Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung: Band 2 §§ 131–275 und Ausführungsbestimmungen [Reprint 2020 ed.] 9783111586007, 9783111212616


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German Pages 850 [867] Year 1932

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Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung: Band 2 §§ 131–275 und Ausführungsbestimmungen [Reprint 2020 ed.]
 9783111586007, 9783111212616

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Am Schluffe dieses Bandes befindet sich ein „Nachweis wichtiger Gesetzes ausa ab en", in dem die meisten Bände der jetzt über 240 Nummern umfassenden

Guttentagschen Sammlung Deutscher Reichs- uns Preußischer Gesetze || I

I

sowie grössere und kleinere Kommentare, Sehrbücher, Sammelwerke, Gntscheiöungssammhingen

und

Zeitschriften

verzeichnet

sind.

«Kuttentagsche Sammlung Ar. 165a Deutscher Retchsgeseye Ar. 165a Kommentare und erläuterte Textausgaben

Gesetz über

Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Erläutert von

Dr. jur. Herbert Schmeißer Oberregierungsrat im Sandesarbeitsamt Pommern

2. B a N ö:

§§ 131—275 und Ansführungsbefttmmnngen

Berlin und Leipzig 1932

Walter d e H r uyter & G o. vormals G. I. Höschen'sche Verlagshandlung — H. Huttentag, Verlags­ buchhandlung — Seorg Reimer — Karl H. Trübner — Veit & Somp.

Archiv-Nr. 211 319

Inhaltsverzeichnis des zweiten Bandes. Stile

Vierter Abschnitt. Maßnahmen zur Verhütung und Beendigung der ArbeitSlofigkeit.

§§ 132—141 ................................................................. 641

Fünfter Abschnitt. Aufbringung der Mittel. §§ 142—167 ................................................................. 689 Sechster Abschnitt. Verfahre«.

A. Unterstübungsverfahren. §§ 168—186 .................................................................

760

B. Verfahren in sonstigen Angelegenheiten. §§ 187—194 ................................................................. 860 0. Gemeinsame Vorschriften. §§ 195—201 .................................................................

868

Siebenter Abschnitt. Allgemeine Bestimmungen. §§ 202—219 ................................................................. 882 Achter Abschnitt. Übergangsbestimmungen. §§ 220—246 ................................................................. 910

Neunter Abschnitt. Strafbestimmungen. 88 247—275 ............................................. 957

¥1

Inhaltsverzeichnis.

ArrSführrrrrgSbesttrrrmrrrrgen. 1. Verordnung zur Ausführung des ABAVG. Vom 29. September 1927.............................

989

2. Anordnung über die Rückübertragung von Aus­ gaben der Reichsarbeitsverwaltung auf das Reichsarbeitsministerium. Vom 8. August 1927

1003

3. Verordnung über den Übergang von Aufgaben der Reichsarbeitsverwaltung auf das Statistische Reichsamt. Botn 21. August 1927 .................

1006

4. Satzung fccr Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Vom 15. Roöember 1929 .................................

1007

Entschädigungsgrundsätze für die Beisitzer von Organen, Fachausschüssen und Spruchausschüssen. Vom 23. Juni 1932*...............................................

1013

5. Verordnung über Geschäftsführung, Gebühre:: und Beaufsichtigung nichtgewerbsmäßiger Ein­ richtungen zur Arbeitsvermittlung und Berufs­ beratung außerhalb der Reichsanstalt für Arbeits­ vermittlung und Arbeitslosenversicherung. Vom 29. September 1927 ...............................................

1015

6. Bestimmungen zur Durchführung der Verordnung des Reichsarbeitsministers vom 29. September 1927 (Nr. 6). Vom 30. September 1927 . .

1022

7. Verordnung über seemännische Heuerstellen. Vom 'November 8. 1924 ...................................................

1024

8. Allgemeine Bestimmungen über die Durch­ führung der den Arbeitsnachweisämtern über­ tragenen Aussicht über die gewerbsmäßigen Stellenvermittler. Vom 28. April 1923 ....

1031

Inhaltsverzeichnis.

VII Seite

9. Erlaß über Arbeitsvermittlung und Arbeits­ losenunterstützung für ehemalige Soldaten. Vom 8. Marz 1930 .......................................................

1036

10. Bestimmungen über Angestelltenvermittlung. Vom 17. Juni 1924 ........................................... 1043

11. Allgemeine Bestimmungen für die Berufs­ beratung und Lehrstellenvermittlung bei den Arbeitsnachweisämtern. Vom 12. Mai 1923 .

1048

12. Vorschriften über Meldungen bei Streiks und Aussperrungen. Vom 17. November 1922 . .

1053

13. Verordnung über die Anwerbung und Ver­ mittlung ausländischer Landarbeiter. Vom 19. Oktober 1922/2. Januar 1923 ....................

1055

14. Arbeitsvertrag für ausländische landwirtschaftliche Wanderarbeiter...........................................................1059 15. Verordnung über die Einstellung und Beschäfti­ gung ausländischer Arbeiter. Vom 2. Januar 1926 ......................................................................

1065

16. Gebührenordnung für die Genehmigung zur Beschäfttgung ausländischer Arbeiter. Vom 28. September 1927 ...........................................

1079

17. Verordnung über Anwerbung und Vermittlung von Arbeitnehmern nach dem Ausland. Vom 4. Oktober 1923/23. Juli 1924 ........................

1080

18. Verordnung über die Befreiung polnischer landwirtschaftticher Wanderarbeiter von der Pflicht zur Arbeitslosenversicherung. Vom 15. Dezember 1927 ...................................................................... 1089

VIII

Inhaltsverzeichnis.

19. Verordnung über die Arbeitslosenversicherung unständig beschäftigter Hafenarbeiter. Vom 23. Oktober 1930 ...................................................

1091

20. Verordnung über die Arbeitslosenversicherung von Hausgewerbetreibenden und Heimarbeitern. a) Vom 19. März 1932 ........................................ b) Vom 18. Oktober 1930 ....................................

1108 1109

21. Verordnung über die freiwillige Weiterversiche­ rung gegen Arbeitslosigkeit. Vom 30. September 1927 .......................................................................

1121

22. Verordnung zur Förderung der Arbeitsaufnahme. Vom 30. September 1927 .....................................

1126

23. Richtlinien zur Förderung der Arbeitsaufnahme. Vom 17. September1930 .....................................

1130

24. Richtlinien zur Durchführung beruflicher Bildungsmaßnahmen für Arbeitslose. Vom 17. September 1930 ...........................................

1142

25. Richtlinien des Verwaltungsrats der Reichs­ anstalt über die Förderung von Maßnahmen der wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge mit Mitteln der Reichsanstalt (Richtlinien über Grundsörderung). Vom 28. März 1928 ....

1151

26. a) Verordnung über Darlehen und Zinszuschüsse des Reichs und der Länder für öffentliche Notstandsarbeiten (Verordnung über verstärkte Förderung). Vom 29. März 1928 ....................

1198

b) Richtlinien für die Gewährung von Darlehen der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Arbeiten A.-G. Vom 13. Juni 1931 .....

1211

c) Verordnung über die Durchführung öffent­ licher Arbeiten. Vom 16. Juni 1932 ................

1219

Inhaltsverzeichnis.

IX

Seite 27. Bestimmungen über die Förderung des Baues von Landarbeiterwohnungen mit Mitteln der wertschaffenden Arbeitslosenfürsorge. Vom 4. Juni 1928...............................................................

1222

28. a) Verordnung über die Einziehung der Beiträge zur Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Vom 12. August 1930 / 11. September 1931 ...............................................

1238

b) Wgabe zur Arbeitslosenhilfe: Verordnung über die Abgabe zur Arbeitslosen­ hilfe, soweit sie von den Krankenkassen, der Reichsknappschaft, der See-Krankenkasse und den Ersahkassen eingezogen wird. Vom 18. Juni 1932

1247

29. Verordnung über die Abführung von Beiträgen durch Zweigstellen von Krankenkassen an die Reichsanstalt. Vom 19. September 1927 . . .

1260

30. Verordnung über die Vergütung der Einzugs­ stellen der Reichsanstalt. Vom 27. Dezember 1928

1251

31. Verordnung über den Wanderschein für Arbeits­ lose. Vom 30. März 1928 ..................................

1263

32. a) Sonderregelung für den Fall der berufs­ üblichen Arbeitslosigkeit. Vorbemerkung....

1263

b) Verordnung über berufsübliche Arbeitslosigkeit. Vom 18. November 1929 .......................................

1274

c) Anordnung über berufsübliche Arbeitslosigkeit. Vom 18. November 1929 ......................................

1282

(1) Ausführungsbestimmungen zur Sonder­ regelung für den Fall der berufsüblichen Arbeits­ losigkeit. Vom 18. November 1929......

1294

X

Inhaltsverzeichnis.

33. Verordnung über die Srisenfürsorge für Arbeits­ lose. Vom 23. Oktober 1931 ..............................

1301

34. Erlaß über die Krisenfürsorge für Arbeitslose. Boin 17. Juni 1932 ..........................' . . . . 1301 35. Verordnung über Kurzarbeiterunterstützung. Vom 27. August 1931 /1. Juli 1932 . ......................

1330

36. a) Verordnung über den freiwilligen Arbeits­ dienst. Vom 16. Juli 1932 ..................................

1364

b) Verordnung über das Inkrafttreten der Ver­ ordnung Nr. 36 a. Vom 2. August 1932 . . .

1368

c) Ausführungsvorschriften zur Verordnung über den freiwilligen Arbeitsdienst. Vom 2. August 1032 .....................................

1368

d) Beschluß zur Durchführung des § 20 Abs. 5 der Ausführungsvorschriften Nr. 36 c. Vom 3. August 1932 . . . '..............................................

1378

37. Verordnung zur vorpädtischen Kleinsiedlung und Bereitstellung von Kleingärten für Erwerbslose. Vom 23. Dezember 1931 ......................................

1378

38. Verordnung über arbeitslose landwirtschaftliche Siedlungsanwarter. Vom 18. Februar 1932 .

1381

39. Erlaß über die Berechnung der Beiträge zur Krankenversicherung der Arbeitslosen. Vom 20. Juni 1932 ...........................................................

1385

Anhang. 1. Gesetz über die Fristen für die Kündigung von Angestellten. Vom 9. Juli 1928 ..........................

1387

Inhaltsverzeichnis.

XI

Seite 2. Verordnung zur Regelung der sozialen Ver­ sicherung der bei Reparationsarbeiten im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer. Vom 10. Juli 1929/4. November 1930 ......................................

1388

3. Verordnung über das Inkrafttreten einzelner Bestimmungen des AVAVG. Vom 8. August 1927 ............................................................................

1390

Vom 2. Juni 1910 . .

1391

4. Stellenvermittlergeseh.

Sachverzeichnis........................................................... 1398

Der 3eite Band gibt den Nechtszustand vom Juli 19 32 wieder.

Xll

Schrifttum. Scholz-Herrnpadt, Wertschaffende Arbeitslosensürsorge.

Bernau.

W i l h e l m i, Wertschaffende Arbeitslosensürsorge. Berlin. Im übrigen ist daS Sonderschrifttum bei den einzelnen AuSsührungSvorschriften angeführt.

Die Anführung einer AuSführungsvorschrist in der Form „vgl. BO. III ..weist auf die Nummer hin, unter der die betreffende Vorschrift im III. Teile (©. 989 ff.) abgedruckt ist.

Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung und Beendigung der Arbeitslosigkeit. Vorbemerkung. Die wichtigste Aufgabe des Arbeitsamts ist die Ver­ mittlung in Arbeit des freien Marktes. Durch sie wird in erster Linie die Arbeitslosigkeit verhütet und beendigt. Deshalb muß das Gesetz den Arbeitsämtern Möglichkeiten an die Hand geben, die Arbeitsvermittlung auf jede geeignete Weise zu fördern und Arbeitsstellen oder den Arbeitslosen selbst vermittlungs­ reif zu machen. Diesem Zwecke dienen die Besttmmungen der §§ 131 ff. Maßnahmen, die der Überführung städtischer Arbeits­ loser in die Landwirtschaft, der Arbeitsunterbringung älterer Arbeitnehmer oder arbeitsloser Jugendlicher dienen, sind bevorzugt zu fördern. Mittel der Reichsanstalt dürfen aber nicht aufgewandt werden, wenn der Arbeitslose die Mittel selbst aufbringen kann oder wenn es üblich oder angemessen erscheint, daß der Arbeitgeber die Kosten übernimmt. Ebenso dürfen Mittel für die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit nicht gewährt werden. Ob im übrigen die Leistungen als Zuschuß oder Darlehen zugebilligt werden, entscheidet der Vorsitzende des Arbeitsamts. Bei Arbeits­ ausrüstung (§ 135) dürfen nur Darlehen gewährt werden. Soweit die Vermittlung in freie Arbeit nicht möglich ist, sotten die Arbeitslosen wenigstens bei N o t st a n d s a r b e i t e n be­ Die Bestimmungen über die wett­ schäftigt werden (§ 139). schaffende Arbeitslosenfürsorge sehen wie bisher bei der produktiven Erwerbslosenfürsorge Zuschüsse und Darlehen als Grundförderung, für besonders wettvolle Arbeiten darüber hinaus Darlehen als verstärkte Förderung vor. S ch m e 1 ß e r, Arbeitslosenversicherung.

41

642

Vierter Abschnitt. Maßnahmen zur Verhütung

§ 131. Arbeitslosigkeit wird in erster Linie durch Vermittlung x) von Arbeit verhütet und beendigt. 1. § 131 enthält die programmatische Erklärung, daß die Arbeitslosigkeit durch Arbeit verhütet oder, wenn das nicht möglich gewesen und Arbeitslosigkeit eingetreten ist, durch Vermittlung in Arbeit beendigt werden soll. Hilfsweise, erst wenn Arbeit nicht nachgewiesen werden kann, tritt die Unter­ stützung ein. Eine der Hauptaufgaben der Reichsanstalt ist es deshalb, die Arbeitsämter als die ausführenden örtlichen Stellen so aufund auszubauen, daß sie zu leistungsfähigen Gebilden werden und erfolgreich Arbeitsvermittlung treiben können. Je besser das Arbeitsamt gerade auf dem Gebiete der Arbeitsvermittlung arbeitet, um so weniger Arbeitslose wird es — in normalen Zeiten — haben. Denn die rasche und gute Arbeitsvermittlung verhütet von vornherein die Arbeitslosigkeit. Hat sie sich aber nicht vermeiden lassen, dann muß das Arbeitsamt versuchen, sie so bald als möglich durch Nachweis geeigneter Arbeit zu beenden. Dabei hat die Arbeitsvermittlung dahin zu wirken, daß freie Stellen durch möglichst geeignete Arbeitskräfte besetzt werden (§ 58). Sie hat unentgeltlich und unparteiisch, insbesondere ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu einer Bereinigung, zu erfolgen (§§ 59, 60). Bei Aussperrung oder Ausstand ist der Grundsatz der Neutralität zu beobachten und die Vermittlung nur dann vorzunehmen, wenn sie trotz Hinweis auf den bestehenden Arbeitskampf verlangt wird (§ 63). Zur Förderung der Arbeitsaufnahme hat der Verwaltungsrat unterm 30. September 1927 eine besondere VO. erlassen, abgedr. und erläut. III 22, und sie durch die bindenden Richtlinien vom 17. September 1930 (abgedr. III 23) ergänzt, über die Leistungen der §§ 132—136 hinaus kann Arbeitslosen im Alter von über 30 Jahren zum Abschluß einer Kautionsversicherung ein zinsloses Darlehen gewährt werden, wenn die Arbeitsaufnahme von einer Kautionsleistung abhängig gemacht wird, und weiter in den Fällen, in denen die Arbeitsaufnahme daran zu scheitern droht, daß dem Arbeitsuchenden die Bestreitung des Lebensunterhalts

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

88 181, 132.

643

bis zur ersten Gehalts- oder Lohnzahlung unmöglich ist, ein zins­ loses Darlehen bewilligt werden (vgl. die Richtlinien unter IIIE, abgedr. III, 23).

§ 132. (1) Weisen x) *) Empfänger von Arbeitslosen­ unterstützung s) nach, dab sie auberhalb4) ihres bis­ herigen Aufenthaltsorts Arbeit im Inland *) ange­ nommen haben, so fann •) der Vorsitzende des zu­ ständigen 7) Arbeitsarnts (§ 168) die Kosten der Reise8) •) nach dem Arbeitsort aus Mitteln der Reichsanstalt ganz oder teilweise bestreiten, soweit es nicht üblich ist oder angemessen 2) erscheint, dab der Arbeitgeber die Kosten übernimmt und Arbeit in gröberer Nähe nicht vor­ handen ist. (2) Für Familienmitglieder10) des Arbeitslosen, die zu seiner häuslichen Gemeinschaftn) gehören, kanne) der Vorsitzende des Arbeitsaints die Reisekosten aus Mitteln der Reichsanstalt ganz oder zum Teil bestreiten, wenn diese Familienmitglieder zur Fortsetzung der häuslichen Gemeinschaft in den Arbeitsort mitreisen oder folgen4) und ihre Unterkunft n) dort gesichert ist. (3) Der Verwaltungsrat der Reichsanstalt besttmmt, ob und inwieweit bei Annahme einer Arbeit in benach­ barten 1S)") Staaten die Kosten der Reise aus Mitteln der Reichsanstalt bestritten werden dürfen. Anordnungen dieser Art bedürfen der Zustimmung des Reichsarbeitsrninisters. 1. Bei der infolge des Kriegs und seiner wirtschaftlichen Nachwirkungen eingetretenen Umschichtung der Bevölkerung und des für viele Berufe völlig umgestalteten Arbeitsmarktes ist es zahlreichen Arbeitnehmern nicht mehr möglich, in ihrem Wohnorte im gelernten Berufe Arbeit zu finden. Sie sind deshalb vielfach gezwungen, Arbeit außerhalb anzunehmen. Auf der anderen Seite ist es Aufgabe des Arbeitsamts, wenn ganze Industrie­ zweige der Wirtschaftskrise erlegen sind, voraussichtlich nicht wieder

41*

644

Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

emporkommen und nun die Arbeitskräfte brach liegen, diese im Wege der Umsiedlung nach Bedarssgebieten zu verpflanzen. Beide Fälle sind bezüglich der Leistungen des § 132 gleichmäßig zu be­ handeln, wenn auch § 132 nur den ersten Fall ausdrücklich ansühtt.

2. Hat ein Arbeitsloser eine Stelle auswärts angenommen, so kann ihm nicht immer zugemutet werden, da- Reisegeld zur Arbeitsaufnahme auf sich zu nehmen. Daß der Arbeitgeber die Reiselosten trägt, wird sich in manchen Fällen erreichen lassen, z. B. wenn es sich um Facharbeitskräfte handelt. In einzelnen Beschäftigungszweigen, insbesondere in der Landwirtschaft, ist es in vielen Teilen Deutschlands von jeher üblich gewesen, daß der Arbeitgeber die Reiselosten trägt. Höher bezahlten Angestellten wird man im allgemeinen zumuten können, das Reisegeld selbst aufzubringen. Wo es aber weder üblich noch angemessen erscheint, die Reiselosten selbst zu ttagen, sollen die Arbeitsämter dazu berechtigt sein, sie ganz oder teilweise auf die Mittel der Reichs­ anstalt zu übernehmen. Sie haben nach pslichtmäßigem Ermessen zu entscheiden, ob eine derattige Beihilfe im Einzelfalle geboten erscheint. Dabei muß jedoch vermieden werden, daß Mißbrauch getrieben wird und der Arbeitslose zwecklos im Lande herumreist. Deshalb darf die Beihllfe nur dann gewähtt werden, wenn der Arbeitslose nachweist, daß er außerhalb des bisherigen Aufenthalts­ ortes die Arbeit bereits angenommen hat, und das Arbeitsamt feststellt, daß es ihm Arbeit am Orte oder in größerer Nähe nicht hätte nachweisen können. Zur Arbeitssuche dürfen die Reise­ kosten nicht gewährt werden (vgl. jedoch wegen Ausstellung eines WanderscheinS § 169), zur Vorstellung nur Arbeitnehmern über 30 Jahren. Der Nachweis wird im allgemeinen nur schriftlich geführt werden können, da er als Beweismittel dienen soll. Als Nachweis kommen in Betracht: schriftliche Bestätigung des Arbeitgebers über die Einstellung des Arbeitslosen, schriftlicher Arbeitsvettrag usw. Bei der Prüfung des Falles wird auch die Vertrauenswürdigkeit des Arbeitslosen eine erhebliche Rolle spielen (Begr. zu § 116, S. 108). Das Arbeitsamt kann von sich aus Ermittlungen über die auswärtige Arbeitsstelle nach § 171 vornehmen.

und Beendigung der Arbeitslosigkeit. § 132,

645

Für kurzfristige Arbeitsverhältnisse dürfen Reisekosten im allgemeinen nicht gewährt werden, ebensowenig für Saison­ arbeiter. Im einzelnen vgl. die vom Verwaltungsrat erlassenen bindenden Richtlinien zur Förderung der Arbeitsaufnahme vom 17. Sep­ tember 1930, abgedr. III 23.

3. Entsprechend dem Grundsatz: Leistung — Gegenleistung kann die Beihilfe nur Empfängern von Arbeitslosenunterstützung gewährt werden. Arbeitslosen, die nicht unterstützt werden, oder Arbeitnehmern, die sich in ihrer Arbeitsstelle verändern wollen, kann sie dagegen nicht -ugebilligt werden. Doch läßt § 140 gewisse Ausnahmen für die ersteren zu. Der Verwaltungsrat der Reichs­ anstalt kann bestimmen, ob und inwieweit den in §§ 132 ff. ge­ nannten Empfängern von Arbeitslosenunterstützung Arbeitslose gleichgestellt werden können, die aus bestimmten Gründen keine Arbeitslosenunterstützung erhalten. In Ausführung dieser Vor­ schrift hat der Verwaltungsrat in Art. 3 der VO. vom 30. September 1927 lRABl. I S. 444, abgedr. III 22) und in Ziff. II der Richtlinien 6.1132 den Empfängern von Arbeits­ losenunterstützung für die §§ 132 bis 135, 140 gleichgestellt:

a) Arbeitslose, denen nur deshalb keine Arbeitslosenunterstützung gewährt wird, weil die Wartezeit nach § 110 noch nicht ab­ gelaufen ist; b) Arbeitslose, denen nur deshalb keine Arbeitslosenunterstützung gewährt wird, weil sie infolge jugendlichen Alters die Voraus­ setzungen für den Empfang der Arbeitslosenunterstützung nicht erfüllen konnten; zum Zwecke des Antritts einer ordnungsmäßigen Lehre können sie jedoch Leistungen auf Grund der §§ 132 bis 137 nur mit Zustimmung des Vorsitzenden des Landesarbeitsamts erhalten.

Sonstige Arbeitslose, denen nur deshalb keine Arbeitslosen­ unterstützung gewährt wird, weil sie die Anwartschaftszeit (§ 95) noch nicht erfüllt haben oder ihr Anspruch nach § 99 erschöpft ist, die aber nicht Empfänger von Krisenunterstützung sind, können den Empfängern von Arbeitslosenunterstützung nur für die An-

646

Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

Wendung des Z 132 Abs. 1 und 3 und der 88 134,135 Sah 1 gleich­ gestellt werden. Soweit die Aufwendungen im Einzelfalle das Dreißigfache der Unterstützung (8 103) übersteigen, bedarf der Vorsitzende des Arbeitsamts der Zustimmung des Vorsitzenden des Landesarbeits­ amts, vgl. Art. 2 der Verordnung vom 30. September 1927. Wegen der Anwendung der Vorschriften der 88 132 ff. auf die Krisenunterstützungsempfänger vgl. 8 141.

