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German Pages 354 [356] Year 1993
Jochem Hennigfeld Geschichte der Sprachphilosophie
Jochem Hennigfeld
Geschichte der Sprachphilosophie Antike und Mittelalter
W DE G_ 1994 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufriahme
Hennigfeld, Jochem: Geschichte der Sprachphilosophie / Jochem Hennigfeld. — Berlin ; New York : de Gruyter. Antike und Mittelalter. - 1993 ISBN 3-11-013981-2
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Copyright 1993 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechdich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon G m b H , Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin
Für Maria, Ursula und Michael
INHALT
EINLEITUNG I. H E R A K U T Die Ambivalenz des Namens 1. Lògos und Sprache 2. Sprache und ónoma II. PARMENIDES Sein und Sprechen 1. Lògos und Sprache 2. Sprache und ónoma
1
4 4 8
14 14 16
III. PLATON Die Grundlegung der Sprachphilosophie 1. Die sprachphilosophische Diskussion vor Piaton . . . 2. Die Richtigkeit der Namen: Kratylos 3. Die Wesensbestimmung des lògos: Theaitetos, Sophistes 4. Der Sprachskeptizismus des Siebten Briefes
23 23 27 54 66
IV. ARISTOTELES Die Wesensbestimmung der Sprache im Horizont der Logik 1. Die Sprachbestimmung in De interpretatione (Kap. 1-5) a) Die Vermittlungsfunktion der Sprache b) Die Wesensbestimmung des ónoma c) Die Wesensbestimmung des rhêma d) Die Wesensbestimmung des lògos e) Die Wesensbestimmung des lògos apophantikòs . 2. Sprachanalyse in Poetik und Rhetorik
71 71 71 78 85 89 91 94
V. DIE STOA Laut und Bedeutung 1. Die Philosophie und ihre Teilgebiete
104 104
Vili
Inhalt
2. Dialektik I: Über die Stimme 3. Dialektik II: Über das lektón
108 114.
VI. AUGUSTINUS Außeres Zeichen und inneres Wort 125 1. Das Wort als Zeichen: De dialéctica 125 2. Die Abwertung der Sprache: De magistro 133 3. Das Wort in der christlichen Verkündigung: De doctrina Christiana
4. Das Wort Gottes: De trinitate
146
153
VII. ANSELM VON CANTERBURY Wort und Bedeutung 168 1. Das Wort Gottes: Monologion 168 2. Das Sprachproblem des ontologischen Arguments: Proslogion 174 3. Bedeuten und Benennen: De grammatico 177 4. Die Wahrheit der Rede: De ventate 182 VIII. THOMAS VON AQUIN Die Aufwertung des Zeichens 189 1. Die Wesensbestimmung der Sprache in De ventate . . 190 a) Das Wesen des Wortes (q. 4) 190 b) Die Sprache der Engel (q. 9) 194 c) Das belehrende Wort (q. 11) 199 2. Theologie des Wortes: Summa theologiae 209 a) Die Benennbarkeit Gottes (I, q. 13) 210 b) Merkmale des Wortes und der Sprache 216 3. Das innere Wort: Super evangelium S. Ioannis lectura . . . 223 4. Die Entstehung der Sprache: In libros Perì Hermeneias expositio 228 IX. MEISTER ECKHART Das mystische Wort 236 1. Gottes Schöpfung als Wortung: Lateinische Werke . . . 236 2. Die Verkündigung des Unaussprechlichen: Deutsche Predigten 248 X. WILHELM VON OCKHAM Die Logik der Zeichen: Summa logicae 1. Der Terminus (I, 1-4)
260 261
Inhalt
2. Der Name (1,5,10-12) 3. Das Universale (1,14,15) 4. Die Supposition (I, 33,63,64)
IX
268 272 278
XI. NIKOLAUS VON KUES Präziser Name und menschliches Wort 292 1. Der Aufstieg zum nomen ineffabile: Idiota de mente . . 292 2. Die Welt als Zeichen: Compendium 303 RÜCKBLICK
316
LITERATURVERZEICHNIS
327
NAMENREGISTER
338
SACHREGISTER
341
EINLEITUNG
Ernst Cassirer hat 1923 in seinem ersten Band zur Philosophie der symbolischen Formen festgestellt, daß eine Darstellung der Geschichte der Sprachphilosophie ein Desiderat sei ( 2 1953: 55 Anm. 1). Diese Feststellung trifft auch heute — etliche Jahre nach dem ,linguistic turn' und nach der Hochkonjunktur sprachphilosophischer Publikationen - noch zu. Zwar war die in zwei Teilen publizierte Nachschrift der Vorlesungen Eugenio Coserius {Die Geschichte der Sprachphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart, Tübingen 2 1975, 1972) ein wichtiger Schritt; aber auch dieser Versuch blieb vorläufig und unvollständig. Dem Mangel einer Gesamtschau steht eine nur noch schwerlich zu überblickende Fülle von Untersuchungen gegenüber, in denen sprachphilosophische Ansätze einzelner Autoren oder Teilaspekte der historischen Entwicklung philosophischer Sprachreflexion thematisiert werden. Eine Orientierung fällt um so schwerer, als die genuine Frage der Sprachphilosophie — Was ist die Sprache? mit Problemstellungen der Linguistik, Grammatik, Semiotik, Logik etc. verbunden wird. Das ist allerdings nicht erst das (späte) Resultat eines grundlegenden Verdachts gegenüber der metaphysischen Wesens-Frage; sondern diese Verknüpfung ist bereits sehr früh in der Entfaltung ebendieser Frage nach dem Wesen der Sprache zu beobachten. Das kann in den folgenden Darlegungen vielfach belegt werden. Der hier mit dem ersten Band vorgelegte Versuch einer Geschichte der Sprachphilosophie hat sich zu bescheiden. Vollständigkeit im Sinne einer lückenlosen Erfassung aller einschlägigen Texte wurde nicht angestrebt (und übersteigt wohl auch die Kraft eines einzelnen). Dennoch soll - wenigstens im Ansatz - das Ganze einer geschichtlichen Bewegung sichtbar und insofern der anspruchsvolle Titel „Geschichte der Sprachphilosophie" gerechtfertigt werden. O b der Verfasser auf diese Weise der antiquarischen' Betrachtung ausweicht, um den Verlockungen ,monumentalischer' Geschichtsschreibung zu erliegen, mag dahingestellt sein — wenn es nur gelingt, dem Leben philosophischer Begriffsarbeit (in einem begrenzten Bereich) einen Dienst zu erweisen.
2
Einleitung
Für die historische Rekonstruktion der Sprachphilosophie sind die folgenden methodischen Leitfragen bestimmend: 1. In welcher Weise wird die Sprache fragwürdig und so zum Gegenstand philosophischer Reflexion? 2. Lassen sich in den verschiedenen Ansätzen einheitliche Grundzüge ausmachen? 3. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Sprache und den anderen philosophischen Wissensgebieten? 4. In welchem Sinne gibt es eine Kontinuität in der philosophischen Diskussion über die Sprache? Welche epochenspezifischen Probleme lassen sich aufweisen? 5. Welche Phänomene sprachlichen Ausdrucks rücken bei der philosophischen Analyse in den Vordergrund? Der Versuch, diesen Fragen nachzugehen, ist nicht von der Intention geleitet, die Sprachphilosophie zur prima philosophia zu erheben. Sprachphilosophie ist nicht mit Ontologie oder Metaphysik (oder mit einer anderen philosophischen ,Disziplin') gleichzusetzen, wenngleich sich sprachphilosophische Implikationen in fast allen philosophischen Problemstellungen und den entsprechenden Lösungsversuchen nachweisen ließen. Aber es ist auch zu betonen, daß die Frage nach dem Ursprung und dem Wesen der Sprache nicht auf ein Nebengleis der Philosophie führt. Nicht zuletzt die historische Besinnung wird deuüich machen, auf welch vielfältige Weise die Analyse der Sprache mit den zentralen Themen der Philosophie zusammenhängt. „Philosophie ist schlechthin und wesentlich eins; sie kann nicht getheilt werden; was also überhaupt Philosophie ist, ist es ganz und ungetheilt." Dieses Diktum Schellings aus der Philosophie der Kunst (SW V, 365) gilt auch für ein postmetaphysisches Denken, das von der Zielsetzung eines absoluten Systems Abschied genommen hat. Die vorliegende Untersuchung sieht ihre Hauptaufgabe nicht darin, möglichst viele Begriffe oder Theorieansätze der antiken und mittelalterlichen Sprachanalyse zu aktualisieren. Wohl aber wird aufzuweisen sein, daß im Verlauf des philosophischen Fragens nach dem Eigentümlichen der Sprache Entscheidungen fallen, die unser gegenwärtiges Sprachverständnis maßgebend mitbestimmen. Das betrifft nicht nur die kontroversen Problemstellungen in der Sprachphilosophie und Sprachanalyse unseres Jahrhunderts. Sondern: Sofern allein der Mensch das sprechende Lebewesen ist und die Sprache ohne
Einleitung
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ihren Bezug zur Erkenntnis nicht philosophisch thematisiert werden kann, ist das menschliche Selbst- und Weltverständnis überhaupt betroffen. Die einzelnen Kapitel sind so angeordnet, daß zunächst einzelne Texte oder Textstücke im Zusammenhang vorgestellt und interpretiert werden. Die abschließenden Zusammenfassungen orientieren sich, ohne einem festen Schema zu folgen, an den aufgeführten Leitfragen und versuchen, die behandelten Texte in den historischen Zusammenhang einzuordnen. Das Buch wendet sich nicht nur an den Fachgelehrten. Es möchte vor allem auch Studierende und philosophisch interessierte Leser mit den Grundfragen der Sprachphilosophie und ihrer historischen Entwicklung bekannt machen. U m die Lesbarkeit zu erleichtern, sind deshalb ausführlichere Auseinandersetzungen mit der Forschungsliteratur als Exkurse vom fordaufenden Text abgesetzt. Auch das Literaturverzeichnis versucht, durch Verzicht auf Vollständigkeit dieser Intention zu genügen; wer einzelnen Problemen näher nachgehen oder einschlägige Untersuchungen anderer Philosophen innerhalb dieser Epochen hinzuziehen möchte, wird in den zitierten Arbeiten ausreichende Hinweise finden.
I. H E R A K L I T Die Ambivalenz des Namens
Die Versuche, Heraklits Einschätzung der Sprache zu klären, sind ebenso strittig wie die Versuche, seine Philosophie insgesamt darzustellen. Das sprachphilosophische Interesse richtet sich vornehmlich auf zwei Problembereiche: zum einen auf den Zusammenhang von Sprache und lògos, zum anderen — unter dem Einfluß der Auseinandersetzung in Piatons Kratylos — auf die Frage nach der Zuverlässigkeit des Wortes und des Benennens.
1. Lògos und Sprache Der Zusammenhang von lògos und Sprache wird im Fragment 1 ausgesprochen: „Für den lògos, der dieser hier ist, zeigen sich die Menschen immer unverständig, sowohl bevor sie ihn gehört haben als auch wenn sie ihn zum ersten Mal gehört haben. Denn obwohl alles gemäß diesem lògos geschieht, gleichen sie doch Unerfahrenen, so oft sie sich einlassen auf die Erfahrung mit solchen Worten (épea) und Werken (èrga), wie ich sie behandle, indem ich ein jegliches gemäß seiner Natur (physis) auseinanderlege und erkläre, wie es sich verhält. Den anderen Menschen aber bleibt verborgen, was sie im Wachen tun, so wie sie auch das, was sie im Schlafe (tun), vergessen" 1 .
Die Wahrheit des Seienden liegt darin, daß alles dem lògos gemäß wird und geschieht. Die Menschen gehen zwar ständig auf irgendeine Weise mit dem Seienden um, aber für den lògos sind die meisten ohne jegliches Verständnis. Sie verstehen ihn selbst dann noch nicht, wenn er, wie Heraklit es für sich beansprucht, eigens dargelegt wird, nämlich durch Auseinanderlegung des Seienden gemäß seiner physis. Die meisten Menschen erkennen die Wahrheit nicht, sondern 1
H.Diels, Die Fragmente der Vorsokratiker, hg. von W.Kranz, Zürich/Berlin "1974, Β 1. - Bis auf geringfügige Änderungen folge ich den durchweg einleuchtenden Übersetzungen von K. Held, Heraklit, Parmenides und der Anfang von Philosophie und Wissenschaft. Eine phänomenologische Besinnung, Berlin/New York 1980.
1. Lògos und Sprache
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begnügen sich schlafwandlerisch mit dem Anschein. — Was ist dieser alles bestimmende und ständig übersehene lògos? „Darum ist es notwendig, dem Beisammen (xynón) zu folgen. Doch obwohl der lògos das Beisammen ist, leben die Vielen so, als hätten sie eine je eigene Einsicht" (B2).
„Haben sie nicht auf mich, sondern auf den lògos gehört, dann ist es weise, darin übereinzustimmen (homologeîn), daß alles eins ist" (B 50).
Der Streit um die Grundbedeutung von lògos ist in der Forschung zunächst in zwei Richtungen geführt worden, indem man entweder die ,objektive' oder die ,subjektive' Seite hervorhob 2 . Betrifft der lògos die Wirklichkeit als solche (Ubersetzungen: Weltgesetz, Weltvernunft ...), oder bezieht er sich auf die Auffassungen des Menschen von dieser Wirklichkeit (Ubersetzungen: Lehre, Wort, Rede, Denken ...)? Inzwischen sollte jedoch unstrittig sein, daß man diese beiden Aspekte nicht trennen darf. Wenn alles gemäß diesem lògos geschieht (B 1), dann nennt er die Wirklichkeit des Seienden als eines solchen (,objektive' Seite). Dieser lògos ist das Beisammen (xynón, Β 2) von Gegenwendigem, wie Fragment 67 es ausdrückt: „Der Gott ist Tag Nacht, Winter Sommer, Krieg Frieden, Sattheit Hunger; er wandelt sich aber so wie [etwas], wenn es mit DuftstofFen vermischt wird, nach dem jeweiligen Geruch benannt wird (onomázetai)" (Β 67).
Nach unserem alltäglichen Verständnis schließen die Gegensätze, die Heraklit beispielhaft nennt, einander aus. Wenn Sommer ist, dann ist eben nicht Winter etc. Diese Ansicht ist nicht falsch, aber vordergründig. Denn die Gegensätze sind aneinander gebunden, so, daß das eine ohne das andere gar nicht sein kann; das Werden des einen ist der Untergang des anderen — und umgekehrt. Der Sommer erblüht, indem der Winter immer mehr schwindet. Den Vielen aber erscheint das Gegenteilige (und der Gott, der in allem anwesend ist) ganz verschieden, je nach der Situation, in der sie sich gerade befinden. Wenn wir ζ. B. unter der drückenden sommerlichen Hitze leiden, sehnen wir uns nach der Kälte des Winters. Wenn im Winter die Natur brachliegt, erscheint uns der Sommer als das eigenüich Gute. So geht es uns mit allem und jedem. Im alltäglichen Handeln
2
Genauere Hinweise gibt Held 1980: 176 ff. Man vgl. auch E. Coseriu, Die Geschichte der Sprachphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart, Teil I, Tübingen 2 1975, 22 ff.
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I. Heraklit
und Verhalten bleibt den Vielen der lògos als das alles durchwaltende Gegenteilige verborgen. Wie aber - das zielt auf die ,subjektive' Seite des lògos — sollen wir die Wahrheit der Wirklichkeit einsehen? Wie können wir den lògos erfahren? — Wenn die Fragmente 1 und 50 darauf hinweisen, daß man auf den lògos hören kann; wenn es in Fragment 67 heißt, daß die Menschen das Beisammen des Gegenwendigen je verschieden benennen; dann läßt sich daraus schließen, daß lògos und Sprache zusammengehören. D e m Menschen ist das Seiende durch die Sprache vermittelt. Ihm begegnet das Seiende nur als dieses und jenes, indem es als etwas gleichsam angesprochen und so benannt wird. Ausgehend von Fragment 1 (und 19) ist in der Forschung verschiedentlich versucht worden, das Verhältnis von lògos und èpos bei Heraklit zu bestimmen. E. Hoffmann2, hat die These vertreten, daß mit èpos das einzelne Wort („Vokabel"), mit lògos dagegen der das „Weltgesetz" mitteilende Satz gemeint sei. Diese Auffassung ist zunächst von G.Calogero4, dann von A.Pagliaro5, schließlich auch von E. Coseriu (I, 1975: 26f.) mit einleuchtenden Argumenten kritisiert worden 6 . Die Interpretation Hoffmanns, nach der das èpos widersprüchlich sei und der lògos die versöhnende Synthese der widersprüchlichen Wörter darstelle, läßt sich nicht halten. Coseriu schlägt, Pagliaro folgend, diese Differenzierung vor: érgon bezeichne die Wirklichkeit, èpos den sprachlichen Vorgang und lògos (als deren Synthese) die Aussage der erkannten Wirklichkeit. Diese Interpretation ist sicherlich einleuchtender als diejenige Hoffmanns und als heuristische Hypothese durchaus diskutabel. Es werden jedoch auch damit terminologische Fixierungen vorgenommen, die für das Denken Heraklits kaum angemessen sind. Das gilt ebenfalls für die Entgegensetzung von ònoma (im Sinne von „Zeichen", „Bezeichnung") und èpos („Sagen", „Sprechakt") bzw. érgon („Tatsache") 7 .
D e n Vielen erscheint das Seiende im Widerstreit der Ansichten, je nachdem ,welche Duftstoffe sie beigeben'. Die Vielen (d. h. wir alle in unserem alltäglichen Verhalten) gehen ständig mit dem Seienden auf irgendeine Weise um. Dieser U m g a n g artikuliert sich in bestimmten Ansichten. Das Verhalten der Vielen ist ein légein, ein Ansprechen und Auslegen des Seienden als eines solchen. Insofern sind die Vielen im légein geeint; es zerfallt ihnen aber sogleich in unterschiedliche Ansichten, die miteinander unvereinbar zu sein scheinen. 3 4 5
6
7
Die Sprache und die archaische Logik, Tübingen 1925, 1—8. Recensione a Hoffmann, in: Giornale critico della filosofia italiana VI (1925), 296 ff. Eraclito e il logos (Fr. Β 1), in: Saggi di critica semantica, Messina/Firence o.J. (1953), 139 ff. Einen kurzen Uberblick der Diskussion gibt auch D. Di Cesare, Heraklit und die Sprache der Wissenschaft, in: B. Mojsisch (Hg.), Sprachphilosophie in Antike und Mittelalter, Amsterdam 1986, 4 ff. Vgl. dazu Pagliaro 1953: 140 ff.; Coseriu I, 1975: 26; Di Cesare 1986: 5 ff.
1. Lògos und Sprache
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Da nun die Menschen auf den vielen Privatmeinungen beharren und mit dem Anspruch auf ausschließliche Geltung ihrer Ansichten auftreten, scheint es gar keine Gemeinsamkeit, keinen gemeinsamen lògos zu geben. Der Einsichtige dagegen durchschaut die Beschränktheit der Einzelmeinungen (aber auch deren relative Gültigkeit). Dies geschieht nicht in einer Art sprachlos-mystischer Wesensschau, sondern ist mit einem Sprechen verbunden. Das läßt sich nicht nur mit dem bereits zitierten Fragment 50, sondern auch mit dem Anfang von Fragment 114 belegen: „Es tut not, daß diejenigen, die mit Einsicht reden (xyn nò légontas), sich stärken mit dem, was allen gemeinsam ist ..." (B 114).
Die Einsichtigen erkennen, daß den gegenteiligen Ansichten etwas Einheitliches zugrunde liegt: der eine, in sich selbst strittige lògos. Die Einsichtigen sind nicht nur im bloßen légein geeint, sondern im homo-logeîn, im mit dem lògos übereinstimmenden Sprechen. Damit ist nicht gemeint, daß m a n sich jeglicher Meinung zu enthalten habe. Aber man darf bei diesen privaten Ansichten nicht stehenbleiben, sondern muß sie auf das Gemeinsame hin überschreiten. Dann sieht der Einsichtige (der ,Weise'), daß die Vielen mit ihren Ansichten dem Gemeinsamen bereits folgen, ohne sich dessen bewußt zu sein. Der Einsichtige bedenkt eigens diesen Vollzug des Einen in den vielen strittigen Ansichten und sieht das Gegenwendige des lògos als eines solchen. K.Held hat in
seiner phänomenologischen Interpretation (1980: 174ff.) die Grundbedeutung von lògos als „Verhältnisvollzug" (182) darzulegen versucht. Damit ist gemeint: Die Ansicht ist weder etwas bloß Subjektives noch etwas nur Objektives, sondern „die Sache selbst im Wie ihrer situationsgebundenen Offenbarkeit für Jemanden" (155). Das Gemeinsame der Ansichten (lògos) bestehe darin, daß deren Vertreter „ohne Wissen und Willen ihre Sichten gerade im Auseinandergehen ins Verhältnis der Vereinbarkeit setzen" (181). Die Gemeinsamkeit bestehe im Vollzug dieses Verhältnisses. Die Grundbedeutung von logos läßt sich dann doppelt auslegen: einmal als Verhältnisvollzug der Ansichten, zum anderen als der Verhältnisvollzug ohne Einsicht und Ansicht. Beides gehöre zusammen, sofern der zweite Vollzug nichts anderes sei als die Aufdeckung des ersten Vollzuges (Verhältnis der strittigen Ansichten untereinander). Die Regelung des Vollzugs der Ansichten geschehe durch den göttlichen Nomos in gegenwendiger Zusammenfügung. „Diese Regelung ist allerdings kein mysteriöses, der objektiven Welt von einer unbestimmbaren Instanz auferlegtes ,Weltgesetz', sondern die Regelung, die den Ansichtsvollzug als solchen konstituiert" (183).
Legt nun der Weise seine Ansicht (etwa in Gestalt einer eigens verfaßten Lehre wie Heraklit) den Vielen dar, dann geschieht folgendes:
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I. Heraklit „Mit dem lògos, mit dem sie am meisten fortwährend zu tun haben, entzweien sie sich, und worauf sie täglich stoßen, das erscheint ihnen fremd" (B 72). „Ein blöder Mensch neigt dazu, bei jedem Wort (lògos) erschreckt aufzufahren" (B87).
Wird den Menschen, die sich in ihrem alltäglichen Umgang immer schon, wenngleich unreflektiert, im Horizont des lògos bewegen, dieser Bezug zum lògos eigens bewußt gemacht, dann erscheint ihnen das vordem Vertraute plötzlich als fremd. Dann sehen sie ihre eigenen Ansichten gleichsam mit fremden Augen, verlieren ihre frühere Sicherheit und erschrecken bei jedem noch so vertrauten Wort, weil es seine Selbstverständlichkeit verloren hat. Der gesamte Bereich des Seienden wird ihnen unvertraut, weil er vorher in einer einseitigen, damit eindeutigen Sicht erschien, jetzt aber als das Gegenwendige und in sich selbst Strittige offenbar wird. Um dieser vermeindichen Sicherheit willen ist der Mensch ständig vom Rückfall in die bloße Privatmeinung bedroht. Aus diesem Grund besteht auch die Gefahr, daß die vom Philosophen den Vielen dargelegte Einsicht in den wahren lògos zur bloßen Ansicht unter möglichen anderen erklärt wird. Deshalb verweist Fragment 50 eigens darauf, daß es nicht auf eine bestimmte Person (Heraklit) ankommt, sondern darauf, den lògos zu hören. Die Übereinstimmung der Einsichtigen kommt eben nicht dadurch zustande, daß man sich zu einer bestimmten Ansicht bekennt oder mit möglichst vielen einer Meinung ist. Die Übereinstimmung der Weisen erweist ihre Überlegenheit einzig in der Sachangemessenheit. — Welche Konsequenz hat diese Auffassung vom lògos (als Titel für den Gesamtbezug von Sein, Denken, Sprechen und Handeln) für die Sprache im engeren Sinne?
2. Sprache und ònoma Die vielen Menschen, die in ihren Ansichten befangen bleiben, haben auch eine unangemessene Einstellung zur Sprache. Denn: „Sie verstehen sich weder aufs Hören noch aufs Reden (eipeîn)" (Β 19).
Die Vielen können nicht in der rechten Weise hören, d. h. vor allem auch: nicht zuhören. Sie lassen sich auf das, was die anderen sagen, nicht ein, weil sie nur ihrer Privatmeinung zu folgen bereit sind. Zur Erlangung der wahren Einsicht wäre es aber gerade nötig, auf die
2. Sprache und ónoma
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anderen Menschen und ihre gegenteiligen Ansichten einzugehen, um die Begrenztheit dieser Ansichten zu erfahren. Es hilft nichts, gegen die Beschränktheit der Ansichten die Unmittelbarkeit der sinnlichen Wahrnehmung ins Feld zu führen: „Schlechte Zeugen sind den Menschen Augen und Ohren, wenn sie Barbarenseelen haben" (B 107).
,Barbaren' sind alle, die das Griechische (für den Griechen die Sprache schlechthin) nicht verstehen. Das Fragment kann deshalb so interpretiert werden: Wenn unser Umgang mit der Sprache nicht von Einsicht geleitet ist, dann nützt auch die Berufung auf das bloße Sehen und Hören (das sinnlich Wahrgenommene) wenig. Wir bleiben im Bereich bloßer Meinungen; denn auch das sinnlich Wahrgenommene ist sprachlich-ansichtig vermittelt. — Damit ist nicht gemeint, daß das Seiende und alle Seinsunterschiede ausschließlich vom Menschen abhängig sind. Wohl aber gilt: Das Seiende zeigt sich in einem an die Sprache gebundenen Wahrnehmen und Denken; dieses Sich-Zeigen des Seienden ist an bestimmte, sich wandelnde Situationen gebunden. — Sofern das Seiende im sprechenden Verstehen offenkundig wird, ist der Mensch derjenige, der dem Seienden einen Namen gibt. Auf das Problem der Namen und des Benennens verweist der folgende Spruch: „Dem Bogen ist der Name Leben (bios), sein Werk aber ist der Tod" (B 48).
Die Pointe des Satzes liegt in einem Wortspiel: biós ist (neben tóxon) die Bezeichnung für „Bogen" (vor allem in der Epik, also im dichterischen Sagen); bios aber bedeutet „Leben". Folglich ist gemeint: Der Name verweist auf das Leben, das Werk von Pfeil und Bogen jedoch ist meist das Gegenteil — der Tod. Wer sich ausschließlich und vordergründig an den Namen hält, kann irregeführt werden. — Daraus darf aber nicht auf einen ,Sprachskeptizismus' Heraklits geschlossen werden. Der Spruch zielt in eine andere Richtung. Der Zweck von Pfeil und Bogen ist offensichtlich das Töten. Bedenkt man jedoch den Namen biós, dann kann man auf einen anderen Zusammenhang gebracht werden. Dann läßt sich vermuten, daß der Mensch als der Namengebende diese Waffe auch mit der Erfahrung des Lebens verbunden hat. Der Jäger erlegt mit dem Bogen etwa ein Tier, dessen Fleisch den Hunger stillt. Entscheidend ist wohl für Heraklit, daß sich im Namen eine Ansicht, die in Zusammenhang mit einer bestimmten Welterfahrung des Menschen steht, bekundet. Es gibt Na-
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I. Heraklit
men, wie zum Beispiel biós, in denen auch eine gegenteilige Ansicht zu der (im Augenblick) vornehmlich geltenden greifbar wird (etwa im Werk des Dichters). In diesem Fall bietet das rechte Hören die Möglichkeit, über die geltende Ansicht zu einer anderen (gegenteiligen) hinauszugehen. Das Sich-Einlassen auf gegenteilige Ansichten ist der erste notwendige Schritt, um zur wahren Einsicht zu gelangen. Diese gegenteiligen Ansichten sind freilich nicht immer am Namen selbst zu fassen: „Den Namen (ónoma) des Rechts würden sie nicht wissen, wenn es dieses [Unrecht?] nicht gäbe" (B 23).
Beim Recht bietet der Name nicht die Möglichkeit, auf die gegenteilige Ansicht hingewiesen zu werden. Deshalb können wir hier noch leichter übersehen, daß wir gar nicht wüßten, was Recht ist — und folglich auch keinen Namen dafür hätten - , wenn es das Gegenteil nicht gäbe. Das gegenwendige Beisammen ist die Voraussetzung dafür, daß sich mit dem Namen eine bestimmte Sicht auf das Seiende eröffnet. Auf die Schwierigkeit der Namengebung verweist besonders Fragment 32: „Eines, das allein Weise, läßt es nicht zu und läßt es zu, mit dem Namen des Zeus (Zenos ónoma) benannt zu werden (légesthai)" (Β 32).
Heraklit stellt fest, daß die Bezeichnung für das Höchste treffend und zugleich nicht treffend ist. Beachtet man die Analogie zum BogenFragment, dann ist folgende Interpretation einleuchtend 8 : Heraklit verwendet bewußt den in der Dichtung üblichen Genitiv Zenos, im Unterschied zu Diós in Β 120. Damit erschließt sich, ähnlich wie in Β 48, die Möglichkeit etymologischer Aufschlüsselung, indem Zeus auf „leben" (zên) zurückgeführt wird 9 . — Zweifellos ist dem unsterblichen Gott ein Name, der ursprünglich „Leben" bedeutet, angemessen — allerdings nur im eingeschränkten Sinne. Denn wir können die höchste Form des Seins nur als Un-Sterblichkeit fassen; aber gerade dadurch bleibt diese Bestimmung auf das sterbliche Leben als sein
8 9
Vgl. dazu Held 1980: 464—467 (mit den wichtigsten Literaturangaben). Ausführlich wird diese Etymologie im Kratylos (396 a 1—b 3) vorgetragen und bewertet.
2. Sprache und ónoma
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Gegenteil bezogen 1 0 . Das zuhöchst Weise hätte diesen Bezug auf das sterbliche Leben jedoch noch hinter sich zu lassen. In dieser Hinsicht ist der N a m e „Zeus" für das allein Weise unangemessen. Er ist, wenn auch auf andere Weise, ebenso doppelsinnig wie der N a m e des Bogens. Das bedeutet grundsätzlich für die Frage nach der ,Richtigkeit der Namen': Wenn man den N a m e n an der Einsicht bemißt, dann zeigt er sich in eins als angemessen und als unangemessen". Wer sich ausschließlich an den N a m e n hält, sieht nur einen Teil der Sache; er bleibt in der Begrenztheit einer bestimmten Ansicht gefangen. Wer aber in der rechten Weise auf die Sprache hört, wer in der rechten Weise redet, dem eröffnet sich in der Sprache die Nachfolge des einig-strittigen lògos. Immer wieder ist in der einschlägigen Literatur die Frage diskutiert worden, wie Heraklit zum Problem der Richtigkeit der Wörter stehe. Dabei ließ man sich oft von Piatons Charakterisierung des Herakliteers Kratylos leiten und versuchte, die Alternative „physei - thései bzw. nomo" zu entscheiden. Bereits L. Lersch glaubt unter Berufung auf Ammonios (zu Aristoteles' De interpretatione) feststellen zu können, daß Heraklit „die Wörter für unmittelbare, von der Natur selbst ausgegangene Abbilder der Gegenstände ansah, für Abbilder, die von keinem subjektiven Einflüsse menschlicher Willkür berührt werden, sondern in objektiver Nothwendigkeit der Wirklichkeit entsprechen" 1 *. Dagegen kommt E. geller, die ältere Literatur kritisch abwägend, zu dem Ergebnis, daß der Grundsatz, nach welchem der Name Aufschluß über das Wesen der Dinge gebe (physei), „sich weder durch direkte Zeugnisse noch durch einen Rückschluß aus dem platonischen Kratylos mit Sicherheit bei ihm [Heraklit] nachweisen" lasse; „und so gut er [dieser Grundsatz] sich auch mit Heraklits Anschauungsweise vertragen würde, so geben uns doch die in seinen Bruchstücken vorkommenden Wortspiele und Etymologien noch kein Recht zu der Annahme, er habe diese Benützung der sprachlichen Bezeichnung schon in der gleichen Weise wie die Späteren theoretisch zu rechtfertigen gesucht" 13 .
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In diesen Zusammenhang gehört auch Β 62: „Unsterbliche: Sterbliche, Sterbliche: Unsterbliche: die einen lebend den Tod dieser, die anderen sterbend das Leben jener." B. Snell ζ. B. geht entschieden zu weit, wenn er behauptet, daß Heraklit die Namen zerstören wolle und die Sprache als Namengeberin zu überwinden suche: Die Sprache Heraklits (1926), in: Gesammelte Schriften, Göttingen 1966, 141. L. Lersch, Die Sprachphilosophie der Alten, dargestellt an dem Streite über Analogie und Anomalie der Sprache, Bonn 1838 (repr. Nachdruck Hildesheim/New York 1971), 12. E. Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichüichen Entwicklung. Erster Teil, Zweite Abteilung. Vorsokratische Philosophie. Zweite Hälfte. 6. Aufl. hg. von W. Nestle, Leipzig 1920, 909 ff.
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I. Heraklit
W. Nestle merkt dazu an, daß Zellers Skepsis hinsichtlich der Sprachtheorie Heraklits zu weit gehe. Heraklit benutze ausdrücklich die etymologische Methode und müsse als Gegenpol zur SprachaufFassung des Parmenides gesehen werden, für den die Namen willkürlich seien 14 . In diese Richtung zielt auch G. Calogero, wenn er behauptet, daß für Heraklit eine Identität zwischen Sache und Name bestehe 15 . Zuletzt hat D. Di Cesare die These vertreten, „daß die Namen nach Heraklit φύσει sind" (1986: 9). Auch Di Cesare vermag nicht, diese These einsichtig zu machen. E. Coseriu vertritt behutsam die Gegenposition. Zwar stelle sich für Heraklit das Problem der Richtigkeit der Neimen nicht; wenn es jedoch anklinge (Bogen-Fragment), dann scheine es, „daß Heraklit die natürliche, kausale Kongruenz zwischen ,Wort' und ,bezeichnetem Gegenstand' leugnet" (I, 1975: 29). Allen Versuchen, Heraklits ,Sprachphilosophie' derart auf einen Nenner bringen zu wollen, muß entgegengehalten werden, daß sie mit der Alternative physei — nomo ein Kriterium ansetzen, das keine Stütze an den erhaltenen Fragmenten findet. F. Heinimann betont zu Recht, daß für Heraklit das Wort nur die eine Seite der Wirklichkeit ist und diese so nicht vollständig wiedergeben kann. „Er [Heraklit] würde also die ονόματα, um mit der spätem Terminologie [!] zu sprechen, niemals als φύσει πεφυκότα bezeichnen; ebensowenig aber wären sie νόμω, d.h. schlechthin falsch" 16 .
Für die Einschätzung Heraklits im Rahmen einer Geschichte der Sprachphilosophie läßt sich (bei behutsamer Interpretation) festhalten: — Lògos wird durch Heraklit zu einem Grundwort der europäischen Philosophie. Mit diesem Wort versucht Heraklit die alles bestimmende Wahrheit des Seienden zu fassen. Wie unterschiedlich auch immer die Heraklit-Forschung den lògos interpretieren mag, es sollte nicht strittig sein, daß der lògos einen engen Bezug zur Sprache hat. Das bedeutet: Die Frage nach dem Wesen der Sprache (Sprachphilosophie) ist in ihrem historischen Beginn gekoppelt an die Frage nach der Wahrheit des Seins (Ontologie). - Die Sprache bietet einen doppelten Anblick: sie ist erhellend und verstellend zugleich 17 . Diese Ambivalenz der Sprache bekundet sich 14
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In: Zeller 6 1920: 910 f. Anm. 2. Vor Nestle wird diese Auffassung auch von Lersch vertreten (1838: 11 f.). G.Calogero, Eraclito, in: Giornale critico della filosofia italiana IV (1936), 195— 224, besonders 201 ίΓ. F. Heinimann, Nomos und Physis. Herkunft und Bedeutung einer Antithese im griechischen Denken des Ö.Jahrhunderts, Basel 1945 (repr. Nachdruck 1965), 56. Man vgl. auch die differenzierende Klarstellung bei H. Diller, Weltbild und Sprache im Heraklitismus (1942), in: Kleine Schriften zur antiken Literatur, München 1971, 187-200, besonders 191, 197 ff. Zu einem ähnlichen Resultat kommt die interessante Untersuchung von M. Kraus, Name und Sache. Ein Problem im frühgriechischen Denken, Amsterdam 1987.
2. Sprache und ónoma
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bei Heraklit vornehmlich im Problem des Benennens. Aufgrund dieser Ambivalenz werden wir aufgefordert, in der rechten Weise, d. h. einsichtsvoll zu hören und zu sprechen. - Die uns überlieferten Fragmente bieten sprachphilosophische Aspekte; sie erlauben es jedoch nicht, eine Sprachphilosophie im engeren Sinne zu rekonstruieren. Entscheidend ist dies: In Heraklits Denken verliert die Sprache ihre vermeintliche Selbstverständlichkeit. Das ist die erste und notwendige Bedingung dafür, über die Sprache und ihre Bedeutung für den Menschen nachzusinnen. Heraklit eröffnet einen Fragehorizont, in dem ausführlichere Analysen über das Spezifische der Sprache und ihrer Wörter möglich werden.
Kraus versucht darzulegen, daß auch für Heraklit die archaische Anschauung von der Korrelation zwischen Name und Sache noch selbstverständlich ist. Neu dagegen sei bei Heraklit, „daß Name und Sache nicht mehr nur einfach als zwei Seiten ein und desselben Dinges erscheinen, sondern daß sie auseinandertreten können zu einem durchaus spannungsvollen Verhältnis" (133).
II. PARMENIDES Sein und Sprechen Unabhängig von strittigen Fragen der Chronologie 1 und möglichen (polemischen) Bezügen zwischen Heraklit und Parmenides scheint es naheliegend, diese beiden Denker als Antipoden zu betrachten 2 . Das ist auch für ihre Einschätzung der Sprache behauptet worden: Nach Heraklit sei das Wort physei, nach Parmenides thései (vgl. o. S. 11 f.). Diese vereinfachende Entgegensetzung verdeckt jedoch leicht die grundlegenden Gemeinsamkeiten zwischen Heraklit und Parmenides.
1. Lògos und Sprache Parmenides teilt den Ausgangspunkt seines Denkens mit Heraklit; auch bei Parmenides steht die philosophische Erkenntnis der Wahrheit den bloßen Meinungen (dóxai) gegenüber. „... So sollst D u denn nun alles erfahren, sowohl der wohlgerundeten Wahrheit unerschütterliches Herz als auch die Meinungen der Sterblichen (brotòn dóxas), in denen keine wahre Verläßlichkeit ist" (B 1, 28-30).
Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Parmenides und Heraklit liegt darin, daß sowohl die Position der Wahrheit als auch die Meinungen der Sterblichen einen engen Bezug zur Sprache haben. 1
2
M a n vgl. die Hinweise zur Diskussion in der älteren Literatur von W. Nesde, in: Zeller 1919: 684—687. Auf die zentralen Probleme hinsichtlich einer Chronologie verweist auch U. Hölscher, Parmenides. Vom Wesen des Seienden. Die Fragmente gr. u. dt., Frankfurt/M. 1969, 63, 86 f. So Zeller 1919: 679 ff. - E. Hoffmann stellt fest: „Kaum zwei Denker bilden in ihrer Bedeutung für die Metaphysik einen so scharfen und ausgeprägten Gegensatz wie Heraklit und Parmenides" (1925: 14). Im Blick auf das Verhältnis von lògos (wahr) und èpos (trügerisch) sieht Hoffmann allerdings eine Gemeinsamkeit in beiden Lehren.
1. Lògos und Sprache
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Die Wahrheitsthese lautet: „Es ist (éstin) und daß es nicht ist, ist unmöglich" (B 2, 3)3.
Diese Wahrheit läßt sich nicht nur denken, sondern auch aussprechen: „Es ist notwendig, daß das Sagen und Denken (légein te noeîn) des ,seiend' (eón) ist" (Β 6, 1).
Zwar ist diese Stelle, vor allem hinsichtlich der Bedeutung von eón, heftig umstritten. Unzweifelhaft jedoch ist die hier von Parmenides wie selbstverständlich vermerkte Zusammengehörigkeit von Denken und Sprechen. Das belegt auch die den Wahrheitsteil abschließende Bemerkung der Göttin: „Damit beschließe ich mein zuverlässiges Reden und Denken (logon edè nóema) über die Wahrheit" (B 8, 50 f.).
Nimmt man nun noch den berühmten Satz des Fragments 3 hinzu „... denn dasselbe kann gedacht werden und sein (... tò gàr auto noeîn te kai eînai)" (B 3)
— dann ist soviel deutlich: Für Parmenides besteht ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Sein, Denken und Sprechen. Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß die der Wahrheit entgegengesetzte These (Das Nichtsein ist möglich; oder: Nichtseiendes ist) weder gedacht noch ausgesprochen werden kann. Als Begründung für die Unhaltbarkeit der Gegenposition vermerkt Parmenides deshalb: „Denn das Nichtseiende könntest du weder erkennen (das ist nämlich unvollziehbar) noch aussprechen (oúte phrásais)" (Β 2, 7 f.).
Auch Fragment 8 greift auf diesen Zusammenhang zurück. Parmenides weist die Auffassung, daß das „es ist" (Sein) aus dem „es ist nicht" (Nichtsein) entstanden sein könnte, mit folgender Bemerkung zurück: „Denn unaussprechbar und undenkbar (ou gàr phatón oudè noetón) ist, daß ,es ist nicht' ist" (Β 8, 8 f.).
Schließlich lassen sich als Beleg für die Einheit von Denken, Sprechen und Sein noch die folgenden Worte der Göttin anführen: 3
Es ist umstritten, was als Subjekt von éstin einzusetzen ist (Seiendes ist; oder: Sein ist). Zur Diskussion über diese Frage vgl. U.Hölscher 1969: 77ff.; Held 1980: 506 ff. Held bewältigt die Interpretationsschwierigkeiten mit dem Hinweis, daß ,es
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II. Parmenides
„Entschieden aber ist jetzt notwendigerweise, den einen Weg als undenkbaren, namenlosen (anóeton anónymon) zu lassen ..." (B 8, 16 f.)4.
Die These des Parmenides, daß sich das Nichtsein/Nichtseiende nicht aussprechen lasse, ist von E. Tugendhat kritisiert worden 5 . K. Held (1980: 497 ff.) hat die scharfsinnige Analyse Tugendhats treffend korrigiert: Tugendhat interpretiere das nach Parmenides unmögliche Aussprechen des Nichtseins als ein Reden in Aussagesätzen. Unter dieser Voraussetzung sei es natürlich möglich, das Nichtsein von Etwas auszusagen, nämlich in der Verneinung (apóphasis). Entscheidend ist für Held: „Die Argumentation [Tugendhats] wird [...] durch den einfachen Hinweis hinfällig, daß das in der parmenideischen These genannte ,Sprechen' überhaupt kein Reden in Aussagesätzen meint" (500). Vielmehr ziele die These des Parmenides darauf, daß es ohne gegenwärtig vorliegende zuständliche Bestimmtheit (ohne ein ,etwas') kein denkendes Vernehmen und deshalb auch kein Aussprechen geben könne, sofern das Nichtseiende sich nicht benennen lasse. - Im Anschluß an die Kritik Heids wäre noch zu fragen, ob Tugendhat, da er sich doch den ordinary-language-approach zu eigen gemacht hat, nicht dem seit Austin sogenannten deskriptiven Fehlschluß (der irrigen Annahme, daß die Sprache ursprünglich beschreibend verfährt) erliegt.
2. Sprache und ónoma Zwischen dem Weg der Wahrheit und dem unbegehbaren Weg der Unwahrheit liegt der vor allem seit K. Reinhardt vieldiskutierte ,dritte Weg der Forschung'6. Dieser dritte Weg ist der zweite Weg der Unwahrheit, vor dem die Göttin den Philosophen warnt: „Nichts ist nicht; das heiße ich dich bedenken. Denn von diesem ersten Weg der Forschung halte dich fern; aber sodann auch von dem, auf dem nichts wissende Sterbliche umherirren, Doppelköpfige; Hilflosigkeit lenkt nämlich in ihrer Brust das irrende Denken; sie werden umhergetrieben
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ist' die ontologische /rcdifferenz ausdrücke. Der Satz ,es ist' „spricht den Zustand aller Zustände in seiner Indifferenz mit dem Zuständlichen überhaupt aus" (514). K. Bormann trifft den entscheidenden Punkt: ,,νοεΐν ist Kennen der Realität; das Nichts ist nicht wirklich, also kann es nicht erkannt werden. Und weil Sprechen, d. h. sinnerfüllte Rede, an das νοειν gebunden ist, kann das Nichts auch nicht ausgesprochen werden. Ein Aussprechen, das nicht durch das νοεΐν seinen Sinn erhält, ist keine Sprache, sondern Hervorbringen sinnloser Laute" (Parmenides. Untersuchungen zu den Fragmenten, Hamburg 1971, 72). Das Sán und das Mchts, in: Durchblicke, Martin Heidegger zum 80. Geburtstag, Frankfurt/M. 1970, 132-161. Parmenides und die Geschichte der griechischen Philosophie, Frankfurt/M. 2 1959 (1. Aufl. 1916), besonders 36, 44 ff, 68 ff.
2. Sprache und ónoma
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taub und blind zugleich, vor den Kopf geschlagen, urteilslose Haufen, denen Sein und Nichtsein als dasselbe gilt und nicht ills dasselbe, und für die es von allem eine gegenwendige Bahn gibt" (B 6, 2-9).
Der dritte (begehbare) Weg ist somit geleitet von der Auffassung, daß Sein und Nichtsein sowohl dasselbe als auch nicht dasselbe sind. Dies kennzeichnet die Einstellung der dóxai 7 , der Meinungen, die wir Sterblichen haben. Wir erfahren ständig das Werden im Sinne der Veränderung: Der Tag bricht an, und die Nacht vergeht; etwas Kaltes wird warm; eine kleine Pflanze wird zum großen Baum; ein junger Mensch wird alt. Anfangs- und Endpunkt des Werdens unterscheiden wir scharf: Das Kalte ist nicht das Warme, der Alte ist nicht mehr derselbe wie der Junge etc. Insofern sind uns Sein und Nichtsein nicht dasselbe. Die Kontinuität des Werdens zwingt uns jedoch auch zu der Auffassung, daß z. B. das Kleine dasjenige ist, das groß wird. Insofern sind Sein und Nichtsein dasselbe. D e n doppelköpfigen Ansichten liegt somit undurchschaut der unbegehbare zweite Weg zugrunde, der das Nichtsein für möglich hält. Wenn aber das Nichtsein schlechthin unmöglich ist, dann können die Ansichten der Sterblichen vor der Wahrheit nicht standhalten 8 . Auch die Ansichten sind an Sprache gebunden. Die entsprechenden Belege seien zunächst zitiert: „Dadurch [durch Vermischung von Sein und Nichtsein] wird alles Name (ónom[a]) sein, was die Sterblichen gesetzt haben (katéthento) in der Überzeugung, es sei wahr" (B 8, 38 f.)9. „Sie legten nämlich ihre Ansichten fest, zwei Gestalten zu benennen (onomázein), von denen eine einzige nicht benannt werden d a r f . . . " (B 8, 53 f.). „Nachdem jedoch alles als Licht und Nacht benannt ist (onómastai) und das, was ihren Kräften gemäß ist, diesen und jenen (Dingen als Name gesetzt wurde), so ist alles zugleich erfüllt vom Licht und von unsichtbarer Nacht, die beide gleich sind; denn keinem von beiden gehört nichts an" (B 9). „So also entstanden diese Dinge der Ansicht nach (katà dóxan) und sind jetzt und werden in Zukunft wachsen und vergehen. 7 8
9
Man vgl. zur Argumentation: Reinhardt 1959: 69. Zu dieser Interpretation des dritten Weges vgl. W. Bröcker, Die Geschichte der Philosophie vor Sóbales, Frankfurt/M. 1965, 59 f.; ferner Bormann 1971: 99 f.; Held 1980: 477 f , 485. Die Diskussion über diese umstrittene Textstelle gibt M.Kraus (1987: 92fF.) wieder.
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II. Parmenides Für diesen haben die Menschen einen Namen (ónom[a]) festgesetzt zur Unterscheidung für jedes" (B 19).
Vergleicht m a n diese Stellen mit den bereits zitierten Versen Β 6, 1 und Β 8, 50 f., dann fallt zunächst auf, daß die Verknüpfung der Wahrheitsthese mit dem Sprechen durch lògos bzw. légein, der Bezug der Ansichten zur Sprache dagegen durch ónoma (Name) bzw. onomázein (benennen) hergestellt wird. Diese Tatsache könnte die These von E. Hoffmann stützen, nach der nicht nur für Heraklit, sondern auch für Parmenides die einzelnen Wörter (épea) in deutlicher Antithese zum wahren Urteil (lògos) stehen (vgl. o. S. 6) 10 . Nach Hoffmann sind für Parmenides die einzelnen Wörter trügerisch; sie beziehen sich als bloße N a m e n auf die sinnlich wahrnehmbare Welt der Vielheit und artikulieren bloße Ansichten. Der lògos dagegen sei vertrauenswürdig und wahr, sofern er sich, mit dem Denken verbunden, auf die Einheit des Seins richte. Allerdings wird diese schroffe Entgegensetzung dadurch gemildert, daß nach Hoffmann der DóxaTeil des Lehrgedichts „das historische Denkmal des ältesten Versuches [ist], den ,trügerischen' επεα einen relativen Wahrheitsgehalt [...] zu retten" (13). Wer nämlich den Schein der einzelnen Wörter durchschaue und sie nicht mehr verwende, „als ob sie von sich aus schon Logos wären, verwendet sie weniger falsch, als es konventionell geschieht" (ebd.). — M a n wird dieser Interpretation darin zustimmen können, daß es einerseits nach Parmenides trügerische (weil die doxa artikulierende) N a m e n gibt und daß andererseits die Wahrheit ausgesprochen werden kann. Die strikte Entgegensetzung von Wort und Satz ist jedoch kaum zu halten: Der Weg des Nichtseins ist nach der bereits zitierten Stelle 8, 17 unbegehbar, weil er namenlos (anónymon) ist. Das Unaussprechliche des zweiten Wegs (B 2, 8; Β 8, 8) beruht somit nicht erst darauf, daß ich über ihn kein wahres Urteil (lògos) fällen kann, sondern es liegt darin, daß der Weg sich jeglicher Benennung entzieht. Ist das Unaussprechbare das Namenlose, dann kann man umgekehrt annehmen, daß das Aussprechbare dasjenige ist, was sich benennen (und nicht: in die Form eines Urteils bringen) läßt 1 1 . — Eine weitere Stelle belegt vollends, daß die These Hoff10
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Hoffmann bezieht sich vor allem auf Β 8, 50-52. Er übersetzt: „Hiermit beschließe ich den verläßlichen λόγος und das Denken über die Wahrheit; von nun an lerne die Annahmen der Menschen kennen, indem Du den trügerischen Bau mdner επεα hörst" (1925: 10). Man vgl. dazu Held 1980: 500.
2. Sprache und ónoma
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manns nicht stringent ist. Bevor die Göttin mit ihrer belehrenden Rede über die Wahrheit einsetzt, heißt es am Schluß des Proömiums: „Und die Göttin nahm mich huldreich auf, mit der Hand aber ergriff sie meine rechte Hand, und so sprach sie das Wort (èpos) und redete mich an"
(B 1,22 ff.)12.
Wenn somit èpos im Blick auf die göttliche Einsicht eingesetzt wird, dann kann das einzelne Wort nicht prinzipiell trügerisch sein, dann darf für Parmenides nicht eine scharfe Trennung zwischen Wort und Satz angenommen werden. Wie ist aber, wenn die einfache Entgegensetzung von Wort (falsch) und Satz (wahr) nicht gilt, Parmenides' Einschätzung von Wort und Sprache genauer zu bestimmen? — Zunächst bekundet sich eine weitere Parallele zu Heraklit (vgl. o. S. 14) darin, daß Parmenides davor warnt, sich von den Worten täuschen zu lassen. Denn: Unser alltägliches Sprechen vollzieht sich auf der Grundlage einer Namengebung. Der Name ist eine Festsetzung, damit wir dieses und jenes voneinander unterscheiden können; in der Benennung artikuliert sich die doxa. Das Trügerische der doxa besteht darin, daß sie sich von der Erfahrung des Werdens leiten läßt und dadurch Sein und Nichtsein zwar unterscheidet, aber auch zusammenbringt. Demgemäß sind unsere Ansichten von dem Grundgegensatz ,anwesend — abwesend' bestimmt, den die Namen in vielfältiger Weise festhalten: Licht und Nacht etc. (B 9, 1; vgl. auch Β 8, 53 f.). Alle Namengebung, sofern sie ihre Bestimmtheit durch das „nicht" gewinnt — etwas ist dies, sofern es ein anderes nicht ist —, ist Ausdruck dieses Urgegensatzes. Alle Namen kommen darin überein, daß sie jeweils nur eines von den zusammengehörenden Gegensatzpaaren erfassen. Darin besteht der Irrtum aller Meinungen der Sterblichen. Die Menschen richten sich mit dem jeweiligen Namen auf das unmittelbar Gegenwärtige, das ihnen das allein Wahre ist. Das mit dem Benannten unabtrennbar verbundene Gegenteil wird außer acht gelassen. Zwar wird auch das Gegenteil benannt, aber erst dann, wenn es im Prozeß des Werdens das vorher Gegenwärtige gleichsam in die Abwesenheit verdrängt hat. Auf diese Weise entgeht der doxa die Einheit und Einzigkeit des Seins, die Einheit des ,es ist'. Sofern doxa und Namen-
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Gegen Hoffmann führt bereits R. Rehn diese Stelle an: ZUT Theorie des Onoma in der griechischen Philosophie, in: B. Mojsisch (Hg.) 1986: 71.
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II. Parmenides
gebung untrennbar zusammengehören 1 3 , sind alle Namen — und damit unser alltägliches Sprechen — im trügerischen Schein befangen. Mit dieser Konsequenz geht Parmenides über Heraklit hinaus. Dennoch folgt für Parmenides daraus kein prinzipieller Sprachskeptizismus. Einer solchen Interpretation ist die Tatsache entgegenzuhalten, daß die Einsicht in die Wahrheit ausgesprochen wird. Die Göttin bedient sich der Wörter, der Weg der Wahrheit ist benennbar; es gibt — in wechselseitiger Bedingtheit — ein einsichtsvolles Reden und Denken. Es dürfte allerdings kein Zufall sein, daß die Einsicht in die Wahrheit, die zugleich den Schein der Ansichten durchschaut, in dichterischer Sprache vorgetragen wird. Das belegt nicht nur eine ursprüngliche Nähe von dichterischem Sagen und philosophischem Denken. Es könnte als Indiz dafür genommen werden, daß das dichterische Sprechen nicht nur aus ,ästhetischen' Gründen dem alltäglichen Reden und Gerede überlegen ist, sondern vor allem auch deshalb, weil sich nur in der Dichtung die Wahrhàt angemessen ausdrücken läßt. Gegen den Verdacht eines strikten Sprachskeptizismus läßt sich ebenfalls das folgende Argument anführen: Zwar teilt die Ansicht der Sterblichen das unteilbare Sein, indem sie Anwesendes von Abwesendem unterscheidet und so der Verleitung zum Irrtum erliegt. Dennoch hat die doxa mit ihren Entgegensetzungen teil an der wahren Einheit des Seins; nur dadurch ist die doxa ein begehbarer und ständig begangener Weg. Folglich sind zwar die in den Wörtern vollzogenen Setzungen Irrtum. Aber in ihrem verführenden Schein haben sie Anteil am wahrhaften Sagen (légein) des ,ist' und gewinnen daraus ihre erschließende Kraft, auch wenn die Namen im Bereich der alltäglichen Rede die ganze Wahrheit verfehlen müssen. (In diesem Sinne wird man der These Hoffmanns zustimmen können, daß es Parmenides schließlich darauf ankomme, einen ,relativen' Wahrheitsgehalt der Wörter zu retten.)
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F. Heinimann versucht die Abwertung der Sprache (gegen die Interpretation Diels') mit dem Argument zu mildern, daß das blinde Vertrauen auf die Erfahrung das erste und von Parmenides hauptsächlich Kritisierte sei, während die falsche Benennung erst darauf folge und dann den Irrtum verewige (1945: 50). Das ist nicht recht einzusehen, wenn - wie Heinimann selbst feststellt - die Sprache „der einzige Ausdruck der δόξα ist" (ebd.), beide also für uns untrennbar verbunden sind.
2. Sprache und ónoma
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Parmenides' Einschätzung der Sprache ist das zentrale Thema der breit angelegten Untersuchung von J. Jantzen1*. Von der Universalität des menschlichen Irrtums bleiben nach seiner Interpretation nur ein Wort und ein Satz verschont. Jantzen versucht darzulegen, „daß έόν der Name ist, der das was ist, als das was es ist, als Seiendes, benennt, und daß εστίν derjenige Satz ist, der diesen Namen ausspricht. Deswegen ist jeder Satz, der mehr sagt als εστίν, falsch und kann nicht sein" (99). Folglich bringe Parmenides Denken und Sprechen zum Verstummen (11). Zwar seien die dóxai keine Fiktionen, weil sie auf das éstin bezogen bleiben. Jedoch könne die doxa den grundlegenden Irrtum nicht überwinden, daß das Seiende ein So-und-so-Seiendes ist. In Wahrheit könne man vom Seienden eben nur sagen, daß es ist (64 f.). Benennung und Setzung der Dinge gehören nach Jantzen untrennbar zusammen: „Die Menschen setzen die Wirklichkeit als erscheinende, als jeweils so-und-so-seiende Wirklichkeit, indem sie die Wirklichkeit mit Namen benennen" (78). Folglich liege der ursprüngliche Irrtum der Menschen im Benennen; sie unterwerfen das eón dem Werden und Vergehen. Dennoch seien die Namen - wie die dóxai überhaupt - keine Fiktionen, sofern sie immer schon das Seiende (die Wahrheit) intendieren, es aber verfehlen, indem sie das éstin mit einem Subjekt verbinden (vgl. 103). Alle menschlichen Aussagen sind nicht fiktional, aber feilsch (vgl. 106). Auf die Kritik an problematischen Einzelheiten der Interpretation Jantzens kann hier verzichtet werden 15 . Im Rahmen einer sprachphilosophischen Untersuchung sind besonders folgende Bedenken anzumelden: Für Jantzen scheint Parmenides bereits eine sprachphilosophisch vermittelte Transzendentalphilosophie zu vertreten (etwa wenn behauptet wird, daß durch die Benennung die Dinge gesetzt werden; man vgl. auch die Argumentation 57 f.). Darüber hinaus läßt sich bei Jantzen die Tendenz feststellen, alles unter formallogische Gesichtspunkte subsumieren zu wollen. Dem ist — wie schon der Interpretation Tugendhats - entgegenzuhalten, daß das welterschließende Vernehmen und Sprechen der Menschen sich nicht nur urteilend (im Sinne der Logik) vollzieht. Vor allem aber kann Jantzens Annahme, daß Parmenides das Denken und Sprechen zum Verstummen bringen wolle, den eigenen Wahrheitsanspruch des Lehrgedichts nicht einsichtig machen. Wie soll die Wahrheit des eón dargelegt werden, wenn nur noch „éstin" wahr ist? — Schließlich wäre noch zu fragen, ob nicht die Wörter - eben weil sie, wie Jantzen richtig feststellt, keine Fiktionen sind durch ihren Bezug auf die Wahrheit des Seins die Möglichkeit ofTenhalten, ihren und der dóxai täuschenden Schein zu durchschauen.
Es bleibt zu klären, wie es um die scheinbar griffige Alternative physei — thései bei Parmenides steht. Zweifellos belegen die zitierten Stellen (B 8, 39; Β 8, 53; Β 19, 3), daß die Menschen nach Parmenides die Namen festgelegt bzw. festgesetzt haben (katéthento). Die Namen sind, wie die Ansichten überhaupt, Werk des Menschen. Das ist für Parmenides so selbstverständlich, daß die Gegenposition (physei) nicht einmal anklingt. Es kann folglich nicht belegt werden, daß Parmenides' Überlegungen auf diese Alternative abzielen oder daß 14 15
Parmenides zum Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit, München 1976. Gewichtige Einwände bringt bereits die Rezension von E. Heitsch, in: Gnomon 50 (1978), 329-335.
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II. Parmenides
diese Entgegensetzung bei ihm ihren Ursprung hätte (ebensowenig wie bei Heraklit). Außerdem denken wir bei dem Stichwort „thései" meist „willkürlich gesetzt" — im Gegensatz zu dem, was physei (vom Menschen unabhängig immer schon vorliegend) ist. In diesem Sinne sind die N a m e n nach Parmenides aber nicht willkürlich festgelegt. Denn die Sterblichen sind als Sterbliche immer schon diejenigen, die N a m e n setzen und Ansichten haben. Die N a m e n liegen vor allen willkürlichen Setzungen; sie entspringen der menschlichen Natur 1 6 .
Die vor allem seit Reinhardt in der Parmenides-Forschung erzielten Fortschritte sollten nicht darüber hinwegtäuschen, daß viele Einzelheiten der Interpretation problematisch bleiben. Das gilt auch für Versuche, dem Lehrgedicht des Parmenides so etwas wie eine Sprachphilosophie entnehmen zu wollen. Bei allen Kontroversen sollte jedoch unstrittig sein: Neben Heraklit belegt Parmenides, daß die beginnende philosophische Reflexion einhergeht mit einer Besinnung auf die Sprache. Diese Sprachreflexionen sind gebunden an die Frage nach dem Sein (Ontologie) und an den Versuch, das Wesen der Sterblichen zu ergründen (Anthropologie). Weiterhin machen sowohl die Fragmente Heraklits als auch das Lehrgedicht des Parmenides deutlich, daß die philosophische Analyse der Sprache von einem kritischen Impuls geleitet ist. Die Warnung vor dem täuschenden Schein der menschlichen Ansichten (dóxai) spitzt sich zu auf eine Kritik an den Namen (onómata). Wenn in diesem Sinne von einem Beginn der Sprachphilosophie bei Heraklit und Parmenides gesprochen werden darf, dann ist sogleich zu ergänzen, daß sich dieser Beginn als Frage nach der Zuverlässigkeit der Namen und der Benennungen artikuliert. In der sprachkritischen Intention scheint Parmenides weiter zu gehen als Heraklit. Aber dennoch gilt für beide Lehren, daß wir als sprechende Sterbliche Zugang zur Wahrheit haben und die Wahrheit aussprechen können. Weder Heraklit noch Parmenides verstummen. 16
Held differenziert so: „Parmenides stellt [...] noch nicht wie die wenig später einsetzende Sophistik die Herkunft aus einer thesis der Herkunft aus der physis gegenüber" (1980: 549). Allerdings kündige sich in folgendem Sinne diese Antithese schon an: „Die Festsetzung, von der Parmenides spricht, meint zwar nicht eine revidierbare Konvention, wohl aber etwas, was überhaupt zu Lasten des Menschen geht im Unterschied zu dem, was jeglichem menschlichen Tun vorgegeben ist" (ebd.).
III. PLATON Die Grundlegung der Sprachphilosophie
1. Die sprachphilosophische Diskussion vor Piaton 1 Bezeugen Heraklit und Parmenides, daß die beginnende philosophische Reflexion sich auch dem Problem der Sprache und der Wörter zuwendet, so bekundet Piatons Kratylos, daß sprachphilosophische Fragen bereits lebhaft diskutiert werden. Xenophon teilt mit 2 , daß auch Sokrates während des Essens mit seinen Freunden über das Problem der Benennung diskutierte. Die Frage, ob der Bezug zwischen Wort und Sache von der Art natürlicher Ubereinstimmung (physei) sei oder ob dieser Bezug auf Brauch und Anordnung (nómo) der menschlichen Gemeinschaft zurückgeführt werden müsse, stand bei solchen Diskussionen wohl im Mittelpunkt. Der Streit über die Alternative physei - nomo, der erst später durch die Entgegensetzung physei — thései ersetzt wurde 3 , scheint ein bevorzugtes Thema wissenschafdicher Streitgespräche gewesen zu sein. Man darf sich vielleicht sogar vorstellen, „daß auf allen Straßen und Plätzen und bei allen Zusammenkünften im Hause die Gebildeten darüber lebhaft stritten, ob die ονόματα φύσει oder νόμφ seien" (Steinthal I, 1890: 74 f.). An dieser Diskussion beteiligten sich nicht nur ,Sprach-
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Hinweise geben vor allem: Lersch 1838: 12 ff.; H. Steinthal, Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern mit besonderer Rücksicht auf die Logik. Erster Teil, Berlin 2 1890 (Nachdruck Hildesheim/New York 1971), 41 ff.; Heinimann 1945: 156 ff.; Ρ M. Gentinetta, Zur Sprachbetrachtung bei den Sophisten und in der stoisch-hellenistischen Zeit, Winterthur 1961, 22ff.; Coseriu I, 1975: 35 ff.; J. Derbolav, Piatons Sprachphilosophie im Kratylos und in den späteren Schriften, Darmstadt 1972, 31 ff. Xenophon, Memorabilien III, 14, 2; dt.-lat. Ausg. von RJaerisch, München 2 1977, 238 ff. Nach Xenophon ging es bei diesem Gespräch um Namen, die sich auf bestimmte Handlungsweisen beziehen. Von einem Gegensatz physei-nómo ist an dieser Stelle nicht die Rede. Steinthal I, 1890: 76; nach Heinimann (1945: 162 Anm. 39) ist diese Formulierung im Blick auf die Sprache zum erstenmal bei Epikur greifbar.
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III. Platon
philosophen', sondern auch Naturwissenschaftler', vor allem Mediziner 4 . Der Ursprung dieses Streits läßt sich nicht gesichert feststellen. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die in der Forschung oft unternommenen Versuche, Heraklit und Parmenides als Stammväter dieser Auseinandersetzung anzusehen, äußerst problematisch sind, wenngleich eine spätere Diskussion über die Alternative auf der Grundlage herakliteischer und parmenideischer Gedanken verständlich erscheint. Weiterhin werden seit langem Pythagoras und Demokrit als anfängliche Vertreter der gegensätzlichen Positionen genannt; und schließlich lassen sich Verbindungen herstellen, so daß man für die physei-These eine Linie von Pythagoras über Heraklit bis Epikur und für die nómo-(thései-)These eine Linie von Parmenides über Demokrit bis zu den Sophisten ziehen kann. So einleuchtend derartige Versuche auf den ersten Blick sein mögen, sie scheitern an fehlenden oder unsicheren Quellen. Für Pythagoras und Demokrit sind wir nämlich auf ein einziges Zeugnis aus dem 5. nachchristlichen Jahrhundert angewiesen, auf den Proklos-Kommentar zu Piatons Kratylos (evtl. ergänzt durch den Kommentar des Ammonios zu Aristoteles' De interpretatione, in dem Heraklit und Kratylos als Vertreter der physei-These genannt werden). Proklos berichtet 5 : Auf die Frage, was das Weiseste des Seienden sei, habe Pythagoras geantwortet: die Zahl. Das zweite in bezug auf die Weisheit sei derjenige, der den Dingen die Namen gegeben habe. Unter „Namengeber" verstehe Pythagoras die Seele, welche die Zahl vom noûs übernehme. Da die Seele im Benennen den noûs nachahme, könne das Namengeben nicht Werk des Zufalls sein, sondern nur von jemandem vollzogen werden, der Einsicht in den noûs und in die Natur des Seienden habe. Deshalb seien die Namen von Natur (physei). — Demokrit vertritt nach Proklos die Gegenposition: Die Namen sind (willkürlich) gesetzt und zufallig (thései, tyche). Demokrit begründet — nach demselben Zeugnis — diese These mit vier Argumenten: 1. Bisweilen werden verschiedene Dinge mit ein und demselben Namen benannt (Homonymie). 4
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Heinimann hat das an zwei (sophistisch beeinflußten) Schriften aus dem Corpus Hippocraticum nachgewiesen (1945: 157 ff.). Prodi Diadochi in Piatonis Cratylum commentarla, ed. G. Pasquali, Leipzig 1908, 5-7; Diels/Kranz 68, Β 26.
1. Die sprachphilosophische Diskussion vor Platon
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2. Umgekehrt kann ein und dieselbe Sache durch verschiedene Namen benannt werden (Polyonymie). 3. Die Namen (für dasselbe Ding) können sich verändern. 4. Manchen Dingen fehlt der passende Name 6 . Dieses Vielbedeutende, Gleichbedeutende, Umbenennende und Namenlose schließt aus, daß die Namen von Natur aus (physei) sind. Bereits Lersch (1838: 14, 26) hat daraufhingewiesen, daß der Bericht des Proklos unübersehbar den Neuplatoniker verrate. Ausführlich hat Steinthal (I, 1890: 153-182) die Proklos-Stelle kritisiert. Zunächst kommt Steinthal zu dem Ergebnis, daß Proklos den Pythagoras in einen Streit ziehe, von dem dieser noch gar nichts wissen konnte. Die platonisierenden Pythagoräer hätten aus Piatons Kratyhs (ihn mißverstehend) eine bestimmte Ansicht konstruiert und diese dann dem Pythagoras untergeschoben. Weiterhin stellt Steinthal fest, daß bei Demokrit nicht von thései und tyche die Rede sein könne; Demokrit könne nur nómo, éthei, xynthéke gebrauchen. Von der gesamten Proklos-Stelle gehen wohl nur die Ausdrücke polysemon (vielbedeutend), isórropon (gleichbedeutend), nónymon (namenlos) auf Demokrit selbst zurück. Unstrittig ist nach Steinthal allerdings, daß für Demokrit die Namen nómo sind. Wie problematisch aber selbst diese vorsichtige Zuordnung ist, belegen zwei andere Fragmente, nach denen einmal die Götternamen tönende Götterbilder sind (Diels/Kranz 68, Β 142), zum anderen das Wort (lògos) als Schatten der Tat charakterisiert wird (B 145). Beides ließe sich nämlich als Beleg für die Nachahmungsthese (vgl. u. S. 39 f.) interpretieren. Sieht man von allen Unsicherheiten ab, dann bleibt nur dies: Demokrit hat die Sprache als solche thematisiert und sich über das Problem der Benennung geäußert. Von den Sophisten, die sprachphilosophische Themen behandelt haben, sind in erster Linie Protagoras, Prodikos von Keos und Hippias zu nennen. Es ist wahrscheinlich, daß Protagoras die Frage nach der Richtigkeit der Namen gestellt hat 7 . Weiterhin behandelte er grammatische Ordnungshinsichten; er unterschied vier Satzformen (Frage, Antwort, Befehl, Bitte) und die drei Wortgeschlechter 8 . O b Protagoras die Alternative physei - nómo ausführlich erörtert und 6
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Proklos meint hier das Fehlen analoger Wortbildungen, ζ. B.: Zu phrónesis gibt es zwar phroneîn, aber zu dikaiosyne fehlt ein entsprechendes Verb. Kratyhs 391 c; m a n vgl. auch Phaidros 267 c. Vgl. Aristoteles, Rhetorik III, 5; Sophistki elenchi 14.
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III. Platon
zu welcher Seite er sich entschieden hat, kann man kaum ausmachen (vgl. Lersch 1838: 18 f.). — Vor allem aus Piatons zahlreichen Hinweisen läßt sich entnehmen, daß Prodikos intensive Sprachuntersuchungen betrieb; er bemühte sich um den angemessenen Wortgebrauch (.Euthydemos 277 e 3 f.) und um die Unterscheidung sinnverwandter Wörter (Laches 197 d 3—5). Ferner läßt seine Erwähnung im Kratylos (384 b) vermuten, daß auch er zur Frage nach der Richtigkeit der Namen Stellung bezogen hat. Aber es gibt keinen Beweis dafür, daß sich Prodikos für die physei- oder die nómo-These entschieden hätte. — Von Hippias ist anzunehmen, daß er die Eigenart von Buchstaben, Silben, Rhythmen und Harmonien eingehend untersucht (.Hippias maior 285 c—d) und diese Sprachelemente auf ihre Richtigkeit {Hippias minor 386 d) geprüft hat. Lersch schließt aus diesen Stellen, „dass seine [Hippias'] grammatischen Versuche etymologisch-zerlegender Art waren" (20 f.). Jedoch haben wir auch für Hippias keinen Beleg, daß und wie er die Alternative physei — nomo auf die Namen bzw. die Sprache angewendet hat. Wohl aber kann man vermuten, daß der Gegensatz von physei und nomo, vor allem im Blick auf die Gesetzgebung, durch Hippias eine weitere Verbreitung fand (vgl. Steinthal I, 1890: 75, 65 f.).
Auch wenn sich konkrete Einzelheiten der Diskussion kaum rekonstruieren lassen, die wenigen uns erhaltenen Quellen dokumentieren immerhin, daß bereits vor Piaton die Sprache ein zentrales T h e m a der philosophischen Diskussion war. Zweifellos haben die Sophisten in dieser Auseinandersetzung eine große Rolle gespielt. Sie betrachten die Sprache nicht nur allgemein im Blick auf ihre Funktion für Denken und Erkennen, sondern stellen gleichzeitig bestimmte formale Eigenschaften heraus, die wir heute als ,grammatische' oder ,lexikographische' bezeichnen würden. Schließlich wird in dieser Zeit (gegen Ende des 5.Jahrhunderts) die Antithese nómos - physis auf die Frage nach dem Verhältnis vom Wesen und Namen der Dinge übertragen (Heinimann 1945: 156 f.). — Das anschaulichste Bild der damaligen sprachphilosophischen Auseinandersetzungen vermittelt Piatons Kratylos. Man sollte jedoch nicht versuchen, die dort verhandelten Themen und Thesen ausschließlich auf die vorplatonische Tradition zurückzuführen. Auch für diesen Dialog darf die Originalität Piatons nicht unterschätzt werden.
2. Die Richtigkeit der Namen: Kratylos
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2. Die Richtigkeit der Namen: Kratylos9 Der Dialog wird geführt zwischen Sokrates, Kratylos und Hermogenes. Kratylos, der zu den jüngeren Sophisten gehört, war Herakliteer und soll nach dem Zeugnis des Aristoteles (Metaphysik 987 a 29 ff.) den jungen Piaton mit dem Heraklitismus vertraut gemacht haben. Hermogenes, der im Gegensatz zu seinem Bruder Kallias nicht mit Reichtümern gesegnet war, gehörte zum Schülerkreis um Sokrates und war vielleicht auch beim Tod des Sokrates anwesend (Phaidon 59 b). Man hat in der Forschung immer wieder versucht, die im Dialog vorgetragenen Thesen historischen Personen (Antisthenes, Protagoras) zuzuordnen. Wahrscheinlicher jedoch ist, daß Piaton mehrere Lehrmeinungen in den Äußerungen der Gesprächspartner zusammengefaßt hat, um das anstehende Problem systematisch darzustellen. Zu Beginn des Platonischen Dialogs bittet Hermogenes den Sokrates, eine Streitfrage, die er gerade mit Kratylos erörtert habe, durch Darlegung der eigenen Ansicht zu entscheiden. Thema dieses Streitgesprächs ist die Richtigkdt der Namen (orthótes tön onomáton). „Name" (ónoma) meint - wie schon bei Heraklit und Parmenides — nicht nur „Eigenname"; sondern ónoma ist ganz allgemein das, womit wir ein Seiendes oder auch ein Tun in seinem Was- und Wiesein benennen, nämlich mit einem Wort. So kann ónoma in diesem Zusammenhang auch „Benennung" heißen. Wird über die orthótes tön onomáton gestritten, dann geht es um das Verhältnis von Wort und Sache. Wollen wir nämlich sprechend die Wirklichkeit treffen und erfassen, dann muß es eine Angemessenheit zwischen Wort und Sache geben. Wollen wir nicht verstummen und nur noch mit dem Finger zeigen, wie Aristoteles dies von Kratylos berichtet (Metaphysik 1010 a 7 ff.), dann müssen wir annehmen, daß unsere Wörter die Sachen erreichen, daß es insofern eine Richtigkeit der Namen gibt. Von dieser Voraussetzung geht auch der Kratylos aus. Die für diesen Dialog entscheidende Frage lautet: Worin gründet die Richtigkeit? Auf diese Frage werden von den Dialogpartnern Kratylos und Hermogenes gegensätzliche Antworten gegeben.
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Die Echtheit des Dialogs ist nicht umstritten; seiner Entstehungszeit nach gehört er zu den mittleren Dialogen, allerdings fallen die genauen Datierungsversuche sehr unterschiedlich aus (zwischen 390 und 370); vgl. Derbolav 1972: 25 ff.
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These des Kratylos: Jegliches Seiende hat seine ihm von Natur zukommende Benennung 1 0 . Es gibt — so wird nach einer ersten Formulierung der Gegenthese noch einmal betont — eine natürliche Richtigkeit der Wörter 1 1 . Dies gilt nicht nur für das Griechische, sondern für alle Sprachen. (Gegen-)These des Hermogenes: Die Richtigkeit der Wörter gründet auf Vertrag (synthéke) und Übereinkunft (homología) 12 , auf Brauch (nomos) und Gewohnheit (éthos) 13 . Als Beleg für seine These erwähnt Hermogenes die Willkürlichkeit der Namengebung für die Sklaven. Es fällt auf, daß die erste Formulierung der Gegenthese (im Unterschied zum einfachen „physei" der These) vier Varianten (Vertrag, Übereinkunft, Brauch/Gesetz, Gewohnheit) anführt. Das mag einerseits ein Indiz dafür sein, daß diese Position schwer zu fassen ist; andererseits wird damit angezeigt, daß mehrere Modifikationen der These, die vielleicht auch historisch vertreten wurden, hier systematisch zusammengefaßt sind. - Bietet die Auffassung des Hermogenes zunächst mehrere Interpretationsmöglichkeiten, so wird sie durch die sich anschließenden Präzisierungen erheblich eingegrenzt. Sokrates läßt seinen Gesprächspartner folgende Zugeständnisse machen (385 a): 1. Wenn jemand einen N a m e n festsetzt, dann kommt dem betreffenden Seienden dieser Name auch zu. 2. Dieses Benennen kann von einem einzelnen, aber auch von der Gemeinschaft einer pòlis vollzogen werden. 3. Es ist sogar möglich, sich eine Privatsprache zu schaffen und so vom allgemeinen Sprachgebrauch abzuweichen. Die N a m e n der Privatsprache sind genauso richtig wie die allgemein gebräuchlichen 14 .
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„... onómatos orthóteta eînai hekásto tön ónton physei pephykyîan ..." (383 a 4 f.). „... orthótetá tina tön onomáton pephykénai ..." (383 a 7f.). „... ou dynamai peisthênai hos álle tis orthótes onómatos è synthéke kaì homología" (384 c 10—d 1). ,,ou gàr physei hekásto pephykénai ónoma oudèn oudeni, allà nomo kaì éthei ton ethisánton kaì kaloúnton" (384 d 6-8). In dieser äußersten Zuspitzung wird bereits die problematische Konsequenz deutlich: Wie kann Kommunikation möglich sein, wenn die Setzung der Wörter vollkommen willkürlich ist?
2. Die Richtigkeit der Namen: Kratylos
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Im Anschluß an diese Klärungen kann die kritische Prüfung einsetzen. Diese Kritik richtet sich gegen die Behauptung des Hermogenes, daß es keine falschen Wörter gibt. Sie richtet sich nicht gegen die Auffassung, daß die Wörter einem Setzen (tithénai) zu verdanken sind 15 . (Aus einem ,Setzen gemäß Übereinkunft' folgt nicht unmittelbar, daß es keine falschen Namen gibt.) Die erste Widerlegung des Sokrates argumentiert so: — Es gibt offensichtlich doch so etwas wie „wahr reden" und „falsch reden" (alethê légein kaì pseudê; 385 b 1 f.). — Folglich gibt es auch einen wahren und falschen lògos (Rede, Satz). Der wahre lògos sagt von den Dingen, wie sie sind; der falsche lògos sagt, wie sie nicht sind 16 . — Beim wahren lògos müssen alle Teile, selbst die kleinsten, wahr sein. — Der kleinste Teil des lògos ist das Wort. — Also ist in einem wahren lògos auch das Wort wahr. Da es falsche lògoi gibt, muß es auch falsche Wörter geben. Diese Konsequenz widerspricht offensichdich der Annahme des Hermogenes, daß es überhaupt keine falschen Wörter gibt. Diese Argumentation ist in der Platon-Forschung breit diskutiert worden 1 7 . Um die Argumentationsstruktur deutlicher zu machen, baut man folgenden Schluß auf: 1. Es gibt wahre und falsche Sätze. 2. Wörter sind Teile von Sätzen. 3. Also gibt es wahre und falsche Wörter. Dieser Schluß ist problematisch, sofern er unterstellt, daß der Satz „aus einer stückhaften Akkumulation von Worten (Satzteilen) besteht" (Derbolav 1972: 113). Sodann läßt sich darüber streiten, welche ,Satztheorie' Piaton hier (im Vergleich zum Sophistes; vgl. u. S. 58 ff.) vertritt. Das wiederum gibt Hinweise für das Datierungsproblem des Kratylos. — Bei genauerem Hinsehen erscheint allerdings diese Auseinandersetzung problematischer als der Platonische Text. Den entsprechenden Interpretationsversuchen liegt nämlich eine ,logische' Sichtweise zugrunde. Zum einen ist der Versuch, die Argumentation auf eine Art Syllogismus zu reduzieren, äußerst fraglich. 15
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Bereits Steinthal bemerkt treffend: „Das steht [auch schon bei der vorplatonischen Diskussion] stillschweigend fest, dass die Wörter gemacht, gegeben sein müssen; nur: o b richtig oder nicht, das war die Frage" (I, 1890: 78). D a s wird im Sophistes weiter entfaltet; vgl. u. S. 63. M a n vgl. die Darlegung (mit den entsprechenden Literaturangaben) bei R. Rehn, Der logos der Seele. Wesen, Aufgabe und Bedeutung der Sprache in der platonischen Philosophie, Hamburg 1982, 11 ff.
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Gerade auch für den K r a t y l o s bleibt Gadamers empfohlene ,hermeneutische Voraussetzung', „daß es sich hier um Gespräche handelt", gültig18. — Zum anderen wird bei der Kritik an dem ersten Argument des Sokrates vorausgesetzt, daß nur dem (Aussage-)Satz Wahrheit zukommt 19 . Hält man sich von diesem (aristotelischen) Vorurteil frei, dann ergibt die Argumentation sehr wohl einen guten Sinn 20 : Der lògos als solcher könnte gar nicht wahr sein, wenn nicht auch die Wörter wahr in dem Sinne wären, daß sie etwas von der Wirklichkeit zu erkennen geben, d. h. etwas offenbaren. Und: Es wäre für uns sinnlos, zwischen wahren und falschen lógoi zu unterscheiden, wenn es grundsätzlich keine Richtigkeit bzw. Wahrheit der Namen gäbe, wenn die Wörter das Seiende prinzipiell verfehlen müßten 21 . Hermogenes geht auf die Widerlegung des Sokrates gar nicht ein, sondern wiederholt seine Auffassung von der Beliebigkeit der Namengebung (ein Indiz nicht nur für mangelnde Einsicht, sondern auch für die Schwierigkeit der Sache). Als Beleg für seine These führt Hermogenes ein Argument an, das so alt sein dürfte wie eine 18
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Logos und Ergon im platonischen Lysis, in: Kleine Schriften III, Tübingen 1972, 53. Gadamer geht es um folgende Einsicht: „Auch wir verhalten uns in Gesprächen nicht more geometrico, sondern bewegen uns in einem lebendigen Spiel des Wagens von Behauptungen und des Zurücknehmens von Gesagtem, des Annehmens und des Verweigerns, durch das sich Verständigung anbahnt. Es scheint mir daher überhaupt keine vernünftige Aufgabe für das Studium Piatos, Plato auf die logischen Finger zu sehen ..." (ebd.). — H.Meißner hat diese Maxime für unzureichend erklärt: Der tiefere Logos Piatons. Eine Auseinandersetzung mit dem Problem der Widersprüche in Piatons Werken, Heidelberg 1978, 15 ff. Meißner geht von einem zweischichtigen' lògos bei Piaton aus, „der dem Gros der Menschen etwas anderes sagt als den wenigen Vernünftigen" (19). Die Durchführung dieser Interpretationshypothese kommt jedoch nicht zu befriedigenden Resultaten. Diesem ,logischen' Vorurteil entgeht auch K. Gaiser nicht, wenn er behauptet, daß „die Nenn- oder Bezeichnungsfunktion des Namens [...] durch die Einbeziehung des Gegenstandes zur Aussagefunktion [!] ausgeweitet" wird (Name und Sache in Piatons ,Kratylos', Heidelberg 1974, 99). Ähnlich bei K. Lorenz/J. Mittelstrass, On Rational Philosophy ofLanguage: The Programme in Plato's ,Crafylus' Reconsidered, in: Mind 76/301 (1967), 1-20, besonders 6. Der Auffassung Rehns (1982: 14) wird damit widersprochen. Nach Rehn handelt es sich hier um eines von vier Scheinargumenten, die in Wahrheit nicht die These des Hermogenes, sondern die des Kratylos schwächen sollen. Daß im ersten Teil des Dialogs vier Sophismen vorgeführt werden, behauptet auch Coseriu I, 1975: 47 f. Zur Unterscheidung von Wahrheit und Richtigkeit vgl. 430 d 2-7; vgl. u. S. 44. Diese Unterscheidung wird allerdings nicht strikt durchgeführt (vgl. Gaiser 1974: 35 Anm. 64).
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sprachphilosophische Reflexion überhaupt: die Verschiedenheit der Sprachen und die (Dialekt-)Unterschiede in ein und derselben Sprache. „Und so sehe ich auch, daß für dieselbe Sprache bisweilen einzelne Städte ihr eigenes eingeführtes Wort haben, und Hellenen ein anderes als andere Hellenen, und Hellenen auch wiederum andere als Barbaren" (385 d 9-e 3). Daraufhin setzt Sokrates mit einer komplexeren Kritik ein, indem er die Betrachtung auf das Seiende lenkt (385 e 4). Die Sprachauffassung des Hermogenes läßt sich nämlich mit einer bestimmten ,Ontologie' in Verbindung bringen, wie sie in dem sog. homo-mensuraSatz des Protagoras exemplarisch formuliert ist: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge (der seienden, wie sie sind, der nicht seienden, wie sie nicht sind)"22. „Mensch" meint in diesem Satz: der einzelne Mensch, nicht: „Mensch überhaupt". So jedenfalls interpretiert Piaton, und es gibt keinen Anhaltspunkt für eine andere Interpretationsmöglichkeit. Demnach vertritt Protagoras einen strikten Relativismus. Wie mir die Dinge (in der sinnlichen Wahrnehmung) erscheinen, so sind sie auch. Wenn sie einem anderen Menschen anders erscheinen, dann sind die Dinge eben selbst anders. Diese Auffassung wird im Kratylos durch folgende Überlegung zurückgewiesen: — Ganz offensichtlich gibt es gute und schlechte Menschen, auch wenn die guten relativ selten anzutreffen sind. Die guten Menschen sind einsichtig, die schlechten uneinsichtig. — Das widerspricht dem Satz des Protagoras. Wenn nämlich die Dinge nur so sind, wie sie einem gerade erscheinen, dann ist es sinnlos, zwischen einsichtigen und uneinsichtigen Menschen zu unterscheiden; dann sind alle gleichermaßen vernünftig 23 . Zu derselben unhaltbaren Konsequenz führt auch die sog. Allprädikationslehre des Euthydemos. Euthydemos behauptet: Allen kommt alles auf gleiche Weise und immer zu (386 d 4). Es ist klar, daß auch diese These nicht mit den uns vertrauten Unterscheidungen von gut und schlecht, von Trefflichkeit und Schlechtigkeit in Einklang zu bringen ist. Wenn aber die Thesen des Protagoras und des Euthydemos nicht zu halten sind, dann muß man folgern: Die Dinge, wie sie selbst 22 23
3 85 e 6 - 3 8 6 a 1; vollständig im Theaitetos 152 a 2 - 4 ; Diels/Kranz 80, Β 1. Man kann hier schon einen Bezug zum Problem der Benennung herstellen: Wenn es Grade der Einsicht bei der Erkenntnis der Dinge gibt, dann gibt es auch Unterschiede bei der Benennung, dann können auch nicht alle Namen unterschiedslos
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sind, haben ihr festes Wesen. Die Dinge sind nicht so, wie sie uns in wechselhafter Einbildung erscheinen; sondern sie haben selbst ihr eigenes Wesen, so, wie sie von Natur aus sind 24 . Wird für das Erkennen der Dinge menschliche Willkür zurückgewiesen, so könnte der Satz des Protagoras vielleicht doch für unseren handelnden Umgang mit den Dingen (prâxis) gelten. Gibt nicht der Mensch den Handlungen nach eigenem Gutdünken das Maß? — Eine solche Ansicht verfehlt jedoch die Eigenart menschlicher prâxis. Auch den Handlungen kommt eine eigene Wesensart (eidos; 386 e 8) zu; sie werden ihrer eigenen Natur gemäß vollzogen (387 a 1) und nicht nach dem Maß unserer beliebigen Meinung (doxa; 387 a 2). Sokrates erläutert das am Beispiel des Schneidens und Brennens (387 a—b). Wenn wir etwas schneiden wollen, dann müssen wir uns nach der spezifischen Eigenart dessen, was geschnitten werden soll, richten und ein entsprechendes Werkzeug wählen. Holz wird z. B. anders geschnitten als Brot. Allgemein: Wenn unser tätiger Umgang mit den Dingen erfolgreich sein soll, dann müssen wir uns an der jeweiligen Natur eines bestimmten Handelns orientieren. Die prâxis ist eben kein willkürliches Hantieren, sondern eine eigene Art des Wissens, die durch eine eigene Sicht auf die Sachen geleitet wird. Nicht nur die Dinge, sondern auch die Handlungen haben ihren natürlichen Wesensanblick. Diese Einsicht ist auf das Thema des Dialogs anzuwenden. Auch das Reden (légein) ist ein Handeln: ein Handeln in bezug auf die Dinge 25 . Das heißt zunächst: Auch redend gehe ich auf irgendeine Weise mit den Dingen um, und dieses Umgehen ist von einer besonderen Art des Wissens geleitet 26 . Ist das Reden ein Handeln, dann richtig sein. Dieser Bezug wird im Dialog nicht hergestellt; die Argumentation zielt weiter, nämlich auf eine positive Bestimmung des Wortes. 24 „... kath' hautà prós tèn hautôn ousían échonta hêper péphyken" (386 e 3 f.). Auch hier meint Rehn (1982: 14f.) ein Scheinargument feststellen zu müssen, da die Widerlegung des Protagoras auf der nach Piaton falschen These beruhe, daß den empirischen Dingen ein festes Wesen zukomme. Indessen: Es wird im Text nirgends behauptet, daß die sinnlich wahrnehmbaren Dinge das Wesen sind. Wohl aber können wir durch das Sinnliche hindurch auf das gleichbleibende Wesen ,sehen'; nur so vermögen wir im ,Fluß' des Empirischen zu Erkenntnissen zu gelangen. In dieser Hinsicht besteht auch kein Widerspruch zwischen dieser Kraty/oi-Stelle und der Protagoras-Auseinandersetzung im Theaitetos. 25 „... tò légein prâxis tis ên perì tà prágmata" (387 c 10). 26 Der von Platon entdeckte Handlungscharakter der Sprache ist in der Sprachphilosophie unseres Jahrhunderts in vielfältiger Hinsicht thematisiert worden: z. B. als empraktischer Bezug bei Bühler, als Sprachspiel bei Wittgenstein, als Entlastungs-
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redet man nur dann richtig, wenn man nicht der eigenen Willkür folgt, sondern der Natur des Sprechens über die Dinge. Was für das Reden allgemein gilt, gilt auch für das Benennen (onomázein). Denn das Benennen ist ein notwendiger Bestandteil des Redens; und was für das Ganze gilt, gilt auch für dessen Teile. Also muß man die Dinge so benennen, wie ihnen das Benennen und Benanntwerden von Natur aus zukommt. Die These des Hermogenes, nach der das Namengeben vollkommen willkürlich ist, erweist sich auf der Grundlage dieser Überlegungen als unhaltbar. Damit ist der Weg frei für eine Wesensbestimmung des Wortes. Die Einordnung der Wörter in den Bereich des Handelns sagt ja noch nichts über ihren spezifischen Handlungscharakter. Die genauere Bestimmung des Wortes qua ónoma wird durch einen für die weitere Geschichte der Sprachphilosophie folgenschweren Vergleich bestimmt, nämlich durch den Vergleich mit der Tätigkeit des Handwerkers.
