsansprüchen nur auf die eine oder andere Partei angewiesen wäre. Das Reichsgericht weist die entgegengesetzten Überlegungen der Vorinstanz darüber hinaus aufgrund normativer Wertungen zurück. 537 Es führte aus, es komme nicht darauf an, was die Parteien des schiedsrichterlichen Verfahrens gedacht und gewollt hätten. Maßgeblich sei, wie ihr Verhalten nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung von Zweck und Inhalt der schiedsrichterlichen Tätigkeit sich darstelle, und wie es 533 534 535 536 537

Dies gegen entsprechende Bedenken bei Hart, KritV 1989, 91. Zum Problem vgl. bereits die Ausführungen unter II. 2. a) (1) (a). RGZ94, 210. RGZ 94, 210 (212). RGZ 94, 210 (212).

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

291

namentlich von dem Schiedsrichter selbst, der ihnen als Vertragsteil gegenübertrete, aufgefaßt werden durfte und mußte. Sei keine besondere Vereinbarung getroffen, könne das Vertragsverhältnis nach Treu und Glauben nur so verstanden werden, daß dem Schiedsrichter gegenüber beide Parteien zur Entrichtung der ihm zustehenden Vergütung verpflichtet seien. Normativer Hintergrund ist hier erkennbar das Bestreben, die Rechte- und Pflichtenlage in ein stimmiges und äquivalentes Verhältnis zu bringen. Steht der Schiedsrichter zu beiden Parteien in einem Vertragsverhältnis und ist er demgemäß auch beiden zur ordnungsgemäßen Erfüllung der übernommenen Aufgabe verpflichtet, so entspricht es redlicher Denkweise, daß er im Gegenzug auch seine vertraglichen Rechte gegenüber beiden Parteien geltend machen kann. (bb) Analogiebasis

für

Zweifelsfälle

Normative Wertungen können ferner dann aktiviert werden, wenn Zweck und Sinnzusammenhang der vertraglichen Regelung nicht genügend Anhaltspunkte hervorzubringen vermochten, um die Lücke zu schließen bzw. mehrere Lösungen gleichermaßen in Betracht kommen. In solchen „non-liquet-Situationen" will Leenen das soeben beschriebene Kontrollverfahren zu einem Rechtsfindungsverfahren erstarken lassen.538 Soweit sich noch kein dispositives Recht für den atypischen Vertrag gebildet habe, habe der Richter den neuartigen Konflikt in den gesicherten Bestand vorhandener Problemlösungen für vergleichbare Fälle einzuordnen und nach der kongruenten Bewertung zu suchen. Leenen kann sich insoweit auch auf Flume berufen, der dafür eintritt, die notwendige Ergänzung „unter Bezugnahme auf die Gesamtheit der Rechtsordnung, insbesondere in Analogie zu den in der Rechtsordnung für ähnliche Typen getroffenen Regelungen" zu finden.539 Wichtig ist bei alledem zu erkennen, daß die Vorschriften der gesetzlichen Schuldvertragsordnung im Bereich der gemischten und fremdtypischen Verträge weitgehend nur vermittelt - eingebettet in das Verfahren der ergänzenden Vertragsauslegung - 5 4 0 zur Geltung gebracht werden können. Im Schrifttum wird dies mitunter anders gesehen und eine unmittelbare - also anstelle der ergänzenden Vertragsauslegung erfolgende - Anwendung des dispositiven Rechts postuliert, wenn einzelne Regelungskomplexe des zu beurteilenden Vertrages gesetzestypisch ausgestaltet sind.541 Dies birgt jedoch die Gefahr, daß die vertragsmäßigen Wertungen und Zusammenhänge nicht die ihnen gebührende Beachtung erfahren. Die vermittelte Anwendung legislatorischer Wertungen im 538 Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 187; ähnlich auch Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §28 Rdnr. 112, wonach die im dispositiven Recht vorgesehene Interessenbewertung als „Analogiebasis bei der ergänzenden Auslegung mit herangezogen werden" könne. 539 Flume, Rechtsgeschäft, §16, 4, S.324. 540 Die eher seltenen Fälle der richterlichen Rechtsfortbildung im Wege der Gesetzes- oder Rechtsanalogie sollen hier vorerst außer Betracht bleiben. 541 Staudinger-H. Roth, § 157 BGB Rdnr. 23; Soergel-Wo//, § 157 BGB Rdnr. 113.

292

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung bringt demgegenüber den vertragsspezifischen Zweckzusammenhang besser zur Geltung. Schlüsse aus dem Bezugsrahmen der gesetzlichen Regelung müssen stets mit den typischen Wertungszusammenhängen dieser gesetzesatypischen Vertragsgestaltung in Beziehung gesetzt werden. Ggf. folgt daraus eine modifizierte Übertragung der gesetzlichen Wertung oder eine eigengeartete, vertragsautonome und normative Wertungen verbindende Mischlösung. Die bereits angezogene Frage nach der Stellung der ergänzenden Vertragsauslegung im Ubergang von autonomer zu heteronomer Wertung erneut aufgreifend läßt sich die bereits gegebene Antwort weitergehend dahin präzisieren, daß die ergänzende Vertragsauslegung die Anwendung ergänzender Rechtsnormen in sich aufnimmt. Beide Elemente werden in einer Synthese zusammengeführt, um den Vertragsinhalt, verstanden als privatautonom gesetzte Regelung, auszufüllen. Das Ergebnis läßt sich meist nicht als reine Umsetzung des einen oder anderen Elements begreifen. Mit dieser Sichtweise harmoniert die Beobachtung, daß im Wege ergänzender Vertragsauslegung mitunter auch neuartige Lösungsmodelle als interessengemäß und mit den normativen Wertungen in Einklang stehend erkannt werden.

(b) Bemerkungen

zur Einbindung

normativer

Wertungen -

Beispiele

Die Art und Weise des „Einfließenlassens" normativ begründeter Wertungen in den Ergänzungsprozeß soll im folgenden hinsichtlich verschiedener Teilaspekte näher veranschaulicht werden. Die diesbezüglichen Ausführungen umgreifen beide der soeben skizzierten Funktionsbereiche der normativen Schuldvertragsordnung.

(aa) Wertende Zuordnung auf der Stufe gesetzlicher

Einzelanordnungen

Ausgangspunkt sollte die Feststellung sein, daß das Verfahren der ergänzenden Vertragsauslegung stets der Behebung eines eng umgrenzten sachlichen R e gelungsdefizits im Vertragswerk der Parteien dient. Mit dieser punkt- und problemorientierten Zugangsweise der ergänzenden Vertragsauslegung verträgt sich schwerlich eine vergleichsweise pauschale Übertragung normativer Wertungssysteme in toto. Gesetzlich nicht geregelte Verträge sind Ausdruck der die bürgerliche Vertragsordnung beherrschenden Typenfreiheit. D i e ihr entsprechende Methode kann - wie im Rahmen dieser Untersuchung eingehend dargelegt wurde - nicht in der undifferenzierten Zuordnung zum nächstliegenden Typus gesehen werden. Die angemessene methodische Annäherung besteht vielmehr in der wertenden Zuordnung auf der Stufe der gesetzlichen Einzelanordnung. 5 4 2 Es ist also nicht zu fragen, ob der zu beurteilende Vertrag eher dem

542 So besonders deutlich - allerdings losgelöst von der Ebene der Auslegung - Bucher, ZSR 102 II (1983), S. 321 f. für das schweizerische Vertragsrecht; ähnlich Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rdnr. 107.

IV.

Übergang

zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

293

einen oder dem anderen gesetzlich geregelten Vertragstypus entspricht, sondern ob bezogen auf die konkrete Sachproblematik eine bestimmte Regel eines kodifizierten Vertragstypus fruchtbar gemacht werden kann. Mit dieser Vorgehensweise verbindet sich zum einen der Vorteil direkter Sach- und Problembezogenheit. 543 Zum anderen wird so die Aufstellung eines differenzierten, ggf. aus A n leihen verschiedener Vertragstypen gespeisten Rechtsfolgeprogramms erleichtert. D i e Verlagerung des Wertungsentscheids von der Stufe der generellen Zuordnung des fraglichen Vertrages auf die untergeordnete Stufe der gesetzlichen Einzelanordnung führt dazu, daß das kodifizierte Vertragsrecht auf Regeln für Teillösungen durchmustert werden muß. 5 4 4 Gefundene Teillösungen müssen sodann darauf hin überprüft werden, ob sie eine sachangemessene Lösung des konkreten Vertragsproblems ermöglichen und ob sie der Gesamtkonstellation des jeweiligen Vertrages gerecht werden. Gesteigert werden kann die Aussagekraft normativer Teillösungen, wenn es gelingt, die gesetzliche Wertung nicht nur an einer einzelnen N o r m festzumachen, sondern im Wege der Gesamtanalogie aus mehreren N o r m e n ein allgemeines Rechtsprinzip zu erschließen, das dann auf Sachverhalte angewandt wird, für die eine gleichwertige Beurteilung geboten, aber vom Gesetzgeber nicht normiert worden ist. 545 Anwendungsbeispiele, die das zuvor Gesagte verdeutlichen können, sind hier bereits im Zuge der Analyse der zu den fremdtypischen Verträgen ergangenen Rechtsprechung vorgestellt worden. 5 4 6 Diese Beispiele zeigen, daß die Rechtsprechung die hier favorisierte wertende Zuordnung auf der Ebene der gesetzlichen Einzelanordnung durchaus in überzeugender Weise zu praktizieren versteht. Freilich stehen diese Entscheidungen in einer Reihe mit Judikaten, die auf die Ebene der Einzelanordnung nicht hinabsteigen und ihr Ergebnis aus einer generellen Übertragung des sachnächsten Vertragstypenrechts zu gewinnen suchen. D i e hohe Problemlösungskompetenz eines Ansatzes, der beschränkt auf bestimmte Sachfragen nach legislatorischen Wertungen sucht und sich zudem bemüht, diese möglichst als Grundgedanken aus mehreren Vorschriften zu entwickeln, soll hier noch anhand einer Fragestellung demonstriert werden, die im Hinblick auf Automatenaufstellungsverträge erörtert worden ist. Dabei hatte man den Fall im Blick, daß dem Vertragstext keine näheren Angaben hinsichtlich der Modalitäten einer Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Kündigung zu entnehmen sind. Mittlerweile enthalten die branchenüblichen A u t o matenaufstellungsverträge zwar regelmäßig Bestimmungen über ein ordentliches Kündigungsrecht. 5 4 7 Für die nach § 9 A G B G durchzuführende Inhaltskontrolle k o m m t der Klärung der Rechtslage, wie sie sich bei unterstelltem F e h len einer besonderen Absprache ergibt, jedoch nach wie vor große Bedeutung zu. A u f der Suche nach einer die ergänzende Vertragsauslegung normativ leiten543 544 545 546 547

So zutreffend Bucher, ZSR 102 II (1983), S.321f. Ebenso für den Leasingvertrag Esser/Weyers, Schuldrecht II/l, §24 II, S.203. Vgl. Raisch, B B 1968, 530. § 5 V. 1. b). Vgl. Raisch, in: FS für Pfeiffer, S.901.

294

§ 7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

den Wertung könnte man versucht sein, die Rechtsnatur des Automatenaufstellungsvertrages in den Vordergrund zu rücken und die Lösung dem Recht desjenigen Vertragstyps zu entnehmen, zu dem der Automatenaufstellungsvertrag die meisten Bezugspunkte aufweist.548 Dieser methodische Zugang muß jedoch in einem unerquicklichen Streit um die richtige Einordnung des Automatenaufstellungsvertrages enden. Wie Raisch im einzelnen nachgewiesen hat, ist es demgegenüber wesentlich effektiver, sich auf das Sachproblem zu konzentrieren und von hier aus in Betracht zu ziehende gesetzliche Vorschriften auf ihre Analogiefähigkeit hin zu hinterfragen.549 Auf diese Weise geraten die für andere Dauerschuldverhältnisse ex lege geltenden Kündigungsvorschriften in den Blick. Ein Vergleich der gesetzlichen Bestimmungen erweist, daß das jederzeitige, fristlose Kündigungsrecht des Gesellschafters einer BGB-Gesellschaft (§ 723 Abs. 1 Satz 1 BGB) eine Ausnahme markiert.550 Sie soll verhindern, daß den Gesellschaftern, die sich in enger persönlicher Gemeinschaft zur Erreichung eines bestimmten Zwecks verbunden haben, die Fortführung der Gesellschaft gegen ihren Willen aufgezwungen wird. Auch wenn man dem Automatenaufstellungsvertrag in gewisser Hinsicht gesellschaftsähnliche Züge attestieren kann, so trifft der Zweck dieser singulären Vorschrift die Interessenlage nicht. Aufsteller und Gastwirt sind nicht durch ein enges personenrechtliches Band verbunden. Es handelt sich bei dem durch einen Automatenaufstellungsvertrag begründeten Rechtsverhältnis um eine geschäftsmäßige Kooperation, auf die der rechtspolitisch ohnehin fragwürdige Zweck des § 723 Abs. 1 Satz 1 BGB 5 5 1 nicht übertragen werden kann. Eine begrenzte Fortführung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist ist hier den Parteien nicht nur zuzumuten, sondern erweist sich geradezu als interessengerecht. Sowohl dem Automatenaufsteller als auch dem Gastwirt dürfte an einem zeitlichen Polster gelegen sein, um sich auf die veränderte Situation einstellen und die erforderlichen Maßnahmen treffen zu können. Vor allem der Aufsteller hat es angesichts der harten Konkurrenz heutzutage schwer, schnell einen neuen gewinnbringenden Aufstellplatz zu erschließen. Die wirtschaftliche Risikovertei-

548 In diesen Bahnen bewegte sich die Diskussion in der Anfangszeit. Nachweise bei Raisch, BB 1968, 527f. und von Olshausen/K. Schmidt, Automatenrecht, Rdnr. B 92. Aus der damaligen Instanzrechtsprechung etwa O L G Hamm NJW 1964, 2021 (partiarisches Rechtsverhältnis); O L G Hamm BB 1965, 267 (Mietvertrag). Auch das Schweizerische Bundesgericht erkannte einem Automatenaufstellungsvertrag „vorwiegend mietrechtlichen Charakter" zu, so daß es sich rechtfertige, die Kündigung mietrechtlich zu beurteilen (vgl. BGE 110 II 474, 475). 549 Raisch, BB 1968, 529ff.; übernommen wurde dieser Ansatz von LG Köln NJW 1972,2127 (2128). 550 Raisch (BB 1968, 530) spricht von einem „systemwidrigen Fremdkörper"; in Anlehnung an Raisch auch LG Köln NJW 1972, 2127 (2128) und V. Müller, Anm. NJW 1971, 626. Verfehlt daher die auf § 723 BGB gestützten Urteile des O L G Hamm NJW 1964,2021 und des LG Nürnberg-Fürth NJW 1971, 52 mit abl. Anmerkung von tf Müller, NJW 1971, 625f. 551 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §59 V, S. 1763; Strothmann/Vieregge, in: FS für Oppenhoff, S. 451 ff.

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

295

lung 552 läßt eine dreimonatige Kündigungsfrist daher angezeigt erscheinen. Für gravierende Vertragsverletzungen bleibt immer noch das außerordentliche fristlose Kündigungsrecht. Normativ gestützt werden können diese Erwägungen durch die Kündigungsregeln des § 621 B G B für Dienstverträge (und i.V. mit §675 B G B für Dienstverträge, die eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand haben), des § 609 Abs. 2 B G B für Darlehensverträge, des § 89 H G B für Handelsvertreterverträge und vor allem des §565 B G B für Mietverträge. Der Situation des von einer Kündigung des Automatenaufstellungsvertrages betroffenen Partei dürfte die mietvertragliche Regelung am ehesten entsprechen. Naheliegend war jedenfalls bis zum 31.12. 1993 die Heranziehung der Sondervorschrift des §565 A b s . l Nr. 3 Alt. 2 B G B a.F. für Geschäftsräume. Auf dieser Grundlage hatte sich in Rechtsprechung und Literatur die Meinung durchgesetzt, daß für die ordentliche Kündigung eines Automatenaufstellungsvertrages eine dreimonatige Kündigungsfrist zu beachten sei. 553 Seit dem 1.1. 1994 ist die Kündigungsfrist durch §565 Abs. la B G B n.F. zum Schutze des Mieters auf praktisch sechs Monate verlängert worden. Hier stellt sich dann die Frage, ob die gesetzliche Wertung auch auf den Automatenaufstellungsvertrag durchschlägt. Dies wird man nicht ohne weiteres annehmen können. Die an § 565 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 B G B a.F. orientierte Beurteilung wurde allgemein als interessengerecht angesehen und hat sich nunmehr auch in den branchenüblichen Vertragswerken durchgesetzt. Hier zeigt sich der Vorteil einer bloß vermittelten Anwendung normativer Wertungen im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung. Der Rechtsanwender ist freier und einer engen Ankoppelung an eventuelle Gesetzesänderungen enthoben. Wohl sollte eine Änderung des gesetzlichen Bezugsrahmens den Rechtsanwender veranlassen, auch über eine entsprechende ModiEingehend zu ihr O L G Celle BB 1968, 524 und LG Köln NJW 1972, 2127 (2128). Die überwiegende Meinung erkannte zutreffend die Parallele zu §565 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 BGB a.F. betreffend Kündigung im Falle der Geschäftsraummiete. Daraus wurde die Geltung eingeschränkter Kündigungstermine (spätestens dritter Werktag für den Ablauf eines Kalendervierteljahres) gefolgert; so etwa Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 63 IV, S. 63, Ziehe, Automatenaufstellungsvertrag, S. 56 und Erman-Jendrek, 9. Aufl. 1993, Vor §535 BGB Rdnr.50; ohne ausdrückliche Festlegung hinsichtlich der Kündigungstermine Raisch, BB 1968, 531. Gitter (Gebrauchsüberlassungsverträge, §9 B IV, S.260), sah die Entsprechung ebenfalls in §565 Abs.l Nr. 3 BGB (Geschäftsräume), sprach sich aber gleichwohl für eine Kündigungsfrist zum dritten Werktag eines Monats für den Ablauf des übernächsten Monats aus. Zum gleichen Ergebnis gelangten von Olshausen/K. Schmidt, Automatenrecht, Rdnr. B 92, die sich allerdings gegen eine Anwendung der Kündigungsvorschrift für Geschäftsraummietverträge wandten und ihr Ergebnis auf §565 Abs. 1 Nr.3 Alt. 1 BGB a.F. stützten (ebenso O L G Celle BB 1968, 524). Festzuhalten bleibt, daß die ganz herrschende Meinung aus § 565 Abs. 1 Nr. 3 BGB eine dreimonatige Kündigungsfrist für Automatenaufstellungsverträge ableitete, wobei überwiegend in diesem Punkt die Automatenaufstellung in enge Beziehung zur Geschäftsraummiete gerückt wurde. Für kürzere Kündigungsfrist hingegen Larenz, Schuldrecht II, 10. Aufl., 1972, §63 IV, S.355 und ihm folgend Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.281. Ihr Einwand, die Schutzbedürftigkeit des Automatenaufstellers sei geringer als diejenige des Mieters von Geschäftsräumen, hängt sehr von den wandelbaren Verhältnissen ab. Im übrigen müßte auch die Situation des Gastwirts mitbedacht werden, da die Kündigungsfrist nur einheitlich für beide Vertragsparteien bestimmt werden kann. 552 553

296

5 ^ Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

fikation im analogen Anwendungsbereich nachzudenken. Hierfür müßten dann die Gründe der Novellierung untersucht und auch insoweit das Analogiebedürfnis festgestellt werden. Ein Schutzdefizit, wie es vom Gesetzgeber für Geschäftsraummietverhältnisse diagnostiziert worden war,554 ist im Hinblick auf die Kündigungsfristen beim Automatenaufstellungsvertrag nicht erkennbar. Auch nach der Neufassung des §565 BGB sollte daher für die Kündigung von Automatenaufstellungsverträgen in Ermangelung einer vertraglichen Regelung von einer dreimonatigen Frist ausgegangen werden.555 (bb) Annäherung Verträgen

an gesetzliches

Vertragstypenrecht

bei

gemischten

Auch für die lückenfüllende Inhaltsbestimmung typengemischter Verträge erweist sich die ergänzende Vertragsauslegung als die angemessene dogmatische Methode. Gemischte Verträge erschöpfen sich keineswegs in der Summe ihrer durch Verschmelzung oder Kombination zusammengeführten Teile. Sie bilden regelmäßig eine neue, von den Vertragspartnern für eine bestimmte, von der gesetzlichen Vertragstypenordnung nicht abgedeckte, Interessenkonstellation geschaffene Sinneinheit. Erweist sich ein solcher Vertrag als ergänzungsbedürftig, so darf das dispositive Vertragstypenrecht demgemäß nicht schematisch übertragen werden. Der Rekurs auf gesetzliche Vorschriften und Wertungen liegt zwar zweifellos näher, wenn der Vertrag erkennbar Elemente aufweist, die sich in Reinform in gesetzlich geregelten Vertragstypen wiederfinden. Bevor aus dem damit eröffneten Reservoir potentiell analogiefähiger Normen geschöpft wird, sollten auch hier der Zweck des Vertrages, die Interessenlage der Parteien und die im Vertrag niedergelegten Wertungszusammenhänge offengelegt werden. Auf dieser Basis kann sodann die Heranziehung gesetzlicher Normen geprüft werden. Auch Canaris deutet zutreffend die Relevanz der ergänzenden Vertragsauslegung für die lückenfüllende Konkretisierung gemischter Verträge an.556 Den im Hinblick auf die oben herausgestellte sui-generis-Qualität der gemischten Verträge entstehenden gesetzlich nicht abgedeckten Regelungsbedürfnissen will Canaris in erster Linie im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gemäß § 157 BGB Rechnung tragen. Hier deutet er sodann wiederum die Möglichkeit an, die ergänzende Vertragsauslegung für „einen solchen" Vertrag vorzunehmen, was der Sache nach zur Bildung ungeschriebener Normen des dispositiven Rechts führe. Dieser Ansatz ist grundsätzlich zu begrüßen, sollte freilich nicht auf solche Fallgestaltungen verengt werden, bei denen die Suche nach analogiefähigen Normen des dispositiven Vertragsrechts erfolglos verVgl. hierzu die Begründung des Gesetzentwurfs des Bundesrates BT-Drucks. 12/3339. Wie hier Staudinger-Sonnenschein, §565 BGB Rdnr. 96 sowie - allerdings jeweils ohne Auseinandersetzung mit der zwischenzeitlich erfolgten Gesetzesänderung - MünchKomm- Voelskow, Vor §535 BGB Rdnr.37, Soergel-Kummer, Vor §535 BGB Rdnr.405 und Palandt-We«'d e n k a f f , Einf. v. §535 BGB Rdnr. 19. 556 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 II, S.46. 554

555

IV. Übergang

zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

297

läuft. Der Eigenständigkeit typengemischter Verträge, in denen jeweils ein spezifischer Interessenausgleich seinen Ausdruck findet, muß ein methodischer Ansatz entsprechen, der - wie die ergänzende Vertragsauslegung - in einem ersten Schritt an die vertraglichen Wertungen anzuknüpfen sucht, sich aber auch als offen erweist, normative Direktiven in den Rechtsfindungsgang zu integrieren. Läßt man nochmals die im Schrifttum vertretenen Theorieentwürfe Revue passieren, so scheint der hier vertretene Ansatz in gedanklicher Nähe zur Theorie von der analogen Rechtsanwendung zu stehen. 557 In der Tat liegt der rechtsdogmatisch begrüßenswerte Vorteil der Theorie der analogen Rechtsanwendung in der Beschreibung des typengemischten Vertragsverhältnisses als Organismus, der nicht allein als Summe verschiedener gesetzestypischer Elemente begriffen werden darf. Beifallswürdig ist auch die Aussage, die gemischten Verträge seien als Ganzes als vom Gesetz nicht geregelt anzusehen. Keine Gefolgschaft kann allerdings der aus diesem Befund gezogenen Konsequenz geleistet werden. Die Theorie der analogen Rechtsanwendung sieht nämlich nunmehr den Richter in der Pflicht, die gesetzlichen Normen nach Rechtsähnlichkeit innerhalb des gemischten Vertrages nachzubilden. Damit gerät aber auch dieser Lehre die zu ergänzende Parteivereinbarung und ihr interessenspezifischer Kontext aus den Augen. Das hier entwickelte Konzept nutzt die gesetzliche Dispositivordnung zwar ebenfalls als Analogiebasis, akzentuiert hingegen deutlicher das Erfordernis einer vorgeschalteten gründlichen Vertragsanalyse. Diese kann beispielsweise ergeben, daß die spezifische Verzahnung der im gemischten Vertrag enthaltenen, verschiedenen normierten Vertragstypen zuzuordnenden, Elemente lediglich eine modifizierte Anwendung der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften erlaubt. Ferner läßt dieser Ansatz von vornherein die Möglichkeit offen, gesetzlich nicht vorgesehene, den Vertragszweck jedoch optimal zur Geltung bringende, Lösungen zu entwickeln. Erinnert sei etwa an das durch ergänzende Auslegung eines Internatsvertrages begründete eigenständige Recht zur ordentlichen Kündigung. 558 Beachtenswert ist auch der Vorschlag, den Bewohnern eines Altenheims ein dem Dienstvertragsrecht zwar nicht bekanntes, jedoch in hohem Maße interessengerechtes, verschuldensunabhängiges Minderungsrecht zuzuerkennen, wenn die von der Heimleitung geschuldeten Service- und Pflegeleistungen mangelhaft erbracht werden. 559 Die sich anschließende, von der Theorie der analogen Rechtsanwendung im übrigen nahezu unbeanwortet gelassene, Frage ist, wie sich im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung der Rekurs auf das gesetzliche Vertragstypenrecht im einzelnen gestaltet, wie insbesondere Normenkonkurrenzen aufzulösen sind. Dies kann und soll an dieser Stelle nicht im einzelnen dargelegt werden. Zu diesem Problemkreis existieren bereits mehrere sehr differenzierte und 557 Vertreten insbesondere von Schreiber, JherJb 60 (1912), S. 106ff.; vgl. hierzu bereits die Stellungnahme unter §6 I. 3. 558 BGH NJW 1985, 2585 (2586f.); hierzu schon oben unter §5 V. 3. 559 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 II, S.53.

298

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

verdienstvolle Vorarbeiten,560 auf die verwiesen wird. Die hiesigen Ausführungen sollen sich auf einige allgemeinere methodische Betrachtungen beschränken. Die intensiv geführte Diskussion um die inhaltliche Konkretisierung typengemischter Verträge hat die Mängel einseitiger methodischer Ansätze hervortreten lassen. Der hochkomplexen Materie kann man offenbar nicht mit vergleichsweise einfach strukturierten Theoriekonzepten beikommen.561 Das macht es vielfach unausweichlich, zu den einzelnen Schuldvertragstypen hinabzusteigen.562 Im Rahmen dieser Einzelanalyse, die aber auch die Besonderheiten in der Konkurrenz mit anderen Schuldvertragstypen einbeziehen muß, müssen die Überlegungen parallel von zwei Punkten ihren Ausgang nehmen. Zum einen ist vom zu beurteilenden Vertrag ausgehend das betroffene Element zu fokussieren, in den vertraglichen Gesamtzusammenhang einzuordnen und es in Beziehung zum Vertragszweck und den mit dem Vertrag verfolgten Interessen der Parteien zu setzen. Gleichzeitig muß die Annäherung vom Ufer des Gesetzes aus erfolgen. Das setzt eine sorgfältige Analyse der ratio legis der als Analogiebasis in Betracht zu ziehenden Bestimmung voraus. Ggf. muß die Normzweckanalyse für mehrere potentiell in Frage kommende gesetzliche Vorschriften durchgeführt werden und mit einer Auswahlentscheidung abgeschlossen werden. Methodisch verbindliche Direktiven lassen sich nicht aufstellen. Wohl aber lassen sich Erfahrungswerte beschreiben, die dem Rechtsanwender die Richtung weisen, d.h. ihm einen Weg aufzeigen, der ihn mit einer gewissen Prognosewahrscheinlichkeit zu einer vertragsadäquaten Lösung führen wird. So wird man sagen können, daß sich in der Mehrzahl der Fälle die Kombinationsmethode als zielführend erwiesen hat; dies vor allem in der zahlenmäßig überaus bedeutsamen Gruppe der Typenkombinationsverträge. Man wird der Kombinationsmethode auch unter dogmatischen Gesichtspunkten einen grundsätzlichen Vorrang vor dem Absorptionsprinzip einräumen müssen.563 Ihr Vorzug ist, daß sie ihren Ausgang vom jeweiligen Vertragsproblem, vom betroffenen Vertragselement, nimmt und von hieraus nach der passenden gesetzlichen Antwort sucht. Das Absorptionsprinzip strebt hingegen pauschale Einheitslösungen an und nötigt den Rechtsanwender den Vertrag auch hinsichtlich seiner insoweit artfremden Elemente dem Recht eines bestimmten Vertragstyps zu unterstellen. Zu Recht bescheinigt daher Canaris der Kombinationsmethode, daß sie am besten geeignet sei, ein auch der Interessenlage der Parteien gerecht wer-

560 Hervorzuheben ist insbesondere die gründliche Monographie von Dellios, Zur Präzisierung der Rechtsfindungsmethode bei „gemischten Verträgen" (1981) und die vorzügliche Aufbereitung der Thematik bei Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63, S.41 ff. und Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 V, S. 157ff. 561 Vgl. die zusammenfassenden Ausführungen unter §6 I. 5. 562 So zutreffend Gernhuber, Schuldverhältnis, § §7 V 4, S. 163. 563 So auch Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §63 I 3, S.44; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, § 12 II, S.215; Palandt-Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr.25; Heckelmann, Anm. AP Nr.2 zu §611 BGB GemischterVertrag.

IV. Übergang

zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

299

dendes Ergebnis aufzuzeigen. 564 Freilich gibt es typische Konstellationen, in denen die Kombinationsmethode oftmals keine befriedigenden Ergebnisse zeitigt und demgemäß die Lösung im Absorptionsprinip zu suchen ist. Dies gilt vor allem für die Kategorie der Typenverschmelzungsverträge und für Situationen, in denen über das Schicksal des Vertrages nur einheitlich entschieden werden kann (Kündigung, Widerruf). Damit läßt sich festhalten, daß sich aus der Einordnung eines gemischten Vertrages in das Begriffssystem der normativen Typenordnung immerhin Indizien gewinnen lassen, die dem Rechtsanwender signalisieren, welchem methodischen Ansatz er besonderes Augenmerk schenken sollte. Der Erkenntniszuwachs, den die vorliegende Untersuchung an dieser Stelle für sich reklamiert, liegt vor allem in der dogmatischen Fundierung der bisherigen Praxis. Der Rückgriff auf normative Wertungen ist grundsätzlich gerechtfertigt; er erfolgt jedoch vermittelt im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung. Auf der einen Seite wird hierdurch der Geltungsanspruch des gesetzlichen Vertragstypenrechts relativiert. Auf der anderen Seite wird der Rechtsanwender zu einer sorgfältigeren Beachtung der vertraglichen Wertungszusammenhänge angehalten und der Blick für gesetzlich nicht vorgezeichnete, aber vertragsadäquate Lösungen geschärft. Ein spürbarer Gewinn an Rechtssicherheit ist hiermit zugegebenermaßen nicht verbunden. Doch ist dies der unvermeidliche Preis für die konsistente Umsetzung der inhaltlichen Vertragsgestaltungsfreiheit auf dem Gebiete des Schuldrechts. Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß das hier unterbreitete Konzept lediglich einige Grundpfeiler markieren sollte, es also in diesem Rahmen erfolgenden weiteren Konkretisierung durchaus offen gegenübersteht.

(4) Beachtlichkeit

einer verbreiteten

und

gleichförmigenVertragspraxis

Gesetzlich nicht geregelte Verträge sind oftmals zugleich verkehrstypische, durch umfangreiche Bedingungswerke ausgeformte Vertragsgebilde. Die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Regelungen klären nicht nur zahlreiche Detailfragen. Indem das Vertragsprogramm die charakteristischen Rechte und Pflichten der Parteien formuliert, konturiert es auch das Gesamtbild dieses Vertragstyps, verleiht ihm seine typischen Züge. Von daher erscheint der Gedanke nicht fernliegend, sich bei der Ausfüllung vertraglicher Regelungslücken zumindest auch - soweit existent - an einer eingefahrenen Vertragspraxis zu orientieren.

(a) Anwendungsbeispiele

und

Meinungsstand

Den Überlegungen seien zwei Fallgestaltungen vorangestellt, die diese Fragestellung in zugespitzter Form aufwerfen.

564

Larenz/Canaris,

Schuldrecht II/2, §63 I 3, S.44.

300

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Die erste Sachverhaltskonstellation ist einem Urteil des OLG Düsseldorf entnommen.565 Die Parteien dieses Rechtsstreits hatten einen Vertrag über ein Fotokopiergerät geschlossen, der in auffälligem Druck im Eingang als „Leasingvertrag" tituliert war. Die Parteien waren im Vertrag als „Leasinggeber" und „Leasingnehmer" bezeichnet worden. Die Leasingbedingungen fanden sich auf der Rückseite des Vertragsformulars. Offenbar enthielt nun die Vorderseite, auf die der Leasingnehmer seine Unterschrift gesetzt hatte, nicht den erforderlichen Hinweis auf die rückseitig abgedruckten Bedingungen. Deren Einbeziehung scheiterte damit an §2 Abs. 1 AGBG. In der zweiten, vom Verfasser erdachten, Fallvariante schließen die Parteien (z.B. eine Leasingbank und ein neu gewonnener Firmenkunde) telefonisch einen Leasingvertrag und verständigen sich dabei lediglich über die Hauptpunkte (Vertragsgegenstand, Laufzeit, Leasingraten). Ferner soll angenommen werden, daß der Leasinggegenstand an den Leasingnehmer ausgeliefert wird, die in Aussicht genommene schriftliche Fixierung unter Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Leasingbank jedoch unterbleibt. Fraglich ist in beiden Fällen, welchen Inhalt der Leasingvertrag hat, vor allem ob von der Geltung der leasingtypischen Regelungen bezüglich der Instandhaltung und Gewährleistung - einschließlich der leasingtypischen Abtretungskonstruktion - ausgegangen werden kann. Allgemeiner formuliert geht es hier um die Frage, ob die ergänzende Vertragsauslegung den Rekurs auf das in der Kautelarpraxis Übliche gestattet und welcher Stellenwert diesem Faktum ggf. beizumessen ist. Stellungnahmen zu diesem Problemkreis in Rechtsprechung und Literatur sind selten. Meist beschränken sie sich zudem auf die Mitteilung des für richtig erachteten Ergebnisses. In apodiktischer Kürze äußert sich beispielsweise Lüderitz-. „Soweit Allgemeine Geschäftsbedingungen eines bestimmten Inhalts .üblich' sind, handelt es sich bereits um Verkehrssitten. Sie gelten - wie sonstige Verkehrssitten - unmittelbar."566 Weitere Meinungsbekundungen gelten dem Anwendungsbereich des §6 Abs. 2 AGBG, also der Schließung einer durch Nichteinbeziehung oder Unwirksamkeit entstandenen Lücke. So bemerkte das OLG Düsseldorf in dem soeben geschilderten Ausgangsfall (Einbeziehungsmangel) lapidar, es stehe nichts im Wege, die auf der Rückseite abgedruckten, für ein Leasinggeschäft vertragsspezifischen, Regelungen, als stillschweigend vereinbart anzusehen.567 Der Leitsatz der Entscheidung lautet sodann: „Haben die Vertragsparteien einen schriftlichen Vertrag über eine entgeltliche Gebrauchsüberlassung als Leasingvertrag bezeichnet, ohne jedoch weitere Einzelheiten in dem schriftlichen Vertragstext festzulegen, so sind leasingtypische Regelungen zur Ergänzung heranzuziehen." In dieselbe Richtung tendiert Harry

565 566 567

O L G Düsseldorf DB 1988, 1695. Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S.417. O L G Düsseldorf DB 1988, 1695.

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

301

Rechtsfindung

Schmidt,568 Seiner Ansicht nach kann eine Richtlinie für die Vertragsergänzung in der üblichen und angemessenen Vertragspraxis zu finden sein. Diese Orientierung an den hinsichtlich bestimmter Regelungspunkte typischerweise verwendeten Klauseln ist in seinen Augen nur folgerichtig, wenn es gelte, in einer objektiv-generalisierenden Betrachtung für einen „solchen Vertrag" eine Ersatzregelung zu finden. Hiergegen hat sich nachdrücklich Hart gewandt.569 Seiner Ansicht nach ist der ergänzenden Vertragsauslegung der Rückgriff auf die übliche Vertragspraxis (= AGB-Praxis) versperrt, weil damit Verwendungsinteressen unterstützt würden. Etwas anderes könne nur gelten, wenn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen etwa auf Verbandsebene nach Beteiligung der betroffenen Interessenträger ausgehandelt seien. (b)

Stellungnahme

Die Bedeutung einer eingespielten, sich in gleichmäßigen Vertragsmustern widerspiegelnden, Kautelarpraxis für die Auslegung punktuell oder-wie in den obigen Beispielsfällen - gar in weiten Teilen lückenhafter Parteivereinbarungen hängt davon ab, ob in ihr ein Umstand erblickt werden kann, der den Erklärungstatbestand begleitet und in einer sinngebenden Beziehung zu ihm steht. (aa) Grundsätzliche Verkehrssitten

Berücksichtigungsfähigkeit

in Parallele

zu den

Das Gesetz hebt in § 157 B G B als auslegungsrelevantes tatsächliches Moment besonders die „Verkehrssitte" hervor. In dieselbe Richtung zielt die Vorschrift des §346 H G B , die bestimmt, daß im Geschäftsverkehr unter Kaufleuten bei der Bewertung von Handlungen auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche (Handelsbräuche) Rücksicht zu nehmen ist. Bei diesen Handelsbräuchen handelt es sich schlicht um die Verkehrssitten des Handels. 570 Unter einer Verkehrssitte wird allgemein eine im Verkehr tatsächlich bestehende Übung verstanden.571 Inhaltsreicher und weiterführender ist H. Schmidt, Vertragsfolgen, S.198f. Hart, KritV 1989, 194. 570 K. Schmidt, Handelsrecht, §1 III, S.23; Canaris, Handelsrecht §24 Rdnr.2; Schlegelberger-Hefermehl, §346 HGB Rdnr. 1; Baumbach/Hopt, %346 HGB Rdnr. 1; BGH NJW 1966, 502 und WM 1973, 677 (678). 571 RGZ 49, 157 (162); BGH LM §157 BGB (B) Nr. 1; Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.32; Flume, Rechtsgeschäft, §16, 3, S.312f. Die heute ganz herrschende Meinung sieht in der Verkehrssitte lediglich einen die Auslegung beeinflussenden tatsächlichen Faktor, also einen auslegungsrelevanten Begleitumstand, nicht aber eine mit dem Anspruch auf Befolgung auftretende Norm: vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 62; Eisenhardt, Allgemeiner Teil, Rdnr. 46; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, §41 IV, S.273; Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.346ff.; Sonnenherger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, S.61ff., 107; Soergel-Hefermehl, § 133 BGB Rdnr. 29; Soergel-Wolf, § 157 BGB Rdnr. 70; Palandt-Heinrichs, §133 BGB Rdnr.21; K. Schmidt, Handelsrecht, §1 III, S.23; Canaris, Handelsrecht, §24 568 569

302

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

demgegenüber die in ständiger Rechtsprechung zugrunde gelegte Definition des Handelsbrauchs.572 Ein solcher wird von den Gerichten angenommen, wenn es sich bei der Übung um eine im Verkehr der Kaufleute untereinander verpflichtende Regel handelt, die auf einer gleichmäßigen, einheitlichen und freiwilligen tatsächlichen Übung beruht, die sich innerhalb eines angemessenen Zeitraumes für vergleichbare Geschäftsvorfälle gebildet hat und der eine einheitliche Auffassung der Beteiligten zugrunde liegt. Eine allgemein übliche, sich in entsprechenden Bedingungswerken dokumentierende, Vertragsgestaltung wird man vor diesem Hintergrund nicht ohne weiteres als Verkehrssitte oder Handelsbrauch einstufen können. Denn die Verbindlichkeit dieser Regelungsmuster im Geschäftsverkehr beruht auf rechtsgeschäftlicher Vereinbarung. Die ständige Wiederholung des Abschlusses eines Vertrages mit typisiertem Regelungsgehalt ist keine tatsächliche Übung, sondern in erster Linie Ausdruck eines stets aufs neue artikulierten Verpflichtungswillens der Parteien. Das Kriterium für die Feststellung eines ergänzenden Handelsbrauchs ist auch grundsätzlich nicht das Vorhandensein möglichst vieler Verträge, in denen die fragliche Regelung ausdrücklich enthalten ist, sondern die Handhabung derjenigen Verträge sei, in deren Text sie fehlt.573 Angesichts der zumeist schriftlichen Einbeziehung der Regeln in den Vertrag besteht im allgemeinen auch kein Bedürfnis für die Durchsetzung einer entsprechenden Verkehrssitte. Damit soll nicht gesagt sein, daß sich eine AGB-Bestimmung im Einzelfall nicht doch als „kodifizierter Handelsbrauch" darstellen kann. Auch der Bundesgerichtshof hat die Möglichkeit anerkannt, daß einzelne Bestimmungen (Hervorhebung vom Verf.) von Allgemeinen Geschäftsbedingungen einen bestehenden Handelsbrauch wiedergeben oder sich zu einem solchen entwickeln.574 Voraussetzung für die Annahme eines Handelsbrauchs sei jedoch, daß die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen getroffene Regelung auch ohne besondere Vereinbarung oder Empfehlung freiwillig befolgt würde. Ein neueres Urteil führt diese Rechtsprechung zwar fort, ist aber erkennbar zurückhaltender formuliert. Allein die Feststellung, daß der überwiegende Teil der beteiligten Verkehrskreise die betreffende Frage ausdrücklich regele, vermag - so nun der Bundesgerichtshof- das Bestehen eines Handelsbrauchs nicht auszuschließen.575 Denn es bleiRdnr. 11; vgl. auch BGH JZ 1963,167 (169) und BGH NJW 1966, 502 (503); ferner Danz, JherJb 38 (1898), S.373ff. Flume (Rechtsgeschäft, §16, 4, S.325) hebt treffend hervor, daß der Bezugspunkt für die Geltung dessen, was unter Berücksichtigung der Verkehrssitte für die rechtgeschäftliche Regelung gilt, nur das Rechtsgeschäft selbst ist. 572 Vgl. zuletzt B G H LM §346 [B] HGB Nr. 9 und B G H NJW 1994,659 (660); ebenso Baumbach/Hopt, §346 HGB Rdnr. 1 und Canaris, Handelsrecht, §24 Rdnr.5ff. 573 So zutreffend Canaris, Handelsrecht, §24 Rdnr. 24. 574 BGH BB 1980, 1552. 575 BGH NJW 1994,659 (660). In der Instanzrechtsprechung ist es bereits umstritten, ob eine tatsächliche Übung einen Handelsbrauch begründen kann, wenn auch nur ein Teil der beteiligten Verkehrskreise eine bestimmte Frage im Vertrag ausdrücklich regelt und der übrige Teil diesen Punkt ungeregelt läßt. Verneinend etwa OLG Düsseldorf NJW 1976,1268 und O L G München NJW-RR 1993, 415; bejahend hingegen OLG Hamburg, Urt. v. 15.7. 1982 - 6 U 82/82 (unver-

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

303

be die - zu untersuchende - Möglichkeit, daß die ausdrückliche Regelung auf der Vorstellung der Vertragsparteien beruhe, einem bestehenden Handelsbrauch zu folgen und ihn lediglich aus Gründen der Vollständigkeit oder der Beweissicherung schriftlich festzulegen.576 Festhalten läßt sich damit folgendes: Ein formuliertes Bedingungswerk, das in der Vertragspraxis einheitlich verwandt wird, kann nur höchst ausnahmsweise in toto mit einem entsprechenden Handelsbrauch gleichgesetzt werden.577 Denn, daß die Parteien von der Vorstellung ausgehen, die Unterzeichnung dieses Schriftstücks habe gleichsam nur deklaratorischen Charakter, da sich sein Inhalt mit einem entsprechenden Handelsbrauch decke, ist meist fernliegend. Vielmehr kommen von vornherein nur einzelne typische Regelungen der AGB-Praxis in Betracht. Aber auch hier wird man zurückhaltend urteilen müssen.578 Die schriftliche Fixierung deutet grundsätzlich eher darauf hin, daß der Vertragspraxis an einer ausdrücklichen rechtsgeschäftlichen Aufnahme der Regelung gelegen ist, sie also von dem Bestreben getragen ist, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.579 Damit korrespondiert die Beobachtung Basedows, daß die Bedeutung der Handelsbräuche in der Handelsrechtswirklichkeit, die zunehmend auf schriftlicher Kommunikation basiert, zurückgegangen sei und die Aufgabe Usancen festzulegen weitgehend auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verlagert worden sei.580 In der Tat wird man die Entwicklung als Übergang von der ungesteuerten Regelbildung in Form von Handelsbräuchen zu der bewußten und zweckrationalen Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse durch Allgemeine Geschäftsbedingungen beschreiben können. Dabei handelt es sich um eine den sich immer dynamischer, komplexer und differenzierter gestaltenden Wirtschaftsabläufen angemessene instrumentelle Veränderung. Der Handelsbrauch als eher statische Erscheinung wird zunehmend an den Rand gedrängt. Dies alles spricht nicht dafür, in veröff.), Schlegelberger-Hefermehl, §346 HGB Rdnr. 13, Schaumburg/Schaumburg, NJW 1975, 1262 und wohl auch O L G Köln NJW 1971, 894. 576 Ahnlich, aber wohl weitergehend Canaris, Handelsrecht, § 24 Rdnr. 24, der es für die Annahme eines Handelsbrauchs ausreichen läßt, daß die betreffende Klausel (von einem größeren Regelungskomplex geht ersichtlich auch Canaris nicht aus) nahezu ausnahmslos vereinbart wird und ihr Fehlen den beteiligten Verkehrskreisen als belangloser Zufall erscheint. 577 Staudinger-ScWosser, §2 AGBG Rdnr. 62: „Daß ein durchformuliertes Klauselwerk auf diese Art und Weise inhaltlich zum Handelsbrauch wird, ist naturgemäß höchst ungewöhnlich." Als Ausnahmen sind in der Rechtsprechung bislang nur anerkannt worden: Die Tegernseer Gebräuche im Holzhandel (BGH BB 1986,1395) und die Bedingungen der Reederei in der Rheinschiffahrt (RheinSchiffahrtsOG Köln VersR 1978, 370). Ein hiervon strikt zu unterscheidendes Problem stellen die sog. Verweisungsbräuche dar; zu ihnen Basedow, ZHR 150 (1986), S.487f. und WW//Horn/Lindacher, §2 AGBG Rdnr. 82. 578 Dies vor allem, wenn man - wie Wo///Horn/Lindacher, § 2 AGBG Rdnr. 83 und § 8 AGBG Rdnr. 5 - in Allgemeinen Geschäftsbedingungen kodifizierte Handelsbräuche im Hinblick auf § 8 AGBG sogar ganz der Inhaltskontrolle entzieht. Dagegen freilich Basedow, ZHR 150 (1986), 489f. und Ulmer/ßnmifoer/Hensen, §8 AGBG Rdnr. 32 579 Zur Zurückhaltung gemahnend Staudinger-ScWosser, § 1 AGBG Rdnr. 22 und wohl auch Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, S. 79. Zu großzügig hingegen Gallois, J R 1956, 47. 580 Basedow, ZHR 150 (1986), S.480f.

304

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

breiteten Bedingungswerken eine Erkenntnisquelle für Handelsbräuche zu sehen 581 oder dem Umstand, daß sich eine bestimmte Regelung dort regelmäßig findet, indiziellen Wert für ihre Eigenschaft als Handelsbrauch zuzuerkennen. Im Regelfall kann vielmehr davon ausgegangen werden, daß eine gleichförmige AGB-Vertragspraxis regelmäßig nicht mit einer entsprechenden Verkehrssitte zusammenfällt. Die ausdrückliche Hervorhebung der Verkehrssitte in §157 B G B darf nun selbstverständlich nicht zu dem Schluß verleiten, die Berücksichtigung weiterer sinnergänzender Auslegungselemente sei ausgeschlossen. Schon aus den allgemeinen Grundsätzen der Hermeneutik folgt, daß der gesamte Kontext, innerhalb dessen menschliches Verhalten und menschliche Erklärungen stehen, potentiell auslegungsrelevant ist. 582 Mit der Vorschrift des § 157 B G B gibt der Gesetzgeber lediglich zu erkennen, daß er den Verkehrssitten eine hervorgehobene Stellung im Auslegungsgeschehen zuerkennt. Diese besondere Auslegungsrelevanz der Verkehrssitten liegt in der Erfahrung begründet, daß eine Erklärung im Zweifel in dem Sinne aufgefaßt werden darf, in der sie im Verkehr üblicherweise verstanden wird. 583 So gesehen geht es um eine Konkretisierung des hypothetischen Parteiwillens. 584 Dieser Konkretisierung sollte, wenn sie sich - wie im Falle des Bestehens einer Verkehrssitte - auf verläßlicher Grundlage erreichen läßt, im Interesse einer möglichst engen Rückkoppelung an den privatautonomen Gestaltungswillen der Parteien in der Tat eine hohe Priorität eingeräumt werden. Der skizzierte Grundgedanke trifft zwar in besonderem Maße auf die in § 157 B G B hervorgehobenen Verkehrssitten zu. Er reicht jedoch über sie hinaus. Auch eine gleichförmige, über einen längeren Zeitraum zu beobachtende Vertragspraxis kann bei den Verkehrsteilnehmern ein bestimmtes Verständnis vom typischen Inhalt des jeweiligen Vertrages begründen, so daß im Laufe der Zeit bestimmten Bezeichnungen im Verkehr durchaus ein rechtlich bestimmter Sinn zugeordnet wird. Die Auslegung darf sich in solchen Fällen nicht der kautelarjuristischen Realität verschließen. Die Ausrichtung der ergänzenden Auslegung an einer festgestellten gleichförmigen Vertragspraxis paßt im übrigen hier ist Harry Schmidt recht zu geben - 5 8 5 zu der im Bereich standardisierter Verträge richtiger Ansicht nach gebotenen objektiv-generalisierenden Betrachtungsweise, der es darum geht, für einen „solchen Vertrag" eine adäquate Ersatzregelung zu finden. Die Verkehrsteilnehmer, zumal wenn sie Vertragspartner ein und desselben Verwenders sind, können, wenn sie keine besonderen Abreden getroffen haben, auch grundsätzlich nicht erwarten, daß in ihrem Falle

581 So aber K. Schmidt, Handeisrecht, § 1 III, S.25. Auch er deutet freilich an, daß sich die Bedeutung der Handelsbräuche in diesem Falle eher auf dem Gebiete der nichtrechtsgeschäftlichen Rechtsfolgen zeigen werde. 582 Neuner, ZHR 157 (1993), S.271; Canaris, Handelsrecht, §24 Rdnr.2. 583 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §28 Rdnr.62; Soergel-Hefermehl, §133 BGB Rdnr.29; Canaris, Handelsrecht, §24 Rdnr.2. 584 MünchKomm-Mayer-Maly, § 157 BGB Rdnr.45. 585 H. Schmidt, Vertragsfolgen, S. 198.

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

305

andere als die üblichen Vertragsbedingungen gelten. Die Ergänzung eines standardisierten, aber gleichwohl Lücken aufweisenden Vertrages durch Rekurs auf eine gefestigte und inhaltlich gleichförmige Vertragspraxis, entspricht so gesehen geradezu einem Gebot der Gerechtigkeit im Sinne der Gleichbehandlung. 586 So wäre es etwa im zweiten Beispielsfall (telefonisch abgeschlossener Leasingvertrag) befremdlich, wenn der Leasingnehmer nunmehr rechtlich anders gestellt wäre als die übrigen Kunden der Leasingbank, er beispielsweise Gewährleistungsansprüche unmittelbar gegen die Leasingbank geltend machen könnte. In welchem Ausmaß eine gleichförmige Kautelarpraxis die Auslegung zu beeinflussen vermag, hängt von mehreren Umständen ab. Die Auslegungsrelevanz ist umso größer, je homogener sich das Erscheinungsbild eines bestimmten Vertragstyps in der Kautelarpraxis darstellt. Finanzierungsleasingverträge sehen etwa durchgängig einen - häufig sogar wortlautidentischen - Gewährleistungsausschluß verbunden mit einer Abtretung der Ansprüche an den Lieferanten vor. Bezeichnen die Parteien ihren Vertrag als Leasingvertrag, so spricht viel dafür, daß sie diese übliche Konstruktion wählen wollten, ihr Vertrag daher ggf. in diesem Sinne ergänzt werden kann. 587 Wird ein Vertrag hingegen in verschiedenen Varianten praktiziert oder handelt es sich um einen noch in der Entstehungsphase befindlichen und demgemäß noch nicht im Geschäftsverkehr mit einem bestimmten Inhalt verfestigten Vertragstyp, so verringert sich die Bedeutung der Vertragspraxis als Auslegungselement entsprechend. Nicht unberücksichtigt bleiben kann schließlich, zu wessen Gunsten sich die in Aussicht genommene Vertragsergänzung auswirken würde bzw. wem sie in welcher Intensität zum Nachteil gereichen würde. Bedenken bestünden beispielsweise gegen eine Ergänzung eines Vertrages um einen dort nicht vorgesehenen Eigentumsvorbehalt unter Hinweis auf eine entsprechende Praxis beim Abschluß solcher Verträge. Hier gebietet es die Klauselverantwortung des Verwenders, einschneidende Eingriffe in die vertraglichen Rechte des Kunden unmißverständlich zu formulieren. Nachlässigkeiten und Regelungsdefizite müssen hier zu seinen Lasten gehen (Gedanke der Unklarheitenregel des §5 A G B G ) . Anders wäre in diesem Fall nur dann zu entscheiden, wenn ein entsprechender Handelsbrauch festgestellt werden könnte. Dann bestünde eine widerlegbare Vermutungswirkung 588 für die Aufnahme eines Eigentumsvorbehalts in den Vertrag - ein solches Gewicht dürfte einer gleichförmigen Vertragspraxis wohl nur selten zukommen.

586 Zum Gedanken der Gleichbehandlung mit Blick auf Handelsbräuche Canaris, Handelsrecht, §24 Rdnr. 3. Der Gedanke ist insoweit verallgemeinerungsfähig. 587 Im Ergebnis zutreffend daher die Entscheidung des O L G Düsseldorf DB 1988, 1695. 588 Canaris, Handelsrecht, §24 Rdnr. 13.

306

5 7 Grundpfeiler eines methodengerechten

(bb) Gefahr einseitiger Bevorzugung

Rechtsfindungskonzepts

der Interessen der

Verwenderseite?

Es bleibt der von Hart5m erhobene Einwand, die Orientierung der ergänzenden Vertragsauslegung an der üblichen Vertragspraxis unterstütze einseitig die Verwenderinteressen und komme aus diesem Grunde nicht in Betracht. Dieser Einwurf ist durchaus ernst zu nehmen. Freilich bedarf es einer differenzierten Betrachtungsweise, die zwei unterschiedliche Konstellationen auseinanderhält. Ergänzende Vertragsauslegung kann auf dem Gebiete Allgemeiner Geschäftsbedingungen zum einen zur Schließung anfänglicher Lücken im vorformulierten Bedingungswerk in Betracht kommen. Hiervon handelten die bisherigen Ausführungen. Ein weiteres - ungleich umstritteneres - Einsatzfeld liegt in der Ergänzung von AGB-Verträgen, die infolge der Nichteinbeziehung oder Unwirksamkeit einzelner Bedingungen lückenhaft sind. Vor allem auf diese Situation ist die Kritik Harts gemünzt. Das Problem stellt sich in der Tat nicht in dieser Schärfe, wenn es um den Rückgriff auf eine gleichförmige Kautelarpraxis zur Schließung anfänglicher Vertragslücken geht. Denn in der Stufenfolge der AGB-Prüfung folgt der Festlegung des Vertragsinhalts im Wege der Auslegung noch die inhaltliche Kontrolle des so festgestellten Regelungsgehalts auf seine Angemessenheit. Der Umstand, daß die durch ergänzende Vertragsauslegung gefundene Ersatzlösung einer gängigen Vertragspraxis entspricht, präjudiziert keineswegs das Ergebnis der Inhaltskontrolle nach den §§ 9 bis 11 AGBG. Zwar kommt - wie hier bereits betont wurde - 5 9 0 auch der ergänzenden Vertragsauslegung eine gewisse korrektorische Funktion zu, indem sie normative Wertungen in das Ergänzungsverfahren einfließen läßt. In praxi dürfte daher ein im Wege ergänzender Vertragsauslegung gewonnenes Ergebnis häufig auch die Hürde der Inhaltskontrolle passieren. Zwingend und ausnahmslos gilt dies aber nicht, zumal wenn man - was sich empfiehlt - die unterschiedlichen Aufgabenfelder der Auslegung und Inhaltskontrolle schärfer gegeneinander abgrenzt.591 Im Sinne einer solchen deutlicher akzentuierten Aufgabentrennung läge es, sich bei der ergänzenden Vertragsauslegung hinsichtlich der normativen Bewertung einer in Betracht zu ziehenden Ersatzlösung möglichst Zurückhaltung aufzuerlegen und sich im Zweifel am allgemein Üblichen zu orientieren. Problematisch, wäre es insbesondere, den von der herrschenden Meinung592 für den Rückgriff auf Hart, KritV 1989, 194. Vgl. (3) (a) (aa). 591 Zum Problem der verdeckten Inhaltskontrolle im Gewände der Auslegung vgl. schon oben II 2 a) (1) (a) 592 Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 82ff.; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S.417f.; Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, S. 188ff.; v. Gierke/Sandrock, Handels- und Wirtschaftsrecht I, § 3 III 1, S. 40; K. Schmidt, Handelsrecht, § 1 III, S. 29; PalandtHeinrichs, § 133 BGB Rdnr. 21; noch weitgehender Flume, Rechtsgeschäft, § 16,3, S. 314, der verlangt, daß sich die Verkehrssitte organisch in die Rechtsordnung einzufügen habe. Auf der Linie der h.L. liegt auch der BGH (NJW 1966,502). Einen Handelsbrauch hält er für „mißbräuchlich" mit der Folge, daß ihm die Anerkennung zu versagen ist, wenn er mit einer dispositiven Vor589

590

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

307

Verkehrssitten und Handelsbräuche befürworteten Vorbehalt der Übereinstimmung mit den Geboten von Treu und Glauben auf die hier in Rede stehende Ausrichtung der Lückenfüllung an einer gleichförmigen Vertragspraxis zu übertragen. Denn dieser methodische Kunstgriff trägt - im übrigen auch bei Handelsbräuchen - 5 9 3 dazu bei, die Grenzen zwischen Auslegung und Inhaltskontrolle zu verwischen. 594 Im Rahmen der Auslegung sollte man sich auf die Aussonderung solcher Vertragspraktiken beschränken, die einen offenkundigen Rechtsmißbrauch darstellen. Differenziertere Kontrollüberlegungen sollten demgegenüber offen auf der Stufe der Inhaltskontrolle ausgebreitet werden, wobei dann sicherlich auch berücksichtigt werden muß, ob es sich bei dem jeweiligen Vertragsmuster um ein allein von der interessierten Verwenderseite konzipiertes oder aber um ein kollektiv erarbeitetes, die Interessen beider Seiten berücksichtigendes, Bedingungswerk handelt (Beispiel für letzteres ist die Verdingungsordnung für Bauleistungen, die große Bedeutung u.a. auch für Bauträgerverträge hat.) 595 . 596 Resultiert die zu schließende Vertragslücke hingegen aus einem Einbeziehungsmangel oder aus der Unwirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen, so ist die Situation eine andere. Die herrschende Meinung läßt, soweit gesetzliche Vorschriften nicht zur Verfügung stehen oder nicht passen, auch hier die ergänzende Vertragsauslegung zu. 597 Diese bildet dann jedoch den letzten Akt des Prüfungsgangs nach dem AGB-Gesetz. Es fehlt also eine weitere ihr nachgeschaltete Inhaltskontrollstation. Folglich muß die ergänzende Vertragsauslegung in diesem Fall die sonst den §§ 9 bis 11 A G B G zufallende Aufgabe der Inhaltskontrolle mit übernehmen. Sehr zu Recht wird daher im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 2 A G B G die Forderung nach einer beiderseits interessengerechten Regelung erhoben. 598 Erreichen läßt sich dies, indem man die inhaltliche schrift kollidiert, die einen gerechten Interessenausgleich bezweckt und/oder dem besonderen Schutz einer Partei dient. Kritisch Canaris, Handelsrecht, §24 Rdnr.38 und Soergel-Hefermehl, §133 BGB Rdnr.29. 593 Vgl. die zutreffende Kritik bei Canaris, Handelsrecht, §24 Rdnr.38; für deutliche Trennung in diesem Zusammenhang auch Soergel-Hefermehl, § 133 BGB Rdnr.29. 594 Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S.418 spricht von einer „vorverlegten Rechtskontrolle". Von seinem-hier nicht geteilten - Standpunkt aus, daß im Bereich ergänzender Auslegung heteronome Ordnung den Rahmen stecke, ist diese Konsequenz vielleicht sogar unvermeidbar. 595 Literatur zum Bauträgervertrag: Basty, Der Bauträgervertrag, 2. Aufl. 1995, Locher/Koeble, Baubetreuungs- und Bauträgervertrag, 4. Aufl. 1985; Brych/Pause, Bauträgerkauf und Baumodelle, 1989; Reithmann/Meichssner/v. Heymann, Kauf vom Bauträger, 7. Aufl. 1995. 596 Zu diesem Aspekt H. Schmidt, Vertragsfolgen, S. 198f. 597 Statt vieler Wolf/Horn/Lindacher, §6 AGBG Rdnr.15; Ulmer/Brandner/Hensen-/i. Schmidt, §6 AGBG Rdnr. 34ff.; Staudinger-ScWosser, §6 AGBG Rdnr. 12 jeweils m.w.N.; zum Problem noch die Ausführungen unter §9 VI. 3. a) (3). 598 Ulmer/Brandner/Hensen-if. Schmidt, §6 AGBG Rdnr.37; H. Schmidt, Vertragsfolgen, S. 198; Wolf/Horn/Lindacher, §6 AGBG Rdnr. 18; ebenso im Ergebnis B G H NJW 1985, 621 (622f.) mit dem zutreffenden Hinweis, der Prüfungsmaßstab für die ergänzende Vertragsauslegung könne kein anderer sein als derjenige des §9 AGBG.

308

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Kontrolle der zur Ergänzung in Betracht gezogenen gleichförmigen Vertragspraxis vollständig in die ergänzende Vertragsauslegung integriert. Geht es um die Schließung einer Vertragslücke, die auf eine Beanstandung nach den §§ 9 bis 11 A G B G zurückzuführen ist, so kann der Rechtsanwender hierbei immerhin auf die Erkenntnisse zurückgreifen, die er schon bei der inhaltlichen Uberprüfung der in Wegfall geratenen Klausel gewonnen hat. Im Ergebnis zeigt sich, daß die ergänzende Vertragsauslegung in dieser zweiten Konstellation (nachträglich aufgedeckte Vertragslücken) erheblich stärker normativ (§§ 9 bis 11 A G B G ) geprägt ist. Festhalten läßt sich somit, daß der Schutz des Verwendungsgegners in beiden Fallgestaltungen gewährleistet werden kann. Die Befürchtung, die Ausrichtung des Ergänzungsmaßstabs an einer gleichförmigen Vertragspraxis begünstige in zu beanstandender Weise die AGB-Verwender läßt sich mithin zerstreuen.

d) Ergänzende Vertragsauslegung und

Geschäftsgrundlage

Die Lückenhaftigkeit einer Parteivereinbarung und damit die Notwendigkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung kann zum einen darauf beruhen, daß die Vertragsparteien einen bereits bei Vertrags Schluß als regelungsbedürftig erkennbaren Sachverhalt nicht aufgegriffen haben. Noch häufiger dürfte der Fall allerdings so liegen, daß eine ausfüllungsbedürftige Lücke erst nachträglich zutage tritt, weil im Laufe der Zeit Umstände eingetreten sind, die die Parteien nicht vorhergesehen und deshalb auch nicht geregelt haben. Besonders anfällig sind insofern die verkehrstypischen, gesetzlich aber nicht geregelten Kontraktformen. Denn unter ihnen finden sich - wie bereits erwähnt - 5 " zahlreiche Vertragsverhältnisse, die entgegen der am kurzfristigen Leistungsaustausch orientierten Vertragstypenordnung des Bürgerlichen Gesetzbuches auf eine langfristige intensive Kooperation angelegt sind. So könnte man sich vorstellen, daß sich die für ein Franchiseverhältnis grundlegenden Marktdaten, auf denen das Erfolgspotential des Vertriebssystems bislang beruhte, ändern (z.B. sinkende Absätze infolge des Auftretens neuer Konkurrenten oder veränderten Kundenverhaltens). 600 Fehlt es in diesem Fall an einer explizit vereinbarten Anpassungsregelung,601 die unter Umständen allerdings ihrerseits der (ergänzenden) Auslegung bedarf, so gestaltet sich der Anpassungsvorgang angesichts des nur bedingt Rückschlüsse zulassenden Vertragsinhalts und der meist nur vagen Vorgaben der gesetzlichen Vertragsordnung oftmals nicht einfach. Zu der Schwierigkeit, den richtigen Maßstab zu bestimmen, kommt hinzu, daß auch über das zur Lösung berufene rechtliche Instrumentarium keine Einigkeit besteht. In Konkurrenz zur ergänzenden Vertragsauslegung treten nämlich, soweit es um die

599 600 601

Vgl. oben III. 2. c) (2). Vgl. hierzu Martinek, Moderne Vertragstypen II, § 16 III, S. 132f. Hierzu bereits unter III. 2. c) (2) (d).