4. Ter Arbeitslose muß die Arbeit außerhalb seines bisherigen Aufenthaltsortes angenommen haben. 8 432 Abs. 2 gilt aber auch, wenn er die Arbeitsstelle am Aufenthaltsort gewechselt hat und seine Angehörigen nun erst nachkommen läßt. Wenn jedoch nach 8 133 die Übersiedlung der Angehörigen nicht möglich war und wegen des doppelten Haushalts die Familienzuschläge bewilligt worden waren, so können sie auch weitergewährt werden, wenn der Arbeitslose die Arbeitsstelle am Aufenthaltsort wechselt, soweit es noch erforderlich erscheint. ü. Wegen Annahme von Arbeit im Auslande vgl. Abs. 3. 6. Nach pflichtmäßigem Ermessen. Ter Vorsitzende wird hierbei in erster Linie die Entlastung zu berücksichtigen haben, welche die Versicherung durch die Vermittlung nach auswärts erfährt, dann aber auch den wirtschaftlichen und sittlichen Wert, den der Antritt einer Beschäftigung für jeden Arbeitslosen und für die Gesamtheit hat (Begr. zu8 116, S. 108). Die Gewährung des Reisegeldes ist demnach keine Pflicht-, sondern eine Mehr­ leistung der Versicherung. Ein Rechtsanspruch darauf besteht nicht. Die Frage, ob gegen die Versagung dieser Beihilfen Einspruch zulässig ist, war bereits nach dem bisherigen Recht zu bejahen (vgl. Schmeißer, Handbuch S. 375). Jetzt ist diese Möglichkeit gesetzlich festgelegt. Um das zum Ausdruck zu bringen, ist an Stelle des „Arbeitsamts" — wie im Entwürfe vorgesehen — auf Zeile 4 „der Vorsitzende des Arbeitsamts" gesetzt worden. Gegen Er­ mächtigungsentscheidungen des Vorsitzenden ist aber nach 8 187 Einspruch zulässig. Außerdem ist zur weiteren Klarstellung der Abschnitt B: Verfahren in sonstigen Angelegenheiten (§§ 187 bis 194), der int Entwurf im vierten Abschnitt enthalten war, in

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

8 132.

647

den sechsten gerückt worden, so daß er sich auf aNe vorhergehenden Vorschriften, für die keine besonderen Berfahrensvorschriften gegeben sind, bezieht (Bericht S. 150, 258). Der Einspruch ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungs­ ausschuß des Arbeitsamts einzulegen (§ 187). Sofern aber der Vorsitzende des Arbeitsamts der Zustimmung des Vorsitzenden des Landesarbeitsamts bedarf (vgl. Anm. 3 Abs. 3; 14), geht die erst­ instanzliche Entscheidung praktisch auf diesen über, so daß der Ein­ spruch nach § 189 an den Verwaltungsausschuß des Landesarbeits­ amts geht. (Präs. II13/75 vom 11.Juli 1931, Dienstl.Mitt. 70/31.) Zweifelhaft war bisher, ob die Vertreter der öffentlichen Körper­ schaften im Hinblick auf § 200 Abs. 1 bei diesen Entscheidungen mitwirken durften. Der RAM. hat nach § 200 Abs. 2 dahin ent­ schieden (IV a 3484/30 vom 10. April 1930, Dienstl. Mitt. 35/30), daß Maßnahmen nach den §§ 132 bis 140 nicht zum Gebiet der Arbeitslosenversicherung gehören. Demnach können nunmehr die Vertreter der öffentlichen Körperschaften mitstimmen. Bei der Be­ ratung des Gesetzes hatte der Regierungsvertreter den entgegen­ gesetzten Standpunkt vertreten (vgl. Bericht S. 155).

7. Regelmäßig das Arbeitsamt des Wohn-, gegebenenfalls des Aufenthaltsorts (§ 168 Abs. 1). 8. Besteht nicht in der Aushändigung von Reisegeld. Mit der Reichsbahn ist die Verwendung von Gutscheinen zu ver­ einbaren. Die „Kosten der Reise" umfassen auch Zehrgeld bei längerer Reise und notfalls eine Umzugs b e i h i l f e , wenn der Umzug durch die auswärtige Arbeitsaufnahme veranlaßt wird. Reisekosten, Zehrgeld und Umzugsbeihilfe dürfen nur dann gewährt werden, wenn der Arbeitslose nicht in der Lage ist, sie selbst zu tragen. Im einzelnen vgl. die Richtlinien (III 23) unter IIIA 9 ff. 9. Die freie Fahrt darf nur zur ersten Reise in den Be­ schäftigungsort gewährt werden. Da es sich hierbei um eine Mehr­ leistung handelt, kann der Vorsitzende, um zugleich Mißbrauch zu vermeiden, an die Gewährung des Reisegeldes die Bedingung knüpfen, daß es zurückzuzahlen ist, wenn der Arbeitslose nicht eine bestimmte Zeit in der neuen Stelle aushält. Für die Rückreise

648

Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

darf das Fahrgeld nicht bewilligt werden. Hier kann im Notfälle nur das WohlfahttSamt helfen. Für Reisen zum Zwecke des Besuchs der Angehörigen dürfen Mittel der Reichsanstalt nicht gegeben werden.

Pendelarbeitern, d. h. solchen Arbeitern, die täglich nach ihrer Arbeitsstelle fahren, darf das Fahrgeld nicht gewähtt werden.

Der Anttag: „Reisekosten sind an Arbeitslose nicht zu erstatten, wenn die Arbeitsstelle durch Ausstand oder Aussperrung frei geworden ist", ist im 9. Ausschuß abgelehnt worden (Bericht S. 151).

10. Der Begriff „Familienmitglieder" ist weiter als der der zuschlagsberechtigten Angehörigen nach den §§ 133, 103. Er um­ faßt alle in der häuslichen Gemeinschaft des Arbeitslosen lebenden Familienmitglieder ohne Rücksicht darauf, ob Unterhaltsansprüche bestehen oder verwirklicht worden sind. Diese weitere Auslegung ist darin begründet, daß dem Arbeitslosen die Aufnahme von Arbeit möglichst erleichtert werden soll und er auch nicht durch häusliche Verhältnisse daran gehindett werden soll; z. B. die lranle Frau des Arbeitslosen wird von deren Schwester gepflegt; für sie lönnen ebenfalls Reisekosten bewilligt werden. Im übrigen vgl. die Richtlinien des Verwaltungsrats unter IIIB (abgedr. III 23). 11. Wegen des Begriffs „häusliche Gemeinschaft" vgl. Anm. 6 zu § 72. 12. Den Nachweis, daß die Unterkunft gesichert ist, muß der Arbeitslose erbringen. Auch hier soll zweckloses Umherreisen vermieden werden. 13. Es ist nicht Aufgabe der Arbeitslosenversicherung, mit ihren Mitteln die Auswanderung zu fördern. Besonders zweifelhaft ist cd auch, ob die vorübergehende Entlastung des Arbeitsmarktes nicht ausgewogen wird durch vielleicht endgültigen Verlust hochwettiger Arbeitskräfte. Deshalb beschränkt Abs. 3 die Ge­ währung der Reisekosten bei Arbeitsaufnahme im Auslande auf die Arbeit in „benachbarten Staaten", „die als eigentliche Ziel­ länder für die Auswanderung nicht in Betracht kommen und bei denen auch die tatsächlichen Verhältnisse der einzelnen Arbeits-

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

§ ISS.

649

aufnahmen vom Inland aus leichter überblickt werden können(Begr. zu § 11, S. 108). Nach einer Erklärung des Regierungsvertreters im Ausschuß sind benachbarte Länder nicht nur die Länder, die eine gemeinsame Grenze mit Deutschland haben, sondern auch Länder, die in einer engen wirtschaftlichen und räumlichen Beziehung zu Deutschland stehen, ohne geradezu anzugrenzen, z. B. Italien (Bericht S. 150).

14. Der Berwaltungsrat hat in Art. 2 Abs. 3 der Verordnung zur Förderung der Arbeitsaufnahme vom 30. September 1927 (RABl. I S. 444, abgedr. III 22) mit Zustimmung des Reichs­ arbeitsministers bestimmt: „Bei Annahme einer Arbeit in benachbarten ausländischen Staaten dürfen die Kosten der Reise aus Mitteln der Reichs­ anstalt bestritten werden (§ 132 Abs. 3). Die Entscheidung im Einzelfalle trifft der Vorsitzende des Arbeitsamts mit Zustimmung des Verwaltungsausschusses des Arbeitsamts oder des geschäfts­ führenden Ausschusses (§ 8). Sollen Reisekosten über die deutsche Grenzstation hinaus aus Mitteln der Reichsanstalt bestritten werden, so bedarf es außerdem der Zustimmung des Vorsitzenden des LandeSarbeitsamtS.- Vgl. auch die Richtlinien (in 23) unter TUA 8. Rechtsmittel: § 188 oder § 189 (siehe Anm. 6). § ISS.

Solange x) int Falle des § 132 die

Über­

siedlung zuscklagSberecktigter2) Angehöriger nickt möglick 3) ist, kann4)6) der Vorsitzende des Arbeits­ amts •) die Familienzusckläge 7) während der Dauer ®) des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise8) fort­ gewähren?) 1. § 133 entspricht dem § 13 Tlbs. 3 der Verordnung über Erwerbslosenfürsorge. Er soll dem Arbeitslosen die Aufnahme ortsfremder Arbeit erleichtern. Der Zuschuß des § 133 stellt sich in seiner Wirkung als ein laufender Lohnzuschuß aus den Mitteln der Versicherung dar. Wenn dagegen auch gewisse Bedenken insbesondere lohnpolitischer Art sprechen, so ist gleichwohl nicht zu verkennen, daß die Führung des doppelten Haushalts größere

650

Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

Kosten verursacht und nicht in jedem Falle dem Arbeitslosen zugemutet werden kann, diese zu tragen, vor allem dann, wenn er schon längere Zeit arbeitslos ist und er und seine Angehörigen hinsichtlich der Ergänzung des Haushalts und der BeNeidung größere Aufwendungen zu machen haben. § 133 greift aber dann nicht Platz, wenn der Arbeitslose in den Sommermonaten stets auswärts zu arbeiten pflegt (so zutreffend, obwohl unzuständig: Spruchk. Frankfurt a./O. vom 27. März 1928, Rechtspr. I S. 147). 2. Im Gegensatz zu § 132 (vgl. Anm. 10) kommen hier nur die Angehörigen in Betracht, für die der Arbeitnehmer während der Arbeitslosigkeit Anspruch auf Familienzuschläge haben würde; vgl. §§ 103, 107 Abs. 2. 3. Besteht die Möglichkeit, überzusiedeln, weigern sie sich aber, so dürfen die Zuschläge nicht gewährt werden. 4. Im Entwurf stand „kann ... in Fällen besonderen Be­ dürfnisses". Diese letzteren Worte sind Int Ausschuß gestrichen worden, da bereits durch das Wort „kann" ausgedrückt ist, daß der Vorsitzende nicht ohne weiteres dazu verpflichtet ist, die Zuschläge zu gewähren, sondern in jedem Falle prüfen muß, ob ein Be­ dürfnis dazu vorliegt. Zu beachten ist hierbei § 90 Abs. 2 Nr. 5 (vgl. Anm. 17 dort). Im einzelnen vgl. die bindenden Richtlinien des Verwaltungsrats vom 17. September 1930 (abgedr. III 23) unter IIIB. Sofern der Arbeitgeber eine Auslösung für ge­ trennten Haushalt zahlt, dürfen die Zuschläge nicht gewährt werden.

ü. Gegen die Entscheidung des Vorsitzenden Einspruch nach § 187 zulässig; vgl. Anm. 6 zu § 132 und weiter Anm. 8 hier.

6. Zuständig ist das Arbeitsamt des bisherigen Wohnortes des Arbeitslosen; es kann im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer die Zuschläge unmittelbar an die Familienangehörigen abführen. 7. Vgl. §§ 103, 107 Abs. 2.

8. Aus dem Wort „kann" in Zeile 2 ergibt sich, daß der Vor­ sitzende über die Höhe und über die Dauer je nach den Verhältnissen des Einzelfalls entscheiden kann. Er kann die Zuschläge in voller Höhe oder zu einem Teil gewähren. Er kann auch die Dauer beschränken. Nach den bindenden Richtlinien (vgl. Anm. 4) dürfen

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

§ 133.

651

die Zuschläge über zwei Wochen nur fortbezahlt werden, wenn eine Berdienstbescheinigung beigebracht wird. In Zeitabständen von längstens vier Wochen ist regelmäßig nachzuprüfen, ob die Voraussetzungen für die Weiterzahlung noch vorliegen, ins­ besondere ob der Beschäftigte inzwischen ausreichend verdient. Das ist gerechtfertigt vor allem bei den Berufen, in denen in Akkord gearbeitet wird. Hier kann angenommen werden, daß der Arbeitnehmer sich nach einer gewissen Zeit so ein­ gearbeitet und seinen Verdienst gesteigert hat, daß ein Be­ dürfnis für die Zuschläge nicht mehr besteht. Beim Borliegen besonderer Verhältnisse können die Zuschläge jedoch auch für die ganze Dauer des Arbeitsverhältnisses gewährt werden. Die Be­ grenzung nach § 99 kommt hier nicht in Betracht, doch muß der Vorsitzende des Arbeitsamts die Zustimmung seines geschäfts­ führenden Ausschusses einholen, wenn diese Aufwendungen länger als drei Monate oder über den Zeitpunkt hinaus gewährt werden sollen, in dem der Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung gemäß § 99 erschöpft wäre (Art. 2 Abs. 2 der VO. (III22). Bei Ver­ weigerung hier Beschwerde nach § 188. Zahlung über sechs Monate hinaus nur ausnahmsweise mit Zustimmung des Vorsitzenden des Landesarbeitsamts (IIIB 3 der Richtlinien, abgedr. III 23). Bei Verweigerung Einspruch nach § 189 (Präs, vom 11. Juli 1931, Dienstl. Mitt. 70/31). 0. Die Zuschläge dürfen grundsätzlich nur den Arbeitslosen gewährt werden, die bis zum Antritt der Beschäftigung unterstützt worden sind,- denn sie sollen zur Entlastung des Trägers der Ver­ sicherung von den Unterstützungslasten beitragen. Wegen der Gleichstellung anderer Arbeitsloser vgl. § 140 und Art. 3 der VO. vom 30. September 1927 (Anm. 3 zu 8 132). Arbeitnehmern, die bereits eine auswärtige Arbeitsstelle innehaben, dürfen die Zuschläge nicht nachträglich zugebilligt werden (Besch, des RAM. vom 23. Februar 1924, RABl. S. 126). Wegen der Gewährung von Fahrgeld und Familienzuschlägen an Notstandsarbeiter vgl. die Richtlinien (Anm. 4) unter IIIA,B.

Pendelarbeitern (vgl. Anm. 9 Abs. 3 zu 8 132) dürfen die Zuschläge nicht gewährt werden.

652

Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

Wechselt der Arbeitslose seine Beschäftigung in seinem bisherigen Aufenthaltsort, wohnen aber die Angehörigen außerhalb, so können auch dann die Zuschläge gewährt oder weitergewährt werden lvgl. Anm. 4 zu 8 132).

§ 134. Wird eine Gruppe von Enrpfängern der Arbeitslosenunterstützung an eine» anderen Arbeitsort entsandt?) so kann *) der Vorsitzende des Arbeitsamts einen sachkundigen Führer beigeben. Die dadurch entstehenden Kosten lind auS Mitteln der Reichsanstalt zu tragen?) 1. Die Begründung lS. 109) sagt dazu: „Der Fall, daß eine größere Gruppe von Arbeitslosen gleich­ zeitig nach auswärts, und zwar an den gleichen Ort, in Arbeit vermittelt wird, ist ein charakteristischer Fall der zwischenörtlichen Arbeitsvermittlung. Häufig sind namentlich Fälle, in denen sich derartige Gruppen -usammenfinden, um auswärts landwirt­ schaftliche Arbeit anzutreten. Die Arbeitsnachweise und die LandeSämter haben sich schon jetzt mit gutem Erfolge bemüht, auf diese Weise Arbeitslose aus der Stadt aufs Land zu bringen. Diese Bemühungen leiden nicht selten daran, daß die Vermittelten sich an die fremden Arbeitsverhältnisse zuerst nicht gewöhnen können. Um Fehlschläge zu vermeiden, gibt man, soweit eS sich ermöglichen läßt, den zusammengestellten Gruppen gern einen orts- und sach­ kundigen Führer mit, der dafür sorgt, daß die Leute richtig an Ort und Stelle ankommen, ihnen HUft, sich in die Arbeit ein­ zugewöhnen, über anfängliche Schwierigkeiten im ständigen Benehmen mit dem Arbeitgeber hinweghilft, Zweifel und Streitig­ keiten, die aus der Auslegung der Vertragsbedingungen, z. B. über Lohn, Unterkunft, Verpflegung, entstehen, bellegt usw. Da diese Einrichtung in hohem Maße die Arbeitslosenversicherung zu ent­ lasten geeignet ist, erscheint es berechtigt, sie aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung zu fördern. Ganz lleine Transporte können ihrer Geringfügigkeit wegen außer Betracht bleiben." Eine Verpflichtung zur Beigabe des Führers besteht nicht; bei Ablehnung Einspruch nach § 187, vgl. Anm. 6 zu 8 132.

2. Den Führer bestimmt der Vorsitzende nach eigenem Er­ messen, aber unter Beachtung der Vorschrift, daß der Führer fachkundig sein muß; vgl. dazu Anm. 1. Als Begleiter dürfen

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

83 134, 185«

653

jedoch nur Beamte oder Angestellte der Relchsanstalt beigegeben werden, vgl. die bindenden Richtlinien deS Berwaltungsrats (abgedr. IH 23) unter HE C. Der Vorsitzende muß die Zu­ stimmung des Vorsitzenden des Landesarbeitsamts einholen, wenn ein Führer einer Gruppe von weniger als zehn Unter­ stützungsempfängern beigegeben werden oder er länger als drei Tage am auswärtigen Arbeitsort verbleiben soll (Art. 2 Abs. 1 b der BO. III 22). Bei Verweigerung Einspruch nach § 189.

3. Vgl. § 142. Wegen der Gleichstellung anderer Arbeits­ loser mit Unterstützungsempfängern vgl. § 140 und Art. 3 der VO. vom 30. September 1927 (Anm. 3 zu 8 132).

§ 135. Sind x) Empfänger von Arbeitslosenunterstützung *) an der Aufnahme einer Arbeit von längerer Dauer ’) verhindert/) weil ihnen die erforderliche Arbeitsausrüstung nicht zur Verfügung steht, so kann der Vorsitzende des Arbeitsamts das Fehlende aus Mitteln der Reichsanstalt vorstrecken/) soweit die Aus­ rüstung üblicherweise von dem Arbeitnehmer bei­ gebracht wird. Der Vorsitzende des Arbeitsamts kann auf die Rückerstattung ganz oder teilweise verzichten.')7) 1. Durch die Vorschrift des § 135 soll die Arbeitsvermittlung erleichtert werden. Zur Ausübung beruflicher Tätigkeit braucht der Arbeitslose vielfach besondere ArbeitsNeidung, Werkzeuge und sonstige Ausrüstungsgegenstände. Wird diese Arbeitsausrüstung üblicherweise vom Arbeitgeber gestellt oder obliegt ihm die Be­ schaffung nach Gesetz oder Vertrag, dann darf die Versicherung mit ihren Mitteln nicht eingreifen. Wird sie aber üblicherweise vom Arbeitnehmer beigebracht, so kann der Vorsitzende des Arbeits­ amts das Geld für die fehlenden Ausrüstungsgegenstände aus den Mitteln der Reichsanstalt dann vorschußweise gewähren, wenn der unterstützte Arbeitslose sonst an der Aufnahme einer Arbeit von längerer Dauer verhindert wäre.

2. Da durch § 135 die Bermittlungstätigkeit erleichtert und die Versicherung entlastet werden soll, kommen als unterstützungs-

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Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

fähig zunächst nur die Empfänger von Arbeitslosenunterstützung in Betracht. Ihnen können jedoch nach § 140 durch Bestimmung des Berwaltungsrats gewisse Gruppen von Arbeitslosen gleich­ gestellt werden. Das ist geschehen durch Art. 3 der BO. vom 30. September 1927 (abgedr. III 22) und Ziff. II der Richt­ linien III 23. Auf die Arbeitslosen, die eine Sperrfrist nach den §§ 90 Abs. 1, 92 durchzumachen haben, kann § 135 nicht an­ gewandt werden, da § 140 ihre Gleichstellung nicht vorsieht. Die Arbeitslosen, die eine Sperrfrist nach § 93 durchzumachen haben, erklärt zwar § 140 als gleichstellungsfähig, die Verordnung vom 30. September 1927 hat davon aber keinen Gebrauch gemacht,' vgl. Anm. 1 Abs. 5 zu § 140. Für Krisenunterstützungsempfünger gilt § 135, wenn der Reichsarbeitsminifter oder die von ihm beauftragte Stelle es nach § 141 zuläßt. Das ist geschehen in Ziff. II 5 des Erlasses über die Krisenfürsorge (abgedr. III 34). Für die Aufbringung der Mittel für diese gilt § 167. Bei Aufnahme selbständiger Arbeit kann Arbeitsausrüstung nicht gewährt werden (Präs. II 181 vom 15. März 1928, Dienstl. Mitt. 66/28). 3. Insbesondere kommen Arbeiten im Freien in Betracht, z. B. Wasserarbeiten, für die Wasserstiefel erforderlich sind, Bodcnverbesserungsarbeiten, für die besondere Werkzeuge benötigt werden. Bon besonderer Bedeutung ist § 135 aber auch für die Vermittlung berufsfremder Arbeit, auf die der Arbeitslose nach seiner bisherigen Tätigkeit nicht eingerichtet ist, z. B. Vermittlung von Angestellten in Erdarbeiten, von Fabrikarbeiterinnen in die Hauswirtschaft. Denn unter „Arbeitsausrüstung" sind nicht nur die Gegenstände zu verstehen, „die unmittelbar zur Leistung der Arbeit erforderlich sind, wie Werkzeuge und Schutzvorrichtungen. Vielmehr kann auch Kleidung, Wäsche, Schuhwerk zur Arbeits­ ausrüstung gehören und nach § 135 zur Verfügung gestellt werden, wenn die Arbeitsaufnahme andernfalls an dem Mangel dieser Gegenstände scheitern müßte. Selbstverständlich muß diese Voraussetzung mit besonderer Sorgfalt geprüft werden, da die Gefahr des Mißbrauchs gegeben ist. Ferner ist bei der Beschaffung der Gegenstände zwar auf Vollwertigkeit der Ware Bedacht zu nehmen, aber mit der gebotenen Sparsamkeit zu verfahren." (Präs.

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

8 135.

655

II 181 vom 15. März 1928, Dienstl. Mitt. 66/28.) Nach § 135 darf aber nur dann eingegriffen werden, wenn es sich um die Aufnahme einer ernstlichen Arbeit von längerer Dauer handelt und als sicher anzunehmen ist, daß der Arbeitslose nicht im Be­ sitze der beantragten Ansrüstungsgegenstände ist. „Eine Be­ schäftigung, die sich wie die Notstandsarbeit auf drei bis sechs Monate erstrecken kann, ist als eine Arbeit von längerer Dauer anzuseheu." (Präs. II181.) Ehe der Vorsitzende des Arbeits­ amts Mittel vorstreckt, muß er sich vergewissern, daß der Arbeits­ lose tatsächlich eingestellt werden wird. Für vorübergehende und Gelegenheitsarbeiten dürfen Mittel für Arbeitsausrüstung nicht bereitgestellt werden.

4. Trifft nur zu, wenn sie ohne die Ausrüstung die Arbeit nicht würden antreten können. 5. Der Vorsitzende darf nur Gutscheine für die Beschaffung der Arbeitsausrüftung geben. Eine gesetzliche Verpflichtung besteht nicht, er entscheidet nach pflichtmäßigem Ermessen. Bei Ablehnung Einspruch nach § 187; vgl. Anm. 6 zu Z 132. Lehnt der Arbeitslose die ihm vorgestreckte Arbeitsausrüstung ab oder weigert er sich, die Rückzahlungspflicht anzuerkennen, so kann er für den ihm daraus erwachsenen Schaden, insbesondere auch den an seiner eigenen Kleidung, nicht die Reichsanstalt haftbar machen (vgl. auch Spruchk. Koblenz vom 18. Februar 1928, Rechtspr. I S. 72). Der Vorsitzende ist hinsichtlich der Höhe der Auf­ wendungen an die Vorschrift des Art. 2 der Verordnung zur Förderung der Arbeitsaufnahme vom 30. September 1927 (vgl. Anm. 2) gebunden. Danach muß er die Zusttmmung des Vorsitzenden des Landesarbeitsamts einholen, soweit die Auf­ wendungen im Einzelfalle das Dreißigfache des Betrages über­ steigen sollen, den der Arbeitslose als Arbeitslosenunterstützung (§ 103) wochentäglich bezieht. Bei Verweigerung durch den Vor­ sitzenden des Landesarbeitsamts Einspruch nach § 189 zulässig. Im einzelnen und wegen der Befugnis des Vorsitzenden zum Verzicht auf die Rückzahlung vgl. die bindenden Richtlinien des Berwaltungsrats (abgedr. III23) unter IIID.