Das Benennen ist ein praktischer' Umgang mit den Dingen, vergleichbar dem Schneiden, Bohren und Weben. Solche Tätigkeiten können nur gelingen, wenn man entsprechende Werkzeuge zur Verfügung hat. Deshalb braucht man auch für die prâxis des Benennens ein Werkzeug. Dieses Werkzeug kann wohl nichts anderes sein als das Wort. „Also ist auch das Wort eine Art Werkzeug" (388 a 8). Was aber leistet dieses Wortwerkzeug? Sokrates gibt folgende Antwort: Durch das Wort belehren wir einander, und zwar so, daß wir durch die Worte die Dinge scheiden und unterscheiden (diakrinein). Da wir aber die Dinge scheiden, indem wir deren Wesen unterscheiden, muß man sagen: Das Wort ist ein belehrendes Werkzeug, sofern es zur Unterscheidung des Wesens (ousia) dient. „Das Wort ist also ein belehrendes Werkzeug und ein das Wesen unterscheidendes und sonderndes, wie die Weberlade 27 das Gewebe sondert" (388 b 13-c 1).
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handlung bei Gehlen; in diesen Z u s a m m e n h a n g gehören auch die Sprechakttheorien Austins und Searles, die Analyse der Sprache im Z u s a m m e n h a n g leibhafter Ausdrucksbewegungen bei Merleau-Ponty. „kerkis" wird teils mit „Schiffchen", teils mit „Weberlade" übersetzt. W. Bröcker (Piatos Gespräche, F r a n k f u r t / M . 1964, 332 f.) hat darauf aufmerksam gemacht, daß das „Geschirr" gemeint sein müsse, nämlich dasjenige Werkzeug, das eine Klasse von Fäden (gerade bzw. ungerade) heraushebt. D e r N a m e sei dann Werkzeug in folgendem Sinne: „Er hebt mit einem Schlage aus den durcheinanderliegenden Dingen alle heraus, die gleichen Wesens sind, — wenn er ein richtiger N a m e ist. Er ist falsch, wenn er dem Wesen nach Nichtzusammengehöriges zusammen her-
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III. Platon
Nach Derbolav (1972: 84—87) führt die Werkzeuginterpretation vor zwei Aponen. „Man kann sich zunächst fragen - und dies ist die erste Aporie - , ob denn das Wort als Mittel und Werkzeug der Benennung vorausgeht oder ob es erst aus dem Akt der Benennung selber resultiert" (84). Derbolav löst diese Aporie so auf: „Namen sind Mittel der Benennung, wo sie gleichsam vorgeprägt übernommen werden und erst zum Sinn der Dinge hinführen [...]; sie sind Resultat der Benennung, sofern sie durch die denkende Bestimmung des Gemeinten selber modifiziert und formiert werden" (87). — Diese Unterscheidung scheint zunächst einleuchtend. Es sollte aber nicht übersehen werden, daß auch im zweiten Fall das Wort Werkzeug ist, nämlich Mittel zur Unterscheidung der Dinge. Im ersten Fall ist das Wort bereits ,fertiges', im zweiten Fall erst noch zu schaffendes Werkzeug. Man könnte noch einen dritten Aspekt des Werkzeugcharakters unterscheiden: Das ónoma ist Werkzeug für das légein. Das ,Αροretische' verschwindet, wenn man betont, daß alle genannten Momente nicht getrennt, sondern als Einheit im Sprechen vorliegen. Diese Überlegungen führen letztlich zur Frage nach dem Zusammenhang von Sprechen und Denken; das ist aber nicht das zentrale Thema des Kratyhs, der am Ende dem Denken einen prinzipiellen Vorrang einräumen wird. Eine zweite Aporie ergibt sich nach Derbolav durch den Doppelsinn von diakrinein (scheiden, unterscheiden): Entweder konstituieren die Namen die Dingwelt - mit der problematischen Konsequenz, daß die Wirklichkeit in der Sprache aufgeht. Oder die Namen unterscheiden die Dinge nach einer ihnen vorgegebenen Bestimmtheit - mit der problematischen Konsequenz, daß das Wort bloße Abbildung der Wirklichkeit ist. Diese Aporie wird von Derbolav analog zur ersten aufgelöst: Die Sprache „ist Scheidung dort, wo die übernommene Sprache noch die eigene Erfahrung artikuliert, Unterscheidung aber, wo der übernommene Wortschatz bereits vom Denken geprägt und bestimmt ist" (87). - Die Überlegungen Derbolavs verweisen zweifellos auf zentrale sprachphilosophische Probleme; es ist aber nicht nötig, im Blick auf das diakrinein eine Aporie zu konstruieren. Natürlich werden die Dinge und ihre Unterschiede nicht durch Wörter konstituiert (wie auch die Weberlade die Fäden nicht schafft). Aber das Wort macht für uns die Dinge greifbar, indem es in der Einheit einer Benennung Dinge heraushebt und sie von anderen durch Unterscheidung scheidet (wie die Weberlade bestimmte Fäden heraushebt und sie von anderen sondert). Mehr ist wohl an dieser Stelle nicht intendiert. Es geht hier nicht um die vollständige Lösung des sprachlichen Vermitdungsproblems.
Der Vergleich wird weiter durchgeführt, zunächst mit dem Hinweis, daß nicht jeder das Werkzeug in der rechten Weise (kalôs; 388 c 5) gebrauchen kann. Wie nur ein geschickter Weber mit der Weberlade angemessen umgehen kann, so ist auch das Wort nur dann belehrend, wenn es in der rechten Weise vom ,Lehrer' gebraucht wird. Das heißt: Der angemessene Umgang mit den Wörtern (ihr richtiger Gebrauch) ist eigens zu erlernen; Wörter können — wie die Werkzeuge — auch falsch eingesetzt und mißbraucht werden. Der Veraushebt" (333). Gaiser (1974: 21 Anm.41) hat dagegen wieder „Schiffchen" verteidigt. Ohne diese Streitfrage entscheiden zu wollen, bleibe ich — Schleiermacher folgend - bei „Weberlade".
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gleich zielt jedoch weniger auf den Gebrauch als vielmehr auf den Hersteller. Nur derjenige vermag ein Werkzeug richtig herzustellen, der über ein besonderes Können und Wissen (téchne; 388 d 4) verfügt. Uber diese erforderliche téchne verfügt etwa der Tischler zur Herstellung der Weberlade, der Kleinschmied zur Herstellung des Bohrers. Wer aber verfügt über die besondere téchne, um die Wortwerkzeuge zu schaffen? Sokrates erinnert den hilflosen Hermogenes an dessen eigene These, in der er u. a. behauptet hatte, die Richtigkeit der Namen gründe auf dem nómos (Brauch, Gewohnheit, Gesetz)28. Wenn die Richtigkeit der Namen im nómos gründet, dann kann man sagen: Die Wörter sind ein Werk des nomothétes (388 e 1), des Brauchstifters 29 bzw. Gesetzgebers. Und weiter: Gesetzgeber kann nur sein, wer über eine entsprechende téchne verfügt. Folglich ist auch nicht jedermann imstande, Wörter zu setzen (thésthai; 388 e 7); sondern es bedarf dazu eines eigenen Wortbildners, eines Namenstifters (onomatourgós; 389 a 1). Es scheint, daß solche schöpferische Fähigkeit außerordentlich selten vorkommt. Im vergleichenden Hinblick auf die Tätigkeit des Handwerkers kann das Schaffen (poieîn) des Wortbildners genauer bestimmt werden. Wenn der Tischler eine Weberlade herstellt, dann muß er auf das sehen, was seiner Natur (seinem Wesen) nach dazu da ist, die Fäden zu sondern. Er muß auf das betreffende eidos (389 b 3) blikken; dieses ist die Weberlade selbst (autó, 389 b 5). Das bedeutet: Wenn der Tischler eine neue Weberlade herstellt, dann orientiert er sich nicht an einem empirisch vorhandenen Muster; vielmehr ist sein Tun geleitet vom Wissen um das eidos. Der Wesensanblick selbst leitet die Herstellung. Der Hersteller muß weiterhin beachten, für welche Art von Gewebe (dichteres oder dünneres) die Weberlade geeignet sein soll, um das Material des Werkzeugs entsprechend auszusuchen und zu gestalten. — Daraus ergibt sich eine zweifache Konsequenz für die Tätigkeit des Wortsetzens: 1. Der Namengeber darf nicht auf einzelne konkrete Worte blicken, sondern muß sich nach dem eidos richten, nach dem Wort selbst. 28
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Es sei noch einmal daraufhingewiesen, daß sich die Kritik des Sokrates gegen die Auflassung wendet, daß es nur richtige N a m e n gebe. Sie richtet sich nicht gegen die Herkunft der Worte aus dem nómos und nicht gegen das Gesetztsein. Zwar verknüpft Hermogenes die Willkür der Namengebung mit der Herkunft der Worte aus dem Brauch; aber diese Verbindung ist, wie der Dialogverlauf zeigen wird, nicht zwingend. So übersetzt Bröcker 1964: 333.
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III. Platon
2. Wie für die Herstellung der Weberlade die unterschiedliche Stoffqualität beachtet werden muß, so muß das Wort auf unterschiedlich Bestimmtes (Sachen und Sachverhalte) verweisen. Dabei kann es nicht darum gehen, daß jeder Namenstifter dieselben Laute und Silben verwendet; das widerspräche der Verschiedenheit der Sprachen. Es genügt, wenn dieselbe Wesensgestalt (eîdos, idèa) wiedergegeben, d. h. ein Bestimmtes und so Umgrenztes vom Wort getroffen wird. Soweit scheint die Interpretation der Stelle 389 a - 3 9 0 a unstrittig zu sein. Schwieriger ist es, den ersten Aspekt zu konkretisieren. Was ist mit dem „Wort selbst" genauer gemeint? — Eine einleuchtende Interpretation hat Derbolav (1972: 83 f.) vorgelegt: Der erste Aspekt meine die Worthaftigkeit, d. h. „die Qualität, ein verweisendes Lautgebilde zu sein." Dagegen hat Rehn — im Anschluß an H. G. Weingartner — geltend gemacht, „daß Piaton bei dem Ausdruck ,das Wort selbst' vor allem die Funktion des Wortes, das Lehren und Unterscheiden im Auge hat" (1982: 21). Es ergibt sich jedoch gar kein Widerspruch, wenn m a n beides zusammennimmt: Das Wesen des Wortes liegt darin, daß es aus artikulierten Lauten gebildet wird und als dieses Lautgebilde uns über die Unterscheidung der Dinge belehrt. Vielleicht will Piaton in diesem Zusammenhang auch nur darauf verweisen, d a ß der Wortstifter nicht eine einfache, ,eindimensionale' Tätigkeit ausübt, sondern eine Relation schaffen muß, nämlich die Beziehung zwischen Wort (1.) und Sache (2.). Wird das beachtet, dann stellt die Vielheit der Sprachen vor kein gravierendes Problem hinsichdich der belehrenden Funktion der Worte.
Der Vergleich mit dem handwerklichen Schaffen kommt in folgender Überlegung ans Ziel: Offensichtlich gelingen Werkzeuge nicht immer gleich gut; sie haben eine unterschiedliche Tauglichkeit. Dies kann nicht der Hersteller am besten beurteilen, sondern derjenige, der das Werkzeug gebraucht (für die Weberlade der Weber, für die Kithara der Kitharaspieler etc.). Steht es so, dann kann derjenige am besten das Wortwerkzeug beurteilen, der sich in besonderer Weise auf die Kunst des Gesprächs versteht. Ein solcher Fachmann heißt Dialektiker (dialektikós; 390 c 11)30. Sokrates selbst formuliert das Resultat des ersten Dialogteils: Nicht jeder beliebige könne die thésis (390 d 8) vollziehen (wie auch nicht jeder ihre Qualität beurteilen kann). Man müsse wohl Kratylos recht geben, wenn er behaupte, den Dingen kämen die Worte von Natur 30
Auf dem Hintergrund der Dichterkritik im zweiten und dritten Buch der Politela ist es nicht verwunderlich, daß Piaton den Dichtern die Beurteilung der N a m e n nicht zutraut. D e r drohenden Verbannung der Dichter aus dem Staat entspricht die weitgehende Eliminierung der Dichtung aus der Sprachphilosophie. — Gentinetta (1961: 50 f.) überschätzt die Autorität der Dichter für den Kratylos.
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aus zu. Der Wortstifter müsse auf den einem jeden von Natur aus zukommenden Namen sehen und dessen eidos in Buchstaben und Silben hineinbilden. — Dieses Ergebnis darf jedoch nicht überbewertet werden. Zwar ist dargelegt, daß es von Natur aus eine gewisse Richtigkeit des Wortes gibt; damit aber stellt sich ein neues Problem: Was ist unter „natürlicher Richtigkeit" zu verstehen? Läßt sich die natürliche Richtigkeit der Wörter im einzelnen aufweisen? In dem sich anschließenden, sehr umfangreichen zweiten Teil des Dialogs wird die natürliche Richtigkeit der Wörter durch ihre etymologische Herkunft zu ergründen versucht. Was liegt näher, als sich bei Homer, dem Dichter schlechthin, Auskunft über das Prinzip der Namengebung zu holen? Die zunächst genannten Beispiele für unterschiedliche Namengebung durch Götter und Menschen 3 1 werden — weil zu schwierig — nicht erklärt. Aber „Astyanax" als angemessener Name für Hektors Sohn bringt Sokrates auf eine Spur. Homer benennt jemanden nach seiner bestimmenden Herkunft, nach seinem génos (393 c 1). Dann muß etwa der Sohn des Königs auch „König" genannt werden. Dabei — so wird noch einmal betont sind bestimmte Buchstaben und Silben nicht entscheidend, wenn nur das Wesen des jeweiligen Seienden im Namen offenbar wird (393 d 3 f.). Der Wortkundige läßt sich durch ,Beimischungen' einzelner Buchstaben nicht verwirren, weil er auf die dynamis des Wortes (394 b 6) sieht, auf das, was das Wort zu leisten vermag 3 2 . Sehr bald aber zeigt sich schon die Problematik dieses Benennungsprinzips (und vielleicht auch die Unzulänglichkeit dichterischer Benennung): Manchmal sind die Namen verdunkelt (z. B. Atreus); manchmal scheint die wahre Natur absichtlich verborgen zu sein (z. B. Tañíalos). Sokrates jedoch läßt sich nicht beirren. Er sei nämlich — so versichert er dem Hermogenes ironisch und auf diese Weise vor dem Folgenden warnend — von einem Enthusiasmus befallen. 31
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Folgende Beispiele aus der Ilias werden angeführt: der Fluß, der von den Göttern „Xanthos", von den Menschen „Skamandros" genannt wird (XX, 74); der Vogel, den die Götter „Chalkis", die Menschen „Kymindis" nennen (XIV, 291); der Hügel, den die Götter mit „Myrine", die Menschen mit „Batieia" bezeichnen (II, 813 ff.). - Der andere Name für den Sohn Hektors ist „Skamandrios" (VI, 402 f.). Sokrates führt als Beleg die Buchstabenbezeichnung bêta an. Die Hinzufügung der Buchstaben e, t, a ändert nichts an der Klarheit der Namengebung. Der hier bereits formulierte Vorbehalt wird im Überschwang des Etymologisierens bald hintangestellt.
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III. Platon
Von diesem gottbegeisterten Zustand wolle er sich erst am nächsten Tag befreien lassen, um für heute die Darlegung über die Wörter zu Ende bringen zu können. Das Gespräch läßt nun die Eigennamen auf sich beruhen. Sie sind nämlich insofern unergiebig, als sie sich entweder nur nach den Vorfahren richten oder bloß die Wünsche der Eltern offenbaren. Erfolgversprechender scheint es zu sein, sich dem Bereich des Immerseienden und dem Naturhaften (397 b 8) zuzuwenden. Aber auch hier steht man sehr bald vor erheblichen Schwierigkeiten: Daß man bei der Wortbildung Buchstaben und Silben der ursprünglichen Wörter weggelassen, anderes ergänzt, die Betonung verändert hat (399 a—b), mag noch bis zu einem gewissen Grad durchschaubar sein. Problematischer für den Nachweis der natürlichen Richtigkeit ist es, daß sich eine gewisse Beliebigkeit zeigt, sofern mehrere Deutungen eines Wortes miteinander konkurrieren. Weiterhin müssen zur Erklärung mancher Bezeichnungen philosophische Lehren herangezogen werden, etwa die des Anaxagoras (400 a 9), vor allem aber die These Heraklits, daß das Seiende ständig in Bewegung sei und es nichts Festes gebe. Diese Lehre scheint bestimmend für einige Götternamen 33 , etwa Kronos (krounós - Quelle; vgl. dagegen 396 b) oder Rhea (rheîn — fließen); aber zum Beispiel auch die Worte: „Luft" (aér von aei rheî - was immer fließt) und „Äther" (von aeî theî — was immer läuft) verraten deutlich den Einfluß des Heraklitismus. Geradezu überdeutlich wird das etymologische Verfahren ad absurdum geführt bei der Darlegung des Namens „Apollon" (404 d 8— 406 a 3). Sokrates führt derart viele Erklärungsmöglichkeiten an, daß mit diesem Namen fast alles und jedes ausgedrückt werden kann; sachliche Zusammenhänge lassen sich höchstens gewaltsam herstellen. Trotz der sich häufenden Schwierigkeiten hält der EtymologieRausch an. Sokrates erwähnt, daß sich die alten Wortsetzer bei der Erforschung des Seienden wohl zuviel hin- und hergedreht hätten, so daß ihnen schwindlig geworden sei. Sie hätten jedoch den eigenen Schwindel nicht bemerkt und deshalb (wie Heraklit) angenommen, daß das Seiende selbst sich immer bewege (411 b 3—c 10). Dafür 33
Die Erklärung der Götternamen erfolgt unter der Einschränkung, daß man nur die Meinung (doxa) der Menschen bei der Namensetzung erkunden könne. Denn von den Göttern selbst wissen wir nichts, folglich auch nicht, wie sie selbst einander richtig benennen (400 d 6—401 a 5).
2. Die Richtigkeit der Namen: Kratybs
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wird sogleich auch eine Fülle von Belegen beigebracht. Hermogenes, zunächst vom Wissen des Sokrates tief beeindruckt, bemerkt zwischendurch doch, daß die Erklärungen immer bunter werden; er habe den Eindruck, als wolle Sokrates zu einem dithyrambischen Kultlied anheben (417 e 6—418 a 1). Am Ende kommt trotz aller Drehungen und Wendungen auch die enthusiastische Weisheit des Sokrates nicht weiter, weil folgendes grundsätzliche Problem des etymologischen Verfahrens deutlich wird: Zuletzt sind die meisten Wörter auf ión (gehend), rhéon (fließend) und doûn (bindend) zurückgeführt worden. Wie verhält es sich aber mit der Richtigkeit dieser Grundwörter; wie sollen sie erklärt werden? Man könnte diesem Problem mit zwei Kunstgriffen auszuweichen versuchen. Man behauptet: 1. Es handelt sich um Wörter, die von den Barbaren übernommen wurden (so bereits: 409 d 9—e 2; 416 a 6). 2. Aufgrund ihres hohen Alters sind die ersten Wörter unerforschbar (421 c 12—d 5). — Diese Antworten sind jedoch bloße Ausflüchte, die das Problem der natürlichen Wortrichtigkeit letztlich ungelöst lassen. Wie aber soll man vorgehen? Um einem haltlosen Fortschreiten bzw. dem willkürlichen Abbruch des etymologischen Rückgangs zu entgehen, wird zunächst festgehalten, daß man mit Recht aufhören kann (und muß), nach der Herkunft der Wörter zu fragen, wenn man bei den Elementen (stoicheîa; 422 a 3) angelangt ist, aus denen alle anderen Wörter zusammengesetzt sind. Solche Stamm- oder Grundwörter scheinen ión, rhéon, doûn zu sein. Deren Richtigkeit müßte durch eine andere Methode aufgewiesen werden. Beim Methodenwechsel wäre allerdings zu beachten: Es darf nicht nach einer anderen Richtigkeit geforscht werden. „Richtigkeit" muß weiterhin heißen: Die Wörter (auch die Stammwörter) offenbaren das Wie- und Wassein des Seienden. - Der Versuch, dieses Problem zu klären, macht eine erneute Reflexion über das Wesen der Sprache notwendig. Damit setzt der dritte Teil des Dialogs ein. Wollen wir ohne Sprache die Dinge offenbaren und kundtun, dann müssen wir mit Gesten und Gebärden auf die Dinge verweisen (semainein; 422 e 4). Diese Art der Verständigung ist uns durch das Verhalten der Stummen vertraut. Dazu muß man den Körper oder bestimmte Körperteile den Dingen, die bezeichnet werden sollen, möglichst ähnlich machen. Das heißt: Wir ahmen mit dem Körper die Dinge nach (mimeîsthai; 423 b 1). Dann aber ist doch wohl anzu-
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III. Platon
nehmen, daß auch die Kundgabe mit Stimme, Mund und Zunge eine Nachahmung (mimema; 423 b 6) ist. Folglich kann das Eigentümliche des Wortes jetzt so gefaßt werden: „Das Wort ist also, wie es scheint, eine stimmliche Nachahmung (mimema phone) dessen, was es nachahmt; und derjenige benennt etwas, der das, was er nachahmt, mit der Stimme nachahmt" (423 b 9—11). Diese Wesensbestimmung des Wortes ist vor naheliegenden Mißverständnissen zu bewahren. Es kommt nicht auf eine möglichst genaue stimmliche Imitation (etwa für Tierlaute) an 3 4 . Das sind onomatopoetische Sonderfalle, die nicht zum Prinzip für alle Namen gemacht werden können. Die angegebene Definition zielt auch nicht auf die musikalische Nachahmung oder auf die Nachahmung von Form und Farbe der Dinge. Dann nämlich wären Tonkünstler und Maler die besten Wortbildner. Solche Arten der Nachahmung gehen über das äußere Erscheinungsbild nicht hinaus. Es kommt jedoch, wie noch einmal erinnert wird, darauf an, im Namen die jeweilige ousia des Seienden zu unterscheiden. Vermöchte also jemand die ousia eines jeden Dings in Buchstaben und Silben nachzuahmen, dann könnte er das Seiende in seinem Wassein kundtun. Wer sich so auf die Kunst des Benennens verstünde, hieße mit Recht onomastikós (424 a 6) 35 . U m zu prüfen, ob die Elementarwörter gelungene Nachahmungen sind, müßte folgendes Einteilungsverfahren (tropos tés diairéseos; 424 b 7) durchgeführt werden 36 : Zunächst wären Vokale und Konsonanten zu unterscheiden und zu bestimmen. Die Konsonanten müßten in stimmhafte und stimmlose eingeteilt werden. Nach der Gliederung der Laute müßte das zu benennende Seiende selbst vorgenommen werden, um zu prüfen, ob es auch hier grundlegende Elemente gibt, die sich in verschiedene Arten gruppieren lassen. Dann müßten die Einzelteile aufeinander bezogen werden. Es wäre zu klären, ob bereits ein einzelner Laut dem zu benennenden Ding korrespondiert oder ob die Buchstaben zu mischen sind (wie beim Malen die Farben). Man käme so vom einzelnen Laut zu den Silben, anschließend zu den verschiedenen Wörtern und Wortarten, endlich zum vollstän34
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Herders Abhandlung über den Ursprung der Sprache setzt mit dem Beispiel vom blökenden Schaf genau hier an. Das Wort ist analog zu mousikós (Musiker) und graphikós (Maler) gebildet (424 a 3). Auf die Beispielfunktion dieser Dihairesis für die späteren Dialoge (Theaitetos, Sophistes, Politikos, Philebos, Timaros) verweist Gaiser 1974: 107 f.
2. Die Richtigkeit der N a m e n : Kratylos
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digen Satz. Diese Dihairesis dürfte natürlich nicht eine neue Sprache entwerfen; vielmehr sollte so die überlieferte Sprache re-konstruiert werden, um über Angemessenheit oder Unangemessenheit der Wortbildungen entscheiden zu können. Indessen: Die bloße Beschreibung dieses Verfahrens macht bereits die unüberwindlichen Schwierigkeiten einer solchen Rekonstruktion offenkundig. Sokrates weist auch sogleich darauf hin, daß man eine derartige Untersuchung nicht vollständig durchführen könne (425 b 5 ff.). Überdies - so wird noch einmal betont - erreiche man auf diese Weise nicht Einsicht in die Wahrheit, sondern nur die Meinungen der Menschen (425 c 1 ff.); und das Ergebnis werde wohl lächerlich sein (425 b 1). Wie aber soll man anders die Richtigkeit der Elementarwörter dartun? Neben den bereits zurückgewiesenen Ausflüchten (barbarischer Ursprung, hohes Alter) bliebe noch der Kunstgriff der Tragödiendichter, mit einem deus ex machina die anstehenden Probleme zu lösen. Das heißt: Man könnte behaupten, daß die ersten Wörter von den Göttern selbst gesetzt und deshalb notwendigerweise richtig seien. Aber offensichdich wäre eine solche Auskunft nichts als das verdeckte Eingeständnis des Scheiterns. Kann man aber die Richtigkeit der Elementarwörter nicht belegen, dann bleibt auch die Richtigkeit der abgeleiteten Wörter problematisch, dann bleibt das gesamte etymologische Verfahren letztlich grund- und bodenlos (426 a-b). Weil es jedoch kein anderes Verfahren zum Nachweis der Richtigkeit der Grundwörter zu geben scheint, werden trotz der genannten Probleme einige Beispiele gegeben, welche die Dihairesis wenigstens andeutungsweise konkretisieren: Das Rho scheint das geeignete Werkzeug zum Ausdruck der Bewegung zu sein, weil die Zunge bei der Artikulation dieses Lauts nicht stillsteht. Das Iota drückt das Feine und Zarte aus, das am leichtesten durch alles hindurchgeht. Beim Delta und Tau wird die Zunge zusammengedrückt und angepreßt, so daß sie das Binden und Stehen nachahmen können etc. „Und so scheint auch im übrigen der Sprachbildner (nomothétes) sowohl durch Buchstaben als durch Silben jeglichem Seienden seine eigene Bezeichnung und Benennung anzuweisen und hieraus dann das übrige ebenfalls nachahmend zusammenzusetzen. Dies nun, Hermogenes, scheint mir die Richtigkeit der Worte sein zu wollen, wenn Kratylos nicht etwas anderes sagt" (427 c 6—d 2).
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III. Platon
Im Schlußteil des Dialogs wird Kratylos in das Gespräch einbezogen. Hermogenes fordert ihn eindringlich auf, endlich zu sagen, ob er den Ausführungen des Sokrates zustimme oder etwas Besseres vorbringen könne. Kratylos versucht auszuweichen: Diese Probleme seien so gravierend, daß man sie nicht übereilt behandeln dürfe. Hermogenes begegnet diesem Ausweichmanöver mit dem Hinweis, daß man schon zufrieden sei, wenn man in der diskutierten Sache nur ein kleines Stück weiterkomme. Auf diese Weise wird Kratylos dazu gebracht, den bisherigen Darlegungen des Sokrates ausführlich zuzustimmen (428 c). Sokrates läßt sich von Kratylos die zentralen Thesen bestätigen: Mit der ,Richtigkeit des Wortes' ist gemeint, daß ein Wort anzeigt, wie die Sache beschaffen ist. — Die Worte dienen dem Zweck der Belehrung. — Die Benennung ist eine eigene téchne, für die es besonders qualifizierte ,Künstler' (demiourgós; 428 e 6 f.) gibt. — Der demiourgós der Benennungskunst ist der ,Brauchstifter' (nomothétes; 429 a 1). Der für den Dialog zentrale Vergleich mit dem Handwerker wird jetzt zu folgender Konsequenz geführt: Offensichtlich gibt es bessere und schlechtere Handwerker; das wird an den Qualitätsunterschieden ihrer Werke greifbar. Läßt sich der Wortsetzer mit dem Handwerker vergleichen, dann muß es auch besser und schlechter gesetzte Wörter geben. Diese Konsequenz wird von Kratylos heftig bestritten. Alle Wörter — so Kratylos — sind richtig, sofern es sich um wirkliche Wörter handelt (429 b 10 f.). Falsches ließe sich nämlich überhaupt nicht sagen (légein; 429 d 1) und sprechen (phánei; 429 e 1). Denn „falsch sagen" hieße: das Nichtsein sagen. Der Betreffende würde etwas sagen, das nicht oder nicht so ist. Man kann aber nur über etwas (über Seiendes) sprechen (429 d 4-6) 3 7 . Wie aber — so wird ein bereits am Anfang des Dialogs erwähntes Problem wieder aufgegriffen — steht es mit dem Namen des Hermogenes, der als wenig Begüterter seinen Namen doch nicht zu Recht auf Hermes (den Gott, dem Kaufleute und Diebe ihren Erfolg zuschreiben) zurückführen kann? Kratylos ist durch diesen Einwand nicht in Verlegenheit zu bringen: Der Name als solcher ist richtig, aber nur für jemanden, dessen Natur ihm auch entspricht. Der Hermogenes des Dialogs scheint diesen Namen nur zu führen. Wie, so 37
Vgl. auch 385 b 7-10 (o. S. 29). Sokrates geht jetzt über dieses Problem hinweg mit der ironischen Bemerkung, es sei für ihn und sein Alter zu hoch. Die Auseinandersetzung mit diesem ,parmenideischen' Problem wird im Sophistes geführt.
2. Die Richtigkeit der Namen: Kratylos
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wendet Sokrates weiter ein, soll man dann erklären, daß man bisweilen mit einem falschen Namen angeredet wird? Auch hierauf weiß Kratylos noch eine Antwort: Derjenige, der jemanden mit einem anderen Namen anredet (etwa den Kratylos mit „Hermogenes"), gäbe etwas Unnützes von sich, auf das die Beurteilung „richtig" oder „falsch" gar nicht anzuwenden sei. Ein solcher spräche nicht im eigentlichen Sinne, sondern mache nur ein Geräusch, vergleichbar dem Ertönen eines ehernen Gefäßes, wenn jemand daran stößt (430 a 4 f.)38. Obwohl Hermogenes und Kratylos gegensätzliche Positionen im Blick auf die Richtigkeit der Namen vertreten, stimmen sie merkwürdigerweise darin überein, daß es keine falschen Namen geben könne 39 . Beide Positionen führen dazu, den Unterschied zwischen „wahr" und „falsch" zu leugnen. Diese Konsequenz ist aber schon am Anfang des Gesprächs mit Hermogenes zurückgewiesen worden (vgl. o. S. 29). Dennoch wird jetzt nicht auf diese Überlegung verwiesen, sondern erneut ein Beweis vorgetragen (430 a 6 ff.). Es ist nämlich aufzudecken, daß die Position des Kratylos in sich widersprüchlich ist. Wenn es eine natürliche Richtigkeit gibt und dies zu verstehen ist als Nachahmung in der Weise des Abbildens, dann darf nicht behauptet werden, alle Wörter seien in gleicher Weise richtig. Im übrigen geht es bei der Widerlegung auch immer um die Prüfung der unterschiedlichen Voraussetzungen und nicht nur um eine Kritik der problematischen Konsequenz. Die These des Kratylos („Alle Namen sind richtig") wird zunächst durch folgende Argumentation erschüttert: - Das Wort ist etwas anderes als die von ihm bezeichnete Sache. (Diese Feststellung erscheint trivial, ist aber für den Beweisgang wich38
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,Sophistisch' ist die Argumentation des Kratylos, sofern sie den Unterschied zwischen Bedeutung und Interpretationsfunktion des Eigennamens verwischt. Überdies werden artikulierte und inartikulierte ,Worte' gleichgesetzt. Im Hintergrund steht die Frage nach der Unterscheidung zwischen Eigenname und Gemeinname. „Der entscheidende, von Piaton wohl vermutete, aber nicht ins Wort gebrachte Unterschied zwischen Eigen- und Gegenstandsnamen [...] ist der, daß der eine Ruf-, der andere Bestimmungsname ist. Der Rufname gehört immer einem Individuum zu [...]. Der Bestimmungsname dagegen verweist stets auf ein Allgemeines [...], das jeweils nur individuell repräsentiert wird" (Derbolav 1972: 94 Anm.). Führen beide Thesen zu unhaltbaren Konsequenzen, dann sind sie nicht zu halten und scheitern an dem Versuch, die Richtigkeit der Namen zu erklären. Deshalb ist es konsequent, daß Sokrates sich weder auf die Seite des Kratylos noch auf die des Hermogenes stellt (vgl. u. S. 50).
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III. Platon
tig, weil die These des Kratylos letztlich zur Leugnung dieses Unterschieds führt.) — Der Vergleich mit der Körpersprache ergab, daß das Wort in gewisser Weise eine Nachahmung des Dinges ist. — Eine andere Art der Nachahmung von Dingen sind Gemälde. — Die Nachahmungen können den nachgeahmten Dingen zugeteilt werden, und zwar richtig oder falsch (wenn etwa das Bild eines Mannes einer Frau zugeordnet wird). Das gilt auch für die Wörter. „Denn eine solche Zuordnung beider Nachahmungen, der Bilder sowohl als der Wörter, nenne ich richtig (orthén), die der Wörter aber zugleich auch wahr (alethê); die andere aber, die Unähnliches einander gibt und beilegt, nenne ich unrichtig (ouk orthén) und bei den Wörtern zugleich falsch (pseudê)" (430 d 2-7; vgl. o. S. 30). Kratylos wendet zu Recht dagegen ein, daß dies zwar für bildliche Nachahmungen gelte, deshalb aber noch nicht für die Wörter; denn es wurde vorher ausdrücklich gesagt, daß es sich um eine andere Art der Nachahmung handelt (430 b 3). Dieser Einwand ist zu entkräften: Es mag Unterschiede geben, aber gemeinsam ist diesen Arten von Nachahmung doch wohl, daß man die Abbildungen mit dem Abgebildeten vergleichen kann. Wie man zu jemandem hingehen, ihm sein Bild zeigen und prüfen kann, ob das Nachgebildete richtig oder falsch zugeordnet wurde, so kann man z. B. auch eine bestimmte Person fragen, ob das Wort „Mann" auf sie zutrifft oder nicht. In diesem Sinne ist es also möglich, wahres und falsches Reden 4 0 voneinander zu unterscheiden. Sokrates folgert (431 a 8—c 1): Wenn man onómata (Nennwörter, Substantive) falsch zuteilen kann, dann verhält es sich auch so bei den rhémata (Sagewörtern, Verben), dann auch so bei den lógoi (Sätzen); ein Satz nämlich ist die Synthesis von ónoma und rhêma 4 1 . Somit ist die These des Kratylos, man könne Falsches überhaupt nicht sagen, widerlegt. Ebensowenig sind alle Wörter gleich richtig. Wie es bei Gemälden mehr oder weniger gelungene gibt, so gibt es auch bessere und schlechtere Wörter, so auch gute und schlechte Wortbildner. Gegen diese Darlegung spielt Kratylos eine letzte Karte aus: Wenn man beim Niederschreiben eines Wortes Buchstaben verstellt, 40
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„... tò mèn héteron toúton aletheúein boulómetha kaleín, tò d' héteron pseúdesthai" (431 b 1 f.). Hier wird von der Wahrheit der Teile auf die Wahrheit des Ganzen geschlossen, am Beginn des Dialogs umgekehrt (vgl. o. S. 29).
2. Die Richtigkeit der Namen: Kratylos
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hinzufügt oder wegläßt, dann hat man das Wort eigentlich nicht falsch geschrieben, sondern - streng genommen — ein anderes Wort gebildet. — Das ist jedoch nur für Zahlen einleuchtend. Denn Zahlen sind reine Größenverhältnisse, Quantitäten. Wird bei einer Zahl auch nur eine einzige Einheit hinzugefügt oder weggelassen, dann hat man eine ganz andere Zahl gebildet. Das Argument leuchtet, wenn man an die griechische Schreibweise der Zahlen (mit Buchstaben) denkt, unmittelbar ein. (Es geht an dieser Stelle ja vornehmlich um das Schreiben; 432 a 2 f.) Dann ist klar, daß durch Vertauschen, Weglassen und Hinzufügen auch nur eines einzigen Buchstabens eine neue Zahl entsteht, z.B. ρκα': 121, ρκ': 120, ,αρκ: 1120. Was für die Zahlen gilt, kann aber nicht für Seiendes gelten, dessen Sein durch eine bestimmte qualitative Beschaffenheit (poión; 432 b 1) bestimmt ist. Für diesen Bereich ¿«//"„Richtigkeit" gar nicht bedeuten, daß jede Einzelheit des Originals genau wiedergegeben wird. Dann wären nämlich Abbild und Original nicht mehr voneinander zu unterscheiden; es käme zu einer Verdoppelung des Seienden 42 . Bild ist etwas gerade dadurch, daß es ihm dem Abgebildeten gegenüber an etwas mangelt. - Das bedeutet für die Richtigkeit der Wörter: Sie müssen nicht in allen Buchstaben die Natur des benannten Seienden abbilden. Und weiter: In einem Satz können einzelne Wörter ergänzt, weggelassen oder geändert werden, ohne daß der Satz seine Funktion, uns in bestimmter Weise über Sachverhalte und Dinge zu belehren, verliert. Entsprechendes gilt sogar für ganze Sätze innerhalb eines größeren Redezusammenhangs. Voraussetzung allerdings dafür, daß der Abbildungscharakter noch gewahrt bleibt, ist, daß bei allen sprachlichen Abwandlungen der typos (das charakteristische Gepräge) der Dinge gewahrt bleibt (432 e 6 f.), wie bei dem bereits erwähnten Buchstabennamen „Beta" (393 e 4). Damit scheint die Abbildtheorie in einem eingeschränkten Sinne gerettet, auch wenn sich die Frage aufdrängt, wann die den typos noch wahrende Grenze für Änderungen überschritten wird. Eine erneute Überlegung stellt das Nachahmungsprinzip auf der Basis einer Buchstabentheorie jedoch grundsätzlich in Frage. Sokrates geht 42
Das ist insofern nicht einleuchtend, als es sich beim Wort um die Nachbildung in einem ganz anderen Medium handeln würde, so daß die im Text ausgesprochene Gefahr der Verwechslung von Ding und Wort nicht auftauchen könnte. Worauf es jedoch bei dem Argument ankommt, ist dies: Im Abbild sind zugleich Ähnlichkeit und Unähnlichkeit.
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III. Platon
von dem Wort sklerótes (Härte) aus, das die Eretrier skleróter nennen. Ist es schon problematisch, auf dem Hintergrund der früheren Festlegungen (426 c—427 c; vgl. o. S. 41) das Rho und das Sigma für die Abbildung der Härte zu rechtfertigen, so bleibt für das Lambda (als Ausdruck des Glatten und Weichen) nur, daß es falsch gesetzt ist. Kratylos allerdings meint zunächst nur, daß dies wieder auf die soeben besprochene unwesendiche Einschränkung der Mimesistheorie hinauslaufe. Aber das entscheidende Argument des Sokrates folgt noch (434 e 1 ff.): Obwohl dieser Laut, am Prinzip der Abbildung durch Ähnlichkeit bemessen, falsch ist, verstehen wir problemlos, was mit dem Wort gemeint ist. Wie soll man das erklären? - Ohne Zögern antwortet Kratylos: Wir verstehen ein solches Wort aufgrund der Gewohnheit (éthos; 434 e 4)! Damit greift er eines der Schlüsselworte aus der Gegenthese des Hermogenes auf (384 d 8). Und weiter: Wenn man sich so aufgrund der Gewohnheit mit anderen Menschen sprachlich verständigen kann, dann ist es erlaubt zu sagen, daß die Richtigkeit des Wortes auch auf Verabredung (synthéke; 434 e 5, 384 d 1) bzw. Übereinkunft (homología; 435 c 1, 384 d 1) beruht. Verstehe ich nämlich durch Gewohnheit ein Wort, dann habe ich gleichsam mit mir verabredet, das Wort auf eine bestimmte Weise zu verstehen (435 a 7 f.). Anders formuliert: Gewohnheit ist zwar keine explizite, aber doch eine implizite Ubereinkunft/Verabredung. Damit ist gezeigt, daß Ähnlichkeit nicht das alleinige Prinzip der Wortbildung bzw. Wortrichtigkeit sein kann. Daß die Ähnlichkeit allein nicht hinreichend ist, wird vollends bei den Zahlen deuüich. Als reine Größenverhältnisse könnten sie ohne Verabredung und Übereinkunft gar nicht benannt werden. Auf diese Weise wird die These des Hermogenes zwar nicht in vollem Umfang rehabilitiert; aber ihr wird ein erhebliches Geltungsrecht zuerkannt. Sokrates formuliert es so: „Mir selbst gefällt es allerdings auch, daß nach Möglichkeit die Namen den Dingen ähnlich sein sollen; wenn in Wahrheit nur nicht, wie Hermogenes sagt, diese Anziehungskraft der Ähnlichkeit zu dürftig ist und es notwendig wird, jenes Gemeinere, nämlich die Verabredung, bei der Richtigkeit der Worte zusätzlich zu Hilfe zu nehmen" (435 c 2-6) 4 3 . Die Diskussion über ,natürliche' oder ,konventionelle' Richtigkeit wird damit abgeschlossen. Der Schlußteil des Dialogs greift noch 43
Das ist die entscheidende Stelle, die - wenn auch mit ironischem Unterton — auf die Vermittlungsmöglichkeit der scheinbar unversöhnlichen Thesen hinweist.
2. Die Richtigkeit der N a m e n : Kratylos
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einmal die am Anfang (vgl. o. S. 33) gegebene Wesensbestimmung auf, nach der dem Wort eine belehrende Kraft (dynamis; 435 d 2) zukommt (435 d 4; 388 b 13). Kratylos, der unbeeindruckt bei seiner Einstellung bleibt, stellt folgende These auf: Wer die Wörter weiß, weiß auch die Dinge (435 d 5 f.). Noch mehr: Es gibt für uns überhaupt keinen anderen Zugang zum Seienden. Die Gebundenheit an Sprache gilt nicht nur für den Lernprozeß (manthánein; 436 a 6), sondern für alles Erforschen und Entdecken des Seienden (zeteìn kaì heurískein; 436 a 7). Gegen diese These gibt Sokrates zu bedenken: Wenn der erste Wortsetzer das Sein der Dinge falsch gesehen und deshalb auch falsch benannt hat, dann werden wir, uns ausschließlich an die Worte haltend, unausweichlich irregeführt. Kratylos entgegnet, daß der erste Wortsetzer ein Wissender war; der Beweis sei dadurch erbracht, daß Sokrates selbst die Übereinstimmung in der Bildung der Elementarwörter dargelegt habe. Sokrates verweist sogleich auf die Schwäche des Arguments. Die bloße Stimmigkeit der Wörter untereinander sei noch kein Beweis für ihre Fehlerlosigkeit. Deshalb müsse man den bestimmenden Anfangsgrund (arché; 436 d 4) genauestens auf seine Richtigkeit untersuchen. Diese gründliche Prüfung der Position des Kratylos läuft auf die Begründung folgender Thesen hinaus: 1. Die Wortbildungen weisen nicht die behauptete Stimmigkeit auf. 2. Es gibt einen anderen Zugang zum Seienden als durch Wörter. 3. Die Ontologie der Herakliteer ist nicht zu halten. zu 1. (437 a 2—d 7) Die sich auf Heraklit stützende These, daß das Seiende ständig in Bewegung sei und alles fließe, erschien im Etymologieteil immer deutlicher als arché der Wortsetzung. Sokrates zeigt jetzt an einigen prägnanten Beispielen, daß gar nicht alle Wortbildungen mit dieser Ontologie übereinstimmen (ein zusätzlicher Hinweis auf die Problematik des etymologischen Verfahrens). Es gibt nämlich einerseits Benennungen für Vortreffliches (z. B. tò pistón — das Treue; he mnéme — das Gedächtnis), die auf Grundwörter für das Bleibende und Stehende zurückgeführt werden müssen (für die Beispiele: histán - zum Stehen bringend; he moné — das Bleiben). Es gibt andererseits Bezeichnungen für Schlechtes (z. B. hamartia — Fehler; symphorá — Unglück), die mit Grundwörtern für Bewegung und Bewegtes in Zusammenhang zu bringen sind (homarteîn — begleiten; symphéresthai — sich mitbewegen). Es gibt also kein einheitliches Prinzip der Wortsetzung; die Benennungen sind unstimmig. Wer ausschließlich
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III. Platon
durch Wörter das Seiende kennenlernen will, setzt sich der beständigen Gefahr des Irrtums aus. An dieser prinzipiellen Unstimmigkeit ändert sich auch nichts, wenn man die Mehrzahl auf den herakliteischen Ansatz zurückführen könnte. zu 2. (437 d 8 - 4 3 9 b 9) Die These des Kratylos verfängt sich in einem /jrkel. Der Wortsetzer — das wird eigens noch einmal bekräftigt — muß die Dinge, die er benannt hat, gekannt haben. Diese Kenntnis kann man aber nach Kratylos nur durch Wörter erlangen. Die behauptete Folge der Wortsetzung wird somit als ihr ermöglichender Grund schon vorausgesetzt. Aus dieser Aporie 4 4 gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten des Auswegs: a) Es gibt keine(n) Wortsetzer. Diese Möglichkeit wird im Kratylos nicht in Betracht gezogen: „Wortsetzung und Wortsetzer [...] sind die tragenden Voraussetzungen der ganzen Diskussion um das Problem der Wortrichtigkeit, und sie leugnen heißt sich mit den Diskussionsvoraussetzungen eindeutig in Widerspruch setzen" (Derbolav 1972: 107). b) Es ist möglich, die Dinge anders als durch ihre Namen kennenzulernen. Gegen diese Konsequenz, die Sokrates auch sogleich ausspricht (438 b 7 f.), hilft nicht die (bereits kritisierte) Zuflucht zu einem deus ex machina. Dürfte man einem dämonischen oder göttlichen Wortschöpfer derart widersprüchliche Setzungen zuschreiben? Es hilft auch nicht die Ausrede, daß eine bestimmte Gruppe von Wörtern richtig ist. Wie sollten wir denn, uns ausschließlich an die Benennungen haltend, noch entscheiden können, welches die wahren Wörter sind? Um über angemessenere oder unangemessenere Wortsetzungen urteilen zu können, muß sich uns die Wahrheit des Seienden (438 d 7 f.) auch ohne Wörter zeigen. Also ist anzunehmen, daß man die Dinge durch sie selbst (autà di' hautôn; 438 e 7) und durch den Vergleich mit anderen Dingen kennenlernen kann. Zwar bleibt durchaus festzuhalten, daß auch die Wörter Einsicht in die Dinge vermitteln (439 a 5 f.); aber schöner und sicherer ist doch wohl die Erkenntnis der Wahrheit selbst, ohne Vermittlung des Bildes (439 a 6—b 2). Die Frage, wie diese Erkenntnis der Dinge selbst zu vollziehen ist, wird im Kratylos nicht gestellt. 44
Hier wird zum erstenmal das zentrale Problem aller Theorien greifbar, die den historischen Ursprung der Sprache darlegen wollen.
2. Die Richtigkeit der Namen: Kratylos
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zu 3. (439 b 10-440 e 7) Der Mensch, ständig auf Wörter hörend und mit ihnen umgehend, steht in der Gefahr, die Wahrheit des Seienden zu verfehlen. Soll diese Gefahr gebannt werden, dann bedarf es der Sprachkritik. Das heißt für den Kratylos: Es bedarf einer kritischen Prüfung der Grundlagen für die Benennung. Nun ist im Verlauf des Dialogs deutlich geworden, daß sich die Auffassung der Herakliteer in vielen Namengebungen, besonders auch in den Elementarwörtern, widerspiegelt. Deshalb endet der Kratylos mit einer Kritik des Heraklitismus. Die Auffassung, daß es nichts Bleibendes gebe, scheitert an folgender Überlegung: Wenn das Seiende ständig im Wandel ist, dann könnten wir über sein Wassein und Wiesein gar nichts sagen. Indem wir nämlich redend etwas über das Seiende feststellen wollten, hätte es sich, noch während wir sprechen, schon wieder gewandelt. Die herakliteische Ontologie macht aber nicht nur richtiges Reden, sondern Erkenntnis überhaupt unmöglich. Denn für eine Erkenntnis ist es notwendig, daß das Seiende in bestimmter Hinsicht sich selbst gleichbleibt, nicht aus seinem Wesensanblick (idèa, 439 e 5; eidos, 444 a 9) heraustritt. Wenn es nur Veränderung gibt, dann könnte man strenggenommen nicht einmal behaupten, daß es keine Erkenntnis gibt, sofern dieser Satz selbst den Anspruch auf Beständigkeit impliziert (vgl. 440 b 2 ff.). Sollen Sprechen und Erkennen gerettet werden, dann muß es in allem Wechsel und Wandel etwas Bleibendes geben. Dann muß es z. B. außer dem vielen entstehenden und vergehenden Einzelschönen auch das Schöne selbst (auto kalón; 439 c 8) geben, das sich gleichbleibt und immer dasselbe ist. Dieses eine Unwandelbare müßte es für jegliches Seiende geben. - Mit diesem Traumgesicht (439 c 7) des Sokrates und der Aufforderung, darüber noch einmal gut nachzudenken, endet der Dialog.
Der Kratylos kann als das erste uns erhaltene ausführliche Dokument sprachphilosophischer Reflexion in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden. Das belegt nicht nur die sehr umfangreiche KratylosLiteratur 45 (mit den entsprechenden Aktualisierungsversuchen); sondern es wird vor allem auch in der nachfolgenden Geschichte der Sprachphilosophie deutlich werden. 45
Ausführliche Literaturangaben führt Derbolav an (1972: 221-312, „Hundertfünfzigjahre Kratylosforschung"); vgl. auch Gaiser 1974: 138-142.
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III. Platon
Zwar kann man den Kratylos den aporetischen Dialogen Piatons zuordnen, sofern beide zur Erklärung der Wortrichtigkeit angeführten Thesen der kritischen Prüfung nicht standhalten. Aber nur auf den ersten Blick endet der Dialog mit einem negativen Resultat. Genauer besehen werden die Thesen des Hermogenes und des Kratylos nicht totaliter widerlegt; es geht vielmehr um die Zurückweisung ihres unbedingten Geltungsanspruchs 46 . Auf der einen Seite werden Übereinkunft, Brauch, Gewohnheit in ihrer Notwendigkeit für das sprachliche Verständigungsgeschehen durchaus anerkannt. Zurückgewiesen werden allerdings die von Hermogenes abgeleiteten Konsequenzen, daß die Wortsetzung etwas ganz und gar Willkürliches und daß jeder Name in gleicher Weise richtig sei. Auf der anderen Seite wird überhaupt nicht bestritten, daß die Wörter auch eine natürliche Richtigkeit aufweisen können, daß sie insofern Abbildcharakter haben. Allerdings leistet die Argumentation des Dialogs keine verbindliche Bestimmung dieses Abbildcharakters 47 , wie überhaupt die Vermittlung zwischen den beiden kontroversen Thesen nicht im einzelnen durchgeführt wird. Für Versuche, eine einheitliche Gesamtkonzeption des Kratylos herauszuarbeiten und Piatons SprachaufFassung zu eruieren, spielt der strittige Etymologie-Teil eine erhebliche Rolle 48 . Auch für diesen Teil sind die beiden extremen Deutungsmöglichkeiten auszuschließen: Einerseits kann man das etymologische Verfahren (und die sich anschließende Lauttheorie) nicht als bloße Spielerei abtun; dem widersprechen der Umfang der Etymologien und die zentrale Stellung 46
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Das scheint mittlerweile auch die communis opinio der ÄrafyZw-Interpreten zu sein. Zu früheren Versuchen, Piaton einseitig als Vertreter einer der beiden Thesen zu reklamieren, vgl. die Hinweise bei Gaiser 1974: 32. Zuletzt hat allerdings Rehn darzulegen versucht (vgl. o. S. 30 Anm. 20), daß Piaton ganz hinter der These des Hermogenes stehe. Rehn muß jedoch zugestehen, „daß Piaton im ,Kratylos' der φύσει-These eine gewisse Sympathie entgegenbringt" (1982: 33). Gaiser vertritt die These, daß Piaton im Kratylos die Möglichkeit einer Repräsentation der Dinge in den Namen auf das Strukturelle, d. h. auf die prinzipielle Gleichheit von Seins- und Sprachstruktur, reduziert habe (1974: 27). Dabei lassen sich nach Gaiser drei Strukturaspekte unterscheiden: 1. der Zusammenhang von Form und Stoff bzw. von Idee und Erscheinung; 2. der Zusammenhang von Ruhe und Bewegung; 3. der Zusammenhang von Elementen und Komplexen. In der Durchführung dieser These gelingen Gaiser interessante und aufschlußreiche Deutungen; allerdings ist seine Interpretation eher eine Weiterentwicklung der platonischen Problemstellung als deren Rekonstruktion. Die unterschiedlichen Interpretationsansätze sind bei Derbolav (1972: 228 f.) und Gaiser (1974: 45-49) zusammengestellt.
2. Die Richtigkeit der Namen: Kratylos
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im Aufbau des Dialogs. Andererseits kann man diese Ausführungen nicht so verstehen, als wiesen sie im Ernst die Richtigkeit der Namen und das Wesen der Dinge auf; dafür sind die Übertreibungen und ironischen Distanzierungen zu offensichtlich. Deshalb ist anzunehmen, daß Piaton weder die etymologische Methode noch die sich anschließende Lautanalyse für die allein tauglichen Prinzipien der Wortbildung und den ausschließlichen Maßstab zur Beurteilung der gelungenen Benennungen gehalten hat. Umgekehrt gilt aber auch, daß sich sowohl in der etymologischen Entschlüsselung als auch in der Charakterisierung der Laute mögliche Ansätze zur Belehrung über das Seiende durch die Namen auftun. Interpretationen, die über diese Feststellungen hinausgehen, bleiben mehr oder weniger strittig49. Zutreffend ist in der Literatur immer wieder darauf hingewiesen worden, daß der Namengeber bzw. Wortsetzer im Dialog eigentümlich unbestimmt bleibt50: Die Bezeichnungen schwanken; es ist nicht deutlich, ob man sich einen oder mehrere Wortsetzer vorstellen soll; an einigen Stellen scheint sich der Gedanke, es handle sich um ein 49
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Nach Derbolav (1972: 67 ff) zeigt sich in den etymologischen und lautphysiognomischen Untersuchungen die ,Tiefenstruktur' der Sprache, d. h. eine Aufgliederung nach drei Sprachebenen: 1. physiognomische Lautgebärde (Wortrichtigkeit als Ausdruckstransparenz); 2. bildhaft metaphorische Sprachebene (Wortrichtigkeit im Sinne des größten etymologischen Informationsgehalts); 3. Formalbeziehungen (Zahlen, Wortrichtigkeit als eindeutige Zuordnung von Wort und Gegenstand). Gaiser (1974: 45 ff.) versucht darzulegen, daß die etymologische Untersuchung des Sokrates hypothetisch eine differenzierte Struktur von Ruhe und Bewegung sichtbar macht. „Was Piaton damit ernsthaft zur Diskussion stellt, ist offenbar die These, daß die gesamte Bewegungsstruktur der Realität in der Sprache nachgebildet i s t . . . " (76). Meißner behauptet (1978: 41 f.), Piaton lasse Sokrates den Namen die Inhalte zusprechen, von denen er wünschte, daß sie sich ableiten ließen. Die Aufgabe der Namen (und ihre eigentliche Richtigkeit) liege darin, etwas zu bewirken, nämlich die menschlichen Zustände zu verbessern (vgl. 44). Etwa Steinthal I, 1890: 92. Auch P. Schmitter geht auf dieses Problem ein: Das Wort als sprachliches Reichen bei Platon und de Saussure, in: H. Beckers/H. Schwarz (Hg.), Gedenkschrift für Jost Trier, Köln/Wien 1975, 45-61. Nach Schmitter ist der Wortsetzer nicht mit der Frage des Sprachursprungs in Zusammenhang zu bringen. Im Anschluß an R. Robinson und M. Leroy stellt Schmitter fest, daß der nomothétes Teil einer abstrakten deduktiven Theorie sei, eine Fiktion von methodologischem Wert (50). Wichtig sei nur die Theorie über die Relation von Wort und Sache. Nach Schmitter nimmt Piaton wesendiche Teile der Zeichentheorie de Saussures vorweg.
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III. Platon
göttliches oder dämonisches Wesen, geradezu aufzudrängen, obwohl Sokrates vor einem solchen deus ex machina warnt. Läßt sich überhaupt etwas Bestimmtes über den Wortsetzer sagen? Sicherlich wird mit der Einführung des Wortbildners, durchaus folgerichtig auf der Grundlage des Vergleichs mit dem Handwerker, darauf hingewiesen, daß Namen eigens gestiftet (gesetzt) werden müssen und nicht etwas Naturhaftes sind. Man wird auch Gentinetta (1961: 74—77) darin zustimmen können, daß durch die Einführung des Namengebers das Verhältnis zwischen Wort und Sache als vermittelt (nämlich durch die Erkenntnis des Namengebers) dargestellt werde. Darüber hinaus jedoch läßt sich kaum etwas über den Wortbildner sagen. Es scheint, als verweise Piaton hier nicht auf eine bestimmte Person, sondern auf ein bestimmtes Problem, nämlich auf die Frage nach dem historischen Sprachursprung 51 ; und der Wortsetzer kann derart unbestimmt bleiben, weil Piaton im Kratylos an diesem historischen Problem kaum interessiert ist. Nicht zuletzt die Diskussion über den Wortbildner belegt, daß man dem Kratylos nicht gerecht wird, wenn man von ihm für möglichst viele sprachphilosophische Probleme handfeste Lösungen erwartet. Vielmehr liegt die große Bedeutung dieses Dialogs darin, daß er Fragen stellt und Problembereiche eröffnet, die das, was später „Sprachphilosophie" genannt wird, erst ermöglichen. Als deren vordringliches Problem exponiert der Kratylos das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit. Freilich darf auch nicht übersehen werden, daß mit diesem Beginn sprachphilosophischer Reflexion Entscheidungen fallen oder vorbereitet werden, deren Problematik im Verlauf der Geschichte der Sprachphilosophie deutlich werden wird. So bestimmt Piaton das Benennen (onomázein) und Reden (légein) am Anfang des Dialogs ganz fraglos als Handeln (prâxis). Das Sprechen ist ein Handeln in Hinsicht auf die Dinge. Dieser Feststellung wird man unmittelbar zustimmen, sofern wir sprechend ja etwas tun (etwa: uns über die Dinge verständigen). Da wir aber unter „Handeln" auch (und meist) anderes als das bloße Reden verstehen, kann man es bei dieser Feststellung nicht belassen, sondern muß den sprachlichen Handlungscharakter genauer zu bestimmen versuchen. Beim Versuch einer ge51
Die vor allem im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts leidenschaftlich diskutierte Frage, ob die Sprache göttlichen oder menschlichen Ursprungs sei, kündigt sich hier bereits an.
2. Die Richtigkeit der N a m e n : Kratylos
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naueren Bestimmung tauchen jedoch erhebliche Schwierigkeiten auf, wie es nicht zuletzt die sprachphilosophische Diskussion in unserem Jahrhundert belegt. Der Sokrates des Kratylos scheint diese Schwierigkeit mühelos zu meistern, indem er die sprachliche Praxis mit der Tätigkeit des Handwerkers vergleicht. Konsequenz dieses Vergleichs ist die Bestimmung des Wortes als (belehrendes) Werkzeug (órganon, instrumentum), das wir gebrauchen, um uns über die Dinge, sie scheidend und unterscheidend, zu verständigen. Darin liegt folgendes Problem: Selbst wenn man das Wortwerkzeug nur als „eine sokratische Metapher zur Einkleidung des semantischen Grundproblems" (Derbolav, 1972: 221) versteht, wird man doch nicht übersehen dürfen, daß in dieser Wesensbestimmung des Namens auf eine erste Weise die Möglichkeit einer instrumenteilen Sprachauffassung (die Piaton nicht vertritt) aufbricht, in deren Horizont das Wort als bloßes Zeichen fungieren wird. Aufschlußreich und fragwürdig in eins ist auch der Vergleich des Benennens mit der menschlichen Verständigungsmöglichkeit durch Gesten und Gebärden. Die ganze Tragfähigkeit dieses naheliegenden und in sprachphilosophischen Erörterungen immer wieder herangezogenen Vergleichs ist wohl erst durch Merleau-Ponty deutlich geworden 52 . In Piatons Text wird dieser Ausgangspunkt dadurch fragwürdig, daß er die These, die Wörter seien nachahmende Abbildungen, vorbereitet und mit der entsprechenden Kritik die natürliche Richtigkeit diskreditiert. Haben die Wörter nur als Abbilder eine natürliche Richtigkeit, dann liegt es nahe, die sprachliche Zuwendung zu den Dingen als (zu überwindenden) Notbehelf anzusehen, weil ja Bilder dem Original gegenüber nachstehen. Es wäre zu fragen: Kann das Wort (wie auch die Gebärde) nur dann von natürlicher Richtigkeit sein, wenn es Dinge nachahmt - wie etwa eine bestimmte Form der Malerei die Dinge nur nachzuahmen scheint? Wäre zur Beantwortung dieser Frage die Dichtung nicht heranzuziehen? Immerhin wird im Kratylos noch der Dichter (Homer) befragt, auch wenn dem Dialektiker die höhere Sachkompetenz und das bessere Urteilsvermögen über die Angemessenheit der Sprache zu-
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In seiner Phénoménologie de la perception (Paris 1945) versucht Merleau-Ponty aufzuweisen, daß die Ursprungsdimension der Sprache im menschlichen Vermögen der Gebärde zu sehen ist. D a die Worte als Gebärden ihren Sinn in sich selbst tragen, greift für Merleau-Ponty eine Auffassung der Worte als Zeichen zu kurz. - Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die Anthropologie H . Plessners.
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III. Platon
kommt. Liegt darin bereits der Grund, daß sich die Sprachphilosophie künftig kaum mehr dem dichterischen Wort zuwendet? Die Argumentation im Kratylos führt am Ende zu der Forderung, daß es nicht nur durch Namen einen Zugang zum Seienden geben dürfe. Wie ist diese namenlose Seinserfassung zu verstehen? Auf die Grundfrage aller Sprachphilosophie gebracht: Wie ist das Verhältnis von Denken und Sprechen zu bestimmen? Zu diesem Problemzusammenhang geben der Theaitetos und der Sophistes Hinweise.
3. Die Wesensbestimmung des lògos: Theaitetos, Sophistes Thema des Theaitetos ist die Frage nach dem Wesen des Wissens, der Erkenntnis (epistéme; 146 c 3). Im zweiten Teil des Dialogs (187b 4 ff.) stellt sich heraus, daß diese Frage nur zu beantworten ist, wenn die Möglichkeit des Irrtums erklärt wird. Der Sprachbezug des menschlichen Wissens wird im Dialogverlauf an verschiedenen Stellen erwähnt. Welche Aufschlüsse ergeben sich daraus für das Platonische Sprachverständnis? Die erste These des Theaitetos lautet: Wissen ist Wahrnehmung (aisthesis; 151 e 3). Sokrates legt dar, daß diese Auffassung mit dem Homo-mensura-Satz des Protagoras („Der Mensch ist das Maß aller Dinge") und der Ontologie der Herakliteer („Alles ist in Bewegung") in Verbindung steht. Hätten die Vertreter dieser Seinslehre recht, dann ergäbe sich eine umstürzende Konsequenz. Wenn es nämlich das Eine selbst nicht gibt, sondern alles ständig wird, dann darf man z. B. die Worte „etwas", „dieses",, jenes" nicht verwenden. Man darf überhaupt kein Wort aussprechen, sofern es irgendetwas fest-stellt (157 b 4 f.). Sollte jemand solche Worte gebrauchen, dann wäre er auf der Grundlage des Heraklitismus sofort widerlegt (157 b 7 f.). Die These, daß alles fließt, verbietet somit nicht bloß den Gebrauch bestimmter Wörter; sie macht Sprache überhaupt unmöglich 53 . Sprachliche Verständigung (und jegliches Wissen) setzt — wie bereits am Ende des Kratylos festgestellt wurde - etwas Beständiges voraus. Kommunikation ist ohne eine Beständigkeit des Sinns und des sprachlichen Verweisungscharakters nicht möglich. Was ist von einer Lehre zu halten, die mit der Leugnung von etwas Beständigem die 53
An einer späteren Stelle des Dialogs ( 1 8 3 a 9 - b 4 ) wird dieses Argument noch einmal aufgegriffen.
3. Die Wesensbestimmung des lògos: Theaitetos, Sophistes
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uns immer schon vertraute Möglichkeit sprachlicher Verständigung zunichte macht, einer Lehre, die sich selbst nicht einmal artikulieren kann? Daß es sich bei diesen Hinweisen zur Sprache nicht um nebensächliche Argumente handelt, wird im Zusammenhang der Erörterung des Wahrnehmungsproblems (184 b 4—186 e 12) deutlich. Die Überlegung geht von der Einsicht aus, daß nicht die Sinne selbst das Wahrnehmende sind, weil sonst eine Einheit der Wahrnehmungen unmöglich wäre. Vielmehr sind die Sinne nur das Hindurch des Wahrnehmens. Die vielen Wahrnehmungen beziehen sich auf eine einheidiche Idee (eis mían idéan; 184 d 3), die man „Seele" nennen kann. Das heißt: Das Verhältnis zwischen Wahrgenommenem (z. B. Farbe, Ton) und wahrnehmendem Organ (Auge, Ohr) ist vermittelt. Die genauere Darlegung dieser Vermittlungsfunktion stützt sich auf folgende Argumente: — Wenn wir z. B. einen Ton und eine Farbe wahrnehmen, dann vernehmen wir sie vor allem als seiend; jedes von beiden ist ein anderes, aber identisch mit sich selbst. — Das, was in jeder Wahrnehmung vernommen wird, selbst aber nicht aus dem Wahrgenommenen stammt, ist das Gemeinsame (tò koinón; 185 b 8). Zu diesem Gemeinschaftlichen gehören: Sein und Nichtsein, Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, Selbigkeit und Verschiedenheit. Dieses Gemeinschaftliche kann nicht durch ein besonderes Organ wahrgenommen, sondern nur von der Seele selbst durch sich selbst erfaßt werden (185 e 1). Die Seele ist dasjenige Vermögen, das dieses Gemeinsame offenbart, so daß man das Wahrgenommene mit dem „es ist" oder „es ist nicht" ansprechen kann (eponomázein; 185 c 6). — Zu den Gemeinsamkeiten, welche die Seele erforscht, gehört auch das Schöne und Häßliche, das Gute und Schlechte. Die Seele erforscht es, indem sie Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges zueinander in Beziehung setzt (analogízesthai; 186 a 10), miteinander verglicht (symbállein; 186 b 8) und durch dieses Abheben des einen vom anderen das jeweilige Sein beurteilt (krinein; ebd.). — Die unmittelbare Sinnesempfindung kommt den Menschen und Tieren von Natur aus zu (physei; 186 b 11). Aber zu den erwägenden Bezügen (analogísmata; 186 c 2 f.) über Sein und Nutzen kommen wir nur mit der Zeit, durch Mühe und Unterricht. (Die Tiere gelangen überhaupt nicht so weit.) Ohne zum Sein (ousia) zu gelangen, kann man Wahrheit und Wissen nicht erreichen.
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III. Platon
- Da die Sinne nicht zum Sein gelangen, kann es in den unmittelbaren sinnlichen Eindrücken (pathémata; 186 d 2) kein Wissen geben. Wohl aber gibt es Wissen in der daran sich anschließenden ,Zusammenrechnung' (syllogismós; 186 d 3) der Seinsbezüge, die die Seele vollzieht. Die so beschriebene Vermitdungsfunktion der Seele gibt (bereits durch die verwendeten Worte wie eponomázein, analogizesthai ...) Hinweise darauf, daß die Sprache an dieser Tätigkeit ,beteiligt' ist. Das wird durch die sich im Dialog anschließenden Überlegungen weiter geklärt. Die erste These des Theaitetos („Wissen ist Wahrnehmung") läßt sich nicht halten, weil zum Wissen die reine Wahrnehmung nicht ausreicht. Vielmehr muß, um zum Wissen zu gelangen, etwas daraufhin durchgenommen werden, was und wie es ist. Eine solche Tätigkeit nennt man doxázein (187 a 8). Deshalb stellt Theaitetos nun eine zweite These auf: Wissen ist wahre Meinung, wahre Ansicht 54 (alethès doxa; 187 b 5). Diese These steht sogleich vor dem schwerwiegenden (und im Theaitetos letztlich nicht geklärten) Problem, die Möglichkeit der falschen Ansicht (des Irrtums) erklären zu müssen. — Die Erklärungsversuche des Sokrates gehen von drei Leitsätzen aus: von der Feststellung, daß man entweder etwas kenne (eidénai; 188 a 2) oder es nicht kenne; sodann (188 d 1) von der Entgegensetzung Sein/Nichtsein (etwas ist, oder es ist nicht); schließlich von dem Satz, die falsche Ansicht sei eine verwechselte bzw. ausgewechselte Ansicht (allodoxia; 189 b 12). Dieser dritte Versuch ist für Piatons Einschätzung der Sprache besonders aufschlußreich. Allodoxia bzw. allodoxeîn wird bestimmt als Setzen des einen für etwas anderes (und nicht als jenes selbst) im Denken55. Das doxázein (etwas für etwas halten) ist ein Denkvorgang, die doxa (Ansicht) das 54
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Die Ubersetzung „Ansicht" bietet den Vorteil, folgenden Doppelsinn auszudrücken: 1. Ansicht, die etwas bietet; das betrifft den herausgestellten Seinsbezug. 2. Ansicht (Meinung), die man über etwas hat; das verweist auf den Vollzug der Seele. — Zur schwierigen Frage nach der Wortbedeutung von doxa und zum Problem des Verhältnisses von doxa und epistéme vgl. die gründliche Untersuchung v o n j . Sprute, Der Begriff der Doxa in der platonischen Philosophie, Göttingen 1962. Über Bedeutung und Stellenwert der richtigen Meinung (orthè doxa) in der Platonischen Philosophie informiert aufschlußreich M. Fleischer, Hermeneutische Anthropologie. Piaton, Aristoteles, Berlin/New York 1976, besonders 24ff., 98 f. „... héterón ti hos héteron kaì mè hos ekeîno tê dianoia títhesthai" (189 d 7 f.); ähnlich: 189 b 1 2 - c 4 .
3. Die Wesensbestimmung des lògos: Theaitetos, Sophistes
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Resultat eines Denkens. Was aber ist das Denken (dianoeîsthai; 189 e 4)? Darüber gibt es zwischen den Teilnehmern keinen Streit: Das Denken ist ein Gespräch (lògos; 189 e 6), das die Seele mit sich selbst führt über das, was sie erforschen will. Solange die Seele denkt, spricht sie gleichsam die zu untersuchende Sache bei sich selbst durch (dialégesthai; 189 e 8). Dieses Selbstgespräch der Seele geschieht im Fragen und Antworten; das Antworten ist ein Zu- und Absprechen (190 a If.). Also ist das doxázein ein légein (190 a 4, c 5) und die doxa ein lògos (190 a 5). Der Vollzug des Denkens ist ein Sprechen, das sich nicht durch stimmliche Verlautbarung an einen anderen richtet, sondern still sich selbst zuwendet. Das läßt sich auf den vorher erörterten Zusammenhang von Wissen und Wahrnehmung anwenden. Die über ein passives Hinnehmen des Sinnlichen hinausgehende Tätigkeit der Seele, die vergleichende Bezüge (analogismata) herstellt und Folgerungen (syllogismoi) zieht, ist unabdingbar an Sprache und Sprechen (im Sinne von lògos und légein) gebunden. Die zentrale Bedeutung der Sprache für die Frage nach dem Wissen, die bereits im Zusammenhang der ersten These (157 b) angedeutet wurde, ist jetzt unmißverständlich dargelegt. Dóxa, diánoia und lògos gehören wesenhaft zusammen. Dann aber muß geklärt werden, was der lògos ist. Diesem Thema widmet sich der Schlußteil des Dialogs. Nachdem auch die Gleichnisse von der Wachsmasse und vom Taubenschlag (trotz weiterer Aufhellung des Phänomens) das Wesen des Irrtums nicht zureichend geklärt haben, wird die These „Wissen ist wahre Meinung" wieder aufgegriffen. Die Kritik des Sokrates an dieser Auffassung ist einleuchtend. Man kann nämlich durch die Rhetoren zwar zu einer wahren Meinung überredet werden, der so Uberredete hat aber deshalb noch kein Wissen. Das führt zu einer Modifikation der These: Wissen ist die wahre Ansicht in Verbindung mit einem lògos (metà lògou; 201 c 9). Einen ersten Klärungsversuch des lògos bringt der folgende Traum des Sokrates: Die ersten Elemente (prôta stoicheîa; 201 e 1), aus denen wir und alles andere zusammengesetzt sind, haben keinen lògos. Jedes dieser Elemente selbst als es selbst kann man nur benennen (onomásai, 201 e 3; onomázesthai, 202 b 2); sie haben nur einen Namen (ónoma; 202 b 2). Es ist nicht möglich, etwas anderes über sie zu sagen (proseipeîn; 201 e 3), weder daß sie sind noch daß sie nicht sind. Dann nämlich würde diesen Urelementen das Sein oder Nichtsein hinzugesetzt, also etwas anderes getan, als die Elemente
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III. Platon
nur als sie selbst zu sagen. Strenggenommen darf nicht einmal „selbst", ,jenes", ,jedes", „einzig", „dieses" hinzugefügt werden. Die ersten Elemente sind, weil aus ihnen alles zusammengesetzt ist, selbst nicht zusammengesetzt, sie sind einfach (vgl. 205 d 1 f.). Der lògos aber ist die Verknüpfung (symploké; 202 b 5) von Wörtern (onomáton; 202 b 4). Wollte man von den einfach benennbaren Elementen einen lògos bilden, dann würde sich der so durch Namen zusammengesetzte lògos auf Zusammengesetztes — und eben nicht auf die einfachen Elemente - beziehen. Also sind diese Urelemente nicht mit einem lògos zu erfassen, folglich nicht wißbar; aber sie sind anschaubar (aisthetá; 202 b 6)56. Erlangt jemand eine wahre Ansicht ohne lògos, dann hat seine Seele zwar die Wahrheit erreicht, sie jedoch nicht erkannt. Aus diesem Traum des Sokrates läßt sich für die Bestimmung des lògos somit entnehmen: Er ist eine Verknüpfung von Wörtern, von Benennungen. Durch diese Verknüpfung wird dem einfachen Namen etwas ,anderes' hinzugefügt, gewisse Bestimmungen oder (wenigstens) das Sein bzw. Nichtsein. — Das mag in mancherlei Hinsicht vage bleiben; es ist dennoch klar, daß es auf die Fassung des lògos als Satz im Sinne der Aussage (des Urteils) hinausläuft. Einer Logik, die sich nur an der Aussage bemißt, wird hier die Grundlage geschaffen. Für den Argumentationsverlauf des Theaitetos heißt das: Je deutlicher der Sprachbezug des Wissens heraustritt, desto unausweichlicher scheint die Einengung auf den ,logischen' Horizont (vgl. u. S. 65). Die im Dialog sich anschließende Prüfung des Traums kommt zu dem Ergebnis, daß die Auffassung, von den Elementen gebe es keinen lògos, nicht zu halten ist. Diese Prüfung geht auf die ursprüngliche Bedeutung von „Element" (stoicheîon — Buchstabe, Laut) und „Zusammenfassung" (syllabé — Silbe) zurück. Zunächst gibt Theaitetos eine Erklärung der ersten Silbe des Namens „Sokrates" („So-"). Der lògos für dieses Zusammengesetzte lautet: „So-" ist das S und das O (203 a 9). Für die einzelnen Buchstaben darf es, wenn der Traum richtig ist, keinen lògos geben. Das bekräftigt Theaitetos 56
Es ist in der Forschung umstritten, was Piaton mit diesen ersten Elementen meint. Die Textgrundlage läßt keine eindeutige Erklärung zu; am ehesten scheinen die Erläuterungen auf die elementaren sinnlichen Gegebenheiten zu verweisen. — Diese Schwierigkeit belegt, daß der Traum keine ganz zufriedenstellende Antwort gibt, wie ja auch das Verbot, den Elementen Sein zu- oder abzusprechen, fragwürdig ist.
3. Die Wesensbestimmung des lògos: Theaitetos, Sophistes
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eigens noch einmal, widerlegt es sogleich aber dadurch, daß er entsprechende lógoi formuliert: Das S ist ein Konsonant, ein Zischlaut ... Ohne auf diesen Widerspruch eigens hinzuweisen, bringt Sokrates ein anderes Problem ins Spiel. Ist das Ganze (etwa die Silbe) die Summe seiner Teile (tà pánta; 203 c 5), oder ist das Ganze eine einheitliche Gestalt (mia idèa; 203 c 5 f.)? Für welche der beiden Alternativen man sich auch entscheiden mag, die zur Diskussion stehende These läßt sich nicht halten. Denn: 1. Ist das Ganze die Summe seiner Teile, dann müssen, wenn das Ganze wißbar sein soll, auch die Teile wißbar sein, d. h. zu einem lògos verbunden werden können. 2. Ist das Ganze ein einziger Wesensanblick (eîdos, 203 e 4; monoeidés, 205 d 1), dann hat es gar keine Teile (amériston; 205 d 2), ist also selbst ein Element; dann ist auch das Ganze nicht wißbar, weil es keinen lògos gibt. Daraus ergibt sich: Soll das Ganze (Silben) wißbar sein, dann müssen auch die Elemente (Laute) wißbar sein und zu einem lògos verbunden werden können. Zugleich aber wird auch deutlich, daß das Verhältnis von Teil und Ganzem noch nicht befriedigend geklärt ist, sofern die angeführte Alternative letzdich auf die Nivellierung des Unterschieds von Teil und Ganzem hinausläuft. Im Schlußteil des Theaitetos werden drei Definitionen des lògos (des Kriteriums für die wahre Ansicht gemäß der dritten These des Theaitetos) vorgelegt: 1. Lògos ist die Offenbarung des Denkens durch die Stimme vermittels der Sagewörter (rhémata) und Nennwörter (onòmata; 206 d 2). Wie im Spiegel wird die Ansicht (doxa) durch lauüiche Artikulation abgebildet. - Es ist offensichdich, daß der lògos als Ausdruck der Ansicht nicht das Kriterium dafür sein kann, daß die wahre Ansicht zum Wissen (epistéme) wird. Denn jeder, der nicht taub oder stumm ist, kann seine Meinung äußern, sei sie wahr oder falsch. — Dennoch ist dieser Definitionsversuch beachtenswert. Zunächst wird die bereits angeführte Bestimmung des Denkens — in umgekehrter Richtung — wiederholt: Ist das Denken ein Selbstgespräch der Seele ohne stimmliche Verlautbarung, dann ist das Sprechen (légein) eine Darlegung des Denkens durch hörbare artikulierte Laute 57 . Diese Umkeh57
Es geht hier nicht um die Priorität des Denkens, sondern um die wesenhafte Zusammengehörigkeit von Denken und Sprechen.
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III. Platon
rung wird sodann durch den Hinweis auf die onómata und rhémata ergänzt. Damit ist die für die Analyse des lògos im Sophistes zentrale Unterscheidung genannt (vorher schon: 168 c 1, 184 c 1). Im lògos kommen also verschiedene Wortarten zusammen; ihre spezifische Aufgabe im lògos und die Art und Weise ihrer Verknüpfung werden im Theaitetos noch nicht geklärt 38 . 2. Ein lògos liegt dann vor, wenn die Elemente (stoicheîa) einer Sache angegeben werden können. — Auch diese Fassung hält nicht stand, wie Sokrates an folgendem Beispiel zeigt: Es ist möglich, daß jemand alle Buchstaben des Namens „Theaitetos" angeben und den Namen richtig (mit Th) schreibt; derselbe schreibt aber „Theodoras" falsch (mit T), weil er den Unterschied der Silben „the" und „te" nicht weiß. (Er kennt die einzelnen Buchstaben, aber nicht die aus ihnen zusammengesetzten Silben.) Dieser Versuch, den lògos zu bestimmen, bleibt unzureichend, weil — wie schon erwähnt — das Verhältnis von Teil und Ganzem nicht hinlänglich geklärt ist. 3. Der lògos ist die Angabe eines Zeichens (semeîon), wodurch sich etwas von allem anderen unterscheidet (diaphérei; 208 c 7 f.). - Auch dieser Definitionsversuch muß zurückgewiesen werden; denn über ein unterscheidendes Merkmal muß bereits derjenige verfügen können, der eine wahre Ansicht hat. Wer z. B. eine wahre Ansicht von Theaitetos hat, muß nicht nur das allen Menschen Gemeinsame kennen, sondern gerade auch das, wodurch sich Theaitetos von allen anderen unterscheidet. Der dritte Versuch verfängt sich somit in einem Zirkel. Obwohl wesentliche Gesichtspunkte gewonnen sind, bleibt die Frage nach dem Wesen des lògos — und damit auch die nach Wissen und Irrtum - im Theaitetos letztlich unbeantwortet. Der Sophistes greift diesen Problemzusammenhang wieder auf. Der Theaitetos hat deuüich gemacht, daß hinter der Frage nach der Möglichkeit des Irrtums ein ontologisches Problem steht. Sofern nämlich der Irrtum darin besteht, etwas für etwas zu halten, das nicht oder nicht so ist, ist das Falsche, das wir irrend als wahr ansehen, ein Nichtsein bzw. Nichtseiendes. Wenn aber das Nichtseiende schlechthin nicht ist (medamôs on; Sophistes 237 b 7 f.), dann kann es keine falsche Ansicht geben; eine Ansicht über nichts schlechthin ist 58
Das stellt bereits Steinthal fest (I, 1890: 139); vgl. auch Derbolav 1972: 114 Anm. 4.
3. Die Wesensbestimmung des lògos: Theaitetos,
Sophistes
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unmöglich. N u n weist Piaton im Sophistes auf — was hier nicht im einzelnen dargelegt werden muß —, daß das Nichtsein (mè ón; 237 b 3), u m das es bei der Erklärung der Möglichkeit des Irrtums geht, gar nicht das Nichts schlechthin ist. Vielmehr ist es, nämlich als Idee der Verschiedenheit oder Andersheit (héteron; 257 b 4) 59 . Das Nichtsein als Verschiedensein bestimmt alles Seiende mit. Denn etwas zeigt sich uns nur dadurch in dieser oder jener Bestimmtheit, daß es anderes nicht ist. Ein Baum z. B. wird nur in dem, was er ist, offenbar, sofern er anderes (Stein, Tier, Mensch ...) nicht ist. Soll es einen falschen und einen wahren lògos geben, dann muß aufgewiesen werden, daß der lògos an der Gemeinschaft und Mischung der obersten ,Gattungen', vor allem an dem Beisammen von Sein und Nichtsein im Sinne der Verschiedenheit teilhat. Wohlgemerkt: Nicht nur die Erklärung des falschen lògos verlangt diesen Nachweis; sondern ohne diese Klärung wäre das Sein des lògos überhaupt fragwürdig, sofern alles Seiende durch das Nichtseiende mitbestimmt ist. Der Sophistes steht also wieder vor der Frage des Theaitetos'. Was ist der lògos? Jetzt allerdings sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, diese Frage zureichend zu beantworten. Der Versuch, die Natur des lògos zu entschlüsseln, knüpft an ein Phänomen an, das uns vertraut ist. Darauf wird im Zusammenhang der Explikation der ,Gemeinschaft der Gattungen' hingewiesen: „Wir sagen doch von einem Menschen vielerlei, indem wir ihn benennen, wenn wir ihm Farbe, Gestalt, Größe, Fehler und Trefflichkeiten zuschreiben; in all diesen und zehntausend anderen Fällen sagen wir nicht nur, daß er ein Mensch ist, sondern auch, daß er gut ist und unzähliges andere; und so bei allem anderen, entsprechend demselben lògos: wir setzen jedes als Eines und sprechen demselben doch wieder Vieles und mit vielen Benennungen zu" (251 a 8 - b 3). Das ist eine ausführlichere Darlegung der aus dem Theaitetos bekannten Formel über den lògos als einer Verknüpfung von Wörtern (symploké tön onomáton). Diese Formel wird im Sophistes abgewandelt wieder aufgegriffen: Der lògos entsteht durch eine gegenseitige Verknüpfung der Wesensanblicke, der Ideen (symploké tön eidön;
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Verschiedenheit gehört - neben Sein (ón), Ruhe (stásis), Bewegung (kinesis), Selbigkeit (tautón) — zu den fünf obersten ,Gattungen' (mégista gène). Platon legt dar, daß diese fünf gène sowohl voneinander verschieden sind als auch alle aneinander teilhaben. Diese ,Lehre von der Gemeinschaft der Gattungen' klärt das strittige Verhältnis von Sein und Nichtsein, von Einheit und Vielheit.
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III. Platon
259 e 5 f.) 60 . Man kann beides zusammennehmen: Der lògos ist eine Verknüpfung von Wörtern, denen eine Verknüpfung von Ideen entspricht. Ist es nun so, daß einige Ideen miteinander zu verknüpfen, andere aber nicht verknüpfbar sind, dann muß das auch für die Wörter des lògos gelten. Der lògos ist ja keine wahllose Reihe von Wörtern; sondern die Wörter müssen uns durch ihre Zusammenfügung etwas kundtun und anzeigen (vgl. 261 d 8—e 2). „Es gibt nämlich für uns eine zweifache Grundart der Offenbarung des Wesens durch die Stimme. [...] Die eine Art sind die Nennwörter (onómata; lat. nomina), die anderen die Sagewörter (rhémata, lat. verba)" (261 e 4—262 a 1). Der Unterschied zwischen beiden Wortarten wird so festgelegt: Die rhémata beziehen sich auf Handlungen; die onómata benennen diejenigen, die diese Tätigkeiten verrichten (die ,Täter'). Weder die bloße Aneinanderreihung von Sagewörtern noch die bloße Zusammenstellung von Nennwörtern ergibt einen lògos (Satz). Sagt man z. B. „geht läuft schläft" oder auch „Löwe Hirsch Pferd", dann hat man noch keinen lògos ausgesprochen. Vielmehr kommt ein lògos erst zustande, wenn ònoma und rhêma vermischt werden; nur so fügen sich unterschiedliche Wörter zu einem lògos, zu einem sinnvollen Satz zusammen. Ein lògos ist z. B. „Der Mensch lernt" (ánthropos manthánei; 262 c 9). Ein Satz (wie das Beispiel) macht etwas kund (deloî; 262 d 2) über das Seiende (oder über Werdendes, Gewordenes, Zukünftiges). Er benennt (onomázei; 262 d 3) nicht nur etwas, sondern er bringt etwas zu Ende (perainei; 262 d 4), indem er sagt, was es mit dem Benannten auf sich hat (indem er das Benannte bestimmt). Nicht nur die Dinge fügen sich teilweise miteinander und teilweise nicht, sondern auch die Wörter lassen sich, wie die Beispiele zeigen, zum Teil miteinander verbinden und zum Teil nicht. Diejenigen ,stimmlichen Zeichen', die sich zueinander fügen, bilden einen lògos 60
Diese Textstelle ist in ihrer Auslegung heftig umstritten; man vgl. die systematische Übersicht bei Derbolav 1972: 178—181 Anm. 17. Diskutiert wird vor allem die Frage, ob bei den späteren Beispielsätzen („Theaitetos sitzt" etc.) auch eine Ideenverknüpfung vorliegt oder ob dort nur von einer Idee die Rede ist. Dieser Streit verliert an Brisanz, wenn man berücksichtigt, daß jedes Wort eine bestimmte Hinsicht (eidos) anzeigt. Auch der nur aus zwei Wörtern bestehende Satz verlangt einen doppelten Hinblick, etwa auf Theaitetos und das Sitzen. Im übrigen verweist der Text eindeutig auf die Lehre von der Mischung der obersten Gattungen, welche die Möglichkeit eines Beisammen von Einheit und Vielheit darlegt und so notwendige Voraussetzung für die Wesensbestimmung des lògos ist.