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

309

Anpassung des Vertrages an veränderte Umstände geht, die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage. (1) Eigenständiger

Anwendungsbereich

der

Geschäftsgrundlagenlehre?

Die herrschende Meinung billigt der Anpassung der Geschäftsgrundlage eine eigenständige Funktion neben der ergänzenden Vertragsauslegung zu. Beide stehen hiernach in einem Stufenverhältnis zueinander. Vorrangig sei der veränderten Situation auf der Ebene des Vertrags durch ergänzende Auslegung Rechnung zu tragen. Denn was nach dem Vertragstext Vertragsinhalt sei, könne nicht Geschäftsgrundlage sein. Biete hingegen der Regelungsplan keine tragfähige Grundlage für eine Ergänzung oder existiere ein solcher in diesem Punkt nicht, kämen die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage zum Zuge. Durch sie werde ein Regelungsplan zur Vermeidung grober Unbilligkeiten neu geschaffen. Die Lehre von der Geschäftsgrundlage behauptet damit in den Augen vieler gerade auf dem Felde der nicht kodifizierten Verträge einen originären Wirkungskreis. Stellvertretend hierfür stehen die Ausführungen Martineks zur Möglichkeit der Anpassung von Subordinations-Franchiseverträgen an veränderte Umstände.603 In diesem Zusammenhang führt Martinek aus, die Lehre von der Geschäftsgrundlage behalte bei Dauerschuldverhältnissen durchaus eine eigenständige Bedeutung, soweit sie zu einer Vertragsanpassung und -Umwandlung aufgrund veränderter Umstände führen könne. Gerade weil Eingriffe in den Vertrag auf das unumgänglich notwendige Maß beschränkt werden müßten, sollte im Einzelfall die Berufung auf einen Wegfall oder eine Veränderung der Geschäftsgrundlage zugelassen werden, wenn eine Partei nur die Anpassung an veränderte Umstände anstrebe. Dabei gehörten zur Geschäftsgrundlage alle nach den erkennbar gewordenen Vorstellungen der Beteiligten für den Vertragsschluß wesentlichen Umstände, die zwar nicht in den Vertragsinhalt Eingang gefunden hätten, aber über das bloße Motiv zum Abschluß des Franchisevertrages hinausgingen. Beurteilungsmaßstab sei hierbei, ob sich die jeweils andere Partei redlicherweise darauf hätte einlassen müssen, den betreffenden Umstand als Bedingung in den Vertrag aufzunehmen. 602

Die Lektüre dieser Passage, aber auch das Studium mancher höchstrichterlicher Entscheidung, deutet darauf hin, daß die Geschäftsgrundlagenlehre in Theorie und Praxis gerade im Umkreis der Anpassung langfristiger Vertragsko602 Mit im einzelnen unterschiedlicher Nuancierung: Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §33 Rdnr.32 und 37; Larenz, Schuldrecht I, §22 I, S.331Í.; Köhler, Allgemeiner Teil, §16 Rdnr.21; MünchKomm-Zi. Roth, §157 BGB Rdnr.9f. und §242 BGB Rdnr.571ff.; Erman-Hefermehl, § 157 B G B Rdnr. 16; Palandt-Heinrichs, §242 BGB Rdnr. 116; Jauernig-Vollkommer, §242 BGB Rdnr. 72. Aus der Rechtsprechung: BGH WM 1969,1237 (1239f.); NJW1981,2241 (2242); 1982, 2236 (2237); 1983, 2034 (2036); 1984, 1177 (1178); NJW-RR 1990, 601 (602); ZIP 1991, 1599 (1600). 603 Martinek, Moderne Vertragstypen II, § 16 III, S. 132.

310

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Operationen an veränderte Umstände eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Dieser Befund ist unter mehrerlei Vorzeichen kritisch zu würdigen. Vorauszuschicken sind zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen betreffend das Verhältnis der ergänzenden Vertragsauslegung zur Geschäftsgrundlagenlehre. Beide Institute - hierüber wird man nicht streiten können - dienen dazu, Lücken der vertraglichen Risikozuordnung auszufüllen. Zu solchen Lücken kommt es - wie Flume es ausdrückt - 6 0 4 wenn eine Divergenz zwischen Rechtsgeschäft und Wirklichkeit auftritt und der Vertrag keine unmittelbare Regelung darüber enthält, wer das Risiko der Wirklichkeit im konkreten Fall zu tragen hat. Der charakteristische Unterschied wird von der herrschenden Meinung demgemäß auch weniger in der an beide Insitute herangetragenen Aufgabenstellung als in der Art der Rechtsfolgenbestimmung gesehen. Die Schließung der Vertragslücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung orientiere sich am hypothetischen Parteiwillen, während die Geschäftsgrundlagenlehre danach frage, was redlich denkende Parteien verständigerweise vereinbart hätten. Mitunter wird einer Lösung über die Grundsätze der Geschäftsgrundlage auch eine weitere Gestaltungskompetenz zuerkannt als der ergänzenden Vertragsauslegung, dürfe die Auslegung doch den Vertrag weder korrigieren noch den Vertragsgegenstand erweitern. Letzteres ist freilich nur cum grano salis zu verstehen.605 Die Rechtsprechung606 hat diese Grenzen nicht zum Dogma erhoben und sich - wenn die Umstände des Falles dafür sprachen - auch über sie hinweggesetzt. Eine prinzipielle Verschiedenheit wird man hieraus folglich nicht ableiten können.607 Allgemein erhärtet sich der Eindruck, daß sich beide Rechtsinstitute nur in der Tendenz, also graduell unterscheiden, und zwar insofern, als die ergänzende Vertragsauslegung eher die Rückkoppelung an den Parteiwillen sucht, während die Lehre von der Geschäftsgrundlage sich eher eines normativen Maßstabs bedient.608 Die Übergänge sind fließend609 und selbst diese grobe Tendenzbeschreibung ist nicht sicher. Denn nicht wenige Autoren wollen die Rechtsfolgen einer Grundlagenstörung im Wege der Vertragsauslegung bestimmen. So spricht sich etwa Fikentscher dafür aus, die gebotene Anpassung am vertraglichen Risikorahmen auszurichten. „Aus der Art und Weise, wie die Risiken im Vertrag gesetzestypisch, verkehrstypisch oder einzelvertraglich angeordnet und verteilt sind", so Fikentscher, „läßt sich auf die Verteilung im Grundlagenbereich schließen."610 In dieselbe Richtung strebt Larenz, wenn er 604 Flume, Rechtsgeschäft, §26, 3, S. 497ff.; ders., in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. 1, S.207ff. 605 Flume, Rechtsgeschäft, § 16, 4, S.327; zust. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §28 Rdnr. 116, MünchKomm-Ä Roth, §242 BGB Rdnr.39 und Chr. Müller, JZ 1981, 337. 606 Man denke insoweit lediglich an den berühmten Praxistausch-Fall (BGHZ 16, 71 ff.). 607 Gegen Littbarski,]Z 1981, ll;wiehierMc£&cA,BB 1980,949ff.; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §33 Rdnr. 33. 608 Nicklisch, BB 1980, 949, 952. 609 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §33 Rdnr. 33; MünchKomm-H. Roth, §242 BGB Rdnr. 572; Palandt-Heinrichs, §242 BGB Rdnr. 116; Köhler, JA 1979, 504. 610 Fikentscher, Geschäftsgrundlage als Frage des Vertragsrisikos, S. 46.

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

311

schreibt, die Rechtsfolgen des Wegfalls der objektiven Geschäftsgrundlage seien in erster Linie dem Sinn und Zweck des konkreten Vertrags zu entnehmen.611 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß im Schrifttum offen über eine Neubestimmung der methodischen Vorgehensweise bei der Zuweisung vertraglicher Risikolücken nachgedacht wird. Eine prominent vertretene Meinung negiert sogar weitgehend die Existenzberechtigung der Geschäftsgrundlagenlehre612 und meint nahezu alle Fälle durch ergänzende Auslegung des jeweiligen Vertrages lösen zu können.613 Nicht nur sei eine klare Grenzziehung zur ergänzenden Vertragsauslegung nicht möglich. Vielmehr versage die Geschäftsgrundlagenlehre gerade bei der für sie entscheidenden Frage der Abgrenzung des rechtlich erheblichen Vertragszwecks von der unbeachtlichen Motivationsebene.614 Einen anderen Schluß zieht Nicklisch aus der auch von ihm diagnostizierten weitgehenden Strukturgleichheit beider Instrumente. Er plädiert für ein einheitliches Rechtsinstitut der Lückenausfüllung.615 Eine Auseinandersetzung mit dieser Fundamentalkritik würde den Rahmen und die Zielsetzung dieser Untersuchung sprengen. (2) Leistungsfähigkeit

der ergänzenden

Vertragsauslegung

Wohl aber erscheint es im Lichte der Kritik überlegenswert, die Möglichkeiten der (ergänzenden) Vertragsauslegung stärker zu akzentuieren. Das Ziel muß es sein, dem Vertragsprinzip und damit auch der privatautonomen Selbstbestimmung durch Berücksichtigung des Parteiwillens so weit irgend möglich Geltung zu verschaffen.616 In dem Maße, in dem dies gelingt, verringert sich das potentielle Einsatzfeld der Grundsätze über die Geschäftsgrundlage. Wichtig ist zunächst zu erkennen, daß der Vertrag auch Risiken zuzuteilen vermag, die von einer Partei oder sogar von beiden Parteien nicht vorausgesehen worden sind.617 Allein aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Abrede darf nämlich mitnichten schon geschlossen werden, der Vertrag gebe keinen Aufschluß über die Zuweisung eines bestimmten Risikos. Schweigt der Vertrag vorLarenz, Schuldrecht I, §21 II, S.329. Flume, Rechtsgeschäft, §26, 3, S.497ff.; den., in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. 1, S.207ff.; E. Wolf, Allgemeiner Teil, S. 495ff.; Rothoeft, AcP 170 (1970), S.230ff.; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 108ff.; Koller, Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverhältnissen; Beuthien, Zweckerreichung und Zweckstörung im Schuldverhältnis. 613 So insbesondere Brox, Einschränkung der Irrtumsanfechtung, S. 181 ff.; ders., JZ 1966, 766f.; Littbarski, JZ 1981, 13f.; diesem Ansatz nahestehend auch Medicus, in: FS für Flume, S.629ff. 614 So zuletzt Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 732. 615 Nicklisch, BB 1980,949ff.; kritisch zu dieser These mit jeweils unterschiedlicher Stoßrichtung Littbarski, JZ 1981, 8ff. und Larenz, in: 25 Jahre Karlsruher Forum, S. 159ff.; parteiergreifend für Nicklisch hingegen wiederum Chr. Müller, JZ 1981, 337f. 616 Brox, Einschränkung der Irrtumsanfechtung, S. 181 ff. (insbes. 185); ders., JZ 1966, 766f.; Medicus, in: FS für Flume, S. 637; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil, § 38 Rdnr. 54. 617 Medicus, in: FS für Flume, S.630f. 611 612

312

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

dergründig, ist das gesamte zivilistische Auslegungsinstrumentarium unter Einschluß der ergänzenden Auslegung zu mobilisieren, um zu ergründen, ob nicht eine bestimmte Risikoverteilung durch den vertraglichen Regelungsplan vorgezeichnet ist. 618 Gerade die ergänzende Vertragsauslegung bietet oftmals ungenutzt bleibende Chancen. 619 Bezogen auf die vorliegende Thematik gilt es also zu eruieren, wie die Parteien die Risiken verteilt hätten, wenn ihnen die Möglichkeit einer planwidrigen oder unvorhergesehenen Entwicklung bei Vertragsschluß bewußt gewesen wäre. Die vertraglichen Wertungszusammenhänge sind zu erschließen aus den objektiv erkennbaren und von beiden konsentierten Vertragszwecken. 620 Das faktisch-voluntative Element der ergänzenden Auslegung muß gegebenenfalls durch normative Erwägungen angereichert werden. Auf diese Weise fließen auch die Maßstäbe der Redlichkeit und der ökonomischen Rationalität in das Verfahren der lückenschließenden Risikozuweisung ein. 621 Gerade ökonomisch fundierte Verteilungskriterien, wie z.B. das Kriterium der leichteren Versicherbarkeit, können einen wertvollen Beitrag zu einer rational nachvollziehbaren Zuweisung von Zukunftsrisiken leisten. Auch der Preisgestaltung können mitunter Hinweise auf die im Regelungsplan liegende Verteilung bestimmter Risiken entnommen werden. Während Preisaufschläge für die Übernahme des Risikos durch den Geldleistungsgläubiger sprechen, weist ein Preisabschlag auf eine entsprechende Belastung des Abnehmers hin. 622 Auf dieser Basis wird man beispielsweise zu einer eindeutigen Zuordnung des die weitere Durchführung eines Automatenaufstellungsvertrages tangierenden Risikos des Verlusts der Aufstellfläche gelangen können. Zu dieser Konstellation kommt es, wenn der Gastwirt, der sein Geschäft in gepachteten Räumen betreibt, eine Kündigung des Gaststättennutzungsvertrages hinnehmen und im Gefolge dieser Kündigung die Räumlichkeiten verlassen muß. In der Praxis wird dieser Situation mitunter bereits durch eine besondere vertragliche Abrede Rechnung getragen. 623 Wo eine solche Klausel fehlt, stellt sich die Frage, ob sich der Gastwirt seinen Verpflichtungen aus dem Automatenaufstellungsvertrag dadurch entziehen kann, daß er sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage und ein hieraus resultierendes außerordentliches Kündigungsrecht beruft. Dies wird man im Regelfall nicht annehmen können, da der Bestand des über die Gaststätte geschlossenen Nutzungsverhältnisses in den Risikobereich des Gastwirts fällt. Dies folgt im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung daraus, daß der Gastwirt beim Abschluß des Automatenaufstellungsvertrages die DauInstruktiv hierzu Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, S.317ff. Skeptisch jedoch Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung bei Geschäftsgrundlagenstörungen in Schuldverträgen, S. 31 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 620 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 98. 621 MünchKomm-//. Roth, §242 B G B Rdnr.572; Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 121 ff. 622 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 125ff. 623 Beispielsweise, indem die Höchstdauer des Automatenaufstellungsvertrages am Bestand des Pachtvertrages zwischen dem Gastwirt und seinem Verpächter ausgerichtet wird (hierzu v. Olshausen/K. Schmidt, Automatenrecht, Rdnr. B 91). 618

619

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

313

er und Durchführbarkeit des Gaststättennutzungsvertrages ungleich zuverlässiger beurteilen kann als der Automatenaufsteller. Gegebenenfalls kann er sich bei seinem Verpächter vergewissern oder sich um zusätzliche rechtliche Sicherungen (z.B. nachträgliche Mindestbefristung mit der Folge des Ausschlusses der ordentlichen Kündbarkeit) bemühen. Aber auch während der Laufzeit des Automatenaufstellungsvertrages kommen die den Bestand des Nutzungsverhältnisses gefährdenden Umstände in aller Regel aus dem allein von dem Gastwirt zu beeinflussenden Gefahrenkreis (z.B. unterbliebene oder unpünktliche Pachtzinszahlungen). Grundsätzlich ist das Automatenaufstellungsverhältnis somit unabhängig vom Bestand des Gaststättenpachtverhältnisses. 624 Für den Gastwirt bedeutet dies im Ergebnis, daß er im Falle der unvorhergesehenen Beendigung des Pachtverhältnisses Sanktionen (Schadensersatz bzw. - falls vereinbart - Vertragsstrafe) seitens des Automatenaufstellers zu gewärtigen hat. Die ergänzende Vertragsauslegung ist nicht darauf beschränkt, den jeweiligen Vertrag aus sich heraus zu vervollständigen und sich dabei allein an den im Vertrag zum Ausdruck gelangten Wertungen zu orientieren. Insbesondere dort, wo diese noch keinen klaren Aufschluß geben, können unterstützend normative Gesichtspunkte in den Rechtsfindungsgang integriert werden. Für die Verteilung bestimmter Zukunftsrisiken lassen sich insbesondere dem dispositiven Vertragstypenrecht bisweilen wertvolle Hinweise entnehmen. 625 Freilich muß stets sehr genau geprüft werden, ob die gesetzgeberische Wertung mit der spezifischen Regelungsstruktur eines Vertragstyps untrennbar verknüpft ist oder ob sie eine zumindest begrenzt verallgemeinerungsfähige Aussage für bestimmte, auch außerhalb des gesetzlichen Typus auftretende Problemlagen enthält. Wie man sich die Einbeziehung der Wertungen des dispositiven Gesetzesrechts vorzustellen hat, läßt sich exemplarisch anhand einer Transfer-Vereinbarung demonstrieren. Eine solche insbesondere im professionellen Fußball- und Eishokkeygeschäft immer noch übliche Abrede zweier Vereine über den ablösepflichtigen Wechsel eines Spielers wird man als gesetzesfremden Vertrag eigener Art qualifizieren müssen. 626 Die eventuell begrenzte Wirksamkeit solcher Vereinbarungen im Hinblick auf die Berufsfreiheit des Spielers 627 und sein Recht auf 624 Wie hier im Ergebnis v. Olshausen/K. Schmidt, Automatenrecht, Rdnr. B 98. Ebenso hat der Bundesgerichtshof übrigens für einen Bierlieferungsvertrag entschieden; vgl. B G H NJW 1985,2693 (2694). 625 Deutlich Wieling, Jura 1985, 510, der Rückschlüsse aus dem dispositiven Recht ebenfalls im Rahmen der Auslegung zur Geltung bringen will; ebenso Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 106. Die Ergiebigkeit der Normierungen der gesetzlichen Schuldvertragstypen rückt Flume (Rechtsgeschäft, § 26,5, S. 507ff.) sehr stark in den Vordergrund; deutlich zurückhaltender demgegenüber Brox, JZ 1966, 766. 626 Str.; wie hier Palandt-Putzo, Einf. v. §433 BGB Rdnr. 20; Überblick über die Qualifizierungsvorschläge im Schrifttum bei Wertenbruch, NJW 1993, 181 f. Nähere Vorgaben enthielten zumindest in der Vergangenheit die statuarischen Regeln der zuständigen Sportverbände. Der Deutsche Fußballbund hat sich 1996 zu einer Neuregelung des Transferentschädigungssystems entschlossen (näheres hierzu bei Arens/Scheffer, AR-Blattei SD 1480.2 Rdnr. 310f.) 627 Hierzu BAG NZA 1997, 647. In diesem Urteil wird eine Satzungsregelung des Deutschen

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§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Freizügigkeit (Art. 39 EG) 6 2 8 sollen an dieser Stelle nicht weiter problematisiert werden. Im Blickpunkt der Überlegungen sollen vielmehr die intrikaten Schwierigkeiten der mangelnden Einsetzbarkeit des Spielers nach erfolgtem Wechsel stehen. Diese kann auf den unterschiedlichsten Gründen beruhen (Verletzung, Sperre etc.). Im allgemeinen scheinen hierüber keine speziellen Abreden getroffen zu werden. Fraglich ist, ob sich der Transfervertrag in der Weise ergänzen läßt, daß der übernehmende Verein berechtigt ist, die gezahlte Ablösesumme zurückzuverlangen. Hier wird man nach der Art des Hinderungsgrundes zu differenzieren haben. Betrachten wir zunächst das Risiko, daß der übernommene Spieler sportlich nicht den in ihn gesetzten Erwartungen entspricht. Für den Regelungsplan der Parteien kommt dem mit der Transferentschädigung verfolgten Zweck gesteigerte Bedeutung zu. Die Transferentschädigung - in der Fußballbundesliga jedenfalls in der bis 1997 praktizierten Form - zielt darauf, dem abgebenden Verein auf Kosten des begünstigten neuen Vereins einen Ausgleich für den sportlichen und wirtschaftlichen Verlust zu verschaffen und auf diese Weise zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit aller Vereine beizutragen. Die Transferentschädigung hat damit in den Vorstellungen der Parteien ihren inneren Grund in der zu kompensierenden Einbuße beim abgebenden Verein. Von einer ausgleichsbedürftigen Einbuße muß auch dann ausgegangen werden, wenn sich das Risiko mangelnder Leistungsfähigkeit erst nach vollzogenem Wechsel realisiert, der Spieler sich beispielsweise verletzt oder eine bereits angelegte Verletzung nunmehr zufällig zutage tritt. Diese erste Bewertung des durch die wirtschaftlichen Gegebenheiten geprägten Regelungsplans wird bestätigt durch einen Rekurs auf die dem gesetzlichen Kaufvertragsrecht zugrunde liegenden allgemeinen Wertungen. Zwar kann der Transfervertrag richtiger Ansicht nach nicht als Kaufvertrag eingestuft werden; 629 die Bezeichnung als „Spielerkauf" 630 ist lediglich als umgangssprachliche Benennung dieses Vorgangs zu verstehen. Gleichwohl ist eine gewisse Parallele zu einem entgeltlichen Erwerbsgeschäft nach Art eines Kaufvertrages nicht von der Hand zu weisen. Der aufnehmende Verein siEishockey Bundes insoweit für nach § 138 BGB i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG nichtig erklärt, als danach der abgebende Verein eine Entschädigung auch dann noch verlangen kann, wenn das Arbeitsverhältnis bei ihm bereits sein Ende gefunden hat. Zuvor schon BAG NZA 1990, 392 und LAG Berlin NJW 1979,2582. Neuestens auch B G H NJW 1999,3552 (Vorinstanz: O L G Oldenburg NJW-RR 1999, 422) zur Ausbildungsentschädigung bei Fußballvertragsamateuren sowie BGH NJW 2000, 1028 zur Aus- und Weiterbildungsentschädigung bei der Verpflichtung eines Amateur-Eishockeyspielers. 628 Hierzu EuGH NJW 1996, 505 - Bosman; näher dazu u.a. Hilf/Pach, NJW 1996, 1169. 629 MünchKomm-Westermann, §433 BGB Rdnr.20; Staudinger-Köhler, §433 BGB Rdnr.53; Soergel-Huber, §445 BGB Rdnr. 4; für kaufvertragliche Einordnung jedoch Westerkamp, Ablöseentschädigungen im bezahlten Sport, S. 69ff.; Knauth, Die Rechtsformverfehlung bei eingetragenen Vereinen mit wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb, S. 171; Becker, Verfassungsrechtliche Schranken für die Regelung des Lizenzfußballsports in der Bundesrepublik Deutschland, S. 123 ff. 630 Laut Tatbestand des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 15.11. 1989 (EzA §611 BGB Berufssport Nr. 7) war der streitgegenständliche Vertrag mit „Kauf-Leihvertrag" überschrieben.

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Rechtsfindung

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chert sich vertraglich die Möglichkeit des Einsatzes eines neuen Spielers und verspricht dem Verein, der sich dieser Möglichkeit für die Zukunft begibt, die Zahlung einer Ausgleichssumme. Von daher liegt es nahe, den in §§459ff. B G B zum Ausdruck kommenden Grundgedanken des Kaufrechts, daß grundsätzlich der Erwerber das Risiko der Verwendbarkeit der Kaufsache zu tragen hat, 631 auch hier gelten zu lassen. Denn die geplante Verwendung liegt nicht in der Sphäre des Veräußerers, sondern des Erwerbers. Will der Erwerber seine Pläne absichern, so muß er seine Verwendungsabsichten offenlegen und gegebenenfalls zum Gegenstand einer vertraglichen Zusicherung machen. Diese Wertung trifft auch im Hinblick auf die Transferentschädigung zu. Oft ist nämlich nicht exakt feststellbar, ob der Nichteinsatz in der Mannschaft auf eine Verletzung oder auf mangelnde sportliche Leistung oder sonstige Hinderungsgründe (z.B. Verdrängung durch einen besseren Spieler) zurückzuführen ist. 632 War der Spieler mithin bei Abschluß des Vertrages grundsätzlich einsetzbar - dies ist nur ausnahmsweise dann nicht der Fall, wenn er bereits zu diesem Zeitpunkt als Sportinvalide einzustufen war - so trägt das Risiko der weiteren Verwendbarkeit der aufnehmende Verein. 633 Die vertragliche Risikozuweisung, ergänzt durch normative Anleihen im gesetzlichen Vertragstypenrecht, steht einem RückZahlungsanspruch entgegen. Anders liegt der Fall womöglich, wenn der Spieler nach seinem Wechsel mit einer langjährigen Sperre wegen eines Vorkommnisses belegt wird, das aus der Zeit bei seinem ehemaligen Verein herrührt. Hierzu verhält sich eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1975. 634 Damals ging es um einen Lizenzfußballspieler, der gegen eine Ablösesumme von 40.000,- D M zu einem neuen Verein gewechselt war. Dort konnte er aber nicht eingesetzt werden, da nach dem Transfer seine Verwicklung in den sog. Bundesligabestechungsskandal aufgedeckt und ihm vom Deutschen Fußballbund die Spielberechtigung entzogen worden war. Der Bundesgerichtshof bejahte damals einen Anspruch auf Rückzahlung der Ablöseentschädigung wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage des Transfervertrages. Im Ergebnis wird man dieser Entscheidung zustimmen können; 635 nicht hingegen in der gewählten rechtlichen Begründung. Vorrangig zu prüfen ist auch hier, ob nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung eine im Vertrag angelegte und zusätzlich durch normative Wertungen zu befestigende Risikozuweisung ermittelt werden kann. Geht man ein weiteres Mal auf den mit der Vereinbarung einer Transferentschädigung von den Parteien in-

631 Flume, Rechtsgeschäft, § 26, 5, S. 510; Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 165b; Willoweit, JuS 1988, 833; Palandt-Heinrichs, §242 BGB Rdnr. 145; BGH LM §242 [Bb] BGB Nr.83; NJW 1970, 1313; 1979, 1819. 632 Wertenbruch, NJW 1993, 183. 633 Wie hier Wertenbruch; NJW 1993, 183. 634 BGH NJW 1976, 565; zu einem „geplatzten" Spielerwechsel, vertraglich umrahmt durch einen Sponsoring-Vertrag, vgl. noch die Entscheidung OLG München NJW-RR 1995,1394 mit Anmerkung Lüke, JuS 1996, lOff. 635 Auch im Ergebnis ablehnend hingegen Dörner, JuS 1977, 227f.

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§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

tendierten Zweck zurück, so fällt die Beurteilung für diese Sachverhaltskonstellation anders aus. Der Spieler hatte infolge seiner Verwicklung in den Bestechungsskandal auch für den alten Verein seinen Wert verloren. Weitere sportliche und wirtschaftliche Vorteile wären rückblickend für den alten Verein von diesem Spieler nicht mehr zu erwarten gewesen. Die Analyse der wirtschaftlichen Hintergründe des Vertrages spricht hier dafür, dem übernehmenden Verein nicht mit dem „allgemeinen Bestechungsrisiko", das aus der Sphäre des abgebenden Vereins stammt, zu belasten. Untermauert werden kann diese vorläufige Bewertung wiederum durch normative Gesichtspunkte. Den Sachmängelgewährleistungsvorschriften des Kaufrechts läßt sich nämlich ein weiterer Grundgedanke entnehmen, der wie folgt formuliert werden könnte: 636 Bekommt eine Partei eine Leistung, die sich im Hinblick auf den im Vertrag vorausgesetzten Einsatz als unbrauchbar erweist, so kann diese Partei ihre Gegenleistung zurückhalten bzw. zurückfordern. Das in den §§323, 459ff. BGB verankerte Äquivalenzprinzip wäre anderenfalls empfindlich gestört. Hier wollte der übernehmende Verein einen einsetzbaren Spieler erwerben. Da es hierzu nicht gekommen ist, müßte der Verein nach den Wertungen des dispositiven Gesetzesrechts seine Gegenleistung, die Transferentschädigung, zurückverlangen können. Von daher kann davon ausgegangen werden, daß die beteiligten Vereine, hätten sie an die Möglichkeit einer Sperre gedacht, eine Rücktrittsklausel vereinbart hätten. Auch hier hätte es des Umwegs über die Geschäftsgrundlagenlehre nicht bedurft; 637 es sei denn, man zieht die Grenzen der ergänzenden Vertragsauslegung sehr eng und schematisch. In der Gesamtschau lassen sich für das Verhältnis der ergänzenden Vertragsauslegung zu den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage folgende Aussagen treffen: In den weitaus meisten Fällen unzutreffender oder lükkenhafter Zukunftsannahmen lassen sich die Rechtsfolgen durch (ergänzende) Vertragsauslegung in Richtung auf den normativ-hypothetischen Parteiwillen bestimmen. Das „richtige Verständnis der vertraglichen Vereinbarung" 638 geht der Geschäftsgrundlagenlehre vor. 639 Erst dort, wo der vertragliche Regelungsplan keinerlei Anhaltspunkte mehr bietet und die Korrektur nur noch anhand von Billigkeitserwägungen erfolgen kann, endet der Anwendungsvorrang der ergänzenden Vertragsauslegung. 640 N i m m t man dieses klare Regel-Ausnahme636

Vgl. Wieling, Jura 1985, 510. Wie hier für Schließung der Lücke im Wege (ergänzender) normativer Auslegung Wieling, Jura 1985, 510. Dem Bundesgerichtshof zustimmend jedoch Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 165b. Noch anders Wertenbruch, N J W 1993,182ff., der die Lösung im Bereicherungsrecht sucht. 638 So die Formulierung von Flume, Rechtsgeschäft, §26, 5, S. 517. 639 Sehr deutlich für das Primat der ergänzenden Vertragsauslegung auch Eisenhardt, Allgemeiner Teil, Rdnr.364, Emmerich, Leistungsstörungen, §27 III 1, S.317f. und Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S.95. 640 So die zutreffende Konzeption von Medicus, in: FS für Flume, S. 636ff.; zustimmend auch M ü n c h K o m m - M a y e r - M a l y , § 157 BGB Rdnr. 33; ähnlich auch Köhler, JA 1979, 504. Für die ergänzende Vertragsauslegung wird man es dabei schon für ausreichend erachten müssen, daß vor637

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

317

Schema ernst, so dürfte die Zahl der verbleibenden Fälle ausgesprochen gering sein.641 Die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage kann sich mithin neben der vertragsrechtlichen Bewältigung von „Änderungen der Sozialexistenz", 642 also der „großen Geschäftsgrundlage", 643 auf diese Ausnahmefälle jenseits der anerkannten Auslegungsregeln konzentrieren. Das ihr allgemein beigemessene Gewicht muß vor diesem Hintergrund jedoch deutlich relativiert werden. 644

2. Richterliche

Vertragsrechtsfortbildung

Die ergänzende Vertragsauslegung markiert - wie gesehen - den Ubergang von der autonomen, aus dem vertraglich Vereinbarten schöpfenden, zur deduktiv-normgeleiteten Rechtsfindung. Endgültig vollzogen ist dieser Ubergang, wenn die Inhaltsbestimmung auf von der Rechtsprechung in Fortentwicklung des Vertragsrechts aufgestellte Grundsätze gestützt wird. Richterliche Rechtsfortbildung ist die insbesondere der Rechtsprechung 645 übertragene Aufgabe (§ 137 G V G ) , in Fällen schwacher oder gar fehlender gesetzlicher Determination gleichwohl zu einer rechtlich begründeten Entscheidung zu gelangen. 646 Diese ist dann nicht mehr allein an der immanenten Teleologie des Gesetzes orientiert, sondern schöpft darüber hinaus aus allgemeineren Rechtsprinzipien und der Systematik der Gesamtrechtsordnung. Hierzu zählen insbesondere die analoge Anwendung von Rechtsnormen, die teleologische Reduktion, die Ergänzung des geschriebenen Rechts bei Regelungslücken und - höchst ausnahmsweise - auch die Fortbildung des Rechts contra legem. Aufgrund ihrer Zielrichtung, die nach dem soeben Gesagten in der Gewinnung von normativ begründeten Aussagen trotz eines weitgehenden Ausfalls des gesetzlichen Ordhandene Willenselemente durch normative Erwägungen ergänzt werden (wie hier Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 100). 641 Eisenhardt, Allgemeiner Teil, Rdnr. 364 spricht von „Grenzfällen" und Emmerich, (Leistungsstörungen, §27 II 3, S.317) von einem „letzten Ausweg". 642 Für diese Fälle akzeptiert auch Flume (Rechtsgeschäft, §26, 6, S.523ff.) eine richterliche Billigkeitsentscheidung als ultima ratio. 643 Kegel, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1953), Bd. I, S. 199ff. 644 Ebenso Medicus, in: FS für Flume, S. 645. 645 Dort ist sie allerdings nicht monopolisiert. Rechtsberatung muß sie mit einbeziehen und auch die Verwaltung kann sich nicht etwa auf den Standpunkt zurückziehen, eine Entscheidung könne nicht ergehen, da das Gesetz keine Regelung für diesen Fall vorsehe. Ahnlich K. Schmidt, Handelsrecht, §1 III, S.21f. Zur Einflußnahme der Rechtswissenschaft auf die Rechtsbildung vgl. im übrigen Coing, in: Verhandlungen des 43. Deutschen Juristentages (1962), Bd. II, S. B 5, Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, §43 II, S. 276f., Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 475 und Eisenhardt, Allgemeiner Teil, Rdnr. 52. 646 Vielfach wird zwischen gesetzesimmanenter und gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung unterschieden (z.B. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 4 Rdnr. 68). Die Differenz ist jedoch nur gradueller Natur. Stets geht es um die Konkretisierung eines ausfüllungsbedürftigen Maßstabes. Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur richterlichen Rechtsfortbildung und ihren Grenzen: BVerfGE 34,269 (Soraya); 49,304 (Haftung des Sachverständigen); 63, 182 (Sozialplan).

318

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

n u n g s r a h m e n s liegt, k o m m t die richterliche R e c h t s f o r t b i l d u n g a u c h in das B l i c k f e l d dieser U n t e r s u c h u n g . I m S c h r i f t t u m w i r d die B e d e u t u n g dieser r i c h t e r r e c h t l i c h e n t w i c k e l t e n R e c h t s r e g e l n gerade f ü r die gesetzlich n i c h t geregelten Verträge häufig b e s o n d e r s h e r v o r g e h o b e n o d e r ihre A n w e n d u n g als selbstverständlich v o r a u s g e s e t z t . 6 4 7 B e i n ä h e r e m Z u s e h e n sieht m a n sich allerdings m i t g r u n d s ä t z l i c h e n r e c h t s t h e o r e t i s c h e n F r a g e s t e l l u n g e n u n d diffizilen A b g r e n zungsschwierigkeiten konfrontiert.

a) Einordnung der in richterlicher Rechtsfortbildung Rechtssätze

geschaffenen

D i e F r a g e n a c h d e m r e c h t s q u e l l e n t h e o r e t i s c h e n S t e l l e n w e r t des in richterlic h e r R e c h t s f o r t b i l d u n g g e s c h a f f e n e n R e c h t s ist seit l a n g e m äußerst u m s t r i t t e n . 6 4 8 D i e eigene r e c h t s t h e o r e t i s c h e P o s i t i o n i e r u n g soll i m f o l g e n d e n n u r s k i z ziert w e r d e n . Z u n ä c h s t z u einigen E c k p u n k t e n , die w e i t g e h e n d a u ß e r Streit steh e n : G e r i c h t l i c h e U r t e i l e sind, w e n n sie in R e c h t s k r a f t e r w a c h s e n , z u n ä c h s t ei647 Sandrock, Ergänzende Vertragsauslegung, S. 52 („anerkanntermaßen"); Trinkner, Anm. BB 1983, 1875f.; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/1, §11 IV, S.207: „Gibt es diesbezüglich richterrechtliche Grundsätze - etwa zu nicht im BGB vertypten Vertragsgestaltungen wie Leasing oder Factoring - , so sind natürlich diese heranzuziehen." Ferner der mit „Der Finanzierungsleasingvertrag — ein Beispiel richterlicher Rechtsfortbildung im Schuldrecht" überschriebene Beitrag von Brunotte, DRiZ 1990, 396ff. 648 Ossenbühl (in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rdnr. 77) spricht von einem „existenziellen Problem der Rechtswissenschaft". Aus dem überbordenden Schrifttum haben sich gegen eine gesetzliche Bindungswirkung höchstrichterlicher Präjudizien ausgesprochen: Larenz, Methodenlehre, S. 429ff.; ders., in: FS für Schima, S. 247ff.; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §3 Rdnr. 36; Flume, Gewohnheitsrecht und Römisches Recht, in: Gesammelte Schriften I, S. 54ff.; ders., Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages (1967), Bd. II, Teil K, S. 25; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, § 42 I 1, S. 274f.; Eisenhardt, Allgemeiner Teil, Rdnr. 52; K. Schmidt, Handelsrecht, § 1 III, S.22; Köhler, J R 1984, 45ff.; Picker, JZ 1988, 72ff. Für bindende Wirkung von Präjudizien Kruse, Das Richterrecht als Rechtsquelle des innerstaatlichen Rechts, passim; Fikentscher, Methoden des Rechts IV, S. 241 ff. (freilich eingebunden in seine Theorie von der Fallnorm und unter Zugrundelegung eines vom üblichen abweichenden, nämlich abgeschwächten Bindungsverständnisses). Rüthers (Unbegrenzte Auslegung, S. 471 ff., ders., Rechtstheorie, Rdnr.235ff.) betont die normsetzende Funktion der Gerichte. Eigengeartete Konzepte vertreten Esser, Grundsatz und Norm, S. 287 (Richterliche Interpretation als „Verbindung von lex scripta und ius non scriptum..., die die eigentliche positive Norm erst schafft."; zustimmend Meyer-Cording, Rechtsnormen, S.69f.); Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S.243ff. („praesumtive Bindung"; zustimmend Ossenbühl, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rdnr. 83); Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 179 („Rechtsquelle eigener Art") und Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 501 („subsidiäre Rechtsquelle"). Das schweizerische Schrifttum tendiert zur Anerkennung des Richterrechts als rangmindere Rechtsquelle: vgl. insbesondere Eugen Huber, Recht und Rechtsverwirklichung, S.445; Germann, Präjudizien als Rechtsquelle; ders., Durch die Judikatur erzeugte Rechtsnormen; ders., Probleme und Methoden der Rechtsfindung. Interessant ist die rechtstheoretische Festlegung des österreichischen ABGB in § 12: „Die in... Rechtsstreitigkeiten gefällten Urteile haben nie die Kraft eines Gesetzes, sie können auf andere Fälle oder auf andere Personen nicht ausgedehnt werden." Ahnlich Art. 5 Code Civil: „II est défendu aux juges de prononcer par voie de disposition générale et réglementaire sur les causes qui leur sont soumises."

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

319

ne „individuelle Rechtsquelle" für die an dem konkreten Verfahren beteiligten Parteien. 649 Für ihren Fall wird durch gerichtliche Entscheidung verbindlich festgestellt, was rechtens ist. Eine Bindung an die rechtliche Beurteilung statuiert ferner § 565 Abs. 2 Z P O für das Berufungsgericht bei Zurückverweisung einer Sache durch das Revisionsgericht. Unbestreitbar ist schließlich, daß die in höchstrichterlichen Urteilen anhand eines Einzelfalles aufgestellten Entscheidungsmaximen auch für künftige ähnlich gelagerte Fälle von Bedeutung sind. 650 Von den Instanzgerichten, aber auch von den Rechtsunterworfenen, pflegen sie beachtet zu werden, schon um sich des Risikos der späteren Aufhebung bzw. eines Prozeßverlustes nicht auszusetzen. Die durchaus abstrakt-generell formulierten Rechtssätze der Rechtsprechung entfalten damit eine Wirkung, die sich de facto von derjenigen gesetzlicher Normen nicht unterscheidet. 651 Dies zeigt sich schon daran, daß die Ergebnisse der Rechtsprechung mitunter vom Gesetzgeber nahezu unverändert übernommen werden. 652 Fraglich ist indes, ob richterlichen Fortbildungen des Gesetzesrechts auch eine formale, normative Bindungswirkung zukommt. Die Rechtsprechung wäre damit in den Rang einer Rechtsquelle erhoben. 653 Gegen ein solches normtheoretisches Verständnis bestehen jedoch gravierende Bedenken, die m.E. ein Festhalten an der tradierten Rechtsquellenkonzeption vorzugswürdig erscheinen lassen. Sie ergeben sich bereits aus der verfassungsrechtlich vorgegebenen Funktionsverteilung, welche die Aufgabe der Normsetzung der demokratisch unmittelbar legitimierten Legislative zuweist. 654 Der rechtsprechenden Gewalt ist demgegenüber die normgeleitete Erkenntnis des geltenden Rechts aufgegeben, was nicht nur die unmittelbare Anwendung gesetzlicher Vorschriften umfaßt, sondern auch zu normausfüllenden oder -ergänzenden Richtersprüchen berechtigt, die sich aus übergeordneten normativen Begründungszusammenhängen ableiten lassen. 655 Die allein maßgebliche Bindungswirkung geht dabei von den gesetzlichen Vorschriften und das durch sie konstituierte normative Wertungssystem aus. Selbst wenn eine richterliche Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 175. Larenz, Methodenlehre, S. 429 und sich anschließend Eisenhardt, Allgemeiner Teil, Rdnr. 51 sprechen von „Mustern für künftige Entscheidungen". Vgl. ferner Larenz, in: FS für Schima, S.247, 249 und Olzen, JZ 1985, 157. 651 Eidenmüller, JZ 1999, 58. Larenz, Methodenlehre, S.431 (ebenso Eisenhardt, Allgemeiner Teil, Rdnr. 52) kennzeichnet diesen faktischen Befund als „gesetzesgleiche Verbindlichkeit". Vgl. auch BVerfGE 26, 327 (337), wonach „die Aufstellung allgemeiner Rechtsgrundsätze in der Natur der Tätigkeit der höheren Gerichte" liegt. 652 Man denke in diesem Zusammenhang etwa an die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die in vielerlei Hinsicht Eingang in das 1977 erlassene AGB-Gesetz gefunden hat. 653 Hiergegen zuletzt Richardi, in: FS für Zöllner, S. 935ff. 654 Zu den verfassungsrechtlichen Pflichten und Schranken der Rechtsprechung im demokratischen Rechtsstaat H. P. Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht und Verfassungsrecht. 655 Im Kern zutreffend, wenngleich aus heutiger Sicht zu eng, der klassische Ausspruch Montesquieus (De l'esprit des lois, Buch XI, Kap. 6, S. 136) vom Richter als „la bouche qui prononce les paroles de la loi". 649

650

320

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Rechtsfortbildung allseits als geglückt geheißen wird, die fallentscheidende Regel mithin überzeugend aus der Gesamtrechtsordnung begründet werden konnte, so bindet doch gleichwohl nicht die gerichtliche Entscheidung, sondern allein die richtig ausgelegte, konkretisierte oder ergänzte Norm. 6 5 6 Wollte man dies anders sehen, nähme man dem einzelnen Instanzrichter die Berechtigung, die Begründetheit einer höchstrichterlichen Rechtsfortbildung in eigener Verantwortung zu überprüfen. Zumindest tendenziell würde damit einem unserer Rechtsverfassung fremden „Rechtsprechungspositivismus" Vorschub geleistet. Die Erhebung richterlicher Erkenntnisakte in den Rang gesetzesgleicher Geltung mag zwar zu einer Versöhnung der Rechtstheorie mit der Rechtswirklichkeit beitragen; letztlich handelt es sich jedoch um ein äußerst problematisches, dem Gedanken einer der materialen Entscheidungsrichtigkeit verpflichteten Rechtsprechung entgegengesetztes, Rechtsverständnis. Eine andere Frage ist ob und unter welchen Voraussetzungen eine beständig praktizierte gesetzesfortbildende Spruchpraxis gewohnheitsrechtliche Geltung erlangt. Sie soll hier noch für einen kurzen Moment zurückgestellt werden, da zunächst das Verhältnis der richterlichen Rechtsfortbildung zur ergänzenden Vertragsauslegung näherer Betrachtung bedarf.

b) Das Verhältnis der richterlichen ergänzenden Vertragsauslegung

Vertragsrechtsfortbildung

zur

Insbesondere auf dem Gebiete der standardisierten Verträge erweist sich eine sachgerechte Abgrenzung dieser beiden methodischen Wege zur Ausfüllung eines Regelungsdefizits als ausgesprochen schwierig.

(1) Funktionales

Näheverhältnis

Der Grund hierfür dürfte darin zu sehen sein, daß die an beide Institute herangetragenen Aufgabenstellungen deutliche Berührungspunkte aufweisen und die Methode der Rechtsfindung und -ergänzung weitgehend - im Bereich standardisierter Verträge sogar vollkommen - identisch ist. Das hier entwickelte Gebot der objektiv-generalisierenden Methode weist der ergänzenden Auslegung im Bereich vorformulierter Standardverträge die Funktion zu, generelle Regeln für die Lösung vertraglich nicht geregelter Probleme aufzuzeigen, die sich typischerweise bei einem solchen Vertrag stellen. Auf der anderen Seite kennzeichnet die generalisierende, vom Einzelfall abstrahierende und um den Ausgleich eines immer wieder auftretenden Interessengegensatzes bemühte Methode die den Gerichten obliegende Aufgabe der Vertragsrechtsfortbildung. 656 Wie hier Raisch, ZHR 150 (1986), S. 137, der betont, daß Richterrecht nur ein Auslegungsergebnis sein kann, das auf die vorhandenen Normen, unter Umständen ihre Lücken, zurückführbar sein muß. Treffend die Charakterisierung der Rechtsprechung und ihrer Präjudizien als „Rechtserkenntnisquelle" durch Larenz, in: FS für Schima, S.262 (ihm beipflichtend Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 504).

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

321

Die Parallelen sind unverkennbar und werden im Schrifttum auch freimütig eingeräumt.657 Neumann hat hieraus die Schlußfolgerung gezogen, der Unterschied zwischen der ergänzenden Vertragsauslegung und der Fortbildung dispositiven (Richter-)Rechts sei jedenfalls im Bereich der gesetzlich nicht geregelten, jedoch verkehrstypischen Verträge nur noch rein terminologischer Art.658 Soweit wird man jedoch nicht gehen können. Denn ergänzende Vertragsauslegung und richterliche Rechtsfortbildung beziehen ihre Legitimation aus jeweils unterschiedlichen Quellen, was sich nach herkömmlicher Ansicht auch in den Anforderungen für die Begründung einer generellen Ersatzlösung widerspiegelt. Die Legitimationsgrundlage der ergänzenden Vertragsauslegung wird allgemein im Selbstbestimmungsrecht und der Erklärungsverantwortung der Parteien gesehen. Es geht um die konsequente Realisierung des privatautonom gesetzten Regelungsplans. Ist eine Schließung der Vertragslücke als durch den Regelungsplan der Parteien vorgezeichnet oder zumindest gedeckt erkannt, so bedarf nach allgemeiner Meinung die inter-partes-Verbindlichkeit dieser Lösung grundsätzlich keiner weiteren Begründung. Sie gilt als vom Bindungswillen der Parteien erfaßt, wird mithin dem privatautonomen Gestaltungsakt zugerechnet. Höheren Begründungsanforderungen unterliegt hingegen die richterliche Rechtsfortbildung.659 Da sie ihre Legitimation nicht aus einer privatautonomen Setzung bezieht, bedarf sie einer normativ abgesicherten, mit den Prinzipien der Zivilrechtsordnung im Einklang stehenden Rechtfertigung. Eingehend zu begründen sind vor allem die Notwendigkeit der Rechtsfortbildung, ihre Zielsetzung, ihr Verhältnis zu anderen Zielen und ihre Folgen.660 (2) Praxis und Theorie der

Abgrenzung

Weiterführende Beiträge zur Diskussion um die Abgrenzung der ergänzenden Vertragsauslegung von der richterlichen Fortbildung des Vertragsrechts 657 Ulmer/Brandner/Hensen-//. Schmidt, §6 AGBG Rdnr.31; Canaris, Feststellung von Lücken im Gesetz, S.54; ders., ZIP 1996, 1116; Neumann, Geltungserhaltende Reduktion und ergänzende Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 129; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S. 51 f. 658 Neumann, Geltungserhaltende Reduktion und ergänzende Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 129ff. Für das schweizerische Zivilrecht hat sich übrigens schon früher Oftinger, ZSR 58 (1939), S. 198ff. in ähnlicher Weise geäußert. Seiner Ansicht nach ist das Ziel der Ergänzung der Rechtsgeschäfte und dasjenige der Anwendung ergänzender Gesetzesnormen dasselbe. Es werde — wie sich gerade am Beispiel der Rechtsprechung zu den Innominatkontrakten zeige - mit identischen Methoden verfolgt, so daß im Ergebnis häufig nicht zu unterscheiden sei, ob der zu enge Rechtssatz ergänzend ausgelegt oder aber das Rechtsgeschäft ergänzt werde. Kritisch allerdings zu Oftinger Berner Kommentar-Merz, Art. 2 O R Rdnr. 138. 659 Hart, KritV 1989, 194; H. Roth, AcP 190 (1990), S.293; Ulmer/Brandner/Hensen-tf. Schmidt, §6 AGBG Rdnr.31.; H. Schmidt, Vertragsfolgen, S. 169. 660 Hart, KritV 1989,194; vgl. ferner auch Wiethölter, KritV 1988, 23ff.; Larenz, Methodenlehre, S.369 und 413ff.; Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 257ff.

322

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

sind bislang ausschließlich aus den Reihen des rechtswissenschaftlichen Schrifttums geleistet worden. (a) Die Verfahrensweise

der

Rechtsprechung

Die Rechtsprechung verfährt demgegenüber weitgehend ergebnisorientiert und mißt der methodischen Begründung allenfalls zweitrangige Bedeutung zu.661 Aufs Ganze gesehen wird man sagen können, daß die Gerichte dazu neigen, sich bei Pilotentscheidungen zu vertragsrechtlichen Streitfragen, die aus einem Regelungsdefizit resultieren, vorrangig auf das Institut der ergänzenden Vertragsauslegung zu stützen. Setzt sich die auf diese Weise gefundene Ersatzlösung sodann durch, stößt sie insbesondere auch im Schrifttum auf Akzeptanz, so kommt es nicht selten zu einem Austausch der methodischen Begründung. Nach einiger Zeit wird die mittlerweile gefestigte Rechtsprechung als richterliche Fortbildung des Vertragsrechts ausgegeben. Pars pro toto soll hier die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Amortisationsanspruch des Leasinggebers im Falle der Kündigung eines Teilamortisationsvertrages stehen. Wurde dieser anfangs noch im Wege ergänzender Vertragsauslegung gemäß §157 BGB begründet,662 so hieß es in späteren Urteilen nur noch, dieser Anspruch sei „leasingtypisch und damit vertragsimmanent"; einer ergänzenden Vertragsauslegung, so nun der Bundesgerichtshof, bedürfe es hierfür nicht.663 Im Schrifttum heißt es im Anschluß hieran, der Amortisationsanspruch des Leasinggebers ressortiere im richterrechtlich fortgebildeten Vertragsrecht.664 Den strategischen Vorteil dieser tastenden Herangehensweise hat Flume treffend beschrieben: „Für die Rechtsprechung ist es zudem bei der Neubildung dispositiver Rechtsnormen durchaus sachgerecht, daß sie sich hinsichtlich des dispositiven Rechtssatzes nicht gleich bei der ersten Entscheidung festlegt, sondern in Betonung der Anlehnung an das individuelle Geschäft sich hinsichtlich der Uberprüfung ihres Standpunktes in weiteren Entscheidungen größere Freiheit vorbehält. Daß auch in diesen Fällen seitens des Richters das Geschäft als Typus beurteilt werden muß, obwohl der Richter vorsichtigerweise in der Entscheidung auf das Einzelgeschäft abstellt, gehört zu den Selbstverständlichkeiten bewährter juristischer Tradition."665 Ob freilich Fragen der methodischen Begründung eines Ergebnisses solchen eher zweckrationalen Motiven untergeordnet werden sollten, darf mit Fug bezweifelt werden. Vgl. exemplarisch zuletzt BGH GS NJW 1998, 671. BGH NJW 1982, 870 (872) und BGH NJW 1982, 1747 (1748). 663 BGH NJW 1985, 2253, 2256; 1986, 1746, 1747; Chronologie dieser Rechtsprechung bei Graf von Westphalen, Leasingvertrag (4. Aufl. 1992), Rdnr. 758ff. 664 Larenz/Canaris, Schuldrecht U/2, §66 III, S. 110; Canaris, AcP 190 (1990), S.438. Einzuräumen ist freilich, daß diese Urteilspassage auch so verstanden werden kann, als sei der Anspruch des Leasinggebers auf Vollamortisation im Hinblick auf das Eigengepräge des Vertragstyps ohne weiteres Vertragsinhalt (so z.B. Ulmer/Brandner/Hensen-Zi. Schmidt, Anh. §§9-11 AGBG Rdnr. 466a). 665 Flume, Rechtsgeschäft, § 16, 4, S.324f. 661

662

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

323

Rechtsfindung

(b) Kritik der bisher unterbreiteten Abgrenzungsvorschläge und Canaris)

(Sandrock

Dem Verhältnis der ergänzenden Vertragsauslegung zur Fortbildung des ungeschriebenen dispositiven Schuldvertragsrechts haben sich bislang mehrere Autoren aus zum Teil unterschiedlichen Blickwinkeln und Anlässen gewidmet. Keiner der bislang bekanntgewordenen Entwürfe vermag jedoch vollends zu überzeugen. Hervorzuheben sind insbesondere folgende Meinungsäußerungen: Für eine Unterscheidung nach der Art und Weise des methodischen Vorgehens hat sich Sandrock in seiner 1966 erschienenen Habilitationsschrift ausgesprochen. 666 Die Fortbildung des dispositiven Schuldvertragsrechts erfolgt - so Sandrock - nach der „gesetzgeberischen Methode". Dieser geht es um einen vom jeweiligen konkreten Anlaßfall losgelösten Ausgleich eines typischen Interessengegensatzes. Den originären Wirkungsbereich der Rechtsfortbildung im dispositiven Schuldvertragsrecht sieht Sandrock daher dort, wo typische, allgemeine, im Verkehrsleben immer wieder zu beobachtende Sachverhalte zur Entscheidung anstehen. Die so gefundenen Lösungen speisen sich nach dieser Ansicht - ebenso wie die Normen des positiv gesetzten Schuldvertragsrechts aus den beiden Quellen des durchschnittlichen Parteiwillens und des für den Normalfall gerechten Interessenausgleichs (Idee des aequum et bonum). Auf diese Weise sei es möglich für bestimmte, gesetzlich nicht geregelte Vertragstypen - Sandrock nennt beispielhaft den Garantie-, den Trödelvertrag und den Vertrag zwischen Schiedsrichter und Parteien - völlig neue Regelungen zu finden. Die Fortbildung und Anwendung des so geschaffenen dispositiven Schuldvertragsrechts sei aber überall dort ausgeschlossen, wo entweder der konkrete Sachverhalt oder aber die von den Parteien gesetzte, ergänzungsbedürftige Regelung atypische, besondere, individuelle Züge aufweise. Die Lösung müsse dann kasuistisch aus den besonderen Umständen des Einzelfalles, sprich aus dem konkreten Rechtsgeschäft, hergeleitet werden. Hier sieht Sandrock mithin die Domäne der ergänzenden Vertragsauslegung. Gegen Sandrocks Vorschlag läßt sich kaum einwenden, eine trennscharfe Unterscheidung der jeweils zu beurteilenden Sachverhalte nach Typizität und Häufigkeit sei schwierig und lasse sich im Grenzbereich mitunter nicht ohne Willkür verwirklichen. 667 Denn daß der Übergang von der ergänzenden Vertragsauslegung zur Fortbildung des Vertragsrechts fließend verläuft und nur das typische Einsatzgebiet beider Institute beschrieben werden kann, liegt auf der Hand. 668 Zu beanstanden ist demgegenüber jedoch, daß die vorgeschlagene Abgrenzungsmethode - konsequent umgesetzt - zu einer ganz erheblichen Einen666 Sandrock, Ergänzende Vertragsauslegung, S. 57ff.; zustimmend MünchKomm-MayerMaly, § 157 BGB Rdnr. 27 und Friedel, Ubersicherung und Teilfreigabe von Sicherheiten, S. 77. 667 So aber Neumann, Geltungserhaltende Reduktion und ergänzende Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 124. 668 Wie hier auch Flume, Rechtsgeschäft, § 16, 4, S. 324 und Canaris, ZIP 1996, 1116.

324

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

gung des Anwendungsbereichs der ergänzenden Vertragsauslegung führen würde. Denn daß sich die Lösung eines regelungsbedürftigen Problems nicht (allein) aus den konkreten Besonderheiten des zu entscheidenden Falles gewinnen läßt, kommt auch bei zahlreichen, bislang einmütig der ergänzenden Vertragsauslegung zugeordneten Fallgestaltungen vor. 669 Auf dem Gebiete der AGB-Verträge, wo die Auslegung richtiger Ansicht nach vom Einzelfall gelöst unter Berücksichtigung der typischen Interessenlage zu erfolgen hat, wäre die ergänzende Rechtsfindung sogar gänzlich auf die Ebene der richterlichen Rechtsfortbildung verschoben. Die gesetzgeberische Methode kennzeichnet kurz gesagt - sowohl die Vorgehensweise bei der Aufstellung neuer ungeschriebener Sätze des dispositiven Schuldvertragsrechts als auch die ergänzende Auslegung standardisierter AGB-Verträge und kommt von daher als differentia specifica nicht in Betracht. 6 7 0 Im Hinblick auf die zahlreichen gesetzlich nicht geregelten Verträge hat Canarisbn folgende Differenzierung angeregt. Eine gesetzliche Regelungslücke sei erst dann anzunehmen, wenn der betreffende Vertrag in tatsächlicher, insbesondere wirtschaftlicher Hinsicht von ähnlicher Bedeutung sei wie ein gesetzlich geregelter Typus und in rechtlicher Hinsicht eine nicht unerhebliche Zahl genereller regelungsbedürftiger Probleme aufwerfe, so daß bei einer Neukodifikation die Schaffung einer eigenständigen gesetzlichen Regelung sinnvoll wäre. Der Vorschlag vermag weder praktisch noch rechtsdogmatisch zu überzeugen. Was die wirtschaftliche Bedeutung angeht, so liegt das Gewicht nahezu sämtlicher verkehrstypischer Verträge, denen es derzeit an einer gesetzlichen Regelung mangelt, über demjenigen des Tausches, der Leihe, der Wette und der Auslobung. 672 Somit würde sich die Abgrenzungsfrage allein danach entscheiden, ob der jeweilige Vertragstyp in rechtlicher Hinsicht eine nicht unerhebliche Zahl genereller regelungsbedürftiger Probleme aufwirft, so daß bei einer Neukodifikation die Schaffung einer eigenständigen gesetzlichen Regelung sinnvoll wäre. Hier gerät man freilich schnell ins Grübeln. Der Franchisevertrag beispielsweise bietet eine breite Palette generell regelungsbedürftiger Rechtsprobleme. Aber ist seine Kodifikation derzeit sinnvoll? Wie zu zahlreichen anderen derzeit nicht gesetzlich geregelten Verträgen, gehen die Meinungen zur Kodifikationsreife weit auseinander. Hier stehen sich auch grundsätzlich unterschiedliche Sichtweisen zur Opportunität weiterer gesetzlicher Neukodifikationen gegenüber. Die Abgrenzungsproblematik mit solchen „Glaubensfragen" zu belasten, erscheint wenig sinnvoll. Hinzu kommt ein weiteres. Die primäre Voraussetzung jeder ergänzenden Rechtsfindung praeter legem ist das Vorliegen einer Gesetzeslücke. Eine solche existiert nach allgemeiner Meinung, wenn das Gesetz eine positive Regelung vermissen läßt, obwohl die Rechtsordnung in ih-

669

Canaris, ZIP 1996, 1116.

670

Abi. im Ergebnis auch H. Schmidt, Vertragsfolgen, S. 169.

671

Canaris, ZIP 1996, 1115f. Beispiele von Canaris, ZIP 1996, 1117.

672

IV.

Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

325

Rechtsfindung

rer Gesamtheit eine solche fordert.673 Larenz fügt ergänzend hinzu, daß ein Gesetz „lückenhaft" oder unvollständig immer nur im Hinblick auf die von ihm erstrebte, sachlich erschöpfende und in diesem Sinne „vollständige" sowie sachgerechte Regelung sei.674 Dargetan werden müßte mithin, daß das bürgerliche Recht seinem Gesamtplan gemäß eine Regelung des jeweiligen Vertragstyps fordert oder erwarten läßt. Eine solche Erwartungshaltung läßt sich jedoch gegenüber dem gesetzlichen Vertragstypenrecht nicht begründen. Dieses folgt dem Konzept der Typen- und Gestaltungsfreiheit. Der Gesetzgeber nimmt zwar Einfluß, indem er einige Muster ihm angemessen erscheinender Regelungen zur Verfügung stellt. Eine vollständige Abbildung der realen Vertragswelt, also eine Regelung sämtlicher vertraglicher Gestaltungsformen, war niemals beabsichtigt. Anders als in anderen Rechtsbereichen (z.B. gesetzliche Schuldverhältnisse) schmerzt dieser Verzicht weniger, da die privatautonome Rechtssetzungstätigkeit der Parteien diesen Mangel dem Grunde nach zu kompensieren geeignet ist. Kann mithin von der gesetzlichen Dispositivordnung eine erschöpfende Regelung schon im Ansatz nicht erwartet werden, so läßt sich die Nichtregelung einzelner Vertragstypen schwerlich als Regelungslücke begreifen. Anders formuliert: der fragmentarische Charakter der Vertragstypenordnung liegt vielmehr sogar im Regelungskonzept begründet. Die Erwartung einer gesetzlichen Regelung ist in diesem Bereich immer eine bloße Wunschvorstellung de lege ferenda, die noch keine Gesetzeslücke begründet. „Rechtspolitische Desiderata sind keine de lege lata zu schließenden Gesetzeslücken". 675 (3) Eigener Vorschlag zur Lokalisierung kodifizierten Verträgen

der Regelungslücke

bei nicht

Auch wenn der von Canaris676 vorgeschlagenen Abgrenzungsmethode in ihrer näheren Ausgestaltung nicht gefolgt werden kann, so ist doch immerhin positiv zu vermerken, daß Canaris den maßgeblichen Prüfstein, nämlich die Frage, auf welcher Ebene die Regelungslücke angesiedelt ist, wieder an die erste Stelle gerückt hat. Dieses Abgrenzungsmerkmal für die Einsatzfelder beider modi procedendi ergibt sich zwingend aus den unterschiedlichen Aufgaben, die der ergänzenden Vertragsauslegung und der Fortbildung des Vertragsrechts praeter legem jedenfalls idealtypisch zugewiesen sind.677 Läßt demnach die vertragliche Vereinbarung einen regelungsbedürftigen Punkt offen, so ist dieser im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu schließen. Liegt das Regelungsdefizit auf der Seite des Gesetzes, so bedarf es der Rechtsfortbildung praeter legem. Für die

673 Canaris, Feststellung von Lücken im Gesetz, S.39; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 137; ähnlich Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 473. 674 Larenz, Methodenlehre, S. 375. 6 7 5 So zutreffend Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 138. 676 Canaris, ZIP 1996, 1115f. 6 7 7 Dies verkennt Sandrock, Ergänzende Vertragsauslegung, S. 86f.

326

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

praktische Rechtsanwendung ist mit dieser Festlegung zugegebenermaßen nur der erste Schritt getan. (a) Ergänzende Vertragsauslegung zur Lösung vertragstypenspezifischer Sachfragen

ungeregelter,

Im folgenden ist nochmals678 auf die bereits angesprochene Anwendungsvoraussetzung der ergänzenden Vertragsauslegung, das Vorliegen einer vertraglichen Regelungslücke, zurückzukommen und der Versuch zu unternehmen, sie im Hinblick auf gesetzlich nicht geregelte Verträge näher zu konkretisieren. Den Ausgangspunkt der Überlegungen sollte die soeben gewonnene Erkenntnis bilden, daß die Regelungsgegenstände der gesetzlichen Vertragstypenordnung durch entsprechende Auswahlentscheidungen des Gesetzgebers a priori begrenzt sind und die Nichtberücksichtigung weiterer Vertragstypen nicht als Gesetzeslücke verstanden werden kann. Daraus folgt weiter, daß vom Gesetz auch nicht die Lösung spezifischer Detailprobleme eines gesetzlich nicht geregelten Vertragstyps erwartet werden kann. Es wäre angesichts des überaus weitreichenden Gestaltungsspielraums der Akteure auch geradezu vermessen, vom Gesetz eine Antwort auf jede Streitfrage zu erwarten, die sich aus der besonderen Regelungsstruktur des gesetzesfremden Vertrages ergibt. Es ist vielmehr naheliegend, die ergänzende Regelung in solchen Fällen in erster Linie aus den (typischen) Besonderheiten des von den Parteien in Wahrnehmung ihrer Gestaltungskompetenzen privatautonom ins Werk gesetzten Vertrages zu erschließen. Gerade im Hinblick auf größere, vorformulierte Bedingungswerke, welche die Rechte und Pflichten penibel und auf breitem Raum, gleichsam gesetzesvertretend, entfalten, muß das Auftreten einer ungeregelten Frage als Unvollständigkeit der Allgemeinen Geschäftsbedingungen erscheinen. So kann beispielsweise die unvollkommene Regelung der Verteilung des Restwertes bei vorzeitiger Kündigung eines Teilamortisationsvertrages in den Bedingungen einer Leasinggesellschaft nur als Vertrags-, nicht aber als Gesetzeslücke aufgefaßt werden.679 Aber auch insoweit es um vertragskonstitutive Rechte und Pflichten geht, ist keine andere Beurteilung geboten. Erläutert sei dies an der durch die Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs680 nunmehr zu einem vorläufigen Abschluß gebrachten Diskussion um die rechtliche Begründung des (Teil-) Freigabeanspruchs des Sicherungsgebers bei der Gestellung von Globalsicherheiten, wenn nachträglich - z.B. durch Schuldtilgung - eine Ubersicherung eintritt. Die Rechtsprechung in dieser Frage war wechselhaft und auch das Schrifttum zeigt sich bis auf den heutigen Tage gespalten. Die Thematik ist zusätzlich belastet durch den Streit um die Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung im 678 679 680

Vgl. hierzu bereits die Ausführungen unter 1. c) (1). Wie hier im Ergebnis Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §66 II und III, S. 108 und 110. B G H GS NJW 1998, 671.