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Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

6. Auch hier steht die Entscheidung im Ermessen des Borsitzenden. Er wird sich dabei von der Erwägung leiten lassen müssen, ob dem Arbeitslosen zuzumuten ist, den Vorschuß ganz oder teilweise zurückzuerstatten. Der Entwurf sah den Verzicht für „Fälle besonderen Bedürfnisses" vor. Diese Worte sind im Ausschuß gestrichen worden (Bericht S. 154). Damit wird nicht ausgeschlossen, daß der Vorsitzende zunächst unter dem Gesichtspunkt der Bedürftigkett (vorher lange Arbeitslosigkeit, große Familie, Führung doppelten Haushatts) die Frage des Verzichts prüft. Er kann aber auch die Ausrüstung in Form einer Arbeitsprämie gewähren, indem er auf die Rückerstattung ganz oder teilweise nur dann verzichtet, wenn der Arbeitslose mindestens eine vorher festgesetzte bestimmte Zett an der Arbeitsstelle mrsgehalten hat. Vgl. dazu Anm. 5 am Ende. 7. Wegen der Rechtsmittel vgl. Anm. 6 zu 8 132, 5 hier.

§ 136. (1) Haben *) Empfänger von Arbeitslosen­ unterstützung *) eine Arbeitsstelle angenommen, in der sie vollen Verdienst erst erreichen können, wenn sie die erforderliche Fertigkeit erlangt haben, so kann ’) *) ihnen der Vorsitzende des Arbeitsamts aus Mitteln der Reichsanstalt6) bis zur Dauer von acht Wochen eitlen Zuschub zum Arbeitsentgelte gewähren. (2) Arbeitsentgelt und Zuschub dürfen zusammen die Höbe des vollen Verdienstes/) der Zuschuß allem darf das Anderthalbfache der zuletzt gezahlten Arbeits­ losenunterstützung 7) nicht übersteigen. 1. § 136 regelt die Gewährung des Anlernezuschusses, den in annähernd demselben Umfang bereits Art. 6 Abs. 2 der AusfBorschr. vom 2. Mai 1925 (RGBl. I S. 63) für die Erwerbs­ losenfürsorge zuließ. § 136 billigt für eine bestimmte Zeit einen Lohnzuschuß den Arbeitskräften zu, die bei Übernahme einer berufsfremden Arbeit noch nicht die tariflichen oder ortsüblichen Löhne beziehen, weil sie nicht die nötige Ausbildung für ihre neue Arbeitsstelle haben und deshalb ihren Leistungen entsprechend

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

§ 136.

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zunächst nur eine geringere Entlohnung erhalten. Auch durch diese Vorschrift soll die Arbeitsvermittlung in berufsfremde Arbeit gefördert werden, sie soll aber nicht dazu dienen, dem Arbeitgeber billige Arbeitskräfte zuzuweisen. Deshalb wird der Zuschuß nur in bestimmter Höhe und mir für höchstens acht Wochen ge­ währt. Im allgemeinen wird angenommen, daß während dieser Zeit die Eingewöhnung in den neuen Beruf so weit fortgeschritten ist, daß die Hilfe der Versicherung dann entbehrt werden kann. Ist die Anordnung in dieser Zeit nicht durchzuführen, so empfiehlt sich von vornherein die Umschulung nach § 137. Bei der Auf­ nahme von Notstandsarbeit dürfen Anlernezuschüsse nicht gewährt werden (Präs. II 18/1 vom 15. März 1928, Dienstl. Mitt. 66/28). Im einzelnen vgl. die vom Verwaltungsrat der Reichsanstalt erlassenen bindenden Richtlinien zur Durchführung beruflicher Bildungsmaßnahmen für Arbeitslose vom 17. September 1930 (abgedr. m 24), insbesondere Ziff. HI dort. Der Anlernezuschuß ist danach auf die Fälle zu beschränken, in denen es sich nicht um den normalen Lehr- und Anlerneprozeß der Wirtschaft handelt (Ziff. m 3 der Richtlinien). 2. Wegen der Gleichstellung von Arbeitslosen, die keine Unterstützung beziehen, vgl. § 140.

3. Der Anlernezuschuß kann dem Arbeitslosen bereits vor Annahme der Stelle in Aussicht gestellt werden. 4. Eine Verpflichtung besteht nicht; der Vorsitzende entscheidet nach pflichtmäßigem Ermessen. Bei Ablehnung Einspruch nach § 187 zulässig. Der Vorsitzende muß aber die Zustimmung seines geschäfts­ führenden Ausschusses einholen, wenn der Anlernezuschuß gleich­ zeitig für mehr als fünf Arbeitskräfte zur Anlernung im gleichen Betriebe gewährt werden soll (Art. 2 Abs. 2 b der BO. HI 22, IIIA 5 der Richtlinien, abgedr. HI 24). Bei Verweigerung Be­ schwerde nach § 188. 5. Aufwendung im Sinne desß 142. Für Krisenunterstützungsempfänger gilt § 136 auch (vgl. Ziff. II 5 des Erlasses über die Krisenfürsorge, abgedr. III34); wegen der Aufbringung der Mittel vgl. § 167. Schweißer, Arbeitslosenversicherung.

42

658

Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

S. Zugrunde zu legen ist der Bruttoverdienst der berufs­ gewöhnten Arbeiter. 7. Einschließlich etwaiger Familienzuschläge. § 137. Der Vorsitzende des Arbeitsamts kann *) Veranstaltungen ’) zur beruflichen Fortbildung und Umschulung insoweit aus Mitteln 4) der Reichsanstalt einrichten oder unterstützen oder das übliche Schulgeld für die Teilnahme zahlen,4) als sie geeignet 8) sind, Empfänger von Arbeitslosenunterstützung •) der Arbeits­ losigkeit zu entziehen. 1. Die Förderung von Umschulungs- und Fortbildungskursen ließ bereits § 15 der Verordnung über Erwerbslosenfürsorge in Verbindung mit Art. 8 der AusfVorschr. vom 2. Mai 1925 (RGBl. I S. 63) zu. § 137 führt diese Bestrebungen fort. Sie sollen einmal dazu dienen, Arbeitslose in ihrem bisherigen Berufe fortzubilden,' denn infolge der Rationalisierung der Betriebe ist in vielen Berufszweigen ein derartiges Überangebot von Arbeits­ kräften vorhanden, daß nur leistungsfähige Personen mit um­ fassenden Kenntnissen des Berufs Aussicht auf bouentbe Unter­ bringung haben. Soweit aber infolge der Übersetzung des Berufs­ zweigs oder infolge der mangelnden Eignung für den bisherigen Beruf eine Unterbringung nicht möglich ist, soll versucht werden, durch Umschulung auf einen anderen Beruf den Arbeitslosen vermittlungsfähig zu machen. Die beruflichen Bildungsmaßnahmen dürfen aber nicht dazu führen, daß durch bevorzugte Schulung jüngerer Arbeitsloser voll geeignete ältere Kräfte auf dem Arbeitsmarkt zurückgedrängt werden. Bildungsmaßnahmen dürfen nicht gefördert werden, wenn dadurch dem einzelnen Arbeitgeber oder -nehmer oder dem öffentlichen Berufs- (Fortbildungs-) und Fachschulwesen Lasten abgenommen werden, deren Übernahme ihnen unter Berücksichtigung der Üblichkeit und der wirtschaftlichen Lage billigerweise zugemutet werden kann. Im einzelnen vgl. die vom Verwaltungsrat der Reichsanstalt erlassenen bindenden Richtlinien zur Durchführung beruflicher

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

8 187*

659

Bildungsmaßnahmen für Arbeitslose vom 17. September 1930 (abgedr. III 24). Der Vorsitzende des Arbeitsamts kann solche Veranstaltungen selbst einrichten, er kann aber auch mit den Trägern solcher von anderen Stellen eingerichteten Veranstaltungen vereinbaren, daß sie Arbeitslose gegen Erstattung der Unkosten daran teilnehmen lassen. Endlich kann er, wenn Arbeitslose einer dafür geeigneten Schulveranstaltung, z. B. einer Fachschule, zugewiesen werden, das übliche Schulgeld dafür zahlen. Soweit solche Veranstaltungen vom Vorsitzenden eingerichtet werden, sind sie im allgemeinen auf eine Mehrzahl von Arbeits­ losen zu berechnen, Umschulungen können ihrem Sinn entsprechend auch für einzelne eingerichtet werden. Die Förderung dieser Maßnahmen bedarf der vorherigen Zustimmung des Vorsitzenden des Landesarbeitsamts, die erstmalige Förderung neuartiger Maßnahmen oder solcher, deren arbeitsmarktpolitische Bedeutung über den Bezirk des Landesarbeitsamts hinausgeht oder die von Stellen außerhalb des Bezirks des Landesarbeitsamts durch­ geführt werden sollen, bedarf der Zustimmung des Präsidenten der Reichsanstalt. Unberechtigte Weigerung, an einem Berufsumschulungs- oder Fortbildungskursus teilzunehmen, oder vorzeitiges unberechtigtes Ausscheiden oder unregelmäßige Teilnahme zieht die Sperrung der Unterstützung nach sich, vgl. § 92.

2. Keine Pflichtleistung. Entscheidung nach pslichtmäßigem Ermessen nach Zustimmung des Vorsitzenden des Landesarbeits­ amts. Einspruch nach §§ 187, 189 zulässig, vgl. Anm. 6 zu 8 132. Bei der Verwendung der Mittel der Reichsanstalt ist der Vorsitzende des Landesarbeitsamts insofern gebunden, als er die Zustimmung seines Ausschusses einzuholen hat, soweit die Auf­ wendungen nach § 137 im Einzelfalle das Fünfzigfache des täglichen Unterstützungssatzes des Arbeitslosen übersteigen sollen lZiff. IV der Richtlinien III 24). Bei Verweigerung der Zustimmung Beschwerde nach § 190 zulässig. 3. Aus sürsorgerifchen Erwägungen waren bisher auch Maß­ nahmen gefördert worden, die der Allgemeinbildung dienten 42»

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Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

(§ 15 der Verordnung über Erwerbslosenfürsorge). § 137 hat sie nicht mit vorgesehen. Maßnahmen, die lediglich die allgemeine törperliche oder geistige Ertüchtigung und Fortbildung zum Gegen­ stand haben, können deshalb nicht gefördert werden. § 137 laßt eine Förderung nur für solche Bildungsmaßnahmen zu, die der beruflichen Fortbildung oder Umschulung dienen.

Nicht förderungswürdig sind regelrechte Lehrverhaltnisse, da der Lehrling nicht mehr als Arbeitsloser gelten kann, sondern als Arbeitnehmer in arbeitsrechtlichem Sinne anzusehen ist, eine Unterstützung au- den Mitteln der Reichsanstalt demnach nicht mehr in Betracht kommt. Vgl. 13 d bet Richtlinien HI 24. Im übrigen vgl. auch Anm. 5.

4. Aufwendungen im Sinne des § 142. Durch Ziff. II 5 des Erlasses über die Krisenfürsorge (abgedr. III 34) ist § 137 auch für Krisenunterstützungsempfänger als an­ wendbar erklärt worden lvgl. § 141). Der für sie entstehende Aufwand wird gemäß § 167 aufgebracht.

5. Neben den Aufwendungen nach § 137 erhält der Arbeitslose, soweit er noch in der Unterstützung steht, diese weiter. Er darf sie jedoch nur dann weiterbeziehen, und ebenso darf eine Maßnahme nach § 137 nur dann gefördert werden, wenn der unterstützte Arbeitslose auch während der Dauer der Maßnahme dem Arbeits­ amt zur Vermittlung in Arbeit zur Verfügung steht. Denn selbst­ verständlich darf eine solche Maßnahme nicht verhindern, daß der Arbeitslose in eine geeignete offene Arbeitsstelle des freien Arbeits­ marktes vermittelt wird, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet. Bei der Förderung der Maßnahmen ist deshalb zu berücksichtigen, daß sie so gestaltet werden, daß der Arbeitslose abberufen werden kann. Eine Förderung nach § 137 kommt deshalb z. B. nicht in Frage, wenn der Arbeitslose ein Semester die Bauschule besuchen will, da hier eine Abberufung ihm schaden, also nicht angängig sein würde, er deshalb aber auch dem Arbeitsamt nicht zur Ver­ fügung steht. Vgl. dazu die Entsch. des Spruchsen. Ila Ar 48/28 und 16/28 vom 30. Mai 1928 und IIIa Ar 297/29 vom 9. Mai 1930 (hier

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

8 138,

661

S. 374), ferner RAM. IV 4553/28 vom 26. April 1928 (Dienstl. Mitt. 93/28) wegen der Teilnahme an Turn- und Sportlehrgängen, außerdem die Erläut. zu § 92. Bei der Vermittlung ist aber auf den angestrebten Erfolg der Veranstaltung Rücksicht zu nehmen und der Teilnehmer nur abzuberufen, wenn andere geeignete gleichwertige Bewerber nicht vorhanden sind oder die Unterbringung dieses Teilnehmers mit Rücksicht auf seine besondere Erwerbsbedürftigleit billigerweise nicht hinausgeschoben werden kann (Ziff. V der Richtlinien, vgl. Anm. 1). Die Kontrolle nach § 173 kann dem Leiter der Ver­ anstaltung übertragen werden.

6. Wegen der Gleichstellung anderer Arbeitsloser vgl. § 140.

§ 138. Für die Durchführung der Matznahmen nach den §§ 132 bis 137 kann der Verwaltungsrat der Reichsanstalt binderrde Richtlinienx) aufstellen. Er kann das Recht zur Aufstellung der Richtlinien den Verwaltungsausschüssen der Landesarbeitsämter für ihren Bezirk übertragen.

1. Bei den Maßnahmen der §§ 132 bis 137 haben die Vorsitzenden der Arbeitsämter nicht nur Rechtsfragen, sondern auch Fragen der Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Diese Ent­ scheidungen in eine höhere Instanz zu verlegen ist wegen der Verzögerung und Verteuerung des Verfahrens, die dadurch herbeigeführt würde, nicht angängig. Diese schädlichen Folgen sind dagegen nicht zu befürchten, wenn der übergeordneten Stelle ein Mitbestimmungsrecht in der Weise gewährt wird, daß sie für die Durchführung der Maßnahmen bindende Richtlinien heraus­ geben kann lBegr. S. 110). DaS ist geschehen in der Verordnung zur Förderung der Arbeits­ aufnahme vom 30. September 1927 (abgedr. III 22) und durch die Richtlinien zur Förderung der Arbeitsaufnahme und zur Durchführung beruflicher Bildungsmaßnahmen für Arbeitslose, beide vom 17. September 1930 (abgedr. III 23, 24).

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Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

§ 139.x) (1) Der Verwaltungsausschub 2) des Lalldesarbeitsamts kaun zur Förderung von Mabnahmen, die geeignet ’) sind, die Arbeitslosigkeit zu verringern, insbesondere zur Beschaffung zusätzlicher 4) Arbeitsgelegenheit für die Arbeitslosen, Mittel der Reichsanstalt5) in Form von Darlehen •) oder Zu­ schüssen ’) insoweit zur Verfügung stellen, als die Mittel der Reichsanstalt durch die Mabnahme entlastet8) werden (wertschaffende Arbeitslosenfürsorge). Der Verwaltungsausschub des Landesarbeitsarnts kann seine Befugnisse aus Satz 1 auf die Verwaltungs­ ausschüsse der Arbeitsämter übertragen?) Es dürfen nur solche Mabnahmen gefördert werden, die für die Volkswirtschaft von produktivem 10) Werte sind, und insbesondere solche, die geeignet sind, die Menge ein­ heimischer Nahrungsmittel, Rohstoffe oder Betriebs­ stoffe zu vermehren. Darlehen und Zuschüsse tut private, auf Erwerb gerichtete Unternehmungen n) dürfen nicht gewährt werden. Der Verwaltungsrat der Reichs­ anstalt erläbt nlit Zustimmung des Reichsarbeitsministeis bindende 12) Richtlinien. (2) Für Mabnahmen der im Abs. 1 genanntell Art, die für die Wirtschaft und den Arbeitslnarkt besonders wertvoll13) sind, kann der Reichsarbeitslllillister zur Verstärkung6) der Fördermlg nach Ms. 1 Darleherl und Zinszuschüsse 5) aus der: verfügbarerr Haushalts­ mitteln des Reichs bewilligerl. Er kanll die Reichs­ anstalt mit der Bewilligung beauftragen ") oder sie bcn obersten Landesbehörden übertragerl und den obersten Landesbehörden die Weiterübertragmlg gestatterl. Irr besonderen Ausnahmefällen können Darlehen imb 8in§3ufc6ünc15) aus Haushaltsmitteln deS Reichs auch für Mabnahmen bewilligt werden, zu deren Förderung Mittel der Reichsanstalt nicht herangezogen werden?8)

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

8 189.

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(3) Die Bewilligung von Darlehen mib Zins­ zuschüssen aus Reichsmitteln nach Abs. 2 setzt in der Regel voraus, daß auch das Land, dem die Mabnahme zugute kommt, Darlehen oder Zinszuschüsse in gleicher Höhe gewährt.") Die Länder können mit Zustimmung des Vorstandes der Reichsanstalt die Bewilligung der Landesmittel den Vorsitzenden 18) der Landesarbeits­ ämter übertragen. (4) ") Werden nach den Bestimmungen der Ms. 1 bis 3 öffentliche Notstandsarbeiten gefördert, so kann der Vorsitzende") des Landesarbeitsamts eine obere Grenze für die Entlohnung der Notstandsarbeiter fest­ setzen. Er kann auch festsetzen, welcher Tarifvertrag für die Entlohnung der Notstandsarbeiter Anwendung finden soll. Auch in diesen Fällen gilt die Entlohnung der Notstandsarbeiter als tariflicher oder ortsüblicher Lohn im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 1. Im übrigen werden die Arbeitslosen bei Notstandsarbeiten unter den Bedingungen des freien Arbeitsvertrags beschäftigt.") (5) Gegen Festsetzungen, die der Vorsitzende des Landesarbeitsamts auf Grund des Abs. 4 Satz 1 oder 2 trifft, ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.") 1. § 139 regelt in Form einer Rahmenbestimmung die wert­ schaffende Arbeitslosenfürsorge. Er führt damit die produktive Erwerbslosenfürsorge fort, die seit Jahren einen unentbehrlichen Bestandteil der deutschen Erwerbslosenfürsorge bildet. „Die sittlichen und wirtschaftlichen Vorteile, die sie einer reinen Arbeitslosenunterstützung gegenüber besitzt, haben so all­ gemeine Anerkennung gefunden, daß es möglich war, die pro­ duktive Erwerbslosenfürsorge auch unter den schweren Hemmungen der Inflationsperiode und der Stabilisierungskrise wenigstens in beschränktem Umfang aufrechtzuerhalten und ihr in dem § 32 der Verordnung über Erwerbslosenfürsorge von neuem eine rechtliche Grundlage zu geben." lBegr. S. 110.) An die Regelung des § 32 und der zu seiner Ausführung ergangenen Bestimmungen

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Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

über öffentliche Notstandsarbeiten vom 30. April 1925 (RGBl. I S. 53) schließt sich § 139 an. Er umfaßt, wie auch früher der § 32, allgemein die Förderung von Maßnahmen, die geeignet sind, die Arbeitslosigkeit zu verringern. Die wichtigste Anwendungsform des § 139 stellen die öffentlichen Notstandsarbeiten dar, soweit dadurch zusätzliche Arbeitsgelegenheit für die Arbeitslosen geschaffen wird. Für fie gelten die Richtlinien des Berwaltungsrats über Grund­ förderung vom 28. März 1928 (abgedr. und erläut. III 25). Eine weitere wichtige Form der wertschaffenden Arbeitslosen­ fürsorge ist der Bau von Landarbeiterwohnungen, dessen Förderung durch die Best, vom 4. Juni 1928, 23. Februar und 5. Juni 1931 geregelt worden ist (abgedr. HI 27). 2. Die Entscheidung über die Grundförderung für Not" standSarbeiten wird der Selbstverwaltung überlassen, und zwar in erster Linie dem Verwaltungsausschuß des Landesarbeitsamts, der seine Befugnisse jedoch auf die Verwaltungsausschüsse der Arbeitsämter übertragen kann. Die Übertragung der Befugnisse auf den Verwaltungsausschuß des Landesarbeitsamts ist dadurch begründet, daß der Versiche­ rungsaufwand im Bezirke jedes Landesamts von den Beitrags­ pflichtigen dieses Bezirks getragen werden soll. Der Stelle, welche die Verantwortung für die Beitragswirtschaft des Bezirks trägt, muß auch das Recht eingeräumt werden, etwaige Notstands­ arbeiten in planwirtschaftlicher Art int Bezirke vorzunehmen, damit nicht einzelne Arbeitsämter von ihrem Bewilligungsrecht in einem Ausmaße Gebrauch machen, das in keinem Verhältnis zu den vorhandenen Mitteln oder zu den produktiven Aufwendungen anderer Arbeitsämter steht (Begr. S. 111). Dabei ist auch zu beachten, daß von der Landwirtschaft grundsätzlich nur sehr geringe Beiträge eingehen, landwirtschaftlich stark durchsetzte Kreise aber besonderen Anspruch auf Notstandsarbeiten erheben (Boden­ verbesserungsarbeiten). Hier kann ein gerechter Ausgleich nur durch eine überörtliche Stelle geschaffen werden, um auch den Arbeitslosen anderer Teile deö Bezirks die Vorteile der Notstands­ arbeiten zugute kommen zu lassen. In Krisenzeiten wie den jetzigen treten derartige Erwägungen naturgemäß zurück hinter der Not-

und Beendigung der Arbeitslosigkeit. 8 139.

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Wendigkeit, wenigstens durch Notstandsmaßnahmen Arbeits­ gelegenheiten zu schaffen. 3. Der Grundgedanke des § 139 ist: Wenn der Arbeitslose nicht in Arbeit auf dem freien Markte vermittelt werden kann, dann soll in Form von Notstandsarbeit Arbeitsgelegenheit geschaffen werden, und der Arbeitslose soll dadurch, wenn auch nur vorüber­ gehend, in einer Arbeitsstelle untergebracht werden, um ihn selbst den Gefahren der unfreiwilligen Muße zu entziehen und ihm zugleich die Möglichkeit zu geben, durch Arbeitsverdienst seine Lage zu bessern. Im Gegensatz zu § 139 wollen die Vorschriften der §§ 132 bis 136 den Arbeitslosen für bereits vorhandene Arbeits­ stellen des freien Marktes vermittlungsreif machen. Die Verringerung der Arbeitslosigkeit wird nicht nur un­ mittelbar durch die Beschäftigung der Arbeitslosen bei Notstands­ arbeiten herbeigeführt, sondern kann auch mittelbar eintreten, z. B. beim Bau von Landarbeiterwohnungen durch Beschäftigung des Baugewerbes als Schlüsselgewerbes und der dadurch hervor­ gerufenen Belebung anderer Gewerbezweige, und ferner als Folge der Notstandsarbeit, z. B. Besiedelung und Bewirtschaftung urbar gemachten Sumpfgeländes. 4. Die wertschaffende Arbeitslosenfürsorge ist nicht dazu da, den Gemeindehaushaltplan zu entlasten und unumgänglich not­ wendige Pflichtaufgaben der öffentlichen Körperschaften zu finanzieren. Vielmehr ist „der Zweck jeder produktiven Erwerbs­ losenfürsorge, ein Mehr an Arbeitsgelegenheit über das Maß hinaus, das die Wirtschaft in ihrer freien Entfaltung dem Arbeits­ markt jeweils bieten kann, zu ermöglichen". (Aus der Begr. des Entw. der Best, vom 30. April 1925.) Ihr Ziel muß sein, mit Hilfe der ihr zur Verfügung stehenden Mittel solche Arbeiten in Gang zu bringen, die sonst überhaupt nicht oder nicht zu diesem Zeitpunkt oder nicht in diesem Umfang ausgeführt würden. Es muß sich also um zusätzliche Arbeitsgelegenheit handeln, wenn eine Förderung gerechtfertigt sein soll (vgl. auch § 91 Abs. 2 Ziff. 1). 5. Wie bisher für die produktive Erwerbslosenfürsorge, so unterscheidet § 139 auch für die wertschaffende Arbeitslosenfürsorge -wischen der Grundförderung und der verstärkten Förderung.