3. Die Wesensbestimmung des lògos: Theaitetos, Sophistes
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(262 d 8—e 1). Damit ist der lògos jedoch noch nicht hinreichend bestimmt. Er muß zusätzlich die beiden folgenden Merkmale aufweisen: 1. Er muß lògos tinos (262 e 5), lògos von etwas sein. Das heißt: Der lògos muß sich auf Seiendes beziehen; über das schlechthin Nichtseiende kann nicht gesprochen werden. 2. Der lògos muß „von einer gewissen Beschaffenheit" (262 e 8) sein; er ist wahr oder falsch (263 b 3 f.). Das wird im Dialog an zwei einfachen Beispielen erörtert: „Theaitetos sitzt" und „Theaitetos (mit dem ich mich jetzt unterhalte) fliegt". Beide Sätze erfüllen die Bedingung, lògos tinos zu sein; denn sie sagen etwas über Theaitetos, der als Gesprächspartner des Fremden aus Elea leibhaftig gegenwärtig ist. Auch die zweite Bedingung ist erfüllt: Offensichtlich ist der eine Satz wahr, der andere falsch. Worin aber ist dieser Unterschied begründet? Der wahre lògos sagt das Seiende aus, wie es im Blick auf Theaitetos ist. Der andere lògos ist aus folgendem Grund falsch: „Als von dir also (etwas) sagend, aber sagend Verschiedenes als dasselbe und Nichtseiendes als seiend, wird eine solche Synthese aus Sagewörtern und Nennwörtern in der Tat ein falscher lògos" (263 d 1—4). Damit ist gemeint: Der falsche lògos bringt in gewisser Weise ein Nichtseiendes zur Ansicht, ein Nichtseiendes, das in anderer Hinsicht durchaus seiend ist (also Nichtsein im Sinne der Verschiedenheit). Das Fliegen gibt es, jedoch im Blick auf ein anderes Seiendes (z. B. Vogel), das in dem Beispielsatz nicht genannt wird. Aber das Fliegen ist nichtseiend im Blick auf das in diesem lògos angesprochene Seiende, nämlich Theaitetos. Im falschen lògos wird somit Verschiedenes als dasselbe gesagt: Theaitetos und das Fliegen sind verschieden. Sie werden jedoch in diesem Satz zusammengebracht und als dasselbe gesagt; darin liegt das Falsche dieses lògos. Damit hat der Sophistes die Möglichkeit des Irrtums aufgeklärt. Irrtum kann nur sein, wenn 1. das Seiende selbst den doppelten Anblick von Sein und Nichtsein bietet (etwas ist etwas Bestimmtes dadurch, daß es anderes nicht ist); 2. der lògos aus ònoma und rhêma zusammengefügt ist. Durch diese synthetische Struktur des lògos ist es möglich, daß Seiendes und Nichtseiendes im lògos zusammengebracht werden. Wie aber hängen diese beiden Bedingungen zusammen? — Niemand bestreitet ernsthaft, daß das Seiende selbst unabhängig von unserem Sprechen existiert. Ebenso klar ist, daß wir uns sprechend über das
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III. Platon
Seiende verständigen. Die aus dem Kratylos bekannte Frage, welche die Sprachphilosophie immer aufs neue bewegt hat, lautet: Gibt es für den Menschen einen unmittelbaren, nicht durch Sprache vermittelten Zugang zum Seienden? Im Sophistes lautet die auf diesen Problemzusammenhang verweisende Frage: Können auch Denken (diánoia), Ansicht (doxa) und Vorstellungskraft (phantasia) 61 wahr und falsch sein wie der lògos (263 d 6 ff.)? Die Beantwortung dieser Frage bedarf im Sophistes keiner großen Diskussion. Zunächst wird an die aus dem Theaitetos bekannte Auskunft erinnert. „Diánoia und lògos sind dasselbe, jedoch so, daß das innere Gespräch der Seele mit sich selbst, das sich ohne Stimme vollzieht, als diánoia bezeichnet worden ist" (263 e 3 f.). Ist das Denken nichts anderes als das innere Gespräch der Seele ohne stimmliche Verlautbarung, dann ist klar, daß auch das Denken dem Irrtum erliegen kann. Auf dieser Grundlage kann dann die Argumentation so weitergeführt werden: Zufolge der ,Mischung' von Sein und Nichtsein ist der lògos (und das Denken) zugleich Bejahung und Verneinung (phásis, apóphasis; 263 e 12). Das Sitzen des Theaitetos z. B. wird bejaht, indem zugleich das Stehen, Fliegen ... verneint wird. Wenn nun die Seele in ihrem inneren Zwiegespräch etwas bejaht und verneint, dann bildet sie sich eine Meinung, dann hat sie eine bestimmte Ansicht. Also kann auch die doxa wahr oder falsch sein. — Schließlich weist auch die Meinung, die auf der Grundlage einer Wahrnehmung zustande kommt (phantasia), bereits diese Struktur des lògos auf, sofern im Wahrnehmen etwas für etwas gehalten und gleichsam angesprochen wird. Diese Verbindung von Wahrnehmung und Ansicht in der synthetischen Struktur des lògos wird greifbar, wenn man sagt: Es (er-)scheint mir, daß ... (dieses oder jenes sich so oder so verhält). Damit ist gezeigt, daß das Denken, die Ansicht und das Sich-Zeigende der Wahrnehmung durch den lògos, die Darlegung von etwas als etwas, bestimmt sind. Diese Darlegung kann wahr oder falsch sein. Der aus Nennwort und Sagewort zusammengefügte Satz ist sinnvoll, da er uns etwas zu verstehen gibt. Das, was er zu verstehen gibt, muß deshalb aber noch nicht wahr sein. Aufgrund seines synthetischen Charakters ist es möglich, daß der lògos nur den Schein 61
Der Textzusammenhang macht deutlich, daß vor allem die Wahrnehmung (aisthesis) gemeint ist. Dazu gehört dann auch die ,Einbildungskraft' als Vermögen der Vergegenwärtigung eines selbst nicht Gegenwärtigen.
3. Die Wesensbestimmung des lògos: Theaitetos, Sophistes
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von Wahrheit verbreitet und sich bei genauerer Prüfung als falsch erweist. Diese Möglichkeit, Täuschung und Schein zu verbreiten, ist die Grundlage für die ,Kunst' (téchne) der Sophistik. Der Dialog schließt mit der Wesensbestimmung des Sophisten durch eine Dihairesis62.
Das sprachphilosophische Interesse im Theaitetos und Sophistes richtet sich nicht (wie im Kratylos) auf das einzelne Wort und das Problem der Benennung, sondern auf den aus verschiedenen Wortarten zusammengefügten Satz. Zwar verweist auch schon der Kratylos auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen einzelnem Wort und Satz (vgl. o. S. 44): zwar vermerkt auch der Kratylos die Bestimmung des lògos als Synthesis von ónoma und rhêma (431 b 6—c 1). Aber diese Hinweise bleiben hier doch eher beiläufig. Erst der Sophistes macht (nach der Problemexposition im Theaitetos) in aller Deutlichkeit klar, daß die Frage nach Wahrheit und Falschheit der Sprache sich nicht auf die Diskussion über die Richtigkeit der Namen beschränken darf. Es wird unmißverständlich darauf hingewiesen, daß sinnvolles Reden (légein) sich vornehmlich in der Form von Sätzen abspielt, deren kleinste Einheit die Synthesis von Nenn- und Sagewort ist. Piatons knappe Ausführungen zur Struktur des lògos sind keineswegs trivial oder selbstverständlich. Sie markieren den Anfang einer langen grammatischen Tradition. Das gilt selbst dann, wenn Steinthals Feststellung zuträfe, daß man Piaton alle Grammatik absprechen müsse (I, 1890: 148). Noch bedeutsamer aber ist folgendes: Die Wesensbestimmung des lògos ist für Piaton notwendig, weil er die Möglichkeit des Irrtums aufdecken muß. In diesem Zusammenhang wird dem lògos die wesentliche Bestimmung gegeben, wahr oder falsch zu sein. ,Wahr' bzw. ,falsch' ist die Auszeichnung desjenigen lògos, an dem sich die spätere Logik ausschließlich orientieren wird, um die Voraussetzungen für exaktes Wissen zu schaffen. Konzentriert sich das Interesse einer Philosophie der Sprache auf den lògos im Sinne des Urteils bzw. der Aussage, dann rückt die Sprache nur noch unter ,logischen' Gesichtspunkten in den Blick. Diese Entwick-
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Die Struktur des dihairetischen Verfahrens ist dargelegt bei M.Fleischer 1976: besonders 138-147.
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III. Platon
lung, in der Aristoteles eine maßgebende Rolle spielt, geht auf die von Piaton geschaffenen Voraussetzungen zurück. Die für alle Sprachphilosophie zentrale Frage nach dem Bezug von Denken und Sprechen wird im Theaitetos (und fast wortgleich im Sophistes) — ohne Diskussion — so beantwortet: Sprechen und Denken gehören wesenhaft zusammen und können deshalb nicht getrennt werden. Denn das Denken ist nichts anderes als der stumme Dialog der Seele mit sich selbst. Sofern auch jegliches Meinen und Wahrnehmen an die Sprache im Sinne des lògos gebunden sind, kommt dem Sprechen (légein) eine universelle Vermittlungsfunktion zu. Die am Ende des Kratylos als unabdingbar erhobene Forderung (vgl. o. S. 48), daß man die Dinge auch ohne Namen kennenlernen müsse, scheint jetzt unerfüllbar zu sein. Oder sollte das Verhältnis von Denken und Sprechen doch noch anders bestimmt werden müssen?
4. Der Sprachskeptizismus des Siebten Briefes Der in der Forschung immer wieder diskutierte ,Exkurs' des Siebten Briefes, in dem das Problem der Erkenntnis des wahren Seins behandelt wird, ist auch unter sprachphilosophischen Aspekten äußerst wichtig. Dieser Exkurs unterbricht den Bericht über Piatons zweite Reise nach Sizilien und sein Urteil über Dionysios II. Piaton stellt in Sizilien sehr bald fest, daß es Dionysios an der echten Liebe zur Weisheit mangelt. Dennoch habe er eine Schrift über die Platonische Philosophie verfaßt und die darin formulierten Gedanken für seine eigenen ausgegeben. Da es auch noch andere ähnliche Schriften gebe, wolle er, der Verfasser des Siebten Briefes, dazu Stellung nehmen. Zunächst heißt es: „Von mir selbst wenigstens gibt es keine Schrift (syngramma) darüber, und es wird auch nie eine geben; es läßt sich nämlich überhaupt nicht in Worte fassen wie andere Lehrstücke; sondern nur aus dem Zusammensein in ständiger Beschäftigung mit dem Problem und aus dem Zusammenleben entsteht es plötzlich in der Seele — wie ein durch einen springenden Funken entzündetes Licht — und nährt sich dann selbst weiter" (341 c 4— d 2) 63 .
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Diese Stelle ist ein wichtiger Anhaltspunkt für Überlegungen zu Piatons ungeschriebener Lehre.
4. Der Sprachskeptizismus des Siebten Briefes
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Über Angemessenheit bzw. Unangemessenheit der Schrift handelt auch der Schlußteil des Phaidros (274 b 6 ff.). Dort findet sich eine Parallelstelle zu der zitierten Kritik des Siebten Briefes: „Wer eine Kunst in Schriften hinterläßt, und auch wer sie aufnimmt in der Meinung, daß etwas Klares und Festes (saphès kai bébaion) aus den Buchstaben hervorgehe, der ist einfältig genug und weiß in Wahrheit nichts von der Weissagung des Ammon, wenn er glaubt, geschriebene Reden (lógous gegramménous) wären noch sonst etwas als nur demjenigen zur Erinnerung, der schon das weiß, worüber sie geschrieben sind" (275 c 5 - d 2). - So offensichdich darin Motive des Siebten Briefes anklingen, so offensichtlich ist auch der Unterschied 64 . Im Phaidros wird die Schrift Humboldts Unterscheidung zwischen Ergon und Energeia vorgreifend - der lebendigen und beseelten Rede (276 a 8) gegenübergestellt und als bloßes Abbild (eidolon; 276 a 9) charakterisiert. Von einer ,Ohnmacht der lógoi' findet sich im Phaidros keine Spur, da es ja gerade der lebendige lògos ist, an dem bemessen die Schrift ein unvollkommenes Hilfsmittel bleibt. Der Schrift nämlich mangelt vor allem das Lebendige der Unterhaltung; Geschriebenes bezeichnet immer nur dasselbe (275 d 9) und läßt ein dialogisches Fragen und Antworten nicht zu. Schriften können in die Hände von Unverständigen geraten, mißverstanden und beschimpft werden, ohne daß das Geschriebene sich selbst dagegen zu schützen vermag. Als Gedächtnisstütze kommt auch dem Geschriebenen eine positive Funktion zu. Im Phaidros geht es also um eine differenzierte Beurteilung des schriftlich Fixierten, aber nicht um eine generelle Sprachkritik.
Die Absage an eine schriftlich fixierte Lehre im Siebten Brief wird in dem sich anschließenden Exkurs (342 a 7 ff.) begründet: Im gesamten Erkenntnisprozeß lassen sich fünf Momente unterscheiden. Es gibt dreierlei, wodurch die Erkenntnis (epistéme) von etwas erlangt wird: 1. das Wort (ónoma); 2. der aus ónoma und rhêma zusammengefügte lògos; 3. das Bild (eidolon). Von diesen Dreien muß weiterhin abgehoben werden: 4. die Erkenntnis bzw. Vernunft (noûs) und wahre Ansicht (alethès doxa, 342 c 4 f.); 5. das Erkennbare selbst in seinem wahrhaften Sein. Diese fünf Elemente werden am Beispiel des Kreises erläutert. 1. Das ónoma ist das einzelne Wort, das ich gerade ausspreche: „Kreis". 2. Der aus Nennwort und Sagewort zusammengefügte lògos für den Kreis lautet: Der Kreis ist dasjenige, dessen äußere Umgrenzung überall denselben Abstand von der Mitte hat. „Logos" meint also hier „Wesensbestimmung" (Definition). 3. Das Bild des Kreises entsteht dadurch, daß ich den Kreis aufzeichne oder einem Material die Kreisform gebe. Diese Bilder können wieder ausgelöscht und zerstört werden. 4. Die Erkenntnis des Kreises hat ihren Ort in der Seele; als solche ist die Erkenntnis weder an Laute (wie ónoma und lògos) noch an körperliche Formen (wie das Bild) gebunden. 5. Da64
Man vgl. die Analyse der Phaidros-Steüe bei Derbolav 1972: 199-205.
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III. Platon
von abzuheben ist die Natur des Kreises, der Kreis selbst in seinem wahrhaften Sein. Das wahrhafte Sein des Kreises ist unabhängig von den verschiedenen Weisen, in denen wir ihn zu erfassen versuchen 65 . Diese Einteilung gilt nicht nur für den Kreis oder für mathematische Gegenstände, sondern für die Erkenntnis des Seienden überhaupt: für das Gute, Schöne und Gerechte, für Natürliches und Verfertigtes, für jedes Lebewesen und die seelische Haltung, für das gesamte Tun und Leiden. — Dabei kommt das laut- und abbildlose Wissen der Seele (4.) dem Sein selbst am nächsten; diese Art der Einsicht ist deshalb von den drei ersten Erkenntnismomenten sehr weit entfernt. Dennoch bleibt auch die seelische Erkenntnis noch mangelhaft. Denn für die ersten vier Elemente gilt ausnahmslos: Sie erfassen nur das Wiesein (tò poión ti; 343 b 8—c 1), nicht das Wassein (tò dé tí; 343 c 1). Sofern die ersten vier Erkenntnisweisen nur die Beschaffenheit der Dinge erreichen, bieten sie dem Streben der Seele, die das wahrhafte Sein der Dinge erreichen will, keine Erfüllung. Zusätzlich sind die ersten drei Momente noch mit folgenden Nachteilen behaftet: 1. Kein Ding hat einen festen Namen; die Benennungen sind ganz und gar willkürlich! Nichts hindert uns, das, was jetzt „krumm" heißt, „gerade" zu nennen - und umgekehrt. Solche willkürlichen Umbenennungen bewirken nicht, daß die Dinge sich weniger fest verhalten. 2. Da der lògos nichts anderes ist als die Zusammensetzung dérart unbestimmter Wörter, kann auch er keinen festen und zuverlässigen Halt für das Streben der Seele nach Wahrheit bieten. Im Blick auf das höchste Ziel der Erkenntnis ist die Sprache ohnmächtig und machüos (tò tön lógon asthenés; 343 a l ) . Deshalb wird kein Einsichtiger seine Gedanken den lógoi anvertrauen; und er wird sie schon gar nicht schrifdich zu fixieren versuchen. 3. Die bildhafte Darstellung bleibt unzureichend, weil sie als Abbild unvollkommen bleibt. Der gedrechselte Kreis etwa bleibt noch seinem Gegenteil, dem Geraden, verhaftet und ist nie vollkommen rund. Überdies kann die gezeichnete oder gedrechselte Kreisform wieder zerstört werden; sie ist dem Entstehen und Vergehen unterworfen. Von diesen Mängeln ist der Kreis in seinem wahrhaften Sein frei. 65
Es ist fraglich, ob hiermit eine klare Stufung angegeben wird. Nach Gaiser (1974: 112) ist zwischen den ersten drei Elementen keine Stufung angedeutet; aber es bestehe insgesamt eine klare Dreiteilung des Aufstiegs.
4. Der Sprachskeptizismus des Siebten Briefes
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Die angezeigten Mängel machen es unmöglich, daß Wort, Satz, Abbild oder die Erkenntnis der Seele das Sein selbst erreichen. Im alltäglichen Verhalten, in dem wir uns mit den Abbildern begnügen, fallen diese Nachteile kaum auf. Sie werden jedoch dort offenkundig, wo wir als Befragte gezwungen werden, mit dem ,Gegenstand' der Erkenntnis in seinem wahrhaften Sein zu antworten. Wenn der Gefragte dann - in welcher Weise auch immer — antwortet, ist ihm leicht nachzuweisen, daß er das nicht weiß, was er zu wissen vorgibt. Das liegt nicht an einer individuellen Unzulänglichkeit, sondern am Mangel der vier Erkenntniselemente selbst. Dennoch sind diese Erkenntnisebenen nicht unnütz. Wie könnten wir auch als Menschen darauf verzichten? Es gilt jedoch, die Momente kritisch zu behandeln und sich aufrichtig und immer wieder um Einsicht in das wahre Sein zu bemühen. Wenn jemand sich dieser Mühe unterzieht, indem er die einzelnen Erkenntnisstufen hinauf· und wieder hinabsteigt und wenn er mit dem wahrhaften Sein verwandt ist, dann werden ihm schließlich Einsicht (phrónesis) und Vernunft (noüs) über jegliches Seiende aufleuchten. Es kann kaum verwundern, daß der brisante Inhalt dieses ,erkenntnistheoretischen' Exkurses in der Platon-Forschung unterschiedlich gewürdigt und beurteilt worden ist. Dabei scheint die Echtheit des Siebten Briefes - zumindest in der deutschsprachigen Platon-Forschung — kaum mehr strittig zu sein 6 6 . Aber auch unabhängig von diesem Problem bleibt die Einordnung in das Gesamtwerk Piatons schwierig. Aus der Fülle der Literatur seien, sofern sie auf den sprachphilosophischen Aspekt Bezug nehmen, einige Beispiele angeführt. — E. Cassirer67 sieht einen deutlichen Beleg für die Echtheit darin, daß der Siebte Brief an das Ergebnis des Kratylos anknüpfe. Zwar sei die Sprache nach Piaton nur ein erster Anfangsgrund der Erkenntnis; aber ein Zusammenhang zwischen Wort und Idee bleibe gewahrt. „Wie von den sinnlichen Inhalten gesagt wird, daß sie nach den Ideen ,streben', so ist ein solcher Hinweis und gleichsam eine geistige Tendenz auf sie auch in den Gebilden der Sprache anzuerkennen" (64). Die Vermittlung zwischen Sprachform und Erkenntnisform werde durch den Begriff der Teilhabe geklärt. Auch K.Gaiser (1974: 112fT.) sieht eine enge Beziehung zum Kratylos, sofern die offen bleibenden Fragen des Exkurses sich durch Rückgriff auf den früheren Dialog beantworten ließen. Piaton mache — im Exkurs ebenso wie im Kratylos — keinen wesentlichen Unterschied zwischen ónoma und lògos, weil es ihm in beiden Werken
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M a n vgl. die Übersicht bei R. Turnher, Der siebte Piatonbrief. Versuch einer umfassenden philosophischen Interpretation, Meisenheim 1975, 1 - 2 0 ; ferner J . Derbolav, Die Ohnmacht der Logoi. Piatons Sprachphilosophie und der ,VII. Brief (1980), jetzt in: Impulse europäischer Geistesgeschichte, Sankt Augustin 1987, 50. Philosophie der symbolischen Formen. Erster Teil: Die Sprache, Darmstadt 5 1972 (1. Aufl. 1923), 63 ff.
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III. Platon
nicht um die logisch-syntaktische Struktur, sondern um die semantische Seinsbeziehung der Sprache gehe. Die bewußte Blickverengung auf die Lautgestalt der Sprache im Siebten Brief müsse durch die im Kratylos aufgedeckten eidetischen Sprachformen ergänzt werden. Deshalb könne im Briefexkurs auch die innere Sachgemäßheit der Wörter und Sätze im Hintergrund bleiben. Vor allem aber stimmen nach Gaiser Brief und Dialog darin überein, daß im Blick auf die Erkenntnis sowohl mit dem Wert der Sprache als auch mit ihrer Ohnmacht zu rechnen sei. H.-G. Gadamers Einschätzung der Sprachauffassung Piatons ist ganz von der im Exkurs konstatierten ,Ohnmacht der lógoi' bestimmt 68 . Zwar werde im Siebten Brief die Sprachgebundenheit des Erkennens grundsätzlich anerkannt, trete aber in ihrer wirklichen Bedeutung nicht heraus. Es sei sicher, daß Piaton nicht über die Sprachgebundenheit des Denkens reflektiere, auch wenn das Denken als Dialog der Seele gefaßt werde. Gadamer kommt zu dem fragwürdigen Ergebnis, daß Piatons Entdeckung der Ideen das Wesen der Sprache gründlicher verdecke als die griechische Sophistik. Eine ausführliche und differenzierte Würdigung des Siebten Briefes findet sich bei J. Derbolav (1972: 205—220). Derbolav weist u.a. daraufhin, daß das im Kratylos zunehmend an Bedeutung gewinnende konventionalistische Erklärungsprinzip zwar im Siebten Brief zum Abschluß gekommen zu sein scheine und insofern Ubereinstimmung zwischen beiden Werken bestehe. Der Sprachskeptizismus des Siebten Briefes aber widerspreche entschieden dem im Kratyhs entfalteten Namensproblem. Darüber hinaus bedeute die Übertragung der Ohnmächtigkeitserklärung auf den lògos der Definition einen Niveauverlust, weil frühere Einsichten preisgegeben würden. Schließlich sei nirgends im Corpus Platonicum in so abschätziger Weise von der Ohnmacht der lógoi die Rede wie im Siebten Brief. In einem späteren Aufsatz zieht Derbolav daraus die Konsequenz, „daß einiges in diesem Brief, und zwar seine philosophisch relevantesten Stellen, kaum von Piatons Hand stammen können" (1987: 60).
Müssen auch Einzelheiten der Interpretation des Siebten Briefes offenbleiben, so kann doch als sicheres Ergebnis festgehalten werden, daß hier nicht nur das einzelne Wort, sondern die Sprache insgesamt abgewertet wird. Zwar wird die grundsätzliche Angewiesenheit des Menschen auf die Sprache nicht geleugnet. Aber von einer dynamis des Wortes (wie im Rratylos) oder von der Wahrheit des lògos (wie im Sophistes) ist im Exkurs des Siebten Briefes nicht mehr die Rede. Die Sprache erscheint als notwendiges Übel, das schließlich von einer intuitiven Einsicht in das wahre Sein überwunden wird. Wer durch Piaton zu Einsichten in Wesen und Funktion des Sprechens gelangen will, wird vom Siebten Brief enttäuscht; und man sollte sich nicht verleiten lassen, die Ausführungen zur Sprache in den Dialogen im Horizont des sprachskeptischen Siebten Briefes zu interpretieren.
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Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 1972 (1. Aufl. 1960), 385.
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IV ARISTOTELES Die Wesensbestimmung der Sprache im Horizont der Logik
Im Unterschied zu Piaton ist uns von Aristoteles kein eigenes sprachphilosophisches Werk überliefert, und wir haben keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß er je eines verfaßt hat. Allerdings hat sich Aristoteles in einigen seiner Schriften zur Sprache geäußert. Am wichtigsten sind die Anfangskapitel von De interpretatione (Perì hermeneías, „Lehre vom Satz"), die als Wesensbestimmung der Sprache angesehen werden können.
1. Die Sprachbestimmung in De interpretatione (Kap. 1—5) a) Die Vermittlungsfiinktion der Sprache Der Eingangssatz gibt das Thema für den ersten Teil der Untersuchung an: „Zuerst muß festgelegt werden, was Nennwort (ónoma, nomen) und was Sagewort (rhêma, verbum), sodann, was Verneinung (apóphasis), Bejahung (katáphasis), Aussage (apóphansis) und Satz (lògos) ist" (16 a If.).
Bereits diese Aufzählung läßt die Wesensbestimmung des lògos im Sophistes anklingen. Daß hier - wie so oft bei Aristoteles — der Lehrer Piaton gleichsam im Hintergrund steht, ist bei der Interpretation zu beachten. Nach dieser kurzen Einleitung setzt Aristoteles sogleich mit seiner Bestimmung der Sprache ein: „Nun sind die stimmlichen Verlautbarungen Symbole der Erleidnisse (Zustände, AfTektionen) in der Seele (tà en tê phonê ton en tê psyché pathemáton symbola), und das Geschriebene ist Symbol des in der Stimme Verlautbarten. Und wie die Buchstaben nicht für alle dieselben sind, so sind auch die Verlautbarungen [so sind auch die Sprachen] nicht bei allen dieselben. Das aber, wofür diese [Buchstaben und Verlautbarungen] an erster Stelle Zeichen (semeîa) sind, nämlich für die Erleidnisse der Seele, diese sind für alle dieselben; und die Dinge, wovon diese Erleidnisse Abbilder (homoiómata) sind, sind ebenfalls dieselben" (16 a 3-8).
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IV Aristoteles
Die Interpretation dieses vielbesprochenen Passus muß versuchen, die folgenden Fragen zu beantworten: 1. Was ist ein „Symbol" (symbolon) 1 , was ein „Zeichen" (semeîon)? Sind beide gleichzusetzen, oder läßt sich ein Unterschied ausmachen? - 2. Was sind die Erleidnisse (pathémata) in der Seele? — 3. Wie ist der Bezug zwischen Wort und Sache gemäß der angegebenen Analogie zu bestimmen 2 ? zu 1. Die Lautverbindungen 3 , die wir stimmlich artikulieren (d. h. die Wörter), sind Symbole. Das Wort „Symbol" darf hier nicht sogleich mit einer der Bedeutungen befrachtet werden, die ihm im Verlauf einer langen Begriffsgeschichte zugewiesen worden sind (etwa im Bereich des Schönen und der Kunst). Symbolon ist abgeleitet von symbállein (zusammen-werfen). Das Symbol wirft etwas zusammen; im Symbol wird etwas mit etwas anderem zusammengebracht. Das heißt im Blick auf den zitierten Text: Die ausgesprochenen Wörter sind nicht für sich allein zu nehmen, sondern mit etwas anderem zusammenzubringen, nämlich mit den pathémata in der Seele. Was „Symbol" meint, wird näher bestimmt durch semeîon. Semeîon bedeutet ganz allgemein „Zeichen" — etwa im Sinne einer Spur, eines Signals, eines Siegels, eines Feldzeichens. Darin liegt: Das Zeichen ist, wenn es seine Funktion erfüllen soll, nicht für sich selbst zu nehmen. Das Zeichen verweist mich auf anderes, das durch das Zeichen angezeigt wird. Ein Zeichen bringt mich auf die Spur; es macht etwas anderes deutlich. Auch symbolon bedeutet „Zeichen", nämlich ursprünglich das Erkennungszeichen für Gastfreunde 4 . Von daher gewinnt symbolon die Bedeutung „Freundschaftsvertrag", „Handelsvertrag" (der schrifdich fixiert ist). Auf dem Hintergrund dieses Bedeutungsfeldes läßt sich 1
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Als Symbol wird das Wort auch in De sensu (437 a 14 f.) bestimmt, u m die belehrende Funktion der Sprache deutlich zu machen. Angesichts der Knappheit des Textes werden die Versuche, diese Fragen zu beantworten, immer mehr oder weniger unsicher bleiben. J. L. Ackrill etwa stellt fest: „This account of the relation of the things in the world, afTections in the soul, and spoken and written language is all too brief and far from satisfactory" {Aristotle's ,Categories' and ,De Interpretation', Translated with Notes by J. L. Ackrill, Oxford 8 1 9 8 5 , 113). Physiologisch wird die Stimme in De anima (420 b 5 ff.) erklärt. Vgl. dazu W. Wieland, Die aristotelische Physik. Untersuchungen über die Grundlegung der Naturwissenschaft und die sprachlichen Bedingungen der Prinzipienforschung bei Aristoteles, Göttingen 1962, 167 f.
1. Die Sprachbestimmung in De interpretations (Kap. 1-5)
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sagen: Aristoteles faßt das Wort als ein Zeichen (symbolon), über das man sich so geeinigt hat, daß man dadurch jemandem etwas anzeigen, ihn auf etwas verweisen kann (semainein). Auf diese Weise wird ein Bedeutungsunterschied zwischen symbolon und semeîon nicht geleugnet, aber doch vorausgesetzt, daß Aristoteles mit beiden Ausdrücken gleichsam in dieselbe Richtung verweist. Diese Deutung ist nicht unumstritten. So hat R. Brandt5 auf folgende Unterscheidungsmöglichkeit hingewiesen: Symbolon sei das Zeichen eines Andersgearteten durch willkürliche Vereinbarung; symbola sind demnach fixierte Zeichen im Sinne eines verfügbaren Vokabulars. Dagegen sei semeîon „Zeichen" im Sinne von „Symptom", „Äußerung". (Es geht also eigentlich um die Unterscheidung zwischen natürlichen und künstlichen Zeichen.) „Ein stimmliches σημείον ist auf zwiefache Weise möglich: einmal als natürliche Äußerung von Schmerz und Freude [...], zum andern in artikulierter Form als φωνή σημαντική κατά συνθήκην [...], das bloße σημείον ist in diesem Fall [...] durch vereinbarte Formung zum σύμβολο ν geworden" (34). Auf dieser Unterscheidung zwischen symbolon (künsdiches Zeichen) und semeîon (natürliches Zeichen, Symptom) hat M Kretzmann6 seine Interpretation aufgebaut, in der er nachzuweisen versucht, daß diese Aristoteles-Stelle nicht einmal als Ansatz für eine allgemeine Theorie der Bedeutung aufzufassen sei (5). Nach Kretzmann sind alle Verlautbarungen Symptome für einen bestimmten Zustand des Sprechers. Also offenbaren auch die artikulierten Laute in erster Linie (prótos) etwas über den Sprecher. Sie können aber im Gegensatz zu inartikulierten Lauten zum Symbol, d. h. in einem anderen regelgeleiteten Medium verkörpert werden. Konkreter: Die seelischen Zustände können durch gesprochene Wörter im hörbaren Medium, die gesprochenen Wörter durch Schriftzeichen sichtbar verkörpert werden; inartikulierte Laute hingegen können nicht zum Symbol werden — nicht nur, weil sie nicht schreibbar sind, sondern in erster Linie deshalb, weil sie sich für eine allgemein verbindliche Konvention nicht eignen. Diese Interpretation Kretzmanns ist von H. Weidemann7 mit guten Gründen zurückgewiesen worden. Weidemann macht zu Recht darauf aufmerksam, daß der Gebrauch von semeîon , semantikós und semainein in den folgenden Kapiteln von De interpretation der Auffassung Kretzmanns widerspricht. „Wenn Aristoteles [...] das Verb ,σημαίνειν', das Adjektiv ,σημαντικός' oder das Substantiv ,σημείον' in der durch den Ausdruck ,κατά συνθήκην' zu spezifizierenden Bedeutung gebraucht, in der ,σημείον' mit ,σύμβολον' gleichbedeutend ist, so ist es höchst unwahrscheinlich, daß er das Wort ,σημείον' [in 16 a 6] in der durch den Ausdruck ,φύσει' (,von Natur aus': 16 a 27) zu spezifizierenden Bedeutung verwendet, wie Kretzmann offenbar annimmt" (245). Gegen Kretzmann hält Weidemann daran fest, daß bei Aristoteles Ansätze zu einer semantischen Theorie vorhanden sind (253).
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Die Aristotelische Urteilslehre. Untersuchungen zur „Hermeneutik", Diss. Marburg 1965, 33 f. Aristotle on Spoken Sound Significant by Convention, in: J. Corcoran (Hg.), Ancient Logic and Its Modern Interpretation, Dordrecht 1974, 3—21. Ansätze zu einer semantischen Theorie bei Aristoteles, in: Zeitschr. f. Semiotik 4 (1982), 241-257.
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IV Aristoteles
zu 2. Die sprachlichen Symbole verweisen auf die Erleidnisse in der Seele, d. h. auf Eindrücke, welche die Seele empfängt. Darin liegt ein Erleiden, sofern die Seele diese Eindrücke nicht spontan aus sich selbst hervorbringt; vielmehr wirken die Dinge von außen auf die Seele ein und bewirken ihre pathémata. Diese pathémata werden von den Sprachlauten symbolisiert bzw. angezeigt. Der zweite Teil des ersten Kapitels (16 a 9 ff.) macht es wahrscheinlich, daß Aristoteles hier nicht — wie in De anima — streng zwischen wahrnehmender und denkender Seele unterscheidet. Die Sprachlaute beziehen sich nicht nur auf reine ,Wahrnehmungsbilder', sondern auch (und wohl vor allem) auf die an der Wahrnehmung beteiligte denkende Seele. Das ist jedoch in diesem Zusammenhang nicht so gravierend. Wichtig ist es hervorzuheben, daß die pathémata einen Bezug zu den Dingen haben und nicht subjektiv willkürlich sind. Man hat darüber diskutiert, ob die am Anfang des Kapitels erwähnten seelischen Eindrücke mit den Gedanken (noémata), von denen im zweiten Teil des ersten Kapitels (16 a 9 ff.) die Rede ist, gleichzusetzen sind. Das ist problematisch, weil die pathémata als Abbilder (homoiómata; 16 a 7) der Dinge gekennzeichnet werden. - R.Brandt (1965: 13) versucht die Schwierigkeit durch die gewagte These zu beheben, daß die „Erleidnisse der Seele" (pathémata tês psychés; 16 a 6 f.) nicht mit den „Erleidnissen in der Seele" (pathémata en té psyché; 16 a 3 f.) identisch seien. Zwar verweise die Bezeichnung „pathémata" generell auf deren sinnlichen Ursprung; aber mit den „pathémata en tê psyché" seien die Vorstellungen der diánoia gemeint und nicht die Empfindungen der Wahrnehmung ( - pathémata tés psychés). N.Kretzmann (1974: 9) betont, daß man die seelischen Eindrücke von den im zweiten Teil des ersten Kapitels thematisierten Gedanken unterscheiden müsse. Er versteht die pathémata en té psyché generell als mentale Eindrücke bzw. Bilder („mental impressions", „mental images"), die nicht nur durch eine Wahrnehmung, sondern auch durch Vorstellungskraft und Gedächtnis entstehen. Diese Interpretation hält H. Weidemann für problematisch. Denn: Aus der Zuordnung der pathémata zu den Verlautbarungen im ersten Teil des Kapitels und aus der Zuordnung der noémata zu sprachlichen Ausdrücken gehe deudich hervor, daß Aristoteles „unter den von diesen Verlautbarungen symbolisierten seelischen Zuständen die Zustände der denkenden Seele (d.h. die Gedanken) verstanden wissen will" (1982: 247). Die Abbildungen (homoiómata) sind nach Weidemann Vergegenwärtigungen, sofern der in ein Wort gefaßte Gedanke die gemeinte Sache für Sprecher und Hörer vergegenwärtigt (249). Die Auseinandersetzung um diese Stelle verliert an Gewicht, wenn man berücksichtigt, daß Aristoteles hier nicht auf eine Wahrnehmungstheorie abzielt (deshalb der Verweis auf De anima in 16 a 8 f.), sondern auf das Faktum menschlicher Kommunikation vermittels Sprache. Kommunikation ist nicht möglich ohne etwas, das den Menschen gemeinsam ist (vgl. u. S. 76).
1. Die Sprachbestimmung in De interpretatione (Kap. 1-5)
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zu 3. Verweisen die stimmlichen Verlautbarungen auf die Erleidnisse der Seele, dann ist der Bezug zwischen Wort und Sache vermittelt. U m diese (uns nicht bewußte) Vermitdungsfunktion zu erklären, verweist Aristoteles auf etwas Vertrauteres: auf die Schrift. Auch die Schriftzeichen symbolisieren etwas, nämlich die stimmlich artikulierten Laute. M a n kann somit folgende Analogie aufstellen: Die Schriftzeichen verhalten sich so zu den sprachlichen Verlautbarungen, wie die sprachlichen Verlautbarungen zu den Erleidnissen der Seele. Das heißt: Wie die Schriftzeichen in ihrem Bezug zu den stimmlichen Verlautbarungen zu sehen sind, so darf auch das Gesprochene nicht als solches, sondern muß in seinem Bezug zu den seelischen Eindrücken - die ihrerseits auf die Dinge verweisen - gesehen werden. Anders formuliert: Was die Schrift eigendich ist (ihre Funktion), das weiß nur derjenige, der sie als Wiedergabe gesprochener Worte sieht. U n d was die gesprochenen Worte sind (ihr Sinn, ihre Bedeutung), das geht nur demjenigen auf, der sich durch sie auf die seelischen Eindrücke der Dinge verweisen läßt und somit sprechend oder hörend ,bei der Sache ist'. — Aus der Analogie läßt sich weiterhin entnehmen (worauf Aristoteles nicht eingeht), daß es Symbole (Schriftzeichen) für Symbole (Wörter) gibt. M a n sollte aber auch die Grenze dieser Analogie beachten: Die Schriftzeichen sind optisch erfaßbare Symbole für akustisch wahrnehmbare Laute, während die Verlautbarungen Symbole für seelische Eindrücke sind. Könnte wegen der unterschiedlichen Bereiche, die vermittelt werden, nicht auch die Eigenart des vermittelnden symbolon unterschiedlich sein? — Zu dieser Frage gibt Aristoteles keinen Hinweis, weil er offensichdich nicht daran interessiert ist. Es kommt ihm hier lediglich darauf an zu betonen, daß ein Vermittlungsverhältnis vorliegt, daß Geschriebenes und Gesprochenes als Symbole aufzufassen sind, die auf anderes verweisen. So scheint die Analogie unmittelbar einzuleuchten. Sie löst mit einem Schlag das Problem der Sprachenvielfalt, das vom Kratylos an 8
Diese Feststellung ist folgenreich. Coseriu beschreibt sie mit den Termini de Saussures: „Es geschieht hier zum ersten Mal in der Geschichte der Philosophie, daß
ein eindeutiger Unterschied zwischen ,signifiant und ,.signifié' ( Wortform — Wortinhalt) durchgeführt wird, indem das ,signifié', der Wortinhalt, dem ,Ding' gegenübergestellt wird, d. h. daß die ,Wörter' nicht in einem direkten Zusammenhang mit den
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IV Aristoteles
(385 d / e ; vgl. o. S. 31) zu den Standardargumenten der Sprachphilosophie gehört. Wie nämlich die Schrift nicht für alle dieselbe ist, so sind auch die Sprachen verschieden. Die Unterschiedlichkeit der Schriftzeichen wird als etwas Selbstverständliches angesehen. (Da die Schriftzeichen später als die gesprochenen Wörter sind, stellt die Annahme einer Festsetzung der Schrift durch Konvention vor kein grundsätzliches Problem.) Warum sollten dann die sprachlichen Verlautbarungen nicht auch verschieden sein? Die Verschiedenheit der Sprachen ist nicht zu leugnen. Es gibt nicht nur verschiedene Volkssprachen, sondern auch Dialektunterschiede innerhalb âner Sprache. Dennoch verständigen wir uns sprechend über Dinge und Sachverhalte (und Mißverständnisse bestätigen uns, daß die Verständigung meistens gelingt). Wie ist das möglich 9 ? Aristoteles antwortet: Sprachliche Kommunikation ist möglich, weil die Sprachsymbole auf etwas verweisen, das uns allen gemeinsam ist: die pathémata der Seele. Die Erleidnisse der Seele sind bei den Menschen gleich, weil und sofern sie Abbilder derselben Dinge sind 10 . — Das ist wohl auch so zu verstehen: Man sollte die Unterschiedlichkeit der Schriftzeichen und Wörter nicht zu wichtig nehmen. Wichtig ist vielmehr, daß wir durch die Wörter auf etwas Gemeinsames verwiesen werden, zuerst 11 auf die seelischen Erleidnisse und sodann auf die Dinge. Nicht in Schrift und Sprache sind die Menschen geeint, sondern in den Eindrücken, die ihre Seele von den für alle gleichen und mit sich identischen Dingen erleidet. Unterschiedliche Sprachen verhindern nicht die Gemeinsamkeit im Wahrnehmen und Denken.
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,Dingen' interpretiert werden, sondern Inhalte des Bewußtseins, eine menschliche Erfahrung symbolisieren" (I, 1975: 76). D a ß es Aristoteles in diesem Zusammenhang vornehmlich um die Frage nach der Möglichkeit sprachlicher Kommunikation geht, wird betont von K. Gyekye, Aristo tk on Language and Meaning, in: International Philosophical Quarterly 14 (1974), 72; ähnlich Weidemann 1982: 249. Nach Wieland (1962: 161 ff.) ordnet Aristoteles das Sprachliche primär dem Bereich der InterSubjektivität zu (vgl. u. S. 82). „Abbild" sollte hier nicht zu eng aufgefaßt werden. Es kommt Aristoteles darauf an zu betonen, daß zwar zwischen Schrift und Wort einerseits, zwischen Wort und seelischem Eindruck andererseits, dieselbe Art des Verhältnisses besteht, jedoch eine andere Art zwischen seelischem Eindruck und Ding. Die erste Art ist ein Symbol-, die zweite ein Abbildverhältnis. Mit den meisten Ubersetzern und Kommentatoren lese ich 16 a 6 πρώτως (Adv.). Weidemann (1982: 254 A n m . 5 ) weist daraufhin, daß πρώτων bei L.Minio-Paluello wohl auf die lateinische Ubersetzung des Boethius zurückgeht; vgl. Aristoteles Latrnus II 1 - 2 , S. 1.
1. Die Sprachbestimmung in De interpretatione (Kap. 1-5)
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Der zweite Teil des ersten Kapitels macht deutlich, daß die ,sprachphilosophischen' Erörterungen nur die zentrale Frage nach Wahrheit und Falschheit vorbereiten. Aristoteles stellt fest: In der Seele gibt es sowohl Gedanken, die weder wahr noch falsch sind, als auch Gedanken, die notwendigerweise eines von beiden sind. Ebenso verhält es sich bei den stimmlichen Verlautbarungen 12 . Dieser fundamentale Unterschied bei Gedanken und sprachlichen Äußerungen gründet darin, daß es Wahrsein (aletheúein; 16a 10) und Falschsein (pseúdesthai; ebd.) nur dort gibt, wo etwas mit etwas verbunden oder etwas von etwas getrennt wird. Kurz: „Wahr" und „falsch" setzen synthesis und diairesis voraus (16 a 12). Das einzelne Gedachte dagegen kann wie das einzelne Wort (Nenn- und Sagewort) weder wahr noch falsch sein. Denke oder sage ich z. B. nur „Mensch" oder „weiß", dann ist das weder wahr noch falsch. Ein Gedanke oder eine Rede werden erst dann wahr oder falsch, wenn noch etwas hinzukommt und eine synthesis stattfindet. Allerdings ist nicht alles Zusammengesetzte sogleich wahr oder falsch. Das macht Aristoteles an folgendem Beispiel deutlich: Man kann aus den Wörtern trágos (Ziegenbock) und élaphos (Hirsch) das Wort tragélaphos (Bockhirsch) bilden. Aber dieser Art von Zusammensetzung kommt nicht die Bestimmung „wahr" oder „falsch" zu. (Da diesem Wort kein wirklich Seiendes entspricht, könnte man vielleicht meinen, es sei falsch.) Dennoch bedeutet diese Wortfügung etwas; sie hat einen Sinn 13 . Wahr oder falsch wird diese Wortschöpfung erst dann, wenn man das Sein oder das Nichtsein hinzufügt - „entweder einfachhin oder mit Bezug auf die Zeit" (16 a 18). Man müßte also hinzufügen: einfachhin „ist" oder „war" oder „wird sein" bzw. die entsprechenden Negationen 14 . 12
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Das muß betont werden, weil zwischen Wort und Sache keine Abbildbeziehung, sondern ein Symbolzusammenhang besteht. Dieser Unterschied schließt aber gerade nicht aus, daß die sprachlichen Ausdrücke den Gedanken gleichen (éoike; 16 a 13). Das bezieht sich jedoch nicht auf den Inhalt, sondern auf formale ^strukturelle') Gleichheiten. Bedeutung ist nach Aristoteles somit nicht an Wahrheit/Falschheit oder gar an Verifikation/Falsifikation gebunden. Ackrill (1963: 115) hält diese Wendung aus folgendem Grund für problematisch: Verstehe man unter „einfach" (haplôs) die zeidose oder allzeitliche Präsenz, dann finde sich dafür keine Parallelstelle in De interpretatione. Gehe man davon aus, daß Aristoteles hier an die entsprechenden Ausführungen von Kap. 3 denke, dann sei die Formulierung in Kap. 1 nicht sehr glücklich. — Dagegen läßt sich einwenden: Eben weil Aristoteles bereits das dritte Kapitel im Sinn hat, braucht er im ersten Kapitel keine genaueren Hinweise zu geben.
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IV Aristoteles
Nun hatte Piaton im Sophistes dargelegt, daß ein (wahrer oder falscher) lògos (Satz) erst zustande kommt, wenn man Nennwort (ónoma) und Sagewort (rhêma) ,vermischt' (vgl. o. S. 62). - Folglich thematisiert auch Aristoteles das ónoma (2. Kap.), das rhêma (3. Kap.), den lògos (4. Kap.).
b) Die Wesensbestimmung
des ónoma
Aristoteles' Wesensbestimmung des ónoma, mit der das zweite Kapitel von De interpretatione eröffnet wird, lautet: „Das Nennwort ist eine stimmliche Verlautbarung, die etwas bezeichnet gemäß Übereinkunft (katà synthéken), ohne Zeit, und ohne daß ihre einzelnen Teile getrennt eine Bedeutung haben" (16 a 19ff.).
Bezeichnender Laut (phonè semantiké) zu sein, ist das gemeinsame Kennzeichen von ónoma, rhêma und lògos. „Semantikós" ist abgeleitet von semainein: mit einem Zeichen (Siegel) versehen, ein Zeichen geben, (durch ein Zeichen) befehlen; von daher allgemein: bezeichnen, bedeuten. Demnach sind Nennwörter, Sagewörter und Sätze sprachliche Verlautbarungen, die jemandem etwas anzeigen, etwas bezeichnen und in diesem Sinne Bedeutung haben. Unproblematisch ist die Feststellung, daß das Nennwort etwas ohne %eit anzeigt. Denn das Genannte als solches („Mensch", „Bockhirsch" ...) wird noch nicht mit Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft in Verbindung gebracht; dies bleibt vielmehr dem Sagewort (Verb) vorbehalten. Unmittelbar einleuchtend erscheint zunächst auch die Bestimmung, daß ein getrennter Teil des Nennworts nichts bezeichnet. „Me" z. B. als Teil des Namens „Mensch" bezeichnet nichts; eine bloße Buchstabenfolge hat noch keine Bedeutung. Es gibt aber auch Fälle, für die diese Charakterisierung nicht so offenkundig ist. Aristoteles führt als Beispiel den Eigennamen „Kállippos" an (16 a 21). Dieser Name läßt sich etymologisch erklären als Zusammensetzung von kalós (schön) und hippos (Pferd). Hier scheinen die getrennten Teile für sich etwas zu bezeichnen. Dennoch gilt auch hierfür: Die Teile bezeichnen getrennt nichts, sofern sie für die Bezeichnungsfunktion des ganzen (Kállippos) keine Rolle spielen. Der Name „Kállippos" ist bezeichnend (be-deutend), weil er auf einen bestimmten Menschen verweist, der so genannt wird und auf diesen Namen hört. Das ,Be-zeichnende' ist der Bezug zu einer bestimmten Person und
1. Die Sprachbestimmung in
De interpretatwne (Kap.
1—5)
nicht zu „schön" und „Pferd" 1 5 . — Man geht kaum zu weit, wenn man hierin eine kritische Anspielung auf unangemessene Etymologien, wie ζ. B. die im Kratylos am Namen „Hermogenes" vorgeführte, sieht (vgl. o. S. 42). Noch anders (und wohl problematischer) verhält es sich bei Wörtern von der Art „Piratenboot" (epaktrokéles; 16 a 26). Dazu bemerkt Aristoteles: „Bei den einfachen Nennwörtern verhält es sich nicht so, wie es sich bei den zusammengesetzten verhält: bei jenen ist der Teil auf keine Weise bezeichnend, bei diesen will er zwar etwas bezeichnen, bezeichnet aber als getrennter (Teil) nichts..." (16 a 22-26).
Das meint: In zusammengesetzten Wörtern (Komposita) wie z.B. „Piratenboot" bedeuten zwar die einzelnen Teile (Pirat, Boot) etwas; sie verweisen uns auch auf etwas Bestimmtes. Aber als getrennte Teile verweisen sie uns nicht auf das, worauf uns das aus beiden Teilen zusammengesetzte Wort verweist. Als Teile bezeichnen sie nicht das, was das Ganze bezeichnet. Oder: Aus der Bedeutung des abgetrennten Teils erschließt sich nicht die Bedeutung des Ganzen 1 6 . Die wichtigste, aber auch problematischste Bestimmung, die Aristoteles dem ónoma (und der Sprache überhaupt) gibt, ist das katà synthéken. Diese Kennzeichnung, die sicherlich schon am Beginn des ersten Kapitels im Blick steht (vgl. o. S. 72 f.), wird im zweiten Kapitel so erläutert: „Das katà synthéken soll sagen, daß kein Nennwort von Natur (physei) ein solches ist, sondern erst dann, wenn es zum Symbol geworden ist. Denn auch die inartikulierten Laute (agrámmatoi psóphoi), ζ. Β. der Tiere, offenbaren (deloûsi) etwas; dennoch ist keiner dieser Laute ein Nennwort" (16 a 26—29).
Mit „physei" und „katà synthéken" bringt Aristoteles Kennzeichnungen ins Spiel, die als Schlüsselworte die Diskussion im Kratylos (und in der allgemeinen sprachphilosophischen Auseinandersetzung dieser Zeit) maßgebend bestimmen. Es sei an die Ausgangsthese des Hermogenes erinnert (vgl. o. S. 28): Die Richtigkeit komme den Namen nicht von Natur aus (physei) zu, sondern beruhe auf Vertrag 15
16
Man vgl. die entsprechende Argumentation in der Poetik (1457 a 10 fT.); hier wählt Aristoteles den Namen „Theodoras", bei dem tò dôron (das Geschenk) keine Bedeutung an ihm selbst (kath' hautó) habe. In der Poetik (1457 a 31 fT.) unterscheidet Aristoteles die (zweifachen) Zusammensetzungen, die aus Bedeutungshaftem und Bedeutungslosem bestehen, von solchen, die nur aus Bedeutungshaftem zusammengesetzt sind.
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IV Aristoteles
und Übereinkunft (synthéke, homología), auf Gesetz/Brauch und Gewohnheit (nomos, éthos); die N a m e n seien willkürlich gesetzt wie bei den Sklaven. - K a n n man daraus unmittelbar schließen, daß Aristoteles sich der These des Hermogenes anschließt 17 ? Vertritt Aristoteles hier eine konventionalistische Auffassung, dergemäß die Wörter bloße Zeichen sind, auf deren Bedeutung man sich durch Konvention geeinigt hat (wie etwa bei Wegzeichen oder Verkehrszeichen) 18 ? - Die Beantwortung dieser Fragen ist schwieriger, als es zunächst scheinen mag. Zweifellos setzt Aristoteles sich in diesem Zusammenhang auch mit Piatons Kratylos auseinander. Dennoch sollten die Unterschiede in der jeweiligen Problemstellung nicht übersehen werden. Aristoteles beantwortet nicht — jedenfalls nicht in erster Linie — die Frage, ob den N a m e n eine Richtigkeit von Natur aus oder durch Ubereinkunft zukomme. Er will auch keine These über den Ursprung der Namensetzung aufstellen. Vielmehr gibt Aristoteles eine Antwort auf die Frage, worin der Unterschied zwischen artikulierten und inartikulierten Lauten bestehe. Somit entscheidet sich Aristoteles im Blick auf die Diskussion des Kratylos nicht einfach für eine der dort vorgetragenen Thesen; sondern er korrigiert bereits die Fragestellung. Das Wesen der menschlichen Verlautbarungen (der Sprache) tritt für Aristoteles dadurch heraus, daß er sie von inartikulierten Lauten, wie sie vor allem die Tiere äußern (wohl auch die Menschen in bestimmten Situationen), abhebt 1 9 . Die inartikulierten Laute, die auch ungeschrieben bleiben, machen durchaus etwas offenbar, und zwar von Natur aus (physei). Sie bekunden z. B. Schmerz, Hunger, Gefahr etc. Aber deshalb sind diese Naturlaute noch keine (Nenn-) Wörter; sie sind nicht bezeichnend' oder ,bedeutend' im Sinne von semantikós. Die inartikulierten Laute bekunden nämlich unmittelbar etwas. Worte als Symbole dagegen verweisen mittelbar (über die Ein17
18
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So bei I. Düring, Aristoteles. Darstellung und Interpretation seines Denkens, Heidelberg 1966, 66; man vgl. den Kommentar des Ammonios, ed. Busse, Berlin 1897, 34, 17 ff. und Lersch 1838: 37. In diesem Sinne übersetzt Rolfes: „Die Bestimmung ,konventionell' (auf Grund einer Ubereinkunft) will sagen, daß kein Nomen von Natur ein solches ist, sondern erst wenn es zum Zeichen geworden ist" (1974: 96). Zur Abgrenzung zwischen menschlicher Sprache und tierischen Lautäußerungen, die sich in verschiedenen Variationen im Corpus Aristotelicum findet, vgl. die kenntnisreiche Darlegung von W. Αχ, Ψόφος, φωνή und διάλεκτος als Grundbegriffe aristotelischer Sprachreflexion, in: Glotta 56 (1978), 245-271.
1. Die Sprachbestimmung in De interpretatione (Kap. 1-5)
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drücke der Seele) auf die Dinge. Deshalb muß man sagen - so der negative Bescheid —, „daß kein Nennwort von Natur ein solches ist". U m die sprachlichen Verlautbarungen — im Vergleich zu den Naturlauten - positiv zu bestimmen, sagt Aristoteles, sie seien katà synthéken. Wörter gewinnen ihre Symbolkraft zwar nicht durch Ubereinkunft (synthéke), aber doch gemäß einer Übereinkunft (katà synthéken) 20 . Das heißt: Darin, daß und worauf die Wörter als Symbole verweisen, ist man seit langem ,übereingekommen'. Wir Menschen, die wir schon immer in einer Sprachgemeinschaft aufwachsen, stellen fest, daß — anders als bei Tierlauten — dem Wort die Bedeutung nicht von Natur aus zukommt; wir können aber auch feststellen, daß (mehr oder weniger) Einigkeit über die Bedeutung besteht — so, als hätte man sich seit langem schon darüber geeinigt. Bereits H. Skinthal hat eine differenzierte Interpretation des katà synthéken vorgelegt und gegen die schlichte Gleichsetzung der SprachaufFassung des Aristoteles mit der des Platonischen Hermogenes polemisiert. „Wenn es falsch ist, nur kurzweg zu behaupten, Plato habe die Sprache für φύσει erklärt, so ist es noch falscher [...] zu sagen, nach Aristoteles sei dieselbe κατά ξυνθήκην im Sinne der Sophisten, nämlich Werk subjectiver Willkür" (I, 1890: 321). Steinthal verweist auf den Zusammenhang mit den politischen und ethischen Überlegungen des Aristoteles. Auf diesem Hintergrund sei der Sinn des katà synthéken so zu verstehen: „Wie keine Sittlichkeit ohne die subjective Tätigkeit des Bewusstseins, keine ohne Einsicht und Entschluss, Denken und Wollen: so ist auch die Sprache, der bedeutsame Laut ein Erzeugnis der Subjectivität des Bewusstseins" (324). Auch H.-G. Gadamer dringt darauf, die Aussagen von De interpretatione im Lichte der Politik (I, 2) zu sehen. Aristoteles vertrete keine instrumentale Zeichentheorie. Die ,Ubereinkunft' sei keine Verabredung, sondern „das Übereingekommensein, auf das sich die Gemeinschaft unter Menschen, ihre Übereinstimmung in dem, was gut und recht ist, begründet" (1972: 408). Nach Gadamer ist deshalb zu beachten: „Die Übereinkunft, von der Aristoteles im Hinblick auf die Sprache spricht, charakterisiert also die Seinsweise der Sprache und sagt nichts über ihre Entstehung" (ebd.). Dieser Interpretationsansatz ist von W. Wieland (1962: 161-173) weiter ausgeführt worden. Nach Wieland sind Übereinkunft und Bedeutungsfunktion gleichursprünglich, so daß man das eine nicht aus dem anderen ableiten kann. Aristoteles frage nicht nach dem Ursprung der Bedeutsamkeit, sondern nach ihrem Sinn. Und er antworte, „daß Sprachliches nur in dem Sinn etwas,bedeuten' kann, als es auf ein mögliches Übereinkommen, auf eine mögliche Verständigung bezogen ist" (163). Es werde betont, daß ein anderer verstehen kann, was man selbst meint. „Zum Phänomen der Sprache gehört wesendich
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Zu Recht wird dieser Unterschied von Wieland (1962: 162 u. Anm. 1) hervorgehoben - wenngleich „synthéke" und „katà synthéken" in der Nikomachischen Ethik (1134 b 32 und 35) gleichbedeutend gebraucht werden. Wieland macht auch darauf aufmerksam, daß bei Aristoteles nicht das Gegensatzpaar physis - thesis bzw. nómos angewendet wird (wie in der Sophistik).
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rV Aristoteles
dieses Übereinkommen, aber deswegen ist die Sprache selbst noch lange kein Werk der Übereinkunft" (ebd.). Für Aristoteles bleibe die intersubjektive Verstehbarkeit die fundamentale Struktur, weil sie für alles Sprachliche bestimmend sei. „Modern gesprochen sind also Pragmatik und Semantik bei Aristoteles nicht unabhängig voneinander: die Semantik gründet vielmehr in der Pragmatik ..." (165)21. Nach K. Oehler22 sah Aristoteles in dem sprachlich-bedeutungsmäßigen Übereingekommensein ein Wahrheitskriterium, das unmittelbar auf die Übereinstimmung mit dem Seienden verweise. In diesem Sinne sei auch das katà synthéken zu verstehen. Gadamer bestätigend, stellt Oehler fest, daß die Sprachsymbole „nicht auf Grund einer Verabredung, nicht durch willkürliche Festsetzung, sondern infolge der allmählichen kommunikativen Übereinkunft im Consensus omnium" (24) gelten. Auch E. Coseriu (I, 1975: 76 ff.) kritisiert die traditionelle Auffassung des katà synthéken (durch Konvention, Vereinbarung, Verabredung). Dies sei schon aus philologischen Gründen nicht haltbar, weil Aristoteles gerade nicht die traditionellen Ausdrücke „éthei", „nómo", „homología" oder „xynthéke" verwende, sondern „katá" mit Akkusativ im Sinne von „als". „Katà synthéken" bedeute nicht „aufgrund einer Vereinbarung", sondern „der Name ist Laut mit Bedeutung aufgrund dessen, was schon eingerichtet ist", oder: „der Name ist Laut, der als eingerichtet bedeutet" (80). Aristoteles beschreibe mit dieser Wendung eben nicht den Wortursprung, sondern die Art, wie Wörter funktionieren. Daraus folgt nach Coseriu: „Ideell wäre es möglich, daß ich als Individuum für meine Bewußtseinsinhalte beliebige Lautgebilde erfinden kann, worauf Aristoteles übrigens in der Metaphysik (Ι\ζ 1006 b 11) anspielt. Im wirklichen Sprachgebrauch, in dem wir uns auf die ,Sachen' beziehen, benutzen wir jedoch die historisch eingerichteten Namen" (ebd.). H. Wagner23 gehört ebenfalls zu denjenigen Interpreten, die bestreiten, daß Aristoteles den konventionellen Charakter der Wörter hervorheben wollte. Entscheidend für die Definition des ónoma sei der Bezeichnungs- und Verweisungsbezug, den es in der bloßen Natur, d. h. ohne entsprechende Leistung des Subjekts nicht gebe. „Wenn Aristoteles σημαίνειν, σύμβολον-Sein und όνομα-Sein auf συνθήκη zurückführt, so ist nicht der Konventionscharakter solcher συνθήκη, sondern jene einzel- wie intersubjektive Leistung des Verweisungs- oder Bez/ñchnungsbezugs dasjenige, worauf es ihm letztlich ankommt" (98). Gegen Ackrill (1963: 117) versucht M. Th. Larkin2i einen (schlichten) indirekten Beweis für die Konventionalität der Wörter zu führen. Grundsätzlich gebe es drei Möglichkeiten: Entwedèr sind die ,Namen' gänzlich willkürlich oder konventionell
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E.Tugendhat hält in seiner Rezension (in: Gnomon 35 [1963], 543—555) den Versuch Wielands, die Lehre vom konventionellen Charakter der Worte abzuschwächen, nicht für überzeugend. „Die undifferenzierte Rede vom Sprachlichen' ist hier nicht förderlich: die grundsätzliche Zusammengehörigkeit von λόγος und Wirklichkeit schließt nicht aus, daß der Wortlaut (φωνή), das όνομα, konventionell ist" (546). Ein Mensch zeugt einen Menschen. Über den Mißbrauch der Sprachanalyse in der Aristotelesforschung, Frankfurt/M. 1963. Aristoteles, De Interpretation 3. 16 b 19—25, in: Philomathes, Studies and Essays in the Humanities in Memory of Philip Merlan, ed. by R. B. Palmer and R. Hamerton-Kelly, The Hague 1971, 95-115. Language in the Philosophy of Aristotle, The Hague/Paris 1971.
1. Die Sprachbestimmung in De inUrpretaiume (Kap. 1-5)
83
oder natürlich. Die Willkürlichkeit scheidet aus, weil wir im Gespräch das Gesagte verstehen können. Die onómata können aber auch nicht natürlich sein, weil: 1. die Sprachen sich entwickeln; 2. Synonyme, Homonyme und unterschiedliche Sprachen existieren; 3. Sokrates im Kratylos vergeblich versucht, eine natürliche Richtigkeit aufzuweisen. Also müsse die Bedeutung der Namen konventionell sein. Ohne auf differenziertere Diskussionen in der Literatur einzugehen, stellt Larkin fest: „Things cannot have names unless men agree in imposing certain names on them, and if these names are to be useful in communication, then they must be conventional not arbitrary" (24). Gegen die neueren Interpretationen etwa Wielands und Coserius hat zuletzt R. Rehn (1986: 87 ff.) versucht, das traditionelle Verständnis von katà synthéken wieder ins Spiel zu bringen. Die Wörter seien für Aristoteles konventionelle Zeichen (89), da zwischen Wort und seelischem Eindruck nur eine willkürliche Beziehung bestehe (91 f.). Entsprechend übersetzt Rehn „aufgrund von Verabredung, Absprache" (87). Diese Deutung kann sich zwar auf die Autorität des Boethius („secundum placitum") berufen, sie läßt aber die Frage außer acht, wie denn ein Laut gemäß Absprache etwas bedeuten kann, da doch Absprache — trivialerweise — schon Sprache voraussetzt.
An der Entscheidung über den Sinn des katà synthéken hängt sehr viel. Es geht nämlich letztlich u m die Frage, ob durch Aristoteles die Entscheidung für eine konventionalistische (instrumentelle) Sprachauffassung fällt, die von nun an weitgehend die philosophische Einschätzung der Sprache prägt. — N u n sollte auf dem Hintergrund der im voranstehenden Exkurs wiedergegebenen Diskussion nicht mehr strittig sein, daß m a n die fragliche Textstelle in De interpretatione sehr wohl einleuchtend erklären kann, ohne Aristoteles eine platte Konventionalismusthese (Wörter als willkürlich gesetzte Zeichen) unterstellen zu müssen. Aber ebenso deudich scheint mir zu sein, daß Aristoteles eine konventionalistische Zeichentheorie nahelegt, auch wenn er sie expressis verbis nicht formuliert hat. Zur Begründung seien zunächst die beiden folgenden Argumente angeführt (vgl. u. S. 101): 1. Nicht so sehr die Textstelle 16 a 26—29 mit dem vielbesprochenen katà synthéken als vielmehr die am Beginn des ersten Kapitels angeführte Analogie zwischen Schrift/Wort und Wort/seelischem Eindruck legt eine konventionalistische Auffassung nahe. D a ß sich Schriftzeichen ,verabreden' lassen, daß bei der Auswahl eines bestimmten Schrifttyps eine gewisse Willkür (weil Wahlmöglichkeit) herrscht, läßt sich schwerlich bestreiten. Wenn sich nun das Schriftzeichen zum Wort so verhält wie das Wort zum seelischen Eindruck, muß m a n dann nicht schließen, daß die Wörter im Prinzip konventionell gesetzte Zeichen sind - wenn auch die geschichtliche Wirklichkeit in einer Sprachgemeinschaft der Willkür Grenzen setzt?
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IV Aristoteles
2. Die Auffassung von der Sprache als einem System bloßer Zeichen hat zur Konsequenz, daß der Zweck der Sprache letzdich nur noch in der Kommunikation gesehen und der Bezug der Sprache zum Denken (der ,Dialog der Seele mit sich selbst') in den Hintergrund gedrängt oder ganz vergessen wird. D a ß für Aristoteles die Frage nach der Möglichkeit sprachlicher Verständigung im Vordergrund steht, ist bereits erwähnt worden (vgl. o. S. 74, 76, 82). Ein weiterer Beleg für den Vorrang der ,Kommunikationsintention' findet sich in den Sophistici elenchi (165 a 6 ff.). Hier weist Aristoteles darauf hin, daß m a n sich der Wörter als Symbole für die Dinge bedienen muß, weil m a n die Dinge selbst nicht herbeitragen kann. M a n darf aber, u m Irrtümer zu vermeiden, nicht unterstellen, daß für die Wörter dasselbe gilt wie für die Dinge. Es gilt vielmehr zu beachten, daß die Zahl der Benennungen begrenzt ist, die Dinge jedoch unbegrenzt viele sind 2 5 . Aristoteles beschließt seine Bestimmung des Nennworts mit zwei weniger problematischen Hinweisen: „Nicht-Mensch" (ouk ánthropos; 1 6 a 30) ist kein Nennwort; denn dieser Ausdruck verweist nicht auf ein bestimmtes Seiendes. Zwar werden hier zwei Wörter zusammengesetzt; aber diese Zusammensetzung ist natürlich kein Satz (lògos). U n d weiter: „Nicht-Mensch" ist eine Negation; es handelt sich jedoch nicht um eine Verneinung im Sinne der apóphasis (die erst vom vierten Kapitel an thematisiert wird). M a n kann diese Art Ausdruck als „unbestimmtes Nennwort" (ónoma aóriston; 16 a 32) bezeichnen. Die zweite Einschränkung dokumentiert wieder das ,logische' Interesse des Aristoteles an der Aussage: Die obliquen Kasus (z. B. des Menschen, dem Menschen, den Menschen) sind keine onómata im strengen Sinne, sondern eben nur Beugungsformen (ptóseis; 16 b 1) des ónoma. Fügt m a n nämlich diesen flektierten Formen „ist", „war" oder „wird sein" hinzu, dann entsteht — im Gegensatz zur Verbindung mit einem Nennwort — keine wahre oder falsche Rede 2 6 .
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Auch hierfür könnte man den Vergleich mit der Schrift heranziehen: Wie die (Laut-)Schrift nur unvollkommen das Ausgesprochene wiedergibt, so geben die Laute nur unvollkommen die seelischen Eindrücke wieder. Nach Brandt (1965: 43 f.) ist hier „ónoma" im Sinne von „Satz-Subjekt" zu lesen.
1. Die Sprachbestimmung in De interpretatiom (Kap. 1—5)
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c) Die Wesensbestimmung des rhêma Das rhêma (Sagewort, Verb) stimmt mit dem Nennwort darin überein, daß die getrennten Teile für sich keine Bedeutung haben 2 7 . — Es unterscheidet sich in zwei wesentlichen Hinsichten vom ónoma: 1. Das rhêma zeigt die Zeit mit an (prossemainei; 16 b 8). „Gesundheit" (hygieia) ist ein ónoma, während „ist gesund" (hygiainei; 16 b 9) ein rhêma ist, weil es nicht nur das Gesundsein bezeichnet, sondern mit anzeigt, daß es jetzt Gesundheit (bei etwas) gibt. Insofern kann man rhêma auch mit „Zeitwort" übersetzen. 2. Das rhêma gibt etwas zu verstehen, das von einem anderen gesagt wird. Es bezeichnet etwas, das von einem Zugrundeliegenden (hypokelmenon) gilt, nämlich von dem im ónoma Genannten (,Subjekt'). Sage ich z. B. „Sokrates läuft", dann wird das vom rhêma angezeigte Laufen dem Sokrates als dem ,Zugrundeliegenden' zugesprochen (mit Bezug auf die Gegenwart). Der Argumentation im zweiten Kapitel entsprechend werden die negierten Formen ausgeschlossen. „Ist nicht gesund" oder „ist nicht krank" sind keine rhémata im strengen Sinne. Diese Ausdrücke erfüllen zwar die für ein rhêma angeführten Kriterien: sie zeigen die Zeit mit an, und sie werden über etwas Zugrundeliegendes gesagt. Dennoch besteht ein Unterschied, für den es allerdings keinen Namen gibt (16 b 14). Was Aristoteles damit meint, wird im zehnten Kapitel der Kategorien (13 b 27 ff.) 28 erläutert. Danach besteht zwischen den beiden Sätzen (1) „Sokrates ist nicht krank", (2) „Sokrates ist krank" folgender Unterschied: Wenn Sokrates existiert, dann ist von den Aussagen (1) und (2) die eine wahr und die andere falsch. Wenn Sokrates nicht existiert, dann ist (1) wahr und (2) falsch 29 . Dieser logische Unter27
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Ackrill (1963: 119 f.) diskutiert ausführlich das Problem zusammengesetzter Prädikatsausdrücke (z. B. „ist weiß"). Zählen solche Zusammensetzungen nach Aristoteles zu den Verben - wofür es Beispiele gibt (16 a 14 f.)? Bedeuten dann nicht die Teile auch getrennt etwas? — Indes sollte m a n hierin kein schwerwiegendes Problem sehen. Z u m einen hat Aristoteles hier vornehmlich rhémata wie z. B. „laufen" im Sinn. Z u m anderen läßt sich die Frage analog zu den Komposita im zweiten Kapitel behandeln. M a n vgl. den K o m m e n t a r K. Oehlers: Aristoteles, Kategorien, Darmstadt 1984, 274. M o d e r n gesprochen handelt es sich u m das Problem von Aussagen mit leeren singulären T e r m e n bzw. u m leere Klassen überhaupt.
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IV Aristoteles
schied werde — so in De interpretatione — nicht,begrifflich' gefaßt. Dennoch ist zu beachten, daß die negierte Form kein rhêma im eigendichen Sinne ist. Aristoteles schlägt deshalb vor, solch einen Ausdruck „unbestimmtes Zeitwort" (aóriston rhêma; 16 b 14) zu nennen. Unbestimmt nämlich sind diese ,Zeitwörter', sofern nur das Fehlen einer Bestimmung angezeigt wird 30 . Zu den rhémata im engeren Sinne gehören auch nicht die Vergangenheits- und Zukunftsformen wie „war gesund" oder „wird gesund sein". Das eigentliche rhêma zeigt nämlich die Gegenwart mit an, während die anderen Formen nur auf die „Umgebung" (périx; 1 6 b 18) der Gegenwart verweisen, also auf Vergangenheit und Zukunft. - Dieses Argument wird einsichtig, wenn man berücksichtigt, daß „Sein" (Wirklichkeit) vornehmlich „Gegenwärtigsein" bedeutet. Zur Wirklichkeit im eigentlichen Sinne haben nur die Zeitwörter im Präsens einen unmittelbaren Bezug. Vergangenes und Zukünftiges sind Weisen des Nichtseins. Das Vergangene als ,Nicht mehr Jetzt' und das Zukünftige als ,Noch nicht Jetzt' sind durch das Jetzt vermittelt (von ihm ,abgeleitet'). Deshalb sind die Formen des Präsens vorrangig. Betrachtet man das rhêma als es selbst (kath' hautá; 1 6 b 19) — und nicht im Blick auf seine Funktion in einem Satzzusammenhang - , dann ist auch das rhêma ein ónoma, nämlich ein Wort, das etwas benennt und bezeichnet (semaínei ti; 16 b 20). (Deshalb braucht das katà synthéken in diesem Kapitel nicht mehr eigens erwähnt zu werden.) — Diese Bestimmung ist einleuchtend, wenn man sich nicht von rein grammatischen Schemata leiten läßt. Aristoteles gibt zunächst die folgende Begründung: Für sich allein ausgesprochene Zeitwörter sind Nennwörter, weil derjenige, der sie ausspricht, das Denken zum 30
Aristoteles' Hinweis zum ,unbestimmten Verb' ist von Ackrill (1963: 120 f.) kritisiert worden. Ackrill wendet ein, daß negierte Verbausdrücke das Verb nicht zu etwas Unbestimmtem machen, sondern den gesamten Satz negieren. Es werde nicht etwas Unbestimmtes von einem Zugrundeliegenden ausgesagt, sondern der negierte Ausdruck zeige an, daß etwas Bestimmtes nickt von einem (bestimmten) Zugrundeliegenden gelte. (Es wird also etwas Bestimmtes abgesprochen.) - Diese Kritik beachtet nicht die Argumentationshinsicht im dritten Kapitel. Aristoteles will nur betonen: Dieses Absprechen ist kein Bestimmen in dem Sinne, daß etwas Bestimmtes zugesprochen wird. Es geht an dieser Stelle darum, daß ein Wort nur im Satzganzen (zusammen mit einem hypokeimenon) zum Verb im eigendichen Sinne wird. Weder isoliert (16 b 19) noch durch Hinzufügen einer Negation läßt sich sehen, was das rhêma eigendich ist und leistet. Bei der Bestimmung der einzelnen Satzteile steht für Aristoteles immer schon der ganze Satz im Blick.
1. Die Sprachbestimmung in De interpretatione (Kap. 1-5)
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Stehen bringt, und weil derjenige, der es hört, zur Ruhe kommt. Das heißt: Ein Wort — sei es ein ónoma, sei es ein rhêma —, das einem Zuhörer gesagt wird, fixiert etwas; es bringt den Fluß der Gedanken zum Stehen, indem es etwas hervorhebt bzw. darauf verweist - so, daß es in seiner Bedeutung verstanden werden kann 3 1 . Vor allem aber — so argumentiert Aristoteles weiter — ist das getrennte rhêma aus folgendem Grund ein ónoma: Es zeigt etwas an, aber es bezeichnet nicht, ob es existiert oder nicht. D e n n nicht einmal das „sein" oder „nicht sein" oder auch das bloße „seiend" zeigen Sein oder Nichtsein von etwas an (ebensowenig wie „geht" etc.). Sagt man nur „seiend" („ist", „existiert"), dann verweist man damit nicht auf Existierendes; dieses Wort ist nämlich für sich selbst nichts. Wohl aber wird dadurch eine bestimmte Synthese mitangezeigt, die man ohne das, was miteinander verbunden wird, nicht denken kann. Kurz: Das isolierte rhêma (welches auch immer) gehört zur Synthesis; aber es leistet als getrenntes (noch) nicht, was erst die Synthesis (der Satz) leistet. Allerdings kündigt es gewissermaßen die Existenzbehauptung durch den Satz an. Dieser, das dritte Kapitel abschließende Gedankengang (16 b 19-25) ist schwer zu rekonstruieren (besonders 16 b 22-25) und in jüngster Zeit wiederholt problematisiert worden. Die Hauptschwierigkeit liegt in der Frage, wie die in 16 b 22 einsetzende Begründung mit dem vorhergehenden Satz zusammenhängt. Ist die Begründung mit „ou gàr ..." („Denn nicht ...") oder mit „oudè gàr ..." („Denn nicht einmal ...") anzuschließen? Wo wechselt Aristoteles von der Betrachtung der getrennten Zeitwörter im allgemeinen zur Thematisierung des „ist" („sein") über? Hat er nur die Kopula „ist" im Blick oder „sein" im Sinne von „existieren" oder beides? J. L. Achill (1963: 121-124) hat die Problematik der anstehenden Passage systematisch dargestellt: Unstrittig ist, daß ein isoliertes Verb anzeigt, ob etwas (der Fall) ist oder nicht (der Fall) ist. Je nachdem, ob die sich anschließende Begründung mit ou (nicht) oder oudè (nicht einmal) eingeleitet wird, ergeben sich zwei grundsätzliche Deutungsmöglichkeiten. 1. (ou) Eine Verbform wie z. B. „geht" läßt sich umformulieren in „ist gehend". Durch das „ist" könnte jemand auf den Gedanken kommen, daß mit solchen Ausdrücken die 31
Nach H. Weidemann {Aristoteles über das isolierte Aussagewort: De int. 3, 16 b 19—25, in: Archiv f. Gesch. d. Phil. 64 [1982], 239-256) ist diese Stelle eine Anspielung auf den Kratylos (437 a 4 f.). Dort wird nämlich - im Zusammenhang mit der Kritik am Heraklitismus (vgl. o. S. 47) - das Wort „epistéme" (Wissen) zurückgeführt auf „histemi" (stellen, stehenbleiben). So werde angedeutet, daß unsere Seele durch das Wissen (Verstehen) bei den Dingen zum Stehen kommt. Diese Anspielung nimmt Weidemann als Bestätigung dafür, daß es nach Aristoteles die vom Wort bezeichnete Sache ist, bei der das Denken des Zuhörers zum Stillstand kommt. Auf
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IV Aristoteles
Existenz von etwas angezeigt werde. Das ist aber nicht der Fall. „Ist" hat nicht einmal eine solche Art von Bedeutung wie „gehend"; es ist nur das Zeichen einer Synthesis. — Gegen diese Interpretation ist einzuwenden, daß m a n für die Gleichsetzung von „geht" mit „ist gehend" keine Anhaltspunkte im Text hat. 2. (oude) Nach dieser Lesart ist in dem sich anschließenden Satz (b 22-25) nicht m e h r generell vom r h ê m a die Rede, sondern vom isolierten „ist" („existiert"). J e m a n d könnte einwenden, daß mit diesem Verb doch das wirkliche Sein angezeigt werde. Darauf entgegnet Aristoteles: Nicht einmal „sein" oder „nicht sein" zeigen die Existenz an. Auf der Grundlage dieser Interpretation bleibt dann die Frage, wie der Rest der Passage zu verstehen ist. Zwei Deutungen sind möglich: a) Der Schluß bezieht sich auf das kopulative „ist". Dieses leistet noch weniger als die anderen Verben (ζ. B. „geht"); „als es selbst ist es nichts". Es ist nur Zeichen für eine Synthesis. (Ihm kommt keine significatio, sondern nur eine consignificatio zu.) - Die Schwäche dieser Interpretation liegt darin, daß der angedeutete Einwand („ist" bedeutet die Existenz von etwas) sich kaum auf die bloße Kopula stützen würde. b) Der Schluß bezieht sich auf das existentielle „ist". D a n n meint Aristoteles dies: Wie die anderen Verben, so bedeutet auch „existiert" etwas; aber es bedeutet nicht die Existenz von etwas, sondern kündigt eine Synthesis (durch Hinzufügen eines Subjekts) an. Diese Interpretation Ackrills — und mit ihr alle traditionellen Deutungsversuche — ist von H. Wagner (1971: 95-115) als unzureichend zurückgewiesen worden. Nach Wagner, der einen aufschlußreichen Uberblick über die gesamte Kommentarliteratur gibt, geht Aristoteles bereits in der zweiten Hälfte von Zeile 21 zur Betrachtung des „ist" über - und nicht erst Zeile 22 mit dem ,,ou(dè) gàr". Der Text ist danach so zu entschlüsseln: Aristoteles stellt zunächst fest, daß isolierte rhémata onómata sind und als solche eine bestimmte Sachbedeutung haben. D a n n behandelt er das bloße „ist": „treibt m a n [etwa bei ,ist gesund'] jedoch das Isolieren so weit, dass [...] nur noch allein ,ist' oder auch [...] ,ist nicht' dasteht, so hat dieses Bruchstück überhaupt noch keine Sachbedeutung" (113 f.). Die Zeilen b 2 2 - 2 5 schließen sich nun logisch an: Weder „sein" („nicht sein") noch „seiend" bezeichnen eine Sache. „Denn es selbst ist gar nichts, bezeichnet aber eine bestimmte Synthesis (nämlich die Urteilssynthesis von S und P), unter der sich freilich nichts denken lässt, solange m a n von ihren Gliedern (S und P) absieht" (114). Gegen Wagner hat W. Ax32 die traditionelle Deutung verteidigt. Ax weist zunächst auf einige „sprachliche H ä r t e n " (272) hin, die sich aus der Interpretation Wagners ergeben. Vor allem aber wendet er sich dann mit der folgenden Argumentation gegen Wagner: Zweifellos halte Aristoteles sowohl das isolierte ó n o m a als auch das isolierte rhêma für wahrheitsindifferent; deshalb sei nicht einzusehen, w a r u m er es an dieser zentralen Stelle unterschlagen haben sollte (vgl. 272 f.). Ax versucht zu zeigen, daß die Argumentationsstrukturen von Kap. 2 und 3 einander genau entsprechen. Er setzt die fragliche Stelle in folgenden Dialogverlauf um:
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diese ,Sache', über die sich Sprecher und Hörer verständigen, beziehe sich „toü prágmatos" (16 b 22 f.). Zum isolierten ρήμα in Aristoteles' de interpretatione 16 b 19—25, in: Archiv f. Gesch. d. Phil. 61 (1979), 271-279.
1. Die Sprachbestimmung in De interpretatione (Kap. 1—5)
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„A: Isolierte ρήματα haben Bedeutung, aber noch keinen Wahrheitswert. B: Aber es gibt doch wenigstens ein ρήμα, das schon per se einen Wahrheitswert anzeigt, nämlich είναι. A: Nein, denn είναι ist den übrigen ρήματα nicht vergleichbar, weil es keine Sachbedeutung hat, sondern nur eine leere Verbindung anzeigt" (278 f.). Nach Ax ist eînai für Aristoteles eine echte Ausnahme, weil er ihm den Status eines vollen rhêma abspreche (277); die Argumentation könne hier nur auf die Kopula zielen (278). Ist jedoch „sein" eine echte Ausnahme, dann stimmt die von Ax angenommene Voraussetzung (genaue Entsprechung der Argumentation von Kap. 2 und 3) nicht mehr. D a r a u f h a t H. Weidemann (Aristoteles über ...: 239—256) hingewiesen; eben daran scheitere der Erklärungsversuch von Ax (244). Gegen Wagner und Ax stellt Weidem a n n die These auf, d a ß Aristoteles das Wort „ist" nicht schon ab Zeile 22 behandelt (Ax) — und schon gar nicht ab Zeile 21 (Wagner) —, sondern erst ab Zeile 23. Weidem a n n kommt zu einer in vielen Punkten einleuchtenden Interpretation, allerdings um den Preis einer Konjektur. Er entscheidet sich für die von Busse (in seiner Ausgabe des Ammonios-Kommentars) rekonstruierte Lesart des Porphyrios in 16 b 2 2 3 3 und übersetzt so: „ . . . denn für das Sein der (von ihnen bezeichneten) Sache oder für deren Nichtsein sind sie kein Zeichen" (256). Nach Weidemann gliedert sich der fragliche Abschnitt (b 19-25) in drei Teilabschnitte mit folgendem Gedankengang (vgl. 246): 1. Auch die für sich ausgesprochenen Aussagewörter bedeuten etwas; denn der Sprecher gibt etwas zu verstehen, was auch vom Hörer verstanden wird (b 20 f.). 2. Isolierte Aussagewörter bringen jedoch nicht zum Ausdruck, ob das Bezeichnete ist oder nicht; denn ein isoliertes rhêma ist kein Zeichen für das Sein oder Nichtsein der Sache (b 22 f.). 3. Das ist auch nicht der Fall beim „seiend"; denn dieses bedeutet nicht einmal eine Sache. Es bedeutet eine „Verbindung [...], die ohne die miteinander verbundenen Sachen unverständlich bleibt (b 23-25)" 3 4 . Diese in ihren Resultaten skizzierte subtile Diskussion zwischen Wagner, Ax und Weidemann sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die wesenüichen Punkte, auf die es Aristoteles ankommt, klar sind: 1. Das isolierte rhêma ist ein ónoma, sofern es etwas bezeichnet. 2. Als solches kann es nicht das Sein oder Nichtsein anzeigen. 3. Das gilt selbst für „ist", „ist nicht", „seiend", „nichtseiend". 4. Das „seiend" verweist auf eine zu vollziehende Synthesis. (Der letzte Satz vom dritten Kapitel ist zugleich Uberleitung zum vierten Kapitel.) — Im übrigen halte ich es für wahrscheinlich, daß Aristoteles auch am Schluß dieser Passage noch das existentielle „ist" im Blick hat.
d) Die Wesensbestimmung des lògos
Mit den Überlegungen der ersten drei Kapitel sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, den lògos (die Rede) zu bestimmen 35 . Der 33 34
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„ou gàr to{û) eînai semaìón esti toû prágmatos è mè eînai . . . " M a n vgl. auch die Interpretation bei U. Eco, Semiotik und Philosophie der Sprache, M ü n c h e n 1985, 50 f. Eco verweist auf den K o m m e n t a r des T h o m a s von Aquin. D a Aristoteles im vierten Kapitel bereits Erörtertes noch einmal kurz erwähnt, kann man, wie Ax (1979: 273 Anm. 13) vermutet, die ersten drei Kapitel
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IV. Aristoteles
lògos — so setzt Aristoteles ein — ist eine anzeigende Verlautbarung (phonè semantiké; 16 b 26), deren einzelne Teile auch als getrennte etwas anzeigen (bedeuten). Allerdings zeigen die einzelnen Teile etwas nur in der Weise des einfachen Sagens (phásis; 16 b 27) an — und nicht (wie der gesamte lògos) in der Weise des Zusprechens (katáphasis - Bejahung) oder Absprechens (apóphasis - Verneinung). Der lògos zeigt (wie seine Teile ónoma und rhêma) etwas an gemäß Übereinkunft (katà synthéken). Diese Kennzeichnung wird hier nicht (wie im 2. Kap.) den inartikulierten Lautäußerungen entgegengestellt; vielmehr heißt es jetzt: Jede Rede ist bezeichnend, aber nicht als Werkzeug (órganon; 17 a 1), sondern gemäß Ubereinkunft. Die Stoßrichtung dieses knappen Hinweises ist klar. Aristoteles wendet sich gegen die These aus dem Kratylos, nach der das Wort ein Werkzeug ist (vgl. o. S. 33)36. Daran sei kurz erinnert: Bei der Anfertigung eines Werkzeugs — so argumentiert Sokrates im Gespräch mit Hermogenes — darf man nicht willkürlich vorgehen, sondern muß sich nach der Natur (physis) dessen, was hergestellt werden soll, richten. Ist auch das Wort ein Werkzeug (ein belehrendes und die Dinge unterscheidendes), dann kann der Namengeber nicht willkürlich verfahren, sondern muß auf den von Natur aus zukommenden Namen blicken und das entsprechende eidos in das Wort hineinbilden. — Dieser Vergleich zwischen Werkzeug und Wort, der im Kratylos schließlich in einer Abbildtheorie mündet, wird von Aristoteles strikt zurückgewiesen. Es gibt nach Aristoteles eben keinen natürlichen Bezug zwischen Wort und seelischem Eindruck bzw. Ding; die Bedeutung ist gestiftet ,gemäß Übereinkunft'. Zwar zeigt jede Rede etwas an (semantikòs); aber nicht jeder lògos ist apophantikòs (17 a 2). „Apophainein" heißt: ans Licht bringen; dann: sich als etwas zeigen, als etwas erscheinen. Somit bringt nicht jede Rede die Dinge als solche ans Licht. Vielmehr ist nur derjenige lògos ,apophantisch', in dem Wahres oder Falsches gesagt wird (tò aletheúein è pseúdesthai; 17 a 2 f.); solche Rede nennt die Logik „Aussage" oder „Urteil". Als Gegenbeispiel erwähnt Aristoteles die Bitte. Die Bitte zeigt etwas an und gibt etwas zu verstehen; aber sie
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als „erweiternde und differenzierende Umarbeitung des vierten Kapitels" ansehen. Die Stelle könnte zu folgender Fehlinterpretation verleiten: Wenn Aristoteles sich gegen diese These wende, dann weise er eine instrumenteile Zeichentheorie zurück. Der Bezug zum Kratylos macht jedoch deudich, daß es sich eher umgekehrt verhält.
1. Die Sprachbestimmung in
De interpretatione
(Kap. 1-5)
macht keine Aussage, weil sie nicht wahr oder falsch ist. Die Behandlung der nicht-aussagenden Reden verweist Aristoteles in die Poetik und Rhetorik. In der anstehenden Untersuchung geht es nur um den lògos apophantikós (apóphansis). Wenn es Wahrheit und Falschheit nur in einer bestimmten Art von Rede gibt, dann läßt sich daraus die Konsequenz ziehen, daß die im Kratylos erörterte Frage nach der Wahrheit bzw. Richtigkeit der Wörter falsch gestellt ist. Diese Korrektur der Fragestellung ließe sich bereits dem Theaitetos entnehmen (vgl. o. S. 65). Aber Aristoteles geht weiter: Nicht nur isolierte Nenn- und Sagewörter sind von der Wahrheitsfrage ausgeschlossen, sondern auch bestimmte Arten des lògos. Nur beim apophantischen lògos kann sinnvoll nach Wahrheit oder Falschheit gefragt werden. Deshalb kommt ihm unter allen Weisen des Redens ein Vorrang zu. - Der lògos apophantikós wird im fünften Kapitel weiter bestimmt.
e) Die Wesensbestimmung des lògos apophantikós Im fünften Kapitel unterteilt Aristoteles die Aussagen nach dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit bzw. Einfachheit. Die erste einheitliche (einfache) Aussage ist die Bejahung (katáphasis). Die Bejahung spricht etwas auf etwas hin zu (apóphansis tinòs katà tinós; 17 a 25); sie bejaht das im Sagewort Angezeigte für das zugrunde liegende Nennwort. Die Bejahung ist ,früher' als die Verneinung (apóphasis)37, in der etwas von etwas abgesprochen wird (apóphansis tinòs apò tinós; 17 a 26). - Als Begründung für die Priorität der Bejahung könnte man anführen: Der verneinte Satz gewinnt seinen Sinn nur dadurch, daß etwas Bejahtes, ein bestimmter (bejahter) Sachverhalt, verneint wird. Sprachlich zeigt sich das daran, daß eine Verneinung (normalerweise) durch Verbindung des „nicht" mit einer Bejahung zustande kommt. Bejahung und Verneinung sind als solche einfach, während die anderen Aussagen durch Verbindung einheitlich werden (17 a 8 f.). Etwas anders formuliert (17 a 15—17):
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N a c h Brandt (1965: 55) könnte dies eine Reminiszenz an den Sophistes (262 c 6 f.; 2 6 3 c 2 f.) sein. Piaton sagt, daß durch die Verknüpfung von ó n o m a und rhêma der erste und kleinste Satz entsteht.
