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German Pages 278 Year 2015
Malwine Seemann Geschlechtergerechtigkeit in der Schule
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2009-06-26 13-14-25 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02b9213915477934|(S.
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Editorial Die weltweiten Transformationen der Geschlechterverhältnisse und Bedeutungszuschreibungen an »Geschlecht« zeigen widersprüchliche Entwicklungen, Kontinuitäten und Wandlungen. Die Veränderung alter und die Konturierung neuer Segmentationslinien stehen in einem komplexen Spannungsverhältnis zueinander. Die Reihe Studien interdisziplinäre Geschlechterforschung stellt regelmäßig neuere Untersuchungen in diesem Themenbereich vor. Dabei wird der Breite möglicher Zugangsweisen Rechnung getragen: Natur-, technik-, sozial- und kulturwissenschaftliche Sichtweisen werden miteinander verknüpft und die Ansätze verbinden die strukturierende Bedeutung der Kategorie »Geschlecht« systematisch mit der Wirkung anderer sozialer Differenzlinien wie »Klasse«, »Ethnizität«, »Rasse« und »Generation«. Die Schriftenreihe gibt Perspektiven Raum, in denen die radikale Infragestellung der heterosexuellen und auf Zweigeschlechtlichkeit basierenden gesellschaftlichen Ordnung im Zentrum steht und zugrunde liegende Machtverhältnisse reflektiert werden. Ziel der Reihe ist es, wissenschaftliche Beiträge zu publizieren, die Fragen nach Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnissen in Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft aufgreifen und Impulse für weitere Auseinandersetzungen geben. Angesprochen werden sollen alle an Themen der Frauen- und Geschlechterforschung Interessierten aus dem universitären und weiteren wissenschaftlichen Umfeld – Studierende, Lehrende und Forschende. Zugleich sind die Publikationen auch für jene Praxiskontexte interessant, die sich kritisch mit der geschlechterbezogenen Verfasstheit von Kultur, Technik, Wissenschaft und Gesellschaft auseinandersetzen. Die Reihe wird herausgegeben von den Forschungseinrichtungen »Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung« der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg (ZFG) und »Zentrum Gender Studies« der Universität Bremen (ZGS).
Malwine Seemann (Dr. rer. pol.), langjährige Lehrerin und frauenpolitische Gewerkschafterin, arbeitet im Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZFG) an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
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Malwine Seemann
Geschlechtergerechtigkeit in der Schule Eine Studie zum Gender Mainstreaming in Schweden
2009-06-26 13-14-26 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02b9213915477934|(S.
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Die Dissertation wurde von der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg – Fakultät I Bildungs- und Sozialwissenschaften – angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Esther Almstadt Satz: Malwine Seemann Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1253-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Vorbemerkungen
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Zur Studie
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I BEDEUTUNG VON GENDER MAINSTREAMING ALS POLITISCHER STRATEGIE UND DIE SITUATION IN SCHWEDEN
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Gender Mainstreaming – zentrale Elemente einer geschlechterpolitischen Strategie 1.1 Konzeptuelle Entwicklungen 1.2 Gender Mainstreaming in der EU 1.2.1 Gender Mainstreaming Methoden 1.2.2 Institutionelle Umsetzung, Kriterien für Erfolg und Scheitern 1.2.3 Stand der Implementierung 1.2.4 Kritische Perspektiven 1.3 Gender Mainstreaming und Schule 2 Schwedischer Kontext 2.1 Schweden als Vorreiter des Gender Mainstreaming 2.1.1 Schwedische Gender Mainstreaming Methodenentwicklung 2.2 Das schwedische Schulwesen 2.2.1 Aufbau des Schulwesens 2.2.2 Gesellschaftliche Faktoren des Bildungswesens 2.3 Akteurinnen und Akteure des Gender Mainstreaming bezogen auf den schwedischen Schulbereich
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3 Projekte und Materialien 3.1 Genderarbeit der Lehrergewerkschaft 3.2 Gender Mainstreaming Schulprojekte 3.2.1 Projekt »Break the pattern!« Altersgruppen von 1-18 Jahre, alle Schulformen und -stufen von Vorschule bis Gymnasium, alle Personalgruppen 3.2.2 Projekt »Gleich in Sundholm!« Altersgruppen von 1-6 Jahre, Vorschulbereich 3.2.3 Projekt »Gleichgestellte Schule – zu gleichen Bedingungen« Langzeitprojekt, Fortbildungen für in der Schule Tätige 3.2.4 »Mädchen oder Junge – spielt das eine Rolle? Gemeinsam für eine gleichgestellte Schule« Fortbildungen für Schulleiterinnen und Schulleiter gemeinsam mit Kommunalpolitiker/-innen und Schuldezernent/-innen
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II GENDER MAINSTREAMING UND SCHULE IN SCHWEDEN – ERGEBNISSE DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG
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1 Anlage der Untersuchung 1.1 Erhebungsmethoden 1.2 Interviewauswertung
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Außerschulische Institutionen – Ergebnisse der Interviews mit Expertinnen und Experten 2.1 Nationale Ebene – JämO (Gleichstellungsombudsman) 2.2 Lehrergewerkschaft 2.3 Provinzialregierung, 2.4 Kommunale Ebene, Gender Mainstreaming-Beauftragte 2.5 Kommunalpolitik 2.6 Schulbehörde Skolverket 2.7 Universität 2.8 Zusammenfassung
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Schulische Projekte – Ergebnisse der Interviews mit Expertinnen und Experten 3.1 Regionales Fortbildungsprojekt »Mädchen oder Junge – spielt das eine Rolle? Gemeinsam für eine gleichgestellte Schule« 3.1.1 Zusammenfassung 3.2 Kommunales Langzeitprojekt »Gleichgestellte Schule – zu gleichen Bedingungen« 3.2.1 Zusammenfassung 3.3 Kommunales Projekt Vorschulbereich 1-6 Jahre »Gleich in Sundholm!« 3.3.1 Zusammenfassung 3.4 Nationales und kommunales Projekt Vorschule bis Gymnasium, 1-18 Jahre »Break the pattern!« 3.4.1 Projektleiterinnen, Anleiterinnen und Anleiter 3.4.2 Schulleiterinnen und Schulleiter 3.4.3 Lehrerinnen und Lehrer 3.4.4 Zusammenfassung
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III GENDER MAINSTREAMING UND SCHULE IN SCHWEDEN – ZENTRALE ERFOLGSFAKTOREN UND GEGENKRÄFTE IN SCHULISCHEN GENDER MAINSTREAMING PROZESSEN
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Ergebnisse der Studie
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Erfolgsfaktoren und Gegenkräfte in schulischen Gender Mainstreaming Prozessen 2.1 Erfolgsfaktoren 2.1.1 Genderbewusstheit als »eye-opener« 2.1.2 Theoretisches und praktisches Genderlernen 2.1.3 Gleichstellung als Prozess aller Beteiligten 2.2 Gegenkräfte 2.2.1 Innere Widerstände gegen die Genderarbeit 2.2.2 Geringe Präsenz von Männern in der Genderarbeit 2.2.3 Verknüpfung von Gender mit ethnischen Zuweisungen 3
Bedeutung des Implementierungs-Hexagons im Prozess des Gender Mainstreaming
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Möglichkeiten und Grenzen der Implementierung von Gender Mainstreaming im Rahmen der vier schwedischen Schulprojekte
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Anhang
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Literatur
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Für Kläre, Stilla, Sturmi, Pauline, Anton und alle anderen
VORBEMERKUNGEN
Aufgrund eigener Erfahrungen in langjähriger Praxis als Lehrerin und als frauenpolitische Gewerkschafterin nahm ich Ende 2002 diese Arbeit in Angriff. Die Entscheidung, meine Blicke dorthin zu lenken, wo die Gleichstellung weiter fortgeschritten war als hier, führte mich auf den langen lust- und mühevollen Weg, der die vorliegende Untersuchung entstehen ließ. Auf diesem Weg begegneten mir viele Menschen, die mich unterstützten und die mir weiterhalfen. Bei einigen von ihnen möchte ich mich besonders bedanken. Zunächst möchte ich mich bei Karin Flaake (Oldenburg) bedanken, die mich mit meinem Dissertationsprojekt annahm und begleitete. Ihr und auch Heike Fleßner (Oldenburg) danke ich herzlich für die hilfreichen Beratungsgespräche. Weiterhin geht mein Dank nach Schweden. Ianthe und Ola Holmberg (Göteborg), Lena Sievers (Stockholm), Karin Stawreberg (Göteborg), Rita Liedholm (Falun), um nur einige zu nennen, danke ich dafür, dass sie mir Kontakte zu Lehrerinnen und Lehrern, Schulen, Behörden, Organisationen im schwedischen Schulbereich und bei Gleichstellungsinstitutionen vermittelten, mir durch gemeinsame Gespräche weiterhalfen und mir ihre Gastfreundschaft gewährten. Ohne die vielen Möglichkeiten, die mir von den Menschen in Schweden geboten wurden, wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. Weiter danke ich Linda Weigelt und Lalitha Chamakalayil (Bremen) für Zusammenarbeit und Aufmunterung, Susan Wiraeus, Wolf Börner und Gabriele Lahode für das Übersetzen schwedischer Texte und Dagmar Swart für ihre freundschaftliche Verbundenheit in einer Zeit, in der ich meine sozialen Kontakte zugunsten dieser Arbeit einschränkte. Bedanken möchte ich mich schließlich herzlich bei Ianthe Holmberg für ihr kritisches Lesen von Teilen des Manuskripts und bei Michaela Kuhnhenne für das Korrekturlesen der Endfassung.
Oldenburg, Mai 2008 9
»Die wichtigsten Veränderungsfaktoren sind freilich diejenigen, die mit dem entscheidenden Funktionswandel der schulischen Institution bei der Reproduktion des Unterschieds zwischen den Geschlechtern zusammenhängen[…].« (Pierre Bourdieu franz. Original 1998, 2005: 155)
ZUR STUDIE
Schule ist kein geschlechtsneutraler Raum. Obwohl eine Angleichung der Lernangebote an Mädchen und Jungen stattgefunden hat, werden im formal egalitären Schulsystem Geschlechterdifferenzen perpetuiert. Dabei ist die Situation komplexer geworden. Mädchen haben bessere Schulabschlüsse als Jungen. Geschlechtergerechtigkeit lässt sich jedoch nicht nur an den Schulleistungen messen, sondern ebenso »an dem Beitrag der Schule zur Förderung einer partnerschaftlichen Lebensführung und gleicher Chancen im Erwerbsleben« (Cornelißen/Stürzer 2003: 15). Sie betrifft nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch Lehrerinnen und Lehrer wie auch die Interaktionen zwischen Schülerinnen und Schülern, zwischen den Lehrkräften und auch zwischen Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften, die Fächerstruktur und -ausgestaltung und nicht zuletzt die Lehrpläne sowie Schulorganisation und Schulentwicklung (zu geschlechtsbezogenen Ungleichheiten in der Schule vgl. u. a. Brehmer 1982; Enders-Dragässer/Fuchs 1989; Flaake 1989; Cornelißen/Stürzer et al. 2003; Council of Europe 2007). Trotz vieler einzelner engagierter Versuche mit Mädchen und Jungen in der Schule zu arbeiten (vgl. z. B. Kaiser/Wigger 2000), wird das große Potenzial der sozialen Institution Schule, zur Geschlechtergerechtigkeit beizutragen, insgesamt nur ansatzweise genutzt. Es ist zu prüfen, ob mithilfe der Strategie Gender Mainstreaming in Schweden deutlichere Erfolge auf dem Weg der Veränderung bestehender Geschlechterarrangements hin zu einer geschlechtergerechten Schule zu erreichen sind (vgl. Hoppe/Nyssen 2004). Das Konzept Gender Mainstreaming geht weit über herkömmliche Ansätze der Frauengleichstellung hinaus, indem es ganze Institutionen und Organisationen in gesellschaftliche Transformationsprozesse zur Verwirklichung von Geschlechtergerechtigkeit einbezieht, und Frauen wie 11
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
auch Männer gleichermaßen dazu auffordert, damit zu arbeiten. Von Interesse ist, wieweit die Implementierung von Gender Mainstreaming Veränderungen initiieren kann, die zu einer geschlechtergerechten Schule führen. Die Einführung des Konzepts Gender Mainstreaming war ein Erfolg der internationalen Frauenbewegung. Auf einer von Vertreterinnen und Vertretern aus 189 Staaten gegründeten Aktionsplattform anlässlich der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking wurde die Notwendigkeit einer geschlechtsspezifischen Betrachtungsweise von Entscheidungen und deren Folgen unterstützt. Gender Mainstreaming wurde dort als Querschnittsund Gemeinschaftsaufgabe für Chancengleichheit von Frauen und Männern angenommen. Auf europäischer Ebene wurde Gender Mainstreaming 1999 mit dem Vertrag von Amsterdam ratifiziert. Die schwedische Regierung erklärte bereits in ihrem Jahresbericht von 1994 (vgl. Svenska institutet 2000a), dass die schwedische Politik für Chancengleichheit von Frauen und Männern auf dem strategischen Fundament des Gender Mainstreamings steht. Während in Deutschland die Umsetzung der Strategie im Schulbereich noch nicht angekommen ist, wurde in Schweden bereits 1995 jede Kommune dazu angehalten, jährlich über konkrete Schritte zu berichten, die sie zu unternehmen beabsichtigt, um die landesweiten Ziele zu erreichen. Schaut man nach Schweden, wo sich der erklärte politische Wille, strukturelle Bedingungen und ein tiefes Verständnis der Geschlechterverhältnisse für die Zielsetzung der Geschlechtergleichstellung günstig auswirkten, kann man beobachten, welche Erfahrungen dort im Schulbereich mit der Implementierung gemacht wurden. Es ergeben sich für mich folgende Fragen: Wo gab es Möglichkeiten, dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit näher zu kommen, und wo machten sich Grenzen bemerkbar? Welche Zielgruppen wurden mit welchen Methoden, Werkzeugen, Instrumenten erreicht? Welche Veränderungen traten ein? Wie sahen die Erfolge oder auch Schwierigkeiten und Grenzen bei der Verwirklichung chancengerechter Ansätze aus? In den Interviews, die mit Expertinnen und Experten in relevanten außerschulischen Bereichen auf allen Verwaltungsebenen und auch mit Praktikerinnen und Praktikern in allen Schulformen in verschiedenen Teilen Schwedens geführt wurden, wird diesen Fragen nachgegangen. Im ersten Teil der Arbeit wird das Konzept Gender Mainstreaming sowohl im Hinblick auf seine konzeptionelle Entwicklung als auch auf die mittlerweile entwickelten Methoden vorgestellt. Es wird auf den Aufbau und gesellschaftliche Faktoren des schwedischen Schulsystems und die 12
ZUR STUDIE
auf den Schulbereich bezogenen schwedischen Akteurinnen und Akteure des Gender Mainstreaming eingegangen. Eine herausragende Rolle hat neben den regierungsamtlichen Gleichstellungsinstitutionen die Lehrergewerkschaft inne. Sodann wird ein Überblick über vier Gender Mainstreaming Schulprojekte und die sie begleitenden Dokumente und Materialien gegeben. Denn diese sind für das Verständnis des Hintergrunds der Studie ebenso wichtig wie für das der anschließenden Interviews mit Expertinnen und Experten. Im zweiten und zentralen Teil der Studie werden die Ergebnisse der Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern außerschulischer Institutionen und Organisationen der »Gleichstellungsmaschinerie« auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene, von Schulbehörde und externer Gleichstellungsarbeit, von Gewerkschaft und Universität, vorgestellt. Anschließend präsentiere ich die Ergebnisse der Interviews, die vor allem im Rahmen von vier Schulprojekten geführt wurden. Es sind dies beim Projekt »Break the pattern!« überwiegend Interviews mit Praktikerinnen und Praktikern aller Schulformen von der Vorschule bis zum Gymnasium – bei den weiteren drei Projekten handelt es sich um Interviews mit Projektleiterinnen, Projektanleiterinnen und -anleitern, Schulleiterinnen und Kommunalpolitikerinnen und -politikern. Insgesamt sind es 44 Interviews mit Expertinnen und Experten, die in relevanten außerschulischen Institutionen wie auch im Bereich von vier Gender Mainstreaming-Schulprojekten in Schweden in den Jahren 2003-2006 von mir geführt wurden Im dritten Teil der Arbeit werden die Ergebnisse der Untersuchung unter Rückbezug auf aktuelle, theoretische Diskurse diskutiert. Dabei werden die sechs für die Entwicklung einer geschlechtergerechten Schule zentralen Faktoren, die ich im Verlauf der Auswertung der Expertinnen- und Experten-Interviews herausgearbeitet habe, näher beleuchtet. So werden das im Zuge dieser Untersuchung gefundene Implementierungs-Hexagon und seine Bedeutung für Gender Mainstreaming Prozesse vorgestellt. Für eine erfolgreiche Implementierung von Gender Mainstreaming im Schulbereich erwiesen sich die Faktoren Genderbewusstheit als »eye-opener«, theoretisches und praktisches Lernen, Gleichstellung als Prozess aller Beteiligten bedeutsam. Außerdem sind folgende zentralen Problembereiche mit der Implementierung von Gender Mainstreaming im Schulbereich verbunden: innere Widerstände gegen die Genderarbeit, geringe Präsenz von Männern in der Genderarbeit, Verknüpfung von Gender mit ethnischen Zuschreibungen. Die Arbeit mündet in eine Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen der untersuchten schwedischen Genderprojekte bei der Implementierung von Gender Mainstreaming im Schulbereich. 13
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BEDEUTUNG
G E N D E R M AI N S T R E AM I N G AL S P O L I T I S C H E R S T R AT E G I E U N D D I E S I T U AT I O N I N S C H W E D E N VON
1 Gender Mainstreaming – zentrale Elemente einer geschlechterpolitischen Strategie 1.1 Konzeptuelle Entwicklungen Mit der Annahme des Konzepts Gender Mainstreaming auf EU- und Länderebene hat sich der politische Hauptstrom (Mainstream) vorgenommen, alle regulären Akteurinnen und Akteure daran zu beteiligen, auf allen Ebenen eine geschlechterbezogene Sichtweise in alle Entscheidungen einzubeziehen, damit die Geschlechterunbalance hinsichtlich des Anteils der Geschlechter an Macht, zahlenmäßiger Präsenz und Verteilung von Ressourcen dauerhaft verflüssigt wird. Da Gender Mainstreaming als Top-down-Modell konzipiert ist, sind die Organisations- und Verwaltungsspitzen für die Umsetzung zuständig, also vor allem Männer in jedem politischen Feld. Dieses Konzept sieht sowohl die Analyse der bestehenden Verhältnisse als auch ihre Veränderung durch diejenigen vor, die dort alltäglich tätig sind, weil davon ausgegangen wird, dass diese selbst jeweils am besten und genauesten Bescheid wissen. Vor Ort sollen die Routinen und Prozesse, die zu Entscheidungen führen, untersucht werden mit dem Ziel ihrer Veränderung weg von einer Stabilisierung der herrschenden Geschlechterhierarchie hin zu einer gesellschaftlichen Destabilisierung von Geschlechterdichotomien und -ungleichheiten.
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GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
Die Definition des Konzepts im Abschlussbericht der vom Europarat eingerichteten Expertinnen- und Expertengruppe lautet: »Gender Mainstreaming is the (re)organisation, improvement and evaluation of policy processes, so that gender equality perspective is incorporated in all policies at all levels and at all stages, by the actors normally involved in policy-making« (Europarat 1998: 5). Im Rahmen von Gleichstellungspolitiken beschreibt diese Definition etwas Neues. Barbara Stiegler (2000) wies darauf hin, dass es nicht länger überwiegend Frauen sind, die als Bittstellerinnen für die Einrichtung von Gleichstellung auftreten. Frauen werden nicht als unterdrückte Gruppe betrachtet, sondern als Partnerinnen in einem ungerechten Geschlechtervertrag, der unter Einbeziehung der Männer neu verhandelt werden muss (vgl. Woodward 2001). Der Prozess des Gender Mainstreamings soll nicht von außen aufgedrückt, sondern von den normalerweise im Arbeitsprozess Beteiligten selbst entwickelt und durchgeführt werden. Gender Mainstreaming ist darüber hinaus als Top-downModell konzipiert. Damit soll die Unterstützung des Veränderungsprozesses von der Spitze der Organisation oder Verwaltung gewährleistet sein. Mit Gender Mainstreaming ist eine Strategie eingeführt, die die Zuständigkeit für Gleichstellung sowohl Frauen als auch Männern zuweist. Durch Gender Mainstreaming sollen die regulären politischen Akteurinnen und Akteure dafür sorgen, dass die Gleichstellung von Frauen Männern und von vornherein in alle Entscheidungen integriert wird. Gender Mainstreaming ist weder das Ziel noch der Inhalt, sondern zielt als Prozess, als Methode auf die Erreichung der Gleichstellung von Frauen und Männern ab. Gender Mainstreaming ist also ein Weg hin zu der Verpflichtung, beide Geschlechter gleich zu behandeln. Die Genderperspektive soll von regulären Akteuren eingenommen werden, die in der Regel keine Genderexpertinnen und -experten sind. Jedoch ersetzt Gender Mainstreaming als politische Querschnittsaufgabe nicht die bisherige Gleichstellungspolitik als gezielte Frauenpolitik, sondern ergänzt sie. Insofern handelt es sich um eine Doppelstrategie. Der Grundsatz »Mainstreaming« bedeutet, »[…] dass die Förderung der Chancengleichheit nicht nur die Durchführung positiver Maßnahmen zugunsten der Frauen erfordert, sondern auch Maßnahmen zur Anpassung der gesellschaftlichen Organisation zugunsten einer faireren Verteilung der Rollen zwischen Frauen und Männern« (EK Generaldirektion 1997: 18). Gender Mainstreaming unterscheidet sich also auch durch das Vorgehen von herkömmlicher Gleichstellungsarbeit, die bei einem erkannten Ungleichstellungsproblem ansetzt. Es hat seinen Ausgangspunkt in bereits bestehender Politik in jedem politischen Feld, indem es eine Genderperspektive einführt, damit die besonderen Bedürfnisse von 16
GENDER MAINSTREAMING – ZENTRALE ELEMENTE
Frauen und Männern berücksichtigt werden können (vgl. Sterner/Biller 2007). Die Strategien müssen dann maßgeschneidert für spezifische Organisationen sein und angepasst werden an die Bedürfnisse und Möglichkeiten eines politischen Kontexts. Durch die Implementierung des Konzepts in allen Politikbereichen wird die Chance vergrößert, das Ziel einer geschlechtergerechten Gesellschaft zu erreichen. Wenn die Kommission Mainstreaming als »die systematische Berücksichtigung der unterschiedlichen Prioritäten und Bedürfnisse von Frauen und Männern in allen Politikbereichen und Maßnahmen« definiert, dann hebt sie auf unterschiedliche Bedürfnisse und Situationen von Frauen und Männern ab, die sich auswirken als »Unterschiede in Bezug auf Status, Zugang zu Ressourcen und zu Entwicklungsmöglichkeiten, Kontrolle über Vermögenswerte, Entscheidungsgewalt und in Bezug auf die Sichtweisen, wie Frauen und Männer gesehen werden« (ebd.: 16). Auch der Leitfaden der Kommission (1997) gibt Kriterien an für politische Bereiche, in denen Unterschiede zwischen Frauen und Männern bestehen:
• • • •
Beteiligung in Entscheidungsprozessen (Anteil Männer/ Frauen) Ressourcen (Zeit, Raum, Information und Geld, politische und wirtschaftliche Macht, Bildung und Ausbildung, Beruf und berufliche Laufbahn etc.) Normen und Werte (z. B. Ungleichheiten in der Wertschätzung gegenüber Männern und Frauen) Rechte (im Zusammenhang mit direkter oder indirekter Diskriminierung)
Der Gender Mainstreaming-Ansatz wendet sich immer an beide sozialen Geschlechter. Damit wird die Einleitung eines Paradigmenwechsels1 vollzogen, vorausgesetzt die Regelwerke werden richtig angewendet. Es geht um einen allgemeinen Perspektivenwechsel, bei dem Geschlecht zu einer zentralen Analysekategorie bei der Lösung politischer, sozialer sowie ökonomischer Fragen wird. Dies bezieht sich auf alle Bereiche, also auch auf die EU- Staatlichkeit.2 1
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»Mainstreaming entails a paradigm shift in thinking forwards the development of policy and practice. It requires being able to see the ways in which current practice is gendered in its construction, despite appearing to be genderneutral.« (Rees 1998: 194). »Gender Mainstreaming ist also eine Strategie der Vergeschlechtlichung des bürokratischen Diskurses und der Thematisierung des dethematisierten Maskulinismus der EU-Bürokratie. Gender Mainstreaming verfolgt somit das Ziel, positionale und versachlichte Männlichkeit, die maskulinistische Besetzung und Kultur von EU-Insitutionen im Zusammenhang mit androzentrischen Politikergebnissen abzubauen.« (Sauer 2001: 17). 17
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
Der Begriff Gender Mainstreaming hat im Deutschen kein Äquivalent. Im Schwedischen hat Gertrud Åström den Begriff jämställdhetsintegrering (verkürzt oft jämtegrering, dt: Gleichstellungsintegrierung) geprägt, der offizielle, regierungsamtliche Gültigkeit erlangt hat und mit Gender Mainstreaming übersetzt werden kann. Gender soll in die Strukturen von Organisationen und Institutionen integriert werden, also in die regulären Abläufe, in den »Hauptstrom« (Mainstream). Gender Mainstreaming zielt auf die Aufhebung der ungleichen Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern, die zwar existent sind, aber nicht ohne Weiteres wahrnehmbar (vgl. Rees 1998).3 Hier liegt offenbar eine der Ursachen dafür, dass die bestehenden Geschlechterverhältnisse so »erstaunlich wandlungsresistent« (Sauer 2005) sind. Denn die Schwierigkeit besteht darin, dass gesellschaftliche Machtverhältnisse oft unbemerkt4 und heimlich die Vorrangstellung des »Männlichen« stützen und reproduzieren.5 Dies hängt eng mit geschlechtsgeteilter Arbeit zusammen. Acker betont, dass Organisationen nicht wirklich verstanden werden können, wenn Gender als integraler Teil nicht mitanalysiert wird. Nur wenn man die unbezahlte Arbeit der Frauen mit beachtet, versteht man das System als Ganzes (vgl. Acker 1999). Die Arbeit der Männer ist privilegiert, weil sie ihnen durch die Befreiung von reproduktiver Arbeit und androzentrischen Strukturen wie die Norm der kontinuierlichen Vollzeitarbeit einen Partizipationsvorteil sichert (vgl. Heintz 1998; Braunmühl 2000). Gender bzw. die Erzeugung struktureller Genderungleichheit ist ein »Macht- und Herrschaftssystem zur Meistbegünstigung von Männern« (Lorber 2003). Der fortwährende Sortierungsvorgang nach Geschlecht als zentralem Code dient der Etablierung einer unterschiedlichen Behandlung, bei der die Frauen einen niedrigeren Rang und weniger Macht erhalten (vgl. Goffman 2001). Staatliche Institutionen werden vielfach als »sedimentierte männliche Interessen« (Jansen 2003) beschrieben. »Männlichkeit ist hier nicht nur kon-
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»The essence of the mainstreaming approach is to seek to identify these hidden, unrecognised and unremarked ways in which systems and structures are biased in favour of men and to redress the balance. It involves lateral thinking to see how apparently gender- neutral practices, which appear to offer equal access to all, in fact act as exclusionary mechanisms for women.« (Rees 1998: 189). Judith Butler (2000) hat darauf hin gewiesen, dass sich am Beispiel der Geschlechterverhältnisse verdeutlichen lasse, dass der Universalismusanspruch der Demokratie ein scheinbarer ist, der bestimmte Teile der Gesellschaft nicht nur ausschließt, sondern diesen Ausschluss genau durch die Behauptung des Universalismus unsichtbar mache. Dackweiler (2004) spricht von dem »geschlechterhierarchischen Verdeckungszusammenhang«.
GENDER MAINSTREAMING – ZENTRALE ELEMENTE
struiert, sondern konstruiert auch selbst gesellschaftliche Strukturen.«6 Für die Betroffenen, in erster Linie Frauen, bleibt die auf Gender beruhende gesellschaftliche Machtkonstruktion deswegen häufig unbemerkt, weil sie mit ihrem Einverständnis, »aus Liebe«7, in einem hegemonialen Zusammenhang stattfindet, der von ihnen selbst aktiv, aber meist undurchschaut, mit gestützt wird.8 Mit Gender als herrschaftskritischer und analytischer Kategorie vermag man es, die männliche Dominanz zu analysieren und zu erklären, und es kann auf der Aufhebung von Unterordnungsbeziehungen bestanden werden (vgl. Braunmühl 2002; Acker 1991). Im Gegensatz zu herkömmlichen Frauengleichstellungspolitiken ebnet Gender Mainstreaming einen neuen Weg zur Veränderung der GeschlechterUngleichstellung, in dem Männer ebenfalls eine wichtige Rolle spielen und nicht nur die Frauen »gendered beings« sind,9 soll doch dafür gesorgt werden, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern von vornherein in alle Entscheidungen integriert und damit verhindert wird, »dass scheinbar neutrale Maßnahmen faktisch zu Benachteiligungen führen« (Enders-Dragässer/Sellach 2003). Gender Mainstreaming rückt die Veränderung der relationalen Machtverhältnisse weg von den Frauen als »trouble maker« (Krüger, 1995) hin zu politisch-struktureller Veränderung innerhalb des gesellschaftlichen Hauptstroms selbst, indem die Geschlechterungleichheiten, -asymmetrien, -unbalancen durch alle regulären Akteurinnen und Akteure nivelliert werden sollen und können. »Gender Mainstreaming ist eine neue Strategie, die bedeutet, dass alle an politischen Entscheidungsprozessen Beteiligten für alle Entscheidungen auf allen Ebenen selbstverständlich eine geschlechterbezogene und -differenzierte Sichtweise einbringen« (Council of Europe 1998: 15).