666

Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

Die Grundförderung regelt Abs. 1. über sie ent­ scheidet der Berwaltungsausschuß des Landesarbeitsamts, er kann seine Befugnisse auf die Verwaltungsausschüsse der Arbeitsämter übertragen. Die Grundförderung wird in Form von Zu­ schüssen oder Darlehen gewährt, die Mittel dafür stellt die Reichs­ anstalt aus den Beiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Verfügung, soweit unterstützte Arbeitslose den Notstands­ arbeiten zugewiesen werden. Wenn jedoch Krisenunterstützungsempfänger dabei beschäftigt werden, so wird die Förderung für die von ihnen geleisteten Tagewerke aus den Mitteln der Krisen­ fürsorge (§ 167) getragen. Bei Wohlfahrtsunterstützungsempfängern, die nach § 10 Abs. 2 der Richtlinien zur Beschäftigung zugelassen werden können, muß die Grundförderung aus den Mitteln der Woblfahrlspflege gezahlt werden. Vgl. § 13 der Richtlinien UI 25. Die Forderungssumme wird berechnet nach der Zahl der von anrechnungsfähigen Arbeitslosen geleisteten durchschnittlich acht­ stündigen Arbeitstagewerke. Als anrechnungsfähig gilt nur der Notstandsarbeiter, der von einem Arbeitsamt entnommen ist und unmittelbar vor der Zulassung zur Notstandsarbeit mindestens zwei Wochen auf Grund des Arbeitslosenversicherungsgesetzes unterstützt worden ist (§ 9 d. Richt!.). Zur Erleichterung der Verwaltungsarbeit wird die Grundförderung nach Durchschnitts­ sätzen berechnet. Der Höchst satz für das Arbeitslosentagewerk be­ trägt 3 RM. (§6 d. Richt!.). Er entspricht etwa dem Unterstützungs­ satz eines Arbeitslosen mit 3 Angehörigen in Lohnklasse IX. Statt des Höchstsatzes von 3 RM. kann der Berwaltungsausschuß auch einen niedrigeren Förderungssatz in beliebiger Abstufung für die einzelne Maßnahme festsetzen. überschritten werden darf der Höchstsatz nicht. Vgl. dazu auch Anm. 8. Zu der Grundförderung kann für Maßnahmen, die für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt besonders wertvoll sind, eine verstärkte Förderung in Form von Darlehen gewährt werden. Sie war zunächst geregelt worden durch die BO. über verstärkte Förderung vom 29. März 1928 (abgedr. III 26). Die verstärkte Förderung des Reiches wurde bisher aus den im Reichshaus­ haltsplan jeweils für das betresfende Haushaltsjahr zur Verfügung

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

8 139.

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gestellten Mitteln bewilligt. An ihre Stelle sind die Darlehen der dm 1. August 1930 zum Zwecke der Förderung von Notstands­ arbeiten gegründeten „Deutschen Gesellschaft für öffentliche Arbeiten" getreten, deren Gewährung durch Richtlinien vom 13. Juni 1931 geregelt worden ist (abgedr. III 26 b). In der Regel gibt das Land Darlehen in gleicher Höhe. Ein Unterschied zwischen Arbeitslosen-, Krisen- oder Wohlfahrtsunterstützungsempsängern besteht hier nicht. Die Darlehen der verstärkten Förderung sollen in der Regel den vier- bis fünffachen Betrag der ersparten Unterstützungen und mit der Grundförderung zusammen 80 v. H. der Gesamtkosten der Arbeiten nicht übersteigen (Zifs. 2 der Richtlinien der Deutschen Gesellschaft).

Früher wurde die verstärkte Förderung in Form von Darlehen oder Bürgschaften gegeben. Bon letzteren ist jedoch nicht viel Gebrauch gemacht worden. An ihre Stelle waren die Zinszuschüsse getreten. Danach wurde der Zinsendienst für das für eine Not­ standsarbeit aufzunehmende Kapital dadurch vermindert, daß für die Dauer von drei Jahren Zinszuschüsse im Betrage von jährlich höchstens 4 v. H. der jeweils durch langfristige Darlehen gedeckten Kosten nach Abzug der Grundförderung gewährt wurden. Die Deutsche Gesellschaft gewährt Zinszuschüsse nicht.

6. Die Darlehen der Grund- und verstärkten Förderung sind planmäßig zu tilgen, angemessen zu verzinsen und tunlichst zu sichern (§ 7 der Richtlinien, § 2 der BO. über verstärkte Förderung). Soweit die Förderung durch Darlehen ausreicht, dürfen ver­ lorene Zuschüsse nicht bewilligt werden.

7. Verlorene (nicht rückzahlbare) Zuschüsse.

8. Ter Satz soll nach den Ausschußverhandlungen bedeuten, daß nur die einfache Unterstützung als Grundförderungsbetrag gewährt werden darf. Wie aber schon in Anm. 5 erwähnt, wird die Förderung zur Vereinfachung der Verwaltungsarbeit nach Turchschnittssätzen errechnet, wobei von der Erwägung aus­ gegangen wird, daß höhere und niedrigere Unterstützungssätze der

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Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

zur Notstandsarbeit Zugewiesenen sich im Durchschnitt ausgleichen. Werden nur oder überwiegend Arbeitslose mit niedrigeren Unter­ stützungssätzen als z. B. 18 RM wöchentlich zugewiesen, dann muß der Höchstsatz von 3 RM je Tagewerk entsprechend gekürzt werden. Schwierigkeiten können sich hierdurch bei der Bewilligung der verstärkten Förderung ergeben, da sie vorauösetzt, daß der Höchstsatz von 3 RM bewilligt worden ist. In diesem Falle kann damit geholfen werden, daß z. B. 2 RM je Tagewerk als Zuschuß, 1 RM als Darlehen gewährt wird, wenn die Mehrzahl der Zugewiesenen z. D. nur etwa 12 RM Wochenunterstützung bezogen hat.

9. Vgl. § 14 der Richtlinien und Anm. 21 hier. 10. Die wertschaffende Arbeitslosenfürsorge soll ihrem Wesen und Zweck entsprechend nur Maßnahmen fordern, die vom Glaubpunkt der Volkswirtschaft aus als förderungswürdig angesehen werden können, weil sie ihr Werte zuführen oder vorhandene Werte steigern. Deshalb sind nicht förderungswürdig solche Arbeiten, die lediglich zu dem Zwecke vorgenommen werden, die Arbeitslosen zu beschäftigen (reine Beschäftigungsarbeiten). Als Beispiele besonders produktiver Maßnahmen führt § 139 an solche, die geeignet sind, die Menge einheimischer Nahrungs­ mittel, Rohstoffe oder Betriebsstoffe zu vermehren.

11. Die Arbeiten müssen aber nicht nur produktiv, sondern auch gemeinnützig sein, sie müssen der Allgemeinheit oder min­ destens einem größeren Teile davon zugute kommen. Arbeiten, die privaten Gewinnzwecken dienen, sind von der Förderung ausgeschlossen. Unter diesem Gesichtspunkt verbietet Abs. 1 Satz 4 die Gewährung von Darlehen oder Zuschüssen an private, aus Erwerb gerichtete Unternehmungen. Vgl. hierzu § 3 der Richt­ linien. 12. Die Richtlinien über die Grundförderung sind unterm 28. März 1928 erlassen worden (abgedr. und erläut. III 25). 13. Besonders wertvolle Maßnahmen sind z. B. Urbarmachen von Sumpfgelände, so daß es dann als Siedlungs- und Ackerland benutzt werden kann, Bodenverbesserungsarbeiten aller Art, wenn sie größeren Umfang haben, Herstellung großer Durchgangs­ straßen.

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

§ 189.

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Nach Ziff. 1 der Richtlinien der Deutschen Gesellschaft (vgl. III 26 b) dürfen verstärkt nur Maßnahmen gefördert werden, die wenigstens 2000 Arbeitslosentagewerke umfassen.

14. Soweit der Reichsarbeitsminister die Reichsanstalt be­ auftragt, ist die Durchführung dieser Aufgabe für sie eine Auftrags­ angelegenheit im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 3 ABABG. In diesem Falle ist sie an seine Weisungen gebunden. überträgt der Reichsarbeitsminister die Entscheidung den obersten Landesbehörden, so kann er das mit der Einschränkung tun, daß nur bestimmte Gruppen von Maßnahmen und nur solche bestimmten Höchstumfanges gefördert werden dürfen, während sie andernfalls ihm zur Bewilligung vorzulegen sind. Abs. 2 Satz 2 dient der Vereinfachung der Verwaltungsarbeit. In diesem Sinne gibt Abs. 3 aber auch der obersten Landesbehörde die Möglichkeit, die Bewilligung der Landesmittel mit Zustimmung des Vorstands der Reichsanstalt dem Vorsitzenden des Landes­ arbeitsamts zu übertragen. Hierdurch würde das Bewilligungs­ verfahren wesentlich beschleunigt werden können. 15. Nicht auch sonstige Zuschüsse. über verstärkte Förderung (III 26 a).

Vgl. hierzu § 2 der BO.

16. Vgl. hierzu § 4 Abs. 5d der VO. über verstärkte Förderung. 17. Vgl. Anm. 5 Abs. 4.

18. Vgl. Anm. 14 und § 4 der VO. über verstärkte Förderung. 19. Der letzte Satz des Abs. 4 führt eine bedeutungsvolle Umgestaltung des Rechtsverhältnisses der Notstandsarbeiter herbei, indem er sie den freien Arbeitern gleichstellt. Die Entwicklung bis zu diesem Ergebnis ist sehr wechselvoll gewesen. A. Die Hauptstreitpunkte in den Bestimmungen über öffent­ liche Notstandsarbeiten sind in den letzten Jahren die Rechtsform des Arbeitsverhältnisses und die Entlohnung gewesen. Zunächst stand der Notstandsarbeiter in einem regelrechten Arbeitsver­ hältnisse, er hatte säst alle Rechte und Pflichten deS freien Arbeiters. Daraus haben sich aber, besonders in den Zeiten des Ruhrkampfes, derartige Mißstände herausgebildet, vor allem bei der Entlohnung, daß die Bestimmungen vom 17. November 1923 (RGBl. I

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Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

S. 1111) im Gegensatz zur bisherigen Regelung den Grundsatz aufsteUten: „Die Beschäftigung des Notstandsarbeiters ist kein Arbeits­ verhältnis, sondern eine Form der Erwerbslosenfürsorge. Seine Arbeit stellt die Gegenleistung für die Unterstützung dar, die er erhält."

Demgemäß erhielt der Notstandsarbeiter keinen Lohn, sondern die Erwerbslosenunterstützung mit bestimmten Zuschlägen, je nach der Dauer der Arbeit in der Woche und bei besonders guter oder schwieriger Arbeit. Entsprechend dieser Rechtsform wurden die Notstandsarbeiter gegen Krankheit wie die übrigen Erwerbslosen versichert. Gegen Unfall waren sie versichert, da nach der Auf­ fassung des Reichsversicherungsamts der Abschluß eines Arbeits­ vertrags nicht erforderlich ist, um die Versicherung zu begründen. Sie waren aber nicht invalidenversicherungspflichtig, da ihre Unterstützungsbeträge, Zuschläge und Prämien nicht als Entgelt im Sinne der Invalidenversicherung galten. Sie brauchten für ihre Bezüge keine Steuern zu bezahlen, ebenso keine Beiträge zur Erwerbslosenfürsorge, erwarben durch die Beschäftigung bei Notstandsarbeiten aber auch nicht eine neue Anwartschaft für die Erwerbslosenfürsorge. Auch diese Regelung hat sich nicht bewährt. Vor allem wegen der verhältnismäßig niedrigen Entlohnung ließ die Arbeits­ leistung stark nach, so daß die Kosten der Notstandsarbeit vielfach nicht in angemessenem Verhältnis zum Erfolg standen. B. Die Bestimmungen vom 30. April 1925 (RGBl. I S. 53) versuchten es dann mit einem Rechtsverhältnis besonderer Art: Die Beschäftigung bei Notstandsarbeiten war eine Form der Erwerbslosenfürsorge, sie galt jedoch in gewissem Umfange als Arbeitsverhältnis. Aus dem eigenartigen Rechtsverhältnis ergaben sich natur­ gemäß erhebliche Zweifelsfragen über die Rechtsfolgen dieses Arbeitsverhältnisses. a) Fest stand, daß ein Vertragsverhältnis nicht vorlag und daß die Notstandsarbeiter nicht als gewerbliche Arbeiter gelten konnten. Daraus ergaben sich nachstehende Rechtsfolgen:

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

§ 139,

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Nicht anwendbar waren die Vorschriften über das Schlichtungs­ wesen. Streitigkeiten hatte die Stelle zu entscheiden, welche nach §§ 11, 14 der Bestimmungen die Grundförderung bewUligte. Nicht anzuwenden waren die Bestimmungen des Betriebsräte­ gesetzes. Eine gesetzliche Vertretung der Notstandsarbeiter im Sinne des Betriebsrätegesetzes war nicht möglich. Dagegen bestanden keine Bedenken, daß die Notstandsarbeiter Ver­ trauensmänner mit der Wahrnehmung ihrer Belange betrauten lvgl. Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 9. Februar 1927, RABl. I S. 45). Nicht in Betracht kamen die tarifvertraglichen Bestimmungen über Arbeitszeit, Urlaub, Unabdingbarkeit. Nicht ohne weiteres anwendbar waren die Vorschriften über die Arbeitsordnung, Arbeitsbücher usw. Zweifel bestanden bei der Frage der Arbeitszeit und bei den reinen Arbeiterschutzvorschriften. Hier konnte man sich jedoch auf den Standpunkt stellen, daß diese Vorschriften auf die Not­ standsarbeiter anzuwenden waren,- denn sie wollen nicht den Arbeiter als Arbeiter, sondern als Menschen schützen. Die übrigen vorerwähnten Vorschriften, die nicht ohne weiteres für Notstandsarbeiter in Betracht kamen, konnten zum Teil sinn­ gemäß angewandt werden. Entsprechende Bedingungen konnten in den Grundförderungsbescheid ausgenommen werden. b) Die Beschäftigung bei Notstandsarbetten galt aber als Beschäftigung gegen Entgelt im Sinne der RVO. Deshalb waren auf den Notstandsarbetter die Bestimmungen über Kranken-, Invaliden-, Unfall- und Angestelltenversicherung wie beim sonstigen Arbeitnehmer anzuwenden. Da der Notstandsarbeiter gegen Krankheit versichert war, mußte er Beiträge zur Erwerbslosenfürsorge zahlen. Er erwarb dadurch aber auch eine neue Anwartschaft auf Erwerbslosen­ fürsorge, wenn er mindestens drei Monate als Notstandsarbeiter beschäftigt war. c) Die Beschäftigung bei der Notstandsarbeit galt als Be­ schäftigungsverhältnis im Sinne des Einkommensteuergesetzes. Während bisher der Notstandsarbetter steuerfrei war, unterfiel er Letzt grundsätzlich dem Lohnabzug.

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Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

d) Notstandsarbeiter konnten, da sie nicht in einem Arbeits­ verhältnis standen, nicht streiken. Die Niederlegung der Arbeit durch sie hätte lediglich bedeutet, daß sie die ihnen zugedachte Fürsorge ablehnten. Deshalb mußten sie aus der Fürsorge aus­ geschlossen werden. Auch eine Aussperrung war bei ihnen rechtlich nicht möglich und hätte nur den Ausschluß aus der Fürsorge be­ deutet.

C. Diese Schwierigkeiten beseitigt § 139. Er hebt das Aus­ nahmerecht sür Notstandsarbeiter auf und stellt sie unter die Be­ dingungen des freien Arbeitsvertrags. Der Notstandsarbeitsvettrag kommt „hinsichtlich Abschluß und Inhalt einheitlich als ein freier, dem bürgerlichen Recht unterstehender Arbeitsvertrag zustande, auf ihn finden mithin grundsätzlich alle arbeitsrechtlichen Besttmmungen Anwendung" (RAG. 89, 122/29 vom 18. Sep­ tember 1929, Rechtspr. II S. 730).

In zwei Punkten bestehen jedoch vom öffentlichen Recht be­ einflußte Ausnahmevorschriften für den Notstandsarbeiter. Sie ergeben sich aus dem Wesen der Notstandsarbeit. Diese soll stets eine Hilfsweise Beschäftigung darstellen. a) Grundsätzlich ist der Arbeitslose in eine Arbeitsstelle des freien Marktes zu vermitteln. Denn das Ziel der Versicherung ist die Beendigung der Arbeitslosigkeit durch Vermittlung in regel­ mäßige Arbeit. Das ist jedoch nicht immer möglich. In diesem Falle soll dem Arbeitslosen wenigstens Hilfsweise Arbeitsgelegenheit bei einer Notstandsarbeit geboten werden. Ergibt sich während dieser Zeit die Gelegenheit, ihm eine Arbeit auf dem freien Markte nach­ zuweisen, dann muß er vom Arbeitsamt abberufen werden. Das ist rechtlich nicht ohne weiteres zulässig, wenn der Notstands­ arbeiter unter den Rechtsverhältnissen des freien Arbeiters steht. Denn dann wären die Kündigungsvorschristen zu beachten. Dadurch könnte aber die Vermittlung, die meist unverzüglich erfolgen muß, scheitern. Deshalb bestimmt § 12 der Richtlinien: „Die Arbeitsverttäge mit den Notstandsarbeitern sind so abzuschließen, daß sie beim Abruf des Notstandsarbeiters sofort gelöst werden können (Arbeitsvettrag mit auflösender Bedingung). Der Träger hat durch entsprechende Vereinbarungen mit dem Unternehmer

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

8 139,

673

sicherzustellen, daß die Arbeitsverträge in dieser Form geschlossen werden." — Die ihm vom Arbeitsamt zugewiesene Arbeit muß der Arbeitslose annehmen, wenn nicht ein berechtigter Grund zur Ablehnung nach § 90 Abs. 2 vorliegt; andernfalls ist ihm nach § 90 Abs. 1 die Arbeitslosenunterstützung zu entziehen. Wird der Arbeitslose nicht vorzeitig abberufen, so gilt der Arbeitsvertrag mit ihm grundsätzlich auf höchstens dreizehn Wochen abgeschlossen. Denn nur für diese Zeit kann nach § 12 Abs. 4 der Richtlinien die Beschäftigung des Notstands­ arbeiters auf die Förderung angerechnet werden. Wird der Arbeitsvertrag von vornherein auf eine bestimmte Zeitdauer ab­ geschlossen, z. B. auf dreizehn Wochen oder, wenn die Dauer der Durchführung der Notstandsarbeit eine kürzere als dreizehn Wochen ist, auf eine bestimmte geringere Zahl von Wochen, so endet das Bertragsverhältnis ohne weiteres mit dem Ablaufe der Zeit, für die es eingegangen ist (§ 620 Abs. 1 BGB.). Einer Kündigung bedarf es in diesem Falle nicht. Wird ausnahmsweise nach § 12 Abs. 4, 5 der Richtlinien die Höchstbeschäftigungsdauer auf eine bestimmte Anzahl Wochen verlängert, so bedarf eS auch bei Ablauf der Verlängerung keiner Kündigung. Wohl aber ist sie notwendig, wenn der Notstandsarbeiter vor Ablauf der Zuweifungszeit, z. B. wegen Nichteignung, entlassen werden soll. Die Kündigungsfrist richtet sich nach § 621 BGB., wenn nicht im Tarifverträge eine besondere Regelung darüber getroffen ist. Bei wichtigem Grunde kann das Arbeitsverhältnis von jedem Teile ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden (§ 626 BGB.). Das Recht der Kündigung hat auch der Notstandsarbeiter. Ob er nach der Kündigung Unterstützung erhalten kann, richtet sich nach § 93 danach, ob er auS einem wichtigen oder aus einem berechtigten Grunde im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 1, 2, 4, 5 die Arbeitsstelle verlassen hat (vgl. dazu §§ 93, 90). Da der Arbeitsvertrag des Notstandsarbeiters regelmäßig nach dreizehn Wochen von selbst endigt, bedarf es — auch bei Baudelegierten — nicht der Zustimmung der Betriebsvertretung zur Entlassung nach § 96 BRG. Genehmigt das Landesarbeitsamt die Verlängerung deS Arbeitsverhältnisses über dreizehn Wochen Schmeiß er, Arbeitslosenversicherung. 43

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Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

hinaus, so wird hierdurch das Arbeitsverhältnis selbst noch nicht verlängert, solange nicht unter den Vertragsparteien ausdrücklich oder stillschweigend seine Verlängerung vereinbart worden ist (RAG. vom 17. Mai 1930 — RAG 558/29 —, Rechtspr. III S. 510). Tie Kündigungsschutzbestimmungen des Betriebsrätegesetzes (§§ 84 ff., 96) gelten hier nur für den Fall, daß der Träger der Maßnahme oder deren Unternehmer dem Notstandsarbeiter lündigt, dagegen nicht, wenn das Arbeitsverhältnis von vornherein auf eine bestimmte Zeit sestgelegt war oder durch Abberufung seitens des Arbeitsamts endigt, da auch im letzteren Falle die Beendigung ohne Kündigung erfolgt (so auch Stephan, RABl. 1927 II Nichtamtl. Teil S. 405). Zu beachten sind nunmehr auch bei den Notstandsarbeitern die Bestimmungen des Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 12. Januar 1923 (RGBl. 1923 I S. 57, 1926 I S. 398), insbesondere § 6 Abs. 2 Satz 3 und § 17.

b) I. Eine weitere besonders wichtige Sondervorschrift sieht daS Gesetz hinsichtlich des Lohnes vor. Bereits die Begründung zum Entwurf der Best, vom 30. April 1925 sagte zur Frage der Entlohnung: „Einerseits zeigt die Erfahning, daß eine normale, wirt« schaftlich vertretbare Leistung des Notstandsarbeiters nur bei angemessener Bezahlung zu erreichen ist. Andererseits muß die Vergütung des Notstandsarbeiters so bemessen sein, daß das Streben, wieder eine normale Beschäftigung in der Wirtschaft einzunehmen, nicht ertötet wird und damit für andere Arbeiter kein Anreiz geboten wird, auf dem Wege über die unterstützende Erwerbslosenfürsorge zu den Not­ standsarbeiten abzuwandern."

Die Notstandsarbcit als solche ist für ihren Träger eine freie Arbeit wie jede andere. Der Notstandscharakter ergibt sich nur daraus, daß sie zur Entlastung des Arbeitsmarktes als zusätzliche Arbeit ausgeführt, dein Träger im Hinblick hierauf eine geldliche Beihilfe als Grund- und gegebenenfalls als verstärkte Förderung zugebilligt wird, er aber dadurch zugleich verpflichtet wird, die

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und Beendigung der Arbeitslosigkeit. 8 189.

ihm vom Arbeitsamt zugewiesenen Arbeitslosen zu beschäftigen. Die Entlohnungsverhältnisse für die Notstandsarbeit richten sich, da der Träger sie als freie Arbeit unternimmt, nach den Entlohnungs­ maßstäben, die für Arbeiten gleicher Art am Ort der Notstands­ arbeit gelten, d. h. nach dem Tarifvertrag, soweit ein solcher besteht, sonst nach dem ortsüblichen Lohn. Der Tariflohn ist grundsätzlich unabdingbar, darf also auch durch Vereinbarung nicht herabgesetzt werden. Für Notstandsarbeiter sieht jedoch § 139 Abs. 4 eine Abdingbarkeit vor. § 139 Abs. 4 als Spezial­ vorschrift geht insoweit der Tarifvertragsverordnung vom 23. De­ zember 1918 in der Fassung vom 1. März 1928 (RGBl. I S. 47) vor. Durch § 139 Abs. 4 wird der Vorsitzende des Landesarbeitsamis ermächtigt, eine obere Grenze für die Entlohnung der Notstands­ arbeiter festzusetzen. Hierzu kann Veranlassung vor allem in folgenden drei Arten von Fällen gegeben sein:

1. bei Beschäftigung von Arbeitslosen aus verschiedenen Tarif­ klassen an einer Baustelle, 2. bei Beschäftigung berufsfremder Arbeitsloser, 3. bei Gefahr der Abwandenrng zu Notstandsarbciten. Zu 1: Bei der Verschiedenartigkeit der Regelung der Ent­ lohnung in den einzelnen Tarifverträgen, insbesondere bei der Eingruppierung der Gemeinden in verschiedene Lohnklassen, kann es möglich sein, daß Arbeitslose aus mehreren Lohnklassengebieten bei einer Notstandsarbeit beschäftigt werden. Soweit eine Trennung durch Beschäftigung an auseinanderliegenden Bau­ stellen nicht möglich ist und auch nach dem Tarifvertrag eine ein­ heitliche Bezahlung nicht vorgeschrieben ist, können sich aus der verschiedenartigen Entlohnung leicht Unzuträglichkeiten ergeben. In solchen Fällen kann der Vorsitzende eine obere Lohngrenze als nicht überschreitbaren Höchstsatz bestimmen.