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IV Aristoteles
— Die Aussage ist âne, wenn sie entweder eines offenbart oder durch Verbindung eine ist. Daraus folgt: — Es sind viele (Aussagen), wenn sie mehr als eines kundtun oder wenn die Verbindung fehlt. Was Aristoteles meint, wird durch die Beispielsätze aus dem achten und elften Kapitel deutlich: (1) Jeder Mensch ist weiß. (2) Sokrates ist weiß. Solche Sätze sind (wie ihre entsprechenden Verneinungen) einfach; denn eines wird von einem ausgesagt. Dabei ist unerheblich, ob das Zugrundeliegende der Aussage ein Einzelnes oder ein Allgemeines ist. Eine Sonderstellung nehmen die Definitionen (Wesensbestimmungen) ein, etwa: (3) Der Mensch ist ein zweifüßiges Landlebewesen 38 . Dieser Satz ist ebenso einheitlich wie (1) und (2). Seine Einheit gründet in der Einheit des Wesens (der natürlichen Art). Durch Verbindung einhátlich werden Aussagen, in denen einem Zugrundeliegenden Eigenschaften zugesprochen werden, die zwar nicht zur Definition gehören, aber doch eigentümlich sind, ζ. B. (vgl. 20 b 17): (4) Der Mensch ist ein zweifüßiges, zahmes Lebewesen. Beide in diesem Satz ausgesagten Eigenschaften gehören notwendig zusammen. Es ist nicht möglich, „zweifüßig" zuzusprechen und „zahm" abzusprechen (oder umgekehrt), ohne einen Widerspruch zu formulieren. Auch für nicht-einheitliche Aussagen gibt Aristoteles Beispiele, zunächst im Blick auf die Vielheit des ónoma (18 a 19 ff.). Für das Beispiel wird die Voraussetzung gemacht, daß Pferd und Mensch mit einem Nennwort bezeichnet werden, nämlich mit „Mantel". Dann ist folgende Aussage möglich: (5) Der Mantel ist weiß. Unter der eingegangenen Voraussetzung kann dieser Satz zweifach verstanden werden: a) „Ein Pferd ist weiß, und ein Mensch ist weiß." Entgegen der äußeren Form des Beispielsatzes (5) handelt es sich um zwei Aussagen. Also ist (5) keine einheitliche Aussage — auch nicht 38
Die Frage, ob dieser Satz die dem Menschen angemessene Definition (horismós) wiedergibt, ist hier unerheblich. Man vgl. auch Metaphysik VII, 12 (1037 b 8 ff.).
1. Die Sprachbestimmung in De interpretatone (Kap. 1-5)
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,durch Verbindung', weil die Voraussetzungen von (4) nicht gegeben sind. b) „Ein Pferdmensch ist weiß." In diesem Fall ist die Aussage weder eine noch viele; denn so verstanden zeigt der Satz nichts an, weil es keine Pferdmenschen gibt 3 9 . Das Beispiel für die nicht-einheidiche Aussage im Blick auf die Vielheit des rhhna lautet (20 b 18 f.): (6) Der Mensch ist weiß und geht. Auch hierfür muß gegen den Anschein der sprachlichen Form betont werden, daß es sich u m ,viele' (zwei) Aussagen handelt, die auch nicht durch Verbindung âne werden wie (4). Es ist nämlich denkbar, daß eines der beiden Prädikate dem Subjekt zukommt, das andere aber nicht; Weiß-sein und Gehen bilden keine notwendige Einheit 4 0 . Neben der Bestimmung der einheitlichen Aussage, die das eigentliche T h e m a des fünften Kapitels ist, wird noch folgendes ergänzt: - Zur Definition (ζ. B. „zweifüßiges Landlebewesen"), die ja bereits eine Art Synthesis 41 ausdrückt, muß ebenfalls ein Zeitwort bzw. eine flektierte Form des Zeitworts (zumindest eine Form von „sein" qua „existieren") hinzutreten, damit eine Aussage zustandekommt (17 a 9-12). — Wie bereits erwähnt, ist die Äußerung des einzelnen Nenn- oder Sageworts kein lògos. Jetzt wird hinzugefügt: Durch das bloße Sprechen (phásis) entsteht keine Aussage, „mag nun jemand fragen oder nicht und vielmehr von sich aus sprechen" (17 a 19 f.). Was damit gemeint ist, kann an folgenden Beispielen gezeigt werden: J e m a n d fragt: „Wer sitzt?" Der Gefragte antwortet: „Sokrates." Ließe sich dann nicht sagen, daß die Antwort gleichbedeutend ist mit der Aussage „Sokrates sitzt"? Aristoteles weist solche Fälle zurück. Denn eine Antwort (durch ,bloßes Sagen') ist nur in einem bestimmten Situationszusammenhang als ,versteckte' Aussage zu erkennen. Von die39
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Aristoteles geht es in diesem Zusammenhang wohl nicht um die Frage, ob derartige Sätze eine Bedeutung haben; es geht ihm auch nicht um die Willkürlichkeit oder Zweideutigkeit der Namensetzung. Aristoteles kommt es im achten Kapitel darauf an zu zeigen, daß es bei Sätzen wie (5) nicht notwendig ist, daß einer der beiden kontradiktorischen Gegensätze wahr und der andere falsch ist. Entscheidend ist, daß der Name („Mantel") auf etwas verweist, das keine natürliche Einheit bildet. Die logische Behandlung solcher Sätze gehört in die erst von den Stoikern begründete , Aussagenlogik'. Diese Art von Zusammensetzung wurde im zweiten und dritten Kapitel noch nicht erwähnt und wird deshalb hier eigens von der Aussage abgehoben.
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IV Aristoteles
sen Situationsbezügen aber sieht die Logik ab. Auch ohne einen bestimmten Redekontext muß der lògos apophantikós als solcher erkennbar sein. — Entsprechend verhält es sich bei Äußerungen wie z. B. „badizei" („er geht"); auch das ist ohne Bezug auf eine bestimmte Situation nicht als Aussage erkennbar. Unter dieser Voraussetzung sind auch Verbformen in der 1. Person Singular kein Sonderfall, z. B. „badizo" („ich gehe"). Es geht in diesem Zusammenhang nicht um die Bewertung von Sprechsituationen, sondern um die logisch-grammatische Form des lògos apophantikós. Aristoteles beschließt das fünfte Kapitel mit einer Definition der einfachen Aussage (haplê apóphansis): „Die einfache Aussage ist eine bezeichnende stimmliche Verlautbarung über das, was etwas zukommt oder nicht zukommt, so, daß ein unterschiedlicher Zeitbezug angezeigt wird" (17 a 23 f.). Diese bejahenden oder verneinenden Aussagen sind entweder wahr oder falsch. Das kann allerdings für Aussagen über zukünftige kontingente Ereignisse nicht gelten 42 . Für den Versuch, die Sprachauffassung des Aristoteles zu erklären, müssen die sich anschließenden Überlegungen in De interpretatione nicht dargelegt werden. Das eigentliche T h e m a der Untersuchung ist mit der Umgrenzung des lògos apophantikós gewonnen. Die anderen Arten der Rede sind — wie im vierten Kapitel ausdrücklich gesagt wird — Gegenstand der Poetik und Rhetorik. Lassen sich dort weitere wesentliche Einsichten über die Aristotelische Einschätzung der Sprache gewinnen?
2. Sprachanalyse in Poetik und Rhetorik In den Kapiteln 19 bis 22 der Poetik (Peri poietikes 1456 b 8 ff.) finden sich Parallelen und Ergänzungen zu den sprachphilosophischen Erörterungen von De interpretatione. Diese Kapitel gehören zum Hauptteil der Untersuchung, der die Tragödie thematisiert. Nach umfangreichen Erörterungen über Charaktere und Handlung (mythos) geht Aristoteles auf zwei weitere Bestandteile der Tragödie ein: Gedanken (dianoiai) und Sprachform (léxis). Was die Gedanken betrifft, so gibt Aristoteles nur ganz knappe Hinweise und verweist im übrigen auf 42
Das ist Thema des heftig umstrittenen neunten Kapitels. Man vgl. Ackrill (1963: 132-142) und (umfassend) D. Frede, Aristoteles und die ,Seeschlacht'. Das Problem der Contingentia Futura in De Interpretatione 9, Göttingen 1970.
2. Sprachanalyse in Poetik und Rhetorik
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seine Rhetorik43. — Im Blick auf die léxis 44 unterscheidet er zwei Aspekte: 1. Wer die Schauspielkunst beherrschen will, muß sich bei den Sprach- bzw. Satzformen (tà schémata tés léxeos; 1456 b 9) auskennen. Er muß wissen, was ein Befehl, eine Bitte, eine Erzählung, eine Drohung, eine Frage, eine Antwort etc. ist, und ihre unterschiedliche Formulierung beherrschen. Auch bei diesen ,stilistischen' Fragen hält sich Aristoteles - was nach dem Hinweis im vierten Kapitel von De interpretatione eigenüich zu erwarten wäre — nicht lange auf, weil sie nicht das eigentliche Thema einer Poetik seien. 2. Ausführlicher werden die Teile der ,Sprachform insgesamt' untersucht, nämlich Buchstabe, Silbe, Konjunktion, Nennwort, Sagewort, Partikel, Kasus, Satz. Diese Teile werden erläutert: — Buchstabe (stoicheîon — Elementarlaut; 1456 b 22) ist ein unteilbarer Laut, der natürlicherweise 45 so beschaffen ist, daß aus ihm ein zusammengesetzter Laut entstehen kann. Diese Zusammensetzbarkeit unterscheidet die Elementarlaute von tierischen Lauten, die auch unteilbar sind, aber nicht zu Silben zusammengesetzt werden können 4 6 . — Die in Buchstaben fixierten Elementarlaute der menschlichen Rede lassen sich in Vokale, Halbvokale und Konsonanten einteilen. Weiterhin kann man bei der Artikulation verschiedene Formungen des Mundes, verschiedene Stellen der Lautbildung (im 43
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O. Gigon gibt folgende Erklärung: „Das hat seinen Grund darin, daß hier dieselben Prinzipien gelten wie bei der Redekunst im allgemeinen. Hier wie dort besteht die Aufgabe, die Dinge zu sagen, die einer bestimmten Situation und einer bestimmten Absicht angemessen sind. Daß es sich bei der Kunst des Plaidoyers vor Gericht um reale Situationen handelt und bei den Reden der Tragödie um erfundene, macht in diesem Zusammenhang keinen Unterschied" (Aristoteles, Vom Himmel. Von der Seek. Von der Dichtkunst, übers, u. hg. von O. Gigon, München 1983, 379). Léxis ist kaum mit einem deutschen Wort angemessen wiederzugeben. Es ist teilweise gleichbedeutend mit lògos (Wort, Rede); in engerer Bedeutung meint léxis: Redeweise, sprachlicher Ausdruck. Aristoteles bestimmt im 6. Kap. der Poetik die léxis ganz allgemein als „Ausdrucksfähigkeit durch Benennung" (tèn dià tés onomasías hermeneían; 1450 b 13 f.). Léxis ist somit die sprachliche Ausdrucksfähigkeit, die für metrische und prosaische Rede gleichermaßen gilt. W. Ax ( 1978: 257 Anm. 40) weist zu Recht darauf hin, daß der Ausdruck péphyke (1456 b 23) hier nicht als Parteinahme für die physei-These verstanden werden darf. Man vgl. auch Metaphysik V, 1014 a 26 ff. Steinthal (I, 1890: 253 f.) belegt mit dieser Stelle, daß nach Aristoteles die Elementar-Bestandteile nicht unmittelbar gegeben sind, sondern sich durch künstliche Zerlegung ergeben.
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IV Aristoteles
Mundraum), Länge und Kürze, Dichte und Feinheit (des Luftstroms), Höhe und Tiefe unterscheiden 47 . Diese Eigenschaften werden nach Aristoteles in der Metrik untersucht. — Die Silbe (syllabé; 1456 b 34) ist ein bedeutungsloser Laut, der aus Konsonant und Vokal zusammengesetzt ist. Auch deren weitere Untersuchung gehört in die Metrik. — Konjunktion (syndesmos; 1456 b 38) und Partikel (árthron; 1457 a 6) sind ebenfalls, für sich genommen, ohne Bedeutung 48 . — Die Definitionen für Nennwort (ónoma; 1457 a 10) und Sagewort (rhêma; 1457 a 14) sind aus De interpretatione bekannt: Das ónoma ist eine zusammengesetzte bedeutungshafte Verlautbarung ohne Zeitbezug; seine Teile sind als solche ohne Bedeutung. Das rhêma unterscheidet sich vom ónoma dadurch, daß es die Zeit mitanzeigt 49 . Onoma und rhêma können in verschiedenen Beugungsformen auftreten, die Wovon, Wofür etc., Einzahl und Mehrzahl, aber auch Satzformen wie Frage, Befehl etc. anzeigen. — Im Unterschied zu ónoma und rhêma sind die einzelnen Teile des lògos (1457 a 23) — zumindest einige — bezeichnend. Aristoteles vermerkt, daß es auch einen lògos ohne Verb gibt, etwa die Definition des Menschen („zweifüßiges Lebewesen"). - Einer (einheitlich) kann der lògos in zweifacher Hinsicht sein: a) Er bezeichnet ein einziges, z. B. die Definition des Menschen, b) Er bildet eine Einheit durch Verknüpfung; in diesem Sinne ist sogar die Ilias ein einziger lògos. Im 21. Kapitel werden verschiedene Hinsichten genannt, nach denen sich die Nennwörter unterscheiden lassen. 1. Man kann die 47
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Vgl. das Einteilungsverfahren im Kratylos 424 b ff., o. S. 40 f. Von einem Abbildungsverhältnis kann bei Aristoteles selbstverständlich nicht mehr die Rede sein. Die Stelle 1456 b 38-1457 a 10 ist verderbt und kaum befriedigend zu rekonstruieren. Man vgl. bereits L. Lersch, Die Sprachphilosophie der Alien, dargestellt an der historischen Entwicklung der Sprachkategorien, Bonn 1840, 267 ff. und Steinthail, 1890: 263 ff. Es fallt auf, daß bei den Definitionen von ónoma und rhêma in der Poetik die Kennzeichnung katà synthéken nicht erwähnt wird. „Gemäß Übereinkunft" kann hier fehlen, weil bereits bei der Charakterisierung der sprachlichen Elementarlaute der Unterschied zu tierischen Verlautbarungen (Zusammensetzbarkeit) hervorgehoben wird. - Lersch (II, 1840: 272) gibt folgende Erklärung: In De interpretatione „sollte hervorgehoben werden, dass das Nomen nicht Produkt der natürlichen Sprachentwikelung, sondern gesellschafdicher Uebereinkunft sey ..."; in der Poetik gehe es um „die körperliche Erscheinung des Wortes als eines in der Poesie gebrauchten."
2. Sprachanalyse in Poetik und Rhetorik
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Nennwörter in einfache und (mehrfach) zusammengesetzte einteilen. 2. Das ónoma hat entweder die allgemein vorherrschende Bedeutung (kyrion; 1457 b 1); oder es ist eine Glosse (z. B. veraltete Wörter) oder eine Metapher oder ein Schmuck (kósmos; 1457 b 2) oder ein dichterisch Erfundenes (pepoieménon; ebd.) oder ein Gedehntes, Verkürztes oder Verändertes. 3. Es gibt männliche, weibliche und dazwischen liegende (sächliche) Nomina. Das jeweilige Geschlecht läßt sich (teilweise) an den Endungen erkennen. Für den dichterischen Sprachgebrauch ist besonders der zweite Punkt zu beachten. Trefflich ist nämlich nach Aristoteles diejenige Sprachform, „die klar und nicht gewöhnlich ist" (1458 a 18). Zwar ist die allgemein übliche Ausdrucksweise die klarste; aber dann ist die Sprache gewöhnlich. Drückt sich jedoch der Dichter nur in Rätseln und ungewöhnlichen Bildern aus, dann wird die Sprache unverständlich. Es kommt also darauf an, die unterschiedlichen Ausdrucksweisen auf die rechte Weise zu mischen. Dafür kann kein allgemein verbindliches Rezept angegeben werden. Diese Mischung zu beherrschen — vor allem den Gebrauch der Metaphern, die am wichtigsten sind 50 —, ist allein Sache der dichterischen Begabung. Die referierten Stellen aus der Poetik, die sich allgemein auf Sprache und Dichtung beziehen, bringen keine weiteren Aufschlüsse über die Aristotelische Wesensbestimmung der Sprache. Teils wird in der Poetik (aus De interpretations) Bekanntes angeführt, teils 'geht es um grammatische Ordnungshinsichten; es finden sich nur knappe Hinweise zum dichterischen Ausdruck 51 . - Welche sprachphilosophischen Anhaltspunkte bietet die Rhetorik? Die Rhetorik beschäftigt sich mit der Frage, durch welche Mittel der Redner die Zuhörer für sich und seine Sache gewinnen kann 52 . Allgemeine Voraussetzungen dafür sind die Fähigkeit zur logischen Argumentation (Enthymem und Beispiel), weiterhin ethische und psychologische Kenntnisse. Im ersten Buch werden die Reden in drei 50
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Metapher ist nach Aristoteles „die Übertragung eines fremden Wortes, entweder von der Gattung auf die Art oder von der Art auf die Gattung oder von einer Art auf eine andere Art oder gemäß der Analogie" (1457 b 6-9). Aristoteles hat einen Dialog über die Dichter verfaßt, der die Poetik wohl in wesentlichen Stücken ergänzte. Die erhaltenen Fragmente dieses Dialogs geben allerdings kaum etwas her. Einen ausführlichen Uberblick über den Gedankengang gibt Düring 1966: 118— 159.
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rV Aristoteles
Gruppen eingeteilt und erläutert: die beratende Rede, die Gerichtsund die Festrede. Hierauf lassen sich - wenigstens teilweise — die in De interpretatione (Kap. 4) u n d in der Poetik (Kap. 19) gegebenen Hin-
weise beziehen. Das dritte Buch der Rhetorik war wohl ursprünglich eine selbständige Schrift {Peri lexeos) und ist später verfaßt als die ersten beiden Bücher. Dieses dritte Buch (besonders Kap. 1 bis 12) läßt sich als ausführliche Ergänzung der Darlegungen im 19. bis 22. Kapitel der Poetik ansehen 53 . So erneuert Aristoteles seine Forderung nach Klarheit und Angemessenheit der Sprache (III, 2), teilt seine Auffassung vom korrekten Gebrauch des Griechischen mit (III, 5), erwähnt die auf Protagoras zurückgehende Einteilung der Nennwörter in ,Geschlechter' (III, 5), gibt Hinweise zu verschiedenen Versmaßen (III, 8), unterscheidet zwischen reihendem und periodisierendem Satzbau (III, 9), geht auf treffende geistreiche Formulierungen ein (III, 10) etc. Für diese Aspekte der léxis wird eine Fülle von Beispielen angeführt. Damit ist die Rhetorik zwar ein weiterer deutlicher Beleg für Aristoteles' Interesse an der Sprache und an Möglichkeiten des sprachlichen Ausdrucks. Aber auch in der Rhetorik gibt es keine, den Anfangskapiteln von De interpretatione entsprechende Überlegung zum Wesen der Sprache - bis auf eine Ausnahme. Gegen Ende des ersten Kapitels weist Aristoteles darauf hin, daß es (natürlich) die Dichter waren, die mit der Entwicklung einer kunstvollen Behandlung der Sprache (im Sinne von Rhetorik und Poetik) begannen. Als Begründung schließt sich der folgende Satz an: „Denn die Wörter (onómata) sind Nachahmungen (mimémata), und die Stimme (phoné) stand als das geeignetste unserer Nachahmungsorgane zur Verfügung" (1404 a 21 f.). Steht das nicht in krassem Widerspruch zu der Auffassung von De interpretatione, nach der das Nennwort (wie alle anderen Wörter auch) nicht von Natur, sondern nur als Symbol gemäß Übereinkunft etwas bezeichnet? — Dieser Einwand läßt sich sogleich widerlegen, wenn man den Zusammenhang beachtet, in dem die Wörter als Nachahmungen charakterisiert werden. Es geht um die Dichter und die Dichtkunst. In diesem Kontext verliert die These vom Nachahmungscharakter der Wörter ihre ,Anstößigkeit'. Ist nämlich Kunst insgesamt Nachahmung (mimesis; Poetik, 1. Kap., 1447 a 16 ff.), dann natürlich auch die Kunst der Dichter. Sie ahmen 53
Aristoteles verweist an zwei Stellen ausdrücklich auf die Poetik. 1404 b 2 6 - 2 8 (Einteilung der onómata), 1405 a 3 - 6 (die Arten der Metapher).
2. Sprachanalyse in Poetik und Rhetorik
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mit Worten (durch die ungewöhnlich modulationsreiche Stimme) das nach, was wirklich ist oder wirklich sein könnte. Bereits E. Cassirer 5 4 hat im Blick auf diese Rhetorik-Stelle darauf hingewiesen, daß der mimetische Charakter des Wortes seinem reinen Symbolcharakter nicht widerspricht. „Bei[d]e Bestimmungen vereinen sich miteinander dadurch, daß die ,Nachahmung' hier in jenem weiten Sinne und in der tieferen Bedeutung gebraucht wird, nach der sie für Aristoteles nicht nur als Ursprung der Sprache, sondern auch als Ursprung der künsderischen Tätigkeit erscheint. [...] Es handelt sich in ihr [der mimesis] nicht mehr um die bloße Wiederholung eines äußerlich Gegebenen, sondern um einen freien geistigen Entwurf: das scheinbare ,Nachbilden' hat in Wahrheit ein inneres ,Vorbilden' zur Voraussetzung." — Diese Interpretation Cassirers ist sicherlich in starkem M a ß e durch den Horizont seiner eigenen Sprach- und Symbolauffassung geprägt; insofern entnimmt sie der zitierten Stelle wohl mehr, als Aristoteles im Sinn hatte. Aber richtig ist zweifellos, daß die These vom Nachahmungscharakter des Wortes in der Rhetorik der Bestimmung des Wortes als Symbol in De interpretatione nicht widerspricht. Dennoch bleibt zu fragen: K a n n die Definition des Wortes in der Rhetorik als Hinweis dafür genommen werden, daß die dichterische Sprache gleichsam die Einbruchstelle für die gängige Sprachauifassung ist, insofern das Wort der Dichtung mehr ist als ein Zeichen, das gemäß Ubereinkunft etwas bezeichnet? Das hier greifbare Problem hat Aristoteles freilich nicht erörtert und kaum bedacht.
Abschließend kann noch einmal (vgl. o. S. 83 f.) die Frage nach dem Eigentümlichen der Aristotelischen Sprachauifassung und nach ihrer Bedeutung in der Geschichte der Sprachphilosophie aufgegriffen werden. — Vergleicht m a n die sprachphilosophische Diskussion im Kratylos mit den Erörterungen zur Sprache bei Aristoteles, dann fällt auf, daß die im Kratylos vorrangig diskutierten Probleme durch Aristoteles an Gewicht verlieren. Das betrifft vor allem die zentrale Frage des Kratylos nach der Möglichkeit einer natürlichen Wortrichtigkeit. Der in De interpretatione gezogene Vergleich zwischen menschlicher Sprache und tierischen Verlautbarungen scheint die heftige Diskussion zwischen Sokrates, Hermogenes und Kratylos mit einem 54
Cassirer I, 1972: 131; man vgl. auch Larkin 1971: 24f.
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IV Aristoteles
Schlag hinfällig zu machen. Das betrifft auch die im Kratylos diskutierte Möglichkeit des Abbildcharakters der Wörter. Diese Möglichkeit kommt bei Aristoteles ebensowenig in Betracht wie die zu ihrer Stütze verwendete etymologische Methode oder eine Laut- bzw. Buchstabentheorie. Gegen die Auffassung einer natürlichen Beziehung zwischen Wort und Sache führt Aristoteles den Begriff des symbolon in die sprachphilosophische Diskussion ein. Die Wörter sind symbola für die von den Dingen in der Seele hervorgebrachten pathémata. Auf dem Hintergrund dieser These erweist sich rückblickend die Auffassung des Kratylos (natürliche Richtigkeit) in doppeltem Sinne als irrig: Sie übersieht zum einen, daß der Bezug zwischen Sprache und Seiendem durch die Erleidnisse der Seele vermittelt ist. Z u m anderen verkennt sie, daß die Verständigungsleistung der Wörter nicht durch abbildende Nachahmung, sondern durch den in langer Tradition gefestigten Bezug des Symbols zur Sache (über die Vermittlung der seelischen Eindrücke) gewährleistet wird. Anders formuliert: G e m ä ß der Aristotelischen Sprachauffassung wird in Sprache und Wörtern zwar (auch) das naturhaft und insofern vom Menschen unabhängige Sein offenkundig. Aber der Bezug selbst ist nicht von der Art des naturhaft Seienden; in der Sprache sind Vernunft und Absicht des Menschen am Werk. Zweifellos bezieht sich Aristoteles auf den Kratylos', der eigentliche Anknüpfungspunkt seiner Analysen sind jedoch der Theaitetos und der Sophistes. Zwar bestimmt Aristoteles ónoma und rhêma (und andere Wortarten) getrennt; aber die Analyse von ónoma und rhêma in De interpretatione argumentiert bereits auf dem Hintergrund des synthetisierenden lògos, dem das eigentliche Interesse gilt. Für eine sprachphilosophische Reflexion könnte man daraus folgende Konsequenz ziehen: Das Wesen der Sprache (und ihr Zusammenhang mit dem Denken) kann erst erfaßt werden, wenn m a n sich nicht nur am Wort qua ónoma orientiert, sondern am Wortgeßige (lògos). Der entscheidende Grundzug des menschlichen Sprechens wird nicht mehr im bloßen Benennen (onomázein) gesehen, sondern im sammelnden und verbindenden légein. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Sprachauffassung des Aristoteles nicht einfach mit einer konventionalistisch-instrumentellen Zeichentheorie gleichzusetzen ist — wie es überhaupt verfehlt ist, von einer ,Sprachtheorie' des Aristoteles zu reden. Es ist aber auch dargelegt worden, daß Aristoteles einer solchen Auffas-
2. Sprachanalyse in Poetik und Rhetorik
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sung den Weg ebnet. Das kann jetzt noch einen Schritt weiter verfolgt werden. Bei Aristoteles wird nämlich offenkundig, in welchem Fragehorizont sich eine instrumenteile Sprachauffassung geradezu mit Notwendigkeit aufdrängt. Es ist der Horizont der Logik. In ihrem Umkreis wird die Frage nach dem Wesen der Sprache nicht mehr als Frage nach der Richtigkeit der Benennungen, sondern nur noch als Frage nach dem Wahrsein oder Falschsein des lògos relevant. Aristoteles' ausführlichste Darlegung zum Wesen der Sprache findet sich in De interpretatione, also in einem Werk, das die Tradition nicht zu Unrecht den logischen Schriften (Organon) zugerechnet hat. Das hat eine eingeengte Blickweise auf die Sprache zur Folge. Die eigentliche Intention ist nämlich nur auf den lògos apophantikós gerichtet, also auf diejenige Art von Sätzen, die später enunciado/ iudicium bzw. Aussage/Urteil heißen und logisch untersucht werden. Andere Redeformen, wie Fragen, Bitten, Befehle etc., werden von der Logik ausgeschlossen, weil die Prädikate „wahr" und „falsch" bei ihnen nicht angewendet werden können. Wahrheit ist die Auszeichnung apophantischer Sätze 55 . — Es ist selbstverständlich legitim, daß die Logik ihren Fragebereich derart eingrenzt und sich somit als eine besondere Wissenschaft konstituiert. Problematisch (und überhaupt nicht selbstverständlich) wird es jedoch, wenn man die Sprache überhaupt nur noch unter dem verengten Blickwinkel der Logik sieht und bestimmt. Das wird, initiiert von Aristoteles, in der nacharistotelischen Geschichte der Sprachphilosophie weitgehend geschehen. Die aussagende Rede erscheint als die wesentliche und maßgebende Form unseres Sprechens überhaupt. Im Interesse der Logik liegt es auch, die Sprache als mögliche Quelle des Irrtums zu untersuchen (vgl. o. S. 84). Zwar kann nicht bestritten werden, daß wir durch sprachliche Eigentümlichkeiten (Aquivokationen, bildliche Ausdrucksweise etc.) irregeführt werden können; darauf weisen bereits Heraklit und Parmenides hin. Zwar ist ebenso richtig, daß die Sprache insgesamt sophistisch mißbraucht werden kann; Piaton und Aristoteles haben sich leidenschaftlich dagegen zur Wehr gesetzt. Aber: Diese ,logische' Sicht auf die Sprache darf nicht dazu führen, die Sprache nur noch als äußerst unvollkom55
Leitend ist für Aristoteles die Auffassung von der Wahrheit als Ubereinstimmung (zwischen einer bestimmten Art von Sätzen und den darin angezeigten Sachverhalten). Das thematisiert ausführlich M. Fleischer, Wahrheit und Wahrheitsgrund. Z u m Wahrheitsproblem und zu seiner Geschichte, B e r l i n / N e w York 1984, 14 ff.
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IV Aristoteles
menes Instrument des Denkens und Mitteilens zu betrachten. Solcher Einseitigkeit steht Aristoteles fern. Auf dem Hintergrund seiner Auffassung erscheint es jedoch nicht mehr verwunderlich, daß in der weiteren Wirkungsgeschichte der Wunsch auftauchen wird, die Nachteile der natürlichen Sprache durch Konstruktion einer künstlichen Universalsprache zu überwinden. Für Aristoteles selbst ist die ursprünglich erschließende Kraft der Sprache unbestritten und so selbstverständlich, daß er gar nicht ausdrücklich daraufhinweist 5 6 . Ein untrüglicher Beleg dafür ist die Kategorienschrift. Aristoteles nämlich legt die Grundweisen des Seins am Leitfaden des Sprechens (légein), des Ist-Sagens, dar. Diese Analyse des lògos ist nicht ein willkürliches methodisches Vehikel, sondern: Die grundlegenden Seinsweisen der Dinge, die Aristoteles entdeckt, kommen erst im lògos ans Licht. Insofern sind die Bereiche von Sein, Denken und Sagen gar nicht zu trennen. Sie ent-sprechen einander, sind aber nicht deckungsgleich 57 . — Dennoch gilt es auch in diesem Zusammenhang zu beachten: Diese das Sein erschließende Potenz kommt zuerst und vor allem dem lògos apophantikós zu. Daß auch die anderen Weisen der Rede erschließende und offenbarende Kraft haben, kann, wenn die ,logische' Denkweise herrschend ist, nur zu leicht in Vergessenheit geraten oder — unter dem Anspruch der Wahrheit, die im Urteil ihren Ort hat - als nahezu bedeutungslos erscheinen. Wie sehr bereits bei Aristoteles die Sprache unter das Joch der Logik kommt, belegt letztlich auch die Poetik. Der Poetik ist die Wesensbestimmung der Sprache aus der ,Logik' vorgegeben (weshalb auch die ,grammatischen' Überlegungen im 20. Kapitel durchaus in den Zusammenhang passen). Zwar unterscheidet sich die dichterische Sprache sehr wohl vom üblichen Sprachgebrauch; der Dichter beherrscht die metaphorische und bildhafte Ausdrucksweise. Aber das ist schmückendes Beiwerk, dessen die Erkenntnis der Wahrheit nicht bedarf. Jedenfalls gilt für Aristoteles (wie bereits für Piaton): 56
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In der Forschung ist immer wieder daraufhingewiesen worden, daß bei Aristoteles Sein, Denken und Sprechen nicht scharf getrennt, sondern erhellend aufeinander bezogen werden: Steinthal I, 1890: 191, 206 ff; Wieland 1962: 141 ff.; Oehler 1963: 24; Oehler 1984: 86 et passim. Die verschiedenen Aspekte der Differenz zwischen Sprache und Sachverhalt werden ausführlich dargelegt bei R. Mc Keon, Aristotle's Conception of Language and the Arts of Language, in: Classical Philology 41 (1946), 193-206; 42 (1947), 21-50, besonders 22 ff.
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Um das Wesen der Sprache zu bestimmen, muß man sich nicht dem dichterischen Wort zuwenden. Dem widerspricht nicht, daß Aristoteles die Dichtung schätzte. - Aristoteles hat der Sprachphilosophie neue Möglichkeiten eröffnet (durch Einführung des Symbolbegriffs, Abhebung von unartikulierten Tönen ...). Aber mit Aristoteles beginnt auch eine logisch eingeschränkte Sicht auf Wesen und Funktion der Sprache. Das belegt die unvergleichliche Wirkungsgeschichte seines Denkens.
V DIE STOA Laut und Bedeutung
1. Die Philosophie und ihre Teilgebiete Da alle Schriften der älteren Stoa — mit Ausnahme eines Zeus-Hymnus von Kleanthes, dem ersten Nachfolger des Schulgründers, Zenon von Kition — verlorengegangen sind, bleiben uns nur indirekte Zeugnisse1, von denen die des Sextus Empiricus (2.Jh. n. Chr.)2 und des Diogenes Laertios (Ende 2.Jh. n. Chr.)3 besonders hervorzuheben sind. Zwar hat die intensivierte Forschung4 in den letzten Jahren zu aufschlußreichen Einsichten geführt; aufgrund der Quellenlage werden jedoch viele Details der stoischen Lehre letztlich im dunkeln bleiben. 1
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Trotz ihrer Schwächen bleibt die Zusammenstellung der Fragmente und indirekten Zeugnisse durch v.Arnim immer noch unentbehrlich: Stoicorum veterum fragmenta., collegit Ioannes ab Arnim, vol. I—III. IV Leipzig 1903-1905. 1924 (Nachdruck vol. I - i y Stuttgart 1978); zitiert wird mit der üblichen Abkürzung: SVF. Für die stoische Dialektik liegt jetzt vor: K. Hülser, Die Fragmente zur Dialektik der Stoiker, 4 Bde., Stuttgart 1987/88 (abgekürzt: FDS). - Zur Quellenlage: M.Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Bd. II: Erläuterungen, Göttingen 5 1980 (1. Aufl. 1949); ferner die Einleitung von K. Hülser, FDS Bd.I, S. XXIII ff. Sextus Empiricus Opera, hg. von H. Mutschmann/J. Man, vol. II: Adversus Dogmáticos libri V (= Adversus Mathematicos libri VII-XI), Leipzig 1914; vol.III: Adversus Mathematicos libri I—VI, Leipzig 2 1961. - Sextus Empiricus, with an English Translation by R. G. Bury, 4 Bde., London 1933-49. Diogenes Laertius, Lives ofEminent Philosophers, with an English Translation by R. D. Hicks, 2 Bde., London 1925. Leben und Meinungen berühmter Philosophen, übers, von H.Apelt, Hamburg 2 1967 (1. Aufl. 1921); die Stoa wird im siebten Buch thematisiert. Man vgl. etwa die Literaturhinweise bei Hülser, FDS Bd. I, S. X C I X - C I und: M. Forschner, Die stoische Ethik. Über den Zusammenhang von Natur-, Sprachund Moralphilosophie im altstoischen System, Stuttgart 1981, 229-235. Die maßgebende Gesamtdarstellung zur Stoa ist immer noch: M. Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Bd.I, Göttingen 6 1984 (l.Aufl. 1948); Bd.II, 5 1980. Parallel dazu: Stoa und Stoiker. Die Gründer - Panaitios - Poseidonios, eingel. u. übertr. von M.Pohlenz, Zürich 2 1964 (l.Aufl. 1950).
1. Die Philosophie und ihre Teilgebiete
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Die Fragmente Heraklits belegen, daß ,lògos' zu einem Grundwort der abendländischen Philosophie wird. Mit diesem ,Ubergang vom Mythos zum Logos' wird die Sprache zu einem eigenen Thema der philosophischen Reflexion (vgl. o. S. 12 f.). Soweit wir erschließen können, bleibt auch die Philosophie der Stoa von dem durch Heraklit eröffneten Horizont geprägt. Mag die Interpretation der stoischen Prinzipienlehre auch strittig sein 5 , so ist doch unzweifelhaft, daß gemäß stoischer Lehre der lògos das alles durchwaltende Prinzip des Seienden ist. So berichtet etwa Diogenes Laertios (VII, 134): „Nach ihrer Lehre gibt es zwei Anfangsgründe (archai) des Seienden, das Tätige u n d das Leidende. Das Leidende ist die eigenschaftslose Wesenheit, die Materie (hyle), das Tätige der in ihr beschlossene lògos, der Gott. D e n n dieser geht ewig durch sie ganz hindurch und gestaltet die Einzeldinge. Diesen Lehrsatz stellt Zenon von Kition in seinem Buch über das wesenhafte Sein (ousia) auf; ebenso Kleanthes in seiner Schrift von den Atomen, Chrysippos a m Ende des ersten Buchs seiner Physik, Archedemos in der Schrift über die Elemente und Poseidonios im zweiten Buch seiner Physik" (SVF I, 8 5 / F D S 744).
,Lògos' ist aber nicht nur der Name für den göttlichen Grund alles Seienden, sondern auch für das Wesen des Menschen. Zwar hat der Mensch eine animalische Natur; zwar gibt es schon bei Tieren Vorstellungen, Erinnerungen und damit Erfahrung. Aber nur im Menschen kommt der lògos so zur Entfaltung, daß er Wissen ermöglicht und das Handeln des Menschen leiten kann. „ . . . in den Tieren gibt es keine Weisheit (sophia) und keinen lògos, sondern eine natürliche Anlage für solches Tun, die den Tieren zu ihrer Erhaltung vom lògos [des Alls] mitgegeben ist" (SVF II, 725).
Der lògos als Wesensmerkmal des Menschen ermöglicht das Denken und manifestiert sich zugleich im Sprechen 6 . Denken und Sprechen gehören aufs engste zusammen. „ D e n n es sei Sache desselben [des Weisen], richtig zu reden (dialégesthai) und richtig zu denken (dialogizesthai) . . . " (SVFII, 1 3 0 / F D S 33).
Es ist somit eine innere Konsequenz der stoischen Lehre, daß in ihr Probleme der Sprache ausführlich thematisiert werden. Zusätzlich 5 6
D a r a u f g e h t M.Forschner (1981: 30fF.) ein. Pohlenz hat nachgewiesen, daß die im Altertum weit verbreitete Unterscheidung zwischen lògos endiáthetos (der im Inneren gestaltete lògos) und lògos prophorikós (der durch die Stimme nach außen dringende lògos) „erst im zweiten J a h r h u n d e r t im Z u s a m m e n h a n g mit den Debatten über die Vernünftigkeit der Tiere aufgestellt worden ist": Die Begründimg der abendländischen Sprachlehre durch die Stoa, in: Nachrich-
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V Die Stoa
läßt sich ein ,äußerer' Grund für das große Interesse an sprachlichen Phänomenen angeben: Zenon, der Gründer der stoischen Schule, stammt aus Kition auf Zypern, das zu den damaligen griechischen Kolonien gehörte. Zenon war Semit (wie vielleicht auch Chrysippos), seine Muttersprache das Phoenikische. Deshalb ist es einleuchtend, wenn M. Pohlenz feststellt, daß der von den Griechen seit jeher empfundene Zusammenhang zwischen Sprechen und Denken durch Zenon als eigenes Problem erkannt wurde. „Er war gezwungen, die schweren Gedanken, die ihn bewegten, in einer Sprache auszudrücken, die ganz anders gebaut war als seine Muttersprache. Ja, er mußte lernen, in dieser fremden Sprache und ihren überkommenen Formen zu denken. Da mußte ihm klar werden, daß die Sprache nicht nur Ausdrucksmittel ist, sondern auch auf das Denken zurückwirkt und es in bestimmte Bahnen lenkt" (I, 1984: 36). Der lògos ist auch das Einheit stiftende Prinzip für die verschiedenen ,Disziplinen' der Philosophie. Diogenes Laertios vermerkt (VII, 39 f.): „Sie [die Stoiker] sagen, der philosophische lògos sei dreiteilig; er habe nämlich einen physikalischen, einen ethischen und einen logischen Teil. Diese Einteilung nahm als erster Zenon von Kition vor [...]. Apollodoros nennt diese Teile ,Örter' (tópoi), Chrysippos und Eudromos ,Arten' (eide), andere ,Gattungen' (gène). [...] Und kein Teil [der Philosophie] ist von dem anderen getrennt, wie einige von ihnen sagen; sondern sie sind aufs engste miteinander verbunden. Auch im Unterricht verknüpfte man sie" (SVF II, 37, 41/FDS 1).
Logik, Ethik und Physik7 bilden also eine Einheit, die von den Stoikern durch verschiedene Vergleiche besonders sinnenfällig gemacht wird. So vergleicht man etwa die Philosophie mit einem Lebewesen; die Logik entspricht den Knochen und Sehnen, die Ethik den fleischigen Teilen, die Physik der Seele (vgl. SVF II, 38/FDS 1). In der Auseinandersetzung mit den Peripatetikern betonen die Stoiker, daß die Logik nicht nur Organon (instrumentum, Werkzeug), sondern wesentlicher Teil der Philosophie selbst sei. Sie unterscheide sich von Ethik und Physik sowohl durch ihren Stoff als durch ihre Zielsetzung. Stoff der Logik seien die Sätze (lógoi), ihr Ziel die Kenntnis der Beweismethoden (vgl. SVF II, 49, 49a/FDS 27 f.).
7
ten d. Ges. d. Wiss. Göttingen, phüol.-hist. Klasse, N.F. 3, 6 (1939), 197. Die alte Stoa kennt somit diese Unterscheidung noch nicht. Diese Dreiteilung ist nicht stoischen Ursprungs, sondern stammt wahrscheinlich von dem Akademiker Xenokrates. Zur Diskussion über diese Unterteilung und
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Die Logik wiederum wird in zwei Wissensbereiche unterteilt, in Dialektik und Rhetorik?. Ihr Unterschied liegt vor allem in der Form: Die Rhetorik ist die Wissenschaft vom guten Sprechen in fortlaufender Rede; die Dialektik ist die Wissenschaft von der richtigen Gesprächsführung, die sich im Wechselspiel von Frage und Antwort vollzieht (vgl. SVF II, 48/FDS 33). Rhetorik wie Dialektik sind gleichermaßen der Wahrheit verpflichtet; die Rhetorik zeichnet sich dadurch aus, daß sie lehrt, das als wahr Erkannte gut vorzutragen (vgl. SVF II, 293/FDS 49). Allerdings kommt der Rhetorik im Rahmen der stoischen Lehre ein deudich geringeres Gewicht zu als der Dialektik. Cicero bemerkt bissig, daß zwar Kleanthes und Chrysippos eine Rhetorik geschrieben hätten; sie sei jedoch so abgefaßt, „daß jemand, der zu verstummen wünscht, nichts anderes zu lesen braucht" (SVF II, 288/FDS 45). Zur Dialektik gehören die beiden Lehren Uber das Bezeichnende (Perì semainónton) und Uber das Bezeichnete (Perì semainoménon). Der erste Teil kann auch den Titel Uber den Laut/die Stimme (Perì phonês) und der zweite Teil den Titel Uber die Lekta (Perì lektôn) bzw. Uber die Sachen (Perì pragmáton) tragen. Die Einteilung der Philosophie läßt sich in folgendem Schema darstellen: Philosophie Logik Diale ítik semainon das Bezeichnende (,Zeichen') Stimme
Ethik Rhetorik semainomenon das Bezeichnete (,Bedeutung') lektón mon
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Physik
von die Einheit der Philosophie siehe A. Graeser, Z Kition. Positionen und Probleme, Berlin/New York 1975, 8 - 2 3 . Zuweilen kam als drittes Gebiet noch das hinzu, was wir heute ,Erkenntnistheorie' nennen; diese Erkenntnistheorie war eng mit der Dialektik verbunden.
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V Die Stoa
2. Dialektik I: Über die Stimme Die Charakterisierung des ersten Teils der Dialektik bei Diogenes Laertios zeigt, daß es sich bei der Lehre von der Stimme keineswegs um eine bloße Lautlehre handelt; vielmehr werden unter diesem Titel (nach unserem Empfinden) ganz heterogene Themen behandelt: „Ein eigenes Gebiet der Dialektik bildet die bereits genannte Lehre vom Laut (von der Stimme; phoné) selbst, in dem der aufschreibbare Laut behandelt und gezeigt wird, welches die Redeteile (toû lógou mère) sind; weiterhin erörtert man hier den Solözismus, den Barbarismus, dichterische Werke, Mehrdeutigkeiten, sprachlichen Wohlklang, Musik und nach einigen auch Definitionen, Einteilungen, und den Stil" (EDS 474).
Ausgangspunkt der stoischen Darlegungen zum semaînon ist die Hervorhebung der Laute als körperliches Phänomen. Der Laut wird definiert als die durch einen inneren Trieb hervorgestoßene Luft. Da der Laut eine Wirkung ausübt, indem er auf das Ohr des Hörers trifft, ist er körperlicher Natur, sofern alles Tätige und Wirkende körperlich ist. „Nach den Stoikern ist der Laut (die Stimme) ein Körper, wie Archedemos sagt in seiner Schrift ,Über die Stimme' - ebenso Diogenes, Antipater und Chrysippos im zweiten Buch seiner ,Physik'. Denn alles, was tätig ist, ist Körper; der Laut aber ist tätig, indem er von dem, der die Laute hervorbringt, zu den Hörern hindringt" (SVF II, 140/FDS 476) 9 .
Dieser Ansatz erfordert eine Antwort auf die Frage, wodurch sich menschliche Stimme und Sprache von tierischen Lautäußerungen unterscheiden. Dazu bietet sich zunächst die Unterscheidung ,artikuliert — unartikuliert' an: , Jeder Laut ist entweder artikuliert (phonè énarthros / vox articulata) oder unartikuliert (ánarthros / confusa). Der artikulierte Laut ist derjenige, der in Buchstaben festgehalten werden kann. Der unartikulierte Laut ist derjenige, der nicht geschrieben werden kann" (FDS 500).
Nun provoziert aber gerade diese naturwissenschaftliche' Argumentation den Einwand, daß sich auch bei manchen Tieren (etwa Papageien) eine Fähigkeit zur Äußerung artikulierter Laute beobachten läßt. Diesem Einwand begegnet Chrysippos mit dem Hinweis, daß es sich bei derartigen tierischen Lautäußerungen nur vergleichsweise 9
Zu weiteren Begründungsvarianten für die körperliche Natur des Lautes (gegen Piaton) vgl. FDS 481.
2. Dialektik I: Ü b e r die Stimme
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um Sprechen handele - ein Quasi-Sprechen, das auf Nachahmung beruhe, das jedoch mit dem echten Sprechen sowenig verwechselt werden dürfe wie das Bild eines Menschen mit dem Menschen selbst (vgl. SVF II, 143/FDS 512). Sprache im eigentlichen Sinne ist nämlich an die Tätigkeit des lògos gebunden. Das Sprechen ist nicht nur ein körperliches Phänomen, sondern aufs engste mit dem Denken verbunden 1 0 . (Deshalb können dihairetische Einteilungsversuche im Ausgang von der bloß natürlichen Seite des Lauts nicht zur Wesensbestimmung der Sprache gelangen.) Die Stimme des Menschen „ist artikuliert und vom Verstand (diánoia) her geäußert, und mit dem vierzehnten Lebensjahr erreicht sie ihre Vollendung" (FDS 476). „Der Stoiker Chrysippos sagte, der Verstand sei die Quelle der Rede (lògos)" (SVF II, 8 4 0 / F D S 515).
Diese Überlegungen zum Wesen der menschlichen Sprache verlangen (fast zwangsläufig) eine Antwort auf die ,alte' Streitfrage: Sind die Wörter physei oder thései 11 ? — Wie für andere zentrale Problemstellungen der stoischen Philosophie wird auch in dieser Frage die Auseinandersetzung einerseits mit der skeptischen, andererseits mit der epikureischen Position eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Während die Skeptiker behaupten, daß den Wörtern die jeweilige Bedeutung durch Setzung (thései) zukomme 1 2 , tritt Epikur entschieden für einen natürlichen Ursprung der Wörter ein 1 3 . Die physeiThese hat aber sogleich den (auch von den Skeptikern verwendeten) Standard-Einwand zu entkräften, nämlich die Tatsache verschiedener Sprachen. Epikur begegnet diesem Gegenargument mit einer originellen und ,modern' anmutenden Auskunft: Die Verschiedenheit der Sprachen gründet nicht in der Willkürlichkeit der Wortset10
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K. Hülser (FDS Bd. II, S. 546 f.) gibt Hinweise zu den Schwierigkeiten, die Musik (die zwar vom Denken ausgeht, aber nicht in Buchstaben festgehalten werden kann) einzuordnen. Eine differenzierte Darstellung der stoischen ,Sprachschöpfungslehre' gibt K . Barwick, Probleme der stoischen Sprachlehre und Rhetorik, Berlin 1957, besonders 29—33, 70-79. „tà onómata thései semaínei kaì ou physei . . . " (Sextus Empiricus, Pyrronrion Hypotypóseon, 214; ed. G. Bury, London 1933, 290). Grundriß derpyrrhonischen Skepsis, eingel. u. übers, von M . Hossenfelder, F r a n k f u r t / M . 1985, 209. Die wichtigste Quelle hierfür ist der von Diogenes Laertios (X, 35 ff.) überlieferte Brief Epikurs an Herodot. - Für Steinthal (I, 1890: 325) ist die Sprachansicht Epikurs „in gewissem Betracht sogar tiefer als die aristotelische." Vgl. auch Pohlenz I, 1984: 40 f.
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zung, sondern in der unterschiedlichen Natur der einzelnen Völker. Die Natur der Menschen ist nicht unwandelbar, sondern in vielerlei Hinsicht das Resultat einer Belehrung und eines Zwangs, der von den Dingen diktiert wird. So sind die sinnlichen Eindrücke (páthe) und Vorstellungsbilder (phantásmata) abhängig von geographischen und ethnischen Gegebenheiten. Auf dieser Basis ist auch die Frage nach der ,Richtigkeit der Wörter' zu beantworten: „Von daher sind auch die Wörter (onómata) anfänglich nicht durch Setzung (mè thései) entstanden, sondern von sich aus haben die natürlichen Anlagen der Menschen, von denen jede — gesondert nach dem betreffenden Volk — besondere sinnliche Eindrücke empfangt und besondere Vorstellungsbilder erfaßt, auf besondere Art den Luftstrom entsandt, weil er geformt wird von jeweils bestimmenden Eindrücken und Vorstellungen, wie immer die ihren Lebensräumen entsprechende Verschiedenheit der Völker sein mag" (Diogenes Laertios X, 75) 14 .
Epikur ergänzt seine These vom natürlichen Sprachursprung allerdings durch den Hinweis, daß sich in den gegenwärtigen Sprachen eine Fülle von Benennungen findet, die das jeweilige Volk gemeinsam festgesetzt hat. Diese späteren Setzungen wurden vorgenommen, um Mehrdeutigkeiten zu vermeiden und die gegenseitigen Bekundungen kürzer zu fassen. Weiterhin sind bestimmte Dinge, die nur wenige verstanden, von diesen Einsichtigen benannt worden, u m sie den anderen Menschen mitzuteilen. So hat man neue Worte teils einfach nachgesprochen, teils durch eigene Überlegungen sich angeeignet und dem häufigsten Anlaß gemäß ausgelegt (vgl. Diogenes Laertios X, 76). Auf diese Weise gelingt Epikur eine Vermittlung des Gegensatzes ,physei — thései'. Insofern kommt er der Intention der Stoa durchaus entgegen. Allerdings hat die Ursprungstheorie Epikurs für die Stoiker einen entscheidenden Mangel: Sie macht keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen menschlicher Sprache und Tierlauten. Die ersten Benennungen der Menschen werden nach Epikur nicht mit Wissen und Verstand gesetzt, sondern (unwillkürlich) aufgrund einer natürlichen Erregung hervorgestoßen wie das Husten, Niesen, Brüllen, Bellen oder Seufzen 1 5 . Diese These ist für die Stoa, die im lògos die Wesensauszeichnung des Menschen sieht, nicht akzeptabel 1 6 . Nach 14
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Zur Übersetzung vgl.: Epikur, Bruje, Sprüche, Werkfragmente, übers, u. hg. von H.-W. Krautz, Stuttgart 1980, 33 ff. Fragment 335, ed. Usener, Leipzig 1887. „Das entspricht dem Streben der Stoiker, überall die Grenze zwischen Mensch und Tier scharf zu ziehen" (Pohlenz I, 1984: 40).
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stoischer Lehre ist das menschliche Sprechen von Anfang an an den lògos gebunden und deshalb prinzipiell von den natürlichen Lauten der Tiere unterschieden. Auch die Stoiker versuchen, den Gegensatz von physei und thései zu vermitteln: Einerseits betonen sie (gegen die Skeptiker) den natürlichen Ursprung der Benennungen und nähern sich damit Epikur. Andererseits halten sie daran fest, daß die Menschen die Wörter gesetzt und sich dabei von ihrer Vernunft haben leiten lassen. Zwar sind die entsprechenden Zeugnisse über diese Diskussion sehr spärlich; es kann jedoch als gesichert gelten, daß die Stoiker in dieser Streitfrage eine vermittelnde Position anstrebten. Origines berichtet so: „Aber auch dagegen sind Einwände zu erheben, weil das tiefe und unergründliche Thema der Natur der Namen in die anstehende Problematik fallt, ob nämlich entweder, wie Aristoteles glaubt, die Neimen gesetzt (thései) sind, oder ob sie, wie die Stoiker meinen, von Natur (physei) etwas benennen, weil die ersten Laute die Dinge, für die sie Benennungen sind, nachahmen, [...] oder ob die Namen, wie Epikur lehrt - in einem anderen Sinne, als die Stoiker meinen - , von Natur sind, weil die ersten Menschen bestimmte Laute gegen die Dinge ausgestoßen hätten" (SVF II, 146/ FDS 646/Epikur, Fr. 334).
M. Pohlenz führt noch folgende Stelle des Dionysios von Halikarnaß an: „Die große Gebieterin und Lehrerin ist die Natur, die uns zur Nachahmung befähigt und zum Setzen der Namen, mit denen die Dinge ofTenbargemacht werden nach gewissen Ähnlichkeiten, die den lògos und das Denken bewegen" (I, 1984: 41; II, 1980: 24).
Mit dieser Auffassung — die Wörter sind zwar gesetzt (thései), aber die Namengeber setzen sie gemäß der physis des Seienden - greifen die Stoiker offenkundig die Position des Kratylos auf (vgl. o. S. 28). Infolgedessen spielt auch das etymologische Verfahren in der stoischen Sprach- und Erkenntnislehre wieder eine große Rolle (Beispiele: FDS 650-680). Die Stoa versucht, das etymologische Verfahren zu vervollständigen und zu systematisieren. Nach dem ausführlichen Bericht Augustine im sechsten Kapitel von De dialéctica (FDS 644) gehen die Stoiker davon aus, daß der Ursprung der Wörter dort zu suchen ist, wo die sinnliche Wahrnehmung der Dinge mit der sinnlichen Wahrnehmung der Laute übereinstimmt; es gibt somit einen lautsymbolischen Bezug zwischen Lauten und Dingen 1 7 . Die weitere Namengebung 17
Es werden nicht nur lautmalerische, sondern auch gestische Nachahmungsmöglichkeiten dargelegt. Gestische Nachahmung liegt nach Chrysippos etwa bei
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vollzieht sich auf dieser Grundlage in verschiedenen Stufen: 1. Man bildet Wörter aufgrund der Ähnlichkeit (similitude») der Dinge. 2. Von hier aus gelangt man zu einem übertragenen Wortgebrauch, der von einem benachbarten Ding abgeleitet wird (vicinitas). 3. Schließlich werden die ursprünglichen Wortnachahmungen auf ihre Gegentàle übertragen (contrarium) 18 . So entfernt man sich zwar immer mehr von den ursprünglichen Benennungen; ein grundsätzlicher Zusammenhang bleibt aber gewahrt. Dieser Zusammenhang ist jedoch in der konkreten Sprachforschung oft schwer zu durchschauen, weil sich die Wörter im Laufe der Zeit auf vielfältige Weise wandeln. Varrò zählt in De lingua Latina verschiedene Möglichkeiten des Wortwandels auf (FDS 644 A): 1. Viele ursprüngliche Wortsetzungen sind verlorengegangen. 2. Von den erhaltenen alten Wörtern hat man einen großen Teil auf andere Dinge bezogen. 3. Wörter werden durch Lautveränderungen entstellt. 4. Manche Wörter sind aus fremden Sprachen entlehnt worden. 5. Wörter unterliegen innerhalb derselben Sprache oft einem Bedeutungswandel. Die Parallelen zum Kratylos sind so offenkundig, daß die Frage naheliegt, o b die Stoiker die bei Piaton bereits explizierten Möglichkeiten etymologischer Ableitung im Prinzip nur ü b e r n o m m e n haben. Nach H. Steinthal liegt der Fortschritt der Stoa einzig darin, „dass die Aufmerksamkeit auf die Übergänge der Bedeutung gerichtet ist" (I, 1890: 334). - Ausführlicher versucht K. Barwick die Unterschiede zwischen dem Kratylos u n d der stoischen Lehre herauszuarbeiten: Die Darlegungen im Kratylos stimmen mit der stoischen Lehre darin überein, d a ß die ersten Wort- bzw. Lautbildungen (prêtai phonai) von den Wortsetzern zur Bezeichnung anderer Begriffe verwendet wurden. Im Unterschied zu Piaton waren die Stoiker jedoch der Ansicht, „daß der Sprachschöpfer
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dem Wort „egó" („ich") vor: Das Aussprechen dieses Wortes wird oft von einer Geste unserer H a n d begleitet, mit der wir auf unsere Brust zeigen. Diese Geste wird vom Laut nachgeahmt, sofern wir bei der Artikulation der ersten Silbe (e-) mit Lippe und Unterkiefer in dieselbe Richtung weisen (SVF II, 8 9 5 / F D S 560)! Ein derart extremes Beispiel macht verständlich, daß das etymologische Verfahren der Stoiker nicht nur berühmt war, sondern auch heftig kritisiert wurde (etwa S V F II, 8 8 3 / F D S 247). Die N ä h e dieser Überlegungen zur stoischen Erkenntnislehre ist offenkundig. Bei der Begriffsbildung geht der lògos auf verschiedene Weise über die unmittelbare sinnliche W a h r n e h m u n g hinaus, nämlich durch Ähnlichkeit, Analogie, Versetzung, Zusammensetzung, Entgegensetzung, Übergang, Privation (SVF II, 8 7 / F D S 225). - „Die stoische Wortschöpfungslehre [...] hat in ihren Grundzügen eine gewisse Parallele zu der stoischen Auffassung von der Entstehung der Erkenntnis; und es ist gewiß anzunehmen, d a ß die innere Beziehung, die zwischen beiden besteht, den Stoikern bewußt und von ihnen gewollt w a r " (Barwick 1957: 32).
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die πρώται φωναί nur zur Bezeichnung solcher Begriffe verwandt habe, die zu dem Begriff der πρώται φωναί in einem Verhältnis der Ähnlichkeit, Nachbarschaft oder Gegensätzlichkeit stehen" (1957: 76). Entsprechende Hinweise fehlen bei Piaton. Zwar werden im Kratylos Etymologien vorgetragen, bei denen sich zwischen zwei Worten eine Ähnlichkeit oder Nachbarschaft feststellen läßt; jedoch gibt es keine einzige Etymologie, in der die Gegensätzlichkeit eine Rolle spielen würde. Allerdings sind diese drei Arten der Übertragung von ersten Wörtern wohl erst durch Diogenes von Babylon eingeführt worden. Barwick kommt zu dem Resultat, „daß bis auf Chrysippos die Auffassung der Stoa vom Ursprung der Sprache und ihre etymologischen Methoden im wesentlichen von den Theorien des platonischen Kratylos bestimmt waren. Erst Diogenes hat sie in manchen Punkten etwas anders und präziser formuliert,, vermutlich, um Angriffen von gegnerischer, und d. h. wohl von neuakademischer Seite, zu begegnen" (1957: 77). Barwick hält es jedoch für unwahrscheinlich, daß sich die Lehre des Diogenes in der Stoa allgemein durchgesetzt hat, da der Einfluß des Chrysippos wohl zu groß gewesen ist19.
Zwischen dem Etymologieteil des Kratylos und den entsprechenden Versuchen der Stoa besteht ein wichtiger Unterschied: Im Kratylos wird das etymologische Verfahren (einschließlich der Lautanalyse) mit sehr starken kritischen Vorbehalten versehen. Demgegenüber versuchen die Stoiker die These von der natürlichen Wortrichtigkeit zu rehabilitieren. Daß sie dabei auch auf die bereits im Kratylos aufgewiesenen Irrwege geraten sind, sollte jedoch nicht voreilig als Indiz für mangelnde Lernfähigkeit genommen werden; die Überlegungen der Stoa belegen vielmehr aufs neue die grundsätzliche Schwierigkeit, das Prinzip der Wortsetzung zu entschlüsseln. Die Erörterungen zum Wesen und Ursprung der Wörter bilden nur einen Teil des Lehrgebiets ,Über die Stimme'. Insgesamt geht es hier darum, den Aufbau der gegenwärtigen Sprache möglichst systematisch darzulegen. Dabei konnte man ζ. T. auf allgemein anerkanntes Lehrgut zurückgreifen. So unterteilte man die Buchstaben bzw. Laute — wie etwa Aristoteles in der Poetik (vgl. o. S. 95 f.) - in Vokale und Konsonanten, letztere in halbstimmhafte und stimmlose (Mutae). - Weiterhin wurden verschiedene Redeteile unterschieden: ónoma (Nomen), rhêma (Verb), syndesmos (Konjunktion, Präposition), árthron (Artikel, Pronomen). Diese bis zu Kleanthes gültige Vierteilung erweiterte Chrysippos durch die Unterscheidung von Eigenname (ónoma, nomen proprium) und Allgemeinname (prosegoria, nomen appellativum; vgl. SVF III, S. 247, Fr. 22/FDS 536, 538). - Nach dem Bericht des Diogenes Laertios (SVF III, S. 214, Fr. 24/ 19
Dem Resultat Barwicks schließt sich auch Gentinetta (1961: 103 f.) an.
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FDS 594) thematisierte der erste Teil der stoischen Dialektik schließlich die Vorzüge (gutes Griechisch, Deutlichkeit, Kürze, Angemessenheit, durchgefeilte Gestaltung) und Fehler der Rede (fremde Ausdrucksweise, Ungrammatikalität). - Auch die Dichtung gehörte noch in die Betrachtungen ,Über die Stimme'. Die wenigen erhaltenen Fragmente deuten darauf hin, daß besonders Homer von den Stoikern außerordendich geschätzt wurde. Vornehmlich Kleanthes sprach der Dichtung einen hohen Rang zu, weil sie nicht nur (wie die Philosophie) Göttliches und Menschliches mitteile, sondern auch aufgrund ihrer Form nahe an die Wahrheit des Göttlichen herankomme (vgl. SVF I, 486/FDS 609). Für diese positive Einschätzung der Dichtung sind die Stoiker bisweilen bissig kritisiert worden (so bei Cicero: FDS 607). - Trotz dieser Wertschätzung der Dichtung hat aber die Poetik (als wissenschaftliche Behandlung der dichterischen Rede) keinen festen Platz im stoischen Lehrsystem eingenommen (vgl. Pohlenz I, 1984: 37, 53 f.). Die stoischen Überlegungen zum physischen Aspekt der Sprache im ersten Teil der Dialektik versuchen bereits, Anhaltspunkte für die Besonderheit des menschlichen Sprechens zu gewinnen. Dabei wird deutlich, daß eine befriedigende Wesensbestimmung der Sprache nur erlangt werden kann, wenn die Gebundenheit an den lògos ins Spiel gebracht wird. Dieser ,geistige' Aspekt der Sprache, der die menschliche Sprache prinzipiell von den tierischen Lautäußerungen unterscheidet, wird im zweiten Teil der Dialektik thematisiert.
3. Dialektik II: Über das lektón Der Frage nach der (natürlichen oder gesetzten) Richtigkeit der Namen geht eine andere Frage prinzipiell voraus: Wie kommt überhaupt der Bezug zwischen Wort und Sache zustande? Aristoteles betont, daß es sich nicht um eine direkte Beziehung handelt; der Bezug von Wort und Ding ist vermittelt durch die seelischen Eindrücke, welche die Dinge in uns hinterlassen. An diese Einsicht knüpfen die Stoiker an, indem sie die aristotelische Position durch den Begriff des lektón zu differenzieren versuchen. Die stoische Auffassung wird bei Sextus Empiricus wie folgt referiert: „Die herausragenden Vertreter der ersten Auflassung [nach der Wahres und Falsches im Bezeichneten liegt] sind die Stoiker mit ihrer Lehre, daß sich dreierlei miteinander verbinde: das Bezeichnete (semainómenon), das Bezeichnende (semai-
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non) und das wahrgenommene Ding (tynchánon); dabei ist das Bezeichnende das Lautgebilde (phoné), wie z. B. das Lautgebilde ,Dion'; das Bezeichnete ist die durch das Lautgebilde angezeigte Sache selbst (prâgma), die wir zwar verstehen, da sie in Abhängigkeit von unserem Denken (diánoia) existiert, die aber die Barbaren nicht verstehen, auch wenn sie das Lautgebilde hören; das wahrgenommene Ding schließlich ist das außerhalb Zugrundeliegende, wie z.B. Dion selbst. Zwei von diesen sind Körper, nämlich das Lautgebilde und das wahrgenommene Ding; eines dagegen ist unkörperlich, nämlich die bezeichnete Sache (semainómenon prâgma), und zwar als lektón (Ausgesagtes) ..." (SVF II, 166/FDS 67).
Die Besonderheit dieser stoischen Lehre wird deutlicher, wenn man zu der Aufzählung des Sextus Empiricus noch ein viertes Glied hinzunimmt, die phantasia (Vorstellung). Nur so tritt der Unterschied zu Aristoteles klar heraus. Auch dazu gibt Sextus Empiricus (an späterer Stelle in Adversus Mathematicos) einen Hinweis: „Sie sagen, ein lektón ist dasjenige, was sich gemäß einer vernünftigen Vorstellung (katà logikèn phantasían) bildet; eine vernünftige Vorstellung ist diejenige, derzufolge es möglich ist, das Vorgestellte durch Sprache (lógo) zu präsentieren" (SVF II, 187/FDS 699)20.
Das erste Sextus-Zitat hebt vor allem den Unterschied zwischen Bezeichnendem (semaîon) und Bezeichnetem (semainómenon) hervor. Das Bezeichnende ist das von der menschlichen Stimme artikulierte Lautgebilde, z. B. „Stuhl" (mit der Lautfolge, die durch die Buchstaben repräsentiert wird). Dieses Lautgebilde können alle Menschen, unabhängig von ihrer jeweils gesprochenen Sprache, hören. Aber nicht alle Menschen können dieses Wort verstehen. In der Terminologie der Stoa: nicht alle können das semainómenon erfassen. Denn das semainómenon muß im Hören eigens als das vom Wort Intendierte vernommen werden. Das Bezeichnete ist — worauf das zweite Zitat verweist - an den lògos gebunden. Es ist (im doppelten Sinn des griechischen Worts) die vom Denken erfaßte Vorstellung, die zugleich an das Sprechen gebunden ist. Das semainómenon ist nicht mit der reinen Vorstellung (phantasia, páthema) gleichzusetzen; denn ein seelischer Eindruck entsteht nach stoischer Lehre auch ohne sprachliche Vermittlung. Das semainómenon ist natürlich auch nicht mit dem Ding selbst gleichzusetzen; denn dieses existiert unabhängig von unserem Sprechen und Denken. Deshalb hat das semainómenon
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Hülser begründet diese Ubersetzung einsichtig: FDS, S. 834 f. Man vgl. die entsprechende Übertragung der Stelle bei M. Forschner 1981: 68. — Den ersten Teil des Zitats gibt auch Diogenes Laertios wieder: SVF II, 181/FDS 696.
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einen eigenen ontologischen Status. Darauf verweist Ammonios in seinem Kommentar zu De interpretatione: „... deshalb unterrichtet uns Aristoteles zunächst darüber, was dasjenige ist, was durch sie [Nomina und Verba] vorrangig und unmittelbar bezeichnet wird, daß dies nämlich die Gedanken (noémata) sind und durch ihre Vermitdung die Dinge (prágmata) 21 , und daß es nicht nötig ist, zu diesem noch ein weiteres Element als Mitderes zwischen dem Gedanken und dem Ding hinzuzudenken, wie dies die Vertreter der Stoa für das, was sie lektón nennen, glaubten" (SVF II, 168/FDS 702).
Dieser Äußerung läßt sich entnehmen: Das lektón ,existiert' gleichsam zwischen dem Gedanken (besser: zwischen dem psychischen Eindruck) und der Sache selbst. Es ist zwar nicht an ein bestimmtes Lautgebilde, aber doch an ein Sprechen gebunden. Deshalb nennen es die Stoiker „Gesagtes" oder „Sagbares" (lektón; Augustinus: dicibile). Eine gute Darstellung der stoischen Lehre gibt bereits R. T. Schmidt (1839)22: Wir nehmen z. B. einen einzelnen Baum wahr; dies ist ein tynchánon, „d. h. ein Gegenstand, aufweichen wir zufällig gestoßen sind" (142). Der Baum bewirkt in uns ein Vorstellungsbild (phantasia). Sofern diese Vorstellung vom lògos aufgenommen und auf ihr Allgemeines hingewendet wird, entsteht ein Begriff (énnoia). Der Begriff ist ein geistig Vernommenes (nóema), das ausgesprochen werden kann, z. B. „Ich sehe einen Baum". In einer solchen Äußerung wird das Bezeichnete verstanden als etwas, das bezeichnet wird, und als das, was als Bezeichnetes existiert (semainómenon, oder: semainómenon prâgma, oder nur: prâgma / Sache). „Man hüte sich aber zu glauben, dieses pragma (die Sache) sei für die Stoiker eben jener Baum bzw. jenestygchanon(jener Gegenstand) gewesen, worauf man als erstes gestoßen ist; auch war es nicht mit jener phantasia (Vorstellung) identisch, welche der Baum in jemandes Sinn erzeugt. [...] Das pragma (die Sache) ist vielmehr etwas Unkörperliches, und zwar dasjenige, was, wenn deine Äußerung (phönt) den Sinn irgendeines anderen Menschen erreicht, jedermann als das versteht oder bemerkt, was deiner Äußerung zugrundeliegt. [...] Eben dieses pragma [...] ist nun aber auch schon lekton [...], d.h. ,ausgesagte', (sprachlich) gemeinte Sache, insofern es nun nicht länger nach seiner Subsistenz, vielmehr daraufhin betrachtet wird, daß es die Eigenschaft hat, in die Rede aufgenommen, d. i. GESAGT werden zu können" (143). Kurz: Es bedarf einer Äußerung, damit ein prâgma (Sache) zum lekton (gemeinte Sache) wird.
Mit dem lektón verweisen die Stoiker auf das, was wir „Bedeutung" nennen. Dabei ist den Zeugnissen zumindest dies zu entnehmen: 21
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Hielte man sich an die stoische Terminologie, wie sie Sextus Empiricus wiedergibt, müßte hier „tynchána" eingesetzt werden. Die Grammatik der Stoiker., Einf., Ubers, u. Bearb. von K. Hülser. Mit einer kommentierten Bibliographie zur stoischen Sprachwissenschaft (Dialektik) von U. Egli, Braunschweig/Wiesbaden 1979, 142-145; Stoicorum Grammatica, Halis 1839, 54-57.
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Die ontologische Umgrenzung einer solchen Bedeutungssphäre ist schwierig und strittig. Entsprechend strittig sind die Interpretationsversuche, die das lektón, das als zentraler Begriff der stoischen Sprachtheorie und Logik in die Geschichte der Philosophie eingegangen ist, erfahren hat. C. Franti23, der insgesamt an der stoischen Philosophie kein gutes H a a r läßt, polemisiert auch gegen die Lehre vom lektón, in dem er „schlagend die formale Verknöcherung des platonisch-aristotelischen ,λόγος' έμψυχος oder ,διαλεκτικόν'" (416) sieht. Sofern an das lektón als einem Mittleren zwischen Ding und Gedanke die logischen Funktionen geknüpft würden, befinde man sich auf dem Standpunkt des Nominalismus 24 . H. Steinthal geht davon aus, daß die Stoiker das Wesen des lektón nicht klar angegeben und festgehalten haben; deshalb sei bei Sextus Empiricus auch nur noch von drei Faktoren die Rede (I, 1890: 288 f.). Nach Prüfung der einschlägigen Stellen in Augustine De dialéctica25 kommt Steinthal zu dem Ergebnis, „dass in dem λεκτόν nicht etwa ein neu entdecktes Element liegt, sondern nur der entschiednere, und insofern klarere Ausdruck für die aristotelische Ansicht von der Sprache" (I, 1890: 296) 26 . Zum ersten Mal hat wahrscheinlich B. Mates27 die stoische Lehre mit semantischen Kategorien des 20. Jahrhunderts (Frege und Carnap) verglichen. Das lektón entspräche dem, was Frege „Sinn" nennt, also dem, was das gemeinsame Eigentum von vielen Menschen sein kann 2 8 . Dem „Gedanken" Freges (bestehend aus den „Gedankenteilen" Subjekt und Prädikat) läßt sich nach Mates das stoische axioma (Aussage) zuordnen 2 9 . Auch J. M. Bochenski verweist auf Frege: „Das Lekton ist aber kein Gedankending, kein conceptus subjectwus in scholastischer Terminologie. Es ist, um mit Frege zu sprechen, der Sinn des Ausdruckes, scholastisch der conceptus objectivas, das objektiv Gemeinte" 3 0 . Damit sei den Stoikern eine „bahnbrechende philosophische Einsicht" (ebd.) gelun23 24
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Geschichte der Logik im Abendlande, l.Bd., Leipzig 1855 (Nachdruck: Graz 1955). Auf die Analogie zum mittelalterlichen Nominalismus verweist auch Pohlenz I, 1984: 64 f. Der Rekurs auf diese Schrift ist problematisch, weil die Zeichentheorie Augustine nicht ohne weiteres als stoische Lehre anzusehen ist; vgl. u. S. 125 f. Auch P.M. Gentinetta (1961: 107) vertritt die Auffassung, daß die stoische Dreigliederung, wie sie von Sextus referiert wird, keine neue Erkenntnis ausdrücke; das Verhältnis von Sprache und Welt werde bereits im Kratylos als dreigliedriges verstanden. Neu dagegen sei die Terminologie und Entgegensetzung von semainon und semainómenon. Stoic Logic, Berkeley/Los Angeles 2 1961 (l.Aufl. 1953), 19-26. - Auf die Nähe der lektón-Lehre zu Frege (und Husserl) verweist auch G. Bien, Art. Lekton, in: Hist. Wörterb. der Philosophie, 5, 230. Vgl. Frege, Uber Sinn und Bedeutung, in: Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien, hg. u. eingel. von G. Patzig, Göttingen 3 1969, 40—65, besonders 44, 49. Mates ordnet noch weitere stoische Begriffe den Termini von Frege und Carnap zu; man vgl. das Schema (1961: 20). Formale Logik, Freiburg/München 3 1970 (l.Aufl. 1956), 127.
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gen. An anderer Stelle 31 verweist Bocheñski darauf, daß das stoische lektón der ¡Intention' oder ,Konnotation' der Wörter entspreche. - Der Interpretation Bochenskis schließt sich auch E. Coseriu (I, 1975: 119 f.) an. Für William und Martha Kneale32 ist die Lehre vom lektón der originellste Teil der stoischen Theorie und eine wichtige Neuerung innerhalb der philosophischen Logik (139 f.). Analog zur Unterscheidung zwischen der Proposition (Sachverhalt) und dem Satz, in dem sie ausgedrückt werde, hätten die Stoiker auch die lektá von den sie ausdrückenden Sätzen unterschieden. Allerdings könne nicht jede Art des lektón mit der Proposition einfach gleichgesetzt werden (153). Das stoische lektón sei das Resultat einer Abstraktion von besonderen Formen des sprachlichen Ausdrucks; es bleibe bei der Übersetzung von der einen Sprache in eine andere konstant. Dagegen sei die Proposition das Resultat einer weiteren Abstraktion, nämlich vom Situationsbezug der Äußerung. Die Proposition sei das, was bei unterschiedlicher Bedeutung von Ausdrükken innerhalb einer Sprache konstant bleiben könne (158). Dem lektón komme eine von unserem Denken unabhängige Existenz zu; deshalb könne es lektá geben, die niemals ausgesprochen oder gedacht werden. In einer aufschlußreichen Interpretation hat £s. Telegdi33 die Ansicht kritisiert, nach der die unvollständigen lektá' (vgl. u. S. 121 f.) als Wortbedeutungen überhaupt zu verstehen seien. Die Klasse der lektá umfasse nur vollständige und unvollständige 5ai^bedeutungen. „Die unvollständigen Lekta sind also nicht Wortbedeutungen überhaupt; die Bedeutung eines Wortes fällt unter diesen BegrifT nur sofern das Wort in Wahrheit ein Satz, freilich ein unvollständiger, ergänzungsbedürftiger Satz, ist" (287). Dieser Auffassung der Stoiker entspreche die moderne Logik, wenn sie das Verb als Satzfunktion, d. h. als Ausdruck mit Leerstellen, versteht. Wie Mates hat auch M. Forschner (1981: 71 fF.) die stoische Lehre mit Untersuchungen Freges und Carnaps verglichen. Anders als Aristoteles habe die Stoa zwischen physischen Dingen und Eigenschaften einerseits und den sprachlich zum Ausdruck gebrachten Bedeutungen und Sachverhalten andererseits unterschieden, und dieser Unterschied bestimme die Theorie des lektón. „Sie [die Stoa] war sich der Differenz zwischen dem Sinn einer Aussage (dem Sachverhalt bzw., in Freges Terminologie, dem Gedanken), der wahr oder falsch ist, und den Dingen, über die etwas gesagt wird, klar bewußt und brachte diesen Unterschied durch die ontologische Charakterisierung des einen als körperlich, des anderen als unkörperlich zum Ausdruck" (77). Forschner wendet sich gegen die u. a. von A. Graeser (1975: 27) vertretene These, daß die Stoiker den lektá eine exakte Gegenstandsbezogenheit hätten zuerkennen können. Nach Forschner deutet vieles darauf hin, „daß die Stoa das Verhältnis von bedeutungsvoller Rede und Dingen/Ereignissen/Relationen etc. in ähnlicher Weise bestimmt hat wie der Wittgenstein des Tractatus: die Korrespondenz von Sprache und Wirklichkeit ist deshalb möglich, weil die Sprache selbst ein Teil der Wirklichkeit ist, eine Unterklasse aller ,Tatsachen' die dadurch ausgezeichnet ist, daß alle nichtsprachlichen ,Tatsachen' in dieser Unterklasse dargestellt werden können" (82). Die Sprachphilosophie der Stoa vertrete - wie Piaton, Aristoteles, Frege, Carnap, der Wittgenstein des Tractatus - eine Abbildtheorie im weitesten Sinne (82 f.).
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Ancient Formal Logic, Amsterdam 1951, 84. The Development of Logic, Oxford 1962. ZUT Herausbildung des Begriffs ,sprachliches Reichen' und zur stoischen Sprachlehre, in: Acta Linguistica Academiae Scientiarum Hungaricae 26 (1976), 267-305.
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Auch U.Eco (1985: 52ff.) hat die stoische SprachaufTassung positiv gewürdigt und mit m o d e r n e n Theorien verglichen. Durch die Unterscheidung von semaînon, semain ó m e n o n und tynchánon scheinen die Stoiker „die Triade zu reproduzieren, die Piaton und Aristoteles vorschlugen, aber sie überarbeiteten sie mit einer theoretischen Feinheit, die vielen von denen fehlt, die ein solches semantisches Dreieck heutzutage wiederentdeckt h a b e n " (53). Nach Eco entdecken die Stoiker „die provisorische und labile N a t u r der Zeichenfunktion" (ebd.). Das lektón sei eine semiotische Kategorie, nämlich der ausgedrückte oder ausdrückbare Inhalt, der nicht m e h r - wie bei den Vorgängern — als Empfindung der Seele, als mentales Bild, als Wahrnehmung, als Gedanke oder Idee verstanden werde. Auf diese Weise hätten die Stoiker die Semantik entpsychologisiert (54). Bereits K.Oehler (1963: 24ff.; vgl. o. S.82) hat sich entschieden gegen derartige Versuche, die Originalität und Modernität der stoischen SprachaufTassung zu belegen, gewendet. Das lektón sei der zum Wort gewordene Gedanke, der abgehoben werde von den äußeren Dingen, vom Denken als Funktion der Seele und von den Worten ails Ausdrucksmittel. „Dasselbe Schema findet sich schon bei Piaton und Aristoteles. Es ist die ontologische Dreiteilung von πράγμα (είδος), νόημα und όνομα. Das stoische λεκτόν ist also gleichbedeutend mit dem νόημα, und es ist kein geringerer als Simplikios gewesen, der auf diese Identität hingewiesen hat" (25). Es könne keine Rede davon sein, daß die stoische Auffassung bei Aristoteles vorbereitet werde; sie sei bei Piaton und Aristoteles längst vorhanden (26). Im übrigen will Oehler einschärfen: „Die griechischen Philosophen haben zu edlen Zeiten einen Begriff der Sprache gehabt, nur freilich nicht den, den die moderne Sprachphilosophie und Sprachwissenschaft h a b e n " (27). Zuletzt hat Th. Kobusch34 auf einen offenkundigen Mangel modernisierender Deutungsversuche (wie die von Mates, Bochenski, Popper, Kneale) hingewiesen, nämlich: „die Texte der. Stoiker bieten dafür keine Grundlage" (362). Kobusch geht es im Z u s a m m e n h a n g seiner Untersuchung um folgende These: „Das Lekton ist [...] Resultat eines inneren Sprechens; die Stoiker nennen dieses innerlich Gesprochene oder Gedachte auch die ,gedachte Sache', die terminologisch gesehen ein Vorläufer der scholastischen ,res rationis' bzw. des ,ens rationis' ist" (363).
Versucht man, die Fülle der Deutungen, die in dem vorhergehenden Exkurs längst nicht vollständig wiedergegeben ist, zu ordnen, dann kann man grob zwei Interpretationsrichtungen unterscheiden: Die eine Richtung versucht, die Aktualität der stoischen Lehre mit Hilfe moderner semiotischer und semantischer Kategorien darzulegen. Das grundlegende Problem dieser Versuche ist offenkundig: Man findet das in den stoischen Texten, was man aus anderer Quelle vorher hineingelegt hat. - Die andere Richtung versucht, historische Grenzen zu beachten und die stoische Theorie in die platonische und aristotelische Tradition einzuordnen. Solche Deutungen tendieren dahin, den Stoikern jegliche Originalität abzusprechen und ihre 34
Sein und Sprache. Historische Grundlegung einer Ontologie der Sprache, Leiden 1987, 361-365.
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Bedeutung für die Entwicklung der europäischen Sprachauffassung zu unterschätzen. — Es liegt nahe, die Wahrheit in der Mitte zu suchen: Die Stoiker antizipieren zwar nicht moderne Sprach- und Satztheorien; sie gehen jedoch über Aristoteles (und Piaton) hinaus, was sich zumindest an der Terminologie belegen läßt. Damit ist allerdings nicht viel gewonnen; alle weiteren Präzisierungsversuche bewegen sich jedoch auf ziemlich unsicherem Boden. — K. Hülser hat zu Recht darauf hingewiesen, daß aufgrund der Bedeutungserweiterung, die der Begriff „lektón" in der Stoa erfährt, die Interpretation vor kaum lösbaren Schwierigkeiten steht: Kleanthes führt „lektón" als Äquivalent für „Prädikat" ein. Dann wird der Begriff auch für „Aussage" verwendet, so daß Prädikate nur noch „unvollständige lektá" sind. Schließlich meint „lektón" die Bedeutung der Worte schlechthin. „Daher ist es 1) bisher nicht geglückt und wird es wohl auch kaum je gelingen, eine vollkommen einheitliche [...] Lektontheorie zu rekonstruieren [...]. Angesichts der angedeuteten Begriffsentwicklung ist 2) klar, daß die Quellen [...] das Lekton so beschreiben, wie es sich am Ende der Begriffsentwicklung darstellt [...]; was sie ausführen, ist wesentlich unvollständig" (FDS, Bd. II, S. 832). Die Unsicherheit bei der genauen Begriffsbestimmung des lektón bestimmt auch die Versuche, das Motiv für die Einführung dieses Terminus zu ergründen. Warum geben sich die Stoiker nicht mit der aristotelischen Erklärung der sprachlichen Vermittlung zufrieden? — N u n sind nach stoischer Lehre nicht nur die sinnlich wahrnehmbaren Dinge bzw. Ereignisse (tynchánonta) und die Lautgestalt der Wörter etwas Körperliches, sondern auch die seelischen Eindrücke (wie die Seele überhaupt). Das lektón dagegen ist unkörperlich (wie der Raum, die Zeit und das Leere) 35 . Solche Begriffe gewinnen wir durch einen Übergang (metábasis) aus der Sphäre des sinnlich Wahrgenommenen in einen anderen Bereich. Sind nun die sinnlichen Eindrücke, wie Aristoteles feststellt, für alle Menschen dieselben, dann muß dies nicht für die durch die Tätigkeit des lògos gebildeten lektá gelten. Sind also in den verschiedenen Sprachen nicht nur die Lautkörper verschieden, sondern auch die von ihnen repräsentierten lektá (die Bedeutungen, das jeweils im Wort Gemeinte)? Soll mit dem Terminus „lektón" vielleicht die Erfahrung benannt werden, daß das Wort zwar auf die Dinge und unsere sinnlichen Eindrücke verweist, aber nicht mit ihnen deckungsgleich ist? Sollte sich gar 35
Vgl. S VF II, 331/FDS 720.
3. Dialektik II: Über das lektón
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schon die Einsicht ankündigen, daß die Sprache gleichsam ein Eigenleben führt, sofern sie nicht nur die Gedanken ausdrückt, sondern auch unsere Sicht auf die Dinge bestimmt? Steht hinter dem lektón die Erkenntnis, daß nicht nur in verschiedenen Sprachen, sondern auch in einer Sprache ein und derselbe Sachverhalt sprachlich verschieden ausgedrückt werden kann (aber dieselbe Bedeutung hat) 36 ? Die sprachphilosophischen Überlegungen machen nur einen geringen Teil dessen aus, was im zweiten Teil der stoischen Dialektik behandelt wird. Zur Orientierung mag das folgende Schema 3 7 über die Einteilung des lektón dienen: lektón
Subjekt (ptosis)
Prädikat (kategórema)
Aussage (axioma)
andere Satzarten (z.B. Frage)
Die Ausführungen zum unvollständigen lektón umfassen im wesentlichen das, was wir als „Flexionslehre" bezeichnen 38 . Die Grundzüge der Deklinationslehre 39 gehen bereits auf Zenon zurück. Es werden fünf Kasus unterschieden: Nominativ, Genetiv, Dativ, Akkusativ und Vokativ (etwa: FDS 7 74) 40 . — Für die Verben entwickelt man eine systematische Tempuslehre, deren vollständige Form uns zwar nicht überliefert ist, die aber aufgrund späterer Berichte rekonstruiert werden kann. Man unterscheidet drei Zeitstufen (Gegenwart, Vergangenheit, 36
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Das jedenfalls schließt Steinthal (I, 1890: 296) aus dem 7. Kap. von Augustins De dialéctica. Das Schema folgt (etwas vereinfachend) Mates 1961: 16. Die stoischen Berichte über die Einteilung des lektón sind nicht eindeutig. Pohlenz beurteilt die Flexionslehre als die „in eigendichem Sinne schöpferische Leistung der Stoa" (I, 1984: 44). Es ist in der Forschung strittig, ob nach stoischer Lehre die Kasus zu den lektá gehören; man vgl. Hülser, FDS Bd. III, S. VI, 914 f. Die griechischen Bezeichnungen erklärt Pohlenz I, 1984: 45.
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V Die Stoa
Zukunft) und zwei Aktionsarten (unvollendetes und vollendetes Geschehen) 41 . In der Vergangenheit werden wiederum unterschieden: Imperfekt, Perfekt, Plusquamperfekt und Aorist. Eine enge Verwandtschaft besteht zwischen Präsens und Imperfekt, zwischen Perfekt und Plusquamperfekt, zwischen Aorist und Futur (FDS 816). Sofern die Kategorien das Resultat einer Analyse des Sprechens (IstSagens) sind, ist ihre Thematisierung in diesem Teil der Dialektik einleuchtend, wenngleich sie als „Gattungen des Seienden" auch die Fragestellung der Physik betreffen 42 . Die Stoa unterscheidet vier Kategorien: Das Zugrundeliegende (hypokeimenon), das Wie-beschaffen-sein (Eigenschaft; poión), das Sich-in-bestimmter-Weise-verhalten (pòs échon), das Sich-in-Relation-zu-anderem-verhalten (pros tí pos échon) 43 . Für die stoische Lehre vom vollständigen lektón wird folgende Einteilung überliefert: „Es ist zu unterscheiden zwischen Aussage, Entscheidungsfrage, Bestimmungsfrage, Befehl, Schwur, Wunsch, Annahme (hypothetikón), (Ekthese), Anrede und Quasiaussage" (SVF II, 186/FDS 874) 4 4 .