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

327

Anwendungsbereich des §6 Abs. 2 A G B G , ein Aspekt, der hier aus Vereinfachungsgründen ausgeblendet bleiben soll.681 Der Bundesgerichtshof hatte den (Teil-)Freigabeanspruch des Sicherungsgebers in Fällen, in denen der Sicherungsvertrag hierzu schwieg, anfangs unter Hinweis auf den Grundsatz von Treu und Glauben aus dem Vertrag gewonnen und damit zugleich seine Sympathie für eine ergänzende Auslegung bekundet. 682 Später ist er dann jedoch auf Distanz zu dieser Herleitung gegangen, da man fürchtete, auf diese Weise im Ergebnis eine geltungserhaltende Reduktion zugunsten des Verwenders in Person des Sicherungsnehmers zuzulassen.683 Es folgten sodann Urteile, in denen der Bundesgerichtshof erneut von „Auslegung" sprach.684 Der XI. Zivilsenat akzentuierte hingegen wiederum die objektivrechtliche Verankerung, indem er die Pflicht des Sicherungsnehmers, die Sicherheit zurückzugewähren, aus der Treuhandnatur des Sicherungsvertrages folgerte.685 Hinter einer sibyllinisch anmutenden, die bisherigen Ansätze zusammenführenden, Formulierung versteckte sich der Große Senat zuletzt im Beschluß vom 27.11. 1997. 686 Aus der Treuhandnatur, so die Entscheidungsgründe, ergäbe sich die Pflicht des Sicherungsnehmers, die Sicherheit schon vor Beendigung des Vertrages zurückzugewähren, wenn und soweit sie endgültig nicht mehr benötigt werde. Diese Pflicht folge gem. § 157 B G B aus dem fiduziarischen Charakter der Sicherungsabrede sowie der Interessenlage der Parteien. Während die Erwähnung des §157 B G B hier auf das Institut der ergänzenden Vertragsauslegung deutet, sprechen die Hinweise auf die Treuhandnatur und den fiduziarischen Charakter eher für eine richterliche Ergänzung des objektiven Vertragsrechts. Es ist daher nicht verwunderlich, daß im Schrifttum nach wie vor beide Begründungsansätze verfochten werden. 687 681 Das Problem der Vertragsfolgen unwirksamer AGB-Bestimmungen soll im Rahmen dieser Untersuchung im Dritten Kapitel unter §9 IV. 3. erörtert werden. Insoweit verfolgen die nachstehenden Überlegungen auch propädeutische Zwecke. 682 Vgl. insbesondere B G H WM 1960, 855 (856) und sodann BGH WM 1965, 84 (85) und BGH WM 1966, 13 (15). Die ergänzende Vertragsauslegung wird zwar allgemein als Anwendungsfall des § 157 BGB angesehen (vgl. nur Soergel- Wolf, § 157 BGB Rdnr. 103). Sie wurde jedoch insbesondere von der älteren Rechtsprechung des öfteren auch mit §242 BGB in Verbindung gebracht. Larenz (Schuldrecht I, § 10 I, S. 128), meint hierzu, eine genaue Abgrenzung beider Vorschriften sei weder möglich, noch erforderlich. Es handele sich um den gleichen Maßstab. Ebenso die Einordnung der o.g. Entscheidungen bei Priedel, Ubersicherung und Teilfreigabe von Sicherheiten, S.23f. 683 BGH NJW 1987, 487 (489). 684 BGH NJW 1994,861 (862). In BGH NJW 1996,1213 (1215) ist in bezug auf den Freigabeanspruch des Sicherungsgebers von Rechten und Pflichten die Rede, „die sich im Wege (ergänzender) Vertragsauslegung aus der Natur eines bestimmten Vertrages ergeben". Diese stünden so der BGH - „ihrem Rechtscharakter nach dem vertragsergänzenden dispositiven Gesetz gleich." Der BGH bezog sich insoweit auf gleichlautende Formulierungen von M. Wolf, in: Verbraucherkreditrecht, AGB-Gesetz und Kreditwirtschaft, S. 86. 685 BGH NJW 1996, 2092 (2093). 686 BGH GS NJW 1998, 671 (672). 687 (Auswahl) Für ergänzende Vertragsauslegung: Becker-Eberhard, Die Forderungsgebundenheit der Sicherungsrechte, S.387ff.; Buchholz, ZIP 1987, 897f.; H. Roth, Anm.JZ 1998, 463;

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Rechtsfindungskonzepts

Nach der hier entwickelten Abgrenzungsmethode handelt es sich um eine im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu schließende Lücke der vertraglichen Regelung. Der Sicherungsvertrag ist eine zweiseitig verpflichtende, schuldrechtliche Vereinbarung über die Bestellung, den Zweck und die Handhabung einer Sicherheit. 688 Er hat trotz seiner überragenden praktischen Bedeutung keine Aufnahme in das Bürgerliche Gesetzbuch gefunden. Das Regelungsdefizit wird in der Praxis regelmäßig durch die Benutzung vom Sicherungsgeber ausgegebener Formulare behoben. Schon von daher darf man erwarten, daß die Bedingungswerke sich der Problematik der Rückgewähr der Sicherheit annehmen. Lassen sie gleichwohl in diesem Punkt eine Regelung vermissen, muß dies als Manko des vertraglichen Regelungsprogramms bewertet werden. Die Regelungslücke im Gesetz zu verorten, wäre demgegenüber angesichts der Tatsache, daß dieses vom Sicherungsvertrag in toto keinerlei Notiz genommen hat, schwerlich nachzuvollziehen. Das Rückabwicklungsproblem ist essentiell mit der Sicherungszweckabrede verknüpft. Die Ergänzung muß daher zuvörderst im Wege ergänzender Vertragsauslegung unter Zugrundelegung eines objektivgeneralisierenden Maßstabes und unter Berücksichtigung normativer Wertungen versucht werden. 689 Von dem sich herauskristallisierenden Einordnungsschema wird man allerdings dann abzuweichen haben, wenn die Grenzen der ergänzenden Vertragsauslegung eine parteiautonom fundierte Ergänzung des Vertragsinhalts nicht mehr zulassen. Dabei ist an die Problemkategorie zu denken, daß mehrere ergänzende Lösungsmodelle miteinander konkurrieren und der im vertraglichen Regelungsprogramm verkörperte Parteiwille keinen Anhalt für die Prävalierung einer bestimmten Variante bietet. Nach einhelliger Ansicht ist es dem Richter hier untersagt, sich unter Berufung auf die Methode der ergänzenden Vertragsauslegung für eine bestimmte Art der Vervollständigung zu entscheiden. 690 Nicht gesagt wird freilich, was der Richter in einem solchen Fall zu tun hat. Sicher ist, daß er den Parteien die Antwort auf ihr Vertragsproblem nicht für Fortbildung des gesetzlichen Vertragsrechts: folgerichtig unter Zugrundelegung seiner oben wiedergegebenen und abgelehnten Abgrenzungsmethode Canaris, ZIP 1996, 1117; Friedet, Übersicherung und Teilfreigabe von Sicherheiten, S. 77ff.; Baur/Stürner, Sachenrecht, §57 Rdnr.24f. („gesetzlicher Freigabeanspruch"); hinzu kommt die - allerdings weitgehend ohne Gefolgschaft gebliebene - Meinung Sericks (u.a. dargelegt in ZIP 1995, 792f.; WM 1997, 345ff.; BB 1998, 802), der Freigabeanspruch sei gewohnheitsrechtlich begründet (hierzu noch unter 3.). 688 Huber, Sicherungsgrundschuld, S. 75. 689 Es sei nochmals betont, daß damit nicht über den - praktisch bedeutsameren - Fall entschieden ist, daß der (Teil-)Freigabeanspruch in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen über Gebühr eingeschränkt oder gar ausgeschlossen wird. Ob die infolge der Unwirksamkeit einer solchen Klausel aufgetretene Lücke im Wege ergänzender Vertragsauslegung geschlossen werden kann, ist vor allem deshalb umstritten, weil diese sich in Widerspruch zu dem setzen würde, was die Parteien - wenngleich unwirksam - vereinbart hatten (vgl. hierzu UlmerIBrandneri Hensen, Anh. §§9-11 AGBG Rdnr.658a). 690 BGHZ 54, 106 (115); 62, 83 (90); BGH NJW 1984, 1177 (1179); 1999, 711 (712); Staudinger-H. Roth, § 157 BGB Rdnr. 43; Soergel- Wolf, § 157 BGB Rdnr. 130; Vzhndt-Heinricbs, § 157 BGB Rdnr. 10; Erman-Hefermehl, § 157 BGB Rdnr.25.

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schuldig bleiben darf.691 Da ihm der Weg über die ergänzende Vertragsauslegung versperrt ist, bleibt ihm nur der Rückgriff auf das objektive Recht - tertium non datur. Er ist mit anderen Worten aufgefordert, aus dem Wertungssystem der Zivilrechtsordnung eine ungeschriebene Ersatzregelung des objektiven Vertragsrechts im Hinblick auf ein vertragstypenspezifisches Regelungsproblem zu entwickeln. Die Überweisung in den Zuständigkeitsbereich des objektiven Rechts ist vor allem dort evident, wo es um die Festlegung von Beträgen, Fristen und Prozentzahlen geht, über die füglich gestritten werden kann. 692 Beispielhaft sei nochmals die Diskussion um den Freigabeanspruch bei revolvierenden Sicherheiten angezogen. Die Kontroverse erstreckt sich hier nämlich weiterhin auf die Frage, wie die Höhe der Deckungsgrenze festgestellt werden soll, ab deren Uberschreiten der Freigabeanspruch entsteht, wenn der Vertrag hierzu keine Angaben enthält. Mit der Bezeichnung „Deckungsgrenze" ist dabei der Betrag gemeint, bis zu dem die gesicherte Forderung durch den Wert der Sicherheiten gedeckt sein muß. 693 Bereits im Vorfeld der Entscheidung des Großen Senats konnte Einigkeit darüber erzielt werden, daß die ausdrückliche Vereinbarung einer Deckungsgrenze nicht als Voraussetzung für die Wirksamkeit des Sicherungsvertrages zu behandeln sei. Der Streit konzentrierte sich zuletzt auf die Frage, ob es bei unterbliebener vertraglicher Festsetzung von Rechts wegen der Statuierung einer festliegenden Deckungsgrenze bedürfe und wie diese ggf. zu bestimmen sei. Der IX. Senat694 bejahte die Notwendigkeit, da anderenfalls der Freigabeanspruch nicht zu realisieren sei. Er sprach sich im Wege ergänzender Vertragsauslegung (zitiert werden die §§ 133,157,242 B G B ) für eine Deckungsgrenze in Höhe von 100% bezogen auf den Wert des Sicherungsguts im Zeitpunkt der Sicherungsübereignung (Marktpreis oder - falls nicht existent - Einkaufs- oder Herstellungspreis) bzw. auf den Nominalwert bei Sicherungsabtretung aus. Hinzu komme noch ein Pauschalaufschlag in Höhe von 10% für die im Sicherungsfall vom Sicherungsnehmer zu tragenden Verwertungskosten. Enthalte der Vertrag keine Angaben, so dürfe der Sicherungsgeber davon ausgehen, daß der Sicherungsnehmer die Sicherheiten als vollwertig ansehe. Der XI. Senat695 wandte sich gegen die Festlegung einer allgemein gültigen Deckungsgrenze und wollte sie der richterlichen Bewertung des Einzelfalles überlassen. An die Stelle des Ubereignungswertes setzte er den realisierbaren Wert. Der Große Senat696 schlichtete den Streit in der Weise, daß er die Deckungsgrenze bei 110% des realisierbaren Werts festsetzte und diese Marge um eine in Anlehnung an §237 Satz 1 B G B entwickelte Bewertungsregel ergänzte (150% des

691 Zum Verbot der Rechtsverweigerung Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, §42 I, S.274 m.w.N.; Rüthers, Rechtstheorie, Rdnr.314; Schumann, ZZP 81 (1968), S.79ff.; Trinkner, Anm. BB 1983, 1875. 692 Hierzu Larenz, Methodenlehre, S.435f. 693 BGH NJW 1996, 2786 (2789). 694 BGH NJW 1996, 2786 (2789); 1996, 2790; 1997, 1570. 695 BGH WM 1996, 902ff. 696 BGH GS NJW 1998, 671 (673ff.).

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§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Schätzwerts). Erkennbar wird bei alledem, daß hier verschiedene Lösungsmodelle vertretbar sind - weitere von Vertretern des Schrifttums entworfene gesellen sich hinzu - 6 9 7 , ohne daß aus der typischen Sicherungsvereinbarung entscheidende Rückschlüsse gezogen werden könnten. In solchen Konstellationen muß die Entscheidung des vertragstypenspezifischen Problems allein im objektiven Recht verankert werden. Der Große Senat nimmt hierzu nicht weiter Stellung. Im Hinblick auf die Notwendigkeit einer abstrakt-generellen Deckungsgrenze beruft er sich auf den Zweck eines Sicherungsvertrages, für die Bewertungsregel knüpft er an §237 Satz 1 BGB an. Die Aussagen des Beschlusses des Großen Senats zur Deckungsgrenze und zur Bewertung der Sicherheit sind nach hier vertretener Ansicht als Akte richterlicher Fortbildung des Vertragsrechts zu werten. Damit kann festgehalten werden, daß für die zahlreichen vertragstypenspezifischen Sachfragen gesetzlich nicht geregelter Verträge im Falle eines Regelungsdefizits grundsätzlich - abgesehen von den soeben behandelten Pattstellungen - auf die ergänzende Vertragsauslegung zurückgegriffen werden muß. Dieser kommt daher auf dem Gebiet der nicht kodifizierten Verträge eine gesteigerte Bedeutung zu. (b) Entwicklung ungeschriebener Normen zur Lösung vertragstypübergreif ender Sachfragen

ungeregelter,

Das bedeutet nun allerdings nicht, daß die Fortbildung des objektiven Gesetzesrechts auf dem Gebiete des Schuldvertragsrechts keine Rolle spielen würde. Ihr Einsatzbereich ist auch nicht auf die Fortbildung bereits kodifizierter Vertragstypen beschränkt (klassisches Beispiel: Erstreckung der Rechtsfolge des § 463 Satz 2 BGB auf den Fall des Vorspiegeins eines nicht vorhandenen Vorzuges der Sache)698. Bei nicht kodifizierten Vertragstypen liegt die Annahme einer Gesetzeslücke vor allem dann nahe, wenn dem Gesetz hinsichtlich einer bestimmten durch den Vertrag aufgeworfenen Sachfrage ein vertragstypübergreifender Regelungsplan entnommen werden kann. Folgendes Beispiel möge dies illustrieren: Aus dem 697 Z.B. Wiegand/Brunner, NJW 1995, 2517ff. mit dem Vorschlag eines weiteren pauschalen Aufschlags von 10% zum Ausgleich von Bewertungsrisiken; Liebelt-Westphal, ZIP 1997,230ff.: analoge Anwendung der §§234 Abs. 3, 236, 237 BGB; Canaris, ZIP 1996, 1583ff. mit dem Vorschlag, sich für den Freigabeanspruch im Einzelfall an der anfänglichen Relation zwischen dem Sicherheitsvolumen und der gesicherten Forderung zu orientieren (also flexible Deckungsgrenze und feste Bewertungsparameter); umgekehrt - feste Deckungsgrenze und flexible Bewertungsparameter - Pfeiffer, ZIP 1997,49ff.; M. Wolf, Anm. LM Nr. 51d § 138 (Aa) BGB geht von festen Größen aus, will aber dem Sicherungsnehmer den Nachweis von Wertminderungen gestatten; Serick, WM 1997, 351 ff. wendet sich gegen eine allgemeine Deckungsgrenze und meint, daß das Gewohnheitsrecht eine fallbezogen vom Richter festzustellende Haftobergrenze bereitstelle. 698 Hierzu Larenz, Methodenlehre, S. 375 aus methodologischer Sicht. Die Analogie ist heute unbestritten vgl. statt vieler RGZ 66, 335 (338); 92, 295; 103, 154 (160); BGH WM 1975, 230 (231); Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rdnr.459; Staudinger-Honse//, §463 BGB Rdnr.45.

IV. Übergang

zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

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Grundsatz der Vertragsfreiheit und dem Ausnahmecharakter der gesetzlichen Formvorschriften für Rechtsgeschäfte (z.B. §§313 Satz 1, 518 Abs. 1, 766 Satz 1 BGB etc.) leitet man ab, daß das Bürgerliche Gesetzbuch in den von diesen Bestimmungen nicht erfaßten Fällen keinen Formzwang begründen will (Grundsatz der Formfreiheit). Für den Vorvertrag, einen gesetzlich nicht näher geregelten Vertragstyp, könnte daraus der Schluß gezogen werden, daß dieser stets formlos abgeschlossen werden könnte. Dies wäre jedoch höchst problematisch, wenn der Hauptvertrag, zu dessen Abschluß sich die Parteien verpflichten, einer bestimmten Form bedarf. Der Zweck der Formvorschriften könnte vereitelt werden, wenn der Vorvertrag, der schon die gleichen Bindungen wie der in Aussicht genommene Hauptvertrag enthält, formlos abgeschlossen werden könnte. Das Problem liegt auf der Ebene des Gesetzes. Von ihm hätte man eine Einschränkung der Grundregel erwartet. Ihr Fehlen läßt sich als Gesetzeslücke begreifen. Die Durchsetzung dieser auch im Schrifttum einmütig für richtig gehaltenen Begrenzung des Grundsatzes der Formfreiheit durch die Rechtsprechung 699 wird man daher mit gutem Grund als Schöpfung richterlicher Rechtsfortbildung bezeichnen dürfen. 700 Auch ein gut Teil der sog. allgemeinen Grundsätze über Dauerschuldverhältnisse 701 wird man nicht mehr der ergänzenden Vertragsauslegung, sondern der Fortbildung der gesetzlichen Schuldvertragsordnung zurechnen müssen. Der Gesetzgeber hat auch hier beispielsweise durch die Statuierung einer Reihe von Vorschriften über die außerordentliche und die ordentliche Kündigung zu erkennen gegeben, daß sein Konzept von bestimmten vertragstypübergreifenden, allein an der zeitlichen Dimension des Vertragsverhältnisses orientierten Grundgedanken beherrscht ist. Daß entsprechende gesetzliche Beendigungsregelungen nicht allen Vertragstypen beigegeben wurden, die Aufnahme in das Bürgerliche Gesetzbuch gefunden haben, und erst recht bei den Verträgen fehlen, die von vornherein keine legislative Ausgestaltung erfahren haben, nimmt sich vor diesem Hintergrund eher als Nachlässigkeit des Gesetzgebers aus. Dieser vertraut(e) offenbar darauf, daß es Rechtsprechung und Lehre gelingen würde, die Lücken im Geiste des bereits existenten Normenbestandes in einer den besonderen Belangen von Dauerschuldverhältnissen gerecht werdenden Weise zu schließen. Da es der Gesetzgeber ist, der es verabsäumt hat, seinem Rege699 RGZ 169,185 (189); 76,303 (304); BGH NJW1973,1839; 1975,1170; 1986,1983; LM §766 BGB Nr. 8; NJW-RR 1988, 288 (289); Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, S. 147ff.; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil II, § 162 IV, S. 998; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §23 Rdnr. 101; Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 145 BGB Rdnr.20; MünchKomm-Kramer, Vor § 145 BGB Rdnr. 38. Eine Parallele findet sich übrigens bei der Vertragsübernahme. Auch hier ergibt sich die Formbedürftigkeit der Vertragsübernahmevereinbarung aus dem Formerfordernis des übernommenen Vertrages (vgl. BGH NJW 1999, 2664, 2665; Palandt-Heinrichs, §398 BGB Rdnr. 39). 700 So Larenz, Methodenlehre, S. 378. Erwägenswert ist, ob diesem allgemein anerkannten Satz mittlerweile bereits gewohnheitsrechtliche Geltung zuerkannt werden kann (hierzu sogleich unter 3.). 701 Hierzu bereits oben unter §7 III. 2. c) (2) (b).

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§7

Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

lungsplan flächendeckend Gestalt zu verleihen, spricht viel dafür, das Regelungsdefizit hier auf der Seite des Gesetzes anzusiedeln. Der überwiegenden Meinung, 702 die zu einheitlichen Lösungen qua Rechtsanalogie strebt und damit zu erkennen gibt, daß die Problematik in der Lückenhaftigkeit des Gesetzes wurzelt, ist daher nachdrücklich zuzustimmen. Methodisch unzulänglich ist hingegen die mitunter anzutreffende schlichte Berufung auf §242 BGB. 7 0 3 Sie läßt alles in der Schwebe und ist der Fortbildung des Rechts mittels Rechtsanalogie auch wegen ihrer Unbestimmtheit weit unterlegen. Daß ergänzende Vertragsauslegung und Ergänzung des objektiven Gesetzesrechts hier besonders nahe beieinander liegen, zeigt im übrigen der bereits behandelte Fall zum Automatenaufstellungsvertrag.704 Im Lichte der soeben gewonnenen Erkenntnisse wird man die Ergänzung um eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit einer durch Rechtsanalogie begründeten Fortbildung des Vertragsrechts entnehmen müssen, während die Festlegung der Kündigungsfrist ein vertragstypspezifisches Problem darstellt, zu dessen Lösung die ergänzende Vertragsauslegung unter Berücksichtigung normativer Wertungen - heranzuziehen ist. (c) Bewertung

der gefundenen

Lösung

Die vorgeschlagene Abgrenzungsmethode führt dazu, daß viele Probleme der gesetzlich nicht geregelten Verträge im Wege ergänzender Vertragsauslegung gelöst werden müssen. Dies ist nur folgerichtig, denn die Problemlagen gründen hier nun einmal häufig in den vertraglichen Gestaltungen und nicht im dispositiven Recht. Zudem erlaubt die hier vertretene Kennzeichnung der Anwendungsbereiche von ergänzender Vertragsauslegung und Fortbildung des dispositiven Vertragsrechts eine relativ klare Einordnung der im Zusammenhang mit nicht kodifizierten Verträgen auftretenden Streitfragen. Gleichwohl verbleibt unbestreitbar eine Grauzone, innerhalb deren eine Entscheidung schwer fällt. Das funktionale Näheverhältnis beider Rechtsinstrumente, das sich im Bereich standardisierter Verträge in der Übereinstimmung des methodischen Ansatzes spiegelt, spricht dafür, die Begründungsanforderungen an eine ergänzende Vertragsauslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen jedenfalls insoweit zu steigern, als die Ergänzung sich von den Umständen des konkreten Einzelfalles löst und auf der Grundlage normativer Erwägungen und der Verkehrssitte eine allgemein interessengemäß erscheinende Lösung erstrebt. 705 702 Gernhuher, Schuldverhältnis, § 16 II 5, S.392f.; Oetker, (Dauerschuldverhältnis, S.275f.) weist auf einige Entscheidungen des Bundesgerichtshofs hin, die ein fristgebundenes ordentliches Kündigungsrecht mittels einer ergänzenden Vertragsauslegung abgeleitet haben ( B G H L M Nr. 8 zu § 2 4 2 (Bc) B G B ; Z I P 1993, 367, 370; W M 1976, 533, 534). D e m setzt Oetker freilich im Einklang mit der hier vertretenen Meinung als generelles Problemlösungsmodell den Weg der Rechtsanalogie entgegen. 703 B G H Z 4 1 , 1 0 4 (108); 5 0 , 3 1 2 (315); 51, 79 (82); W M 1978,271 (273); wie hier abl. Gernhuher, Schuld Verhältnis, § 1 6 II 5, S.392f. 7 0 4 § 7 IV. 1. c) (3) (b) (aa). 705 Canaris (AcP 184 [1984], S.216) fordert aus dem gleichen Grunde die Gleichstellung der

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

333

Dieser Schritt verdient den Vorzug gegenüber dem rigorosen Abhilfevorschlag, der da lautet, die ergänzende Vertragsauslegung vorformulierter Bedingungswerke gänzlich zu verwerfen. 706 Abgesehen davon, daß damit ein bedenklicher, aus dem bürgerlichen Schuldrecht herausführender Sonderweg beschritten würde, begäbe man sich damit der Chance, die ergänzende Regelung unter enger Anbindung an den typischen Vertragszweck und die typischen Vorstellungen der Parteien zu entwickeln. Bewertet man die hier vorgenommene Weichenstellung unter dem Gesichtspunkt der Folgenorientierung, so schlägt vor allem der mit der ergänzenden Vertragsauslegung verbundene Flexibilitätsgewinn zu Buche. 707 Ein auf diesem methodischen Weg gefundenes Ergebnis nimmt nämlich nicht für sich in Anspruch, mit der Bindungswirkung objektiven Gesetzesrechts auf die betreffenden Vertragsverhältnisse einzuwirken. Die argumentativ zu überwindenden Barrieren für eine Neubewertung, sei es aufgrund einer Änderung der tatsächlichen Umstände, sei es aufgrund einer anderen Gewichtung der Abwägungsfaktoren, sind tendenziell weniger hoch. Die Bindung der Instanzgerichte ist weniger streng und auch die Selbstkorrektur eines auf ergänzende Vertragsauslegung gestützten höchstrichterlichen Spruchs dürfte leichter zu vollziehen sein. Die Anpassungsfähigkeit der in Fortbildung des dispositiven Rechts gewonnenen Rechtssätze ist demgegenüber eingeschränkter. Als Ableitungen des positiven gesetzten Rechts teilen sie dessen Charakteristikum, nämlich die auf Dauer angelegte Geltung und das ihm innewohnende statische Element. Es versteht sich, daß gerade die modernen, durchweg nicht kodifizierten Vertragstypen, deren Entwicklung häufig noch im Fluß ist, nach einem flexiblen Instrumentarium verlangen. Gerade in der Pionierphase einer neuen Vertragsform erweisen sich allzu frühe Festlegungen oftmals als kontraproduktiv. Aber auch wenn sich eine bestimmte Vertragsentwicklung verfestigt hat oder gar zu einem gewissen Abschluß gekommen ist, wird man die Grundlage der Konkretisierung weiterhin in der Auslegung des typischen Vertrages sehen müssen. Denn für die Lokalisierung der Regelungslücke lassen sich weder aus dem jeweiligen Entwicklungsstadium eines Vertragsgebildes noch aus der Verfestigung der Erkenntnisse in Rechtsprechung und Literatur Schlüsse ziehen. Es handelt sich bei diesen Umständen um außerrechtliche Parameter. Eine Transzendierung auf die höhere Ebene des Gesetzesrechts läßt sich dogmatisch nur im Wege der Anerkennung der gefundenen Lösung als Gewohnheitsrecht begründen. Als Beispiel sei

ergänzenden Vertragsauslegung mit dem dispositiven Recht in der Frage der Grundrechtsbindung. 706 So prononciert Hart, KritV 1989,184; ähnlich auch Rüßmann, BB 1987,845f., der das Problem der ergänzenden Vertragsauslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen für ein solches der richterlichen Ergänzung des dispositiven Rechts hält und Fortbildungen Allgemeiner Geschäftsbedingungen nur zulassen will, wenn es um Regelungen zugunsten des Verwendungsgegners geht, die den Zwecksetzungen des Verwenders entsprechen. 707 H. Schmidt, Vertragsfolgen, S. 169.

334

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

nochmals 708 der Amortisationsanspruch des Leasinggebers beim Teilamortisationsleasing bemüht. Hierbei handelt es sich um eine vertragstypspezifische Sachfrage, für die dem Gesetz kein übergreifender Regelungsplan zu entnehmen ist. Es war daher zutreffend, wenn der Bundesgerichtshof diesen Anspruch durch ergänzende Auslegung des Leasingvertrages gewonnen hat. 709 Auch die jetzige Beschreibung als „leasingtypisch und daher vertragsimmanent" 710 ist korrekt. Dogmatisch nicht nachzuvollziehen ist es dagegen, wenn der Bundesgerichtshof in seiner neueren Rechtsprechung zu dieser Frage auf Distanz zum Rechtsinstrument der ergänzenden Vertragsauslegung geht. Denn weder in der Durchsetzung dieses Anspruchs in der allgemeinen Meinung, noch in der Entdeckung seiner typusprägenden Gestalt kann ein Umstand erkannt werden, der einen Austausch der Begründung hin zur richterlichen Fortbildung des (Leasing-)Vertragsrechts zu legitimieren vermag.

3. Typische Vertragsbildungen kraft Gewohnheitsrechts? Normative Vorgaben für den Rechtsfindungsprozeß können sich nach der klassischen dualen Rechtsquellenkonzeption im Prinzip sowohl aus dem geschriebenen (Gesetzes-) Recht als auch aus dem ungeschriebenen Recht, genannt Gewohnheitsrecht, ergeben. 711 In Anbetracht des weitgehenden Ausfalls geschriebenen Rechts auf dem Gebiete der nicht kodifizierten Vertragstypen erscheint die Überlegung nicht fernliegend, ob sich nicht gerade hier ein beachtlicher Raum für die Ausbreitung (dispositiven) Gewohnheitsrechts eröffnet.

a) Zuerkennung gewohnheitsrechtlicher Geltung durch Teile der Literatur In der Kommentarliteratur verschaffen sich in der Tat zuweilen Stimmen Gehör, die bestimmte Entwicklungen auf dem Gebiete der gesetzlich nicht strukturierten Verträge in den Rang von Gewohnheitsrecht erheben wollen. 712 Es gäbe nämlich - so steht zu lesen - unter diesen Verträgen eine Reihe von festumrissenen Gestaltungen, die ob ihres häufigen Vorkommens verbreitete Geltung besäßen und für die die Rechtsprechung in ständiger Übung Grundsätze nach Art einer gesetzlichen Kodifikation entwickelt habe, so daß man bereits von typischen Vertragsbildungen kraft Gewohnheitsrechts sprechen könne. Auch dieVgl. hierzu bereits die Ausführungen unter (2) (a). BGH NJW 1982, 870 (872) und BGH NJW 1982, 1747 (1748). 710 BGH NJW 1985, 2253 (2256) und BGH NJW 1986, 1746 (1747). 711 Stellvertretend Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, § 32 II, S. 206; hierzu ferner Raisch, ZHR 150 (1986), S. 119. 712 Staudinger-Löwisch, (12. Aufl. 1979) §305 BGB Rdnr.22; Erman-Baues, Einl. zu §305 BGB Rdnr. 14; ähnlich für das schweizerische Recht Meier-Hayoz, SJK Nr. 1134, S. 9 und Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 799. 708

709

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

335

ser Ansatz zielt im Grunde genommen darauf, normative Wertungen, die außerhalb des konkreten Vertrages angesiedelt sind, in den Rechtsfindungsgang einzubringen. Nur wird die normsetzende Instanz für diese verselbständigten Vertragsformen nicht mehr im staatlichen Gesetzgeber, sondern unmittelbar in der Vertrags- und Gerichtspraxis gesehen. Praktische Sachverhalte, für deren rechtliche Beurteilung man sich auf eine gewohnheitsrechtlichen Fundierung berufen hat, sind freilich nicht eben zahlreich. Erwähnenswert mag der Standpunkt Sericks zur fiduziarischen Sicherungstreuhand sein.713 Diese sieht er samt ihrer besonderen Ausformungen - etwa in Gestalt der fiduziarischen Sicherungsübertragung - im Gewohnheitsrecht verwurzelt. Die Sicherungabrede rückt Serick in unmittelbare Nähe zu diesem Rechtsinstitut. Sie habe den Rahmen einer gewöhnlichen rechtsgeschäftlichen Vereinbarung schon weit verlassen und sei zur Treuabrede geworden. Als solche sei sie Bestandteil eines Treuhandverhältnisses mit diesem wesensmäßig innewohnenden Pflichten und Rechten geworden. Die gewohnheitsrechtliche Geltung der fiduziarischen Sicherungstreuhand umfaßt nach Serick alle rechtlichen Aussagen, die dem Sicherungszweck zwingend innewohnen. So gelte mit gewohnheitsrechtlicher Kraft, daß der Sicherungsnehmer, bei einer nachträglichen, deutlichen und endgültigen Ubersicherung zur Teilfreigabe und damit zur teilweisen Rückübertragung des Sicherungsgutes in Höhe der Ubersicherung verpflichtet sei. Ferner sei dem anvertrauten fiduziarischen Sicherungsgut gewohnheitsrechtlich eine Haftobergrenze integriert, die vom Richter nur noch fallbezogen festzustellen sei. b)

Kritik

Eine kritische Stellungnahme zu dem in der Kommentarliteratur mit der Wendung von den „typischen Vertragsbildungen kraft Gewohnheitsrechts" formulierten Rechtsverständnis sieht sich der Schwierigkeit ausgesetzt, daß die Konsequenzen dieses Ansatzes bislang kaum verdeutlicht worden sind und es zudem nicht sicher erscheint, ob der Begriff „Gewohnheitsrecht" hier überhaupt in seinem normtheoretisch definierten Sinne, will sagen als dem Gesetz gleichwertige Rechtsquelle, verstanden werden soll. Letzteres wird im folgenden unterstellt. Vorausgesetzt wird ferner, daß sich die These von der gewohnheitsrechtlichen Verfestigung nicht in der Aussage erschöpfen soll, die im einzelnen aufgeführten verkehrstypischen Verträge714 hätten sich durchgesetzt und seien rechtlich anerkannt. Denn die rechtliche Beachtlichkeit einer vom 713 Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung - Neue Rechtsentwicklungen, S. 37, 94f., 122f., 169f., 189, 204; den., in: FS für Trinkner, S.407ff.; den., BB 1995,2013ff.; den., ZIP 1995, 789ff.; ders., WM 1997, 345ff., den., BB 1998, 801ff. Der Bundesgerichtshof ist dieser Konzeption freilich nicht gefolgt vgl. BGH NJW 1997,1570 (1577); BGH GS NJW 1998,671 ff. 714 Die Reihe ist lang und reicht von Automatenaufstellungsverträgen, über Baubetreuungs-, Franchise- und Leasingverträgen bis hin zu Zeitschriftenhändlerverträgen; vgl. Staudinger-Löwisch, 12. Aufl. 1979, §305 BGB Rdnr.22; Erman-Battes, Einl. zu §305 BGB Rdnr. 14.

336

§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Gesetz abweichenden Gestaltung ergibt sich bereits unmittelbar aus der das Schuldvertragsrecht beherrschenden und in §305 B G B zum Ausdruck gelangten Vertragsinhaltsfreiheit. Einer gewohnheitsrechtlichen Anerkennung der Rechtsfigur des Leasing oder Franchising bedarf es darüber hinaus nicht. Es gibt kein gesetzeswiederholendes Gewohnheitsrecht ohne eigenen konstitutiven Regelungsgehalt. Anders fällt die Beurteilung übrigens für das Sachenrecht aus, das durch einen numerus clausus der dinglichen Gestaltungsmöglichkeiten gekennzeichnet ist. Im Hinblick auf die Zulassung des Rechtsinstituts der Sicherungsübereignung kann beispielsweise durchaus sinnvoll von einem heute gewohnheitsrechtlich legitimierten Vorgang gesprochen werden. 715 Gemeint sein können also nur die einzelnen, von der Rechtsprechung für die jeweiligen typischen Vertragswerke in einem langjährigen diskursiven Rechtsentwicklungsprozeß erarbeiteten Rechtsregeln. Diesen gewohnheitsrechtliche Geltung zuzusprechen, erscheint jedoch in mehrfacher Hinsicht problematisch. (1) Bedenken gegen die Erhebung Gewohnheitsrecht

von Richterrecht

in den Rang

von

Zweifelhaft ist bereits, ob für Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle heutzutage, neben einer mit dem Anspruch auf Vollständigkeit auftretenden Kodifikation des Zivilrechts, überhaupt noch eine Legitimation oder ein Bedürfnis besteht. Die Frage kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht erschöpfend behandelt werden. Immerhin drängt sich der Eindruck auf, als habe die tradierte Sichtweise vom Gewohnheitsrecht als gleichrangig neben dem Gesetz stehender Rechtsquelle den methodischen Wandel, den die Durchsetzung kodifizierten Rechts im 19. Jahrhundert einfordert, noch nicht endgültig vollzogen. Der Rechtserkenntnisprozeß muß seinen Ausgang vom geschriebenen Rechtssatz (im Vertragsrecht vom Vertrag) nehmen. Von dort aus gilt es das rechtlich Gebotene mit dem Arsenal bewährter juristischer Methoden zur Geltung zu bringen. Die Zielrichtung gewohnheitsrechtlich fundierter Rechtsfindung ist demgegenüber eine andere, mit dem Kodifikationsgedanken nur schwerlich zu vereinbarende. Schon diese allgemeine Vorüberlegung sollte zur Zurückhaltung im Umgang mit dem Gewohnheitsrecht mahnen. 716 Im Schrifttum wird insbesondere die Frage aufgeworfen, ob die im Wege der Norminterpretation, der Normausfüllung und der Normergänzung gewonnenen Erkenntnisse der Rechtsprechung dadurch gesetzesgleiche Verbindlichkeit erlangen können, daß sie zur Grundlage eines Gewohnheitsrechts werden. Die 715 Heck, Sachenrecht, §107, 3, S. 432: „Was vorliegt, ist ein Gewohnheitsrecht."; MünchKomm-Quack, Anh. §§929-936 B G B Rdnr.3; Baur/Stürner, Sachenrecht, §57Rdnr. 1; Larenz/ Wolf, Allgemeiner Teil, §3 Rdnr.25; Serick, ZIP 1995, 792; zweifelnd offenbar Raisch, Z H R 150 (1986), S. 138. 7 1 6 Die abnehmende Bedeutung des Gewohnheitsrechts mit der Ausbreitung des geschriebenen Rechts beschreibt eindringlich Raisch, Z H R 150 (1986), S. 120ff. Von einer Sinnentleerung des Begriffs „Gewohnheitsrecht" geht auch Eisenhardt, Allgemeiner Teil, §4 Rdnr. 54, aus.

IV.

Übergang

zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

337

wohl herrschende Meinung will dies nicht ausschließen. 717 Aber auch hier sprechen gute Gründe gegen eine zu schnelle Beförderung richterlicher Erkenntnisse in den Rang gewohnheitsrechtlicher Geltung. Denn die logische Folge einer solchen Aufwertung des Richterrechts ist, daß dann auch die Gerichte an ihre Rechtsregeln wie an Gesetze gebunden wären. 718 Eine Änderung der Rechtsprechung wäre als Bruch des Gewohnheitsrechts und damit als Rechtsfortbildung contra legem zu werten, die - wenn überhaupt - nur unter sehr engen Voraussetzungen gebilligt werden kann. Korrigiert oder abgelöst werden könnte einmal existentes Gewohnheitsrecht grundsätzlich nur noch durch den Gesetzgeber oder durch die Bildung neuen Gewohnheitsrechts. Sähe man dies anders, würde man insbesondere den höchsten Gerichten getreu der Maxime „Wer Normen setzt, kann sie auch ändern" 719 die Kompetenz zugestehen, sich über das von ihnen ins Leben gerufene Gewohnheitsrecht hinwegzusetzen, 720 so müßte man das Gewohnheitsrecht von einer gesetzesgleichen zu einer rangniedrigeren, weil zur Disposition der Rechtsprechung gestellten Rechtsquelle sui generis herabstufen. Damit wäre dann freilich die Verbindlichkeit des Rechts in einem zentralen Punkt in Frage gestellt. Die Formulierung des Art. 2 E G B G B , „Gesetz im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs und dieses Gesetzes ist jede Rechtsnorm" verlöre vor diesem Hintergrund ihren Sinn und auch ein Konflikt mit Art. 20 Abs. 3 G G zeichnete sich ab. 721 Scheut man diese Konsequenz, wofür einiges spricht, so verbliebe es bei der ebenfalls negativ zu bewertenden Gefahr der Erstarrung der Rechtsprechung. Dies wäre gerade auf dem Gebiete der nicht kodifizierten Verträge, bei denen es sich sehr oft um moderne 7 1 7 Für grundsätzliche Anerkennung dieser Möglichkeit - wenn auch unter strengen Voraussetzungen - Larenz, Methodenlehre, S. 357 und 433; ders., in: FS für Schiraa, S.253ff.; Larenz/ Wolf, Allgemeiner Teil, § 3 Rdnr. 40; Fikentscher, Methoden des Rechts III, S. 699; Bydlinski, Methodenlehre und Rechtsbegriff, S.215; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, §39 II, S.266; Palandt-Heinrichs, Einleitung Rdnr. 24; Kramer, Methodenlehre, S. 177, der freilich eingesteht, daß Beispielsfälle außerordentlich schwer zu nennen sind. Grundsätzlich a. A. Esser, in: FS für F. v. Hippel, S. 113f., Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 464ff., Staudinger-Comg, Einl. zum B G B Rdnrn. 232f., 242; Raisch, Z H R 150 (1986), S.117ff. und Eisenhardt, Allgemeiner Teil, § 4 Rdnr. 54f. Daß Richterrecht nicht per se mit Gewohnheitsrecht gleichgesetzt werden kann, ist unstreitig vgl. Eisenhardt, Allgemeiner Teil, § 4 Rdnr. 54 m.w.N. 718 Larenz, in: FS für Schima, S.253; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §3 Rdnr.39; Olzen, J Z 1985, 159; Eisenhardt, Allgemeiner Teil, §4 Rdnr. 54; Staudinger-Coing, Einleitung, Rdnr. 233; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 503; so auch B G H Z 37,219 (224). Für Esser (in: FS für F. v.Hippel, S. 121) ist das Flexibilitätsargument sogar der Grund, die Möglichkeit richterlichen Gewohnheitsrechts generell zu negieren: „Welcher Preis wird praktisch verlangt, wenn wir ein richterliches' Gewohnheitsrecht anerkennen sollen? Daß das Revisionsgericht seine eigenen Entscheidungen trotz besserer Einsicht nicht wieder umstoßen dürfe." Einschränkend aus diesem Grunde auch Kramer, Methodenlehre, S. 177. Vgl. im übrigen auch schon Ehrlich, Recht und Leben, S. 91. Zum Problem aus historischer Sicht Raisch, Z H R 150 (1986), S. 127ff. 7 1 9 So Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S.466; ihm zuneigend Kramer, S. 178. 7 2 0 So in der Tat Hanau, in: FS für Hübner, S. 478. 721 Hierzu Olzen,}Z 1985, 159.

Methodenlehre,

338

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

Vertragsformen des Wirtschaftsverkehrs handelt, überaus mißlich. Denn gerade die neuen Geschäftsformen sind in hohem Maße innovativ und wandelbar. Der Flexibilitätsverlust, der weit über den schon der richterlichen Rechtsfortbildung bescheinigten hinausginge, wäre für dieses Rechtsgebiet nicht hinnehmbar.

(2) Die - meist nicht erfüllten - tatbestandlichen Entstehung von Gewohnheitsrecht

Voraussetzungen für die

Abgesehen davon dürften auch die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Entstehung von Gewohnheitsrecht, über die im Grundsatz Konsens besteht, im Falle der nicht kodifizierten Verträge kaum je erfüllt sein. Von Gewohnheitsrecht ist auszugehen, wenn eine - zunächst in aller Regel ungeschriebene Norm über einen längeren Zeitraum gleichmäßig angewandt wird (longa consuetudo) und die Uberzeugung der Beteiligten festgestellt werden kann, daß diese Übung rechtlich geboten ist (opinio necessitatis oder opinio iuris). 722 Wie für jede andere Rechtsvorschrift kommt unausgesprochen hinzu, daß die Regel rechtssatzmäßig formuliert werden kann, sie also insbesondere hinreichend be71"!

stimmt ist. Was nun das erste Element, die langandauernde tatsächliche Übung, anbelangt, so erscheint bei den zahlreichen Vertragstypen, die sich erst in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt haben, bereits die Erfüllung des zeitlichen Kriteriums zweifelhaft. Über die Anforderungen an die zeitliche Dauer der Übung bestehen zwar Meinungsverschiedenheiten. 724 Eine Zeitspanne von weniger als zehn Jahren seit der Herausbildung der Regel wird jedenfalls in aller Regel nicht genügen. Nach dem traditionellen Verständnis vom Wesen des Gewohnheitsrechts muß sich zudem die tatsächliche Übung als Praxis der beteiligten Verkehrskreise und nicht als bloßer Gerichtsgebrauch darstellen. 725 Richterrecht ist ohne Hinzutreten besonderer qualifizierender Umstände kein Gewohnheitsrecht im traditionellen Sinne, weil es seine Existenz allein den schöpferischen Bemühungen der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis verdankt. 726 Ein Bei722 Zu den Voraussetzungen des Gewohnheitsrechts vgl. im einzelnen Larenz, Methodenlehre, S.356ff.; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §3 Rdnr.23f.; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, §32 II 2, S.208f. und §39, S. 264ff.; Eisenhardt, Allgemeiner Teil, Rdnr. 45; Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, S. 243ff.; Raisch, ZHR 150 (1986), S. 119f.; Fikentscher, Methoden des Rechts III, S. 699; aus der Rechtsprechung RGZ 75,40 (41); BGHZ 37,219 (222); BVerfGE 28, 21 (28). 723 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §3 Rdnr. 24. 724 Nachweise zu dieser historischen Streitfrage bei Raisch, ZHR 150 (1986), S. 120 Fn. 17. Ferner Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, §39 II, S.267. 725 0/ze»,JZ 1985, 158. 726 Raisch, ZHR 150 (1986), S.137; Eisenhardt, Allgemeiner Teil, §4 Rdnr.54; StaudingerCoing, Einl. zum BGB Rdnr.233. Anders allerdings die Einschätzung der zweiten Kommission, die Gewohnheitsrecht als „Produkt der fortbildenden Thätigkeit des Richters" ansah (vgl. Mugdan I, S. 570); sehr viel strenger noch die Motive der ersten Kommission (vgl. Mugdan I, S.362ff.).

IV.

Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

339

spiel kann man in der Geschäftsgrundlagenkonstruktion des Bundesgerichtshofes sehen, die es dem Leasingnehmer gestattet, sich im Verhältnis zum Leasinggeber auf die gegenüber dem Lieferanten geltend gemachte Wandlung wegen Mangelhaftigkeit des Leasinggegenstandes zu berufen. 727 Es handelt sich um eine gewagte, ja geradezu artifizielle Schöpfung der Rechtsprechung, die seit ihrer erstmaligen Postulierung in zahlreiche Urteile Eingang gefunden hat. Für eine tatsächliche Übung ist hingegen mehr zu verlangen, nämlich daß der Rechtssatz auch von den beteiligten Verkehrskreisen praktiziert wird. Dies würde den Nachweis voraussetzen, daß die Regel in den Vertragswerken rezipiert wird bzw. die Bedingungen von der Geltung der Regel erkennbar ausgehen, etwa indem sie inhaltlich an diese anknüpfen. Für die Geschäftsgrundlagenlösung im Leasingvertragsrecht hat sich eine solche Verfahrensweise derzeit noch nicht allgemein durchgesetzt. Ferner wird es oftmals an der Überzeugung der Beteiligten fehlen, daß der richterlichen Spruchpraxis die gesteigerte Qualität allgemeinverbindlichen Rechts zukommt. Hierfür bedürfte es nämlich eines hinreichend festumrissenen Gegenstandes, auf den sich eine opinio iuris erstrecken könnte. Viele der erst in der jüngeren Vergangenheit auf den Plan getretenen Konstrukte der Vertragspraxis haben aber noch nicht ihre endgültige Form gefunden. Und auch im Bereich der mittlerweile etablierten Verträge fehlt es häufig noch an der für die Entstehung von Gewohnheitsrecht notwendigen Verfestigung der rechtlichen Beurteilung. Vieles ist auch hier noch heftig umstritten. Gerade das Beispiel „Leasing" zeigt, daß es dabei keineswegs nur um Randfragen, sondern vielfach um das grundsätzliche Verständnis dieser Vertragstypen geht. Genau zu eruieren ist im übrigen stets, wie weit die gewohnheitsrechtliche Durchdringung reicht. Daß die Sicherungsübereignung gewohnheitsrechtlich anerkannt ist, wurde bereits hervorgehoben. Damit ist allerdings noch nicht gesagt, daß sich der in der Übung manifestierende Gemeinwille auch auf verschiedene konkrete Rechtsfolgen erstreckt, die vielfach mit diesem Rechtsinstitut in Verbindung gebracht werden. Der Verweis auf die Wesensgemäßheit für das Institut der Sicherungstreuhand mag noch genügen, um den Rückgabeanspruch des Sicherungsgebers nach Vertragsende an der gewohnheitsrechtlichen Geltung partizipieren zu lassen. Das Prinzip der Teilfreigabe ist hingegen noch spezieller und hinsichtlich seiner rechtlichen Fundierung weniger klar. Als typisches Ergebnis einer zweckorientierten Auslegung wird man einen Teilfreigabeanspruch legitimieren können. Ein hierauf gerichteter allgemeiner Rechtsgeltungswille läßt sich hingegen nicht mehr sicher feststellen; noch weniger sind Haftobergrenzen Gegenstand einer communis opinio iuris. 728

727 728

Vgl. hierzu schon oben II. 2. a) (1). Wie hier Pfeiffer, ZIP 1997, 50f.

340

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

(3) Fazit: Gewobnheitsrechtliche Verfestigung nicht Vertragstypen als höchst singulares Phänomen

kodifizierter

Selbst wenn man der hier favorisierten Meinung nicht folgt, daß der Erhebung richterrechtlich geschaffener Regeln in den Rang von Gewohnheitsrecht auf dem Gebiete des Zivilrechts grundsätzliche Bedenken entgegenstehen, wird man für die modernen, verkehrstypischen Verträge - entgegen den eingangs zitierten Autoren - zu Gewohnheitsrecht geronnene Rechtsregeln als höchst singuläre Erscheinungen einstufen müssen. Am ehesten könnte man von Gewohnheitsrecht wohl noch in Bezug auf solche Verträge sprechen, die in Ausfüllung historischer Regelungslücken von der Rechtsprechung in ihren rechtlichen Grundzügen geformt worden sind. So ließe sich beispielsweise erwägen, dem soweit ersichtlich - unangefochtenen Satz, daß der Vorvertrag jedenfalls dann der Form des Hauptvertrages bedarf, wenn das Formerfordernis vor einer übereilten Bindung warnen soll, 729 gewohnheitsrechtliche Geltung zuzuerkennen.

4. Die Regeln des allgemeinen

Schuldrechts

Bereits bei der Erörtung der besonderen Probleme langfristiger Verträge ist deutlich geworden, daß für die Bestimmung des Rechtsfolgeprogramms eines Innominatkontrakts auch die im Bürgerlichen Gesetzbuch in den §§241 bis 432 B G B enthaltenen Vorschriften und Lehren des allgemeinen Schuldrechts von Bedeutung sind. Im folgenden soll der Einsatzbereich dieser Rechtsquelle im Hinblick auf nicht kodifizierte Verträge näher abgesteckt werden.

a) Anwendung Schuldrechts

der dispositiven Bestimmungen

des

allgemeinen

Die Regeln des allgemeinen Schuldrechts zeichnen sich dadurch aus, daß sie nicht an ein Schuldverhältnis bestimmten Inhalts anknüpfen, sondern grundsätzlich für alle Schuldverhältnisse und somit auch für alle Vertragsformen Geltung beanspruchen. O b es sich um einen legislativ strukturierten oder um einen dem Gesetz nicht bekannten Vertragstyp handelt, spielt mithin für die Anwendbarkeit des allgemeinen Schuldrechts im Ausgangspunkt keine Rolle. Zu Recht wird daher in Schrifttum und Rechtsprechung im Hinblick auf die Konkretisierung des Inhaltes nicht kodifizierter Verträge auf die Anwendbarkeit der Regeln des allgemeinen Schuldrechts abgehoben. 730 In anderen Rechtsordnungen wird 729 RGZ169,185 (189); 76,303 (304); BGH NJW 1973,1839; 1975,1170; 1986,1983; LM § 766 BGB Nr. 8; NJW-RR 1988, 288 (289); Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, S. 147ff.; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil II, § 162 IV, S. 998; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §23 Rdnr. 101; Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 145 BGB Rdnr.20; MünchKomm-Kramer, Vor §145 BGB Rdnr. 38. 730 Soergel-Wolf, §305 BGB Rdnr.26; Erman-ßaiies, Einl. §305 BGB Rdnr. 15; Palandt-

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

341

die Anwendbarkeit der allgemeinen Bestimmungen sogar ausdrücklich angeordnet. Art. 1107 Code Civil lautet: „Les contrats, soit qu'ils aient une dénomination propre, soit qu'ils n'en aient pas, sont soumis a des règles générales, qui sont l'objet du présent titre. " Ähnlich formuliert der italienische Codice civile in Art. 1323: „ Tutti i contratti, anchorchè non appartengano ai tipi che hanno una disciplina particolare, sono sottoposti alle norme generali contenute in questo titolo. " In welchem Verhältnis die allgemeinen Vorschriften zu den sonstigen hier bereits behandelten - Rechtsgewinnungsmethoden stehen, ist allerdings im deutschen Schrifttum nur selten Gegenstand genauerer Reflexion. 731 (1) Exklusivitätsanspruch

des allgemeinen

Schuldrechtsf

Besonderer Wertschätzung erfreuten sich die allgemeinen Vorschriften des Obligationenrechts im Hinblick auf gesetzlich nicht geregelte Verträge offenbar in der Literatur zur Zeit des Entstehens der großen europäischen Kodifikationen im 18. und 19. Jahrhundert. Mitunter wurde hier sogar die in dem Satz gipfelnde Extremposition verfochten, unbenannte Verträge, die sich unter keine gesetzliche Kategorie einordnen ließen, müßten ausschließlich nach den allgemeinen Regeln des Obligationenrechts beurteilt werden.732 Von Laurent ist beispielsweise der Satz überliefert: „ Une convention pareille serait régie par les principes généraux qui sont formulés au titre des Obligations; on ne pourrait pas appliquer les règles spéciales que le code établit pour la vente ou pour l'échange."™ Und noch Crome notierte, daß der Inhalt von Parteivereinbarungen, welche unter keinen der speziellen Schuldtypen fielen, lediglich nach der besonderen Abrede und im übrigen nach den allgemeinen Grundsätzen des ersten Buches und des allgemeinen Schuldrechts zu beurteilen seien.734 Ein absoluter Anwendungsvorrang des allgemeinen Schuldrechts wird - soweit ersichtlich - heute nicht mehr vertreten. Die Bedenken gehen in mehrere Richtungen. Zum einen muß eine betont normativ ausgerichtete Herangehensweise insofern Widerspruch hervorrufen, als damit immer auch die latente Gefahr begründet wird, dem Parteiwillen nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit zu schenken, also die Normen des allgemeinen Schuldrechts anzuwenden Heinrichs, Einf. v. §305 BGB Rdnr. 15; Jauernig-Vollkommer, §305 BGB Rdnr. 25; Enneccerus/ Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 99 V, S. 392; Canaris, JuS 1970,219; Pfeiffer, ZIP 1997, 50; Berner Kommentar-Kramer, Bd. VI/1, Art. 19-20 Rdnr. 68; RGZ 126, 65 (67); RG Gruchot 53, 932; SeuffA 96 Nr. 56; RGZ 158, 321 (326); BGH NJW 1992, 2690. 731 Bezeichnenderweise finden sich weiterführende Beiträge vorzugsweise im schweizerischen Schrifttum. Vgl. etwa Meier-Hayoz, SJK Nr. 1134 und Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht, VII/2, S. 780. 732 Charmatz (Vertragstypen, S. 188) hält dies unter Berufung auf die Materialien zum ABGB und auf Tevenar (Versuch über die Rechtsgelahrtheit, S. 371) sogar für die im 18. Jahrhundert herrschende Ansicht. Vgl. im übrigen die weiteren Nachweise bei Charmatz, Vertragstypen, S.41, 83f. und 266ff. 733 Laurent, Principes de droit civil, Bd.24 cap.68. 734 Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, II, § 143, S.25.

342

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

ohne zuvor das vertragliche Regelungsprogramm sorgfältig ausgelotet zu haben. Dieses Gravamen ist hier bereits mehrfach näher ausgeführt worden. Zum anderen wird man darauf hinweisen müssen, daß die Normen des allgemeinen Schuldrechts aufgrund ihres weiten Anwendungsbereichs sehr abstrakt und allgemein gefaßt sind und von daher für die mitunter doch recht speziell gelagerten Problem- und Konfliktlagen nicht kodifizierter Verträge oftmals nichts oder nur wenig beitragen können. 735 Man denke in diesem Zusammenhang nur an die Geltung von Kündigungsfristen (etwa beim Automatenaufstellungsvertrag). Die Problemlösungskompetenz des allgemeinen Schuldrechts ist mithin nicht allumfassend, sondern begrenzt. Wichtige Impulse für die Bewältigung der rechtlichen Probleme nicht kodifizierter Verträge gehen auch vom gesetzlich geordneten Recht der besonderen Vertragstypen aus.736 Diese im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung per analogiam zur Geltung zu bringenden Bezugspunkte gesetzlicher Wertungen drohen aus dem Blick zu geraten, wenn man die Lösung allein im allgemeinen Schuldrecht sucht.

(2) Das allgemeine Schuldrecht und die Spezifika des Vertrags

gesetzesfremden

Das zuletzt angesprochene Verhältnis des allgemeinen Schuldrechts zu dem durch Auslegung zu ermittelnden Rechtsfolgeprogramm bereitet Schwierigkeiten, die sich in dieser Form bei den gesetzlich vertypten Verträgen nicht stellen. 737 Denn dort steht in weitem Umfang das gesetzliche Dispositivrecht des jeweiligen Schuldvertragstyps bereit, das vertragliche Pflichtenarrangement zu komplettieren bzw. als Ersatzregelung einzuspringen. Die Regelungdichte der vertraglichen Vereinbarung ist, weil man sich auf das Gesetz verläßt, häufig auch entsprechend geringer. Konflikte infolge widerstreitender Rechtsfolgeanordnungen verlagern sich dann tendenziell auf die Ebene des Gesetzes. Für die Auflösung von Kollisionsfällen intra legem kann der Richter auf ein verläßliches Regelschema zurückgreifen. Vor allem wird er sich der Grundregel bedienen, daß die Spezialvorschriften des besonderen Teils den allgemeinen Bestimmungen vorgehen. 738 Bei Verträgen, die im Gesetz keine nähere Ausgestaltung erfahren haben, muß hingegen der Richter entscheiden, ob zur Lösung des Problems eine lex specialis aufgestellt werden muß. Auf ihn kommt somit ein Arbeitsschritt zu, der nicht anfiele, wenn es sich um einen Vertrag handeln würde, der im besonderen Schuldvertragsrecht eine Regelung erfahren hätte. Für diese

735 So schon die Kritik von Hoeniger, Grundformen, S. 351; ebenso Eick, Problem der gemischten Verträge, S.69; Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.202; Charmatz, Vertragstypen, S. 340. 736 Dellios, Rechtsfindungsmethode, S.202. 737 Hierzu allen voran Meier-Hayoz, SJK Nr. 1134, S. 8. 738 Palandt-Putzo, Überbl. vor §433 BGB Rdnr. 4; Meier-Hayoz, SJK Nr. 1134, S. 8. Als Beispiel seien die §§446 und 447 BGB im Verhältnis zu §323 BGB genannt.

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

343

vorzugsweise im Wege der (ergänzenden) Auslegung739 zu bewerkstelligende Aufgabe bedarf es einer am Vertragszweck und der typischen Interessenlage der Vertragsparteien ausgerichteten, umfassenden Abwägung. Die typischen wirtschaftlichen Zusammenhänge sind hierbei einzubeziehen. Ergibt sich auf diese Weise die Notwendigkeit einer den Besonderheiten des nicht kodifizierten Vertrages angepaßten Sonderlösung, so genießt diese den Vorrang vor den dispositiven Normen des allgemeinen Schuldrechts. Somit läßt sich der Stellenwert des allgemeinen Schuldrechts im Rechtsfindungsverfahren für nicht kodifizierte Verträge wie folgt umschreiben: Den allgemeinen Regeln eignet eine in der Praxis mitunter nicht hinreichend beachtete Problemlösungskompetenz. Ihre Leistungsfähigkeit sollte auf der anderen Seite aber auch nicht überschätzt werden. Läßt sich die Rechtsfolgenbestimmung auf Regeln des allgemeinen Schuldrechts stützen, so handelt es sich dabei stets um unmittelbare Normanwendung. Die Schwelle zur deduktiv-normgeleiteten Rechtsfindung ist eindeutig überschritten. Der unmittelbare Rückgriff auf die allgemeinen Bestimmungen steht jedoch unter dem Vorbehalt der Vertragsangemessenheit.740 Die Wertungen des besonderen Vertragstypenrechts gelangen dagegen von vornherein nur vermittelt über die (ergänzende) Vertragsauslegung zur Anwendung. Diese Differenzierung hatte im übrigen in ähnlicher Form schon Schreiber (Theorie der analogen Rechtsanwendung) angeregt.741 Beispiele für die Anwendung der dispositiven Vorschriften des Allgemeinen Schuldrechts auf gesetzlich nicht geregelte Verträge finden sich zuhauf. Erinnert sei an die hier bereits referierten höchstrichterlichen Urteile des Reichsgerichts741 und des Bundesgerichtshofs, zuletzt zu Sponsoring-, 743 Theaternutzungs- 744 und Unterlassungsverträgen.745 Große praktische Relevanz entfaltet vor allem der Regelungskomplex des Leistungsstörungsrechts. So beurteilen sich, um nur ein Beispiel zu nennen, die Rechtsfolgen der verspäteten bzw. unterbliebenen Lieferung des Leasinggegenstandes nach den Regeln der §§320ff.

739 Sehr klar Schluep, in: Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 797 für gemischte Verträge: „Fraglich kann ... sein, ob die (dispositive) Regel des allgemeinen Teils nicht durch abweichende ergänzende Vertragsauslegung modifiziert oder derogiert wird." 740 Wie hier Meier-Hayoz, SJK Nr. 1134, S. 8, der zu Recht eindringlich vor einer mechanischen Übertragung der allgemeinen Bestimmungen auf einen gesetzlich nicht geregelten Vertrag warnt. 741 Vgl. Schreiber, JherJb 60 (1912), S. 216: „Jeder Vertrag, der nicht genau so, wie er vorliegt, im Gesetz geregelt ist, unterliegt unmittelbar allein den Sätzen des allgemeinen Teiles des Schuldrechts. Die Sätze des speziellen Schuldrechts sind auf ihn nur analog anwendbar." Nebenbei sei darauf hingewiesen, daß sich auch in dieser Äußerung die für damalige Verhältnisse nicht untypische, aus heutiger Sicht jedoch übertrieben erscheinende, Erwartungshaltung gegenüber den Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts spiegelt. Zu den Mängeln des Konzepts der analogen Rechtsanwendung siehe bereits oben unter §6 I. 3. 742 R G Z 126, 65 (67); 158, 321; R G Gruchot 53, 932ff.; SeuffA 96 Nr. 56. 743 B G H N J W 1992, 2690. 744 B G H N J W 1992, 496. 745 B G H N J W 1997, 1702 und 1706.