Zu 2: Der Träger der Notstandsarbeit muß auch berufs­ fremde Arbeitslose bei der Arbeit beschäftigen. Soweit ihre Lei­ stungen den dem Tarifvertrag zugrunde liegenden Regelleistungen nicht entsprechen, wird es berechtigt sein können, wenn der Vor­ sitzende — vielleicht nur für bestimmte Zeit — für diese Arbeits­ kräfte eine unter dem Tariflohn bleibende Vergütung festsetzt.

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Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

Dies erübrigt sich, wenn der Tarifvertrag selbst bereits eine geringere Entlohnung für die Arbeitnehmer vorsieht, die noch nicht eine bestimmte Zeit hindurch in dem Beruf tätig gewesen sind. So bestimmt z. B. der Reichstarifvertrag für das Bau­ gewerbe in § 5 Biff. 6: „Für Nichtfacharbeiter, die in den letzten drei Jahren vor der Einstellung nicht mindestens vier Monate ununterbrochen int Baugewerbe tätig waren, beträgt der Lohn 10 v. H. weniger als für Arbeiter der gleichen Arbeitergruppen, die bereits länger tätig sind." Zu 3: Die Entlohnung muß aber weiter so bemessen sein, daß nicht für freie Arbeiter der Anreiz entsteht, zu Notstandsarbeiten abzuwandern. Das ist in der Praxis der letzten Jahre der Fall ge­ wesen, toetin die Lohnhöhe des Bezirks, z. B. insolge Vorherrschens der Heimindustrie, verhältnismäßig niedrig ist und dec Tariflohn bei Notstandsarbeiten eine unverhältnismäßige Spanne zu den orts­ üblichen Löhnen aufweist. Der Notstandsarbeiter soll nicht Lohn­ drücker sein, die Notstandsarbeiterentlohnung kann aber andererseits auch nicht als geeignete Grundlage angesehen werden, um den Maßstab der Löhne in den einzelnen Bezirken zu verschieben. Sofern der Vorsitzetlde des Landesarbeitsamts eine obere Lohngrenze festgesetzt hat, stellt sie das Höchstmaß dessen dar, „was der Unternehmer dem Notstandsarbeiter zu gewähren hat, nicht aber einen festen, jede Lohnvereinbarung ausschließenden, also zugleich das Mindestmaß darstellettden Lohn" (so Wilhelmi zu § 12 der Richtlinien,- RAG. 50/31 vom 10. Oktober 1931, Rechtspr. V 117). Die obere Grenze darf also nicht überschritten werden, steht jedoch einer freien Vereinbarung des Lohnes zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer, insbesondere also einer Unter-* schreitung der Lohngrenze nicht entgegen (RAG. 50/31). Soweit ein Tarifvertrag besteht, gilt dies nur im Rahmen dieses Tariss. So sind im Beispiel zu 1 die Notstandsarbeiter aus einer Gemeinde mit einer unter der oberen Grenze liegenden Lohnklasse nach dieser Lohnklasse zu entlohnen, wenn der Tarif nichts anderes bestimmt. Unter die Lohnfestsetzung fallen auch die bei der Notstands­ arbeit beschäftigten Facharbeiter, wenn sie der Vorsitzende nicht ausdrücklich ausnimmt (vgl. LAG. Koblenz 1A S 56/28 vom

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

8 139.

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15. August 1928, Rechtspr. H S. 213), nicht dagegen die freien Stammarbeiter. Dagegen ist die Lohnfestsetzung nicht dazu da, Zweifelsfragen aus dem Tarifverträge zu regeln. Hierfür sind die tarifvertrag­ lichen Schlichtungsinstanzen zuständig, an sie ist der Träger der Maßnahme zu verweisen. So gehört z. B. zur Lohnfestsetzung int Sinne des § 139 Abs. 4 auch nicht die Regelung der Frage, ob und welche Auslösung bei auswärtiger Arbeit im Sinne des Tiefbautarifs zu zahlen ist. Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß das zu dieser Angelegenheit ergangene Urteil des RAG. (RAG. 89, 122/29 vom 18. September 1929, Rechtspr. H S. 730) den schlesischen Bezirkstarifvertrag für das Baugewerbe betrifft und nicht allgemein anwendbar ist, z. B. nicht auf Pommern, wo die Frage der Auslösung anders geregelt ist. Abgesehen von der Festsehung eines bestimmten Höchstlohnes kann der Vorsitzende aber auch festsetzen, welcher Tarifvertrag für die Entlohnung der Notstandsarbeiter anzuwenden ist, ob sie z. B. nach dem Tiefbau- oder dem Forstarbeitertarif usw. zu erfolgen hat. Der Gemeindearbeitertarif ist auf Notstands­ arbeiten nicht anwendbar, auch nicht, wenn die Gemeinde Träger der Arbeit ist. Der zurzeit bestehende Reichsmanteltarif schließt in § 2 Biff. 1 b seine Anwendbarkeit nicht nur für aUe Notstands­ arbeiter, sondern weiter auch für alle nur vorübergehend be­ schäftigten Arbeiter selbst ausdrücklich aus. Die Entscheidung über die Frage, welche Arbeiter als nur vorübergehend beschäftigt anzusehen sind, richtet sich nach § 2 Ziff. 4 des RMT. danach, ob von vornherein feststeht, daß die Tätigkeit einen ständigen Charakter hat oder wieder in Wegfall kommt. Die Leistungen des GemeindearbeitertarisS sind nur den Arbeitern zu gewähren, deren Beschäftigung länger als sechs Monate gedauert hat (LAG. Essen LAS 73/28 vom 28. April 1928, Rechtspr. II S. 733). Eine derart lange Beschäftigung ist bei Notstandsarb eit en nach § 12 Abs. 4 der Richtlinien nicht zugelassen. Der Gemeinde­ arbeitertarif kann deshalb auch nicht durch Beschluß des Vor­ sitzenden nach § 139 Ms. 4 für anwendbar erklärt werden. Zu beachten ist weiter, daß neuerdings die land- und forstwirtschaft-

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Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

lichen Bodenverbesserungsarbeiten von der Allgemeinverbindlichreit des Reichstarifvertrags für das Hoch- und Tiefbaugewerbe ausgenommen worden find lvgl. dazu den Erlaß des RAM. IV a 17370/31 vom 4. Januar 1932, RABl. I S. 21). Im übrigen ist der Vorsitzende des Landesarbeitsamts durch § 139 Abs. 4 AVAVG. nicht beschränkt. „Für die Rechtsgültigkeit seines als staatlicher Hoheitsakt anzusehenden Bescheides sind allein die gesetzlichen Bestimmungen maßgebend." (LAG. Koblenz 1A S 56/28 vom 15. August 1928, Rechtspr. II S. 212.) Vgl. auch LAG. Breslau 15 S 211/28 vom 4. März 1929, Rechtspr. II S. 674. Der vom Vorsitzenden festgesetzte Tarifvertrag ergreift alle bei der Notstandsarbeit beschäftigten Arbeitslosen im Gegensatz zur allgemeinen Regelung, wonach unter den Tarifvertrag, sofern er nicht für allgemeinverbindlich erklärt ist, nur die tarifgebundencn Parteien fallen. Der Vorsitzende kann auch den Arbeitslohn nur einer bestimmten Arbeltnehmergruppe aus einem sogenannten zusammengesctzten Tarisvertrag (z. B. dem für Hoch-, Beton- und Tiefbauarbeiten) für Notstandsarbeiten für anwendbar erklären. Ist dies geschehen, so erhalten auch die Notstandsarbeiter, denen nach der Art ihrer Arbeit der Lohn einer anderen, tariflich besser gestellten Arbeit­ nehmergruppe zustände, den vom Vorsitzenden des Landesarbeits­ amts für maßgeblich erklärten Lohn (RAG. vom 6. Mai 1931 — 654/30 —, Rechtspr. V S. 113). Wird z. B. für eine Flußberichtigungsarbcit der Tiefbauarbeitertarif für maßgebend erklärt, so kann ein Maurer, der bei dieser Maßnahme mit Maurerarbeiten beschäftigt wird, nur den Tiefbauarbeiterlohn, nicht aber den Maurcrfachlohn beanspruchen. Soweit der Vorsitzende eine obere Lohngrenze feftsetzt, bleiben die übrigen Bestimmungen des für die Arbeit etwa geltenden Tarifvertrags unberührt/ sofern er einen anderen Tarifvertrag für anwendbar erklärt, gilt dieser in vollem Umfange für diese Arbeit, soweit es nach ihrem Wesen als Notstandsarbeit überhaupt möglich ist.

II. Es steht im pflichtmäßigen Ermessen des Vorsitzenden, ob er eingreifen will. Er kann das aus eigenem Entschluß oder

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

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auf Antrag, z. B. des Trägers der Maßnahme, tun. Er hat nach pflichtmäßigem Ermessen zu entscheiden, ob und welche Höchst­ grenze für die Entlohnung er festsehen oder welchen Tarifvertrag er als maßgebend bezeichnen will. Gegen die Entscheidung des Vorsihenden des Landesarbeitsamts ist nach dem neu eingefügten Abs. 5 ein Rechtsmittel nicht zulässig. Seine Entscheidung ist also sofort rechtskräftig, sie bindet auch die Arbeitsgerichtsbehörden. Eine Entscheidung durch sie ist nur zulässig, soweit im Einzelfalle aus dem Beschluß ein Streitfall entsteht (vgl. LAG. Breslau 15 S 113/28 vom 4. Oktober 1928, Rechtsspr. II S. 734). Die Anordnung des Vorsitzenden des Landesarbeitsamts stellt einen öffentlich-rechtlichen Akt dar, der „kraft der normativen Funktion des Tarifvertrages" mit der Zustellung wirksam wird. Rückwirkende Kraft kann ihr nicht beigelegt werden (LAG. Frankfurt a. M. vom 14. April 1930 — 26IIS 14/30 —, Rechtspr. III S. 419, Scholtz-Herrnstadt S. 77). Die Anordnung kann zurückgenommen oder geändert werden, berührt jedoch die von den Notstands­ arbeitern bereits erworbenen Rechte nicht (RAG. vom 5. November 1930 — RAG. 272/1930 —, Rechtspr. IV S. 118). Dieser Rechts­ grundsatz gilt allgemein, also ohne Rücksicht darauf, ob die An­ ordnung noch während des Laufs der Notstandsarbeit oder erst nach ihrer Beendigung geändert oder zurückgenommen wird.

„Nach § 62 dürfen Arbeiter nur zu den tariflich zulässigen Be­ dingungen vermittelt werden. Eine Durchbrechung dieses Grund­ satzes der unbedingten Achtung bestehender Tarifverträge läßt jedoch als einzige Ausnahme § 139 Abs. 4 dann zu, wenn es sich um die Förderung öffentlicher Notstandsarbeiten handelt." (LAG. Breslau 15 S 113/28 vom 4. Oktober 1928, Rechtspr. II S. 734). Soweit durch die Anordnung des Vorsitzenden ein Lohn fest­ gesetzt ist, gilt er als tariflicher oder ortsüblicher im Sinne des § 90 Der Arbeitslose ist deshalb verpflichtet, Arbeit Abs. 2 Nr. 1. bei einer Notstandsarbeit anzunehmen. Die hier etwa festgesetzte untertarifliche Entlohnung gegenüber einem an sich maßgebenden Tarifvertrag ist kein berechtigter Grund zur Ablehnung der Arbeit. Dagegen können naturgemäß andere berechtigte Gründe zur

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Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

Verweigerung nach § 90 vorliegen, vgl. die Erläuterungen dort. Die unberechtigte Weigerung der Annahme von Notstaudsarbeit zieht die Sperrung der Unterstützung nach sich. c) Wie bereits oben erwähnt, steht, von diesen eben erläuterten beiden Ausnahmen abgesehen, der Notstandsarbeiter dem freien Arbeiter gleich. Deshalb gelten nunmehr auch für ihn die Vor­ schriften des Betriebsrätegesehes, des Schlichtungswesens, der Arbeitszeitgesetzgebung, sämtlicher sonstiger Arbeiterschuhvorschriften. Beim Betriebsrätegeseh ist jedoch § 18 Abs. 2, 3 zu beachten, der die Zulässigleit einer Sondervertretung oder die Neuerrichtung des Betriebsrats je nach der Zahl der vorüber­ gehend Beschäftigten regelt:

„Steigt die Zahl der Arbeitnehmer vorübergehend auf mehr als das Doppelte, aber mindestens um fünfzehn, darunter drei Wahlberechtigte, so wählt der nur vorübergehend beschäftigte Teil der Arbeitnehmer in geheimer Wahl einen Vertreter, welcher der etwa bestehenden Betriebsvertretung beitritt. Ist leine Betriebsvertretung vorhanden, so hat er die Stellung eines Betriebsobmanns. Übersteigt die Zahl der vorübergehend Beschäftigten hundert, so kaun auf Mehrheitsbeschluß sämtlicher wahl­ berechtigten Arbeitnehmer ein Betriebsrat neu errichtet werden." Die Notstandsarbeitcr sind keine besondere Berufs- oder Fach­ gruppe. Ihnen steht deshalb nicht auf Grund des § 8 Abs. 1 a des Reichstarifvertrags für das Baugewerbe das Recht zu, be­ sondere Bau- oder Platzdelegierte zu ernennen (RAG. 71/29 vom 10. Juli 1929, Rechtspr. II S. 641). Der Notstandsarbeiter unterfällt weiter den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung, dem Lohnsteuerabzug — auch bei untertariflicher Entlohnung —. Tie Bezahlung von Regentagen ist nur dann zulässig, wenn sie im Tarifvettrag selbst vorgesehen ist. Urlaub, selbst der tarifmäßige Urlaub, kommt für den Not­ standsarbeiter nicht in Frage, da der Notstandsarbeiter für höchstens 26 Wochen bei Notstandsarbeiten beschäftigt werden darf, während die Urlaubsvorschriften grundsätzlich auf dem Gedanken der Dauer-

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

§ 139 a.

681

beschäftigung aufgebaut sind und für diese dem Arbeiter jährlich eine gewisse Zeit der Ausspannung zugestehen. Das Streikrecht hat der Notstandsarbeiter jetzt wie jeder andere freie Arbeiter. Wegen der etwaigen Folgen (Sperrfrist) vgl. § 93 Abs. 1.

20. Durch die BereinfachungsVO. vom 21. März 1932 (RABl. I S. 45) ist an Stelle des Berwaltungsausschusses der Vorsitzende des Landesarbeitsamts mit der Lohnfestsetzung nach § 139 Abs. 4 betraut worden, um das Verfahren zu beschleunigen. „Dem gleichen Zweck der Vermeidung von Verzögerungen soll auch der Ausschluß des Beschwerderechts dienen" (Begr. Reichs­ ratsdrucksache Nr. 32/1932), den der neue Abs. 5 vorsieht. Die Entscheidung des Vorsitzenden wird also sofort rechtskräftig.

21. Der Verwaltungsausschuß kann die Befugnisse nach § 139 auf den geschüftsführenden Ausschuß übertragen. Gegen die Entscheidung des Verwaltungsausschusses des Landesarbeitsamts oder (bei Übertragung) deS geschäftsführenden Ausschusses ist nach § 190 binnen zwei Wochen Beschwerde an den Vorstand der Reichsanstalt zulässig. Hat der Verwaltungsausschuß des Landesarbeitsamts seine Befugnisse nach Abs. 1 auf den Verwaltungsausschuß des Arbeits­ amts übertragen, so ist gegen dessen Entscheidung nach § 188 binnen zwei Wochen Beschwerde an den Verwaltungsausschuß deS Landesarbeitsamts zulässig. Wegen der Stimmberechtigung der Vertreter der öffentlichen Körperschaften vgl. Anm. 6 Abs. 3 zu § 132. 8 139a. (i) Der Reichsanstalt liegt es ob, den frei­ willigen Arbeitsdienst1) zu fördern?) Sie darf dafür Mittel der Arbeitslosenversicherung und der Krisenfürsorge insoweit einsetzen, als es mit Rücksicht auf die Be­ teiligung unterstützter Arbeitsloser angemessen ist. (2) Gefördert werden dürfen nur gemeinnützige9) zusätzliche4) Arbeiten, die ohne die Förderung auch nicht im Wege der Notstandsarbeiten6) bereitgestellt werden können, insbesondere Bodenverbesserungsarbeiten,

682

Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

Herrichtung von Siedlungs- und Kleingartenland, örtliche Verkehrsverbesserungen und Arbeiten, die der Hebung der Volksgesundheit dienen. (3) Träger6) der Arbeiten dürfen nur Körperschaften des öffentlichen Rechts oder solche Vereinigungen oder Stiftungen sein, die nach ihrem Verbandszweck gemein­ nützige Ziele verfolgen, ferner Vereinigungen, die Gruppen von Arbeitsdienstwilligen für Arbeiten nach Abs. 2 zu­ sammenfassen. Unternehmungen, die auf Erwerb6) ge­ richtet sind, können nicht Träger der Arbeiten sein. (4) Die Beschäftigung im freiwilligen Arbeitsdienst begründet kein Arbeitsverhältnis7) im Sinne des Arbeits­ rechts. (s) Das Nähere, insbesondere über Art, Höhe und Dauer der Förderung, über den Personenkreis sowie über das Verfahren, bestimmt1) der Reichsarbeitsminister. Er kann dabei von den Vorschriften des Gesetzes über Arbeits­ vermittlung und Arbeitslosenversicherung abweichen. Vor seinen Anordnungen hat der Reichsarbeitsminister den zuständigen Ausschuß des Verwaltungsrats der Reichs­ anstalt zu hören. (c) Der Reichsarbeitsminister bestimmt2) ferner, in­ wieweit auf den freiwilligen Arbeitsdienst die Vorschriften des Arbeitsschutzes und der Sozialversicherung anzu­ wenden sind. Er kann von diesen Vorschriften abweichen. (7) Der Reichsarbeitsminister kann Gemeinden, in denen Arbeiten nach Abs. 2 ausgeführt werden, ver­ pflichten,2) den Arbeitsdienstwilligen Unterkunft und Verpflegung zu gewähren. Er kann die Entschädigung dafür festsetzen; dabei kann er den Trägern der Arbeit die Verpflichtung auferlegen, die Entschädigung im voraus sicherzustellen. (s) Der Reichsarbeitsminister kann mit Zustimmung des Reichsministers der Finanzen Vorschriften2) erlassen,

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

8 189a.

683

nach denen beim Vorliegen besonderer Voraussetzungen dem Arbeitsdienstwilligen ein Betrag bis zur Höhe des ungefähren Unterschiedes zwischen der Arbeitslosen­ unterstützung und dem tariflichen oder ortsüblichen Arbeitsentgelt gutgeschrieben werden kann, das der Dienstwillige für seine Arbeit erhielte, wenn er sie im Arbeitsverhältnis verrichtete. Der gutgeschriebene Betrag darf nur dazu dienen, innerhalb einer bestimmten Frist beim Erwerb einer Siedlerstelle oder bei der Einrichtung eines Eigenheims oder als Beitrag zu den Kosten einer Siedlerschulung®) Verwendung zu finden. 1. Neben den Notstandsarbeiten nach § 139 und den Pflicht­ arbeiten nach § 91 führt der durch die ITT. NotVO. vom 5. Juni 1931 eingefügte Z 139a bett „freiwilligen Arbeitsdienst" ein. § 139a beruht auf den Vorschlägen der „Gutachterkommission zur Arbeits­ losenfrage" (Gutachten II. Teil S. 7, Conderbeilage zum RABl. 1931), worin die Förderung des freiwilligen Arbeitsdienstes zur Milderung der Folgen der Arbeitslosigkeit empfohlen wird. „Eine selbstverständliche Voraussetzung für die Arbeitsgelegenheiten, die im freiwilligen Arbeitsdienst ausgenutzt werden sollen, ist, daß sie die Arbeitsmenge über das Maß hinaus erweitern, das vor­ handen ist oder auf anderem Wege, insbesondere dem der Not­ standsarbeiten, verfügbar gemacht werden könnte." Die Gut­ achterkommission ist hierbei von folgenden Erwägungen aus­ gegangen: „Die lange Dauer der Arbeitslosigkeit bedingt fast zwangs­ läufig ein Absinken der Arbeitsfähigkeit und Arbeitsbereitschast der im Charakter noch ungefestigten jüngeren Arbeiter, dem auf alle mögliche Weise entgegengewirkt werden muß. Unbeschadet der Notwendigkeit, Notstandsarbeiten im mög­ lichen Umfang fortzuführen und den Gedanken der Pflichtarbeit auch in der Versicherung festzuhalten, erscheint der freiwillige Arbeitsdienst als ein Weg, der eine mannigfaltige Initiative zur Bereitstellung und Leistung von Arbeit auf sich ziehen könnte und auch in der jüngeren Generation Anklang finden würde.

684

Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

Die Gefahr unzureichender Arbeitsleistung, die mit einem Zwang zur Leistung von Arbeit ohne Entlohnung verbunden sein kann, kommt hier nicht In Frage. Wohl aber dürfte sich der Kreis der verfügbaren Arbeitsgelegenheiten und der Träger, die geneigt find, solche bereitzustellen, damit erweitern. Seelisch bedeutet die Möglichkeit solcher Arbeit für den Arbeits­ losen die Beseitigung des Gefühls, überflüssig zu sein. Sie wirkt der Entmutigung entgegen und stellt ihn vor eine Aufgabe, deren Erfüllung von feinem freien Entschluß abhängt. Vielleicht ist ihm sogar Gelegenheit geboten, feine Initiative bei der Findung geeigneter Arbeitsgelegenheiten einzusehen. Schwierigkeiten der Durchführung werden sich zunächst in der Beschaffung zusätzlicher Arbeit zeigen. Man wird sich deshalb nicht, wie bei der Notstandsarbeit und der Pflichtarbeit, auf die öffent­ liche Hand als Träger beschränken können, sondern man wird Verbände mit gemeinnützigen Zielen als Träger auch dann heran­ ziehen müssen, wenn sie Arbeiten berettstellen, die zunächst einem beschränkten Personenkreis (Mitgliedern oder hilfsbedürftigen Kreisen) zugute kommen. Eine Besorgnis, daß Fehlinvestierungen von Kapital entstehen, braucht kaum zu bestehen, weil nur Arbeiten in Frage kommen, die schlimmstenfalls einen geringen Kapitalbedarf haben,' dieser würde unter Umständen aus Zweckvcrmögen (z. B. Mitglieder­ beiträgen) gedeckt werden können."

2. Im einzelnen vgl. hierzu die VO. über die Förderung des freiwilligen Arbeitsdienstes vom 23. Juli 1931 (RGBl. I S. 398), abgedr. Hl 36. 3. Vgl. Anm. 11 zu § 139.

4. Vgl. Anm. 4 zu § 139. 5. Dgl. die Erläut. zu 8 139. v. Vgl. dazu 8 3 der Richtlinien über Grundförderung (abgedr. IN 25 S. 1158). 7. Das gleiche gilt für die Beschäftigung bei Pflichtarbeiten nach 8 91, während die Beschäftigung bei Notstandsarb eiten nach 8 139 ein freies Arbeitsverhältnis darstellt (vgl. Anm. 19 C zu 8 139).

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

8 140.

685

8. Eingefügt durch die Not BO. vom 6. Oktober 1931.

Schrifttum: Handbuch für den freiwilligen Arbeitsdienst von Dr. von Funcke, Berlin 1932.