Zwar schenken die Stoiker auch den von den Aussagen abgegrenzten Satzformen große Aufmerksamkeit, so daß man sogar eine „sprechakttheoretische Komponente" feststellen kann (Hülser, FDS, Bd. III, S. 1132); aber das Hauptgewicht liegt doch auf der Analyse der Aussage und ihrer logischen Verknüpfungen (Lehre vom Urteil und vom Schluß). Dabei besteht die historische Leistung der Stoiker vor allem in der Entwicklung der Aussagenlogik45. 41
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Während Pohlenz die These vertritt, „daß zum Einteilungsprinzip nicht die drei Zeitstufen [...] gemacht werden, sondern die Aktionsarten" (I, 1984: 46), hat Barwick umgekehrt betont: „Da alles Geschehen sich in der Zeit vollzieht, und damit in einer der drei Zeitstufen, so sind naturgemäß die beiden Aktionsarten den Zeitstufen untergeordnet" (1957: 51). Eine differenzierte Lösung, die die Verschränkung beider Gesichtspunkte in der Stoa darlegt, bietet C. H. M. Versteegh, The Stoic Verbal System, in: Hermes 108 (1980), 338-357. Η. v. Arnim ordnet die entsprechenden Fragmente der Physik zu. Die Zuordnung der Kategorien zur Dialektik ist jedoch wahrscheinlicher (Forschner 1981: 47; Hülser, FDS Bd. III, S. 1008). SVF II, 369, 3 7 1 / F D S 832, 827. Simplikios erwähnt noch eine andere Einteilung: SVF II, 4 0 3 / F D S 833. Die Frage nach der Entsprechung der beiden Einteilungen ist strittig (vgl. Forschner 1981: 45). Die Diskussion über diese Einteilung der Redeformen referiert Hülser, FDS Bd. III, S. 1114-1117. Deren Ursprung vermutet Bochenski (1970: 122) bei den Megarikern.
3. Dialektik II: Über das lektón
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Die schwierige Quellenfrage macht ein Gesamturteil über die Bedeutung der Stoa für die Entwicklung der Sprachbetrachtung unsicher. Sicher jedoch ist, daß die Sprache durch die Stoiker zu einem vorrangigen Thema wird. Die außerordentliche Intensität, mit der die Stoa sich der Sprache zuwendet, kann nicht zuletzt durch die (späteren) Zeugnisse über die Systematisierungsversuche der Grammatik belegt werden. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß in letzter Zeit die Stoa vor allem von Linguisten gleichsam neu entdeckt wird. Wie aber ist die Stoa sprachphilosophisch einzuordnen und zu bewerten? Die erhaltenen Fragmente bezeugen, daß sprachphilosophische Themen im Hellenismus leidenschaftlich diskutiert werden. Das betrifft auch die ,alte' Streitfrage nach der Richtigkeit der Wörter (physei — thései). Dieser Streit ist nicht durch Aristoteles ein für allemal entschieden; sondern er bleibt ein zentrales Thema der sprachphilosophischen Auseinandersetzungen. Für die Stoa ist dabei die Auseinandersetzung mit Epikur und mit den Skeptikern besonders wichtig. Allerdings zeigt die stoische Lösung dieses Problems, soweit es aus den spärlichen Quellen zu schließen ist, wenig Originalität: Zwar ist wohl die Einsicht leitend, daß die extremen Positionen (entweder physei oder thései) nicht haltbar und deshalb zu vermitteln sind. Die Vermittlung selbst (vgl. o. S. 111) scheint jedoch nicht weiter zu gehen als die Position des Kratylos in Piatons gleichnamigem Dialog. Daß nämlich die Wörter gesetzt sind, ist im Kratylos für alle Gesprächspartner unstrittig. Dennoch ist die ,Wiederholung' dieser Position nicht nutzlos, da sie immerhin eine Möglichkeit der Vermittlung zwischen den scheinbar sich ausschließenden Gegensätzen darlegt. Es mag verwundern, daß die Dichtung bei den Stoikern ein hohes Ansehen genoß (vgl. o. S. 114), ihre Thematisierung innerhalb des philosophischen ,Systems'jedoch (bis auf Ausnahmen bei Kleanthes und Aristón) keine wesentliche Rolle gespielt hat. Das ist ein Indiz dafür, daß die Stoa vornehmlich an der erkenntnistheoretischen bzw. logischen Seite der Sprache interessiert ist. Das vorrangige (formal-) logische Interesse dokumentiert sich darin, daß die Lehre vom lektón letztlich auf die Analyse der Aussage (axioma) hinausläuft: Die Darlegungen zum unvollständigen lektón beziehen sich auf Teilaspekte des Satzganzen, und bei den Arten des Satzganzen (vollständige lektá) dienen die Erläuterungen der nicht aussagenden Reden vor allem dazu, die Auszeichnung der Aussage darzutun; nur sie nämlich ist wahr oder falsch und kann damit erkenntnistheoretisch relevant sein.
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V Die Stoa
Auf diese Weise setzt sich bei den Stoikern die aristotelische Tradition fort, in der die Sprache unter das Joch der Logik gespannt wird. Die Auffassung des Wortes als Zeichen liegt in der Konsequenz dieser Sichtweise, weshalb die stoischen Überlegungen sich auch relativ mühelos modernen semiotischen Kategorien fügen. — Wo aber die Logik herrscht, droht die poetische Erschließungskraft der Sprache vergessen zu werden. In diese Tendenz zum instrumenteilen Zeichenbegriff läßt sich auch die stoische Lehre vom lektón einordnen. Das lektón ist das Resultat einer mehrfachen Abstraktion. Auf der einen Seite ist von den artikulierten Lauten abzusehen, auf der anderen Seite von den Dingen und Vorstellungen, um eine reine Bedeutungssphäre (der eine eigene Seinsweise zukommt) zu erhalten. Bei aller Anerkennung für die differenzierte Analyse der sprachlichen Vermittlungsleistungen, die hierin zum Ausdruck kommen mag, ist jedoch zu sehen, daß die Sprache damit von einer Abwertung bedroht ist. Denn nach stoischer Lehre verweist sie als gesprochene Sprache nicht direkt auf die Dinge, nicht direkt auf die Gedanken, sondern auf das rein ideelle (und abstrakte) Reich der lektá. Sicherlich kann man auf diese Weise vorgehen — wenn man beachtet, daß es sich nur um unterschiedliche Momente einer einheitlichen Leistung der Sprache handelt. Diese Einheit aber zerfällt, wenn den Bedeutungen ein eigener ontologischer Status zugesprochen wird. So können die Wörter zu bloß äußeren Zeichen werden, die als sie selbst nichts bedeuten, sondern nur auf Bedeutungen verweisen 46 . Soll man daraus die Konsequenz ziehen, daß in der Stoa die Entscheidung zugunsten einer Auffassung der Sprache im Sinne bloßer Zeichen fällt? — Diese Frage läßt sich nicht mit Sicherheit bejahen, da zumindest für die erste Zeit der stoischen Schule der innige Zusammenhang von Sprechen und Denken fraglos ist (vgl. o. S. 105). Dennoch spricht vieles dafür, daß die durch Aristoteles initiierte Entwicklung (vgl. o. S. 100 f.) durch die Stoa fortgesetzt wird. Bei Augustinus jedenfalls, dessen Beeinflussung durch die Stoa kaum bestritten werden kann, ist diese Entscheidung bereits gefallen.
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Gadamer sieht den Grund dieser Entwicklung in der Anerkennung des Ideals wissenschafdicher Begriffsbildung. „Damit beginnt sich die Sphäre der sprachlichen Bedeutungen von den in der sprachlichen Gestaltung begegnenden Sachen zu lösen" (1972: 409).
VI. A U G U S T I N U S Äußeres Zeichen und inneres Wort
1. Das Wort als Zeichen: De dialéctica1 Von den Maurinern, den ersten Herausgebern der Werke Augustine (Paris 1679-1700), wurde die Schrift Uber die Dialektik für unecht gehalten. Inzwischen gibt es keine ernsthaften Zweifel mehr an der Echtheit der Schrift 2 . De dialéctica gehört zu einer Reihe von geplanten Abhandlungen in Dialogform (disciplinarum libri), die in die artes liberales einführen und schließlich den Weg vom Körperlichen zum Unkörperlichen aufweisen sollten. Durch Augustins eigenen Bericht über seine Jugendschriften wissen wir, daß die Abhandlung über die Dialektik (neben anderen der geplanten Reihe) unvollendet geblieben ist 3 . In dem uns erhaltenen Fragment ist die Dialogform nicht durchgeführt; es gibt jedoch deutliche Hinweise im Text, die auf eine geplante Ausarbeitung als Dialog hinweisen (vgl. Pinborg 1962: 149 f.). K. Barwick (1957: 8-28) hat dargelegt, daß die Ausführungen Augustins von stoischem Gedankengut abhängig sind. Da nun Augustins Schrift eine Abhandlung Varros (116—27 v.Chr.) — wahrscheinlich dessen nicht erhaltene Schrift De dialéctica — als Vorlage diente, Schloß Barwick aufgrund seiner Analysen, „daß Varros Dialektik nichts anderes war als die lateinische Bearbeitung eines, gewiß griechisch geschriebenen, Lehrbuchs der stoischen Dialektik" (21). Diese These ist in der Forschung mit guten Gründen kritisiert worden 4 . Nicht umstritten ist jedoch, daß Augustin eine Abhand-
1
Augustine, De dialéctica, Translated with Introduction and Notes by B. D.Jackson from the Text newly ed. by J. Pinborg, Dordrecht/Boston 1975. Eine dt. Übersetzung liegt vor bei H. Ruef, Augustin über Semiotik und Sprache. Sprachtheoretische Analysen zu Augustins Schrift „De Dialéctica", mit einer deutschen Übersetzung, Bern 1981. 2 Wesentliche Argumente führen an: J. Pinborg, Das Sprachdenken der Sloa und Augustins Dialektik, in: Classica et Mediaevalia 23 (1962), 148-177 (zur Echtheit: 149 f.); B.D.Jackson 1975: 3-5, 26-30. 3 Retractationes I, 6: Aurelii Augustini opera, Corpus Christianorum, Series Latina (CCSL), LVII, Turnholti 1984, 17. * Die entscheidenden Punkte stellt Hülser heraus: FDS, Bd.I, S.XLV LXXXIXf.
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VI. Augustinus
lung Varros 5 benutzte und daß De dialéctica von stoischen Theorien beeinflußt ist. Bei einem Denker vom Format Augustins sollte jedoch auch in den Frühschriften eine eigene Leistung nicht ausgeschlossen werden.
Augustinus beginnt seine Untersuchung mit einer kurzen Definition von „Dialektik": „Dialektik ist die Wissenschaft der guten Gesprächsführung (Dialéctica est bene disputandi scientia)" (5, 2)6. Mag diese Definition auch im Vergleich mit bekannten stoischen Fassungen (etwa: SVF II, 122/FDS 63) als verkürzt erscheinen (Ruef 1981: 44 f.), sie ist jedenfalls in dieser Kurzfassung bei den Stoikern nachzuweisen (wörtlich: SVF III, 267/FDS 55). Wenn Augustinus sich hier kurz faßt, so kann dies als Beleg dafür genommen werden, daß er an allgemein anerkanntes Lehrgut anknüpft, d. h. sich fraglos auf den Boden der stoischen Tradition stellt. Da die Kunst des Disputierens allein durch Worte vollzogen werden kann, hat die Dialektik als erstes die Natur der Wörter und der menschlichen Rede darzulegen. Augustinus unterteilt die Wörter zunächst in einfache (simplicia) und verknüpfte (coniuncta). , Einfach' sind die Wörter, wenn sie nur ein Einziges (unum quiddam) bedeuten (z. B. homo — Mensch); ,verbunden' sind solche Wörter, die mehrere Dinge bezeichnen (z. B. loquor — ich spreche). — Das zweite Kapitel unterscheidet dann bei den verbundenen Wörtern vollständige und unvollständige Sätze. Die vollständigen Sätze lassen sich wiederum in zwei Arten gliedern: in Sätze, die wahr oder falsch sein können (Urteile), und in Sätze, die diesem Kriterium nicht unterstehen (Befehle, Wünsche etc.). Nur die Urteile sind Gegenstand der Dialektik. — Im dritten Kapitel wird die Einteilung der grundlegenden Redeelemente durch die Unterscheidung von anfachen und verknüpften Urteilen abgeschlossen. Ein einfaches Urteil ist z. B. der Satz , Jeder Mensch geht", ein verknüpftes der Satz „Wenn er geht, bewegt er sich". Im Anschluß an diese Unterteilung weist Augustinus auf die Lehre vom 5
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Von Einfluß ist sicherlich auch Varrò, De lingua Latina. Zum Aufbau und zu den Quellen dieser Schrift siehe H. Dahlmann, Varrò und die hellenistische Sprachtheorie, Berlin/Zürich 2 1964 (l.Aufl. 1932). Sprachphilosophisch interessant sind die Ausführungen zur Sprachursprungslehre (12fT.). Nach Dahlmann ist Varros Sprachtheorie wahrscheinlich die erste, die nicht nur die Setzung der einzelnen Wörter, sondern der ganzen Sprache umfaßt. Dahlmann vermutet, daß bei Varrò eine Sprachentstehungslehre grammatischer Herkunft vorliegt, die nicht unter dem Einfluß der Stoa entstanden ist. Die Zitatbelege beziehen sich auf die auch von Pinborg und Ruef wiedergegebene Zählung (Seite und Zeile) der Ausgabe von W. Crecelius (1857).
1. Das Wort als Zeichen: De dialéctica
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Schluß hin. - Auf der Grundlage der Dihairesis in den ersten drei Kapiteln gibt das vierte Kapitel die geplante Inhaltsangabe von De dialéctica. Davon ist in den folgenden Kapiteln nur der Anfang des ersten Teils („De loquendo") ausgeführt worden (über die ,einfachen Wörter'). Sprachphilosophisch besonders aufschlußreich ist das fünfte Kapitel 7 , in dem Augustinus seine Wesensbestimmung des Wortes vorträgt. Diese Darlegungen bleiben auch für Augustine spätere Erörterungen der Sprache von grundlegender Bedeutung. „Das Wort ist Zeichen (signum) irgendeiner Sache (res), das von einem Hörer verstanden werden kann und von einem Sprecher hervorgebracht werden m u ß " (7,6)8.
An diese bündige Definition, die sich auf die Begriffe „Zeichen" und „Sache" stützt, schließt sich eine Erklärung ebendieser Begriffe an: „Eine Sache ist das, was entweder wahrgenommen wird oder erkannt wird oder unbekannt bleibt. Ein Zeichen ist etwas, das sich sowohl selbst der Wahrnehmung als auch darüber hinaus etwas dem Geist zeigt" (7, 6—8).
Diese einleitenden Begriffsklärungen werden mit einer Definition des Sprechens (loqui) abgeschlossen: „Sprechen bedeutet: mit artikuliertem Laut ein Zeichen geben. Artikuliert nenne ich den Laut, der mit Buchstaben erfaßt werden kann" (7, 8 f.).
Diese Definitionen, die in ihrer knappen Diktion an die ersten Sätze von De interpretatione erinnern, artikulieren die Grundzüge von Augustine Sprachverständnis: Die Sprache ist aufgebaut aus Wörtern, die nichts anderes sind als Zeichen. Die Eigenart des Zeichens liegt darin, auf etwas anderes hinzuweisen. Zwar sind Zeichen selbst wahrnehmbar und haben insofern etwas Dinghaftes. Aber als Zeichen wird etwas erst verstanden, wenn sich der Geist dadurch etwas anderes ,anzeigen' läßt. Das Zeichen erfüllt nur dann seine Funktion, wenn man diesem Verweisungscharakter nachkommt und das Zeigen versteht. Für die Sprache bedeutet das: Es muß jemanden geben, der das Wort ausspricht (das Zeichen schafft); und es muß jemanden 7 8
Die wichtigste Literatur gibt H. Ruef (1981: 176 f.) an. R. Simone vermutet, daß Augustinus als erster die triadische Struktur der ,semiotischen Situation' herausgestellt habe (Sémiologie augustinienne, in: Semiotica 6 [1972], 1-31). Sofern es nach Augustinus eines Interpreten zur Konstitution des sprachlichen Verständigungsprozesses bedürfe, führe er die pragmatische Dimension in die Semiotik ein.
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VI. Augustinus
geben, der als Hörer das Wort versteht (das Zeichen als Zeichen realisiert). Im Selbstgespräch wird beides von einer Person vollzogen. - Was sollte nun das, worauf die Zeichen verweisen, anderes sein als die Sachen? „Sache" ist dabei in einem ganz weiten Sinne zu verstehen; sowohl das Sinnliche als auch das Übersinnliche, selbst das für uns Unerkennbare (und bloße Fiktionen) kann damit gemeint sein. — Diese Charakterisierung gilt für alle Zeichen. Die Besonderheit der sprachlichen Zeichen liegt darin, daß sie mit Hilfe artikulierter Laute auf die Sachen verweisen. Die menschliche Sprache darf deshalb nicht verwechselt werden mit den unartikulierten tierischen Lauten, die, was Aristoteles bereits betont, auch etwas anzeigen und so zu verstehen geben. Versucht man auf diese Weise die einleitenden fünf Definitionen in einen Zusammenhang zu bringen, dann wird deutlich, daß die Beschreibung des sprachlichen Verständigungsprozesses komplizierter ist, als die knappen Fesdegungen es vermuten lassen. Deshalb schließt Augustinus einige erläuternde Hinweise an. Die erste Klärung betrifft die - ebenfalls bei Aristoteles fixierte — Unterscheidung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache. Das schriftlich Fixierte ist im strengen Sinne kein Wort, sondern Zeichen des Wortes (Zeichen des Zeichens). Augustinus gibt dafür eigens eine Begründung: Die Schriftzeichen sind etwas, das (optisch) wahrgenommen wird, das aber zugleich den Geist auf etwas anderes verweist: auf das lautlich artikulierte Wort. Das aber entspricht genau der angeführten Definition des Zeichens. Also ist die geschriebene Sprache Zeichen für die gesprochene. Das ist deshalb zu betonen, weil wir gemeinhin auch das Geschriebene „Wort" nennen — wie denn auch littera in der Doppelbedeutung von „Laut" und „Buchstabe" gebraucht werden kann. Es ist aber nicht nur das gesprochene vom geschriebenen Wort abzuheben. Aufgrund seiner Zeichennatur lassen sich bereits beim lautlich artikulierten Wort verschiedene Aspekte unterscheiden: Unmittelbar bekundet sich das Wort den Sinnen als etwas Tönendes („Omne verbum sonat"; 7, 11; 7, 18). Der Klangkörper (sonus) des Wortes wird nicht in der Dialektik, sondern in der Grammatik untersucht (etwa: Verteilung von Vokalen und Konsonanten im Wort, Fragen der Metrik und des Rhythmus). Ein Zusammenhang zwischen Grammatik und Dialektik (als Kunst des Disputierens) besteht nur deshalb, weil man über diese grammatischen Themen disputieren
1. Das Wort als Zeichen: De dialéctica
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kann 9 . Dieser Hinweis auf die Grammatik ermöglicht eine weitere Präzisierung: Sind die Wörter Zeichen der Sachen, ist ferner in der Grammatik die „Sache" das Wort selbst, dann kann mit Wörtern über Wörter gesprochen werden. Man muß demnach unterscheiden zwischen unserem (alltäglichen) Reden, in dem wir uns durch Wortzeichen auf empirische oder intelligible Sachen beziehen und einem (grammatischen) Reden, in dem wir uns mit Wortzeichen über Wortzeichen verständigen 10 . Das erste kann man — in modernen Termini — als Objektsprache, das zweite als Metasprache bezeichnen. De magistro wird diese verschiedenen Sprachebenen ausführlich darlegen (vgl. u. S. 136 ff.). Es ist festzuhalten: Das erste Moment sprachlicher Zeichengebung ist der Lautkörper, der in der Grammatik thematisiert und verbum (im engeren Sinne) genannt wird. Von diesem Klangkörper ist (als zweites Moment) das abzuheben, was der Geist beim Äußern des Wortzeichens aufnimmt und in sich bewahrt. Diesen vom Geist erfaßten Inhalt des Wortes (seine Bedeutung) nennt Augustinus dicibile (Sagbares). K.Barwick (1957: 12) - und mit ihm viele andere - hat das dicibile mit dem stoischen lektón gleichgesetzt. Diese These ist mittlerweile verschiedentlich kritisiert worden 1 1 . — Sofern Augustinus mit diesem Terminus auf die Bedeutungssphäre des Wortes verweist, wird m a n sicherlich sagen können, daß das dicibile dem stoischen lektón entspricht. Fraglich ist jedoch, ob „dicibile" Übersetzungswort für „lektón" ist. Diese Unsicherheit kann aus folgenden G r ü n d e n kaum behoben werden: Z u m einen ist die stoische Lehre vom lektón nicht unstrittig zu rekonstruieren (vgl. o. S. 117 ff.); zum anderen äußert sich Augustinus nicht über den ontologischen Status des dicibile. (Ist für ihn die von der Stoa betonte unkörperliche Seinsweise des dicibile durch die Entgegensetzung zum bloßen Laut selbstverständlich?) Immerhin sollte beachtet werden, d a ß in beiden Termini der Bezug zum Sprechen ausgedrückt wird (légein bzw. dicere). Sowohl mit „lektón" als auch mit „dicibile" wird das zu fassen versucht, was wir sprechend meinen (vgl. u. S. 145 f.).
Das dritte Moment ist die dictio (das Gesagte), verstanden als die Einheit der ersten beiden Momente. Die dictio ist somit ein wirklich 9
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U. Duchrow betont, daß mit dieser Isolierung der Grammatik „dem stoischen Gesamtentwurf, der auf der engen Verklammerung von Grammatik, Rhetorik und Dialektik aufbaut, ein spürbarer Stoß versetzt" werde (Sprachverständnis und biblisches Hären bei Augustin, Tübingen 1965, 51 f.). Pinborg (1962: 159) verweist darauf, d a ß sich diese Unterscheidung in der antiken Literatur nur an wenigen Stellen findet. Er erwähnt den Boethius-Kommentar zu den Kategorien des Aristoteles (prima impositio — secunda impositio), den entsprechenden Ammonios-Kommentar und Avicenna. Die wichtigsten Gesichtspunkte sind bei Ruef (1981: 108-111) angeführt.
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VI. Augustinus
ausgesprochenes Wort (verbum), in dem das Sagbare (dicibile) in einer bestimmten lautlichen Gestalt geäußert wird. In der dictio wird das gesprochene Wort eben als das verstanden, was auf anderes verweist. Das, worauf es verweist, ist die res (Sache, Ding), die als viertes Element des sprachlichen Verständigungsprozesses angeführt wird. Die Sache existiert unabhängig davon, ob sie mit einem Wort bezeichnet wird oder nicht. Augustinus erläutert diese vierfältige Struktur an einem Beispiel: Ein Grammatiklehrer fragt den Schüler: „Was für ein Redeteil ist ,Waffen'?" (in irgendeinem Satz, etwa bei Vergil). Diese Frage zielt auf ein bestimmtes Wort als Klangkörper, auf den verbum-Aspekt. Der andere Teil des Satzes („Was für ein Redeteil") verweist nicht auf sich selbst, sondern auf das verbum „Waffen". Werden diese Wörter ausgesprochen, dann handelt es sich um dictiones. Sofern diese Wörter aber eine durch den Geist erfaßte Bedeutung haben (unabhängig von ihrer konkreten Artikulation), sind es dicibilia. Wird schließlich „Waffen" nicht (wie im Beispiel) grammatisch erörtert, sondern von Vergil im Aeneas-Epos ausgesprochen, dann ist auch dieses Wort eine dictio. Es verweist auf die Sachen (res), nämlich die wirklich existierenden Waffen, auf die man zu dem damaligen Zeitpunkt zeigen und die man anfassen konnte. Nach diesen vier Gesichtspunkten ist der erste Teil der Dialektik (De loquendo) gegliedert. Im Blick auf das „verbum" sind wiederum vier Themen zu behandeln: der Ursprung, die Kraft, die Deklination und die Anordnung der Wörter im Satz (origo, vis, declinatio, ordinatio). Das sechste Kapitel von De dialéctica thematisiert den Ursprung der Wörter. Das bedeutet — gemäß platonischer und stoischer Tradition: etymologische Herleitung der Wörter und Erklärung der Stammwörter auf der Grundlage einer Lauttheorie. Dieses etymologische Verfahren wird am Beginn des sechsten Kapitels scharf kritisiert; es bezeuge bloße Neugier und sei nicht notwendig. Augustinus führt zwei gewichtige Gründe gegen das von den Stoikern so hoch geschätzte Etymologisieren an: 1. Das Verfahren kommt an kein Ende. Die Annahme gewisser ursprünglicher Wörter ist - wie bereits im Kratylos offenkundig wird — willkürlich und bietet keine sichere Grundlage. Überdies ist fraglich, ob man alle sprachlichen Ausdrücke auf diese Weise erklären kann. 2. Die Etymologien sind — ebenso wie die Traumdeutungen — von der Phantasie jedes einzelnen abhängig; d. h. sie sind beliebig. Die
1. Das Wort als Zeichen: De dialéctica
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Beliebigkeit legt Augustinus exemplarisch an den unterschiedlichen (und sachlich nicht zusammenhängenden) Erklärungsmöglichkeiten von „verbum" dar. Trotz dieser Kritik erörtert Augustinus - der Vollständigkeit des gestellten Themas wegen - an einer Reihe von Beispielen die Grundzüge des etymologischen Verfahrens (vgl. o. S. 111 f.). Diese Erörterung wird ausdrücklich als stoisches Lehrgut bezeichnet. Die abschließenden Kapitel (7-10) des ZfezMá/;-Fragments untersuchen die „Kraft des Wortes" (vis verbi)12. Darunter ist zu verstehen, „wie mächtig es ist (valeat). Es ist aber so mächtig, wie es den Hörer bewegen kann" (12, 12 f.). Auch in diesem Bereich können wieder die drei Aspekte verbum, dicibile und dictio unterschieden werden: 1. Das Wort kann durch sich selbst (als Lautkörper) auf den Hörer einwirken. Es kann Unwillen erregen oder besänftigen. Dabei spielen auch Hörgewohnheiten eine Rolle. 2. Aufgrund seiner Bedeutung bewegt uns ein Wort, wenn der Geist sich, unbeeinflußt vom konkreten Ausdruck, ganz der bezeichneten Sache zuwendet. Das geschieht ζ. B., wenn ein Eigenname geäußert wird und der Hörer nur an die betreffende Person denkt. 3. Als dictio bewegt das Wort, wenn Lautform und Inhalt zugleich die Aufmerksamkeit auf sich lenken. - Augustinus weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß das Schamgefühl des Hörers nicht verletzt wird, wenn man obszöne Ausdrücke vermeidet. Augustinus beschließt das siebte Kapitel mit Hinweisen auf das Verhältnis von Dialektik und Rhetorik: Der Rhetoriker darf die Wahrheit nicht außer acht lassen, und der Dialektiker sollte nicht den Schmuck der Rede vergessen. Allerdings kann die Macht der Wörter die Wahrheitsbeurteilung, die der Dialektik obliegt, erschweren. Es ist nämlich möglich, daß der Hörer — wie der Anfang des achten Kapitels betont und an verschiedenen Beispielen aufzeigt — durch Dunkelheit (obscuritas) oder durch Mehrdeutigkeit (ambiguitas) irregeführt wird. Unter Berufung auf die Lehre der Stoiker setzt das neunte Kapitel mit der These ein, daß jedes Wort mehrdeutig ist. Augustinus schränkt aber sogleich ein, daß diese These nur für isolierte Wörter gelte. Im Satz oder im Gespräch kann diese Mehrdeutigkeit des ein12
„dynamis tön onomáton" (Kratylos 435 d 2); vgl. o. S. 47; u. S. 294.
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VI. Augustinus
zelnen Wortes überwunden werden. — Bei den Mehrdeutigkeiten lassen sich Univokation und Äquivokation unterscheiden 13 : 1. Univok sind Wörter, die — bei verschiedener Bedeutung — von einer Definition umfaßt werden. Augustinus erwähnt das Beispiel „Mensch" (mit der Definition „vernunftbegabtes sterbliches Lebewesen"). Sage ich „Mensch", dann fallen darunter: Jüngling — Greis, Dummer — Weiser, Armer - Reicher etc. 2. Äquivok sind Wörter, die unter einem Namen verschiedene Bedeutungen haben. Diese unterschiedlichen Bedeutungen eines Wortes müßten verschieden definiert werden. Bei den Äquivokationen gibt es - wie am Anfang des zehnten Kapitels betont wird — eine kaum überschaubare Fülle von Möglichkeiten. Augustinus trägt eine komplizierte Einteilung der aequivoca vor, die in der Tat den Eindruck erweckt, als könne sie bis ins Unendliche fortgesetzt werden. — Mit dem zehnten Kapitel bricht das Fragment De dialéctica ab, und es bleibt offen, ob die Erörterungen der Mehrdeutigkeit noch hätten fortgesetzt werden sollen.
Die Darlegung des Gedankengangs von De dialéctica macht deudich, daß hier stoische und aristotelische Gedanken, Einflüsse der rhetorischen und grammatischen Tradition eine Rolle spielen. Wie es auch immer um diese Einflüsse im einzelnen bestellt sein mag, das besondere Gewicht dieser Schrift im Rahmen einer Darlegung der Geschichte der Sprachphilosophie liegt vor allem darin, daß wir mit De dialéctica ein klares Zeugnis für die Gleichsetzung von Wort und Zeichen vor uns haben. Diese Sprachauffassung mag nach den Analysen zu Aristoteles und zur Stoa nicht mehr überraschend sein. Bemerkenswert ist dennoch die Entschiedenheit und Selbstverständlichkeit, mit der Augustinus die Eingrenzung des Wortes auf das Zeichen vollzieht. Augustins Sprachanalyse in De dialéctica kommt zu bemerkenswerten Einsichten (die auch das Interesse der modernen Semiotik gefunden haben): Der Vorrang des lebendigen Sprechens vor der Schriftsprache wird ebenso treffend hervorgehoben wie der Vorzug der verbundenen Rede vor dem isolierten Wort, wodurch die Bedrohung der sprachlichen Kommunikation durch die prinzipielle Mehrdeutig13
Für diese Unterscheidung ist das erste Kapitel der Kategorienschrift des Aristoteles maßgebend (Homonyma — Synonyma).
2. Die Abwertung der Sprache: De magistro
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keit der Wörter weitgehend aufgefangen wird. Gleichfalls beachtlich ist die deutliche Einbeziehung des Hörers in den sprachlichen Vermittlungsprozeß, der Ansatz zur Unterscheidung verschiedener Sprachebenen (Objekt-, Metasprache), die Kritik an übertriebenen Etymologien. All dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Einengung der Potenz des Wortes auf die Funktion eines Zeichens zu bedenklichen Konsequenzen im Blick auf das Wesen der Sprache führt. Diese Konsequenzen werden in De magistro, dem wohl wichtigsten sprachphilosophischen Werk Augustine, in aller wünschenswerten Klarheit und zugleich in ihrer ganzen Fragwürdigkeit dargelegt.
2. Die Abwertung der Sprache: De magistro14 De magistro, ein Dialog zwischen Augustinus und seinem Sohn Adeodatus, ist um 390 entstanden. Da Adeodatus wahrscheinlich 389 gestorben ist, könnte diese Schrift eine Art Denkmal für den hochbegabten Sohn sein. Das große Interesse der Tradition an diesem Dialog wird durch die Uberlieferung von 49 Handschriften aus dem 9. bis 15.Jahrhundert bezeugt. Das eigentliche Thema ist die Frage nach der belehrenden Funktion des Sprechens. Dabei ist zu beachten, daß die Aufgabe des Lehrers durch den Dialogverlauf selbst deutlich gemacht werden soll. Vorbild ist zweifellos die sokratische Mäeutik, die von Augustinus ins Christliche gewendet wird. Ausgangspunkt des Dialogs Uber den Lehrer15 ist die an den Kratylos erinnernde Feststellung, daß der Zweck des Sprechens das Lehren (docere) und Erinnern (commemorare) sei (I, 1). Diese Zweckbestimmung provoziert Einwände, denen zu begegnen versucht wird: 14
15
Die Grundzüge der SprachaufFassung in De magistro und De trìnitate sind bereits in einem Aufsatz des Vf.s vorgetragen und zu Nikolaus von Kues in Beziehung gesetzt worden: Verbum — Signum. La définition du langage chez s. Augustin et Nicolas de Cues, in: Archives de Philosophie 54 (1991), 255-268. CCSL, X X I X , Turnholti 1970. Diesen lat. Text hat im wesentlichen auch die frz. Werkausgabe: Œuvres de Saint Augustin (Bibliothèque Augustinienne) 6, Introductions, traduction et notes par G. Madec, Paris 3 1976 (mit gründlichem Kommentar und zahlreichen Literaturhinweisen). Zur dt. Ubersetzung vgl. Augustinus, Philosophische Spätdialoge, eingel., übers, u. eri. von K.-H. Lütcke u. G. Weigel, Zürich/ München 1973. Diese Ausgabe hat den lat. Text des Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum (CSEL) LXXVII, Wien 1961.
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1. Auch das Lernen läßt sich unter das Lehren subsumieren, sofern der Lernende fragen muß und den Befragten auf diese Weise belehrt, was er wissen will. 2. Wenn wir Lieder singen, um uns zu erfreuen — und nicht, um zu belehren oder zu erinnern - , dann wird diese Funktion nicht von den Wörtern erfüllt, sondern allein von der Musik. (Dieses Argument ist insofern aufschlußreich, als es aufs neue belegt, daß ästhetischpoetische Gesichtspunkte im geschichtlichen Verlauf der Sprachphilosophie immer wieder ,verdrängt' werden.) 3. Wenn wir mit Gott sprechen, dann wird nicht Gott belehrt oder erinnert; vielmehr erinnern wir uns selbst (oder der Priester die Zuhörer) daran, uns zu Gott zu erheben. Diese Argumentation ist sicherlich fragwürdig: Das docere wird außerordenüich weit gefaßt; der zweite Einwand wird nur mit einem Kunstgriff (Trennung von Wort und Melodie) und einer Metapher (singende Flöte) zurückgewiesen; die Einengung des Betens auf die Erinnerung dürfte theologisch unbefriedigend sein. Das sollte jedoch in dieser Exposition des Dialogs nicht überbewertet werden. Es geht in den einleitenden Kapiteln nur darum, sich vorläufig über eine bekannte Sprachauffassung zu verständigen, die im weiteren Gesprächsverlauf geprüft werden soll. Daß wir sprechend erinnert und belehrt werden können, hat seinen Grund im Zeichencharakter der Wörter. Die Wörter sind Zeichen (signa) für die Dinge selbst, sofern sie vom Geist erfaßt werden (I, 2). Die belehrende (und erinnernde) Funktion des Sprechens liegt also in der Verweisung auf die Sachen selbst. Uber diese Bestimmung des Wortes als Zeichen gibt es zwischen den Dialogpartnern keinen Streit; es handelt sich um die gängige Sprachauffassung. Anders jedoch als in De dialéctica werden jetzt Probleme dieser Bestimmung angesprochen. Die scheinbar unmittelbar einleuchtende Interpretation des Wortes als Zeichen gerät in Schwierigkeiten angesichts solcher Wörter wie „si", „nihil" und „ex" (die ersten drei Wörter eines Verses aus Vergils Aeneis). Es liegt im Begriff des Zeichens, daß es etwas bezeichnet. Was aber soll dieses Etwas bei den genannten Wörtern sein? Augustinus löst dieses Problem, indem er gleichsam die Richtung des Zeichenbezugs umkehrt 1 6 : „si" bezieht sich nicht auf eine äußere 16
Eine ähnliche Antwort wird auch J.Locke im Rahmen seiner empiristischen Erkenntnistheorie geben: Die ,Partikel' sind nicht Zeichen für Ideen, sondern für die Art der Verbindungen, die der Geist zwischen den verschiedenen Ideen und
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Sache, sondern auf das Innere des Sprechenden; es bezeichnet den inneren Zweifel. Auch das noch brisantere „nihil" wird auf diese Weise erklärt: Es bezeichnet diejenige Gestimmtheit des Geistes (affectio animi; II, 3), die sich einstellt, wenn er entdeckt hat, daß ,es mit der Sache nichts ist' (daß sie nicht existiert). Im übrigen schiebt Augustinus das Problem mit einem Wortspiel beiseite: nichts soll die Dialogpartner vom eigentlichen Thema ablenken. Im Zusammenhang von Adeodats Erklärungsversuch des Wortes „ex" fordert Augustinus seinen Gesprächspartner auf zu überlegen, ob man die Bedeutung eines Wortes nur mit Hilfe anderer Wörter angeben könne oder ob es möglich sei, die Sachen selbst aufzuzeigen. Der Aufweis der Sachen selbst scheint im Bereich des Sichtbaren ganz unproblematisch zu sein. Wenn ich etwa gefragt werde, was „Wand" bezeichnet, dann kann ich mit dem Finger auf die Wand zeigen und so den Fragenden ohne Worte belehren 17 . Die Gesten der Taubstummen und pantomimische Schauspiele belegen sogar, daß nicht nur die sichtbaren Körper auf diese Weise demonstriert werden können. Dennoch ist diese Art des Aufweisens insofern unbefriedigend, als sie an Zeichen gebunden bleibt. Denn Gesten und Gebärden gehören ebenfalls zu den Zeichen 18 . Es ist somit zunächst der folgende Unterschied festzuhalten: I. Zeichen können durch Zeichen aufgezeigt (und damit gelehrt) werden. Dabei kann noch einmal unterschieden werden zwischen einem Belehren durch dieselbe Art von Zeichen (Wörter durch Wörter) und einem Belehren durch eine andere Art von Zeichen (Wörter durch Gesten).
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Sachverhalten herstellt. In diese Gruppe von Wörtern gehören u. a. „ist" und „ist nicht" als Zeichen für Bejahung und Verneinung (An Essay concerning Human Understanding III, 7, ed. H. Nidditch, Oxford 1975, 471 ff). - In moderner Terminologie liest sich der von Augustinus thematisierte Zusammenhang so: „Die Bedeutung eines synkategorematischen Ausdrucks ist deshalb eine Menge (eine Reihe, ein System) von Instruktionen für seine möglichen Einfügungen in Kontexte und für seine unterschiedlichen semantischen Outputs in verschiedenen Kontexten, die alle vom Code registriert werden" (Eco: 1985, 60 f.). Wie Augustinus in den Confessiones (I, 8) darlegt, vollzieht sich mit Hilfe dieses gestischen Anzeigens der (selbsttätige) Spracherwerb der Kinder. — Wittgenstein zitiert diesen Passus am Anfang seiner Philosophischen Untersuchungen (I, 1). Er bemerkt dazu u.a.: „Augustinus beschreibt [...] ein System der Verständigung; nur ist nicht alles, was wir Sprache nennen, dieses System" (I, 3). Es sei daran erinnert, daß der Bereich des Gestischen auch im Kratyhs herangezogen wird (vgl. o. S. 39).
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II. Die Dinge selbst (die keine Zeichen sind) können durch Zeichen aufgezeigt werden. Die Dinge, sofern sie zu bezeichnen sind, heißen significabilia (Ι\ζ 8). zu I. Die Zeichen überhaupt lassen sich unterteilen in sichtbare und hörbare Zeichen (visibilia - audibilia; IV, 8). Ein Verweisen von Zeichen auf Zeichen liegt zweifellos bei der Schrift vor; die Buchstaben sind optische Zeichen für das akustische Wortzeichen. Erstaunlicherweise gibt es aber im Bereich der hörbaren Wortzeichen einen zeichenimmanenten Bezug: Spreche ich ζ. B. das Wort „nomen" („Hauptwort") aus, dann ist dies ein hörbares Zeichen von anderen hörbaren Zeichen, ζ. B. von „Romulus", „Roma", „virtus" („Tugend"), „fluvius" („Fluß"). Mit dem Wort „fluvius" (und anderen seiner Art) dagegen kann ich eine Sache bezeichnen, die nicht Zeichen ist. Was Augustinus hier entdeckt, ist die in unserem Jahrhundert geläufig gewordene Unterscheidung zwischen Objekt- und Metasprache. Diese terminologische Unterscheidung und ihre grundlegende Funktion für die formale Logik ist durch A. Tarskis Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen19 bekanntgeworden. Sieht man von der systematischen Bedeutung und Ausgestaltung dieser Unterscheidung innerhalb der Logik ab, dann ist damit ein uns allen geläufiger, aber dennoch befremdlicher Sachverhalt gemeint: Mittels der Sprache können wir uns nicht nur über Dinge, Sachverhalte und uns selbst verständigen, sondern auch über die Sprache selbst. R. C a r n a p definiert das Begriffspaar so: „Wenn wir eine Sprache L, untersuchen, analysieren und beschreiben, brauchen wir eine Sprache L 2 , um die Ergebnisse unserer Untersuchung von L¡ oder die Regeln für den Gebrauch von L, zu formulieren. In diesem Fall nennen wir L¡ die Objektsprache und L 2 die Metasprache. [...] Jede beliebige Sprache kann als Objektsprache betrachtet werden; jede Sprache, die geéignete Ausdrucksmittel für die Beschreibung von Sprachen enthält, kann als Metasprache betrachtet werden" 2 0 . Kurz: Die Objektsprache ist diejenige Sprache, über die wir sprechen; die Metasprache ist diejenige Sprache, in der wir über die Objektsprache reden. 19
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Diese Abhandlung, die das Problem einer exakten Wahrheitsdefinition untersucht, erschien zuerst 1933, die dt. Übersetzung 1935; jetzt in: K. Berka/L. Kreiser (Hg.), Logik-Texte, Berlin 3 1983. Introduction to Semantics (1942), zit. nach: W. G r a f e / U . Majer, Art. Objektsprache/Metasprache, in: E. B r a u n / H . Radermacher, Wissenschaftstheoretisches Lexikon, W i e n / Köln 1978, 401.
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In diesem ,metasprachlichen' Bereich stellt Augustinus folgende Unterschiede fest: 1. Es gibt Zeichen, die nicht nur andere Zeichen, sondern auch sich selbst bezeichnen, z.B. „Zeichen", „Nomen", „Wort" („Zeichen" ist ein Zeichen - etc.). Das gilt nicht für alle Wörter der Metasprache: „Konjunktion" bezeichnet zwar andere Zeichen („wenn", „oder" ...), aber nicht sich selbst, da es ein Hauptwort ist. 2. Es gibt Zeichen, die sich wechselweise bezeichnen. Dabei lassen sich noch einmal unterscheiden: a) Sie bezeichnen sich gegenseitig — mit unterschiedlichem Bedeutungsumfang, ζ. B. verbum, signum: „Wort" ist ein Zeichen, „Zeichen" ist ein Wort. Der Bedeutungsumfang (Extension) ist unterschiedlich, weil es noch andere Zeichen gibt als die Wörter. b) Sie bezeichnen sich gegenseitig — mit demselben Bedeutungsumfang, aber unterschiedlicher Bedeutung (Intension), ζ. Β. nomen, verbum. Daß nomen und verbum denselben Bedeutungsumfang haben, wird im Dialog sehr ausführlich darzulegen versucht. Die Argumentation läuft darauf hinaus, daß jedes Wort in Subjektstellung gebracht und so als Nomen in Verbindung mit einem Verb zu einem vollständigen Satz zusammengefügt werden kann. (Etwa: „Wenn" gefällt. Das Wort „wenn" gefällt mir an dieser Stelle des Satzes.) Die unterschiedliche Bedeutung der beiden Wörter wird etymologisch begründet: Augustinus leitet „verbum" von „verberare" (stoßen, treffen), „nomen" von „noscere" (kennenlernen, wiedererkennen) ab. „Verbum" bezeichne das Wort, sofern es als artikulierter Laut das Gehör treffe. „Nomen" meine das Wort, mit dessen Hilfe der Geist etwas wiedererkenne. c) Sie bezeichnen sich gegenseitig — mit demselben Bedeutungsumfang und derselben Bedeutung, ζ. B. lat. nomen und gr. ónoma. Diese Erörterungen sind nach Augustinus zwar nur ein Vorspiel für das eigentliche Thema; dennoch sollten diese Einsichten nicht unterschätzt werden (VIII, 21). zu II. „... die mihi, utrum homo homo sit" (VIII, 22). — „Sage mir, ob Mensch Mensch ist." Mit dieser Aufforderung leitet Augustinus von den ,metasprachlichen' Überlegungen (I) über zur Untersuchung der Wörter, sofern sie sich auf die Dinge selbst (als significabilia) beziehen. Die befremdliche - weil scheinbar nur eine Tautologie formulierende — Frage des Augustinus läßt sich nämlich auf zweifache Art
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richtig beantworten. Im Zusammenhang von I muß die Antwort „nein" lauten: Der Mensch ist nicht „Mensch", nämlich nicht dieses Zeichen, nicht dieses Nomen. (Die Sache und das auf sie verweisende Zeichen sind nicht identisch.) Im Blick auf II ist die Frage mit , j a " zu beantworten: Der Mensch ist Mensch, ein vernunftbegabtes, sterbliches Lebewesen. (Die Sache ist mit sich selbst identisch, und das Zeichen ist mit sich selbst identisch.) Diese Differenzierung ist nach der Entdeckung unterschiedlicher Sprachebenen nicht überraschend. Aber: Woran liegt es, daß die von Augustinus gestellte Frage so befremdlich erscheint? Warum entdeckt der Gesprächspartner nicht sogleich ihre Doppeldeutigkeit? — Das hat seinen Grund darin, daß wir sprechend — unbewußt und fraglos — einer bestimmten Regel folgen (regula loquendi; VIII, 24): Wenn wir Wörter hören, dann lassen wir uns sogleich auf die Sachen verweisen. Sprechend sind wir immer schon bei den Dingen. ,In der Regel' beachten wir nicht das Wort als solches, sondern achten auf die von ihm bezeichnete Sache. Ohne diese Regel des Sprechens, die als Vernunftgesetz (lex rationis; ebd.) unserem Geist innewohnt, wäre sprachliche Kommunikation gar nicht möglich. Würde der Hörende alle vom Sprecher geäußerten Wörter nur auf sie selbst beziehen, dann könnte man den Sinn des Gesagten gar nicht verstehen. Adeodatus bekräftigt: „Ich stimme dir nämlich zu, daß wir uns gar nicht unterhalten könnten, wenn der Geist nicht, indem er die Wörter hört, zu demjenigen geleitet wird, dessen Zeichen sie [die Wörter] sind" (VIII, 22). Fragt man nach dem Zeichen als solchem (metasprachlich), dann muß man dies, um Mißverständnisse zu vermeiden, eigens ausdrücken — etwa: Welcher Redeteil ist „Mensch"? Diese Regel des Sprechens macht vollends deuüich, daß das Wort als Zeichen bloßes Mittel zum Zweck ist. Deshalb schätzen wir (jedenfalls meistens) die Dinge höher als die Zeichen. Auf jeden Fall ist die Erkenntnis (cognitio) der Dinge wichtiger und wertvoller, als es die Zeichen sind. (Ob die Kenntnis der Sachen in jedem Fall höher einzuschätzen ist als die Erkenntnis der Zeichen, wird im Dialog nicht entschieden.) — Steht es so, dann wäre es wohl am besten (wie bereits der Sokrates des Kratylos betont), die Dinge ohne Vermitüung durch Zeichen zu erkennen. Somit lautet die zentrale Frage des gesamten Dialogs 21 : Können wir überhaupt etwas aufzeigen, ohne irgendwelche Zeichen zu Hilfe zu nehmen? 21
Zur Diskussion über Aufbau und Zielsetzung des Dialogs vgl. G. Madec, Analyse du ße magistro', in: Revue des études Augustinienne 21 (1975), 63—71.
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Für Adeodatus scheint die Vermittlungsfunktion der Zeichen universell zu sein. Dagegen hatte Augustinus bereits am Anfang des Dialogs (III, 6) darauf hingewiesen, daß wir diejenigen Tätigkeiten, die wir gerade nicht ausüben, wenn wir nach ihrer Bedeutung gefragt werden, ohne Verwendung von Zeichen demonstrieren können. Werde ich ζ. B. gefragt, was „gehen" ist, dann kann ich das Gehen selbst vorführen. (Daß ich die entsprechende Tätigkeit nicht ausübe, während die Frage gestellt wird, ist wichtig, damit die Aufmerksamkeit des Fragenden nicht in die falsche Richtung gelenkt wird.) Nun jedoch (IX, 29) wendet Adeodatus ein, daß der Fragende vielleicht nur genau das vorgeführte Quantum (eine bestimmte Anzahl von Schritten) dieser Bewegung für „gehen" hält. Und weiter: Gerade diejenigen Tätigkeiten, die sich bei Lehrer und Schüler am unmittelbarsten bekunden — das Sprechen und Lehren — sind Bekundungen von Zeichen. Diese Bedenken werden von Augustinus durch ein anderes Beispiel zerstreut: Wenn jemand, der von der Kunst des Vogelfangens gar nichts weiß, einen Vogelsteller bei seiner Arbeit beobachten würde (wie dieser mit der Leimrute umgeht etc.), dann ist doch wohl anzunehmen, daß der Beobachter ohne die Vermittlung von Zeichen die Sache selbst (das Vogelfangen) kennenlernen würde. Der Vogelsteller hätte den Zuschauer belehrt, ohne sich der Zeichen zu bedienen. Voraussetzung ist allerdings, daß der zunächst unwissende Zuschauer einsichtig genug ist, die einzelnen Beobachtungen zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzusetzen (X, 32). Macht man diese Voraussetzung, dann gelten auch die Einwände gegen solche Fälle wie „gehen" nicht mehr. Eine andere Interpretation dieses Beispiels gibt TBorsche22: „Am Beispiel der Kunst des Vogelstellers macht Augustin auf überraschende Weise deutlich, daß man durch das Vorführen der Sache selbst [...] zwar vielerlei zeigen kann [...], niemals aber das, was die Sache ist, d. h. die cognitio rei bzw. die significatio uerbi lehren oder lernen kann" (144). Und: „Skeptischer als die Skeptiker, denen dieses Problembewußtsein einfach fehlt, sieht Augustin ein, daß wir die Bedeutung eines Wortes oder das Wissen, was etwas sei, weder durch Zeigen noch durch Vorführen der im Wort bezeichneten und im Wissen erkannten Sache selbst lehren oder lernen können. Wenigstens nicht durch das Zeigen oder Vorführen der Sache allein" (145). Diese ,wohlwollende' Einschätzung läßt sich schwerlich mit der im Dialog folgenden oratio perpetua in Einklang bringen und geht deshalb an der eigentlichen Intention Augustins vorbei. Die systematische Bedeutung des Beispiels vom Vogelfängen ist z. B. von U. Duchrow tref-
22
Macht und Ohnmacht der Wörter. Bemerkungen zu Augustins ,De magistro', in: B. Mojsisch (Hg.) 1986: 121-161.
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fend angegeben worden: „Damit [mit dem Beispiel des Vogelstellers] ist die Einbruchsteile gefunden, durch die hindurch Augustin in seiner großen Schlußrede [...] dazu übergeht, darzustellen, daß man nichts durch Zechen lernt ..." (1965: 63).
Mit dem Beispiel des Vogelfangens ist die entscheidende Stelle des Dialogs erreicht. Formal wird das dadurch angezeigt, daß Augustinus hier mit seiner oratio perpetua 2 3 beginnt (X, 32). Die an diesem Beispiel aufgewiesene Möglichkeit, auch ohne Zeichen belehrt werden zu können, ist nur Vorbereitung für die folgende zentrale These von De magistro: Mit Hilfe derjenigen Zeichen, die „Wörter" genannt werden, können wir überhaupt nichts lernen. („... per ea signa, quae verba appellantur, nos nihil discere"; Χ, 34.) Der Nachweis dieser These setzt mit der bereits in De dialéctica thematisierten Unterscheidung zwischen dem bloßen Klang eines Wortes (sonus) und seiner Bedeutung (significado) ein (vgl. o. S. 129). Damit läßt sich so argumentieren: 1. Durch das bloße Hören des Klanges, der das O h r trifft, kann man die Bedeutung des Wortes nicht erfassen. Hört jemand gänzlich unbekannte Laute — etwa in einer fremden Sprache —, dann ist er nicht einmal sicher, ob diese Laute wirklich Zeichen sind oder nicht. 2. Weiß ich jedoch, daß es sich um ein Wort handelt, dann geht mir die Bedeutung nur dadurch auf, daß ich die bedeutete Sache schon irgendwie kennengelernt habe, ζ. B. durch einen Fingerzeig. Somit ist nach Augustinus klar: Sagt mir jemand nur ein Wort, und ich kenne die zugehörige Sache nicht — dann lehrt mich das Zeichen nichts (jedenfalls nicht die bezeichnete Sache). Kenne ich aber schon die bezeichnete Sache, dann lehrt mich das Wort auch nichts, nämlich nichts Neues. „Sooft mir nämlich ein Zeichen gegeben wird, kann mich dasselbe nichts lehren, wenn es zu mir gelangt und ich nicht weiß, auf welche Sache es sich bezieht; weiß ich das jedoch, was lerne ich dann durch das Zeichen" (X, 33)? Eher muß man umgekehrt sagen: Erst wenn mir die bezeichnete Sache schon bekannt ist, geht mir die Bedeutung des Wortes (als Einheit von sonus und significatio) auf. Gegen die These, daß man durch Wortzeichen nicht belehrt wird, könnte man folgendes einwenden: Es gibt doch Dinge und Geschehnisse der Vergangenheit, von denen wir ausschließlich durch tradierte Worte (mündliche oder schriftlich fixierte) etwas wissen. Augu23
Diese ,fortlaufende Rede' (im Sinne eines Monologs) war wohl in der jüngeren Akademie üblich; nähere Hinweise gibt der Kommentar von G. Weigel 1973: 419 f. Anm.66.
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stinus erwähnt in diesem Zusammenhang die Erzählung von den drei Jünglingen im Feuerofen aus dem Buch Daniel. Wie steht es mit solchen Erzählungen und der Belehrung über unsere eigene Geschichte? - Dieser gewichtige Einwand wird in De magistro so zu entkräften versucht: Um die im Alten Testament überlieferte Erzählung überhaupt verstehen zu können, muß ich bereits wissen, was „Jüngling", „Feuerofen" etc. bedeuten. Und: Die überlieferten Namen der Jünglinge (Ananias, Azarias, Misahel) helfen für das Verständnis der Geschichte überhaupt nicht weiter; denn durch die bloßen Namen lerne ich die Personen mit ihren Eigenschaften nicht kennen. Vor allem aber gilt für solche Erzählungen die grundsätzliche Einschränkung, daß man durch sie nicht zur Erkenntnis, sondern nur zum Glauben an das Erzählte gelangt 24 . Wahrhafte Erkenntnis — dies schärft Augustinus seinem Gesprächspartner ein — ist nicht auf die Vermittlung durch Zeichen angewiesen. Das gilt für den gesamten Bereich des menschlichen Wissens, für die sinnlich wahrnehmbaren Dinge und für das Geistige (sensibilia — intelligibilia; XII, 39). Für das sinnlich Wahrnehmbare ist die eigene Anschauung maßgebend. Für die geistigen Dinge, die wir im inneren Licht der Wahrheit erschauen, ist Christus die oberste Instanz (XI, 38) 25 . Eine bloße Belehrung mit Worten führt entweder zum bloßen Glauben oder zu unbegründeter Meinung (vgl. XII, 40). Die am Anfang des Dialogs angegebenen Funktionen des Sprechens müssen somit erheblich eingeschränkt werden. Im strengen Sinne taugen die Wörter nicht zur Belehrung und Erinnerung. Sie können uns nur einen Anstoß geben (admonere, admonitio; XI, 36; XIV, 45), der uns veranlaßt, etwas selbsttätig zu erlernen oder uns an die Bilder ehemals wahrgenommener Dinge selbständig zu erinnern. Wer hingegen meint, sich nur an Wörter halten zu können, der setzt sich nach Augustinus der ständigen Gefahr des Irrtums und der Täu24
25
D i e sich nahelegende Konsequenz dieser Argumentation, nämlich den Glauben abzuwerten, versucht Augustinus mit folgendem Hinweis zu entkräften: Ich weiß(!), daß es nützlich ist, viele Dinge zu glauben, die ich nicht wissen kann. In der Forschung ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß Augustine These von Christus als innewohnendem Lehrer die christliche Modifikation der platonischen Anamnesis darstellt: Weigel 1973: 421 f. Anm. 74; M a d e c 1976: 25; W. Beierwaltes, ζμ Augustins Metaphysik der Sprache, in: Augustinian Studies 2 (1971), 1 7 9 - 1 9 5 . - Augustins Ausführungen in De magistro über das innere Licht der Wahrheit lassen sich mit den Darlegungen z u m inneren Wort innerhalb der Trinitätsspekulation verknüpfen (vgl. u. S. 156 ff.).
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schung aus. Niemand garantiert dem Lernenden, daß der Lehrende wirklich weiß, was er sagt. Und wenn er es weiß, treffen dann die Wörter das Richtige? Wir machen doch bei uns selbst die Erfahrung, daß Reden und Denken nicht miteinander harmonieren. Wir versprechen uns oder sind mit den Gedanken nicht bei der Sache. Überdies sind viele Worte mehrdeutig (vgl. o. S. 131 f.), und alle Kunst des Definierens kann — wie Augustinus eigens betont — diesem grundsätzlichen Mangel nicht abhelfen. Zieht man nun noch die Möglichkeit der Lüge in Betracht, dann wird die Ohnmacht der Wörter vollends deutlich. - Augustinus formuliert abschließend noch einmal die Intention des Dialogs: „Doch über die ganze Nützlichkeit der Wörter, die nach genauer Betrachtung nicht gering ist, werden wir, so Gott will, bei anderer Gelegenheit eine Untersuchung anstellen. Jetzt wollte ich nämlich nur darauf aufmerksam machen (admonui), daß wir den Wörtern keinen größeren Wert beimessen, als ihnen gebührt, damit wir nicht allein glauben, sondern auch anfangen einzusehen (intellegere), wie wahr das auf göttlicher Autorität beruhende Schriftwort ist, nach dem wir auf Erden keinen unseren Lehrer nennen sollen, weil der einzige Lehrer aller im Himmel ist" (Xiy 46).
Adeodatus bestätigt, daß Augustinus sein Ziel erreicht habe; er sei nämlich durch Augustine Rede angeregt worden (admonitione verborum), die richtige Funktion des Sprechens einzusehen und die Autorität der inneren Wahrheit anzuerkennen.
Der in der Literatur oft thematisierte Dialog De magistro hat ganz unterschiedliche Bewertungen erfahren. Wenige Beispiele seien herausgegriffen: E. Coseriu preist Augustinus einerseits als den dritten großen Sprachphilosophen der Antike, als größten Semiotiker der Antike, als eigentlichen Begründer dieser Forschungsrichtung (I, 1975: 123). Andererseits hält er Fragestellung und Schlußfolgerungen in De magistro für „völlig sophistisch, da sie [die Argumentation] von Paralogismen durchsetzt ist" (140). — U.Eco hebt hervor, daß Augustinus, fünfzehn Jahrhunderte vor de Saussure, „die Gattung Zeichen erkennt, zu der sprachliche Zeichen als Art gehören wie auch Insignien, Gesten, ostensive Zeichen" (1985: 58). K. Filsch kommt zu folgendem Ergebnis: „Der philosophische Ertrag dieser Bemühungen [vor allem in De dialéctica und De magistro] ist geringer, als einige neuere Anpreisungen der Sprachtheorie Augustine vermuten lassen" 26 .
Die unterschiedliche Einschätzung beruht auch auf der unterschiedlichen Gewichtung der in De magistro verhandelten Themen. So wird man im Blick auf die ,metasprachlichen' Erörterungen Augustine 26
Augustin. Einführung in sein Denken, Stuttgart 1980, 121.
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Subtilität und Scharfsinnigkeit der Beschreibung nicht leugnen können; die Ergebnisse sind in der Geschichte der Sprachbetrachtung durchaus originell und bringen so etwas wie eine Semiotik auf die Bahn. Im Blick auf das zentrale Anliegen des Dialogs jedoch setzt sich Augustine radikale Sprachkritik dem Einwand aus, daß sie die angemessene Einsicht in die Eigenart menschlichen Sprechens verstellt. Allerdings ist zu beachten, daß beides - die Zeichenanalyse und die These von der Ohnmacht der Wörter — bei Augustinus aufs engste zusammengehört. Nur wenn man diesen Zusammenhang beachtet, wird Augustine Bedeutung innerhalb einer Geschichte der Sprachphilosophie deutlich. Für das ursprüngliche (mythische) Bewußtsein bilden Wort und Sache eine unzertrennliche Einheit27. Zwar wird mit dem Beginn der philosophischen Reflexion (Heraklit, Parmenides) diese Einheit fragwürdig. Dennoch bleibt die griechische Philosophie von der Erfahrung einer ursprünglichen Nähe zwischen Denken und Sprechen einerseits (faßbar im Wort „lògos") und der Erfahrung eines engen Bezuges zwischen lògos und ón (Sein) andererseits bestimmt. Aristoteles und die Stoiker bereiten jedoch eine SprachaufFassung vor, in der die Wörter nurmehr als Zeichen bestimmt werden. Die eindeutige Entscheidung für diese Bestimmung des Wortes ist bei Augustinus gefallen28. Das verbum ist signum. Die Wortzeichen sind nicht von Natur, sondern durch Menschen gesetzt („nomen indiderunt"; DC, 25). Es ist dargelegt worden, daß die Wesensbestimmung der Sprache durch Aristoteles unter das Joch der Logik' kommt. Von dieser Intention wird letztlich auch die Sprachphilosophie der Stoa bestimmt (vgl. o. S. 124). Daß Augustinus hier fraglos der stoischen Tradition folgt, läßt sich durch De dialéctica hinreichend belegen und bleibt auch für De magistro maßgebend. — Ist das Wort als Zeichen zu verstehen, dann liegt es im Interesse der Logik, die Regeln des Zeichengebrauchs genau zu erfassen. Deshalb ist es kein Zufall, daß in diesem Umkreis der Unterschied zwischen Objekt- und Metasprache entdeckt' und ausführlich thematisiert wird 29 . Faßt man nämlich das Wort nur noch als Zeichen auf, dann wird die Tatsache, daß Wörter 27 28
29
Man vgl. etwa Steinthal I, 1890: 5; Cassirer I, 1953: 21 f.; Gadamer 1972: 383. Es kann nicht behauptet werden, daß Augustinus selbst diese Entscheidung fällt; eher scheint es die schon gängige Auffassung zu sein. Im Blick auf die strikte Entfaltung ihrer Konsequenzen kommt jedoch Augustinus eine besondere Rolle zu. Die erwähnte Untersuchung Tarskis ist in diesem Zusammenhang von exemplarischer Bedeutung.
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auch auf sich selbst (zurück-) verweisen können, zum erstaunlichen Phänomen. Weniger erstaunlich und auffällig ist dieser ,reflexive' Charakter, wenn Denken und Sprechen in einer ursprünglichen Nähe gesehen werden. Augustine Darlegungen in De magistro sind von dem Ziel geleitet, die menschliche Erkenntnis von ihrer Bindung an die Sprache zu befreien. Die Wahrheitskriterien für die beiden Quellen menschlicher Erkenntnis - sinnliche Wahrnehmung und inneres Licht — ermöglichen nach Augustinus einen unverstellten Zugang zu den Sachen. Das hat eine konsequente Abwertung der Sprache zur Voraussetzung. Am logisch-erkenntnistheoretischen Maßstab gemessen, erscheint die Sprache als mehrdeutiges Mittel der Kommunikation, das die Wahrheit eher verstellt als offenbart. Bestenfalls kann das Sprechen uns aufmerken lassen und dazu anregen, die Dinge unverstellt zu erkennen. Die am Ende des Dialogs (XIV, 46) in Aussicht gestellte Untersuchung über die Nützlichkeit der Wörter ist nur ein schwacher Trost und ändert nichts daran, daß Augustins Analyse des Wortes als signum in De magistro eine erhellende Kraft der Sprache leugnet und in radikaler Sprachkritik mündet. Die Problematik und Fragwürdigkeit dieses Sprachbegriffs läßt sich an verschiedenen Stellen des Dialogs ablesen 30 : 1. Ebenso wie in De dialéctica wird auch in De magistro das lebendige Sprechen (loqui) dem schriftlich fixierten Wort vorangestellt. Während jedoch De dialéctica betont, daß die Mehrdeutigkeit der einzelnen Wörter durch die ,verbundene Rede' in der Disputation überwunden wird, fehlt ein entsprechender Hinweis im Dialog mit Adeodatus. Der Grund ist offensichtlich: Das Ziel, die Funktion des Sprechens auf ein Minimum zu reduzieren (admonitio), läßt sich auf diese Weise einfacher erreichen. Trotz der seit Piaton und Aristoteles gewonnenen Einsichten in die Wichtigkeit des Satzganzen bleibt die Bestimmung der Sprache vornehmlich dem einzelnen Wort verhaftet. 30
Wesentliche Einwände sind bereits bei Duchrow (1965: 89-99) vermerkt. Er kommt für De magistro zu folgendem Resultat: „Aber trotz der scheinbaren Geschlossenheit seiner durch eine lange griechisch-römische Tradition vorbereiteten Sprachphilosophie gerät er in drei Punkten in Aporien, nämlich angesichts des Nichts, der Geschichte u n d in gewissem Sinne auch angesichts der Mitmenschen, sofern sie einen verhärteten Willen haben u n d auf die Vernunft nicht unmittelbar ansprechbar sind. Aber Augustin gibt diesen Anstößen nicht nach und verändert seine Theorie nicht" (99).
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2. Nach Augustinus bezeichnet das Wort „nichts" (nihil) diejenige Stimmung des Geistes, die sich einstellt, wenn er herausgefunden hat, daß etwas nicht vorhanden ist. Daß diese Erklärung unbefriedigend ist, wird im Dialog eigens eingeräumt, das Problem jedoch nicht weiter verfolgt. Der sich nahelegenden Konsequenz, daß nicht alle Wörter Zeichen seien 31 , weicht man auf diese Weise aus. 3. Am Beispiel der Erzählung von den drei Jünglingen im Feuerofen versucht Augustinus deutlich zu machen, daß wir schon über eine Kenntnis der bezeichneten Sachen verfügen müssen, um das Erzählte verstehen und das in der Vergangenheit Geschehene wenigstens glauben zu können. Richtig daran ist, daß uns die Bedeutung der Wörter — wenigstens weitgehend — geläufig sein muß, damit wir mit dem (mündlich oder schriftlich) Erzählten etwas anfangen können. Das ist jedoch im Blick auf das sprachlich Tradierte gar nicht der entscheidende Punkt. Entscheidend vielmehr ist, daß wir im Erzählzusammenhang etwas erfahren, das uns ohne Worte nicht bekannt wäre. Durch die Konzentration auf das singuläre Wort qua Zeichen wird unterschlagen, daß wir gerade in solchen Fällen durch die Sprache belehrt und erinnert werden. Der Erkenntnisbegriff Augustins erweist sich als zu eng. Unser historisches Wissen läßt sich doch nicht auf das nur subjektive Fürwahrhalten des Glaubens reduzieren. Wer würde ζ. B. behaupten, daß man bloß glauben könne, der Dreißigjährige Krieg habe einmal stattgefunden? Die Möglichkeit der Erkenntnis von Vergangenem kann auch nicht dadurch grundsätzlich widerlegt werden, daß das sprachlich Tradierte bisweilen lückenhaft ist und manches zweifelhaft bleibt. Zwar betont Augustinus — wie könnte er anders — die Nützlichkeit des Glaubens; die Fragwürdigkeit der Argumentation wird dadurch jedoch nicht beseitigt. 4. Augustinus bestreitet in De magistro nicht nur die Erkenntnismöglichkeit mit Hilfe der Sprache, er entwertet auch deren Kommunikationsfunktion: Der Sprecher weiß vielleicht nicht, was er zu wissen meint und ausspricht; außerdem können wir getäuscht und belogen werden. Diese Argumentation unterschlägt, daß das Scheitern der sprachlichen Kommunikation nur deshalb auffällt, weil es meistens gelingt (wenn auch nicht mit einer von der Logik erträumten Exaktheit). 5. Es ist bereits auf die Frage nach der Entsprechung von Augustins Begriff des dicibile mit dem stoischen lektón hingewiesen worden. In 31
„Quare secundum verbum in hoc versu non est signum ..." (II, 3).
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De magistro taucht die Gegenüberstellung von verbum (Wort als Klangkörper) und dicibile (Sagbares) allerdings nicht mehr auf. Der Dialog führt stattdessen die Unterscheidung von sonus (Klang) und significatio (Bedeutung) ein 32 . Dafür bieten sich folgende Erklärungsmöglichkeiten an: a) Man kann darin einen bloßen Wechsel in der Terminologie sehen, dem keine inhaltliche Differenz entspricht, b) Da sich weder in De dialéctica noch in De magistro ein Hinweis auf eine eigene, ontologisch schwer zu bestimmende Bedeutungssphäre findet, könnte man schließen, daß Augustinus sich von der problematischen lektónLehre der Stoa distanziert, c) Der Gesamtzusammenhang von De magistro macht es wahrscheinlich, daß der terminologische Wechsel vom dicibile zur significatio dem Ziel dient, die Bedeutung eindeutig den Sachen, seien sie sinnlich wahrnehmbar oder intelligibel, zuzuschreiben. Das Wort ist eben nur äußeres Zeichen, das keine eigene Bedeutung hat, sondern quasi nur die Funktion des Zeigefingers übernimmt. Das Wort erscheint als etwas bloß Willkürliches, das den Sachen gleichsam äußerlich bleibt und zur Erkenntnis nichts beiträgt. Bringt der in De magistro vehement vertretene Sprachskeptizismus den Theologen Augustinus, der die Offenbarung Gottes in Wort und Schrift anerkennen muß, in Schwierigkeiten? Dieser Frage kann anhand von De doctùna Christiana nachgegangen werden.
3. Das Wort in der christlichen Verkündigung: De doctrina Christiana33
Augustins Abhandlung über die christliche Lehre ist größtenteils (Buch I—III, 25) 396/397 entstanden (der Schluß von Buch III und Buch IV: 426/42 7)34. Dieses Werk gibt konkrete Anweisungen für 32
33
34
Nach Duchrow (1965: 63 Anm. 164) thematisiert Augustinus in De magistro gar nicht den stoischen Begriff des geistigen Wortinhalts (lektón), sondern identifiziert Bedeutung und Sache. Dagegen hat D. Pintaric mit Recht darauf hingewiesen, daß sich die significatio als drittes Sprachelement (neben verbum und res) in De magistro deutlich belegen lasse (Sprache und Trinität. Semantische Probleme in der Trinitätslehre des hl. Augustinus, Salzburg/München 1983, 26 f. Anm. 62). CCSL, X X X I I , Turnholti 1962; dt.: Vier Bücher über die christliche Lehre, übers, von S. Mitterer, München 1925 (Bibl. d. Kirchenväter Bd.XLIX). Zur Einheit des Werkes vgl. Duchrow 1965: 152 f (mit Literaturhinweisen).
3. Das Wort in der christlichen Verkündigung: De doctrina Christiana
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das Studium der Heiligen Schrift und ist wohl als Lehrbuch für den Verkünder (Prediger) der chrisdichen Lehre gedacht. Es ist klar, daß eine solche Abhandlung, die sich der Tradition von Dialektik und Rhetorik verpflichtet weiß, erneut Sprache und Schrift thematisieren muß. Die rigorose Sprachkritik in De magistro läßt sprachliche Überlieferung und Belehrung durch Worte zweifelhaft erscheinen. Ist dieser kritische Vorbehalt mit der Offenbarung durch das Wort und der auf Sprache angewiesenen Verkündigung der christlichen Lehre zu vereinbaren? - Dieses Problem kann man zuspitzen auf die Frage, ob Gott überhaupt benannt werden kann. Augustinus stellt sich diesem Problem in einer Zwischenüberlegung des ersten Buches (I, 6). Nach einer kurzen Charakterisierung des Wesens der götüichen Trinität fragt er, ob mit diesen Äußerungen überhaupt etwas gesagt sei, das Gottes würdig ist. Die Antwort lautet: nein. Denn indem er es ausgesprochen habe, fühle er sogleich, daß es nicht das sei, was er habe sagen wollen. Diese Diskrepanz zwischen Denken und Sprechen kann nicht vermieden werden, weil Gott unaussprechlich (ineffabilis) ist. Strenggenommen darf Gott nicht einmal „der Unaussprechliche" genannt werden, sofern damit schon etwas über Gott gesagt ist. Aber obwohl sich diese Antinomie (pugna verborum) nicht auflösen läßt, muß der Glaubende nicht verstummen. Da Gott nämlich die Artikulationsfáhigkeit der menschlichen Stimme (humanae vocis obsequium) zugelassen hat, hat er auch gewollt, daß wir uns an unseren Worten zu seinem Lob erfreuen. Zwar können wir durch den Klang des Namens nicht das göttliche Wesen in seiner Wahrheit erkennen; wohl aber regt uns das gehörte und verstandene Wort dazu an, das höchste und unsterbliche Wesen zu denken. Diese Überlegung stimmt in folgender Hinsicht mit De magistro überein: Das Wort trägt zur Erkenntnis der Wahrheit nichts bei, sondern gibt nur einen Anstoß (admonitio), die Sache selbst im inneren Licht des Denkens (oder in der Wahrnehmung) zu erfassen. Um so mehr fällt auf, daß De doctrina Christiana die Sprache nicht mehr radikal abwertet, sondern — geradezu umgekehrt — ihren besonderen Wert für den Menschen heraushebt. Das bezeugt vor allem die Vorrede: Augustinus polemisiert hier gegen Kritiker, die behaupten, sie bedürften zum Verständnis der Heiligen Schrift nicht solcher Anweisungen, wie sie in De doctrina Christiana vorgetragen werden. Solche Kritiker scheinen nach Augustinus vergessen zu haben, daß sie selbst durch gesprochene oder geschriebene Wörter belehrt worden sind
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VI. Augustinus
(prooemium, 4). Vor allem jedoch - so versucht Augustinus an verschiedenen Schriftstellen zu belegen - darf nicht übersehen werden, daß Gott sich meist nicht direkt oder durch Engel, sondern durch andere Menschen den Menschen offenbart. Gott hätte die menschliche Würde (humana conditio; prooemium, 6) herabgesetzt, wenn er die Menschen nicht mit der Vermittlung seiner Offenbarung beauftragt hätte. Aber noch mehr: Menschliche Belehrung durch Sprache ist notwendig, weil sonst die Liebe (caritas), in der die Menschen miteinander verbunden sein sollen, nicht verwirklicht werden könnte. Freilich wird diese Hochschätzung des menschlichen Wortes in der (spät verfaßten) Vorrede zu De doctrina Christiana dadurch eingeschränkt, daß sie im Blick auf die göttliche Offenbarung und die christliche Unterweisung erfolgt. Aber Augustinus scheint die Sprache insgesamt aufzuwerten, wenn er sogleich am Beginn des ersten Buchs die belehrende Funktion der Zeichen anerkennt: ,Jede Lehre behandelt entweder Sachen oder Zeichen; die Sachen aber werden durch Zeichen erlernt"35.
Diese Unterscheidung zwischen Sache (res) und Zeichen (signum), die zugleich die Disposition der Abhandlung anzeigt, wird folgendermaßen erläutert: Sache im eigentlichen Sinne ist dasjenige, was nicht zur Bezeichnung von etwas anderem verwendet wird. Zwar gibt es auch — zumal im Zusammenhang biblischer Erzählungen — Sachen, die zusätzlich als Zeichen auf anderes verweisen; aber das sind keine reinen Zeichen. Denn die Reichen im eigentlichen Sinne dienen ausschließlich der Bezeichnung von anderem. Zu diesen Zeichen gehören die Wörter. In einem weiten Sinn sind auch die Zeichen Sachen; denn was nicht eine Sache (ein Etwas) ist, das ist überhaupt nichts. Also gilt: Jedes Zeichen ist auch irgendeine Sache; aber nicht jede Sache ist auch ein Zeichen. Gemäß dieser Einteilung handelt das erste Buch von den Sachen (im Sinne der Heilsgüter). Buch II und III sind den Zeichen gewidmet. Das erste Kapitel des zweiten Buchs greift die Einteilung von I, 2 auf und gibt zunächst folgende Definition von „Zeichen": „Das Zeichen ist eine Sache, die außer der Art, wie sie sich den Sinnen darbietet, noch etwas anderes aus sich in das Denken gelangen läßt" (II, 1).
35
„Omnis doctrina vel rerum est vel signorum, sed res per signa discuntur" (I, 2). Es sei daran erinnert, daß wir nach De magistro letztlich durch Zeichen überhaupt nicht belehrt werden.
3. Das Wort in der christlichen Verkündigung: De doctrina Christiana
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Die so verstandenen Zeichen lassen sich in natürliche und gegebene Zeichen einteilen (signa naturalia - s. data; II, 2) 36 . Die natürlichen Zeichen lassen ohne Absicht (sine volúntate) noch etwas anderes als sie selbst erkennen; so verweist z. B. der Rauch auf das Feuer, die Spur auf ein bestimmtes Tier, der Gesichtsausdruck auf eine Gemütsstimmung etc. — Die gegebenen Reichen werden von den Lebewesen benutzt, u m ihre Gemütsbewegungen, ihre sinnlichen und geistigen Erkenntnisse anzuzeigen. Der einzige Grund solcher Zeichengebung liegt darin, einem anderen (,Zeichenempfänger') etwas mitzuteilen, das sonst im Inneren der Seele verschlossen bliebe. Uber einige dieser Zeichen verfügen auch die Tiere, die damit ihren Artgenossen etwas Bestimmtes signalisieren (Gefahr, Nahrung, Paarungsbereitschaft etc.). O b diese tierischen Verlautbarungen ohne willentliche Absicht erfolgen (wie etwa auch der Schmerzschrei des Menschen), kann im Zusammenhang der anstehenden Untersuchung offenbleiben. Die meisten Zeichen, mit denen sich die Menschen verständigen, sind sichtbare oder hörbare Zeichen. Zu den sichtbaren Zeichen gehören Mimik und Gestik, aber auch Feldzeichen (z. B. Fahnen). Die Mehrzahl der Zeichen jedoch richtet sich auf den Gehörsinn, wobei die Wörter wiederum die erste Stelle einnehmen. Denn mit den Wörtern kann alles mitgeteilt werden, was der Geist begriffen hat. Der Vorrang des Wortes läßt sich nach Augustinus so begründen: „Alle jene Zeichen nämlich, deren Arten ich kurz erwähnt habe, hätte ich auch mit Worten ausdrücken können; die Worte könnte ich jedoch mit jenen Zeichen keineswegs ausdrücken" (II, 4). Deshalb ist es gerechtfertigt zu sagen, daß die sichtbaren Zeichen gleichsam sichtbar gewordene Wörter sind. Da das gesprochene Wort flüchtig ist, hat m a n Buchstaben als Zeichen für die Wortzeichen eingeführt; das Geschriebene ist somit nur Sprache in einem vermittelten Sinne. „Diese Zeichen konnten nicht allen Völkern gemeinsam sein, weil sich das Menschengeschlecht bei der einem jeden innewohnenden Sucht nach Erlangung der Herrschaft aus eigener Schuld getrennt hat" (I, 5). Aber nicht nur die Schriftzeichen sind unterschiedlich, sondern auch die Sprachen der Völker. Die Geschichte des Turmbaus von Babel belegt, daß diese Verschiedenheit der Sprachen durch menschlichen Hochmut verschuldet ist. So ist es nach Augustinus zu erklären, daß die göttlichen Schriften (Bibel) zwar auf eine einzige (Ur-)Sprache zu36
Das entspricht der sonst üblichen Unterscheidung zwischen natürlichen und künstlichen Zeichen.
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VI. Augustinus
rückgehen, faktisch aber nur in verschiedenen Übersetzungen den Völkern bekanntgemacht werden können. Wie es aber auch um eine solche Ursprache bestellt sein mag, für die Sprachen insgesamt gilt: Sie haben ihre Bezeichnungskraft nicht von Natur aus, sondern weil man in einem Beschluß darin übereingekommen ist („... non natura, sed placito et consensione significandi ..."; II, 37). Weil diese Übereinkünfte' bei den Menschen verschieden sind, gibt es verschiedene Sprachen. Zwar streben die Menschen danach, Zeichen zu finden, die den bezeichneten Sachen ähnlich sind. Da es aber vielfältige Ähnlichkeiten gibt, haben derartige Zeichen bei den Menschen keinen Bestand, wenn man sich nicht eigens darüber einigt. Die Sprache ist — ebenso wie die Schrift - menschlichen Ursprungs. „Denn alles, was unter den Menschen deshalb gilt, weil man beschlossen hat, daß es gelten soll, gehört zu den menschlichen Einrichtungen (instituía hominum)" (II, 38). Einige der menschlichen Einrichtungen sind überflüssig und entbehrlich, einige sind zweckmäßig und notwendig. Zu den zweckmäßigen Einrichtungen gehören zweifellos Sprache und Schrift, weil ohne sie die menschliche Gemeinschaft entweder überhaupt nicht oder doch weniger günstig gedeihen könnte. Diese allgemeinen Überlegungen zur Funktion der Sprache dienen in De doctrina Christiana der Vorbereitung für die Erörterung der spezifischen Probleme bei der Auslegung der Heiligen Schrift. Der Fortgang der Untersuchung sei kurz angezeigt: Die Dunkelheit (obscuritas) der Heiligen Schrift - von Gott gewollt, um den menschlichen Hochmut durch Arbeit zu zügeln — beruht vornehmlich auf unbekannten und zweideutigen Zeichen (signa ignota - s. ambigua). Diese Zeichen werden entweder im eigentlichen oder im übertragenen Sinn gebraucht (signa propria — s. translata; II, 15). Gegen die Unkenntnis eigentlicher Zeichen helfen vor allem Sprachenkenntnisse; denn nicht alle Ausdrücke der einen Sprache sind ohne Sinnverschiebung in eine andere übersetzbar (II, 16). Die Unkenntnis uneigentlicher (bildlicher) Ausdrücke beruht auf mangelnder Sachkenntnis (II, 24). Man muß z. B. die Natur von Tieren, Steinen, Pflanzen etc. kennen, um entsprechende Gleichnisse in den Schriften richtig verstehen zu können. Neben anderen ,heidnischen' Wissenschaften kann auch die Dialektik (disciplina disputationis) dazu beitragen, Probleme der Offenbarungstexte zu lösen (II, 48).
3. Das Wort in der christlichen Verkündigung: De doctrina Christiana
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Das dritte Buch behandelt die Zweideutigkeit der Zeichen. Die Zweideutigkeit agentlicher Ausdrücke wird relativ kurz behandelt, da sie sich durch Glaubensvorschriften, durch den Gesamtzusammenhang, durch den Urtext oder durch verschiedene Übersetzungen meistens leicht beseitigen läßt. Ausführlich geht Augustinus auf die Zweideutigkeit uneigentlicher Redeweise ein (III, 9 ff.). Für die Unterscheidung zwischen eigentlicher und übertragener Bedeutung der Bibeltexte gibt er folgende Regel: „Alles, was in der göttlichen Lehre weder auf die Ehrbarkeit der Sitten noch auf die Wahrheit des Glaubens in eigentlicher Weise bezogen werden kann, sollst du für figürlich halten" (III, 14). Erst die christliche Freiheit befreie von der Knechtschaft der Zeichen und decke in der allegorischen Deutung die hinter den Zeichen liegende Wahrheit auf. — Das abschließende vierte Buch bildet den zweiten Teil der gesamten Abhandlung. Während der erste Teil der Auffindung des zu Verstehenden gilt (modus inveniendi), ist der zweite Teil Problemen der Darstellung gewidmet (modus proferendi; I, 1; Ι\ζ 1). Dabei werden vor allem auch Fragen der Rhetorik behandelt.
Nach der Sprachkritik in De magistro überraschen zweifellos die positiven Kennzeichnungen der Sprache in De doctrina Christiana. Hier scheint Augustinus das Versprechen aus De magistro einzulösen, „die ganze Nützlichkeit der Wörter, die nach genauer Betrachtung nicht gering ist" (XIV, 46), darzulegen. Hat sich mit De doctrina Christiana Augustine Bestimmung und Einschätzung der Sprache grundlegend gewandelt? Entscheidend für Augustins Verständnis der Sprache ist die Bestimmung des Wortes als Zeichen. Das ist der nicht zur Disposition stehende Ausgangspunkt für die Spracherörterungen seit De dialéctica. Das Eigentümliche des Zeichens besteht darin, daß es — obwohl sinnlich wahrnehmbar und in diesem Sinne zu den Sachen gehörig — auf anderes verweist, etwas bezeichnet, Bedeutung hat. Auf dieser gemeinsamen Grundlage werden in den drei behandelten Schriften unterschiedliche Akzente gesetzt: De dialéctica entfaltet die Wort- und Zeichenlehre, indem stoisches Lehrgut aufgenommen und weitergeführt wird. Mit Hilfe zahlreicher Differenzierungen versucht Augustinus, das Besondere des Wortzeichens und seine Funktion innerhalb der verbundenen Rede umfassend zu analysieren. In der Bewertung der Sprache hält er sich weitgehend zurück: Zwar kann sich die Kraft der Worte der Suche nach der Wahrheit in den Weg stellen;
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VI. Augustinus
die Mehrdeutigkeit des isolierten Wortes wird jedoch durch das verbundene' Reden in der Disputation entwirrt. — Die Erörterung der Zeichen in De magistro legt das Hauptgewicht auf die Unterscheidung verschiedener Sprachebenen (Objekt-, Metasprache) und weist eine positive Funktion für die Erkenntnis zurück. Die Sprache wird abgewertet und erscheint — weil wir nicht auf sie verzichten können — als notwendiges Übel. - Die Zeichentheorie, wie sie in De doctrina Christiana vorgetragen wird, markiert vor allem die Unterscheidung zwischen natürlichen und gegebenen Zeichen; bei der Behandlung der Wortzeichen ist die Abhebung der eigentlichen von den uneigentlichen (figürlichen) Zeichen vorrangig. Insgesamt ist Augustinus in De doctrina Christiana daran gelegen, den belehrenden Charakter des Wortes im Rahmen der christlichen Lehre und die Unverzichtbarkeit der menschlichen Sprache für das Verständnis der götdichen OfFenbarung darzutun. So unterschiedlich die Intention Augustins in diesen drei Schriften auch sein mag — die ihnen jeweils vorangestellten Teile seiner Zeichentheorie sind durchaus miteinander kompatibel. Die Grundmomente dieser Theorie werden auch in allen drei Abhandlungen vorgetragen: die Gegenüberstellung von Zeichen und Sache, die Verweisungsfunktion der Zeichen, die Unterscheidung zwischen Klang und Bedeutung des Wortes, der Vorrang der gesprochenen vor der geschriebenen Sprache ... Es gibt Unterschiede in der Begrifflichkeit, die aber denselben Sachverhalt meinen, z. B. die Unterscheidung zwischen sonus (bzw. verbum i. e. S.) und dicibile in De dialéctica und zwischen sonus und significatio in De magistro. — Wenn Augustins Zeichentheorie jedoch derart homogen ist 37 , wie erklärt sich dann die unterschiedliche, ja scheinbar gegensätzliche Einschätz u n g d e r S p r a c h e i n De magistro
u n d De doctrina
Christiana?
Bei genauerer Betrachtung wird deudich, daß die Unterschiede so gravierend nicht sind 38 . Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß Augustins Darlegungen über die Problematik des Namens für das höchste Wesen durchaus mit der in De magistro geäußerten Sprachansicht übereinstimmen. Das Sprechen bleibt hinter dem Denken und den menschlichen Erkenntnismöglichkeiten zurück. 37 38
M a n vgl. die Hinweise bei Ruef 1981: 83 f. (mit weiteren Literaturangaben). Zu diesem Resultat kommen z. B. auch Duchrow 1965: 159 und A. Schindler, Wort und Analogie in Augustins Trinitätslehre, Tübingen 1965, 81 ff. Zu widersprechen ist jedoch der These Schindlers, daß De magistro das Wort weitgehend als äußeren Klang behandle, während in De doctrina Christiana die ,inhaltliche Füllung' der Zeichen fast immer mitgemeint sei.
4. Das Wort Gottes: De trinitate
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Deshalb ist es durchaus folgerichtig, daß die Sachen unabhängig von den Zeichen thematisiert werden (De doctrina Christiana, I). Augustinus scheut sich nicht, die — dem eigenen Prolog widersprechende — Konsequenz auszusprechen: „Daher braucht ein Mensch, der sich auf Glaube, Hoffnung und Liebe stützt und unerschütterlich daran festhält, die Heiligen Schriften nicht - außer zur Belehrung anderer" (I, 43). Schließlich steht auch die Erörterung der Wörter (vornehmlich der mit übertragener Bedeutung) unter dem kritischen Leitsatz: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig" (2. Kor. 3, 6; III, 9). Es verrate eine jämmerliche Geistesknechtschaft, die Zeichen für Sachen zu halten. „Und nichts anderes kann man treffender einen Seelentod nennen, als wenn man das, was den Menschen vor den Tieren auszeichnet, nämlich die Vernunft (intelligentia), durch einen Buchstabendienst dem Fleisch unterwirft" (III, 9). Somit ist festzuhalten: Die für Augustinus nicht in Zweifel zu ziehende Offenbarung Gottes und die Notwendigkeit der Glaubensverkündigung führen in De doctrina Christiana zwar dazu, daß die Wörter teilweise positiver eingeschätzt werden. Die Wesensbestimmung der Sprache aber wird davon nicht getroffen. Auch der Augustinus der doctrina Christiana bleibt Sprachskeptiker. Der christliche Glaube birgt jedoch einen weit spitzeren Stachel für Augustins Einschätzung von Wort und Sprache als die Problematik der Verkündigung christlicher Lehren. Denn der Prolog des Johannes-Evangeliums setzt bekanntlich Gott und Wort (deus und verbum) gleich 39 . Führt die Bestimmung des Wortes innerhalb der Trinitätslehre, der der christliche Theologe nicht ausweichen kann, zu einer Revision der Sprachauffassung?
4. Das Wort Gottes: De trinitate40 De trinitate ist wahrscheinlich in den Jahren 399—419 entstanden; die endgültige Redaktion erfolgte vielleicht noch einige Jahre spä39
40
„En archê ên ho lògos, kai ho lògos ên pròs tòn theón, kai theós ên ho lògos. In principio erat Verbum, et Verbum erat apud Deum, et Deus erat Verbum. Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort" (Joh. 1,1). - Uber die zunächst schwankende lateinische Ubersetzung für lògos informiert Schindler 1965: 115-118. CCSL, L-L a , Turnholti 1968; Bibliothèque Augustinienne 15-16, Paris 1955; dt.: Fünfzehn Bücher über die Dreieinigkeit, übers, von M. Schmaus, 2 Bde. München 1935/36 (Bibl. d. Kirchenväter, 2. Reihe, Bde. XIII, XIV).