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§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

B G B über Schuldnerverzug und Unmöglichkeit. 746 Canaris hat ferner nachgewiesen, daß sich die rechtliche Beurteilung von Servicemängeln bei der Durchführung eines Speiserestaurantvertrages mit dem Instrumentarium des Leistungsstörungsrechts überzeugend gestalten läßt. 747 Weitere Entscheidungen aus der Instanzgerichtsbarkeit ließen sich anführen. 748

b) Exkurs: Die Anwendung zwingender Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts Auf den Inhalt eines gesetzlich nicht näher geregelten Parteiarrangements wirken sich nicht nur die dispositiven Normen des allgemeinen Schuldrechts aus. Unter den allgemeinen Bestimmungen des Rechts der Schuldverhältnisse finden sich vereinzelt auch solche, die dem zwingenden Recht zuzuordnen sind. Unabhängig von der vertragstypologischen Einordnung des jeweiligen Vertrages statuieren sie inhaltliche Schranken der rechtsgeschäftlichen Gestaltung (z.B. §§276 Abs. 2 , 3 1 0 , 3 1 2 , 3 4 3 , 4 2 2 B G B ) oder unterwerfen bestimmte Handlungsweisen einem besonderen Formerfordernis (§§311, 312 Abs.2; 313 B G B ) . Freilich ist hier das Feld der Inhaltsbestimmung der Vereinbarung im engeren Sinne verlassen, denn es geht um die Wirksamkeit der mit einem bestimmten bereits im Wege der Auslegung ermittelten - Inhalt zustande gekommenen Parteiabrede. Die Beschäftigung mit solchen gesetzlichen Vorschriften, die inhaltliche Mindestanforderungen aufstellen, denen der Vertrag zu entsprechen hat, soll hier dem Dritten Kapitel vorbehalten bleiben. Eine gewisse Sonderstellung nimmt das in §313 Satz 1 B G B statuierte Erfordernis der notariellen Beurkundung für Geschäfte ein, die die Verpflichtung begründen, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben. Zwar knüpft auch diese Vorschrift an den Inhalt der vertraglichen Vereinbarung an. Beanstandet wird aber genau genommen nicht die inhaltliche Angemessenheit der Vereinbarung, ihre Ubereinstimmung mit den in dieser Hinsicht geltenden Mindestanforderungen, sondern die Art und Weise des Zustandekommens, eben die Nichtbeachtung einer vorgeschriebenen Form. Von Inhaltskontrolle, selbst in einem weiteren Sinne, 749 läßt sich daher nicht sprechen. Aus diesem Grunde seien angesichts des thematischen Zusammenhangs zum allgemeinen Schuldrecht einige Anmerkungen zur Formvorschrift des § 313 Satz 1 B G B und ihrer Bedeutung für nicht kodifizierte Verträge an dieser Stelle erlaubt. 746 Martinek, Moderne Vertragstypen I, §6 III, S. 128ff.; Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr. 3 75 ff. 747 Canaris, JuS 1970, 219f. in kritischer Auseinandersetzung mit AG Garmisch-Partenkirchen NJW 1969, 608. 748 Instruktiv zuletzt AG Herne-Wanne NJW 1998, 3651 zur Haftung eines Konzertveranstalters für die unterbliebene Sitzplatzzuweisung eines Besuchers nach Unmöglichkeitsrecht; hierzu die Rezension von H. Roth, JuS 1999, 220ff. 749 Zum Begriff der Inhaltskontrolle eingehend Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 5ff. und Becker, WM 1999, 710.

IV. Übergang zur deduktiv-normgeleiteten

Rechtsfindung

345

Wenn es zutrifft, woran nicht zu zweifeln ist, daß die Formvorschrift des §313 Satz 1 B G B nicht zur Disposition der Vertragsparteien steht, so lassen sich hieraus bereits erste Schlüsse betreffend die methodische Herangehensweise ziehen. Die Rechtsfindung muß hier an der zwingenden Gesetzesnorm ansetzen. Ihren Geltungsumfang gilt es nach den anerkannten Regeln der Gesetzesauslegung zu ermitteln. Dabei sind vor allem Sinn und Zweck der Vorschrift zu berücksichtigen. Erst nachdem diese - natürlich mit Blick auf den zu entscheidenden Lebenssachverhalt erfolgte - Normkonkretisierung abgeschlossen ist, rückt der tatsächlich abgeschlossene Vertrag in den Mittelpunkt. Nun gilt es festzustellen, ob die im Wege der Normauslegung präzisierten Tatbestandsvoraussetzungen in Gestalt des vorliegenden Vertrages erfüllt sind. Erst jetzt kommt es zu einer Analyse des jeweiligen Vertrages und zwar im Hinblick auf konkrete, von den Tatbestandsmerkmalen der Norm vorgegebene Fragestellungen. Als Beispiel möge insoweit der Bauträgervertrag dienen. Dieser setzt sich gewöhnlich aus zwei Hauptbestandteilen zusammen, nämlich aus der Verpflichtung des Bauträgers zur Übertragung des Eigentums an einem Grundstück und der von ihm ebenfalls übernommenen Verpflichtung, dieses entsprechend den Wünschen des Kunden zu bebauen. In der Praxis stellt sich in Ansehung eines solchen gemischten Vertrages - noch dringlicher ist das Problem bei den neueren Vertragstypen des Immobilienerwerbs (z.B. Bauherren-Modelle, Generalübernehmer-Modell) - 7 5 0 die Frage, ob der gesamte Vertrag, also einschließlich des werkvertraglichen Teils der notariellen Beurkundung unterliegt. Die Rechtsprechung hält - wie bereits referiert wurde - den Bauträgervertrag in toto für beurkundungsbedürftig. 751 Dieses Ergebnis entspricht in der Tat einer an Sinn und Zweck des Formerfordernisses ausgerichteten Rechtsanwendung. §313 B G B bezweckt in erster Linie die Sicherstellung der Belehrung über die rechtliche Tragweite des Rechtsgeschäfts. Beide Vertragspartner sollen hierdurch vor übereilten und unüberlegten, meist folgenreichen Verpflichtungen geschützt werden (Warn- und Beratungsfunktion). Flankierend treten hinzu die Beweisund die Gültigkeitsgewährfunktion. 752 Diese Funktionen könnten nicht mehr in vollem Umfang erfüllt werden, wenn sich der Beurkundungszwang lediglich isoliert auf die Ubertragungs- oder Erwerbsverpflichtung als solche erstrecken würde, die im Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehenden Teile jedoch nicht erfassen würde. Die Belehrung würde dann nur einen Ausschnitt der Vertragswirklichkeit streifen. So ist anerkannt, daß Neben- und Zusatzabreden formbedürftig sind, wenn sie nach dem Willen der Parteien Bestandteil Hierzu Reithmann, NJW 1992, 652ff. und Koeble, NJW 1992, 1143. BGHZ 78, 346; Staudinger-Wufla, §313 BGB Rdnr.168; Koeble, NJW 1992, 1143. Vgl. hierzu bereits oben unter §5 IV. 2. b. 752 Zu den Funktionen des in §313 Satz 1 BGB statuierten Formerfordernisses: MünchKomm-Kanzleiter, §313 BGB Rdnr.l; Soergel-Wolf, §313 BGB Rdnr.3; Staudinger-Wußa, §313 BGB Rdnr.3; Palandt-Heinrichs, §313 BGB Rdnr.2; ferner BGH NJW 1982,1639 (1640); 1983, 1610. 750 751

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§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

des Hauptvertrages sein sollen.753 Von hier aus ist es dann nicht mehr weit zur Beurteilung eines gemischten Vertrages, wie ihn der Bauträgervertrag darstellt. Wenn die in ihm verkoppelten Teile eine rechtliche Einheit bilden, so verlangt der mit dem Formgebot verfolgte Zweck die Erstreckung des Beurkundungszwangs auf den gesamten Vertrag. Dabei stellt die Rechtsprechung auf den Willen der Parteien ab, aus dem sich ergeben müsse, daß beide Teile miteinander „stehen und fallen" sollen.754 Erst jetzt rückt der Bauträgervertrag, seine innere Struktur und die Willensrichtung der Vertragspartner ins Rampenlicht. Liegen die Dinge so, daß das Grundstück und die Bebauung als Einheit (zu einem Festpreis) angeboten werden, so ist die Erstreckung des Beurkundungszwangs auf ein solches Vertragsgebilde geboten. Dies dürfte jedenfalls für den typischen Bauträgervertrag anzunehmen sein. In Zweifelsfällen bedarf es zur Feststellung dieser Zusammenhänge einer näheren Beschäftigung mit der Ausgestaltung der vertraglichen Beziehungen. Derartige Überlegungen haben den Bundesgerichtshof beispielsweise dazu geführt, einen im Rahmen eines Bauherrenmodells abgeschlossenen Treuhandvertrag, durch den ein Betreuer beauftragt wird, im Namen und in Vollmacht des Auftraggebers ein Grundstück zu erwerben, dem Beurkundungszwang zu unterwerfen.755 Resümierend läßt sich festhalten: Bei der Anwendung zwingender Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts auf nicht kodifizierte Verträge, stellen sich wie das Beispiel des § 313 Satz 1 BGB erweist - keine aus der besonderen Struktur eines solchen Vertrages herrührenden Probleme. Uber die Anwendbarkeit der gesetzlichen Vorschrift entscheidet demgemäß auch nicht ein bestimmter, zur Beförderung der Rechtsfindung gemischter Verträge entwickelter Theorieansatz. Die Beurkundungspflicht für typische Bauträgerverträge beruht nicht etwa auf dem Absorptionsprinzip, sondern schlicht auf der zutreffend abge-

753 B G H Z 116,251 (254); B G H N J W 1989, 898f.; 1997, 250 (252); Larenz, Schuldrecht I, §5, S.71; Staudinger-Wußa, §313 B G B Rdnr.74 und 142; Soergel-Wolf, §313 B G B Rdnr.65. 754 B G H Z 78,346 (349); B G H N J W 1987,1069; 1988, 132; 1994,2885; 1997,250 (252); Jauernig- Vollkommer, § 313 B G B Rdnr. 19; Vahndt-Heinrichs, § 313 B G B Rdnr. 32. Freilich sei darauf hingewiesen, daß der Einheitlichkeitswille der Parteien „unter Berücksichtigung der Interessen der Vertragsschließenden" (BGH N J W 1987, 1069, 1070), also auf objektiver, an den typischen Gegebenheiten ausgerichteter, Grundlage zu ermitteln ist. Ist hiernach Einheitlichkeit anzunehmen, so liegt in einer gegenteiligen Klausel „nur ein unbeachtlicher Versuch ..., die zwingenden Folgen eines Formverstoßes abzuwenden" ( B G H NJW 1987,1069,1070). In Formularverträgen liegt hierin ein zur Nichtigkeit der Klausel führender Verstoß gegen §9 A G B G (Reithmann, N J W 1992,653). Staudinger-Wußa, § 313 B G B Rdnr. 158ff. unterscheidet insoweit zwischen gemischten und zusammengesetzten Verträgen. Anders als beim zusammengesetzten Vertrag komme es beim gemischten Vertrag auf den subjektiven Parteiwillen nicht an. Der gemischte Vertrag sei deshalb seinem ganzen Inhalt nach beurkundungspflichtig, weil die mehreren Vertragstypen kraft Sachzusammenhangs verbunden seien. Das besagt jedoch nichts anderes, als daß vom Einheitlichkeitswillen beim gemischten Vertrag im Regelfall ohne weiteres - per definitionem - ausgegangen werden darf. Ein substantieller Unterschied zur herrschenden Meinung besteht nicht. 755 B G H N J W 1988, 132; 1992, 3237 (3238); zust. MünchKomm-Ä*«zfa'ter, §313 B G B Rdnr. 54; Soergel- Wolf, §313 B G B Rdnr. 73; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rdnr. 44.

V. Typische Lösungsmuster

innerhalb

verschiedener

Vertragskategorien?

347

steckten Reichweite des Formerfordernisses. 756 Allgemein wird man sagen können, daß der Rechtsfindungsprozeß bei zwingenden Normen vom Prinzip her von der Norm zum Vertrag verläuft, während die Inhaltsbestimmung beim jeweiligen Vertrag ansetzt und - besonders deutlich bei nicht kodifizierten Verträgen - erst in einem späteren Stadium auch die Wertungen gesetzlicher Dispositiworschriften verwertet. Dieses Resümee läßt sich im übrigen auch auf die zwingenden Vorschriften aus dem Bereich des besonderen Schuldrechts übertragen.

V. Typische Lösungsmuster innerhalb Vertragskategorien ?

verschiedener

Auf eine lange Tradition können Theorieentwürfe zurückblicken, die sich um eine Einteilung der schuldrechtlichen Vertragstypen nach jeweils unterschiedlich definierten Kriterien bemühen. Verschiedene solcher Einteilungsversuche sind uns bereits im Rahmen dieser Untersuchung ins Blickfeld geraten. Erinnert sei etwa an das Begriffssystem der normativen Typenordnung, die Kategorien der Dauerschuldverhältnisse, der komplexen Langzeitverträge und der Netzverträge; von weiteren ist sogleich noch zu handeln. Welcher Wert kommt nun solchen Kategorienbildungen im Hinblick auf die Bestimmung der Rechtsfolgen eines Vertrags zu und wie lassen sich solche Überlegungen in den Rechtsfindungsgang integrieren?

1. Grundanliegen der Klassifizierungsvorschläge und allgemeine Bedenken Die Zielrichtung solcher Systematisierungsversuche liegt in der besseren Aufbereitung der gesetzlichen Schuldvertragsordnung, die sich bekanntermaßen auf eine lose Aneinanderreihung inhaltlich verwandter Vertragstypen beschränkt. Es geht ihnen um die Aufdeckung vom Bürgerlichen Gesetzbuch verschütteter Gemeinsamkeiten. In der bloßen Deskription und Analyse erschöpfen sich diese Konzepte jedoch in aller Regel nicht. Aus den gefundenen Ubereinstimmungen, auf welcher Ebene sie auch immer liegen mögen, werden gewöhnlich auch Schlüsse auf die Rechtsfolgenseite, auf die rechtliche Lösung bestimmter vertragsrechtlicher Probleme gezogen. Die vorgeschlagenen Klassifi7 5 6 So auch Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 63 II, S. 50. Auf dieser Basis muß auch über die Formbedürftigkeit sonstiger gesetzlich nicht geregelter Verträge entschieden werden. Vgl. hierzu aus der Rechtsprechung: B G H N J W 1978, 212 zu einem im Zusammenhang mit einem Grundstücksveräußerungsgeschäft geschlossenen Schiedsvertrag; R G Z 103, 154 zur Schuldmitübernahme; B G H N J W 1987,1069 zum Mietkaufmodell; B G H N J W 1983,565 zur Sicherungsabrede; R G Z 76, 303 (304); 169, 185 (189); B G H N J W 1973, 1839; 1975, 1170; 1986, 1983; LM §766 B G B Nr. 8; N J W - R R 1988, 288 (289) zum Vorvertrag.

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§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

zierungen sind gewöhnlich von vornherein so ausgestaltet, daß neue Vertragsformen, die im Bürgerlichen Gesetzbuch bislang keine Heimstatt gefunden haben, aufgenommen werden können. Die Verbindungslinien verlaufen dann quer durch die gesetzlichen Vertragstypen. Sie legen sich gleichsam wie ein zweites Gitternetz auf die vorhandene Ordnung. Die Frage ist freilich, ob von solchen Systembildungen ein rechtsanwenderischer Vorteil zu erwarten ist oder ob sie tendenziell in die falsche Richtung weisen. Die Beurteilung muß dabei die Heterogenität der vorgeschlagenen Klassifizierungen in Rechnung stellen. Dessen eingedenk seien einige allgemein gehaltene Bemerkungen an dieser Stelle gestattet. Vorausgeschickt sei, daß in der neueren Zivilgesetzgebung eine Tendenz erkennbar wird, Rechtsfolgeanordnungen nicht mehr an bestimmten BGB-Vertragstypen, sondern an - im Hinblick auf das jeweilige Regelungsanliegen zusammengefaßte - Vertragsgruppen anzuknüpfen. Solche Entwicklungen vollziehen sich meist nicht innerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuches, sondern in den sich immer zahlreicher wie ein Kranz um die Grundkodifikation legenden Nebengesetzen. Ein Musterbeispiel bietet insoweit das Verbraucherkreditgesetz. Den zentralen Anknüpfungspunkt seiner verbraucherschützenden Regelungen bilden in sachlicher Hinsicht der Kredit- und der Kreditvermittlungsvertrag (vgl. § 1 VerbrKrG). Der Kreditvertrag ist eine dem Bürgerlichen Gesetzbuch fremde Zusammenfassung mehrerer Vertragsarten mit Finanzierungsfunktion. 757 Hierzu gehört auch ein Leasingvertrag, wenn er darauf angelegt ist, dem Leasingnehmer den Gebrauch der Sache auf unbestimmte oder begrenzte Dauer zu verschaffen und im Rahmen der Gegenleistung dem Leasinggeber das eingesetzte Kapital einschließlich des kalkulierten Gewinns zurückgewährt werden soll. 758 Ferner kann auch ein Franchisevertrag einen Zahlungsaufschub gewähren 759 oder eine Verpflichtung zum wiederkehrenden Bezug von Waren enthalten 760 und damit (insoweit) als Kreditvertrag dem Verbraucherkreditgesetz unterfallen. Man sieht, daß hier eine dem Bürgerlichen Gesetzbuch fremde Vertragskategorie eingeführt worden ist, die mehrere, teils kodifizierte (Darlehen), teils gesetzlich nicht weiter geregelte Vertragstypen hinsichtlich eines be-

757 Hintergrund ist die Vorgabe dieses Begriffs durch die Verbraucherkredit-Richtlinie 87/ 102/EWG (vgl. dort die in Art. 1 Abs. 2 Buchst, c) enthaltene Legaldefinition des Kreditvertrags). Vgl. auch die Verwendung dieses Begriffs im Gesetz über das Kreditwesen (insbesondere §§13ff.). Der Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes sieht nunmehr die Uberführung des Verbraucherkreditgesetzes in das Bürgerliche Gesetzbuch vor. In Abschnitt 7 des Zweiten Buchs (Recht der Schuldverhältnisse) soll ein mit „Kreditvertrag, Kreditvermittlungsvertrag" überschriebener Titel 4 eingestellt werden. Die Definition des Verbraucherkreditgesetzes wird im wesentlichen beibehalten (vgl. §490 Disk-E; aus der Begründung des Diskussionsentwurfs vgl. die S. 490ff.). Allgemein zum Diskussionsentwurf die Ausführungen unter §10 I. 4. 758 B G H N J W 1996, 2033 (2034) m.w.N.; Palandt-Putzo, §1 VerbrKrG Rdnr.8; eingehend hierzu auch Canaris, ZIP 1993, 401 ff. 759 Palandt-ftitzo, § 1 VerbrKrG Rdnr.7. 760 B G H N J W 1995, 722 (723); L G Berlin N J W - R R 1994, 692.

V. Typische Lösungsmuster innerhalb verschiedener

Vertragskategorien?

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stimmten Regelungskomplexes zu einer Einheit verklammert. Der Kreditvertrag hat sodann auch in das vor kurzem in Kraft getretenen TeilzeitwohnrechteGesetz Eingang gefunden (vgl. dort §6). 761 Ebenfalls in einem Nebengesetz wurde vom Gesetzgeber das vertragsrechtliche Denkmodell der Dauerschuldverhältnisse aufgegriffen. Die §§10 Nr. 3 und 11 Nrn. 1 und 12 AGBG statuieren insoweit punktuell bestimmte Wirksamkeitsschranken (bzw. Ausnahmen von ihnen) für vorformulierte Verträge, die ein Dauerschuldverhältnis begründen. Weiterhin ließe sich das Haustürgeschäftewiderrrufsgesetz nennen, das unterschiedliche Formen des Direktvertriebs zusammenfaßt und einheitlich bestimmten verbraucherschützenden Vorschriften unterwirft.762 Der Blick auf diese jüngeren legislativen Entwicklungen zeigt einerseits, daß der Gesetzgeber bereit ist, dort, wo es ihm angezeigt erscheint, von einer an einzelnen Vertragstypen ausgerichteten, isolierenden Regelungstechnik abzugehen und sich neuen, übergeordneten Kategorisierungen zu öffnen. Auf der anderen Seite wird deutlich, daß eine solche Vertragsgruppenbildung immer nur punktuell zur Erreichung eines ganz bestimmten, eng umrissenen Zwecks erfolgt. Mitunter geht es nur um die Erstreckung einer einzelnen Rechtsfolge (z.B. eines Widerrufsrechts) auf eine bestimmte Kategorie von Verträgen. Von einer umfassenden Rechtsfolgenkonzeption für einzelne Vertragskategorien ist der Gesetzgeber noch weit entfernt. Nach Ansicht des Verfassers ist die Legislative auch gut beraten, sich in diesem Punkt weiterhin Zurückhaltung aufzuerlegen. Die prinzipiellen Bedenken gegen den Versuch, vertragsrechtliche Kategorien mit dem Ziel zu entwickeln, aus der dann möglichen Einordnung des Vertrages Rechtsfolgen abzuleiten, resultieren in erster Linie aus dem zu befürchtenden Verlust der problemspezifischen Bodenhaftung. An die Stelle einer intensiven Analyse der vertraglichen Wertungszusammenhänge, des mit dem Vertrag verfolgten Zwecks und seines ökonomischen Hintergrundes im Wege der (ergänzenden) Auslegung tritt tendenziell eine auf einer höheren Abstraktionsebene angesiedelte Deduktion. Uberspitzt ausgedrückt wird aus der vorgenommenen Klassifizierung des zu beurteilenden Vertrages abgeleitet, wie sich die Verteilung der Rechte und Pflichten darzustellen hat. Es gilt mutatis mutandis das, was Oechsler den Leitbild- und Typenentwürfen vorgehalten hat:763 „Eine Methode, die die rechtsanwenderische Aufmerksamkeit vom konkreten Zweckzusammenhang zwischen Problem und Rechtsfolge ablenkt, erscheint... nicht bedenkenfrei". Das zweite Monitum schließt sich an: die mit der Bildung vertragstypübergreifender Kate761 Für eine mit § 1 VerbrKrG übereinstimmende (weite) Begriffsbestimmung Palandt-Putzo, §6 TzWrG Rdnr.5; Hildenbrand/Kzppus/M'isch, §6 TzWrG Rdnr.7; Drasdo, §6 TzWrG Rdnr.4. 762 Verträge über eine entgeltliche Leistung in der vorausgesetzten Abschlußsituation können sein: gesetzlich normierte Verträge (z.B. Kauf- oder Werkverträge), gemischte Verträge (z.B. Schlüssel-Funddienst-Verträge, vgl. BGH NJW1995,324) oder typenfremde Verträge (z.B. Leasingverträge; vgl. Soergel-Wolf, § 1 HWiG Rdnr. 7). 763 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 381.

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§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

gorien verbundene Abstraktionssteigerung läuft tendenziell Gefahr, die Rechtsfindung mit einem weiteren Unsicherheitsmoment zu belasten. Je höher das Abstraktionsniveau und damit die Anzahl der erfaßten Fallgestaltungen, desto allgemeiner und undifferenzierter fallen die möglichen Aussagen aus. Verliert man diesen Zusammenhang aus den Augen, 764 so kann sich eine entsprechende Systembildung durchaus als kontraproduktive Störung des Rechtsfindungsprozesses erweisen. Auch eine weitere mögliche Komplikation sollte bedacht werden. Sie liegt darin begründet, daß sich durchaus verschiedene Systembildungen mit guten Gründen vertreten lassen und auch tatsächlich vertreten werden. Legte man ihnen allesamt Gewicht für den Rechtsfindungsgang bei, so erführe dieser infolge überlappender Kategorisierungen eine weitere kaum wünschbare Komplexitätssteigerung. Um beispielsweise eine vertragsrechtliche Frage aus einem Kreditkartengeschäft zu beantworten, müßten gleich mehrere Vertragskategorien bemüht werden. Der Kreditkartenvertrag begründet ein Dauerschuldverhältnis; er ist zudem ein komplexer Langzeitvertrag, ein Netzvertrag und eine trilateral-synallagmatische Leistungsverknüpfung. Will man nicht bestimmte Kategorisierungen von vornherein als ungeeignet ausscheiden, was nur schwer möglich ist, so müßten in der Tat die Konsequenzen sämtlicher Zuordnungen bedacht, verglichen und abgewogen werden. Ein Schritt hin zu einem klar strukturierten Verfahren der Rechtsfindung kann hierin nicht gesehen werden. Vor diesem Hintergrund sind vertragstypübergreifende Kategorisierungen zwar nicht rundweg abzulehnen. Wohl aber gilt es, sich ihnen nur aus kritischer Distanz zu nähern. Mit dieser Maßgabe sollen abschließend einige hier noch nicht angesprochene Kategorisierungsvorschläge betrachtet werden.

2. Schlüsse aus der Einordnung in das klassische Ordnungssystem der Schuldverträge Zuvor soll der Blick freilich noch einmal auf das im zivilrechtlichen Schrifttum entwickelte Einteilungsschema für die außerhalb der gesetzlichen Schuldvertragsordnung stehenden Verträge gelenkt werden. 765 Dieses Raster zwingt den Rechtsanwender, sich mit der inneren Struktur eines zur Beurteilung anstehenden Vertrages auseinanderzusetzen. Nach vollzogener Einordnung kann er sodann auf das in jahrzehntelanger Rechtsprechung und in mannigfachen wissenschaftlichen Untersuchungen erworbene Erfahrungswissen um bestimmte typische Lösungsmuster innerhalb der jeweiligen Vertragsgruppen zurückgreifen. Die Schwäche dieser Vorgehensweise liegt jedoch wiederum darin, daß sie das Schwergewicht nicht auf die Analyse der vertraglichen Wertungszusammenhänge legt. Im Vordergrund steht bei ihr vielmehr die Frage, welche gesetz764 Was schnell geschehen kann, da die notwendige souveräne Problemübersicht nicht immer vorhanden ist (vgl. Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.379). 765 Vgl. hierzu schon die Ausführungen unter §2 II.

V. Typische Lösungsmuster

innerhalb

verschiedener

Vertragskategorien?

351

liehen Normen zur Lösung des Vertragsproblems aufgerufen sind. Aufgrund dieses strukturellen Defizits sollte zumindest der Einstieg in den Rechtsfindungsprozeß von möglichen Schlüssen aus der Zusammensetzung eines nicht kodifizierten, insbesondere gemischten, Vertrages zugunsten einer unvoreingenommenen Analyse des Vertragsinhalts freigehalten werden. Unklug wäre es andererseits, den aufgebauten Erfahrungsschatz bewährter, an die Einordnung anknüpfender Lösungsmuster brachliegen zu lassen. Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, diesen Gedankenschritt als Schlußstein in das Rechtsfindungsverfahren einzubauen. Das bis zu diesem Punkt gewonnene Ergebnis kann auf diese Weise einer Plausibilitätskontrolle unterzogen werden. Stimmt es mit dem typischen Lösungsmuster innerhalb der betreffenden Vertragsgruppe überein, so kann dies als Bestätigung gewertet werden. Im entgegengesetzten Fall sollte die Diskrepanz den Rechtsanwender dazu veranlassen, sein Ergebnis noch einmal zu überdenken.

3. Inhalt der Leistung als

Klassifizierungskriterium

Ein andere Idee besteht darin, die Formen vertraglicher Interessenarrangements nach ihrem Leistungsinhalt zu klassifizieren. Für die in einer Gruppe auf der Basis der festgestellten Gemeinsamkeiten zusammengeschlossenen Vertragstypen könnte man sodann versuchen, einen Grundbestand einheitlicher Rechtsregeln zu erarbeiten. Die in diese Richtung weisenden Systematisierungsvorschläge verfolgen durchweg nicht das Ziel, ein lückenloses und flächendeckendes Einordnungsschema vorzugeben, das jeden vertraglichen Zusammenschluß in sich aufzunehmen vermag. Der Anspruch ist bescheidener; es sollen lediglich gemeinsame Regeln für einige Segmente der Vertragswirklichkeit formuliert werden. Sieht man sich nun die aus den Reihen des Schrifttums entwickelten Einteilungskonzepte näher an, so fällt zunächst der höchst unterschiedliche Zuschnitt der gebildeten Gruppen auf. Auf der einen Seite stehen sehr weit ausgreifende Entwürfe. Als Beispiel ließe sich die von Gitter zum genus proximum seiner Darstellung erhobene Kategorie der „Gebrauchsüberlassungsverträge" anführen. 766 Gitter sieht hierin alle Verträge vereinigt, bei denen eine Sache oder ein Gegenstand der anderen Partei rechtlich oder doch wenigstens wirtschaftlich auf beschränkte Zeit überlassen wird. 767 Unter dem gemeinsamen Dach finden sich so unterschiedliche Verträge Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge. Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, § 1 A, S. 1; vgl. auch Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 183. Als Abschnittsüberschrift findet sich die Bezeichnung auch bei Fikentscher, Schuldrecht, §74, S.485 sowie bei Larenz, Schuldrecht II/l, §48, S.21 und Heck, Schuldrecht, §96, S.301 (jeweils „Verträge auf Gebrauchsüberlassung"). Esser/Weyers (Schuldrecht II/l, §13, S. 129) überschreiben ihr Kapitel mit „Uberlassungsverträge"; ebenso im Anschluß an sie Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 145. Bei Medicus, Schuldrecht II, Rdnr. 183 findet sich die Kennzeichnung als „Verträge zur Überlassung auf Zeit". 766 767

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§7 Grundpfeiler

eines methodengerechten

Rechtsfindungskonzepts

wie der Mietvertrag, der Leasingvertrag, der Franchisevertrag oder aber der Lizenzvertrag. In Anbetracht der großen inhaltlichen Variationsbreite der Gebrauchsüberlassungsverträge ist es schwer, überhaupt gemeinsame Regelungsprobleme zu beschreiben.768 Der Fundus gemeinsamer Problemlösungen jedenfalls ist ausgesprochen gering. Von daher läßt sich schon an dieser Stelle festhalten: Der rechtsanwenderische Nutzen der Kategorienbildung im Vertragsrecht schwindet in dem Maße, in dem der gemeinsame Oberbegriff an Schärfe verliert und demzufolge die Anzahl der von ihm erfaßten Vertragstypen ansteigt. Ahnlich weit ausgreifende Kategorien begegnen dem Betrachter ferner die nachfolgende Aufzählung erhebt nicht den Anspruch der Vollständigkeit in Gestalt von Veräußerungsverträgen,769 von Aufnahmeverträgen770 und von Tätigkeitsverträgen.771 Im Hinblick auf die erstrebte Beförderung der Rechsfindung empfiehlt sich, wenn überhaupt, die Bildung überschaubar dimensionierter Gruppen eng verwandter Vertragstypen. Als Beispiel einer klar profilierten und auch quantitativ kalkulierbaren Vertragsgruppe lassen sich die sogenannten „Betriebsanlehnungsverträge" anführen. Die Bezeichnung stammt - soweit ersichtlich - von Canaris772 und ist aussagekräftiger als der von der Rechtsprechung benutzte Terminus des „Gestattungsvertrages".773 Das typische Merkmal dieser Verträge besteht in der Einbettung eines Gegenstandes oder eines Geschäfts in den gewerblichen Betrieb eines anderen zum gemeinsamen Nutzen beider Vertragspartner. Der wichtigste UnDies konzediert auch Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, § 1 E, S. 6. Diese sollen durch eine endgültige Übertragung eines Gegenstandes aus dem Vermögen des einen in das Vermögen eines anderen gekennzeichnet sein (z.B. Schenkung, Kauf, Tausch und Werklieferungsvertrag). Vgl. hierzu Esser/Weyers, Schuldrecht I I / l , §1, 1, S. 1, Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 165 und in Abgrenzung zu den Gebrauchsüberlassungsverträgen Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, § 1 C, S. 4. Heck, Schuldrecht, §81, S. 249ff. sprach von „Umsatzverträgen" . In den modernen Schuldrechtslehrbüchern (Larenz, Schuldrecht I I / 1 , § 3 9 , S . 6 ; Fikentscher, Schuldrecht, Rdnr. 655) wird die Kategorie der Veräußerungsverträge gleichsam der Anordnung des Bürgerlichen Gesetzbuches als verbindender Ordnungsbegriff vorangestellt, ohne daß freilich der Versuch einer diese Verträge vereinenden Teilbereichsdogmatik gewagt würde. Vorherrschend ist - aus gutem Grund - die Einzeldarstellung der jeweiligen Vertragstypen. 768

769

770 Esser/Weyers (Schuldrecht I I / l , S.335ff.) führen als Unterfälle die Verwahrung und die Sacheinbringung bei Gastwirten an. Aber auch den Krankenhausaufnahmevertrag und den Heimvertrag könnte man hier einordnen. 771 Nach Oetker (Dauerschuldverhältnis, S. 150) zeichnen sich diese dadurch aus, daß sie den Schuldner der vertragstypischen Hauptleistung zu einer Tätigkeit für einen anderen verpflichten oder dem Gläubiger eine Vergütung für eine Tätigkeit versprechen. Als Beispiele werden genannt: Dienst-, Werkleistungs- und Geschäftsbesorgungsverträge. Ahnlich Fikentscher, Schuldrecht, §78, S. 537 („Schuldverhältnisse über Tätigkeiten") und Staudinger- Wittmann, Vorbem. zu §§662 - 676 B G B Rdnr.4 („Betätigungsverträge"); Oetker (Dauerschuldverhältnis, S. 151) macht allerdings zutreffend auf die grundlegenden strukturellen Unterschiede aufmerksam, die innerhalb der Gruppe der Tätigkeitsverträge auftreten und diese Kategorie - so darf man ergänzen - als geeigneten Gegenstand substantieller gemeinsamer rechtlicher Aussagen disqualifizieren. 772 773

Larenz/Canaris, Schuldrecht I I / l , §63 IV, S.61. B G H N J W 1978, 1155 (1156); 1983, 159 (160).

V. Typische Lösungsmuster

innerhalb

verschiedener

Vertragskategorien?

353

terfall ist der Automatenaufstellungsvertrag. Weitere - teilweise schon vor längerer Zeit ins Blickfeld der Rechtsprechung gelangte - Vertragsgestaltungen dieser Art sind etwa Vereinbarungen über das Betreiben einer Wechselstube774 oder einer Buchhandlung775 in einem Bahnhof, über die Einrichtung eines Zeitungsstandes in einer Hotelhalle776 oder über den Ausschank auf einem Markt.777 Ausgehend vom Automatenaufstellungsvertrag, den er wie den allgemeinen Typus des Betriebsanlehnungsvertrages für gesetzlich nicht geregelt hält, hat Canaris sich bemüht, typische Regelungsprobleme zu beschreiben und mögliche Lösungen aufzuzeigen.778 Dabei läßt sich kaum in Abrede stellen, daß der Betriebsanlehnungsvertrag auf diese Weise greifbare Konturen annimmt. Der Erfolg dürfte jedoch zum einen darin begründet sein, daß Canaris der Interessenlage und den Intentionen der Parteien maßgebliches Gewicht beimißt und der Versuchung widersteht, aus der getroffenen Einordnungsentscheidung auf die Verteilung der Rechte und Pflichten im Vertrag zu schließen. Zum anderen fällt auf, daß Canaris die Entfaltung des Betriebsanlehnungsvertrages vom Automatenaufstellungsvertrag her - und nicht umgekehrt - betreibt. Auch hier macht es sich offenbar bezahlt, die Analyse des konkreten Vertrags bzw. - soweit dieser keine erheblichen Besonderheiten aufweist - der konkreten Vertragsform in den Vordergrund zu rücken und hiervon ausgehend unter Einbeziehung etwaiger normativer Wertungen nach der vertragsgerechten Lösung zu suchen. Die Ubertragbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse auf andere, ähnlich gelagerte Vertragsverhältnisse erweist sich als erfreuliche Begleiterscheinung. Die Zusammenfassung der verwandten Vertragsgestaltungen unter einem Dach ist dann immerhin geeignet, den Rechtsanwender auf mögliche Parallelwertungen aufmerksam zu machen. Solche Fälle einer sinnvollen Verklammerung sind jedoch nicht eben häufig. Das Risiko, den Rechtsfindungsprozeß mit zusätzlichen Unsicherheiten zu belasten oder vertragsfremde Kriterien in ihn einzuführen, wiegt meist schwerer als der in aller Regel doch eher begrenzte Nutzen. Dies belegen exemplarisch die kritischen Bemerkungen Oechslers zu dem Versuch Fikentschers, die neue Kategorie des „Werkverschaffungsvertrages" zu etablieren und die hierunter fallenden Vertragsgestaltungen nach gemeinsamen Rechtsregeln zu behandeln.779 R G Z 108, 369 (371). B G H LM Nr. 11 zu §581 B G B . 776 R G GruchBeitr. 68, 310 (311). 777 B G H L M Nr.31 zu §581 B G B . 778 Larenz/Canaris, Schuldrecht II/l, §63 IV, S.61ff. 779 Fikentscher (AcP 190 [1990], S. 34ff.) bemüht sich um eine einheitliche rechtliche Beurteilung von Austauschgestaltungen, in denen ein Unternehmer sich gegenüber einem Besteller zur Verschaffung eines Werkes durch einen zwischengeschalteten Werkerbringer verpflichtet. Als (m.E. zu schmale) Ausgangsbasis dienen ihm hierbei Konzertveranstaltungsverträge, Anlagebauverträge, Versorgungsleistungsverträge auf Flughäfen und Gesamttransportverträge. Vgl. hierzu die eingehende und überzeugende Kritik bei Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.378f. und 424ff. 774

775

354

§7 Grundpfeiler eines methodengerechten

4. Das

Rechtsfindungskonzepts

Grundformen-Paradigma

Ein anderer theoretischer Ansatz will nicht auf den Leistungsinhalt des Vertragsrechtsverhältnisses oder die Art der Verknüpfung der verschiedenen Vertragselemente abstellen, sondern die unterschiedlichen Interessenbeziehungen der Parteien zum Bezugspunkt eines Einteilungssystems erheben. Erste Uberlegungen in diese Richtung finden sich bereits bei von Jhering:7S0 „ Tauschcontract, Schenkung, Societät sind die drei Typen, welche das Verhalten des Willens zum Interesse auf dem Gebiete des Rechts erschöpfen. Im Tauschcontract will der Wille das eigene Interesse auf Kosten des fremden (Egoismus), in der Schenkung das fremde auf Kosten des eigenen (Selbstverleugnung) in der Societät das eigene im fremden." Aufgegriffen und ausgebaut wurde dieser Gedanke sodann durch Beyerle, der in der Treuhand, der Gesamthand und dem Synallagma die „Grundformen persönlicher Verkettung" erblickte.781 Im Anschluß hieran formulierte Würdinger die bis heute gebräuchliche Trias denkbarer Interessenkonstellationen: der Interessengegensatz, die Interessengemeinschaft und die Interessenwahrung.782 Von seinen Schöpfern als geschlossener Entwurf gedacht ist dieses Einteilungssystem darauf angelegt, alle zivilrechtlichen Vertragsformen einschließlich etwaiger Mischtypen in sich aufnehmen. Auch in neuerer Zeit hat man sich dieses Einteilungsschemas immer wieder bedient.783 Auf diesem Wege sind wichtige Beiträge zur tieferen Durchdringung einiger gesetzlich nicht oder nur rudimentär geregelter Vertragstypen entstanden. Fruchtbar ist offenbar in besonderem Maße die Kategorie der Interessenwahrung, die durch eine Unterordnung der Interessen der einen Partei unter die der anderen sowie durch im Verhältnis zu Austauschgeschäften gesteigerte Treuepflichten beider Beteiligten geprägt ist.784 Zu dieser Grundform rechnen insbesondere die vielfältigen Formen der Geschäftsbesorgung. Peter Ulmer hat beispielsweise die Rechtsnatur des Vertragshändlervertrages ausgehend von dieser Kennzeichnung näher zu entfalten versucht.785 Das Grundformen-Paradigma war auch Ausgangspunkt für Martineks tiefschürfende Analyse des Franchising.786 Hierbei ist er zur 780 v. Jhering, Zweck im Recht, Bd.l, S.214; ähnlich zur gleichen Zeit Crome, Partiarische Rechtsgeschäfte, S. 146. 781 Beyerle, Die Treuhand im Grundriß des deutschen Privatrechts, S. 16ff. (insbes. S. 24). 782 Würdinger, Gesellschaften, Erster Teil: Recht der Personalgesellschaften, S. 9ff. 783 So zur rechtlichen Beurteilung wettbewerbsbeschränkender Verträge, insbesondere von Ausschließlichkeitsabreden, Rittner, Ausschließlichkeitsbindung, S. 112ff., Biedenkopf, Wettbewerbsbeschränkungen, S. 87ff. mit Hervorhebung der Drittbezogenheit solcher Vereinbarungen und Paul, NJW 1964,130; im Hinblick auf die rechtliche Würdigung des Geschäftsbesorgungsverhältnisses Staudinger-Martinek, §675 BGB Rdnr. A 37ff. 784 Zu ihr ausführlich Staudinger -Martinek, §675 BGB Rdnr. A 40ff. Schon Rumpf (AcP 119 [1921], S. 55f.) hatte die Besonderheiten der Interessenwahrungsverhältnisse - von ihm als Fälle der „Interessenvertretung" bezeichnet - herausgestellt. 785 Ulmer, Vertragshändler, S.265ff. 786 Martinek, Franchising, S. 239ff.; ders., Vertragstypen II, § 14 III 4, S. 62ff. Von ihm stammt - soweit ersichtlich - auch die hier übernommene Bezeichnung des Einteilungsschemas als „Grundformen-Paradigma".

V. Typische Lösungsmuster

innerhalb verschiedener

Vertragskategorien?

355

Zweiteilung der Franchiseverhältnisse in Subordinationsverhältnisse und in verschiedene Formen des Partnerschafts-Franchising gelangt. Das in der Praxis im Vordergrund stehende Subordinations-Franchising wird von Martinek den Verhältnissen der weisungsgebundenen Interessenwahrung zugeordnet. Seine vertragstypologische Analyse der Rechte und Pflichten der Parteien eines Subordinations-Franchisevertrages ist maßgeblich von dieser Zuordnung geprägt. Bemerkenswert ist, daß Martinek der Charakterisierung einer vertraglichen Beziehung als Subordinationsverhältnis offenbar auch Bedeutung für die Grenzen der Vereinbarungsfreiheit beimessen möchte. Das Subordinationsverhältnis zeichnet sich in seinen Augen durch eine asymmetrische Interessenkonstellation aus, die im Falle eines Machtungleichgewichts der Parteien von vornherein nur in vergleichsweise schwächerem Maße zu einem Interessenausgleich der Parteien mit vertragsimmanenter Richtigkeitsgewähr zu führen vermag. Aus diesem Grunde bestehe ein gegenüber Austauschverträgen von vornherein erhöhter rechtlicher Regelungs- und Interventionsbedarf. 787 Das skizzierte Modell der rechtsgeschäftlichen Interessenstrukturtypen wird man durchaus als beachtenswürdigen Beitrag auf dem Wege zu einem überzeugenden methodischen Konzept der Rechtsfindung anerkennen können. Hervorzuheben ist, daß es sich als weitgehend immun gegen die eingangs artikulierten allgemeinen Bedenken im Hinblick auf den Wert vertragsrechtlicher Kategorienbildung erweist. Denn die vertragsspezifische Verknüpfung der Interessenrichtungen der Parteien ist ein wesentliches Kriterium jeder Vertragsauslegung. Diese Blickrichtung läßt sich damit zwanglos in den Auslegungsvorgang integrieren. So es auf diesem Wege zu einer Schärfung des Analyseinstrumentariums kommt, kann dies nur begrüßt werden. Freilich sollte der juristisch-heuristische Wert auch nicht überschätzt werden. Denn mit der Einordnung eines Vertrages in das Schema der Interessenstrukturtypen ist nur der erste Schritt getan. Nach dieser Weichenstellung, die bei Mischtypen mitunter auch zu einem „mehr oder weniger" oder einem „sowohl als auch" führen kann, ist die Kärrnerarbeit der weiteren Erschließung des Vertragsinhalts meist noch zu leisten. Gleichwohl fällt das Urteil positiv aus, da es nur von Vorteil sein kann, sich im Rahmen der Auslegung mit der Eigenart der im Vertrag in rechtliche Formen gegossenen Interessenstruktur zu befassen.

787

Staudinger-Martinek, §675 BGB Rdnrn. 44f.

Drittes Kapitel

Inhaltskontrolle Das Ziel der bisherigen Überlegungen war es, aufzuzeigen, welchen methodischen Anforderungen die Konkretisierung und Ergänzung des von den Parteien stipulierten Pflichtenprogramms unterliegt, wie also unter größtmöglicher Respektierung der privatautonomen Gestaltungsfreiheit der Parteien der maßgebliche Inhalt des Vertrages ermittelt werden kann. Im weiteren soll uns nun die Frage beschäftigen, welche inhaltlichen Schranken die Zivilrechtsordnung nicht kodifizierten Verträgen setzt, wo also die inhaltliche Gestaltungsfreiheit in Gestalt der Typenfreiheit an ihre Grenzen stößt. 1

1

Zur Inhaltskontrolle von Qualifizierungsabreden vgl. bereits oben unter § 7 III. 1. c) (2) (b).

§ 8 Typenfreiheit und Rechtsordnung Die Freiheit, die vom Gesetzgeber bereitgestellten Vertragstypen aufzugreifen, sie zu modifizieren oder die Vertragsbeziehungen gänzlich abweichend von ihnen auszugestalten, ist kein der Rechtsordnung gleichsam a priori vorgegebener Grundsatz, der in jedem Fall den Vorrang für sich beanspruchen könnte. Vielmehr ist der Grundsatz der Typenfreiheit in die Rechtsordnung eingebunden. Er steht im Kontext mit zahlreichen weiteren Zielvorgaben, denen die Rechtsordnung verpflichtet ist (Sicherung der Vertragsfreiheit gegenüber mißbräuchlicher Inanspruchnahme, Verbraucherschutz, Minderjährigenschutz, Wahrung öffentlicher Interessen etc.). Im Brennpunkt des Interesses stehen die Vorkehrungen der Rechtsordnung zur Sicherung eines Mindestmaßes an inhaltlicher Ausgewogenheit der Parteivereinbarung. Im folgenden sollen zunächst die Kontrollbedürftigkeit und die nach geltendem Recht zu beurteilende Kontrollfähigkeit gesetzlich nicht geregelter Verträge näher beleuchtet werden.

I. Gefahren einer extensiven Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit - zur Kehrseite des modernen Vertragsrechts Die heutige kommerzielle Vertragspraxis macht von der ihr eingeräumten Vertragsfreiheit in weitestem Umfang Gebrauch, gräbt sich, bildhaft gesprochen, „ohne Rücksicht auf Rechtsquellen das Flußbett für ihren Rechtsstrom." 1 Gerade in den zahlreichen nicht kodifizierten Verträgen, die durch eine nicht nur marginale Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht gekennzeichnet sind, findet dieser Befund seine Bestätigung. Im Hinblick auf das Institut der Vertragsfreiheit fällt die Bewertung durchaus ambivalent aus. In den gesetzesfremden Verträgen spiegelt sich zum einen die Kreativität der modernen Kautelarpraxis, die sich in einer den Bedürfnissen des Wirtschaftslebens entsprechenden Weise entfalten kann. Zum anderen aber birgt die weitausgreifende Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit verschiedene Gefahrenmomente, die im nicht kodifizierten Vertrag oftmals kumulativ zusammentreffen. Für ein Urteil über die Kontrollbedürftigkeit gesetzlich nicht geregelter Verträge sind vor allem folgende, zum Teil ineinanderfließende Aspekte von Bedeutung.

1

Wiethölter,

in: Das Rechtswesen - Lenker oder Spiegel der Gesellschaft (1971), S. 178.

358

5 8 Typenfreiheit und

1. Der Ausfall der Gerechtigkeitsgewäbr

Rechtsordnung

des dispositiven

Gesetzesrechts

Die erste Bemerkung zu diesem Thema knüpft an die hier bereits belegte Erkenntnis an, daß die gesetzliche Regelung der Schuldvertragstypen eine über die subsidiäre Reservefunktion hinausgehende Ordnungsfunktion zu erfüllen hat.2 Die einzelnen Normengefüge erschöpfen sich nicht in der bloßen Wiedergabe des mutmaßlichen Parteiwillens, sondern sind zugleich durchdrungen von dem Bestreben, dem Rechtsverkehr eine gerechte und zweckmäßige Ordnung des für das jeweilige Verkehrsgeschäft typischen Interessenkonflikts zur Verfügung zu stellen. Vor diesem Hintergrund wird man konstatieren müssen, daß ein gesetzestypischer Vertrag, dessen Inhalt sich mangels abweichender Vereinbarungen nach dem dispositiven Gesetzesrecht richtet, eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit in sich trägt, eine gerechte Ordnung zu begründen, einfach weil er sich das gesetzliche Gerechtigkeitsmodell zu eigen macht. Freilich handelt es sich bei dieser Aussage nur um eine Tendenzbeschreibung, die keineswegs immer zutreffen muß. Nicht ausgeschlossen werden kann beispielsweise, daß im Einzelfall eine durch besondere, atypische Umstände geprägte Sachverhaltskonstellation vorgelegen hat, die Parteien es jedoch versäumt haben, ihr durch entsprechende Modifikationen der gesetzlichen Regelung Rechnung zu tragen. Das dispositive Gesetzesrecht büßt hier seine Gerechtigkeitsvermutung ein; der mit einem solchen Vertrag befaßte Rechtsanwender ist aufgerufen, über eine Korrektur mittels ergänzender Vertragsauslegung nachzudenken. Zu einer gewissen Relativierung des angedeuteten Schlusses aus der Nähe eines Vertrages zu einem gesetzlich geregelten Vertragstyp auf den Gerechtigkeitsgehalt des konkret erzielten Interessenausgleichs trägt sodann auch der Umstand bei, daß sich dem gesetzlichen Regelungskatalog grundsätzlich keine den Leistungsinhalt und den Preis sowie das Verhältnis beider zueinander betreffende Vorgaben entnehmen lassen. Das Preis-/Leistungsverhältnis soll der privatautonomen Festsetzung der Parteien überlassen bleiben. Das Recht der einzelnen Vertragstypen nimmt sich lediglich der Modalitäten des Leistungsaustausches und der an ihn anknüpfenden Folgefragen (Haftung, Gewährleistung, Nebenpflichten) an. Um es überspitzt auszudrücken: Ein Vertrag kann infolge des unausgewogenen Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung in hohem Maße ungerecht sein, ohne daß sich dies in einer Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht widerspiegeln würde.3 Aber auch dann, wenn man diese Einschränkungen mit ins Kalkül zieht, wird man an dem oben angedeuteten Zusammenhang zwischen Gesetzesnähe und Gerechtigkeitsgehalt eines Vertrages - verstanden als vage Tendenzbeschreibung - nicht vorbeikommen.

2 Zur historischen Entwicklung vgl. § 3 V. 3.; zum Zusammenhang mit dem AGB-Gesetz vgl. §4 II. 2. 3 Eine äußerste Grenze zieht hier lediglich §138 BGB; hierzu Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 17ff.

I. Gefahren einer extensiven Inanspruchnahme

der Vertragsgestaltungsfreiheit

359

Diese Konsequenz der Ordnungsfunktion des gesetzlichen Dispositivrechts wird - wiederum mit gewissen Abstrichen - auch im Hinblick auf das Phänomen der nicht kodifizierten Verträge zu bedenken sein. Aus dem weitgehenden Ausfall des gesetzlichen Referenzsystems und der in ihm verkörperten Gerechtigkeitsgewähr folgt, daß die Herbeiführung eines ausgewogenen Interessenausgleichs hier allein der Gestaltungskompetenz der Vertragsschließenden anheim gestellt ist. Ein gesetzliches Muster, das Orientierung verspräche, steht ihnen nicht zur Verfügung. Schon aus diesem Grunde wird die „Fehlerquote", also die Zahl der Vertragsgestaltungen, die inhaltliche Unausgewogenheiten aufweisen, tendenziell höher liegen als bei einem gesetzestypischen Vertrag. Was dies für die Kontrollbedürftigkeit nicht kodifizierter Verträge bedeutet, soll sogleich (unter 4.) nach Einbeziehung einiger weiterer Aspekte diskutiert werden.

2. Teilhabe an den spezifischen Gefahren der

AGB-Verwendung

Zunächst gilt es sich einen weiteren Punkt ins Gedächtnis zu rufen, der ebenfalls die Frage tangieren könnte, ob und in welchem Ausprägungsgrad ein Bedürfnis für die inhaltliche Uberprüfung nicht kodifizierter Verträge anzuerkennen ist. Wie bereits einleitend ausgeführt wurde, 4 wird der Ausfall des dispositiven Gesetzesrechts auf dem Gebiete der nicht kodifizierten Verträge in der Praxis in aller Regel durch ausgefeilte Bedingungswerke einer Vertragsseite ausgeglichen. Allgemeine Geschäftsbedingungen prägen hier also in besonderem Maße das Geschehen. Damit werden aber auch die von der Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ausgehenden Gefahren für die Vertragsfreiheit zu einem zentralen Thema der rechtlichen Befassung mit dem Phänomen der gesetzlich nicht geregelten Verträge. Diese Gefahren liegen darin begründet, daß sich die Verwenderseite meist nicht darauf beschränkt, die mit der Standardisierung der Vertragsbedingungen zu erzielenden Rationalisierungseffekte für sich zu verbuchen. Vielmehr werden Allgemeine Geschäftsbedingungen - wie die über einen langen Zeitraum gesammelten rechtstatsächlichen Erfahrungen eindrucksvoll erweisen - sehr häufig planmäßig als ein Mittel zur Abwälzung von Vertragsrisiken auf die Kunden eingesetzt. 5 Die Verhandlungsmacht erlaubt dem Verwender zumeist eine kompromißlose Durchsetzung dieser auf einseitige Interessenwahrung angelegten Bedingungen. Es zeigt sich, daß die die Vertragsgestaltungsfreiheit materiell legitimierende Vorstellung von der Richtig-

4

§11. 2. Die negativen Begleiterscheinungen Allgemeiner Geschäftsbedingungen sind oft beschrieben worden. Eindringlich schon Großmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht, passim und Raiser, Recht der AGB, S. 90ff. Aus heutiger Sicht Kötz, in: Verhandlungen des 50. DJT (1974), Bd. I Gutachten, S. A 26ff.; Wb///Horn/Lindacher, Einl. AGBG Rdnr.3; Wmer/Brandner/Hensen, Einl. AGBG Rdnr.4; Locher, Recht der AGB, S.7f. 5

360

$ 8 Typenfreiheit und

Rechtsordnung

keitsgewähr6 bzw. -chance 7 versagt, wenn der Vertrag nicht frei ausgehandelt, sondern seine Bedingungen von einer Partei diktiert werden. Die Begründung des Regierungsentwurfs zum AGB-Gesetz hielt diesen Befund in folgenden Worten fest: „Die einseitige Sicherung und Verfolgung der Interessen des Verwenders durch A G B äußert sich in einer oft schwer erträglichen Verdrängung, bisweilen sogar elementaren Mißachtung der Grundsätze der Vertragsfreiheit und Vertragsgerechtigkeit zu Lasten derjenigen Vertragsteile, die solchen vorformulierten Bedingungswerken unterworfen werden." 8 Dabei stehen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen in einem Wechselspiel zu den nicht selten geradezu als Störung empfundenen äußeren Rahmenbedingungen, insbesondere in Form von höchstrichterlichen Entscheidungen. Man hat daher Allgemeine Geschäftsbedingungen durchaus treffend auch als „kodifizierte schlechte Prozeßerfahrungen" bezeichnet. 9 Denn wenn „die Rechtsprechung einmal in einem Streitfall zuungunsten des Unternehmers entschieden hat, so wird er versuchen, durch eine Neufassung oder Erweiterung der Bedingungen diesen Einbruch in seine Stellung für die Zukunft abzuwehren." 10 Die aus der überlegenen Formulierungs- und Planungsmacht der Verwenderseite resultierende Gefahr der unangemessenen Benachteiligung des Gegenüber geht nach alledem überaus häufig auch von gesetzlich nicht geregelten Verträgen aus.11

3. Kautelarjuristische

Instrumentalität

Zur kritischen Wachsamkeit gegenüber den in nicht kodifizierten Verträgen vereinbarten Inhalten mahnt schließlich auch ein Blick auf die Genese solcher Vertragswerke und die mit ihnen verfolgten Ziele ihrer Schöpfer. Die im heutigen Wirtschaftsleben anzutreffenden gesetzlich nicht geregelten Vertragsformen sind in aller Regel nicht das Produkt einer spontanen und ungesteuerten Rechtsentwicklung. Sie entspringen vielmehr der planvoll berechnenden Tätigkeit der Kautelarjurisprudenz. Wer oder was verbirgt sich aber hinter dieser Bezeichnung und wie ist es um die Legitimität des Handelns dieser Instanz bestellt? Die mit der Vertragsgestaltung betrauten Personen sind zum einen Organe der Rechtspflege (Notare und Rechtsanwälte), zum anderen Wirtschafts-

6 Grundlegend Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130ff.; aus neuerer Zeit hierzu Fastrich, Inhaltskontrolle, S.51ff. 7 M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, S. 73 f. 8 BT-Drucks. 7/3919, S. 9. 9 Kötz, in: Verhandlungen des 50. DJT (1974), Bd. I Gutachten, S. A 27, der diese Charakterisierung Koch zuschreibt. 10 Raiser, Recht der AGB, S.21. 11 Becker, Auslegung des §9 Abs.2 AGB-Gesetz, S. 174; Berner Kommentar-Kramer, Bd. VI/1, Art. 19-20 Rdnr. 82 hält eine Kontrolle des Inhalts von Innominatverträgen aus diesem Grunde für „besonders dringlich".

I. Gefahren

einer extensiven Inanspruchnahme

der Vertragsgestaltungsfreiheit

361

und Verbandsjuristen. 12 Ihre Tätigkeit hat Flume wie folgt beschrieben: 13 „Aus der Erkenntnis der rechtlichen Situation und der Voraussicht der etwaigen Folgen und dem Assoziationsvermögen ähnlicher rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten erfolgt die Mitwirkung an der Rechtsgestaltung mit dem Ziele, den w i r k lichen' Willen der Beteiligten möglichst zu verwirklichen, aber auch diesem Willen entgegenstehende oder ihn beeinträchtigende Rechtsfolgen möglichst zu vermeiden." So richtig diese Umschreibung ist, so wenig läßt sie die Problematik dieser Art der privaten Rechtsetzung hervortreten. Diese liegt in der Interessengebundenheit der Kautelarjurisprudenz begründet. Richtschnur der Vertragsgestaltung ist das von der Partei oder vom eigenen Unternehmen formulierte und vom Vertragsjuristen unter Umständen mitgeprägte Sachziel, das es zu verwirklichen gilt.14 Der Kautelarjurist wird meist im Auftrag einer Partei tätig, die von ihm die optimale Ausgestaltung ihrer Rechtsposition im Sinne bestmöglicher Zweckverwirklichung und Störfallvorsorge erwartet. Die Gestaltung der Vertragsbeziehungen ist am Wohl des Klienten ausgerichtet, nicht aber steht sie unter der Maxime gemeinwohlorientierter, gerechter Interessenabwägung.15 In der Vergangenheit hat sich gezeigt, daß vor allem in der ersten Phase der Herausbildung eines neuartigen Vertrags typs das parteiische Nützlichkeitsdenken vorherrscht und nicht selten zu in hohem Maße ungerechten Vertragslösungen führt. 16 Bestätigt hat sich diese Erfahrungstatsache unlängst wieder beim Timesharing 17 und bei Mobilfunk-Verträgen. 18 In diesem Zusammenhang gehört auch die Feststellung, daß interessenverbandlich gebundene Vertragsjuristen nicht nur durch die von ihnen konzipierten Vertragsentwürfe das Wirtschaftsleben beeinflussen, sondern darüber hinaus nicht selten auch das Wort ergreifen, wenn es um die rechtliche Bewertung ihrer kautelarjuristischen Bemühungen in der juristischen Fachwelt geht.19 Ein markantes Beispiel bildet die Diskussion um die vertragsrechtliche Qualifikation des Franchising, in der sich Vertreter der interessenverbandlichen Kautelarjurisprudenz - aus hier nicht darzustellenden Gründen - vehement für eine immaterialgüterrechtliche, lizenzvertragliche Einordnung ausgesprochen haben. 20

12 Zu den unterschiedlichen Funktionen dieser Berufsgruppen und ihrem Näheverhältnis zu ihren Auftraggebern Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rdnr. 7. 13 Flume, Deutscher Notartag 1969, S.33. 14 Rehbinder, AcP 174 (1974), S.290. 15 Rehbinder, AcP 174 (1974), S.290f.; ders., Vertragsgestaltung, S.20; Kramer, in: Neue Vertragsformen, S. 34; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingsvertrages, S. 57. 16 Martinek, Moderne Vertragstypen III, §27 I, S.264. 17 Vgl. hierzu nur die Urteile B G H N J W 1994, 1344 und 1995, 2637 und die Auflistung der „Sündenfälle" bei Ulmer/BrandnerAfiensera, Anh. §§9-11 A G B G Rdnr. 761. 18 O L G Düsseldorf WiB 1997, 828; O L G Schleswig BB 1997, 1810. 19 Getreu der Aussage Langenfelds (Vertragsgestaltung, Rdnr. 80), die Kautelarjurisprudenz sei selbst Schöpferin und in der Diskussion der Fachleute Legitimierungsinstanz kautelarjuristischer Vertragstypen. 20 Herausgestellt von Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 2 III, S. 26f. und Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 58. Uber die Leistungsfähigkeit dieses Theorie-

362

§ 8 Typenfreiheit

und

Rechtsordnung

Die Ausrichtung der kautelarjuristischen Vertragsgestaltung an den Sachzielen einer bestimmten Interessengruppe bringt es mit sich, daß das Recht vielfach nur als Mittel zum Zweck und im übrigen als lästige Beschränkung des Handelns empfunden wird. Im Schrifttum ist der Kautelarjurisprudenz daher nicht zu Unrecht ein ausgeprägt instrumentales Verhältnis zum Gesetzesrecht und der dazu entwickelten Dogmatik bescheinigt worden. 21 Die denkbaren rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten werden danach bewertet, was sie für die Erreichung des angestrebten Ziels funktional leisten. Die rechtliche Konstruktion, ihre dogmatische Stimmigkeit, die Ordnungs- und Gerechtigkeitsanliegen der Gesamtrechtsordnung spielen demgegenüber lediglich eine untergeordnete Rolle. Folge der mangelnden Berücksichtigung der Auswirkungen der Vertragsgestaltungspraxis auf die Gesamtrechtsordnung ist dann mitunter eine regelrechte „Verbiegung zivilrechtlicher Ordnungselemente". 22 Manche standardisierte Vertragsklausel und zuweilen auch ein neu entwickelter Vertragstypus insgesamt stellt sich bei Lichte besehen geradezu als „Ergebnis einer Rechtsvermeidungs- bzw. Rechtsumgehungsstrategie" dar (z.B. Bauherrenmodelle, Agenturvertrag). 23 Den Gerichten wird der Hintergrund einer bestimmten Vertragsgestaltung, häufig ist es ein steuerrechtlicher Tatbestand, nicht immer bewußt. Alles in allem gehen somit von der kautelarjuristischen Rechtsschöpfung, der wir nahezu alle wichtigen, gesetzlich nicht geregelten, neuen Vertragsformen verdanken, auch spezifische Gefahren aus. Diese äußern sich auf zwei Feldern, zum einen in einer Bedrohung des Vertragsgleichgewichts infolge der Uberbetonung partikularer Interessen und zum anderen in der Mißachtung der öffentlichen Funktion des Zivilrechts. 24

ansatzes, der auch von unabhängiger Seite (zuletzt von Forkel, Z H R 153 [1989], S. 511 ff.) vertreten wird, ist damit selbstverständlich kein Urteil verbunden. 21 Rehbinder, AcP 174 (1974), S.290f.; ders., Vertragsgestaltung, S.46ff.; Kramer, in: Neue Vertragsformen, S.34; Esser, AcP 172 (1972), S.125; Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rdnr.85; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S.57f.; noch ausgeprägter ist diese Erscheinung im Gesellschaftsrecht, insbesondere im Hinblick auf das Steuerrecht: vgl. hierzu Großfeld, Zivilrecht als Gestaltungsaufgabe, S.32ff.; Mertens, N J W 1966, 1049ff.; H.P. Westermann, AcP 175 (1975), S. 384ff. 22 Großfeld, Zivilrecht als Gestaltungsaufgabe, S. 33. Klassisch bereits der Ausspruch von Fritz von Hippel (Ideologie und Wahrheit in der Jurisprudenz, S. 90): „Hingegen darf Bürgerliches Rechtswesen nicht in gleicher Weise nur als ein bloßes Mittel zum Zweck angesehen werden. Denn es vollziehen sich in seinem Rahmen und unter seinen Rechtsformen weithin auch schon die Akte echter und naturgegebener individueller wie sozialer menschlicher Lebenserfüllung." Speziell zur Denaturierung zivilrechtlicher Institute durch prävalierende steuerrechtliche Folgeerwägungen Walz, Z H R 147 (1983), S. 281 ff. So Kramer, in: Neue Vertragsformen, S. 34f. Zu Recht kritisch Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung, S. 147: „Von der Kautelarjurisprudenz allein kann die Herstellung einer gerechten Vertragsordnung nicht erwartet werden." 23

24

II. Schranken

der Inhaltskontrolle

4.

gesetzlich nicht geregelter

Verträge

363

Fazit

Die bisherigen Darlegungen könnten den Eindruck erweckt haben, bei dem Phänomen der nicht kodifizierten Verträge handele es sich gleichsam um einen Anschlag auf die gesetzliche Vertragstypenordnung und die Vertragsgerechtigkeit, dem es energisch entgegenzutreten gelte. Dies wäre freilich eine Fehldeutung, die den unbestreitbar positiven Seiten innovativer Vertragsgestaltung nicht gerecht würde.25 Die gesetzlich nicht geregelten Vertragstypen sind nämlich im allgemeinen Ausdruck eines differenzierten Regelungsbedürfnisses, das die Gesetzesordnung, die sich als Rahmenordnung der wichtigsten Geschäftsformen versteht, nicht befriedigen kann. Die Herausbildung neuer, dem Gesetz nicht bekannter Vertragsformen ist ein vom Gesetzgeber nicht nur in Kauf genommenes, sondern um des Funktionierens des Rechtsverkehrs sogar vorausgesetztes Phänomen. Mit der Nichtaufnahme eines Vertrages in den gesetzlichen Katalog ist somit kein negatives Werturteil verbunden.26 Auf der anderen Seite hat sich gezeigt, daß aus der Gesetzesatypizität, dem Formularcharakter und der kautelarjuristischen Provenienz nicht kodifizierter Verträge ein Gefährdungspotential resultiert, auf das die Rechtsordnung in angemessener Weise reagieren muß. Das wichtigste Einfallstor für eine solche Intervention bildet die richterliche Inhaltskontrolle.