§ 140. (1) Der Verwaltungsrat der Reichsanstalt bestimmt,1) ob und inwieweit Empfängern von Arbeitslosenunterstützung für die Anwendung der §§ 132 bis 139 solche Arbeitslose gleichgestellt werden können, denen mtr deshalb keine Arbeitslosenunterstützung gewährt wird, weil die in dem § 93 oder § 110 bestimmte Frist noch nicht abgelaufen oder die im § 95 vorgeschriebene Anwartschaftszeit noch nicht erfüllt ist, sowie solche, denen sie nur deshalb nicht mehr gewährt wird, weil ihr Anspruch nach § 99 erschöpft ist. (2) Der Verwaltungsrat der Reichsanstalt kann zu­ lassen?) dab weitere Mabnahmen zur Verhütung und Beendigung der Arbeitslosigkeit, die geeignet sind, die Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung einzu­ schränken, von den Arbeitsämtern oder Landesarbeitsämtern gefördert werden. An die Stelle des Verwal­ tungsrats tritt der Präsident der Reichsanstalt, wenn solche Maßnahmen im Rahmen der Haushaltsmittel nur versuchsweise für bestimmte Personengruppen oder Bezirke auf beschränkte Zeitdauer zur Förde­ rung zugelassen werden sollen.3) 1. Die Mittel für die Maßnahmen zur Verhütung und Be­ endigung der Arbeitslosigkeit können grundsätzlich nur den unter­ stützten Arbeitslosen gewährt werden; sie sollen in Arbeit zurück­ geführt, die Reichsanstalt soll durch ihre Vermittlung entlastet werden. Es ist jedoch aus allgemeinen und arbeitsmarktpolitischen Gründen erwünscht, daß auch die Vermittlung der Personen er­ leichtert wird, die eine Sperrfrist durchmachen müssen, die Warte­ oder Anwartschaftszeit noch nicht erfüllt haben und deshalb keine Arbeitslosenunterstützung beziehen oder die bereits die Unter­ stützung für die höchstzulässige Dauer erhalten haben und aus-

686

Vierter Abschnitt.

Maßnahmen zur Verhütung

gesteuert sind. § 140 ermächtigt deshalb den Verwaltungsrat der Reichsanstalt, sie für die Anwendung der §§ 132 bis 139 den Empfängern der Arbeitslosenunterstützung gleichzustellen. An der Verordnung zur Förderung der Arbeitsaufnahme vom 30. September 1927 (abgedr. III 22) hat der Berwaltungsrat in Art. 3 zu § 140 Abs. 1 bestimmt: „(1) Den Empfängern von Arbeitslosenunterstützung können für die Anwendung der §§ 132 bis 137 und dieser Verordnung gleichgestellt werden: a) Arbeitslose, denen nur deshalb keine Arbeitslosenunter­ stützung gewährt wird, weil die Wartezeit nach §110 noch nicht abgelaufen ist; b) Arbeitslose, denen nur deshalb keine Arbeitslosenunter­ stützung gewährt wird, weil sie infolge jugendlichen Alters die Anwartschaftszeit (§ 95) nicht erfüllen konnten (Schul­ entlassene); zum Zwecke des Antritts einer ordnungsmäßigen Lehre können sie jedoch Leistungen auf Grund der §§ 132 bis 137 nur mit Zustimmung des Vorsitzenden des Landesarbeitsamts erhalten. (2) Sonstige Arbeitslose, denen nur deshalb keine Arbeits­ losenunterstützung gewährt wird, weil sie die Anwartschaftszeit (§ 95) noch nicht erfüllt haben oder ihr Anspruch nach § 99 erschöpft ist, die aber nicht Empfänger von Krisenunterstützung sind, können den Empfängern von Arbeitslosenunterstützung nur für die Auwendung des § 132 Abs. 1 und 3 und der §§ 134, 135 Satz 1 gleichgestellt werden."

Ter Berwaltungsrat hat demnach von der Ermächtigung des § 140 nur beschränkten Gebrauch gemacht. Die Leistungen der §§ 132 bis 137 können danach außer den Unterstützungs­ empfängern nur zugute kommen den Arbeitslosen, welche die Wartezeit des § 110 noch nicht durchgemacht haben, und den Schul­ entlassenen. Die Richtlinien III 23, 24 lassen sie auch 311 für die Jugendlichen, die infolge ihres Alters die Boraussetzungen für die Unterstützung noch nicht erfüllen konnten. Nur die Reisekosten für sich bei Annahme einer Arbeitsstelle im Inland oder in einem benachbarten Staate (§ 132 Abs. 1, 3),

und Beendigung der Arbeitslosigkeit.

8 140.

687

Führerkosten (§ 134) und Vorschuß für die Beschaffung der Arbeitsausrüstung können gewährt werden den Arbeitslosen, welche — abgesehen von den Jugendlichen — die Anwartschaftszeit nach § 95 noch nicht erfüllt haben oder bereits infolge Erschöpfung des Anspruchs nach § 99 ausgesteuert sind und keine Krisenunterstühung beziehen. Ein Verzicht auf Rückerstattung des Vorschusses für die Arbeitsausrüstung ist in diesem Falle nicht zulässig, da § 135 Satz 2 in Art. 3 ausgeschlossen worden ist. Nicht für anwendbar erklärt hat der Verwaltungsrat die §§ 132 bis 139 auf die Arbeitslosen, die nach §§ 93, 93 a eine Sperrfrist durchzumachen haben. Das gleiche gilt für § 93 c. Die Einschränkungen der Verordnung vom 30. September 1927 gelten nicht, unbeschränkt können also die in § 140 Abs. 1 vorgesehenen Gruppen von Arbeitslosen zu den Maßnahmen der §§ 132 bis 137 dann zugelassen werden, wenn hierdurch die Mittel der Reichsanstalt keine Mehrbelastung erfahren und der Zweck der Maßnahme durch die Zulassung nicht gefährdet wird (vgl. Art. 4 der BO.). überhaupt nicht anwendbar sind die Bestimmungen der §§ 132 bis 139 auf die Arbeitslosen, die sich ohne berechtigten Grund weigern, eine Arbeit anzunehmen oder anzutreten oder sich einer Berufsumschulung oder -fortbildung zu unterziehen, und deshalb eine Sperrfrist durchzumachen haben (§§ 90 Abs. 1, 92, 93a). Für Krisenunterstützungsempsänger bedarf es zur Anwendung der Vorschriften des vierten Abschnitts der Zustimmung des Reichs­ arbeitsministers (vgl. § 141). Ein Rechtsmittel gegen die Anordnung des Verwaltungsrats ist nicht zulässig. Der Verwaltungsrat hat im Anschluß an die VO. vom 30. Sep­ tember 1927 weiter erlassen: a) Richtlinien zur Förderung der Arbeitsausnahme vom 17. Sep­ tember 1930 (abgedr. III 23), b) Richtlinien zur Durchführung beruflicher Bildungsmaßnahmen für Arbeitslose vom 17. September 1930 (abgedr. III 24).

2. Der Verwaltungsrat hat die Förderung der Maßnahmen beschlossen, die durch Schreiben des Präs, der Reichsarbeits-

688

Vierter Abschnitt,

g 141

Verwaltung vom 22. Februar 1927 — IA 659/27 — für die Vermittlung von städtischen Arbeitslosen in die Landwirtschaft zugelassen sind (EinsBem. zu § 140). Er hat ferner Mittel bereit­ gestellt zur Milderung der Not der arbeitslosen Bühnenangehörigen und Förderung ihrer Unterbringung, desgleichen der arbeitslosen deutschen Ingenieure und Techniker, ferner zur Förderung der deutschen Arbeiterkolonien (vgl. hierzu v. Funcke tm RABl. 1929 II S. 475). Weiter hat er Maßnahmen zur Behebung der Notlage unter den älteren Angestellten zugelassen (vgl. Präs. II 3121/17 vom 2. April 1928, Dienstl. Mitt. 61/28 und 62/28). 3. Eingesügt durch die Novelle. Haben sich solche Maßnahmen bei den Versuchen bewährt, dann beschließt der Verwaltungsrat über die allgemeine Zulassung.

§ 141. Für Empfänger von Krisenunterstützung x) gelten die §§ 132 bis 139 und 140 Abs. 2, soweit der Reichsarbeitsminister oder eine Stelle, die er beauftragt bat, die Zustimmung *) dazu erteilt bat. 1. Vgl. §§ 101, 167.

2. Da die Mittel der Krisenunterstützung zu vier Fünftel vom Reich getragen werden, ist die Zustimmung des Reichsarbeits­ ministers erforderlich, wenn der Kreis der Aufgaben und damit der Ausgaben für die Krisenfürsorge erweitert werden soll. In Ziff. II 5 des Erlasses über die Krisenfürsorge vom 17. Juni 1932 (abgedr. IH 34) hat der ReichSarbeitSminister dem­ entsprechend besttmmt, daß für die Empfänger der Krisenunterstützung die §§ 132 bis 137,139, 139 a, 140 sowie die Ausführungs­ bestimmungen gelten, die hierzu ergangen sind (vgl. dazu § 140). Durch Erlasse vom 4. Juli und 14. November 1928 hat der RAM. auch seine Zustimmung dazu erteilt, daß die vom Ver­ waltungsrat gemäß § 140 Abs. 2 zur Behebung der Notlage unter den älteren Angestellten -ugelassenen Maßnahmen (Dienstl. Mitt. 61/28) auch für Krisenunterstützungsempfänger durchgeführt und die Kosten nach § 167 Abs. 2 bestritten werden (Präs. II 31 31/31 vom 9. Juli 1928, Dienstl. Mitt. 126/28, und 3121/28 vom 22. Dezember 1928).

Fünfter Abschnitt.

Aufbringung der Mittel. Vorbemerkung. I. Der fünfte Abschnitt regelt die F i n a n z w i r t s ch a f t der Reichsanstalt. Die Arbeitslosenversicherung ist auf der Selbst­ verwaltung der Beteiligten aufgebaut, ihr entspricht die Selbst­ verantwortung für die Beschaffung der erforderlichen Mittel. Die Mittel, welche die Reichsanstalt zur Durchführung ihrer Auf­ gaben braucht, werden durch Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgebracht (§ 142; Ausnahmen: § 143 Abs. 2 Satz 2, §§ 143b, 143c, 144, 208, 209, 210a). Beitragspflichtig sind die Arbeitnehmer, die versicherungs­ pflichtig für die Arbeitslosenversicherung sind (vgl. § 69), und ihre Arbeitgeber je zur Halste, Versicherungsberechtigte tragen den Gesamtbetrag allein (§ 143). Der Beitrag ist f e st z u s e tz e n: a) für die krankenversicherungspflichtigen Personen in Bruchteilen des Grundlohnes, b) für die Angestelltenversicherungspflichtigen, die wegen der Höhe ihres Arbeitsverdienstes nicht kranken­ versicherungspflichtig sind, und für die freiwillig Versicherten in Bruchteilen eines Betrags von 10 RM für den Kalendertag (§ 150 Abs. 2). Die Beiträge sind zu entrichten: a) für die gegen Krankheit Versicherten als Zuschläge zu den Krankenkassenbei­ trägen mit diesen, b) für die Angestelltenversicherungspflichtigen, die wegen der Höhe ihres Arbeitsverdienstes nicht gegen Krankheit versichert sind, an die Krankenkasse, bei der sie für den FaN der Krankheit pflichtversichert wären, wenn sie nicht mehr als 3600 RM. Iahresarbeitsverdienst hätten. Versicherungsberechtigte zahlen an die Krankenkasse, bei der sie gemeldet sind (§ 145). Schmeißer, Arbeitslosenversicherung.

44

690

Fünfter Abschnitt.

Ausbringung der Mittel.

Die Kranlenlassen führen die Beiträge unverzüglich an das für ihren Sitz zuständige Landesarbeitsamt ab, in Ausnahme­ fällen kann die Abführung an das Arbeitsamt zugelassen werden (§ 147). Der Beitrag

besteht aus einem

Reichs-

und

einem

Landesanteil (§ 149), sie zusammen bilden den Reichsh ö ch st s a tz, der jeweils vom Vorstand der Reichsanstalt fest­ gesetzt wird (§ 153); zugleich bestimmt er auch den Hundertsatz des Reichsanteils. Der Unterschiedsbetrag -wischen dem Reichs­ höchstsatz und dem Reichsanteil ist der höchstzulässige Satz des Landesanteils. Da jedoch der Reichshöchstsatz die durchschnittlichen

Arbeitsmarltverhältnisse des Reichs zugrunde legen muß, wird er in normalen Zeiten nicht in allen Bezirken in voller Höhe be­

nötigt werden. Deshalb setzt der Verwaltungsausschuß des einzelnen Landesarbeitsamts den Landesanteil für seinen Bezirk nach dessen Bedarf fest (§ 150 Abs. 1). Der Reichshöchstsatz (Reichs- und Landesanteil zusammen) darf 3 v. H. des für die Bemessung maß­ gebenden Arbeitsentgelts nicht übersteigen (§ 153 Abs. 3). Das Landesarbeitsamt decktmit dem Aufkommen aus seinem

Bezirk den Bedarf und schafft auf diese Weise einen ört­ lichen Gefahrenausgleich. Überschüsse des einzelnen Kalendermonats sind zur Hälfte an die Hauptstelle der Reichs­ anstalt abzuführen, der Verwaltungsausschuß hat aber unver­

züglich zu prüfen, inwieweit im Hinblick auf diese Überschüsse der Landesanteil des Beitrags herabgesetzt werden kann (§ 155). Sind drei Monate hindurch Überschüsse erzielt oder ist während

dieser Zeit der zulässige Höchstsatz nicht erreicht worden, so kann der Verwaltungsausschuß des Landesarbeitsamts den Landes­ anteil unterteilen in einen Landes - und in einen Bezirks-

anteil und die weitere Herabsetzung des letzteren dem Ver­ waltungsausschusse des Arbeitsamtes überlassen. Wird hiervon in einer der Wirtschaftslage nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht, so wird der Ausfall nicht vom Landesarbeitsamt erstattet, er muß vielmehr durch erhöhte Beiträge gedeckt werden (§ 156). Mit den Überschüssen der Landesarbeitsämter und den aus dem Reichsanteil eingehenden Summen werden durch den Vor­

stand der Reichsanstalt die Fehlbeträge anderer Landes-

Vorbemerkung.

691

Arbeitsämter gedeckt, wenn im Laufe des Fehlbetragsmonats und des vorhergehenden Monats im ganzen Landesarbeitsamtsbezirk der Reichshöchstsatz erhoben worden ist und Überschüsse aus den früheren Monaten nicht vorhanden sind. Ist der Reichs­ höchstsatz jedoch im Landesarbeitsamtsbezirk nicht oder nicht mindestens im letzten und vorletzten Monat oder nicht im ganzen Bezirk erhoben worden, so tritt der Vorstand nicht ein, vielmehr muß der Fehlbetrag durch erhöhte Beitrage gedeckt werden (§ 157). Tie Hauptstelle wird bei Ausgleichung von Fehlbeträgen als Reichsausgleichskasse tätig. Sie sorgt aber zugleich auch für einen zeitlichen Gefahrenausgleich, indem sie die nicht zur Deckung von Fehlbeträgen erforderlichen Mittel zur Bildung eines N o t st o ck s ansammelt (§ 159 Abs. 1, 2). Solange er die vorgeschriebene Höhe nicht erreicht hat oder wenn das der Fall gewesen ist, der Notstock dann aber durch starke In­ anspruchnahme erschöpft worden ist oder die Gefahr der Erschöpfung droht, also in Notzeiten, darf der Beitrag nicht mehr in Reichs­ und Landesanteil getrennt werden, er wird vielmehr einheitlich fürs ganze Reichsgebiet auf 3 v. H. festgesetzt und so lange in dieser Höhe erhoben, bis der Notstock die erforderliche Höhe erreicht oder wieder erreicht hat (§§ 161, 162, 245). Kann der Bedarf der Reichsanstalt aber aus den Beiträgen und dem Notstock nicht mehr völlig gedeckt werden, obwohl recht­ zeitig der Beitrag einheitlich fürs Reichsgebiet festgesetzt worden ist, so muß das R e i ch helfend einspringen, um eine Herabsetzung der Pflichtleistungen der Versicherung zu vermeiden,' der Reichsarbeitsminister muß der Reichsanstalt Darlehen gewähren, die sie später aus dem Beitragsaufkommen zurückzahlen muß (§ 163). In diesem einen Falle treten nach dem Gesetz öffentliche Mittel für die Versicherungs pflicht leistungen ein. Zu diesen Vorschriften sind 1930 mit Rücksicht darauf, daß die Reichskasse durch das außerordentliche Anschwellen der Arbeitslosenzahl infolge der Weltwirtschaftskrise sehr stark in Anspruch genommen worden ist, Ausnahmevorschriften erlassen worden. Abweichend von § 163 ist bestimmt worden, daß das Reich in gewissem Umfang Zuschüsse und Darlehen leistet, während der Rest, der weder hierdurch noch durch die eigenen Mittel der Reichsanstalt gedeckt 44*

692

Fünfter Abschnitt.

Aufbringung der Mittel.

werden kann, durch Erhöhung oder Abstufung der Beitrage oder beide Maßnahmen aufzubringen ist (I. Not BO. Art. 3, 4). Ab­ weichend von § 153 ist daraufhin der Beitrag über 3 v. H. hinaus erhöht worden, er beträgt zurzeit 6% v. H. (BO. vom 30. Sep­ tember 1930 — RGBl. I S. 458 —, ErgänzungsNotBO. § 2). Zuschüsse oder Darlehen dürfen an die Reichsanstalt nur in dem Umfange gewährt werden, in dem sie im Reichshaushaltsplan vorgesehen sind. Bom Haushaltsplan für das Rechnungsjahr 1931/32 an sind solche Mittel nicht bereitgestellt worden, so daß die Reichsanstalt ihre Aufwendungen nunmehr voll aus den Beittägen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer decken muß. Ganz aus öffentlichen Mitteln werden die Leistungen der Krisenfürsorge gettagen (vgl. § 167). Die Vorschriften über die Aufbringung der Mittel gehören zum Gebiet der Arbeitslosenversicherung. Soweit die Organe der Reichsanstalt hier tätig werden, wirken die Vertreter der öffentlichen Körperschaften nicht mit (8 200). Das ist begründet, da sie an der Aufbringung der Mittel nicht beteiligt sind. Die Vorschrift des § 200 gilt aber nicht für die Krisenfürsorge,' hier würde es unbillig sein, die Gemeinden auszuschließen, da sie ein Fünftel dieser Lasten zu ttagen haben. II. Schrifttum: Kretschmann, Darstellung der Mittel­ aufbringung in der Karten-Auskunftei des Arbeitsrechts, Karte „Arbeitslosenversicherung, VI. Mittelaufbringung".

III. Einen Ausgleich der Mittel zwischen Uberschuß- und Be­ darfsgebieten hatte bereits die VI. AusfVO. vom 18. Januar 1926 (RGBl. I S. 92) nach langen tastenden Versuchen unter bem Drucke der Krisenzeit zu schaffen versucht. Eine Reichsgefahrengemeinschäft war gebildet worden, die durch Ansammlung von Beiträgen in der Reichsausgleichskasse und Verteilung an Bedarfsgebiete der übermäßigen Belastung einzelner Teile des Reichs vorbeugen und damit eine gleichmäßigere Be­ lastung der Wirtschaft schaffen sollte. Die Reichsgefahrengemein­ schaft war aufgebaut auf Gefahrengemeinschaften, die entweder für den Bezirk eines Landesamts für Arbeitsvermittlung oder für den Bezirk eines Landes geschaffen werden mußten. Denn

8 142.

693

nur dort, wo eine überörtliche Gefahrengemeinschaft gebildet worden war, konnten die Fehlbeträge bei der Reichsausgleichskasse angefordert werden. Die Einrichtung der Reichsgefahrengemein­ schaft hat trotz der erheblichen Wirtschaftskrise int Jahr 1926 fühlbar zur Entlastung überlasteter Gebiete beigetragen. Das Gesetz hat die Gedanken der VI. AusfVO. weiter fortgebildet, konnte aber auf die Errichtung von Gefahren- oder Beitragsgemeinschasten int bisherigen Sinne infolge der einheitlichen Organisation ver­ zichten.

§ 142. Die Mittel, welche die Neichsanstalt zur Durchführung ihrer Aufgabenx)2) benötigt, werden unbeschadet der Vorschrift8) des § 167 durch Beiträge der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer aufgebracht/)8) 1. Die Aufgaben der Reichsanstalt sind nach § 1 die öffentliche Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung und die öffentliche Arbeitslosenversicherung. Weitere Aufgaben zur Regelung des Arbeitsmarkts kann sie mit Zustimmung des Reichsarbeitsministers übernehmen. Er kann ihr auch selbst solche Aufgaben übertragen, entweder als eigette oder als Auftrags­ angelegenheiten. Soweit jedoch dadurch Kosten entstehen, ist er dabei an die Zustimmung des Vorstandes der Reichsanstalt gebunden. Das Selbstverwaltungsorgan soll entscheiden, ob die Anstalt die Mittel auch für diese Aufgaben gewähren will.

2. P f l i ch t l e i st u n g e tt der Arbeitslosenversicherung sind die Arbeitslosenunterstützung (§§ 87 ff.), die Krankenversicherung Arbeitsloser (§§ 117 ff.), die Erhaltung der Anwartschaft in der Invaliden-, Angestellten- und knappschaftlichen Pensionsversiche ­ rung (§ 129). Mehrlei st ungen sind die Kurzarbeiterunterstützung (§ 130) und die Krisenunterstühung (§§ 101,102). Bei ihnen bedarf es einer besonderen Zulassung. Wegen der Aufbringung der Mittel für die Krisenfürsorge vgl. jedoch Anm. 3.

Kannleistungen sind die Maßnahmen zur Verhütung und Beendigung der Arbeitslosigkeit lReisekosten zur Aufnahme

694

Fünfter Abschnitt.

Aufbringung der Mittel.

von Arbeit, Familienzuschläge für doppelten Haushalt, Trausport­ führerkosten, Arbeitsausrüftung, Anlernezuschuß, Fortbildungs­ und Umschulungsmaßnahmen, wertschaffcnde Arbeitslosenfürsorge, Förderung des freiwilligen Arbeitsdienstes, §§ 132 ff.). Nicht aus den Mitteln der Reichsanstalt werden getragen:

a) die Krisenfürsorge (§ 167), b) die verstärkte Förderung in der wertschaffenden Arbeitslosen­ fürsorge (§ 139 Abs. 2, 3).

3. Die Aufwendungen der Krisenfürsorgc werden voll auS öffentlichen Mitteln gedeckt, und zwar zu vier Fünftel vom Reich, zu einem Fünftel von den Gemeinden. 4. Vgl. Zs 143 ff. ü. Durch die NotVO. vom 5. Juui 1931 Kap. I Art. 8 ist hierzu folgende Ausnahmebestimmung ergangen: „(1) Die Reichsrcgierung kann die Untertagearbeiter des Steinkohlenbergbaues und ihre Arbeitgeber ganz oder teilweise und auf begrenzte Zeit von der Beitragspflicht zur Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung befreien, wenn dadurch eine angemessene Senkung des Liohlenpreises erreicht wird. Das Versicherungsverhältnis der beteiligten Arbeitnehmer wird dadurch nicht berührt. Der Lohuanspruch der Arbeitnehmer mindert sich um den Betrag, den sie sonst als ihren Anteil am Beitrag zur Reichsanstalt zu tragen hätten. (2) Der Ausfall, an Beiträgen wird der Reichsanstalt vom Reiche erseht. Tie Einzugsstellen sind verpflichtet, der Reichs­ anstalt alle Angaben zu machen, die zur Feststellung des Beitrags­ ausfalls erforderlich sind. Das Nähere bestimmt, soweit notwendig, der Reichsarbeitsminister."

Die gleiche Ermächtigung ist der Reichsregierung im 8 2 der ebenfalls auf Grund des Art. 48 Abs. 2 RVerf. erlassenen 2. BO. über die Beilegung von Cchlichtungsstreitigkeiten öffentlichen Interesses vom 30. September 1931 (RGBl. I S. 521) für die Untertagearbeiter des Steinkohlenbergbaus des R u h r g e b i e t s und ihre Arbeitgeber zunächst für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 30. November 1931 erteilt worden. Die Ermächtigung ist dahin ausgedehnt worden, daß die Reichsregierung „die Befreiung auch auf die unter Tage beschäftigten Angestellten und auf andere

§143.