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»De fakto stoßen sie (die Frauen) aber an eine Grenze, über die bis heute keine Frau kommt. Jenseits der „gläsernen Decke“ befinden sich ausschließlich Männer, die Entscheidungen treffen und hochdotierte einflussreiche Posten bekleiden und das, obwohl Frauen in Bezug auf Karriere und Politik alle Möglichkeiten offen stehen und trotz besserer Schulnoten, besserer Examina«, (Jansen 2003: 226). Gerhard (1994) hat auf die Unterwerfung der Frauen durch Liebe hingewiesen. Koall/Buchhagen (2003) führen aus, indem sie sich auf Derrida und die Kritik der Bildung und Funktion von supplementären Logiken beziehen. »Eine supplementäre Logik dieses Geschlechterverhältnisses ist, dass in die Konzeption von „Männlichkeit“ weibliche Ressourcen und unbezahlte Zuarbeit eingehen, die eigentlich mit den Erwartungsstrukturen von Dominanz und „Männlichkeit“ kollidieren.« (Koall/Buchhagen 2003: 124). »Gender is a central axis around which social life revolves, most men do not know they are gendered beings.« (Kimmel 2001: 4). 19
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
Der Begriff Managing Diversity hängt mit Gender Mainstreaming zusammen, wenngleich beide Begriffe nicht identisch sind, aus unterschiedlichen Kontexten stammen und vor allem unterschiedlichen Zielen verpflichtet sind. Gender Mainstreaming hat sich aus drei wesentlichen Strategien der Frauenpolitik entwickelt: der Gleichstellung, dem Empowerment und der Geschlechterdemokratie (vgl. Gomariz/Meentzen 2003). Gender Mainstreaming zielt auf die Aufhebung der Kategorie Geschlecht als soziales Klassifizierungsmerkmal ab, strebt also eine radikale Gleichstellung der Geschlechter an. Bei Managing Diversity geht es hingegen in Zusammenhängen der neoliberalen Organisationsentwicklung um die Berücksichtigung sozialer Verschiedenheiten wie Ethnie, Klasse, Geschlecht, um globale Profite zu maximieren. Der Konnex zwischen beiden Konzepten besteht darin, dass Gender Mainstreaming sich aus zwei Entwicklungen herleitet: der Frauenbewegung und der Organisationsentwicklung wie auch Verwaltungsreform. Auf diesen strategischen Doppelrahmen wird vielfach verwiesen.10 Mit Managing Diversity besteht auch im Hinblick auf die Geschlechterverhältnisse die Chance der Verflüssigung, denn gesellschaftliche Institutionen werden nicht länger als Garanten für Stabilität, sondern als Innovationshemmnisse betrachtet (vgl. auch Oppen/Simon 2004). Für Gender Mainstreaming muss im Einzelnen untersucht werden, an welchen Rahmen es besser anzuschließen ist.11
1.2 Gender Mainstreaming in der EU Das Konzept Gender Mainstreaming ist einerseits verankert in der Weltfrauenbewegung für Gleichstellung, die auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 die Notwendigkeit einer geschlechtsspezifischen Betrachtungsweise von Entscheidungen und deren Folgen unterstützte. Gleichzeitig ist es stark mit den internationalen und supranationalen Verwaltungsreformen verbunden, es beruht also auf zwei Säulen (vgl. Gecel 2005). 1999 wurde Gender Mainstreaming mit dem Amsterdamer Vertrag in Europa ratifiziert. Die Bundesrepublik erkannte die Maßnah-
10 Verloo (2004) verweist auf den Begriff des »strategical framing« aus der Organisationsentwicklung, wenn sie ausführt, dass das Ziel des Gender Mainstreaming auf eine doppelte Agenda zu setzen sei. 11 »Passt es zum neoliberalen „frame“ der Verschlankung und Ökonomisierung des Staates und kann es erfolgreich an die Managerialisierung des Staates angeschlossen werden, um das Ziel von Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen? Oder ist ein strategischer Anschluss an Gleichheits- und Gerechtigkeitsframes Erfolg versprechender?« (Sauer 2005: 95). 20
GENDER MAINSTREAMING – ZENTRALE ELEMENTE
me ebenfalls ausdrücklich in ihrem Regierungsprogramm »Frau und Beruf« von 1999 an. Unter dem Begriff Gender Mainstreaming wird seitdem in vielen europäischen Ländern die Chancengleichheit für Frauen und Männer als Querschnitts- und Gemeinschaftsaufgabe gefördert. Hierüber legen jährliche Fortschrittsberichte der EU Rechenschaft ab. Wenn auch die europäischen Länder stark variierende Auffassungen von Gender Mainstreaming haben und divergente Wege beschreiten, wird doch die EU als »eine der bisher erfolgreichsten Implementatorinnen« (Verloo 2003) betrachtet. Die Implementierung von Gender Mainstreaming wurde auf europäischer Ebene von Pollack/Hafner-Burton (2000) als dreifach schwierige Aufgabe bezeichnet: Bezogen auf die supranationale Bürokratie, die über keinerlei Erfahrungen in dem Einnehmen der Genderperspektive verfügt, sodann interregierungsmäßig, wo eine qualifizierte Mehrheit dafür gewonnen werden musste, und schließlich die Schwierigkeiten, die auf der jeweiligen innerregierungsmäßigen Ebene bestehen. Dass es gelungen ist, das Konzept Gender Mainstreaming in der EU zu implementieren, liegt im Zusammentreffen der drei von Teresa Rees (1998) genannten Rahmenbedingungen begründet: den sozialen Bewegungen, den politischen Möglichkeiten und den dominanten Rahmenstrategien (vgl. Hafner-Burton/Pollack 2002). Eine Expertengruppe wurde bei der EU eingerichtet, die sich mit dem Konzept Gender Mainstreaming, seiner Umsetzung und guten Praxisbeispielen befasste. Die acht Expertinnen und Experten legten einen Bericht vor, dessen Ziel es ist, politische Akteurinnen und Akteure anzuregen, ihnen die Arbeit zu erleichtern, die Wege zu ebnen und Methoden zu entwickeln. Sie stellten dabei u.a. Erziehung, Bildung und Ausbildung (Europarat 1998)12 als Schlüsselziele heraus sowie die Notwendigkeit, Lehrerinnen und Lehrer, Schulen etc. mit Handbüchern u. Ä. zu unterstützen. Klare Kriterien sind erforderlich, stellten die Expertinnen und Experten fest, und folgende Aspekte sind bei der Implementierung zu beachten:
• • • •
Bedeutung der Legislative Existenz von Instanzen wie z. B. Gleichstellungskommissionen Eine starke nationale Maschinerie, also insbesondere Personal und Geld Aktionen, die sich an Frauen und Männer richten
12 »There is a growing concern, that children and adolescents should learn more about the functioning of society as a whole, about gender relations and about gender equality as being a part of human rights. Therefore there is a need for educational material for use in schools.« (Europarat 1998: 31). 21
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
• • •
Gleichstellungsabteilungen in den Ministerien Forschung und Training zu Gleichstellungsfragen Bewusstseinserhöhung für Gleichstellungsfragen
Neben diesen genannten Aspekten spielten Gesetze und Regelungen eine wichtige Rolle. Im Vertrag von Amsterdam wurde 1999 die Querschnittsaufgabe Gender Mainstreaming für die EU wie folgt festgeschrieben: »Bei allen in diesem Artikel genannten Tätigkeiten wirkt die Gemeinschaft darauf hin, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern« (Grundsätze Art. 3 (2)). Auch in den Mitgliedsstaaten fand das Konzept Gender Mainstreaming allgemeine Zustimmung. Die Bundesrepublik akzeptierte es 1999 in dem Regierungsprogramm »Frau und Beruf: »Chancengleichheit als Querschnittsaufgabe – Gender Mainstreaming, Abbau geschlechtsspezifischer Unterschiede am Arbeitsmarkt, Vereinbarkeit von Beruf und Familie« (Bundestags-Drucksache von 2001 14/5513 Leitlinien 16, 17 und 18). Auf Bundesländerebene waren die Landesregierungen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt Vorreiter mit Kabinettsbeschlüssen zur Umsetzung von Gender Mainstreaming (vgl. Schweikert 2001). In den Dokumenten der EU und EK finden sich zahlreiche Regelungen für Gleichstellung. Das dritte mittelfristige Aktionsprogramm »Chancengleichheit für Frauen und Männer« (1991-1995) beispielsweise konzentrierte sich auf den Grundsatz des »Mainstreaming« und entwickelte ihn weiter. Danach sollte systematisch der Aspekt der Chancengleichheit in alle Gemeinschaftsaufgaben, u. a. in den Bereich Bildung und Ausbildung, integriert werden (vgl. EK Generaldirektion 1997b: 18). Mit dem Jahresbericht der Europäischen Kommission von 1996 und dem Amsterdamer Vertrag waren die Weichen für die Umsetzung des Konzepts Gender Mainstreaming in der EU gestellt.13 Das rechtliche Instrumentarium, die Finanzmittel und die Analyse- und Moderationskapazitäten der Gemeinschaft sollen für diese Arbeit mobilisiert werden. Die Rahmenstrategie der Europäischen Kommission für den Zeitraum 2001-2005 legte für jedes Jahr ein Schwerpunktthema fest. Dieses Aktionsprogramm wurde vom Rat der EU im Jahr 2000 mit den Schwerpunktthemen für die folgenden Jahre beschlossen: »Gleiches 13 »Ein solides Fundament ist bereits vorhanden – in Form des Vertrages von Amsterdam und der Kommissionsmitteilung zum Gender Mainstreaming aus dem Jahre 1996. Nun wird Stockwerk für Stockwerk das Gebäude errichtet, das allmählich Gestalt annimmt – mit konkreten Vorschriften zum Gender Mainstreaming im Rahmen des Strukturfonds, der europäischen Beschäftigungsstrategie, der Entwicklungszusammenarbeit und der Forschung.« (Europäische Kommission 2001: 13). 22
GENDER MAINSTREAMING – ZENTRALE ELEMENTE
Arbeitsentgelt«, »Vereinbarkeit von Familie und Beruf«, »Frauen in Entscheidungsprozessen« sowie »Geschlechtsspezifische Stereotype«. Die Aktivitäten zu diesen Themen fanden in den Mitgliedsstaaten im selben zeitlichen Rahmen statt und es folgten weitere Aktionsprogramme. Abschließend soll an dieser Stelle kurz auf die rechtliche Relevanz der Gesetze und Regelungen eingegangen werden, die Gender Mainstreaming betreffen. Anders als Deutschland geht Schweden von der Übergeordnetheit des EU-Rechts aus, das die Umsetzung des Konzepts Gender Mainstreaming zwingend erfordert. Aber auch für Deutschland weist Susanne Baer darauf hin, »daß das Bundesverfassungsgericht betont, daß Gleichberechtigung im Sinne der Verfassung den Abschied von tradierten Geschlechtsrollen ebenso meint, wie das Verbot, an die Wahrnehmung solcher Rollen Nachteile zu knüpfen« (Baer 2004: 80; vgl. auch Rust14).
1.2.1 Gender Mainstreaming Methoden Die Implementierung von Gender Mainstreaming impliziert zwei Dimensionen: eine analytische und eine, die auf Veränderungen abzielt. Barbara Stiegler (2003) bezeichnet die Genderanalyse als das Herzstück des Gender Mainstreaming, weil diese nach den Mechanismen des doing-gender in der eigenen Organisation fragt, wie sie dazu beitragen, »dass geschlechtlich konnotierte Lebens- und Arbeitsweisen sich immer wieder reproduzieren«, also in welcher Weise die Differenz immer wieder hergestellt wird. So sollen die strukturellen Verankerungen von Diskriminierung und Privilegierung aufgespürt werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst am besten analysieren können, was Gleichstellung für die jeweilige Organisation bedeutet. Im Betrieb muss ein Konsens darüber entwickelt werden, dem operationalisierbare Ziele folgen. »Die Genderanalyse trägt dazu bei, die „Kultur der Zweigeschlechtlichkeit“ der eigenen Organisation in ihrer Entwicklung zu verstehen und daraus Maßnahmen der Veränderung abzuleiten« (Blickhäuser 2001:17). Der Prozess Gender Mainstreaming beinhaltet eine differenzierte Problemanalyse, eine Phase der Bildung, der Information, der Sensibili14 Rust führte auf dem Gender Mainstreaming Kongress der Bundeszentrale für politische Bildung in Leipzig (2002) aus, dass die Kommentarliteratur sich einig sei, dass die Querschnittsaufgabe Gender Mainstreaming für alle Tätigkeitsbereiche der Gemeinschaft verbindlich ist. Unzweifelhaft verhalten sich Organe vertragswidrig, wenn sie bestehende EG-Maßnahmen zur Gleichstellung von Männern und Frauen verschlechtern. 23
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
sierung, der Motivierung, der Fachinformation und schließlich eine gemeinsame Reflexion, unterstützt durch Expertinnen und Experten. Zahlreiche Gender Mainstreaming-Methoden sind in Schweden entwickelt worden. Weithin durchgesetzt hat sich die von der schwedischen Wissenschaftlerin Gertrud Åström entwickelte 3R-Methode, die in drei Schritten analysiert: Das erste »R« bezieht sich auf die zahlenmäßige Präsenz von Frauen und Männern (Repräsentation): Wer fasst Beschlüsse, führt sie aus, ist Nutzer oder Nutzerin? Das zweite »R« fragt nach den Ressourcen: Wie werden die Ressourcen (Zeit, Geld, Raum) zwischen Frauen und Männern verteilt? Und das dritte »R« stellt schließlich die Frage nach den Ursachen, der Realität: Wer bekommt was zu welchen Bedingungen? Die Methode »GERAC« (Jämkas) Gender EqualityReview, Analysis, Conclusions ist eine Verfeinerung der Methode zur Analyse. Die 3R-Methode ist darin verwoben. Wenn die Analyse der Zielgruppen ergibt, dass ein »Geschlechtermuster« besteht, wird das Problemfeld genauer beschrieben (vgl. Näringsdepartementet 2001: 33). Bei der anstehenden Veränderung der Normen, die zu diesem Bild geführt haben, setzt der Vorschlag für Veränderung immer bei den je spezifisch herausgearbeiteten Problemen an. Die dahinter liegenden Faktoren werden mit der Zeit von den Konsequenzen der Veränderungsarbeit auch dann berührt, wenn sie nicht direkt bearbeitet werden können. Wichtig ist, dass man die Muster des doing-gender klar herausarbeitet und konkrete Ziele aufgestellt werden, diese Muster zu verändern. Die in den Niederlanden entwickelte Methode der cleveren Ziele »SMARTA« unterstützt eine effektive Zielsetzung.15 Checklisten, in denen die Ziele für die Gleichstellungsarbeit konkretisiert werden, wirken gleichzeitig als Kontrollinstrumente, weil mit ihrer Hilfe anschließend geprüft werden kann, was erreicht wurde. Bei Planungsprozessen der Kommune kann beispielsweise zur Beschlussfassung gefragt werden, ob eine gleiche Verteilung der Geschlechter im Beschlussprozess beachtet worden ist. Zum Planungsaspekt »Kulturelles Klima, Freizeitangebote und Begegnungsplätze« wurde z. B. in schwedischen Kommunen während eines Pilotprojekts abgecheckt: »Werden Schulhöfe unter Berücksichtigung gleicher Bedingungen und Möglichkeiten für Mädchen und Jungen angelegt?« Für schwedische Schulen wurde von den Lehrergewerkschaften ein Typ von Checklisten entwickelt, der eine Reihe von Fragen als »self examination material« enthält, die Lehrerinnen und 15 SMARTA steht für S – spezifiziert, deutlich, M – mess- und beurteilungsfähig, A – abgegrenzt, also sagen, was nicht im Projekt enthalten ist, R – realistisch, erreichbar, T – Termin setzen und A – akzeptiert bei allen Beteiligten, im Fall der Schule bei Eltern, Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrern. (Vgl. lärarförbundet 2002: 20). 24
GENDER MAINSTREAMING – ZENTRALE ELEMENTE
Lehrern helfen können, die Geschlechterverhältnisse im Klassenraum wahrzunehmen und zu verändern.16 Ein »6-Schritte-Modell« wurde von der deutschen Wissenschaftlerin Karin Tondorf entwickelt (vgl. in: Krell/Mückenberger/Tondorf 2000: 11f.). Es durchläuft in sechs Schritten drei Etappen vom Entscheidungsprozess über die Phase der Kontrolle zur Evaluierung. Jenes Modell sieht vor, die gleichstellungspolitischen Ziele und Analyse der Probleme der Betroffenen zu definieren, Optionen zu entwickeln und zu analysieren sowie die getroffenen Entscheidungen, die Erfolgskontrolle wie auch die Evaluierung umzusetzen. Damit das Modell erfolgreich angewendet werden kann, bedarf es vieler Voraussetzungen: genauer Kenntnisse über den IST-Zustand, Wissen über Gleichstellung, Zuarbeit und Unterstützung durch Gutachten, Materialien, Schulungen und eines Berichtssystems mit verpflichtender Ursachenanalyse. Die »Gleichstellungsverträglichkeitsprüfung« (GIA) wurde 1994 in den Niederlanden konzipiert und von belgischen Wissenschaftlerinnen 1997 weiterentwickelt (vgl. Europarat 1998: 60). In einem ersten Schritt bewertet sie die Geschlechterrelevanz eines politischen Vorschlags, zweitens untersucht sie die daraus folgenden Konsequenzen für das tägliche Leben von Frauen und Männern und schließlich sollen bei der Umsetzung negative Effekte für die Gleichstellung abgefangen werden. Unter dem Namen EER (Emancipation Effect Report) wurde in den Niederlanden 1999 eine Gleichstellungsverträglichkeitsprüfung vom Ministerium für Erziehung als Pilotprojekt gestartet. Dieses scheiterte jedoch an der mangelnden Unterstützung und wissenschaftlichen Begleitung (vgl. Verloo 2001). Gender Mainstreaming ist ein »work in progress« und die Methodenentwicklung wird überall dort, wo damit gearbeitet wird, vorangetrieben. Auf den besonderen schwedischen Beitrag wird noch näher eingegangen.
1.2.2 Institutionelle Umsetzung, Kriterien für Erfolg und Scheitern Gender Mainstreaming rückt die Umgestaltung der Geschlechterverhältnisse weg vom Privaten, Persönlichen hin zu den institutionellen Strukturen, um den von Ulrich Beck (1986) so bezeichneten »Jahrhundertkonflikt« der Geschlechterrelationen zu lösen.17 Eines der Kriterien für Er16 »The idea is that awareness of their own actions will enable them to alter behaviour that reinforces gender inequality.« (just progress!, in: Ministry of Industry, Employment and Communications (Hg.) 2001:34. 17 »Die „Jahrhundertkonflikte“, die sich in persönlichen Schuldzuweisungen und Enttäuschungen in den Geschlechterbeziehungen entladen, haben ihren Grund auch darin, das immer noch versucht wird, unter Konstantset25
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
folg oder Scheitern von Gender Mainstreaming bei der Veränderung der Geschlechterverhältnisse besteht darin, ob die strukturelle Ebene berücksichtigt ist (vgl. Squires 1999). Da erste Studien über die Einführung, Entwicklung und Implementierung von Gender Mainstreaming vorliegen, lassen sich inzwischen genauere Aussagen über Erfolg oder Scheitern des Konzepts treffen. Mieke Verloo18 (2007) führt vier entscheidende Dimensionen an. Zunächst handelt es sich um die Dimension des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins von Gender MainstreamingAktivitäten, die bestimmten Grundvoraussetzungen unterliegen, nämlich den politischen Gelegenheiten, dem politischen Willen, adäquaten Ressourcen, einem hohen Frauenanteil in leitenden Positionen und der Offenheit und Transparenz politischer Prozesse. Die zweite Dimension bezieht sich auf die einzelnen Phasen des Gender Mainstreamings, d. h., dass neben der Planungsphase auch die Implementierung und Evaluierung klar erkennbar sind. Die dritte Dimension betrifft den Inhalt, nämlich die Frage, welches eigentlich die Ziele sind, und wie sie erreicht werden sollen. Dies setzt eine strukturelle Herangehensweise voraus und eine Tiefenanalyse der Geschlechterverhältnisse. Die vierte Dimension nimmt Bezug auf die Ergebnisse von Gender Mainstreaming-Strategien. Die qualitative Bewertung von Gender Mainstreaming erfolgt mithilfe eines strukturellen und kritischen Ansatzes, denn Gender Mainstreaming unterliegt zwei normativen Kriterien. Gender Mainstreaming soll transformativ, d. h., umgestaltend wirken, und es soll insofern eine Empowerment-Strategie darstellen, als es der (nicht-hegemonialen) Zivilgesellschaft Räume öffnet. Verloo et. al verweisen darauf, dass nicht Frauen im Fokus stehen, sondern Routinen und Prozesse, dass also nicht Frauen das Problem sind, sondern die Genderhierarchien selbst. Transformation bedeutet, die Genderdichotomien zu destabilisieren (vgl. Fraser 1997). Soll das gegenderte System verändert werden, ist es erforderlich, die bisherigen Staatspraktiken zu problematisieren, zielt doch Gender Mainstreaming nicht auf Integration ab, sondern auf Transformation. Deshalb wird es für eher unwahrscheinlich gehalten, dass Gender Mainstreaming-
zung der institutionellen Strukturen die Freisetzung aus den Geschlechtsstereotypen (weitgehend) allein im privaten Gegeneinander von Männern und Frauen und zwar in den Rahmenbedingungen der Kleinfamilie, zu proben, Dies kommt dem Versuch gleich, einen Gesellschaftswechsel bei gleich bleibenden Gesellschaftsstrukturen in der Familie zu vollziehen.« (Beck 1986: 181). 18 Verloo leitete die Expertinnen- und Expertengruppe des Europarats, deren grundlegender Bericht zu Gender Mainstreaming 1998 vom Europarat vorgelegt wurde. 26
GENDER MAINSTREAMING – ZENTRALE ELEMENTE
Prozesse harmonisch ablaufen.19 Persistenz und Transformation geraten somit in den Fokus (vgl. Behning 2005). Es steht inzwischen nicht mehr der Nachweis im Vordergrund, dass Organisationen und Institutionen patriarchale Geschlechterverhältnisse reproduzieren, sondern wie sie es tun (vgl. Dackweiler 2004). Allerdings reicht es nicht aus, wenn individuelle Organisationsmitglieder sich Kontextwissen aneignen. Die Implementierung von Gender Mainstreaming erfordert überwiegend komplexes Organisationslernen, mithin muss sich die Organisationen als Ganzes verändern.20 Entscheidend ist auch, dass das erworbene Wissen als solches anerkannt wird (vgl. Bothfeld/Gronbach 2002). Das Organisationslernen ist umfassend und hat gleichzeitig Auswirkungen auf die Sicht jedes und jeder Einzelnen auf sich selbst.21 Institutionelle Innovationen können nur hervorgebracht werden, wenn die Akteurinnen und Akteure geschlechtsspezifisches Bewusstsein entwickeln können. Dies setzt voraus, dass die Organisationen es den Akteurinnen und Akteuren ermöglichen, ein Genderbewusstsein zu entwickeln (vgl. Woodward 2004) und hierdurch auch entsprechende Ressourcen bereitstellen.
1.2.3 Stand der Implementierung Obwohl es in allen Mitgliedstaaten der EU schriftliche Dokumente zu Gender Mainstreaming gibt und in den meisten Ländern entsprechende nationale Gesetze existieren, ist der Stand der Implementierung in den einzelnen europäischen Ländern unterschiedlich weit vorangeschritten. In der BRD werden die Ministerien der Bundesregierung durch eine Interministerielle Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming (IMA GM) bei der Implementierung unterstützt, die sich 2000 unter der Zuständigkeit des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend konstituierte. Sie stellte den ersten Schritt der Implementierungsprozesse dar, 19 Verloo (2005) fragt, warum Gender Mainstreaming als harmonischer Prozess präsentiert wird, wenn es doch um Genderungleichheit, Macht und Privilegien geht und vertritt die Auffassung, dass, wenn Gender Mainstreaming den Gender Bias eliminiert, der Staat problematisiert werden müsse. 20 »An integrated gender perspective implies that all general staff should have the capability to consider gender aspects in all situations; understand the whole process, have a broad understanding of the concept “gender equality” and be ready to make changes in activities. On order to do this they need good tools and methodologies, knowledge about equality and they should be willing to transform word to action.« (Silvell (2000), zit. in: Grönroos/Lorenzen, 2003: 3). 21 » […] it could involve wholesale transformation of social pattern of representation, interpretation and communication in ways that would change everybody´ s sense of self«. (Fraser 1997: 15). 27
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
weil sie Gender Mainstreaming in die laufende Arbeit aller Ressorts implementieren sollte. 2003 wurde zur Unterstützung der öffentlichen Verwaltung in der Gleichstellungspolitik das GenderKompetenzZentrum gegründet, eine anwendungsorientierte Forschungseinrichtung an der Humboldt-Universität zu Berlin, die durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert wird. Weitere Unterstützungs-Strukturen sind durch Personal- und Organisationsreferate der Ressorts gegeben und als virtueller Teil des Wissensmanagements für die Umsetzung von Gender Mainstreaming innerhalb der Bundesregierung wurde 2002 das Wissensnetz Gender Mainstreaming im Internet freigeschaltet22. Seit 2005 wird von der Bundesregierung einmal in jeder Legislaturperiode ein Bericht zur Gleichstellung von Frauen und Männern vorgelegt. Auch in einzelnen Bundesländern traf man Kabinettsbeschlüsse zur konsequenten Umsetzung von Gender Mainstreaming in Landespolitik und Landesverwaltung. Schweden ist mit der Implementierung am weitesten fortgeschritten, was sich bereits darin zeigt, dass die offiziellen Statistiken systematisch nach Geschlecht differenzieren.23 In Schweden sind seit 2004 alle Ministerien aufgefordert, Genderanalysen zu erstellen. In 48 Politikbereichen wurden seitdem insgesamt 120 Genderanalysen durchgeführt (alle Zahlen vgl. Sterner/Biller 2007). Es gibt konkrete Beispiele aus unterschiedlichen Politikbereichen, die eine Genderperspektive integriert haben, z. B. die Verkehrsplanung. Im Jahr 2005 richtete die Regierung zur Unterstützung des Gender Mainstreaming-Prozesses das Komitee »JämStöd« ein, das 2007 u.a. ein praktisches Methodenbuch vorlegte (vgl. SOU 2007:15). Als Struktur zwischen den Ministerien gibt es in den Ministerien insgesamt 22 Koordinatorinnen und Koordinatoren und jeweils eine Gruppe von Kontaktpersonen, die sich regelmäßig treffen. 150 von 4600 Angestellten der Regierung sind in die Arbeit von Gender
22 Www.mainstreaming.net/bmfsfj/generator/gm/aktuelles,did=96168.html. (Es handelt sich um die seitdem bestehende laufend aktualisierte Seite) 23 »Mainstreaming as a concept seems to be foreign to all statistical offices except for Statistics Sweden. All countries have, to a greater or lesser extent elements of what could be called a gender mainstreaming strategy in their organisation’s production of statistics, but the consciousness about mainstreaming and what it entails for gender statistics is not too visible. For instance, the principle that all statistic on individuals shall be disaggregated by sex, exist in all countries, and may be something that can be counted as a mainstreaming activity. However, all offices, except Sweden Statistic, lack documentation on the importance of mainstreaming the work on gender statistics. One aspect that should be mentioned is that none organisation’s budgets are mainstreamed.« (Grönroos/Lorenzen 2003: 12). 28
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Mainstreaming direkt involviert. Und 400 Angestellte haben bereits an einem Gender-Training teilgenommen. Die nationalen Pläne zu Gender Mainstreaming werden jedes Jahr durch das Parlament ausgewertet. Das Hauptdokument der schwedischen Regierung für Gender Mainstreaming ist der Regierungsplan, der die Periode 2004 -200924 umfasst. Neben Langzeitplänen gibt es jährliche Aktionspläne und spezielle Aktionspläne für die Ministerien – diese sind für ihren eigenen Prozess selbst verantwortlich. Für die EU liegt ebenfalls ein Langzeitplan vor: die Roadmap der EU 2006-2010.25
1.2.4 Kritische Perspektiven In Deutschland löste das Konzept Gender Mainstreaming und seine institutionelle Umsetzung seit Bestehen eine heftige Debatte aus. Dieser Umstand hing auch mit den zwei unterschiedlichen Ansätzen des Konzepts zusammen, dem frauenbewegten, geschlechterbewussten auf der einen und dem organisationsbewussten auf der anderen Seite. Wegen seiner Passfähigkeit zum New Public Management befürchtete Heike Kahlert (2005), das Konzept Gender Mainstreaming werde von politischen Akteuren instrumentalisiert, um die traditionelle Frauenpolitik zu schwächen. Susanne Schunter-Kleemann (2003) kritisierte das Konzept als Variante neoliberaler Philosophie und Politik und gleichzeitig als eine speziell auf die Zielgruppe Frauen zugeschnittene Konsensstrategie. Es ignoriere jene tief verankerten sozialen und kulturellen Regulationsmuster, die in Betrieb und Gesellschaft zur geschlechtsungleichen Verteilung von Entscheidungs- und Kontrollbefugnissen führten. Auch sei Gender Mainstreaming kein Gesetz und daher rechtlich nicht einklagbar; zudem werde es von Land zu Land und Behörde zu Behörde unterschiedlich umgesetzt (vgl. Schunter-Kleemann 2002). Die autonome Frauenbewegung lehnte das Konzept Gender Mainstreaming prinzipiell ab und begab sich damit in eine marginale Position (vgl. Roth 2004), um nicht Teil des negativ konnotierten Mainstreams zu werden. Durch das Gender Mainstreaming entstünden keine geschlechtergerechten Strukturen, weil es Frauen in die von Männern geschaffenen Strukturen integriere (vgl. Imboden 2003). Mark A. Pollack und Emilie Hafner-Burton (2000) stellten fest, Gender Mainstreaming habe nicht mehr bewegt, als dieses Modell auf die Agenda zu setzen. Da alle irgendwie zuständig seien, sei zu befürchten, dass sich niemand dafür verantwortlich fühle. Dagegen sahen Bar-
24 Vgl. Regeringskansliet 2004: 14. 25 EuropäischeKommission (2006) 29
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
bara Nohr und Silke Veth (2002) die Besonderheit von Gender Mainstreaming gerade darin, dass es die Debatte um Geschlechterungerechtigkeit (wieder-) eröffnet habe. Mit dem Konzept würden Hoffnungen für die Praxis verbunden, nämlich dass sich z. B. für die Kinder- und Jugendhilfe durch Gender Mainstreaming die Anforderung an eine geschlechterbewusste Praxis erfüllen könnten.26 Auf der anderen Seite wird dem Konzept von Angelika Wetterer (2005) entgegengehalten, es sei lediglich ein neues Kapitel der unendlichen Geschichte der »Verzweigeschlechtlichung«, weil es zu deren Demontage nichts beitrage. Auch Alison E. Woodward (2005) sieht die Gefahr der Re-Aktivierung tradierter zweigeschlechtlicher Denk- und Deutungsmuster gegeben. Im Übrigen habe Gender Mainstreaming den Machtaspekt im Konzept ausgelassen, so Anita Heiliger (2002).27 Denn beim Gender Mainstreaming gehe es nicht mehr darum, unterschiedliche Interessen auszuhandeln, sondern darum, Unterschiede professionell und nach den Regeln der Kunst zu managen (Jegher 2003). Claudia von Braunmühl (2000, 2002) bemerkte, dass das stets erneut nötige Einfordern von Gender Mainstreaming im normalen Alltag emotionale und soziale Ressourcen erheblichen Ausmaßes verlange. Aus diesem Grund müsse die Implementierung mehr als Ort eines fortdauernden Verhandlungsgeschehens gesehen werden und nicht als linearer Umsetzungsprozess. Die Kritik an dem Konzept wird aus verschiedenen Blickwinkeln vorgetragen. Alison Woodward (2005) sieht die Gefahr dort, wo sie den Einsatz von Gender Mainstreaming als technisches Instrument und nicht als transformatorische Strategie vermute. Wenn Mainstreaming inzwischen als politischer Begriff ohne Gender benutzt werde, sei damit etwas Technisches gemeint. Schunter-Kleemann (2005) kritisiert, dass in keinem wichtigen Entscheidungsorgan der EU eine zahlenmäßig angemessene Präsenz von Frauen gegeben sei. Und für Verloo (2004) besteht ei26 Dackweiler (2006) spricht davon, dass alle Analyse- und (Selbst-) Reflexionsebenen, die die Anforderungen an eine geschlechterbewusste Praxis der Kinder- und Jugendhilfe abstecken, sich im Rahmen des noch jungen geschlechterpolitischen Leitprinzips »Gender Mainstreaming« formalisieren und auf Dauer stellen lassen würden, sofern dessen normativ – herrschaftskritischer Gehalt aufgegriffen wird. 27 »Allerdings macht die Kenntnis institutioneller Strukturen mit ihrem Beharrungsvermögen in Bezug auf hierarchische Anordnung, Sicherung persönlicher Privilegien, Abschottung gegenüber Lern- und Veränderungsprozessen sowie erfolgreichen Verweigerungshaltungen und eingespielten Seilschaften hinsichtlich grundlegender Veränderung in der Geschlechteranordnung und geschlechtsspezifischer Machtkonstellationen nicht allzu optimistisch. Dies trifft auch für die Umsetzung von Gendermainstreaming zu, das den Machtaspekt im Konzept bekanntlich ausgelassen hat.« (Heiliger 2002: 132). 30
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nes der Hauptprobleme darin, andauernd den Fokus auf Frauen als Subjekte des Wandels zu legen. Verloo zufolge bedürfe es der Herausforderung und weniger des Einverständnisses in den Gender MainstreamingProzessen und eines stärkeren Einbezugs der feministischen Bewegung. Frauenpolitisch betrachtet haftet der Auseinandersetzung mit Gender etwas Paradoxes28 an, auf das Judith Lorber (2004) hingewiesen hat, wenn nämlich Frauen als Gruppe Gender als diskriminierenden Faktor entlarven und damit die Differenz, die eigentlich aufgehoben werden soll, dramatisieren.29 Geht man davon aus, dass das Ziel in der Aufhebung der Differenz liegt, damit die Kategorie Geschlecht ihre relevante Funktion als Klassifikationskriterium verliert, ist Gender Mainstreaming ebenfalls als paradoxes Konzept anzusehen, werden doch bei allen politischen Entscheidungen des Mainstreams, des politischen Hauptstroms, die Auswirkungen auf Frauen und Männer berücksichtigt. Annette Treibel (1997) hat darauf hingewiesen, dass die sogenannten »natürlichen Unterschiede« zwischen Frauen und Männern auch von Individuen, die von der Geschlechterdichotomie und -asymmetrie wegwollen, immer wieder neu produziert werden. Dieses Dilemma wird neben dem, dass es mit dem Konzept bei reiner Rhetorik bleiben könne, als eine der »Fallen« des Gender Mainstreaming beschrieben (vgl. Squires 2005). Mechthild Bereswill (2003) bezeichnet das Dilemma als Grundkonflikt zwischen Involviertheit und Veränderungswillen, nämlich selbst Konstruktionen durchschauen und auflösen zu wollen und gleichzeitig in diese involviert zu sein. Darin besteht tatsächlich die besondere Herausforderung des Gender Mainstreaming. Während die einen befürchten, dass das transformative Potenzial des Gender Mainstreaming gegenüber institutionellen und organisatorischen Prozessen ignoriert wird (vgl. Lombardo 2005), bestehende Paradigmen nicht hinterfragt werden und damit eine Verwässerung eintritt, meinen andere, dass das Konzept Gender Mainstreaming größere Fragen nach Gleichheitsansprüchen in einer Demokratie aufwerfe (vgl. Walby, 2005). Es sei so umkämpft, weil es sich in der Mitte zwischen Mainstream und gender equality befinde.