II. Schranken der Inhaltskontrolle gesetzlich nicht geregelter Verträge Allerdings unterliegen nicht alle Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz. Voraussetzung ist neben der Anwendbarkeit des AGB-Gesetzes 27 und der Einbeziehung der Ver25 Die Leistungsfähigkeit und die positiven Aspekte der Kautelarjurisprudenz beschreibt eindrucksvoll Pikalo, DNotZ 1970, 711ff.; siehe ferner auch Flume, Deutscher Notartag 1969, S. 36ff., der pointiert das schöpferische Element der Kautelarjurisprudenz herausstellt. 26 Die Entscheidung über die Kodifikation eines Vertragstyps ist - wie der historische Abriß (§3) belegt haben dürfte - zeitbedingt zu verstehen und im übrigen nicht frei von Zufälligkeiten. Wie hier Meier-Hayoz, SJK Nr. 1134, S.5. 27 Probleme können hier gemischte Verträge aufwerfen, wenn ein Element dem AGB-Gesetz unterfällt, während ein anderer Teil des Vertrages thematisch von einer Bereichsausnahme des §23 Abs. 1 A G B G erfaßt wird. In einem solchen Fall ist die Anwendbarkeit des AGB-Gesetzes für jede Klausel gesondert zu prüfen. Eine einheitliche Beurteilung des Vertrages wird zwar durch den Wortlaut des §23 Abs. 1 A G B G („Verträgen auf dem Gebiet") nahegelegt, ist aber sachlich nicht geboten und entspricht auch sonst nicht der grundsätzlich auf einzelne Vertragsbestimmungen verengten Perspektive des AGB-Gesetzes. Insbesondere für die Bestimmung des positiven sachlichen Anwendungsbereichs des AGB-Gesetzes (§ 1 A G B G ) ist die klauselbezogene Sichtweise allgemein anerkannt (vgl. B G H N J W 1998,2600f.; Löwe-Graf von WestphalenTrinkner, § 1 A G B G Rdnr.21). Für die negative Abgrenzung durch §23 Abs. 1 A G B G wird daher nichts anderes gelten können. Aus diesem Grunde ist es nicht ausgeschlossen, daß das A G B Gesetz nur auf einen Teil der vorformulierten Bedingungen eines gemischten Vertrages Anwen-

364

§ 8 Typenfreiheit und

Rechtsordnung

tragsbedingungen 28 insbesondere, daß die jeweilige Klausel nicht unter den Schrankenvorbehalt des §8 A G B G fällt. Genauer gesagt: eine AGB-Bestimmung ist nur dann einer inhaltlichen Uberprüfung am Maßstab der §§ 9 bis 11 dung findet. Veröffentlichte Entscheidungen zu diesem Problemkreis finden sich - soweit ersichtlich - nicht. Keine gemischten Verträge sind sog. Mitarbeiterverträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die zwar in Anknüpfung an das Arbeitsverhältnis geschlossen werden, die zugrunde liegende Wertung jedoch nicht aus dem Arbeitsverhältnis beziehen. Hier liegen zwei selbständige Verträge vor, nämlich ein Arbeitsvertrag auf der einen und Darlehens-, Miet- oder Kaufvertrag auf der anderen Seite. Das AGB-Gesetz findet auf die nichtarbeitsrechtliche Vertragsbeziehung in vollem Umfang Anwendung (h.M.: BAG NZA 1993, 936; 1993,1029; Ulmer/ Brandner/Hensen, §23 AGBG Rdnr.5a; Palandt-Heinrichs, §§23, 24 AGBG Rdnr.l; Wolf/ //orra/Lindacher, §23 AGBG Rdnr.36; MünchKomm-Basedow, §23 AGBG Rdnr.5; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 545ff.; a.A. Nicolai, ZiP 1995, 359ff.; Berger-Delhey, DB 1990, 837f.; Hebestreit, BB 1994, 281ff.). Vorformulierte Franchiseverträge fallen nach zutreffender ganz h.M. in den Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes; vgl. Ekkenga, Inhaltskontrolle von Franchiseverträgen, S. 36f.; Wo///Horn/Lindacher, §9 A G B G Rdnr. F 105; Martinek, Moderne Vertragstypen II, § 15 II, S.93ff.; Windbichler, AcP 198 (1998), S.277; Rohe, Netzverträge, S. 427; BGH NJW 1985,1894 (1895); a.A. Schanze, Symbiotic Contracts, in: Franchising and the Law (hrsg. von Joerges), S. 97, der Franchiseverträge in Analogie zu den Verträgen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts- und Gesellschaftsrechts den Bereichsausnahmen des § 23 Abs. 1 AGBG zuschlagen und damit den Kontrollvorschriften des AGB-Gesetzes entziehen will. 28 Für gesetzlich ungeregelte Verträge gelten hier ohne Unterschied die allgemeinen, sich aus den §§ 2 und 3 AGBG ergebenden Anforderungen. Im Hinblick auf die Überraschungskontrolle nach §3 AGBG sei besonders auf folgende Punkte hingewiesen: Wird in den Vertragsbedingungen neben dem die Abschlußentscheidung beherrschenden Geschäft ein weiteres untergebracht, also beispielsweise ein Kaufgeschäft um einen Wartungsauftrag ergänzt, so kann, wenn der Vertragstext das Geschäft nicht deutlich als gemischten Vertrag ausweist (z.B. Uberschrift: „Kauf- und Wartungsvertrag"), diese zusätzliche Bindung überraschend im Sinne des §3 AGBG sein; vgl. hierzu Staudinger-Schlosser, §3 AGBG Rdnr. 18; Ulmer/Brandner/Hensen, §3 AGBG Rdnr. 26; Löwe-Graf von Westphalen-7hra&rcer, §3 AGBG Rdnr. 9. Findet sich eine neuartige Klausel in einem noch nicht in der Vertragspraxis etablierten, gesetzlich nicht geregelten Vertragstyp, so ist der Weg zu § 3 AGBG anders als bei gesetzlich geregelten oder verkehrstypischen Verträgen angesichts des Fehlens einer vertrauenstatbestandsbildenden Regelhaftigkeit nicht selten versperrt. Der Kunde muß dem unbekannten Vertragsgebilde hier insgesamt mehr Aufmerksamkeit schenken. Auf typische Vertragsinhalte kann er sich hier nicht verlassen; vgl. hierzu Wolf/HornHindacher, §3 AGBG Rdnr. 26; Koch/Stübing, §3 AGBG Rdnr. 8. Beispiele aus der Rechtsprechung für die Anwendung des §3 AGBG auf nicht kodifizierte Verträge: Bei einem Kfz-Leasingvertrag auf Kilometerabrechnungsbasis kann der unvermittelten Umstellung auf Restwertabrechnung im Fall der ordentlichen Kündigung durch den Leasingnehmer überraschender Charakter im Sinne des §3 AGBG zukommen (BGH NJW 1987, 377, 379). Eine Formularklausel in einem Time-Sharing-Vertrag, durch welche die Eintragung des Erwerbers eines anteiligen Dauerwohnrechts nach § 31 WEG in das Grundbuch ausgeschlossen wird und im Grundbuch ein Dritter als Treuhänder eingetragen bleiben soll, dient dazu, dem Vertrag abweichend von seinem äußeren Erscheinungsbild einen qualitativ anderen Charakter zu geben (BGH NJW 1995, 2637,2638). Wird in vorformulierten Vertragsbedingungen ein sog. gespaltener Krankenhausvertrag vereinbart, so muß dem Patienten hinreichend verdeutlicht werden, daß der Krankenhausträger nicht Schuldner der ärztlichen Leistungen ist und ihm auch für etwaige ärztliche Fehlleistungen nicht haftet, anderenfalls diese Konstruktion nicht Vertragsbestandteil wird (BGH NJW 1993, 779, 780; O L G Koblenz NJW 1998, 3425).

II. Schranken der Inhaltskontrolle

gesetzlich nicht geregelter

Verträge

365

A G B G zugänglich, wenn sie positiv die in §8 A G B G genannten inhaltlichen Eigenschaften aufweist.29 Nach der Formulierung des §8 A G B G muß es sich bei der zu beurteilenden Klausel um eine von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelung handeln.

1. Problemstellung

-

Fallbeispiele

Unter der Ägide des §8 A G B G rückt damit erneut das problematische Verhältnis des nicht kodifizierten Vertrages zur gesetzlichen Schuldvertragsordnung in den Vordergrund. Lassen sich, so lautet augenscheinlich die Kernfrage, gesetzlich ungeregelte Verträge und die in solchen Verträgen enthaltenen Einzelkauseln als Abweichung oder Ergänzung von Rechtsvorschriften qualifizieren? Es ist nicht zu übersehen, daß die Antwort auch davon abhängt, welcher Platz dem konkreten Vertrag in der Ordnung der gesetzlichen Schuldvertragstypen zugewiesen wird, ob er in ein Näheverhältnis zu einem gesetzlich geregelten Vertrag gerückt, gar als eine atypische Modifikation begriffen wird, oder aber als Vertrag sui generis bewertet wird. Das in dieser Untersuchung hinlänglich dokumentierte Bestreben der Rechtsprechung, eine Parteivereinbarung möglichst einem der im Gesetz geregelten Schuldvertragstypen zuzuordnen, führt beispielsweise tendenziell zu einer Zurückdrängung der Sperre des § 8 A G B G , da auf dieser Grundlage viele eigenwillige Gestaltungen der Vertragsparteien als punktuelle Abweichungen vom gesetzlichen Regelungsmodell begriffen werden können. So läßt die Qualifizierung des Finanzierungsleasingvertrages als atypische Miete verschiedene seiner Bestandteile als der Inhaltskontrolle unterworfene Abweichung vom gesetzlichen Leitbild der Miete erscheinen.30 Ähnlich verfährt die Rechtsprechung bei Altenheimverträgen.31 Eher selten ist dagegen der Fall, daß die Neigung, den zu beurteilenden Vertrag einem normativ vorgeformten Vertragstyp zu unterstellen, im Hinblick auf §8 A G B G die gegenteilige Wirkung zeitigt. Als Beispiel hierfür läßt sich ein Urteil des Bundesgerichtshofs anführen, das eine Inhaltskontrolle einer mit §557 B G B übereinstimmenden Klausel in einem Leasingvertrag im Hinblick auf §8 A G B G ablehnt. 32 Dieses rechtsanwenderische Vorverständnis ist im zweiten Kapitel einer eingehenden Kritik unterzogen und durch eine distanziertere Sichtweise ersetzt 29 Der Streit, ob Kontrollfreiheit als Grundsatz und Inhaltskontrolle als Ausnahme betrachtet werden muß (so Wo///Horn/Lindacher, § 8 AGBG Rdnr. 3; Joost, ZIP 1996,1686; H. Roth, AcP 190 [1990], S.318) oder ob es sich im AGB-Recht abweichend von der Formulierung des §8 AGBG nicht gerade umgekehrt verhält (Ulmer/Brandner/Hensen, § 8 AGBG Rdnr. 5), präjudiziert in keinster Weise die Abgrenzung des kontrollfähigen und des kontrollfreien Bereichs; wie hier Staudinger-Coesfer, §8 AGBG Rdnr. 6. 30 Vgl. z.B. BGH NJW 1982, 105 (106); 1986, 179 (180); 1991, 102 (104) 31 BGH NJW 1989,1673: Kündigungsregelung als Abweichung von §554 Abs. 1 BGB. 32 BGH NJW 1989, 1730 (1731f.); ablehnend unter Verwahrung gegen das mietrechtliche Leitbild H. Roth, AcP 190 (1990), S.317f.

366

§8 Typenfreiheit und

Rechtsordnung

worden, die den Inhalt einer Vereinbarung vornehmlich auf dem Wege der Vertragsauslegung zu bestimmen versucht. Eine Aussage über die Richtigkeit der von der Rechtsprechung getroffenen Aussagen über die Kontrollfähigkeit der Bedingungen einzelner legislativ nicht vorgeformter Vertragswerke geht damit allerdings nicht einher. Denn neben der zutreffenden rechtlichen Einstufung eines solchen Vertrages und den in seinem Kontext auszulegenden Klauseln kommt es vor allem auf die Interpretation des § 8 AGBG und der von dieser Vorschrift verwandten Merkmale („Rechtsvorschriften", „abweichende und ergänzende Regelungen") an. Hierauf sind die nachfolgenden Ausführungen gerichtet. Einige Fallbeispiele, die auch schon die Rechtsprechung beschäftigt haben, mögen die praktische Bedeutung dieser Fragestellung verdeutlichen. a) Abräumklausel

im

Automatenaufstellungsvertrag

In Automatenaufstellungsverträgen findet sich noch heute33 bisweilen eine Klausel, die den Aufsteller zur Abräumung seiner in der Gastwirtschaft seines Vertragspartners aufgestellten Geräte binnen einer kurz bemessenen Anzeigefrist berechtigt, falls das Gerät eine ausreichende Einnahme nicht einspielt. Der Aufstellungsvertrag - so heißt es ergänzend - soll in diesem Fall unverändert fortbestehen. Der Automatenaufstellungsvertrag ist - wie auch der Bundesgerichtshof festgestellt hat - „im Gesetz als Vertragstyp nicht geregelt."34 Er beschreibt ihn als Gestattungsvertrag, dem sowohl mietvertragliche als auch personenbezogene Elemente innewohnen.35 Die streitgegenständliche Abräumklausel hat der Bundesgerichtshof ohne weiteres einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG unterzogen und sie vor allem im Hinblick auf ihre unbestimmte Begrifflichkeit (nicht ausreichende Einnahmen) als unangemessene Benachteiligung bewertet.36 Hier ließe sich freilich kritisch einwenden, worin denn die Abweichung oder die Ergänzung von Rechtsvorschriften gesehen wird. Dispositives Gesetzesrecht, das durch eine solche Vertragsgestaltung verdrängt werden könnte, ist nicht ersichtlich; auch der Bundesgerichtshof hat seine Erwägung zur Unangemessenheit dieser Klausel nicht auf eine Leitbildabweichung gestützt. Ob von einer ergänzenden Regelung gesprochen werden kann, ist ebenfalls nicht klar. Denn welche Rechtsvorschrift wird durch eine solche Klausel ergänzt? Es fehlt auch insoweit an einem Anknüpfungspunkt im dispositiven Recht.

33 Von den nicht wenigen Nichtigkeitsverdikten der Rechtsprechung zeigt sich die Verwenderseite im Automatenaufstellungsgeschäft mitunter erstaunlich unbeeindruckt. Zu diesem Phänomen Ulmer/B randner///e«se«, Anh. § § 9 - 1 1 A G B G Rdnr. 140. 34 B G H N J W 1978, 1155 (1156). 35 B G H Z 4 7 , 202 (205); B G H N J W 1978, 1155 (1156); 1983, 159(160); 1985, 53 (54). 36 B G H N J W 1985, 53 (55); für Unwirksamkeit für einen noch vor Inkrafttreten des A G B Gesetzes geschlossenen Vertrag bereits zuvor B G H N J W 1983, 159 (161).

II. Schranken

b) Freigabeklausel

der Inhaltskontrolle

im

gesetzlich nicht geregelter

Verträge

367

Sicherungsvertrag

Weiteres reichhaltiges Anschauungsmaterial bietet der Sicherungsvertrag, der der Bestellung fiduziarischer Sicherheiten zugrunde liegt. Hier sei die Fragestellung herausgegriffen, ob eine vorformulierte Klausel, die die Entscheidung über die Freigabe der nicht mehr benötigten Sicherheit in das billige Ermessen des Sicherungsnehmers stellt, der Inhaltskontrolle nach den §§ 9 bis 11 A G B G unterliegt. Auch hier wird man zunächst feststellen müssen, daß der Gesetzgeber sich dieser Problematik nicht angenommen hat, wie er überhaupt den Sicherungsvertrag trotz seiner bereits bei Erlaß des Bürgerlichen Gesetzbuches vor Augen stehenden Bedeutung ungeregelt gelassen hat. Die Besonderheit dieses Falles liegt nun darin, daß die heute herrschende Meinung - wie bereits dargelegt - 3 7 einen ermessensunabhängigen (Teil-)Freigabeanspruch des Sicherungsgebers auch ohne ausdrückliche Aufnahme in den Vertrag bejaht. Die rechtliche Begründung schwankt, teils beruft man sich auf eine aus Treu und Glauben abgeleitete Fortbildung des objektiven Rechts, teils versucht man dieses Ergebnis aus einer ergänzenden Auslegung des Vertrags zu gewinnen. In beiden Fällen würde sich freilich die Frage stellen, ob es sich bei diesen Rechtsgrundlagen um Rechtsvorschriften im Sinne des § 8 A G B G handelt, von denen dann ein im Vertrag verankerter ermessensabhängiger Freigabeanspruch zum Nachteil des Sicherungsgebers abwiche. Ist das Tor zur Inhaltskontrolle mit anderen Worten schon dann geöffnet, wenn die durch eine AGB-Klausel geregelte Angelegenheit bei ihrem Fehlen unter Anwendung der Maßstäbe von Treu und Glauben bzw. im Wege der ergänzenden Auslegung inhaltlich anders zu entscheiden wäre? Der Beschluß des Großen Senats verliert hierzu keine langen Worte. Eine formularmäßige Regelung, die den Freigabeanspruch in das Ermessen des Sicherungsnehmers stelle, habe - so der Große Senat in apodiktischer Kürze nicht nur deklaratorische Wirkung und sei deshalb nach § 8 A G B G kontrollfäbig-38

2. Bestimmung

der Reichweite

des § 8 AGBG

Inhalt und Tragweite der Vorschrift des § 8 A G B G lassen sich aus ihrem wenig aussagekräftigen Wortlaut kaum erschließen. Entsprechend umstritten ist die rechtliche Interpretation dieser Norm. Hinzu kommt, daß es auch der Rechtsprechung bislang nicht gelungen ist, ein transparentes und konsistentes Ordnungsschema zu entwickeln, auf dessen Basis die Kontrollunterworfenheit bzw. -freiheit einer AGB-Klausel zuverlässig beurteilt werden könnte. 39

37 § 7 IV. 2. b) (3) (a). Dort auch weitere Nachweise zur Rechtsprechung und zum Meinungsstand im Schrifttum. 38 B G H GS N J W 1998, 671 (673). 3 9 Zu diesem Befund und seinen Ursachen Joost, ZIP 1996, 1687; kritisch auch StaudingerCoester, §8 A G B G Rdnr. 13, Horn, WM 1997 Beil. 1, S. 7 und Krüger, WM 1999,1403.

368

§8 Typenfreiheit

a) Uberblick über den

und

Rechtsordnung

Streitstand

Diese Unsicherheiten und Meinungsverschiedenheiten setzen sich auch in der Beurteilung nicht kodifizierter A G B - V e r t r ä g e fort. Das Meinungsspektrum z u r Kontrollfähigkeit solcher Verträge ist weit gespannt. D e r folgende U b e r blick stellt zunächst den Standpunkt der herrschenden Meinung und sodann ein hier besonders interessierendes, weil unter besonderer Berücksichtigung nicht kodifizierter, moderner Vertragstypen entwickeltes A l t e r n a t i v k o n z e p t dar. 40

(1) Begrenzung des kontrollfreien Bereichs auf preis- und leistungsbestimmende sowie rechtsdeklaratorische Klauseln Die herrschende Meinung 4 1 hält sich bei der Interpretation des § 8 A G B G weniger an den als mißverständlich bezeichneten W o r t l a u t als an die Begründung des Regierungsentwurfs, 4 2 aus der hervorgehe, daß Leistungsbeschreibungen und Festlegungen des Entgelts ebensowenig der Inhaltskontrolle unterliegen sollen, wie solche Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nur den Inhalt gesetzlicher Regelungen wiedergeben. A l s außerordentlich schwierig hat sich dabei die nähere Bestimmung des kontrollfreien Preis-/Leistungsverhältnisses erwiesen. Hier sind diffizile Abgrenzungskriterien entwickelt w o r d e n , die U n terscheidungen treffen zwischen den der Kontrolle entzogenen Leistungsbeschreibungen und Preisvereinbarungen auf der einen sowie kontrollfähigen Modifikationen des Leistungsversprechens, Nebenabreden und Preisnebenabreden auf der anderen Seite. 43 Dabei zeigt sich die Tendenz, den der Inhaltskontrolle nicht zugänglichen Bereich möglichst eng zu fassen. 44 A u c h die nicht k o -

40 Einige zu Recht auf Ablehnung gestoßene Lehren bleiben im folgenden unberücksichtigt: zum einen die den Gesetzgeber desavouierende Ansicht von Niebling (Schranken der Inhaltskontrolle, S. 202ff.; ders., WM 1992, 852; ähnlich bereits zuvor Koch/Stübing, § 8 AGBG Rdnr. 3: „keine eigenständige Bedeutung"; zu Recht ablehnend Dylla-Krebs, Schranken der Inhaltskontrolle, S. 189), § 8 AGBG habe nur deklaratorischen Charakter; ferner der Vorschlag von DyllaKrebs (Schranken der Inhaltskontrolle, S. 185 ff.), den kontrollfreien Leistungsbereich danach abzugrenzen, ob die „effektive Gesamtbelastung des Vertragspartners, wie sie sich bei planmäßiger, störungsfreier Durchführung des Vertrages ergeben würde, durch die Klausel beeinflußt werde. Mit dem Kriterium der Gesamtbelastung wird bereits verkannt, daß das AGB-Gesetz als Gegenstand der Angemessenheitsprüfung mit Bedacht die Einzelabrede vorgesehen hat (zu diesem Aspekt ferner die Ausführungen unter III. 2. c) (2); ablehnend ferner Staudinger-Coester, § 8 AGBG Rdnr. 12; Ulmer/BrandnerMensen, §8 AGBG Rdnr. 11; Wo///Horn/Lindacher, §8 AGBG Rdnr. 8; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.252). 41 Zusammenfassend zuletzt BGH NJW 1998, 383; OLG Karlsruhe BB 1997, 9; ferner Ulmer/Brandner/Hensen, §8 AGBG Rdnr.5ff.; Soergel-Äei'n, § 8 AGBG Rdnr. 1; Palandt-Heinrichs, § 8 AGBG Rdnr. 2ff.; Löwe/Graf von Westphalen/Trinkner, § 8 AGBG Rdnr. 1 ff.; Locher, Recht der AGB, S.85. 42 BT-Drucks. 7/3919, S. 22. 43 Vgl. statt aller die Übersicht bei U\mer/Brandner/Hensen, § 8 AGBG Rdnr. 8ff. m.w.N. 44 Deutlich spürbar bei Ulmer/Brandner/Hensen, §8 AGBG Rdnr. 1. Dylla-Krebs, Schranken der Inhaltskontrolle, S. 19 attestiert der Rechtsprechung eine ausgesprochene Kontrollfreu-

II. Schranken der Inhaltskontrolle

gesetzlich nicht geregelter

Verträge

369

difizierten Verträge werden in weiten Teilen für justitiabel erachtet.45 Im Hinblick auf die in § 8 A G B G formulierten Schranken der Inhaltskontrolle ist man nicht geneigt, ihnen einen Sonderstatus einzuräumen. Zahlreiche Entscheidungen zu nicht kodifizierten Verträgen setzen unmittelbar an der Generalklausel des §9 A G B G an.46 Der Anwendungsbereich der §§9 bis 11 A G B G bleibt oftmals - auch in durchaus problematischen Fällen - unerörtert, ja die Vorschrift des §8 A G B G wird nicht einmal erwähnt.47 Lediglich in dem zu einem Wasserlieferungsvertrag ergangenen Urteil vom 6.2. 1985 hat der Bundesgerichtshof seinen „kontrollfreundlichen" Standpunkt mit Blick auf die gesetzlich nicht strukturierten Verträge verdeutlicht.48 In dieser Entscheidung führt das Gericht aus, es sei eine Interpretation des § 8 A G B G zu vermeiden, die dazu führe, daß alle diejenigen Verträge von vornherein aus dem Schutzbereich der §§ 9 bis 11 A G B G herausfielen, die gesetzlich nicht besonders geregelt seien. Das wäre mit dem Zweck der Inhaltskontrolle nicht zu vereinbaren, der dahin gehe, den Vertragspartner des Verwenders vor einer einseitig vorgeschriebenen, unangemessenen Verkürzung derjenigen Rechte zu schützen, die er nach Gegenstand und Zweck des Vertrages zu erwarten berechtigt sei. Dieser Schutzzweck ergebe sich namentlich aus § 9 Abs. 2 Nr. 2 A G B G , wonach auch solche Rechte und Pflichten den Maßstab für die Inhaltskontrolle geben könnten, die aus der Natur des jeweiligen Vertrags folgten. § 8 A G B G gestatte daher - insbesondere beim Fehlen dispositivgesetzlicher Normen - eine Inhaltskontrolle auch solcher AGB-Klauseln, die vertragsnatürliche wesentliche Rechte und Pflichten zum Nachteil des Vertragspartners einschränkten oder sonst gegen allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze verstießen. Eine bald darauf ergangene weitere Entscheidung faßte sodann dieses Ergebnis in dem Satz zusammen, auch Vertragstypen, die - wie der Garantievertrag - im Gesetz ungeregelt geblieben seien, könnten am Maßstab der §§ 9 bis 11 A G B G gemessen werden.49 Dem in diesem Urteil formulierten Rechtsstandpunkt fühlt sich auch die Mehrheit der Schrifttumsvertreter verbunden.50 Ihre Argumentation rekurriert digkeit; die Hürde des §8 AGBG werde leicht genommen; ebenso H.P. Westermann, in: Zehn Jahre AGB-Gesetz, S. 151. 45 Repräsentativ Soergel-Stein, §8 AGBG Rdnr.2; H. Roth, AcP 190 (1990), S.313; Ulmer/ Brandner/Hensen, §8 AGBG Rdnr.6. 46 Vgl. beispielhaft statt vieler BGH NJW 1985,1894 (Franchisevertrag); BGH NJW 1985,53 (Automatenaufstellvertrag); BGH GS NJW 1998, 671, 673 (Sicherungsvertrag). 47 Als Ausnahmen müssen insoweit BGH NJW 1998,383 (gesonderte Vergütung für den Einsatz einer Kreditkarte im Ausland) und OLG Nürnberg NJW 1997, 2186 (Neuwagengarantie) gewertet werden. 48 BGH NJW 1985, 3013 (3014). 49 BGH NJW 1988,1726 (1728); ebenso sodann BGH NJW 1991,1886 (1887) für einen Kreditkartenvertrag. 50 Wo///Horn/Lindacher, §8 AGBG Rdnr.5; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.253; Bitter, ZBB 1996, 117f.; ähnlich schon zuvor Schmidt-Salzer, AGB, Rdnr. F. 29. Nicht selten begnügt man sich insoweit mit der schlichten Feststellung, auch Allgemeine Geschäftsbedingungen, die ein gesetzlich ungeregeltes Vertragsverhältnis gestalteten, unterlägen als von Rechtsvorschriften ab-

370

§ 8 Typenfreiheit und

Rechtsordnung

meist ebenfalls auf § 9 Abs. 2 Nr. 2 A G B G . Im Verein mit § 8 A G B G ergäbe sich aus diesem Regelbeispiel ein einheitliches, stimmiges Regelungsprogramm für AGB-Bestimmungen auf Gebieten, wo Rechtsvorschriften im Sinne des §8 A G B G noch nicht konstituiert, aber für die konkrete Thematik konstituierbar seien.51 Klauseln, die gesetzlich ungeregelte Vertragstypen betreffen und nicht den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistungen festlegen, werden - soweit die Tatbestandsmerkmale des §8 A G B G überhaupt näher in Augenschein genommen werden - zumeist als Rechtsvorschriften „ergänzende Regelungen" qualifiziert.52 Festzuhalten ist demnach, daß nach ganz überwiegender Ansicht auch nicht kodifizierte Verträge trotz des Ausfalls dispositiven Gesetzesrechts der Inhaltskontrolle grundsätzlich nicht entzogen sind. Der kontrollfreie Bereich soll auch hier auf die unmittelbare Festlegung der Hauptpflichten und rechtsdeklaratorische Klauseln begrenzt sein. Das einheitliche Meinungsbild wird freilich getrübt durch divergierende Vorstellungen über die Konkretisierung des kontrollfreien Leistungsbereichs. Auf diesen Dissens innerhalb der herrschenden Meinung wird zurückzukommen sein. (2) Kontrollfreiheit

wegen Fehlens rechtsnormativer

Vorgaben

Einen Gegenentwurf zum herrschenden Normverständnis hat unlängst Joost zur Diskussion gestellt.53 Joost wendet sich mit Nachdruck gegen die verbreitete Ansicht, in § 8 A G B G gelangten zwei eigenständige, die Interpretation der Vorschrift beherrschende, Grundgedanken zum Ausdruck. Nicht in der Wahrung marktwirtschaftlicher Prinzipien und im Vorrang spezialgesetzlicher Regelungen, sondern in dem Gedanken, daß eine Inhaltskontrolle dort nicht stattfinden solle, wo es an rechtsnormativen Vorgaben fehle, sieht er den erklärenden Grund. Die Inhaltskontrolle soll daher nur erfolgen, wenn von rechtsnormativ vorgegebenen Interessenbewertungen einseitig abgewichen werde. Dafür sei es unerheblich, ob eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Haupt- oder Nebenleistung regele oder eine Haupt- oder Nebenabrede enthalte. Gleichfalls ohne Belang sei, ob die Klausel von den Erwartungen des Kunden abweiche oder der Kunde schutzbedürftig sei. Zu den in §8 A G B G genannten Rechtsvorschriften, den rechtsnormativen Vorgaben, die nach Joost den kontrollfähigen Bereich definieren, sollen nicht nur ausdrückliche gesetzliche Vorschriften, sondern auch ungeschriebene Grundsätze des objektiven Rechts sowie die aufgrund einer objektiven ergänzenden Vertragsauslegung nach §§157, weichende oder ergänzende Klauseln der Inhaltskontrolle; so z.B. Wieland, in: Allgemeine Geschäftsbedingungen in der europäischen Rechtspraxis, S. 72. 51 Staudinger-Coester, §8 AGBG Rdnr.8; UlmerAßrWwer/Hensen, §8 AGBG Rdnr.6; Wo///Horn/Lindacher, §8 AGBG Rdnr.5. 52 Ulmer/Brandner/Hensen, §8 Rdnr.6; Staudinger-Coejier, §8 AGBG Rdnr.34. 53 Joost, ZIP 1996, 1685 ff.; ähnliche Tendenzen zuvor schon bei H.P. Westermann, in: Zehn Jahre AGB-Gesetz, S. 145 ff.

II. Schranken

der Inhaltskontrolle

gesetzlich

nicht geregelter

Verträge

371

242 BGB für das Schuldverhältnis allgemein festzustellenden Rechte und Pflichten gehören.54 Nicht ausreichend für eine Inhaltskontrolle nach den §§ 9 bis 11 AGBG sei es allerdings, daß die durch eine AGB-Klausel geregelte Angelegenheit bei ihrem Fehlen unter Anwendung der Maßstäbe von Treu und Glauben zu entscheiden wäre. Der kontrollfreie Bereich wird damit vergleichsweise großzügig abgesteckt. Er erstreckt sich nicht nur auf die Leistungsbeschreibung und die Entgeltfestsetzung. Am Beispiel des grenzüberschreitenden Anlagenbaus macht Joost darauf aufmerksam, daß auch andere Vertragsteile so gestaltet sein könnten, daß es an vorgegebenen rechtsnormativen Wertungen fehle.55 An anderer Stelle heißt es sogar, daß Allgemeine Geschäftsbedingungen insoweit von der Inhaltskontrolle ausgenommen seien, als mit der durch sie gestalteten Regelung Neuland betreten werde.56 b) Eigener

Interpretationsvorschlag

Die Reichweite der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz muß im Wege der Auslegung der Kontrolleröffnungsnorm des § 8 AGBG bestimmt werden. Der hier vorzustellende eigene Interpretationsvorschlag gründet auf den klassischen Auslegungselementen, schließt aber auch Überlegungen zur Übereinstimmung der Auslegungsvarianten mit etwaigen europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie 93/13/EWG ein. (1) Wortsinn des §8 AGBG Die zuletzt referierte, auf das Fehlen rechtsnormativer Vorgaben abstellende Literaturansicht nimmt für sich in Anspruch, den Normtext des §8 AGBG beim Wort zu nehmen. Aus der Formulierung „von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende" ergebe sich hinreichend klar, daß eine Inhaltskontrolle nur dort stattfinden solle, wo die Angemessenheit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Hinblick auf vorhandene Rechtsvorschriften beurteilt werden könne.57 Von einer unbefangenen Lektüre des §8 AGBG ausgehend kann dieses Verständnis in der Tat eine gewisse Plausibilität für sich in Anspruch nehmen. Es bleibt freilich die von Joost bezeichnenderweise nicht aufgegriffene Frage, welche Bedeutung dem Normtextelement „ergänzende" im Gesetzesplan zukommt. Der die Kontrollunterworfenheit angeblich begründende Gedanke einer einseitigen Abweichung von einer rechtsnormativ vorgegebenen Joost, ZIP 1996, 1691. Joost, ZIP 1996, 1690. 56 Joost, ZIP 1996, 1686. In der Quintessenz übereinstimmend der Beitrag von Schaefer (VersR 1978,7ff.) zur Kontrollfähigkeit Allgemeiner Versicherungsbedingungen. Seiner Ansicht nach gehören zu den wegen Fehlens eines normativen Kontrollmaßstabs nicht kontrollfähigen Bestimmungen insbesondere die primären und sekundären Risikoabgrenzungen in den gesetzlich nicht geregelten Versicherungszweigen. 57 Joost, ZIP 1996, 1686. 54 55

372

§ 8 Typenfreiheit und

Rechtsordnung

Interessenbewertung läßt sich mit diesem Tatbestandsmerkmal nicht ohne weiteres in Verbindung bringen. Vielmehr unterscheidet der Wortlaut gerade zwischen einer „Abweichung" und einer „Ergänzung". Vom Wortlaut des §8 A G B G wäre es wohl auch gedeckt, den ergänzenden Charakter einer Klausel dort zu bejahen, wo großflächig dispositives Recht fehlt. 58 Ergänzt würde auf diese Weise die fragmentarische Vertragstypenordnung des Bürgerlichen Gesetzbuchs als solche. Die im übrigen von der herrschenden Meinung praktizierte Lesart des § 8 A G B G , derzufolge der kontrollfreie Bereich auf die Festlegung der Hauptleistungspflichten und deklaratorische Klauseln beschränkt sein soll, hat im Wortlaut des §8 A G B G zwar keinen expliziten Niederschlag gefunden, steht aber auch nicht in Widerspruch zu diesem. Es handelt sich bei ihr - so ließe sich argumentieren - lediglich um eine positive Beschreibung des kontrollfreien Raums in folgerichtiger Umkehrung des § 8 AGBG. 5 9 Das Ergebnis der Normtextanalyse gibt mithin keinen entscheidenden Hinweis auf das zutreffende Verständnis der Norm im Hinblick auf die Erfassung vorformulierter Klauseln in nicht kodifizierten Verträgen.60 (2) Argumente

aus dem

Bedeutungszusammenhang

§8 A G B G steht nicht für sich alleine. Er ist Teil eines Gesamtgefüges und erhält seinen Sinn auch aus anderen Vorschriften. (a) Systematik

der

Inhaltskontrollvorschriften

Deutlicher treten die Konturen des § 8 A G B G bereits hervor, wenn man auch das Umfeld der Vorschrift in die Betrachtung einbezieht. § 8 A G B G steht mit den §§9, 10 und 11 A G B G unter der Uberschrift „unwirksame Klauseln". Während die §§9 bis 11 A G B G den Maßstab der Inhaltskontrolle formulieren, definiert § 8 A G B G den Anwendungsbereich der ihm nachfolgenden Vorschriften, indem er bestimmt, welche Klauseln überhaupt einer Inhaltskontrolle unterliegen. Nicht nur die unmittelbare Paragraphenabfolge unter einer einheitlichen Uberschrift, auch das inhaltliche Näheverhältnis spricht dafür, die §§ 8 bis 11 A G B G als funktional aufeinander abgestimmte Einheit zu interpretieren. Zumindest darf bei der Auslegung des § 8 A G B G nicht der Zusammenhang mit den §§9 bis 11 A G B G aus den Augen verloren werden. Eine InhaltsbestimStaudinger-Coesfer, § 8 AGBG Rdnr.34. In diesem Sinne etwa Ulmer/Srarcifeer/Hensen, §8 AGBG Rdnr. 1; VdznAt-Heinrichs, §8 AGBG Rdnr. 1. 60 Der Wortlaut des §8 AGBG wird daher zu Recht allgemein als wenig aussagekräftig oder gar als mißglückt eingestuft, vgl. Brandner., in: FS für Hauß, S.3ff.; Ulmer/Braracfoer/Hensen, § 8 AGBG Rdnr. 1; Staudinger-Coester, § 8 AGBG Rdnr. 1; Canaris, NJW 1987, 611; H.P. Westermann, in: Zehn Jahre AGB-Gesetz, S. 145; ferner Ulmer, EuZW 1993,340 und Damm, JZ 19994, 170 jeweils mit dem Vorschlag, durch Übernahme des Richtlinientextes (Art. 4 Abs. 2) eine Klarstellung herbeizuführen. 58

59

II. Schranken

der Inhaltskontrolle

gesetzlich

nicht geregelter

Verträge

3 73

mung des §8 A G B G , die einzelne Klauselverbote oder - im Normbereich des §9 A G B G - einzelne Orientierungskriterien ihres Wirkungsfeldes berauben, diese Normen mithin partiell leerlaufen lassen würde, könnte nicht überzeugen.61 So verhielte es sich jedoch im Hinblick auf §9 Abs. 2 Nr. 2 A G B G , wenn man als Voraussetzung der Inhaltskontrolle ein einseitiges Abweichen von normativ vorgegebenen Interessenbewertungen postulierte. § 9 Abs. 2 Nr. 2 A G B G gibt gerade keinen normativ begründeten, sondern einen vertragsimmanenten, aus dem Inhalt und Zweck des Vertrages abgeleiteten Maßstab, vor. 62 Wäre die Inhaltskontrolle schon nach § 8 A G B G wegen Fehlens rechtsnormativer Vorgaben ausgeschlossen, so hätte der Gesetzgeber mit §9 Abs. 2 Nr. 2 A G B G eine Vorschrift geschaffen, die keinen nennenswerten Anwendungsbereich für sich reklamieren könnte. 63 Ähnlich verhält es sich im Hinblick auf einige der in §§ 10 und 11 A G B G aufgestellten Klauselverbote. Als Beispiel sei die Vorschrift des §11 Nr. 12 Buchst, a) A G B G angeführt, nach der eine Laufzeit von mehr als zwei Jahren für bestimmte Dauerschuldverhältnisse in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht vereinbart werden kann. Das dispositive Gesetzesrecht, aber auch das ungeschriebene im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelte Recht, enthält sich jeglicher Aussagen zur Laufzeit des Vertrages. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist dies offenbar ein Punkt, bei dem zu erwarten ist, daß sich die Parteien auf eine ihren Bedürfnissen entsprechende Regelung verständigen werden. Wollte man nur solche Klauseln das Tor zur Inhaltskontrolle passieren lassen, die von rechtsnormativ vorgegebenen Wertungen abweichen, so wären Laufzeitregelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen entgegen der in § 11 Nr. 12 Buchst, a) zum Ausdruck gelangten Regelungsabsicht des Gesetzgebers der Inhaltskontrolle von vornherein entzogen. Die Berücksichtigung des Zusammenspiels des § 8 A G B G mit den Inhaltskontrollvorschriften der §§ 9 bis 11 A G B G unterstützt mithin die herrschende Auffassung, derzufolge das Fehlen rechtsnormativer Vorgaben der Inhaltskontrolle nicht entgegensteht. Umgekehrt könnte eine Auslegung nicht überzeugen, nach der § 8 A G B G im allgemeinen und speziell im Recht der gesetzesfremden Verträge keinen kontrollfreien Raum lassen würde, 64 also ohne weiteres alle Klauseln beanstandet werden könnten, die den Vertragspartner im Sinne der §§ 9 bis 11 A G B G unangemessen benachteiligen. Diese Interpretation würde nunmehr §8 A G B G als funktionslose und überflüssige Norm erscheinen lassen. Der Vorschlag, preisund leistungsbestimmende sowie deklaratorische AGB-Bestimmungen aus der 61 Zur der allgemeinen Regel im Rahmen der systematischen Interpretation, daß eine Auslegung zu vermeiden ist, die dazu führen würde, daß eine andere Regelung unanwendbar oder zweck- und funktionslos wird, vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 444f. und Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 79ff. 6 2 Vgl. Ulmet/Brandner/Hensen, § 9 A G B G Rdnr. 142. 63 Gegen eine zu enge Auslegung des § 8 A G B G aus diesem Grunde folgerichtig Fastrich, Inhaltskontrolle, S.253; WW//Horn/Lindacher, § 8 A G B G Rdnr. 5. 6 4 Wie hier H. Roth, AcP 190 (1990), S.313.

374

5 8 Typenfreiheit und

Rechtsordnung

Inhaltskontrolle auszunehmen, wäre demgegenüber durchaus geeignet, §8 A G B G einen eigenständigen Funktionsbereich zu sichern.

(b) Rückschlüsse aus der EG-Richtlinie Verbraucherverträgen

über mißbräuchliche Klauseln in

Hinzu kommt, daß dieses Abgrenzungsmuster auch der EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 5.4.1993 (93/13/EWG) zu Grunde liegt. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie lautet: „Die Beurteilung der Mißbräuchlichkeit der Klauseln betrifft weder den Hauptgegenstand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefaßt sind." Auch der 19. Erwägungsgrund der Richtlinie ist in diesem Sinne formuliert. Ferner ist auf Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie hinzuweisen, in dem es auszugsweise wie folgt heißt: „Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften ... beruhen, unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie." Der Begriff „bindende Rechtsvorschriften" in Art. 1 Abs. 2 soll - so die Erklärungshilfe des 13. Erwägungsgrundes - auch Regeln umfassen, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde. Damit wird deutlich, daß nicht nur zwingendes, sondern auch dispositives Recht erfaßt sein soll. 65 Dabei kann es sich um formelles Gesetzesrecht, aber auch um ungeschriebene Rechtsgrundsätze und richterliche Rechtsfortbildungen handeln. 66 Die Richtlinie geht - so der 13. Erwägungsgrund - davon aus, daß „bindende Rechtsvorschriften" keine mißbräuchlichen Klauseln enthalten. Der deutsche Gesetzgeber hat die Vorgaben der Richtlinie im Gesetz zur Änderung des AGB-Gesetzes vom 19.7. 1996 umgesetzt. 67 Dies hat sich in einer Änderung des § 12 A G B G und der Einfügung des §24a A G B G niedergeschlagen. Eine Änderung des § 8 A G B G hat der Gesetzgeber hingegen nicht für nötig befunden. Offenbar ist man davon ausgegangen, daß der der Inhaltskontrolle nach §8 A G B G verschlossene Bereich mit den europarechtlichen Vorgaben übereinstimmt oder zumindest in einer der Richtlinie entsprechenden Weise abgesteckt werden kann. 68 Selbst wenn man, wofür nach den bisherigen Feststellungen nichts spricht, bei isolierter Betrachtung die Zielrichtung des § 8 A G B G in der Beschränkung der Inhaltskontrolle auf rechtsnormativ determinierte 65 Ulmer/Brandner/Hensen, § 8 AGBG Rdnr. 4a; Wolf/Horn/Lindacher, Art. 1 RiLi Rdnr. 34; Eckert, WM 1993, 1072; Franzen, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1997, S. 303. 66 So klarstellend Wo///Horn/Lindacher, Art.l RiLi Rdnr. 34. 67 BGBl. I, S. 1013. 68 Die Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 13/2713, S.5) weist jedenfalls ausdrücklich darauf hin, daß die in der Richtlinie aufgeführten kontrollfreien Vertragsbestimmungen nach §8 AGBG ebenfalls nicht der Angemessenheitsbeurteilung unterliegen. Ebenfalls in diesem Sinne BGH BB 1998, 1864 (1865).

II. Schranken der Inhaltskontrolle

gesetzlich nicht geregelter Verträge

375

Vertragsgestaltungen sehen wollte, so wäre eine Korrektur dieser Sichtweise nunmehr im Hinblick auf die Richtlinie unabweislich. Dies folgte aus dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung, einem - aus nationaler Perpektive als besondere Ausprägung der systematischen Auslegung zu bewertenden Auslegungstopos. 69 Die Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung ergibt sich aus Art. 10 in Verbindung mit Art. 249 Abs. 3 E G und ist heute im Grundsatz nicht mehr umstritten. 70 Der Wortlaut des § 8 A G B G würde sich - wie bereits dargelegt - einer Interpretation im Sinne der Richtlinie nicht widersetzen, 71 so daß der Schrankenvorbehalt der Richtlinie in vollem Umfang zur Geltung gebracht werden könnte. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung entfällt auch nicht etwa im Hinblick auf die in Art. 8 der Richtlinie den Mitgliedsstaaten eröffnete Möglichkeit, strengere Bestimmungen zu erlassen, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten. Denn die Ausweitung des kontrollfreien Bereichs auf alle Klauseln, die nicht an rechtsnormativen Vorgaben gemessen werden können, schränkt die Inhaltskontrolle ein, führt also aus der Sicht des Verbrauchers zu einer Absenkung des Schutzes gegen mißbräuchliche Klauseln im Vergleich zur Richtlinie. Gegenstand der Richtlinie 9 3 / 1 3 / E W G sind allerdings nur Verbraucherverträge in dem sich aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 ergebenden Sinne. Unter dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung steht §8 A G B G daher unmittelbar nur insoweit, als es um die Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen geht. Eine höchst unbefriedigende, weil sachlich nicht gerechtfertigte und die Gesetzestransparenz beeinträchtigende Lösung wäre es, nunmehr § 8 A G B G eine gespaltene Bedeutung zuzuerkennen, also den kontrollfreien Raum im Bereich der Verbraucherverträge anders zu vermessen als bei Verträgen im unternehmerischen Verkehr und zwischen Verbrauchern untereinander. 72 Aus diesem Grunde strahlt der Schrankenvorbehalt der Richtlinie mittelbar auch auf den nicht richtliniengebundenen Anwendungsbereich des §8 A G B G aus. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich umso mehr, den in §8 A G B G umrissenen kontrollfreien Raum einheitlich im Sinne der in der Richtlinie verwendeten Kriterien abzustecken, Art. 4 Abs. 2 und 1 Abs. 2 der Richtlinie gleichsam als autoritative Leseanleitung des §8 A G B G zu begreifen. 69 Zu dieser Einordnung der richtlinienkonformen Auslegung Pawlowski, Methodenlehre, Rdnr.363. 70 EuGH Slg. I 1990, 4135 Tz. 8 - Marleasing; NJW 1994, 921 (922, Tz. 20); 2000, 3267 (3268 Tz. 16). Auch der Bundesgerichtshof hat sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt zur richtlinienkonformen Auslegung bekannt, vgl. BGHZ 63, 261 (264f.); Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, passim; Lutter JZ 1992, 604; Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 291 ff.; teilweise abweichend Di Fabio, NJW 1990, 947. 71 Auslegungsfähigkeit ist eine Voraussetzung der richtlinienkonformen Auslegung. Sie beurteilt sich nach nationalem Recht; vgl. Müller-Graff, in: Horn/Baur/Stern (Hrsg.), 40 Jahre Römische Verträge, S. 132; H. Roth, JZ 1999, 537. 72 Wie hier im Ergebnis Canaris, AcP 200 (2000), S. 328; Ulmer/5?Wrcer/Hensen, § 8 AGBG Rdnr.4b und §9 AGBG Rdnr. 184; Tonner, JZ 1996, 538ff. zu undifferenziert//. Roth, JZ 1999, 537, der sich gegen eine Ausstrahlungswirkung im rechtlichen Sinn ausspricht.

376

§ 8 Typenfreiheit

und

Rechtsordnung

(3) Zur ratio legis des §8 AGBG Der bis hierhin schon recht deutlich zum Vorschein gekommene Regelungsgehalt des § 8 AGBG läßt sich weiter erhärten, indem man sich des Zwecks vergewissert, den die Vorschrift verfolgt. Für die Auslegung nach objektiv-teleologischen Gesichtspunkten kommt es vor allem auf die Einbettung der Vorschrift in die Gesamtrechtsordnung und das durch sie begründete innere System an. 73 Die den Auslegungsgegenstand markierende Einzelnorm läßt sich nur als Teil einer gerechten, zweckmäßigen und auf bestimmten Maximen beruhenden Ordnung verstehen. 74 Der Normzweck einer Vorschrift kann daher in nicht wenigen Fällen aus allgemeinen Prinzipien, deren Verwirklichung der Rechtsordnung aufgegeben ist, erschlossen werden. Dieser Ansatzpunkt fördert auch das Normverständnis des §8 AGBG. Richtig ist sicherlich die Erkenntnis, daß es gerade Ausfluß der den Parteien zugestandenen Vertragsfreiheit ist, zu entscheiden, welcher Gegenstand gekauft, welche Leistung angeboten werden soll und welche Gegenleistungen hierfür zu erbringen sind. Diese privatautonom gesetzten Hauptregelungen des Vertrages sollen, so ließe sich argumentieren, nicht dem kontrollierenden Zugriff der Gerichte preisgegeben werden. 75 Freilich tangiert auch die Uberprüfung der sonstigen (Neben-)Bedingungen des Vertrages den Grundsatz der Vertragsfreiheit, so daß erst einmal dargetan werden müßte, daß die den innersten Kern bildenden essentialia negotii in besonderem Maße unter dem Schutz der Vertragsfreiheit stehen. Selbst wenn dies so wäre, ließen sich aus dem Prinzip der Vertragsfreiheit doch kaum praktisch verwertbare Hinweise gewinnen, welche Bedingungen noch zum besonders schutzwürdigen Kernbereich privatautonomer Festsetzungen gerechnet werden können und welche nicht hierunter fallen mit der Folge, daß sie einer gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen. 76 Zur Normkonkretisierung besser geeignet erscheint jedenfalls die Offenlegung des marktwirtschaftlichen Ansatzes des AGB-Gesetzes. Dieses ist nämlich vor allem als Teil einer liberalen und marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsordnung zu verstehen. 77 Das bedeutet, daß es die einzelnen PrivatLarenz, Methodenlehre, S. 336. Staudinger-Cozng, Einl. zum BGB Rdnr. 149. 75 Der Zusammenhang mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit wird oftmals - mitunter auch unter Hinweis auf ihre verfassungsrechtliche Gewährleistung - herausgestellt; vgl. etwa Horn, WM 1997, Beil. 1, S.8; Soergel-Siez'tt, §8 AGBG Rdnr. 1; Vaizndt-Heinrichs, § 8 AGBG Rdnr.l; Lieh, DB 1988, 9 5 2 ; J o o s t , ZIP 1996,1686f. sowie BGH NJW 1985, 3013; 1998, 383; 1999, 3260; 2000, 577 (579). 76 Ebenso die Einschätzung von Canaris, NJW 1987, 613. 77 Das AGB-Gesetz steht damit in einer Reihe mit dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Nicht von der Hand zu weisen ist daher der Vorschlag, § 8 AGBG in Anlehnung an § 2 Abs. 1 GWB auszulegen (so Ulmer/Brandner/Hensen, §8 AGBG Rdnr. 18; Schlosser/Coester-Waltjen/GraK §8 AGBG Rdnr. 14; Canaris, NJW 1987, 613). Abgesehen von dieser normativen Grundsicherung ist das marktwirtschaftliche Modell gerade durch den Verzicht auf staatliche Intervention gekennzeichnet. Näher zur marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung Baumbach/Hefermehl, Allg. 73 74

II. Schranken

der Inhaltskontrolle

gesetzlich

nicht geregelter

Verträge

1>77

rechtsssubjekte sind, die am Markt als Anbieter und Nachfrager auftreten und sich auf den Austausch von Leistung und Gegenleistung einigen. Gefährdet wäre dieses Modell, wenn dem Staat oder den von ihm eingerichteten Gerichten die Kompetenz zufiele, das Leistungsangebot, die Preisfestsetzung und damit das Äquivalenzverhältnis einer Angemessenheitskontrolle zu unterziehen. 78 Ein situativ bedingtes Funktionsversagen der Privatautonomie als Interventionsgrund wird man in diesem Bereich nicht konstatieren können. Denn tendenziell, wenn auch nicht ausnahmslos, sind die Hauptleistungen für die Abschlußentscheidung des Kunden wichtig, finden seine Aufmerksamkeit und nehmen auf diese Weise am marktmäßigen Wettbewerb durchaus teil. Marktregulierung und selbstverantwortliche Interessenwahrnehmung gehen staatlicher Regulierung und Kontrolle hier grundsätzlich vor. 79 Hinzu kommt, daß es in aller Regel an einem rechtlichen Maßstab fehlen würde, die vertraglichen Hauptleistungspflichten zu bewerten. 80 Freilich handelt es sich bei dieser Erkenntnis lediglich um eine Konsequenz der marktwirtschaftlichen Gestaltung unserer Privatrechtsordnung und nicht um einen eigenständigen, die Interpretation leitenden Grundgedanken der Norm des § 8 A G B G . 8 1 Neben dem auf die „Wahrung marktwirtschaftlicher Prinzipien" gerichteten Normzweck tritt ein ebenfalls als folgerichtige Ableitung aus der Gesamtrechtsordnung zu verstehender, die Zweckbestimmung des § 8 A G B G mitkonstituierender Rechtsgrundsatz. Dieser ist in der Bindung des Richters an Gesetz und Recht zu sehen (Art. 20 Abs. 3 GG). 8 2 Würde es dem Richter durch das AGB-Gesetz gestattet sein, auch solche Klauseln einer AngemessenheitsprüRdnr. 70ff.; vgl. auch § 1 Stabilitätsgesetz („im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung"). Die Errichtung eines „Gemeinsamen Marktes" ist ferner ein wesentliches Teilziel der Europäischen Union. Der Begriff „Gemeinsamer Markt" setzt grundsätzlich eine marktwirtschaftliche Ordnung in den einzelnen Mitgliedstaaten voraus, vgl. hierzu Rittner, Wirtschaftsrecht, §4 Rdnr. 15. 7 8 Daß § 8 A G B G die Wahrung marktwirtschaftlicher Prinzipien im Auge habe, wird allenthalben betont; vgl. etwa Wolf/Horn/Lindacher, §8 A G B G Rdnr. 1; Staudinger-Coester, § 8 A G B G Rdnr.3; Niehling, B B 1984, 1716 Fn.31; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S.77 Fn.54; XJlmer/Brandner/Ylensen, § 8 A G B G Rdnr. 10 („Konzept der freien Marktwirtschaft"); zum Grundsatz der freien Preisbildung als Ausdruck der marktwirtschaftlichen Ordnung unserers Wirtschaftssystems, dem auch § 8 A G B G verhaftet sei, Dylla-Krehs, Schranken der Inhaltskontrolle, S. 154 ff. Erhellend auch die Äußerung von Rehmann vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages (Prot. Rechtsausschuß 7. Wahlp. 98/57), die Festsetzung des Leistungsangebots müsse der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit als Ausfluß des Prinzips der freien Marktwirtschaft überlassen bleiben.

Staudinger-Coester, § 8 A G B G Rdnr. 3. Staudinger-Coester, § 8 A G B G Rdnr.2; Wo///Horn/Lindacher, § 8 A G B G Rdnr.l; H.P. Westermann, in: Zehn Jahre AGB-Gesetz, S. 152. 81 Dylla-Krehs, Schranken der Inhaltskontrolle, S. 123 lehnt das „Kann-nicht-Motiv" als Erklärungsgrund für die Kontrollfreiheit preis- und leistungsbestimmender Klauseln sogar rundweg ab. 8 2 B G H N J W 1984,2161; Staudinger-Coester, § 8 A G B G Rdnr. 31; Bruchner, W M 1987, 456; Canaris, N J W 1987, 611; Dylla-Krehs, Schranken der Inhaltskontrolle, S.65f.; Niehling, B B 1984, 1713. 79 80

378

5 8 Typenfreiheit und

Rechtsordnung

fung zu unterwerfen, die lediglich den Gesetzeswortlaut wiederholen oder doch inhaltlich mit dem objektiven Recht übereinstimmen, so wäre damit mittelbar auch das Gesetz dem Angemessenheitsurteil des Richters ausgeliefert. Dieses soll aber gerade umgekehrt den dem Richter vorgegebenen Maßstab konstituieren. Aus diesem Grunde müssen rechtsdeklaratorische Klauseln von vornherein von einer Inhaltskontrolle nach den §§9 bis 11 AGBG befreit sein. Hieraus folgt, daß spezialgesetzliche Vorschriften in anderen Gesetzen Vorrang genießen und vom AGB-Gesetz nicht modifiziert werden sollen. Diese Auslegung läßt sich zusätzlich durch ein auf die Unwirksamkeitsfolge zielendes argumentum ad absurdum83 untermauern. An die Stelle einer unwirksamen deklaratorischen Klausel müßte nämlich - so der Bundesgerichtshof - 8 4 gemäß § 6 AGBG doch wieder die inhaltsgleiche gesetzliche Bestimmung treten, so daß die Inhaltskontrolle im Ergebnis leerlaufen würde. Auch diese Überlegung konstituiert freilich keinen eigenständigen Normzweck, aus dem der Ausschluß rechtsdeklaratorischer Klauseln in erster Linie hergeleitet werden könnte, sondern liefert ein Zusatzargument im Rahmen der teleologischen Auslegung.85 Der in dieser Weise - zunächst noch holzschnittartig - beschriebene doppelte Normzweck führt im Hinblick auf gesetzlich nicht geregelte Verträge zu einem auch rechtspolitisch befriedigenden Ergebnis. Der Gegenentwurf, der Kontrollfreiheit bei Fehlen rechtsnormativer Maßstäbe annimmt, würde auf diesem Gebiet zu einer nicht hinnehmbaren Schutzlücke führen.86 Angesichts des hier unter I. dargestellten Gefährdungspotentials nicht kodifizierter Verträge, wäre eine Absenkung der Kontrollintensität und damit ihre rechtliche Privilegierung ein Schritt in die falsche Richtung. Auch solche unerwünschten Auswirkungen einer Auslegungsvariante müssen im Rahmen einer nach Sinn und Zweck der Norm fragenden Analyse berücksichtigt werden.87 (4) Entstehungsgeschichtliche

Argumente

Eine letzte Bestätigung erfährt das hier entfaltete Normverständnis durch einen Blick auf die Gesetzgebungsgeschichte und die hierin zutage tretende Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers. Allen voran ist auf die amtliche Be83 Zur Verbindung des argumentum ad absurdum mit der teleologischen Auslegung Staudinger-Coing, Einl. zum BGB Rdnr. 150; ferner Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S.457ff. und Diederichsen, in: FS für Larenz (1973), S. 155ff. 84 BGH NJW1984,2161; 1997,193 (194); Wo///Horn/Lindacher, § 8 AGBG Rdnr.22; Ulmer/ Brandner/Hensen, §8 AGBG Rdnr. 30; Vahndt-Heinrichs, § 8 AGBG Rdnr. 6; L o W G r a f von Westphalen/Trinkner, §8 AGBG Rdnr. 16. 85 Wie hier Staudinger-Coester, § 8 AGBG Rdnr. 31; Dylla-Krebs, Schranken der Inhaltskontrolle, S.63f.; 86 Das Bedürfnis für eine Inhaltskontrolle gesetzlich nicht geregelter AGB-Verträge streicht auch Schmidt-Salzer, AGB, Rdnr. F. 29 deutlich heraus. 87 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, §4 Rdnr.24f.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S.404; Staudinger-Coing, Einl. zum BGB Rdnr. 149.

II. Schranken der Inhaltskontrolle

gesetzlich nicht geregelter Verträge

379

gründung des Regierungsentwurfs hinzuweisen, in der es wörtlich heißt: „Die Leistungsbeschreibung einschließlich etwaiger in AGB enthaltener Festlegungen des Entgelts unterliegen der Inhaltskontrolle demnach ebensowenig wie AGB, die lediglich den Inhalt gesetzlicher Regelungen wiedergeben."88 Dies allein war also das Regelungsanliegen, das durch die Formulierung des § 8 AGBG umgesetzt werden sollte. Der dieser Zitatstelle vorangehende Satz paraphrasiert lediglich den Gesetzeswortlaut und hat entgegen Joosts9 keinen eigenen Aussagewert. Interessant ist aber auch eine Äußerung im Ersten Teilbericht der Arbeitsgruppe beim Bundesminister der Justiz, aus der deutlich wird, daß mit § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG eine Regelung geschaffen werden sollte, die eine Inhaltskontrolle auch dort erlaubt, wo - wie im Bereich der nicht kodifizierten Verträge - eine Orientierungshilfe in Form einer dispositiven gesetzlichen Regelung fehlt.90 Hiervon abgesehen ist auch kaum anzunehmen, daß der AGB-Gesetzgeber die vom Bundesgerichtshof bereits lange vor Inkrafttreten des AGB-Gesetzes praktizierte Inhaltskontrolle nicht kodifizierter Verträge91 durch § 8 AGBG zurückdrängen oder unterbinden wollte. Das Grundanliegen des AGB-Gesetzes, die gestörte Funktion des privaten Vertragsrechts durch inhaltliche Anforderungen an den Klauselinhalt wiederherzustellen,92 weist jedenfalls in eine andere Richtung. Hätte dem Gesetzgeber tatsächlich eine solche Korrektur der Rechtsprechung vor Augen gestanden, so wäre diese exzeptionelle Note sicherlich in der ein oder anderen Form aktenkundig gemacht worden. In den Materialien zur Gesetzgebungsgeschichte läßt sich jedoch keine Belegstelle finden, die auf die Absicht des Gesetzgebers deuten ließe, an der bekannten Rechtsprechung zu rütteln. (5)

Ergebnis

Damit läßt sich festhalten, daß §8 AGBG zum einen Leistungsbeschreibungen und Preisvereinbarungen und zum anderen rechtsdeklaratorische Klauseln für nicht kontrollfähig erklärt. Abzulehnen ist ein Normverständnis, das an das Fehlen rechtsnormativer Vorgaben anknüpft und damit nicht kodifizierte Verträge in weiten Teilen der Inhaltskontrolle entzieht. Vielmehr gelten auch für die Inhaltskontrolle gesetzlich nicht geregelter Verträge diesselben Schranken, wie sie § 8 AGBG für die Kontrolle sonstiger AGB-Verträge statuiert. Für die im ersten Fallbeispiel93 problematisierte Abräumklausel in einem AutomatenaufstelBT-Drucks. 7/3919, S. 22. Joost, ZIP 1996, 1686. 90 Vorschläge zur Verbesserung des Schutzes der Verbraucher gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Erster Teilbericht (1974), hrsg. vom Bundesminister der Justiz, S. 55. 91 Besonders ausgeprägt etwa auf dem Gebiete der Automatenaufstellungsverträge; grundlegend BGH NJW 1969, 230. 92 Vgl. Begründung des RegEntw. BT-Drucks. 7/3919, S. 13. 93 Vgl. oben 1. a). 88 89

380

§ 8 Typenfreiheit und

Rechtsordnung

lungsvertrag läßt sich an dieser Stelle festhalten, daß § 8 A G B G eine inhaltliche Kontrolle dieser Vertragsbestimmung anhand der §§9 bis 11 A G B G nicht hindert. 94 Es handelt sich weder um eine rechtsdeklaratorische Klausel - gleichlautende gesetzliche oder in richterlicher Rechtsfortbildung gewonnene Berechtigungen sind nicht ersichtlich - noch betrifft die Abrede den in noch aufzuzeigenden Grenzen kontrollfreien Leistungsbereich.

3. Präzisierung

des kontrollfreien nicht kodifizierte

Bereichs im Hinblick Verträge

auf

Die nachfolgenden Überlegungen zielen darauf, den in seiner Grobstruktur bereits freigelegten Regelungsgehalt des §8 A G B G näher zu entfalten, so daß auch die rechtsanwenderischen Konsequenzen sichtbar werden. Auf dieser Basis dürfte sich sodann auch die Bedeutung der Vorschrift für die Inhaltskontrolle nicht kodifizierter Verträge abschließend beurteilen lassen.

a) Rechtsdeklaratorische

Klauseln

Kontrollfrei sind zunächst solche AGB-Abreden, die lediglich das wiedergeben, was von Rechts wegen ohnehin für die betreffende Thematik gilt. Freilich läßt diese erste tastende Umschreibung des Schrankentatbestandes 95 noch verschiedene Fragen offen.