695

Steinkohlengebiete ausdehnen und ihre Geltungsdauer über den 30. November 1931 hinaus verlängern" kann. Auf Grund dieser Ermächtigung hat die Reichsregierung mit Wirkung vom 1. Oktober 1931 ab die Untertagearbeiter und -angestellten in Stein- und Pechkohlengebieten von der Versiche­ rungspflicht befreit. Die Dauer der Befreiung ist zuletzt durch die VO. vom 4. Juli 1932 (RABl. I S. 129) verlängert worden und gilt jetzt bis zum 30. September 1932. Uber die Ermittlung des Ausfalls an Beiträgen zur Arbeits­ losenversicherung im Steinkohlenbergbau ist die BO. vom 31. Ok­ tober 1931 (RABl. I S. 256) erlassen worden.

§ 143. (1) Zur Zahlung der Seiträöc x) sind die Versicherten *) und ihre Arbeitgeber verpflichtet?) (2) Versicherungspflichtige 4) und ihre Arbeitgeber entrichten die Beiträge je zur Hälfte?) Versicherungs­ berechtigte tragen die Beiträge allein?) 1. Die Begründung zu § 126 des Entwurfs sagt dazu: „Die Aufteilung der Beitragslast je zur Hälfte auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist bedingt durch den Grundsatz der Parität, der auch sonst in dem Entwürfe durchgeführt ist. Dieser Grundsatz mutz im Arbeitsnachweis- und Arbeitslosenversicherungswesen um so entschiedener durchgeführt werden, als es sich dabei um Einrichtungen handelt, die wie wenig andere das Zusammen­ arbeiten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer erfordern und die zwischen beiden Teilen bestehenden Gegensätze bis zu einem ge­ wissen Grade auszugleichen berufen sind."

2. = gegen den Fall der Arbeitslosigkeit versichert, über den Kreis dieser Versicherten vgl. § 69 mit Erläuterungen. Wer in der Kranken-, Reichsknappschafts- oder Angestelltenversicherung versicherungsfrei ist kraft Gesetzes, Anordnung, auf eigenen An­ trag oder auf den des Arbeitgebers oder wer versicherungsfrei ist nach den §§ 70 ff., ist auch beitragsfrei zur Arbeitslosenversiche­ rung. Beitragsfrei ist in diesem Falle das ganze Beschäftigungs­ verhältnis, so daß auch der Arbeitgeber keine Beiträge zu zahlen hat. Ausnahmen (Beitragsfreiheit des Arbeitnehmers, Beittags-

696

Fünfter Abschnitt.

Aufbringung der Mittel.

pflicht des Arbeitgebers) nach den §§ 143 a bis c, 144, 208, 209, 210 a. Verficherungsberechtigte tragen die Beiträge allein.

3. Einzelfalle:

a) Hausgewerbetreibende und Heimarbeiter find nach § 206 a Arbeitnehmer. Wegen ihrer Versicherungspflicht vgl. § 75 c und S. 234 f., bezüglich der Bersicherungsfreiheit vgl. die BO. III20. Den Arbeitgeberanteil hat der Arbett- oder Auftraggeber zu zahlen. Soweit es sich um sog. Zwischenmeister handelt, gilt solgendes: Soweit sie unmittelbar für den Auftraggeber selbst hausgewerblich arbeiten, sind sie als Arbeitnehmer anzusehen und haben den Arbeitnehmeranteil beizusteuern, soweit sie dagegen die ihnen vom Fabrikanten übergebenen Stoffe und Zutaten ihrerseits durch Heimarbeiter bearbeiten lassen, gelten sie als Arbeitgeber und haben den Arbeitgeberanteil zu tragen. Nach § 473 RBO. kann die Satzung der Krankenkasse hausgewerblichen Auftrag­ gebern besondere Zuschüsse für die vom Hausgewerbetreibenden Gelieferten Arbeitserzeugnisfe auferlegen. Von diesen Zuschüssen, die ihrem Wesen nach von den Beiträgen verschieden sind, sind Versicherungsbeittäge nur insoweit zu leisten, als sie an die Stelle des für gewöhnlich vorgesehenen Arbeitgeberbeitrags treten (so RAM. vom 29. Dezember 1923, RABl. 1927 S. 6). Ver­ sicherungsfrei sind Zwischenmeister, die nicht den überwiegenden Teil ihres Verdienstes aus ihrer eigenen Arbeit am Stücke be­ ziehen (§ 75 c Abs. 1). In diesem Falle besteht Beitragsfreiheit.

b) Für Krankheitszeiten gilt: Krankenversicherungspflichtige brauchen für die Zeit der Krankenhilfe, in der sie wegen Arbeits­ unfähigkeit nach § 383 RVO. Krankenkassenbeiträge nicht zu entrichten haben, Beiträge zur Versicherung auch dann nicht zu leisten, wenn sie Gehalt oder Lohn vom Arbeitgeber weiter­ beziehen, obwohl sie während dieser Zeit Pflichtmitglied der Krankenkasse bleiben (so für das bisherige Recht RAM. vom 1. April 1924, RABl. S. 143); der Bescheid des RAM. gilt auch jetzt noch. Er ist anzuwenden auch auf die Fälle des § 189 RBO. in der Fassung der ErgänzungsNotVO., ferner gilt er für die krankenverficherungspflichtigen Angestellten, die bei einer

8 143.

697

Ersatzkaffe versichert sind, selbst wenn die Ersatzkasse satzungsmäßig Beiträge zur Krankenversicherung auch für Krankheitszeiten erhebt, und für die sich freiwillig nach § 311 RVO. Ver­ sichernden. Versicherungsberechtigte nach der Krankenversiche­ rung, d. s. Personen, die auf Grund der Berechtigung gemäß § 176 RVO. der Krankenversicherung freiwillig beigetreten find, sind nach § 69 AVABG. nicht für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert und zahlen deshalb keine Beiträge zur Reichsanstalt (vgl. Präs. V 176 vom 11. Oktober 1927, Dienstl. Mitt. 11/27). Diese Versicherungsberechtigten sind zu unterscheiden von den nach § 86 AVAVG. wegen Überschreitung der Höchstgehaltsgrenze versicherungsberechtigten Angestellten, die nach § 143 Abs. 2 Satz 2 den Beitrag zur Reichsanstalt allein tragen müssen. Angestelltenversicherungspflichtige, die nicht für den Fall der Krankheit pflichtversichert sind, also die höher bezahlten Angestellten mit einem Jahreseinkommen von über 3600 RM. bis 8400 RM., müssen die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung so lange zahlen, als sie nach § 168 ABG. die Beiträge zur Angestelltenversicherung für die Krankheitszeiten, in denen sie das Gehalt fortbezogen haben, weiterentrichtcn (vgl. Präs. V 176 vom 11. Oktober 1927, Dienstl. Mitt. 11/27, und RAM. IV 12160/26 vom 14. Oktober 1926, RABl. S. 374). Dieser Auffassung hat sich auch der III. Beschlußsenat (Entsch. III Ar 47/29 B vom 21. Mai 1930, RABl. IV S. 305 Nr. 3794) angeschlossen. Er weist darauf hin, daß bei diesen Angestelltenversicherungspflichtigen die Beitrags­ pflicht nicht auf der Krankenversicherungspflicht beruht, so daß lediglich § 145 Abs. 1 Nr. 2 AVAVG. maßgebend ist. Dessen Wortlaut spreche dafür, daß für Beschäftigungszeiten, in denen Angestelltenversicherungspflicht bestehe, schlechthin Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu entrichten seien. Die Entscheidung betraf allerdings nur die Zeit vor dem 1. November 1929, in der Krankheitszeiten noch auf die Anwartschaftszeit nach § 95 anzurechnen waren, ba § 98 a damals noch nicht bestand. In­ zwischen hat aber der Senat in der Entsch. vom 13. Mai 1931 — UI Ar 10/31 B — (RABl. IV S. 354 Nr. 4168) festgestellt. daß für Arbeitnehmer, die nicht auf Grund ihrer Krankenver­ sicherungspflicht, sondern lediglich auf Grund ihrer Angestellten-

698

Fünfter Abschnitt.

Aufbringung der Mittel,

versicherungspflicht für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert sind, auch nach dem seit dem 1. November 1929 geltenden Rechte — und zwar auch dann, wenn sie freiwillig gegen Krankheit versichert sind —, Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für Krankheits­ zeiten zu entrichten sind, soweit das versicherungspflichtige Bcschäftigungsverhältnis fortbestanden hat. — Ohne Bedeutung ist, ob und bei welcher Kasse, auch Ersahkasse, diese Angestellten gegen Krankheit versichert sind. c) Für die Arbeitslosen, die nach den §§ 117 ff. gegen Krank­ heit versichert sind, sind Beiträge zur Versicherung nicht zu ent­ richten, da hier keine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt. Notstandsarbeiter sind nach § 139 Abs. 4 freie Arbeiter. Für sie sind deshalb wie für andere Arbeitnehmer die Beiträge zu entrichten. Wird auf Grund des § 139 Abs. 4 ein besonderer Lohn festgesetzt, dann bemißt sich der Beitrag danach. Für Kurzarbeiter müssen die Beiträge nach ihrem Kurzlohn (ohne etwaige Kurzarbeiterunterstützung) geleistet werden (vgl. auch RAM. vom 12. August 1931, RABl. I S. 192), auch wenn sie nach § 382 RVO. in ihrer alten höheren Lohnstufe versichert bleiben, aber den Mehrbetrag des Beitrags selbst übernehmen oder der Arbeitgeber zustimmt. Dies ergibt sich aus § 150 Abs. 2 Nr. 1. d) Unständig Beschäftigte (vgl. dazu §§ 75b, 83,128 ABAVG., 441 RVO.), die versicherungspflichtig sind (§ 75b), sind beitrags­ pflichtig. Den Arbeitgeberanteil des Krankenkassenbeitrags für sie trägt nach § 453 RVO. die Gemeinde, demnach auch bcn für die Arbeitslosenversicherung; eine etwaige Umlegung unter entsprechender Anwendung des § 454 RVO. bleibt ihr vorbehalten (III. Beschlußsen. vom 13. Dezember 1929 — III Ar 16/29 B —, RABl. 1930 IV S. 106 Nr. 3685). Der unständig Beschäftigte, der nach § 450 Abs. 3 RVO. seinen Krankenkassenbeitrag selbst einzuzahlen hat, hat auch grundsätzlich den Arbeitnehmeranteil zur Versicherung selbst zu zahlen (so auch NAM. vom 22. Mai 1924, RABl. S. 262). Vgl. auch RAM. vom 13. August 1928, RABl. I S. 225. Im Falle des § 455 Abs. 1 RVO. haben die unständig Beschäftigten Beiträge zur Rcichsanstalt nicht zu zahlen. c) Für die Mitglieder von Kaffeehauskapellen ist der Inhaber der Gaststätte für die Zahlung der Beiträge verantwortlich, nicht

8 148.

699

der Leiter der Kapelle, auch wenn er die Musiker selbst annimmt und entlohnt (RAM. vom 17. Januar 1924, RABl. S. 36).

f) Entstehen mit exterritorialen Arbeitgebern Meinungs­ verschiedenheiten über die Entrichtung der Arbeitslosenversiche­ rungsbeiträge für die bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmer, so sind diese Fälle unverzüglich dem Präs, der Reichsanstalt vor­ zulegen. Das gleiche gilt, wenn Arbeitgeber solche im Deutschen Reich angestellte Konsuln sind, die nicht das Recht der Exterritorialität genießen (Präs. III1506 vom 5. Mai 1928, Dienst!. Mitt. 94/28). g) Die sog. „Halbversicherten", die nach § 375 ABG. von der eigenen Beitragszahlung für die Angestelltenversicherung befreit sind, sind pflichtversichert für die Arbeitslosenversicherung (Begr. C. 80); denn sie sind nur von der eigenen Beitragszahlung, da­ gegen nicht von der Versicherung als solcher befreit (RAM. vom 30. Januar 1926, RABl. S. 47). Sie sind deshalb auch beitrags­ pflichtig zur Arbeitslosenversicherung.

h) Wegen der Lehrlinge vgl. § 150 Abs. 2 Nr. 1.

4. Ein Angestellter, der bisher versicherungspflichtig war, dann aber die für die Bersicherungspflicht festgesetzte Verdienst- oder Einkommensgrenze von 8400 RM. bei der Angestelltenversicherung nach der Verordnung vom 10. August 1928 (RGBl. I S. 372) überschreitet, scheidet erst mit dem ersten Tage des vierten Monats nach Überschreiten der Pflichtgrenze aus der Versicherungspflicht aus (§ 165 b RVO., § 3 Abs. 2 ABG.). Bis zu diesem Zeitpunkt gilt die Beschäftigung auch als arbeitslosenversicherungspflichtig und deshalb beitragspflichtig. Wer dagegen die Höchstgrenze der Krankenvcrsicherungspflicht von 3600 RM. überschreitet, scheidet nach Z 165 d RVO. in der Fassung der I. Not BO. mit dem Tage der Überschreitung der Verdienstgrenze aus der Versicherungs­ pflicht aus (vgl. S. 238). 5. Entgegen den Kcankenkassenbeiträgen, von denen der Arbeitgeber ein Drittel, der Arbeitnehmer zwei Drittel trägt. Der Arbeitgeber, der vorsätzlich die Beiträge zur Arbeitslosen­ versicherung in anderem Umfange erhebt, als gesetzlich vor­ geschrieben, z. B. in derselben Weise wie die Krankenkassenbeiträge, oder vorsätzlich den Vorschriften dieses Gesetzes zuwider Abzüge

700

Fünfter Abschnitt.

Aufbringung der Mittel.

macht, wird nach § 269 mit Geldstrafe bis zu 150 RM. oder mit Haft bestraft, wenn nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften (Betrug!) härtere Strafe verwirkt wird. Arbeitgeber werden mit Gefängnis bestraft, wenn sie Beitrags­ teile, die sie den Beschäftigten einbehalten oder von ihnen erhallen haben, der berechtigten Kasse vorsätzlich vorenthalten. Daneben kann auf Geldstrafe und auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Bei mildernden Umständen kann ausschließlich auf Geldstrafe erkannt werden (§ 270). Vgl. auch LG. III Berlin vom 6. Dezember 1927 und Kammergericht vom 7. Juli 1927 zu § 533 RV O., der sich mit § 270 AVABG. deckt (Spruchpraxis I S. 166, 183). Beide Urteile betreffen zahlungsunfähige Arbeit­ geber. Wegen der Ersatzkassenmitglieder vgl. § 270 Abs. 1 Satz 2. 6.

Uber Versicherungsberechtigte vgl. § 86.

§ 143 a. Beitragspflichtig1) sind auch die Arbeit­ geber2) solcher Arbeitnehmer, deren Beschäftigung nach den §§ 70 bis 75, 75 b oder 75 d8) versicherungsfrei ist, wenn sie die Befreiungsanzeige4) (§ 85 a) nicht form-6) und6) fristgerecht7) erstatten. Sie zahlen dann bis zum Ende der Kalenderwoche,6) in der die Befrei­ ungsanzeige formgerecht8) eingeht, so viel, wie sie im Falle der Versichernngspflicht der Beschäftigung als ArbeitgeberanteilB) des Beitrags zahlen müßten, an die Stelle, die dann Einzugsstelle10) wäre.11) 1. § 143 a ist durch die Novelle eingefügt worden, er ist am 1. November 1929 in Kraft getreten. Die Versicherungsfreiheit tritt nach der Neuregelung durch die Novelle kraft Gesetzes ein, sie hängt nicht mehr von der Ein­ reichung einer Befreiungsanzeige ab. Eine solche ist aber gleich­ wohl auch jetzt noch erforderlich, um die Krankenkasse als EinzugSstelle der Beiträge zur Reichsanstalt darüber laufend zu unterrichten, welche BeschäftigungSverhältnisse versicherungS- und damit beitragsfrei sind. Die Forderung der Einreichung der Befreiungsanzeige hat also den Charakter einer Ordnungsvorschrift.

8 143a.

701

Einzureichen hat die Anzeige der Arbeitgeber (vgl. § 85 a). Um ihn zu veranlassen, daß er die Anzeige ordnungsmäßig erstattet, legt ihm § 143 a einen Ordnungsbeitrag (Fischer-Hertel S. 66) bis zum Ende der Kalenderwoche auf, in der die Anzeige form­ gerecht eingeht. Außerdem kann die Einreichung durch Ordnungs­ strafe nach § 261 erzwungen werden. Vgl. aber § 85 a Abf. 4.

2. Der Arbeitnehmer ist beim Vorliegen des gesetzlichen Tat­ bestandes der Befreiungsvorschriften (§§ 70 ff., 208, 209) kraft Gesetzes Versicherung^ und damit beitragsfrei. 3. § 143 a in der Fassung der Nov. sah die Beitragspflicht des Arbeitgebers dann vor, wenn erbet den nach den 88 70 bis 75c versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnissen die Anzeige nach 8 85 a nicht form- oder fristgerecht erstattete. Demnach bestand die Beitragspflicht auch im Falle des 8 75 a, obwohl bei diesen geringfügigen Beschäftigungen der Arbeitgeber nach 8 143 b auch trotz der Einreichung der Befreiungsanzeige beitragspflichtig für seinen Anteil bleibt. Um diese Unstimmigkeit zu beseitigen und zu vermeiden, daß der Arbeitgeber etwa doppelt nach 8 143a und 8 143 b zur Zahlung herangezogen wird, hat die III. Not BO. an Stelle der Zahlen „70 bis 75 c" gesetzt: „7 0bis 75,75boder 7 56". Damit wird klargestellt, daß im Falle des 8 75a bei nicht rechtzeitiger oder nicht formgerechter Anzeige der Arbeitgeber nicht nach 8 143 a herangezogen werden kann. Dieselbe Regelung ist für die Fälle des 8 75 c mit Rücksicht auf die Einfügung des 8 143 c getroffen worden. Die Einreichung der Befreiungs­ anzeige kann jedoch in diesen wie in den übrigen Fällen durch OrdnungS st r a f e nach 8 261 erzwungen werden. Durch die Änderung ist 8 75 d, der bisher nicht erwähnt worden war, mit erfaßt worden (vgl. Anm. 2 zu 8 75 d). Auf die §§ 208 209 ist dagegen 8 143 a nicht anzuwenden (vgl. Anm. 2 zu 8 210). Die Änderung ist am 29. Juni 1931 in Kraft getreten. Sie erfaßte auch laufende Fälle (vgl. Art. 9 der HL Not BO., RGBl. 19311 S. 297). 4. Dgl. die Erläut. zu 88 85 a und b. 5. Vgl. 8 85 a und die Erläut. dazu. 6. Das Wort „und" bedeutet hier nicht, daß der Ordnung--

702

Fünfter Abschnitt.

Aufbringung der Mittel.

beitrag nur zu zahlen ist, wenn beide Voraussetzungen (Form und Frist) nicht erfüllt sind, sondern stellt die beiden Fälle neben­ einander, in denen bei ordnungswidrigem Handeln Zahlungs­ pflicht eintritt, so daß hier „und" soviel wie „oder" bedeutet,denn eine nicht ordnungsmäßige Anzeige ist leine Anzeige im Sinne der §§ 85 a und b. Nach § 85 b Abs. 3 hat die Einzugs­ stelle den Arbeitgeber zur Vervollständigung zu veranlassen. Erst mit dem Zeitpunlt, wo der Arbeitgeber die Anzeige „ver­ vollständigt" einreicht, entspricht sie dem § 85 a. Bis zum Ende der Kalenderwoche, in der dies geschieht, hat der Arbeitgeber zu zahlen. Das gleiche gilt, wenn er die Frist des § 85 a Abs. 2 ver­ säumt. — Die Kalenderwoche im Sinne des § 143 a Satz 2 beginnt mit dem Sonntag und endet mit dem Sonnabend (III. Beschlußsen. vom 21. Oktober 1930 — III Ar 15/30 B —, RABl. IV S. 490 Nr. 3915).

7. 8.

Vgl. § 85 a Abs. 2.

Nur formgerecht,- denn fristgerecht kann sie nicht mehr nachträglich eingehen, wenn die Frist versäumt worden ist. Wird sie aber nachträglich eingereicht, dann gilt sie als Anzeige im Sinne des § 85 a nur, wenn sie auch formgerecht ist,- vgl. dazu Anm. 6. v. Vgl. §§ 143 ff.

10. 11.

Vgl. § 145.

Wegen der Rechtsmittel vgl. § 85 b und § 145 Abs. 3 mit § 405 RVO.

8 143 b. Beitragspflichtig1) sind auch die Arbeit­ geber geringfügig1) Beschäftigter, soweit die Be­ schäftigung der Pflicht zur Krankenversicherung oder zur Angestelltenversicherung unterliegt und nicht nach den §§ 70 bis 75, 75 b, 75 d oder 80 von der Pflicht zur Arbeitslosenversicherung ausgenommen ist. Sie zahlen so viel, wie sie im Falle der Ver­ sicherungspflicht der Beschäftigung als Arbeitgeber­ anteil des Beitrages zahlen müßten,8) an die Stelle, die dann Einzugsstelle4) wäre.

88 143b, 143 e.

703

1. Die Novelle sieht vor, daß geringfügige Beschäftigungen grundsätzlich versicherungsfrei sind. „Es ist jedoch notwendig, die Beitragspflicht des Arbeitgebers auch in solchen Fällen bestehen zu lassen, damit nicht versucht wird, ständige Beschäftigungen in lauter geringfügige Beschäftigunge aufzulösen." (Begr. zur Nov. S. 22). § 143 b ist durch die Novelle eingefügt worden, er ist am 1. November 1929 in Kraft getreten.

2. Die Beitragspflicht des Arbeitgebers besteht demnach bei den Beschäftigungen, die zwar der Pflicht zur Kranken- oder Angestelltenversicherung unterliegen, aber nach § 75a als gering­ fügig von der Bersicherungspflicht zur Arbeitslosenversicherung ausgenommen sind. Krankenversicherungspflichtig ist eine gering­ fügige Beschäftigung u. a. dann, wenn der dafür gewährte Entgelt für den Lebensunterhalt nicht unwesentlich ist (vgl. Ziff. I 3 der Bekanntmachung vom 17. November 1913, abgedr. S. 241). Der Arbeitgeber muß, auch wenn er die Befreiungsanzeige frist- und formgerecht nach § 85 a erstattet hat, für die ganze Dauer der geringfügigen Beschäftigung den Arbeitgeberanteil zahlen (III. Beschlußsen. vom 26. September 1930 — III Ar 17/30 B —, RABl. IV S. 458 Nr. 3888). Vgl. auch Anm. 3 zu § 143 a. Die Beitragspflicht des Arbeitgebers fällt dagegen fort, wenn die Beschäftigung nicht der Kranken- oder Angestelltenversicherung unterliegt oder wenn eine der Ausnahmen der §§ 70—75, 75 b, 75 d oder 80 AVAVG. vorliegt (RAM. IV a 12632/29 vom 27. Dezember 1929). § 75 c, der ursprünglich in § 143 b enthalten war, ist durch die III. Not BO. mit Rücksicht auf den neuelngefügten § 143 c gestrichen und durch § 75 d ersetzt worden. 3. Vgl. §§ 143 ff.

4. Vgl. § 145. 8 143 c. Beitragspflichtig1) sind auch die Arbeitgeber versicherungsfreier Hausgewerbetreibender und Heim­ arbeiter, soweit die Beschäftigung nur2) auf Grund des 8 75 c versicherungsfrei3) ist. Sie zahlen so viel, wie sie im Falle der Versicherungspflicht der Beschäftigung als

704

Fünfter Abschnitt. Ausbringung der Mittel.