28 »It is a paradox of feminist politics that politically women must act as a group in order to defuse gender as a discrimative factor.« (Lorber 2004a, zit. nach Gildemeister/Wetterer 1992: 248). 29 Vgl. auch Lorber (2004b) Aufsatztitel: »Man muss bei Gender ansetzen, um Gender zu demontieren«. 31
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1.3 Gender Mainstreaming und Schule Der besondere Stellenwert, den Bildungspolitik und Schule im Hinblick auf Regelungen zur Gleichstellung der Geschlechter haben, wird in vielen Dokumenten der EU betont. 1994 wurden diesbezügliche Empfehlungen mit dem Europaratdokument »Gender equality in education« im Rahmen transnationaler europäischer Bildungspolitik vorgelegt.30 Der für den Europarat erarbeitete »Empfehlungsentwurf zur Gleichstellung der Geschlechter im Bildungswesen«, der im Europarat 1994 einstimmig angenommen wurde, ging von dem Bezugsrahmen aus, dass die »natürliche« Geschlechterdifferenz eine unbestritten gesellschaftlich wirkmächtige, aber konstruierte und keine natürliche Realität sei. In dem Empfehlungsentwurf wurde ein »geschlechtssensitiver« Ansatz gefordert, nach dem nicht nur aktive Gleichstellungspolitik betrieben werden solle, sondern auch von bestehenden Geschlechterunterschieden auszugehen sei, damit die Möglichkeiten versteckter Diskriminierungen besser ausgeschlossen werden könnten. Fünf Elemente gingen in den Empfehlungsentwurf (vgl. Enders-Dragässer 1994 Europarat-Doc. 7101) ein:
• • • • •
Formale Gleichheit ist zu gewährleisten. Faktische Gleichheit ist weiter zu entwickeln. Ein geschlechtssensitiver Ansatz ist zugrunde zu legen. Nationales Monitoring in Form nationaler Berichte ist notwendig, um die Entwicklung zu überwachen und zu steuern. Beiträge von Frauenbewegung und feministischer Forschung sind zu würdigen und zu berücksichtigen.
Zehn Jahre später veröffentlichte der Europarat die Ergebnisse einer Befragung der Mitgliedsstaaten zum Fortschritt von Gender Mainstreaming in Schulen (vgl. Europarat 2004). Es wurde nach der Bedeutung von Geschlechtsrollen in der Schule gefragt, nach Beeinflussungen der Geschlechtergleichstellung durch den sozialen Hintergrund, durch Jugendkulturen, danach, ob Gleichstellung in der Lehrerausbildung eine Rolle spielt, wie die Sichtbarkeit von Frauen und Männern in Schulbüchern ist, warum Macht und Erfolg als männliche Attribute angesehen werden und welche Attribute beispielsweise für eine erfolgreiche Frau gelten. Des Weiteren sollte durch die Studie in Erfahrung gebracht werden, wie es mit den Ressourcen Zeit, Raum und dem strukturellen Arrangement 30 Die Empfehlungen wurden von Uta Enders-Dragässer und der Schweizer Parlamentarierin Leni Robert 1994 erarbeitet, Europarat-Doc. 7101 »Gender equality in education«, transnationale europäische Bildungspolitik, Geschlechtergleichstellung und feministischer Wissenstransfer. 32
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bezogen auf die Gleichstellung der Geschlechter in der Schule aussieht und schließlich, ob der Gebrauch der Neuen Technologien in Schulen Geschlechterdifferenzen aufweist. Die kleine Umfrage ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es in einigen Punkten Länderunterschiede gibt, insgesamt aber eine große Einigkeit in den Antworten besteht. Allgemein ist über die frühe Differenzierung von Schülerinnen und Schülern nach Geschlecht berichtet worden, über einen begrenzten Grad an Bewusstheit über Geschlechtergerechtigkeit und korrespondierend damit einen hohen Grad an Genderblindheit in den Schulen. Jedoch wurde kein signifikanter Unterschied bei den Antworten von Frauen und Männern festgestellt oder bei denen von älteren oder jüngeren Personen. Für entscheidend notwendig wurde allgemein ein Training für Schulmanager gehalten. Abschließend wird in dem Bericht betont, dass Gleichstellung in der Schule nur dann erreicht werden kann, wenn alle Akteure, also institutionelle Organisationen wie Regierung, Parlament, Ministerien, Schule, Universität, Forschung und die Zielgruppen Schüler, Lehrer, Management Anstrengungen zugunsten der Gleichstellung der Geschlechter unternehmen. Da sich Gender Mainstreaming vornehmlich an Institutionen, Organisationen sowie Verwaltungen richtet, wird häufig der im Schulbereich besonders wichtige inhaltliche Bereich vernachlässigt. Dort spielt neben dem institutionellen und organisatorischen Rahmen bei Gender Mainstreaming auch der inhaltliche Rahmen eine zentrale Rolle.31 Dieser inhaltlichen Dimension ist dabei nicht mit technokratischem Vorgehen beizukommen, sondern ausschließlich auf der Grundlage fundierten Genderwissens.
31 Meyer/Ginsheim (2002) beleuchten unterschiedliche Ebenen der Arbeit mit Gender Mainstreaming in Schule und Jugendhilfe, wie z. B. die Ebene der Organisation, die Ebene der Mitarbeiter, die Ebene der Maßnahmen und Projekte. Ihnen gebührt das Verdienst, auf die herausragende Bedeutung der Herstellungsprozesse binärer Geschlechtsidentitäten für pädagogische Handlungsfelder als einen besonderen inhaltlichen Schwerpunkt von Gender Mainstreaming in der Schule gegenüber organisationsrelevanten oder administrativen Schwerpunkten hingewiesen zu haben. 33
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
2 S c hw e d i s c h e r K o n t e x t 2.1 Schweden als Vorreiter des Gender Mainstreaming In Schweden hat Gleichstellung eine lange Geschichte. Die Traditionslinie von Gender Mainstreaming (schwedisch jämställdhetsintegrering, wörtlich übersetzt: Gleichstellungsintegrierung) leitet sich von dem regierungsamtlichen Begriff jämställdhet (Gleichstellung) her, durch den der Begriff jämlikhet (Gleichheit) der 1970er Jahre abgelöst wurde, um deutlich zu machen, dass es bei Gleichstellung um Fragen des Geschlechterverhältnisses geht im Unterschied zu Konflikten zwischen sozialen Klassen und um Besitzverhältnisse. Jämställdhet hat seit Jahrzehnten einen hohen politischen Stellenwert und eine große Sichtbarkeit in amtlichen Dokumenten sowie in der Medienöffentlichkeit. Daher bestand in Schweden für die Arbeit mit Gender Mainstreaming eine günstige Ausgangslage, gibt es doch seit Jahrzehnten einen gesellschaftlichen Konsens über die Grundregeln der Gleichstellung. Ihm zufolge soll jeder Mensch durch eigene Erwerbstätigkeit ökonomisch unabhängig sein können und Elternschaft sollte mit Berufstätigkeit kombinierbar sein. Zudem gilt es, Frauen und Männern gleichermaßen die Möglichkeit zu bieten, am politischen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Der Staat machte sich sehr früh die von Yvonne Hirdman entwickelte Theorie der Gendermachtordnung zu nutze, die als Genussystem (Gendersystem) einen Teil des 1990 erschienenen Machtrapports der Regierung32 darstellt. Die Theorie beinhaltet, dass die unsichtbaren Relationen zwischen den Geschlechtern, auch als Genuskontrakt bezeichnet, zu einem Genussystem (Gendersystem) führen, welches das bestehende Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen folgendermaßen konstruiert: Zunächst werde immer wieder eine Differenz zwischen den Geschlechtern hergestellt und im zweiten Schritt eine Hierarchie, die das Männliche höher bewerte, also das Primat des Männlichen als Norm postuliere. Der Begriff Genus (Gender) bedeutet insofern einen qualitativen Sprung, als er eine Erklärung für das Machtverhältnis zwischen Frauen und Männern und die Reproduktion der Unterordnung der Frauen bietet. Leben ist nach Hirdman ein gendergeformter Prozess, der Institutionen eine Ordnung gibt und durch diese Ordnung wiederum eine neue Legitimation für die Genderordnung produziert. Zwei Logiken sind durchgängig, und zwar die Herstellung der Differenz der Geschlechter
32 Vgl. SOU 1990: 44. Hauptbericht einer im Auftrag der Regierung durch das staatswissenschaftliche Institut der Universität Stockholm erstellten Untersuchung über Macht und Demokratie in Schweden. 34
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und das Primat des Männlichen als Norm. Der Imperativ der Genderordnung ist die Systemreproduktion. Diese theoretischen Überlegungen bildeten den Kern der Leitgedanken, die der staatlichen Gleichstellungspolitik Schwedens zugrunde liegen. Die so begriffene bestehende Genderordnung mit der Höherbewertung des Männlichen wird mit der offiziellen Gleichstellungspolitik und insbesondere mit Gender Mainstreaming in Frage gestellt. Regierungsdokumente sprechen in Schweden zuweilen eine geradezu feministische Sprache. So heißt es in der Regierungserklärung zur Begrüßung des Jahres 2000: »Es geht darum, die nach wie vor herrschende Gesellschaftsstruktur zu durchbrechen, denn sie sagt uns jeden Tag, dass • Männer die Norm und Frauen die Ausnahme sind, • Männer übergeordnet und Frauen untergeordnet sind, • Männer große Macht haben, Frauen wenig. Überall in unserem Alltag stoßen Frauen auf diese Struktur […].Die Struktur ist sichtbar und unsichtbar. Nicht selten tragen sowohl Frauen als auch Männer zu ihrer Aufrechterhaltung bei« (Regeringens skrivelse 1999 / 2000: 24, inför 2000-talet Stockholm 1999: 5f.).
Schweden arbeitete mit Gender Mainstreaming, dem Handlungsplan für die Integration der Gleichstellungsperspektive, bereits bevor der Vertrag von Amsterdam 1999 in der EU ratifiziert wurde (vgl. European database 2001) und hatte nach seinem Beitritt zur EU 1995 von Anfang an bei der Weiterentwicklung dieses neuen gleichstellungspolitischen Ansatzes eine Vorreiterrolle inne. Gender Mainstreaming wird in Schweden ausdrücklich als wirksame, komplexe Strategie zu einer Systemveränderung gesehen und hat eine eigene Dynamik entwickelt. »Gender Mainstreaming ist eine Strategie, die beinhaltet, Ordnungen zu verändern, Veränderungen in bestehenden Tätigkeiten zu erreichen […]. Es geht um Veränderungen auf Systemniveau. Aus dieser Perspektive gesehen ist es normal, dass es länger dauert. Es ist eine große Herausforderung, Ausdauer zu schaffen und nicht das Ziel aus den Augen zu verlieren […]. Gender Mainstreaming ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um Gleichstellungsziele zu erreichen. Man kann nicht sagen, dass Gender Mainstreaming durchgeführt ist, bevor man die konkreten Ergebnisse sehen kann. Die Arbeit ist natürlich ein Prozess, aber durchgeführtes Gender Mainstreaming zeigt Ergebnisse in der Tätigkeit. Das ist eine wichtige Legitimitätsfrage« (Regeringskansliet, Näringsdepartementet 2001: 61, Übers. d. Verf.)
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Agneta Stark, Ökonomin, war von 1995 bis 1998 entscheidend an Gender Mainstreaming in der schwedischen Regierung beteiligt. Ihre Schlussfolgerung lautete: »Gender Mainstreaming-Gleichstellungspolitik ist lohnende Arbeit. Aber die Evaluation des Mainstreaming muss auf der Basis von Ergebnissen erfolgen, nicht von Konzepten und Planungen. Und es muss eine Evaluation auf jeder Management- und Führungsebene sein, eine häufige und regelmäßige Ergebnisevaluation« (Stark 2001).
Regierung und Parlament haben sich in vielen Dokumenten zur Gleichstellung geäußert. 1992 trat beispielsweise das »Dokument für Chancengleichheit für Frauen und Männer am Arbeitsplatz“ in Kraft, allgemein bekannt als „Dokument für Chancengleichheit«, das als grundlegendes Statut vor allem die Chancengleichheit im Arbeitsleben regelte. Gleichstellungsfragen wurden dabei im Arbeitsministerium verhandelt. Die Regierungserklärung Delad makt – delat ansvar (übersetzt: geteilte Macht – geteilte Verantwortung) beinhaltete zum einen, dass die Gleichstellungsfrage in alle Bereiche integriert werden muss und dass darüber hinaus das Gleichstellungsziel nicht isoliert formuliert werden kann (vgl. Regeringens proposition 1993/94: 147: 22). Dies war der Auftakt für Gender Mainstreaming (Jämställdhetsintegrering)33. Mit der Einführung dieser Strategie veränderte sich die Politik für Chancengleichheit. 33 »Jämställdhet kan inte formuleras isolerat utan måste ingå som en naturlig del när mål sätts upp på skilda områden i samhället. Vidare är det omistligt att också jämställdhetsperspektivet finns med när analyser görs och åtgärder förelås. Likaväl som frågan ställs om vilka konsekvenser som beslut kann få för olika grupper i samhället bör också frågan ställas om vilka sammanhang används ibland det engelska uttrycket mainstreaming för det ovan beskrivna arbetssättet. För att nå effektivitet måste det arbetet kompletteras med speciella satsningar som uppmärksammar kvinnors och mäns skilda villkor. Lika viktigt är att metoder och verktyg används som kan bidra till att detta arbetssätt utvecklas, blir synligt och får genomslag.« (Delad makt – delat ansvar 1993 / 94: 77) (Gleichstellung kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss selbstverständlicher Bestandteil der Zielformulierungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche sein. Es ist unentbehrlich, dass die Gleichstellungsperspektive in sämtliche gesellschaftliche Analysen eingeht und Fragen danach gestellt werden, welche Konsequenzen bestimmte Beschlüsse für verschiedene gesellschaftliche Bereiche haben und ebenfalls danach gefragt wird, welche Rolle der englische Begriff Mainstreaming für die beschriebenen Arbeitsweisen spielt. Um effektiv zu sein, muss die Arbeit durch Einsätze komplettiert werden, die auf die unterschiedlichen Bedingungen von Frauen und Männern aufmerksam machen. Gleichermaßen wichtig ist, dass die angewendeten Methoden und Werkzeuge dazu beitragen können, diese Arbeitsweisen zu entwickeln, sichtbar zu machen und durchzusetzen.) (Übers. d. Verf.). 36
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»Der Einsatz von Gender Mainstreaming als Strategie kann außerdem die Rolle der Gleichstellungs-Maschinerie verändern oder neu fokussieren. Wenn wir das schwedische Beispiel nehmen, bedeutet dies, dass die Abteilung für Gleichstellung nun eine proaktive, koordinierende und beratende Rolle in Bezug auf die Ministerien ausübt. In ihrer koordinierenden Eigenschaft verfolgt die Abteilung die Implementierung von Gender Mainstreaming. Zusammenfassungen und Analysen werden in Dialogform an die jeweiligen Ministerien zurückgeleitet. Die Gleichstellungs-Experten und -Expertinnen auf regionaler Ebene in Schweden haben nun die Rolle von Beratern und Beraterinnen, nicht die Rolle der Verantwortung für Gleichstellung, da diese Verantwortung bei der Verwaltungsspitze liegt« (Verloo im Rahmen der ersten Sitzung der interministeriellen Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming, Wien 2000).
2.1.1 Schwedische Gender Mainstreaming Methodenentwicklung Die von Gertrud Åström für den schwedischen Kommunalverband entwickelte 3R-Methode, eine Gender Mainstreaming-Methode, die in Schweden wegen des Ausmaßes der unerwartet deutlichen ungleichen Ergebnisse großes Aufsehen erregte, fußt auf einer quantitativen Datenerfassung. Diese dient als Grundlage für eine qualitative Analyse von Betrieben und Behörden im Hinblick auf die Entwicklung der Gleichstellung von Frauen und Männern. Erstens werden also quantitative Erhebungen durchgeführt, die nach der zahlenmäßigen Verteilung von Frauen und Männern auf bestimmte Bereiche fragen. Im Fall des Kommunalverbands wurden nicht nur das Personal, sondern auch Kundinnen und Kunden, Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie Benutzerinnen und Benutzer in den Kategorien männlich / weiblich erfasst. In einem zweiten Schritt wird die statistische Verteilung von Ressourcen ermittelt, die Zuteilung von Geld, Raum und Zeit zwischen Frauen und Männern. Diesbezügliche konkrete Fragen können sein: Wann und wie viel Geld wird Frauen oder Männern von Banken geliehen? Wie viel Zeit widmet ein Autoverkäufer einer Frau bzw. einem Mann? Wie viel räumliche Nutzung durch Mädchen bzw. Jungen findet in Kindergärten und Vorschulen statt? Drittens erfolgte eine qualitative Erhebung, die die Realität auf Ursachen und Gründe für den Istzustand untersuchte. Es wurde in Analysen und Diskussionen nach den Ursachen der unterschiedlichen zahlenmäßigen Präsenz von Frauen und Männern und der unterschiedlichen Ressourcenverteilung zwischen den Geschlechtern geforscht. Diese können entweder in der Organisation der Behörden und Betriebe zu finden sein oder auch auf diese Einfluss nehmen. Fragen können deshalb lauten: Warum werden mehr Männer als Frauen mit Blaulicht in Rettungswagen abgeholt? Warum wird weniger 37
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Geld an Frauen als an Männer ausgeliehen? Warum halten sich kleine Mädchen im Kindergarten häufiger in der Puppenecke auf, während Jungen mehr Raum für sich beanspruchen? Das Ziel der 3R-Methode besteht darin, die ungleichen Verhältnisse so zu verändern, dass Gleichstellung erreicht wird. Die 3R-Methode ist also eine Kombination aus Forschung und Aktion. Das schwedische Wirtschaftsministerium (Näringsdepartementet 2001) kam zu dem Schluss, dass alle 3 „R“ benötigt werden! Es wurde für wichtig erachtet, dass die Informationen über jede einzelne Institution oder Organisation neu erstellt werden müssen mit dem Ziel eines Veränderungsvorschlages. Ohne Analyse eine konstruktive Diskussion zu führen, wurde für unmöglich gehalten. Vorgeschlagen wurde, eine Eingrenzung der Fragestellung vorzunehmen und sich für die Veränderung einen Zeitrahmen zu stecken. Um die 3R-Methode zu erproben, wurde ein Pilotprojekt in sechs Kommunen durchgeführt (Sida 1998). In der ersten Phase wurden auch Schulen einbezogen. Im Ergebnis stellte sich indes heraus, dass diese Methode nicht in allen Bereichen gleich gut anzuwenden ist. 1997 wurde vom Wirtschaftsministerium auf nationaler Ebene eine Arbeitsgruppe zur Methodenentwicklung der schwedischen Gleichstellungsarbeit eingerichtet, die innerhalb von zwei Jahren u. a. Projekte initiieren sollte. Im Schlussbericht ändrad ordning (deutsch: veränderte Spielregeln) ist die »Maschinerie für Gleichstellungsarbeit« beschrieben, eine Stützstruktur rund um Gleichstellung, die 1995 mit dem Einsetzen von Bezirksgleichstellungsexperten noch verbessert wurde. In dem Bericht wird die Methode JämKas (Jämställdhet, Kartläggning, Analys, Slutsatser), eine Erweiterung der 3R-Methode dargestellt: »Wenn die Analyse ergibt, dass ein Geschlechtermuster besteht, welches die Verteilung der Ressourcen Zeit, Raum, Mittel betrifft, werden von den Beteiligten Vorschläge für die Veränderung der jeweilig eigenen Probleme gemacht. Wichtig ist, das Muster des doing gender klar herauszuarbeiten und konkrete Ziele für einen Handlungsplan zu erstellen, innerhalb welcher bestimmten Zeit diese Muster zu verändern sind. Die Auswertung seiner Realisierung legt den Grundstein für den nächsten Plan« (Näringsdepartementet 2001: 32).
Die durch die EU-Mitgliedschaft Schwedens noch gewachsenen Aufgaben der Gleichstellung wechseln zwischen Unterstützen, Überwachen, Beraten und Initiator sein. In der Zusammenfassung zur Methodenentwicklung des Gender Mainstreaming „gör det jämt!“ (englischer Titel:
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just progress!)34 wird betont, dass der Weg von der Bewusstwerdung der Ungleichgestelltheit der Geschlechter seinen Ausgangspunkt in der täglichen Arbeit hat. Das Komitee JämStöd, zur Unterstützung der Arbeit mit Gender Mainstreaming 2005 eingerichtet, legte 2006 einen umfangreichen Bericht mit einer Methodenübersicht vor. Dort wird ein achtstufiges Treppenmodell (schwedisch: Trappan) für die systematische Arbeit mit Gender Mainstreaming vorgestellt (vgl. Jämstöd 2006: 4):
• • • • • • • •
Herstellen eines fundamentalen Verständnisses von GeschlechterGleichstellung Untersuchung der Voraussetzungen für die Arbeit Planen und Organisieren Feststellen der alltäglichen Aktivitäten der Organisation / Institution Überblick und Analyse Maßnahmen formulieren Maßnahmen durchführen Evaluation der Ergebnisse
Für die weitere Arbeit wird anschließend auf einem höheren Niveau wieder bei Schritt 1 begonnen. Die meistangewendeten und getesteten Methoden, die systematisch dem Modell Treppe folgen, wurden 2007 als praktisches Handbuch herausgegeben (SOU 2007:15). Dort werden u. a. die Methoden METS, eine Checkliste zur Bearbeitung des dritten Schritts und die Methoden JämKAS Basic, JämKasPlus und JämKart (jämställdhets-kartläggning) zur Bearbeitung der Schritte 4 bis 6 näher beschrieben sowie die Evaluations-Methode für den achten Schritt skizziert JämUR (jämställdhetsutvärdering).
2.2 Das schwedische Schulwesen Schwedens integriertes Schulwesen, in dem alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam von der ersten bis zur neunten Klasse eine Schule, die grundskolan, besuchen, wird von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen. Im Bereich der Schulleistungen hat die schwedische Schule im internationalen Vergleich sehr gute Erfolge mit diesem Konzept vorzuweisen. Der schwedische Grundgedanke, dass sich alle in der Schule Tätigen wohlfühlen sollen, bewirkt, dass dafür in vielerlei Hinsicht gesorgt wird. Alle Schülerinnen und Schüler werden in der Schule sozial und individuell gefördert, sie werden in seelischer und körperli-
34 jämt ist die Abkürzung für Gleichstellung, gör det jämt! steht aber auch für: bleib dran, mach es, immerzu, unaufhörlich (vgl. Petterson 2004: 27). 39
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cher Hinsicht gesundheitlich betreut. In die frühe Bildungsphase werden viel Aufmerksamkeit und Geld investiert. Zudem werden Schülerinnen und Schüler in regelmäßigen Planungs- und Entwicklungsgesprächen aktiv darin unterstützt, selbst Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess zu übernehmen. Die zentralen Grundpfeiler des schwedischen Schulwesens prägen auch die Gender Mainstreaming-Prozesse in der Schule. Das Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern steht auch im Zentrum der Bemühungen, wenn es um die Frage der Gleichstellung der Geschlechter geht. Gleichstellung ist ein wichtiger schwedischer Grundwert, der auf einem breiten und unbestrittenen gesellschaftlichen Konsens beruht. Gleichstellung soll in der Schule als Wissens- und als pädagogische Frage sichtbar sein und sie soll von allen in der Schule Tätigen aktiv gefördert werden. Auch dafür wurde Einiges getan. So wurden bei den Kommunen Genderexpertinnen und -experten eingestellt, deren Arbeit sich u.a. auch auf Schulen bezog, darüber hinaus wurden ab 2002 im Regierungsauftrag Genderpädagoginnen und -pädagogen an den Universitäten ausgebildet, die ein Unterstützungsnetzwerk für die Gleichstellungsarbeit in den Schulen bilden. Und sogar die Gleichstellungspläne der Kommunen, denen die Schulen direkt unterstellt sind, beziehen die Gleichstellungsarbeit in den Schulen mit ein. Das schwedische Schulwesen besteht aus der obligatorischen Schule wie der Grundschule und einer „Spezialschule“, in der Schülerinnen und Schüler betreut werden, die Anschluss an die Gleichaltrigengruppe bekommen sollen, aus der Sonderschule und der Grundschule für Sami, aus einer der Grundschule vorgeschalteten Vorklasse sowie der freiwilligen Schule, dem Gymnasium, der gymnasialen Sonderschule, der kommunalen Erwachsenenbildung und der Ausbildung für Erwachsene mit pädagogischem Sonderbedarf. Die obligatorische Volksschule gibt es in Schweden seit 1842, die heutige neunjährige Grundschule seit 1962 als Koedukationsschule. Damals erhielt die Schule ihren ersten modernen Lehrplan. Es gab neue Lehr- und Kurspläne und neue Zensurensysteme sowie mehr Rechte bei der Wahl der Schule durch Schüler und Eltern. Bevor in Schweden auf Selektivität im Schulwesen verzichtet wurde, hatte es eine lange Phase des intensiven Diskutierens und Experimentierens mit Gesamtschulen gegeben. Das Ergebnis war ein Konsens über das lange gemeinsame Lernen zwischen den politischen Parteien mit großem Rückhalt in der Gesellschaft. Die soziale Förderung aller Kinder ist in Schweden ein zentrales gesellschaftliches Ziel.