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VI. Augustinus
ter 41 . Dieser lange Entstehungszeitraum ist sicher für kompositorische Schwächen des Werks mitverantwortlich. - Mag sich Augustine Darstellung der Trinität ursprünglich auch nur an einen engen Freundeskreis wenden (Schindler 1965: 6), das theologisch-philosophische Gewicht dieser Abhandlung kann kaum überschätzt werden. Denn: „Über die Trinität nachdenken, das hieß im 4. und 5.Jahrhundert, den spezifisch christlichen Begriff von Gott suchen. Es hieß näher anzugeben, ob Gott das unbestimmte plotinische Eine oder der sich denkende nus oder beides zusammen war. Es hieß sagen, was das oberste Wesen, die summa essentia, mit Liebe zu tun hatte. Es hieß erklären, wieso Jesus Gott oder gottähnlich und gleichzeitig ein Mensch war. Man mußte erklären, wieso Gott versöhnt werden konnte durch ein Opfer, das ihm Jesus, also Gott, darbrachte, wobei dieser Jesus zugleich selbst dieses Opfer war" (Flasch 1980: 331).
Die Erklärung der Trinitätslehre steht angesichts der z.T. unterschiedlichen Überlieferung in den kanonischen Texten vor erheblichen Schwierigkeiten, die jedoch noch übertroifen werden von einer Aporie, der sich das Denken, das dem Trinitätsglauben verpflichtet ist, ausgesetzt sieht 42 : Nach der für Antike und Mittelalter maßgebenden Ontologie des Aristoteles ist das Sein Substanz (ousia) oder Akzidenz (symbebekós). Während die Akzidenzien (Eigenschaften) nur Bestand gewinnen, indem sie in einer Substanz als ihrem Zugrundeliegenden sind, ist die Substanz als das Zugrundeliegende selbst nicht in einem anderen Zugrundeliegenden. Sein im höchsten und eigentlichen Sinne ist somit Substanz. Sind nun die drei göttlichen Personen je für sich Substanzen, d. h. seiend im strengen Sinne, dann sind sie selbständige Wesen. Das ist mit einem Monotheismus nicht zu vereinbaren. Versucht man hingegen, dem ,Polytheismus' dadurch zu entgehen, daß man der zweiten und dritten Person (Sohn und Geist) nur ein eigenschaftliches Sein zuspricht, dann gerät man in Widerspruch zu der Aussage des Konzils von Nizäa (325), daß Sohn und Geist dem Vater wesensgleich (consubstantialis) seien. De tnnitate ist der Versuch Augustine, dem Denken aus dieser Aporie doch noch einen Weg zu bahnen. Im ersten Teil (Bücher I—IV) geht es Augustinus in erster Linie darum, Trinitäts- und Inkarnationsdogma mit den Aussagen des 41
42
Die wesendichen Anhaltspunkte für die Datierung sind bei Schindler (1965: 7—10) zusammengestellt. Ausführlichere Hinweise zur philosophischen Bedeutung des Trinitätsdogmas gibt Flasch 1980: 333-335; 453 Anm. 10.
4. Das Wort Gottes:
De frinitale
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Alten und Neuen Testaments in Einklang zu bringen. Der zweite Teil (Bücher V—VII) unternimmt es, die Trinitätslehre begrifflich zu klären. Die zentrale positive Bestimmung legt fest: Gott ist Substanz bzw. Wesen; er ist frei von allen Akzidenzien, weil diese sich auf die Dinge in ihrer Veränderlichkeit beziehen 43 . Da diese Ausführungen aber letztlich doch dem menschlichen Begreifen fremd bleiben, werden im dritten Teil (Bücher VIII-XV) Analogien zwischen der Trinität und dem uns vertrauten Bereich des Seienden aufgespürt. Wenn das Seiende ens creatum ist, dann wird es auch die Trinität Gottes abbilden und widerspiegeln. Die deutlichsten Analogien werden sich jedoch beim Menschen finden lassen, sofern er das Ebenbild Gottes ist. Im achten Buch weist Augustinus auf eine erste Entsprechung hin: die Einheit von Liebendem und Geliebten in der Liebe. „Die Liebe aber ist die eines Liebenden, und durch die Liebe wird etwas geliebt. Siehe, da sind drei: der Liebende, das Geliebte und die Liebe (amans et quod amatur et amor)" (VIII, 10, 14). Das gilt auch für die körperliche Liebe; reiner jedoch ist diese Einheit, wenn das Fleischliche überstiegen wird und die Liebe sich auf die Seele des anderen richtet. Überhaupt zeigt sich die Ebenbildlichkeit Gottes am deutlichsten, wenn man auf das Wesen des Menschen sieht, also auf den Geist (mens). Somit ist der Blick auf das Innere zu wenden und von äußeren Bezügen ganz abzusehen. Deshalb wird im neunten Buch gefragt: Wie steht es mit der Selbstliebe des menschlichen Geistes? Läßt sich auch hierfür eine dreigliedrige Relation feststellen? — Der im achten Buch festgestellte Bezug (Liebender, Geliebtes, Liebe) reduziert sich zwar bei der Selbstliebe auf zwei Glieder, sofern Liebender und Geliebtes dasselbe sind. Dennoch eröffnet sich auch hier eine Dreiheit: „Der Geist kann sich nämlich selbst nicht lieben, wenn er sich nicht auch erkennt" (IX, 3, 3). Damit sind drei Elemente gefunden: Geist, Selbsterkenntnis und Selbstliebe („mens et amor et notitia eius"; IX, 4, 4). Augustinus versucht nun zunächst zu zeigen, daß jedes dieser drei Elemente Substanz ist, obwohl sie nicht voneinander zu trennen sind und ein Wesen konstituieren 44 . Diese drei Momente ruhen jeweils in 43
· Problematisch ist die Festlegung vor allem im Blick auf die Kategorie der Relation. In verschlungenen Gedankengängen versucht Augustinus darzulegen, daß die Relationen in Gott nicht zu den (veränderlichen) Akzidenzien gehören. 44 Anders gesprochen: Es geht um den Nachweis eines In-Seins, das nicht akzidentell, sondern substantiell ist. Die Kategorien der Substanz und der Relation rücken
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VI. Augustinus
sich, sofern sie auf sich selbst bezogen sind: Der Geist wendet sich auf sich selbst zurück; die Kenntnis kennt sich selbst; die Liebe wird durch nichts anderes als durch sich selbst geliebt. Zugleich sind sie aufs innigste miteinander verbunden; das eine Moment ist jeweils in den beiden anderen ganz vorhanden. „... der Geist liebt sich ganz und erkennt sich ganz und erkennt seine Liebe ganz und liebt seine Erkenntnis ganz, wenn diese drei nur in sich selbst vollkommen sind" (IX, 5, 8)«. In einem zweiten Schritt stellt Augustinus den Bezug dieser Dreiheit zum inneren Wort her und bereitet damit die entscheidenden Analogien des letzten Buchs vor: Wenn der menschliche Geist sich selbst erkennt und liebt, dann ist er auf etwas Wandelbares gerichtet. Gleichsam über sich jedoch erblickt er die wahrhafte Form seiner selbst und der Dinge. Dazu gelangen wir nicht auf dem vergleichenden Wege der Abstraktion, sondern durch eine Schau im inneren Licht der Wahrheit (IX, 6, 9). Diese Erkenntnis der unwandelbaren Wahrheit ist die Zeugung des inneren Wortes. „In jener ewigen Wahrheit, aus der alles Zeitliche geschaffen wurde, sehen wir in geistiger Schau die Form, nach der wir sind und nach der wir in uns oder in den Körpern aus wahrer und richtiger Überlegung etwas tun. Und die von dort empfangene wahre Erkenntnis der Dinge haben wir wie ein Wort bei uns und sprechen sie in einer inneren Zeugung aus, ohne daß das Wort sich durch diese Geburt von uns trennt. Wenn wir aber zu anderen sprechen, dann gewähren wir dem innerlich bleibenden Wort den Dienst der Stimme oder eines anderen körperlichen Zeichens, damit durch einen solchen sinnlich wahrnehmbaren Hinweis dasjenige im Geist des Hörenden entsteht, was aus dem Geist des Sprechenden nicht entweicht" (IX, 7, 12).
Allem, was wir durch Worte oder Taten bewirken wollen, geht somit das innere Wort voraus. „Niemand nämlich tut willendich etwas, was er nicht vorher in seinem Herzen gesagt hätte" (ebd.). Von „Zeugung" und „Geburt" des Wortes zu sprechen, ist vor allem deshalb angemessen, weil das Wort mit dem Geist in Liebe geeint ist. Das Wort nämlich wird dann geboren, wenn uns das Gedachte gefällt. „Die Liebe gleichsam als das Mittlere eint also unser Wort und unse-
45
damit in eine Nähe, die Aristoteles als (aporetische) Möglichkeit bereits sieht [Kategorien 8 a 13 ff.). Die drei Elemente sind nur dann gleich und vollkommen, wenn der menschliche Geist sich an das hält, was ihm zukommt; d. h. er darf sich weder lieben und erkennen wie einen Körper noch wie er Gott zu erkennen und zu lieben hat (IX, 4, 4).
4. Das Wort Gottes: De trinitak
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ren Geist, von dem es gezeugt wird; und sie verbindet sich mit ihnen als Drittes in unkörperlicher Umarmung ohne jegliche Vermischung" (IX, 8, 13). Diese Überlegungen legen die Frage nahe, ob jede Erkenntnis Wort ist oder nur die geliebte Erkenntnis (IX, 10, 15). Augustinus beantwortet diese Frage, indem er einen dreifachen Sinn von „verbum" unterscheidet: 1. Wörter sind diejenigen Lautverbindungen, die (mit ihren Silben) einen bestimmten Zeitraum einnehmen; diese Wörter können ausgesprochen oder bloß vorgestellt werden. Das ist die uns vertraute Bedeutung, sofern wir uns im äußeren oder inneren Sprechen der Wörter bedienen. 2. „Wort" heißt jede Erkenntnis, die unserer Seele eingeprägt ist und aus dem Gedächtnis wieder hervorgeholt werden kann. Diese Wörter können auch dann aktualisiert werden, wenn uns die erkannte Sache mißfällt. 3. „Wort" wird schließlich dasjenige Wissen genannt, das dem Geist gefällt. Das kann sich auch auf etwas beziehen, das wir mißbilligen, wenn uns nämlich diese Mißbilligung, die sich an wahren und angemessenen Maßstäben orientiert, gefällt. - Das innere Wort ist Wort in dieser dritten Bedeutung. Nur für das innere Wort gilt: „Das Wort ist [...] eine mit Liebe verbundene Erkenntnis (cum amore notitia). Wenn sich daher der Geist erkennt und liebt, dann wird mit ihm sein Wort durch die Liebe vereint. Und da er seine Erkenntnis liebt und seine Liebe erkennt, ist sowohl das Wort in der Liebe als auch die Liebe im Wort, und beide sind im Liebenden und Sprechenden" (IX, 10, 15).
Mit diesen Überlegungen im neunten Buch ist bereits eine große Annäherung an die Seinsstruktur der Trinität erreicht: „Und so besteht nun in gewisser Weise ein Bild der Dreieinigkeit, nämlich der Geist, seine Erkenntnis, die sein Sprößling und sein Wort von ihm selbst ist, und die Liebe als Drittes; und diese drei sind eins und eine Substanz" (IX, 12, 18). Dennoch wird dieses Abbild der Trinität noch überboten durch die Dreiheit von Gedächtnis, Einsicht und Wille (memoria, intelligentia, voluntas), die Augustinus im zehnten Buch aufstellt. Diese drei Momente gehören zu dem, dessen sich der menschliche Geist unbezweifelbar gewiß ist 46 . (An ihnen wird auch die Begabung der Kinder gemessen.) 46
Man beachte auch die ,cartesianische' Zurückweisung des Zweifels im Blick auf die Seinsgewißheit des Geistes: X, 10, 14.
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VI. Augustinus
In dieser Trias ist der Begriff des Gedächtnisses (memoria) von besonderer Bedeutung 47 . Gemeinhin verstehen wir unter Gedächtnis das Vermögen, etwas nicht Gegenwärtiges geistig zu vergegenwärtigen; das Erinnerte bezieht sich auf Vergangenes, das einmal gegenwärtig war und von uns erfaßt wurde (vgl. XIV, 11, 14). Sofern sich das so verstandene Gedächtnis auf die Vergegenwärtigung der Dinge außer uns bezieht, kann man vom „äußeren Gedächtnis" sprechen. Hier zeigt sich bereits mit den Momenten memoria, interna visio, voluntas (Gedächtnis, innere Schau, Wille) eine triadische Struktur: Der Wille lenkt die Sehkraft der Seele auf das in ihr aufbewahrte Bild, so daß eine innere Schau entstehen kann (XI, 3, 6; XV, 3, 5). Zwar liegt hier keine Substanzverschiedenheit vor; aber diese Dreiheit bleibt dennoch unbefriedigend, weil sie an die sinnlich wahrnehmbare Körperwelt gebunden bleibt. Ursprünglicher und von höherem Rang als das äußere Gedächtnis ist das innere Gedächtnis (memoria interior; XIV, 7, IO)48. Die memoria interior vergegenwärtigt nicht ein Vergangenes; sie richtet sich auf etwas Gegenwärtiges, nämlich auf die Gegenwart des sich selbst erkennenden Geistes. Die Selbstgegenwart ist im folgenden Sinne memoria 4 9 : Der Geist ist vor aller bewußten Selbsterkenntnis bereits da. Indem der Geist sich ausdrücklich selbst denkt, denkt er sich als das Selbst, das er schon war und in der Selbstzuwendung bewußt ist. Insofern ist auch die memoria interior ein Er-innern, ein An- und Gedenken; sie ist das, wodurch und in dem der Geist sich selbst gegenwärtig ist. 47
48
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Die zentrale Bedeutung der memoria für Augustine Analyse der Zeitlichkeit stellt F. Kümmel heraus: Über den Begriff der Zeit, Tübingen 1962, 2 3 - 2 9 . - Die Bedeutung der Trias für die Beschreibung des Erkenntnisprozesses wird von U. Wienbruch kritisch beleuchtet: „Signum", „significatio" und „illuminatio" bei Augustin, in: A. Zimmermann (Hg.), Der Begriff der repraesentatio im Mittelalter, Berlin/New York 1971, 76-93. Augustinus geht es um das, was man als Reflexionsstruktur des menschlichen Geistes bezeichnen kann. Aufschlußreiche Hinweise zu diesem Problemzusammenhang finden sich bei: R. Berlinger, Augustins dialogische Metaphysik, Frankfurt/M. 1962, 171 ff.; A. Schöpf, Wahrheit und Wissen. Die Begründung der Erkenntnis bei Augustin, München 1965, 147 ff.; Flasch 1980: 345 ff. Zur Bestätigung, daß sich die Erinnerung auf Gegenwärtiges beziehen kann, verweist Augustinus auf Vergil (Aeneis III, V 628 f.). Dort heißt es, daß sich Odysseus in der Gefahr nicht selbst vergaß; er erinnerte sich somit seiner selbst. Augustinus versäumt jedoch nicht, vor einer zu hohen Einschätzung der Dichtung zu warnen: Ihr sei mehr an der Reinheit der Wörter als an der Wahrheit der Sachen gelegen (XIV 11, 14).
4. Das Wort Gottes: De trinitate
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In diesem andenkenden Sich-auf-sich-Zurückwenden wird die Dreiheit von memoria, intelligentia und voluntas greifbar: Die Selbstgegenwart des Geistes auf der Grundlage des Gedächtnisses (memoria interior) ermöglicht die Selbsterkenntnis (intelligentia interior), und zwar so, daß die Selbstgegenwart und die einzelnen Erkenntnisakte durch den Willen (voluntas interior) bejaht und derart miteinander verbunden werden. Die willentliche Bejahung, das Sich-Wollen, ist nichts anderes als die Liebe00. Deshalb kann man sagen: Das wesentliche Sein des Menschen besteht darin, daß er - sobald und solange er existiert — niemals aufhören wird, sich seiner selbst zu erinnern, sich in geistiger Erkenntnis zu schauen und sich zu lieben (XIY 10, 13). Dabei ist für die Trinitätsproblematik entscheidend: Der Mensch kann sich seiner nur erinnern, sich nur schauen und lieben, weil er Gedächtnis, Selbstschau und Liebe ist (vgl. Berlinger 1962: 179). Es handelt sich nicht um bloße Eigenschaften, sondern um Wesensmomente, die erst in ihrer Einheit und gegenseitigen Durchdringung das Wesen des menschlichen Geistes (mens) konstituieren. Das menschliche Selbst- und Innesein ist somit der lebendige Vollzug dieser drei Momente und als solcher die ermöglichende Grundlage für konkrete Erkenntnisse und Handlungen. Memoria, intelligentia und voluntas (amor) stehen zueinander in substantieller (und nicht in akzidenteller) Relation. In den Worten Augustine: „Diese dm sind daher dadurch eins, daß sie ein Leben, ein Geist, ein Wesen sind; und was immer man sonst noch von jedem einzelnen sagt, gilt auch zugleich von den anderen - nicht in der Mehrzahl, sondern in der Einzahl. Wahrhaft drei sind sie dadurch, daß sie wechselweise aufeinander bezogen sind. Wenn sie nicht gleich wären, nicht nur jedes einzelne jedem einzelnen, sondern auch jedes einzelne ihrer Gesamtheit, so würden sie sich durchaus nicht wechselweise erfassen. Denn es wird ja nicht nur jedes einzelne von jedem einzelnen, sondern auch ihre Gesamtheit von jedem einzelnen erfaßt. Ich erinnere mich nämlich, daß ich Gedächtnis, Einsicht und Willen habe; ich sehe ein, daß ich einsehe, will und mich erinnere; ich will, daß ich will, mich erinnere und einsehe; und ich erinnere mich zugleich meines ganzen Gedächtnisses, meiner ganzen Einsicht und meines ganzen Willens" (X, 11, 18).
Dieses beachtliche Ergebnis darf jedoch nicht dazu verleiten, grundlegende Unterschiede zwischen der göttlichen Trinität und der im Menschen aufgewiesenen Dreiheit zu verdecken. Augustinus betont vor allem zweierlei: 50
Liebe und Wille bilden ebenso eine Einheit wie Liebe und Freiheit. Natürlich hat diese ursprüngliche Selbsdiebe nichts mit Egoismus zu tun; sie gründet letztlich in der Liebe zur imago Dei.
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VI. Augustinus
1. Gott ist die Trinität. Was von der Trinität gilt, gilt auch von Gott — und umgekehrt. Die im Menschen aufgewiesene Dreiheit dagegen ist nicht mit dem Menschen identisch. Der Mensch ist eine Einheit von Körper und Seele; die triadische Struktur von Gedächtnis, Einsicht und Wille gilt, nicht einmal für die Seele insgesamt, sondern nur für den Geist als deren ,Haupt' (XV, 7, 11). 2. Der menschliche Geist kann sich nur erinnern durch das Gedächtnis, nur etwas einsehen durch die Einsicht, nur etwas lieben durch den Willen. Ubertragen wir dies auf Gott, indem wir die drei Momente (memoria, intelligentia, voluntas) jeweils nur einer der göttlichen Personen zusprechen, dann ergibt sich eine unannehmbare Konsequenz: „Wer aber wagte zu behaupten, daß in jener Dreieinigkeit der Vater sich, den Sohn und den Heiligen Geist nur einsehe durch den Sohn [und nicht durch sich selbst], nur liebe durch den Heiligen Geist, durch sich aber sich seiner, des Sohnes und Heiligen Geistes bloß erinnere ..." (XV, 7, 12)? Angesichts dieser fundamentalen Unterschiede zwischen der Dreiheit der mens und der göttlichen Trinität zitiert Augustinus den ersten Korintherbrief (13, 12): „Wir sehen nämlich durch einen Spiegel rätselhaft, dann aber von Angesicht zu Angesicht." („Videmus nunc per speculum in aenigmate, tunc autem facie ad faciem"; X Y 8, 14.) Diesem Wort folgend, betont Augustinus: Wir können die göttliche Trinität selbst nicht erfassen, sondern nur ihr spiegelhaftes Abbild. Der Spiegel, in dem dieses Abbild erscheint, ist der menschliche Geist. Mehr kann die mühevolle Spekulation' nicht erreichen, als daß sie durch das in uns selbst erscheinende Bild die götdiche Trinität, die letztlich rätselhaft bleibt, von ferne zu erblicken versucht. Diese Ermahnung zur Bescheidenheit ist Vorbereitung für den sich anschließenden letzten Schritt zum spekulativen Gipfel. Dieser Schritt besteht darin, daß die Dreiheit von memoria, intelligentia und voluntas als der Vollzug des inneren Sprechens dargelegt wird 51 . Ausgangspunkt der Überlegung ist jetzt nicht mehr die reine Selbsterkenntnis, sondern der gesamte Bereich des menschlichen Wissens. „Über dasjenige aber sprechen wir jetzt, was uns bekannt ist, wenn wir daran denken und was zu unserem Wissen gehört, auch 51
Dieser Zusammenhang wird — neben den Darlegungen zum inneren Wort im neunten Buch - auch an anderen Stellen bereits angedeutet, ζ. B.: „Wenn er [der Geist] sich sonach denkend auf sich selbst zurückwendet, dann entsteht eine Dreiheit, in der man auch schon ein Wort erkennen kann" (XIY 10, 13).
4. Das Wort Gottes: De tnnitak
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wenn wir nicht daran denken ..." ( X y 10, 17). Wollen wir unser Wissen aussprechen, dann müssen wir an das, was wir sagen wollen, denken. (Natürlich gibt es auch gedankenloses Gerede; darin wird aber eben kein Wissen ausgesprochen.) In diesem Fall sind somit Sprechen und Denken notwendig verbunden. Wie aber steht es, wenn man denkt, ohne dabei Wörter auszusprechen? Augustine ,platonische' Antwort lautet: Auch wenn keine Worte ertönen, so spricht doch der Denkende in seinem Herzen 5 2 . Das Denken ist ein innerliches Sprechen. „Nam etsi verba non sonent, in corde suo dicit utique qui cogitât" (XV, 10, 17). Für die Rechtmäßigkeit dieser These führt Augustinus eine Reihe von Belegen aus der Heiligen Schrift an. Das innere Sprechen ist vor dem lautlich artikulierten Sprechen aus folgenden Gründen ausgezeichnet: Im Bereich der sinnlich wahrnehmbaren Körperwelt sind Sprechen und Sehen unabhängig voneinander; das eine ist nicht notwendig mit dem anderen verbunden. Das Gespräch des Herzens jedoch ist zugleich und ineins eine Schau (visio)53. Weiterhin sind in der Welt der Wahrnehmung Hören und Sehen verschieden, da sie ja an verschiedene Sinnesorgane gebunden sind. Dagegen bilden Sehen und Hören im Inneren der Seele, die nicht an Wahrnehmungsorgane gebunden ist, eine Einheit. Die Seele hört gleichsam auf ihren eigenen Zuspruch, in dem sie die Wahrheit schaut. — Es ist festzuhalten: Das Wissen vollzieht sich als innerer Dialog der Seele, in dem (unsinnliches) Sprechen, Hören und Sehen eine unauflösliche Einheit bilden. Das im Sprechen des Herzens gebildete Wort ist nichts anderes als der Gedanke, den der wissende Geist bildet. Dieses innere Wort ist nicht an eine konkrete Sprache gebunden; es ist „weder griechisch noch lateinisch noch irgendeiner anderen Sprache zugehörig" (XV, 10, 19). Insofern sind inneres und äußeres (erklingendes) Wort strikt zu scheiden. Dennoch besteht zwischen beiden ein Zusammenhang. Das Wort nämlich, das erklingt, wenn wir unser Wissen aussprechen, 52
53
Beierwaltes betont, daß der Ausdruck „Herz" nicht als Indiz einer emotionalen oder irrationalen Beschaulichkeit genommen werden darf. „Herz ist das personale und daher rationale intimum des Menschen; es ist Einheit des inneren Sinnes: es hört und sieht in einem; es ist das bewegende Element im Transzendieren, die denkende Sammlung auf den Grund der Person; es ist Gewissen und Gedächtnis" (1971: 183). Die Einheit von Denken, Sprechen und Schauen wird aufschlußreich bei V Warnach erörtert: Erleuchtung und Einsprechung bei Augustin, in: Augustinus Magister, Congrès international Augustinien, Paris 1954, 4 2 9 - 4 5 0 .
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VI. Augustinus
muß gleichsam geboren werden aus dem inneren Wort, d. h. aus dem Wissen, das in unserem Gedächtnis bewahrt ist. — Der Zusammenhang zwischen innerem (ursprünglichem) Wort und der Dreiheit von memoria, intelligentia, voluntas/amor kann nunmehr so beschrieben werden: Alle Einsicht und Schau (vor allem auch die meiner selbst) gründet im (inneren) Gedächtnis. Die Einsicht wird geformt im inneren Wort, sofern das Denken ein Sprechen des Herzens ist. Da aber die Kenntnis und Selbsterkenntnis des Geistes zugleich ein willentlich-liebendes Bejahen ist, kann das Wort als eine „mit Liebe verbundene Erkenntnis" (IX, 10, 15) bestimmt werden (vgl. o. S. 157). Wenn Augustinus betont, daß das innere Wort nicht an eine bestimmte Sprache gebunden ist, dann legt es sich nahe, eine Verbindung zum stoischen lektón (vgl. o. S. 114 ff.) bzw. zum dicibile von De dialéctica herzustellen (vgl. o. S. 129). Bereits K. Küppers54 betont die Wichtigkeit der Definition des dicibile in De dialéctica, weil sie den Keim enthalte sowohl für die Zeichentheorie in De magistro als auch für die Verbumspekulation. Die Tatsache, daß das dicibile im Gemüt des Sprechenden eingeschlossen bleibe, führe wie von selbst zu der Forderung, daß nur das verbum als Klang übertragbar sei, nicht aber die Bedeutung. Der für De magistro zentrale Gegensatz zwischen sonus und significado werde innerhalb der Logosspekulation durch den Gegensatz von vox und verbum ersetzt (vgl. 64, 67). „Die Verinnerlichungstendenz im Denken Augustins führt [...] dazu, dem unsichtbaren Moment, das in der Seele des Sprechenden zurückbleibt und das auch dem Ursprung nach das Primäre ist, den Namen von verbum zu verleihen, während das Wort als artikulierter, konventioneller Klang den Namen vox erhält" (15). Zuletzt hat D. Pintarle lektón und dicibile gleichgesetzt; er vertritt die These, daß das lektón mit dem Begriff des inneren Wortes eine große Strukturähnlichkeit habe (1983: 128). Dem verbum intimum komme als dem ,Gemeinten' bzw. ,Intendierten' eine eigene Art der Existenz zu. Den Beweis dafür muß Pintaric freilich schuldig bleiben, weil Augustinus sich dazu nicht äußert. Dagegen hat bereits 1963 U. Duchrow zu Recht die Identifikation des inneren Wortes mit dem lektón zurückgewiesen. „In Augustins Begriff des inneren Wortes scheinen sich drei oder gar vier verschiedene Traditionslinien zu vereinigen: erstens eine dialektische [...]; zweitens eine theologische aus der Geschichte der Logosspekulation; drittens eine ethische und schließlich eine offenbar abgeleitete christliche, die das Gebet als Sprache des Herzens versteht" (122). - Wenn man somit den Einfluß der stoischen Sprachlehre auf Augustins Überlegungen durchaus konstatieren muß, so bleibt doch zu beachten, daß der geänderte Problemzusammenhang auch die tragenden Begriffe in anderem Licht, d. h. in anderer Bedeutung erscheinen läßt. Im übrigen hat die Durchdringung des Trinitätsdogmas für Augustinus den Vorrang vor sprachphilosophischen oder semiotischen Erwägungen.
Mit dem inneren Wort ist gleichsam der klarste Spiegel gefunden, in dem die bildhafte Ähnlichkeit aufleuchtet zu dem ,Wort', das im 54
Der Reichen- und Wortbegriff im Denken Augustins, Amsterdam 1934.
4. Das Wort Gottes: De tnnitak
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Prolog des Johannes-Evangeliums gemeint ist. Augustinus stellt drei Analogien zwischen innerem Wort und Wort Gottes auf (Χ\ζ 11, 20): 1. Wie das innere Wort im äußeren Wort eine sinnlich wahrnehmbare Gestalt annehmen kann, ohne sich in den bloßen Laut zu verwandeln, so kann auch das Wort Gottes in Jesus körperliche Gestalt annehmen, ohne seine göttliche Natur aufzugeben 55 . Dabei ist nach Augustinus allerdings strikt zu beachten: Wer diese unähnliche Ähnlichkeit mit dem Wort Gottes erreichen will, darf weder beim erklingenden noch beim gedachten Wort, sofern es an eine bestimmte Sprache gebunden ist, stehenbleiben; sondern er muß diese Wörter überschreiten auf das ursprüngliche Wort hin, das allen Zeichen vorausgeht „und vom Wissen, das in der Seele bleibt, gezeugt wird" (XV, 11, 20). Das gilt auch für die beiden folgenden Analogien. 2. Wie durch das Gott innewohnende Wort alles geschaffen ist, so geht auch allen menschlichen Taten das innere Wort voraus. Im Kommentar zum Johannes-Evangelium 56 heißt es entsprechend: „Wenn du ein Wort in deinem Herzen haben kannst, so ist es wie ein in deinem Geist geborener Entschluß (consilium), so d a ß dein Geist den Entschluß erzeugt u n d der Entschluß darin ist wie ein Kind deines Geistes, wie ein Sohn deines Herzens. D e n n zuerst m u ß das Herz den Entschluß erzeugen, damit du ein Gebäude errichten, etwas Großes auf der Erde ins Werk setzen kannst; der Entschluß ist schon geboren, aber das Werk noch nicht vollendet; du siehst, was du vollbringen wirst, aber ein anderer bewundert es nicht, bis du das Werk getan und errichtet hast . . . " (I, 9).
Ist das Wort des Herzens wahr, dann ist es der Beginn eines guten Werks. 3. Wie das Wort Gottes schon vor der Schöpfung existiert, so kann auch unser inneres Wort bestehen, ohne daß ein Werk aus ihm folgt.
55
56
Diese Antilogie wird schon in De doctrina Christiana angeführt: „Wenn wir sprechen, gelangt dasjenige, was wir im Geiste haben, durch die leiblichen O h r e n in den Geist des Hörenden; das Wort, das wir im Herzen tragen, wird Klang (sonus) und d a n n Rede (locutio) genannt; aber trotzdem wird unser Gedanke nicht in j e n e n Laut verwandelt, sondern bleibt in sich unversehrt; ohne irgendeinen Makel der Veränderung nimmt er die Form der Stimme an, durch die er in die O h r e n eindringt. So wird auch das Wort Gottes nicht verwandelt, obwohl es Fleisch geworden ist, um unter uns zu w o h n e n " (I, 13, 12). Tractatus in Iohannis Evangelium, C C S L , X X X V I , Turnholti 1954; dt.: Des heiligen Kirchenvaters Aurelias Augustinus Vortrage über das Evangelium des hl. Johannes, übers, u. eingel. von T h . Specht, München 1913 (Bibl. d. Kirchenväter, Bd. VIII).
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VI. Augustinus
Diese Analogien dürfen nicht dazu verführen — Augustinus wird nicht müde, es zu betonen —, den Wesensunterschied zwischen Gott und Mensch zu verdecken. Augustinus weist vor allem auf folgende Differenzen hin: Der Mensch erwirbt sein Wissen aus verschiedenen Quellen, nämlich teils aus der sinnlichen Wahrnehmung, teils aus sich selbst, teils aus dem Zeugnis anderer Menschen, denen er vertraut. Gott dagegen hat alles Wissen aus sich selbst; sein Wissen ist die Folge seiner Vollkommenheit. „Alle seine geistigen und körperlichen Geschöpfe kennt er nicht, weil sie sind; sondern sie sind, weil er sie kennt" (XV, 13, 22). Und: Während in Gott Wissen und Sein identisch sind, geht menschliches Sein nicht in Wissen und Weisheit auf. Wir leben, auch wenn wir bestimmte Dinge nicht (oder noch nicht) wissen; wir können Wissen erwerben und wieder vergessen.
Augustins Spekulation über das verbum Dei, die in den drei zuletzt erwähnten Analogien ihren Höhepunkt und Abschluß findet, hat keine Revision seiner Sprachauffassung zur Folge. Die aus De dialéctica, De magistro und De doctrina Christiana hinlänglich bekannte These, daß das Wort Zeichen sei, wird ausdrücklich wiederholt. So heißt es — aristotelischer Tradition gemäß — am Schluß des Kapitels, das dem inneren Wort gewidmet ist: „Es wurden aber die Buchstaben erfunden, damit wir uns auch mit den Abwesenden unterhalten können. Sie [die Buchstaben] sind Zeichen der Laute, während die Laute in unserer Rede selbst Zeichen der Dinge sind, die wir denken" (Xy 10, 19).
Wenn wir das im Inneren gebildete Wort jemandem mitteilen wollen, müssen wir uns eines Zeichens bedienen; das Wort des Herzens nimmt dann ein Zeichen an. Meistens bedienen wir uns dazu der artikulierten Laute; es kann aber auch durch einen Wink geschehen, mit dem gleichsam für die Augen gesprochen wird (vgl. o. S. 149). Die Verbum-Spekulation in De trinitate veranlaßt Augustinus somit nicht zu einer anderen Wesensbestimmung der Sprache. Hinsichtlich der Bewertung der Sprache steht De trinitate durchaus im Einklang mit De doctrina Christiana: Einerseits kann der Wert der in der Heiligen Schrift überlieferten Worte nicht in Frage gestellt werden. Andererseits bleibt ein kritischer Vorbehalt, sofern die artikulierten Wörter einer konkreten Sprache als etwas bloß Körperliches die Dimension des geistigen inneren Wortes (als Spiegel der Trinität) nicht erreichen. So vermerkt der zeitgleich zu De trinitate
4. Das Wort Gottes: De trinitate
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abgefaßte Kommentar zum Johannes-Evangelium, daß der Sinn der Rede vom „Wort" Gottes nicht aufgehe, wenn man sich an die von uns täglich gebrauchten Wörter halte, da sie nämlich durch den ständigen Gebrauch wertlos geworden seien (viluerunt; I, 8 u. 10). Dennoch eröffnet die Trinitätsspekulation — gleichsam unter der Hand - eine Sicht auf die Sprache, die über die traditionelle Bestimmung des Wortes als willkürlich gesetztes Zeichen zum Zweck der Kommunikation hinausgeht. H.-G. Gadamer (1972: 395-404) kommt das Verdienst zu, auf diesen Problemzusamm e n h a n g hingewiesen zu haben. „Es gibt aber einen Gedanken, der kein griechischer Gedanke ist und der dem Sein der Sprache besser gerecht wird, so daß die Sprachvergessenheit des abendländischen Denkens keine vollständige werden konnte. Es ist der christliche Gedanke der Inkarnation" (395). Nach Gadamer, der sich allerdings mehr an T h o m a s als an Augustinus orientiert, läßt sich die Verbum-Spekulation in zweierlei Hinsicht für das ,hermeneutische P h ä n o m e n ' fruchtbar machen 5 7 : 1. „Die innere Einheit von Denken und Sichsagen, die dem trinitarischen Mysterium der Inkarnation entspricht, schließt in sich, daß das innere Wort des Geistes nicht durch einen reflexiven Akt gebildet wird" (403). Wer etwas denkt, ist nicht auf sein eigenes Denken, sondern auf die Sache gerichtet. 2. Das Verhältnis zwischen der Einheit des götdichen Wortes und der Vielheit der menschlichen Worte ist nach G a d a m e r dialektisch. Das eine göttliche Wort, das in die Welt gekommen ist, wird in vielen Worten verkündigt. „Der Sinn des Wortes ist vom Geschehen der Verkündigung nicht ablösbar. Der Geschehenscharakter gehört vielmehr zum Sinne selbst (404).
Die theologische Reflexion über das Wort Gottes bei Augustinus gerät mit der traditionellen Sprachauffassung vornehmlich aus folgenden Gründen in Widerstreit: I. Augustinus versucht, seine ,konventionelle' Sprachauffassung zu retten, indem er äußeres und inneres Wort strikt trennt: Das innere Wort ist nicht an eine konkrete Sprache gebunden. Anders formuliert: Der Gedanke ist sprachunabhängig. Nun ist aber dieser Gedanke nach Augustinus Wort, ja sogar Wort im eigentlichen Sinne 58 , dem das artikulierte oder gedachte Zeichen überhaupt den Namen „Wort" verdankt. Soll also hier nicht eine Aquivokation vorliegen, dann müssen wir uns auch beim inneren Wort noch etwas vorstellen können, das mit unserer konkreten Spracherfahrung in Zusammenhang zu bringen ist — sei es auch nur durch Bilder wie in einem 57
58
G a d a m e r beansprucht gerade nicht, damit die Sprachauffassung Augustins wiederzugeben; insofern trifft die Kritik Schindlers (1965: 238 f.) und Duchrows (1965: 145 f.) nicht. „Proinde verbum quod foris sonat signum est verbi quod intus lucet cui m agis verbi competit nomen" (XV, 11, 20; Herv. v. Vf.).
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VI. Augustinus
Spiegel. Zwar versucht Augustinus dieses Problem aufzufangen (Χ\ζ 11, 20), indem er die Unterscheidung von sonus (bzw. vox) und significado (vgl. o. S. 140) auf den Unterschied zwischen äußerem und innerem Wort anwendet. Das innere Wort (qua significado) wäre demnach Resultat einer Abstraktion, die die konkrete Einheit des Wortes aufs Spiel setzt. Vor allem jedoch wird diese Lösung durch Augustine eigene Analogien als bloßer Kunstgriff enttarnt: 2. Die erste Analogie zeichnet sich vor den anderen beiden dadurch aus, daß in ihr das Verhältnis zwischen äußerem und innerem Wort bestimmt wird: Wenn das innere Wort mitgeteilt werden soll, dann nimmt es den sinnlich wahrnehmbaren Laut an, ohne sich selbst in den Laut zu verwandeln („assumendo [...] non se consumendo"; XV, 11, 20). Steht es so, dann kann das gesprochene Wort nicht als bloßer Laut verstanden werden. Aber noch mehr: Im Blick auf die Analogie zum verbum Dei darf es auch nicht als bloßes Zeichen, das seine Bedeutung nur in einem Anderen gewinnt, verstanden werden. Das hätte nämlich die fatale Konsequenz, daß das fleischgewordene Wort Gottes nur Rachen Gottes (und nicht: wahrer Gott und wahrer Mensch) wäre. Somit muß gelten: Auch das gesprochene Wort bewahrt und erhält das Wesen des Wortes, das Wort des Herzens. Wenn das innere Wort gleichzusetzen ist mit dem geformten Gedanken, dann müßte doch das äußere Wort inniger mit dem Gedanken (Sinn, Bedeutung) verbunden sein, als es einer Zeichentheorie erscheinen mag. Denkt man Augustins erste Analogie konsequent durch, dann kündigt sich eine wesenhafte Zusammengehörigkeit von Sprechen und Denken an. Der mit der Gleichsetzung von Wort und Zeichen implizierte prinzipielle Vorrang eines sprachlosen Denkens wird fragwürdig. 3. Stehen inneres und äußeres Wort in einem engeren Zusammenhang, als Augustinus es wahrhaben will, dann erlauben auch die zweite und dritte Analogie eine weitere sprachphilosophische Spekulation': Diese beiden Analogien bringen Sprechen und Handeln zusammen. Zwar kann das (innere) Wort bestehen, ohne daß ein Werk aus ihm folgt; aber umgekehrt kann kein Werk verwirklicht werden, ohne daß ihm ein Wort vorhergeht. Verhält es sich so, käme dann nicht vielleicht auch dem gesprochenen Wort eine schöpferische Potenz zu — nicht mit Notwendigkeit, aber als eine in ihm hinterlegte Möglichkeit? Muß das Sprechen selbst — Piaton folgend — als eine Art Handeln verstanden werden?
4. Das Wort Gottes: De imitate
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4. Der Begriff der Trinität fordert, die Einheit Gottes als Dreiheit von Personen zu denken. Dieses Verhältnis von Identität und Differenz wird auch (natürlich nicht ausschließlich) vom verbum Dei umfangen und bestimmt. Läßt sich daraus nicht folgern, daß das Wort bzw. die Sprache eine Gemeinschaft der vielen Menschen ermöglicht? Eine solche Ermöglichung von Gemeinschaft wäre dann nicht in dem vordergründigen Sinne zu verstehen, daß Sprache bloßes Instrument der Kommunikation ist, mit dem wir den anderen Menschen unsere bereits verfertigten Gedanken mitteilen (ein Instrument, däs — am logischen Maßstab gemessen — ziemlich unzuverlässig ist, auf das wir aber leider nicht verzichten können). Vielmehr müßte es in dem höheren Sinn verstanden werden, daß Sprache Kommunikation und menschliches Miteinander allererst stiftet. Die instrumenteile Sprachauffassung verkennt ja gerade, daß echte Kommunikation sich nicht als passives Hinnehmen von Informationen vollzieht, sondern als dialogisches Miteinander, das eine wechselseitige Anerkennung (willentliche Bejahung, Liebe) voraussetzt. Wohlgemerkt: Diese Überlegungen gehen über das in De trìnitate Erörterte hinaus. Augustinus geht es nicht um Sprachphilosophie; seine Spekulation versucht, die Kluft zwischen Glaubensmysterium (Trinität, Inkarnation) und philosophischem Denken zu überbrükken. Es sollte aber deutlich geworden sein, daß der Versuch, Trinität und Inkarnation denkend zu erhellen, die Fragwürdigkeit der instrumentellen Sprachauffassung anzeigt und eine Möglichkeit birgt, die Funktion des menschlichen Sprechens ursprünglicher zu fassen. Formelhaft verkürzt: Die theo-logische Spekulation über das verbum ist der sprachphilosophische Widerpart zur logischen Explikation des signum. So gesehen eröffnet Augustine Denken eine neue Kluft, die er selbst nicht überbrückt, ja wohl nicht einmal sieht. Es wird zu prüfen sein, in welcher Weise dieser Streit, der die spezifisch mittelalterliche Form für die antike Alternative physei — thései konstituiert, die weitere Geschichte der Sprachphilosophie bestimmt.
VII. ANSELM V O N CANTERBURY Wort und Bedeutung
1. Das Wort Gottes: Monologion1 Das Monologion, Anselms erste systematische Abhandlung, ist 1076 entstanden. Das Werk trug zuerst den Titel Exemplum meditandi de ratione fidei (Ein Beispiel, wie man über die Vernunft des Glaubens nachdenkt); dieser Titel wurde von Anselm in Monoloquium de ratione fidei und schließlich in Monologion abgeändert 2 . Der Prolog gibt Auskunft über Anlaß und Zielsetzung des Monologion: Der Verfasser sei von den Mitbrüdern aufgefordert worden, seine Betrachtung über die Wesenheit der Gottheit (essentia divinitatis), die er ihnen mündlich oft vorgetragen habe, schriftlich zu fixieren. Hinsichtlich der Methode hätten sie darauf gedrungen, daß nichts durch die Autorität der Schrift, sondern alles durch bloße Vernunftüberlegungen belegt werden solle. - Was den Inhalt seiner Schrift betrifft, so beruft sich Anselm im Prolog auf Augustinus, vornehmlich auf De imitate. In den ersten Kapiteln dieser nationalen Theologie' werden ,Gottesbeweise' vorgetragen. Der erste Beweis geht davon aus, daß alle Menschen das anstreben, was sie für gut halten. Anselm schließt — in subtilen Erwägungen, die hier ausgespart werden können — weiter: Den einzelnen Gütern muß ein zuhöchst Gutes als Ursache zugrunde liegen. Dieses Etwas ist das Beste und Größte und Höchste von allem (c. III). — Der zweite Beweisgang setzt bei den unterschiedlichen Rangstufen der Dinge ein 3 (c. IV). Es muß - um einen absurden 1
2
3
S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera Omnia, Tomus I, ad fidem codicum recensuit F. S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt 1968 (repr. Nachdruck der Ausg. Seckau u.a. 1938ff.); Monologion: I, 1—87. — Der Text der Opera omnia ist auch (ohne Apparat) in der folgenden zweisprachigen Ausgabe zugänglich: Anselm von Canterbury, Monobgwn, lat.-dt. Ausg. von F. S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt 1964. M a n vgl. die Hinweise von F. S. Schmitt in der Einführung zu seiner zweisprachigen Ausgabe (1964: 10). Er entspricht somit dem vierten Weg (ex gradibus) bei Thomas; vgl. Summa theologiat I, q. 2, a. 3.
1. Das Wort Gottes: Monologion
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regressus in infinitum zu vermeiden — eine einzige Natur geben, die allem Seienden überlegen ist. Diese Natur (bzw. Wesenheit bzw. Substanz) kann aber nur dann das Höchste von allem (summum omnium) sein, „wenn sie durch sich ist, was sie ist, und alles, was ist, durch sie ist, was sie ist" (ebd.). Das siebte Kapitel legt dann dar, daß die höchste Wesenheit alle anderen Dinge durch sich selbst aus dem Nichts hervorgebracht hat. Der Begriff des Nichts stellt jedoch vor Schwierigkeiten, die im achten Kapitel zunächst durch die Unterscheidung eines mehrfachen Sinns von „Nichts" zu lösen versucht werden. Diese Überlegungen führen zu einem neuen Gesichtspunkt, der im neunten Kapitel eingeführt und dann näher bestimmt wird. In diesem Zusammenhang ist die Bestimmung des Wortes von zentraler Bedeutung. Zwar kann man durchaus sagen, daß alles, bevor es gemacht wurde, nichts war (nämlich nicht das, was es jetzt ist). Dennoch war das zu Schaffende nicht schlechthin nichts, nämlich aus folgendem Grund und in folgender Hinsicht: „Denn auf keine Weise kann etwas vernünftig (rationaliter) von jemandem gemacht werden, wenn nicht im Denken (ratione) dessen, der es macht, gleichsam eine Art Modell (exemplum) des zu machenden Dinges vorausgeht, oder passender gesagt, eine Form (forma) oder Ähnlichkeit (similitudo) oder Norm (regula). Es ist somit offenbar, daß, bevor das All wurde, im Denken der höchsten Natur feststand, was oder wie oder auf welche Weise es sein würde" (c. IX).
Die Formen der geschaffenen Dinge müssen somit - wie aus der Analogie zum menschlichen Herstellen geschlossen wird — vor der Schöpfung im Denken der höchsten Natur anwesend sein. Dieses Denken der Formen wird im zehnten Kapitel - wie etwas ganz Selbstverständliches — als Sprechen der Dinge (rerum locutio) bestimmt. , Jene Form der Dinge aber, die in seinem [des Schöpfers] Denken den zu schaffenden Dingen vorausging: was ist sie anderes als eine Art von Sprechen der Dinge in diesem Denken, wie wenn ein Künsder [bzw. Handwerker: faber], der ein Werk seiner Kunst schaffen will, es zuerst in seinem Innern durch eine Empfängnis des Geistes spricht" (c. X)?
Es ist offensichtlich, daß Augustinus hier Pate steht. Dessen entsprechende Analogie stellt ja auch den Bezug her zwischen dem Wort des Herzens, das den menschlichen Werken vorhergehen muß, und dem Gott innewohnenden Wort, durch das alles geschaffen wird (vgl. o. S. 163). Und ganz im Sinne Augustine fügt Anselm sogleich hinzu, daß mit diesem Sprechen nicht das lautlich artikulierte Reden, sondern das Denken gemeint sei:
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VII. Anselm von Canterbury
„Unter dem Sprechen des Geistes oder des Denkens verstehe ich hier nicht, daß die Laute, welche die Dinge bezeichnen (voces rerum significativae), gedacht werden, sondern daß die Dinge selbst (res ipsae), sei es die künftigen, sei es die schon existierenden, durch die Schärfe des Denkens im Geiste geschaut werden" (ebd.).
Da diese Gleichsetzung von Denken und Sprechen (ratio und locutio) aber doch wohl nicht so unmittelbar einleuchtend ist, wie der Anfang des Kapitels unterstellt, fügt Anselm eine Überlegung über die vielfache Bedeutung von „Sprechen" (loqui) an. Wir können nämlich nach Anselm auf dreifache Weise ein Ding sprechen: 1. Wir sprechen, indem wir sinnlich wahrnehmbare Zeichen äußern. Demnach gehört zu dieser Art des Sprechens nicht nur die lautlich artikulierte Rede (so die geläufige Auffassung), sondern jegliche sinnliche Zeichengebung, etwa durch Gesten oder Bilder. 2. Wir sprechen, indem wir die sinnlich wahrnehmbaren Zeichen in unserem Inneren denken. Dieses innere Sprechen ist nicht sinnlich wahrnehmbar. 3. Wir sprechen aber auch, wenn wir gar keine Zeichen gebrauchen, sondern die Dinge selbst in unserem Geist sprechen („in nostra mente dicendo") — sei es durch die Vorstellung der Körper, sei es durch die Einsicht der Vernunft („... vel corporum imaginatione vel rationis intellectu ..."). Anselm erörtert diese Einteilung an einem Beispiel: Man kann ,den Menschen sprechen', indem man ihn mit dem sinnlichen Zeichen „Mensch" benennt (1). Diesen Namen kann man aber auch schweigend denken (2). Schließlich kann der Mensch im Geist ohne zeichenhafte Vermittlung geschaut werden (3). Das geschieht entweder so, daß seine körperliche Gestalt vorgestellt wird, oder dadurch, daß seine Wesensbestimmung (vernunftbegabtes sterbliches Lebewesen) gedacht wird. Auch diese Einteilung hat eine Parallele in De trìnitate (vgl. o. S. 157). Augustinus hebt das äußere und innere Wort vom „Wort" als Erkenntnis und dieses vom „inneren Wort" als der mit Liebe verbundenen Erkenntnis ab. Diese Unterscheidung zwischen Gefallen und Mißfallen der Erkenntnis erwähnt Anselm hier ebensowenig wie die Funktion des Gedächtnisses 4 . Überdies gruppiert Anselm anders: Dem ersten Sinn von „verbum" bei Augustinus entsprechen die ersten beiden Arten des Sprechens bei Anselm. Weiterhin er4
Über das Gedächtnis (memoria) handelt vornehmlich c.48; die Notwendigkeit einer positiven oder negativen Stellungnahme zur erkannten Sache wird in c. 49 erwähnt.
1. Das Wort Gottes: Monologion
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wähnt Anselm in der dritten Gruppe ausdrücklich die körperhafte Vorstellung der Einbildungskraft; schließlich geht Anselm nicht vom verbum, sondern von der Tätigkeit des Sprechens (loqui) aus. So wird deutlich, daß Anselm sich zwar von Augustinus anregen läßt, diese Anregungen aber durchaus selbständig weiterführt und systematisiert. Das gilt nicht nur für diesen Fall, sondern charakterisiert allgemein das Verhältnis Anselms zu Augustinus. Den unterschiedlichen Sprechweisen korrespondieren je eigene Wortarten (verba sui generis). Den ersten Rang nehmen die Worte des Geistes ein, die das Resultat der dritten Sprechart sind. Denn sie sind — Anselm nimmt die spätantike Interpretation (Boethius) der pathémata (vgl. o. S. 74) auf — natürliche Wörter (verba naturalia) und bei allen Völkern dieselben. (Anselm fügt noch hinzu: falls es nicht Wörter von unbekannten Dingen sind.) Alle anderen Wörter verdanken ihre Entdeckung und Erfindung diesen natürlichen Wörtern („... alia omnia verba propter haec sunt inventa ..."). Daraus ergibt sich für Anselm folgende Konsequenz: Wenn wir über das natürliche Wort einer Sache verfügen, dann bedarf es zu ihrer Erkenntnis keines anderen Wortes. Aber noch mehr: Wenn das natürliche Wort fehlt, dann kann auch kein anderes Wort die Sache offenbaren. Das bedeutet: Was wir normalerweise unter „Sprechen" verstehen — sei es das aktuelle Reden, sei es der innere Dialog - ist für die Erkenntnis der Dinge nicht hinreichend. Die Erkenntnis kommt ohne Vermittlung der Zeichen zustande. Über die natürlichen Wörter wird weiterhin gesagt: Je mehr sie den Dingen ähnlicher sind, desto wahrer sind diese Wörter 5 . Die Begründung für diese These ist sehr knapp formuliert und deshalb schwer zu durchschauen: „Denn abgesehen von jenen Dingen, die wir gerade als ihre Namen zu ihrer Bezeichnung gebrauchen — wie gewisse Laute, etwa der Vokal ,a' —, von diesen abgesehen, sage ich, erscheint kein anderes Wort der Sache, deren Wort es ist, so ähnlich oder drückt sie so aus, wie jenes Ebenbild (similitudo), welches in der Schärfe des die Sache selbst denkenden Geistes ausgedrückt wird" (c. X).
Gemeint ist wohl dies: Auch bei den Namen, mit deren Hilfe wir im äußeren oder inneren Sprechen die Dinge bezeichnen, kann es eine 5
In c. 31 heißt es entsprechend: „Denn alle derartigen Worte, durch die wir beliebige Dinge im Geiste aussprechen, das heißt denken, sind Ähnlichkeiten (similitudines) und Bilder (imagines) der Dinge, deren Worte sie sind; und jede Ähnlichkeit oder jedes Bild ist umso mehr oder weniger wahr, je mehr oder weniger es das Ding nachbildet, dessen Ähnlichkeit es ist."
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VII. Anselm von Canterbury
Ähnlichkeit zwischen Wort und Sache geben. Artikulierte Laute können eine Abbildungsfunktion haben. Davon ist in dem anstehenden Problemzusammenhang aber abzusehen. Denn die größte Ähnlichkeit mit der Sache hat das im Geist vorgestellte oder gedachte Wort. Zwar ist auch dieses Wort nicht mit der Sache gleich; aber es kommt ihr sehr nahe — sei es bei einem schon Existierenden, sei es bei einem erst noch zu Schaffenden. Deshalb ist das natürliche Wort „das am meisten eigentümliche und ursprüngliche Wort des Dinges" (maxime proprium et principale rei verbum; c. X). Damit ist es für Anselm hinreichend gerechtfertigt zu sagen, „daß bei der höchsten Substanz ein solches Sprechen der Dinge wohl stattfand, bevor sie waren, um durch es zu werden, als auch stattfindet, wenn sie geworden sind, u m durch es gewußt zu werden" (ebd.). Kurz: Das Sprechen der höchsten Substanz (Gottes) 6 ist sowohl Grund des Entstehens (principium fiendi) als auch Grund der Erkennbarkeit (principium cognoscendi) alles Seienden. Mit diesem Resultat enden die ,sprachphilosophischen' Ausführungen des zehnten Kapitels. Sie werden an späteren Stellen des Monologion ergänzt, von denen die wichtigsten angeführt seien: — Uber die höchste Natur wird gesagt, sie sei Substanz. Ist das überhaupt statthaft, da die allgemein anerkannte Ontologie doch lehrt, daß , j e d e Substanz für die Beimischung von Unterschieden oder für die Veränderung der Akzidenzien aufnahmefähig ist" (c. XXVI)? Gott jedoch ist ewig und unveränderlich. (Hinter dieser Frage steht das Problem, ob über Gott als den Einzig-Unaussprechlichen überhaupt etwas gesagt werden kann.) Nach Anselm läßt sich das Problem durch die Unterscheidung von nomen (Name, Wort) und significato (Bedeutung) lösen: „Wenn sie [die höchste Natur] also mit anderen irgendeinen N a m e n gemeinsam hat, so ist (darunter) ohne Zweifel eine sehr verschiedene Bedeutung zu verstehen" (ebd.). Anders formuliert: Es besteht Homonymität. Dennoch ist — soll m a n nicht ganz auf Benennungen verzichten - Gott als „Substanz" zu bezeichnen, weil wir mit diesem Wort auf das Wesen der Dinge verweisen (vgl. c. XXVII) 7 . 6
7
Anselm vermeidet in seiner nationalen' Argumentation den Namen „Gott" für die höchste Wesenheit. Erst das letzte (80.) Kapitel vermerkt, daß der höchsten Wesenheit zu Recht die Benennung „Gott" zukomme. Auch hier fallt auf, daß Anselm (im Unterschied zu Augustinus) es sich strikt versagt, solche Fragen durch Hinweise auf Glaubensinhalte zu beantworten (vgl. o. S. 147).
1. Das Wort Gottes: Monologion
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- Das zehnte Kapitel verweist bereits auf den engen Zusammenhang von ,Sprechen' und Erkennen. Wie aber ist dieser Zusammenhang im Blick auf Gott zu bestimmen (c. XXIX)? — Wenn alles Seiende (außer Gott) durch das Sprechen des göttlichen Geistes geschaffen wurde, dann kann dieses Sprechen selbst kein Geschaffenes, sondern nur dasselbe sein, was auch der höchste Geist ist. Dieses schaffende Sprechen ist in eins die Erkenntnis (intelligentia) von allem, sofern die zuhöchst einfache göttliche Natur nichts anderes ist als ihre Erkenntnis (wie auch ihre Weisheit etc., da Gott kein akzidentelles Sein zukommt). In Gott ist somit die äußerste Einheit von locutio und intelligentia. Das gilt jedoch nicht für den Menschen, weil er nicht immer sagt, was er denkt und einsieht! - Das 33. Kapitel greift noch einmal die Überlegungen zum Wort der Schöpfung auf. Es geht darum zu erklären, inwiefern das Wort, mit dem Gott sich selbst spricht, wesensgleich (consubstantialis) sein kann mit dem Wort, durch das er die Schöpfung spricht, wenngleich es doch zwei Worte sind. Einfacher gesagt: Ist es denkbar, daß es verschiedene göttliche Personen (hier: Vater, Sohn) gibt, die dennoch wesensgleich sind? Zur Klärung dieses Problems greift Anselm auf das im Kapitel 10 Ausgeführte zurück: Wenn der Geist — durch die Vorstellung eines Körpers oder durch das Denken — ein Seiendes in seiner Wahrheit erfassen will, dann versucht er, von diesem Seienden eine Ähnlichkeit (similitudo) in seinem Denken abzubilden. Je mehr dies gelingt, desto wahrer denkt er die betreffende Sache. Bei uns Menschen gelingt es besser, wenn wir etwas anderes als uns selbst denken, und es gelingt am besten, wenn wir etwas Körperliches denken. Dann nämlich ,sieht' das Denken die früher sinnlich wahrgenommene Sache, deren Bild im Gedächtnis aufbewahrt ist; das Bild wird gleichsam aus dem Geist geboren, es ist sein Wort. Für das göttliche Wesen bedeutet dies: Wenn Gott sich erkennt, dann zeugt er sein Wort in wesensgleicher Ähnlichkeit. Zwar können wir dieses Wort im eigentlichen Sinne nicht aussprechen, weil es sich auf etwas Einzigartiges bezieht; dennoch kann es in angemessener Weise als „Ähnlichkeit" (similitudo), „Bild" (imago), „Gestalt" (figura) oder „Ausdruck" (caracter) bezeichnet werden. - Die Trinitätslehre, die eine Mehrheit von göttlichen Personen behauptet, ohne den Begriff Gottes als Einfach-Einen aufgeben zu dürfen, stellt das Denken immer wieder vor Aporien. Im Kapitel 62 wird folgende Aporie thematisiert: Es soll gelten, daß jede der drei göttlichen Personen (Vater, Sohn, Geist) sich selbst und die beiden
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VII. Anselm von Canterbury
anderen spricht und erkennt 8 . Muß man daraus nicht schließen, daß es in der höchsten Wesenheit nicht nur das eine, sondern drei Wörter gibt? Das entspräche nämlich dem menschlichen Erfahrungsbereich. Wenn mehrere Menschen einen einzigen Gegenstand im Denken sprechen, dann gibt es scheinbar ebenso viele Worte, wie es denkende Menschen gibt. Und (dieses Argument ist einleuchtender): Wenn ein einzelner Mensch mehreres denkt, dann sind so viele Worte in seinem Geist, wie er Dinge denkt. - Darauf ist zu entgegnen: Wenn der Mensch etwas denkt, das außerhalb seines eigenen Geistes existiert, dann wird das erkennende Wort nicht aus dem betreffenden Ding selbst geboren, sondern aus einer Ähnlichkeit bzw. Abbildung des Dinges - entweder aus dem im Gedächtnis aufbewahrten Bild oder aus dem Bild, das die Sinne gleichsam in den Geist hineinziehen. Der Mensch kann die Wesenheit eines Seienden nicht unmittelbar erfassen. Das menschliche Wort der Erkenntnis ist, sofern der Geist sich nicht auf sich selbst richtet, vermittelt, es ist auf die Vermittlung der Sinne und des Gedächtnisses angewiesen und erreicht deshalb nur die Ähnlichkeiten bzw. die Bilder der Dinge. Die Erkenntnis Gottes hingegen ist unvermittelt. In der Trinität ist kein wesenhafter Unterschied zwischen Sprechendem und Gesprochenem. — Mit dieser Abhebung ist freilich das anstehende Problem (Verdreifachung der drei Personen) nicht gelöst, sondern eher noch verschärft (vgl. Ende von c. LXII). Die weiteren Überlegungen Anselms bringen jedoch keine neuen Hinweise zur Natur des Wortes oder der Sprache. Im übrigen ist bei allen spekulativen Überlegungen die Grenze menschlicher Erkenntnismöglichkeiten zu beachten: „... ich meine, es müsse für den, der eine unbegreifliche Sache erforscht, genügen, wenn er durch schlußfolgerndes Denken (ratiocinando) dazu gelangt, zu erkennen, daß sie ganz sicher existiert, auch wenn er mit dem Verstände nicht zu durchdringen vermag, auf welche Weise sie so ist" (c. LXIV).
2. Das Sprachproblem des ontologischen Arguments: Proslogion9 Anselms Proslogion (,Anrede') ist kurz nach dem Monologion entstanden, um die Jahre 1077/78. Auch hier gibt Anselm im Vorwort das 8
9
Anselm konzentriert sich hier auf das Wort, also auf die zweite Person. Das Problem betrifft natürlich auch die anderen Personen: das Bewußtsein (memoria) des Vaters und die Liebe (amor) des Geistes. Die Frage lautet somit eigentlich: warum nicht drei Väter, drei Söhne, drei Geiste (vgl. c. 61)? Opera omnia I, 89—139. — Anselm von Canterbury, Proslogkm, lat.-dt. Ausg. von F. S. Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 (die Kontroverse mit Gaunilo nur lat.).
2. Das Sprachproblem des ontologischen Arguments: Proslogion
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Hauptmotiv für die Abfassung der Schrift an. Nachdem er das Monologion, in dem viele Beweise miteinander verflochten seien, fertiggestellt habe, sei er auf die Frage gestoßen, ob es nicht ein einziges Argument gebe, durch das sich Gott als das zuhöchst Gute beweisen lasse. Dieses eine Argument ist der (von K a n t so benannte) ontologische Gottesbeweis. Er birgt ein interessantes Sprachproblem. Der Argumentationsaufbau sei kurz referiert: Auch ,der Tor, der in seinem Herzen gesprochen hat: es ist kein Gott' (Psalm 13, 1), wird zugeben müssen, daß er die Bestimmung Gottes als „etwas, über dem nichts Größeres gedacht werden kann (aliquid quo nihil maius cogitari possit)" (c. II) versteht. Sofern er das versteht, ist es (als Begriff) im Verstand; denn „was immer verstanden wird, ist im Verstände (quidquid intelligitur, in intellectu est)" (ebd.). Ist das zugestanden, dann kann auch gedacht werden, daß das Gedachte existiert. Etwas wirklich Existierendes ist aber größer als etwas bloß Gedachtes. Das aber hieße, daß etwas Größeres gedacht würde als ,das, über dem nichts Größeres gedacht werden kann'. Dieser Widerspruch läßt sich nur vermeiden, wenn Gott (als derjenige, über dem nichts Größeres gedacht werden kann) wirklich existiert. — Das dritte Kapitel des Proslogion betont die Konsequenz dieses Beweises: Nicht nur die Existenz Gottes muß bejaht werden; es ist auch zu akzeptieren, daß nicht einmal gedacht werden kann, daß er nicht existiert. Von allem anderen läßt sich die Nichtexistenz denken, nicht jedoch von Gott, wenn er erfaßt wird als derjenige, über dem sich nichts Größeres denken läßt. Dieses Resultat setzt sich in Widerspruch zu dem Ausgangspunkt der Überlegungen. Der Tor (der Unverständige; insipiens) nämlich spricht in seinem Herzen: Gott existiert nicht. Wie soll das überhaupt möglich sein, wenn einerseits das Sprechen im Herzen mit dem Denken identisch ist und andererseits nicht gedacht werden kann, daß Gott nicht existiert? Anselm begegnet diesem Dilemma durch die Unterscheidung einer zweifachen Art des Denkens bzw. inneren Sprechens (c. IV). 1. M a n kann eine Sache denken, indem m a n den Laut denkt, der die Sache bezeichnet (vox significans). 2. M a n kann eine Sache denken (im Herzen sprechen), indem m a n das, was die Sache ist, einsieht und versteht (intelligitur) 10 . 10
Die Unterscheidung entspricht der zweiten und dritten Art des Sprechens nach der Anordnung in c. 4 des Monologion.
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VII. Anselm von Canterbury
Nur wer auf die erste Weise denkt — wer sich also an das bloße Wort hält - , kann Gott als nicht-existierend denken. Wer dagegen einsieht, was Gott ist, kann Gott nicht denken als nicht-seiend, unabhängig davon, welche Wörter er gebraucht. Anders formuliert: Wer Gott leugnet, weiß nicht, wovon er spricht. Wer das Wesen Gottes eingesehen hat, bejaht seine Existenz, was auch immer er sagen mag 1 1 . In einer beachtenswerten Überlegung hat Gaunilo 12 diese Unterscheidung gegen das Anselmische Argument gewendet (§ 4): Kommt mir von einem Menschen, der mir vollkommen unbekannt ist und von dem ich nicht einmal weiß, ob er existiert, etwas zu Ohren, dann könnte ich immer noch etwas von diesem Menschen denken, sofern ich nämlich über den Art- bzw. Gattungsbegriff verfüge. „Gott" oder „Etwas, das größer ist als alles" dagegen kann ich nur dem Lautgebilde nach (secundum vocem) denken, da wir ein solches Wesen nicht kennen und auch nicht einen entsprechenden Art- oder Gattungsbegriff 13 . Zwar ist jene Lautgestalt (vox) durchaus etwas Wirkliches (nämlich der Klang der Buchstaben oder Silben), aber daraus kann nicht auf die Wirklichkeit dessen, worauf das Lautgebilde verweist, geschlossen werden. Kann man sich nur an den Laut halten, dann ist es kaum möglich, etwas Wahres zu denken; dann kommt man nur zu einer fingierten Vorstellung der Bedeutung. — Anselms Antwort auf diesen Einwand bleibt unbefriedigend. Er verweist auf die Möglichkeit, aus den verschiedenen Seinsstufen etwas von dem, ,über das nichts Größeres gedacht werden kann', erschließen zu können. Damit verläßt Anselm die Ebene des Gauniloschen 11
12
13
Diese Argumentation ist auf der Grundlage von Anselms Auffassung über das innere Wort schlüssig. Wenn das innere Wort vom Gegenstand selbst gezeugt wird, dann kann es (trivialerweise) das innere Wort nur geben, wenn die betreffende Sache auch existiert. Darauf hat V Warnach zu Recht hingewiesen: Wort und Wirklichkeit bei Anselm von Canterbury, in: Salzburger Jahrbuch für Philosophie 5 / 6 (1961/ 62), 157-176; vgl. besonders 172. Der Mönch Gaunilo von Marmoutiers kritisierte den in den Kapiteln 2—4 vorgetragenen Gottesbeweis. Anselm hat eine ausführliche Entgegnung auf diese Kritik verfaßt und angeordnet, daß diese Kontroverse dem Text des Proslogion angefügt werden sollte. — Die Diskussion liegt in einer zweisprachigen Ausgabe vor: Kann Gottes Nicht-Sein gedacht werden? Die Kontroverse zwischen Anselm von Canterbury und Gaunilo von Marmoutiers, übers., eri. u. hg. von B. Mojsisch, mit einer Einl. von K. Flasch, Mainz 1989. Die Einleitung von Flasch und die Anmerkungen von Mojsisch geben wertvolle Verständnishilfen für die schwierigen Texte und für zentrale Punkte im Streit um Anselms ,ontologisches Argument'. Im Kern wird hier bereits Kants Kritik an der Möglichkeit eines solchen Begriffs vorweggenommen (KrY A 601 f.).
3. Bedeuten und Benennen: De grammatico
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Arguments und nimmt Zuflucht zu philosophischen Prämissen, die im Beweisgang nicht ausgewiesen sind. Die herangezogenen Stellen aus dem Monologion und dem Proslogion
geben zwar aufschlußreiche Hinweise zu Anselms Sprachverständnis; allerdings wird in beiden Abhandlungen, den gesetzten Themen entsprechend, die menschliche Sprache und das menschliche Wort nur am Rande behandelt. Wie sieht Anselm die Sprache, wenn es nicht primär um spekulativ-philosophische Probleme geht? Das läßt sich an der Untersuchung De grammatico überprüfen.
3. Bedeuten und Benennen: De grammatico14 Anselms De grammatico gehört zu einer Gruppe von Werken, die in Dialogform verfaßt und wahrscheinlich in den Jahren 1080-1085 entstanden sind. Gesprächspartner sind der Lehrer (Anselm) und ein Schüler, der über detaillierte Kenntnisse der philosophischen Tradition (Logik, Dialektik) verfügt. Der Titel der Schrift - es sind die Anfangsworte der Abhandlung — ist treffend und dennoch irreführend. Das Werk untersucht eigentlich nur eine einzige Frage, die der Schüler sogleich vorbringt (und die in einigen Handschriften auch als Titel vorangestellt wird): Ist ,grammaticus' 15 Substanz oder Qualität? Werde diese Frage befriedigend beantwortet — so der Schüler weiter —, dann wisse er, wie allgemein die Fälle zu beurteilen sind, in denen etwas paronym (denominative) ausgesagt werde. Damit wird gleich zu Beginn offenkundig, daß De grammatico an die Kategorienschrift des Aristoteles anknüpft. Aristoteles unterscheidet im ersten Kapitel zwischen Homonymie, Synonymie und Paro14
15
Opera omnia I, 141—168. Eine engl. Übersetzung mit umfangreichem Kommentar liegt vor durch D. P. Henry, Commentary on De Grammatico. The Historical-Logical Dimensions of a Dialogue of St. Anselm's, Dordrecht 1974. Henry versucht, den Anselmischen Text einerseits durch Hinweise auf umfangreiches Quellenmaterial, andererseits mit dem Instrumentarium der modernen Logik (Lesniewski) zu erhellen. Die Übersetzung von „grammaticus" ist schwierig, weil es im Dt. kein Äquivalent gibt, das (ohne Änderung der Wortform) zugleich als Substantiv und als Adjektiv eingesetzt werden kann. D. P. Henry übersetzt mit „literate" (gebildet, Gebildeter), was sich im Dt. auch nicht nachbilden läßt. Im folgenden wird deshalb das lat. Wort beibehalten. - Ursprünglich meint grammatikós/grammaticus jemanden, der sich im Lesen und Schreiben auskennt.
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VII. Anselm von Canterbury
nymie 16 . Paronym werden Dinge genannt, die ihre Benennung von einem anderen erhalten, wobei die Namen sich nur durch eine verschiedene Endung unterscheiden. Der Grammatiker etwa wird nach der Grammatik, der Tapfere nach der Tapferkeit benannt. — Die Kategorienschrift des Aristoteles war Anselm vornehmlich durch die Ubersetzung und den Kommentar des Boethius bekannt. Diesen historischen Bezügen wird im folgenden nicht nachgegangen. Es sei nur daraufhingewiesen, daß das von Anselm in De grammatico behandelte Problem sich für Aristoteles nicht stellt. Der Schüler legt das Dilemma, in dem er sich befindet, folgendermaßen dar: Einerseits lasse sich die Zugehörigkeit von grammaticus zur Kategorie der Substanz beweisen, nämlich durch folgenden Syllogismus: — Jeder grammaticus ist ein Mensch. — Jeder Mensch ist eine Substanz. — Also ist grammaticus eine Substanz. Andererseits bezeugen Aristoteles und die Tradition, daß grammaticus zur Kategorie der Qualität gehört. Nun kann aber — nach aristotelischer Ontologie — nicht beides wahr sein. Denn Substanzen sind das selbständig Zugrundeliegende, während die anderen Kategorien (Akzidenzien) erst dadurch Halt und Bestand gewinnen, daß sie in einer Substanz sind. Dieser Problemexposition des Schülers stellt der Lehrer seine provozierende These entgegen: Die vorgetragenen Argumente mögen schlüssig sein, aber nicht die gezogene Konsequenz, daß es sich um sich ausschließende Glieder einer Alternative handle. Es komme vielmehr darauf an zu zeigen, auf welche Weise beide Thesen zusammen bestehen können. Die Lösung dieses Problems bringt Anselm erst im zwölften Kapitel, in dem er einen doppelten Sinn von „Bezeichnen" (significare) unterscheidet und so die beiden Thesen (Grammaticus ist Substanz bzw. Qualität) kompatibel macht. Das heißt: Im Blick auf These und Gegenthese muß die Kopula („est", das im Lat. fehlen kann) als „bezeichnen"/„bedeuten" verstanden werden. Schon im zweiten Kapitel wird greifbar, worauf Anselm hinauswill: Bei dem ersten Versuch, die erste Prämisse des angeführten Syllogismus zu widerlegen, setzt der Schüler statt der Kopula „potest intelligi" (kann verstanden werden) ein. Noch deudicher wird diese Intention im dritten Kapitel, 16
Gegen das Verständnis der späteren Logik ist zu betonen, daß es Aristoteles um Seins-Verhältnisse und nicht um sprachliche Phänomene geht.
3. Bedeuten und Benennen: De grammatico
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in dem der Lehrer den Ausdruck „significare" einführt: „Scheint dir der N a m e ,Lebewesen' etwas anderes zu bezeichnen als eine belebte mit Sinnen ausgestattete Substanz (substantiam animatam sensibilem)?" Freilich setzt der Schüler in seiner bejahenden Antwort statt „significare" wieder die einfache Kopula „est" ein. Dieser Wechsel zwischen „esse" (sein), „intelligi" (verstanden werden) und „significare" (bezeichnen) ist kennzeichnend für den gesamten Dialogverlauf. Eine wichtige Voraussetzung für die Lösung des anstehenden Problems schaffen die Überlegungen des Kapitels IV Hier weist der Lehrer nach, daß die vom Schüler dargelegte Konsequenz („Kein grammaticus ist ein Mensch") deshalb falsch ist, weil die angesetzten Prämissen — gegen den Anschein der ersten Formulierung — gar keinen gemeinsamen (mittleren) Terminus haben. Aus dieser Analyse muß nach Anselm folgende Lehre, die er am Schluß des Kapitels formuliert, gezogen werden: „Der gemeinsame Terminus eines Syllogismus wird weniger durch den sprachlichen Ausdruck (in prolatione) als vielmehr durch die Bedeutung (in sententia) konstituiert. Wie nämlich nichts gefolgert werden kann, wenn ein gemeinsamer Terminus nur dem Wortlaut (in voce), aber nicht dem Sinn nach (in sensu) vorhanden ist - so steht nichts im Wege, Folgerungen zu ziehen, wenn ein gemeinsamer Terminus im Verständnis (in intellectu), aber nicht dem sprachlichen Ausdruck nach existiert. D e n n die Bedeutung bindet den Syllogismus zusammen, nicht die Wörter (Sententia quippe ligat syllogismum, non verba)" (c. IV).
Der Schüler hat somit in den vorgetragenen Syllogismen den logischen Fehler der quaternio terminorum (Vierheit der Begriffe) begangen, weil in den beiden Prämissen gar kein gemeinsamer Mittelbegriff auftritt. Dieser Fehler wurde vom Schüler übersehen, weil er sich an den bloßen Wortlaut (prolatio, vox, verbum), nicht aber an die Bedeutung (sententia, sensus, intellectus) hielt. Die bloße Identität des Wortes führt zu Fehlschlüssen, wenn die Identität der Bedeutung nicht gewahrt bleibt. Die Kenntnis der logischen Regeln nützt nichts, wenn man sich bloß an Wörter hält; denn der Exaktheit der Logik steht ein weniger exakter Sprachgebrauch gegenüber. Anders gesagt: Sprachliche und logische Form können differieren. Das ist der leitende Aspekt, unter dem Anselm die Sprache in De grammatico thematisiert, freilich nur sehr exemplarisch. Von diesem einen Aspekt darf allerdings nicht auf Anselms generelle Einstellung zur Sprache geschlossen werden. M.L.Colish17 hat darauf hingewiesen, daß Anselm als 17
St.Anselm's Philosophy of Language Reconsidered, in: Anselm Studies 1983, 525-533.
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VII. Anselm von Canterbury
,Linguist' vornehmlich vier Strategien' anwende: 1. Bisweilen gehe er von dem Grundsatz aus, daß die Logik präziser sei als der normale Sprachgebrauch. 2. Manchmal gehe er vom usus loquendi aus und wende diese Norm auf logische, ethische, metaphysische und theologische Fragen an. 3. Weiterhin betone Anselm aber auch, daß die Grammatik nicht immer mit der Wirklichkeit des geschaffenen Universums übereinstimme. 4. Schließlich hebe er hervor, daß die Grammatik nicht immer der göttlichen Realität entspreche. Colish gibt jeweils Beispiele für die unterschiedliche Argumentationsweise und zieht daraus die Konsequenz, daß Anselms Sprachbetrachtung unsystematisch ist. Man dürfe deshalb die Position Anselms weder ausschließlich so interpretieren, daß er den Endpunkt einer Epoche markiere und hauptsächlich mit der Analyse der ethischen und theologischen Sprache beschäftigt sei, noch ausschließlich so kennzeichnen, daß man nur die Parallelen mit der späteren Scholastik und der modernen Logik hervorhebe.
Zwar sind mit dem Aufweis der quaternio terminorum die absurden Konsequenzen des Schülers zurückgewiesen; aber es ist noch nicht gezeigt, daß die beiden Thesen sich nicht ausschließen. Die Unterscheidung zwischen Wortlaut und Sinn gibt allerdings die Richtung an, die die weitere Untersuchung einzuschlagen hat. Nachdem noch einmal ausführlich dargelegt wird, daß „grammaticus" sowohl im Blick auf „Mensch" als auch im Blick auf „Grammatik" gesagt und verstanden werden kann, fragt der Lehrer: Ist damit nicht die Verträglichkeit der Thesen aufgewiesen, so, daß im ersten Fall „grammaticus" auf eine Substanz, im zweiten Fall auf eine Qualität verweist? Der Schüler verweigert seine Zustimmung, weil er nicht einsieht, daß dies nicht auch für „Mensch" gelten soll. „Mensch" bezieht sich doch auch auf eine Substanz mit all ihren Eigenschaften. Warum sollte dieses Wort (im Blick auf die Eigenschaften) nicht auch Qualitatives bezeichnen (c. XI)? Im zwölften Kapitel werden die Bedenken des Schülers durch die Unterscheidung von Bezeichnen und Benennen zurückgewiesen. Anselm argumentiert so: Der Schüler hat übersehen, daß Namen für Substanzen (ζ. B. homo) auf ganz andere Weise die Substanz bezeichnen als Paronyma. (1.) Der Name „Mensch" bezeichnet an sich (per se) und als Einer (ut unum) all das, woraus ein ganzer Mensch besteht. Dabei nimmt die Substanz den ersten Rang ein, weil die anderen kategorialen Bestimmungen ohne die zugrunde liegende Substanz nicht existieren können. Die Substanz dagegen ist von der Existenz beiläufiger Eigenschaften nicht abhängig. Deshalb gilt: Zwar wird alles, woraus ein Mensch besteht, unter der einen Bedeutung und dem einen Namen („Mensch") zusammengefaßt; aber hauptsächlich und zuerst bedeutet und bezeichnet der Name „Mensch" die Substanz (,,·•• principaliter hoc nomen est significativum et appellativum
3. Bedeuten und Benennen: De grammatico
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substantiae ..."; c.XII). — Anders dagegen verhält es sich (2.) bei dem Wort „grammaticus". Es bezeichnet (significai) an sich (per se) die Grammatik und nur bäläufig (per aliud) den Menschen. „Grammaticus" benennt zwar den Menschen, es ist ein appellativum; aber dieser Name bedeutet (bezeichnet) nicht den Menschen; er ist nicht dessen significativum. U n d weiter: „Grammaticus" bedeutet Grammatik, aber es benennt Grammatik nicht. Appellativum — so legt Anselm fest — heißt der Name einer Sache, wenn durch ihn in der Umgangssprache die Sache selbst benannt wird 1 8 . Normalerweise sagt m a n nicht — wie es korrekt wäre — „Die Grammatik ist grammaticus", sondern m a n sagt gewöhnlich „Der Mensch ist grammaticus". Das heißt: M a n muß zwischen der Bedeutungsfunktion (significatio per se) und der Benennungsfunktion (appellatio; zunächst als significado per aliud eingeführt) eines Wortes unterscheiden. Das Wort „grammaticus" bedeutet eine bestimmte Qualität; aber es benennt zugleich eine bestimmte Substanz (als Träger dieser Qualität). Die U m gangssprache (und mit ihr die traditionelle Logik) übergeht diesen Unterschied. Sie hält sich vornehmlich an die Benennungsfunktion und verführt auf diese Weise zu logischen Fehlschlüssen. Das X I V Kapitel verdeutlicht die gewonnene Unterscheidung an einem anderen Beispiel, das sich nicht auf einen logischen Syllogismus, sondern auf eine konkrete Sprechsituation bezieht. Gesetzt, in einem Gebäude befindet sich ein weißes Pferd. Nun sagt jemand, der dies weiß, zu j e m a n d anderem, der davon nichts weiß: „In diesem Gebäude befindet sich etwas Weißes." Es ist klar, daß der Hörer dadurch nicht erfährt, wovon eigentlich die Rede ist, auch wenn er die Vorstellung „weiß" aus Gewohnheit mit einem Körper oder einer Oberfläche verbindet. „Weiß" bezeichnet eben nicht die zugrunde liegende Substanz. Anders verhält es sich in folgender Situation: Ein weißes Pferd und ein schwarzes Rind stehen nebeneinander. Sagt nun j e m a n d „Schlage das Weiße!", dann weiß der Hörer sogleich, daß das Pferd gemeint ist. In diesem Fall benennt (bezeichnet beiläufig) „weiß" das Pferd. Damit „weiß" diese Funktion erfüllen kann, 18
W. L. Gombocz sieht in diesem Kapitel die semantische Unterscheidung zwischen Intension (significativum) und Extension (appellativum) terminologisch durchgeführt; mit dieser ,semantischen Aufspaltung' argumentiere aber bereits der Gottesbeweis des Proslogion (.Anselm über Sinn und Bedeutung, in: Anselm Studies 1983, 125-141).
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ist ein bestimmter Situationsbezug erforderlich. Diese Bedingung entfällt bei „grammaticus", weil — unserer Erfahrung nach — nur der Mensch grammaticus sein kann. Im X V Kapitel ergänzt Anselm die im c. XII eingeführte terminologische Unterscheidung durch den Hinweis, daß die significatio per se auch „substantialis", die significatio per aliud auch „accidentalis" genannt werden könne. — Die in den Kapiteln X V I - X X I geführte Diskussion muß nicht weiter verfolgt werden, da sie keine wesentlich neuen Gesichtspunkte für die Frage nach der Eigenart des Benennens und Bezeichnens beibringt. (Im Mittelpunkt steht der Versuch, die eigenen Ausführungen mit Aristoteles' Kategorienschrift in Einklang zu bringen.) Jedenfalls läßt sich für die Sprachuntersuchung in De grammatico festhalten: Zwar leistet Anselm einen originellen Beitrag für eine Theorie der Bedeutung und Benennung; aber diese Überlegungen sind einer logischen Problemstellung untergeordnet. Es geht darum, die logische Schlüssigkeit, die von einem ungenauen Sprachgebrauch gefährdet ist, sicherzustellen. Erweist sich in dem in De grammatico untersuchten Fall (Ist „grammaticus" Substanz oder Qualität?) das Verhältnis von (logischer) Wahrheit und (Umgangs-) Sprache als problematisch, dann legt sich die Frage nahe: Wie steht es überhaupt um die Wahrheit der Rede?
4. Die Wahrheit der Rede: De ventate19 Anselms Dialog Uber die Wahrheit setzt ein mit dem Glaubenssatz, daß Gott die Wahrheit ist. Allerdings sprechen wir auch in vielen anderen Bereichen von Wahrheit. Müssen wir diese Wahrheiten Gott selbst zuschreiben? U m diese Frage entscheiden und mit einer Wesensbestimmung (definitio) beantworten zu können, geht Anselm so vor, daß er die einzelnen Gebiete untersucht, in denen wir von Wahrheit sprechen: die Aussage, das Denken, den Willen, das Handeln, die Sinne, das Wesen der Dinge, Gott. 19
Opera omnia I, 169—199. — Anselm von Canterbury, De ventate/Uber die Wahrheit, lat.-dt. Ausg. von F.S.Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt 1966. - Eine originelle Würdigung des Anselmischen WahrheitsbegrifFs findet sich bei K. Flasch, Zum Begriff der Wahrheit bei Anselm von Canterbury, in: Phil. Jahrb. 72 (1965), 322—352. Gegen die gängige Interpretation, nach der Anselm eine Realistische' WahrheitsaufFassung vertritt, versucht Flasch aufzuweisen, daß Anselms Wahrheitsdefinition als ,transzendentalphilosophische Reflexion' zu verstehen ist (331).
4. Die Wahrheit der Rede: De veniate
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Das zweite Kapitel thematisiert die Wahrheit der Bezeichnung (significado)20 und die (zweifache) Wahrheit der Aussage. Die Analyse setzt bei der Aussage ein, weil die Prädikate „wahr" oder „falsch" wohl am häufigsten auf Aussagen angewendet werden. Der Schüler beantwortet die Frage nach der Wahrheit der Aussage zunächst — gut aristotelisch (vgl. Metaphysik 1011 b 26 f.) - so: Eine Aussage ist wahr, „wenn ist, was sie aussagt, sei es bejahend, sei es verneinend." Nun kann das Wahrheitskriterium aber weder in der stimmlich verlautbarten Rede (oratio) noch in ihrer Bedeutung (significatio) noch in dem liegen, was weiterhin zur Definition der Aussage gehört (Bejahung, Verneinung ...). Das ist deshalb unmöglich, weil sie - wie der Schüler richtig feststellt - dann immer wahr wäre; „denn es bleibt alles in der Definition der Aussage dasselbe, sowohl wenn ist, was sie aussagt, als wenn es nicht ist. Die Rede ist nämlich dieselbe, die Bedeutung dieselbe und das übrige ähnlich." An dieser Stelle gibt Anselm der Argumentation eine teleologische Wendung; darin liegt die für Anselms Wahrheitsbegriff charakteristische Pointe. Anselm fragt: Wozu ist die Bejahung geschaffen worden? Die Antwort lautet: Sie ist geschaffen worden, um zu bezeichnen (anzuzeigen), was ist. Dann kann man auch so sagen: Die Bejahung muß anzeigen, daß ist, was ist. Und: Wenn sie bezeichnet, was sie bezeichnen muß, dann bezeichnet sie recht (recte), dann ist die Bezeichnung recht. Die Wahrheit der Bezeichnung ist ihre Rechtheit (rectitudo)21. Mit der Rechtheit ist das entscheidende Kriterium gefunden, das für alle Bereiche gilt, in denen wir von Wahrheit sprechen. Dieser Ansatz beim „Zweck" bzw. beim „Müssen" führt im nächsten Schritt zu einer eigentümlichen Differenzierung im Blick auf den Wahrheitsbegriff der Rede bzw. Aussage. Der Schüler trägt folgende Überlegung vor: „Aber lehre mich, was ich antworten kann, wenn jemand sagt, daß, auch wenn die Rede anzeigt, daß ist, was nicht ist, sie anzeigt, was sie muß. Denn in gleicher Weise hat sie empfangen anzuzeigen, daß ist sowohl was ist, als auch was nicht ist.
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F. S. Schmitt übersetzt „significatio" und „significare" durchgängig mit „Anzeige" und „anzeigen". Diese Übersetzung hat den großen Vorteil, daß sie voreilige Konnotationen vermeidet; dennoch verdient wohl „Bezeichnung" oder „Bedeutung" den Vorzug, weil so der sprachliche Bezug der Überlegungen deutlicher gemacht werden kann. Flasch erläutert so: „Die Aussage ist nicht deshalb wahr, weil sie sich dem Gegenstand anpaßt, sondern weil sie erfüllt, was sie soll. Der Gegenstand ist das Material, an dem sie ihre eigene rectitudo-veritas verwirklicht. Die Wahrheit wird vom im-
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VII. Anselm von Canterbury
Wenn sie nämlich nicht empfangen hätte anzuzeigen (accepit significare), daß ist, auch was nicht ist, würde sie dies nicht anzeigen. Deshalb zeigt sie, auch wenn sie anzeigt, daß ist, was nicht ist, das an, was sie muß. Aber wenn sie im Anzeigen dessen, was sie muß, recht und wahr (recta et vera) ist, [...] ist die Rede wahr, auch wenn sie aussagt, daß ist, was nicht ist" (c. II).