(1) Erfordernis eines

Rechtslagenvergleichs

Klarheit besteht immerhin über den methodischen Weg, auf dem der rechtsdeklaratorische Charakter einer AGB-Bestimmung und damit ihre Kontrollfreiheit nach dem AGB-Gesetz festgestellt werden kann. Es bedarf hierzu des Vergleichs zweier Rechtslagen. 96 In einem ersten Schritt muß der rechtliche Regelungsgehalt der betreffenden Klausel ermittelt werden. Dies erfolgt im Wege der (ergänzenden) Auslegung unter Berücksichtigung AGB-spezifischer Modifikationen, vor allem des Grundsatzes der objektiven Auslegung und der Unklarheitenregel. 97 Dieser Vorgang ist hier unter § 7 eingehend beschrieben worden, so daß auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann. Sodann ist die objektive Rechtsordnung darauf hin zu befragen, ob sie eine rechtliche Regelung der in der AGB-Klausel in bestimmter Weise geordneten Materie bereithält. Ist dies der Fall, so muß der Klauselinhalt mit der vom objektiven Recht Implizit auch BGH NJW 1985, 53 (55). Sie findet sich z.B. bei Staudinger-Coester, §8 AGBG Rdnr.30. 96 Niebling, Schranken der Inhaltskontrolle, S.22 und 126 spricht anschaulich von einem „Rechtslagenvergleich"; ebenso Staudinger-Coester, §8 AGBG Rdnr.33 97 BGH NJW 1986, 43f.; 46 (47); Staudinger-Coester, § 8 AGBG Rdnr. 33; UlmerIBrandneri Hensen, §8 AGBG Rdnr.30. 94

95

II. Schranken der Inhaltskontrolle

gesetzlich nicht geregelter Verträge

381

vorgehaltenen Ersatzlösung verglichen werden. Im Falle der Übereinstimmung bleibt die Klausel kontrollfrei, anderenfalls unterliegt sie der Inhaltskontrolle nach den §§9 bis 11 A G B G . Hieraus folgt, daß die auf Regelungsidentität gestützte Kontrollfreiheit voraussetzt, daß das objektive Recht einen Vergleichsmaßstab in Form einer Ersatzordnung auch tatsächlich - positiv - kennt. Dort, wo Rechtsvorschriften gänzlich oder doch zumindest für die betreffende Regelungsfrage fehlen, kann Regelungsidentität von vornherein nicht festgestellt werden. Für Allgemeine Geschäftsbedingungen, die ein normatives Vakuum ausfüllen, bleibt damit nur die Qualifikation als ergänzende Regelungen. Als solche sind sie grundsätzlich kontrollunterworfen, es sei denn, sie würden vom zweiten Schrankentatbestand des § 8 A G B G (Kontrollfreiheit preisbestimmender und leistungsbeschreibender Klauseln) erfaßt. Keine Regelungsidentität besteht übrigens auch dann, wenn durch Allgemeine Geschäftsbedingungen gesetzliche Vorschriften global oder teilweise für anwendbar erklärt werden, die für die fragliche Vertragsart nicht vorgesehen sind, sei es weil andere Rechtsvorschriften eingreifen würden (Fall der Divergenz), sei es, daß es einer rechtlichen Regelung ermangelt (Fall der Ergänzung). 98 Vertragliche Qualifizierungsabreden unterliegen daher, wie bereits erwähnt wurde," der Inhaltskontrolle nach den §§9 bis 11 A G B G , es sei denn, sie würden lediglich das kraft objektiven Rechts ohnehin geltende Regelungsregime bestätigen.

(2) Konkretisierung

des rechtlichen

Vergleichsmaßstabs

Für den Ausgang des skizzierten Rechtslagenvergleichs kommt der Formulierung des rechtlichen Vergleichsmaßstabs, zu dem der Klauselinhalt in Beziehung gesetzt werden soll, erhebliche Bedeutung zu. § 8 A G B G umschreibt diesen mit dem Ausdruck „Rechtsvorschriften", Art. 1 Abs. 2 der Klausel-Richtlinie spricht - nach allgemeiner Meinung gleichbedeutend - von „bindenden Rechtsvorschriften". Dieses Merkmal umfaßt unzweifelhaft jedenfalls die Gesetzesvorschriften im materiellen Sinne, also die auf formellem Gesetz, auf Rechtsverordnung, Satzung oder Gewohnheitsrecht beruhenden Rechtssätze. 100 Die ganz überwiegende Meinung macht allerdings an dieser Stelle nicht halt und bezieht auch ungeschriebene Rechtssätze, die Regeln des Richterrechts sowie die aufgrund ergänzender Vertragsauslegung nach §§ 157, 242 B G B und aus der Natur des jeweiligen Schuldverhältnisses zu entnehmenden Rechte und

98 Wo///Horn/Lindacher, § 8 AGBG Rdnr. 26; Ulmer/Brandner/Uensen, % 8 AGBG Rdnr. 31; Staudinger-Coester, §8 AGBG Rdnr.35; implizit auch OLG Frankfurt a.M. NJW 1993, 1477 (1478); OLG Zweibrücken NJW 1998, 1409 (1410). 99 §7111. 1. c) (2) (b). 100 BGH NJW 1985, 3013 (3014); Wo///Horn/Lindacher, §8 AGBG Rdnr. 5; Palandt-Heinrichs, §8 AGBG Rdnr. 7; H.P. Westermann, in: Zehn Jahre AGB-Gesetz, S. 141; Niehling, Schranken der Inhaltskontrolle, S. 67; deutlich enger Schaefer, VersR 1978, 7; ablehnend hinsichtlich der Einbeziehung der ergänzenden Vertragsauslegung Dylla-Krebs, Schranken der Inhaltskontrolle, S. 73 ff.

382

§8 Typenfreiheit und

Rechtsordnung

Pflichten ein. 101 Auch die „vertragstypprägenden Parteivereinbarungen bei gesetzlich nicht geregelten Verträgen" sollen hierher gehören. 102 A m weitesten geht Brandner, wenn er ganz allgemein den „Regelungsgehalt des jeweiligen Vertrags" zu den „Rechtsvorschriften" im Sinne des § 8 AGBG zählt. 103 Der Kreis wird damit im Vergleich zu § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG („der gesetzlichen Regelung") bewußt weiter gezogen. 104 Diese extensive Interpretation muß Rückwirkungen auf die Kontrollfähigkeit nicht kodifizierter Verträge zeitigen. So warnt Coester durchaus folgerichtig, Klauseln bei atypischen oder gesetzlich ungeregelten Verträgen dürften nicht vorschnell als „ergänzend" und damit als kontrollfähig eingestuft werden; vorgeschaltet sei die Prüfung, ob analog anwendbares Gesetzesrecht vorhanden sei oder im Wege der Rechtsfortbildung etablierte Regeln des Richterrechts. 105 Andere Autoren sehen diese unabweisbare Konsequenz offenbar nicht, wenn sie Allgemeine Geschäftsbedingungen, die ein gesetzlich ungeregeltes Vertragsverhältnis gestalten, ohne Einschränkung für kontrollfähig erklären. 106 Bereits diese Dissonanz deutet an, daß das herrschende weite Verständnis des § 8 AGBG, soweit es um den Ausschnitt der deklaratorischen Klauseln geht, der kritischen Uberprüfung bedarf. Den Ausgangspunkt weiterführender Überlegungen sollte die - soweit ersichtlich nicht bestrittene - Erkenntnis bilden, daß § 8 AGBG mit dem Merkmal „Rechtsvorschriften" einen normativ geprägten Maßstab vorgibt, zu dem der auf dem autonomen Gestaltungswillen der Vertragsparteien beruhende Klauselinhalt in Beziehung gesetzt werden muß. Auf dieser Basis kann sodann darüber geurteilt werden, ob die Klausel lediglich das zum Ausdruck bringt, was bereits das objektive Recht in dieser Frage vorsieht. Ein solcher Rechtslagenvergleich verlangt als Vorbedingung, daß der Vergleichsmaßstab sich aus anderen Quellen speist als der hieran zu messende Gegenstand. Denknotwendig ausgeschlossen ist es, den Vertragsinhalt zum Vergleichsmaßstab seiner selbst zu machen. Der Regelungsgehalt des jeweiligen Vertrags kann daher niemals zu den Rechtsvorschriften im Sinne des § 8 AGBG gezählt werden. 1 0 7 Aber auch mit der Einbeziehung der aufgrund ergänzender Vertragsauslegung nach §§157, 242 BGB gewonnenen Rechte und Pflichten wird diese, auf einen widersinnigen Vergleich zulaufende Richtung eingeschlagen. Die ergänzende Auslegung mar101 Aus der Rechtsprechung: BGH N J W 1985, 3013 (3014); 1993, 721 (722); 1998, 383; Wolf/ Horn/Lindacher, §8 AGBG Rdnr.5; Staudinger-Coester, § 8 AGBG Rdnr.7 und 33; PalandtHeinrichs, §8 AGBG Rdnr.7; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.253, allerdings mit der Einschränkung, daß die ergänzende Vertragsauslegung nur berücksichtigt werden dürfe, wenn sie einer Fortbildung des dispositiven Rechts entspreche. 102 Soergel-Stezrc, § 8 AGBG Rdnr.3; Windbichler, AcP 198 (1998), S.277. 103 Ulmer/Brandner/Hensen, § 8 AGBG Rdnr.30. m Staudinger-Coester, § 8 AGBG Rdnr. 8; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 253. 105 Staudinger-Coesier, § 8 AGBG Rdnr. 34. 106 So namentlich Ulmer/Ünmiitter/Hensen, § 8 AGBG Rdnr. 33 und Soergel-Stein, §8 AGBG Rdnr. 2. 107 Dies gegen Ulmer/Brandner/Hensen, § 8 AGBG Rdnr.30.

II. Schranken der Inhaltskontrolle

gesetzlich nicht geregelter Verträge

383

kiert zwar, wie im Rahmen dieser Arbeit ausführlich dargelegt wurde, den Ubergang von der autonomen zur heteronomen Wertung.108 Sie nimmt ihren Ausgang jedoch von den im Vertrag willkürlich gesetzten Regelungen, den in ihnen zum Ausdruck gelangten Grundgedanken und Zielvorstellungen. Dies drückt sich in der Formel vom „Zuendedenken des Vertrags" aus. Hinzu kommen objektiv-normative Wertungen, wobei sich keine allgemeine Regel aufstellen läßt, welches Moment den Ausschlag gibt. Auch wenn infolge der Berücksichtungsfähigkeit normativer, vertragsheteronomer Wertungen eine gewisse Kontrolle am Maßstab des Grundsatzes von Treu und Glauben sichergestellt werden kann - eine offene Inhaltskontrolle nach den §§ 9 bis 11 AGBG kann die bloß normativ mitbestimmte Lückenfüllung nicht ersetzen. Auch wertungsmäßig ist es daher nicht gerechtfertigt, auf eine Inhaltskontrolle der im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gefundenen Ergebnisse zu verzichten. Daß Beanstandungen hier selten sein werden, mag zugestanden werden.109 Es ist im übrigen bezeichnend, daß die Verkehrssitte und der Handelsbrauch überwiegend - und zu Recht - nicht zu den Rechtsvorschriften im Sinne des § 8 AGBG gerechnet werden - 1 1 0 und dies, obwohl nur solche Handelsbräuche beachtlich sind, die mit den Geboten von Treu und Glauben übereinstimmen.111 Hier hat man aus der Existenz einer normativen Komponente offenbar nicht auf die Zugehörigkeit zu den Rechsvorschriften geschlossen. Bemerkenswerterweise zielt die weithin geforderte Aufnahme der Ergebnisse der ergänzenden Vertragsauslegung in den Kreis der Rechtsvorschriften in den Augen ihrer Anhänger gerade nicht auf eine Verkürzung der Inhaltskontrolle, sondern im Gegenteil auf ihre Ausweitung. Bezeichnend sind hier vor allem die Ausführungen des Bundesgerichthofs in der bereits erwähnten Entscheidung vom 6.2. 1985.112 Dort wendet sich das Gericht gegen eine Begrenzung des Begriffs der „Rechtsvorschriften" im Sinne von §8 AGBG auf Gesetzesvorschriften im materiellen Sinn. Bei einem so eingeschränkten Inhalt der Vorschrift - so der Bundesgerichtshof - fielen nämlich alle diejenigen Verträge von vornherein aus dem Schutzbereich der §§ 9 bis 11 AGBG heraus, die gesetzlich nicht besonders geregelt seien. Die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gewonnenen Rechtssätze werden vom Bundesgerichtshof und weiten Teilen des Schrifttums also gerade dazu eingesetzt, eine Divergenz zur vertragliVgl. oben §7 IV. 1. b) (3). Immerhin zeigt auch § 6 Abs. 3 AGBG, daß der Gesetzgeber der Methode der Lückenfüllung nicht restlos vertraut, wenn er den Fall aufgreift, daß die Schließung der Lücke (u.a. im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung) zu einer unzumutbaren, von Rechts wegen nicht hinnehmbaren, Härte für eine Vertragspartei führt. 110 Ulmer/ßrWrcer/Hensen, §8 AGBG Rdnr.32; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.288; DyllaKrebs, Schranken der Inhaltskontrolle, S.71; Basedow, ZHR 150 (1986), S.489f. unter Hinweis auf §24 Satz 2 AGBG; Honseil, JuS 1981, 706; implizit auch Lowe/Graf von Westphalen/Trinkner, §24 AGBG Rdnr.20; a.A. Wo///Horn/Lindacher, §8 AGBG Rdnr.5; Soergel-Stez«, §8 AGBG Rdnr.3; H.P. Westermann, in: Zehn Jahre AGB-Gesetz, S. 141. 111 Hierzu statt vieler K. Schmidt, Handelsrecht, § 1 III, S.29. 112 BGH NJW 1985, 3013 (3014). 108

109

384

§ 8 Typenfreiheit und

Rechtsordnung

chen Regelung aufzuzeigen, um so - getreu dem Wortlaut des Gesetzes - die Kontrollunterworfenheit darzutun. Insoweit liegt dem jedoch ein verfehltes Verständnis des Regelungsgehalts des § 8 A G B G zugrunde. Soweit es um deklaratorische Regelungen geht, sollte mit § 8 A G B G lediglich vermieden werden, daß der Richter die Setzungen der Legislative in Frage stellt und die Inhaltskontrolle unter Mißachtung des Grundsatzes der Gesetzesbindung zur Korrektur gesetzlicher Rechtsfolgeanordnungen benutzt. 113 Dieser Normzweck verlangt die Kontrollfreiheit solcher Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die lediglich wiederholen, was das Gesetz für diesen Fall ohnehin vorsieht. Vom Normzweck des §8 A G B G nicht geboten ist, die Inhaltskontrolle auf abweichende oder im engeren Sinne ergänzende Regelungen zu beschränken. Um dem gesetzgeberischen Anliegen gerecht zu werden, sollte man daher die Vereinbarung eines dem Gesetz nicht bekannten Regelungsmodells oder einer atypischen Regelungsvariante generell als „Ergänzung" der notwendig fragmentarischen Vertragstypenordnung betrachten. 114 Festzuhalten ist damit, daß die Entscheidung über die Kontrollfähigkeit allein anhand des Kriteriums der Regelungsidentität zu treffen ist. Die Kontrollunterworfenheit ist festgestellt, wenn nachgewiesen ist, daß keine Regelungsidentität besteht. Es ist dann eine zweitrangige Frage, ob man in der betreffenden Klausel eine Abweichung oder Ergänzung sehen will. 115 Die besseren Gründe sprechen dafür, im Falle des Fehlens eines normativen Vergleichsmaßstabs stets von einer ergänzenden Regelung auszugehen. Daraus folgt, daß es der überaus bemüht wirkenden Anstrengungen, eine Divergenz positiv darzutun, nicht bedarf, wenn feststeht, daß die Klausel nicht lediglich das von Rechts wegen Geltende deklariert. Die hypertrophe Interpretation des Merkmals der „Rechtsvorschriften" ist daher aufzugeben und auf das auch vom Wortlaut her nahegelegte Verständnis im Sinne von Gesetzen im materiellen Sinne zurückzuführen. 116 . Legt man diese Prämissen der Beurteilung der eingangs skizzierten Konstellation eines formularvertraglich in das billige Ermessen des Sicherungsnehmers gestellten Freigabeanspruchs zugrunde, so kann die Kontrollfähigkeit einer solchen Klausel nicht zweifelhaft sein. Das materielle Gesetzesrecht kennt unstreitig jedenfalls keinen ermessensabhängigen (Teil-)Freigabeanspruch des Sicherungsgebers bei nachträglich eintretender Übersicherung. Die Klausel wiederholt damit nicht lediglich das objektive Recht. O b dieses einen ermessensunabVgl. oben II. 2. b). Abzulehnen ist die Vorstellung, der Begriff der „Ergänzung" setze schon vorhandene Regelungsansätze im objektiven Recht voraus, die lediglich weiterentwickelt würden (so etwa Sonnenherger, in: FS für Ferid I, S. 377ff. und Schaefer, VersR 1978, 9; wie hier im Ergebnis Staudinger-Schlosser, 12. Aufl. 1980, §8 AGBGRdnr.4; ebenso die Neubearbeitung Staudinger-Coesier, §8 AGBG Rdnr.34; ferner auch Becker, Auslegung des §9 Abs. 2 AGB-Gesetz, S. 170). 115 Nicht ganz unberechtigt ist es daher, wenn Niebling (Schranken der Inhaltskontrolle, S. 128) raeint, die Unterscheidung sei lediglich terminologischer Art. 116 Hierzu zählen richterliche Erkenntnisakte mangels Rechtsnormqualität nicht; zu diesem rechtstheoretischen Grundlagenproblem vgl. oben §7 IV. 2. a). 113 114

II. Schranken der Inhaltskontrolle

gesetzlich nicht geregelter Verträge

385

hängigen Freigabeanspruch kennt, ob ein solcher aus §242 BGB resultiert oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gewonnen werden kann und ob die Klausel von dieser Gewährung abweicht, ist im Lichte des Normzwecks bedeutungslos. Solche Überlegungen mögen für die Inhaltskontrolle der Klausel im Rahmen des § 9 AGBG von Belang sein; zur Begründung der Kontrollunterworfenheit genügt, daß ein Fall der Regelungsidentität ausgeschlossen werden kann.

b) Preis- und leistungsbestimmende

Klauseln

In hohem Maße umstritten ist weiterhin die genaue Eingrenzung des kontrollfreien Leistungsbereichs schuldrechtlicher Austauschverträge.117 Das Meinungsspektrum ist weit gefächert.118 Es konkurrieren überaus restriktive mit betont kontrollfreudigen Ansätzen. Besonders deutlich ist dieser Dissens in einigen Stellungnahmen zur Abgrenzung des kontrollfreien Leistungsbereichs bei gesetzlich nicht strukturierten Verträgen zutage getreten. Vor allem Lieb hat sich mit Blick auf den Leasingvertrag für eine deutlichere Akzentuierung des kontrollfreien Leistungsbereichs ausgesprochen.119 Seine Ansicht begründet er vor allem aus dem Zusammenspiel des § 8 AGBG mit der Generalklausel des § 9 AGBG. Seine Ausgangsthese lautet, daß ein Vergleich mit gesetzlichen Leitbildern (§9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG) dem Parteiwillen nicht Rechnung trage, die Inhaltskontrolle daher auf der Grundlage des Aushöhlungsverbots (§9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG) erfolgen müsse. Aber auch bei einer auf § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG gestützten Inhaltskontrolle seien dem Rechtsanwender das Gefüge der beiderseitigen Hauptpflichten und damit der Pflichtenumfang vorgegeben, so daß er nur noch darüber zu entscheiden habe, ob im Klauselwerk enthaltene einschränkende Bestimmungen gerade wesentliche Rechte und Pflichten beträfen. Eine intensivere Kontrolle des vertraglichen Pflichtenprogramms müßte nach Meinung Liebs unweigerlich dazu führen, daß sich die Neubildung von Vertragstypen durch Herausbildung neuartiger Vertragspflichten nur noch im Rahmen der Inhaltskontrolle vollziehen könnte. In der Zurückweisung von Ansprüchen des Leasingnehmers wegen Mangelhaftigkeit des Leasinggegenstandes durch den Leasinggeber im Leasingvertrag sieht Lieb daher im Ergebnis eine kontrollfreie Beschreibung des Leistungsumfangs. Die Gegenposition wird insbesondere von Brandner vertreten.120 Auch er konzediert offenbar im Hinblick auf 117 Unter „Leistungsbereich" sollen hier die vertraglich festgelegte Leistungspflicht und die regelmäßig auf Zahlung von Geld gerichtete Gegenleistungspflicht verstanden werden; wie hier Staudinger-Coesier, § 8 AGBG Rdnr. 11 ff. Ulmer/Brandner/Herisen, § 8 AGBG Rdnr. 9 wählen hingegen als Oberbegriff den der „Leistungsbeschreibung". 118 Aktueller Nachweis des Meinungsstandes bei Staudinger-Coesier, §8 AGBG Rdnr. 11 ff. Nicht weiter berücksichtigt werden im folgenden die bereits oben abgelehnten Konzepte von Joost (ZIP 1996, 1685ff.) und Dylla-Krebs (Schranken der Inhaltskontrolle, S.185ff.). Neuerdings auch Krüger, WM 1999, 1402ff. 119 Lieb, DB 1988, 952ff. 120 Ulmer/Brattoiwer/Hensen, §8 AGBG Rdnr. 12. Ferner Rdnr. 26, wo es heißt, der Aus-

386

5 8 Typenfreiheit

und

Rechtsordnung

nicht kodifizierte Verträge einen kontrollfreien Leistungsbereich, engt diesen aber dadurch stark ein, daß er die Ausgestaltung eines im Gesetz ungeregelten Vertragstyps durch Allgemeine Geschäftsbedingungen als einen den Grenzen der §§9 bis 11 A G B G unterworfenen Vorgang bewertet. (1) Vorrang von Markt und

Wettbewerb

Die Diskussion um die zutreffende Definition der kontrollfreien preisbestimmenden bzw. leistungsbeschreibenden Klauseln leidet in weiten Teilen daran, daß sie den Normzweck des § 8 A G B G aus den Augen verliert und sich somit der wichtigsten Interpretationshilfe begibt. Die Gefahr ist dann groß, daß sich die Abgrenzungsdebatte in terminologischen, nicht mehr auf den Normzweck zurückweisenden Spitzfindigkeiten verliert und kein inhaltlich überzeugendes Konzept zuwege bringt.121 Die Rechtsprechung scheint ihr mit ihrer unübersichtlichen und widersprüchlichen Kasuistik bereits erlegen zu sein. Weder die Testfrage, ob an die Stelle der Klausel dispositives Recht treten könnte, 122 noch das zirkulär wirkende Kriterium, ob die Klausel das Leistungsversprechen einschränke, modifiziere oder aushöhle,123 lassen sich überzeugend am Normzweck des § 8 A G B G festmachen. Der gesetzgeberische Grund für die grundsätzliche Kontrollfreiheit von Leistungsbeschreibungen und Entgeltregelungen liegt, wie hier bereits dargetan wurde,124 in der marktwirtschaftlichen Ausrichtung unseres Rechts- und Wirtschaftssystems. Das Leistungsangebot und der hierfür zu zahlende Preis werden nach marktmäßigen Gesetzen, nach Angebot und Nachfrage, festgesetzt. Primäres Kontrollinstrument, auf das der Gesetzgeber im Grundsatz vertraut und vertrauen darf, ist der Wettbewerb und nicht die staatliche (gerichtliche) Intervention. Aus diesen Überlegungen ergeben sich Folgerungen für den Verlauf der Grenzlinie zwischen kontrollfreien Preis- und Leistungsabreden einerseits und den justitiablen sonstigen Klauseln andererseits.125

Schluß der Inhaltskontrolle sei auf den engsten Kern der Leistungszusage zu beschränken. Noch kontrollfreudiger Quittnat, D B 1 9 7 9 , 1 5 3 1 . Seiner Ansicht nach erfüllt bereits die selektive Ordnung aus unterschiedlichen gesetzlichen Vertragstypen die Voraussetzungen des § 8 A G B G . Damit sei der Prüfungsumfang weiter als bei reinen Kauf- oder Mietverträgen. 121 Börner (JZ 1997, 597) spricht zutreffend von überwiegend deskriptiven Abgrenzungskriterien, deren materielle Werthaltigkeit eher zweifelhaft sei. 122 B G H N J W 1994, 318; 1998, 383; 2000, 651; zustimmend offenbar Horn, W M 1997 Beil. 1, S.12f. 123 B G H N J W 1987, 1931 (1935); 1993, 2369; 1998,1069; 1999, 2279 (2280); kritisch Staudinger-Coester, § 8 A G B G Rdnr. 19. 124 Vgl. oben 2. b) (3). 125 So ansatzweise auch Canaris, N J W 1987, 613; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.250ff. (insbes. 263ff.); Staudinger-Coesier, § 8 A G B G Rdnr. 19.

II. Schranken

(2)

der Inhaltskontrolle

gesetzlich

nicht geregelter

Verträge

387

Transparenzkontrolle

Vom Gedanken des Vorrangs der Marktregulierung, der den Normzweck des §8 AGBG mitkonstituiert, führt eine direkte Verbindungslinie hin zum AGBrechtlichen Transparenzgebot. Dieses besagt in den Worten der Rechtsprechung, daß der Verwender die Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und überschaubar darzustellen hat. 126 (a) Transparenz ah Vorbedingung der

Kontrollfreiheit

Die in §8 AGBG zum Ausdruck gelangte Einschätzung des Gesetzgebers, der Kunde werde insbesondere dem Leistungsgegenstand und dem Preis besondere Aufmerksamkeit widmen und auf diese Weise sein Interesse an einem angemessenen, marktgerechten Leistungsaustausch selbst wahren, erfüllt sich regelmäßig nur, wenn der Vertragsinhalt dem Kunden in diesen wesentlichen Punkten ein vollständiges und wahres Bild vermittelt. Grundvoraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Marktmechanismen ist vor allem ein Mindestmaß an Informiertheit über die Grunddaten von Preis und Leistung; nur dann ist der Kunde zum Marktvergleich befähigt und in der Lage, Änderungsvorschläge einzubringen bzw. - was oftmals näher liegen dürfte - auf andere Angebote auszuweichen. 127 Interventionsbedarf besteht vor allem dort, wo die Störung der Funktionsbedingungen des Marktes von der Verwenderseite ausgehen, sei es durch mangelnde Information, sei es durch gezielte Desinformation. Im Bereich der Grunddaten des Vertrages (Preis und Leistung), denen der Kunde im allgemeinen durchaus seine Aufmerksamkeit schenkt, ist somit eine Transparenzkontrolle nach §8 AGBG nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern geradezu gefordert. 128 Ob der Gedanke auch eine Transparenzkontrolle der übrigen, 126 Grundlegend BGH NJW 1989, 222 (224); seitdem ständige Rechtsprechung vgl. etwa BGH NJW 1990, 2383; 1996, 1407 (1408); 1999, 2279 (2280); 2000, 651 (652). 127 Diese Zusammenhänge stellen auch BGH NJW 1990, 2383 (zur Preisvereinbarung) und hierauf bezugnehmend BAG NJW 1994, 213 (214), OLG Celle NJW-RR 1995, 1133 sowie im Schrifttum besonders deutlich Staudinger-Coesier, §8 AGBG Rdnr. 15, M. Wolf, in: Verbraucherkreditrecht, AGB-Gesetz und Kreditwirtschaft (hrsg. von Hadding/Hopt), S.76, Wolf/ Horn/Lindacher, § 9 AGBG Rdnr. 143 und Köndgen, NJW 1989,948 heraus. Zum informationspolitischen Ansatz des AGB-Gesetzes eingehend Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S.452ff.; Niedenführ, Informationsgebote des AGB-Gesetzes, passim; Koller, in: FS für Steindorff, S. 669, der den Transparenzbedarf vor allem auf der von ihm so genannten „Vertragsabwicklungsstufe" sieht. Ablehnend hingegen Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S.72f. Die Effektivität des Informationsmodells kann man in der Tat mit guten Gründen bezweifeln. Dies ändert freilich nichts daran, daß es mittlerweile dem Gemeinschaftsrecht als Leitgedanke zugrunde liegt (vgl. neben der noch anzusprechenden Klauselrichtlinie 93/13/EWG Art. 4 Verbraucherkredit-Richtlinie 87/102/EWG, Art.4 Abs.2 lit. b Pauschalreise-Richtlinie 90/314/ EWG; Art. 4 Beistrich 1 Time-Sharing-Richtlinie 94/47/EG; Art. 4 Fernabsatz-Richtlinie 97/ 7/EG; vgl. hierzu auch Dreher, JZ 1997,170f., Heinrichs, NJW 1996, 2197 und Grundmann, JZ 2000,1133 ff.) und damit auch in seinen Auswirkungen auf das nationale Recht zur Kenntnis genommen werden muß. 128

Wie hier Staudinger-Coesier, § 8 AGBG Rdnr. 15.

388

§ 8 Typenfreiheit und

Rechtsordnung

vom Kunden weniger beachteten Vertragsbedingungen rechtfertigt oder ob insoweit andere Vorschriften des AGB-Gesetzes (§2 A b s . l Nr. 2, §§3, 5 und 9) die Legitimationsgrundlage bilden, kann hier dahin stehen. Denn es entspricht heute im Ergebnis allgemeiner Meinung, daß das Transparenzgebot nicht auf einzelne Teilbereiche des Vertrages beschränkt werden kann, sondern für die gesamte Ausgestaltung des Vertrages Geltung beansprucht. 129 Somit läßt sich festhalten, daß die Durchführung der Transparenzkontrolle nicht an die Voraussetzungen des § 8 A G B G gebunden ist, der Rechtsanwender mithin insoweit von den diffizilen Abgrenzungsüberlegungen zur Reichweite des kontrollfreien Leistungsbereichs befreit ist. 130 Die Anforderungen des Transparenzgebots lassen sich gleichsam als Vorbedingung der Kontrollfreiheit verstehen. 131 Bestätigt worden ist diese vom Normzweck des § 8 A G B G getragene Positionsbestimmung für Verbraucherverträge durch das Inkrafttreten der Klausel-Richtlinie 93/13/EWG. Die Richtlinie stellt in Art. 4 Abs. 2 (vgl. auch Erwägungsgründe 19 und 20) den Hauptgegenstand des Vertrages und das Aquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung von der inhaltlichen Mißbrauchskontrolle frei, knüpft diese Privilegierung jedoch daran, daß die betreffenden Klauseln klar und verständlich abgefaßt sind. Das Transparenzgebot gilt nach Art. 5 der Richtlinie ohne Einschränkung für alle dem Verbraucher in Verträgen schriftlich unterbreiteten Klauseln. Es ist in der Richtlinie nicht etwa als Unterfall der Inhaltskontrolle, sondern als selbständige Kategorie der Mißbrauchskontrolle konzipiert, so daß auch die Systematik für die Einbeziehung preisbestimmender und leistungsbeschreibender Klauseln spricht. 132 Da es bereits die ratio legis des § 8 A G B G gebietet, nur klar und verständlich abgefaßte, Markttransparenz herstellende Klauseln von der (materiellen) Inhaltskontrolle auszunehmen, durfte der nationale Gesetzgeber von einem expliziten Umsetzungsakt in diesem Punkte absehen. Die Europarechtskonformität des deutschen AGB-Rechts muß insoweit auch nicht erst im Wege der richtlinienkonformen Auslegung herbeigeführt werden. 133

(b) Kritik der Rechtsprechung - Urteil zur

Herstellergarantie

Der grundsätzliche und für §8 A G B G hochbedeutsame Unterschied zwischen Transparenz- und materieller Inhaltskontrolle ist in der Vergangenheit nicht immer genügend beachtet worden. Dies trifft auch auf die Judikatur zur Ulmer/Brandner/Bensen, §9 AGBG Rdnr. 87. Staudinger-Coester, §8 AGBG Rdnr. 15 a.E.; OLG Stuttgart BB 1999,1572; offengelassen von BGH NJW 1999, 3260 (3261). 131 Ulmer/Brandner/Henseri, §8 AGBG Rdnr. 8a; ebenso Krüger, WM 1999, 1411 f. 132 Ulmer/Brandner/Henseri, §9 AGBG Rdnr. 175. 133 Staudinger-Coesfer, § 8 AGBG Rdnr. 16; für richtlinienkonforme Auslegung jedoch Canaris, AcP 200 (2000), S.328f.; Palandt-Heinrichs, §8 AGBG Rdnr. la und Schmidt-Salzer, in: FS für Brandner, S.268. Der BGH (NJW 1999,2279f.) hat jüngst angedeutet, daß die Klausel-Richtlinie bei der Auslegung des §8 AGBG zu berücksichtigen sein kann. 129

130

II. Schranken

der Inhaltskontrolle

gesetzlich nicht geregelter

Verträge

389

Inhaltskontrolle nicht kodifizierter Verträge zu. Obwohl die Unwirksamkeit der betreffenden, meist leistungs- oder preisbezogenen Klauseln in diesen Urteilen allein darauf zurückgeführt wird, daß sie den belastenden Effekt dem Kunden nicht hinreichend verdeutlichen, treten die Gerichte hier vorab in eine eingehende Diskussion der Schrankenproblematik des §8 AGBG ein.134 Auch wenn diese Entscheidungen im Ergebnis Zustimmung verdienen; ihnen eignet die Tendenz, in die nicht gebotenen Rechtsausführungen zu den Schranken der Inhaltskontrolle sehr grundsätzliche Aussagen aufzunehmen, die dann in künftigen Fällen auch den Anwendungsbereich der materiellen Inhaltskontrolle determinieren. Um der Transparenzkontrolle zum Erfolg zu verhelfen, wird der kontrollfreie Leistungsbereich so ohne Not in mitunter bedenklicher Weise eingeengt.135 Aus der Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle gesetzlich nicht geregelter Verträge sei in diesem Zusammenhang das zu den Bedingungen einer Herstellergarantie ergangene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.3. 1988136 herausgegriffen. Der Bundesgerichtshof würdigt in dieser Entscheidung die Herstellergarantie zutreffend als eine auf ein selbständiges Vertragsverhältnis eigener Art gerichtete rechtsgeschäftliche Zusage, die der Verkäufer dem Kunden als Bote aushändige. Obwohl dem Kunden durch einen solchen Garantievertrag der Zugriff auf ein zusätzliches Haftungssubjekt eröffnet wird, seine Rechte mithin über das Gesetz hinaus gestärkt werden, gab die konkrete Ausgestaltung der Garantiebedingungen Anlaß zu Zweifeln an der Wirksamkeit einzelner Klauseln; dies allerdings einzig und allein aus dem Grunde, daß für einen rechtsunkundigen Durchschnittskunden der Eindruck entstehen konnte, auch seine Gewährleistungsansprüche gegen den Verkäufer reichten nicht weiter als die in der Garantiekarte beschriebenen Rechte. Dieses Gravamen hätte ohne Bindung an die Kriterien des §8 AGBG im Rahmen der Transparenzkontrolle (Fallgruppe: „Gebot der Rechtsklarheit" 137 ) aufgegriffen werden können. Das Urteil enthält gleichwohl ausführliche Darlegungen zur Kontrollfähigkeit der Vertragsbedingungen. Dabei begibt sich das Gericht ohne Not in schwere See. Denn der Einwand, die Ausgestaltung der Garantiebedingungen stecke lediglich das Hauptleistungsversprechen ab und sei daher nicht kontrollfähig, ist nicht leicht von der Hand zu weisen. Für die Kontrollfähigkeit sprach nach Ansicht des Bundesgerichtshofs entscheidend die Besonderheit, daß die Garantiebedingungen den Eindruck einer Verkürzung der Rechte des Kunden gegen Dritte (seinen Ver134 B G H N J W 1989, 222; weitere Nachweise bei Staudinger-Coester, §8 A G B G Rdnr.18; hierher gehört auch B G H N J W 1995, 2637 (2638). In dieser zu einem Time-Sharing-Vertrag ergangenen Entscheidung wird ausgeführt, für die Berücksichtigung des Transparenzgedankens im Rahmen der Uberraschungskontrolle nach § 3 A G B G komme es (offenbar anders als bei einer auf § 9 A G B G gestützten Transparenzkontrolle!) nicht darauf an, ob die fragliche Erfüllungsregelung zur Leistungsbeschreibung gehöre oder eine die Hauptleistungspflicht abändernde Nebenabrede enthalte. 135 Wie hier Staudinger-Coester, § 8 A G B G Rdnr. 18. 136 B G H N J W 1988, 1726. 137 Hierzu WW//Horn/Lindacher, §9 A G B G Rdnr. 153.

390

§ 8 Typenfreiheit

und

Rechtsordnung

käufer) zu erwecken geeignet waren. Um der Transparenzkontrolle das Tor zu öffnen, hätte es dieser nicht unproblematischen, wenngleich im Ergebnis wohl anzuerkennenden Festlegung nicht bedurft. 138 Auch weitere Urteile - insbesondere aus dem Bankvertragsrecht - zeigen, daß die Wurzel für die zu Recht als ausufernd und unübersichtlich angeprangerte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zumindest teilweise in der ungenauen Bestimmung des Verhältnisses des § 8 A G B G zum Transparenzgebot zu sehen ist. Eine eindeutige Abschichtung der Transparenzkontrolle von der materiellen Angemessenheitskontrolle könnte hier dazu beitragen, die Konturen des §8 A G B G wieder deutlicher hervortreten zu lassen. 139 (3) Materielle

Inhaltskontrolle

im Leistungsher eich

Damit ist das Kernproblem des § 8 A G B G , an dem auch die Inhaltskontrolle nicht kodifizierter Verträge teil hat, aufgerufen: welche Kriterien entscheiden im Leistungsbereich, also bei preisbestimmenden und leistungsbeschreibenden Klauseln, über die Kontrollfreiheit bzw. -fähigkeit? Daß nicht der gesamte Leistungsbereich von der Inhaltskontrolle freigestellt ist, folgt bereits aus der Existenz verschiedener besonderer Klauselverbote. 140 Insbesondere durch §10 Nr. 1, 2, 3, 4, 7a und § 11 Nr. 1, 2a, 6, 8, 9, 10, 11, 12 A G B G wird die Angemessenheitskontrolle auf ausgewählte vertragliche Regelungen erstreckt, die zumindest zum erweiterten Umfeld der Preis- und Leistungsgestaltung zu rechnen sind. Auch Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG deutet eine Differenzierung im Leistungsbereich an, wenn dort die Kontrollfreiheit auf den Hauptgegenstand (main subject matter, objet principal du contrat) des Vertrages begrenzt wird. So unzweifelhaft diese Befund ist, so ungesichert ist der Verlauf der Grenzlinie im einzelnen. (a) Teilnahme

an den Kontrollmechanismen

von Markt und

Wettbewerb

Die zutreffende Weichenstellung, aber auch die Abgrenzung en detail, wird hier wiederum nur gelingen, wenn man sich des gesetzgeberischen Grundes für die Freistellung des Leistungsbereichs vergewissert. Diese Rückbeziehung des praktischen Anwendungsbereichs der Inhaltskontrolle auf den Normzweck des § 8 A G B G liefert nicht nur die Erklärung für die Gebotenheit der Transparenzkontrolle im gesamten Leistungsbereich, sondern vermag auch das durch § 8 A G B G abgesteckte Einsatzfeld der materiellen Angemessenheitskontrolle zu erhellen. Wenn, wovon nach den bisherigen Ausführungen auszugehen ist, der allein zur Normkonkretisierung geeignete Grundgedanke in der Anerkennung der regulierenden Wirkung von Markt und Wettbewerb als primäres Kon138 139 140

Zur Herstellergarantie vgl. im übrigen die Ausführungen unter § 9 VI. 2. In diesem Sinne auch Staudinger-Coester, § 8 A G B G Rdnr. 14 und 18. Staudinger-Coesier, § 8 A G B G Rdnr. 12.

II. Schranken der Inhaltskontrolle

gesetzlich nicht geregelter Verträge

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trollinstrument liegt, so bedeutet dies im Gegenschluß, daß eine materielle Angemessenheitskontrolle dort geboten ist, wo nicht auf eine funktionierende Marktregulierung verwiesen werden kann. Die Testfrage lautet also, ob die jeweilige Vertragsbedingung, deren Kontrolle in Frage steht, den Kräften von Markt und Wettbewerb in einer Weise ausgesetzt ist, daß damit gerechnet werden kann, der durchschnittliche Kunde werde sie zur Kenntnis nehmen und in seine Abschlußentscheidung einbeziehen.141 Nur dann erscheint die Annahme begründet, der Markt werde regelmäßig schon für einen gerechten Ausgleich der Verwenderinteressen mit den Interessen des Kunden sorgen, so daß sich eine staatliche Intervention erübrigt. Im Schrifttum ist dieser Gedanke bislang nur vereinzelt zum Ausgangspunkt weiterführender Überlegungen gemacht worden. Hervorzuheben ist vor allem ein Beitrag von Canaris, der sich auf dieser Basis um eine Abgrenzung kontrollfreier Entgeltregelungen von kontrollunterworfenen Preisnebenabreden bemüht.142 Klauseln, die den Preis nur mittelbar beeinflussen, sollen nach seiner Vorstellung grundsätzlich kontrollfähig sein, weil sie jenem Bereich angehörten, in dem die Markt- und Wettbewerbsmechanismen erfahrungsgemäß ihre Wirksamkeit nicht in dem erforderlichen Maße entfalteten. Unmittelbar preisbestimmende Regelungen seien dagegen grundsätzlich nicht kontrollfähig, sofern ihr Vorhandensein - nicht dagegen notwendigerweise auch ihr Inhalt marktkonform oder zumindest nicht marktirregulär sei. Freilich ist hiermit nur ein erster Schritt getan. Die Begriffe der Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit sind noch zu vage, um in den umstrittenen Grenzfällen die Richtung zu weisen. Auf berechtigte Kritik ist ferner das Kriterium der Marktkonformität gestoßen, das unmittelbar preisbestimmenden Klauseln erst zur Kontrollfreiheit verhelfen soll. Es ist in der Tat schwer praktikabel und kann auch wertungsmäßig nicht überzeugen.143 Im Grundsatz auf Zustimmung gestoßen ist der marktbezogene Ansatz bei Fastrich, der diesen allerdings in ein differenziertes, nach Kontrollfähigkeit und Kontrollbedürfnis unterscheidendes Konzept einbringt.144 Anhand zahlreicher Einzelfälle werden entscheidungsleitende Gesichtspunkte vorgestellt, ohne daß freilich ein faßbarer Ertrag verallgemeinerungsfähiger Abgrenzungskriterien erkennbar wird. Hilfreich könnte es demgegenüber sein, die typische Abschlußentscheidung des Kunden, seinen Umgang mit dem „Kleingedruckten", näher in den Blick zu nehmen. Nach dem in Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG mit §24a AGBG der Verbraucherschutzgedanke auch in das AGB-Gesetz Einzug gehalten hat, Ähnlich auch Fastrich, Inhaltskontrolle, S.265. Canaris, NJW 1987, 613 anläßlich der Diskussion um Zinsberechnungs- und Tilgungsverrechnungsklauseln; jüngst fortgeführt in AcP 200 (2000), S. 330f. 143 Kritisch Dylla-Krehs, Schranken der Inhaltskontrolle, S. 180ff.; Niebling, Schranken der Inhaltskontrolle, S.130f.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.264; Wo///Horn/Lindacher, §8 AGBG Rdnr. 13. 144 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 263 ff. 141

142

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§ 8 Typenfreiheit

und

Rechtsordnung

sollte man sich den mit den jeweiligen Bedingungen konfrontierten Kunden in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs145 als verständigen, aufmerksam und kritisch prüfenden Durchschnittsverbraucher vorstellen, der aufgrund ausreichender Information in der Lage sein muß, seine Entscheidung auf dem Markt zu treffen. Er verfügt über keine nennenswerten Rechtskenntnisse, schließt einen auf Leistungsaustausch gerichteten Vertrag aber auch nicht blindlings.146 Durch seine Abschlußentscheidung sucht er sein Leistungsinteresse, den Erhalt eines bestimmten von ihm benötigten Wirtschaftsgutes oder die Entgegennahme einer Dienstleistung, zu einem Preis zu befriedigen, den er hierfür zu zahlen bereit ist. Diese Hauptpunkte des Vertrages sind demgemäß von der Aufmerksamkeit des Durchschnittskunden erfaßt. Dies zeigt sich schon daran, daß diese Grunddaten nicht selten ausdrücklich zur Sprache gebracht und sogar zum Gegenstand einer Individualvereinbarung gemacht werden (§ 1 Abs. 2 AGBG). Aber selbst, wenn dies nicht geschieht, wird der Kunde die Entscheidung nicht unbeeinflußt von den Leistungsangeboten anderer Wettbewerber treffen. Regelmäßig wird er zumindest darauf achten, daß das angestrebte Geschäft nicht aus dem Rahmen fällt, sich also nicht durch einen vergleichsweise geringen Leistungsumfang oder ein überhöhtes Entgelt auszeichnet. Gesichert dürfte daher die Aussage sein, daß jedenfalls der „engste Kern der Leistungszusage",147 „glasklar als bezifferte Preisfestsetzungen" ausgewiesene Preisabreden148 und über die Preishöhe auch das Aquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung149 an den Kontrollmechanismen von Markt und Wettbewerb teilnehmen. Sie sind grundsätzlich - abgesehen von der stets zulässigen Transparenzkontrolle - nicht justitiabel. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Gesetzgeber bestimmte Grunddaten - wie etwa den Preis - bewußt den Wirkungskräften von Markt und Wettbewerb entzieht, etwa in dem er selbst entsprechende Festsetzungen vornimmt (Beispiel: Honorarordnung für Ärzte). 150 Von der Tendenz her richtig ist auch die oftmals zu vernehmende Einschätzung, daß der Kunde der Hauptleistung mehr Aufmerksamkeit widme als den

145 EuGH NJW 1993, 3187 - Yves Rocher; 1995, 3243 - Mars; Slg. I 1998, 4657 Tz. 37 - Gut Springenheide; WRP 1999, 307 (310f.) - Sektkellerei Kessler; EWS 2000,127 (128) - Estee Lauder Cosmetics/Lancaster; Baumbach/Hefermehl, Einl. UWG Rdnr.647. Für Übertragung dieses Maßstabs auf die Anforderung des gemeinschaftsrechtlich fundierten Transparenzgebots Pakndt-Heinrichs, §24a AGBG Rdnr.22. 146 Brandner, in: FS für Hauß, S. 8 f. 147 Ulmer/ßranafner/Hensen, § 8 AGBG Rdnr.26. 148 Köndgen, NJW 1989, 948. 149 Wo///Horn/Lindacher, §8 AGBG Rdnr.8; Staudinger-Coester, §8 AGBG Rdnr.2; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.258. 150 BGH NJW 1981, 2351 betr. Abweichung von den Gebührensätzen der Architektenhonorarordnung; 1992, 746 betr. ärztliche Honorarvereinbarung; 1998, 1786 (1789) betr. zahnärztliche Honorarvereinbarung; 1998,3567 betr. Vergütungsabrede in Abweichung von der BRAGO; Wo///Horn/Lindacher, § 8 AGBG Rdnr.16; Soergel-Stei«, §8 AGBG Rdnr.9.

II. Schranken der Inhaltskontrolle

gesetzlich nicht geregelter Verträge

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Nebenpunkten. 151 Folgerichtig knüpft auch die Klausel-Richtlinie das Zugriffsverbot an den Begriff des Hauptgegenstandes des Vertrages. Der Durchschnittskunde interessiert sich, so ließe sich dieser Ansatz konkretisieren, in erster Linie für die Folgen des Vertrages, von denen voraussichtlich seine künftigen Dispositionen abhängen. Was ihn nicht unmittelbar betrifft, sondern nur unter besonderen Umständen auf ihn zukommt, dürfte regelmäßig außerhalb dessen liegen, was der Durchschnittskunde an Zeit und intellektueller Mühe zu investieren bereit ist und ihm auch von Rechts wegen nicht angesonnen werden kann. Hypothetische Vorsorgeregelungen in den Vertragsbedingungen nehmen daher an den regulierenden Mechanismen von Markt und Wettbewerb ebensowenig teil, wie etwa Entgeltfestsetzungen für Leistungen, die der Kunde im Zeitpunkt der Abschlußentscheidung nicht in Anspruch zu nehmen gedenkt. Kein Kontrollbedürfnis besteht etwa für Zinsregelungen bei Überziehung eines Girokontos, da davon ausgegangen werden kann, daß der Durchschnittskunde auf dieses Leistungsangebot früher oder später zurückgreifen wird. 152 Hinzu kommt, daß auf diesem Gebiet - gefördert durch Informationsintermediäre durchaus ein Konditionenwettbewerb stattfindet. Als Gegenbeispiel lassen sich Entgeltfestsetzungen für die Bearbeitung von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen anführen. 153 Der Durchschnittskunde dürfte nicht damit rechnen, daß gegen ihn Vollstreckungsmaßnahmen ausgebracht werden und sein Geldinstitut als Drittschuldner hiervon betroffen wird. Seine Abschlußentscheidung wird er demgemäß auch nicht von diesem Entgelttatbestand abhängig machen. Naheliegend erscheint ferner die Vorstellung von einem engen Leistungskern, dem der Kunde seine Aufmerksamkeit entgegenbringt, und einem Randbereich, den er nur rudimentär erfaßt, ohne ihn in seine Abschlußentscheidung einfließen zu lassen. Zur Abgrenzung dieser Sphären kann die Unterscheidung zwischen den essentialia negotii 154 und naturalia wertvolle Dienste leisten. 155 Sie entbindet freilich nicht von zusätzlichen Überlegungen. So ist es beispielsweise denkbar, daß die Werbung für ein Produkt einen Punkt herausstellt, der zwar nicht zur zentralen Leistungsbestimmung gehört, gleichwohl aber als unter151 BGH NJW 1986, 46 (48); 1989, 222 (223); MünchKomm-/Cöiz, §8 AGBG Rdnr.4; Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S.340. 152 A.A. jedoch BGH NJW 1992, 1751f.; 1994, 1532 (1533) (betr. Kreditkarten-AGB) sowie Wo///Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr. D 20 und Ulmer/ßtWtter/Hensen, §8 AGBG Rdnr. 21; wie hier im Ergebnis Steiner, WM 1992, 429f. 153 BGH NJW 1999, 2276; 2000, 651. 154 Klassisch die Definition von v. Tuhr, Allgemeiner Teil IUI, S. 194: „Zum Zustandekommen eines Rechtsgeschäftes ist erforderlich, daß durch den Parteiwillen ein Minimum von Rechtsfolgen festgesetzt wird. Es sind das diejenigen Rechtsfolgen, aus denen sich der Typus des Rechtsgeschäftes und damit das Eingreifen der dispositiven Gesetzesvorschriften ergibt. Diese unentbehrlichen und artbestimmenden Bestandteile der Willenserklärung nennt man essentialia negotii." 155 Wo///Horn/Lindacher, §8 AGBG Rdnr. 8; Erman-H. Hefermehl/Werner, §8 AGBG Rdnr. 6; Schlosser/Coester-Waltjen/Gra^, § 8 AGBG Rdnr. 16; der Sache nach auch BGH NJW 1987,1931 (1935); 1992,688 (689); 1993,2369; abl. Dylla-Krebs, Schranken der Inhaltskontrolle, S. 163 ff.

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scheidender Vorzug den Kunden zum Abschluß des Geschäfts veranlassen soll (z.B. Zusatzleistungen eines Kreditkartenunternehmens). Hierdurch wird der Wettbewerb entfacht, das Kontrollbedürfnis schwindet. Externer rechtlicher Kontrolle bedürfen hingegen die Teile des Leistungsversprechens, denen der Kunde regelmäßig nur eine diffuse Erwartungshaltung, etwa des Inhalts, es werde dort sowieso nur das Übliche stehen, entgegenbringt und die aus diesem Grunde nicht dem Konditionenwettbewerb ausgesetzt sind. Auf dieser Linie liegt auch die Rechtsprechung, wenn sie Bestimmungen, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, verändern oder aushöhlen, für kontrollfähig erklärt. 156 Auch die Querverbindung zu §9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG sticht hervor. Wesentliche Rechte und Pflichten sind vor allem solche, deren Erfüllung die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrages überhaupt erst ermöglicht und auf deren Erfüllung der Vertragspartner daher auch vertraut. 157 § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG zeigt, daß der Kunde auch im Bereich der vertragswesentlichen Rechte und Pflichten, vor allem auch der Hauptleistungspflichten, nicht schutzlos gestellt sein soll. Die durch die zentrale Leistungsbestimmung erweckte Erwartungshaltung des Kunden, die ihn von der genaueren Lektüre der einzelnen Modalitäten abhält, darf durch einschränkende Klauseln nicht in gravierender Weise ausgehöhlt werden. In diesem Punkt muß § 8 AGBG wohl mit Blick auf § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG ausgelegt werden. 158

(b) Rückschlüsse aus den Klauselverboten

der §§10 und 11 AGBG

Hieran anknüpfend muß die Frage gestellt werden, ob sich nicht noch weiteren Bestimmungen des AGB-Gesetzes Hinweise auf die zutreffende Abgrenzung des nicht kontrollunterworfenen Leistungsbereichs entnehmen lassen. Der Blick fällt hier sogleich auf die Klauselverbote der §§10 und 11 AGBG. Bei diesen handelt es sich um exemplarische Konkretisierungen des in der Generalklausel allgemein umschriebenen Kontrollmaßstabs. 159 Der Gesetzgeber wollte mit ihnen - ausweislich der Gesetzesbegründung - 1 6 0 im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit bestimmte Klauseln und formularmäßige Gestaltungen aufgreifen, die nach seiner Einschätzung für den AGB-unterworfenen Vertragsteil eine besondere Gefahr darstellen. Mit dieser Zielbeschreibung ließe 156 BGH NJW 1987,1931 (1935); 1993, 2369; 1998,1069; 1999,2279 (2280); Wolf!Horn/Lindacher, § 8 AGBG Rdnr. 12; Ulmer/5rWner/Hensen, §8 AGBG Rdnr.27; Palandt-Heinrichs, §8 AGBG Rdnr.2. 157 BGH NJW 1985, 3016 (3018); Palandt-Heinrichs, §9 AGBG Rdnr.27. 158 Der Hinweis auf den Zusammenhang mit §9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG findet sich in ähnlicher Form auch bei Ulmer/fJrani/ner/Hensen, § 8 AGBG Rdnr. 27 und VzXari&t-Heinrichs, § 8 AGBG Rdnr.2 sowie in der Entscheidung BGH NJW 1987, 1931 (1935). 159 Im Bericht des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 7/5422, S. 6) ist von einer „beispielhaften Aufzählung von Anwendungsfällen der Generalklausel" die Rede. Diese dort in bezug auf § 10 AGBG verwendete Charakterisierung trifft ohne weiteres auch für § 11 AGBG zu (vgl. Ulmer/ BrandneriHensen, §9 AGBG Rdnr. 9). 160 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 7/3919, S.23.

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gesetzlich nicht geregelter Verträge

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es sich nun aber schwerlich vereinbaren, wollte man dem Unwirksamkeitsverdikt nach den §§10 und 11 A G B G noch die Prüfung der Kontrollfähigkeit der Klausel nach § 8 A G B G vorschalten. Dies hieße nämlich, bewußt die Möglichkeit in Rechnung zu stellen, daß der im Gesetzestext fixierte Verbotsumfang verschiedener Katalogtatbestände doch nicht das Maß der Dinge ist und im Hinblick auf § 8 A G B G jedenfalls punktuell zurückzuführen wäre. Die mit den §§10 und 11 A G B G erstrebte plakative Anschaulichkeit ginge dann teilweise verloren und das Ziel, die dort genannten Klauseln zuverlässig aus dem Rechtsverkehr zu eleminieren, könnte nicht mehr in vollem Umfang erreicht werden. Es besteht daher im Schrifttum auch Ubereinstimmung, daß alle Klauseln, die von den Verbotstatbeständen der §§10 und 11 A G B G erfaßt werden, der Inhaltskontrolle unterliegen, die Filterfunktion des § 8 A G B G sich insoweit nicht aktualisiert. 161 Für sie bleibt immerhin noch der beträchtliche Komplex solcher Klauseln, die potentiell an § 9 A G B G zu messen sind. Schwieriger gestaltet sich die Beurteilung etwaiger Interdependenzen, wenn eine AGB-Klausel zwar in den thematischen Anwendungsbereich eines Klauselverbots der §§10 oder 11 A G B G fällt, dessen tatbestandliche Voraussetzungen jedoch in concreto nicht erfüllt. Lassen sich hier aus der thematischen Nähe zu einem Katalogtatbestand Schlüsse auf die Kontrollfähigkeit der Klausel ziehen, so daß die Inhaltskontrolle nach §9 A G B G eröffnet ist? In einem vorformulierten Fitneßstudio-Vertrag findet sich beispielsweise ein Passus, demzufolge sich der Vertrag stillschweigend jeweils um weitere sechs Monate verlängert, wenn er nicht form- und fristgerecht gekündigt wird. 162 Mit § 11 Nr. 12b A G B G hält das Gesetz hier zwar ein Einzelverbot bereit, das sich mit der Problematik vorab vereinbarter stillschweigender Vertragsverlängerungen in Dauerschuldverhältnissen befaßt. Allerdings fallen unter den Verbotstatbestand nur Vertragsverhältnisse, die die regelmäßige Lieferung von Waren oder die regelmäßige Erbringung von Dienst-oder Werkleistungen durch den Verwender zum Gegenstand haben. Einen solchen Leistungsinhalt weist der Fitneßstudio-Vertrag nicht auf; bei ihm dominiert zutreffender Ansicht nach das Gebrauchsüberlassungsmoment. 163 Dies hat zur Folge, daß eine Überprüfung des Klauselinhalts allenfalls anhand der Generalklausel des §9 A G B G vorgenommen werden kann. Dieser Wertungsstufe vorgelagert ist allerdings noch die Feststellung der Kontrollunterworfenheit der Verlängerungsklausel. Sie ist mit einem gewissen Unsicherheitsmoment belastet, da die Verlängerung der Laufzeit des Vertrages immerhin zu einer proportionalen Zunahme des Volumens der auszutauschenden Leistungen führt und damit den Leistungsbereich tangiert. Primäres Abgrenzungskriterium ist nach dem hier favorisierten Modell die Teilnahme der Verlängerungsklausel an den Kontrollmechanismen von Markt und Wettbe-

161 Niehling, WM 1992, 852 und im Ergebnis auch Dylla-Krebs, Schranken der Inhaltskontrolle, S. 189. 162 Beispiel nach BGH NJW 1997, 739. 163 BGH NJW 1997, 739; Wo///Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr. F 123.

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Rechtsordnung

werb. Fraglich ist aber, ob der marktbezogene Ansatz hier nicht durch normative Wertungen angereichert werden kann, oder konkret formuliert, ob die thematische Nähe der Verlängerungsklausel zum Regelungsgegenstand des § 11 Nr. 12b A G B G Rückschlüsse auf die Entscheidungsfindung im Rahmen des § 8 A G B G zuläßt. Im Schrifttum ist die Frage diskutiert worden, ob die Klauselverbote der §§10 und 11 A G B G - zumindest teilweise - als sog. Erlaubnisnormen qualifiziert werden müssen. 164 Das hieße, daß sich der Regelungsgehalt einzelner Klauselverbote nicht in der Pönalisierung bestimmter Vertragsgestaltungen erschöpfen würde, sondern daß der Vertragspraxis zugleich ein Gestaltungsspielraum unterhalb oder außerhalb des tatbestandlich fixierten Anwendungsbereichs eröffnet würde. Solchermaßen legalisierte Vertragsgestaltungen wären dann - so die weitere Überlegung - als rechtsdeklaratorische AGB-Vereinbarungen nach §8 A G B G von der Inhaltskontrolle freigestellt. 165 Gegen dieses Verständnis spricht jedoch schon die Vorschrift des § 24 Satz 2 A G B G , 1 6 6 die gerade dem Umkehrschluß vorbeugen will, die in §§ 10 und 11 A G B G als unangemessene Benachteiligungen gebrandmarkten Vertragsgestaltungen seien im unternehmerischen Geschäftsverkehr von der Inhaltskontrolle nach dem Maßstab des §9 A G B G ausgenommen. 167 Auch die Systematik der Inhaltskontrollvorschriften spricht eine andere Sprache. Schon der Eingangssatz des § 10 A G B G („insbesondere") deutet auf eine lediglich beispielhafte und nicht abschließende Aufzählung von Klauselverboten hin, die die Herleitung der Unwirksamkeit aus der Generalklausel grundsätzlich nicht hindert. §9 A G B G kommt im Verhältnis zu den §§10 und 11 A G B G nach dem Gesetzesplan vielmehr die Funktion einer Auffangvorschrift zu. 168 Auch die gerichtliche Praxis verfährt nach dieser Maxime. So hat der Bundesgerichtshof die oben mitgeteilte Verlängerungsklausel ohne weiteres einer Inhaltskontrolle nach § 9 A G B G unterworfen und damit implizit ihre Kontrollfähigkeit bejaht. 169 164 Dafür offenbar Fehl, BB 1983, 225; differenzierend Fastrich, Inhaltskontrolle, S.297 und Staudinger-Coester, § 8 AGBG Rdnr. 39; ablehnend Dylla-Krehs, Schranken der Inhaltskontrolle, S. lOOf. und Löwe, NJW 1987, 938. 165 Zur Lehre von den Erlaubnisnormen Staudinger-Coester, §8 AGBG Rdnr. 38f.; Wolf/ Horn/Lindacher, §8 AGBG Rdnr. 27; Canaris, NJW 1987, 611. Die Diskussion ist jüngst neu entfacht worden durch eine im Entwurf zu einem Uberweisungsgesetz (BR-Drucks. 163/99, auszugsweise abgedruckt in ZIP 1999, 680) zunächst vorgesehene, im weiteren Gesetzgebungsverfahren jedoch fallen gelasssene Einschränkung der Inhaltskontrolle; hierzu Köndgen, ZBB 1999, 105 und Löwe, ZIP 1999, 830ff. 166 Löwe, NJW 1987, 938. 167 Ulmer/Brandner/Hensen, §24 AGBG Rdnr.3. 168 Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 7/3919, S.22; B G H NJW 1980, 2518 (2519); Ulmer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rdnr.61; Wo///Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr. 6; Staudinger-Coeiter, § 9 AGBG Rdnr. 7 und 10; MünchKomm-Äotz, § 9 A G B G Rdnr. 1; Palandt-Heinrichs, §9 AGBG Rdnr. 1; Becker, Auslegung des §9 Abs.2 AGBG, S. 194. 169 BGH NJW 1997, 739f.; verfehlt daher die Einschätzung von Staudinger-Coester, §8 AGBG Rdnr. 39 (unter Berufung auf Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 297), der BGH habe in diesem Urteil § 11 Nr. 12 AGBG als Erlaubnisnorm eingestuft. Eine andere Frage ist, welche Rückwir-

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gesetzlich nicht geregelter Verträge

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Die Würdigung dieser Zusammenhänge, insbesondere des Auffangcharakters des § 9 AGBG im Verhältnis zu den §§10 und 11 AGBG, dürfte umgekehrt den Schluß erlauben, daß Klauseln, die nach ihrem Regelungsgehalt zwar in den thematischen Anwendungsbereich eines Klauselverbots fallen, mit diesem jedoch in concreto nicht kollidieren, grundsätzlich nach §8 A G B G einer Inhaltskontrolle am Maßstab des §9 AGBG zugänglich sind. Wenn beispielsweise in §11 Nr. 1 AGBG Preiserhöhungsklauseln unter bestimmten Voraussetzungen für unwirksam erklärt werden, so folgt daraus, daß der Gesetzgeber diese Art von Klauseln, nämlich Preisanpassungsklauseln, generell, also nicht gebunden an den engen tatbestandlichen Geltungsbereich des Verbots, den kontrollunterworfenen Preisnebenabreden zugerechnet wissen will, die gerichtlichen Befugnisse auf diesem Feld somit nicht auf eine bloße Transparenzkontrolle beschränkt sind.170 Zutreffend hat der Bundesgerichtshof beispielsweise entschieden, daß eine formularmäßige Klausel in einem Leasingvertrag, die dem Leasinggeber das Recht einräumt, bei einer Veränderung der Verhältnisse am Geld- und Kapitalmarkt, die ausstehenden Leasingraten kraft einseitiger Erklärung anzupassen, der Inhaltskontrolle nach §9 AGBG unterliegt.171 Am Rande sei vermerkt, daß ein solcher Preisänderungsvorbehalt wohl auch kaum an den Kontrollmechanismen von Markt und Wettbewerb teilnehmen dürfte, seine Kontrollunterworfenheit auch unter diesem Gesichtspunkt gerechtfertigt ist. Die aus den Klauselverboten der §§10 und 11 AGBG fließenden Hinweise auf die im Gesetzesplan liegende Reichweite der Inhaltskontrolle müssen in den hier entwickelten marktbezogenen Ansatz integriert werden. Zu gegenläufigen Bewertungen dürfte es hier freilich kaum kommen, bestätigen doch die normativ fundierten Wertungen die markt- und wettbewerbsbezogene Betrachtungsweise in weiten Teilen. Dies verwundert schon deswegen nicht, weil sich die §§10 und 11 AGBG schwerpunktmäßig mit Klauseln befassen, die mögliche Störungen der Vertragsdurchführung zum Gegenstand haben,172 und es gerade solche hypothetischen Vorsorgeregelungen sind, die erfahrungsgemäß nicht im Zentrum der für den Kunden abschlußentscheidenden Daten stehen.

kungen die gesetzlichen Wertungen in §§ 10 und 11 AGBG auf die Abwägung im Rahmen des § 9 AGBG zeitigen (hierzu Wo///Horn/Lindacher, Vor §§ 10, 11 AGBG Rdnr. 11 f.). 170 Zur Justitiabilität von Preisanpassungsklauseln insbesondere Wo/f/Horn/Lindacher, §11 Nr. 1 AGBG Rdnr. 40ff. 171 BGH NJW1986,1355. Das Verbot kurzfristiger Preiserhöhungen kam nicht zum Zuge, da Dauerschuldverhältnisse von ihm ausgenommen sind (vgl. § 11 Nr. 1 Halbsatz 2 AGBG). Zuletzt auch BGH NJW 2000, 515 (520) zu einem einseitigen Anderungsrecht hinsichtlich der Rabatte, Boni, Finanzierungsbedingungen, Zuschüsse und Versandeinheiten in einem Vertragshändlervertrag. 172 Dylla-Krehs, Schranken der Inhaltskontrolle, S. 199; Hille, Inhaltskontrolle der Gesellschaftsverträge von Publikums-Personengesellschaften, S.32f.