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2.2.1 Aufbau des Schulwesens Schwedische Kinder im Alter von sieben bis sechszehn Jahren sind schulpflichtig. Alle gemeinsam besuchen die neunjährige Grundschule (grundskolan). Diese war bei ihrer Einführung als integrierte Gesamtschule 1962 in drei Ebenen untergliedert: Unterstufe, Mittelstufe und Oberstufe. Jene Struktur wurde zum 1. Juli 1995 mit Einführung des neuen Curriculums abgeschafft. In der Pflichtschule findet keine Selektion beim Übergang in die SEK 1 (die letzten drei oder vier Jahrgänge der Pflichtschule) statt, denn alle Kinder und Jugendlichen sollen gleiche Chancen beim Zugang zur Bildung erhalten und zu verantwortungsbewussten Individuen herangebildet werden. Alle schulischen Aktivitäten müssen mit den grundlegenden demokratischen Wertvorstellungen in Einklang stehen. Die Unterrichtsstunden sind in Einheiten von 60 Minuten eingeteilt, das Schuljahr in zwei Halbjahre. Das Frühjahrshalbjahr beginnt im Januar und endet Anfang Juni, das Herbsthalbjahr beginnt Ende August und endet Ende Dezember. Ein Kurssystem ist in der Grundschule untersagt, denn dem gemeinsamen, auch jahrgangsübergreifenden Lernen wird der Vorzug gegeben. Der Stundenplan beinhaltet sechs Bereiche: Basisfächer (Schwedisch, Englisch, Mathematik), praktisch / ästhetische Fächer, gesellschaftswissenschaftliche Fächer, naturwissenschaftliche Fächer, Sprachwahlpflichtfach, persönliches Wahlpflichtfach. Ca 93% aller Schulkinder besuchen die kommunale Grundschule. In der ersten bis sechsten, oder in einigen Fällen auch fünften Klasse unterrichtet die Klassenlehrerin oder der Klassenlehrer in fast allen Fächern. In Klasse sieben (oder in einigen Fällen auch sechs) bis zur neunten Klasse wird der Unterricht von Fachlehrerinnen und -lehrern erteilt. Mit dem neuen Lehrplan von 1995 wurde ein neues, leistungsbezogenes Zeugnissystem eingeführt, das auf der folgenden dreigliedrigen Skala fußt: Note G (godkänd) = ausreichend, VG (väl godkänd) = gut, MVG (mycket väl godkänd) = sehr gut. Falls G nicht erreicht wird, und damit das nationale Ziel verfehlt wird, wird keine Note vergeben. Zeugnisse werden in jedem Halbjahr der achten Klasse, am Ende des Herbsthalbjahrs der Klasse neun (Halbjahreszeugnis) und mit Ende der Schulpflicht (Abgangszeugnis) erteilt. Die Zulassung zu einem Programm des Gymnasiums wird bei mindestens G gewährt. Normalerweise werden Schülerinnen und Schüler automatisch in die nächst höhere Klasse versetzt. Am Ende des neunten Schuljahrs sind zentral ausgearbeitete Prüfungen in den Basisfächern für alle Schülerinnen und Schüler obligatorisch. Auch im fünften Schuljahr werden nationale Prüfungen in den Basisfächern
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durchgeführt. Es gibt Pläne der gegenwärtigen konservativen Regierung, Prüfungen in der dritten Klasse einführen. Noch nicht schulpflichtige Kinder können in der Vorschule (förskolan) betreut werden, die ganzjährig und mit auf die Arbeitszeit der Eltern abgestimmten täglichen Zeiten geöffnet ist. 84% der Kinder besuchen eine öffentliche förskola, einen Kindergarten mit pädagogischem Förderkonzept (vgl. Skolverket 2003, in: SCB 2006: 42). Die Vorschule hat seit 1998 sogar ein eigenes Curriculum. In den ersten Schuljahren, wie auch in der Vorklasse, ist die Ausstattung sehr gut mit 13,3 Schülerinnen und Schülern im statistischen Durchschnitt gegenüber Deutschland mit 21 Schülerinnen und Schülern pro Lehrerin bzw. Lehrer (vgl. OECD 2002). Die Gebühren für die Vorschule schwankten von Gemeinde zu Gemeinde, weil diese selbst die Höhe festlegten. Um die Bereitschaft vor allem der Mütter, nach einer erwerbslosen Zeit die Arbeit wieder aufzunehmen, nicht zu riskieren, führte man 2002 eine Maximalabgabe (maxtaxa) ein, in der die Gebühren von 1-3% des Einkommens der Eltern festgesetzt wurden.35 Seit Januar 2003 haben alle Kinder Anspruch auf täglich drei Stunden gebührenfreien Besuch der Vorschule ab dem Herbst des Jahres, in dem sie das vierte Lebensjahr erfüllen (vgl. Svenska institutet 2002a). Seit 1998 gibt es eine neue Schulform mit der Bezeichnung »Vorschulklasse« – die Gemeinden sind dabei zur Einrichtung verpflichtet. Die Teilnahme ist freiwillig, aber fast alle Kinder besuchen jetzt diese Klassen. 98% der Grundschulabsolventinnen und -absolventen gehen auf die weiterführende Schule, das Gymnasium (vgl. ebd. 2002), dessen Besuch freiwillig ist. 1970 wurden die bestehenden unterschiedlichen Schularten zu einer einzigen Gymnasialschule integriert. Diese besteht seit 1992/ 93 aus siebzehn landesweiten Ausbildungsprogrammen (vgl. Svenska institutet 2001). Davon sind vierzehn hauptsächlich berufsbezogen: ästhetisches Programm, Handels- und Verwaltungsfach, Bautechnik, Kinderbetreuung, Freizeitgestaltung, Elektrotechnik, Energietechnik, Lebensmitteltechnik, Handwerkliches Programm, Pflegerisches Programm, Hotel- und Restaurantfach, Industrietechnik, Medienfach, Land- und Forstwirtschaft, Kraftfahrzeugtechnik und drei hauptsächlich Studien vorbereitend, nämlich das naturwissenschaftliche Programm, gesellschaftswissenschaftliche Programm sowie das Technikprogramm. Des Weiteren gibt es auch spezifische Interessen und Förderprogramme, die bestimmten Problemschülerinnen und -schülern angeboten werden. Die
35 Für eine Familie mit einem Vorschulkind beträgt die Gebühr 3% des Einkommens der Eltern, höchstens jedoch 1140 SEK im Monat, also ca.125 € (vgl. Svenska institutet, 2002). 42
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berufliche (Grund-) Ausbildung erfolgt im Rahmen des »Gymnasiums«. Die Berufsausbildung findet also, anders als in Deutschland, in der Schule statt und liegt daher ebenfalls in der Verantwortung der Gemeinden. Während mindestens fünfzehn Wochen wird der Unterricht an Arbeitsplätzen außerhalb der Schule durchgeführt. Die Ausbildungsprogramme dauern drei Jahre und die meisten von ihnen werden im zweiten und dritten Ausbildungsjahr in einzelne Zweige aufgeteilt. Die schulische Ausbildung vermittelt die Grundkenntnisse für den angestrebten Beruf, wobei für die Ausübung der meisten Berufe eine weitere Qualifizierung nach Abschluss der Schule erforderlich ist. Schülerinnen und Schüler, die zu einem der siebzehn Programme des Gymnasiums nicht zugelassen worden sind oder sich nicht darum beworben haben, erhalten das Angebot eines individuellen, speziell ausgeformten Programmes. Es gibt eine gymnasiale vierjährige Sonderschule. Menschen mit pädagogischem Sonderbedarf können bis zum 20. Lebensjahr mit der Ausbildung beginnen. Anders als in Deutschland werden die schwachen Schülerinnen und Schüler nicht nach unten an die niedrigeren Schulformen durchgereicht. Das individuelle Programm hilft vielmehr leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern durch gezielte Einzelförderung. Einwandererkinder erhalten einen Sprachkurs, bevor sie in die Regelschule gehen. Seit über 20 Jahren besteht das Recht auf Muttersprache, das bedeutet, dass bei mehr als vier Kindern einer Sprache eine muttersprachliche Lehrkraft angefordert werden kann. Alle Schülerinnen und Schüler haben ein Anrecht auf kostenlose Schulgesundheitspflege. Die Schülerfürsorge tritt zu vertraulichen Beratungen unter Einbeziehung der Lehrkräfte regelmäßig zusammen. Die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler wird aufmerksam verfolgt mit dem Ziel, ihre seelische und körperliche Gesundheit zu bewahren und zu verbessern wie auch ihnen gesunde Lebensgewohnheiten zu vermitteln. Dafür sind in der Schule Pädagoginnen und Pädagogen mit Spezialausbildung, Kuratorinnen und Kuratoren, Psychologinnen und Psychologen und Krankenschwestern tätig. Schweden betreibt eine konsequente individuelle, integrative Pädagogik des Förderns und Forderns und der individuellen Lernrückmeldung mit Betonung der frühen Bildungsphase. Regelmäßig finden Entwicklungsgespräche statt. »Lehrer und Schüler sowie dessen Erziehungsberechtigte sollen sich mindestens einmal halbjährlich darüber austauschen, wie die schulische und soziale Entwicklung des Schülers am besten unterstützt werden kann. Im Entwicklungsgespräch soll der Schüler sich äußern dürfen, Verantwortung für seine Schulsituation und die Planung seiner Studien übernehmen und Einfluss darauf haben dürfen. Die Eltern sollen über die Schulziele und die Arbeitsgestal43
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tung in Kenntnis gesetzt werden, damit sie ihr Kind unterstützen können« (Skolverket 2003: Kap. Beurteilung und Zensuren).36
Seit Beginn der 1990er Jahre hat es eine Veränderung des Verwaltungssystems und der Kompetenzverteilung für den Schulbereich gegeben, indem Zuständigkeiten von der staatlichen auf die kommunale Ebene übertragen wurden. Für den Schulbetrieb übernahmen die Kommunalverwaltungen 1991 die Verantwortung im Zuge der allgemeinen Tendenz zur Dezentralisierung von Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnissen zugunsten rationaler Organisation. Sie haben als Träger der neunjährigen Grundschule seitdem mehr Autonomie in Verwaltung und praktischer Ausgestaltung des Schulsystems. Schule und Ausbildung sind ihr größter Tätigkeitsbereich mit einem Anteil von 22% der Beschäftigten der Kommunen, die im Bildungswesen tätig sind (Svenska institutet 2000). Die Kommunen sind zuständig für die Durchführung der Schultätigkeit. Lehrkräfte werden von der Kommune eingestellt, sie haben einen Arbeitsplatz mit PC in der Schule. Ihre Arbeitszeit beginnt zwischen 8 und 9 Uhr und ist um ca. 15.30 Uhr, je nach Schulplan, beendet. Zunehmend wird die Bedeutung von Arbeitsteams gesehen, in denen Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher Qualifikationen zusammenarbeiten. Derartige Teams werden in vielen Gemeinden gebildet und haben neuerdings neben einer unterrichtsbegleitenden auch eine finanztechnische Funktion.37 Intensiv diskutiert werden dialogische Verfahren für den Unterricht. Auch die Erwachsenen in den Schulen müssen sich ihre verschiedenen Sichtweisen der Dinge mitteilen, gegeneinander wägen und überlegen, wie die demokratischen Werte in der täglichen Arbeit umgesetzt werden können.38
36 »Planungs- und Entwicklungsgespräche in Schweden unterscheiden sich in ihrer Philosophie, ihrer Organisation und ihrer Wirkung deutlich von Gesprächen bei Elternsprechtagen in Deutschland, wo sie formalisiert und meist ritualisiert ablaufen. Anders als in Deutschland haben bei Planungsund Entwicklungsgesprächen in Schweden die Schüler eine herausgehobene Stellung, ihrem Feedback wird eine große Bedeutung zugemessen.« (Burkard /Eikenbusch / Ekholm 2003: 106). 37 »At some schools, work teams have extensive responsibilities both educationally and financially, while others, especially the larger ones, use work teams more as a forum for regular planning meetings« (Skolverket 2000a: 40). 38 »The adults in school need to discuss their various views and interpretations and weigh them against one another in order to develop a democratical approach. They need to discuss both what democratic values actually represent and how the concept can be interpreted – as well as how such 44
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Die Finanzierung der Schulen läuft über einen generellen Staatszuschuss, der die Steuereinnahmen der Gemeinden ergänzt und Unterschiede zwischen den Gemeinden ausgleicht. Er richtet sich nach der Zahl der Kinder, die in der Kommune wohnen. Die Gemeinden bestimmen selbst, wie sie ihre Schulen organisieren wollen, und verteilen das Geld in eigener Vollmacht. Der Besuch der Grundschule ist kostenlos. Das gilt auch für den Besuch von Privatschulen, die nicht wirklich privat sind, weil der Staat sie voll finanzieren muss. Sie erhalten den gleichen Zuschuss wie die kommunalen Schulen, der unter Berücksichtigung der Verpflichtungen der Schule und der Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler auf gleicher Grundlage ermittelt wird wie der für die öffentlichen Schulen (vgl. Europ. Komm. 2001:18). In Schweden werden keine Gebühren für Lernmittel, Schülermahlzeiten in der Grundschule (Jahrgang 1-9) sowie für Schülertransporte erhoben. Für das Budget der Schule ist der Rektor verantwortlich. Generell werden davon 60% für Personalkosten ausgegeben, 20% für die Anmietung von Räumen und 20% für alles Übrige, wie z. B. das Mittagessen in der Ganztagsschule (vgl. Raapke 1999: 122). Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die Privatschulen besuchten, betrug 1999 7,3% und hat sich seitdem erhöht. Alle anderen besuchen die kommunalen Schulen. Wie fast überall in Europa ist in Schweden der Schulbereich stark frauendominiert. 74% Frauen gegenüber 26% Männer waren 2005 im Grundschulbereich beschäftigt, im Bereich der Gymnasialschule 49% Frauen gegenüber 51% Männer. Schulleiterinnen und Schulleiter waren in der Grundschule 65% Frauen und 35% Männer, in der Gymnasialschule 40% Frauen gegenüber 60% Männer (vgl. Skolverket, in: SCB 2006: 39). 1998 waren 97% Frauen gegenüber 3% Männern als Vorschullehrerinnen und -lehrer beschäftigt (vgl. SCB 1998). 96% Frauen waren als Vorschullehrerinnen im Jahr 2000 gegenüber 4% Männern beschäftigt (vgl. SCB 2002:37). An diesem Zahlenverhältnis änderte sich bis 2005 nichts (vgl. SCB 2006: 42). In allen Gemeinden erlässt der Gemeinderat entsprechend dem Bildungsgesetz einen Schulplan, aus dem hervorgeht, welche Maßnahmen die Gemeinde zu ergreifen beabsichtigt, wie das Schulwesen gestaltet und entwickelt werden soll. Die Gemeinde ist verpflichtet, den Plan zu überwachen und in einem jährlichen Qualitätsbericht auszuwerten. Mitwirkungsrechte der Schülerinnen und Schüler und Eltern sind garantiert. Die Gewerkschaften können ebenfalls auf anstehende Entscheidungen Einfluss nehmen. Jede einzelne Schule erstellt einen eigenen Arbeitsvalues are to be consolidated in practical day-to-day work, i.e. what educational approach democratic values imply«. (ebd.: 39). 45
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plan, in dem lokal beschlossene Schwerpunkte begründet werden und in dem dargelegt wird, wie die beschlossenen Ziele verwirklicht werden sollen und wie die Arbeit zu gestalten und zu organisieren ist. Die Schulen müssen ebenso wie die Gemeinden im Zuge einer ziel- und ergebnisorientierten Schultätigkeit eine jährliche Qualitätskontrolle durchführen, in der die Zielerfüllung der Schule beschrieben und analysiert wird.
2.2.2 Gesellschaftliche Faktoren des Bildungswesens Das Problem der Gleichstellung und Chancengleichheit der Frau ist in Schweden ein Dauerthema für beide Geschlechter, und zwar als gesellschaftliches Grundprinzip mit der Konsequenz von Gesetzesänderungen und speziellen Maßnahmen. Seit den 1960er Jahren wurde die Debatte um die Geschlechterrollen und ihre Veränderung geführt und Gleichstellungspolitik wurde von sozialen Akteurinnen und Akteuren als Verbesserung der Gesellschaft insgesamt wahrgenommen. So wurde beispielsweise eine stärkere Verberuflichung von familienorientierten Dienstleistungen ebenso durchgesetzt wie die getrennte Besteuerung von Mann und Frau als wohl größte Gleichstellungsreform. 1972 wurde von der Regierung das Jämställdhetskomitén (deutsch.: Gleichstellungskomitee ) ernannt, das sich mit Gleichberechtigungsfragen befassen sollte. 1974 wurden mit der Elternversicherung 180 Tage Elternurlaub mit 90% Lohnfortzahlung eingeführt, der 1978 auf 270 Tage verlängert wurde (vgl. SCB 2006: 45). Es gab bereits damals Überlegungen, die Babypause zwischen den Eltern aufzuteilen, da zu wenige Väter davon Gebrauch machten. Der Tatsache, dass die Kinder Väter als Bezugspersonen brauchen, wird inzwischen durch die Einrichtung von »Papa-Monaten« Rechnung getragen, die als Elternzeit verfallen, wenn sie nicht von den Vätern wahrgenommen werden. Obwohl diese Konzepte seit Langem eingeführt sind, besteht folgender Widerspruch: Während schwedische Frauen berufstätig wurden, übernahmen schwedische Männer nicht in gleichem Umfang die Verantwortung für die Hausarbeit, nicht einmal, wenn die Frau einen Vollzeitjob hatte und der Mann arbeitslos war (vgl. Parbring 2005: 4). Trotz fast gleicher Beschäftigungsraten wie Männer sind Frauen häufig zu anderen Bedingungen angestellt, lediglich in einem begrenzten Sektor des Arbeitsmarktes und darüber hinaus in weniger gut bezahlten Berufen. Eine volle Gleichstellung ist also noch nicht verwirklicht. Wirtschaftliche Gründe, nämlich ein Mangel an Arbeitskräften, und der Einfluss der Frauenbewegung führten dazu, dass in Schweden mit Unterstützung des Staates frühzeitig Ganztagsangebote für Kinder eingerichtet wurden. Nach diesen bestand ein dringender Bedarf, denn 46
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Schweden war lange Zeit von der Erwerbstätigkeit der Frauen abhängig. Ein Großteil der schwedischen Sozialleistungen erklärt sich daraus, dass möglichst viele Menschen in die Erwerbsarbeit einbezogen werden sollten. Im internationalen Vergleich hat Schweden die höchste Erwerbsquote der erwerbsfähigen Bevölkerung in der westlichen Welt (vgl. Kulawik 1994:70). Für Gleichstellungsfragen war aus diesem Grund lange das Wirtschaftsministerium verantwortlich. Das schwedische geschlechtsneutrale Konzept sozialer Staatsbürgerschaft bedeutet, dass auch Männer größere Verantwortung für den Privathaushalt übernehmen müssen, der wie Lena Sommestad (2001) ausführt, nicht nur als eine private und emotionale Angelegenheit zu betrachten sei. Als ein weiterer Aspekt der Vereinbarkeitsproblematik wurde von der Regierung die »Kinderstubenstudie« (Barnstugeutredningen 1968) in Auftrag gegeben. Mit ihr wurde der Grundstein zum schwedischen Vorschulmodell gelegt. Es war ein »Entwurf über die Entwicklung der Vereinbarkeit von sozialen, pädagogischen und aufsichtsmäßigen Anforderungen« (Svenska institutet 2002a). Da sich die Erwerbstätigkeit der Frauen immer mehr der der Männer annäherte, wurde die Vorschule zu einem selbstverständlichen Bestandteil der schwedischen Gesellschaft. Das Interesse an einer höheren Geburtenrate, das zeigt das Beispiel Schweden, muss nicht im Widerspruch zur Gleichstellung der Geschlechter stehen. Mit der Bevölkerungsdebatte verbanden sich in den 1930er Jahren Namen wie Gunnar und Alva Myrdal, die als Sozialdemokraten entscheidende soziale Reformen in Gang setzten. Diese Entwicklung, durch den Krieg und die Nachkriegszeit mit der Betonung der Rolle der Hausfrau unterbrochen, wurde in den 1960er Jahren wieder aufgenommen. Eine gerechte Verteilung von Einkommen und Karrierechancen für Frauen und Männer wurde gesetzlich vorgesehen und ebenso ein umfassendes Betreuungsangebot für kleine Kinder. Schwedens Doppelversorgermodell ermöglicht es beiden Elternteilen, ihre Berufstätigkeit mit der gemeinsamen Verantwortung für die Kinder zu vereinbaren. In der Praxis gelingt dies in Schweden sehr gut, betrachtet man den internationalen Vergleich. Die Organisation der Schulen musste dieser Entwicklung Rechnung tragen. Man machte sich früh Gedanken über besonders gute Einrichtungen zur Kinderbetreuung als Grundvoraussetzung für eine Gesellschaft, in der beide Elternteile berufstätig sind. Im Lehrplan für die allgemeinbildenden Schulen (Lpo94) wird Gleichstellung (jämställdhet) als Grundwert und pädagogische Frage definiert, die in Unterricht, Planung und Tätigkeit der Schule sichtbar sein muss. »Die Schule hat einen Auftrag, eine Verpflichtung, traditionellen Geschlechterrollen entgegen zu wirken.« (Lpo94). Im Nationalen Ak47
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
tionsplan für Gleichstellung wird Gleichstellung als Qualitätsmerkmal im Erziehungsbereich bezeichnet (vgl. Regeringskansliet 2003: 14). In einem von der schwedischen Regierung in Auftrag gegebenen Gutachten von 1998 über die Verteilung von ökonomischer Macht und ökonomischen Ressourcen zwischen Frauen und Männern, der »Frauenmachtuntersuchung«39, wird erklärt: »Eine geschlechtsneutrale Schule ist eine geschlechtsblinde und damit eine geschlechtsdiskriminierende Schule […]. Weder für Schülerinnen und Schüler noch für Lehrerinnen und Lehrer ist die Schule ein geschlechtsneutraler Arbeitsplatz.«40 In einer Regierungserklärung (Regeringens skrivelse 1996/97: 41, S.47) wird zudem ausgeführt, dass Gleichstellung eine pädagogische Frage ist, die die Einsicht voraussetzt, dass Mädchen und Jungen keine einheitliche Gruppe sind, genauso wenig wie Frauen und Männer, und dass sie unabhängig vom Geschlecht die gleichen Möglichkeiten haben müssen. Dies wird auch für die konkrete Situation im Klassenraum angenommen. Gleichstellung wird nicht länger auf eine Einstellungsfrage reduziert, sondern wird ebenfalls als eine Wissensfrage betrachtet. 1994 wurde mit dem neuen Lehrplan Gleichstellung in der Schule als Teil der schulischen Bewertungsgrundlage definiert und als pädagogische Frage (vgl. Skolverket 1997), die in Unterricht, Planung und Tätigkeit der Schule sichtbar sein muss. Die Schulen müssen nachweisen können, wie ihr Gleichstellungsplan umgesetzt wurde. Dabei ist man der Auffassung, dass es auch bei kleinen Kindern wichtig ist, den Fokus auf Gleichstellungsfragen zu richten.41 Schon in dem Lehrplan von 1969 war vorgesehen, Mädchen und Jungen über Geschlechterrollen zu unterrichten. Damit sollten überholte Geschlechterrollen aufgebrochen und herkömmliche Betrachtungsweisen verändert werden. Das letzte vom Staat erlasse-
39 »Ty makten är din […] Myten om det rationella arbetslivet och det jämställda Sverige […]« (SOU 1998:6, Kvinnoutredningen: 198). (Der Titel enthält eine Anspielung auf das Vaterunser »Dein ist die Macht […]«. (Anm. d. Verf.) 40 Übers. d. Verf. 41 »The school should actively and consciously further equal rights and opportunities for men and women. The way in which girls and boys are treated and assessed in school as well as the demands and expectations that are placed on them, contributes to their perceptions of gender differences. The school has a responsibility to counteract traditional gender roles and should therefore provide pupils with the opportunity of developing their own abilities and interests irrespective of their sexual identity.« (Lpo94: 6) Und: »The pre – school should work to counteract traditional gender patterns and gender roles. Girls and boys in the pre – school should have the same opportunities to develop and explore their abilities and interest without having limitations imposed by stereotyped gender roles« (Lpfö98: 8). 48
SCHWEDISCHER KONTEXT
ne Schulgesetz »Lpo94« legt die grundlegenden Ziele der obligatorischen Grundschule wie folgt fest:
• • • • •
gleicher Zugang zur Ausbildung im Rahmen des öffentlichen Schulwesens gleichwertige Ausbildung landesweit Kenntnisse, Fähigkeiten und Verantwortungsbewusstsein Gleichberechtigung und Zurückweisung kränkender Behandlung (schwedisch: kränkande behandling oder Mobbing) demokratische Werte
Der demokratische Auftrag der Schule besteht sowohl darin, den Schülerinnen und Schülern Kenntnisse über Demokratie und Grundwerte zu vermitteln, als auch darin, als Schule bzw. Vorschule demokratisch zu arbeiten. Vorschule und Schule haben die wichtige Aufgabe, allen Formen des Mobbings entgegenzuwirken. »Lernen, Demokratie, Grundwerte und Gesundheit gehören zusammen« (Übers. Verf, Skolverket 2000: 59). Individuelle Förderung und ein deutliches Vorgehen gegen jede Form von Mobbing sind in grundlegenden Plänen und Gesetzen verankert und betreffen auch die Gleichstellungsarbeit. Allen Formen kränkender Behandlung wird in der Schule entgegengearbeitet. »Jeder, der in der Schule arbeitet, soll jeden Menschen wertschätzen und Respekt für das gemeinsame Milieu üben. Insbesondere sollen die, die in der Schule arbeiten, die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern unterstützen und aktiv allen Formen der kränkenden Behandlung wie z. B. Mobbing oder rassistischem Verhalten entgegenwirken«.42
Der Staat, also Regierung und Reichstag, definiert die nationalen, für das ganze Land geltenden Zielsetzungen und Richtlinien und evaluiert die Ergebnisse. Die wichtigsten Zielsetzungen sind die höchstmögliche Verwirklichung der Chancengleichheit im Erwerb von Bildung (Gesamtschule) und die maximale Anhebung des allgemeinen Bildungsniveaus (Verallgemeinerung der Sekundarschulausbildung). Der Staat lenkt das Schulwesen. Gleichstellungspolitik wird in Schweden im Zusammenhang mit dem Einlösen von Demokratie diskutiert. Vier Strukturmerkmale (vgl. Fölster 1996: 102f.) sind dafür entscheidend:
• •
Das Grundkonzept der symmetrischen Familie Die Grundrente für Mann und Frau
42 Eingangsparagraf des schwedischen Schulgesetzes, 1994. 49
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
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Die Aufgabe des Versorgerprinzips in der Ehe zugunsten zweier ökonomisch unabhängiger erwachsener Menschen Die Elternversicherung
Neben dem nationalen Gleichstellungungskomitee gab es auch im Ministerium für Unterricht eine Abteilung, die sich mit der Wahrnehmung und Lösung der Gleichberechtigungsproblematik im Bildungsbereich befasste. 1975 wurde ein Untersuchungsprojekt abgeschlossen, das die grundlegenden Probleme der Chancengleichheit im Bildungswesen analysierte. Diese Untersuchung bildete die Grundlage für die Ausarbeitung von Maßnahmen in Gesetzgebung, Lehrinhalten, Didaktik, Lehrmaterialien etc. Bereits der Lehrplan von 1969 analysierte die Geschlechtsrollen tiefgehend. Mädchen und Jungen sollten gleich behandelt werden und besonders die Mädchen sollten sich verändern. Auch die Elternrolle des Vaters wurde schon damals betont. 1978 wurde ein Gleichberechtigungsprogramm für Schulen herausgegeben. Im 1979 vom Parlament verabschiedeten Lehrplan wurde die Schulbehörde verpflichtet, aktiv an der Umsetzung von Gleichstellungszielen mitzuwirken. Es wurde beispielsweise untersagt, Kurse abzuhalten, die von einem Geschlecht stark dominiert wurden. Eine Quotenregelung sollte sowohl die Unterrepräsentation der Männer bei den Vor- und Grundschullehrern beseitigen als auch die Unterrepräsentation der Frauen bei den Schulleitern (vgl. DGB 1985: 11). Letzteres ist geglückt. Die Schulchefin ist sehr häufig eine Frau.
2.3
Akteurinnen und Akteure von Gender Mainstreaming bezogen auf den schwedischen Schulbereich
Akteurinnen und Akteure von Gender Mainstreaming (jämtegrering) im Schulbereich findet man in Schweden auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene. National ist es die Regierung mit Gleichstellungsministern, Gleichstellungsrat, Gleichstellungsexperten und der unabhängigen Behörde JämO, dem Gleichstellungsombudsman, es ist das Skolverket, das Zentralamt für Kinderbetreuung, Schule und Erwachsenenbildung, und Myndigheten för skolutveckling, die Behörde für die Kompetenzentwicklung der Schulen. Momentan wird vonseiten der Regierung der Plan diskutiert, die Behörde JämO einer allgemeinen Diskriminierungsbehörde zuzuführen und Skolverket und Myndigheten för skolutveckling wieder zu einer Behörde zusammenzufassen. Die Regionalregierungen haben ebenfalls Gleichstellungsabteilungen. Auf lokaler Ebene gibt es Gender Mainstreaming Beauftragte. Lärarförbundet, die Lehrergewerkschaft im Dachverband TCO, gibt es auch vor Ort in den Kommunen, ebenso wie 50
SCHWEDISCHER KONTEXT
den Lärarnas Riksförbund, die Lehrergewerkschaft für den höheren Schuldienst im Dachverband SACO. Auch andere Gewerkschaften spielen eine wichtige Rolle.43 Viele Akteurinnen und Akteure sind aus der Frauenbewegung hervorgegangen wie z. B. Aktion Kvinnofrid, ein Zusammenschluss verschiedener Organisationen gegen Gewalt an Frauen, der Fredrika Bremer-förbundet, und viele andere mehr. Kürzlich wurde ein Nationales Grundwerte-Zentrum (Värdegrund-Centrum) gegründet. Gleichstellung ist dort als Aufgabe eingebunden, ebenso wie in schulübergreifende Netzwerke zu dem Schulfach »Sex und Zusammenleben«. Begleitet wird die Arbeit vom nationalen Genus-Institut und verschiedenen Universitäten. Seit der weitgehenden Dezentralisierung des Schulwesens sind die Kommunen wichtige Akteure. Seit 2002 werden Genderpädagoginnen und -pädagogen ausgebildet, die mit einem 10-PunkteStudium von der Regierung mit dem Ziel gefördert werden, dass es sie zukünftig in möglichst jeder Kommune gibt und sie die Gleichstellungsarbeit der Schulen unterstützen können. Zudem spielen öffentliche Kommentierungen in den Medien eine Rolle, die anders als bei uns, fast jeden Tag über Neuigkeiten der Gleichstellungsarbeit berichten.
43 Mithilfe korporativer Strukturen werden in Schweden Aufgaben zur Lösung komplexer gesellschaftlicher Probleme mitunter im Rahmen staatlicher Steuerung an andere Organisationen abgegeben (vgl. Kurpjoweit 1997: 294). 51
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
3 Projekte und Materialien 3.1 Genderarbeit der Lehrergewerkschaft Im schwedischen Schulbereich gibt es eine Vielzahl von Materialien und Dokumenten, die zeigen, wie ernsthaft und konkret Gender Mainstreaming betrieben wird. Zentral für die untersuchten Materialien und Dokumente sind konkrete Handlungspläne im Hinblick auf Gender Mainstreaming in der Schule. Es geht um die Durchführung von Genderanalysen durch die in der Schule Tätigen selbst und um die daran anknüpfende Erarbeitung konkreter Ziele. In den Zielformulierungen wird ein Zeitrahmen für die Umsetzung festgelegt und es werden die für die Umsetzung dieser Ziele Verantwortlichen benannt. Erst nach der gründlichen Auswertung der erreichten Ziele kann ein nachfolgender Plan aufgestellt werden. Die »Handlungspläne für Gender Mainstreaming«, wie sie für den Schulbereich genannt werden, stehen in einem Zusammenhang mit jährlich ausgewerteten Gleichstellungsplänen, die in Schweden ohnehin fester Bestandteil unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche sind. In den Kommunen werden schon länger Gleichstellungspläne geführt, die auch Schulen betreffen. Mit den zusätzlich angestrebten Handlungsplänen in den einzelnen Schulen wird das Ziel verfolgt, dass alle Personengruppen, alle Frauen, alle Männer, alle Schülerinnen und alle Schüler sich in der Schule wohlfühlen sollen, dass aktiv gegen jede Form von Diskriminierung vorgegangen wird und dass die Gleichstellungsperspektive alle Bereiche der Schule durchdringt. Die Materialien der Lehrergewerkschaft werden hier deshalb vorgestellt, weil sie für die Arbeit mit Gender Mainstreaming in der Schule eine herausragende Bedeutung haben. In ihnen wurden die in Schweden gesellschaftlich gültigen Grundlagen der Gendertheorie und der Stand der Gender Mainstreaming-Methodenentwicklung in knapper Form für Lehrerinnen und Lehrer aufgearbeitet. In den Broschüren der Gewerkschaft, die sich an Lehrerinnen und Lehrer richten, geht es im Besonderen darum, gendertheoretisches Grundlagenwissen und Kenntnisse über bestehende Geschlechterungleichheiten zu vermitteln. Diesen soll zudem auf Basis jenes gendertheortischen Wissens durch entsprechende Beschlüsse und Gesetze entgegengewirkt werden. Weiterhin werden Informationen über Methoden zur Erstellung von Genderanalysen und Handlungsplänen gegeben. Wenn auch als Broschüren lediglich in relativ kleiner Auflage erschienen, sind die Texte der einzelnen Themenbereiche über die Homepage der Gewerkschaft (http://www. lararforbundet.se) abrufbar und stehen damit allen Interessierten zur Verfügung.