Das heißt: Normalerweise bezeichnen wir eine Aussage als wahr, wenn sie etwas so aussagt, wie es sich in Wirklichkeit verhält (wenn sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt). Eine solche Aussage ist recht und richtig (rectus); sie bekundet das, wozu sie geschaffen ist und was sie so muß (debet), da nämlich all unser Erkennen auf Wahrheit aus und ihr so verpflichtet ist. Eine falsche Aussage verfehlt diesen Zweck. In anderer Hinsicht jedoch kann auch eine falsche Aussage ihren Zweck erfüllen und recht sein. Sie tut nämlich das, was sie tun muß, sofern sie etwas bezeichnet; auch darin liegt ihr Zweck. (Man könnte noch hinzufügen: Eine falsche Aussage kann mit dem übereinstimmen, was der Redende — etwa der Lügner — ausdrücken will. Diese Perspektive wird von Anselm nicht berücksichtigt.) Anselm erklärt diese zweifache Hinsicht durch die Gegenüberstellung von „empfangen" (accipere) und „schaffen" (facere). Die Bezeichnungsfunktion der Aussage (und aller Rede) hat sie ,empfangen' (einfach dadurch, daß j e m a n d spricht); sie kommt der Aussage von Natur aus zu und ist unveränderlich 2 2 . Wahr zu sein dagegen ist das, wozu die Aussage ,geschaffen' ist; diese ,Wahrheitsfunktion' ist zufällig (accidentaliter) und hängt davon ab, wie sie gebraucht wird (secundum usum) 2 3 . Dieser zweifache Sinn von Wahrheit ist jedoch nicht nur für die Rede bzw. Aussage kennzeichnend. Er betrifft den Bereich des Handelns (actio) überhaupt, wie im fünften Kapitel dargelegt wird: Wahrheit liegt in der Rechtheit. D a n n ist „wahr handeln" gleichbedeutend mit „recht handeln" oder „gut handeln". N u n kann m a n unterscheiden zwischen einem rationalen und einem nicht-rationa-
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manenten Sinn des Sprechens, nicht unmittelbar vom Objekt her bestimmt" (1965: 330). Diese Wahrheit der Bezeichnung ist nicht nur der Aussage eigen, sondern dem gesprochenen Wort überhaupt und allen Zeichen, die dazu gemacht werden, das Sein oder Nichtsein von etwas anzuzeigen, z. B. Schrift- oder Fingerzeichen. Die Bedeutung liegt also nicht im Gebrauch. Es gibt nach Anselm allerdings Sätze, in denen beide Wahrheitshinsichten zusammenfallen, nämlich Aussagen, die unter allen Umständen wahr sind, z. B. „Der Mensch ist ein Lebewesen". Die Bedeutung ist hier vom Wahrheitsgehalt nicht zu trennen; anders bei dem Satz „Es ist Tag", der bei gleichbleibender Bedeutung bald wahr, bald falsch sein kann.
4. Die Wahrheit der Rede: De veritate
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len Handeln, zwischen einer notwendigen und einer nicht-notwendigen Wahrheit der Handlung. Wenn ζ. B. das Feuer wärmt, dann tut es das, was es tun muß. Diese Art des Tuns ist von Natur aus so, wie sie ist, und damit wahr. Wenn aber ein Mensch wahr handelt, etwa indem er ein Almosen gibt, dann handelt er nicht mit natürlicher Notwendigkeit, sondern aus Freiheit. Das läßt sich nun auf die zweifache Wahrheit der aussagenden Rede anwenden; denn auch sie gehört zum Handeln (im weiten Sinne 24 ): D a ß die Reden (und alle Zeichen) etwas bezeichnen, ist die natürliche Wahrheit der Handlung des Zeichengebens. Diese Wahrheit entstammt nicht dem vernünftigen Handeln des Menschen; sondern sie ist,empfangen' vom Schöpfer. Die andere Wahrheit jedoch ist abhängig vom Willen und Vermögen des Menschen und insofern von ihm ,gemacht'. Die Veritas significationis wird im neunten Kapitel noch einmal aufgegriffen. Die Wahrheit der Bedeutung, so heißt es jetzt, ist gar nicht auf die Zeichen eingeschränkt. „Sehen wir also, welche Weite die Wahrheit der Anzeige (veritas significationis) hat. Denn nicht allein in den Dingen, die wir Zeichen zu nennen pflegen, sondern auch in edlen anderen, von denen wir sprachen [Denken, Wollen, Wesen der Dinge], ist die Anzeige wahr oder falsch. Weil nämlich von niemandem zu tun ist, außer was einer tun muß, so sagt und zeigt einer eben dadurch, daß er etwas tut, an, daß er dies tun muß. Wenn er tun muß, was er tut, spricht er wahr, wenn er es aber nicht muß, lügt er" (c. IX).
Anselm erläutert an einem Beispiel, worauf er hinauswill: M a n fragt einen Kundigen, welche Kräuter heilsam und welche todbringend sind. Der Befragte beantwortet die Frage; er ißt aber selbst von den Kräutern, die er als todbringend bezeichnet hat. Dann würde der Ratsuchende sicherlich mehr der Tat als dem Wort glauben. Das heißt allgemein: Worte können durch Taten widerlegt werden. Daran wird deutlich, daß auch die Taten etwas anzeigen, nämlich Wahrheit oder Falschheit. Auch die Dinge zeigen etwas an — nicht nur ihr Sein, sondern das, was sie sein müssen oder sollen. Damit erweist sich die ,Wahrheit der Bezeichnung' als grundlegend für alle Arten der Wahrheit. Mit dem zehnten Kapitel, das die höchste Wahrheit thematisiert, kommt Anselms Untersuchung ans Ziel. Die höchste Wahrheit (Gott) ist die selbst nicht verursachte Ursache aller Wahrheiten. Sie ist — 24
„Tun" bzw. „handeln" ist nach Anselm, der sich auf Bibelstellen und den allgemeinen Sprachgebrauch beruft, alles, was durch ein Verb ausgedrückt wird.
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VII. Anselm von Canterbury
wie Anselm ausführlich zu beweisen versucht (vgl. auch Monologion, c. XVIII) - ewig und so der letzte Grund dafür, daß die Wahrheit nicht in der Flüchtigkeit der Rede vergeht, sondern Bestand hat.
In den vier behandelten Texten thematisiert Anselm ganz unterschiedliche Aspekte von Sprache und Wort. Das Monologion analysiert das verbum im Zusammenhang einer Trinitätsspekulation. Hierfür ist die Unterscheidung einer dreifachen Bedeutung von „sprechen" wichtig: Die artikulierte Rede wird abgehoben vom inneren Dialog (der an Zeichen gebunden bleibt), dieser wiederum von der unmittelbaren (ohne Zeichen vermittelten) Schau der Sache. Die dritte Art des Sprechens bezieht sich auf das natürliche Wort (verbum naturale), u m dessentwillen das künsdiche Wort erfunden wird (verbum inventum). Mit dem Begriff des natürlichen Wortes ist nach Anselm die größtmögliche Ähnlichkeit erreicht zum Wort Gottes, das nicht nur Grund für die Existenz des Seienden, sondern auch G r u n d seiner Erkennbarkeit ist. Diese ,Wortlehre' Anselms geht von einem Vergleich mit dem handwerklich-künstlerischen Herstellen aus. Im Gegensatz zu Piatons Krafylos dient dieser Vergleich jedoch nicht dem Ziel, die Eigenart des menschlichen Sprechens möglichst umfassend zu erhellen; vielmehr ist der Vergleich Ausgangspunkt für den Versuch, die christliche Lehre vom Wort Gottes rational-spekulativ zu durchdringen. Die Grenze dieser spekulativen Anstrengung wird mit der Unterscheidung zwischen N a m e und Bedeutung deutlich gemacht. Zwar können wir Gott durchaus würdig benennen; aber die uns vertraute Bedeutung dieser Worte erreicht nicht die Einzigartigkeit des göttlichen Wesens. Da Anselm im Monologion das menschliche Wort gleichsam nur en passant thematisiert, bleibt der Zusammenhang zwischen götdichem Wort und menschlichem Sprechen weitgehend ungeklärt. Es läge nahe zu fragen: Wenn durch das Wort Gottes alles geschaffen und in diesem Sinne worthaft ist, müßte dann das lauthafte Wort nicht einen ursprünglicheren Bezug zur Sache haben als den des bloßen Zeichens 25 ? Wenn der Maßstab für die Wahrheit des Denkens in 25
In diese Richtung geht die Interpretation der Philosophie Anselms bei R. Berlinger: Zur Sprachmetaphysik des Anselm von Canterbury. Eine spekulative Explikation, in: Analecta Anselmiana V (1976), 99-112. Wenn Berlinger betont, daß sich die Vernunft durch das Urwort als Sprache auslege (105), oder wenn er auf die Ursprung-
4. Die Wahrheit der Rede: De ventate
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der Ähnlichkeit (similitudo) mit der Sache gründet, wenn die höchste Ähnlichkeit im nomen naturale erreicht wird, welche Konsequenzen hat dies für die Einschätzung dessen, was wir normalerweise unter „Wort" und „Sprache" verstehen? Wenn für das göttliche Wesen die innigste Einheit von Sprechen und Erkennen gilt, hat das Auswirkungen für die Einschätzung des gesprochenen Wortes? Auf diese Fragen gibt das Monologion keine Antwort; in dem Maße, in dem die Frage nach dem Wort Gottes vorrangig wird, scheint das menschliche Miteinander-Sprechen in den Hintergrund treten zu müssen. Demgegenüber bringt das Proslogion keine neuen Aufschlüsse über Anselms Sprachverständnis. Im vierten Kapitel wird die aus dem Monologion bekannte Unterteilung des Wortes angewendet, um die Diskrepanz zwischen den Worten und dem Wahrheitsgehalt in der These des Toren erklären zu können. Hier wäre - vor allem im Blick auf den angeführten Streitpunkt mit Gaunilo - zu fragen: Läßt sich die von Anselm behauptete Einheit von Sachgehalt und Existenz (im ,ontologischen' Argument) noch aufrechterhalten, wenn der sprachlich-bezeichnende Laut von der Einsicht in den Sachgehalt (Sinn) strikt zu trennen versucht wird? De grammatico thematisiert die Sprache auf andere Weise. Erscheint die Sprache in Monologion und Proslogion gleichsam aus dem Blickwinkel des Göttlichen, so wird jetzt das menschliche Sprechen unter logischer Perspektive behandelt. Dem Exaktheitsanspruch des logischen Denkens steht ein (zumindest bisweilen) ungenauer Sprachgebrauch (usus loquendi) entgegen. Den Mittelpunkt der subtilen Erwägungen bildet die Unterscheidung zwischen der Bezeichnungs(Bedeutungs-) und Benennungsfunktion des Wortes. Damit gibt Anselm einen originellen Lösungsvorschlag für das auch in der modernen Logik und Sprachanalyse diskutierte Problem der besonderen Verwendungsweise von Eigennamen 2 6 . Das in De grammatico behandelte spezielle Problem (Paronymie) stellt vor die allgemeine Frage nach der Wahrheit der Rede. Diese Frage wird in De ventate beantwortet, allerdings mit der Einschränkung (wie es in der aristotelischen Tradition auch kaum anders sein kann), daß es eigentlich nur um die Wahrheit der Aussage (enuntiatio)
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lichkeit von Vernunft und Sprache hinweist (107), dann ist freilich einschränkend zu bemerken, daß Anselm selbst dies nicht dargelegt hat. Darüber informiert vorzüglich: U. Wolf (Hg.), Eigennamen. Dokumentation einer Kontroverse, Frankfurt/M. 1985.
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VII. Anselm von Canterbury
geht. In diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung einer zweifachen Wahrheitshinsicht von besonderem Gewicht. Dabei wird greifbar, in welchem Sinne die alte Kontroverse ,physei — thései' auch bei Anselm eine Rolle spielt und wie er sie zu lösen versucht: Gegen den üblichen Sprachgebrauch kann man von einer Wahrheit der Aussage bereits sprechen, wenn sie ihre Bezeichnungsfunktion erfüllt. Diese Wahrheit der Bezeichnung kommt der Aussage unveränderlich und von Natur aus zu (physei). Eine höhere Wahrheit ist derjenigen Aussage eigen, die anzeigt, was ist. Diese Wahrheit der Aussage ist nicht naturhaft empfangen, sondern frei geschaffen (thései); sie ist abhängig vom jeweiligen Gebrauch, sofern die eine Aussage bald wahr, bald falsch sein kann. In der im strengen Sinne wahren Aussage sind beide Wahrheiten vereint. Da auch das Sprechen zum Handeln gehört, läßt sich weiterhin sagen: Die Wahrheit der Bezeichnung ist die Wahrheit des natürlichen Handelns; die Wahrheit der Aussage hingegen ist die Wahrheit des vernünftig und frei handelnden Menschen. Beide Wahrheiten gründen letztlich im Schöpfergott als der höchsten Wahrheit. Faßt man diese Wahrheit als Wort Gottes, dann kehrt das Ende von De ventate zum Anfang des Monologion zurück. Und es wird klar, warum die Wahrheit der Bedeutung grundlegend ist (De ventate, c. IX): Alles zeigt etwas an, weil es vom Wort Gottes geschaffen ist. Freilich muß man im Blick auf diese Überlegungen die Einschränkung machen, daß Anselm die verschiedenen Aspekte seiner Sprachauffassung nicht zu systematisieren versucht hat. An einer Wesensbestimmung der menschlichen Sprache, an einer Korrektur der traditionellen Auffassung scheint ihm — trotz seiner originellen Aufschlüsse über das Bezeichnungsproblem — sehr wenig gelegen. Augustine Grundproblem tritt auch bei Anselm heraus. Die menschliche Sprache bleibt unter dem Joch der Logik oder unter dem der Trinitätsspekulation. Eine Vermittlung beider Aspekte wird nicht durchgeführt, sondern höchstens angedeutet (mit dem Begriff des natürlichen Wortes, mit der These von der grundlegenden Bezeichnungswahrheit). Dennoch ist die fundamentale Differenz zu Augustine Einschätzung der Sprache offenkundig. Auch wenn der normale Sprachgebrauch bisweilen nicht logisch exakt ist, es finden sich bei Anselm keinerlei Anzeichen für eine abwertende Einstellung gegenüber der Sprache. Die rationale Theologie des Wortes eröffnet auch dem Sprechen des Menschen die Möglichkeit, an der göttlichen Wahrheit teilzuhaben.
Vili. THOMAS VON AQUIN Die Aufwertung des Zeichens
Thomas' Äußerungen zum Wort und zur Sprache sind unter verschiedenen Gesichtspunkten thematisiert worden. Einen informativen Überblick gibt A.Kellerder allerdings sogleich einschränkend feststellt, „daß Arbeiten über die sprachphilosophischen Auffassungen Thomas von Aquins nur sehr spärlich zu finden sind" (464). Diese Arbeiten lassen sich grob in zwei Richtungen einteilen, in solche, die traditionell' die Sprache als solche thematisieren (Keller: ,reflexe Sprachphilosophie', 469) und in solche, die sich der sprachanalytischen Methode verbunden fühlen 2 . Einer sprachanalytischen Philosophie, die sich auch der Ontologie verpflichtet weiß, ist die interessante Untersuchung H. Weidemannsi zuzurechnen. Sie setzt sich das Ziel, durch eine Analyse entsprechender Stellen aus Thomas' In librum Boethii De frinitale expositw „die sprachlichen Grundlagen der von Thomas entworfenen Metaphysik herauszuarbeiten" (14). Weidemann vertritt die These, daß der ontologische Entwurf bei Thomas weniger metaphysische als vielmehr metasprachliche Züge trage (vgl. 176). Die bisher umfassendste Arbeit zur Sprachphilosophie Thomas von Aquins stammt von F.Manthey4, der eine imponierende Fülle von einschlägigen Stellen gesammelt und nach systematischen Gesichtspunkten (Wesen und Aufgaben der Sprache, Probleme der Bedeutung, genetische Probleme etc.) geordnet hat 5 . Systematisch angeordnet sind auch die Darlegungen V Warnachs6, die sich hauptsächlich der historischen Entwicklung bis hin zu Thomas widmen. - Anders als diese Arbeiten geht die folgende Darlegung (wie bisher) so vor, daß sie die wesentlichen Themen an möglichst zusammenhängenden Texten darlegt und der Chronologie der Werke folgt.
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Arbeiten zur Sprachphilosophie Thomas von Aquins, in: Theologie und Philosophie 49 (1974), 464-476. Hinweise dazu finden sich bei G.Jüssen, Thomas von Aquin und die Analytische Philosophie, in: W. Kluxen (Hg.), Thomas von Aquin im philosophischen Gespräch, Freiburg/München 1975, 132-164. Jüssen geht vor allem auf PT. Geach ein. Metaphysik und Sprache. Eine sprachphilosophische Untersuchung zu Thomas von Aquin und Aristoteles, Freiburg/München 1975. Die Sprachphilosophie des hl. Thomas von Aquin und ihre Anwendung auf Probleme der Theologie, Paderborn 1937. Eine kritische Würdigung gibt die Rezension V Warnachs (in: Divus Thomas 16 [1938], 465-467) und Keller 1974: 473. Erkennen und Sprechen bei Thomas von Aquin. Ein Deutungsversuch seiner Lehre auf ihrem geistesgeschichtlichen Hintergrund, in: Divus Thomas 15 (1937), 189—218, 263-290; 16 (1938), 161-196. Diese drei Teile behandeln ausschließlich die Vorgeschichte; sie werden fortgesetzt durch: Das äußere Sprechen und seine Funktionen nach der Lehre des hl. Thomas von Aquin, in: Divus Thomas 16 (1938), 393-419. Warnach
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V i l i . Thomas von Aquin
1. Die Wesensbestimmung der Sprache in De ventate7 a) Das Wesen des Works (q. 4) Die Quaestiones disputatae de ventate sind 1256—1259 in Paris entstanden. Ihr formaler Aufbau geht auf den Verlauf der Disputation in der akademischen Lehre der Zeit zurück: Die Quaestiones (abgekürzt: q.) sind (meistens) in mehrere Artikel (articulus; abgekürzt: a.) eingeteilt, die mit einer Frage eröffnet werden. Zu diesen Fragen werden zunächst Argumente ,dafür und dagegen' vorgetragen, oft gestützt durch Zitate von Autoritäten. Darauf folgt die eigene Entscheidung der Frage (Respondeo. Dicendum quod ...). Diesen zentralen Teil des Artikels nennt man „corpus articuli". Erwiderungen auf die am Anfang aufgezählten vorläufigen Argumente (ad 1, ad 2 ...) beenden den jeweiligen Artikel. Seit Augustinus wird die sprachphilosophische Reflexion wesentlich von zwei Thesen bestimmt, die gleichsam den Rang von Axiomen haben: 1. Die (äußeren) Worte sind bloße Zeichen, die uns (indirekt) auf die Sachen verweisen. 2. Es gibt eine Analogie zwischen menschlichem (innerem) Wort und dem Wort Gottes. Daß zwischen diesen beiden Aussagen ein problematisches Spannungsverhältnis besteht, wird bereits bei Augustinus offenkundig. Thomas bringt mit der Leitfrage des 1. Artikels der 4. Quaestio von De ventate das Problem auf den entscheidenden Punkt: K a n n m a n im Blick auf Gott überhaupt vom Wort im eigentlichen Sinne sprechen? („Utrum verbum proprie dicatur in divinis.") Anders gefragt: Bietet unsere Kenntnis vom Wort und von der Sprache überhaupt noch die Möglichkeit, den Sinn der biblischen Rede vom Wort Gottes zu verstehen? Die Klärung dieses Problems macht eine grundsätzliche Reflexion über die Natur des Wortes und seine Funktion notwendig (q. 4, a. 1, corp.). Thomas knüpft bei der bekannten Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Wort (verbum interius — v. exterius, vgl. q. 4, a. 1, arg. 1) an und fragt nach ihrem Fundierungszusammenhang. Dabei
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hatte noch eine weitere Studie über „Das Denken als inneres Sprechen nach Thomas von Aquin" (419) geplant; diese Studie wurde jedoch nicht mehr ausgeführt. S. Thomae Aquinitatis Quaestiones disputatae, vol. I: De ventate, cura et studio R. Spiazzi, Taurini/Romae 1964. — Des hl, Thomas von Aquino Untersuchungen über die Wahrheil (Quaestiones disputatae de veritate), in dt. Übertragung von E. Stein, Bd. I, Louvain/Freiburg 1952 (E.Steins Werke, Bd.III).
1. Die Wesensbestimmung der Sprache in De ventate
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ist zu beachten, daß uns dasjenige, was der Natur (dem Rang) nach später ist, sehr häufig früher bekannt ist als das von Natur Frühere. So verhält es sich bei all unserer Erkenntnis und Benennung von göttlichen Eigenschaften. Wir erkennen und benennen z. B. zuerst das Gute in den sinnlich wahrnehmbaren Dingen und übertragen es von dort auf unsere Aussagen über Gott. Was wir mit solchen Namen ausdrücken, ist aber früher in Gott, der als Schöpfer die Ursache von allem ist. Auf diese Weise erkennen wir zuerst das Verursachte und setzen dafür einen Namen; es darf deshalb jedoch nicht übersehen werden, daß die Ursache (Gott) von Natur aus früher ist. Entsprechend gilt für den Unterschied von äußerem und innerem Wort: Weil das stimmlich artikulierte (äußere) Wort sinnlich wahrnehmbar ist, ist es uns bekannter als das innere Wort. Darum bezieht sich der Name „Wort" zuerst auf die erklingende Lautgestalt (verbum vocale). Aber: Das innere Wort ist das der Natur nach Frühere; es ist Ursache des äußeren Wortes, und zwar als Wirk- und als Zweckursache (causa efficiens et finalis). Im Blick auf diese beiden Arten der Ursache wird nun das innere Wort genauer charakterisiert: 1. Das innere Wort als Zweckursache Wir sprechen ein Wort nicht um seiner selbst willen aus, sondern nur als Mittel für einen anderen Zweck 8 . Dieser Zweck ist die Kundgabe eines Inneren, nämlich des inneren Wortes. Das äußere Wort ist dazu da, das innere Wort zu offenbaren (manifestare) bzw. zu bezeichnen (significare). Dieses zu bezeichnende Wort aber ist nichts anderes als das innerlich erkannte Selbst (ipsum interius intellectum). 2. Das innere Wort als Wirkursache Das äußere Wort bezeichnet etwas willkürlich (ad placitum); es wird somit vom Willen bewirkt, wie alles andere auch, das künstlich hergestellt wird. Allem aber, was künstlich hergestellt wird, geht ein Bild des Herzustellenden im Geist des Künstlers voraus. Ohne dieses Bild kann das Werk nicht gewollt und verwirklicht werden. Also kann auch ein lautliches Wort nur geäußert werden, wenn ihm zuvor das innere Wort als Urbild (exemplar) im Geist des Sprechenden gebildet wird. Dieser Vergleich mit dem handwerklich-künstlerischen Verfertigen erlaubt eine weitere Differenzierung des Namens „Wort". Wie man 8
Das impliziert bereits der ZeichenbegrifF, den T h o m a s zwar in der Argumentation vermeidet, der aber eindeutig im Blick steht: q. 4, a. 1, arg. 7; q. 4, a. 5, corp.
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Vili. Thomas von Aquin
nämlich beim Herstellen unterscheiden kann zwischen dem ^'weck des Werks, dem Urbild des Werks und dem verwirklichten Werk selbst, so kann m a n auch beim Sprechen einen dreifachen Sinn von „Wort" unterscheiden: 1. das Wort, das vom Verstand erfaßt wird und zu dessen Bezeichnung das äußere Wort ausgesprochen wird; dieser Zweck des äußeren Worts ist das Wort des Herzens (verbum cordis), das ohne stimmliche Verlautbarung gesprochen wird; 2. das innere Wort, das ein Bild der Lautgestalt in sich trägt und deshalb Urbild des äußeren Worts ist; 3. das äußerlich ausgedrückte Wort, das stimmliches Wort genannt wird. Offensichtlich greift diese Unterteilung auf die entsprechenden Ansätze bei Augustinus und Anselm zurück (vgl. o. S. 170). Zwar lassen sich bei den entsprechenden Einteilungen Unterschiede feststellen. So zählt z. B. Anselm zum geistigen Wort auch die Vorstellung eines Körpers, während Thomas nur an die begriffliche Erkenntnis denkt. Die in den Schemata feststellbaren Unterschiede zwischen Augustinus, Anselm und Thomas betreffen jedoch mehr die unterschiedlichen ,erkenntnistheoretischen' Konzeptionen als die grundsätzliche Auffassung der Sprache. Alle drei teilen die Auffassung, daß es ein Wort des Herzens (des Geistes) gibt, das als Ursprung des äußeren Sprechens nicht an die Vermittlung von Zeichen gebunden ist. Das ist die entscheidende Grundlage für die Interpretation des Wortes innerhalb der Trinitätsspekulation. So ist auch in De ventate mit der Unterscheidung zwischen verbum cordis, verbum interius und verbum vocis die Voraussetzung für die Beantwortung der Leitfrage des 1. Artikels geschaffen. Es ist einleuchtend, daß das äußere Wort von Gott nicht im eigentlichen Sinne (proprie) ausgesagt werden kann; denn dieses verbum vocis wird mit Hilfe des Körpers gebildet, das Körperhafte kommt aber Gott nicht zu. In übertragener Redeweise (metaphorice) kann allerdings das äußere Wort auf Gott angewendet werden, etwa indem m a n die gesamte Schöpfung als das Gott offenbarende Wort bezeichnet (vgl. q. 4, a. 2, corp.). — Auch das innere Wort, das die Lautgestalt vorstellt, kann Gott nicht im eigentlichen Sinne zukommen; denn es bleibt an das Körperhafte gebunden. In übertragener Weise läßt sich dieses verbum interius anwenden auf die Ideen, die den geschaffenen Dingen als ,Worte' Gottes vorangehen. - Das Wort des Herzens jedoch ist Gott im eigentlichen Sinne zuzusprechen;
1. Die Wesensbestimmung der Sprache in De ventate
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denn es hat das Körper- und Mangelhafte hinter sich gelassen. Es ist nichts anderes als das wirklich (actu) vom Verstand Erfaßte und gilt von Gott ebenso wie das Wissen und das Gewußte, wie das Denken und das Gedachte („... sicut scientia et scitum, intelligere et intellectum"). Damit ist die Frage des 1. Artikels beantwortet. Im Blick auf das Wort Gottes bleiben aber noch gewichtige Probleme zu erörtern. Die Beantwortung der Fragen, die sich aus dem Glauben an Trinität und Inkarnation ergeben, bringen auch weitere Aufschlüsse über das Wesen des menschlichen Wortes. Das Wort im eigentlichen und ursprünglichen Sinne, das Wort des Herzens, ist das, worin unsere Erkenntnisbewegung ans Ziel gelangt (q. 4, a. 2, corp., vgl. auch q. 4, a. 1, ad 1). Dieses Erkannte ist ein Begriff unseres Verstandes (conceptio intellectus). Er kann auf zweifache Weise mit der Stimme bezeichnet werden: a) durch einen einfachen sprachlichen Ausdruck (per vocem incomplexam), wenn der Verstand die Wasbestimmtheit (Wesen; quidditas) der Sachen erfaßt 9 ; b) durch zusammengesetzte sprachliche Ausdrücke (Sätze), wenn der Verstand - zusammensetzend und trennend — über weitere Bestimmungen des Gegenstandes urteilt. Mit dem Wort des Herzens ist also nicht nur ein einzelner Gedanke gemeint, sondern auch eine Gedankenfolge. Für die laudiche Sprache bedeutet das (was Thomas nicht eigens erwähnt): Das Wort des Herzens ist nicht nur Ursprung des einzelnen Namens, sondern Ursprung des Sprechens überhaupt. Diese Überlegung zur Eigenart des verbum cordis wird im 2. Artikel noch einen Schritt weiter geführt. Alles Erkannte in uns ist seinem Sachgehalt nach von einem anderen bewirkt; das Erkannte ist nicht das Erste, sondern Resultat. So wurde ja bereits gesagt, daß der Begriff die Wirkung einer aktual vollzogenen Verstandestätigkeit ist. Das hat folgende Konsequenz: Sogar wenn der Geist sich selbst erkennt, ist diese Erkenntnis nicht der Geist selbst, sondern etwas, das von der Erkenntnis des Geistes ausgedrückt wird („aliquid expressum a notitia mentis"). Folglich ist das Wort (des Herzens) sowohl das Erkannte als auch Ausdruck eines anderen, nämlich der Sache. Derselbe Sachverhalt kann auch so beschrieben werden (q. 4, a. 2, ad 3): Der Begriff steht gleichsam in der Mitte zwischen Verstand 9
Damit ist das einzelne Wort (nomen) gemeint; denn die Namen sind Zeichen des von der Vernunft Erkannten, d.h. der Begriffe („... nomina sunt signa intellectuum ..."; q.4, a.5, corp.).
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Vili. Thomas von Aquin
und erkannter Sache; er ist das, was Erkennen und Sache vermittelt. Deshalb kann auf die Frage, was denn eigentlich erkannt werde, zweifach geantwortet werden: sowohl die Sache selbst als auch der Begriff des Verstandes. In gleicher Weise kann vom Wort gesagt werden, daß es sowohl die Sache als auch sich selbst bezeichne. Das gilt nicht nur vom inneren, sondern auch vom äußeren Wort; „denn sowohl der Name selbst als auch die durch den Namen bezeichnete Sache wird durch den Namen selbst gesagt (... ipsum nomen dicitur, et res significativa per nomen dicitur ipso nomine)" 10 . Das Wort ist jedoch nicht nur eine Kundgabe (manifestatio) der Sache und seiner selbst; es gehört auch zu dem, der es spricht (q. 4, a. 4, ad 7). Es ist auf den Sprechenden zurückbezogen (q. 4, a. 5, corp.) und damit dessen Kundgabe und Ausdruck. Beim gesprochenen Wort muß schließlich noch ein weiterer Bezug beachtet werden, nämlich der Bezug auf den Hörer. Das wird in der 4. Quaestio nicht eigens thematisiert; aber der 7. Artikel gibt einen interessanten Hinweis in diesem Zusammenhang: Wenn wir jemandem etwas sagen, dann wenden wir uns an sein Verständnis. Die Intention des Sprechers kann aber noch weiter zielen. Er kann den Hörer zum Handeln antreiben; er kann ihm befehlen, etwas auszuführen, das er sich vorher überlegt hat (q. 4, a. 7, corp.). Auf diese Weise dient das Wort nicht nur der Kundgabe des vom Verstand Erkannten, sondern verhilft auch zur Verwirklichung des vom Willen Intendierten (vgl. q. 4, a. 3, ad 4). — Die hier nur am Rande gestreifte Kommunikationsfunktion der Sprache wird in der 9. Quaestio ausführlicher behandelt 1 1 .
b) Die Sprache der Engel (q. 9)12
Die in der 9. Quaestio entfaltete Frage nach der Möglichkeit der Kommunikation unter den Engeln erscheint uns heute befremdlich und für das philosophische Bewußtsein obsolet. Für Thomas und die 10
11 12
Es ist zu beachten, daß Thomas - anders als Augustinus - den Unterschied zwischen ,Objekt-' und ,Metasprache' aus der Struktur des Erkennens ableitet und nicht aus dem Begriff des Zeichens (vgl. o. S. 136 f.). Hier wird auch erklärt, daß der Wille für die Sprache überhaupt konstitutiv ist. Thomas geht auf dieses Problem auch im zweiten Buch des Sentenzenkommentars und in der Summa theologiae ein. Einen Uberblick gibt B. Faes de Mottoni, Thomas von Aquin und die Sprach der Engel, in: A. Zimmermann (Hg.), Thomas von Aquin.
1. D i e Wesensbestimmung der Sprache in De ventate
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theologische Metaphysik des Mittelalters sind solche Erörterungen geradezu selbstverständlich; denn es gilt, die entsprechenden Belege aus dem Alten und Neuen Testament rational zu durchdringen und in einer Engellehre 13 darzustellen. Für die anstehende Untersuchung ist die 9. Quaestio wichtig, weil sie - ähnlich wie die Überlegungen in der 4. Quaestio — durch den notwendigen Rekurs auf unseren eigenen Erfahrungsbereich weiteren Aufschluß über das Wesen der menschlichen Sprache gibt. Thomas geht bei seinen Überlegungen vom Begriff der Erleuchtung (illuminatio) aus 14 . Man spricht von „Erleuchtung", wenn jemandem ein Mittel gegeben wird, mit dessen Hilfe der Verstand etwas erkennt, das er vorher nicht einsehen konnte. Erleuchtung ist bei uns Menschen auf zweifache Weise möglich: a) Man kann durch ein Gespräch (sermo) erleuchtet werden. So wird vor allem der Schüler durch das Sprechen des Lehrers erleuchtet 15 , b) Man kann durch ein sinnliches Zeichen (sensibile signum) erleuchtet werden, sofern man dadurch zur Erkenntnis eines Nicht-Sinnlichen geführt wird. Auf diese Weise erleuchtet der Priester die Gläubigen durch Spendung der Sakramente. Nun ist klar, daß die Engel auf diese dem Menschen vertrauten Weisen nicht erleuchtet werden können; denn diese Erleuchtung ist an sinnliche Zeichen gebunden und bezieht sich deshalb nur auf einen endlich-diskursiven Verstand. Es muß aber eine Erleuchtung und eine Art Gespräch (modus locutionis; q. 9, a. 4, corp.) bei den Engeln geben, weil sie - wie in q. 8, a. 15 dargelegt wurde — die Gedanken der anderen nicht unmittelbar erkennen können 16 . Im übrigen muß es ein Sprechen der Engel (locutio angelorum) geben, sofern wir das Offenbaren des inneren Wortes „Sprechen" (locutio) nennen. Was soll man sich darunter vorstellen?
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Werk und Wirkung im Licht neuerer Forschungen, B e r l i n / N e w York 1988, 140-155. Zur Ausbildung und historischen Entwicklung der Angelologie vgl. H. M. Nobis, Art. Engellehre, in: Hist. Wörterb. d. Philosophie 2, 5 0 0 - 5 0 3 . Für T h o m a s spielt dieser Begriff allerdings nicht die zentrale Rolle wie bei Augustinus. Zur Problemstellung und Begriffsgeschichte siehe W. Beierwaltes, Art. Erleuchtung, in: Hist. Wörterb. d. Philosophie 2, 7 1 2 - 7 1 7 . D a s wird in der 11. Quaestio ausführlicher behandelt; vgl. u. S. 199 ff. D i e Notwendigkeit einer Kommunikation ergibt sich vor allem auch durch die A n n a h m e einer Engelhierarchie, die unterschiedliche Grade von Erkenntnis bedingt und die Frage nach der Möglichkeit gegenseitiger Erleuchtung und Belehrung aufwirft.
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Vili. Thomas von Aquin
U m diese Frage zu beantworten, ist zunächst folgendes zu beachten: Die Formen im natürlichen Sein sind gleichsam Bilder der immateriellen Formen (der Verstandesbegriffe). (Thomas beruft sich hier auf die Lehre des Boethius.) N u n kann im Bereich der Natur die Form auf dreifache Weise in der Materie sein: a) auf unvollkommene Weise, wenn die Form erst wird und zwischen Möglichkeit (potentia) und Wirklichkeit (actus) steht; b) auf vollkommene Weise (in actu perfecto), sofern etwas, das die Form besitzt, in sich selbst vollkommen ist; c) auf vollkommene Weise in dem Sinne, daß dasjenige, was die Form hat, einem anderen seine Vollkommenheit mitteilen (communicare) kann. — Entsprechend verhält es sich in der Welt des Geistes. In dreifachem Sinne kann die intelligible Form im Verstand sein: a) als Anlage (in habitu) zur Erkenntnis, gleichsam in der Mitte zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit; b) auf vollkommene Weise im Blick auf den Erkennenden selbst, wenn er nämlich gemäß der Form, über die er verfügt, wirklich denkt; c) auf vollkommene Weise, wenn sich der Erkennende einem anderen mitteilend zuwendet. Zwischen diesen drei Stufen des Erkennens gibt es einen Ubergang, der mit Hilfe des Willens vollzogen wird. So bewirkt der Wille zunächst, daß der Verstand sich wirklich den Formen zuwendet, über die er zuerst nur der Möglichkeit nach verfügt. Das ist ein Schritt zu größerer Vollkommenheit, die noch einmal gesteigert wird, wenn der Wille darauf zielt, einen anderen an dieser Erkenntnis teilhaben zu lassen. So verhält es sich bei den Engeln, und genauso würde es sich auch bei den Menschen verhalten, wenn der menschliche Verstand das Geistige (intelligibilia) unmittelbar erfassen könnte. Weil aber die menschliche Verstandestätigkeit vom Sinnlichen ausgehen muß, sind wir auf sinnliche Reichen angewiesen, durch die das von uns Gedachte ausgedrückt und anderen Menschen offenbart wird. Diese Argumentation setzt sich folgendem Einwand aus (q. 9, a. 4, arg. 4): Wenn gemäß unserer Erfahrung alles Sprechen (und alle Erleuchtung) an Zeichen, die dem Bereich des Sinnlichen zugehören, gebunden ist, dann sprechen die Engel nicht; als rein geistige Wesen können die Engel nicht durch Zeichen und nicht durch sprachliche Vermittlung zur Erkenntnis gelangen. - M a n könnte auch — anders als Thomas - so fragen: Gesetzt, es gibt ein Sprechen der Engel, ist dann der Zeichenbegriff überhaupt für die Sprache angemessen? Thomas begegnet diesem Einwand mit einer Differenzierung des Begriffs „Zeichen", um ihn auch für die Sprache der Engel retten
1. Die Wesensbestimmung der Sprache in De ventate
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zu können (q. 9, a. 4, ad 4): Die Engel erkennen intuitiv; menschliche Erkenntnis ist diskursiv (vgl. q. 8, a. 15, corp.). Nur auf die diskursive Erkenntnisweise (ein schrittweises Erkennen, das seinen Ausgang beim Sinnlichen nimmt) ist der Begriff des Zeichens in eigentlicher Bedeutung anzuwenden. In diesem Sinne verfügen die Engel nicht über Zeichen. Aber: In einer allgemeineren Bedeutung kann alles Bekannte, in dem etwas erkannt wird, „Zeichen" genannt werden. Faßt man das Zeichen so, dann ist auch die intelligible Form ein Zeichen; sie ist Zeichen der Sache, die wir durch diese und in dieser Form erkennen. Dann gilt auch: Die Engel erkennen die Sache durch Zeichen und verständigen sich untereinander vermittels der Zeichen. Für das diskursive Erkennen sind sinnliche Zeichen, für das intuitive Erkennen (der Engel) geistige Zeichen konstitutiv. Beide Arten des Zeichens kommen darin überein, daß sie auf anderes (die Dinge) verweisen und die kommunikative Hinwendung zum Anderen implizieren. Diese Argumentation setzt sich einem weiteren Einwand aus: Die Zeichen, mit denen wir uns verständigen, sind der Natur nach später als das, worauf sie verweisen. Nun sind aber die intelligiblen Formen früher als die Zeichen. Kann dann die intelligible Form überhaupt Zeichen sein? Wird mit der These von der Sprache der Engel nicht der Unterschied zwischen diskursiver und intuitiver Erkenntnis verwischt? Thomas entgegnet (a. 4, ad 5): Streng genommen gehört es überhaupt nicht zum Begriff des Zeichens, der Natur nach früher oder später zu sein. Entscheidend ist vielmehr, daß uns das Zeichen früher bekannt ist. Das zuerst Bekannte kann aber sowohl der Natur nach früher als auch der Natur nach später sein. Thomas belegt das durch Beispiele aus dem Bereich der natürlichen Zeichen. Hier nehmen wir einerseits die Wirkungen (das der Natur nach Spätere) als Zeichen für die Ursache, z. B. einen bestimmten Pulsschlag als Zeichen für Gesundheit. Andererseits nehmen wir aber auch die Ursache (das der Natur nach Frühere) als Zeichen für die Wirkung, z. B. eine bestimmte Formation von Wolken als Zeichen für Regen. Steht es so, dann hindert nichts, daß den Engeln das der Natur nach Frühere als Zeichen dient; die geistigen Formen sind ihnen eben zuerst bekannt.
Damit ist hinreichend gerechtfertigt, daß es eine Sprache der Engel gibt. Das darf jedoch nicht dazu verleiten, die Unterschiede zur menschlichen Sprache, die dem Bereich des Sinnlichen verhaftet
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bleibt, zu verdecken. Im einzelnen führt Thomas folgende Unterschiede an: — Während bei den Menschen der sinnliche Laut die Aufmerksamkeit erregt und uns zum Zuhören bringt (q. 9, a. 4, arg. 6), wenden sich die Engel einander auf rein geistige Weise zu, indem sie die intelligiblen Formen in der Richtung auf andere denken (q. 9, a. 4, ad 6). — Das menschliche Sprechen entspringt vielfältigen Wünschen und Bedürfnissen, die unsere Unvollkommenheit bezeugen. Das Sprechen der Engel dagegen wird ausschließlich durch den Wunsch nach geistiger Kommunikation bedingt und ist deshalb kein Zeichen von Unvollkommenheit (q. 9, a. 4, ad 10). — Im Bereich menschlicher Kommunikation sind sichtbare von hörbaren Zeichen zu unterscheiden. Dieser Unterschied gilt nicht für die Verständigung der Engel; denn im Bereich des Geistes besteht kein Unterschied zwischen Sehen und Hören, wie Thomas unter Berufung auf Augustinus feststellt (vgl. o. S. 161). Dennoch kann man vergleichsweise auch bei den Engeln zwischen Zeichen und Winken (Gesten) unterscheiden, sofern die Hinwendung des einen zum anderen dem entspricht, was wir „Wink" nennen (q. 9, a. 4, ad 12). Die 9. Quaestio setzt mit dem Begriff der Erleuchtung ein und verweist im 1. Artikel darauf, daß Rede und sinnliche Zeichen überhaupt Mittel zur Erleuchtung des Menschen sein können. Der 5. Artikel legt den Unterschied zwischen illuminatio und locutio dar. Thomas stellt zunächst fest, daß unser Verstand auf zweifache Weise an der Erkenntnis eines prinzipiell Erkennbaren scheitern kann: a) Er kann nicht erkennen, wenn die betreffende Sache abwesend ist, z. B. wenn vergangene Geschehnisse nicht überliefert sind oder Ereignisse an entfernten Orten nicht berichtet werden, b) Der Verstand versagt gegenüber dem Erkennbaren, wenn er aus Mangel an Übung und Belehrung nicht dazu imstande ist, aus bekannten Anfangsgründen weitere Erkenntnisse zu schließen. Dieser zweifache Mangel läßt sich folgendermaßen beheben: zu a) Das Abwesende kann durch Sprechen vergegenwärtigt werden. Wenn jemand einem anderen berichtet, was dieser selbst nicht gesehen hat, dann kann er das Mitgeteilte erkennen, zu b) Soll der Verstand etwas erkennen, das über das bisher Erkannte hinausgeht, dann bedarf er der Erleuchtung. Dazu sind, wie bereits erwähnt, sinnliche Zeichen die geeigneten Mittel. Verhält es sich so, dann legt sich die Frage nahe, ob Sprache (bzw. Zeichen) und Erleuchtung untrennbar miteinander verbunden sind.
1. Die Wesensbestimmung der Sprache in De ventate
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Darauf ist nach Thomas zweierlei zu antworten - und beides gilt für Engel sowohl als für Menschen: 1. Es gibt ein Sprechen ohne Erleuchtung. Daß es sich so verhält, gehört zur alltäglichen Erfahrung der Menschen. Wird jemandem etwas erzählt oder erklärt, dann folgt daraus nicht notwendig, daß der Hörer bisher nicht Bekanntes erkennt. Es geschieht oft, daß der Hörer mit dem Gesagten ,nichts anfangen' kann. 2. Es gibt keine Erleuchtung ohne Sprechen. Zur Erleuchtung ist es nämlich notwendig, daß dem Verstand ein Mittel gegeben wird, das ihn für die Erkenntnis stärkt. Sprechen aber ist nichts anderes als diese Vermittlung durch Zeichen. Ist die Rede Mittel zur Erleuchtung und Erkenntnis, dann hat sie wohl die Funktion der Belehrung. Das wird in der 11. Quaestio eigens thematisiert.
c) Das
belehrende
Wort (q.
11)i7
„Kann ein Mensch lehren und Lehrer genannt werden oder allein Gott?" Diese Frage des 1. Artikels — mit der Anspielung auf Matth. 23, 8—10 — läßt bereits vermuten, daß Augustins De magistro hier im Hintergrund steht. Die ,Argumente' bestätigen sogleich diese Vermutung: De magistro wird dreimal ausdrücklich erwähnt; darüber hinaus sind einige Thesen diesem Werk Augustins entnommen, ohne daß die Quelle eigens angegeben wird; schließlich werden andere Abhandlungen Augustins zitiert. Thomas' Entscheidung über die Frage nach der Möglichkeit menschlicher Lehre ist somit in erster Linie eine Auseinandersetzung mit den zentralen Thesen von De magistro. Allerdings ist für die hinreichende Klärung des Problems eine grundsätzliche Überlegung notwendig, die nicht nur auf Augustinus abzielt. Lehren ist die Vermitdung von Wissen. Es ist deshalb zunächst darzulegen, wie Wissen überhaupt zustande kommt. In der Lehrtradition werden zwei gegensätzliche Positionen vertreten, die beide unzulänglich sind: 17
Die 11. Quaestio liegt jetzt in neuer Übersetzung mit ausführlichem Kommentar vor: T h o m a s von Aquin, Uber den Lehrer/De magistro, hg., übers, u. komment. von G.Jüssen, G. Krieger, J. H.J. Schneider, mit einer Einl. von H. Pauli, Hamburg 1988.
200
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1. Nach der einen Lehre, die vornehmlich auf Avicenna 18 zurückgeht, haben alle Wesensformen ihren Ursprung in einer abgesondert existierenden tätigen Intelligenz (intelligentia agens), die als eine der Emanationsstufen zwischen Gott und dem Menschen vermittelt. Dem Geschaffenen kommt keine eigene Ursächlichkeit zu; es ist abhängig von äußeren Ursachen, die letztlich auf Gott als höchste und eigentliche Ursache zurückführen. Deshalb entsteht auch das Wissen eigentlich nicht aus uns selbst; sondern die intelligiblen Wesensformen, die unser Wissen konstituieren, fließen aus der tätigen Intelligenz in unseren Geist ein („... formae intelligibiles effluunt in mentem nostram ab intelligentia agente"). 2. Die Vertreter einer anderen Lehre (die Platoniker) hingegen behaupten, daß die Bestimmungen den Dingen bereits innewohnen und durch äußere Ursachen nur zur Erscheinung gebracht werden. Folglich ist auch alles Wissen in der Seele immer schon vorhanden; sie muß nur durch Lehre und andere Hilfsmittel zur Erinnerung an das vormals Gewußte (und mit der Geburt Vergessene) geführt werden. Lernen ist demnach nichts anderes als Wiedererinnerung (anámnesis). Beide Positionen laufen nach Thomas auf dieselbe Ungereimtheit hinaus. Sie leugnen eine eigentliche Ursächlichkeit im Bereich des Geschaffenen und übersehen, daß Gott aus dem Übermaß seiner Güte den Dingen nicht nur ihr Sein, sondern auch ihr Ursache-Sein gegeben hat. Deshalb kommt es darauf an, diesen Streit durch einen mittleren Weg (via media) beizulegen; es gilt, der Lehre des Aristoteles zu folgen und dessen Unterscheidung zwischen Möglichkeit (dynamis, potentia) und Wirklichkeit (enérgeia, actus) zu beachten. Das bedeutet für den Bereich des menschlichen Wissens: Wie der Same schon der Möglichkeit nach die Pflanze in sich birgt, so ist die Vernunft ihrer Natur nach bereits auf Erkenntnis angelegt. Sie verfügt über ursprüngliche Inhalte (primae conceptiones intellectus), die sie auf dem Weg der Abstraktion erkennt: Die Vernunft geht vom sinnlich Erfahrbaren aus und bildet in eigener Tätigkeit Allgemeinbegriffe (species, Formen), auf die hin das jeweils konkrete Seiende verstanden wird. Wendet sich die Vernunft ihrem eigenen Verfahren 18
Stoßrichtung stelle in der Averroes an. (1988: 93fT.,
der Kritik ist der arabische Aristotelismus überhaupt. Die ParallelSumma theologiae (I, q. 117, a. 1) führt statt Avicenna die Lehre des Die Auseinandersetzung wird in dem Kommentar von Schneider 166 ff.) genauer dargelegt.
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zu, dann entdeckt sie, daß den allgemeinen Formen noch allgemeinere Begriffe als Prinzipien der Erkenntnis zugrunde liegen. Diese im Licht des tätigen Verstandes (lumine intellectus agentis)19 erfaßten ursprünglichen Inhalte können sowohl Urteile (complexa) als auch Begriffe (incomplexa) sein. Solche ursprünglichen Urteile sind die Axiome, z. B. der Satz vom Widerspruch; ursprüngliche Begriffe sind „Seiendes" (ens) und „Eines" (unum). In diesen allgemeinen Prinzipien, die von der Vernunft unmittelbar erfaßt werden, ist alle weitere Erkenntnis gleichsam keimhaft enthalten. Wenn nun der menschliche Geist auf der Grundlage dieses allgemeinen Wissens zur aktuellen Erkenntnis des Besonderen fortschreitet, dann verwirklicht er das, was zuvor schon der Möglichkeit nach erkannt wurde. Dieser Ubergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit ist der Prozeß des Wissenserwerbs. Um die anstehende Frage nach der Möglichkeit des Lehrens umfassend beantworten zu können, ist allerdings noch eine weitere Überlegung anzufügen. Im Bereich des naturhaft Seienden kann etwas auf zweifache Weise der Möglichkeit nach sein: 1. potentia activa completa Dieser Sinn von Möglichkeit (,vollständiges Wirkvermögen') liegt vor, wenn das innere Prinzip ausreicht, um den Zustand der Wirklichkeit (actus perfectus) herbeizuführen. Das geschieht z. B. beim Vorgang der Heilung, wenn der Kranke allein durch die ihm eigene natürliche Heilkraft die Krankheit überwindet. Wird bei dem Kranken ein Arzt konsultiert und eine Medizin angeordnet, dann kommt zwar eine äußere Wirkkraft hinzu; das ändert jedoch nichts an dem Vorrang des inneren (aktiven) Wirkvermögens. Der Arzt hat nämlich nur Erfolg, wenn er als Diener der Natur tätig ist. Das Wissen des Arztes und die eingenommenen Heilmittel können die natürliche Heilkraft nicht ersetzen; ärztliches Wissen und Heilmittel sind bloß Werkzeuge, um die Natur zu stärken und den Prozeß der Heilung zu unterstützen. 2. potentia passiva Eine passive Möglichkeit (ein ,bestimmungsfähiges Vermögen') ist dadurch gekennzeichnet, daß das innere Prinzip für die Verwirkli19
Vom tätigen Verstand ist der aufnehmende bzw. mögliche Verstand (intellectus possibilis) zu unterscheiden; beide sind unterschiedliche Vermögen der einen Vernunft. Vgl. auch u. S. 206.
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chung nicht hinreicht. Das ist ζ. Β. der Fall, wenn aus Luft Feuer wird. Dazu bedarf es einer äußeren Wirkkraft (Feuer), die vorrangig den Ubergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit bewirkt. Das von außen hinzukommende Feuer macht aus Luft, die der ,passiven Möglichkeit' nach feurig ist, Feuer. Mit diesen Überlegungen sind die Voraussetzungen geschaffen, um den Vorgang des Lehrens und Lernens angemessen erklären zu können. Daß beim Wissenserwerb bloß eine passive Möglichkeit des Menschen verwirklicht wird, scheidet für Thomas sogleich aus. Dann wäre es nämlich nicht möglich, daß der Mensch durch sich selbst Wissen erlangt, was unseren Erfahrungen widerspräche. Also muß das Wissen aufgrund eines wirklichen Könnens (potentia activa) entstehen. Nun hatte das Beispiel der Heilung gezeigt, daß der Ubergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit auf zweifache Weise geschehen kann, nämlich entweder allein durch die Natur oder aber mit Unterstützung von Arzt und Heilmitteln. Entsprechend kann auch das Wissen auf zweifache Art verwirklicht werden: 1. Die Vernunft 20 vermag aufgrund ihrer natürlichen Anlagen (ratio naturalis), selbständig Wissen zu erwerben, d. h. zur Erkenntnis des ihr vorher Unbekannten fortzuschreiten. Diese Art des Wissenserwerbs heißt Erfindung (inventio). 2. Jemand kann von außen die natürliche Vernunft in ihrem Bestreben, Wissen zu erlangen, unterstützen. Diese Art des Wissenserwerbs nennt man Unterrichtung (disciplina). Um den Prozeß des Lehrens und Lernens genauer zu beschreiben, kann auf das angeführte Beispiel von der Heilkunst zurückgegriffen werden: Wenn der Arzt den Heilungsprozeß unterstützt, dann liegt ein Zusammenwirken von Kunst (ars) und Natur (natura) vor. Die ärztliche Kunst unterstützt die dem Menschen innewohnende natürliche Heilkraft. Das Wirken des Arztes kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn er im Prinzip auf die gleiche Weise und mit den gleichen Mitteln vorgeht wie die Natur. Das heißt: Die ärzdiche Kunst wird bestimmt durch ein Wissen davon, wie die natürlichen Kräfte wirken und was den natürlichen Zustand der Gesundheit aus20
Während Thomas bis zu dieser Stelle des corpus den Begriff „intellectus" verwendet, spricht er nun von „ratio". Dahinter steht jedoch keine sachliche Differenzierung. Zu den Schwierigkeiten einer angemessenen Ubersetzung von „ratio" und „intellectus" siehe das Vorwort der Herausgeber zu: Thomas von Aquin, Summe gegen die Heiden/Summa contra gentiles, hg. u. übers, von K.Albert u. P.Engelhardt, lat.-dt., Bd. I, Hamburg 1974, XVI f.
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macht. Zur Gesundheit gehört z. B. eine bestimmte Ausgeglichenheit zwischen Kälte und Wärme 2 1 . Ist nun die Erkrankung durch zuviel Kälte verursacht, so kann die Natur durch Erwärmung die Gesundheit wiederherstellen. Geschieht das nicht von selbst, dann muß der Arzt entsprechend handeln und Mittel verschreiben, die den Körper erwärmen. In diesem Sinne kann man sagen: Die Kunst ahmt die Natur nach. Das gilt auch für die Kunst der Lehre. Der Lehrende kann nur dann jemanden zur Erkenntnis führen, wenn er den natürlichen Erkenntnisprozeß, die inventio, nachahmt; deshalb muß er wissen, wie die inventio zustande kommt. Auf der Grundlage der Überlegungen im ersten Teil des corpus (zum Erwerb des Wissens) läßt sich dazu sagen: Der ,erfindende' (natürliche) Erkenntnisprozeß geht von den unmittelbar einleuchtenden Prinzipien aus. Diese wendet die Vernunft auf bestimmte Inhalte (determinatae materiae) an, die ihr in der Erfahrung gegeben werden. Der Zusammenhang zwischen den Prinzipien und den konkreten Inhalten wird durch Schlußfolgerungen hergestellt, deren Resultat ein bestimmtes wirkliches Wissen ist. Aus dem so gewonnenen Wissen kann durch weitere Schlüsse neues Wissen erworben werden etc. etc. An diesem natürlichen Erkenntnisprozeß hat sich der Lehrende zu orientieren. Er kann diesen Prozeß der Vernunft nicht ersetzen, sondern er kann nur dazu beitragen, daß der Lernende selbst diesen Prozeß vollzieht. Wie der Arzt, so braucht auch der Lehrer zur Unterstützung dieses in der Natur der Vernunft angelegten Vorgangs bestimmte Mittel. Die Mittel, ohne die eine Unterweisung nicht möglich wäre, sind die £eichen22, und zu diesen belehrenden Zeichen gehören — auch wenn Thomas es an dieser Stelle nicht eigens erwähnt — vor allem die Wörter. Als Resultat der umfassenden Überlegungen im corpus des 1. Artikels ist somit festzuhalten: Der Mensch kann einen anderen belehren, indem er ihn mittels der Zeichen dazu bringt, die der Vernunft mitgegebene Wissensmöglichkeit zu verwirklichen23. Das innewohnende Licht, in dessen Schein die Anfangsgründe alles Wissens aufleuchten, kann vom Lehrer nicht bewirkt werden. Es ist von Gott 21 22
23
Man vgl. Aristoteles' Analyse der ärztlichen Kunst, Metaphysik VII, 7 (1032 b 5 ff.). In der Summa theobgiae (I, q. 117, a. 1, corp.) führt Thomas folgende ,Mittel' an: weniger allgemeine Sätze, anschauliche Beispiele, das Verfahren des Syllogismus. Wahres Wissen wird nur dann erlangt, wenn das konkret Erkannte auf die Prinzipien zurückgeführt werden kann und entsprechende Beweise (Syllogismen) diesen Zusammenhang demonstrieren. Ansonsten gelangt man nur zur Meinung (opinio).
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geschaffen, der es den Menschen als Bild der ungeschaffenen Wahrheit gegeben hat. Da alle menschliche Lehre auf die Kraft dieses ursprünglichen Lichtes angewiesen ist, muß man sagen, daß allein Gott im ursprünglichen Sinne lehrt. Soweit ist Augustinus zuzustimmen. Das darf jedoch nicht hindern, auch den Menschen in durchaus eigenüichem Sinne „Lehrer" zu nennen. In diesem Punkt ist Augustine De magistro zu kritisieren. Augustinus hatte in De magistro seine These von Gott bzw. Christus als alleinigem Lehrer durch eine detaillierte Analyse und Kritik der menschlichen Sprache begründet. Thomas dagegen geht bei seiner ausführlichen Erörterung im corpus auf diesen Zusammenhang gar nicht ein, sondern streift ihn nur mit der Erwähnung des Begriffs „Zeichen". Natürlich übersieht Thomas diesen Zusammenhang nicht; die Auseinandersetzung mit Augustins Sprachauffassung wird aber erst in den die ,Argumente' erwidernden ,Einwänden' geführt. Das hat folgenden Grund: Die Analyse des Erkennens muß nach Thomas der Analyse des Sprechens vorausgehen — wie ja bereits das Wissen Gottes (q. 2) vor dem Wort Gottes (q. 4), die Erkenntnis der Engel (q. 8) vor dem Sprechen der Engel (q. 9) behandelt wurde. Für Thomas läßt sich das Wesen der Sprache ohne Einsicht in das Wesen des Wissens und Erkennens nicht erfassen. Bereits in den ersten Argumenten (arg. 2—4) legt Thomas die entscheidenden Gesichtspunkte der Augustinischen Sprachauffassung und ihre Konsequenz für das Problem menschlicher Lehre dar: Lehre ist auf Zeichen, in erster Linie auf sprachliche Zeichen, angewiesen. Die Zeichen können aber nicht die Erkenntnis der Sachen vermitteln. Denn sie entstammen dem Bereich des Sinnlichen und erreichen deshalb nicht die Dimension des Verstandes. Wenn der Lehrer den Schüler mit Worten unterweist, dann kennt entweder der Schüler die Bedeutungen schon und wird folglich nicht darüber belehrt; oder er kennt die Bedeutungen nicht und kann auch nicht belehrt werden, weil er die zugehörige Sache nicht kennt. — Dieser Position hält Thomas entgegen: In einem gewissen Sinne kann man zwar sagen, daß wir die Sachen nicht durch Zeichen erkennen. Aber: Wir erfassen die Sachen auch nicht unmittelbar. Vielmehr sind uns die Dinge als erkennbare nur zugänglich durch die unmittelbar bekannten Prinzipien der Vernunft. Und diese Prinzipien, die wir dann auf zuvor schlechthin Unbekanntes anwenden können, werden uns durch Zeichen vor Augen geführt (a. 1, ad 2)! Wenn Augustinus die Belehrung durch Sprache leugnet, dann verkennt er, daß das, wor-
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über wir durch Zeichen belehrt werden, weder gänzlich bekannt noch gänzlich unbekannt ist (a. 1, ad 3). Sollen wir z. B. darüber belehrt werden, was der Mensch ist, dann müssen wir zuvor schon etwas über ihn wissen; wir müssen etwa über den Begriff „Lebewesen" oder „Substanz" verfügen, zumindest aber über den Begriff „seiend" (ens), der uns allerdings immer schon bekannt ist. Dieses Vorwissen ist auch für die Belehrung über Erkenntnismethoden unabdingbar. Soll der Schüler über das logische Schlußverfahren belehrt werden, dann muß er bereits Kenntnisse über das dem Schluß zugrunde liegende Subjekt und seine Eigenschaften mitbringen. Und schließlich ist eine Erkenntnis über die Anfangsgründe alles Wissens nur deshalb möglich, weil die Vernunft immer schon über diese Begriffe verfügt, die ihr aber erst in nachträglicher Reflexion als solche bewußt werden. Daß die Erkenntnisvermittlung durch Zeichen an Voraussetzungen gebunden ist, hat Augustinus gesehen. Er schießt jedoch weit über das Ziel hinaus, wenn er behauptet, daß der Schüler im belehrenden Gespräch mit dem Lehrer schon über die Bedeutung, d. h. über den genauen Gegenstandsbezug der Wörter verfügen muß, um etwas verstehen zu können. Was der Schüler letztlich mitzubringen hat, ist nicht mehr und nicht weniger als das Licht der Vernunft, d. h. die Erkenntnisprinzipien („seiend", „Eines", Axiome)24. Dadurch erst wird eine gemeinsame Kommunikationsbasis mit dem Lehrer geschaffen, auf deren Grundlage sehr wohl neues Wissen erworben werden kann. Das neu erworbene Wissen des Schülers kommt nicht dadurch zustande, daß ihm das Wissen des Lehrers eingetrichtert wird. Vielmehr wird durch die Belehrung die eigene Wissensmöglichkeit des Belehrten aktualisiert. Deshalb verfügen Lehrer und Schüler auch nicht über ein vollkommen identisches Wissen; sondern das im Schüler neu entwickelte Wissen ist dem des Lehrers ähnlich (a. 1, ad 6). Wissen besteht nicht in der Vorstellung konkreter Einzeldinge, sondern in der Präsenz geistiger Formen (formae intelligibiles). Diese geistigen Formen haben ihre unmittelbare Ursache im tätigen Verstand des Schülers selbst; sie können nicht vom Lehrer in den Verstand des Schülers gleichsam eingeschrieben werden. Aber der Lehrer ist 24
Natürlich bringt der Schüler in der konkreten Lernsituation auch ein bestimmtes Wissen - etwa aufgrund eigener Erfahrung — mit. Dies ist jedoch letztlich nur möglich auf der Basis der Prinzipien, die dem Menschen von Natur aus innewohnen.
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die mittelbare Ursache für das Wissen des Schülers, sofern er durch die Vermitdung der Zeichen das selbständige Zustandekommen des Wissens bewirkt. Die nächsdiegende Ursache des Wissens sind nie die Zeichen, sondern die diskursiv-schlußfolgernde Tätigkeit der eigenen Vernunft (a. 1, ad 4). In einer anderen Wendung (a. 1, ad 11): Zur Belehrung braucht der Lehrer Zeichen der Dinge, die erkannt werden sollen; diese Zeichen legt er dem Schüler vor. Sie verweisen nicht unmittelbar auf die Dinge; sondern sie intendieren etwas Intelligibles, nämlich die vom Geist erfaßten Begriffe (intentiones intelligibiles). Diese ,Bedeutungen', auf die die Zeichen des Lehrers verweisen, werden vom ,tätigen Verstand' des Schülers aufgenommen und im ,möglichen Verstand' aufbewahrt. Daraus folgt: Im Blick auf die Verursachung des Wissens kommt den Worten des Lehrers — gleichgültig, ob sie als gesprochene Worte gehört oder als geschriebene Worte gesehen werden — dieselbe Funktion zu wie den sinnlich wahrnehmbaren Dingen. Im Zusammenhang des Erkenntnisprozesses stimmen nämlich Zeichen und Dinge darin überein, daß sie für den tätigen Verstand gleichsam das Material sind, aus dem er die angestrebten Erkenntnisinhalte bildet. Das hat folgende Konsequenz: Beim Wissenserwerb können die Dinge keine Vorrangstellung gegenüber den (Wort-)Zeichen beanspruchen. Aber noch mehr: Die Worte des Lehrers haben einen engeren Bezug zur Ursache des Wissens als die sinnlich wahrnehmbaren Dinge; denn die Worte sind Zeichen von Erkanntem25. Sie verweisen bereits auf die allgemeinen Begriffe, also auf etwas, das durch Verstandestätigkeit zustande gekommen ist. Die Worte stehen der Intention der Wissensverwirklichung deshalb näher als das bloße Ding, das sich ohne die vermittelnde Tätigkeit des Verstandes gar nicht in seiner sachhaltigen Bestimmtheit offenbart. — Mit diesem Resultat wird Augustins Position in De magistro (Abwertung der Zeichen zugunsten einer sprachunabhängigen Erfassung der Sachen) nicht nur korrigiert, sondern geradezu auf den Kopf gestellt. Auf diese Weise hat der 1. Artikel das zentrale Problem der Quaestio 11 gelöst. Die folgenden drei Artikel behandeln untergeordnete Probleme, die hier nicht mehr ausführlich dargestellt werden müssen: 25
„... verba doctoris propinquius se habeant ad causandum scientiam quam sensibilia extra animam existentia in quantum sunt signa intelligibilium intentionum" (a. 1, ad 11).
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Der 2. Artikel widmet sich der Frage, ob der Mensch Lehrer seiner selbst sein kann. Diese Frage ist zu verneinen, wenn man sich an die strenge Wortbedeutung von „Lehrer" hält; der Lehrer muß nämlich das Wissen, das er einem anderen vermitteln will, bereits explizit und vollständig besitzen. Der 3. Artikel fragt, ob Menschen von Engeln belehrt werden können. Diese Frage ist (in eingeschränkter Weise) zu bejahen, sofern die Engel auf die Einbildungskraft (imaginatio) der Menschen einwirken und sie — vergleichbar mit Traumgesichten — belehren können. Der 4. Artikel schließlich entscheidet, daß das Lehren eher der vita activa zuzurechnen ist als der vita contemplativa.
De ventate legt keinen Traktat über die Sprache vor; aber die herangezogenen Quaestiones (4, 9, 11) bergen eine sprachphilosophische Reflexion von relativer Geschlossenheit. Thomas' Erörterungen sind sprachphilosophisch in dem Sinne, daß sie der Frage nach dem (systematischen, nicht: historischen) Ursprung der Sprache nachgehen. So thematisiert q. 4 den Ursprung der Sprache in Gott, q. 9 untersucht den Zusammenhang von Sprache und geistiger Kommunikation (bei den Engeln), q. 11 klärt die belehrende Funktion der Sprache für die Menschen. Gemeinsam ist diesen drei Themenbereichen, daß sie dem Zusammenhang von Sprache und Erkenntnis nachgehen. Grundlegend für die Erörterungen in q. 4 ist das Wort des Herzens, das Erkannte selbst, dem als Wirk- und Zweckursache alles (innere und äußere) Sprechen entspringt. Zwar handelt q. 4 vornehmlich vom Wort Gottes (der zweiten götdichen Person); damit der Sinn der metaphysisch-theologischen Aussagen jedoch deutlich wird, ist es unumgänglich, auch in diesem Zusammenhang auf Merkmale der menschlichen Sprache hinzuweisen: Die Bestimmung des Wortes als willkürlich gesetztes Zeichen klingt an; es findet sich der Hinweis auf den Ausdruckscharakter der Sprache; die Unterscheidung verschiedener Sprechebenen (Objekt-, Metasprache) wird erwähnt; die triadische Struktur der semiotischen Relation (Peirce: Zeichen, Objekt, Interprétant) läßt sich den Erörterungen entnehmen. Man wird jedoch — bei aller Anerkennung der subtilen Begrifflichkeit und Argumentation bei Thomas - feststellen müssen, daß die 4. Quaestio weitgehend in den von Augustinus eröffneten sprachphilosophischen Bahnen verläuft: Nur über den Umweg einer Trinitätsspekulation (Jesus als wesensgleiches Wort des Vaters) scheint
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das Wort als Gedanke des Herzens seine Würde erlangen zu können. Das konkrete (gesprochene oder gedachte) Wort ist bloß Mittel und erreicht nicht die Ursprungsdimension des geistigen Wortes. D a ß Thomas diese von Augustinus maßgeblich geprägte Auffassung korrigiert, wird erst in den Quaestiones 9 und 11 offenkundig. Bereits der Beginn der 9. Quaestio ist als Kritik an der Position Augustine zu verstehen. Für Thomas ist nämlich ganz unstrittig, daß wir durch Sprache erleuchtet werden können (a. 1, corp.). Ja, noch mehr: Erleuchtung ist ohne Sprechen gar nicht möglich (a. 5, corp.). N u n ist Augustine Abwertung der Sprache die Konsequenz einer Auffassung, die die Sprache als ein System konventionell gesetzter Zeichen interpretiert. Das hat T h o m a s wohl auch gesehen. Er löst diesen Problemzusammenhang jedoch nicht so, daß er diese Sprachauffassung grundsätzlich in Frage stellt; sondern er modifiziert den Begriff des Zeichens. Dies geschieht in q. 9 einmal dadurch, daß Thomas einen erweiterten Zeichenbegriff einführt, unter den auch die intelligiblen Formen zu subsumieren sind. Z u m anderen betont Thomas, daß es nicht zum Wesen des Zeichens gehört, von Natur früher oder später zu sein; dem Zeichen ist lediglich eigentümlich, uns früher bekannt zu sein. Die beim Begriff des Zeichens meist mitgedachte Abschätzung (bloßes Zeichen, ohne eigenen Sinn) wird damit zurückgewiesen. Es dürfte deshalb auch kein Zufall sein, daß T h o mas nicht die Unterscheidung zwischen natürlichen und künstlichen Zeichen aufgreift. Die Konsequenz dieser Überlegungen für die Einschätzung der menschlichen Sprache wird in Quaestio 11 klar. Das für q. 11, a. 1 zentrale Beispiel von der Heilkunst ergibt im Blick auf den sprachlichen Vermittlungsprozeß: Die sprachliche Belehrung ist eine Kunst (ars), die nur dann zum Ziel führt, wenn sie die Natur (den natürlichen Erkenntnisprozeß) nachahmt. Dazu bedient sich der Lehrer zwar ,künstlicher' Mittel (Wörter); sie unterliegen aber nicht seiner Willkür. Wir verstehen das Gesagte letzüich nicht deshalb, weil wir uns darüber geeinigt haben; sondern wir verstehen das Gesagte (und uns selbst) im Licht der allen Menschen gemeinsamen Vernunft, die als Ursprung der Sprache bereits von Natur aus auf Sprache angelegt sein muß. U n d weiter: Wenn im Prozeß des Wissenserwerbs den Worten dieselbe Funktion zukommt wie den Dingen, wenn sie der Ursache des Wissens sogar näher stehen als die Dinge, dann können die Wörter nicht bloß willkürlich gesetzte Zeichen ohne eigene Bedeutungspotenz sein. Heißt das nicht, daß die Interpretation der Wörter als Zeichen zu kurz greift, u m die ganze Dimension des menschlichen Sprechens erfassen zu
2. Theologie des Wortes: Summa theologize
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können? Thomas spricht diese Konsequenz nicht aus, aber sie legt sich auf der Grundlage seiner Erörterungen nahe. J.H.J.Schneider hat in seinem Kommentar (1988: 118ff.) zu De ventate q. 11, a. 1 mit Recht auf diese Zusammenhänge hingewiesen. Er hebt hervor, daß Augustins These von Gott als alleinigem Lehrer auf der Interpretation der Sprache als Zeichensystem beruhe; deshalb könne nach Augustinus der Mensch nur Wissen gewinnen, wenn er sich seinem Inneren, das dem göttlichen Licht geöffnet ist, zuwende. Diese Sprachauffassung sei nach Thomas falsch. „Die Sprache kann schon deshalb nicht nur als ein ,System' von Zeichen verstanden werden - obgleich das Erkennen in seinem Vollzug auf ihre Vermittlung angewiesen ist —, weil die Vernunft in ihr ein Wissen von dem mitbringt, das dem bloßen Zeichen vorausliegt: die kraft ihrer Reflexion erkannten Prinzipien ..." (122). Überdies könne die Sprache nicht nur den Charakter bloßer Zeichen haben, weil in ihr das von der Vernunft Erkannte selbst ausgedrückt werde. „Durch den aus dem Phantasma abstrahierten Begriff erkennt [...] der Erkennende die Sache selbst. Insofern ist die Erfahrungserkenntnis immer schon sprachlich, durch bestimmte Begriffe also, vermittelt, und zwar derart, daß diese Vermittlung verstanden werden muß als ein Verwirklichungsprozeß des Allgemeinen der Vernunft" (123). Man wird dieser Interpretation Schneiders weitgehend zustimmen können, freilich mit der Einschränkung, daß Thomas selbst es nicht gesagt hat.
Im Vergleich zu den Darlegungen bei Augustinus (vor allem De magistro) wertet Thomas die Sprache in De ventate entschieden auf. Insofern kann man sagen, daß Thomas die bei Augustinus sich öffnende Kluft zwischen götdichem und menschlichem Wort (verbum Dei — verbum vocis) zu überbrücken versucht. Aber: Thomas versucht dies im Rahmen der traditionellen Begrifflichkeit, deren Konnotationen wirksam sind. In dieser Hinsicht bleibt fast alles beim Alten: Das Erkennen hat einen prinzipiellen Vorrang vor dem Sprechen; die ,logischen' Prinzipien der Erkenntnis sind sprachunabhängig; die Zeichen sind letztlich doch nur Mittel, die auf ein zuvor schon Erkanntes verweisen (q. 11, a. 1, ad 14). Und dennoch: Die Reflexion über die Möglichkeit sprachlich vermittelter Lehre, die Darlegungen zum Wort Gottes und zur Sprache der Engel machen die Fragwürdigkeit einer am Begriff des Zeichens haftenden Sprachauffassung deutlich. 2. Theologie des Wortes: Summa theologiae26 Die Summa theologiae (bzw. Summa de theologia) gilt als das Hauptwerk
Thomas', „nicht nur wegen ihrer Wirkung [...], sondern vor allem, 26
S. Thomae Aquinitatis Summa theologiae, cura et studio Sac. Petri Caramello, o. O. (Turin/Rom) 1952 ff. — Die deutsch Thomasausgabe. Vollständige, ungekürzte dt.-lat. Ausg. der Summa Theologica, Salzburg/Leipzig (seit 1941 Heidelberg) 1934 ff.
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weil sie meist die klarste, gültigste Fassung der Doktrin enthält" 2 7 . Das 1265 begonnene Werk ist in drei Teile gegliedert; der dritte Teil konnte von Thomas nicht vollendet werden. Der zweite Teil ist noch einmal unterteilt (I-II; II-II). Die Summa tkeologiae, die sich ausdrücklich an den Anfanger wendet, ist in der Form der Quaestiones verfaßt (vgl. o. S. 190) und wird entsprechend zitiert.
a) Die Benennbarkeit Gottes (I, q. 13) Die Frage, ob die Menschen Gott überhaupt angemessen benennen können, wird bereits von Augustinus (vgl. o. S. 147) und Anselm (vgl. o. S. 172) gestellt. Thomas behandelt dieses Problem ausführlich (12 Artikel!) in der Quaestio 13 des ersten Teils der Summa theologiae28. Nachdem durch Quaestio 12 geklärt ist, in welchem Sinne der endliche Verstand den unendlichen Gott erkennen kann, ergibt sich gleichsam von selbst die Frage nach den Gottesnamen; „denn ein jedes wird von uns benannt, sofern wir es erkennen (unumquodque enim nominatur a nobis secundum quod ipsum cognoscimus)." Gegen die Möglichkeit, Gott zu benennen, führt Thomas zunächst ,sprachlogische' (bzw. grammatische) Argumente an (a. 1, arg. 2, 3): Nomina werden entweder von einem Allgemeinen (in abstracto) oder von einem bestimmten Einzelnen (in concreto) gesagt. N u n ist aber jedes (uns bekannte) concretum — wie das Wort selbst sagt - ein Zusammengesetztes (aus Stoff und Form bzw. aus einzelnen Teilen). Gott als das zuhöchst Einfache kann somit kein concretum sein und als solches benannt werden. Aber ebensowenig ist Gott ein abstrakt Allgemeines; denn dieses existiert nicht selbständig, ist kein schlechthin Zugrundeliegendes (im Sinne der ersten Substanz). Folglich kann Gott auch nicht als abstractum benannt werden. Für Gott scheint es also kein passendes Nomen zu geben. Wenn aber schon kein Nomen für Gott zutrifft, dann können andere Wortarten noch weniger angewendet werden: Die Verben haben einen Zeitbezug, Gott aber ist ewig; mit Demonstrativpronomen verweisen wir
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28
W. Kluxen, Thomas von Aquin: Das Seiende und seine Prinzipien, in: J. Speck (Hg.), Grundprobleme der großen Philosophen. Philosophie des Altertums und des Mittelalters, Göttingen 3 1983, 179. Die wesentlichen Argumente werden bereits in der Summa contra gentiles (I, 3 0 - 3 6 ) dargelegt.
2. Theologie des Wortes: Summa theologiae
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auf Wahrnehmbares, Gott aber entzieht sich den Sinnen — etc. Steht es so, dann ist es nicht nur unmöglich, Gott zu benennen; sondern es kann überhaupt nichts über ihn gesagt werden! Wie ist diese für den Theologen vernichtende Konsequenz zu vermeiden? An den Beginn seiner ,Antwort' setzt Thomas die aristotelische Definition des Wortes: „Die Wörter sind Zeichen der Begriffe, und die Begriffe sind Bilder der Dinge (voces sunt signa intellectuum, et intellectus sunt rerum similitudines)" (a. 1, corp.) 29 . Mit dieser Auskunft ist das Problem der Benennbarkeit Gottes für Thomas bereits grundsätzlich gelöst. Wenn die Wörter sich unmittelbar auf das begrifflich Erkannte beziehen (und durch Vermittlung der Begriffe auf die Dinge), dann kann umgekehrt auch alles, was der Verstand begrifflich erkennt, von uns benannt werden. Nun ist bereits in Quaestio 12 (besonders a. 12) dargelegt worden, daß Gott der menschlichen Erkenntnis nicht grundsätzlich verschlossen ist. Folglich muß er auch benannt werden können. Allerdings ist die Erkennbarkeit und Benennbarkeit Gottes erheblich einzuschränken. Die Erkenntnis des göttlichen Wesens (essentia) ist im menschlich-endlichen Leben grundsätzlich nicht möglich. Wir können Gott nur als Ursprung des Geschaffenen erfassen, indem wir alles Unvollkommene von ihm ausschließen und ihn als den alles Geschaffene unendlich Überragenden denken. Das hat folgende Konsequenz für unser Sprechen über Gott: Zwar ist es durchaus möglich und erlaubt, Gott von den Geschöpfen her (ex creaturis) zu benennen; aber solche Namen drücken nicht das Wesen Gottes aus; sie lassen sich nicht zu einer Wesensbestimmung (definitio) zusammenfügen. Das bedeutet im einzelnen: Wir können Gott mit Namen, die auf Abstrakt-Allgemeines verweisen, benennen; damit beziehen wir uns auf seine Einfachheit. Wir können Gott aber auch mit Namen, die auf Konkret-Einzelnes verweisen, benennen; dann beziehen wir uns auf seine Substantialität und Vollkommenheit. Zudem können wir Gott nicht nur mit Nomina bezeichnen; sondern wir können auch — 29
Das ist freilich kein genaues Zitat, sondern die Auslegung und Zusammenfassung von De interprelatione 16 a 3 - 8 . Die Übersetzung Wilhelm von Moerbekes, die T h o mas seinem Aristoteles-Kommentar zugrunde legt, lautet: „Sunt ergo ea quae sunt in voce, earum quae sunt in anima passionum notae: et ea quae scribuntur, eorum quae sunt in voce. Et quemadmodum nec litterae eaedem omnibus, sic nec eaedem voces: quorum autem hae primorum primo notae sunt, eaedem omnibus passiones animae sunt; et quorum hae similitudines, res etiam eaedem" (In libros Peri Hermenems expositio, lib. I, cap. I, lect. 2; vgl. u. S. 228 ff.).
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in der Verbindung mit anderen Wortarten - etwas über ihn aussagen. Die Zeitwörter, die wir dabei benutzen, verweisen auf die Ewigkeit Gottes, die alle Zeit einschließt. Mit den Demonstrativpronomen weisen wir hin auf Gott als denjenigen, der nur mit der Vernunft erfaßt werden kann. Es ist somit durchaus legitim, über Gott zu sprechen, wenn man den wesentlichen Unterschied zwischen Göttlichem und Endlichem beachtet. Damit ist auf eine erste Weise das Sprechen über Gott gerechtfertigt. Mit Hilfe der aristotelischen Ontologie und Logik ist es allerdings möglich und notwendig, das anstehende Problem differenzierter zu behandeln. Das geschieht in den Artikeln 2-12 der Quaestio 13. — Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Gott bezeichnenden Namen nicht das Wesen Gottes im Sinne der definido ausdrücken können. Daraus darf aber nicht geschlossen werden, daß sich die Bezeichnungen Gottes überhaupt nicht auf sein Wesen (seine Substanz) beziehen. Man muß so differenzieren (q. 2, corp.): Namen, die auf dem Weg der Verneinung (via negationis) von Gott gesagt werden (z. B. Gott ist nicht ein Zusammengesetztes), und Namen, die eine Relation zwischen Gott und dem Geschaffenen ausdrücken (z. B. Gott ist die Ursache des Guten in den Dingen), bezeichnen nicht das götdiche Wesen. Diejenigen Namen jedoch, die absolut und bejahend (absolute et affirmative) von Gott gesagt werden (z. B. Gott ist der Gute, der Weise ...), bezeichnen das göttliche Wesen, freilich auf unvollkommene Weise. Thomas gibt folgende Begründung: Die Namen, die wir Gott zusprechen, bezeichnen ihn gemäß unserer Verstandeserkenntnis. Da unser Verstand vom sinnlich Gegebenen ausgehen muß, kann er Gott bloß vom Kreatürlichen her erkennen, d. h. nur soweit, als die Geschöpfe ihn darstellen (repraesentare). Sie stellen das schlechthin Vollkommene aber dar, sofern sie selbst irgendeine Vollkommenheit besitzen, wenn auch diese Ähnlichkeiten unendlich von ihrem göttlichen Ursprung übertreffen werden. Das gilt für das Erkannte ebenso wie für das Benannte: Die Gott auf die angegebene Weise zugesprochenen Namen bezeichnen das göttliche Wesen (divina substantia), allerdings auf unvollkommene Weise. Sagen wir z. B. „Gott ist gut", dann bedeutet das nicht „Gott ist die Ursache des Guten" (das wäre die Bezeichnung einer Relation); es bedeutet auch nicht „Gott ist nicht schlecht" (das wäre bloß eine Verneinung). Vielmehr meint dieser Satz (im absoluten und bejahenden Sinne): Was wir beim Geschaffenen „gut" nennen, existiert zuvor in Gott auf höhere Weise. Absolut gesprochen
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ist Gott nicht deshalb gut, weil er Ursache des Guten ist; sondern — umgekehrt: weil er zuvor gut ist, schafft er das Gute in den Dingen. Wenn bestimmte Namen die göttliche Substanz bezeichnen, werden sie dann im eigentlichen Sinne (proprie) von Gott gesagt30? Auch diese Frage läßt sich nicht einfachhin beantworten (q. 13, a. 3, corp.). Es ist nämlich zu unterscheiden zwischen dem, was die Namen bezeichnen, und der Art, wie sie etwas bezeichnen (modus significandi). Im Blick auf das, was die benannten Vollkommenheiten (Güte, Leben etc.) bezeichnen, gelten sie von Gott im eigentlichen und ursprünglichen Sinne, sogar eigentlicher als vom Geschaffenen. Im Blick auf die Art und Weise des Bezeichnens jedoch können diese Namen nicht im eigentlichen Sinne von Gott gelten, weil der modus significandi an den unvollkommenen menschlichen Erkenntnisprozeß gebunden ist. Hinsichtlich des modus significandi ist jeder Name mangelhaft. „Denn durch den Namen drücken wir die Dinge in der Weise aus, in der wir sie mit dem Verstände begreifen" {Summa contra gentiles
I, 30).
Auch mit diesem Resultat hat Thomas sein eigentliches Ziel, den analogen Sprachgebrauch, noch nicht erreicht. Dazu sind weitere Abgrenzungen notwendig. Der 4. Artikel schließt zunächst aus, daß die Gott beigelegten Namen synonym sind. Synonyma bezeichnen dasselbe; sie sind in ihrer Bedeutung identisch. Da nun Gott zuhöchst einfach ist und die von ihm ausgesagten Prädikate (Güte, Weisheit etc.) mit seinem Wesen zusammenfallen, könnte man annehmen, daß diese Prädikate synonym seien. Das aber ist unmöglich. Denn — wie bereits mehrfach betont wurde — unser Verstand kann Gott nur auf dem Weg über die geschaffenen Dinge erkennen. Im Geschaffenen jedoch existieren die Vollkommenheiten nur getrennt und vielfaltig (divise et multipliciter). Deshalb können die entsprechenden Namen nicht synonym sein; sie beziehen sich auf unterschiedliche Begriffe. Die Frage nach der Synonymität steht in engem Zusammenhang mit der Frage nach der Univozität (a. 5; vgl. S. c. g. I, 32)31. Univok wird etwas von Verschiedenem gesagt, wenn der Begriff gemeinsam ist. So wird z. B. der Begriff „Lebewesen" von Kuh und Hund univok 30
31
In De ventate dagegen zielt die Frage nach der eigentlichen Bedeutung nur auf „verbum" als Bezeichnung für die zweite göttliche Person (vgl. o. S. 190). Man vgl. zum folgenden die Erörterung von M. Fleischer (1984: 53-57), die auch die einschlägigen Stellen aus De ventate und der Summa contra gentiles einbezieht.
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ausgesagt, weil beiden der dem Namen zugehörige Begriff des Lebewesens (als Wassein) zukommt. Das aber trifft bei Gott und dem Geschaffenen nicht zu. Sprechen wir einem Menschen Weisheit zu, dann bezeichnen wir eine Eigenschaft, die nicht mit dem menschlichen Wesen zusammenfällt. Nennen wir jedoch Gott weise, dann wollen wir gerade nicht etwas vom göttlichen Wesen Verschiedenes bezeichnen. Unser Begriff der Weisheit, der durch Abgrenzung von anderen Eigenschaften bestimmt und erfaßt wird, reicht an die Weisheit Gottes nicht heran. Gott und den Geschöpfen ist der Begriff des Namens „Weisheit" nicht gemeinsam. Entsprechendes gilt für die anderen Namen Gottes; also kann von Gott und dem Geschaffenen nichts univok ausgesagt werden. Soll man nun daraus schließen, daß es sich in solchen Fällen um äquivoke Redeweisen handelt? Aquivozität liegt nämlich dann vor, wenn das Bezeichnete nur den Namen gemeinsam hat, dem Begriff nach aber völlig verschieden ist. Auch diese Möglichkeit scheidet aus, da doch das Geschaffene dem Schöpfer ähnlich ist. Im übrigen: Könnten wir nur äquivok über Gott sprechen, dann wäre diese Rede sinnlos. Wenn die Namen, die wir Gott zusprechen, weder univok noch äquivok ausgesagt werden können, dann bleibt nur noch eine Möglichkeit: Wir verwenden diese Namen analog, d. h. gemäß einem Verhältnis: „... hujusmodi nomina dicuntur de Deo et creaturis secundum analogiam, idest proportionem" (a. 5, corp.). Dabei sind zwei Möglichkeiten zu unterscheiden: 1. Vieles steht in Beziehung auf eines. So heißen z.B. die Medizin und der Urin „gesund", sofern beide bezogen sind auf die Gesundheit des Lebewesens (also bezogen auf ein Drittes). Diese Art der Analogie scheidet für die Namen, die wir Gott beilegen, aus. Dann nämlich müßten die Namen, die wir von Gott und den geschaffenen Dingen aussagen, auf ein Drittes bezogen werden, das ursprünglicher wäre als Gott. 2. Das eine steht in Beziehung zu einem anderen (also nicht bezogen auf ein Drittes, sondern auf eines der beiden Glieder). So nennt man z. B. die Medizin und das Lebewesen „gesund" (ebenso: Substanz und Akzidens „seiend"), weil das eine eine Beziehung auf das andere hat. Zu dieser Art gehört das, was wir von Gott und den Dingen gemeinsam sagen. Wir können etwa die Weisheit, deren Name wir von dem uns Bekannten hernehmen, in analoger Weise von Gott aussagen, sofern die uns bekannte Weisheit in Beziehung steht zu
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Gott als Ursprung und Ursache aller Weisheit. In Gott nämlich existieren zuvor alle Vollkommenheiten in überragender Weise. Die Analogie steht somit in der Mitte zwischen bloßer Aquivokation und einfacher Univokation 32 . „Denn bei dem, was auf analoge Weise gesagt wird, liegt weder ein einziger BegriiF zugrunde wie bei Univokationen noch bezieht es sich auf ganz unterschiedliche Begriffe wie bei Aquivokationen; vielmehr bezeichnet ein Name, der auf diese [analoge] Weise von vielem ausgesagt wird, die unterschiedlichen Beziehungen (proportiones) zu ein und demselben" (q. 13, a. 5, corp.). Mit der Bestimmung der analogen Aussageweise ist das eigentliche Ziel der Quaestio 13 erreicht. Thomas schließt einige Überlegungen an, die hier nicht mehr dargelegt werden müssen 33 . Abschließend sei jedoch noch auf einen für das Benennungsproblem wichtigen Gesichtspunkt hingewiesen, den Thomas an zwei Stellen der Quaestio 13 erwähnt (a. 2, ad 2; a. 8, corp.): Um zu entscheiden, ob es Namen für das Wesen Gottes gibt (a. 2) bzw. ob „Gott" der angemessene Name für seine Natur ist (a. 8), gilt es nach Thomas, folgende Eigenart sprachlicher Bezeichnung zu beachten: „Das, woher ein Name zur Bezeichnung gesetzt wird, ist nicht immer identisch mit dem, wozu ein Name bei der Bezeichnung gebraucht wird (non est semper idem id a quo imponitur nomen ad significandum, et id ad quod significandum nomen imponitur)" (a. 8, corp.; fast wortgleich: a. 2, ad 2). Das heißt: Die Bedeutung eines Namens ist nicht (jedenfalls nicht immer) mit seiner etymologischen Herkunft gleichzuset32
33
Insofern kann man sagen, daß die Analogie die Stelle einnimmt, die Aristoteles in der Kategorienschrift der Paronymie zuweist. Allerdings ist zu beachten, daß Aristoteles eine grammatische Definition gibt (Unterschied der Endungen). Ein interessantes Sonderproblem behandelt der 10. Artikel: Der N a m e „Gott" kann in dreifacher Weise gebraucht werden: 1. zur Bezeichnung des wahren Gottes; 2. zur Bezeichnung eines gottähnlichen Wesens; 3. zur Bezeichnung eines vermeintlichen Gottes (eines Götzen). T h o m a s zeigt, daß es sich bei diesen drei Anwendungsmöglichkeiten auch um eine analoge Sprechweise handelt. - Dieser Artikel wird von M.-Th. Liske ausführlich interpretiert: Die Perspektive des Sprechers und ihre logische Bedeutung. Ein Deutungsversuch zu T h o m a s von Aquin S. th., q. 13, a. 10, in: Theologie und Philosophie 56 (1981), 111—118. Liske geht es um den Nachweis folgender These: „Das logische Problem, o b eine univoke oder analoge Prädikation vorliegt, läßt sich nicht beantworten, wenn man die entsprechenden Sätze aus dem Kontext herausgelöst betrachtet, da der Sinn der Begriffe und damit auch der semantische Status der Sätze von der Perspektive des Sprechers abhängt" (116).