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Rechtsordnung

Anwendungsbeispiele

Die vorstehenden Überlegungen verstehen sich als Beitrag auf dem Weg zu einer dogmatisch fundierten und praktisch handhabbaren Lösung der Schrankenproblematik des § 8 AGBG. Die weitere Ausformulierung dieses Ansatzes würde freilich den Rahmen dieser Arbeit sprengen und muß daher gesonderten Untersuchungen vorbehalten bleiben. Als Wegweiser im Abgrenzungsgeschehen verdienen die hier skizzierten Kriterien freilich schon jetzt Beachtung. Dies soll abschließend anhand einiger ausgewählter Beispielsfälle aus dem Bereich der nicht kodifizierten Verträge demonstriert werden.173 (aa) Entgelt für Auslandseinsatz

von

Kreditkarten

In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen nahezu aller namhafter Kreditkartenherausgeber werden für die Verwendung der Kreditkarte im Ausland gesonderte Entgelte berechnet, die dann zu dem jährlichen Uberlassungsentgelt hinzutreten. Die Wirksamkeit dieser Entgelttatbestände war in der Vergangenheit Gegenstand zahlreicher kontroverser Stellungnahmen.174 Umstritten war insbesondere die Kontrollfähigkeit der Gebührenklauseln. Während die Instanzgerichte überwiegend eine Kontrollkompetenz in Anspruch nahmen,175 kritisierten zahlreiche Schrifttumsvertreter diesen Schritt als „verhängnisvolle Intervention in die interne Preiskalkulation des Anbieters". 176 Der Bundesgerichtshof sich in dieser Frage jüngst auf die Seite der Kritiker geschlagen und die Kontrollfähigkeit der Klausel verneint.177 Diese rechtliche Beurteilung kann auf der Grundlage des hier entwickelten marktbezogenen Ansatzes nachvollzogen und im Ergebnis bestätigt werden. Ob die streitgegenständliche Zusatzgebühr noch der kontrollfreien Preisvereinbarung zuzurechnen ist oder ob sie bereits eine kontrollunterworfene Preisnebenabrede darstellt, hängt nach hier vertretener Ansicht von ihrer Stellung im Markt- und Wettbewerbsgeschehen ab. Die Kernfrage muß lauten, ob die Gebührenklausel den regulierenden Kräften des Marktes und des Wettbewerbs ausgesetzt ist.178 Davon darf jedenfalls dann grundsätzlich ausgegangen werden, 173 Die Palette von Vertragstypen ist groß und kann hier auch nicht annähernd erschöpfend behandelt werden; zur Abgrenzung kontrollfähiger und kontrollfreier Leistungsbeschreibungen bei Franchise-Verträgen Ekkenga, Inhaltskontrolle von Franchise-Verträgen, S. 110 und ders., AG 1989, 311 f. 174 Meder, NJW 1996, 1849ff.; ders., WM 1996,2085ff.; Hasselbach, ZIP 1996,1457ff.; Eyles, WiB 1996, 296ff.; Wand, WM 1996, 289ff.; Joost, ZIP 1996, 1691 ff. 175 OLG Hamburg NJW 1996,1902; LG Hamburg NJW 1996, 599; AG Frankfurt a.M. WM 1993, 1548; ihnen folgend Ulmer/Brandner/Hensen-H. Schmidt, Anh. §§9-11 AGBG Rdnr.453a. 176 Köndgen, NJW 1996, 563 und Meder, NJW 1996, 1854; für Kontrollfreiheit auch Joost, ZIP 1996, 1691. 177 BGH NJW 1998, 383. 178 Ein normzweckfremdes Kriterium ist demgegenüber die Überlegung, ob der Verwender Aufwendungen für die Erfüllung gesetzlich begründeter eigener Pflichten auf den Kunden ab-

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wenn der durchschnittliche Kunde diesen Regelungspunkt inhaltlich zur Kenntnis nimmt und in seine Überlegungen einbezieht. Dies wiederum steht zu erwarten, wenn seine künftigen Dispositionsmöglichkeiten von der betreffenden Klausel, hier dem Gebührentatbestand, voraussichtlich nicht unerheblich berührt werden. Die Möglichkeit, die Kreditkarte auch im Ausland einzusetzen, dürfte in einer Gesellschaft, in der nationale Grenzen zunehmend an Bedeutung verlieren, als wichtiger Vorzug der Kreditkarte empfunden werden. Nicht wenige Kunden werden ihre Abschlußentscheidung bewußt auch im Hinblick auf diese Nutzungsmöglichkeit treffen und später über kurz oder lang auf dieses Angebot zurückkommen. Die besondere Vergütungspflicht für den Einsatz der Kreditkarte im Ausland stellt damit durchaus einen im Zentrum des Kundeninteresses stehenden Preisbestandteil dar. Genügt die Klauselgestaltung den Anforderungen des Transparenzgebots - in den Bedingungswerken der Kreditkartenunternehmen genügt meist ein kurzer Blick, um zu erkennen, daß diese Einsatzform der Kreditkarte besondere Gebühren verursacht - , so wird man von einem verständigen Durchschnittskunden erwarten dürfen, daß er die Preisaufspaltung 179 erkennt und die anfallenden Sondergebühren in Rechnung stellt. Hinzu kommt, daß Preisaufspaltungen und die Aufstellung von Preislisten - jedenfalls auf dem Sektor der Finanzdienstleistungen - nicht dazu führen, daß die so festgelegten Einzelpreise als abschlußentscheidende Daten nicht mehr wahrgenommen werden. 180 Denn hier tragen vor allem die Medien, die Verbraucherverbände und sonstige Institutionen (z.B. Stiftung Warentest) durch gezielte Information und vergleichende Gegenüberstellungen zu einem funktionierenden Konditionenwettbewerb bei. Dies rechtfertigt die Annahme des Bundesgerichtshofs, daß sich diejenigen Interessenten, die sich über die Entgeltfrage überhaupt Gedanken machen - dies tut der verständige, umsichtig und kritisch prüfende Durchschnittsverbraucher - in aller Regel damit rechnen, für einen Auslandseinsatz der Kreditkarte ein zusätzliches Entgelt entrichten zu 1 81 müssen.

wälzt (so aber BGH NJW 1998, 383). Da die Kontrollfähigkeit nach §8 AGBG nicht durch das Abweichen von rechtsnormativen Wertungen begründet wird, führt auch die Überlegung in die Irre, ob bestimmte Leistungen nach dem Leitbild des Vertrages unentgeltlich zu erbringen sind (erwogen von Meder, NJW 1996, 1851 f.). Dieser Gedanke erlangt erst im Rahmen der Inhaltskontrolle nach §9 AGBG Bedeutung. 179 Zur grundsätzlichen Kontrollfreiheit aufgespaltener Preise BGH NJW 1998,383; Staudinger-Coester, § 8 AGBG Rdnr.25; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.267f. 180 Noch weiter geht Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 259. Seine These lautet, daß in allen Bereichen, in welchen die Entgeltbestimmungen häufiger oder gar üblicherweise durch Bezugnahme auf Preislisten erfolgt, der so festgelegt Preis Teil des Markt-und Wettbewerbsgeschehens ist. Für weitgehende Kontrolle des „wuchernde(n), unkalkulierbare(n) Zweitentgeltsystem(s)" der Banken jedoch Derleder/Metz, ZIP 1996, 577. 181 B G H NJW 1998, 383 (384).

400 (bb) Abschlußzahlung

§ 8 Typenfreiheit und

beim kündbaren

Rechtsordnung

Teilamortisations-Leasingvertrag

Ein weiterer Testfall für die hier vorgeschlagene Ausrichtung der Abgrenzung bietet sich in Gestalt von Abreden an, die Ausgleichszahlungen in Teilamortisationsverträgen für den Fall der ordentlichen Kündigung festsetzen. Daß ein solcher Ausgleichsanspruch - sogar unabhängig von einer vertraglichen Regelung - besteht, ist unstreitig.182 Ein erhebliches Konfliktpotential steckt freilich in der Bestimmung der Höhe der Abschlußzahlung. Die Leasingunternehmen streben daher danach, diesen potentiellen Streitpunkt vorsorglich bereits im Vertrag, bis vor kurzem namentlich durch Festsetzung degressiver Prozentsätze vom Anschaffungspreis, zu entschärfen. Eine solche Klausel lautet etwa: „Die Kündigung löst folgende Abschlagszahlungen des Mieters aus, die zum Kündigungstermin fällig sind: Zum Ablauf des 24. Monats 68%, 30. Monats 57%, 36. Monats 47%, 42. Monats 36%, 48. Monats 25%, 54. Monats 14%, danach 0%, jeweils vom Anschaffungswert, unter Anrechnung von 7 5 % bzw. (im Falle des Abschlusses eines neuen, gleichwertigen Mietvertrages) 100% vom Wiederverwertungserlös, jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer." 183 Fraglich ist, ob und in welcher Hinsicht, diese und ähnliche AGB-Klauseln der Inhaltskontrolle nach den §§9 bis 11 A G B G unterliegen. Der Bundesgerichtshofist von Anfang an - allerdings ohne dies näher zu begründen - von der Kontrollunterworfenheit solcher Klauseln ausgegangen.184 Die auf den Prüfstand gestellten pauschalen Berechnungsmodelle der Leasingunternehmen sind vom Bundesgerichtshof allesamt beanstandet worden, wobei die rechtliche Begründung wechselte. Im Urteil vom 28.10. 1981 erblickte er in einer solchen Klausel eine unzulässige Kündigungserschwerung und damit eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des §9 AGBG. 1 8 5 In späteren Urteilen rückte sodann der Transparenzgedanke in den Vordergrund.186 Die gewählte Berechnung sei für den Leasingnehmer nicht hinreichend durchschaubar. Dieser könne nicht erkennen, welche Ausfälle und Nachteile der Leasinggeber in seine Berechnungen einbezogen und ob er auch die ihm durch eine ordentliche Kündigung des Vertrages durch den Leasingnehmer entstehenden Vorteile berücksichtigt habe. In letzter Zeit sind zunehmend auch materielle Beanstandungen hinzugetreten, so der Vorwurf mangelnder Orientierung des Abzinsungssatzes am Refinanzierungszins oder der Nichtberücksichtigung ersparter Aufwen-

182 Statt vieler MünchKomm-Habersack, Leasing Rdnr. 96 m. w.N. Vgl. im übrigen bereits § 7 IV. l . c ) (2) (b) und 2. b) (2) (a). 183 BGH NJW 1985, 2253 (2254). 184 Nachweise in den folgenden Fußnoten. Der Rechtsprechung zur Kontrollfähigkeit folgend MäncMKomm-Habersack, Leasing Rdnr. 98; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §8 I, S.201; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, §66 III, S. 109; Ulmer/Brandner/Hensen-Ä Schmidt, Anh. §§9-11 AGBG Rdnr. 466a. 185 BGH NJW 1982, 870 (872). 186 BGH NJW 1985, 2253 (2255); 1986, 1335 (1336).

II. Schranken

der Inhaltskontrolle

gesetzlich

nicht geregelter

Verträge

401

düngen. 187 Die Klausel dürfe den Leasinggeber nicht besser stellen, als er stünde, wenn der Leasingvertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. 188 Im Schrifttum ist demgegenüber schon die Kontrollfähigkeit solcher Abrechnungsklauseln nach § 8 AGBG in Abrede gestellt worden. 189 Bei der Abschlußzahlung handele es sich - so wird geltend gemacht - um eine vom Leasingnehmer von vornherein versprochene, die Vollamortisation sichernde Restzahlung, die der Leasinggeber nach seinen Preisvorstellungen frei kalkulieren könne. Die Abrechnungsklauseln konkretisierten lediglich den Rest-Erfüllungsanspruch des Leasinggebers und seien daher als Preisbestandteil der Inhaltskontrolle entzogen. Vom hier entwickelten Standpunkt aus ist zu dieser - hier verkürzt wiedergegebenen - Kontroverse folgendes anzumerken. Soweit die Gerichte Abrechnungsklauseln, die eine Zahlungspflicht des Leasingnehmers für den Fall der ordentlichen Kündigung festsetzen und ausgestalten, einer Transparenzkontrolle unterwerfen, ist dies nicht zu beanstanden. § 8 AGBG steht der Transparenzkontrolle - wie dargelegt - 1 9 0 nicht entgegen, sondern gebietet sie zur Herstellung von Markttransparenz als Voraussetzung für einen funktionierenden Konditionenwettbewerb sogar. Welche Anforderungen sich aus dem Transparenzgebot für die Klauselgestaltung im einzelnen ergeben, ob es den Leasinggeber gar zu einer Offenlegung der Kalkulation verpflichtet, ist eine andere, hier nicht zu entscheidende Frage. 191 Freilich hat es die Rechtsprechung nicht bei einer bloßen Transparenzkontrolle belassen. Mit dem Ubergang zur materiellen Angemessenheitsprüfung aktualisieren sich jedoch die Schranken des §8 AGBG. Das heißt, es müßte zunächst einmal dargelegt werden, daß die Abrechnungsklausel nicht zur kontrollfreien Preisabrede zu rechnen ist. Der Schlüssel zur Lösung des Abgrenzungsproblems liegt auch hier wieder in der Beurteilung der marktmäßigen Stellung der Klausel, ob sie also an den Kontrollmechanismen von Markt und Wettbewerb teilnimmt. Vom Abschluß eines kündbaren Teilamortisationsvertrages verspricht sich der Kunde zumeist mehrere Vorteile. Zum einen ermöglicht es diese Vertragsform dem Kunden, seinen Kapitaleinsatz während der zwischen 40 und 90% der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer angesiedelten Grundlaufzeit möglichst niedrig zu halten. Sodann gibt der kündbare Teilamortisations-Vertrag dem Leasingnehmer die Möglichkeit, sich von Leasinggegenständen, die infolge neuer technischer Entwicklungen nicht mehr den neuesten Stand repräsentieren, zu trennen, indem er den Vertrag kündigt. Entscheidend ist, welchen Stellenwert diese Option für den durchschnittli-

187 BGH NJW-RR 1986, 595 (596); NJW 1986,1746 (1747); 1995,954; 1996,455 (456); in diesem Sinne auch Wo///Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr. L 87. 188 BGH NJW 1986, 1746 (1747). 189 Lieb, DB 1986,2167ff.; H. Roth, AcP 190 (1990), S.313ff.; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, §11 B I, S.342f.; wohl auch Eckstein, BB 1986, 2148. 190 Oben unter (2). 191 Die Grenzen des Transparenzgebots betonend nun BGH NJW 1997, 3166.

402

§8 Typenfreiheit und

Rechtsordnung

chen Leasingnehmer einnimmt. In der Praxis verhält es sich offenbar so, daß nur ein sehr kleiner Teil der Leasingnehmer das vorzeitige ordentliche Kündigungsrecht in Anspruch nimmt und damit die vertraglich fixierte Ausgleichszahlung auslöst. 192 Dies läßt bereits gewisse Rückschlüsse zu. Hinzu kommt, daß die Beendigung des Leasingvertrages durch vorzeitige Kündigung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein noch ungewisses Ereignis ist, das der Leasingnehmer für sich zwar nicht ausschließen will, das aber neben der aktuellen und sicher zu erwartenden Pflicht zur Zahlung der Leasingraten in den Hintergrund tritt. Von daher spricht viel dafür, daß der Kunde die Abrechnungsklausel nur als Nebenpunkt wahrnimmt und nicht in seine Abschlußentscheidung einfließen läßt. Hinzu kommt, daß er wohl meist die Erwartung hegen dürfte, die Abrechnungsklausel werde das für die Grundlaufzeit vereinbarte Niveau schlicht fortschreiben und nicht zu zusätzlichen finanziellen Belastungen führen, er der Klausel auch aus diesem Grunde nicht die zur Einbeziehung in das Marktgeschehen notwendige Aufmerksamkeit entgegenbringen wird. Schließlich läßt sich, auch wenn man den Anspruch auf eine Abschlußzahlung als Rest-Erfüllungsanspruch qualifiziert, doch eine gewisse Nähe zu vertraglichen Abwicklungsregelungen nicht leugnen. 193 Regelungen, die dieses Stadium des Vertrages betreffen, stuft das AGB-Gesetz offenbar als besonders sensibel und kontrollbedürftig ein. Neben § 11 Nr. 6 A G B G (Vertragsstrafe für den Fall der vorzeitigen Lösung vom Vertrag) ist vor allem auf § 10 Nr. 7 A G B G (Zahlungspflichten für den Fall der vorzeitigen einseitigen Lösung des Vertragsverhältnisses) hinzuweisen. 194 Im Fall der Abrechnungsklauseln spricht daher der marktbezogene, durch normative Wertungen angereicherte Ansatz für die Kontrollunterworfenheit nach §8 A G B G .

c) Ergebnis Die Kontrollfreiheit von AGB-Bestimmungen in vorformulierten Verträgen - nicht kodifizierte Verträge nehmen hier keine Sonderstellung ein - kann sich aus zwei Gesichtspunkten ergeben, die sich aus den Normzwecken des §8 A G B G und weniger aus seinem unglücklich gewählten Wortlaut ergeben. Der Ausschluß deklaratorischer Klauseln beruht auf dem Gedanken, daß der Richter dem Gesetz verpflichtet ist (Art. 20 Abs. 3 GG). Es ist ihm nicht gestattet, dieses im Rahmen der Inhaltskontrolle inzident zur Disposition zu stellen. 192 Nach mündlicher Auskunft mehrerer führender Leasinggesellschaften liegt die Quote unter 10%. 193 Ahnlich Martinek, Moderne Vertragstypen I, §8 I, S.201: Bei der Abrechnungsklausel sei die Gefahr übermächtig, daß der Leasingnehmer einer „nur" Abwicklungsmodalitäten behandelnden Klausel nicht die notwendige Aufmerksamkeit widme. 194 BGH NJW 1982,1747 hat sogar ausdrücklich auf § 10 Nr. 7 AGBG zurückgegriffen. Man mag dies kritisieren (so mit gutem Grund Lieh, DB 1986,2167f.); aber auch wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm nicht vorliegen, lassen sich aus der thematischen Nähe der Abrechnungsklauseln Rückschlüsse auf die Kontrollfähigkeit ziehen.

III. Anforderungen

an Zweck und Inhalt eines nicht kodifizierten Vertrages?

403

Kontrollfrei sind damit solche Klauseln, die lediglich das deklarieren, was ohnehin kraft objektiven Rechts gelten würde. Ein solcher Fall der Regelungsidentität ist von vornherein ausgeschlossen bei Klauseln, für die es an einer gesetzlichen Regelung (im materiellen Sinne) fehlt. Sie sind als ergänzende Regelungen einzustufen und unterliegen der Inhaltskontrolle, vorausgesetzt sie gehören nicht zum kontrollfreien Leistungsbereich. Des Nachweises einer Divergenz bedarf es zur Begründung der Kontrollunterworfenheit hingegen nicht. Der zweite Ausschlußgrund beruht auf einem gänzlich anders gelagerten gesetzgeberischen Motiv, nämlich der Überlegung, daß den Kontrollmechanismen von Markt und Wettbewerb möglichst der Vorrang vor einer externen gerichtlichen Kontrolle eingeräumt werden soll. Der Vorrang der Marktregulierung streitet vor allem auf dem Gebiet der preisbestimmenden und leistungsbeschreibenden Klauseln für eine Zurückdrängung der Inhaltskontrolle. Als Leitmaxime der Abgrenzung des kontrollfreien Leistungsbereichs kann die Frage dienen, ob die zu beurteilende Vertragsbedingung den Kräften von Markt und Wettbewerb in einer Weise ausgesetzt ist, daß damit gerechnet werden kann, der durchschnittliche Kunde werde sie zur Kenntnis nehmen und in seine Abschlußentscheidung einfließen lassen. Auf dieser Grundlage lassen sich sodann weitere Hilfskriterien entwickeln.

III. Ungeschriebene, der Rechtsordnung immanente Anforderungen an Zweck und Inhalt eines nicht kodifizierten Vertrages? Die vorstehenden Ausführungen haben deutlich gemacht, daß gesetzlich nicht geregelte Verträge zwar außerhalb der gesetzlichen Vertragstypenordnung, nicht aber außerhalb der Rechtsordnung stehen und, wenn sie in den Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes fallen, in weiten Teilen auch der inhaltlichen Kontrolle nach den §§ 9 bis 11 A G B G unterliegen. Im Zentrum der nachfolgenden Überlegungen stehen nun die rechtlichen Anforderungen, denen der Inhalt eines nicht kodifizierten Vertrags genügen muß. Im Schrifttum sind hierzu bereits lange vor Inkrafttreten des AGB-Gesetzes und losgelöst von der Sonderproblematik der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Positionen vertreten worden, die im Ergebnis auf eine deutliche Einschränkung der Vertragsgestaltungsfreiheit hinauslaufen. O b diese restriktiven Ansätze gerechtfertigt sind etwa im Hinblick auf das unter I. aufgezeigte Gefährdungspotential nicht kodifizierter Verträge - soll im folgenden diskutiert werden.

404

§ 8 Typenfreiheit und

Rechtsordnung

1. Verfolgung gesellschaftlich bedeutsamer Verkehrsinteressen

und

berechtigter

Den Beginn einer auch rechtshistorisch interessanten Linie der Kontinuität markiert ein Grundverständnis der Privatrechtsordnung, das als immanente Schranke privatautonomer Vertragsgestaltung die Verträglichkeit mit den Interessen der Rechtsgemeinschaft oder gar die gesellschaftliche Nützlichkeit des Vertrages begreift.

a) Die Auffassung eines Teils des älteren

Schrifttums

Diese Denkweise kommt beispielsweise bei Endemann zum Ausdruck, der in der 5. und (unveränderten) 6. Auflage seines Lehrbuchs des Bürgerlichen Rechts als ein Grundanliegen des dispositiven Rechts die Erhaltung einer „dem Verkehre und der allgemeinen Wohlfahrt angemessenen Ordnung" nannte. 195 Ferner führte er aus, die Rechtsordnung erkenne nur diejenigen Schuldverhältnisse an, die in geordneter Weise entstanden und mit rechtlich bestätigtem Inhalt ausgestattet seien. In der (letzten) 9. Auflage seines Lehrbuchs formulierte er seinen Standpunkt noch deutlicher. 196 Für die Anerkennung jeder atypischen Neuschöpfung verlangte er nun den Nachweis eines objektiv wertvollen Interesses und einer bestätigenden Übung. Auf die Ausführungen Endemanns hat sich sodann in einem grundlegenden Aufsatz Emilio Betti bezogen. 197 In Fortführung der Gedanken Endemanns und der durch ihn repräsentierten Strömung im rechtswissenschaftlichen Schrifttum definierte Betti die Typenfreiheit als Freiheit der Auswahl unter (Hervorhebung im Original) gewissen, heute noch bestehenden, wiewohl geschmeidigen, verkehrstypischen Bildungen. Die rein individuelle Willkür, die einmalige Privatlaune, genieße hingegen nicht den Schutz der Rechtsordnung. Nur gesellschaftlich erhebliche und berechtigte Interessen, nur dauerhafte, als rechtsschutzwürdig anerkannte soziale Anforderungen könnten heute noch den rechtlichen Schutz in Anspruch nehmen. Es gelte, so resümiert Betti, der Grundsatz, daß die Privatautonomie nur insoweit die rechtliche Anerkennung erlange, als sie sich in Verfolgung von gesellschaftlich bedeutsamen und berechtigten Verkehrsinteressen betätige, die, obwohl nicht im Gesetz spezifisch vorgesehen, doch als des rechtlichen Schutzes würdig erschienen. Interessant ist, daß sich dieses Verständnis der Privatautonomie auch in anderen europäischen Staaten Gehör verschaffen konnte. 198 In diesem Zusammenhang ist vor allem auf den heute noch in Geltung befindlichen Art. 1322 Abs. 2 Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I, 6. Aufl. 1899, S.428. Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts I, 9. Aufl. 1903, S.909. 197 Betti, in: FS für Wenger I, S. 273ff.; ähnlich sodann auch Paulick, Eingetragene Genossenschaft, S. 19f. und Reinhardt, in: FS für Schmidt-Rimpler, S. 115f. und 132f. 198 Rechtsvergleichende Hinweise bei Schluep, Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 778 Fn.40. 195 196

III. Anforderungen

an Zweck und Inhalt eines nicht kodifizierten

Vertrages?

405

des Italienischen Codice Civile hinzuweisen. Dieser lautet: „Le parti possono anche concludere contratti che non appartengano ai tipi aventi una disciplina particolare, purché siano diretti a realizzare interessi meritevoli di tutela secondo l'ordinamento giuridico." In deutscher Übersetzung liest sich dies wie folgt: Die Parteien können auch Verträge schließen, die nicht einem besonders geregelten Typ angehören, vorausgesetzt, daß sie darauf gerichtet sind, rechtsschutzwürdige Interessen im Sinne der Rechtsordnung zu verwirklichen. b) Stellungnahme:

statpro ratione

voluntas

Ein solcher Vorbehalt der Rechtsschutzwürdigkeit oder - der Unterschied scheint mir nur terminologischer Art zu sein - der Ubereinstimmung mit berechtigten Verkehrsinteressen findet im deutschsprachigen Raum heutzutage in dieser zugespitzten Form zu Recht keine Anhänger mehr; 199 wohl aber lebt dieser Ansatz in abgeschwächter Form in der Lehre von der Notwendigkeit eines sachlichen Grundes fort (hierzu sogleich unter 2.). Es handelt sich letztlich um eine befremdliche Übersteigerung des Ordnungsgedankens, die sich bewußt von dem liberalen Grundmodell, dem sich unsere Privatrechtsordnung verpflichtet fühlt, abgrenzt. Bedenklich ist vor allem, daß es auf dieser Grundlage zu einer objektiven Richtigkeitskontrolle von Vertragsinhalten kommen könnte. Denn dieser Ansatz führt den Rechtsanwender sogleich in das schwerlich aufzulösende Dilemma, daß die Rechtsordnung den Parteien zwar die „richtige Wahrnehmung ihrer Interessen vorschreiben" 200 würde, jedoch keine rechtlichen Maßstäbe anzubieten hätte, die das Richtigkeitsurteil tragen könnten. Letztlich verbleibt nur die entschiedene Öffnung hin zu außerrechtlichen und damit an einem chronischen Legitimationsdefizit leidenden Wertungsmaßstäben. Vor allem resultiert hieraus die allgegenwärtige Gefahr der Instrumentalisierung der Richtigkeitskontrolle für ideologisch motivierte Anliegen. In diesem Zusammenhang muß vor allem auf die bereits referierten201 literarischen Äußerungen in der Zeitphase von 1933 bis 1945 hingewiesen werden. 202 Das 199 Dezidiert ablehnend äußern sich vielmehr Schwark, Rechtstheorie Bd. 9 (1978), S. 78; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 97; Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S. 191; für völlige Gleichstellung von Nominat- und Innominatverträgen im Blick auf die Gültigkeit auch Schluep, Schweizerisches Privatrecht VII/2, S. 778 für das schweizerische Recht. Vgl. auch Hedemann, Schuldrecht, 3. Aufl. 1949, S. 146: „Seine (seil.: die des Schuldrechts) Typenbildung hat nichts Zwingendes. Es sind von wenigen Ausnahmen abgesehen Vorschläge, die der Gesetzgeber macht. Die Parteien können Abweichendes vereinbaren, wenn das zu ihren Zwecken besser paßt: Vertragsfreiheit steht über den typischen Bildern." 200 M. Wolf (Entscheidungsfreiheit, S. 35) kritisiert dies zu Recht als einen bevormundenden Akt, der dem Wert der Selbstbestimmung widerspräche. Zum Grundsatz der Ungebundenheit des Privatrechtssubjekts auch Zöllner, AcP 188 (1988), S.95 m.w.N. 201 §3 VIII. 2. 202 Auch der italienische Codice Civile datiert aus dieser Zeit. Er ist am 21.4. 1942, also noch unter der Herrschaft Mussolinis, in Kraft getreten. In dem diesem Gesetzbuch beigegebenen offiziellen Bericht (§25 Nr. 79) heißt es unter anderem im Hinblick auf Art. 1322 Abs. 2, man wolle damit der Anforderung einer alle Volksgenossen umspannenden Volksverbundenheit entspre-

406

§ 8 Typenfreiheit und

Rechtsordnung

neue Verständnis der Vertragsfreiheit war gerade nicht das der individuellen Beliebigkeit, sondern der Gemeinschaftsgebundenheit und des Einfügens in die völkische Ordnung. 203 Die Herabstufung der Bedeutung der von den Parteien gesetzten Vertragsinhalte, die Forderung nach einer positiven Rechtfertigung als Gültigkeitsvoraussetzung und der Ubergang zu einer an überindividuellen Gesichtspunkten ausgerichteten Kontrolle öffnete damals das Tor für die Infiltration des Vertragsrechts mit spezifisch nationalsozialistischen Inhalten. Daß eine Wiederholung der Geschichte in dieser Form heutzutage vor dem Hintergrund der gewonnenen Einsichten in die Zusammenhänge nicht ernsthaft zu befürchten ist, mag gerne zugestanden werden. Es bleibt aber die Erkenntnis, daß ein methodisch anfälliges Konzept diesen Mißbrauch begünstigt hat; und dies ist bereits ein Nachteil für sich. Die einzig freiheitssichernde Alternative besteht demgegenüber in der Anerkennung der Privatwillkür der Vertragsschließenden. Dies allein ist auch die dem Menschenbild des Grundgesetzes angemessene Sichtweise. 204 Das Grundgesetz geht in Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 vom Prinzip der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Menschen aus. Es sichert „jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann." 205 Dem Privatrechtsgesetzgeber ist dies ein zur Verwirklichung und Entfaltung aufgegebener Wert. 206 Das Mittel, dem Einzelnen den verfassungsrechtlich gebotenen Raum für selbstbestimmtes Handeln zu schaffen, ist die Vertragsfreiheit. Sie kann als Mittel der Persönlichkeitsentfaltung und -Verwirklichung des Menschen im geschäftlichen Verkehr bezeichnet werden. Vertragsfreiheit kommt dem einzelnen somit zu, weil er Person ist. 207 Diese Kompetenzzuweisung wäre unvollständig, wenn nicht auch die Eigenverantwortlichkeit der Person für ihr rechtsgeschäftliches Handeln anerkannt würde, oder anders formuliert, wenn sie nicht frei von der Verantwort-

chen, wonach die Zweckbestimmung des Vertrages als sozial bedeutsam gewertet werden soll (zitiert nach Betti, in: FS für Wenger I, S. 276). 203 Ygj stellvertretend Larenz, Vertrag und Unrecht I, S. 32 f.; Stoll, Vertrag und Unrecht, S. 6; Lange, JherJb 89 (1941), S.297; Brandt, DRW 1940, 81 ff. 204 Damit soll allerdings nicht etwa behauptet werden, erst mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes habe sich diese Ausrichtung des Privatrechts vollzogen. Zöllner (AcP 188 [1988], S. 94f.) betont zu Recht, daß das Privatrecht den Einzelnen als Person und in voller Anerkennung seiner Personenhaftigkeit, d.h. als ein zur Selbstverantwortung fähiges und williges Wesen, dem Selbstentfaltung und Selbstbestimmung ermöglicht sein müssen, bereits lange vor der grundgesetzlichen Fixierung zugrunde gelegt hatte. Wohl aber hat das Grundgesetz diesen Ansatz bestätigt und verstärkt. 205 BVerfGE 79, 256 (268). 206 Flume, in: Hundert Jahre deutschtes Rechtsleben I, S. 136; ders., Rechtsgeschäft, § 1 , 1 , S. 1; Merz, Privatautonomie heute - Grundsatz und Rechtswirklichkeit, S. 1; M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 19f.; Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S. 190. 207 Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S. 191; ähnlich auch von Hippel, Problem der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie, S. 78f.

III. Anforderungen

an Zweck und Inhalt

eines nicht kodifizierten

Vertrages?

407

lichkeit gegenüber einer übergeordneten Instanz wäre. 208 Jedwede Kontrolle des Vertragsinhalts anhand einer von außen an den Vertrag herangetragenen Ordnung stellt eine Verkürzung oder gar Negation der Vertragsfreiheit dar.209 Je mehr außervertragliche Wertungen den Parteien verbindlich vorgegeben werden, desto schmaler wird ihr Entscheidungsspielraum. Freiheit bewährt sich aber gerade dort, wo auch Entscheidungen gegen bestimmte Wertungen möglich sind. All dies spricht dafür, davon auszugehen, daß die Vertragsgestaltung der Parteien jedenfalls in dem ihr von Rechts wegen überlassenen Raum keiner anderen Legitimation bedarf, als einverständlich gewollt zu sein. Dies läßt sich auf die Formel bringen: stat pro ratione voluntas. 210 Wohl aber verbleibt dem Privatrechtsgesetzgeber die Kompetenz, den der Privatautonomie vorbehaltenen Raum abzustecken, gegebenenfalls - wie durch § 138 BGB oder durch das AGB-Gesetz - äußerste Grenzen zu formulieren. 211 Innerhalb dieser Grenzen muß aber die „Selbstherrlichkeit" des einzelnen in der schöpferischen Gestaltung der Rechtsverhältisse unangetastet bleiben. Daß damit in seltenen Fällen auch unsinnigen oder für die Gesellschaft nicht nützlichen Kontrakten die rechtliche Anerkennung zuwächst, läßt sich als geringeres Übel gegenüber einer diffusen Richtigkeits- oder Nützlichkeitskontrolle in jedem Falle verschmerzen. 2. Formulierung

abgeschwächter

Rechtfertigungslasten

Die Idee, daß die Parteien für ihre von den gesetzlichen Regelungsmustern abweichende Vertragsgestaltung eine positive Rechtfertigung schulden, ist in abgeschwächter Form auch im heutigen Schrifttum noch virulent. Sie manifestiert sich vor allem in der Forderung nach Darlegung eines sachlichen Grundes. 208 Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 4 („schuldet niemandem Rechenschaft"); Köndgen, AcP 184 (1984), S.602; Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S. 191. 209 Flume, in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, S. 141; Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S. 191; Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 97; Zöllner (AcP 188 [1988], S. 95) hat darüber hinaus auf eine die Überlegungen zur Vertragsfreiheit ergänzende Spur aufmerksam gemacht. Auch der für das Privatrecht grundlegenden Figur des subjektiven Rechts liege die Idee zugrunde, daß der einzelne bestimmte Befugnisse nicht zu sozialen Zwecken, sondern zur Verfolgung seiner eigenen Zwecke nach eigener Einsicht übertragen erhalten hat. 210 Flume, in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben I, S. 141; ders., Rechtsgeschäft, § 1, 5, S.6; Canaris, AcP 184 (1984), S. 209f.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 37; Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S. 191. Larenz/Wolf Allgemeiner Teil, §2 Rdnr. 15 („Unter dem Prinzip der Privatautonomie bestehen Rechtsbeziehungen zu anderen, weil sie gewollt sind, und sie bestehen mit dem Inhalt, wie sie gewollt sind."). Nur idealiter gilt, daß die Freiheit der privatautonomen Gestaltung „als Freiheit im Sinne sittlicher Bindung" mithin „als eine Freiheit..., die als ethische die Sittlichkeit, als rechtliche die Rechtlichkeit sich selbst zum Gesetz macht" zu verstehen ist (Ballerstedt, in: Grundrecht III/l, S. 67). Wie hier Flume, in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, S. 141; ders., Rechtsgeschäft, § 1, 5, S. 6f. 211 Flume, Rechtsgeschäft, §1, 4, S.6; Stolterfoht, Selbständigkeit des Handelsvertreters, S. 191 f.; freilich auch dies nur in den durch das Grundgesetz gezogenen Grenzen.

408

5 8 Typenfreiheit

und

Rechtsordnung

a) Erfordernis eines sachlichen Grundes Als Hauptprotagonist der Lehre vom Erfordernis eines sachlichen Grundes hat sich vor allem Nipperdey hervorgetan. 212 Er vertrat die Ansicht, die Parteien dürften von nachgiebigen Rechtssätzen nur dann und insoweit abweichen, als dafür sachliche Gründe, namentlich aus der besonderen, vom Gesetz nicht zugrunde gelegten Sach- und Interessenlage vorlägen. Seine Bemühungen, die Gültigkeitsanforderungen zu rechtfertigen und zu konkretisieren, speisen sich aus mehreren, überaus heterogenen Quellen. 213 So reklamiert Nipperdey die Ordnungsfunktion des dispositiven Gesetzesrechts, beruft sich daneben aber auch auf oberste Grundwerte des „freiheitlichen, sozialen Rechtsstaats", auf den Grundsatz von Treu und Glauben sowie auf den Gerechtigkeitsgedanken der durch den Vertrag ausgeschalteten oder modifizierten gesetzlichen Regeln. Ferner bemüht er Standards wie das Gebot der Fairness und die Rechtfertigung vor der rule of reason. Seine Ausführungen zielen - wie er selbst deutlich macht - in erster Linie auf die Beurteilung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, sollen aber auch außerhalb dieses Bereichs Geltung beanspruchen, wenngleich er hier einen weniger scharfen Maßstab anlegen möchte. Im AGB-Recht hat sich der von Nipperdey akzentuierte Gedanke jedenfalls insoweit durchgesetzt, als heute für eine Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht im Rahmen des § 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G eine besondere, dem Verwender obliegende Rechtfertigungslast allgemein anerkannt wird. Die Terminologie schwankt, mitunter ist von einem „berechtigten Abweichungsinteresse", 214 ein anderes Mal von einem „besonderen Anlaß" im Sinne einer „iusta causa" 215 oder von „besonderen Interessen" 216 bzw „gewichtigen Gründen" 2 1 7 die Rede. Auch zur Rechtfertigung der intensiven Inhaltskontrolle moderner, zumeist nicht kodifizierter Verträge wird des öfteren die im dispositiven Recht zum Ausdruck kommende Richtigkeitsgewähr angeführt, die nicht ohne sachlichen Grund aufgehoben oder verändert werden dürfe. Nur dann, wenn eine atypische Interessenlage vorliege und die dispositiven Rechtsnormen nicht auf den vorliegenden Konfliktsfall passten, sei ein genereller Ausschluß gestattet. 218

Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I, §49 III, S. 301; in sehr weitreichender Form auch Lange, B G B , Allgemeiner Teil, § 8 VI, S. 56, Joch, Mitbestimmungsgesetz und Gestaltungsfreiheit, S. 292ff. und Steindorff/Joch, Z H R 146 (1982), S. 345; ablehnend Flume, in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 169f. 213 H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 50. 2 1 4 Staudinger-Coester, §9 A G B G Rdnr. 189 und 192. 215 Pawlowski, Allgemeiner Teil, Rdnr. 70. 2 1 6 B G H N J W 1990, 2065 (2066); Wo///Horn/Lindacher, §9 A G B G Rdnr. 76. 2 , 7 B G H N J W 1979,1550 (1551); Ulmer/Brandner/Hensen, §9 A G B G Rdnr. 134. 218 Sefrin, Kodifikationsreife des Finanzierungsleasingvertrages, S. 103 f.; Fehl, Finanzierungsleasing und Bauherrenmodell, S. 18; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 129ff. 212

III

b)

Anforderungen

an Zweck und Inhalt eines nicht kodifizierten

Vertrages?

409

Verkehrstypik

Zu einem restriktiven Grundansatz hat sich schließlich auch Dilcher bekannt.219 Er erneuert die im älteren Schrifttum anzutreffende Behauptung, daß die Rechtsordnung keineswegs abstrakt den Parteiwillen schützen wolle. Als Grundlage der Anerkennung verlangt er dann allerdings doch nur eine „gewisse Verkehrstypik" des rechtlich atypischen Vertrages. Unter dieser Voraussetzung seien z.B. der Garantievertrag, die Inkassozession, die kumulative Schuldübernahme und viele Verträge der Filmindustrie als atypische Verträge anerkannt. Dilcher knüpft insoweit teilweise an Endemann an, der ebenfalls bereits eine bestätigende Übung gefordert hatte.220 c)

Stellungnahme

Die kritische Auseinandersetzung mit den aufgezeigten Positionen kann hier von vornherein auf das Rechtfertigungserfordernis des sachlichen Grundes beschränkt werden. Die Lehre Dückers von der verkehrstypischen Durchsetzung des Vertrages als Voraussetzung seiner rechtlichen Anerkennung wird im modernen Schrifttum soweit ersichtlich - nicht mehr vertreten. Dies im übrigen auch zu Recht, läßt sich doch auf dieser Grundlage die rechtliche Wirksamkeit eines in der Entwicklung begriffenen Vertrages nicht befriedigend erklären. Hinzu kommt, daß fernab der nicht kodifizierten, verkehrstypischen Massenverträge immer wieder auch Verträge abgeschlossen werden, die einem einmaligen individuellen Regelungsbedürfnis entspringen. Auch hier versagt der Erklärungsansatz Dilchers. Allein die Tatsache, daß auch andere Rechtsgenossen dasselbe, von der gesetzlichen Vertragstypenordnung nicht befriedigte Regelungsbedürfnis verspüren und übereinstimmend die Lösung praeter legem in einer bestimmten Vertragsgestaltung suchen, verleiht einem solchen Vertragstyp keine höhere rechtliche Dignität. Was nun das Erfordernis des sachlichen Grundes angeht, so empfiehlt sich eine differenzierende Betrachtung, die den unterschiedlichen Vertragsabschlußsituationen - Individualvertrag oder AGB-Vertrag - und den damit verbundenen unterschiedlichen Gefahrenlagen im Hinblick auf die inhaltliche Ausgewogenheit des Vertrages Rechnung trägt.221 (1) Nicht kodifizierte

Individualvertrage

Soweit im Schrifttum das Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes zur Gültigkeitsvoraussetzung eines jeglichen Innominatkontraktes, also unter EinDilcher, N J W 1960, 1041. Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts 1,9. Aufl., 1903, S. 909. Den von Endemann zusätzlich verlangten Nachweis eines objektiv wertvollen Interesses lehnt allerdings auch Dtlcher (NJW 1960, 1041) ab. 2 2 1 In diesem Sinne auch H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 50f. 219 220

410

§ 8 Typenfreiheit

und

Rechtsordnung

schluß des auf individueller Vereinbarung beruhenden, erhoben wird, muß die soeben (unter 1 b) formulierte Kritik erneuert werden. 222 Denn auch die Lehre vom sachlichen Grund desavouiert den als Konstituante unserer Privatrechtsordnung unverzichtbaren Satz, daß der Vertrag als Ausdruck selbstverantwortlicher Entscheidung der an ihm beteiligten Individuen seine Rechtfertigung in sich trägt. Die freie, keinem Begründungszwang unterliegende Entscheidung ist ein Grundprinzip des Privatrechts und insonderheit des privaten Vertragsrechts; ja sie markiert den wesentlichen Unterschied zum öffentlichen Recht, in dem die gebundene Entscheidung vorherrscht. 223 Wollte man den Privatrechtssubjekten eine positive Begründung abverlangen, weshalb sie die vertragliche Regelung so und nicht anders getroffen haben, dann wäre diese Auflage ihrerseits als systemwidrige Ausnahme einer besonderen Rechtfertigung bedürftig. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an Fälle des Versagens der Vertragsgerechtigkeit bei Vorliegen bestimmter typisierbarer Sachverhaltskonstellationen, also etwa an das Bestehen eines strukturellen Verhandlungsungleichgewichts. Mit dem spezifischen Gefährdungspotential nicht kodifizierter Verträge wird man hier jedoch nur sehr begrenzt argumentieren können. Denn die Gefahren, die von gesetzlich nicht geregelten Verträgen für die Vertragsgerechtigkeit ausgehen, resultieren zu einem beträchtlichen Teil aus der kautelarjuristischen Herkunft der Vertragsmuster und ihrer formularmäßigen Verwendung im Rechtsverkehr - beides Gefahrenmomente, die einem Individualvertrag nicht anhaften. Es bleibt der Ausfall der in den Vertragstypen des Dispositivrechts verkörperten Gerechtigkeitsmodelle. Der Wegfall der Vorbildfunktion allein rechtfertigt es jedoch noch nicht, den frei ausgehandelten gesetzesfremden Vertrag von vornherein unter den Verdacht der Verfehlung eines beiderseits interessengemäßen Ausgleichs zu stellen. Wann dies der Fall ist, ließe sich in anbetracht der mannigfachen Abstufungen und Zwischenstadien im übrigen häufig nicht sicher angeben. 224 Auch sollte die Ordnungswirkung des dispositiven Gesetzesrechts in diesem Zusammenhang nicht überschätzt werden. 225 Es wäre doch schwerlich einzusehen, wenn eine Schuldvertragsordnung, die in weiten Teilen noch auf dem Stand der Zeit um 1900 verharrt, die Rechtspraxis in ein Prokrustesbett starrer Formen legen würde, aus dem diese sich nur mit Mühe

2 2 2 Ablehnend auch H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.50ff.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 38; U. Huber, ZGR1980,211; Bunte, ZIP 1983,11; Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung, S. 160f.; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, Rdnr. 4; Mengiardi, Strukturprobleme des Gesellschaftsrechts, S. 152. 223 Medicus, Allgemeiner Teil des B G B , Rdnr. 4, der das abschreckende Szenario beschreibt, das sich ergäbe, wenn der Begründungszwang Einzug in das Privatrecht hielte. 2 2 4 Zu Recht warnt Brandner (Ulmer/ßranciner/Hensen, §9 A G B G Rdnr. 3) davor, die Inhaltskontrolle auf dem vom AGB-Gesetz vorgegebenen Niveau als ein allgemeines Instrument der Vertragskontrolle zu begreifen und anzuwenden. Würde die Inhaltskontrolle nicht auf hinsichtlich der Voraussetzungen abgegrenzte Fälle typischen Verhandlungsungleichgewichts beschränkt, wäre ein beträchtlicher Verlust an Rechtssicherheit zu befürchten. 2 2 5 Hiervor warnt zu Recht H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S.51ff.; bedenklich Löwe/Graf von Westphalen/Trinkner, § 9 A G B G Rdnr. 22.

III.

Anforderungen

an Zweck und Inhalt eines nicht kodifizierten

Vertrages f

411

unter Darlegung besonderer Gründe erheben könnte, obgleich ihr seit geraumer Zeit die Aufgabe der Anpassung der Regelungsmodelle an die geänderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse weitgehend allein zufällt. 226 Für den Individualvertrag liegt jedenfalls die Annahme nahe, daß in der rechtsschöpferischen Tätigkeit der Vertragsparteien lediglich ein spezielles, vom Gesetz nicht befriedigtes Regelungsbedürfnis der Parteien seinen Ausdruck findet. Viel spricht dafür, daß sich der (leicht) erhöhten Gefahrenlage mit dem vorhandenen Instrumentarium, also vor allem der Grenze der guten Sitten (§ 138 B G B ) und dem Gedanken des Rechtsmißbrauchs (§242 BGB), beikommen läßt. Die gesetzlichen Regelungsmodelle zeigen vielfach die Regellage an und helfen auf diese Weise, zu einem begründeten Urteil zu gelangen.227 Erst wenn sich diese Grenzbestimmung als untauglich erweist, läßt sich über eine derart gravierende Einschränkung der Typenfreiheit nachdenken, wie sie die generelle Einführung eines Rechtfertigungserfordernisses für atypische Vertragsgestaltungen nun einmal darstellt. (2) Nicht kodifizierte

AGB-Verträge

Anders könnte sich die Lage demgegenüber darstellen, wenn - wie in den meisten Fällen - der gesetzesfremde Vertrag durch vorformulierte Bedingungen ausgestaltet wird, auf deren Inhalt der Kunde keinen Einfluß auszuüben vermag. Erfahrungsgemäß ist nämlich derjenige, der einheitliche Regelungen für die von ihm künftig abzuschließenden Verträge aufstellt, bestrebt, auf Kosten eines gegenseitigen Interessenausgleichs die eigene Rechtsposition zu stärken und die Rechte der anderen Seite durch Überbürdung der Geschäftsrisiken zu verkürzen. Bei der einseitigen Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit durch Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen handelt es sich durchaus um eine identifizierbare und typisierbare Sachverhaltskonstellation, die eine Begrenzung des der privatautonomen Rechtserzeugung offenstehenden Handlungsrahmens rechtfertigt und unter Umständen sogar verfassungsrechtlich gebietet. 228 Nun hat sich aber bekanntermaßen der Gesetzgeber selbst dieser Problematik durch Erlaß des AGB-Gesetzes angenommen. Dieses gibt den Maßstab der Inhaltskontrolle vor und hält Hilfestellungen bereit, diesen Maßstab im Rechtsanwendungsgeschehen zu entfalten. In diesem Zusammenhang seien vor allem die besonderen Klauselverbote in den Katalogen der §§11 und 10 und die gesetzlichen Orientierungskriterien in § 9 Abs. 2 genannt. Für eine außerhalb des AGB-Gesetzes angesiedelte Kontrollstation, in der zu untersuchen wäre, ob die Wahl einer atypischen Vertragsgestaltung einem sachlich gerechtfertigten Bedürfnis entspricht, bleibt ersichtlich kein Raum. Würde man 226 H. P. Westermann (Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 52) betont mit Recht, daß es durchaus ein legitimer Zweck gerade einer „Rechts"ordnung sein kann, die Anpassung der von ihr geschaffenen Modelle an die Lebensentwicklung zu ermöglichen. 227 H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S. 17. 2 2 8 Hierzu vor allem BVerfGE 81, 242 und 89, 214.

412

§8 Typenfreiheit und

Rechtsordnung

hier eine Zweispurigkeit zulassen, so stünde zu befürchten, daß der differenziertere Maßstab des AGB-Gesetzes durchkreuzt oder nivelliert wird. Die auf dem Gebiet der Inhaltskontrolle schon heute beklagte Rechtsunsicherheit würde zudem weiter erhöht, wenn erst noch festgestellt werden müßte, wie weit sich der Vertrag von der gesetzlichen Schuldvertragsordnung entfernt, um ihn dann gegebenenfalls mit dem Erfordernis eines sachlichen Grundes zu konfrontieren. Dies alles spricht dafür, die Prüfung auf die Vereinbarkeit mit den Vorgaben des AGB-Gesetzes zu konzentrieren. Es bleibt damit die Frage, ob sich nicht aus dem AGB-Gesetz selbst, insbesondere aus dessen Generalklausel, eine besondere Rechtfertigungslast des Verwenders ergibt. Ist es ihm nicht etwa in Anbetracht der Leitbildfunktion des dispositiven Rechts (§9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G ) von Gesetzes wegen aufgegeben, besondere Gründe darzulegen, weshalb er sein Vertragswerk nicht an den gesetzlichen Typen ausgerichtet hat? Die hierzu verlautbarten literarischen Stellungnahmen fallen mitunter zu undifferenziert aus. Richtig ist, daß vor allem § 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G mit seinem Merkmal der „wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung" dem dispositiven Recht bei der AGB-Inhaltskontrolle eine gesteigerte Bedeutung zuerkannt hat. 229 Ferner ergibt sich aus der Formulierung des § 9 Abs. 2 A G B G , daß es dem Verwender bei festgestellter Divergenz obliegt, Gründe vorzutragen, die die Benachteiligung des Vertragspartners als nicht unangemessen erscheinen lassen. 230 Bei alledem sollte jedoch zwei Dinge nicht übersehen werden. Zum einen kommt als Gegenstand der Inhaltskontrolle nach dem A G B - G e setz immer nur eine bestimmte Klausel und niemals ein Vertragswerk in toto in Betracht. 231 Dies kommt im Wortlaut des § 9 A G B G („Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen") und in der Benennung der Richtlinie 93/13/ E W G („mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen") zum Ausdruck und zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte AGB-Prüfung. Beginnend bei der Feststellung der AGB-Qualität, die nicht pauschal für den gesamten Vertragsinhalt, sondern einzeln für jede Klausel erfolgt, 232 setzt sich diese Linie 229 Ulmer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rdnr.42; Staudinger-Coesier, §9 AGBG Rdnr. 168; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 285; Becker, Auslegung des §9 Abs. 2 AGB-Gesetz, S. 87. 230 Ulmer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rdnr. 129; Wo///Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr. 58f., 61; strenger von Hoyningen-Huene, §9 AGBG Rdnr. 239, der meint, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des §9 Abs. 2 AGBG könne ohne weiteres die Unwirksamkeit der betreffenden AGB-Klausel angenommen werden. 231 Ulmer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rdnr. 70; Staudinger-Coester, §9 AGBG Rdnr. 70, Borges, Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen, S. 20. Der übrige Vertragsinhalt gerät dabei nur insofern in den Blick, als es auf mögliche Summierungs- oder Kompensationseffekte zu achten gilt (hierzu statt vieler: Ulmer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rdnr. 85; Staudinger- Coester, § 9 AGBG Rdnr. 90ff.; Wo///Horn/Lindacher, § 9 AGBG Rdnr. 132ff.). Der Gegenstand der Prüfung wird hierdurch jedoch nicht verschoben (besonders deutlich: Ulmet/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rdnr. 85: „Die Frage, ob eine einzelne Vertragsbestimmung den Vertragspartner unangemessen benachteiligt, kann nur aufgrund einer Würdigung des gesamten Vertragsinhalts ... beantwortet werden."). 232 BGH NJW 1998, 2600 (2601); Wo///Horn/Lindacher, § 1 AGBG Rdnr.37.

III. Anforderungen

an Zweck und Inhalt eines nicht kodifizierten

Vertrages?

413

fort bei der Einbeziehungskontrolle 233 (besonders deutlich bei §3 AGBG) 2 3 4 und den Schranken der Inhaltskontrolle (§ 8 AGBG). 2 3 5 Selbst in der Rechtsfolgenregelung des § 6 A G B G kehrt dieser Gedanke wieder. Das Hauptaugenmerk liegt dort auf der Ergänzung der durch die Nichtgeltung einer einzelnen Vertragsbestimmung entstandenen Lücke (§6 Abs. 2 A G B G ) , während der Gesamtvertrag hiervon möglichst unbeeinflußt aufrechterhalten werden soll (§ 6 Abs. 1 A G B G ) . Eine andere Perspektive wäre auch nicht sinnvoll, fördert doch nur die Einzelprüfung differenzierte und nachvollziehbare Aussagen über mögliche unangemessene Benachteiligungen des Vertragspartners zutage. Ein vergleichsweise pauschaler Ansatz, der sogleich den gesamten Vertrag auf den Prüfstand stellte, würde sich in der Praxis nicht bewähren. Somit ist die A G B Prüfung von vornherein nicht darauf angelegt, Urteile über den Benachteiligungsgehalt eines Vertrages als solchen zu ermöglichen. Dann kann es aber auch nicht richtig sein, den Parteien eines nicht kodifizierten AGB-Vertrages eine pauschale, auf den gesamten Vertrag bezogene positive Rechtfertigung abzuverlangen. Ein weiteres kommt hinzu. Wer die Darlegung eines sachlichen Grundes in den Rang einer Gültigkeitsvoraussetzung für nicht kodifizierte Standardverträge erhebt und sich hierfür auf § 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G beruft, müßte zunächst einmal dartun, daß der jeweilige Vertrag tatsächlich von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweicht. Dieses Unterfangen stößt jedoch auf größte Schwierigkeiten, wenn der nicht kodifizierte Vertrag ein vom Gesetz nicht berücksichtigtes Regelungsbedürfnis aufgreift. Besonders deutlich zeigen dies diejenigen Verträge, die historische Regelungslücken ausfüllen. So hält das Bürgerliche Gesetzbuch kein alternatives Regelungsmodell für die durch den Garantie-, den Unterlassungs-, den Schiedsrichter- und den Vorvertrag geregelten Sachverhaltskonstellationen bereit. Von einem rechtfertigungsbedürftigen Beiseiteschieben dispositiven Rechts kann hier nicht ohne weiteres gesprochen werden. Die Zielrichtung nicht kodifizierter Verträge liegt auch keineswegs regelmäßig in der Abänderung dispositiven Gesetzesrechts, sondern in der - notwendigen - Ergänzung der Vertragstypenordnung durch neue Geschäftsformen. Das soll nicht heißen, daß nicht kodifizierte Verträge nicht auch von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweichen könnten. U m dies zu erkennen, bedarf es jedoch einer Einzelanalyse des Vertragsinhalts und der verschiedenen - möglicherweise im Analogieweg heranzuziehenden - Gesetzesbestimmungen. In den Vergleich werden einzelne vertragliche Abreden oder Teillösungen des nicht kodifizierten Vertrages eingestellt; keinesfalls kommt es hier zu einem Pauschalvergleich mit einem bestimmten gesetzlich geUlmer/Brandner/Hensen, §2 AGBG Rdnr.68. Ulmer/Brandner/Hensen, § 3 AGBG Rdnr. 8 mit der Feststellung, für die Anwendung des §3 AGBG sei in denjenigen Fällen kein Raum, in denen die rechtliche Gestaltung insgesamt (Hervorhebung im Original) für den Kunden überraschend sei; ebenso auch LG Hamburg bei Bunte AGBE V §3 AGBG Nr. 15. 235 Staudinger-Coejter, §8 AGBG Rdnr. 12. 233 234

414

§ 8 Typenfreiheit

und

Rechtsordnung

regelten Vertragstyp. So läßt sich bei einem Leasing-, aber auch bei einem Automatenaufstellungsvertrag darüber nachdenken, ob es für die Uberbürdung der Instandhaltungspflicht auf den Leasingnehmer oder den Gastwirt Vorbilder im dispositiven Gesetzesrecht gibt, ob in diesem Punkt von einer Abweichung gesprochen und ob diese gegebenenfalls gerechtfertigt werden kann. 236 Die Vorstellung, nicht kodifizierte Verträge zielten generell auf eine Außerkraftsetzung oder Abänderung des dispositiven Rechts und die hieran anknüpfende generelle Forderung nach einer positiven Rechtfertigung ihrer Existenzberechtigung erweist sich jedenfalls als zu undifferenziert. Typenfreiheit in dem Sinne, daß die Parteien für die Wahl oder die Kreation eines bestimmten Vertragstyps niemandem Rechenschaft schulden, gilt somit auch auf dem Gebiete der vorformulierten Standardverträge. Im Hinblick auf die Verteilung der Rechte und Pflichten im einzelnen muß sich der Verwender indes eine Inhaltskontrolle mit gegebenenfalls gesteigerten Rechtfertigungsanforderungen gefallen lassen.

236 p j j r j e n Leasingvertrag ist eine solche Regelung typisch und interessengemäß (Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr. 906; TAxirichY^omm-Habersack, Leasing, Rdnr. 66; Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 7 I, S. 147f.), während sie den Gastwirt unangemessen benachteiligt ( A G B - K l a u s e l w e r k e - G r a / von Westphalen, Automatenaufstellvertrag, Rdnr. 20: mit dem mietvertraglichen Grundmuster gemäß §§535ff. B G B unvereinbar; ebenso für Instandsetzungskosten B G H N J W 1983,159,162).

§ 9 Das Leitbild eines nicht kodifizierten Vertrags Die bisherigen Überlegungen haben deutlich gemacht, daß der Rechtsanwender gut beraten ist, Vertragsschöpfungen außerhalb des gesetzlichen Typenschemas nicht als eine einer rechtlichen Sonderbehandlung bedürftige Anomalie, sondern als notwendige Ergänzung der fragmentarischen Modellordnung zu begreifen. Verfehlt wäre es, die Wirksamkeit nicht kodifizierter Verträge von dem Nachweis eines berechtigten Bedürfnisses oder eines sachlichen Grundes abhängig zu machen, sie also gegenüber gesetzlich geregelten Verträgen zu diskriminieren. Andererseits verbietet sich auch ihre Besserstellung, etwa indem man sie von der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz dispensiert. Die spezifischen Probleme nicht kodifizierter Verträge müssen vielmehr auf der Grundlage des vorhandenen Instrumentariums gelöst werden, also insbesondere durch die Mobilisierung der Inhaltskontrollvorschriften des AGB-Gesetzes (§§9 bis 11 A G B G ) sowie aller einschlägigen Verbotsgesetze (§ 134 B G B ) , des Verbots sittenwidriger Verträge (§ 138 B G B ) , der Bindung der Ausübung eines einseitigen Bestimmungsrechts an billiges Ermessen (§315 B G B ) und des Gebots von Treu und Glauben (§242 B G B ) für Verträge, die nicht dem Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes unterfallen. Da in der Praxis an die Stelle der nicht existenten gesetzlichen Regelung in weitem Umfang vorformulierte Bedingungen treten, richtet sich das Interesse vor allem auf die Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz; dies im übrigen umso mehr, als durch die Einfügung des §24a A G B G im Zuge der Umsetzung der Klauselrichtlinie (93/13/EWG) der Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes bei Verbrauchergeschäften einige bedeutsame Erweiterungen erfahren hat. Die AGB-Kontrolle steht daher im Vordergrund der nachfolgenden Betrachtungen. 1 Die zentrale Frage lautet hier, welcher Maßstab sich für die Inhaltskontrolle nicht kodifizierter Verträge aus dem AGB-Gesetz ergibt.

I. Rechtskontrolle trotz fehlender gesetzlicher

Ausgestaltung?

Die Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen anhand der §§ 9 bis 11 A G B G stellt sich nach heute gesicherter Erkenntnis als ein Fall der Rechts1 Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, daß auch die oben genannten allgemeinen Kontrollvorschriften wichtige Funktionen im Rahmen der Inhaltskontrolle erfüllen; vgl. hierzu Windbichler, AcP 198 (1998), S.273.

416

§ 9 Das Leitbild eines nicht kodifizierten

Vertrags

kontrolle dar.2 Unter Rechtskontrolle versteht man eine Richtigkeitskontrolle, wobei das Recht den Maßstab des Richtigkeitsurteils markiert. 3 Es geht um die Überprüfung eines bestimmten Vorkommnisses - eines tatsächlichen Vorgangs oder eines Regelungsakts - auf seine Vereinbarkeit mit den zwingenden Vorgaben des materiellen Rechts. 4 Die Richtigkeit dieser Einordnung erweisen der für die AGB-Kontrolle allgemein zugrunde gelegte überindividuell-generalisierende, 5 am Gebot von Treu und Glauben ausgerichtete Maßstab sowie der hohe Stellenwert, den insbesondere § 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G dem dispositiven Recht als Vergleichsmaßstab zuerkannt hat. Nicht anders fällt im übrigen die Beurteilung für die Mißbrauchskontrolle nach der Richtlinie 93/13/EWG über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen aus. Auch sie zielt auf eine Inhaltskontrolle in Gestalt einer Rechtskontrolle. 6 So benennt Art. 3 der Richtlinie in Übereinstimmung mit §9 A G B G das Gebot von Treu und Glauben als Maßstab für die Bewertung des Vertragsinhalts. Das Gebot von Treu und Glauben strahlt auch auf die Interpretation der übrigen in Art. 3 Abs. 1 enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe aus. Dies hat unter anderem zur Folge, daß das „Mißverhältnis" im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie nicht rein wirtschaftlich, sondern in erster Linie normativ zu bestimmen ist. 7

1. Inhaltskontrolle

als

Rechtsanwendung

Eine elementare Einsicht, die sich aus dieser Beschreibung ergibt, ist, daß zwischen dem Prüfungsgegenstand - z.B. einer vertraglichen Vereinbarung und den heteronomen Kontrollmaßstäben des Rechts unterschieden werden muß. Die Abgrenzung beider Ebenen schlägt sich in den zu absolvierenden Prüfungsschritten nieder. Zunächst ist der Prüfungsgegenstand zu bestimmen; so muß etwa der maßgebliche Inhalt einer vertraglichen Abrede gegebenfalls im Wege der Auslegung ermittelt werden. Sodann ist der normative Maßstab, den 2 Hönn, JZ 1983, 680; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.9; Ulmer/BraKi/rcer/Hensen, §9 A G B G Rdnr. 1 ; von Hoyningen-Huene, § 9 A G B G Rdnr. 26 und 36; Lieb, AcP 178 (1978), S. 208f.; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 148; Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 342; anders hingegen Boemke-Albrecht, Rechtsfolgen unangemessener Bedingungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 107ff. 3 von Hoyningen-Huene, Billigkeit im Arbeitsrecht, S. 129; ferner Bachof, JZ 1972, 644. 4 Zutreffend Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), S.5, Inhaltskontrolle könne nur dort stattfinden, wo die Vertragsfreiheit materiellrechtlich eingeschränkt sei. 5 Ulmer/Brandner/Hensen, §9 A G B G Rdnr. 78 und ständige Rechtsprechung, zuletzt B G H N J W 2000, 2106 (2107). Für die Billigkeitskontrolle ist demgegenüber ein individueller, die besonderen Umstände des Einzelfalls berücksichtigender Maßstab charakteristisch (vgl. von Hoyningen-Huene, Billigkeit im Arbeitsrecht, S. 156; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 16; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 364; MünchKomm-Gottwald, § 315 BGB Rdnr. 36). 6 Eine andere Frage ist, ob die Beurteilungsmaßstäbe von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie und §9 A G B G deckungsgleich sind und ob es einer europäisch-autonomen Auslegung des Kontrollmaßstabs bedarf (hierzu unter VI. 1. a)). 7 Wo///Horn/Lindacher, Art. 3 RiLi Rdnr. 3.