52
GENDER MAINSTREAMING – PROJEKTE UND MATERIALIEN
Im Zeitraum der untersuchten Schulprojekte unternahm die schwedische Lehrergewerkschaft Lärarförbundet verstärkte Anstrengungen, das Konzept Gender Mainstreaming in ihre Arbeit zu integrieren. Bereits in früheren Veröffentlichungen44 wurde Gleichstellung als Grundwert und pädagogische Frage hervorgehoben, für die es in der Schule tiefere Kenntnisse über Gleichheiten und Ungleichheiten der Geschlechter und die Bedeutung der Geschlechtszugehörigkeit geben sollte. Dort wurde bereits gefordert, dass der Wille zur Veränderung geschaffen werden und das gesamte Personal der Schule in die Gleichstellungsarbeit einbezogen werden muss. Mit dem Kongressbeschluss von 1998 »Strategie der Lehrergewerkschaft für die Förderung der gleichen Rechte für Mädchen und Jungen und der Einrichtung eines Rates für die gleichgestellte Schule« auf höchster Gewerkschaftsebene wurde diese Zielrichtung strategisch zugespitzt. Der Gewerkschaftskongress 1998 beschloss, dass bis zum nächsten Kongress 2001 die Entwicklung der Gleichstellungsarbeit vorzugsweise in folgenden fünf Bereichen vorangetrieben werden sollte:
• • • • •
Erweiterung des Wissens und der pädagogischen Bewusstheit für Genderfragen Genderneutrale Lehrbücher Genderneutrale Fächer-, Kurs- und Programmwahlen Gleichgestellte Arbeitsbedingungen für alle Lehrerinnen und Lehrer, unabhängig vom Geschlecht Eine »gleichere« Verteilung von Frauen und Männern beim Lehrpersonal
Der auf diesem Kongress eingerichtete, oben genannte »Rat für die gleichgestellte Schule« behandelte die Gleichstellungsstrategie in den fünf Bereichen. Er führte verschiedene Konferenzen durch zu den Themen Lika för lika (gleich um gleich) und Genuspraktika för lärare (Gender, praktische Anleitung für Lehrerinnen und Lehrer) und initiierte die Herausgabe gleichnamiger Broschüren. Mit der dritten von ihm herausgegebenen Methodenschrift Jämställd skola – strategier och metoder (Gleichgestellte Schule – Strategien und Methoden) im Jahr 2002 wurde die Aufgabe des Rates für erfüllt betrachtet. Die Arbeit mit dem Konzept Gender Mainstreaming wurde innerhalb der Lehrergewerkschaft durch einen aus dreizehn Mitgliedern bestehenden Beirat, den »Gleichstellungsrat« übernommen. Dieser arbeitet dafür, Gender Main44 Gunilla Zackari: Jämställdhet i Skolan – en reformfråga och en pedagogisk utmaning!, in: Lärarförbundet. Jämställdhet – en pedagogisk utmaning (übers. Gleichstellung – eine pädagogische Herausforderung), Stockholm 1995. 53
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
streaming im Bereich der Schulen, im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen von Lehrerinnen und Lehrern und innerhalb der Lehrergewerkschaft zu integrieren.
Gender Broschüren für Lehrerinnen und Lehrer Drei, jeweils ca. 45 Seiten umfassende Broschüren wurden von der Lehrergewerkschaft im Zusammenhang mit den gleichnamigen Konferenzen von 1998 bis 2002 herausgegeben:
• • •
Gleich um gleich – Strategien für eine gleichgestellte Schule, 1998 Gender, praktisches Handbuch für Lehrerinnen und Lehrer, 2000 Gleichgestellte Schule – Strategien und Methoden, 2002
In der Broschüre von 1998 werden theoretisches Wissen über die Geschlechterverhältnisse und entsprechendes Datenmaterial wiedergegeben. Beispielsweise ist der Anteil der Männer, die einen Lehrerberuf anstreben in allen Bereichen, von der Vorschule bis zum Gymnasium in den Jahren 1994/95 bis 1996/97 deutlich zurückgegangen. Die Gewerkschaft betont, dass der Lehrerberuf aufgewertet werden muss durch konkurrenzfähige Löhne, besseres Arbeitsmilieu sowie eine entsprechende Personalpolitik. Es mache den Beruf sowohl für Frauen als auch für Männer attraktiver, wenn das Lohnniveau des Lehrerberufs mit dem des privaten Sektors mithalten könne. Das grundsätzlich veränderbare Gendersystem solle in Zukunft eine größere Balance zwischen den Geschlechtern haben. Weiterhin werden Fragen der schulischen Praxis erörtert. Betrachtet man die Schule aus der Geschlechterperspektive – so die Verfasserinnen und Verfasser –, stellt man fest, dass es große Unterschiede gibt zwischen der Gruppe der Mädchen und der der Jungen – dies werde durch geschlechtsgebundenes Spielzeug verstärkt und zeige sich in Vorlieben und Interessen. Es wird die Frage der Koedukation von Mädchen und Jungen aufgeworfen vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit geschlechtsgetrennten Gruppen in Schulen wie der Storsjöskolan in Holmsund und der Vorschule Hjalli auf Island. Die Verfasserinnen und Verfasser weisen dabei auf die Bedeutung von Gleichstellung als wichtigem Gesundheitsfaktor hin und auf den Bedarf an Lehrmitteln aus einer Gleichstellungsperspektive. Neben Gesetzen und Regeln für Gleichstellung und deren positive Auswirkungen in Schweden werden der Gleichstellungsplan, Gender Mainstreaming sowie die 3R-Methode thematisiert. Der neue Lehrplan von 1994 schreibt der Schule vor, aktiv und bewusst für gleiche Rechte und Möglichkeiten und gegen die Fortfüh54
GENDER MAINSTREAMING – PROJEKTE UND MATERIALIEN
rung traditioneller Geschlechtsmuster einzutreten. Der Eingangsparagraf des Schulgesetzes weise darauf hin, dass kränkende Behandlung (schwedisch: kränkande behandling) und sexuelles Mobbing (schwedisch: sexuell mobbing) vor allem an der Schule zu verhindern sind. Seit 1994 habe ein verstärktes politisches Interesse an Gleichstellung die Regierung dazu bewegt, die Schule in besonderer Weise zu priorisieren. Dies setze voraus, dass die Lehrenden um die Bedeutung von Geschlechtsmustern und Geschlechtszugehörigkeit wissen und sie sich ebenfalls darüber im Klaren sind, dass man bei Mädchen und Jungen nicht von einheitlichen Gruppen ausgehen kann. In der Broschüre wird festgestellt, dass schulische Gleichstellung keine Frage von Schulaufsicht, sondern in höchstem Grade eine Frage von Wissen ist. Die Broschüre aus dem Jahr 2000 legt schwerpunktmäßig dar, dass man für die Aufstellung eines Gleichstellungsplans geeignete Analyseinstrumente benötigt – das Material für die konkrete Arbeit wird dabei mitgeliefert. Die in Beilage 1 modellhaft vorgeschlagene Genderstrategie für ein Arbeitsteam ist für einen Zeitraum von vier Jahren konzipiert und durchläuft drei Phasen. In der Einleitungsphase, die sich über zwei Jahre erstrecken kann, formieren sich Arbeitsgruppen, es werden Mittel für externe Vorlesungen angeworben, Studienzirkel eingerichtet und es geht um eine Langzeitplanung des Gender Mainstreaming in der Schule. Im zweiten Jahr der Einleitungsphase wird ein gleichstellungspädagogisches Forum mit Nachbarschulen veranstaltet, die Arbeit in Studienzirkeln fortgesetzt und es werden konkrete Anregungen für die Genderarbeit der Schule entwickelt. Mit der Auswertung der Einleitungsphase wird der Übergang zur Projektplanung und damit der Phase 2 eingeleitet. Diese sieht ein pädagogisches Café mit obligatorischer Genderperspektive vor, den Einbezug von Lehrerstudierenden in die Projektarbeit und Fortbildungen aus einer Gendersicht. Nach der Auswertung des Projekts beginnt die Phase 3, in der jede Arbeitsgruppe ihre Arbeit aus einer Genderperspektive betrachtet und Vorschläge für ihr Gender Mainstreraming entwickelt, die auch Vorschläge für die Auswertung des Gleichstellungsplans und Anregungen in Bezug auf Gender MainstreamingMethoden und -Werkzeuge enthalten. Ein neuer schulischer Gleichstellungsplan wird im dritten Jahr aufgestellt. Im vierten Jahr wird Gender Mainstreaming in der Organisation ausgeführt und nach Bedarf ein neues Projekt gegründet. Die Auswertung der Gleichstellungsarbeit der vier Jahre zeigt, dass auf diese Weise Handlungsfenster zu einem Gleichstellungspanorama mit einer gut verankerten Teamarbeit geöffnet werden und einer profunden Ausführungsstrategie, die aus Planung, Dokumentation und Auswertung besteht. In einer guten Schulgemeinschaft wird der Kontakt mit Schülerinnen und Schülern und Eltern auch über die in 55
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dieser langen Periode gewonnenen Einsichten in Genderaspekte der Gesellschaft gepflegt. Nach dem Durchlauf der drei Strategiephasen wird anschließend der schulische Gleichstellungsplan jährlich ausgewertet. Weitere Beilagen der Broschüre sind ein Untersuchungsfragebogen, der auf Gleichstellungsfragen beruht, ein Fragebogen für Lehrmittel sowie Auszüge aus den Lehrplänen für Vorschule und Schule in öffentlicher wie auch privater Trägerschaft. Jene Auszüge enthalten dabei Ziele und Richtlinien, aus denen die Verantwortung von Schulleiterinnen und Schulleitern für die schulische Gleichstellungsarbeit abgeleitet wird. In der letzten der drei Broschüren aus dem Jahr 2002 wird besonders auf die Frage eingegangen, wie man mit den nationalen Gleichstellungszielen zu Gender Mainstreaming in der Schule arbeiten kann. Am Beispiel dreier Schulen wird belegt, dass diese Arbeit systematisch erfolgen muss und folgende Schritte dabei erforderlich sind: 1. eine Bestandsaufnahme und Analyse, 2. vom konkret Vorgefundenen auszugehen, 3. eine messbare Zielsetzung. Das Kernstück dieser Broschüre ist die Übersicht und Beschreibung verschiedener Methoden der Veränderungsarbeit, die außer bei Gender Mainstreaming auch bei mehrkultureller Arbeit oder Anti-Mobbing-Arbeit verwendet werden können. Zum Aufwärmen wird ein Einstieg über Geschlechtsmobbing empfohlen, für die Zielsetzung die Methode »SMARTA«, die in der Planungsphase hilft, spezifizierte und deutliche Ziele zu finden, die mess- und beurteilungsfähig sind, abgegrenzt, realistisch, d. h., erreichbar, terminlich begrenzt und akzeptiert sind. Letzteres bedeutet, dass alle zu dem Ergebnis beitragen und an die Ziele glauben sollen. Weiter wird in der Broschüre auf Vor- und Nachteile verschiedener Analyse-Methoden eingegangen wie Statistik und Schlüsselzahlen, die 3R-Methode, auf KonsequenzAnalysen, auf Methoden, die sich an die eigene Arbeit von Lehrerinnen und Lehrern richten, man denke hier an Checklisten und systematische Beobachtungen und Modelle für ganze Projektarbeiten wie beispielsweise die LFA45-Methode, die neun verschiedene Schritte voraussetzt. In den ersten vier Schritten wird durch Kontext-, Problem- und Interessenanalysen wie auch Zielformulierung herausgefunden, ob die Projektidee relevant ist. Anhand der weiteren drei Schritte, die die Aktivitäten, die Ressourcen und das Ausmaß der Zielerfüllung betreffen, kann man dann sehen, ob das Projekt durchführbar ist. Und mithilfe der Schritte 8 und 9 – der Beurteilung von Risiken und Voraussetzungen – kann entschieden werden, ob man das Projekt aus eigener Kraft und ohne Unterstützung von außen fortzuführen vermag, d. h. ob es langfristig tragbar und aus-
45 Logical Framework Approach, in: Lärarförbundet: Jämställd skola – strategier och metoder, Stockholm 2002: 25. 56
GENDER MAINSTREAMING – PROJEKTE UND MATERIALIEN
dauernd ist. Im abschließenden Kapitel ist nochmals eine lexikalische Übersicht der für die Genderarbeit relevanten Begriffe gegeben, mit einem Ausblick auf zukünftige Veränderungen. Mit der oben beschriebenen Broschüre beendete der Gleichstellungsrat »Rat für die gleichgestellte Schule« seine Arbeit 2002. Die Gewerkschaft richtete einen neuen Rat ein, den »Gleichstellungsrat«, dessen Aufgabe explizit darin besteht, Gender Mainstreaming sowohl in die Arbeit der Schule und die Arbeitsbedingungen von Lehrern zu integrieren, als auch die interne Arbeit der Lehrergewerkschaft derart zu entwickeln, dass die Genderperspektive auf allen Ebenen der Organisation mit einbezogen wird. Ein Ausblick auf die Arbeit des neuen Gleichstellungsrates wird mit dem Kongressbeschluss von 2004 (Lärarförbundet, Kongressens beslut 2004) umrissen, dessen Gender MainstreamingPassagen für die fortlaufende Arbeit bis 2007 folgendermaßen lauten: »Die Gleichstellungs- und Diversitätsperspektive soll alle Bereiche der Arbeit durchdringen« (ebd.: 14. Übers. d. Verf.), »Mit Kraft soll gegen jede Form von Diskriminierung agiert werden« (ebd.: 22), »Alle Gewerkschaftsseminare sollen eine Gender- und Gleichstellungsperspektive enthalten« (ebd.: 24), »Als Kraftquelle wird auf der Homepage der Gewerkschaft gleichstellungssicherndes, anwendbares Material bereitgestellt« (ebd.: 25). Im Übrigen werden von der Lehrergewerkschaft nach wie vor jährliche Gleichstellungskonferenzen im Zusammenhang mit dem Internationalen Frauentag veranstaltet. Das Gleichstellungskonferenzthema des Jahres 2005 lautete beispielsweise: »Lehrer hinterlassen Spuren«.
3.2 Gender Mainstreaming Schulprojekte Die große Bedeutung von Gender Mainstreaming im schwedischen Schulbereich und die Betonung auf einer Handlungserweiterung für die in der Schule Tätigen zeigen die vier schulischen Genderprojekte, auf die sich die empirische Studie insbesondere bezog:
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Das von der nationalen Gleichstellungsbehörde JämO (Gleichstellungsombudsman) auf nationaler Ebene initiierte, entwickelte und in einer Pilotphase erprobte Projekt »Break the pattern!«, das später in der Großstadt Sundholm auf breiterer Basis eine weitere Praxisphase erfuhr. Das Nachfolgeprojekt von »Break the pattern!« mit Vorschulen »Gleich in Sundholm!« Das in einer Kleinstadt seit über zehn Jahren bestehende LangzeitGenderfortbildungsprojekt für Lehrer und Lehrerinnen wie auch 57
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Schulleiter und Schulleiterinnen »Gleichgestellte Schule – zu gleichen Bedingungen« Das Projekt der Gleichstellungsabteilung der Provinzialregierung »Mädchen oder Junge – spielt das eine Rolle? Gemeinsam für eine gleichgestellte Schule« – ein Genderfortbildungsprojekt, das sich an Schulleitungen, Kommunalpolitik und Verwaltung wandte.
Eine Aufarbeitung von Gendertheorie- und Methodenentwicklung, wie sie mit den Broschüren der Lehrergewerkschaft vorliegt, wird in den Materialien zu den vier Gender Mainstreaming-Schulprojekten, vor allem in dem JämO-Handbuch, weitergeführt und für die Praxis konkretisiert. Bei einigen anderen Materialien handelt es sich um adressatenorientierte Ausschreibungstexte oder um Präsentationen und Dokumentationen der Gender Mainstreaming-Schulprojekte. In den übrigen Materialien wird die Bedeutung des Wissens über Genderfragen betont. Wissen über die Geschlechterverhältnisse helfe bei dem Versuch, herrschende Normen sichtbar zu machen und sie zu verändern, indem man Gleichstellungspläne erarbeite und ihre Durchführung gründlich evaluiere (»Gleich in Sundholm!«). Auch wird die Notwendigkeit hervorgehoben, dass schulische Gleichstellungsarbeit in Schulverwaltungs- und behördliches Denken und Handeln eingebettet sein solle (»Gleichgestellte Schule – zu gleichen Bedingungen«). Schließlich wird Genderarbeit als schwierige systemverändernde Arbeit beschrieben, die häufig im Gegenwind systembewahrender Kräfte stattfinde und es wird auf den Bedarf an Fortbildungen für Schulleiterinnen bzw. Schulleiter gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Kommunalverwaltungen verwiesen (»Mädchen oder Junge – spielt das eine Rolle?«), damit diejenigen, die die Verantwortung für die Bearbeitung schulischer Genderfragen tragen, als Grundvoraussetzung für diese Veränderungsarbeit lernen, in welcher Weise sie selbst einen Anteil an der Aufrechterhaltung geschlechtsbezogener Macht und Ordnung haben und wie dem entgegengewirkt werden kann.
3.2.1 Projekt »Break the pattern!« Altersgruppen von 1-18 Jahre, alle Schulformen und -stufen von Vorschule bis Gymnasium, alle Personalgruppen Das Schulprojekt »Break the pattern!« wurde für die Altersgruppen von ein bis achtzehn Jahren konzipiert, bezieht sich auf alle Schulformen und -stufen von der Vorschule bis zum Gymnasium und schließt alle 58
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Personengruppen mit ein. Dieses Projekt setzte in Schweden neue Zeichen für schulische Gleichstellung. Erstmals ging es um die zusammenhängende Erprobung von Methoden für die Gleichstellungsarbeit innerhalb der ganzen Schule.46 Obwohl die Arbeit in Schulen eigentlich nicht in den Aufgabenbereich des Gleichstellungsombudsmans fällt, der für Gleichstellung in außerschulischen Arbeitszusammenhängen zuständig ist, hatte sich JämO47 hier als kleines Amt mit wenigen Mitteln entschlossen, in der Schule zu arbeiten. Die Gründe lagen in einer alarmierenden Zunahme von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts in Schulen. 1997 nahmen auf Initiative von JämO Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Institutionen und Organisationen an einer ersten Planungskonferenz für dieses Schulprojekt teil, das zunächst als Pilotprojekt auf nationaler Ebene laufen sollte. Neben JämO waren verschiedene Kommunen und Regionalregierungen vertreten sowie die Aktion Kvinnofrid48. Drei Fragen bestimmten die Konferenz:
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Wie können sich junge Mädchen besser gegen geschlechtsdiskriminierende Wörter und eine frauenfeindliche Umgebung in der Schule wehren? Wie kann es Jungen gelingen, zu Männern aufzuwachsen, die gute Beziehungen zu Mädchen und Frauen haben? Wie können die Erwachsenen in der Schule ein Arbeitsklima schaffen, das das Selbstbild der Mädchen und Jungen in der Schule in einer positiven Art und Weise stärkt?49
»Break the pattern!« begann mit einer Vorlaufphase, in deren Planung verschiedene Voraussetzungen mit eingingen. Hierfür war die Erfahrung zentral, dass Veränderungsarbeit lange dauert. Denn sie kann nicht – so die Initiatorinnen und Initiatoren – als einwöchige Kampagne an der Schule erfolgen, wenn damit das Ziel erreicht werden soll, herrschende Machtstrukturen und Geschlechtsmuster zu verändern. Am effektivsten sei es, die Veränderungsarbeit in die laufende Arbeit zu integrieren und somit zu verhindern, dass Geschlechtermuster und Traditionen durch die 46 Lena Sievers, zuständig bei JämO für Bildung und Erziehung, erklärte die aktive Beteiligung ihrer Behörde in Schulen damit, dass die Schülerinnen und Schüler von heute die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von morgen seien und deshalb mit der Durchsetzung ihrer Gleichstellungsrechte schon in der Schule vertraut gemacht werden müssen. (Vgl. Myndigheten för skolutvickling 2003, Hur är det ställt? Tack, ojämt! (deutsch.: Wie seid ihr gestellt? Danke, ungleich!). 47 Die nationale Gleichstellungsbehörde (Gleichstellungsombudsman). 48 Aktion kvinnofrid, ein Bündnis gegen Gewalt an Frauen. 49 Vgl. JämO 2000: 17 59
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
ungleiche Machtverteilung immer wieder übernommen werden und sich über Generationen fortsetzen. Es habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass einzelne isolierte Methoden, gegen Geschlechtsmobbing in der Schule zu arbeiten, nur kurzzeitige Gewinne gebracht hätten. Das veränderte Verhalten sei verschwunden, sobald die Aufmerksamkeit nachgelassen habe. Um in der Schule weiterzukommen, braucht man laut den Initiatorinnen und Initiatoren Zeit und Ressourcen, da eine besondere Schwierigkeit darin besteht, dass Lehrerinnen und Lehrer selbst von Geschlechtsstereotypen geprägt sind und aufgrund ihrer eigenen Geschlechtszugehörigkeit begrenzte Vorstellungen haben. Die Überlegung, die zu dem neuen Projekt führte, war, dass für eine allumfassende Gleichstellungsperspektive mit langfristig wirkender Veränderung in der Schule das gesamte Schulumfeld mit einbezogen werden müsse. Zu diesem zählen neben der Pädagogik alle in der Schule arbeitenden Personen aller Schulstufen wie z. B. Kinderpflegekräfte, Vorschullehrerinnen und Vorschullehrer, Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, Psychologinnen und Psychologen, Hausmeister, Bibliothekarinnen und Bibliothekare, Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiterinnen und Schulleiter sowie das Mensa-Personal. Während der Pilotphase des Projekts »Break the pattern!« 1998 auf nationaler Ebene in Nyborg wurde an zwei Schulen ein Handlungsplan erstellt. Dem ging die Aufzeichnung des eigenen Arbeitsmilieus voraus. Fragen waren beispielsweise: »Gibt es Plätze in der Schule, wo Schülerinnen oder Schüler es vermeiden, sich allein aufzuhalten? Welche Plätze sind das? Sind es Mädchen, Jungen oder beide Geschlechter, die diese Plätze meiden und warum? Werden erniedrigende Geschlechtswörter in der Schule benutzt? Von wem zu wem, mit welcher Absicht, wann, wo und was passiert dann?« Für den Handlungsplan wurden mindestens zwei Problemstellungen, die Mädchen bzw. Jungen betreffen, formuliert, wenigstens zwei messbare Ziele für die Verbesserungsarbeit daraus abgeleitet und mindestens drei Umsetzungsmöglichkeiten und Aktivitäten für die Verwirklichung der Ziele geplant. Es wurde kontrolliert, mit welchem Resultat die Aktivitäten durchgeführt wurden. Dieses neue Wissen diente als Grundlage für den nächsten Plan. Die zweite Durchlaufphase des Projekts »Break the pattern!« war ein dreijähriges Gleichstellungsprojekt an Vorschulen und Schulen in der Region Sundholm von 2001 bis 2003. Initiatoren waren JämO, die zentrale Gleichstellungsbehörde und SR-utbildning, ein zur Region Sundholm gehörender Ausbildungsverbund, der u. a. bezogen auf Schulentwicklung arbeitet, Fortbildungen anbietet und Netzwerke zusammenhält. Weiterhin waren beteiligt das Pädagogische Institut der Universität Sundholm und das Nationale Sekretariat für Geschlechter60
GENDER MAINSTREAMING – PROJEKTE UND MATERIALIEN
forschung – finanziert wurde das Projekt mit EU-Mitteln. Die vorbereitende zentrale Projektleitungsgruppe bestand aus einer Vertretung des regionalen Ausbildungsverbunds, von JämO, von der Regierung Westschwedens, einer Vertretung der Lehrergewerkschaft sowie vier Projektleiterinnen und Projektleitern aus Schule und Vorschule und zwei Ganztagskräften. Es fand eine Ausbildung von Prozessanleiterinnen und Prozessanleitern (sieben bis acht Personen) in einem einjährigen Kurs statt, die den am Projekt teilnehmenden Schulen angehörten.
Nationales Pilotprojekt Projekt »Break the pattern!« Im Zusammenhang mit der Pilotphase des Projekts »Break the pattern!« auf nationaler Ebene kam JämOs Handbuch gegen Mobbing in der Schule aufgrund des Geschlechts heraus.50 In dem 217 Seiten starken Handbuch wird davon ausgegangen, dass Gender eine soziale Konstruktion ist und das Gendersystem die Individuen in ziemlich festen Rollen und Geschlechtsmustern einschließt. Als unverzichtbarer Teil der Gleichstellungsarbeit werden Werteübungen herausgestellt, weil sie unbewusste und unreflektierte Verhaltensweisen aufdecken. Werteübungen dienen dazu, in Mädchen- und Jungengruppen oder in gemischten Gruppen Gefühle und Wahrnehmungen zu zeigen und Vorstellungen über männliche weibliche Eigenschaften und Verhalten zu bearbeiten. Diese Übungen können auch in Personalgruppen oder bei der Elternarbeit zu Gleichstellungsfragen eingesetzt werden. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen. »Der heiße Stuhl« ist eine Übung, bei der zunächst körperlich zu verschiedenen Aussagen Stellung bezogen wird, um anschließend ausführlich darüber zu diskutieren. Auch bei der Übung »Ja – Nein – Vielleicht« kann man sich selbst körperlich zu Aussagen und Meinungen positionieren, bevor sie in der Gruppe diskutiert werden. Bei der »4Ecken-Übung« wird von einer Frage oder einem Problem ausgegangen, zu dem verschiedene Ansichten geäußert und diskutiert werden können. Für die »Auflistungsübung« erstellt man eine lange Wortliste beispielsweise kränkender Wörter. Die Erfahrung zeigte, dass diese für Mädchen immer viel länger ausfiel als für Jungen. Im Handbuch wird betont, dass es wichtig ist, darüber zu diskutieren, was die Wörterliste über das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern aussagt. Bei der Übung »Nicht beendete Sätze« werden vorgegebene Satzanfänge beendet mit einem abschließenden Gespräch über einen Satz, zu dem Verschiedenes gesagt werden kann. Auch das Forumspiel, eine in Brasilien von Augusto Baoal entwickelte Theaterform, bei der die Zuschauenden die Mög50 JämOs handbok mot könsmobbing i skolan 2000. 61
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
lichkeit haben, Lösungen vorzuschlagen oder selbst versuchen können, in dem Konflikt zu agieren, wird sowohl bei Schülerinnen und Schülern wie bei den Erwachsenen eingesetzt. Ein wichtiger Grundsatz der schwedischen Pädagogik gilt auch für die Gleichstellungsarbeit, nämlich dass man die Individuen erreichen und ein empathisches Gefühl entwickeln muss. »Man kann nicht Mathe machen, wenn einige „Hure“ schreien«, lautet eine Kapitelüberschrift im Handbuch. Entsprechende Tipps lauten: Auf der Individualebene arbeiten, Prioritäten setzen für soziale Kompetenz und in der Vorschule damit anfangen. Wichtigste Botschaft heißt: Du bist wertvoll, du hast das Recht, mit Respekt behandelt zu werden, du musst nicht zulassen, dass jemand dich kränkt, du hast das Recht, eine gute, lusterfüllte Sexualität zu haben. Viele Übungen, wie z. B. das Forumspiel, eignen sich zur Analyse von Problemen und Konflikten gleichermaßen wie für deren Bearbeitung. Im Handbuch werden außerdem systematische Analysemethoden beschrieben, die als Grundlage für einen für die jeweilige Schule zu erstellenden Gleichstellungsplan dienen können. In eine Aufzeichnung des Arbeitsmilieus einer Schule gehen statistische Angaben ein, jeweils bezogen auf Frauen und Männer, zur Personalsituation, zur Arbeitssituation von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen, zum Vorkommen erniedrigender Geschlechtswörter, erniedrigender Kommentare, sexueller Witze und sexueller Gewalt an der Schule. Es wird aufgelistet, wer dem konkret wie ausgesetzt ist und wie die Erwachsenen an der Schule darauf reagieren. Zudem wird nach Plätzen gefragt, die von Mädchen oder Jungen aufgesucht oder gemieden werden. Die Ausstattung einzelner Unterrichtsräume interessiert ebenso wie die Ausstattung der Toiletten, und zwar immer im Hinblick darauf, wie Mädchen oder Jungen davon betroffen sind. Die Ergebnisse einer genauen Analyse des Schulmilieus fungieren als Grundlage für die Erstellung des Gleichstellungsplans. Hieraus werden konkrete Maßnahmen mit messbaren Zielen und einer realistischen Terminsetzung abgeleitet. Die Auswertung leitet über zum nächsten Plan. Ein pädagogischer Handlungsplan für Gleichstellung, wie er abschließend im Handbuch skizziert wird, soll alle an der Schule mit einbeziehen: das gesamte Personal und alle Schülerinnen und Schüler. Die Auswertung der Projektarbeit zeigte, dass es nicht nur Zustimmung der Beteiligten zu den Projekten gab, sondern auch Widerstand und Kritik. Anfängliche Kritik in den Arbeitsgemeinschaften (AGs) lautete, die Gleichstellungsarbeit sei ein Luxusproblem, es gäbe ernstere Probleme in der Schule wie beispielsweise Gewalt. Dieses Argument tauchte jedoch nicht mehr auf, nachdem man festgestellt hatte, dass 62
GENDER MAINSTREAMING – PROJEKTE UND MATERIALIEN
enorme Aggressivität überwiegend von Jungen gezeigt wurde und mithilfe der Gleichstellungsarbeit bearbeitet werden konnte. Für viele Teilnehmende war es schwer und schmerzlich, festzustellen, dass es 30 Jahre nach der Frauenbewegung in den 1970er Jahren am eigenen Arbeitsplatz Schule die Geschlechtermuster wirklich immer noch gibt. Nicht weniger schmerzlich war es für viele, zu sehen, wie man selbst als Pädagogin und Pädagoge das Muster mit unterschiedlichen Erwartungen an Mädchen und Jungen verfestigt. Um jene Muster zu verändern, muss man etwas Neues wagen. Das fiel vielen Teilnehmenden schwer. Einige AGs sahen nicht, dass sie sich kleinschrittig weiterentwickelten, und wurden erst durch die Spiegelung der Erfolge vonseiten der Prozessanleiterin motiviert, weiter zu machen. In den höheren Jahrgängen hatten einige Lehrerinnen und Lehrer es schwer, die Rolle als Vermittlerin und Vermittler oder Besitzerin und Besitzer der Wahrheit loszulassen. Sie nahmen zwar neue Methoden gerne an, fanden es aber ermüdend, über die eigene Rolle zu reflektieren. Einige Schwierigkeiten ergaben sich auch aufgrund der Organisation der Schulform. So konnte im Gymnasium schlecht mit einer gleichbleibenden Gruppe durchgängig gearbeitet werden und in der Vorschule bestand die Schwierigkeit, wegen der wenigen Männer in geschlechtsgemischten Gruppen zu arbeiten. Die Initiatorinnen und Initiatoren waren sich dabei der möglichen Gefahren bewusst, nämlich dass Verdrängtes an die Oberfläche kommen könnte. Zudem sahen sie folgende Risiken: die Heraufbeschwörung von Konflikten, Elternproteste sowie eine unsachliche Medienberichterstattung.