Arbeitgeberanteil des Beitrages zahlen müßten,4) an die Stelle, die dann Einzugsstelle6) wäre.®) 1. § 143 c ist durch die III. Not BO. eingefügt worden, er ist am 29. Juni 1931 in Kraft getreten. Er entspricht dem § 143b. Nach § 143c bleibt trotz Einreichung einer Befreiungs­ anzeige nach § 85a die Beitragspflicht des Arbeitgebers bestehen, um zu verhüten, daß versicherungsfrele Hausgewerbetreibende oder Heimarbeiter bei der Vergebung von Arbeiten durch den Arbeitgeber bevorzugt werden. Die Befreiungsanzeige nach § 85a ist nach wie vor ein­ zureichen. Bei Säumigkeit oder Weigerung kann dies durch Ordnungsstrafe nach § 261 erzwungen werden5 im übrigen vgl. dazu Anm. 3 zu § 143 a und Anm. 2 Abs. 2 Satz 1 zu § 143 b. 2. Die Beitragspflicht nach § 143 c fällt also weg, wenn die Bersicherungsfreiheit auf anderen Gründen als auf der Vor­ schrift des § 75c beruht. 3. Vgl. die Erläuterungen zu § 75c und die dazu erlassene VO. über die Arbeitslosenversicherung von Hausgewerbetrei­ benden und Heimarbeitern (crbgcdr. III 20). 4. Vgl. § 143 ff. 6. Vgl. § 145. 6. § 143c war auch auf laufende Beschäftigungsverhältuisse vom 29. Juni 1931 ab anzuwenden (vgl. Art. 9 Abs. 1 der III. NotVO., RGBl. 1931 I S. 297).

§ 144. (1) Beitragspflichtig werden auch die Arbeit­ geber solcher land- und forstwirtschaftlicher Arbeit­ nehmer, deren Beschäftigung mir auf Grund des § 71 versicherungsfreix) war, wenn das Arbeitsverhältnis durch Verschulden *) des Arbeitgebers beendet wird, bevor die Bersicherungsfreiheit erloschen ist. Sie zahlen3) dann das Doppelte dessen, was als Arbeitgeber- und Arbeitnebmeranteil des Beitrags für sechs Monate zu zahlen gewesen wäre, wenn das Arbeitsverhältnis

8 144.

705

nicht vorzeitig beendet worden wäre, jedoch nicht mehr als das Doppelte dessen, was als Beitrag zu zahlen gewesen wäre, wenn das Arbeilsverhältnis versicherungs­ pflichtig gewesen wäre. (2) Wird Las Arbeitsverhältnis durch Verschulden des Arbeitgebers aufgelöst, nachdem die Versicherungs­ freiheit erloschen war, so zahlt der Arbeitgeber für die Zeit, die an sechs Monaten fehlt, das Doppelte dessen, was als Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil des Beitrags zu zahlen gewesen wäre, wenn das Arbeits­ verhältnis nicht vorzeitig beendet worden wäre/) 1. Bei land- oder forstwirtschaftlichen Jahres- oder lang­ fristigen Verträgen nach 8 71 erlischt die Versicherungsfrecheit sechs Monate vor der regelrechten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, um dem Arbeitnehmer die Anwartschaft nach § 95 Abs. 1 zu sichern. Das ist nicht möglich, wenn durch Verschulden des Arbeitgebers

das Arbeitsverhältnis vorzeitig beendet wird. Darunter tolU das Gesetz den Arbeitnehmer nicht leiden lassen. Deshalb stellt bereits § 96 eine Beschäftigung, die auf Grund des § 71 versicherungsfrei

ist, einer versicherungspflichtigen Beschäftigung für den Erwerb der Anwartschaft gleich, wenn das Arbeitsverhältnis durch Ver­ schulden des Arbeitgebers vorzeitig gelöst worden ist. § 144 unterscheidet hierbei danach, ob die vorzeitige Lösung des BeschäftigungSverhältnisses vor oder nach dem Zeitpuntt erfolgt ist, in dem die Versicherungsfreiheit erlischt, und nach der Dauer des BeschäftigungSverhältnisses: a) Hat es sechs Monate oder länger gedauert und ist es vor dem Zeitpuntt des Erlöschens der VersicherungSfteiheit vorzettig

gelöst worden, so sind die erhöhten Beiträge für sechs Monate zu zahlen; dies trifft z. B. bei einem Vertrag auf unbestimmte

Dauer zu, der sieben Monate bestanden hat, ohne daß ordnungs­ mäßig gekündigt worden ist. b) Hat eS weniger als sechs Monate gedauert, so sind die er­ höhten Beittäge nur für diese Zeit zu zahlen; denn nur so lange wären die Beiträge auch zu enttichten gewesen, wenn daS Ver-

S ch m e i ß e r, ArbeitSlosenverficherung.

45

706

Fünfter Abschnitt.

Ausbringung der Mittel.

HLltnis versicherungspflichtig gewesen wäre (vgl. Abs. 1 Satz 2 letzter Halbsatz),' dies gilt bei dem unter a erwähnten Vertrag wenn er z. B. nur fünf Monate gedauert hat.

c) Ist es nach dem Zeitpunkt des Erlöschens der Verflcherungsfreiheit, also in den letzten sechs Monaten, vorzeitig gelöst worden, so sind bis zu diesem Zeitpunkt die regelmäßigen Beittage bereits gezahlt worden. Für die Zeit zwischen diesem Termin und dem Ablaus der Sechsmonatsfrist sind die erhöhten Beittäge zu zahlen: Ein JahreSvertrag hat zehn Monate bestanden und wird nun vorzeitig gelöst,' für den siebenten bis zehnten Monat sind die regelmäßigen Beiträge enttichtet worden, für den elften und zwölften sind die erhöhten zu zahlen.

2. Zur Anwendung des § 144 genügt nicht schlechthin, daß der Arbeitgeber die vorzeitige Beendigung der Beschästigung veranlaßt hat; vielmehr muß ihm dabei ein schuldhaftes Verhalten zur Last fallen (III. Veschlußsen. vvm 21. Mat 1930 — 111 Ar 38/29 B —, RABl. IV S. 357 Nr. 3825). Die Klärung der Frage des Verschuldens ist an sich Sache der Einzugsstelle (Krankenkasse). Da sie ihr in der Praxis aber oft große Schwierigkeiten bereitet, hat der Präs. (III 172 vom 12. Februar 1929, Dienstl. Mitt. 29/29) Vereinbarungen dahin empfohlen, daß auf Mitteilung der Krankenkasse hin das Arbeits­ amt in entsprechender Anwendung des § 171 den Tatbestand, in der Regel durch den Außenbeamten, ermittelt, ihn der Kranken­ kasse mitteilt und diese nun bei festgestelltem Verschulden die Beiträge nach § 144 einzieht. Bestreitet der Arbeitgeber ein Verschulden, so ist die (hitscheidung des Versicherungsamts nach § 405 RVO. herbeizuführen (vgl. Präs. II 825 vom 9. November 1927, Dienstl. Mitt. 33/27).

Die Frage, ob die Krankenkasse an die Feststellungen des Arbeitsamts gebunden ist, wird zu bejahen fein. Im Zweifels­ falle ist es Sache des Arbeitgebers, eine Entscheidung nach § 405 RVO. herbeizuführen. In zahlreichen Fällen wird der Arbeit­ nehmer bei vorzeitiger schuldhafter Lösung des Vertrags durch den Arbeitgeber das Arbeitsgericht anrufen. Dessen rechtsttäftiges Urteil bindet die Einzugsstelle.

8 145.

707

3. Von dem Arbeitnehmer können Beiträge nicht mehr ver­ langt werden, wenn ohne sein Verschulden das Vertragsverhältnis aufgelöst worden ist. Da das Gesetz aber gerade die langfristigen Arbeitsverhaltnisse durch Beitragsbefreiung fördern will, muß es den strafen, der sie ohne Grund schuldhaft auslöst. Deshalb muß der Arbeitgeber allein zahlen. Er müßte an sich nur den Arbeit­ geber- und den Arbeitnehmeranteil tragen. Als Strafe sieht aber tz 144 vor, daß er nicht nur den einfachen, sondern den doppelten Beitrag zahlen muß. Und zwar muß er das auch dann tun, wenn inzwischen der Arbeitnehmer in ein anderes Arbeitsverhältnis eingetreten ist. 4. Löst der Arbeitnehmer schuldhaft vorzeitig das Bertrags­ verhältnis, so brauchen von diesem Zeitpunkt an weder er noch der Arbeitgeber noch Beiträge zu zahlen. Tas gleiche gilt bei vorzeitiger Lösung im beiderseitigen Einverständnis. Haben beide Parteien schuldhaft das Arbeitsverhältnis vorzeitig gelöst, so trifft den Arbeitgeber die erhöhte Zahlungspflicht des § 144, der Arbeit­ nehmer braucht nicht zu zahlen. Wegen der Folgen aber, die sich hieraus für die Anwartschaft ergeben, vgl. Anm. 17 und 21 zu § 71. Wegen der Stelle, an die im Falle des § 144 die Beiträge zu zahlen sind, vgl. § 146.

§ 145. (1) Die Beiträge für Versicherungspflichtige sind zu cntricfjten: *)

1. soweit die Versicherten für den Fall der Krankheit versichert sind, als Zuschläge 2) zu den Kranken­ kassenbeiträgen und mit diesen, 2. soweit die Versicherten nicht für den Fall der Krankheit versichert, aber angestelltenversicherungspflichtig 8) sind, an die Krankenkasse, bei der sie für den Fall der Krankheit pflichtversichert wären, wenn ihr regelmäßiger Jahresarbeitsverdienst nicht die Grenze der Krankenversicherungspflicht*) (§ 165 der Reichsversicherungsordnung) überstiege

708

Fünfter Abschnitt.

Ausbringung der Mittel,

für knappschaftlich versicherte an die Reichsknappschaft. 3. [SottgefoHen.]6)

Angestellte

jedoch

(2) Versicherungsberechtigte •) haben die Beiträge an die Krankenkasse zu entrichten/ bei der sie gemeldet sind. (3) Auf die Zahlung finden die §§ 28, 29, 394 bis 397 und 398 bis 405,') und wenn6) eS sich um Zahlungen an die See-Krankenkässe handelt, auberdem §490 Ms. 2 Satz 2 und Satz 3 erster Halbsatz und § 493 a Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung Anwendung."") Die Befugnis, rückständige Beiträge zur Reichsanstalt beizu­ treiben, ebenso11) das Recht auf Auskunstserteilung durch den Arbeitgeber gemäß § 318 a der Reichsuer-

steht den Ersatzkassen im gleichen Umfang wie den Krankenkassen imcö der Reichsversicherungsordnung (§ 225) zu?) sicherungsordnung

(4) “) Die Einzugsstellen sind unter den Voraus­ setzungen des § 397 a der Reichsversicherungsordnung verpflichtet, in der dort vorgesehenen Höhe Verzugs­ zuschläge zu den Beiträgen zur Reichsanstalt zu erheben. Der Reichsarbeitsminlster bestimmt, unter welchen Voraussetzungen auf die Erhebung der Verzugszuschläge verzichtet werden kann.13) 1. Vgl. dazu die Verordnung über die Einziehung der Beiträge vom 12. August 1930 (abgedr. Hl 28).

2. Ziff. 1 regelt die Abführung der Beiträge für die gegen Krankheit Bersichetten. Die Begründung (S. 113) sagt dazu: „Soweit der Kreis der gegen Arbeitslosigkeit versichetten Personen mit dem der krankenversicherungspfUchttgen überein­ stimmt, gehen alle bishettgen Gesetzentwürfe der Reichsregierung über die ArbeUslosenversicherung davon aus, daß die Beittäge mit denen zur Krankenversicherung verbunden werden. Ebenso ver­ fährt seit Bestehen der BeÜragspflicht die Erwerbslosenfürsorge,vgl. § 35 Abs. 1 der Verordnung vom 16. Februar 1924 (RGBl. I

§ 145.

709

S. 127). Die Vorteile, die mit der Mitbenutzung der Krankenkassenorganisationen durch die Arbeitslosenversicherung verbunden sind, bestehen in der Einfachheit und vergleichsweisen Billigkeit des Verfahrens. Sie sind bisher als überwiegend angesehen worden gegenüber den Nachtellen, die sich daraus ergeben, daß die Kranken­ kassen hier in den Dienst einer Organisation gestellt werden, an der sie sonst nicht beteüigt sind. In der Erwerbslosenfürsorge sind nach § 35 Abs. 3 der Verordnung vom 16. Februar 1924 die Länder ermächtigt, das Beitragsverfahren unter Ausschaltung der Kranken­ kassen anderweit zu regeln. Von dieser Ermächtigung hat nur ein einziges Land (Thüringen) vorübergehend in der Weise Ge­ brauch gemacht, daß die Arbeitgeber die Beiträge unmittelbar auf das Postscheckkonto der für das Land errichteten Beitrags­ gemeinschaft einzuzahlen hatten. Das Verfahren, das die Betriebe zum Geschäftsverkehr mit einer wetteren Dienststelle in sozialpolttischen Angelegenhetten und daS Land zu einer besonderen Kontrolle der Beitragszahlungen nötigte, ist mit dem 1. August 1926 aufgehoben worden. Noch größere Schwierigketten müssen entstehen, wenn man, wie gelegentlich angeregt worden ist, die Erhebung der Beiträge den Finanzämtern übertragen wollte. Einerseits sind diese durch eigene Aufgaben aus absehbare Zeit hinaus vollkommen in Anspruch genommen. Anderseits sind sie für Entscheidungen so ausgesprochen sozialpolitischer Art wie z. B. über die BersicherungSfreiheit ettrzelner Arbeitnehmer ihrer ganzen sonstigen Tätigkeit nach weniger geeignet als die Krankenkassen. Für den Fall, daß später eine andere Art der Beitragserhebung zweckmäßig erscheinen sollte, bietet übrigens die Ermächtigung, die in § 151 des Entwurfs (jetzt § 214) aus­ gesprochen ist, die Möglichkeit, ein solches Verfahren jederzeit auf dem Verwaltungsweg einzuführen. Dabei wird in erster Linie an die Verwendung von Beitragsmarken in der Arbeitslosen­ versicherung zu denken sein. Dieses System wird neuerdings namentllch von gewerkschafllicher Sette empfohlen, weil sich dadurch eine größere Einhettlichkett der Beitragsbelastung erzielen läßt, als bei der Erhebung durch die Krankenkassen mit ihrer sehr verschiedenartigen Bemessung der Grundlöhne. Die Reichs­ regierung hat über die Zweckmäßigkeit des Markensystems Er­ mittlungen angestellt. Sie ist indessen dabei zunächst zu dem Schlüsse gekommen, daß dieses System zwar zweifellos wichtige Vorzüge hat, daß seine Einführung in jedem Falle aber umfang­ reiche und langwierige Vorberettungen erfordert, die wegen der starken anderweitigen Belastung der beteiligten Stellen einst­ wellen nicht geleistet werden können."

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Fünfter Abschnitt.

Ausbringung der Mittel.

Nach § 393 RBO. sind die Krankenkassen-eiträge durch den Arbeitgeber einzuzahlen. Das gleiche gilt für die Arbeitslosen­ versicherungsbeiträge nach § 145 Abs. 1. Der Versicherte selbst ist nicht Schuldner der Kasse, auch nicht bezüglich seines Beitrags­ teils. Seine Beitragspflicht äußert sich vielmehr lediglich darin, daß er nach §§ 394, 395 RVO. dem Arbeitgeber gegenüber ver­ pflichtet ist, sich seine Beitragsteile bei der Lohnzahlung vom Barlohn abziehen zu lassen. „Für die Verpflichtung des Arbeit­ gebers zur Zahlung der gesamten Beiträge ist hiernach das Fort­ bestehen des Arbeitsverhältnisses des Versicherten regelmäßig bedeutungslos; denn § 393 RBO. beschränkt die Zahlungspflicht des Arbeitgebers in dieser Hinsicht nicht. Der Arbeitgeber muß die Beitragsteile des Versicherten also auch dann bei der Kasse einzahlen, wenn er den rechtzeitigen Abzug am Barlohn des Versicherten versäumt hat und deshalb nach Lösung des Arbeitsverhältnisses Lohnabzüge nicht mehr machen kann. Das Entsprechende wird gelten müssen, wenn bei Streit über das Versicherungsverhältnis die Versicherungspflicht eines Be­ schäftigten erst nach Beendigung des Beschäftigungsverhätnisses endgültig festgestellt wird und daher während der Beschäftigung ein Lohnabzug nach § 394 RVO. nicht erfolgt ist. (Eine Aus­ nahme wird man jedoch für den Fall zulassen müssen, daß das Unterlassen des Abzugs nicht in einer Säumigkeit des Arbeit­ gebers seinen Grund hat, sondern durch das Verhalten der Kasse selbst veranlaßt worden ist. . . . Man wird deshalb dem Arbeit­ geber in diesem besonderen Falle gegenüber der Zahlungsforde­ rung der Kasse die Einrede eigenen Verschuldens der Kasse nicht versagen können." (Beschlüßen. II I< 935/16 vom 13. Januar 1917, AN. 1917 S. 396 Nr. 2327.) — Vgl. auch § 395 RBO. (S. 714). Das gleiche gilt grundsätzlich auch für die Angestelltenversicherungspflichtigen; nach § 182 AVG. hat der Arbeitgeber den Beitrag für sich und den Versicherten zu entrichten. Er ist der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte gegenüber der alleinige Schuldner des vollen Beitrags, dem Arbeitnehmer zieht er dessen Beitragsteil bei der Gehaltszahlung ab. Tie in der Entscheidung des RVA. Nr. 2327 für die Krankenversicherung

8 145.

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aufgestellten Grundsätze gelten auch für die AB., vgl. Oberschieds­ gericht für AV. in Amtl. Nachr. der Rafa 1916 C. 210 Nr. 136 und 1921 S. 68 Nr. 460, ferner NVA. AN. 1927 S. 413 Nr. 3090. Vgl. auch Anm. 3.

3. Bei den höheren Angestellten (3600 bis 8400 RM. Jahres­ einkommen) beabsichtigte der Entwurf das bisherige Verfahren der VII. AusfBO. vom £1. Januar 1926 (RGBl. I S. 96) bei­ zubehalten, wonach die Beiträge für diese Angestellten lediglich an die Krankenkassen der RBO., nicht aber an Ersatzkassen ab­ geführt werden durften. Die Ersatzkassen waren damals aus­ geschaltet worden, weil sonst die Kontrolle der Beitragsentrichtung und der Geschäftsverkehr noch mehr erschwert worden wäre. Die Fassung des Gesetzes läßt jedoch nunmehr die Abführung der Beiträge auch an die Ersahkassen zu. Das RVA. I. BeschlSen. hat diese Frage in der Entsch. IIK 23/28 B vom 23. März 1929 (RABl. IV S. 328 Nr. 3511) sehr eingehend behandelt und festgestellt: Für Mitglieder von Ersatz­ krankenkassen, deren Jahresarbeitsverdienst die Grenze der Kran­ kenversicherungspflicht, aber nicht die der Angestelltenversicherungspflicht übersteigt, sind die Pflichtbeiträge zur Arbeitslosen­ versicherung zugleich mit den Beiträgen zur Krankenversicherung gemätz § 145 Abs. 1 Nr. 1 an die Ersatzkasse abzuführen. Vgl. dazu auch RAM. IV 9726/27 vom 12. Oktober 1927 (RABl. I S. 473). Bei der Beitragsentrichtung zur Reichsanstalt kommt es im Gegensatz zu § 69 AVAVG. nicht auf die Kranken­ versicherungs pflicht, sondern darauf an, „ob der Versicherte überhaupt gegen Krankheit, also auch freiwillig, versichert ist". Vgl. auch Anm. 3 b Abs. 2 zu Z 143. Als Ersatzkassen gelten auch die Berufskrankenkassen, die durch Art. 8 des 3. Gesetzes über Änderung des 2. Buches der RVO. vom 15. Juli 1927 (RGBl. I S. 219) eingeführt worden sind. Soweit arbeitslosenversicherungspflichtige Arbeitnehmer bei einer Ersatzkasse für den Fall der Krankheit versichert sind, hat der Arbeitgeber ihnen mit dem Arbeitgeberanteil zur Kranken­ versicherung auch den zur Reichsanstalt auszuhändigen (vgl. Art. 2 Abs. 3 der BO. III 28). Der Arbeitnehmer hat den

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Fünfter Abschnitt.

Aufbringung der Mittel.

Gesamtbetrag an die Krankenkasse abzuführen. Vgl. dazu die Sttafvorschrift des § 270 Abs. 1 Satz 2. Scheidet er aus der Ersatz­ kasse aus, behält jedoch eine Beschäftigung bei, die zwar nicht mehr der Kranken-, wohl aber der Arbeitslosenversicherung unter­ liegt, so sind die Beittäge zur Reichsanstalt nunmehr nach § 145 Ms. 1 Nr. 2 an die Krankenkasse zu entrichten, bei der er für den Fall der Krankheit pflichtversichert wäre, wenn sein regel­ mäßiger IahresarbeitSverdienst nicht die Grenze der Kranken­ versicherungspflicht überstiege. Die Beittäge zur Reichsanstalt hat nunmehr der Arbeitgeber abzuführen. Da im ABABG. eine dem § 521 Abs. 1 Satz 1 RBO. entsprechende Vorschrift, wonach die Ersatzkasse den Arbeitgeber von dem Ausscheiden eines Mtglieds unterrichten muß, fehlt, läuft dieser Gefahr, daß er nach Aushändigung des BeittagSanteils für die Ersatzkasse nach­ träglich nochmals die Beittäge zur Reichsanstalt an die Pflichtkrankenkasse aLführen muß. Zur Beseitigung dieses Mißstandes hat daS Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung auf Ersuchen deS RAM. die seiner Aufsicht unterstellten Ersatzkassen angewiesen (A m 633 vom 15. November 1927), die Arbeitgeber binnen einer Woche von dem Ausscheiden der bezeichneten Mitglieder zu benachrichtigen. § 522 RVO. gilt entsprechend, d. h. der Vor­ stand der Kasse bestimmt, welche Organe und Angestellten der Kasse die Benachrichtigung der Arbeitgeber vorzunehmen haben. Der RAM. hat die obersten Sozialbehörden der Länder ersucht, durch die Bersicherungsämter die Ersahkassen auch bei dieser Anzeigepflicht zu überwachen (RAM. IV 11574/27 vom 29. De­ zember 1927, Dienst!. Mitt. 24/28, vgl. auch RBA. vom 23. März 1929 — II K 23/28 B —, RABl. IV S. 328 Nr. 3511).

4. 3600 RM. (Gesetz vom 15. Juli 1927, RGBl. I S. 219). 5. Nr. 3 ist durch Art. 4 des Ges. über die Krankenversicherung der Seeleute vom 16. Dezember 1927 (RGBl. I S. 337) ge­ strichen worden (vgl. Anm. 13 zu § 69), im Abs. 3 sind durch das gleiche Gesetz die Worte „und wenn . . ." eingefügt worden.

6. Nach § 86 sind Angestellte, die wegen Überschreitung der angestelltenversicherungspslichtigen Gehaltsgrenze (8400 RM.) aus der Versicherungspflicht ausscheiden, berechtigt, sich weiter-

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zuversichern, über die Höhe des Beitrags vgl. § 150 Abs. 2 Nr. 2. Vgl. auch die DO. über die freiwillige Weiterversicherung Pom 30. September 1927, abgedruckt III21.

7. An Stelle der ursprünglichen Fassung „§§ 28, 29 und 394 bis 405" ist durch die HI. Not BO. gesetzt worden: „§§ 28, 29, 394 bis 397 und 398 bis 405“, um hier den § 397 a RBO. aus­ zunehmen. Er ist für anwendbar erklärt im neueingefügten Abs. 4. 8. Das Verfahren bei der Entrichtung der Beiträge zur Arbeits­ losenversicherung wird zweckmäßigerweise dem der Krankenversiche­ rung angegliedert. Deshalb werden die entsprechenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung übernommen. Sie galten bereits für die Erwerbslosenfürsorge. „Neu ist dagegen die Bestimmung, daß die Ersatzkassen die Befugnis, rückständige Beiträge zur Arbeits­ losenversicherung beizutreiben, in gleichem Umfange wie die Krankenkassen nach der Reichsversicherung haben sollen. Bisher haben die Ersatzkassen dieses Recht gemäß § 520 Abs. 3 in Ver­ bindung mit § 28 der Reichsversicherung nur hinsichtlich der Bei­ tragsteile der Arbeitgeber, während sie rückständige Beitragsteile der Arbeitnehmer, die bei ihnen Mitglieder sind, gerichtlich einNagen und beitreiben müssen. Hieraus sind in der Praxis der Erwerbslosenfürsorge gelegentlich Unzuträglichkeiten entstanden, da die Ersatzkassen ein eigenes Interesse wohl an ihren Krankenkassenbeiträgen, nicht aber an den Beiträgen zur Erwerbslosen­ fürsorge besitzen. Für die Arbeitslosenversicherung soll daher auch in solchen Fällen das Verwaltungszwangsverfahren nach § 28 der Reichsversicherungsordnung zuständig sein."