/. Rechtskontrolle

trotz fehlender

gesetzlicher Ausgestaltung?

417

die Rechtsordnung für die Beurteilung eines solchen Geschehnisses bereitstellt, zu entfalten. Dieser Vorgang kann sich mitunter in der Benennung der jeweiligen Vorschrift erschöpfen, wenn es sich bei ihr um eine tatbestandlich konkretisierte, kaum Wertungsspielräume lassende Verbotsnorm handelt (z.B. die Klauselverbote des § 11 A G B G ) . In diesem Fall kann sich sofort das Subsumtionsverfahren anschließen. Das heißt, es gilt nun, den Sachverhalt auf seine Ubereinstimmung mit den Tatbestandsmerkmalen des Rechtssatzes zu untersuchen. Die methodologische Qualifikation dieses Vorgangs als Rechtsanwendung wird nun nicht etwa dadurch in Frage gestellt, daß die inhaltliche Bestimmtheit der Kontrollnorm graduell abnimmt. Hier einen Punkt anzugeben, an dem das methodische Verfahren eine qualitative Änderung dergestalt erfährt, daß es von nun an nicht mehr Rechtsanwendung genannt werden könnte, ist nicht möglich. Selbst die Kontrolle am Maßstab so vager Generalklauseln wie derjenigen der §§ 138, 242 B G B und der Zentralnorm des § 9 A G B G bleibt - gegebenfalls durch Elemente der Rechtsfortbildung angereicherte - Rechtsanwendung. 8 Folgerichtig wird die Applikation des § 9 A G B G auf einen bestimmten Sachverhalt, einschließlich der hierbei auftretenden Abwägungs- und Beweislastfragen, ohne jede Einschränkung für revisibel gehalten.9 Der Schwerpunkt der rechtsanwenderischen Bemühungen verlagert sich auf die Konkretisierung des allgemein formulierten Verbotsumfangs. Unter die auf diese Weise herausdestillierten abstrakt/generellen Verbotsrechtssätze muß sodann die jeweilige Vertragsgestaltung subsumiert werden - nicht anders als im Falle der Katalogtatbestände der §§10 und 11 A G B G . Konkretisierende Interessenabwägung und Ähnlichkeitsschlüsse zu anerkannten Fallgruppen gewinnen zwar mit abnehmender inhaltlicher Bestimmtheit der Kontrollnorm an Bedeutung, es handelt sich aber letztlich nur um Hilfsoperationen im Rahmen der Rechtsanwendung.

2. Inhaltskontrolle als Wirksamkeitskontrolle Das Wesen der Rechtskontrolle spiegelt sich im übrigen in der Formulierung ihres Erkenntnisziels. Rechtskontrolle zielt auf ein Urteil über die Vereinbarkeit des Prüfungsgegenstandes mit den Maßstäben des Rechts. Die beiden mög8 Fastrich, Inhaltskontrolle, S.9; Staudinger-Coester, Einl. zu §§8ff. A G B G Rdnr. 15; Löwe/ Graf von Westphalen/Trinkner, §§8-11 A G B G Rdnr. 50; Lieh, AcP 178 (1978), S.208f.; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 148; Koch/Rüßmann (Juristische Begründungslehre, S. 67ff.) halten auch hier eine deduktive Entscheidungsrechtfertigung für möglich, während Larenz (Methodenlehre, S.275) dort, wo ein Begriffsmerkmal ein „gleitender" Maßstab ist, statt von Subsumtion von „Zuordnung des Sachverhalts zum Tatbestand einer Rechtsnorm" spricht. Als Unterfall der Rechtsanwendung begreift diesen Vorgang freilich auch Larenz (vgl. Methodenlehre, S.293: .„Begründen' heißt hier, durch einsichtig zu machende Erwägungen die Entscheidung aus dem geltenden Recht zu rechtfertigen."). Zur Konkretisierung von Generalklauseln Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 30ff., 97ff. und 149ff. 9

Zuletzt B G H NJW 1997, 3022 (3023); Ulmer/Brandner/Hensen, § 9 A G B G Rdnr.56.

418

5 9 Das Leitbild eines nicht kodifizierten

Vertrags

liehen Prädikate lauten rechtmäßig und rechtswidrig. Die Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz knüpft an das Rechtswidrigkeitsurteil zusätzlich die Rechtsfolge der Unwirksamkeit. Man spricht daher auch von Wirksamkeitskontrolle. 10 Der Rahmen der Rechtskontrolle wäre verlassen, wenn die „Richtigkeit" einer vertraglichen Regelung nicht am vorgegebenen Recht, sondern am Maßstab der Billigkeit gemessen würde. 11 Nicht Zweckmäßigkeitserwägungen, Billigkeitsüberlegungen und die Frage nach etwaigen besseren, sachgemäßeren oder gerechteren Lösungen sollen den mit der Uberprüfung Allgemeiner Geschäftsbedingungen befaßten Richter leiten. Es geht nicht um die Suche nach dem Gerechtigkeitsoptimum, sondern um die Feststellung einer im Recht wurzelnden Grenzlinie, deren Uberschreiten die Rechtsfolge der Unwirksamkeit und damit die Nichtanerkennung der privatautonom gesetzten Regelung durch das Recht impliziert. Insbesondere ermächtigt das Rechtsfolgenkonzept des AGB-Gesetzes den Richter nicht zu einer umfassenden Salvierung des Vertrages. Gestalterische Entscheidungen, wie sie §315 B G B - das Paradebeispiel der Billigkeitskontrolle - verlangt, 12 sind dem AGB-Gesetz fremd. Es vermittelt keine Kompetenz zur Vertragshilfe, sondern soll rechtssichere Feststellungen über die Wirksamkeit eines feststehenden Leistungsinhalts ermöglichen. 13 Aber auch die als „Vertragswidrigkeit" gekennzeichnete Abweichung einzelner Klauseln von vertragsimmanenten Bewertungsmaßstäben ist zunächst eine der Rechtskontrolle fremde Kategorie. Hier müßte erst dargetan werden, ob und unter welchen Voraussetzungen die „Vertragswidrigkeit" zugleich einen Rechtsverstoß bildet.

3. Rechtskontrolle auf der Grundlage von §9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG Diese Grundsätze werden nicht immer hinreichend beachtet. Bedenklich, weil in die Nähe einer petitio prineipii führend, wäre beispielsweise ein methodischer Ansatz, der den Beteiligtenwillen der Vertragspartner zum (alleinigen) Maßstab der AGB-Kontrolle erheben würde. 14 Da der Beteiligtenwille zugleich 10 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 11; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 148; Hönn, JZ 1983, 681; ders., JA 1987, 340. 11 Unbefriedigend daher beispielsweise die Ausführungen von Esser/Weyers (Schuldrecht II/1, § 24 II, S. 205) zur Inhaltskontrolle von Leasingverträgen, die in einem Appell an den Richter münden, nach Kriterien rechtlicher Vernunft und Billigkeit für ein ausgewogenes Maß an Rechten und Pflichten zu sorgen. Ausführlich zur Abgrenzung der Rechtskontrolle von der Billigkeitskontrolle von Hoyningen-Huene, Billigkeit im Arbeitsrecht, S. 128 ff. und Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 14ff.; undeutlich hingegen Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 158ff. 12 Hierzu Larenz, Schuldrecht I, §6 II, S. 81: „Ergänzung des Vertragsinhalts durch richterliche Gestaltung". 13 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 17. 14 So tendenziell Rohe, Netzverträge, S. 297; bedenklich auch die Formulierung Oechslers, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 320, jede Parteivereinbarung trage ihren Maßstab in sich.

I. Rechtskontrolle trotz fehlender gesetzlicher Ausgestaltung?

419

den Vertragsinhalt formt, drohen hier Prüfungsgegenstand und rechtlicher Kontrollmaßstab zu einer ununterscheidbaren, eine vergleichende Kontrolle nicht mehr zulassenden Einheit zu verschmelzen. Auf der anderen Seite ist nicht zu verkennen, daß sich eine strikte Trennung der verschiedenen Ebenen nicht immer durchhalten läßt. Schon die ergänzende Vertragsauslegung verbindet vertragsautonome mit heteronomen, normativen Wertungen. Vor allem verweist § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG auf einen maßgeblich durch die Natur des Vertrages geprägten Kontrollmaßstab. Soll die Inhaltskontrolle nach §9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG Rechtskontrolle bleiben, so muß allerdings auch dieser Maßstab im Ansatz als normativer und damit außervertraglicher verstanden und entsprechend ausgeformt werden. Daß der Vertragszweck und die spezifische Pflichtengruppierung hierbei eine wesentliche Rolle spielen, ist durch § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG vorgegeben, nimmt dem Prüfungsgeschehen jedoch nicht den Charakter der Rechtskontrolle. Rechtskontrolle setzt normativ begründete Maßstäbe, nicht aber unbedingt eine ausgeführte gesetzliche Regelung des jeweiligen Vertragstyps voraus. Insbesondere § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG legt den Schluß nahe, daß der Gesetzgeber die Rechtskontrolle nicht auf einen Vergleich mit einer vorgegebenen Legalordnung beschränken wollte. Die schwierige, aber zentrale Aufgabe besteht darin, im Hinblick auf die zu überprüfende vertragliche Vereinbarung gleichwohl einen Rechtsrahmen zu formulieren, der sich für diesen spezifischen gesetzesfremden Vertragstyp aus der Rechtsordnung, ihrem reichen Bestand an geschriebenen und ungeschriebenen Regeln sowie den übergreifenden Prinzipien, ergibt. Befremdlich wäre es, wenn das vordergründig bestehende Rechtsvakuum im Ergebnis eine Absenkung der Kontrollintensität auf dem Gebiet der nicht kodifizierten Verträge zur Folge hätte. Denn die Kodifikationsentscheidungen des Gesetzgebers sind weitgehend nicht sachlich, sondern historisch zu erklären und waren als solche keineswegs am besonderen Gefährdungspotential der jeweiligen Vertragstypen ausgerichtet. Die Konkretisierung der Schranken der Rechtsordnung für gesetzlich nicht geregelte Verträge gedachte man der Rechtsprechung übertragen zu können. Die Gerichte haben die Formulierung materiellrechtlicher Maßstäbe für die Inhaltskontrolle nicht kodifizierter Verträge auch grundsätzlich als Auftrag begriffen. Dies kommt insbesondere in der vom Bundesgerichtshof geprägten Formel zum Ausdruck, der Umstand, daß ein Vertragstyp neu geschaffen sei und keinem gesetzlichen Leitbild entspreche, stehe einer Inhaltskontrolle nicht entgegen.15 Es gilt somit, normativ verankerte Kriterien aufzuzeigen, die eine Inhaltskontrolle gesetzlich nicht geregelter Verträge unter Wahrung ihrer Eigenständigkeit auf einem Kontrollniveau erlauben, das sich nicht wesentlich von demjenigen gesetzlich geregelter Verträge unterscheidet.

15

BGH NJW 1991, 1886 (1887).

420

§9 Das Leitbild eines nicht kodifizierten

II. Leitbilder als Maßstab der

Vertrags

Inhaltskontrolle

Bedarf sonach die Inhaltskontrolle eines normativ vorgeformten Maßstabs, so liegt der Gedanke nahe, diesen in enger Anbindung an die gesetzlichen Regelungsmodelle des Schuldrechts zu entwickeln. Damit ist die Brücke geschlagen zur Diskussion um die Leitbildqualität des dispositiven Rechts.

1. Die Leitbildfunktion des dispositiven Rechts als zentrales Denkmodell der heutigen Schuldrechtsdogmatik Die geschichtlichen Wurzeln dieses Ansatzes, ausgehend von den grundlegenden Überlegungen Ludwig Raisers,16 sich fortsetzend in der vorbekannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs17 und mündend in der Kodifikation des Leitbildgedankens in § 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G , 1 8 sind hier bereits im einzelnen nachgezeichnet worden. 19 Die Erkenntnis, daß die Regelungskomplexe des dispositiven Rechts zugleich Musterbilder einer gerechten Ordnung verkörpern, an denen sich abweichende Vertragsgestaltungen messen lassen müssen, hat sich heute trotz einiger Differenzen in Einzelfragen 20 im Grundsatz durchgesetzt. Der Rekurs auf das dispositive Recht übt weiterhin eine ungebrochene Faszinationskraft aus. Er ist zu einem zentralen Denkmodell der Inhaltskontrolle avanciert. 21 Längst beschränkt sich das Leitbilddenken nicht mehr nur auf das dispositive Gesetzesrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches; auch den zwingenden Vorschriften wird weithin Leitbildcharakter zuerkannt. 22 Ferner werden Leitbilder aus den Grundrechten, dem EG-Recht und dem UN-Kaufrecht gewonnen. 23 Und selbst dort, wo das gesetzliche Modell nicht paßt oder nur teilweise die „gesetzliche Regelung" bietet, will man von der Leitbildidee nicht abgehen. Das objektive Leitbild, so steht in einem führenden Kommentar zu lesen, 24 sei dann aus für den realen besonderen Vertragstyp zu entwickelnden rechtlichen Regeln zu gewinnen. Hierzu paßt es, daß Rechtsprechung und Schrifttum von Kaiser, Recht der AGB, S. 293 ff. Vor allem BGHZ 41, 151 (154); BGH NJW 1970, 29 (32); BGHZ 54, 106 (109f.); B G H NJW 1973, 1192 (1193); 1975, 647. 18 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 7/3919, S.23. 19 Oben §3 VIII. 4. 2 0 So die umstrittene Differenzierung nach Vorschriften mit Gerechtigkeitsgehalt und solchen mit bloßem Zweckmäßigkeitsgehalt (hieran festhaltend zuletzt BGH NJW-RR1996,1009; NJW 1999, 635, 636; kritisch statt vieler U\mer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rdnr. 132). 21 Weick, NJW 1978, 12. 22 BGH NJW 1983,1320 (1322); Fastrieb, Inhaltskontrolle, S.284; Wo///Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr.68; Ulmer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rdnr. 134 Fn.422; mit Einschränkungen auch Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 305 f.; a.A. Palandt-Heinrichs, §9 AGBG Rdnr. 19; Becker, Auslegung des §9 Abs.2 AGB-Gesetz, S. 103ff.; StaudingerCoester, §9 AGBG Rdnr. 170. 23 Vgl. statt vieler Ulmer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rdnr. 134 m.w.N. 24 Ulmer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rdnr. 133. 16

17

II. Leitbilder als Maßstab der

Inhaltskontrolle

421

einem Leitbild des Leasingvertrages, 25 des Automatenaufstellungsvertrages, 26 des Kreditkartenvertrages, 27 des totalen Krankenhausaufnahmevertrages, 28 des vertraglichen Schuldbeitritts, 29 der Publikums-Personengesellschaft 30 oder ganz allgemein vom Leitbild eines Dauerschuldverhältnisses 31 sprechen. Im Schrifttum plädieren nicht wenige bereits dafür, den Leitbildgedanken nicht mehr auf § 9 Abs. 2 Nr. 1 zu begrenzen, sondern ihn auch als Maßstab für den Tatbestand der Nummer 2 A G B G fruchtbar zu machen. 32 All dies soll zudem auch im Einklang mit der Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen stehen. Der Leitbildgedanke könne, so heißt es, als richtlinienkonforme Konkretisierung des „Mißverhältnisses von Rechten und Pflichten" anerkannt werden. 33

2. Grenzen des Leitbilddenkens im Rahmen der Inhaltskontrolle Die Entdeckung der Leitbildfunktion des dispositiven Gesetzesrechts für die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen hat unzweifelhaft dazu beigetragen, dem Kontrollvorgang festere Konturen zu verleihen und einen dezidiert normativen Maßstab zu etablieren. Auf der anderen Seite gibt der aufgezeigte inflationäre Einsatz des Leitbildgedankens Veranlassung, die Leistungsfähigkeit dieses Kontrollansatzes kritisch zu hinterfragen. Gerade im Bereich der modernen, gesetzlich meist nicht geregelten Austauschverträge stößt das Denken in gesetzlichen Leitbildern ersichtlich schnell an seine Grenzen, fehlt es hier doch in weitem Umfang an gesetzlichen Vorbildern und einschlägigen Typisierungschancen, die einen deduktiven Rekurs auf dispositives Gesetzesrecht gestatten würden. 34

a) Dynamik der Vertragspraxis versus statische Gesetzesleitbilder Die aufgeworfene Fragestellung geht freilich über den begrenzten Bereich der nicht kodifizierten Verträge hinaus. Die zurückgehende Bedeutung des dis25 BGH WM 1982, 7 (9); NJW 1982,1747 (1748); Klamroth, BB 1982,1949ff.; Martinek, Moderne Vertragstypen, § 4 IX, S. 90. 2 6 BGH NJW 1969, 230 (231); 1983, 159 (160). 27 Meder, NJW 1996, 1851 ff. 28 Staudinger-Coeiter, §9 AGBG Rdnr.405. 29 Kothe, JZ 1990, 997. 3 0 Wolf///orn/Lindacher, §23 AGBG Rdnr.82; AGB-Klauselwerke-Scfe/er, PublikumsKG, Rdnr.4-14; der Sache nach auch BGH NJW 1982, 2303f. 31 LG Frankfurt a.M., NJW-RR 1989, 176; 888. 32 Fastrich, Inhaltskontrolle, S.282; Weick, NJW 1978, 12. 33 Wolf/Horn/Lindacher, Art. 3 RiLi Rdnr.6. 34 Instruktiv, wenngleich im Ergebnis zu kritisch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 322 und S. 296ff.; zu den Grenzen des Leitbildgedankens im übrigen auch Bekker, Auslegung des §9 Abs.2 AGBG, S. 198ff.

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§9 Das Leitbild eines nicht kodifizierten

Vertrags

positiven Gesetzesrechts als Referenzmodell zur Lösung konkreter Vertragsprobleme ist ein allgemeines Kennzeichen der Entwicklung des Vertragsrechts seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Während die Vertragswirklichkeit durch eine immense Komplexitätssteigerung und immer stärkere Differenzierungen geprägt ist, verharrt die Legalordnung noch weitgehend auf dem Stand ihres Entstehungszeitpunkts. 35 In weiten Bereichen stellt sie sich heute als Grobraster dar, das nur noch in begrenztem Maße als Träger für Problemlösungen auf dem Gebiete des modernen Vertragsrechts in Betracht kommt. Hinter manchem Gesetzestyp verbirgt sich in der Praxis eine unerhörte Vielzahl höchst heterogener Realtypen, für die nur noch auf einem sehr hohen Abstraktionsniveau einheitliche Regeln formuliert werden können. Die Typisierungen verlaufen heute nicht selten quer zu den überlieferten Vertragstypen, gliedern diese auf oder fassen Teilbereiche davon zu neuen Ordnungen zusammen. 36 Das Aufblühen des Leitbildgedankens steht hierzu in einem eigentümlichen Gegensatz. Richtig ist vielmehr die Feststellung, daß sich die Fähigkeit des dispositiven Gesetzesrechts passende Leitbilder abzugeben, angesichts der ausdifferenzierten, sich eigene Lösungswege suchenden Vertragspraxis erheblich abgeschwächt hat. 37 Hinzu tritt eine im Konzept des Leitbilddenkens strukturell angelegte Schwäche, die sich gerade bei der rechtlichen Bewältigung des Problempotentials neuartiger Vertragsformen offenbart. Die Leitbildtheorie stellt an die Spitze ihrer Überlegungen ein fertiges, aus der gesetzlichen Regelung herausgeschältes Leitbild eines bestimmten Vertragstyps. An diesem so gut wie subsumtionsfertig bereitliegenden Referenzmodell wird die vertragliche Vereinbarung gemessen und gegebenenfalls das Ausmaß des Abweichens festgestellt. Das methodische Instrument des Leitbildentwurfs mag vor allem dort mit einiger Wahrscheinlichkeit überzeugende Ergebnisse zeitigen, wo es um die Beurteilung von punktuellen Abweichungen vom gesetzlichen Regelungsmodell geht, der betreffende Vertrag jedoch ansonsten als gesetzestypisch eingestuft werden kann (Beispiel: Statuierung einer verschuldensunabhängigen Einstandspflicht des Mieters für Beschädigung oder Verlust entgegen den Vorschriften des mietvertraglichen Haftungsrechts, §§536ff. B G B ) 3 8 . Problematisch ist diese Zugangsweise jedoch dann, wenn die Parteivereinbarung als solche sich von den gesetzlichen Mustern entfernt. Würde man die Prüfung hier an einem vorgefertigten gesetzlichen Gerechtigkeitsmodell ausrichten, so hieße dies, die gesetzliche Vertragstypenordnung für allzuständig zu erklären. Nicht jedem Regelungsbedürfnis kann jedoch in den Formen der gesetzlichen Vertragstypen entsprochen werden. Das Funktionieren des modernen Leistungsaustausches ist auf neuartige, außergesetzliche Konstruktionen angewiesen. Das in ihnen zum Ausdruck 35 36 37

14. 38

Hierzu auch bereits die Ausführungen unter § 4 IV. Weick, NJW 1978, 15. Wie hier Gernhuber, Schuldverhältnis, §7 IV 4, S. 155; tendenziell auch Weick, NJW 1978, Hierzu z.B. BGH NJW 1992,1761; LG Hamburg NJW-RR 1999, 663.

II.

Leitbilder

als Maßstab

der

Inhaltskontrolle

423

kommende rechtsschöpferische Potential kann sich aber nur dann entfalten, wenn sie nicht zuvörderst an den vorhandenen Normstrukturtypen gemessen, sondern in ihrer Individualität und Eigenart zur Kenntnis genommen werden. Das Kontrollgeschehen muß sich hier ganz offenbar stärker am Zweck des Vertrags, an den in ihm in innovativer Form koordinierten gegensätzlichen Interessen ausrichten. Die Prüfungsabfolge sollte hier tendenziell vom Problem zur Lösung und nicht umgekehrt verlaufen. Rechtsnaturen und Leitbilder können wie Oechsler es treffend ausgedrückt hat - als Lösungen am Ende der rechtlichen Konkretisierungsprozesse stehen, schwerlich sind sie - so Oechsler - in der Lage, diese einzuleiten.39 b) Gefahr einer übermäßigen Verkürzung der Gestaltungsfreiheit - dargestellt am Beispiel von und Verspätungsklauseln in Leasingverträgen

inhaltlichen Nichtlieferungs-

Ferner gilt es noch auf einen Punkt aufmerksam zu machen, der in den Stellungnahmen zur Inhaltskontrolle gesetzlich ungeregelter Verträge nicht immer hinreichende Beachtung findet. Wenn der Gesetzgeber im besonderen Schuldrecht einzelne Austauschbeziehungen herausgegriffen und näher ausgeformt hat, so handelt es sich doch hierbei um modellhafte Vorschläge eines gerechten Pflichtenarrangements. Es wäre vermessen und lag auch nicht in der Absicht des Gesetzgebers, diese Regelungsmodelle als im Lichte der Gerechtigkeitsidee einzig denkbare Interessenausgleiche zu konzipieren. Meist handelt es sich lediglich um eine von mehreren vertretbaren Ausgleichsmöglichkeiten.40 Greifen die Parteien eines schuldrechtlichen Vertrages auf diesen Vorschlag nicht zurück und entscheiden sie sich, ihre Austauschbeziehung in einer dem Gesetz nicht bekannten Weise zu koordinieren, so darf diese alternative Vertragsgestaltung nicht schon wegen der Abwahl des Gesetzesmodells unter den Generalverdacht einer unangemessenen Benachteiligung gestellt werden. Vielmehr sollte stets die Möglichkeit in Rechnung gestellt werden, daß die Vertragspartner eine gleichermaßen gerechte, nur eben anders strukturierte Leistungsordnung geschaffen haben. Diese verstünde sich denn auch weniger als eine Abweichung vom gesetzlichen Regelungsmodell, sondern eher als ein aliud zu diesem. Die vorschnelle und unkritische Aktivierung des gesetzlichen Dispositivrechts im Rahmen der inhaltlichen Kontrolle eigengearteter Verträge läuft somit Gefahr, die Parteien unter einen mit dem Prinzip der Vertragsfreiheit nicht zu vereinbarenden Rechtfertigungsdruck zu setzen.41 Jedes Abgehen vom gesetzlichen Vertragsmodell muß vor diesem Hintergrund als rechtfertigungsbedürftige Ausnahme erscheinen. Den Parteien wird es auf diese Weise erschwert, „willkürOechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.315. Staudinger-Coejter, § 9 A G B G Rdnr. 168. 41 So auch Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.284 am Beispiel des Software-Erwerbs. 39

40

424

§ 9 Das Leitbild eines nicht kodifizierten

Vertrags

lieh" ihr Pflichtenprogramm in bewußter Abkehr vom gesetzlichen Vertragstypenrecht zu formulieren. Auch wenn die Gerichte sich bemühen, die Besonderheiten des jeweiligen Vertrages zu erfassen und zu berücksichtigen, trägt dieser Ansatz doch die latente Gefahr in sich, die Maßstabsfunktion des dispositiven Rechts zu übersteigern und die Gestaltungsfreiheit der Parteien über Gebühr zu verkürzen. Daß sich der Versuchung einer unkritischen Übertragung der Maßstäbe des dispositiven Rechts so auf Dauer nicht widerstehen läßt, zeigt wiederum sehr deutlich die Rechtsprechung zum Finanzierungsleasing. 42 Darüber hinaus zeigt sich gerade auf diesem Gebiete, daß ein bestimmtes vertragstypologisches Vorverständnis auch zu einer Verbreiterung des Einsatzfeldes der besonderen Klauselverbote der §§10 und 11 sowie des Aushöhlungsverbotes des § 9 Abs. 2 Nr. 2 A G B G führen kann und auch auf diese Weise zu einer aufs Ganze gesehen bedenklichen Verkürzung des Handlungsspielraums der Parteien beizutragen vermag. Als Beispiel sei nur auf die mißbilligende Stellungnahme der h.M. zu sog. Nichtlieferungs- und Verspätungsklauseln hingewiesen, in denen der Leasinggeber - meist gegen Abtretung seiner Ansprüche gegen den Lieferanten - die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Lieferung des Leasinggutes durch den Lieferanten von sich zu weisen sucht. Vorentscheidende Bedeutung für die Wirksamkeit solcher Klauseln kommt der Frage zu, ob die (rechtzeitige) Lieferung des Leasinggegenstandes zum Kreise der dem Leasinggeber gegenüber dem Leasingnehmer aufgrund des Leasingvertrages obliegenden Verpflichtungen gehört. Die auf dem Boden einer mietrechtlichen Einordnung des Leasingvertrages (vgl. §542 B G B ) operierende Rechtsprechung 43 und ein Großteil der ihr in dieser Einschätzung folgenden Literatur 44 gehen - insoweit durchaus konsequent - von einer originären Besitzverschaffungspflicht des Leasinggebers aus. Die Rechtsstellung des Leasinggebers unterscheidet sich hiernach in diesem Punkte nicht von derjenigen eines Vermieters. Von diesem Standpunkt aus ist es dann nur folgerichtig, den Lieferanten, mit dem der Leasinggeber den Beschaffungsvertrag geschlossen hat, als dessen Erfüllungsgehilfen (§278 B G B ) anzusehen. 45 Diese Grundkonzeption führt dann zu einer Haftung des Leasinggebers für Störungen, die aus der Sphäre des Lieferanten rühren, nach Verzugs- und Unmöglichkeitsrecht. Klauseln im Leasingvertrag, mit denen der Leasinggeber eine Haftung für die Folgen eines möglichen Fehlschlagens des Liefergeschäfts von sich weist, stellen sich dann als Versuch einer FreiWie hier H. Roth, AcP 190 (1990), 299 und Lieb, DB 1988, 951 ff. Besonders deutlich B G H NJW 1982,105 (106); 1986, 179; 1988,198 (199); LG Mannheim BB 1985, 144. 44 Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr. 375; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, § 11 B I, S.317; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §6 III, S. 127f.; Papapostolou, Risikoverteilung beim Finanzierungsleasingvertrag, S. 103 f. 45 BGH NJW 1985,2258 (2260); 1988,198 (199); 1988, 204 (206); Graf von Westphalen, Leasingvertrag, Rdnr.376; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, §11 B I, S.317; Martinek, Moderne Vertragstypen I, § 6 III, S. 128; Papapostolou, Risikoverteilung beim Finanzierungsleasingvertrag, S. 104f.; Sannwald, Finanzierungsleasingvertrag, S. 124. 42

43

II. Leitbilder als Maßstab der

Inhaltskontrolle

425

Zeichnung von einer originären Einstandspflicht dar. Geht man von diesem rechtlichen Grundverständnis aus, so liegt es in der Tat nahe, Nichtlieferungsund Verspätungsklauseln für mit dem AGB-Gesetz (hier insbesondere §11 Nrn. 7, 8a und b sowie Nr. 9 A G B G bzw. nach § 9 Abs. 2 Nr. 2 A G B G im unternehmerischen Geschäftsverkehr) unvereinbar zu erachten. 46 Feststellen läßt sich, daß sich der Regelungsspielraum der Parteien eines Leasingvertrages auf der Grundlage einer am Leitbild der Miete orientierten Pflichtenbestimmung deutlich verengt. Nicht nur uneingeschränkte Haftungsklauseln werden für unwirksam gehalten, selbst eine Kompensation des Haftungsausschlusses durch Abtretung der Haftungsansprüche wird von der wohl überwiegenden Meinung nicht anerkannt. 47 Diese Beobachtung stimmt bedenklich, läßt sich doch - ähnlich wie in der Gewährleistungsfrage - mit guten Gründen vertreten, daß sich das Leistungsversprechen des Leasinggebers von vornherein nur auf die Überlassung unter der Voraussetzung, daß der Lieferant seiner Lieferpflicht nachkommt, beschränkt. 48 Die AGB-Verträglichkeit derartiger Klauseln mag hier im Ergebnis dahin stehen. 49 Wichtiger ist die Erkenntnis, daß den Parteien durch die Zuordnung eines weitgehend eigengearteten Vertrages zum Leitbild eines gesetzlichen Vertragstyps tendenziell doch sehr enge Fesseln angelegt werden. Da nahezu jeder neue Vertragstyp gewisse Ähnlichkeiten mit bereits normierten Regelungsmodellen aufweisen wird, stellt sich die Frage, was dann von dem „Vertragserfindungsrecht" 50 der Parteien noch übrig bleibt.

3. Vorschlag einer modifizierten

Leitbildkonzeption

Die hier vermerkten Kritikpunkte zwingen nicht zu einer Abkehr von der Leitbildfunktion des gesetzlichen Vertragsrechts als der zentralen Denkkatego46 Tendenziell BGH NJW1982,105 (106) und BGH NJW 1986,179 (180); ausdrücklich O L G Hamm DB 1980, 393 (394), O L G Koblenz WM 1984,1259 und LG Mannheim BB 1985, 144f.; Martinek, Moderne Vertragstypen I, §6 III, S. 127f.; ViünchKomTa-Habersack, Leasing, Rdnr.59; Autenrieth, JA 1980, 412; Gitter, Gebrauchsüberlassungsverträge, §11 B I, S.315ff.; AGB-Klauselwerke-Gra/ von Westphalen, Leasing, Rdnr. 70-73; Papapostolou, Risikoverteilung beim Finanzierungsleasingvertrag, S. 106f.; Ulmer/B randner/Hensen-//. Schmidt, Anh. §§ 9-11 AGBG Rdnr. 464; Staudinger-ScWosser, 12. Aufl. 1980, § 9 AGBG Rdnr. 135; differenzierend zwischen kaufmännischem und nichtkaufmännischem Bereich Ebenroth, DB 1978, 2112. 47 Martinek, Moderne Vertragstypen I, §6 III, S. 137f.; Ulmer/Brandner/Hensen-H. Schmidt, Anh. §§ 9-11 AGBG Rdnr. 464; für Zulässigkeit hingegen Graf von Westphalen, ZIP 1985,1439 und Koch, Störungen beim Finanzierungs-Leasing, S. 152 sowie die in der nachfolgenden Fn. genannten Autoren, die bereits den uneingeschränkten Ausschluß der Unmöglichkeits- und Verzugshaftung für wirksam halten; beschränkt auf den kaufmännischen Bereich Jauernig- Teichmann, Vor §535 BGB Rdnr. 12; offengelassen in BGH NJW 1993, 122 (124). 48 Canaris, Bankvertragsrecht, Rdnr. 1736; ders., AcP 190 (1990), 432f.; Lieb, DB 1988, 2503; Leenen, AcP 190 (1990), 280ff.; Larenz/Leenen, Schuldrecht II (12. Aufl.), §63 II, S.457. 49 Für unbenklich müssen eine solche Klausel die in der vorstehenden Fn. genannten Autoren halten. Für die Wirksamkeit haben sich ferner ausgesprochen: Flume, DB 1972, 54f.; Stoppok, in: Hagenmüller/Stoppok, Leasing-Handbuch, S.21; Coester-Waltjen, Jura 1980, 186f. 50 Ausdruck von H. Roth, AcP 190 (1990), S. 309.

426

5 9 Das Leitbild eines nicht kodifizierten

Vertrags

rie im Rahmen der Inhaltskontrolle. Wohl aber regen sie an, den konzeptionellen Zuschnitt der Leitbildkontrolle zu überdenken und - soweit erforderlich Korrektur- oder Präzisierungsvorschläge zu formulieren.

a) Unentbehrlichkeit eines normativ geprägten Vergleichsmaßstabs Die Wirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen beurteilt sich gemäß § 9 Abs. 1 A G B G danach, ob durch sie der Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligt wird. Die Feststellung einer Benachteiligung des Kunden setzt voraus, daß die zur Durchführung der Kontrolle berufene Instanz ihrerseits über ein objektives Modell verfügt, das einen angemessenen, den Vertragspartner nicht benachteiligenden, Interessenausgleich beschreibt. 51 Fehlt es an einer positiven Vorstellung über den Inhalt eines angemessenen Interessenausgleichs, so kann der geforderte Vergleich mangels eines greifbaren Vergleichsmaßstabs nicht durchgeführt, die gewünschte Feststellung nicht getroffen werden. Da der Maßstab der Kontrolle nach dem zuvor Gesagten ein rechtlicher sein muß, läßt sich festhalten, daß die Inhaltskontrolle auf der Grundlage der Generalklausel letztlich immer auf einen Vergleich zweier Rechtslagen hinausläuft. 52 Insoweit stellt sich eine Parallele zur Prüfung des deklaratorischen Charakters einer Klausel im Rahmen des § 8 A G B G ein. Konkret bedeutet dies nun, daß bezogen auf einen bestimmten Regelungsaspekt die vertraglich vereinbarte Regelung mit der Rechtsstellung des Vertragspartners in Beziehung zu setzen ist, wie sie sich ohne die betreffende Klausel darstellen würde. 53 Erweist dieser Vergleich, daß die vertragliche Abrede den Vertragspartner schlechter stellt, ist eine Benachteiligung dargetan und damit der erste Schritt im Rahmen der Inhaltskontrolle absolviert. Der Befund, daß die inhaltliche Uberprüfung vorformulierter Vertragsbedingungen notwendig auf einen normativ geprägten Vergleichsmaßstab angewiesen ist, beschreibt im übrigen nicht etwa ein Spezifikum der AGB-Kontrolle. Vielmehr bedarf jede inhaltliche Überprüfung eines Rechtsaktes einer objektiven, von außen an ihn herangetragenen Richtschnur, an der er gemessen werden kann. Diese Vorgabe gilt unterschiedslos beispielsweise für verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklagen, für gerichtliche Normenkontrollen und eben für die Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz. Für das Verständnis der Generalklausel des § 9 A G B G und seiner Konkretisierungen in Absatz 2 ergibt sich daraus folgendes: Dem mit der Inhaltskontrolle befaßten Richter ist es von Rechts wegen aufgegeben, einen normativ begründeten Vergleichsmaßstab zu bezeichnen, an dem die Prüfung der fraglichen Klausel ausgerichtet werden kann. Das

Fastrich, Inhaltskontrolle, S.281f. von Hoyningen-Huene, §9 AGBG Rdnr. 134. 53 Ulmer/Bratti&zer/Hensen, §9 AGBG Rdnr. 70; Staudinger-Coester, §9 A G B G Rdnr. 71; von Hoyningen-Huene, §9 AGBG Rdnr. 134; B G H NJW 1994, 1069 (1070). 51 52

II. Leitbilder als Maßstab der

Inhaltskontrolle

427

Modell einer gerechten Ordnung fungiert damit als Leitbild der Inhaltskontrolle. Für § 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G folgt diese methodische Anweisung unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut („wesentliche Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird"). In diesem Regelbeispiel sieht man zu Recht die Leitbildidee in besonderem Maße verwirklicht. 54 Aber auch die Inhaltskontrolle auf der Grundlage des § 9 Abs. 2 Nr. 2 A G B G kommt nicht ohne die Idee einer interessengerechten Ordnung aus.55 Selbst wenn man - einem Vorschlag des Schrifttums folgend - 5 6 das Aushöhlungsverbot des §9 Abs. 2 Nr. 2 A G B G auf eine Stimmigkeitskontrolle zurückführen würde, änderte dies nichts an der Notwendigkeit, positive Gerechtigkeitsvorstellungen zu beschreiben. Wer keinen Begriff von einer „stimmigen" Verteilung der Rechte und Pflichten hat, dem dürfte es schwerfallen, überzeugend den Zustand der Unstimmigkeit zu belegen.57 Auch wenn der Schwerpunkt der auf §9 Abs. 2 Nr. 2 A G B G gestützten Prüfung in der Rechtspraxis in der negativen Ausgrenzung liegen sollte, 58 so müssen doch die Grenze und die jenseits der Grenze stehenden, aufgrund ihres höheren Gerechtigkeitsgehalts von der Rechtsordnung sanktionierten Fälle vor Augen stehen. Dieses Leitbild 59 liegt freilich nicht unmittelbar zum Vergleich bereit, sondern muß vom Rechtsanwender für den zu entscheidenden Fall unter Berücksichtigung der grundlegenden Wertvorstellungen der Rechtsordnung und allgemeiner Rechtsprinzipien erst entfaltet werden. Somit läßt sich festhalten: Für die Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist ein normativ fundierter Vergleichsmaßstab, ein positives Leitbild, unentbehrlich. Ohne das Denken in Leitbildern ist selbst im Anwendungsbereich des § 9 Abs. 2 Nr. 2 A G B G nicht auszukommen. Deutlich ist auf der anderen Seite geworden, daß die das Leitbild konstituierenden normativen Vorgaben unterschiedliche Bestimmtheitsgrade aufweisen. Während im Bereich der gesetzestypischen Verträge durchweg auf die gesetzlichen Dispositivmodelle zurückgegriffen werden kann, muß das Leitbild eines gesetzlich nicht geregelten Vertrages erst noch entwickelt werden. Die Analyse des Vertragsinhalts und der mit ihm verfolgten wirtschaftlichen Ziele erlangen hier größere Bedeutung, während die normative Rückversicherung der Maßstabsbildung sich zunehmend schwieriger gestaltet. 54 Ulmer/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rdnr.132; Wolf/Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr.65; Staudinger-Coester, §9 AGBG Rdnr. 168. 55 Fastrich, Inhaltskontrolle, S.282; für Erstreckung des Leitbildgedankens auf die Kontrolle atypischer Vertragsgestaltungen im Rahmen des § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG auch Becker, Auslegung des §9 Abs. 2 AGBG, S. 169f. 56 Lieb, DB 1988, 953f. 57 Ahnlich Fastrich, Inhaltskontrolle, S.282. 58 So Becker, Auslegung des §9 Abs. 2 AGBG, S. 185. 59 Im Entwurf eines § 6 Abs. 2 Nr. 2 der Arbeitsgruppe beim Bundesminister der Justiz (Erster Teilbericht, 1974, S.26 und 55 f. mit Erläuterungen) war sogar ausdrücklich von einem „von der Verkehrsanschauung geprägten Leitbild" die Rede. Problematisch war hier nur die mangelnde normative Fundierung des Leitbildes.

428

§ 9 Das Leitbild eines nicht kodifizierten

b) Übergang zu differenzierteren Leitbildern

und engeren

Vertrags

typenspezifischen

Der Einsatz des Leitbildgedankens in der Kontrollpraxis der Gerichte, aber auch seine theoretische Ausformulierung in der Literatur vermögen - wie bereits angedeutet wurde - nicht in jeder Beziehung zu überzeugen. Verbreitet scheint insbesondere die Fehlvorstellung zu sein, die Leitbilddoktrin mache die gesetzlich geregelten Vertragstypen zum Maß aller Dinge und zwinge den Rechtsanwender zu einer Rechtsnaturbestimmung des jeweiligen Vertrages. 60 Zu den bereits skizzierten Bedenken gegenüber einer solchermaßen starren und undifferenzierten Handhabung der gesetzlichen Vertragsleitbilder gesellt sich ein weiterer gewichtiger Einwand. Die Ausdehnung der gesetzlichen Vertragsleitbilder auf gesetzesuntypische Verträge verbürgt nämlich keineswegs die optimale Verwirklichung des Gerechtigkeitsgehalts der gesetzlichen Dispositivordnung. „Gerecht" ist das dispositive Recht nämlich nur im Verhältnis von Entscheidung und dem zu entscheidenden Konflikt. 61 Ändert sich der Interessenkonflikt, so bedarf auch die Entscheidung der Uberprüfung. Die Vorstellung absoluter Gerechtigkeitsgehalte, die das dispositive Vertragsrecht verkörpere und die daher flächendeckend verbreitet werden müßten, stellt eine Vereinfachung dar, die diesem feinnervigen Wechselverhältnis nicht ausreichend Rechnung trägt. 62 Die aufgezeigten konzeptionellen und praktischen Schwächen der gegenwärtigen Leitbilddoktrin sprechen dafür, einigen möglichen Modifikationen, ja Kurskorrekturen näher zu treten. Diese müssen bereits bei der weithin akzeptierten Verknüpfung der Leitbildbestimmung mit der typologischen Qualifizierung des Vertrages, seiner Einordnung in das Raster der normativen Typenordnung, ansetzen. Denn diese Koppelung suggeriert, die einen Vertragstyp ausgestaltenden gesetzlichen Regeln konstituierten ein einheitliches Leitbild dieses Vertrages, ein Vertragsleitbild, das in seiner Ganzheit der Inhaltskontrolle nutzbar gemacht werden könnte. Sobald sich jedoch ein Vertrag der zwanglosen Einordnung in das gesetzliche Typenschema entzieht, weil er mehr als nur marginale Abweichungen von den im Gesetz geregelten Austauschformen aufweist, ist zumindest die Leitbildfunktion einzelner Dispositiworschriften des typologisch nächststehenden Vertragstyps in Frage gestellt. Dem Rechtsanwender, der sich hier auf eine vertragstypologische Qualifizierung festgelegt hat, fällt es von dieser Warte aus schwer, die Eigenheit des Vertrages zu erkennen und ihr gegebenenfalls durch Zurücknahme der gesetzlich für den typischen Fall vorgesehenen Lösung als Vergleichsmaßstab zu entsprechen. Die Einordnung steht - wie Oechsler zutreffend hervorgehoben hat - 6 3 von vornherein un6 0 Hiergegen zutreffend Fastrich, Inhaltskontrolle, S.282 in Auseinandersetzung mit DB 1988, 951 ff., dessen Kritik allerdings ebenfalls an diesem P u n k t einsetzt. 61 Schopp, D B 1978, 624. 62 Schopp, D B 1978, 624. 63 Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 304ff.

Lieb,

II. Leitbilder als Maßstab der

Inhaltskontrolle

429

ter einem Ähnlichkeitsvorbehalt. Dann erscheint es jedoch methodisch überzeugender, auf die problematische Rechtsnaturbestimmung zu verzichten. 64 Als Alternative bietet sich keineswegs nur die wegen ihrer mangelnden normativen Verankerung ebenfalls zweifelhafte Ausrichtung der Inhaltskontrolle an der Natur des Vertrages an.65 Ein wesentlicher Fortschritt wäre schon erzielt, wenn an die Stelle von „Vertragsleitbildern" enger dimensionierte gesetzliche Problemlösungen träten, die dann auf ihre Leitbildfähigkeit im Hinblick auf ein bestimmtes Teilproblem des zu beurteilenden Vertrages befragt werden könnten. An die Stelle eines problematischen Vorverständnisses von einer ausgeführten Sollensordnung des Vertrages sollte zunächst eine intensive Analyse des von den Parteien ins Werk gesetzten Vertrages treten. Seine Zwecksetzung, die involvierten wirtschaftlichen Interessen usw. gilt es zu Tage zu fördern. Der Gang der Prüfung muß am Problem ansetzen und sich von hier aus der Lösung zuwenden und nicht umgekehrt. 66 Für gesetzlich nicht geregelte, neuen Bedürfnissen entsprechende Verträge ist die Stärkung des Elements der Vertragsanalyse besonders dringlich. Von dieser Plattform aus kann sodann mit der Suche nach leitbildfähigen Normen begonnen werden. Ausgehend von einer konkreten, zur Uberprüfung gestellten Vertragsabrede ist das dispositive Recht nach vergleichbaren Teillösungen zu durchsuchen. In Betracht kommen Analogien zu einzelnen Vorschriften aus dem Recht der gesetzlich geregelten Verträge (Einzel- oder Gesamtanalogien). Leitbildfähige Problemlösungen können nicht selten - häufiger als angenommen - auch dem Allgemeinen Schuldrecht entnommen werden. Finden sich keine geeigneten Anknüpfungspunkte im dispositiven Gesetzesrecht, so geht die Aufgabe der Formulierung eines Vergleichsmaßstabs auf den Rechtsanwender über, wobei auch dieser Prozeß maßgeblich auf rechtlich begründeten Wertungen beruhen muß. Ziel ist es wiederum nicht, ein Leitbild des Gesamtvertrages (z.B. eines Automatenaufstellungsvertrages) zu entwerfen, sondern eine als Gerechtigkeitsmodell verwendbare Teillösung für eine begrenzte, durch den Vertrag aufgeworfene Thematik zu begründen. Das Plädoyer für eine Entkoppelung des Leitbilddenkens von der Rechtsnaturbestimmung des Vertrages und den Ubergang zu differenzierteren und engbegrenzten Leitbildern soll allerdings auf der anderen Seite nicht einer Atomisierung des Vertrages in dem Sinne Vorschub leisten, daß der rechtliche und wirtschaftliche Gesamtzusammenhang des Vertrages oder eines Netzverbundes verloren geht. 67 Dieser übergeordneten, sich aus einer einzelnen Vertragsbe-

64 Insoweit zutreffend Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S.296ff.; ebenso Staudinger-Coesier, §9 AGBG Rdnr. 182. Daß die rechtliche Bewältigung nicht kodifizierter Verträge hierunter nicht leiden muß, sondern im Gegenteil befördert werden kann, zeigt im übrigen eindrucksvoll die Analyse des Finanzierungsleasingvertrages durch Canaris, AcP 190 (1990), S. 41 Off., wenngleich auch er seine Ausführungen mit einer Rechtsnaturbestimmung meint abschließen zu müssen. 65 So aber Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 315 ff. 66 Im Grundsatz richtig Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, S. 324f. 67 So zutreffend Rohe, Netzverträge, S. 296.

430

5 9 Das Leitbild eines nicht kodifizierten

Vertrags

Stimmung nicht immer erschließenden Sinneinheit muß sich der Rechtsanwender bei seiner Suche nach leitbildfähigen Teillösungen stets aufs neue vergewissern. Die analytische Befassung mit dem jeweiligen Vertrag und die Prüfung der Leitbildfähigkeit einer Norm stehen somit in einer Korrelation, die vom Rechtsanwender - in Anlehnung an Engischs Subsumtionserklärung - 6 8 ein ständiges Hin- und Herwandern des Blicks zwischen dem Zweck des Vertrages und der als Leitbild in Erwägung gezogenen gesetzlichen Teillösung verlangt. c) Strukturierung

des Gangs der

Leitbildkontrolle

Dieser soeben in seinen Umrissen skizzierte Vorgang der Leitbildbestimmung markiert freilich nur den ersten Schritt auf dem Weg zu einem Urteil über die Angemessenheit einer vertraglichen Regelung. Er bedarf der Einbettung in ein Gesamtkonzept der Leitbildkontrolle. Die Kommentarliteratur zum AGBGesetz und die am Einzelfall orientierten Aussagen der Rechtsprechung haben hier bislang kein stringentes Konzept hervortreten lassen. Der Prüfungsvorgang wird gemeinhin nicht näher aufgeschlüsselt. Vielfach begnügt man sich gar mit der Aussage, die Unangemessenheit sei im Wege einer umfassenden Interessenabwägung zu ermitteln. Hierfür werden dem Rechtsanwender zwar Bewertungsrichtlinien oder -kriterien an die Hand gegeben; zwischen den Tatbestandsmerkmalen der „Benachteiligung" und der „Unangemessenheit" wird dabei jedoch nicht immer deutlich genug unterschieden.69 Einer transparenten und voraussehbaren Rechtsprechung auf diesem Gebiet ist dieser Zustand nicht eben zuträglich. Eine Konkretisierungshilfe bietet immerhin schon der Wortlaut des §9 Abs. 1 AGBG, indem er sich zur Umschreibung der Interventionsschwelle der Merkmale der „Benachteiligung" und der „Unangemessenheit" bedient. Beiden kommt im Rahmen der Wirksamkeitsprüfung eine durchaus eigenständige Bedeutung zu. Dies führt zu einer grundsätzlichen Zweistufigkeit des Prüfungsgangs, wie ihn ansatzweise bereits Fastrich beschrieben hat.70 In der ersten Station geht es um die Feststellung einer Benachteiligung. Eine solche Diagnose setzt - wie bereits erwähnt - begriffsnotwendig einen Bezugsrahmen, also einen rechtlichen Vergleichsmaßstab voraus. Diesen gilt es entsprechend den obigen Ausführungen im Hinblick auf die zu beurteilende Klausel unter möglichst enger Anbindung an normative Wertungen zu entwickeln. An diesem Leitbild wird sodann die den Gegenstand der Kontrolle bildende Vertragsbestimmung gemessen. Ergibt dieser Rechtslagenvergleich eine für den Engisch, Logische Studien, S. 15. Ulmer/Brandner/Merisen, §9 AGBG Rdnr.70f.; Wo///Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr.100; Schlosser/Coester-Waltjen/Grafci, §9 AGBG Rdnr.41; Locher, Recht der AGB, S. 141; Thamm/Pilger, § 9 AGBG Rdnr. 7f.; Schmidt-Salzer, AGB, Rdnr. F 32ff.; vorbildlich hingegen Staudinger-Coester, §9 AGBG Rdnr. 71 ff. und von Hoyningen-Huene, §9 AGBG Rdnr. 134ff. 70 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 280f.; zustimmend auch Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, S. 554. 68

69

II. Leitbilder als Maßstab der

Inhaltskontrolle

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Vertragspartner ungünstige Abweichung vom Leitbild, so ist eine Benachteiligung dargetan. Dieser Prüfungsschritt erschöpft sich in einer deskriptiven Feststellung, er ist noch wertneutral. 71 Das wertende Element verkörpert das Merkmal der Angemessenheit, das insoweit in enger und unauflöslicher Verbindung zum Gebot von Treu und Glauben steht. 72 Beide bilden eine Bewertungseinheit, der man die Aufforderung entnimmt, die Eignung der vertraglichen Gestaltung als Mittel zur Herbeiführung einer ausgeglichenen Interessenverteilung zu bewerten. 73 Dies drückt sich in der Formulierung der Rechtsprechung aus, wonach Unangemessenheit anzunehmen ist, wenn der Verwender mißbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen sucht, ohne dessen Interessen hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen. 74 In dieser zweiten Station geht es also um eine Interessenabwägung. Auch hier leistet eine Abschichtung der verschiedenen Arbeitsschritte einen Beitrag, die Konturen dieses Vorgangs deutlicher hervortreten zu lassen. 75 Der erste Akt ist wiederum deskriptiv-analytischer Natur. Es geht darum, die typischerweise 76 bei einem solchen Austauschverhältnis tangierten Interessen der Vertragsparteien zu identifizieren. Diese sind vielfältig und entziehen sich einer erschöpfenden Aufzählung. Die zutreffende Erfassung gelingt nur, wenn man den wirtschaftlichen Zweck der jeweiligen Vertragsgestaltung offenlegt. Erst jetzt ist der Weg bereitet für die Gewichtung und Abwägung der typischerweise betroffenen Interessen. In diesen Bewertungsakt fließt dann auch das Ergebnis der Benachteiligungsprüfung ein. Je stärker die Abweichung vom Leitbild, desto höher die Rechtfertigunganforderungen. 77 Eine nur geringfügige Benachteiligung ist nicht per se irrelevant; 78 doch kann die Unangemessenheit durch materiell Staudinger-Coerter, §9 AGBG Rdnr.71. Staudinger-Coester, § 9 AGBG Rdnr. 71 und 73. Nach von Hoyningen-Huene, § 9 AGBG Rdnr. 173 enthält der Begriff der Angemessenheit selbst hingegen keine Wertung. Erst das Gebot von Treu und Glauben liefere den Maßstab dafür, was unangemessen sei. Im Ergebnis dürfte sich freilich diese abweichende Funktionsbeschreibung kaum je auswirken. Zum Streit über die Funktion des Verweises auf Treu und Glauben in §9 Abs. 1 AGBG vgl. im übrigen Roussos, JZ 1988, lOOlf. 73 BGH NJW 1997,193 (195); Ulmet/Brandner/Hensen, § 9 AGBG Rdnr. 70; Schlosser/Coester-Waltjen/Gra^ii, §9 AGBG Rdnr.41. Der Streit, ob die Kontrollfrage positiv (so die oben Genannten) oder negativ zu formulieren ist - hierfür spricht entscheidend die Gesetzgebungsgeschichte (vgl. Staudinger-Coester, §9 AGBG Rdnr. 73 m.w.N. ) - , scheint eher von akademischem Interesse zu sein und die Praxis nicht zu beeinflussen. 74 So zuletzt BGH NJW 1999, 635 (636); zuvor schon BGH NJW 1984, 1531 (1532); 1993, 2738; 1997, 2598 (2599); sich anschließend Wo///Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr. 100 und Ulmet/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rdnr. 70. 75 Zur methodischen Grundstruktur der Interessenabwägung vgl. wiederum auch Staudinget-Coester, §9 AGBG Rdnr. 79. 76 Es herrscht eine generalisierende und typisierende Betrachtungsweise; näher hierzu Ulmer/ Brandner/Wensen, §9 AGBG Rdnr. 78; aus der Rechtsprechung B G H NJW 1997, 3022 (3024); 3372 (3374). 77 Ulmer/Brandner/Ylensen, §9 AGBG Rdnr. 141 m.w.N. 78 Anders die h.M. (Ulmet/Brandner/Hensen, §9 AGBG Rdnr. 73; Soergel-Ste;«, §9 AGBG 71

72

432

§ 9 Das Leitbild eines nicht kodifizierten

Vertrags

ansonsten weniger ins Gewicht fallende Interessen des Verwenders (z.B. Rationalisierungsinteressen) ausgeräumt werden. Dieser Wertungszusammenhang hat zur Folge, daß der Festlegung des den Vergleichsmaßstab verkörpernden Leitbildes großer Einfluß auf das Ergebnis der Inhaltskontrolle zukommt. Dies mahnt zur Gewissenhaftigkeit im Umgang mit Leitbildern. Ebenso wichtig ist es, bei atypischen Vertragsgestaltungen trotz des unter Umständen erheblichen Ausmaßes der Divergenz nicht vorschnell das Unangemessenheitsverdikt zu fällen. Vielmehr ist in Rechnung zu stellen, daß es in Konkurrenz zur gesetzlichen Regelung auch parteiautonom vereinbarte Alternativmodelle geben könnte, die das Ziel eines angemessenen Interessenausgleichs ebenfalls, nur auf einem anderen Wege, verwirklichen. Der hier vorgestellte Vorschlag einer Strukturierung der Leitbildkontrolle sollte geeignet sein, einer Vermischung der verschiedenen Argumentationsebenen entgegenzuwirken. Er versteht sich als ein die Transparenz und die Nachvollziehbarkeit des Kontrollvorgangs fördernder Rahmen. Zu konzedieren ist, daß sich die strikte Trennung der verschiedenen Lagen nicht immer durchhalten läßt. Als Problemfall kristallisiert sich auch hier die Inhaltskontrolle nicht kodifizierter Verträge heraus. Die vertragstypischen Interessen und ihre Bewertung durch das Recht prägen hier in starkem Maße schon die Entfaltung des Vergleichsmaßstabs, des vertragstypenspezifischen Leitbildes. Überlappungen mit der abschließenden Interessenabwägung sind hier vorgezeichnet. Insoweit sollte das hier entwickelte Schema als idealtypisches Modell verstanden werden, dem der Prüfungsgang möglichst weitgehend angenähert werden sollte.

III. Abgrenzung

der Funktionsbereiche

des §9

AGBG

Diese hier nur skizzenhaft ausgebreiteten Gedanken zur Rolle von Leitbildern im Rahmen der Inhaltskontrolle nicht kodifizierter Verträge sollen nachfolgend in das System der Inhaltskontrolle des AGB-Gesetzes integriert und ausgehend von den Vorgaben der Generalklausel des § 9 A G B G veranschaulicht werden.

Rdnr. 13; Wolf/Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr.114; von Hoyningen-Huene, §9 AGBG Rdnr. 143; Fastrich, Inhaltskontrolle, S.298ff.), die unter Hinweis auf das Gebot von Treu und Glauben geringfügige Beeinträchtigungen von vornherein ausgrenzen will, jedoch Schwierigkeiten hat, die massenhafte Zufügung eines Bagatellnachteils (z.B. Wertstellungspraxis der Banken) zu erfassen. Eher zustimmungsfähig ist der Vorschlag von Staudinger-Coester, §9 A G B G Rdnr. 71, die notwendige Grenzziehung als integralen Teil der Unangemessenheitsprüfung, also als wertende Ausgrenzung nur geringfügiger Beeinträchtigungen zu begreifen.

III. Abgrenzung der Funktionsbereiche

des §9 AGBG

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1. Die in §9 Abs. 2 AGBG genannten Fälle unangemessener Benachteiligung In den Nummern 1 und 2 des § 9 Abs. 2 A G B G werden dem Rechtsanwender zum Zwecke der Konkretisierung des Maßstabs der unangemessenen Benachteiligung gesetzliche Orientierungskriterien an die Hand gegeben. Diese gilt es daher in erster Linie in Augenschein zu nehmen. Hierbei interessieren zum einen ihre Stellung im Gesamttatbestand des § 9 A G B G und zum anderen die ihnen zugewiesenen Kompetenzfelder. Das Erkenntnisinteresse richtet sich dabei vor allem auf Aussagen zur gesetzlichen Grundlage für die Uberprüfung nicht kodifizierter Verträge. Richtet sich, so lautet die Kernfrage, die Kontrolle insoweit nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 A G B G oder nach dessen Nr.2?

a) Einordnung als in sich abgeschlossene Sondertatbestände der Inhaltskontrolle Vorangestellt seien zunächst einige Überlegungen zur systematischen Bedeutung der Anwendungsfälle des Absatzes 2 im Gesamtplan der Inhaltskontrolle. Absatz 2 besagt, daß eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen ist, wenn einer der unter den Nummern 1 und 2 umschriebenen Tatbestände verwirklicht ist. Kontrovers beurteilt wird seit jeher die Bedeutung des „im Zweifel"-Vorbehalts in § 9 Abs. 2 A G B G . Unklar ist vor allem, worauf sich diese Zweifelsregelung bezieht und welche methodischen Konsequenzen mit ihr verbunden sind. Der Begründung des Regierungsentwurfs eines AGB-Gesetzes 79 läßt sich immerhin entnehmen, daß nach der Vorstellung des Gesetzgebers das Vorliegen eines der Fälle des Absatzes 2 nicht eo ipso zur Unangemessenheit führen soll, sondern dem Klauselverwender die Möglichkeit offengehalten werden soll, besondere Gründe darzulegen, die den rechtlichen Bestand der betreffenden Bestimmung ausnahmsweise zu rechtfertigen vermögen. Vor diesem Hintergrund ist Absatz 2 gelegentlich als Beweislastregelung bezeichnet worden. 80 Aus ihr ergebe sich, daß der Verwender die Beweislast trage, wenn er das Fehlen einer unangemessenen Benachteiligung geltend machen wolle. Diese Sichtweise widerspricht jedoch gesicherten zivilprozessualen Erkenntnissen. 81 Gegenstand des Beweises sind grundsätzlich nur Tatsachen. 82 BT-Drucks. 7/3919, S.23. Löwe/Graf von Westphalen/Trinkner, §9 AGBG Rdnr.20; Wo///Horn/Lindacher, §9 AGBG Rdnr. 58 (Beweislastregelung in Form einer Vermutung); aus der vorgesetzlichen rechtspolitischen Diskussion vgl. etwa den diesbezüglichen Vorschlag von Wolf, JZ 1974, 42f. 81 Wie hier ablehnend auch Becker, Auslegung des § 9 Abs. 2 AGBG, S. 37ff.; Staudinger-Coester, §9 AGBG Rdnr. 162; Staudinger-ScWosser, 12. Aufl. 1980, §9 AGBG Rdnr. 19; Schlosser/ Coester-Waltjen/Graba, §9 AGBG Rdnr. 60; von Hoyningen-Huene, §9 AGBG Rdnr. 237; Schmidt-Salzer, AGB, Rdnr. F 46; kritisch schon de lege ferenda Kötz, Verhandlungen des 50. DJT, Gutachten, S. A 65. 82 MünchKommZPO-Prätti'rcg, §284 ZPO Rdnr. 40; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, §113 I, S.645. 79 80

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§9 Das Leitbild eines nicht kodifizierten

Vertrags

Sowohl die Darlegungs- als auch die Beweislast beschränken sich auf die Entscheidung, zu wessen Lasten sich mangelnder Tatsachenvortrag bzw. die Nichterweislichkeit einer Tatsache auswirkt. Rechtliche Wertungen - wie z.B. das Unangemessenheitsurteil in § 9 Abs. 2 A G B G - oder Interessenabwägungen, die einer rechtlichen Wertung zugrunde liegen, sind revisible 83 Rechtserkenntnisakte, die einem Beweisverfahren verschlossen sind. Ein rechtliches „non-liquet" ist stets vom Richter zugunsten einer abschließenden Wertung und Entscheidung zu überwinden. 84 Aus dem gleichen Grunde bestehen Bedenken, die Tatbestände des § 9 Abs. 2 A G B G als (widerlegbare) Unwirksamkeitsvermutungen zu deuten. 85 Denn auch diese Begrifflichkeit entstammt dem auf die Feststellung entscheidungserheblicher Tatsachen ausgerichteten Beweisrecht. 86 Selbst wenn man die Unwirksamkeitsvermutung nicht als Tatsachen-, sondern als Rechtsvermutung qualifizieren wollte, setzte man sich in Widerspruch zum Wesen der gesetzlichen Rechtsvermutung. Diese zielt nämlich nur auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechts oder Rechtsverhältnisses, keinesfalls aber auf die Feststellung von Rechtsfolgen oder allgemein auf die Konkretisierung wertausfüllungsbedürftiger Tatbestände. 87 Vorherrschend ist heute die Interpretation der Tatbestände des Absatzes 2 als gesetzliche Regelbeispiele. 88 Die gesetzliche Formulierung „im Zweifel" sei im Sinne von „in der Regel" zu lesen, was bedeute, daß die Tatbestandserfüllung die „unangemessene Benachteiligung" indiziere. Nur wenn bestimmte Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß die gesetzliche Regelwertung dem konkreten Einzelfall nicht gerecht werden könne, habe der Richter in eine eigenständige Prüfung der Frage einzutreten, ob die gegenüber dem Regelfall vorliegenden Besonderheiten geeignet sein könnten, das Unangemessenheitsurteil entfallen zu Ulmer/Brandner/Mensen, §9 AGBG Rdnr.56. Becker, Auslegung des §9 Abs. 2 AGBG, S.38. 85 So aber Erman-H. Hefermehl/Werner, §9 AGBG Rdnr.20; Soergel-St«'», §9 AGBG Rdnr. 31; Thamm/Pilger, § 9 AGBG Rdnr. 9; Koch/Stübing, §9 AGBG Rdnr. 33; zu Recht ablehnend Becker, Auslegung des § 9 Abs. 2 AGB-Gesetz, S. 39ff.; von Hoyningen-Huene, § 9 AGBG Rdnr.238; Staudinger-Coesi