Regionales Projekt »Break the pattern!« in Sundholm51 Über das regionale Projekt »Break the pattern!« in Sundholm kam ein 112 Seiten starker Bericht in Buchform heraus. Das regionale Projekt umfasste zehn Arbeitsgemeinschaften in Vorschulen und zehn Arbeitsgemeinschaften in Grundschulen und Gymnasien in Westschweden, die in gleichstellungspädagogischen Grundmodellen vorgebildet wurden. Die im pädagogischen Bereich tätigen Personalgruppen der am Projekt beteiligten Schulen bekamen eine Ausbildung in wirksamen Methoden. Zudem sollten sie eine Starthilfe für die Projektarbeit bekommen. Sie erhielten sechs zweitägige Methodenausbildungen in Internatsform, getrennt nach Vorschule bis Jahrgangsstufe fünf und Jahrgangsstufe sechs bis zum Gymnasium. Den Beteiligten wurde dabei Genderwissen ver51 GR Utbildning och JämO 2004 Att våga hoppa jämfota – Rapport från ett jämställdhetspedagogiskt projekt, Stockholm. (Übers. Sich trauen, auf zwei Beinen zu hüpfen – Bericht über ein gleichstellungspädagogisches Projekt) 63
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
mittelt, sie erhielten die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch und erhielten wichtige Hinweise für die Organisation einen Studientags, an dem sich die gesamte Schule mit dem Thema Gleichstellungsarbeit befasst. Jede dritte Woche eines Unterrichtsjahrs bekamen die AGs eine Anleitung. An dem Projekt nahmen insgesamt 157 Personen teil. Für die beiden verschiedenen Altersstufen gab es altersabhängige Inhalte in den AGs. In allen AGs wurden jedoch Werteübungen durchgeführt,52 Ziele formuliert und Methoden ausgewählt. Des Weiteren fanden eine Vermittlung der Gendertheorie und eine Vorstellung der Hausmodell-Methode53 statt. In den Theorieseminaren wurden Vorlesungen gehalten wie z. B. »Das Weinen der Männer und die Wut der Frauen«, »Die Sportkultur der Männer – eine Stärke oder Schwäche?«, »Klar sind wir unterschiedlich«, »Alte Kamellen in flotter Verpackung – eine konservierende Vorstellung über Frauen und Männer in den Medien«. Die Teilnehmenden des Projekts führten Tagebücher, nahmen sich mit Video auf, führten Schülerbeobachtungen durch. Hierbei wurde eine neue Methode der Bestandsaufnahme, das »Hausmodell«, angewendet. Dadurch, dass man begreift, wie es im eigenen Arbeitsmilieu aussieht, kann man zügig und konkret mit der Veränderungsarbeit in der eigenen Schule beginnen und Ziele für die eigene Veränderungsarbeit formulieren. Die Methode kann von allen in der Schule angewendet werden, sowohl von einzelnen Schülerinnen und Schülern als auch in den Klassen. Am besten ist es, wenn die ganze Schule an dem »Hausmodell« teilnimmt. Es geht dabei um
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Lebensraum: Wieweit bestehen ungehinderte Wahlmöglichkeiten für Mädchen und Jungen? Handlungsraum: Wieweit besteht die Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen, wie man als Mädchen bzw. Junge behandelt wird?
52 Werteübungen (Värderingsövningar), allen Übungen gemeinsam ist, dass es kein richtig oder falsch gibt. Die Teilnehmenden sollen über eigene Gedanken und Gefühle nachdenken und Stellung nehmen, ihr Verhalten bearbeiten, ihre Ansichten ausdrücken, ihren Standpunkt begründen. Sie sollen darüber hinaus darauf hinwirken, dass ihnen zugehört wird und dass sie selbst anderen zuhören. (Vgl. JämO 2000: 119 ff.). 53 Hausmodell (husmodell), Analysemethode des Schulmilieus in Form eines großen Hausbildes mit den Räumen der Schule. Von diesem Bild geht eine Symbolkraft aus, die an den Begriff des Staates als eines »Volksheims« anknüpft, in dem sich jede(r) wohlfühlen soll. Die Ergebnisse einer genauen Analyse des Schulmilieus dienen als Grundlage für die Erstellung des Gleichstellungsplans. (Vgl. GR Utbildning och JämO 2004: 17 ff.) 64
GENDER MAINSTREAMING – PROJEKTE UND MATERIALIEN
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Herrschertechniken54: Inwiefern kann die einzelne Person verhindern, dass andere Macht über sie bekommen, sie lächerlich machen, marginalisieren?
In dem Bericht gaben viele Teilnehmende an, geschlechterbewusstes Denken gelernt zu haben, sich die eigenen Vorurteile bewusst gemacht zu haben, zu merken, wie man selbst Macht ausübt, Mädchen und Jungen als Individuen zu sehen, sie nicht auf verschiedene Art zu behandeln, mit kompensatorischer Pädagogik zu arbeiten, Kinder zu lehren, das andere Geschlecht zu respektieren, immer wieder offenzulegen – zu analysieren – zu handeln.
Nationale Lehrerfortbildungen »Break the pattern!« Unter dem Namen »Break the pattern!« wurde und wird weiterhin gemeinsam von JämO und der Lehrergewerkschaft Lärarförbundet fortlaufend eine zweiteilige Lehrerfortbildung in ganz Schweden angeboten. Der erste Teil ist ein zweitägiger Methodenkurs für Gleichstellung in der Schule, der zweite ein Methodenkurs, der sich an Teilnehmende des ersten Kurses wendet wie auch an diejenigen, die an einer Kommunikation aus der Gleichstellungsperspektive interessiert sind.
Fortbildung Teil 1
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Grundlegendes Genderwissen Werteübungen Methoden, die helfen, das Schulmilieu aus der Geschlechterperspektive zu verbessern. Sexuelle Belästigungen im Schulalltag Die lustvolle Sexualität – eine Kraftquelle Medien, Reklame und Geschlechtsmuster
Fortbildung Teil 2
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Theorie des Gendersystems Gleichstellungsziel und kompensatorische Pädagogik Die Bedeutung des Dialogs Ich- und identitätsstärkende Arbeit in der Schule
54 Herrschertechniken (härkerteknikerna), fünf H. von der norwegischen Soziologin Berit Ås in den 1980er Jahren entdeckt, analysiert, beschrieben: jemanden unsichtbar machen, jemanden lächerlich machen, Vorenthalten von Information, Doppelbestrafung, Zuweisen von Schuld und Scham. 65
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
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Herrschertechniken und Grenzensetzen Konkrete Tipps, wie man bestehende destruktive Muster im Schulmilieu verändern kann.
3.2.2 Projekt »Gleich in Sundholm!« Das einjährige, auf Vorschulen fokussierte Nachfolgeprojekt von »Break the pattern!« »Gleich in Sundholm!« entstand in der Folge verschiedener Gender Mainstreaming-Projekte der Stadt Sundholm, an die die Gender Mainstreaming-Beauftragte der Stadt mit ihrer Initiative anknüpfen konnte. Zum einen gab es seit mehreren Jahren in Zusammenarbeit von Svenska Kommunförbundet55 und der Stadt Sundholm ProzessanleiterAusbildungen in Gender Mainstreaming für die Arbeit in unterschiedlichen kommunalen Bereichen wie u.a. Altenpflege, Behindertenarbeit, Arbeit in Freizeiteinrichtungen, aber auch Vorschulen und Schulen. Das Ziel bestand darin, in einer Verzahnung von Theorie und Praxis die Genderperspektive am eigenen Arbeitsplatz zu integrieren. Mithilfe der Prozessanleitungs-Ausbildungsangebote sollte mehr Qualität in den Angeboten an die Bevölkerung erreicht werden. Es sollten alle involviert werden: Angestellte wie Bürgermeister/-innen, Ressortleitungen wie Abgeordnete, Lehrer/-innen und Schulleitungen. Im Jahr 2000 wurden etliche Ausbildungen für Gender Mainstreaming angeboten.56 Im Vorschulbereich hatten die Kurse Titel wie beispielsweise »Sprachgebrauch und sexuelle Belästigung in der Schule« oder »Arbeitet man wirklich mit Gleichstellung in der Vorschule?«. Die Prozessausbildung fand über das Jahr verteilt in sechs bis acht Fortbildungen statt, in denen »die Praxis in der Theorie immer wieder „gegen gescheckt und neu justiert« wurde (Petterson 2004: 46). Zum Zweiten konnte in Sundholm auf das Schulprojekt in Vorschulen, Grundschulen und Gymnasien »Break the pattern!« (2001 bis 2003) zurückgeblickt werden, dessen Ziel es war, das Wissen über Gleichstellung zu vermehren und Methoden für die eigene alltägliche Arbeit zu entwickeln. Dieses Projekt wurde im Rapport der »Delegation für die Gleichstellung in der Vorschule«, die im Dezember 2003 im Regierungsauftrag auf Nationaler Ebene gegründet wurde, als gutes Beispiel erwähnt57, das ausgehend von der Genderperspektive neue Analysemodelle für die schulische Praxis entwickelte, und 55 Zusammenschluss der Städte und Gemeinden in Schweden. 56 www4.goteborg.se/prod/sk/dalis2jamstalldhet.nsf/vyFilArkiv/Projekt.pdf/$ file/Projekt.pdf , 13.5.2004 57 Jämställdhet i förskolan – om betydelsen av jämställdhet och genus i förskolans pedagogiska arbete. Slut(s)betänkande av Delegationen för jämställdhet i förskolan (2006) Stockholm, (SOU 2006: 75ff.). 66
GENDER MAINSTREAMING – PROJEKTE UND MATERIALIEN
in dem man darüber hinaus die Erfahrung dokumentierte, dass die Arbeit mit Gleichstellungsfragen in mancher Hinsicht in der Vorschule besser lief als in der Grundschule oder am Gymnasium.
3.2.3 Projekt »Gleichgestellte Schule – zu gleichen Bedingungen« Langzeitprojekt, Fortbildungen für in der Schule Tätige Im Zusammenhang mit der flächendeckenden Implementierung von Gender Mainstreaming war ein weiteres Schulprojekt interessant, das als Langzeitprojekt seit über zehn Jahren bestand und fortlaufend weitergeführt wurde. »Gleichgestellte Schule – Mädchen und Jungen zu gleichen Bedingungen« war ein kommunales Fortbildungsprogramm für Kompetenzentwicklung und Gleichstellung in Vorschule und Schule, durch das die Angestellten der Schule vertiefende Kenntnisse über Gleichstellung und die verschiedenen Bedingungen, die Mädchen und Jungen in der Schule haben, erhalten sollten. Das Fortbildungsprogramm richtete sich an alle Erwachsenen, die in der Schule mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Die Fortbildungen wurden vorzugsweise mit sämtlichen Angestellten eines Betriebes durchgeführt und von der Schulbehörde der Stadt ihren schulischen Angestellten mit dem Ziel angeboten, neue pädagogische Strategien zu entwickeln. Auf lange Sicht sollten die Geschlechtsrollen so verändert werden, dass Mädchen und Jungen zu gleichen Bedingungen zur Schule gehen. Das Programm wurde 1994 von einer engagierten Kollegin gestartet und als Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer konzipiert. Inzwischen wurden für diejenigen, die die Grundausbildung »Zu gleichen Bedingungen« mitmachten, aufbauende Anleitungsausbildungsseminare über vier Semester angeboten. Die ausgebildeten Anleiterinnen und Anleiter sollten als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren dieses Projekt an den kommunalen Vorschulen und Schulen anschließend selbst durchführen. Die Fortbildungsseminare, die im Rahmen der bezahlten Arbeitszeit stattfanden, wurden von der Schulbehörde finanziert und durch EU-Gelder aufgestockt. Für die Durchführung des Projektes »Gleichgestellte Schule – Mädchen und Jungen zu gleichen Bedingungen« wurden 1998 der Initiatorin und der Kommune der Friederike-Bremer-Preis verliehen. Zudem erhielt das Projekt 2005 eine Auszeichnung der Provinzregierung. Der Preis ging zu gleichen Teilen an die Projektleiterin Ingegerd und an die Nordbergschule. Ingegerd erhielt den Preis, weil sie mit Wissen, Behutsamkeit und Willen das Modell »Gleichgestellte Schule – Mädchen und Jungen zu gleichen Bedingungen« entwickelt habe. In all den Jahren 67
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
seien viele Schülerinnen und Schüler bekräftigt worden, unabhängig vom Geschlecht von den eigenen Voraussetzungen auszugehen. Ingegerd habe gezeigt, wie eine ganze Organisation die Gleichstellungsarbeit in die alltägliche Arbeit integrieren könne. Die Nordbergschule wurde für zielgerichtete, strukturierte Gleichstellungsarbeit mit Mädchen und Jungen ausgezeichnet und dafür, dass dadurch jeder und jedem die Möglichkeit gegeben wurde, eigene Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Die gesamte Personalgruppe hatte das Kompetenzentwicklungsprogramm »Gleichgestellte Schule – Mädchen und Jungen zu gleichen Bedingungen« durchlaufen und jede Arbeitsgruppe hatte Handlungspläne für die eigene Arbeit erarbeitet. Das Beispiel einer Grundausbildung, die im Rahmen dieses Projekts stattfand, wird im Folgenden vorgestellt. Die Ausbildung besteht aus fünf Teilen und dauert drei bis vier Semester. In dem Flyer58 wird die Anleitungsausbildung näher beschrieben.
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Theorie: Zusammentreffen in Seminarform alle zwei Wochen. Die Teilnehmenden lesen aktuelle Literatur, berichten über eigene Erfahrungen, diskutieren verschiedene Gesichtspunkte und führen ein Logbuch. Observationen in den Gruppen: Die Interaktionen zwischen Kindern und Erwachsenen, Kindern und Kindern, Erwachsenen und Erwachsenen werden observiert. Es wird diskutiert, was in den jeweiligen Gruppen geschieht. Entwicklung von Plänen: Aus der Seminardiskussion heraus werden konkrete Handlungsstrategien entwickelt für die Arbeit mit Lehrerund Schülergruppen. Zusammenstellung von Dokumentationen Auswertung
(Mittlerweile vergibt die Kommune Zertifikate an Schulen, die als ganze Schule geschlossen an den Fortbildungen »Gleichgestellte Schule – Mädchen und Jungen zu gleichen Bedingungen« teilgenommen haben.) Beispielhaft werden hier Ausschnitte aus Handlungsplänen vom Februar 2005 für die dritte und fünfte Klasse einer Schule für die pädagogische Gleichstellungsarbeit im Rahmen des Projekts vorgestellt.
58 Vgl. Flyer zur Anleitungsausbildung »Gleichgestellte Schule – Mädchen und Jungen zu gleichen Bedingungen«. 68
GENDER MAINSTREAMING – PROJEKTE UND MATERIALIEN
Ziele
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Mädchen und Jungen ein gutes Selbstvertrauen und gutes Selbstwertgefühl geben. Jedem Kind die Einsicht geben, dass alle Menschen den gleichen Wert haben, gleich wertvoll sind. Alle Kinder sollen sich bewusst werden, wie wichtig es ist, dass sie sich das Rederecht nehmen dürfen. Alle Kinder sollen erkennen, dass die gesellschaftlich zugeschriebe-nen Geschlechtermuster Vorurteile sind. Kein Kind darf als Stoßdämpfer für das Agieren anderer benutzt werden oder auf andere Art und Weise für anderer Leute Verhalten verantwortlich gemacht werden. Niemand in der Schule darf erniedrigende Antworten bekommen oder muss kränkende Behandlung akzeptieren, weder Kindern noch Erwachsenen darf so etwas passieren.
Dritte Klasse Da einige Mädchen in der Gruppe zu still sind, sollen die schüchternen Mädchen aufgefordert werden, so zu sprechen, dass man sie hören kann. Dies soll durch genderpädagogische Übungen und durch Schreiübungen begleitet werden. Dies soll während der Arbeit mit der halben Klasse in jeder Woche und beim Sport geschehen. Die Auswertung ist für Dezember vorgesehen. Alle Mädchen sollen es bis dahin wagen, in den Mädchengruppen gehört und gesehen zu werden. Da einige Kinder die anderen immer unterbrechen und nicht warten, bis sie an der Reihe sind, soll die Aufmerksamkeit von denen weggenommen werden, die unterbrechen. Die eingesetzten Mittel sind die Stopphand und Rollenspiele. Die Auswertung hat bislang ergeben, dass die Erwachsenen mit dem Projektverlauf zufrieden sind, aber manchmal vergessen, die Stopphand anzuwenden. Die Kinder finden, dass das Modell funktioniert. Es soll weiterhin ausgewertet werden. Einige Jungen hören sich selbst immer gerne reden und sprechen immer frei heraus, unabhängig davon, womit sich die Gruppe gerade beschäftigt. In kleinen Jungengruppen sollen sie lernen, mit dem Stören aufzuhören und nicht mehr zu wagen, bestimmte Ausdrücke zu gebrauchen. Die Auswertung hat ergeben, dass das so funktioniert und weiter verfolgt werden soll.
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GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
Fünfte Klasse Einige Schüler verletzen sich mit Geschlechtswörtern und mit Kränkungen gegenseitig und sie stören sich gegenseitig bei den Pausenspielen. Es soll allen Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit gegeben werden, ihre Klassenkameradinnen und -kameraden kennenzulernen. Anschließend sollen sie die Konflikte unter sich ausmachen. In diesem Zusammenhang wird mit dem Material: »Sich selbst und andere verstehen« gearbeitet – dies geschieht klassenweise mit der Mädchen- und der Jungengruppe. Jeden Monat soll der Sprachgebrauch ausgewertet werden.
3.2.4
Projekt »Mädchen oder Junge – spielt das eine Rolle? Gemeinsam für eine gleichgestellte Schule« Fortbildungen für Schulleiterinnen und Schulleiter gemeinsam mit Kommunalpolitiker/-innen und Schuldezernent/-innen
Ausgangspunkt dieses Projekts war, dass die Gleichstellungsbehörde der Regionalregierung gegen Gewalt an Frauen tätig werden wollte. Verschiedene Ausbildungskurse gegen Gewalt an Frauen wurden angeboten, die sich auch an Jugendliche richten sollten, weil Gewalt auch Teil ihres alltäglichen Lebens darstellt. Es gelang jedoch nicht, Jugendliche anzusprechen, weil man die Verantwortlichen in den Schulen nur schwer erreichen konnte. Um eine langfristige Arbeit zu gewährleisten, führte die Leiterin des Projekts die Arbeit vieler Organisationen zusammen und initiierte eine Kooperation mehrerer Organisationen, die in ihrer Kommunikation mit den Schulen zusammen effektiver sein wollten. Sie alle hielten es für wichtig, die Rektorinnen und Rektoren der Schulen in die Arbeit einzubinden und gemeinsam über neue Wege nachzudenken.59 Gleichzeitig war in dem Projekt »Break the pattern!« die Erfahrung gemacht worden, dass man sich im Interesse der Arbeit mit Gleichstellung bei Jugendlichen besonders um die Rektorinnen und Rektoren der Schulen kümmern müsse. So wurde von der Gleichstellungsbehörde der Regionalregierung in Zusammenarbeit mit JämO das Projekt »Mädchen oder Junge – spielt das eine Rolle? Gemeinsam für eine gleichgestellte Schule« im Anschluss an ein Projekt gegen Gewalt an Frauen ins Leben gerufen. Das neue Projekt war insofern eine Besonderheit, als es sich 59 Unterstützt wurde das Projekt vom Amt für Schulentwicklung, von der Regional- und Kommunalregierung, von JämO, HomO und dem Kinderombudsman, dem Sozialfonds der EU, dem Schwedischen ESF-und der Operation Kvinnofrid. 70
GENDER MAINSTREAMING – PROJEKTE UND MATERIALIEN
nicht nur gezielt an Rektorinnen und Rektoren wendete, sondern gleichzeitig die nächste Verwaltungsebene und Kommunalpolitikerinnen und politiker als Zielgruppe mit einbezog. In der Dokumentationsschrift des Projekts berichtet ein Schulleiter über seine Arbeit nach der Erstellung eines Handlungsplans: »Ich bildete eine Gleichstellungsgruppe aus, an der vier engagierte Lehrerinnen bzw. Lehrer teilnahmen, und verteilte das Material, das ich von der Ausbildungszeit mitgenommen hatte und gab weiter, was ich dort lernte. Seitdem arbeiten wir zusammen einen Gleichstellungsplan aus, der in unserem Team gut verankert ist.«60 Die Regionalregierung lud die Teilnehmenden zu einem Informationsaustausch ein. Dabei wurde ein neues Treffen mit den Verwaltungschefs und ein Studientag für das gesamte Personal der Kommune im Jahr 2006 geplant. Zudem sollte auf der Grundlage der Analyseergebnisse ein Plan gegen kränkende Sonderbehandlung, für Werteübungen und vorbeugende Aufmerksamkeit für Sprachgebrauch und Schulhofaktivitäten erstellt werden.
Abbildung 1: Verlaufsplan des Projekts »Mädchen oder Junge – spielt das eine Rolle? Gemeinsam für eine gleichgestellte Schule«, (vgl. Länsstyrelsen 2006:13)
60 Länsstyrelsen i Stockholms län 2006: 23 (übers. v. Verf.). 71
II G E N D E R M AI N S T R E AM I N G U N D S C H U L E IN SCHWEDEN – ERGEBNISSE DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG
1 An l a g e d e r U n t e r s u c h u n g Ausgangspunkt der Studie war das Interesse an der Umsetzung von Gender Mainstreaming im Schulbereich. Ich hatte zunächst die Absicht, einen Vergleich der Umsetzung der neuen Strategie Gender Mainstreaming im Schulbereich mehrerer europäischer Länder vorzunehmen. Dann traf ich aber die Entscheidung, mich ausschließlich auf Schweden zu konzentrieren, einmal weil dort die Entwicklung am weitesten fortgeschritten war, aber auch weil sich mir das Feld der zu Befragenden dort erfolgreicher erschloss als in anderen europäischen Ländern, und weil ich infolgedessen sehr schnell umfangreiches Material erhielt. Der Forschungsprozess stand also keineswegs von vornherein fest, sondern entwickelte sich sukzessiv im Verlauf der Untersuchung. Die Erhebungsphase dauerte vom Frühjahr 2003 bis Herbst 2006. In äußerst unterschiedlichen Bereichen und Orten wurden von mir insgesamt 44 Interviews durchgeführt und damit sehr unterschiedliches Expertenwissen erhoben. Die vier Orte, an denen die Interviews stattfanden, waren zwei weit voneinander entfernte Großstädte und zwei ebenfalls weit auseinander liegende Kleinstädte. Die unterschiedlichen Bereiche, in denen die Expertinnen und Experten angesprochen wurden, waren relevante außerschulische Institutionen, aber auch alle Schulformen von der Vorschule bis zum Gymnasium. Interviewt wurden Behördenvertreterinnen und -vertreter bzw. Politikerinnen und Politiker, Schulleiterinnen und Schulleiter sowie Lehrerinnen und Lehrer, Professorinnen, Projektleite73
GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
rinnen und -leiter, Anleiterinnen und Anleiter und in einem Fall Schülerinnen und Schüler, Sekretärin und Hausmeister. Die Termine der Interviews unterlagen dem Zwang, dass sie in den niedersächsischen Schulferien vereinbart werden mussten, wegen meiner Tätigkeit als Hauptschullehrerin, gleichzeitig aber in Schweden der Schulbetrieb laufen musste, damit ich die dort Tätigen antreffen konnte. Die interviewten Personen werden im Folgenden mit anonymisierten Vornamen bezeichnet, da es in Schweden üblich ist, sich unabhängig vom Status mit Vornamen anzusprechen und selbstverständlich zu duzen. Die ersten Interviews führte ich mit Nora, Kajsa und Fanny, Prozessanleiterinnen des Gleichstellungsprojekts »Break the pattern!«, Maja, Funktionärin der Lehrergewerkschaft, Ulla, Vertreterin der Nationalen Agentur für Schule und Erziehung Skolverket, die zuständig ist für die Schulinspektion, Siv und Anna, Vorschullehrerinnen einer Montessorischule, Elsbeth, Professorin im Fachbereich Didaktik sowie mit Hanna, pensionierte Lehrerin und Kommunalpolitikerin. Bei diesen ersten Interviews wurde mein Interesse auf das Schulprojekt »Break the pattern!« gelenkt, das sich an alle Schulstufen und das gesamte Schulpersonal richtete, das zum Interviewzeitpunkt gerade die Endphase in Sundholm durchlief und für meine Fragestellung nach der Umsetzung von Gender Mainstreaming im Schulbereich von herausragender Bedeutung war. Sowohl Kajsa als auch Fanny, Maja, Siv und Anna waren in das Projekt involviert. Nora plante eine Fortsetzung des Projekts im Bereich der Vorschulen ihrer Stadt, das sie später in enger Zusammenarbeit mit Kajsa verwirklichte. Beide gemeinsam befragte ich im darauf folgenden Jahr zu ihrer Arbeit mit dem neuen Projekt »Gleich in Sundholm!«, das sich an die Vorschulen einer Stadt richtete. Maja wurde zusammen mit ihren Gewerkschaftskolleginnen Lisbet und Yvonne ebenfalls noch einmal von mir befragt. Auch Hanna wurde im Frühjahr 2004 ein zweites Mal befragt, und zwar weniger über ihre Erfahrungen als Sek 1-Lehrerin als vielmehr zu ihren Einflussmöglichkeiten als Kommunalpolitikerin auf die Gleichstellungsarbeit in den Schulen ihrer Kleinstadt. In der Folge suchte ich entsprechend der Logik des Top-down den Kontakt zu Agneta, von der nationalen Gleichstellungsbehörde JämO. Das Gespräch kam im Mai 2005 zustande. Durch Agnetas Vermittlung konnte ich 2004 ein Interview mit Ingegerd, Initiatorin des von ihr vor zehn Jahren ins Leben gerufenen Projekts »Gleichgestellte Schule – Mädchen und Jungen zu gleichen Bedingungen« durchführen. Sie ermöglichte mir, Kontakte herzustellen zu dem Projektanleiter Ola und der Projektanleiterin Gunilla, die ich im Frühjahr 2005 in ihrer Kleinstadt jeweils interviewte. Im Mai 2005 sprach ich außer mit Agneta mit den 74
ANLAGE DER UNTERSUCHUNG
Rektorinnen Ulrika, Helene und Kristin sowie dem zuständigen Kommunalpolitiker Hampus. Dieses Interview eröffnete den Kontakt zu dem vierten Projekt »Mädchen oder Junge – spielt das eine Rolle?«, das von Simona auf regionaler Ebene geleitet wurde. Auch Simona konnte ich während der Startphase ihres Projekts 2005 ebenfalls befragen. Ein Jahr später führte ich mit ihrer Vertreterin Evalotte, Simona selbst war im Schwangerschaftsurlaub, ein Interview über die Ausblicke nach Ende des einjährigen Projekts. Die übrigen 2005 geführten Interviews kamen aufgrund meiner Überlegung zustande, für das Projekt »Break the pattern!« auch Erfahrungen aus der Sek I und der Grundschule mit den Jahrgängen eins bis sechs sowie dem Gymnasium einzubeziehen, und zwar nach Möglichkeit ganze Schulen betreffend. Der Kontakt zum Gymnasium verlief über Kajsa. Im Jensen-Gymnasium, das am Projekt »Break the pattern!« teilgenommen hatte, interviewte ich den Schulleiter Bengt, die Lehrerinnen Kajsa, Mona, Sanna, Marlene, den Lehrer Erik, die Sekretärin Sofie, den Hausmeister Per, die Schülerassistentin Lisa und ihren Kollegen Håkan sowie eine Gruppe von vier Mädchen und eine Gruppe von drei Jungen. Für die Grundschuljahrgänge eins bis sechs gelang es mir, per E-Mail-Kontakt mit der Schulleiterin der Frederika-Schule, die als ganze Schule am Projekt »Break the pattern!« beteiligt gewesen war, eine Verabredung für Interviews an ihrer Schule zu treffen. Dort sprach ich mit der Schulleiterin Solveig und den Lehrerinnen Janina, Susann, Lynn, dem Lehrer Olof sowie der Lehrerin und Projektleiterin Eva. Im Fall der Waldschule mit den Jahrgängen sieben bis neun, die auch Projektschule war und mit der ich ebenfalls per EMail über die Schulleiterin eine Verabredung für die gesamte Schule treffen wollte, kam dagegen nur ein Gespräch mit einem einzigen Lehrerteam, bestehend aus Mats, Annika und Stina, zustande. Abgerundet wurde die Erhebungsphase durch ein Gespräch mit der Professorin Maria, mit Barbro vom Gymnasium für Uniformberufe, Bertil, einem SekISchulleiter ohne Projektbeteiligung und zwei Gesprächen in der Gleichstellungsbehörde, eines mit Agneta und eines mit Göran, einem früheren externen Schulprojektleiter.
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GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT IN DER SCHULE
Abbildung 2: In die Untersuchung einbezogene Projekte und Institutionen
1.1 Erhebungsmethoden Bei dem von mir angewandten Verfahren des offenen, leitfadengestützten Experten-Interviews handelt es sich um eine in der Sozialforschung anerkannte Methode, von der in der Bildungs- und Implementationsforschung häufig Gebrauch gemacht wird (vgl. Meuser/Ulrike Nagel 2003). Dafür werden Personen rekrutiert, die nicht nur Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aus Politik, Verbänden und Ausbildungsinstitutionen sind, sondern auch solche, die dem Bereich der Praxis vor Ort angehören. Der Expertenbegriff ist dementsprechend weitgefasst.1 Ich legte meiner Untersuchung folgende Definition zugrunde: »Eine Person wird zum Experten gemacht, weil wir wie auch immer begründet annehmen, dass sie über ein Wissen verfügt, das sie zwar nicht alleine besitzt, das aber doch nicht jedermann bzw. jederfrau in dem interessierenden Hand-
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Meuser/Nagel (2003) weisen darauf hin, dass das Prädikat Experte bzw. Expertin ein vom Forscher verliehener Status ist, dass also jemand zum Experten oder zur Expertin durch die Befragungsrolle wird. Vornehmlich jedoch sei der Status an eine Berufsrolle gebunden, deren ExpertenWissen sich als »sozial institutionalisierte Expertise« fassen lasse.
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lungsfeld zugänglich ist. Auf diesen Wissensvorsprung zielt das Experteninterview« (Meuser/Nagel 2003: 484).
Entsprechend diesem weit gefassten Expertenbegriff nahm ich die Auswahl der befragten Personen vor. Interviewt wurden nach Möglichkeit alle in die Schulprojekte involvierten Personen, und zwar sowohl diejenigen, die sich in den Schulen im gemeinsamen Veränderungsprozess befanden als auch diejenigen, die diesen Prozess angestoßen hatten, leiteten und begleiteten und ebenso diejenigen, die mehr am Rand stehend den Prozess kommentierten. Es wurden also nicht nur die Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen auf höheren Ebenen der Institutionen und Organisationen befragt, die gemeinsam Projekte vorangetrieben hatten, sondern ebenso die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen, die an entsprechenden Fortbildungen teilgenommen hatten und gemeinsam versucht hatten, das neu Erfahrene umzusetzen. Auf Schülerinnen und Schüler als zu Befragende richtete sich ein geringeres Interesse, erstens weil Probleme bei der Implementierung von Gender Mainstreaming im Schulbereich fast ausschließlich bei den Erwachsenen zu finden waren.2 Zudem hatten die Schülerinnen und Schüler, die mit den konkreten Projekten Erfahrungen gemacht hatten, teilweise inzwischen bereits die Schulen verlassen oder waren zu jung für eine solche Befragung. Bogner/Littig/Menz (2003) weisen im Übrigen darauf hin, dass entscheidend für den Expertenstatus die Dimension der sozialen Wirkmächtigkeit ist. »Der Experte verfügt über technisches, Prozess- und Deutungswissen, das sich auf sein spezifisches professionelles oder berufliches Handlungsfeld bezieht. Insofern besteht das Expertenwissen nicht allein aus systematisiertem, reflexiv zugänglichem Fach- oder Sonderwissen, sondern es weist zu großen Teilen den Charakter von Praxis- und Handlungswissen auf, in das verschiedene und durchaus disparate Handlungsmaximen und individuelle Entscheidungsregeln, kollektive Orientierungen und soziale Deutungsmuster einfließen. Das Wissen des Experten, seine Handlungsorientierungen, Relevanzen usw. weisen zudem – und das ist entscheidend – die Chance auf, in der Praxis in einem bestimmten organisationalen Funktionskontext hegemonial zu werden, d. h. der Experte besitzt die Möglichkeit zur (zumindest partiellen) Durchsetzung seiner Orientierungen. Indem das Wissen des Experten praxiswirksam wird, strukturiert es die Handlungsbedingungen anderer Akteure in seinem Aktionsfeld in relevanter Weise mit« (Bogner /Menz 2002: 46). 2
Dies belegen auch die Auswertungen des Projekts »Break the pattern!«, vgl.: JämOs handbok mot könsmobbing i skolan, Stockholm 2000, und GR Utbildning och Jämställdhetsombudsmannen (JämO) 2004, Att våga hoppa jämfota – rapport från ett jämställdhetspedagogiskt projekt, Stockholm 77
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Das Besondere am Expertinnen- und Expertenwissen liegt darüber hinaus darin, dass es denjenigen, die es besitzen, nicht unbedingt reflexiv verfügbar ist, es sich gewissermaßen um »diffuses Wissen« handelt, auch wenn es in ihrem Entscheidungsverhalten zur Geltung gelangt (Bohnsack/Marotzki/Meuser 2003). Dem Interview mit Expertinnen und Experten kommt insofern eine besondere Rolle zu, als es von der sozialen Wirkmächtigkeit dieses Personenkreises ausgeht und zugleich Möglichkeiten bietet, durch forschende Rekonstruktion den Schatz des Expertenwissens zu heben, der diesen selbst oft zwar nicht ohne Weiteres zugänglich, für den Fortschritt sozialen Wandels aber von besonderer Bedeutung ist. Das ExpertInneninterview »kann solchen Wissensbeständen auf die Spur kommen, die für die Erklärung sozialen Wandels von Bedeutung sind. Es eröffnet den Zugriff auf implizite Regeln, nach denen sozialer Wandel enaktiert und prozessiert, aber auch blockiert wird« (Meuser/Nagel 2003: 489 f.). Wenn es, wie im Fall der Implementierung von Gender Mainstreaming um etwas Neues geht, ist dies Wissen auch deswegen von besonderer Bedeutung, weil sich gezeigt hat, dass die herrschenden Geschlechterverhältnisse außerordentlich veränderungsresistent sind. In der vorliegenden Studie geht es also vorrangig um ein »Wissen, das in innovativen Prozessen gewonnen wird und das (noch) nicht in bürokratische Strukturen eingeflossen ist, […] das Wissen über die Bedingungen, die zu systematischen Fehlern und verkrusteten Strukturen führen« (ebd., S. 481).
Interviewsprache war in den meisten Fällen Englisch, in einigen Fällen Deutsch und beides durchsetzt mit einzelnen Wörtern Schwedisch. Das Interview wurde von den Expertinnen oder Experten, die ich befragte, und mir gemeinsam entwickelt (vgl. auch Bohnsack/Marotzki/Meuser 2004). Denn als Gesprächsführerin richtete ich die Gesprächssituation so ein, dass die Befragten Gelegenheit bekamen, sich mit ihren eigenen Worten, wenn auch teilweise auf Englisch oder Deutsch, darzustellen und die Sachverhalte zu erläutern. Dabei verzichtete ich weitgehend auf strukturierende Vorgaben. Die einzige deutliche Vorstrukturierung bzw. Fokussierung bestand zu Beginn eines jeden Gesprächs in der Offenlegung meines Interesses an der Implementierung von Gender Mainstreaming im Schulbereich. Die Eingangsfrage lautete bezogen auf das jeweilige Projekt: »Was wurde positiv erlebt beim Projekt?« Die weiteren ebenfalls sehr offen gehaltenen Leitfadenfragen waren: »Was wurde negativ erlebt? Wo lagen die besonderen Schwierigkeiten? Gab es Veränderungen in der Folge des Projektverlaufs? Was hätte besser laufen kön78
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nen? Wie könnte es weiter gehen?« Die Fragen richteten sich auf soziale Prozesse und Kontexte im Schulbereich, in denen u.a. Geschlecht und Geschlechtlichkeit hergestellt wird (vgl. Althoff/Bereswill/Riegraf 2001). Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als mithilfe verschiedener schwedischer Schulprojekte der traditionelle Konstruktionsprozess von Gender durchbrochen werden sollte. Deshalb konnte sich der Forschungsblick insbesondere auf Erfolge, Möglichkeiten, aber auch Blockaden und Widerstände der in den Schulen sich entwickelnden Veränderungsprozesse richten. Den Interviewten wurde durch die offen gehaltenen Fragestellungen die Möglichkeit gegeben, ihre Themen selbst zu strukturieren und zu entfalten im Hinblick darauf, wie sie selbst die Veränderungsprozesse erlebten und wie sie deren Einbindung in die jeweiligen Kontexte beurteilten (Bohnsack 2003). Meinen Gesprächspartnerinnen und -partnern stellte ich mich ausdrücklich als an schulischer Gleichstellung interessierte Lehrerin und frauenpolitische Gewerkschaftsfunktionärin vor und gab mich somit von vornherein als Co-Expertin zu erkennen. Diese Offenlegung meiner eigenen Position war dem geteilten normativen Hintergrund von mir als Befragender und den von mir Befragten angemessen. Alles andere wäre „unglaubwürdig“ (vgl. Bogner/Menz 2003) gewesen. Vor diesem Hintergrund war es darüber hinaus möglich, mehr sachbezogene Schilderungen zu erhalten. In einigen Fällen äußerten die Interviewpartnerinnen oder -partner Verwunderung oder auch Anerkennung darüber, dass ich meine Forschungen aus eigenem Antrieb und auf eigene Kosten in ihrem Land durchführte. Mein erklärender Hinweis auf den höheren Stellenwert, den Gleichstellungsarbeit in Schweden gegenüber Deutschland hat, und mein Anliegen, den Prozess auch bei uns zu beschleunigen, machte in ihren Augen meine Anstrengungen verständlicher. Insgesamt war ausnahmslos bei allen Gesprächspartnerinnen und -partnern eine große Bereitschaft zu unseren gemeinsamen Gesprächen spürbar.
1.2 Interviewauswertung Die Interviewauswertung erfolgte in mehreren Schritten3 und eng am Material. Zunächst wurden alle 44 Interviews vollständig transkribiert.
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Bohnsack (2003) beschreibt die Auswertung leitfadengestützter Experteninterviews in sechs Schritten von themenorientierter Transkription, über Paraphrasierung und thematischer Übersicht bis hin zu thematischem Vergleich, Konzeptualisierung und Begriffsbildung und schließlich Einbindung in theoretische Diskurse. Dem kann ich mich weitgehend anschließen. In meinem Fall wurden die Interviews allerdings komplett transkribiert. (Vgl. Bohnsack/Marotzki/Meuser 2003). 79
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Eine komplette Transkription war für meine Untersuchung erforderlich, weil zu Beginn des Auswertungsprozesses die Auswertungskategorien noch nicht zur Verfügung standen, sondern sich erst in der Auseinandersetzung mit dem Material entwickelten.4 Als nächster Schritt folgte eine Betrachtung dieser Texte als Ganzes, d. h., sie verblieben bei der jeweiligen Person und wurden im Hinblick auf die sich dort herauskristallisierenden besonderen Themen beschrieben. Es folgte ein weiterer Auswertungsschritt. Die themenorientierten Beschreibungen der einzelnen Interviews wurden nach Kontextzugehörigkeiten wie Schulebenen oder diesen übergeordneten Ebenen wie Gleichstellungsbehörde, Schulbehörde, Universität, Gewerkschaft sowie unterschiedlichen Projekt- und verschiedenen Schulformzugehörigkeiten in Gruppen zusammengefasst, zueinander in Beziehung gesetzt und auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin untersucht. Außerdem wurde nach »Schlüsselwörtern« (vgl. Glaser/Strauß 2005) gesucht. Der thematische Vergleich sämtlicher herausgearbeiteten Themen, die in allen Interviews besprochen wurden, führte im Ergebnis zu einer Konzeptualisierung und Begriffsbildung. Häufig vorkommende Themen wurden zunächst als Hinweise für eine besondere Bedeutung registriert und in Beziehung gesetzt zu ähnlichen oder abweichenden Themen in anderen Interviews und auch zu der Situation, in der das jeweilige Interview entstanden war. Es wurden also keine Auswertungskategorien in Form von Themen oder Aspekten vorher festgelegt, sondern sie bildeten sich erst durch die vergleichende Analyse der Äußerungen der Befragten heraus. So gelangte ich zu insgesamt sechs zentralen Themen in den Interviews, die als zentrale Faktoren für die Entwicklung einer geschlechtergerechten Schule verstanden werden können, nämlich (1) Genderbewusstsein als „eye-opener“, (2) theoretisches und praktisches Genderlernen, (3) Gleichstellung als Prozess aller Beteiligten, (4) Umgang mit inneren Widerständen gegen die Genderarbeit, (5) Umgang mit der mangelnden Präsenz von Männern in der Genderarbeit, (6) Umgang mit Problemen der Verknüpfung von Gender mit ethnischen Zuschreibungen. Diese Faktoren ergaben sich einmal aus der Häufigkeit ihres Vorkommens im Material aber auch daraus, wie tiefgehend sie von den Befragten beschrieben wurden, die Faktoren resultierten also aus einem quantitativen und einem qualitativen Aspekt.
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Christiane Schmidt (1997: 545f.) stellt eine Auswertungsstrategie vor, die als Mischform aus hermeneutisch-interpretierender und empirischerklärender Inhaltsanalyse in enger Auseinandersetzung mit dem Material vorgeht
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2 Au ß e r s c h u l i s c h e I n s t i t u t i o n e n – E r g e b n i s s e d e r I n t e r vi ew s m i t E x p e r t i n n e n u n d E x p e r t e n Nationale Gleichstellungsbehörde, Lehrergewerkschaft, Projektleitung auf Provinzial- und Kommunalebene, Kommunalpolitik, Schulbehörde und Universität Die Transformation gesellschaftlicher Prozesse durch Organisationen selbst, mit dem Ziel der dauerhaften Sicherung der Gleichstellung der Geschlechter, auf die das Konzept Gender Mainstreaming ausgerichtet ist, erfolgt nicht von alleine dadurch, dass entsprechende Regelungen verabschiedet werden. Bis sich Umwandlungen und Veränderungen eingespielt haben und neue Prozesse und Routinen geschaffen werden, bedarf es der Anbahnung, Hilfestellung, Unterstützung. Diese soll bei Gender Mainstreaming, so sieht es das Konzept vor, Top-down von der jeweiligen Spitze der Verwaltung, der Organisation, der Regierung aus erfolgen. In den vier untersuchten Schulprojekten trifft dies auf unterschiedliche Weise zu. Herausragend ist das Projekt »Break the pattern!«, weil es auf nationaler Ebene mit der Absicht gestartet und erprobt wurde, einen landesweiten, flächendeckenden Prozess in den Schulen zu initiieren. Agneta als Vertreterin der nationalen Gleichstellungsbehörde und Maja als Vertreterin der Lehrergewerkschaft waren unmittelbar am Startprozess des Projekts beteiligt, mit dem auf kommunaler Ebene in allen Schulformen in großer Breite Erfahrungen gesammelt werden konnten. Simona und Evalotte auf Provinzialebene und Nora auf Kommunalebene brachten ebenfalls schulische Gleichstellungsprojekte auf den Weg. Dies geschah von der Provinzialebene aus, um Schulleiterinnen und Schulleiter zusammen mit kommunalen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern auf Kommunalebene durch den Start flächendeckender Projekte in den Prozess einzubinden. Vertreterinnen der Schulbehörde und der Universität waren bei diesen Prozessen eher am Rande beteiligt. Diese Befragtengruppe setzte sich aus Fachkräften unterschiedlicher außerschulischer Bereiche zusammen, die mit der Initiierung von Gender Mainstreaming-Prozessen im Schulbereich auf verschiedenen Ebenen befasst waren, einmal auf Regierungs-, regionaler und kommunaler Ebene (Agneta, Simona, Evalotte, Nora), des Weiteren auf der Ebene der Gewerkschaft (Ylva, Maja, Yvonne, Lisbet), die im Rahmen der Umsetzung von Gender Mainstreaming Konzepte zur Sensibilisierung für Genderfragen entwickelte wie auch Genderwissen und Methoden für den Schulbereich vermittelte. Ferner fanden Gespräche mit Genderprojektexperten und -expertinnen aus Schulaufsicht (Ulla) und Universi81
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tät (Elsbet, Maria) statt. Besonders bezogen auf die Schulprojekte »Break the pattern!«, »Gleich in Sundholm!«, »Gleichgestellte Schule – zu gleichen Bedingungen« und des Projekts »Mädchen oder Junge – spielt das eine Rolle? – gemeinsam für eine gleichgestellte Schule« wurden alle danach befragt, welche Erfolge bzw. Schwierigkeiten sie bei den Gender Mainstreaming-Prozessen beobachteten, welche Veränderungen aufgetreten waren, und wo Verbesserungen anzusetzen hätten. Über die Beantwortung der Fragen hinausgehend, sprachen die Expertinnen und Experten in den Interviews selbst Themen an, die sie im Hinblick auf Gender Mainstreaming-Prozesse in der Schule für wichtig hielten. Durch die Befragung des heterogenen, aus sehr unterschiedlichen Erfahrungsfeldern kommenden Kreises von Personen, die auf die Genderarbeit in der Schule blickten und auf sie Einfluss nahmen, erhielt ich Aufschluss über ihre Sicht auf drei Ebenen der Implementierung des Gender Mainstreaming-Prozesses im Schulbereich:
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erstens die Ebene des Initiierens des Gender Mainstreaming Prozesses bezogen auf Schulleitungs- und Schulebenen verschiedener Schulstufen, zweitens die Ebene der Sensibilisierung für Genderfragen, der Wissensvermittlung und des Methodenlernens bei Lehrerinnen und Lehrern und schließlich die Schulentwicklungsebene des Anbahnens planmäßiger, alltäglicher, konkreter Veränderungsarbeit durch die in der Schule Tätigen mit dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit.
2.1 Nationale Ebene, JämO (Gleichstellungsombudsman) Agneta, 1. Interview Agneta, eine der knapp 20 Angestellten der Gleichstellungsbehörde JämO und zuständig für Bildung und Schule, war eine der Beteiligten, die das Projekt »Break the pattern!«, auf den Weg brachte. Das erste Interview mit Agneta fand im Mai 2005 in den Räumen der Gleichstellungsbehörde JämO in Nyborg in deutscher Sprache statt. Ich kannte Agneta bereits von mehreren Telefonaten, in denen sie mir hilfreiche Kontakte zu weiteren Interview-Partnerinnen vermittelte.
Zusammenfassung Positiv wurde von Agneta beschrieben, dass JämO sich systematisch unterschiedlichen Zielgruppen in der Schule zuwendete, dass eine längere 82
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Prozessarbeit mit Lehrerteams in Gang gesetzt wurde, dass ein Fokus auf die Arbeit mit Schulleitungen gelegt wurde, dass die erarbeiteten Gleichstellungspläne sehr konkret waren und dass auch Jungen die Gleichstellungsarbeit positiv bewerteten. Hingegen stellte sie als negativ dar, dass einige Kolleginnen und Kollegen sich durch die Genderarbeit provoziert fühlten oder selbst andere provozierten und dass Abwehrprozesse einzelner Lehrer gegen externe Genderarbeiter in der Schule bewirkten, dass die Genderthematik nicht in die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern integriert wurde, sondern dass in der Folge Männer gegen Frauen agierten. Die Einbindung externer Hilfspersonen in die schulische Genderarbeit lasse sich in Zukunft verbessern.
Entwicklung der schulischen Gleichstellungsarbeit durch JämO Ihr Amt, so erzählte Agneta, existiert schon seit 1980. Es gibt jedoch kein Gesetz, das Schülerinnen und Schüler oder Pädagogik als Aufgabenfeld von JämO umfaßt, sondern lediglich den Regierungsauftrag, durch Rat und Information zur wachsenden Gleichstellung in der Schule beizutragen. 1998 führte JämO zum ersten Mal und aufgrund von zwei Faktoren ein Schulprojekt durch: Es hatte bei Festen an Gymnasien Ausschreitungen und »Spielchen« mit sexistischen Einschlägen gegeben, bei denen sich sowohl Mädchen als auch Jungen gekränkt fühlten. Zweitens waren Gruppenvergewaltigungen vorgekommen, die von Jugendlichen einer Schule oder sogar einer Klasse zwar außerhalb der Schule verübt worden waren, aber doch zu einem Schulproblem wurden. Agneta erzählt, dass ihre Chefin Briefe an das Schulamt, die Lehrergewerkschaft, Vereine, Verbände und verschiedene andere Stellen mit der Aufforderung schrieb, man müsse etwas unternehmen, weil die Schülerinnen und Schüler, wenn sie ins Arbeitsleben hinausgingen, mit dem Gesetz gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz konfrontiert werden würden. Wenn sie es in der Schule nicht lernen würden, könnten sie ihre Rechte im Arbeitsleben nicht wahrnehmen. Die Adressatinnen und Adressaten des Briefes antworteten nicht. JämO habe sich darauf hin entschlossen, das eigene Projekt zu starten: »Break the pattern!«. Dieses war verbunden mit der Zielsetzung, Methoden gegen sexuelle Belästigung in der Schule zu entwickeln. Es sei an zwei Schulen in Nyborg ausprobiert worden, einer hauptschulähnlichen mit dem Jahrgang 7-9 und der Oberstufe eines theoretischen Gymnasiums.5
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Es gibt in Schweden drei Formen studienvorbereitender, theoretischer Gymnasien neben 14 Formen berufsvorbereitender Gymnasien. 83
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An den beiden Schulen wurde sowohl hinsichtlich der Themen als auch methodisch das gleiche Programm für Schülerinnen, Schüler und Angestellte durchgeführt. Eine weitere Arbeitsgruppe sollte zusammen mit der Schulleiterin, dem Schulleiter und einer Repräsentantin oder einem Repräsentanten eines jeden Lehrerarbeitsteams gebildet werden, um einen pädagogischen Gleichstellungsplan mit konkreten Zielen für die Schulen zu entwickeln. Da sich herausstellte, dass die Angestellten wesentlich mehr Informationen benötigten als die Schülerinnen und Schüler, habe sich JämO entschlossen, mit letzteren nicht mehr weiter zu arbeiten. Agneta berichtet, dass jetzt an insgesamt vier Tagen und in zwei Stufen Lehrerfortbildungen zur Kompetenzentwicklung in Genderfragen angeboten werden. Das zweite Projekt, ebenfalls »Break the pattern!« aber auf regionaler Ebene, wurde aus dem ersten heraus mit der Absicht entwickelt, nicht nur zu sexueller Belästigung zu arbeiten, sondern allgemein zur Gleichstellungspädagogik. Agneta schildert, dass die Teams in Sundholm bei dem zweiten Projektdurchlauf eigene Schwerpunkte unter der Rubrik Gleichstellungspädagogik wählen konnten unter der Voraussetzung, dass sie sich in ihrer eigenen Vorschul- oder Schulklasse umschauten und die Probleme aus einer Gleichstellungsperspektive analysierten. Parallel dazu wurde im Rahmen des Projekts einen halben Tag mit den Schulleiterinnen und Schulleitern gearbeitet. Inzwischen sei eine Zusammenarbeit mit der Regionalregierung bei dem dritten Projekt »Mädchen oder Junge – spielt das eine Rolle?«, das den Fokus auf die Schulleitungen und auf die Kommunen lege, entstanden. Die Schulleiterinnen und Schulleiter erhalten dort eine dreitägige Ausbildung mit der Auflage, einen Strategieplan für die eigene Schule einzureichen.
Einleitung systematischer Veränderungensarbeit in Schulen In der Rückschau auf die drei von JämO gestarteten Schulprojekte wertet Agneta es positiv, dass sie alle unterschiedlichen Personalgruppen in den Schulen bei dem Bemühen, Prozesse in Gang zu bringen, erreichten und dass die Beteiligten die eigenen Wertevorstellungen reflektieren konnten. Agneta betont, man müsse systematisch vorgehen, wenn man Systemveränderungen erreichen wolle. Die Auswertung der Erfahrungen, die im Anschluss gemacht wurden, habe gezeigt, dass sowohl die Kommunikation von oben nach unten, also die Unterstützung durch die Schulleitungen, als auch die von unten nach oben, nämlich von den Schulen zu den Kommunalverwaltungen hin, wichtig sei. Es sollte ein Prozess initiiert werden, in dem es um die Bearbeitung eigener Wertevorstellungen geht. Dieser Prozess wurde in enger Zusammenarbeit mit 84
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den Schulleitungen von Schülerinnen, Schülern und Lehrerinnen, Lehrern und anderem Personal gleichermaßen durchlaufen. Wissensvermittlung allein reicht nicht aus, so Agneta, um gleichstellungspädagogische Arbeitsweisen an Schulen weiter zu entwickeln.
Längere Prozessarbeit im Lehrerteam Es ist positiv gewesen, die Arbeitsweisen erst einmal im Lehrerteam durchzuarbeiten, meint Agneta und schildert, wie die Lehrerinnen und Lehrer sich beispielsweise in die Herrschertechniken vertieften und im Arbeitsteam ihre Erfahrungen diskutierten. Agneta: »Ich finde, man muss das erst mal selber bearbeiten als Lehrer, bevor man diese ganzen Herrschertechniken weiter ausgibt an die Schüler und das thematisiert. Es muss also erst mal verankert werden bei dem Personal.«
Die Lehrerinnen und Lehrer konnten sich im zweiten Projekt den Schwerpunkt ihrer jeweiligen Gleichstellungsarbeit in der Schule aussuchen, nachdem sie eine Analyse des Istzustands erstellt hatten. Laut Agneta ist der Prozess durch die Fragestellungen in Gang gekommen. Jede Lehrerin, jeder Lehrer habe analysiert, in welcher Form die Herrschertechniken in der eigenen Arbeitsgruppe oder Klasse vorkamen. Agneta fügt hinzu, dass diese Aufgaben nicht isoliert bearbeitet wurden. Jede Arbeitsgruppe habe unter Anleitung gearbeitet und ein gemeinsames Niveau geschaffen.
Konkrete Gleichstellungspläne Agneta zufolge wurden die pädagogischen Gleichstellungspläne so konkret, dass man konkrete Maßnahmen abhaken konnte, wenn die selbst gesteckten Ziele erreicht waren. Bei Auswertungstreffen sei das Planerstellen sehr positiv aufgenommen worden, weil es so „handfest“ gewesen sei und andererseits nicht so umfangreich, sodass man es quasi nebenbei hätte erledigen können. Die Erstellung neuer Pläne sei daher von dem Gefühl getragen gewesen: »Das kriegen wir hin«. Agneta: »Das kann sogar Spaß machen. Und das hat mich eigentlich sehr gefreut. Und ich glaube, dass das eine ganz gute Erfahrung sein kann, dass man konkret werden kann. Man muss auch mal aus dieser Diskussionsphase rauskommen. Man muss auch mal aktiv werden. Dass man also sehen kann, auch die Aktionen, die man startet, die sind nicht Welt umwerfend, sondern die sind ganz konkret und die können auch interessant sein, mal zu gucken, was passiert, wenn man was startet.« 85
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Agnetas Neugier auf und Freude über die Ergebnisse der jeweils konkreten schulischen Gleichstellungsarbeit äußert sie einerseits aus ihrer Sicht als JämO-Vertreterin, die dieses Projekt auf den Weg gebracht hat, andererseits teilt sie diese Gefühle offensichtlich mit den am Projekt Teilnehmenden, die alltäglich in der Schule agieren.
Schnellere Entwicklungen bei den Schülerinnen und Schülern Überraschenderweise waren Schülerinnen und Schüler viel leichter für das Thema zu interessieren als die Erwachsenen, man weckte durch den Input starke Reaktionen, es entstanden heftige Diskussionen und es veränderte sich etwas. Agneta: »Man sieht eine Entwicklung bei den Schülern. Sie sprechen nach einem halben Jahr immer noch in anderen Termen, als sie das vorher gemacht haben. Bei den Angestellten braucht man 50-mal mehr Input, bevor man denselben Prozess erreichen kann.«
Anders als bei den Erwachsenen, bei denen Frauen und Männer in den Fortbildungen immer zusammen waren, arbeiteten sie mit den Schülerinnen und Schülern sowohl in gemischten als auch in geschlechtsgetrennten Gruppen. Agneta beschreibt es positiv, dass, obwohl der Ausgangspunkt sexuelle Belästigung in den Schulen gewesen sei, wie auch die Tatsache, dass Mädchen von Jungen gekränkt worden seien, die Projektleiterinnen und -anleiterinnen doch die Arbeit hätten so vertiefen können, dass man auch hätte sehen können, dass Jungen ebenfalls gekränkt würden. Man habe gemerkt, dass auch die Jungen es positiv werteten, nicht nur miteinander zu sprechen, sondern auch durch Werteübungen ihre Meinung mehr körperlich auszudrücken.
Enger Kontakt zur Schulleitung Im Rahmen des Projekts arbeiteten die Anleiterinnen und Anleiter zunächst nur jeweils einen halben Tag, parallel in den Angestelltengruppen und in den Gruppen der Schulleiterinnen und Schulleiter. Den Anleiterinnen wurde dabei wieder bewusst, wie viel von den Schulleitungen abhing. Agneta: »Wir haben gemerkt, dass unheimlich viel von der Bereitschaft der Rektoren sich da zu engagieren abhängig ist, inwiefern also interessierte Pädagogen da irgendwas initiieren können. Manchmal können sie das nur in ihrem eigenen Klassenraum machen und werden dann noch schief angeguckt von Kollegen und Rektoren, manchmal, der interessierte Rektor versucht also die 86
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Kompetenz, die es gibt, wahrzunehmen und Prozesse für die ganze Schule anzuleiten. Und das ist sehr abhängig von dem Wissensstand, von der Kompetenz der Schulleiter auf diesem Gleichstellungsgebiet und auch von deren Motivation, da was zu verändern.«
Agneta schildert, dass sie den Fokus auf die Schulleitungen setzten, da diese auch nach dem Schulgesetz für die übergreifende Gleichstellungsarbeit in der Schule verantwortlich sind. Sie versuchten, die Schulleiterinnen und Schulleiter dazu anzuregen, ihrem Auftrag zur tatsächlichen Gleichstellung gerecht zu werden. Das Projekt, das gleichermaßen Schulleitungen wie auch Personen aus Politik und Verwaltung ansprach, wurde in Zusammenarbeit mit der Provinzialregierung von Nyborg entwickelt und durchgeführt. Die Provinzialregierung forderte Kommunen dabei auf, jeweils drei Rektorinnen oder Rektoren zu entsenden und gleichzeitig zu gewissen Einsätzen auch jemanden aus dem kommunalen Schulverwaltungsbereich. Ihre Projektarbeit zielte bewusst auf Systemveränderung ab. Die Arbeit in zusammenhängenden Arbeitsgruppen wurde vorangetrieben. Agneta: »[…] damit es uns gelingt von den engagierten Einzelnen abzukommen, weil die gehen nämlich gegen die Wand, die werden ausgelaugt, und nachher sagt man dann, sie sind doch nicht zu gebrauchen, sieh es dir an!«
Agneta äußert sich überzeugt, dass das Genderwissen genauso alltäglich werden müsse wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Auf allen Niveaus müsse es ein Wissen darüber geben.
Widerstand von Kolleginnen und Kollegen Agneta berichtet von Gelegenheiten, bei denen sich Beteiligte provoziert oder unangenehm berührt fühlten oder auch selbst andere provozierten. Sie meint, solche Konflikte seien »normal« bei der Gleichstellungsarbeit. Man probierte dann, einen gemeinsamen Nenner zu finden und weiter zu gehen. Sie schildert einen Fall, der von dieser Norm abwich. Sie versuchten an einer Schule, die männlichen Lehrer zu versammeln, da es dort schon eine Gruppe von drei bis vier Kolleginnen gab, die die Mädchenarbeit starteten. Agneta: »Versucht also auch mal zu gucken, die Jungenperspektive reinzukriegen, und wie könnt ihr also diesem Projekt etwas Besonderes geben, dadurch, dass ihr Männer seid und wie könnt ihr die Jungen unterstützen? Und damit sind wir gewaltig auf die Nase gefallen, – wir haben einen Praxisanleiter geholt, der also in ´ner anderen Organisation arbeitet, der mit Jungen Therapie 87
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macht, aber er hat also das als einen Supervisionsauftrag gesehen. Und ich hatte das nicht als ´nen Supervisionsauftrag gesehen, sondern mehr als so ´ne Arbeitsgruppe. Was aber dabei ´rausgekommen ist, dass die Männer –, nicht selber über ihren eigenen Prozess hinausgekommen sind.«
Agneta berichtet, dass die Kollegen sich teilweise selbst kritisiert fühlten und ihre negativen Gefühle nach Beendigung des Projekts ins Kollegium hineintrugen. Es seien Prozesse entstanden, die sie als Initiatorinnen nicht mehr hätten auffangen können und es sei auf ein Gegeneinander von Frauen und Männern im Kollegium hinausgelaufen. Dies sei nicht ihre Absicht gewesen und habe sie traurig gemacht. Agneta sieht die negative Entwicklung in der Männergruppe nachträglich als Missverständnis an. Den von ihnen engagierten externen Begleiter treffe keine Schuld. Er habe für sich nicht falsch gearbeitet, sondern sei einfach nicht ausreichend in ihren Zusammenhang eingebunden gewesen. Agneta resümiert selbstkritisch, sie werde in nachfolgenden Projekten wieder Männer getrennt versammeln, aber sie werde gezielt andere Leute von außen dazu holen und sie besser in die Arbeit der Gruppen integrieren.
Agneta, 2. Interview Mit Agneta fand ein Jahr später 2006 ein zweites Gespräch statt. Inzwischen wurde in Schweden ein neues Gleichbehandlungs-Gesetz verabschiedet (Regeringens proposition 2005/06: 38). Das Gleichbehandlungsgesetz bezieht sich neben Gender auf Diskriminierungsursachen wie z. B. Ethnie, sexuelle Orientierung, Religion usw. Es fand 2006 ein Regierungswechsel statt von einer Mitte-links-Regierung zu einer Mitterechts-Regierung.
Zusammenfassung Es wurde als erfreulich gewertet, dass auf verschiedensten Ebenen Konzepte für eine dauerhafte Veränderung bestehen und dass die Veränderungsarbeiten gesetzlich abgesichert sind. Die neuen Gesetze wurden als positiv beschrieben. Weitere Anstrengungen wurden im Hinblick auf die Lehrerausbildung für nötig gehalten. Es wurde auf Schwierigkeiten bei der Erstellung von schulischen Gleichstellungsplänen durch die Rektorinnen hingewiesen und auf Irritationen bei den Rektorinnen und Rektoren über die Bedeutung von Gender in Gleichbehandlungsplänen und den Stellenwert von Gender in Bezug auf die einem Gleichbehandlungsplan zugrunde liegende Intersektionalität. Die Verknüpfung von Gender mit anderen Diskriminierungsgründen wurde als Gewinn betrachtet. 88
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Weiterentwicklung der schulischen Gleichstellungsarbeit Agneta betont, dass die zwei Projekte »Break the pattern!« sich im Hinblick auf ihre Schwerpunktsetzung unterschieden. Das erste Projekt habe sexuelle Belästigung fokussiert, das zweite habe einen offeneren Fokus gehabt, nämlich nicht nur auf sexuelle Belästigung, sondern auch auf Gleichstellungspädagogik und auf die Entwicklungsarbeit der Arbeitsteams in der Schule. Das dritte Projekt »Mädchen oder Junge – spielt das eine Rolle?« richtete laut Agneta den Fokus indes auf die Unterstützung der Schulleiterinnen und Schulleiter und fragte danach, wie man ihnen helfen könne, die Gleichstellungsarbeit an ihrer Schule voranzutreiben. Ihre Behörde sei mit dem Ergebnis erarbeiteter Konzepte auf vielen Ebenen in ihrer Projektarbeit erfolgreich gewesen, stellt Agneta fest.
Einflussnahme auf die Lehrerausbildung Sie berichtet von der Planung eines Seminars in Zusammenarbeit mit der Schulbehörde Skolverket, das sämtliche Lehrerausbildungsstätten als Zielgruppe habe, weil das neue Gesetz zur Gleichbehandlung die Lehrerausbildungsstätten nicht automatisch veranlasse, mehr Genderarbeit zu betreiben. Agneta schildert, wie ihre Behörde in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen aktiv die Entwicklung der schulischen Genderarbeit vorantreibt, indem sie auch in der Lehrerausbildung Impulse, Anleitungen und Hilfestellungen gibt und die Prozessarbeit mit Schülerinnen, Schülern, Lehrerinnen, Lehrern, dem gesamtem Personal, Rektorinnen, Rektoren, Kommunalpolitikerinnen und -politikern, Verwaltungsleuten um die Ebene der Lehrerausbildung erweitert. Auch dort gehe es darum, zu schauen, wie eine dauerhafte Verbesserung und Veränderung der Organisation Schule im Hinblick auf Gender erreicht werden könne.
Konkrete Durchführung von Gleichstellungsplänen Neben Gender werde mit dem Gleichbehandlungsgesetz auch ein Fokus auf Ethnizität gelegt wie auch auf sexuelle Orientierungen und auf Behinderungen usw. Dies sieht Agneta als zusätzlichen Vorteil an. Agneta: »Ich meine auch, dass die Zusammenführung der unterschiedlichen Diskriminierungsgrundlagen auch einen Vorteil haben kann, denn man muss intersektionalistisch denken. Man kann also auch gucken: Ethnizität hat auch etwas mit Gender zu tun, die Situation der ausländischen Schüler hat auch was mit Gender zu tun vielleicht. Lasst uns doch mal die Situation der auslän89
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dischen Schüler an unserer Schule mit ´ner Genderperspektive begucken. Lass uns doch mal die Situation der behinderten Schüler aus ´ner Genderperspektive begucken und was fällt uns da auf? So, das gibt dann noch ´nen Mehreffekt, ´nen Mehrwert irgendwo.«
Der Prozess der Rektorinnen und Rektoren braucht Zeit Im Projekt »Mädchen oder Junge« sei der Begriff der Gleichstellung mit verschiedenen Fokusbereichen gefüllt worden mit: Gewalt im Namen der Ehre, Männergewalt gegen Frauen, Homophobie, gleichen Rechten und Pflichten für Mädchen und Jungen, berichtet Agneta. Die Rektorinnen und Rektoren waren in der Regel von dem neuen Wissen beeindruckt, aber es zeigten sich Schwierigkeiten beim Erstellen der Gleichstellungspläne. Agneta: »Was wir natürlich gemerkt haben, dass wir doch sehr überrascht sind, dass wir sehen, sie nehmen an den Ausbildungen teil, sie diskutieren, sie machen auch Sachen, sie wollen auch Sachen in den Schulen verändern, aber das dann in einem Plan auszudrücken, da gibt es noch ´ne Diskrepanz.«
Laut Agneta waren die Rektorinnen und Rektoren vor allem mit strukturellen Dingen beschäftigt und mit der Frage, wie man einen Plan schreibe. Agneta stellt fest, dass die Schulleiterinnen und Schulleiter selbst relativ wenig Vorwissen hätten und sich in den Plänen darauf konzentrierten, wie sie genderpädagogisches Grundwissen vermitteln könnten. Ihre Pläne hätten meistens die Frage thematisiert, wie die Kolleginnen und Kollegen eine Kompetenzausbildung als Basis erhalten könnten. Agnetas Einschätzung zufolge seien die verschiedenen Fokusbereiche in den Aktionsplänen nicht alle deutlich geworden. Agneta: »Und damit war eigentlich schon die Zeit ab des nächsten Schultermins ausgefüllt. Und ich hatte da so´ n kleines Aha-Erlebnis: so muss es ja auch sein. Auch diese Phase muss Zeit nehmen. Man muss das Grundwissen haben, bevor man dann in der Praxis irgendetwas umsetzen kann. Das ist das, was ich gelernt habe, als ich so geguckt habe, wie die Schulleiter das angenommen haben und was die daraus gemacht haben, und ich hab da auch Verständnis für.«
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Nachweisen konkreter Schritte Agneta gibt die Fragen etlicher Schulleiterinnen und Schulleiter wieder, ob ihre Arbeit mit den Gleichstellungsplänen umsonst gewesen sei, wenn das neue Gesetz sie doch zwinge, Gleichbehandlungspläne zu erstellen. Agneta: »Und da will ich nur sagen: nein. Laut Lehrplänen müsst ihr immer noch eine genderpädagogische Arbeit betreiben und die müsst ihr auch dokumentieren. Und das ist das, was ihr gelernt habt in dem Projekt. Was die Gleichbehandlungspläne betrifft, ist eine genderpädagogische Arbeit ein unerhört wichtiger Teil für die präventive Arbeit und von daher könnt ihr dieses Projekt auch im Zusammenhang mit dem Gleichbehandlungsplan beschreiben. Es reicht allerdings nicht aus, wenn ihr das nur macht, sondern ihr müsst in einem Gleichbehandlungsplan auch nachweisen wie ihr vorbeugend mit den anderen Diskriminierungsgründen arbeitet und ihr müsst außerdem einen ordentlichen Plan haben, in dem ihr aufzeigt, was ihr tut im Fall von vorkommenden Kränkungen.«
Agneta erklärt, dass in dem Plan genau beschrieben werden müsse, was sexuelle Belästigungen seien. Diese Beschreibungen müssten auch für Schülerinnen und Schüler verständlich sein. Außerdem müsse aus dem Plan hervorgehen, welche Schritte zu unternehmen seien, damit die Belästigungen nicht mehr vorkämen. Es sei bei den Schulleiterinnen und Schulleitern die Frage aufgekommen, ob man mit der Erstellung eines Gleichstellungsplans im Hinblick auf den neuerdings für die Schulträger vorgeschriebenen Gleichbehandlungsplan nicht eigentlich Zeit vergeude. Das sieht Agneta anders, denn Gleichstellung müsse als ein Bestandteil der gesamten Gleichbehandlung gesehen werden. Ob die Gefahr bestehe, dass die anderen Diskriminierungsgründe wie Behinderung, sexuelle Orientierung, Ethnizität ein Übergewicht erhalten und Gender herausfalle, müsse man abwarten. Der spezifische Auftrag des Gender Mainstreaming bestehe ohnehin nach wie vor.
2.2 Lehrergewerkschaft Ylva, nationale Ebene Ylva, die hauptamtlich seit vielen Jahren bei der Nationalen Lehrergewerkschaft arbeitet, leitete zum Zeitpunkt des Interviews das Gleichstellungskomitee und darüber hinaus ein Komitee, das in Zusammenhang mit dem neuen Gleichbehandlungsgesetz gebildet worden war, in dem die Ombudsleute der verschiedenen Diskriminierungsursachen (Ethnie, 91
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Klasse, Religion, Behinderung, sexuelle Orientierung) kooperieren. Das Interview fand in ihrem Büro der Gewerkschaft in Nyborg in englischer Sprache und in kollegial freundlicher Atmosphäre im Herbst 2006 statt.
Zusammenfassung Die, wie sie selbst von sich sagte, „optimistische“ Gewerkschafterin Ylva war sich klar darüber, dass Veränderungsarbeit für Gleichstellungsziele in der Schule einer Unterstützung von oben bedarf. Sie muss, so Ylva, offiziell zugelassen sein. Die Schulleiterinnen und Schulleiter müssten dahinter stehen und die Regierung ebenso. Wenn die Nationale Gleichstellungsbehörde die Gewerkschaftsaktivitäten mittrage, erhöhe dies die Attraktivität von Genderfragen für Lehrerinnen und Lehrer. Falls eine Unterstützung von höherer Stelle nicht der Fall ist, sah Ylva die Notwendigkeit der gewerkschaftlichen Lobbyarbeit für Gleichstellungsziele gegeben. Weil viele Kolleginnen und Kollegen Widerstände gegen die Genderarbeit hätten, sei es nutzlos, Rezepte auszugeben. Jede Person müsse selbst an Genderfragen arbeiten. Mit den Fortbildungen »Break the pattern!« für Lehrerinnen und Lehrer gehe die Lehrergewerkschaft erfolgreich voran.
Die Aufwertung von Genderfortbildungen durch die Kooperation mit JämO Seit vielen Jahren versuche man in der Lehrergewerkschaft, mit Gleichstellungsfragen zu arbeiten, berichtet Ylva. Bevor JämO ihnen die Zusammenarbeit im Projekt »Break the pattern!« angeboten habe, hätten sie mit ihren Genderveranstaltungen nicht viele Personen erreicht. Ylva erklärt sich die starke Nachfrage nach den gemeinsamen Fortbildungsveranstaltungen dadurch, dass die Zusammenarbeit mit JämO den Genderfragen einen „anderen Status“ gegeben habe. Das Fortbildungsangebot werde jetzt sehr gut angenommen. Seit fünf Jahren veranstalteten sie die Fortbildungsreihe gemeinsam mit JämO. Die Lehrerinnen und Lehrer seien interessiert an theoretischem Wissens- und Kompetenzerwerb in Bezug auf Gender. Auf Initiative ihrer Gewerkschaft sei jetzt ein zweiter Teil der Fortbildung »Break the pattern!« hinzugekommen. Ihre Idee, einen Fortsetzungsteil anzuhängen, sei von JämO begrüßt worden. Die Teilnehmenden des ersten Teils können erst eine Weile in der Schule Erfahrungen sammeln und dann zu einem späteren Zeitpunkt den zweiten Teil der Fortbildungsreihe besuchen.
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Genderfortbildungen für alle Funktionärinnen und Funktionäre der Gewerkschaft Ylva verweist auf Beschlüsse, nach denen innerhalb der Gewerkschaft mit Gleichstellungsfragen gearbeitet werden muss. Sie meint, dass gewählte Funktionärinnen und Funktionäre zusätzliche Kompetenz in Genderfragen benötigen. Seit einem Jahr werde ein Spezialkurs zur Integration der Genderperspektive in alle Entscheidungen, also zu Gender Mainstreaming, für alle Funktionärinnen und Funktionäre angeboten. Die Lehrergewerkschaft biete sehr viele Kurse an, in die alle eine Genderperspektive integriert werden solle. Ylva fügt hinzu: »And it isn’´t easy!«. Sie vermutet die Ursache für diese Tatsache darin, dass viele Kolleginnen und Kollegen skeptisch waren, weil die Arbeit mit Gleichstellungsfragen bestehende Meinungen und eingeschliffenes Verhalten berührte. Obwohl sie als Gewerkschaft schon länger mit Genderfragen arbeiteten und die Beschlusslage für Gender Mainstreaming klar sei, gebe es Kolleginnen und Kollegen, die sagten: »But what shall I do? I don’t know what to do!« Ylva meint, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter könnten nach dem Besuch der Fortbildungen multiplikatorisch fungieren, da sie viele Kontakte in Schulen hätten. Ylva: »In the beginning we worked only, it’s only important in school but today we realise that every teacher has to internalise, and ask him or herself: How do I integrate gender questions in my lessons and so on. And it isn’t enough with these gender courses, we have to work in our organisation too because our elected members meet a lot of other teachers who work in school, so it is another way to reach the goal.«
Die Arbeit in den Schulen reicht nach Ylvas Ansicht nicht aus. Es müsse auch innerhalb der Organisation selbst mit Gender gearbeitet werden. Im letzten Jahr habe es einen zweitägigen Kurs über Genderfragen innerhalb der Gewerkschaft gegeben. Anschließend hätten die Teilnehmenden in ihren verschiedenen Ressorts mit den jeweiligen Leiterinnen und Leitern spezielle Methoden für die Arbeit mit Gender Mainstreaming erarbeiten sollen. Obwohl diese Aktion laut Ylva keinerlei Resultat zeitigte, wertet sie diese positiv. Es sei ein erster Schritt gewesen mit der Folge, dass die Kolleginnen und Kollegen sich jetzt um mehr Wissen bemühen. Die Entwicklung komme auch dadurch voran, dass neu eingetretene jüngere Kolleginnen und Kollegen interessierter seien. Für sie und ihre Kolleginnen und Kollegen gebe es im nächsten Jahr einen Kurs, bei dem sie mehr als einen Schritt in Richtung Gender Mainstreaming gehen würden, vielleicht drei oder vier Schritte. Da solle keine »Mauer« exis93
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tieren. Das Bild der Mauer wird von Ylva mehrfach verwendet. Sie erklärt es selbst beispielsweise damit, einerseits die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen, aber auf der anderen Seite auch bestehende Beschlüsse zu ignorieren. Ylvas Zuversicht resultiert aus jahrzehntelanger Gewerkschaftsarbeit. Für sie geht es voran, »but it takes time and it’s very slow.« Dieses Erfahrungswissen über Gewerkschaftsarbeit insgesamt gelte auch für Genderfragen.
Vermittlung von Genderwissen an Schulleiterinnen und Schulleiter Die Rolle der Schulleitungen sei wichtig, denn wenn diese nicht einverstanden seien mit der Genderarbeit, ändere sich nichts. Ylva spricht die Systemfrage an, wenn sie sagt, es gehe nicht um die Arbeit einzelner engagierter Kolleginnen und Kollegen, sondern darum, dass insgesamt Genderfragen überall berücksichtigt werden würden. Dieses sicher zu stellen, sei Aufgabe der Schulleitung. Ylva: »But you have to have your headmaster with you in school. We always talk about that. If you shall work with equal opportunity questions you have to have your boss on your side. He or she must say: we shall work with these questions. But if the headmaster doesn’t agree with that you can go on as you always have done.«
Nach Ylvas Überzeugung ist es genauso wichtig, die Schulleiterinnen und Schulleiter zu überzeugen, wie die Lehrerinnen und Lehrer oder Funktionärinnen und Funktionäre auf seiner Seite zu haben. Sie erzählt, dass sie in der nächsten Woche eine Konferenz mit Schulleiterinnen und Schulleitern durchführen würden, auf der ein Schulleiter aus Nyborg über die Genderarbeit an seiner Schule berichten werde. Auch wenn es bei Veranstaltungen insgesamt um andere Fragen gehe, sei es wichtig, bei jedem Treffen und sei es nur für zwei Stunden, Genderfragen zu erörtern.
Gewerkschaftsstrategie »Frauen und Männer gemeinsam« Ylva spricht das Thema der zahlenmäßigen Präsenz von Frauen und Männern an und berichtet von einer langen Diskussion darüber, den Prozentsatz der 20% männlichen Lehrer gegenüber 80% Lehrerinnen in der Grundschule zu erhöhen. Vor allem aber komme es ihrer Meinung nach darauf an, wie man Genderfragen behandle.
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Ylva: »For 10 years ago we discussed that we will have more male teachers, because we thought that it was important, – as today there are more women teachers than men – but we have found out that it depends on who teaches. It is more important that the teacher knows about gender questions. How you treat boys and girls that is more important.«
Wenn männliche Lehrer in eine Gruppe von weiblichen hinzukommen, meint Ylva, bestehe leicht die Gefahr, dass sich dadurch traditionelle Muster verstärken könnten. Sie sei trotzdem der Meinung, dass es leichter sei, mit Genderfragen zu arbeiten, wenn man einen Mann dabei habe. Ylva: »I have this strategy in the Union that we shall never go out and meet teachers or elected teachers in groups of only women or only men, because we have to show that we can work with these questions together. It’s an important strategy that I have found out and until now I can see that there has been a result. More men show an interest for gender questions in this department and in the Union.«
Ylva hebt als positives Resultat der Gewerkschaftsstrategie »Frauen und Männer gemeinsam« hervor, dass sich inzwischen innerhalb der Gruppe der Hauptamtlichen mehr Männer für Genderfragen interessieren würden. Es komme bei dem Auftreten der Gewerkschaft nach außen hin darauf an, nicht einzelne Gruppen als geschlechtsgetrennte anzusprechen. Es gebe momentan in den Gewerkschaften die Strategie, Männer zu finden, die bereit seien, über Genderfragen zu sprechen, weil es in vielen Gewerkschaften bislang Tradition gewesen sei, dass vor allem Frauen mit Genderfragen arbeiten würden. Ylva betont, dass es sehr wichtig gewesen sei, dass Frauen diese Arbeit übernommen hätten. Heute sei man aber in einer Situation, in der dies nicht genug sei. Es gebe Beschlüsse der Lehrergewerkschaft, überall in allen Entscheidungen Gender Mainstreaming zu integrieren. Die Notwendigkeit des gemeinsamen Vorgehens verdeutlicht sie im Zusammenhang mit der gegenwärtig in Schweden öffentlich sehr präsenten Lohndiskussion. Es dürfe nicht sein, dass Männer für sich bessere Löhne aushandeln, als es Frauen möglich sei. Sie habe etwas Angst davor, dass eine solche Entwicklung auch im Schulbereich eintrete. Ylva: »I am a little worried about a new salary system we have had for five years in which the salary is individual: You have to go to your headmaster and say: This is the salary I am asking for. They don´ t pay the same for every teacher. You have to talk for your money. And maybe we will see this situation that in five years maybe male teachers will have more pay than women,
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maybe. I´ m worried about that. I hope it will not happen but I ´m a little bit worried, because when you look outside the school you can see this.«
Vor dem Hintergrund der Lohnfrage misst Ylva der innergewerkschaftlichen Auseinandersetzung mit Genderfragen eine zusätzliche Brisanz zu.
Verlangen nach Rezepten Ylva schildert, dass es ihr vor fünf Jahren so vorgekommen sei, als wisse nur sie selbst über Genderfragen Bescheid. Inzwischen gebe es mehr Kolleginnen und Kollegen, die darüber etwas wissen. Sie meint, dass die Jüngeren inzwischen mehr Kenntnisse darüber hätten als Leute ihres Alters und weist auf die Problematik hin, das eigene Genderunwissen erst einmal selbst erkennen zu müssen. Zu denken, man sei gleichgestellt, obwohl dies in Wirklichkeit nicht zutreffe, sei ein großes Problem. Die Gewerkschaft biete Wissen u.a. in Form von Broschüren an, aber wenn jemand nicht interessiert sei, sei es schwierig, das Wissen zu vermitteln. Es sei eine gewisse Eigenarbeit erforderlich, zu lesen und sich theoretische Kenntnisse anzueignen. Ylva: »Many teachers they ask for a recipe and there is no recipe, you have to find out for yourself what to do. I think there is a difficulty and I think there are a lot of good examples, you can find good presentations, but in the end you have to do it in your own way.«
In dieser Sequenz beschreibt Ylva den Kern eines der Probleme der Genderarbeit. Für diese wollten viele Kolleginnen und Kollegen Rezepte bekommen – es müsse aber ein eigener Weg entwickelt werden.
Genderarbeit unter aktuellen politischen Bedingungen Die Delegation für die Vorschule6 hat laut Ylva viele Vorschläge für schulische Genderarbeit gemacht, von denen sie nicht wisse, wie es damit unter der neuen Mitte-rechts-Regierung weitergehe. Die Lehrergewerkschaft werde sich dafür einsetzen, dass die begonnene Arbeit für die folgenden Schulstufen fortgesetzt werde. Ylva erwägt, dass das
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2003 von der Ministerin für Vorschulerziehung Lena Hallengren eingerichtete Untersuchungskommission über die Gleichstellungsarbeit in der Vorschule, die 2006 ihren Abschlussbericht »Gleichstellung in der Vorschule – die Bedeutung von Gleichstellung und Gender in der vorschulpädagogischen Arbeit« (Übers. d. Verf.) vorlegte. (Vgl. SOU 2006: 75).
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Konzept Gender Mainstreaming trotz guter Gesetze u.U. die Unterstützung von Gewerkschaftsseite benötige, falls die neue Regierung nicht an die Errungenschaften der alten anknüpfen sollte.
Abfassen von Handlungsplänen Nach Gleichstellungsplänen in der Schule befragt, antwortet Ylva, dass immer mehr Schulen vor allem auf Initiative von Genuspädagoginnen und -pädagogen, Gleichstellungspläne erstellten. Für die Gewerkschaft seien diese Pläne eine gute Möglichkeit, mit der Kommune ins Gespräch zu kommen. Ihre Gewerkschaft bildete ihre Funktionärinnen und Funktionäre darin aus, Gleichstellungspläne zu erarbeiten, wenn auch bislang die Kommunen diejenigen seien, die die Gleichstellungspläne haben müssten. Persönlich hat Ylva Schwierigkeiten mit den Plänen. Sie hält zwar das neue Gesetz zur Erstellung von Gleichbehandlungsplänen an solchen Schulen für wichtig, an denen es mit der Atmosphäre Probleme gibt. Sie denkt, dass dort Schülerinnen oder Schüler und Lehrerinnen oder Lehrer gemeinsam überlegen müssten, wie es besser werden könne. Andererseits vertritt sie aber die Auffassung, dass man das Verhalten von Menschen nicht durch Gesetze ändern könne und setzt dementsprechend wenig Hoffnung in allgemeine schulische Gleichstellungs- oder Gleichbehandlungspläne. Sie kenne viele Schulen, die die Diskussion über Gleichstellungspläne bislang nicht aufgenommen hätten. Es gebe zwar niemanden, der die Notwendigkeit öffentlich bestreite. Dennoch könne man die Bedeutung von Gender leugnen, die Augen davor verschließen oder einfach untätig sein. Die Erfahrungen und das Wissen aus der Debatte um die Gleichstellung der Geschlechter sei wichtig, um vor diesem Hintergrund auch die anderen Diskriminierungsgründe zu diskutieren. Früher hätten sie gedacht, die Gleichstellungspläne seien für die Schulen besonders wichtig. Inzwischen sei ihnen klar, dass jede Lehrerin und jeder Lehrer die Problematik internalisiert haben müsse. Am Ende des Interviews bemerkt Ylva, dass man optimistisch sein müsse, wenn man mit Gender arbeite, wenngleich man oft an eine »Mauer« gelange. Mit der »Mauer« meint sie Ignoranz, Unwissen, Widerstand, auf alle Fälle etwas, das die Arbeit stoppt.
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Maja, Provinzialebene Erstes Interview zusammen mit Hanna, zweites zusammen mit Yvonne und Lisbet Maja arbeitet seit zehn Jahren hauptamtlich bei der Lehrergewerkschaft, bei der auch Ylva tätig ist, und in der 215 000 Pädagoginnen und Pädagogen aller Schulformen von der Vorschule bis zur Hochschule organisiert sind. Vorher war sie zwanzig Jahre lang selbst Lehrerin. In ihrer regionalen Organisationseinheit war Maja u.a. zuständig für Gleichstellungsfragen. Sie vertrat die Gewerkschaft in einer nationalen Arbeitsgruppe, in der sie das JämO-Gleichstellungsprojekt »Break the pattern!« mitplante, und arbeitete zum Zeitpunkt des ersten Interviews 2003 weiterhin im Komitee der Lehrergewerkschaft auf nationaler Ebene zu Gleichstellungsfragen mit, auf der das erste Pilotprojekt »Break the pattern!« angesiedelt war. Beim zweiten Interview 2004 war sie inzwischen zur Vorsitzenden ihres Regionalbezirks avanciert und hatte die regionale Genderarbeit an ihre Kolleginnen Yvonne und Lisbet delegiert. Beide Interviews fanden im Gewerkschaftsbüro im Zentrum der Universitätsstadt Sundholm statt, einer von 24 Verwaltungsgliederungen und gleichzeitig einem der drei Großstadtbereiche Schwedens. Die Gespräche wurden hauptsächlich mit Maja und in englischer Sprache geführt. Bei dem ersten Interview war Hanna, Kommunalpolitikerin und ehemalige Lehrerin dabei, beim zweiten Interview waren die beiden bei der Gewerkschaft teilzeitangestellten Lehrerinnen Yvonne und Lisbet beteiligt. Während der Interviews konnten Maja und ich uns über die Sprachbarriere Englisch hinweg deshalb sehr gut verständigen, weil wir einen ähnlichen Erfahrungshintergrund teilen und uns gleichermaßen in gewerkschaftlichen und schulischen Gleichstellungsfragen engagieren. Beide Gespräche verliefen in einer kollegial freundlichen bis fröhlichen Atmosphäre.
Zusammenfassung Maja beschrieb es als positiv, dass ihre Gewerkschaft auch auf höchster Ebene eine Genderperspektive einnehme und die Genderfrage innerhalb der Gewerkschaft eine so hohe Bedeutung habe. Zudem sei erfreulich, dass sowohl für Funktionärinnen und Funktionäre als auch für Kolleginnen und Kollegen in den Schulen Hilfen für den Start von Genderarbeit angeboten würden. Wichtig sei, dass bei dieser Frage alle von ganz oben bis ganz unten einbezogen werden müssten. Negativ bewertete Maja die Unwissenheit vieler Kolleginnen und Kollegen und die Personalisierung von Genderfragen im allgemeinen Umgang durch männliche Kollegen. 98
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Genderperspektive auf höchster Ebene der Lehrergewerkschaft Maja berichtet, dass das Nationale Komitee für Gleichstellungsfragen ihrer Gewerkschaft, dessen Mitglied sie ist, aus insgesamt fünfzehn Personen bestehe. Gender betreffende Beschlüsse beziehen sich Maja zufolge sowohl auf Mitglieder und auf Gewerkschaftsangestellte also auf die Gewerkschaft intern wie auch auf die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen. Trotz vieler Genderaktivitäten auf unterschiedlichen Gebieten gebe es mehr zu tun, als man zeitweilig angenommen habe. Gleichstellungsfragen seien auch in Schweden keine Selbstläufer. Maja: »Here a lot of things are going on in different sections. When you put it all together you can get quite astonished that so many things are happening. Because we in Sweden, been kind of laid back before. We thought that everything was going to roll on by itself. And when we looked at it, it was much worse than we thought. You might think that it’s very good, but when we look at it there are so many more things to be done.«
Maja zeigt sich mit dem bislang Erreichten noch lange nicht zufrieden, wenn sie auch mit ihrer Schilderung der Entwicklung des Projekts »Break the pattern!« die Tatkraft der Gewerkschaft unter Beweis stellt. Sie selbst hat auf nationaler Ebene die Pilotphase des JämO-Projekt mit entwickelt, das in der zweiten Phase breiter verteilt auf alle Schulformen in ihrem Regionalbezirk durchgeführt wurde. Der Beitrag der Gewerkschaft bestand in der Vermittlung von Erfahrungen und Kontakten. Maja betont, dass in der nationalen Gruppe inzwischen alle anstehenden Fragen aus einer Genderperspektive betrachtet würden. In der Gewerkschaft seien z. B. 80% Frauen organisiert. Auf Kongressen ergriffen aber mehrheitlich Männer das Wort. Diesen Widerspruch versuche man künftig durch eine Veränderung der Tagungsform, beispielsweise kleinere Gruppen, aufzulösen. Maja nimmt den Auftrag, die stereotypen Geschlechtermuster aufzulösen, zu brechen (»We have to break the pattern«) sehr ernst. Im zweiten Interview schildert sie als einen Erfolg ihrer Arbeit, wie sie erstmalig erlebt habe, dass auf einer Delegiertenversammlung, bei der es eigentlich um andere Themen gegegangen sei, auch Genderfragen diskutiert worden seien. Maja: »But last Monday when I was in Nyborg, representative assembly of the Union there were 150 persons in Nyborg. We were talking about working time. It was the first time I’ve been there – I think I’ve been there for five or six years in this speaker group – but it was the first time we talked about gen99
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der and there were a lot of questions, what would women say and men? It was very interesting that’s a lot of people talk about the result.«
Mithilfe der Genderperspektive ließen sich Maja zufolge traditionelle Routinen auf einem Gewerkschaftskongress aufbrechen. Die Gewerkschafterin schildert, wie ein scheinbar geschlechtsneutrales Thema, die Arbeitszeit, auf der Versammlung zum Anlass für allgemeine Genderdiskussionen geworden sei. Denn der Aspekt, was Frauen dazu zu sagen hätten, sei nicht genug zum Tragen gekommen. Es zeigte sich, dass mehr Männer über eine längere Zeit hinweg gesprochen hätten, obwohl in der Gewerkschaft mehr Frauen als Männer organisiert seien. Im Ergebnis habe man zu einer Tagungsform gefunden, die es Frauen ermöglichte, das Wort zu ergreifen.
Große Bedeutung der Genderfrage in der Lehrergewerkschaft Maja erzählt, dass sie auch in der regionalen Gendergruppe, für die sie verantwortlich ist, und der drei Frauen und drei Männern angehören, beim Einnehmen einer Genderperspektive Ungleichheiten bemerke, nämlich beispielsweise die ungleiche Verteilung von Frauen und Männern bei der Wahrnehmung verantwortlicher Posten innerhalb der Gewerkschaft. Maja: »I think that of all the teachers in Sweden, we are 80% women and, you can see it in the Union. You can see it, in there are mostly men, they have positions as chairmen. If you look inside the Union, there are about 80% women teaching, and if you look here in this house, there are 50% men and 50% women. So we want to look at that too, that the chairmen are often male.«
Mit dem Verweis auf das Gewerkschaftshaus, in dem wir uns befinden, betont Maja, dass die ungleiche Verteilung der Geschlechter verändert werden müsse. Zunächst gehe es besonders darum, sich über Genderfragen weiterzubilden und Methoden kennenzulernen, um Differenzen herauszufinden. Das Genderlernen innerhalb der Gewerkschaft anzuregen, sei auch deswegen notwendig, weil man sich mit den von der Kommune zu erstellenden Gleichstellungsplänen auseinandersetzen müsse. Ein Jahr später übernahmen Yvonne und Lisbet die Verantwortung für die regionale Gruppe. Zum Zeitpunkt des Interviews fühlten sie sich noch überhäuft mit Arbeit, weil sie auch mit anderen als Genderfragen in der Gewerkschaft zu tun hatten. Ihre Gruppe tagt jeden Monat. Yvonne und Lisbet erzählen, dass ein Mann abgesprungen sei. Der Grund dafür wird nicht genannt. Drei oder viermal im Jahr gibt es Ver100
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sammlungen mit allen 50 Angestellten des Hauses. Dort haben Yvonne und Lisbet über Genderfragen gesprochen und waren nach ihren eigenen Worten sehr erfolgreich. Sie seien bei den Kolleginnen und Kollegen auf einen hohen Bewusstheitsgrad in Genderfragen gestoßen. Die beiden Gewerkschafterinnen erzählen, die Kolleginnen und Kollegen hätten ihnen das Gefühl gegeben, sie verstünden, worum es ginge, dass sie diese Fragen etwas angingen und sie selbst etwas dafür tun müssten. Lisbet: »They don’t fall asleep! They are quite interested and, I think we have a, how do you say, raised level of awareness in this house, I´m sure we have, and, I mean, people are interested and they are concerned and they feel : it’s our question, it’s right for us to do it. When we started, there was very much more >It’s a women’s question”It’s our fault and we should solve itblack