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zen. Der Name soll nämlich auf das Wesen (substantia) des jeweiligen Seienden hinweisen; die Benennung geht aber oft auf eine bestimmte Eigenschaft zurück, die für die Sache nicht wesentlich zu sein braucht. Thomas gibt folgendes Beispiel: „Lapis" (Stein) ist abgeleitet von „laedit pedem" (er verletzt den Fuß) 34 . Der Name soll aber nicht diese beiläufige Eigenschaft, sondern das Wesen (bzw. den Begriff, der in einer definitio erfaßt wird) bezeichnen. Dieser Unterschied zwischen Benennung und Bedeutung kennzeichnet die meisten Namen. Davon ist nach Thomas nur dasjenige ausgenommen, was uns ,an sich' (secundum se) bekannt ist, wie z. B. „Hitze", „Kälte", „Weißsein" etc. Bei demjenigen, was nicht nach einem anderen, sondern im Blick auf es selbst benannt wird, fallen Name und Bedeutung zusammen. Dieser Unterschied ist zu beachten, wenn behauptet wird, daß wir mit verschiedenen Namen für Vollkommenheiten auf Gottes Wesen und mit dem Namen „Gott" auf seine wahre Natur hinweisen können. Neben der ausführlichen Untersuchung über das Problem der Benennbarkeit Gottes und der ebenfalls im ersten Teil (I, q. 107) erörterten Frage nach der Sprache der Engel gibt es in der gesamten Summa theologiae keine Quaestio, die ausschließlich den Namen, Wörtern, Zeichen oder der Sprache überhaupt gewidmet ist. Allerdings finden sich an vielen Stellen Hinweise zur Sprache, von denen einige im folgenden Kapitel herausgegriffen werden. Dabei bietet sich auch die Möglichkeit, an entsprechende Darlegungen in De ventate anzuknüpfen.
b) Merkmale des Wortes und der Sprache Die Quaestio 34 des I. Teils ist dem „Wort" als Bezeichnung der zweiten göttlichen Person gewidmet; sie entspricht damit der Quaestio 4 von De ventate (vgl. o. S. 190 ff.). Die Behandlung des Themas in der Summa theologiae ist allerdings etwas anders gewendet. Thomas fragt, ob „Wort" im Blick auf die zweite göttliche Person eine Personenbezeichnung (nomen personale) oder eine Wesensbezeichnung (nomen essentiale) sei. Die Antwort lautet: Es handelt sich um einen Personennamen, wenn „Wort" im eigentlichen Sinne (proprie) ver34
Daß diese Etymologie, die vielleicht auf Isidor von Sevilla zurückgeht, nicht korrekt ist, macht die Argumentation natürlich nicht hinfällig.
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standen wird (I, q. 34, a. 1, corp.). Zur Begründung legt Thomas die dreifache Bedeutung von „Wort" dar. Diese aus De ventate bekannte Einteilung wird jetzt nicht durch den Vergleich mit dem handwerklichen Herstellen gewonnen, sondern auf der Grundlage der gängigen' Bedeutung: (1.) Unter „Wort" verstehen wir üblicherweise das stimmlich geäußerte Wort. Dabei ist zwischen der Lautgestalt (vox ipsa) und ihrer Bedeutung (significatio vocis) zu unterscheiden 35 . Der äußere Laut kann aber nur dann „Wort" heißen, wenn er den im Inneren des Geistes gebildeten Begriff bezeichnet. Deshalb ist (2.) der Begriff zuerst und vornehmlich ein Wort. Davon ist noch einmal (3.) die Vorstellung der Lautgestalt (imaginario vocis) abzuheben, die auch „Wort" genannt wird. Diese Unterscheidung läßt sich jetzt so anwenden: Als Bezeichnung des Verstandesbegriffs wird „Wort" im eigentlichen Sinne von Gott gesagt. Nun ist es für das innere Wort (= Begriff) eigentümlich, aus einem anderen hervorzugehen, nämlich aus der Erkenntnis des Begreifenden. Folglich bezieht sich „Wort", wenn es von Gott ausgesagt wird, auf das Personhafte (und nicht auf das Wesen); die götdichen Personen werden nämlich ihrem Ursprung nach unterschieden. - Damit ist zugleich dargelegt, daß „Wort" Eigenname (nomen proprium) für die zweite trinitarische Person ist (I, q. 34, a. 2)36. Denn „Wort" bezeichnet ein gewisses Hervorgehen (emanatio) aus dem Verstand. Aufgrund einer Emanation aber geht der Sohn Gottes aus dem Vater hervor. „Wort" ist somit der personhaft-eigentümliche Name für den gezeugten Sohn. Zu den Themen, die bereits in De ventate behandelt und in der Summa theologiae wieder aufgegriffen werden, gehört auch die Frage nach der spezifischen Sprache der Engel (S. th. I, q. 107)37. Der Kern der Argumentation ist in beiden Werken gleich. Ausgangspunkt ist die Unterscheidung einer dreifachen Weise der Anwesenheit des Ver35
36 37
Diese bereits für Augustinus wichtige Unterscheidung (vgl. o. S. 140) ist für Thomas geradezu selbstverständlich. „Vox" wird dabei gleichbedeutend mit „sonus" benutzt (S. th. II-II, q. 72, a. 2, corp.). Thomas führt in diesem Zusammenhang aber nicht Augustinus, sondern Aristoteles als Autorität an. — Eine andere Wendung desselben Sachverhalts wird in der th. I-II, q. 93, a. 1, ad 2 vorgetragen: Man müsse unterscheiden zwischen dem Wort selbst und dem, was durch das Wort ausgedrückt werde. Das gilt auch vom geistigen Wort; denn es ist etwas anderes als die Sache, an die man denkt. Ihre anderen personhaften Eigennamen sind „Sohn" und „Bild" (I, q. 35). De ventate thematisiert in q. 9 auch die Erleuchtung; in der Summa ist diese Erörterung der vorhergehenden Quaestio (I, q. 106, a. 3, 4) zugeordnet.
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stehbaren (intelligibile) im Verstand: als Habitus (bzw. im Gedächtnis), als tatsächlicher Vollzug und in der Hinwendung auf ein anderes (vgl. o. S. 196). Der durch den Willen verursachte Ubergang von der einen Stufe zur nächsten bewirkt zugleich ein Sprechen: auf der zweiten Stufe ist es ein Sprechen mit sich selbst (was in De ventate nicht erwähnt wird), auf der dritten ein Sprechen zum anderen. In diesem Sinne sprechen auch die Engel miteinander. Ein Vergleich zwischen De ventate und der Summa theologiae zeigt, daß die Differenzierung des Zeichenbegriffs (vgl. o. S. 197) nicht mehr erwähnt wird. Die insgesamt straffere Darstellung der Summa behandelt allerdings eine in De ventate nicht gestellte Frage, nämlich: Spricht der Engel mit Gott (S. th. I, q. 107, a. 3)? Zur Beantwortung unterscheidet Thomas eine zweifache Funktion des Sprechens. Wenn m a n sich im Sprechen mit einem Begriff des Geistes an jemanden wendet, dann kann das in der Absicht geschehen, daß (1.) dem anderen durch die sprachliche Mitteilung etwas Unbekanntes dargelegt wird; das charakterisiert das Verhältnis des Lehrers zum Schüler. Das Sprechen kann aber (2.) auch darauf abzielen, daß man selber belehrt wird (oder seine Bewunderung für den anderen ausdrückt); das bestimmt das Verhältnis des Schülers zum Lehrer. Es ist klar, daß die Engel nur auf diese zweite Weise mit Gott sprechen können. Die Rolle des Sprechens im Lehr- und Lernprozeß wird an späterer Stelle der Summa theologiae (I, q. 117, a. 1, a. 2) thematisiert. Die Unterschiede im Vergleich zu der dargelegten Erörterung in De veritate sind jedoch eher marginal und betreffen nicht den Kern der Argumentation 38 .
Die bisherigen Darlegungen zeigen, daß Wort und Sprache bei Thomas vor allem in ihrem Zusammenhang mit dem Wissen und Erkennen thematisiert werden. Wenn das ,theoretische' Interesse auch zweifellos überwiegt, so hat Thomas andere Funktionen der Sprache nicht übersehen. Er erwähnt sie vornehmlich bei der Analyse des angemessenen menschlichen Verhaltens in der Gemeinschaft. 38
Die in De veniate q. 11, a. 3 gestellte Frage „Kann der Mensch von einem Engel unterrichtet werden?" kehrt Thomas in der Summa theologiae (I, q. 117, a. 2) um: „Können die Menschen die Engel unterrichten?" — Die Frage, ob das Lehren zur aktiven oder kontemplativen Lebensweise gehöre (Be ventate q. 11, a. 4), wird in der Summa theologiae erst an späterer Stelle behandelt: II-II, q. 181, a. 3.
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Thomas unterscheidet, um Recht- bzw. Unrechtmäßigkeit des Verfluchens (maledicere) entscheiden zu können, eine dreifache Funktion des Sprechens (II-II, q. 76, a. 1, corp.) 39 : 1. Der Modus der Aussage Das Wort ist Zeichen des vom Geist gebildeten Begriffs. Wird darüber etwas Wahres oder Falsches festgestellt, dann sprechen wir in der Form der Aussage (enuntiatio). Dieser Weise des Sagens entspricht der grammatische Modus des Indikativs. 2. Der Modus der Verursachung Durch das Sprechen kann etwas ins Werk gesetzt werden. In diesem Sinne ist vornehmlich das Sprechen Gottes zu verstehen; denn durch sein Wort wird alles geschaffen 40 . Auf ähnliche Weise sprechen aber auch die Menschen, wenn sie durch einen Befehl andere dazu bringen, etwas zu tun. Diesem Sagen entspricht der grammatische Modus des
Imperativs.
3. Der Modus des Ausdrucks Das Sprechen ermöglicht es, unsere Affekte und Wünsche auszudrücken. Diesem Sagen entspricht der grammatische Modus des Optativs.
Auf der Grundlage dieser Unterscheidung muß nach Thomas das Verfluchen (maledicere), das nichts anderes bedeutet als „Böses sagen" (malum dicere), so beurteilt werden: Wenn jemand Böses über einen anderen aussagt, dann handelt es sich auf jeden Fall um üble Nachrede und Ehrabschneidung (detractio). Bei den anderen beiden Sageweisen des Verfluchens (Befehl, Wunsch) ist dagegen zu unterscheiden, ob es aus einem guten oder bösen Beweggrund geschieht. Es ist z. B. durchaus erlaubt, daß der Richter ,Böses sagt', wenn er befiehlt, jemandem eine gerechte Strafe aufzuerlegen. Neben dem Verfluchen behandelt Thomas eine Fülle von Möglichkeiten menschlichen Fehlverhaltens, die zu einem großen Teil mit dem Mißbrauch der Sprache zusammenhängen. Die wesentlichen Gesichtspunkte seien angeführt:
39
40
A. Keller (1974: 473) sieht in dieser Einteilung eine Parallele zu der von K. Bühler dargelegten dreifachen Funktion der Sprache als Darstellung, Appell und Kundgabe. Dem kommen nach Thomas die Worte des Priesters am nächsten, durch die Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandelt werden („Dies ist mein Leib", „Dies ist mein Blut"); S. th. III, q. 78, a. 5, corp.
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1. Schmähung/Beschimpfung (contumelia; II-II, q. 72) Schmähung im eigentlichen Sinne besteht darin, daß man über einen anderen Menschen etwas Entehrendes sagt. (Sofern Taten auch etwas bezeichnen, kann - im übertragenen Sinne - eine Tat beleidigend sein.) Durch den bloßen Klangkörper (sonus) des Wortes kann niemand geschmäht werden; er kann nur, wenn er zu laut gesprochen wird, das Gehör belästigen. Sofern die Wörter aber als Zeichen etwas bedeuten und anderen mitgeteilt werden, können sie vielfältigen Schaden anrichten. Die Schmähung, die der Redende einem anderen zufügt, ist umso größer, je mehr Mitmenschen diesen Worten zuhören. 2. Lüge (mendacium; II-II, q. 110) Die Tugend der Wahrhaftigkeit und das ihr entgegengesetzte Laster (vitium) der Lüge beruhen auf einer Kundgabe (manifestatio sive enuntiatio) durch Zeichen. Diese Kundgabe durch Zeichen gründet in einem Akt des Verstandes, der eine Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem herstellt. (Zwar gibt es auch eine Art Kundgabe bei den Tieren, aber ohne Absicht, nämlich aufgrund eines natürlichen Instinkts.) Als moralische Handlung kann das Sprechen nur angesehen werden, wenn es von einer Willensintention abhängt. Nun richtet sich die Aussage entweder auf das Wahre oder auf das Falsche. Der verkehrte Wille (voluntas inordinata) kann zweierlei bezwecken: eine falsche Aussage zu machen und mit dieser Aussage jemanden zu täuschen. Wenn jemand die Unwahrheit sagt, dann sind drei Aspekte zu unterscheiden: a) die Unwahrheit dem Inhalt nach (materialiter) — wenn er etwas behauptet, das tatsächlich falsch ist; b) die Unwahrheit der Form nach (formaliter) - wenn er wirklich beabsichtigt, etwas Falsches zu sagen; c) die Unwahrheit der Wirkung nach (effective) — wenn er jemanden damit täuschen will. Der Begriff der Lüge bezieht sich auf die formale Unwahrheit. (Die Absicht, jemanden zu täuschen, betrifft nach Thomas nicht den Artbegriff der Lüge, sondern ihre Vollendung; die Wirkung gehört nämlich nicht zum Wesen der Ursache; q. 110, a. 1, ad 3.) — Ihrem Wesen nach ist die Lüge ein Übel. Denn stimmliche Verlautbarungen sind natürlicherweise (naturaliter) Zeichen der Gedanken. Deshalb ist es unnatürlich (und sündhaft), wenn sprachliche Äußerung und Gedanken nicht übereinstimmen (q. 110, a. 3, corp.). - Die Diskrepanz zwischen Äußerem und Innerem prägt auch andere Fehlhaltungen: 3. Verstellung und Heucheln (simulatio et hypocrisis; II-II, q. 111) Zu den äußeren Zeichen zählen nicht nur Worte, sondern auch Werke. Deshalb kann man die Verstellung als Lüge betrachten. Der
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sich Verstellende will nämlich mit Taten oder Dingen etwas darstellen, das er nicht wirklich ist. Eine gesteigerte Form der Verstellung ist die Heuchelei, weil der Heuchelnde eine andere Person vortäuscht. 4. Prahlerei (jactantia; II-II, q. 112) Die Prahlerei ist eine Art der Lüge; sie verdeckt die Wahrheit durch ein Zuviel (in majus; q. 110, a. 2, corp.). In zweifacher Hinsicht kann der Prahlende ,über sich hinaus' (supra se) etwas sagen: zum einen, indem er über das hinausgeht, was die Leute von ihm denken; zum anderen, indem er über das hinausgeht, was er in Wahrheit ist. Beides kann man Prahlerei nennen; im eigentlichen Sinne meinen wir jedoch mit dem Ausdruck „Prahlerei" die zweite Art. 5. Selbstunterschätzung (ironia 41 ; II-II, q. 113) Selbstunterschätzung ist der Gegenbegriff zu Prahlerei; denn die Selbstunterschätzung verdeckt die Wahrheit durch ein Zuwenig (in minus; q. 110, a. 2, corp.). Das Übel der Selbstunterschätzung liegt z. B. vor, wenn jemand etwas Geringschätziges von sich sagt, das er bei sich selbst aber gar nicht feststellen kann. 6. Schmeicheid (adulatio; II-II, q. 115) Schmeichelei und Streitsucht sind Fehler, die der Tugend der Freundschaft entgegengesetzt sind. Die Schmeichelei besteht in einem übermäßigen Lobreden, durch das der Schmeichler einem anderen zu gefallen sucht. 7. Streit (litigio; II-II, q. 116) Im eigentlichen Sinne entsteht der Streit durch Worte: der eine widerspricht den Worten eines anderen. Ein solcher Streit widerspricht der Freundschaft, wenn die Gegenrede in der Absicht erfolgt, jemanden zu kränken. Es fallt auf, daß Thomas die dreifache Funktion des Sprechens, die er im Zusammenhang des Verfluchens darlegt, bei den anderen Möglichkeiten sprachlichen Mißbrauchs nicht mehr erwähnt, obwohl sich Hinweise im Text finden, die eine Anwendung der verschiedenen Sprechmodi nahelegen. So weist Thomas etwa darauf 41
Hinweise zur BegrifFsgeschichte gibt der Kommentar zur dt. Thomas-Ausgabe, Bd. 20, 440 f.; ausführlicher: H. Weinrich, Art. Ironie, in: Hist. Wörterb. d. Philosophie 4, 577—582. T h o m a s hält sich an die ursprüngliche Wortbedeutung. Der Ironiker (eiron) ist derjenige, der sich geringer darstellt, als er ist (Tiefstapler).
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hin, daß bei den Zungensünden (peccata verborum) vor allem beachtet werden müsse, aus welchem Affekt sie hervorgehen (II-II, q. 72, a. 2, corp.). Weiterhin könnte m a n die drei bei der Lüge unterschiedenen Aspekte zu den verschiedenen Sprechweisen in Beziehung setzen: Die materiale Unwahrheit entspricht der Aussage; die formale verweist auf den Modus des Ausdrucks, die effektive auf den Modus der Verursachung. Wenn Thomas auf diese Zusammenhänge nicht eigens eingeht, so ist dies sicherlich ein Indiz dafür, daß ihm — wie der gesamten Tradition — der Aussagemodus am wichtigsten ist.
So verweist die Summa theologiae an vielen Stellen, die hier nicht vollständig angeführt worden sind, auf die unterschiedlichen Funktionen der Sprache. Die T h e m e n erstrecken sich vom Problem der Benennbarkeit Gottes über die Frage nach dem Sinn des götdichen Wortes und nach der Möglichkeit einer Sprache der Engel bis hin zur Erörterung der Sprachengabe der Apostel (II-II, q. 176) und der Aufgabe einer Rhetorik für die christliche Verkündigung (II-II, q. 177). M a n könnte versuchen, diese verschiedenen Stellen zu systematisieren und so eine relativ geschlossene Sprachtheorie für die Summa theologiae zu konstruieren. Das würde jedoch zu leicht darüber hinwegtäuschen, daß Thomas in diesem Werk an sprachphilosophischen Erörterungen wenig gelegen ist — es sei denn, sie stehen in engem Bezug zu theologischen Problemstellungen. Vergleicht m a n Parallelstellen zwischen De ventate und der Summa theologiae, dann zeigt sich, daß Thomas in der Summa sich meist kürzer faßt und oft ,einfacher' argumentiert 4 2 . Das gilt auch für die sprachphilosophischen Passagen. Zwar läßt sich in den beiden Werken kein wesentlicher Unterschied in der Sprachauffassung feststellen. Aber: In der Summa theologiae findet sich keine der Quaestio 9 von De ventate entsprechende Erörterung des Zeichenbegriffs; bei der Frage nach der Möglichkeit des Lehrens und Lernens tritt die Auseinandersetzung mit Augustinus ganz in den Hintergrund. Es legt sich die Vermutung nahe, daß die traditionelle Sprachauffassung für die Summa theologiae fragloser zu sein scheint als für De ventate. Das läßt sich auch dadurch bestätigen, daß Thomas bisweilen die aristotelische Position 42
Das hat seinen Hauptgrund in der unterschiedlichen Intention der beiden Werke; die Summa soll besonders dem Anfanger die Inhalte der christlichen Religion vermitteln.
3. D a s innere Wort: Super evangelium S. Ioannis lectura
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als nicht mehr kritisierbaren Ausgangspunkt seiner eigenen Überlegungen zitiert (etwa: I, q. 13, a. 1; I, q. 34, a. 1). Grundlegend für die Sprachphilosophie Thomas von Aquins ist die (Augustinus verpflichtete) These, daß sich das Wesen des Wortes und der Sprache nur im Blick auf das innere Wort ergründen läßt 43 . Die Charakterisierung des inneren Wortes hat Thomas in verschiedenen Wendungen immer wieder vorgetragen - so auch im Eingangskapitel seines Kommentars zum Johannes-Evangelium 44 .
3. D a s i n n e r e Wort: Super evangelium S. Ioannis lectura45
Thomas' Kommentar zum Johannes-Evangelium gehört zu einer Gruppe von theologischen Werken, die in der traditionellen Form der lectio (Vorlesung) verfaßt sind: Der anstehende Text wird in überschaubaren Abschnitten zunächst zitiert und dann ausführlich interpretiert. — Die Forschung ist durchweg darin einig, daß nur die ersten fünf Kapitel des Kommentars zum Johannes-Evangelium von Thomas selbst stammen, während der größere Teil von Reginald von Piperno verfaßt wurde (auf der Grundlage des ihm bekannten mündlichen Vortrags). Die Entstehungszeit fällt in die letzten Lebensjahre Thomas' (um 1270). Um den Beginn des Johannes-Evangeliums (In principio erat Verbum; im Anfang war das Wort) zu verstehen, ist nach Thomas vor allem zu klären, was mit „Wort" gemeint ist. Dazu wird zunächst die philosophische Autorität des Aristoteles, sodann das Zeugnis der Heiligen Schrift herangezogen. Nach der Festlegung des Aristoteles 43
D i e in De ventate (q. 4) eingeführte terminologische Unterscheidung zwischen verbum cordis und verbum interius (Vorstellung der Lautgestalt) wird von T h o m a s nicht durchgehalten. A n anderen Stellen kann mit verbum interius auch das verbum cordis (sive mentis sive intellectus) gemeint sein. Wichtig ist für T h o m a s — wie für Augustinus - die Gegenüberstellung des an eine Lautgestalt gebundenen Zeichens mit d e m Erkenntniswort, das frei ist von einer konkreten Lautgestalt.
44
Ergänzend ist auf die entsprechende Darlegung in der Summa contra gentiles (IV, 11) hinzuweisen. N a c h T h . Kobusch gelangt T h o m a s hier schon zur „endgültigen Bestimmung des inneren Wortes" (1987: 83; vgl. auch 369). S. T h o m a e Aquinitatis Super evangelium S. Ioannis lectura, T a u r i n i / R o m a e 1952. Dt. Ubersetzungen: T h o m a s von Aquin, Das Wort, verdeutscht von J. Pieper, M ü n c h e n 3 1 9 5 5 (nicht vollständig). T h o m a s von Aquin, Der Prolog des Johannes-Evangeliums/ Super Evangelium S. Ioannis lectura (caput I, lectio I - X l ) , Übers., Einf. u. Erläuterungen von W.-U. Klünker, Stuttgart 1986.
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in De interpretatione handelt es sich bei dem stimmlich Geäußerten um Zeichen für die seelischen Eindrücke 4 6 . Diese Definition bezieht sich offenkundig auf das äußere Wort. Hingegen ist es nach Thomas in der Heiligen Schrift üblich, das Bezeichnete selbst (significata) als Zeichen und d. h. als Wort aufzufassen 4 7 . Damit ist das innere Wort gemeint. Deshalb ist es notwendig, auch das vom sprachlichen Laut bezeichnete Innere der Seele „Wort" zu nennen 4 8 . — Für die anstehende Untersuchung muß nach Thomas nicht ausführlich aufgewiesen werden, daß (und in welchem Sinne) der N a m e „Wort" eher (früher, per prius) dem stimmlich Verlautbarten oder dem Begriff des Geistes zukommt 4 9 . Es sei auch so unmittelbar einsichtig, daß das innere Wort Ursache des äußeren Wortes und in dieser Hinsicht früher ist. U m das Wesen des inneren Wortes zu erfassen, müsse deshalb nichts anderes untersucht werden als das, was durch das ausgesprochene Wort bezeichnet wird. Nach diesen einleitenden Hinweisen setzt Thomas mit einer grundsätzlichen Überlegung zum Zusammenhang von Wort und Verstand (intellectus) ein. Es gilt, in unserem Verstand dreierlei zu unterscheiden: a) das Verstandes- bzw. Erkenntnisvermögen als solches (potentia intellectus); b) die Erkenntnisform (species) der jeweiligen erkannten Sache; c) die Tätigkeit (operatio) des Verstandes, das Denken bzw. Erkennen (intelligere). Keines dieser drei Momente jedoch ist mit dem inneren Wort gleichzusetzen. Thomas erläutert das an dem Beispiel des Namens „Stein". Es ist offenkundig, daß „Stein" nicht das Wesen (substantia) des Verstandes bezeichnet (a); das liegt 46
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Thomas gibt hier fast wörtlich die lat. Übersetzung wieder (vgl. o. S. 211 Anm, 29): „... ea quae sunt in voce, sunt signa earum, quae sunt in anima, passionum." Thomas fuhrt als Beispiel eine Stelle aus dem 1. Korintherbrief (10,4) an: „Sie tranken nämlich aus einem geistigen Felsen, der sie begleitete; der Felsen aber war Christus." Es mag überraschen, daß eine metaphorische Redeweise angeführt wird. Aber in solchen Fällen ist leichter (als bei der ,eigendichen' Sprechweise) zu sehen, daß das Bezeichnete (der Begriff oder auch die Sache) selbst noch einmal Zeichencharakter hat bzw. haben kann. Die Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Wort erklärt, weshalb man nach Thomas sagen kann, das Wort bezeichne sowohl den seelischen Eindruck (äußeres Wort) als auch die Sache selbst (inneres Wort). Die Kritik Warnachs (1938: 410) an Manthey (1937: 68 f.) ist deshalb nicht recht einsichtig. Manthey hat Recht, wenn er den doppelten Sinn des significare (bezogen auf ,Ding' und ,psychischen Inhalt') bei Thomas heraushebt; und Warnach hat Recht, wenn er betont, daß die Worte sich nach Thomas unmittelbar auf die VerstandesbegrifFe und nur mittelbar auf die Dinge beziehen. Diese Frage wird in De ventate beantwortet; vgl. o. S. 191.
3. Das innere Wort: Super evangelium S. loannis lectura
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gar nicht in der Absicht des Sprechenden, der dieses Wort äußert. Es liegt nach Thomas jedoch auch nicht in der Absicht des Sprechenden, die species, durch die der Verstand erkennt, zu bezeichnen (b). Und schließlich bezeichnet der Name nicht den Denkvorgang (c), da diese Tätigkeit ganz innerlich bleibt. Dann bleibt eigentlich nur übrig, daß das innere Wort im strengen Sinne das meint, „was der Erkennende im Erkennen bildet (quod intelligens intelligendo format)". Das heißt für das Beispiel: Jemand sieht einen Stein. Der Verstand (der ,mögliche', aufnehmende') nimmt davon die Form (species) auf, die ein intelligibles Erkenntnisbild (similitudo) des Dinges ist50. Diese species ist Grundlage und Ursache für eine eigene Verstandestätigkeit (,tätiger' Verstand), deren Resultat die Vorstellung des allgemeinen Dingbegriffs „Stein" ist. Dieses Resultat - und weder der Ausgangspunkt noch der Vorgang als solcher — wird „inneres Wort" (verbum internus) genannt. Wegen der Schwierigkeit des zu klärenden Sachverhalts ergänzt Thomas diese Bestimmung des inneren Worts durch folgende Erläuterung: Gemäß seiner zweifachen Tätigkeit bildet der Verstand zweierlei. Zum einen formt er, sofern er das unteilbare Wesen erkennt, Dffinitionen (Wesensbestimmungen). Zum anderen fällt er Urteile, sofern er trennt (verneint) und verbindet (bejaht). „Inneres Wort" heißt sowohl der Begriff qua definitio als auch das Urteil bzw. die Aussage. Der Zusammenhang zwischen erkennendem Verstand und innerem Wort (das vom äußeren Wort stimmlich bezeichnet wird) muß so gefaßt werden: Das innere Wort ist nicht das, wodurch der Verstand erkennt; dieses Wodurch nämlich ist die species der Dinge. Vielmehr ist das innere Wort das, worin (in quo) der Verstand etwas erkennt; denn in ihm ,sieht' er das Wesen der erkannten Sache. Als Resultat dieser Überlegung ist festzuhalten: 1. Das Wort entspringt dem tätigen Verstand („... ab intellectu in actu existente"). 2. Das Wort ist immer Begriff (ratio) und Abbild (similitudo) der erkannten Sache. Dabei lassen sich zwei Fälle unterscheiden: a) Denkt der Mensch sich selbst, dann ist das daraus entstehende Wort ein Abbild des erkennenden Geistes selbst, b) Denkt der Verstand etwas anderes (z. B. den Stein), dann ist das daraus entspringende Wort Abbild der erkannten Sache (und nicht des Erkennenden). Nur für den ersten Fall gilt - wie Augustinus zu Recht betone —, daß der 50
Darauf zielt die Analogie, die Thomas in diesem Zusammenhang aufstellt: Die species der Sache verhält sich zum Verstand wie die species der Farbe zum Auge.
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Vili. Thomas von Aquin
menschliche Geist ein Bild der göttlichen Trinität ist (da ja das Wort Gottes Wort seiner selbst ist). Das Wort gehört ebenso zum Wesen Gottes wie zum Wesen des vernunftbegabten Menschen. Denn es ist dem Denken eigen, etwas zu gestalten; und dies ist nichts anderes als das innere Wort. Im nächsten Schritt wird das Wort Gottes durch einen Vergleich mit dem menschlichen Wort charakterisiert. Thomas führt drei wesentliche Unterschiede an: 1. Beim menschlichen Wort geht die Möglichkeit der Wirklichkeit voran; das göttliche Wort ist immer schon wirklich. Denn: Menschliche Erkenntnis ist diskursiv. Unser Denken muß gleichsam einen Weg zurücklegen, der vom Sinnlichen ausgeht und zur Bildung des Begriffs führt. Erst am Ende dieses Prozesses besitzt unser Geist das Wesen der Sache als Wort. Das Wort Gottes hingegen ist immer schon wirklich; deshalb kann man es strenggenommen nicht als Denken (cogitatio) bezeichnen (wie Anselm). 2. Unser Wort ist unvollkommen; das götdiche Wort ist auf höchste Weise vollkommen. Denn: Um unsere Gedanken auszudrücken, brauchen wir viele Wörter. Das göttliche Wort jedoch drückt in einem einzigen Akt alles aus, was in Gott ist — sowohl die götdichen Personen als auch alles Geschaffene. 3. Das Wesen des menschlichen Wortes muß vom Wesen des Menschen unterschieden werden; das Wort Gottes und das Wesen Gottes fallen zusammen. Denn: Der vom Menschen gebildete Begriff ist etwas, das zum Wesen der Seele hinzukommt (als Akzidens). In Gott aber sind Denken und Sein identisch. Das Wort Gottes gehört zu seiner Substanz; von seinem Wesen ist alles bloß akzidentelle Sein fernzuhalten. Damit ist die Frage nach dem Wesen des Wortes beantwortet 51 . Im Anschluß an diese Überlegungen geht Thomas noch auf vier in der Tradition diskutierte Interpretationsschwierigkeiten ein. Davon seien zwei Probleme, die für den anstehenden Zusammenhang interessant sind, angeführt: — Im griechischen Text steht „lògos", das im Lateinischen sowohl mit „ratio" als auch mit „verbum" übersetzt werden kann (vgl. o. 51
Stichwortartig fügt Thomas noch folgende Merkmale des göttlichen Wortes an: Das Wort Gottes ist personhaft gemeint; es ist gleichewig mit dem Vater, von gleichem Wesen und von gleicher Substanz.
3. Das innere Wort: Super evangelium S. Ioannis lectura
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S. 153 Anm. 39). Warum haben sich die Übersetzer für „verbum" entschieden? Thomas bezieht sich damit ausdrücklich auf Augustinus (De diversis quaestionibus, q. 63). Die Frage ist nach Thomas und Augustinus so zu beantworten: Mit „Begriff' (ratio) wird auf einen Gedanken des Geistes verwiesen, sofern er im Geist existiert; „ratio" verweist nicht darauf, daß dieses geistige Erzeugnis auch geäußert wird. In „Wort" dagegen liegt gerade dieser Bezug zur Äußerung. Weil nun der Evangelist nicht nur auf die Existenz der zweiten Person in Gott, sondern zugleich auf die schaffende Kraft des Sohnes hinweisen wollte, ist die Übersetzung mit „verbum" durchaus angemessen. — Diese Antwort ermöglicht folgende, von Thomas nicht vermerkte Ergänzung für die Bestimmung des menschlichen Wortes: Die vom Geist erfaßte Definition (der Begriff) einer Sache bzw. das über eine Sache gefällte Urteil wird zu Recht als inneres Wort bezeichnet, sofern es auf eine mögliche Äußerung (im artikulierten Laut oder auch in einer Tat) angelegt ist. — Eine andere Frage übernimmt Thomas von Origines: Warum heißt es an der fraglichen Stelle nicht „Wort Gottes", sondern nur „Wort"? Darauf ist nach Thomas zu antworten: Zwar gibt es viele Wahrheiten; sie sind aber nur dadurch wahr, daß sie an der einen Wahrheit des götüichen Seins teilhaben. So verhält es sich auch beim Wort: Die einzelnen Worte verdanken ihren Wortcharakter (und ihre mögliche Wahrheit) dem einen göttlichen Wort, das Wort durch sich selbst ist. Nur durch Teilhabe an diesem göttlichen Wort kann ein Geschöpf „sprechendes Wesen" genannt werden. Um auf diese Einzigartigkeit des götüichen Wortes hinzuweisen, hat der Evangelist auf einen Zusatz verzichtet; die Einzigartigkeit wird zusätzlich durch den Gebrauch des bestimmten Artikels verstärkt.
Diese Überlegungen machen noch einmal die inhaltlichen und methodischen Grundlagen der Philosophie des Wortes bei Thomas deutlich: Er setzt mit einer vorläufigen Bestimmung des Wortes ein. Dazu werden die höchsten Autoritäten zitiert, Aristoteles und die Heilige Schrift. Diese einleitenden Hinweise machen deutlich, daß die Interpretation des Wortes als Zeichen für Thomas ebenso fraglos ist wie für Augustinus und die gesamte auf ihn folgende Tradition. Ebenso selbstverständlich ist der Vorrang des inneren Wortes, das als Ursache dem äußeren Wort prinzipiell vorangeht. Im Anschluß an diese Vorbemerkungen formuliert Thomas eine eigenständige
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Wesensbestimmung des inneren Wortes. Sie bildet die Grundlage, um das göttliche Wort — in Abhebung vom Erkenntniswort des Menschen — zu charakterisieren und die Ubereinstimmung der philosophischen Reflexion mit der christlichen Trinitätslehre (bezogen auf erste und zweite Person) darzutun. Schließlich greift Thomas noch einmal auf bestimmte Lehrmeinungen christlicher Autoritäten zurück, um sie im Lichte der eigenen Theorie (auch durch eine ,Uminterpretation') verständlich zu machen. Die auf diese Weise explizierte Sprachphilosophie konzentriert sich ganz auf das innere Wort als Spiegel des göttlichen Wortes und Ursprung aller zeichenhaften Äußerungen. In diesen von Augustine Trinitätsspekulation eröffneten Horizont ordnen sich Thomas' Überlegungen zum Prolog des Johannes-Evangeliums ein. Daß Thomas hier in auffälliger Nähe zu Augustinus bleibt, wird auch durch die häufigen Augustinus-Zitate belegt. Der Kommentar zum Johannes-Evangelium dringt — wie auch die entsprechenden Stellen in De ventate und in der Summa theologiae — darauf, daß der Ursprung des menschlichen Wortes letztlich im Wort Gottes zu suchen ist. Ist damit auch schon über den historischen Ursprung des menschlichen Wortes entschieden? Wie steht es mit der Entstehung der Sprache? Dazu gibt der Kommentar zu Aristoteles' De interpretatione wichtige Hinweise.
4. Die Entstehung der Sprache: In libros Peri Hermeneias expositio52 Thomas' Kommentar zu Perì hermeneias {De interpretatione) entstand während seines letzten Aufenthalts in Paris (1269—1272), etwa zur selben Zeit wie die im vorigen Kapitel behandelte Auslegung des Johannes-Evangeliums. Das Werk ist, der lateinischen KommentarLiteratur zu diesem Werk des Aristoteles folgend, in zwei Bücher (liber I, II) gegliedert; diese sind — wie der Aristoteles-Text — in 14 Kapitel (caput 1—14) eingeteilt, die in 29 Vorlesungen (lectiones) 52
S. Thomae Aquinitatis In Aristotelis libros Perì Hermeneias et Posteriorum Analytkorum expositio, cum textu ex recensione leonina, cura F. Raymundi M. Spiazzi, o. O. (Turin) 2 1964. Die gesamten Aristoteles-Kommentare Thomas' werden eingehend von M. Grabmann charakterisiert: Die Aristoteleskommentare des heiligen Thomas von Aquin, in: Mittelalterliches Geistesleben. Abhandlungen zur Geschichte der Scholastik und Mystik, Bd.I, München 1926, 266-313.
4. Die Entstehung der Sprache: In libros Peri Hermeneias expositio 229
behandelt werden. Die 2.lectio des 1.Kapitels von Buchi (I, 1.2) thematisiert die für die Aristotelische Sprachauffassung zentrale Stelle 16 a 3-9 5 3 . Thomas geht zunächst auf die Frage ein, warum die Menschen überhaupt der Sprache bedürfen 54 . Seine Auskunft lautet: Wäre der Mensch von Natur aus ein vereinzelt lebendes Lebewesen, dann würden ihm die von den Dingen verursachten seelischen Eindrücke genügen. Nun ist der Mensch seinem Wesen und seiner Natur nach aber ein politisches und gesellschaftliches Lebewesen („... homo est animal naturaliter politicum et sociale ...", n. 2). Deshalb muß er seine Gedanken den anderen Menschen mitteilen. Das geschieht durch bezeichnende Laute (voces significativae). Als Mittel der Kommunikation ist die Sprache unentbehrlich. Deshalb können Menschen, die unterschiedliche Sprachen sprechen, nicht gut miteinander leben. Der Mensch ist aber nicht nur animal sociale, sondern ebenso wesendich animal rationale. Daraus ergibt sich nach Thomas die Notwendigkeit der Schrift. Denn: Würde der Mensch nur über sinnliche Erkenntnis, die sich einzig auf das jeweilige Hier und Jetzt bezieht, verfügen, dann wäre die gesprochene Sprache (vox significativa) für das Miteinanderleben durchaus hinreichend. So können ja auch die übrigen Lebewesen durch bestimmte Lautäußerungen den Artgenossen etwas kundtun. Nun besitzt der Mensch aber die Fähigkeit der verstandesmäßigen Erkenntnis; d. h. er sieht vom Hier und Jetzt ab; er kümmert sich um das räumlich Entfernte und das zeitlich noch Ausstehende. Deshalb wird für den Menschen der Gebrauch der Schrift notwendig. Sprache und Schrift sind somit aufs engste mit dem Wesen des Menschen verbunden; in diesem Sinne sind sie etwas Natürliches. Dabei darf man aber nicht stehenbleiben. Denn die vom Menschen geäußerten Sprachlaute — wie Nomina, Verba und dergleichen — sind Reichen (notae, signa55). Damit ist das Unterscheidungskriterium angegeben, durch das sich die sprachlich artikulierten Laute von solchen Lauten unterscheiden, die entweder gar nichts oder auf natürli53
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Die lat. Übersetzung ist bereits zitiert worden: o. S. 211 Anm. 29; die dt. Ubersetzung des Aristoteles-Textes ist o. S. 71 nachzulesen. Das wird in De interpretatione nicht erörtert, entspricht aber den Überlegungen im ersten Buch der Politik. Moerbeke, dessen Text Thomas vorliegt, übersetzt gr. „symbola" mit „notae". Thomas betont in seinem Kommentar, daß dafür auch „signa" eingesetzt werden kann (I, 1.2, nn. 3, 8).
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che Weise etwas bezeichnen. Deshalb kann man nach Thomas auch so sagen: Zwar ist der stimmliche Laut (vox) durchaus natürlich; die Wörter aber bezeichnen etwas kraft menschlicher Einrichtung (ex institutione humana; I, 1.2,4). Oder: Der bloße Laut verhält sich zum lautlichen Zeichen wie der Stoff zur Form. Wie der Mensch z. B. den natürlichen Stoff des Holzes zu einem Bett formen kann, so kann er auch aus dem natürlichen Lautmaterial bezeichnende Worte bilden. Laute, die eine natürliche Bedeutung haben und z.B. Freude, Schmerz und Leiden anzeigen, sind jedoch nicht das eigendiche Thema von De interpretatione. Hier gehe es, so betont Thomas, um die Verstandesbegriffe in der Seele, auf die sich die Wörter unmittelbar beziehen; der Bezug der Wörter zu den Sachen ist nämlich durch die seelischen Eindrücke vermittelt. Die Abgrenzung des Sprechens von Lautäußerungen, die natürlicherweise etwas offenbaren, gibt auch die Erklärung für die Verschiedenheit der Sprachen. Aristoteles zieht bekanntlich den Vergleich zur Schrift: Ebensowenig wie die Schrift sind die Worte bei allen Menschen dieselben. Dieser Vergleich ist nach Thomas richtig; er sollte aber den folgenden Unterschied zwischen Sprache und Schrift nicht verdecken: Die Schriftzeichen verdanken nicht nur ihre Bedeutung einer Setzung der Menschen (ex impositione; I, 1.2, n. 8); auch ihre bestimmte Gestalt ist künstlich entstanden („... ipsarum formatio fit per artem"; ebd.). Die Laute (voces) dagegen werden auf natürliche Weise geformt. Deshalb könnte man annehmen, daß alle Laute auf natürliche Weise etwas bedeuten. U m diesem Irrtum zu begegnen, verweise Aristoteles auf die Ähnlichkeit zwischen Wörtern und Schriftzeichen. Der Zeichencharakter unterscheidet die Wörter nicht nur von den Lauten, sondern auch von den seelischen Eindrücken (I, 1.2, n. 9). Die seelischen Eindrücke nämlich sind — ebenso wie die sie verursachenden Dinge — etwas Natürliches und deshalb bei allen Menschen dieselben. Sie sind Abbilder (similitudines) der Dinge, und ohne solche Abbilder — sei es in den Sinnen, sei es im Verstand — können die Sachen nicht erkannt werden. Bei den Wörtern dagegen liegt kein natürliches Abbildverhältnis vor, sondern ein Bezug ,gemäß menschlicher Einrichtung'. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Wörter nicht von anderen künsdichen Zeichen. Sie bezeichnen etwas ex institutione, wie auch der Klang der Tuba ex institutione Zeichen des Krieges ist. — Damit ist der Sinn des Aristotelischen „katà synthé-
4. Die Entstehung der Sprache: In libros Peri Hermeneias exposiüo
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ken" - der Formel, die im zweiten Kapitel von De interpretatione eingeführt und ins Lateinische mit „secundum placitum" übersetzt wird — klar. „Gemäß Übereinkunft" meint, daß die Wörter gemäß menschlicher Einrichtung und gemäß einer nach menschlichem Gutdünken erfolgten Setzung etwas bezeichnen: „Secundum placitum, idest secundum institutionem humanam a beneplacito hominis procedentem" (I, 1.4, n. 6). Diese Kennzeichnung ermöglicht es, die Sprache von den unartikulierten natürlichen Lautgebungen und von den natürlichen Erkenntnisbildern zu unterscheiden. Thomas betont, daß diese Überlegungen auf dem Hintergrund folgender Kontroverse gesehen werden müssen (I, 1.4, n. 12): Die einen haben behauptet, daß die Namen überhaupt nicht auf natürliche Weise bezeichnen. Andere dagegen haben die entgegengesetzte Auffassung vertreten und gesagt, die Namen seien gleichsam die natürlichen Abbilder der Dinge. Beide Positionen verkennen jedoch nach Thomas das eigentümliche Wesen des Namens bzw. des Wortes. Das Richtige liegt gleichsam in der Mitte: Einerseits komme den Wörtern die Bedeutung nicht von Natur aus zu; das werde von Aristoteles zu Recht betont. Andererseits könne man durchaus mit Piaton sagen, daß die Bedeutung der Wörter insofern natürlich sei, als sie mit der Natur der Sache übereinstimme. Dem stehe nicht entgegen, daß die eine und selbe Sache mit vielen Namen bezeichnet werde. Es kann nämlich viele Abbilder einer Sache geben; und so ist es möglich, daß auf der Grundlage von verschiedenen Eigentümlichkeiten einer einzigen Sache viele unterschiedliche Namen auf ähnliche Weise gesetzt werden. Piaton hat das — so stellt es sich für Thomas dar — allerdings nicht gesehen. Das wird in Thomas' Kommentar zum vierten Kapitel von De interpretatione deutlich. Aristoteles betont im vierten Kapitel, daß jegliche Rede bezeichnend (semantikós) sei gemäß Übereinkunft — aber nicht nach Art eines Werkzeugs (órganon). Thomas weiß, daß Aristoteles hiermit Stellung bezieht zu Piatons Kratylos. Und Thomas selbst muß auch dazu Stellung nehmen, weil er zuvor bei der Erklärung des Verhältnisses von natürlichem Laut (Stoff) und Wort (Form) auf die Analogie zum handwerklichen Herstellen hingewiesen hat. Thomas kommentiert die fragliche Stelle (De interpretatione 16 b 33— 17 a 2) so: Aristoteles wende sich gegen den Irrtum (error), daß die Rede und ihre Teile auf natürliche Weise etwas bezeichnen. Die Vertreter dieser irrigen Auffassung trügen zum Beweis ihrer These folgende Überlegung vor (I, 1.6, n. 7):
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V i l i . Thomas von Aquin
— Jede natürliche Veranlagung (virtus naturalis) bedarf zu ihrer Verwirklichung der natürlichen Werkzeuge; die Natur nämlich verweigert nicht das Notwendige. — Die menschliche Ausdrucks- und Erklärungsfähigkeit (potentia interpretativa) ist ein natürliches Vermögen; folglich müssen auch die dazu benötigten Hilfsmittel (Werkzeuge) natürlich sein. — Das Werkzeug der potentia interpretativa ist die Rede, die das im Geist Begriffene ausdrückt. („Werkzeug" meint nämlich das, womit eine solche Aktion ausgeführt wird.) — Also ist auch die Rede etwas Natürliches; sie ist von Natur aus bezeichnend und nicht aufgrund menschlicher Einrichtung. Diesem Beweis muß nach Thomas entgegengehalten werden (I, 1.6, n. 8): Es ist durchaus richtig, daß das menschliche Ausdrucksvermögen der natürlichen Werkzeuge bedarf. Aber diese natürlichen Werkzeuge sind Kehle und Lunge (als stimmbildende Organe), Zunge, Zähne und Lippen (als Artikulationsorgane). Die Rede dagegen und ihre Teile sind die Wirkung dieser durch natürliche Instrumente verwirklichten Ausdruckskraft. Das läßt sich durchaus mit dem handwerklichen Herstellen vergleichen. Wie sich nämlich die bewegende Kraft (virtus motiva) des Handwerkers der Arme und Hände zur Schaffung seiner Werke bedienen muß, so braucht auch die Ausdrucksfähigkeit natürliche Werkzeuge (Kehle etc.), um eine Rede zu formen. Und wie das Produkt des handwerklichen Verfertigens etwas Künstliches ist, so ist auch die Rede als Produkt der menschlichen Ausdrucksfähigkeit etwas Künstliches. Deshalb betone Aristoteles mit vollem Recht, daß Rede und Wort ad placitum bezeichnend sind. Alles vom Menschen Geschaffene — einschließlich seiner Sprache — gründet im menschlichen Verstand (ratio) und Willen (voluntas). Die menschliche Ausdruckskraft (seine Sprachfähigkeit) ist nicht (ebensowenig wie die künstlerische Begabung) den körperlichen Bewegungskräften zuzurechnen. Vielmehr ist sie ein Vermögen des Verstandes, der die körperliche Kraft zur Schaffung von künsdichen Werken bewegt. Dieses körperlich Geschaffene kann der Verstand dann als seine Werkzeuge gebrauchen. Es sind nicht Werkzeuge eines körperlichen Vermögens, sondern Produkte einer geistigen Tätigkeit. In diesem Sinne benutzt der Verstand auch die Wörter als Instrumente. Nur als vom Verstand gesetzte Werkzeuge gewinnen die Wörter eine Bedeutung, die ihnen von Natur aus nicht zukommt. F.Manthey (1937: 86-94) hat dargelegt, daß die im Anschluß an Aristoteles explizierte These, nach der die Namen ad placitum gesetzt sind, im Widerspruch steht zu der von Thomas an anderer Stelle - vornehmlich im Genesiskommentar - geäußerten
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Auffassung von einer natürlichen Namengebung. Im Kommentar zur Genesis (II) schließe Thomas nicht aus, daß Adam auch die Offenbarung der ersten Namen unmittelbar von Gott empfangen habe. Wenn man von einer willkürlichen Namengebung ausgehe, dann könne die Willkür - zumindest am historischen Beginn der Sprache - nicht ganz frei gewesen sein. Thomas betone ja auch, daß der Name das Wesen der von ihm bezeichneten Sache ausdrücke und ihm von der Form des Dinges auferlegt werde (vgl. 91 mit zahlreichen Quellenbelegen). Für diese Diskrepanz gibt Manthey folgende Erklärungsmöglichkeiten an (93 f.): 1. Thomas habe wohl berücksichtigen wollen, daß auch die Namen letztlich von Gott stammen und deshalb dem Wesen der Dinge entsprechen müßten. 2. Möglicherweise stehe der Genesiskommentar noch stark unter dem Einfluß der platonisch geprägten patristischen Exegese; erst später gewinne das aristotelische Gedankengut die Oberhand. 3. „Die einfachste Erklärung liegt wohl aber darin, daß der Genesiskommentar eben nicht von Thomas geschrieben ist" (94). Dennoch schlägt Manthey folgende Vermitdung der widersprüchlichen Thesen über den Ursprung der Sprache vor: „Gott gab dem Menschen die Sprache, [...] aber nicht aktuell, sondern nur potentiell [...]; er gab dem Menschen die Kraft und die Fähigkeit, eine Sprache selbständig zu erfinden und auszubilden. Gott führte irgendwie Adam die Lebewesen vor, die Benennung aber unternahm Adam kraft der in ihm bisher schlummernden gottgegebenen Geisteskräfte. Zwei Menschen, die verschiedene Sprachen redeten, begegneten einander; sie verständigten sich eben mit Hilfe der ihnen von Gott verliehenen Kombinationsgabe, der Vernunft. Und dies dürfte wohl das größte Wunder in der Sprache sein, daß man bemerkt, der andere wolle zu uns sprechen" (88). Diese Synthese entspricht nach Manthey am ehesten der Auffassung des Thomas von Aquin; Manthey gesteht aber sogleich ein, daß sich dafür keine Belegstellen in den Werken finden lassen. - Manthey scheint allerdings zu übersehen, daß auch auf dem Hintergrund eines solchen Vermittlungsversuchs das grundsätzliche Problem eines sprachlosen Urzustandes der Menschheit bestehen bleibt. Im übrigen löst die Athetese des Genesiskommentars noch nicht die Schwierigkeit einer Vermitdung der aristotelischen Argumentation mit dem chrisdichen Schöpfungsglauben.
Thomas' ausführlicher und perspektivenreicher Kommentar zu Perì hermmeias dokumentiert eine überragende wissenschafdiche Kennerschaft. Das wird sowohl beim kongenialen U m g a n g mit dem — freilich durch die Übersetzung vermittelten — Aristotelischen Text als auch durch die Auseinandersetzung mit anderen Aristoteles-Kommentatoren deudich. „Im Kommentar zu Perihermeneias begegnen uns Theophrastus, Boethius, Porphyrius, Alexander von Aphrodisias, Ammonius, Aspasius, Hormelius und von den Arabern Algazel" (Grabmann 1926: 290). Thomas geht es bei seiner Darlegung der Sprachauffassung von De interpretatione vornehmlich darum, den Sinn des katà synthéken (ad placitum) zu klären. Er weiß, daß mit dieser Formel des Aristoteles
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der in Piatons Kratylos verhandelte Streit entschieden werden soll; und er sieht, daß es in diesem Streit auf eine Vermittlung der beiden extremen Positionen (physei — thései) ankommt. Die vermittelnde Position, die Thomas darlegt, bleibt allerdings ganz im Horizont des aristotelischen Denkens: Das menschliche Sprachvermögen ist durchaus etwas Natürliches; es beruht auf einer natürlichen Ausdrucksfáhigkeit und bedient sich der stimmbildenden Organe, mit denen der Mensch ausgestattet ist. Zur Bezeichnung (d. h. zur Verwirklichung der Sprache) kommt es jedoch erst, wenn Verstand und Wille des Menschen dieses natürliche Material zur Verständigung einsetzen. Die Wörter als Produkte der menschlichen Tätigkeit verdanken somit ihre Bedeutungskraft nicht der ,Natur'; sie sind nach menschlichem Gutdünken und Ermessen (ad beneplacitum) gleichsam institutionalisiert. Diese aristotelische Lösung gerät freilich in Konflikt mit dem von Thomas selbst (I, 1.4, n. 12) vorgetragenen Vergleich der Wörter mit den Abbildern der Dinge. Wird das Wort in Analogie zu den Ahnlichkeitsbildern (similitudines) gesehen und beruht die Vielzahl der Wörter bzw. Sprachen lediglich auf einer Auswahl unter verschiedenen Eigentümlichkeiten, die ein und derselben Sache zukommen, dann ist die menschliche Willkür erheblich eingeschränkt; dann liegt eine eigene Ausdrucks- und Bezeichnungskraft beim Wort (und nicht nur bei einem sprachunabhängigen Denken); dann fragt es sich, ob der Begriff des Zeichens im Blick auf die Sprache nicht zu kurz greift. Thomas' Versuch, Piatons Kratylos mit Aristoteles' De interpretatione zu vermitteln, erweist sich als brüchig. Aufs Ganze gesehen, wird man freilich feststellen müssen, daß es Thomas bei seinen sprachphilosophischen Überlegungen weniger auf die Vermittlung zwischen Piaton und Aristoteles ankommt. Letztlich geht es ihm darum, die christliche Lehre vom verbum Dei soweit wie möglich philosophisch zu erhellen und mit einer Sprachauffassung in Einklang zu bringen, die durch die aristotelische Tradition bestimmt ist. Das bedingt — wie bereits bei Augustinus — zwei methodische Ausgangspunkte für die Wesensbestimmung des Wortes: zum einen das Wort Gottes, die zweite göttliche Person; zum anderen das menschliche Wort, das als Zeichen unser Inneres ausdrückt und mitteilbar macht. Der erste Ansatz ist sprachmetaphysisch; er läßt sich sehr klar am (Augustinus nahestehenden) Kommentar zum Johannes-Evangelium ablesen. Der zweite Ansatz ist sprachlogisch; er wird im Perihermeneias-Kommentar, der vom me-
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taphysischen Ursprung des Wortes absieht, durchgeführt. Die Vermittlung dieser beiden Wege leistet am ehesten De ventate, indem vom Wort Gottes — als dem metaphysischen Prinzip endlichen Seins und Erkennens - die menschliche Sprache abgeleitet und das in De magistro explizierte Vorurteil von der Wahrheitsferne des menschlichen Sprechens beseitigt wird. Für den Versuch, Thomas' Sprachauffassung zu ergründen, ist De ventate folglich am aufschlußreichsten. Dennoch gilt für De ventate ebenso wie für die anderen sprachphilosophischen Erwägungen bei Thomas: Es geht nicht um eine grundsätzliche Revision der traditionellen Sprachauffassung. Aber Thomas gelingt es, in variierenden Argumentationen und mit einer differenzierten Begrifflichkeit, die traditionellen Lehrstücke gleichsam geschmeidig zu machen, um eine Brücke zwischen spätantikem Sprachverständnis und christlicher Verbum-Lehre zu schlagen. Dabei kommt Thomas entschieden weiter als Augustinus und Anselm. Gleichwohl beugt sich auch Thomas in entscheidenden Fragen der Macht der sprachphilosophischen Tradition: Zwar erweist sich der Zeichenbegriff im Blick auf das Wesen der Sprache als hinderlich; aber das Wort des Menschen wird fraglos unter die willkürlich gesetzten Zeichen subsumiert. Zwar rücken Denken und Sprechen in eine ursprüngliche Nähe (im Begriff des verbum cordis bzw. verbum intimum); aber der Primat eines sprachunabhängigen Denkens bleibt letzdich unangetastet. Zwar wird dem menschlichen Sprechen durchaus eine eigene Würde zuerkannt; aber das Interesse an der Sprache muß hinter einem höherrangigen theologischen oder logischen Interesse zurückstehen. Zwar vermag das metaphorische Wort des Dichters die Menschen zu erfreuen; aber im Blick auf Wahrheit und Offenbarung bleibt es von untergeordneter Bedeutung {Summa theologiae I, q. 1, a. 9).
IX. MEISTER ECKHART Das mystische Wort
1. Gottes Schöpfung als Wortung: Lateinische Werke So unbestritten die herausragende Stellung Eckharts in der Mystik des 14. Jahrhunderts ist, so strittig ist die Beurteilung seines Denkens. In älteren Forschungsbeiträgen hat man darüber gestritten, ob Eckhart einen ungetrübten Thomismus vertrete oder aber einem ketzerischen Pantheismus zuzuordnen sei. Demgegenüber hebt die neuere Forschung — unterstützt durch die kritische Edition der Werke 1 - die Originalität Eckharts hervor. K. Flasch 2 und B. Mojsisch 3 datieren Eckharts Wende vom Thomismus zu einem eigenen Konzept auf die Quaestiones Parisiensis (LWV), die während des zweiten Lehraufenthalts in Paris entstanden sind (1302/03). In der ersten dieser Quaestiones legt Eckhart nämlich — gegen Thomas — dar, daß das Denken (intelligere) einen prinzipiellen Vorrang vor dem Sein hat. Nicht das Sein Gottes ist Grund seines Erkennens, sondern umgekehrt: Gott ist, weil er seinem Wesen nach denkt und erkennt (LW y 40). Nur so kann nach Eckhart der Beginn des Johannes-Evangeliums verstanden werden. Es heiße bekanntlich „Im Anfang war das Wort" und nicht „Im Anfang war das ,seiend.' (ens)"; denn das Wort ist auf die Vernunft bezogen und nicht auf ein starres Sein oder Seiendes. Gott als Wort zu erfassen und die Konsequenz dieses Gedankens für das Leben des Menschen aufzuweisen, das ist das zentrale Motiv, um das die Spekulation Eckharts kreist. Die Auslegung des JohannesPrologs ist deshalb von grundlegender Bedeutung. 1
2
3
Meister Eckhart, Die deutschen und lateinischen Werke, hg. im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Stuttgart 1936 fT. Nach dieser Ausgabe wird zitiert (Band- u. Seitenangabe) mit den üblichen Kürzeln (LW: Lateinische Werke; DW: Deutsche Werke). Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli, Stuttgart 1987, 408 ff. Meister Eckhart. Analogie, Univozität und Einheit, Hamburg 1983, 21 f., 30 ff. (mit weiteren Literaturangaben).
1. Gottes Schöpfung als Wortung: Lateinische Werke
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Eckharts Expositio sancii evangelii secundum Iohannem (LW III) ist Teil
eines geplanten großen Dreigeteilten Werkes (Opus tripartitimi), das nicht vollendet wurde 4 . Im Vorwort zum Johannes-Kommentar nennt Eckhart folgende Zielsetzung: Es gehe ihm hier - wie in allen anderen Werken auch — darum, den chrisdichen Glauben und die Heilige Schrift mit Hilfe der natürlichen Gründe der Philosophen („per rationes naturales philosophorum"; LW III, 4) auszulegen. Weiterhin wolle er aufweisen, daß die Wahrheiten über die Prinzipien und Eigentümlichkeiten der Naturdinge bereits in den Worten der Schrift hinterlegt seien5. Um den Anfang des Johannes-Evangeliums (V 1-5) angemessen zu verstehen, sind nach Eckhart fünfzehn Grundsätze zu beachten, die nicht nur im Bereich des Göttlichen gelten, sondern ebenso im Bereich der Natur und des menschlichen Herstellens. 1. Das von etwas Hervorgebrachte oder aus ihm Hervorgehende ist zuvor in ihm. Die Feige z. B. könnte aus einem anderen Gewächs hervorgehen, wenn sie nicht vorher im Feigenbaum wäre. Deshalb gilt: 2. Das Hervorgebrachte ist zuvor im Hervorbringenden wie der Same in seinem Ursprung. 3. Das von etwas Hervorgebrachte ist dessen Wort, denn „Wort" ist dasjenige, was das Hervorgebrachte nennt, meldet und aussagt („dicens, nuntians et enuntians"; LW III, 6). 4. Das Hervorgehende ist im Hervorbringenden wie die Idee und das Gleichbild („sicut ratio et similitudo"; ebd.). Etwas wird nämlich gemäß der Idee geschaffen. Das entspricht dem griechischen Urtext, sofern „lògos" sowohl „verbum" als auch „ratio" bedeutet. 5. Wenn etwas aus einem anderen hervorgeht, dann wird es von diesem unterschieden. Zugleich aber verweist die Wendung „Das Wort war bei Gott" auf eine gewisse Gleichheit (aequalitas). Man muß hier nach Eckhart beachten, daß bei einer analogen Beziehung das Hervorgebrachte geringer und unvollkommener ist als das Hervorbringende. Bei einer univoken Beziehung jedoch — und darum handelt es sich im anstehenden Problemzusammenhang — nimmt das Hervorgebrachte nicht nur teil an der Natur des Hervorbringen4 5
Zum Gesamtkonzept des Werkes siehe Flasch 1987: 413 f. Den für das Gesamtwerk programmatischen Charakter dieser Stelle zeigt K. Flasch auf: Die Intention Meister Eckharts, in: Sprache und BegrifF. Festschr. f. B. Liebrucks, Meisenheim 1974, 292-318.
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IX. Meister Eckhart
den, sondern es empfangt die Natur (das Wesen) seines Ursprungs schlechthin ganz, unvermindert und in der gleichen Weise („... totani [naturam] simpliciter, integraliter et ex aequo ..."; LW III, 7)6. Wird das beachtet, dann gilt: 6. Das Hervorgehende ist der Sohn des Hervorbringenden. „Sohn" wird nämlich jemand genannt, der zwar eine andere Person, nicht aber ein anderer der Natur nach ist. Positiv formuliert: 7. Der Sohn (das Wort) ist dasselbe, was der Vater (der Anfangsgrund) ist. So ist auch die Idee der Truhe, die im Geist des Künstlers als Vorbild des Herstellens existiert, keine Truhe, sondern Leben und Denken des Künstlers (und nicht ein anderes seiner selbst). In dieser Hinsicht gibt es — wie bereits am Anfang der Argumentation gesagt — keinen Unterschied zwischen der Erschaffung der Natur und dem Hervorbringen im Bereich der Kunst. Für beide Bereiche gilt auch: 8. Das Hervorgebrachte bleibt im Hervorbringenden. Die angefertigte Truhe z. B. bleibt (als Idee) im Künstler, mag sie als äußeres Werk bestehen oder zerstört werden. 9. Das Hervorbringen oder Ausfließen, von dem hier gesprochen wird, geschieht unabhängig von Bewegung und Zeit. Geburt bzw. Erzeugung betrifft nämlich, als Ziel und Ende der Bewegung, die Substanz bzw. das Sein des Dinges. Geburt in diesem Sinne ist immer im Anfang, d. h. immer. (Der Sohn in der Gottheit ist immer geboren und wird immer geboren.) 10. Die Vernunft empfängt die (intelligiblen) Erkenntnisinhalte nicht in sich, sondern in ihren Anfangsgründen (in suis principiis). So erkennt der Gerechte alle Dinge und sich selbst nur in der Gerechtigkeit (LW III, 16). Alle Erkenntnis, die nicht auf ihre Ursprünge zurückgeführt wird, bleibt dunkel und unsicher (LW III, 17). 11. Der Handwerker macht alles, was er herstellt, durch das Wort, den geistigen Begriff (conceptus mentis), die handwerkliche Fertigkeit (ars). 12. Die Idee im Geist des Handwerkers (z.B. die Idee der Truhe) ist nicht etwas Geschaffenes; vielmehr ist sie die Fertigkeit des Handwerkers selbst, sein lebendiger Begriff. 6
Nach B. Mojsisch (1983: 62 ff.) sind die Sätze 1-12 nur auf der Grundlage von Eckharts Theorie der univoken Korrelationalität zu verstehen, während den Sätzen 13-15 der Analogiegedanke zugrunde liegt. Mojsisch geht es um den Nachweis der These, „daß Eckharts Denken nicht auf den Analogiegedanken reduziert werden" (64) darf.
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13. Das Wort als Verstandesinhalt (ratio) gehört zum Wesen des Menschen. Der Mensch ist das animal rationale, und das Menschengeschlecht kann nur vermittels seiner Kunst (ars) und seines Verstandes leben. 14. Das Wort erhellt Inneres und Außeres. Denn auch in den geschaffenen Dingen leuchtet nur ihre begriffliche Bestimmtheit. Der Begriff eines Seienden nämlich, der durch den Namen 7 bezeichnet wird, ist dessen Wesensbestimmung 8 . 15. Das Wort (verbum bzw. lògos bzw. ratio) ist ganz in den einzelnen Dingen und ganz außerhalb der Dinge. Das heißt: Die geschaffenen Dinge sind durch ihr Wort (ihre Idee) bestimmt; aber diese ideellen Wasbestimmtheiten werden vom Vergehen der Dinge nicht betroffen. Die Idee eines konkreten Kreises z. B. ist unbeweglich und ewig. Damit ist für Eckhart aufgewiesen, daß sich die ersten Sätze des Johannes-Evangeliums durch die Eigentümlichkeiten der Natur erklären lassen (und nicht nur durch mehr oder weniger ferne Analogien wie bei Augustinus), wie uns umgekehrt die Äußerungen des Evangelisten über das Wesen der geschaffenen Dinge aufklären. Daß diese Analyse auch für den Bereich des handwerklichen Herstellens gilt, wird durch entsprechende Beispiele in den fünfzehn Leitsätzen belegt. — In einem zweiten Schritt erläutert Eckhart das Spezifische von Trinität und Inkarnation an der Beziehung des Gerechten zur Gerechtigkeit (LW III, 13 ff.). Eckhart will vor allem dies dartun: Die Gerechtigkeit ist keine bloße Eigenschaft, die dem gerechten Menschen innewohnt; vielmehr wird der Gerechte, sofern er gerecht ist (nicht: sofern er geschaffen ist), aus der Gerechtigkeit selbst, d. h. aus der Gottheit geboren. Als Gerechter ist er in der Gerechtigkeit als deren ,Wort'. Diesen außerordentlich schwierig zu denkenden Sachverhalt legt Eckhart schließlich an dem Verhältnis zwischen Urbild und Abbild dar. — Damit sind die für Eckharts Philosophie ganz zentralen ,Lehrstücke' eingeführt. Sie brauchen allerdings hier nicht umfassend analysiert zu werden. Vielmehr ist festzuhalten, was der Beginn des Johannes-Kommentars über das Wesen des Wortes sagt.
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Dazu paßt Eckharts etymologische Rückführung von „nomen" auf „notitia" (Kenntnis): LW III, 94. Eckhart zitiert Aristoteles Metaphysik IY 1012 a 23 f.
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IX. Meister Eckhart
„Wort" bezeichnet nach Eckhart zunächst alles, was von einem Hervorbringenden hervorgebracht wird (3.)9. Das soll in der Übersetzung von „lògos" durch „verbum" hinterlegt sein. Strenggenommen nennt und verkündet aber das Wort nicht das Hervorgebrachte selbst, sondern dessen Ursprung. Alles Hervorgebrachte ist nämlich zuvor im Hervorbringenden (1.); folglich ist auch das Wort ursprünglich im Sprechenden. Vergleichsweise kann man sagen: Etwas ist im Hervorbringenden wie der Same in seinem Ursprung (2.). In philosophischer Begrifflichkeit: Etwas ist im Hervorbringenden wie die Idee oder das Gleichbild (4.). Darauf verweist die Ubersetzung von „lògos" durch „ratio". Deshalb meint „Wort" in diesem Sinne nichts anderes als den Begriff des Geistes (conceptus mentis) oder das praktische Wissen (ars) des Herstellers (11.), den Erkenntnisinhalt als solchen (10.). Dieses Wort ist unabhängig von allem zeitlich bestimmten Äußeren, das von der Vergänglichkeit bedroht ist; es ist und bleibt anfänglich (8., 9.). Das Wort konstituiert und bestimmt das Leben des Geistes(12.); es ist deshalb der Vernunft wesenhaft gleich, allerdings nicht mir ihr identisch (5.). Daraus folgt: Wenn der Mensch in seinem Wesen als animal rationale zu bestimmen ist, dann ist der Mensch ebenso wesenhaft Wort. Oder — in der Ausdrucksweise des Johannes-Textes: Das Wort ist Leben und Licht des Menschen (13.). Bei dieser Wesensbestimmung des lògos qua verbum und ratio ist zu beachten: Es geht um die Entschlüsselung trinitarischer Zusammenhänge; das Wort ist Gott-Sohn (6.), der wesensgleich ist mit Gott-Vater (7.). Aber: Eckhart ist daran gelegen zu zeigen, daß die dargelegten Strukturen nicht nur für das Göttliche gelten, sondern universell sind. Also müßten die angeführten Grundsätze nicht nur für das Wort Gottes, sondern auch für das Wort des Menschen gelten. Der Mensch nämlich hat nicht nur teil am Wort Gottes; sondern in seinem ewigen Wesen ist er selbst im Wort Gottes — wie der Gerechte, sofern er gerecht ist, die Gerechtigkeit selbst und damit in Gott ist 10 . 9
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„Wort" ist jedes Seiende, weil es seinen Ursprung bzw. seine Ursache kundgibt; der Zweck des Wortes liegt nämlich einzig und allein darin, den (geistigen) Begriff des Sprechenden zu offenbaren (LW III, 113 f.). Im Sinne Eckharts kann man auch so sagen: Einerseits ist der Gerechte das Wort der Gerechtigkeit; die Gerechtigkeit spricht sich gleichsam aus im Gerechten. Andererseits bringt das götdiche Wort den Gerechten hervor, teilt sich in ihm mit (vgl. Flasch 1987: 419). „Wort" (in seiner weiten Bedeutung) ist eben nicht nur das Erzeugte, sondern auch das Erzeugende (vgl. LW I, 463).
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Wenn das Wort — der Spur des griechischen „lògos" folgend — in den Rang einer Wesensbestimmung des Menschen rückt, dann ist freilich auch darauf hinzuweisen, daß damit nicht sogleich das menschliche Sprechen im Blick steht. Es geht Eckhart zuerst und vor allem um das innere Wort. Die Unterscheidung zwischen äußerem und innerem Wort ist für Eckhart so selbstverständlich (vgl. u. S. 248 ff.), daß er sie bei seinem Kommentar zum Prolog des Johannes gar nicht zu erwähnen braucht. Ebenso unstrittig ist der Vorrang des inneren Wortes (1.); denn das hervorgebrachte Wort (auch in der weiten Bedeutung als Titel für alles Geschaffene) wäre nicht und hätte nichts kundzutun, wenn es nicht seinem inneren Ursprung verbunden bliebe. Die fünfzehn Leitsätze des Kommentars bieten durchaus Anknüpfungspunkte, um das Verhältnis zwischen äußerem und innerem Wort zu bestimmen. Es wäre etwa zu fragen: Wenn der Name den Begriff eines Seienden im Sinne der Wesensbestimmung bezeichnet (14.), hat dann nicht auch das äußere Wort Anteil am ursprünglichen Leben des Geistes (12.)? Wenn das ursprüngliche Wort „ganz drinnen, ganz draußen" (LW III, 11) — nämlich sowohl in den einzelnen Dingen als auch außerhalb der Dinge — ist, besteht dann (bei aller Geschiedenheit) ebenfalls eine Einheit zwischen artikuliertem Wort und Ding? Ist das artikulierte Wort wie der Same (2.) bereits im inneren Wort enthalten? Gehört auch das äußere Wort — ebenso wie das innere Wort qua Verstandestätigkeit — zum Wesen des Menschen? — Diese möglichen Anknüpfungspunkte werden von Eckhart jedoch nicht aufgegriffen. Ihm scheint noch weniger als Augustinus in De tñnitate (vgl. o. S. 163 ff.) daran gelegen zu sein, den Prolog des Johannes-Evangeliums auch sprachphilosophisch zu interpretieren. Eckharts Kommentar legt das Wort (verbum sive ratio) als oberstes Prinzip alles Erkennens und Seins dar; der Zusammenhang von äußerem und innerem Wort jedoch bleibt weitgehend ungeklärt. Nach Eckhart (LW I, 186 f., 516 f.; III, 5) entspricht der Anfang des Johannes-Evangeliums („Im Anfang war das Wort ...") dem Beginn des Schöpfungsberichts im Alten Testament („Und Gott sprach: Es werde Licht ..."; Gen. 1,3). In beiden Texten geht es um Gottes Schöpfung der Welt. Deshalb gehören Eckharts Genesis-Kommentar 11 (Expositio libri Genesis, LW I, 185 ff.) und der Kommentar zum 11
Die Bezeichnung der Expositiones als „Kommentare" ist in folgender Hinsicht nicht ganz korrekt: „Ein Kommentar geht dem Schriftwort Vers für Vers nach
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IX. Meister Eckhart
Johannes-Evangelium aufs engste zusammen 1 2 . Die beiden Werke ergänzen einander und legen Eckharts Metaphysik der Schöpfung umfassend dar. Der Genesis-Kommentar ergänzt auch Eckharts Philosophie des Wortes. Im Unterschied zum Prolog des Johannes-Evangeliums berichtet die Genesis nicht nur vom schaffenden Wort Gottes, sondern auch vom Wort des Menschen. „Wie Adam [= der Mensch] alle Lebewesen benannte, so ist ihr Name" (Gen. 2,19). Eckhart kommentiert diese Stelle folgendermaßen (LWI, 336-339): Adam setzte die Namen für die einzelnen Geschöpfe nach ihren Eigentümlichkeiten (proprietates). Folglich zeigen die Namen die Natur und die natürlichen Eigenschaften der Dinge an. Die These von der natürlichen Namensetzung wird nach Eckhart durch Überlegungen bei Gellius, Cicero und Augustinus ausreichend bestätigt 13 . Belegen lasse sich diese Auffassung durch Etymologien: Die Pflanze mit Namen „luminella" (Augentrost) z. B. wird so benannt, weil sie eine wunderbare Wirkung für die Wiederherstellung des Augenlichts (luminis) hat. Und die Sonne (sol) trägt ihren Namen, weil sie allein (solus) leuchtet und allem anderen ihr Licht mitteilt (vgl. auch LW I, 259). Da zwischen Name und Sache ein natürlicher Zusammenhang besteht, stützen sich die Weissagenden bei ihren Prophezeiungen hauptsächlich auf die Namen von Menschen und Dingen; sie beachten Zahl, Gestalt und Ordnung der Buchstaben 14 . Darauf beziehen sich nach Eckhart auch die Pythagoreer, die behaupten, daß die Zahlen die Formen der Dinge sind. Wenn Adam selbst alle Dinge benannt hat, wenn die Namen die eigentümliche Natur der Dinge wiedergeben, dann muß der erste
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und erläutert das einzelne im Zusammenhang des Ganzen. Eckhart denkt gar nicht daran, dergleichen zu unternehmen; schon deshalb nicht, weil er das, was andere gesagt haben, nicht noch einmal sagen will. Ihn beschäftigen einzelne Schriftworte, die ihm besonders gehaltvoll zu sein scheinen. [...] Diese Fülle von Wahrheit und Licht, von Kraft und Gnade, die im einzelnen Wort steckt, vor seinen Lesern meisterlich auszubreiten, das ist sein großes Anliegen. Darum häuft er die mehrfachen Auslegungen wichtiger Stellen ..." (J. Koch, Einleitung zur Expositio sancti evangelii secundum lohannem, LW III, XVI). Vgl. dazu die Hinweise des Herausgebers K. Weiß in der Einleitung zur Werkausgabe: LW I, 11 f. Eckhart scheint sich hier auf die stoische Tradition berufen zu wollen; man vgl. die Anmerkungen zu dieser Stelle: LW I, 336 f. Im Blick auf den N a m e n Gottes ist das im Kommentar zum Buch Exodus näher ausgeführt: Expodtw libri Exodi, LW II, vor allem 135 ÍT.
1. Gottes Schöpfung als Wortung: Lateinische Werke
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Mensch die Natur aller Dinge bereits gekannt haben. Das stimmt so Eckhart - mit der Auffassung der Gelehrten überein; sie sagen nämlich, daß Gott den Adam mit vollkommenem Wissen ausgestattet habe. Daß nach der zu klärenden Textstelle Adam nur die Lebewesen benannte, läßt sich leicht erklären: Lebewesen sind vollkommener als das unbeseelte Seiende. Kannte Adam das Vollkommene, dann kannte er erst recht das weniger Vollkommene und konnte es gemäß seiner Natur benennen. Auf diese Weise folgt der Mensch dem Wort Gottes, der durch sein Sprechen die Dinge schafft und ihnen diejenigen Eigentümlichkeiten verleiht, nach denen das Seiende vom Menschen benannt wird. Die hier vollständig referierte Erläuterung Eckharts ist eine der ganz wenigen Stellen, an denen das äußere Sprechen bzw. Benennen thematisiert wird. Der zweite Genesis-Kommentar {Liber parabolarum Genesis /Buch der Bildreden in der Genesis; LW I, 445 ff), der an einigen Beispielen den verborgenen Sinn der Schrift aufzeigen soll (LW I, 447), greift diesen Vers über die Namengebung Adams nicht wieder auf. Am Problem der menschlichen Wortsetzung ist Eckhart eben weniger gelegen als an der Metaphysik des lògos. Zwei Passagen aus dem zweiten Genesis-Kommentar sind dafür kennzeichnend. A. Bereits bei der Inhaltsübersicht für das Buch der Bildreden in der Genesis legt Eckhart im Vorgriff auf die Interpretation von Gen. 1,3 f. die für seine Spekulation entscheidenden Wesensmomente des Wortes dar 1 5 : 1. Im allgemeinen Sinne ist eine Wirkung oder etwas Hervorgebrachtes das Wort des Hervorbringenden. 2. Durch das Wort spricht sich das Hervorbringende seinem ganzen Wesen nach aus. Deshalb ist das Hervorbringende selbst Wort. Es spricht sich aus. 3. Auch das Hervorgebrachte ist Wort; das Hervorbringende spricht etwas (das von ihm verschieden ist) aus. 4. Es kommt darauf an, die Einheit dieser Momente zu sehen: „Sprechen" meint nichts anderes als „hervorbringen", und „gesprochen werden" nichts anderes als „hervorgebracht werden". Beides betrifft ein und denselben Vorgang; folglich ist der Sprechende (Hervorbrin-
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Der eigentliche K o m m e n t a r wiederholt diese Merkmale: LW I, 514fF.; ähnlich: LW I, 575 f.
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IX. Meister Eckhart
gende) im Gesprochenen (Hervorgebrachten), und das Gesprochene ist im Sprechenden. 5. Das bedeutet für die fragliche Genesis-Stelle (wie für die entsprechende Stelle am Beginn des Johannes-Evangeliums): Das Hervorgebrachte ist das Licht; es erwirkt das Leuchten des Hervorbringenden und so die Offenbarung des Verborgenen. „In ihrer Ursache ist die Wirkung verborgen und leuchtet nicht, ist verhüllt, schweigt und spricht nicht, hervorgebracht aber leuchtet und spricht sie, und ihre Hervorbringung ist das Sprechen (der Ursache) und (ihr) Wort zugleich, (das heißt) das, wodurch (die Ursache) sich ausspricht, und das, was gesprochen wird" (LW I, 463). Die inhaltlichen und methodischen Parallelen zur Verbum-Spekulation in der Expositio sancii evangelii secundum Iohannem sind offenkundig: Unser Vorverständnis von „Wort" und „Sprechen" wird insofern ins Spiel gebracht, als Eckhart auf eine doppelte Kundgabe-Funktion (manifestatio) alles Sprechens hinweist. Das Sprechen wirft Licht auf den Sprechenden selbst und auf die besprochene Sache. In der weiteren Argumentation wird die Bedeutung von „Wort" und „Sprechen" aber sogleich universalisiert: Alles Bewirkte und dessen Ursache ist „Wort", alles Schaffen und Erschaffensein ist „Sprechen". Das Phänomen des menschlichen Sprechens im engeren Sinne tritt in den Hintergrund und wird nicht erörtert. Der Grund für diese Enthaltsamkeit1 läßt sich einer späteren Stelle des zweiten Genesis-Kommentars entnehmen. B. Zu Beginn seiner Auslegung von Gen. 3,1 („Die Schlange aber war listiger als alle Tiere der Erde") bemerkt Eckhart, daß dieses Kapitel in bildlicher Weise (parabolice) Aufschluß gebe sowohl über das Wesen der Dinge als auch über die Natur unseres Verstandes als auch über das sittliche Leben (LW I, 601). Schlange, Frau und Mann (Eva und Adam) entsprechen — so führt Eckhart in der Tradition bildlicher Bibelinterpretation aus — den drei Wesensmerkmalen des Menschen. Die Schlange meint das Sinnesvermögen, die Frau den niederen und der Mann den höheren Teil des Verstandes. Um den Zusammenhang in der Wesensordnung des Höheren und Niederen zu verdeudichen, greift Eckhart wieder das Beispiel vom Gerechten und seiner Beziehung zur Gerechtigkeit auf (LW I, 616 ff). Die Gerechtigkeit bekundet sich im Gerechten, sofern er gerecht ist. Sie breitet sich ganz und durch sich selbst aus; sie ergießt sich ungeteilt in den Gerechten. Diese Offenbarung (manifestatio) und
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Verbreitung (pandere) muß als Rede (locutio), Wort (verbum) und Botschaft (nuntius) verstanden werden; denn in dieser Kundgabe reden Oberes und Niederes miteinander. „Die Gerechtigkeit rechtfertigt, indem sie spricht, der Gerechte wird gerechtfertigt, indem er die Gerechtigkeit hört, wird als Gerechter gezeugt, wird Sohn der Gerechtigkeit, nachdem alles, was an ihm nicht gerecht ist, (von ihm) abgetan wurde und zerflossen ist, wird umgeformt in die Gerechtigkeit und ihr gleichgeformt" (LWI, 617). In dieser Unterredung kommuniziert das einzelne Seiende mit seinem wesentlichen Wassein; nur in und durch die Rede wird das Seiende zu dem, was es ist. Deshalb ist diese Zwiesprache „die wahrste, natürliche und süßeste Rede (verissima, naturalis et dulcissima locutio)" (ebd.). U n d nun gilt es zu beachten: Diese höchste Rede ist wort- und sprachlos. Denn die gewöhnliche Sprache der Menschen (loquela et sermo exterior) 16 ist bloß eine Spur, eine unvollkommene Ähnlichkeit oder Analogie zu jener ursprünglichen Rede, in der Höheres und Niederes ohne Vermittlung (immediate) einander mitteilen. Hier wird eine unmittelbare Einheit gestiftet, ähnlich der Einheit zwischen Liebendem und Geliebtem, zwischen Verstand und Erkanntem, zwischen den Sinnen und dem sinnlich Wahrgenommenen. Wer dieses Wort Gottes hören will, muß verstummen und für andere Worte taub werden 1 7 . Eckhart schärft zusammenfassend ein: „... daß Gott mit uns spricht, ist gar nichts anderes, als daß er sich uns durch seine Gaben und Eingebungen, natürliche oder gnadenhafte, erweckt und sein Licht in unsern Geist einstrahlen läßt. Und das ist die Rede und Ansprache oder das Wort, das diesen Namen ganz eigendich verdient und das voller Süße ist; ihm gegenüber fällt die außen vernehmbare Rede und das gesprochene Wort ab (ignobile est)" (LW I, 619).
Mit dem Hinweis auf das universelle Sprechen Gottes, das sich allem Seienden mitteilt (LW I, 621), hat Eckhart sein Argumentationsziel in diesem Zusammenhang erreicht. Es geht ihm um die unmittelbare Kommunikation Gottes mit den Geschöpfen und um das unmittelbare Hören der Geschöpfe auf das Wort Gottes. Menschliche Sprache bleibt prinzipiell hinter diesem ursprünglichen Wort zurück, weil 16
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Eckhart wählt diese Bezeichnung zur Abhebung von „locutio" und „verbum" (als Titel für die ursprüngliche Sprache). Die sachliche Nähe zu Augustinus ist ofTensichdich. Eckhart zitiert u.a. — nicht genau, aber dem Sinn entsprechend — aus dem neunten Buch (10, 25) der Confesiones.
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sie auf die Vermittlung durch Zeichen (vgl. u. S. 257) angewiesen ist. Das ,normale' Sprechen mag bestenfalls dazu dienen, uns auf die Spur zu bringen. Ist das Ziel aber erreicht, nämlich die sprachlose Einsicht in die unmittelbare Wirksamkeit und Anwesenheit des verbum Dei, dann erscheint es überflüssig, den Weg gleichsam zurückzugehen, um vom ursprünglichen Wort aus die Natur der äußeren Rede zu erhellen. Gleichsam zwischen den Zeilen allerdings bieten auch Eckharts Genesis-Kommentare Rückschlüsse auf die Eigenart menschlichen Sprechens. So könnte man im Anschluß an Eckharts Darlegungen verschiedene Sprachfunktionen unterscheiden: 1. Sprechen ist Schaffen. Das ist für das Wort Gottes geradezu selbstverständlich, denn im Johannes-Evangelium (1,3) heißt es unmißverständlich, daß alles durch das Wort und nichts ohne es entstanden ist. So betont auch Eckhart, daß Gottes Sprechen nichts anderes ist als Schaffen und das göttliche Schaffen nichts anderes als Sprechen. Und der Kommentar zum Johannes-Evangelium vermerkt, daß es beim Menschen ebenfalls ein schöpferisches Wort gibt. Beim handwerklichen Herstellen z. B. geht das Wort (als Idee oder Begriff) der Verwirklichung voran, und ohne dieses ,Wort' kann auch in diesem Bereich nichts entstehen. Freilich muß der Unterschied zum göttlichen Sprechen beachtet werden (LW I, 191 f.): Der Architekt kann nicht durch bloßes Denken das Haus errichten; im übrigen entsteht das Haus nur in einer bestimmten Zeitspanne. Gottes Sprechen dagegen ist unmittelbares Wirken, durch das mit einem Schlage die gesamte Schöpfung entsteht. Daß lautlich artikuliertes Sprechen ebenfalls — wenn auch im abgeleiteten Sinne — eine schöpferische Potenz haben kann, wird jedoch nicht erwähnt. 2. Sprechen ist Befehlen. Das sprechende Schaffen Gottes ist zugleich ein Gebieten (LW I, 630 et passim). Eckhart erläutert das am Beispiel des Feuers: Indem Gott das Feuer erschafft, befiehlt er ihm gleichzeitig, zu erhitzen, nach oben zu steigen und so alles, was zur Form des Feuers gehört. Ineins verbietet er alles, was dieser Wesensform fremd ist. Und so ist Gott der Gebieter für alles Seiende. Allerdings muß man nach Eckhart auch wissen, daß dieses schaffende und befehlende Sprechen ein Reden ohne sinnlich vernehmbare Laute ist. Ein voreiliger Rückschluß auf menschliche Spracherfahrung, etwa auf den Befehls- oder Aufforderungscharakter der Rede, wird damit zurückgewiesen.
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3. Sprechen ist Unterscheiden. Im Schöpfungsbericht der Genesis heißt es wiederholt, daß Gott etwas so oder so benannte (ζ. B. das Licht „Tag"). Eckhart erklärt dazu — unter Berufung auf den von ihm häufig zitierten Maimonides: Wenn Gott etwas benannte (vocavit), dann bedeutet dies, daß er etwas von einem anderen, mit dem es zuvor etwas gemeinsam hatte, unterschied (distinxit, LW I, 250). Die Nähe zu Piatons Kratylos (vgl. o. S. 33) liegt auf der Hand; umso mehr vermißt m a n einen entsprechenden Hinweis auf die Funktion des menschlichen Benennens; die einschlägige Erklärung aus Piatons Kratylos scheint nicht erwähnenswert. 4. Sprechen ist Mitteilen. Dem gebietenden Wort Gottes (2.) entspricht auf Seiten der Geschöpfe ein Hören. Dieses Hören ist aber kein bloß passives Verhalten, sondern lebendige Zwiesprache des Geschaffenen mit seinem Schöpfer (LW I, 631). Von solcher Unterredung des Höchsten in uns handelt nach Eckhart das Hohelied des Alten Testaments (LW I, 607). Dieses Sprechen, Antworten, Gehorchen oder Hören, das der Worte nicht bedarf, ist für das Geschaffene äußerst ,lieblich' und ,süß' (LW I, 631); denn ihm verdankt es sein Sein, seine Erkenntnis und Liebe. 5. Sprechen ist Offenbaren. Ganz allgemein ist Sprechen ein Kundgeben und Offenbaren; „... locutio universaliter manifestatio est" (LW I, 230). Das Wort hat keinen anderen Zweck als den, das Innere des Sprechenden kundzutun (LW III, 114). Das gilt bereits für die menschliche Rede, aber in noch höherem Maße und im eigentlichen Sinne für das Sprechen Gottes. Die göttliche Offenbarung ist nicht auf besondere Taten und ,Ansprachen' eingegrenzt; vielmehr verkündet die gesamte Schöpfung (und jedes einzelne Seiende) seinen Schöpfer, das ursprüngliche Wort. Werden auf diese Weise verschiedene Funktionen des Sprechens unterschieden, dann muß beachtet werden, daß es sich im Blick auf das Wort Gottes nur um unterschiedliche Aspekte ein und desselben Vorgangs handelt. Bei der menschlichen Rede mag das anders sein. Dies genauer aufzuschlüsseln, sieht Eckhart jedoch nicht als seine eigendiche Aufgabe an. In der Auslegung des biblischen Schöpfungsberichts und des Johannes-Evangeliums geht es darum, die Schöpfung als Wort, den Schöpfungsprozeß als Sprechen und Dialog Gottes mit dem Geschaffenen darzulegen. Das Verständnis für diese Zu-
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IX. Meister Eckhart
sammenhänge scheint keiner ausführlichen Analyse lautlich artikulierter Sprache zu bedürfen. — Ist diese Haltung auch für Eckharts Deutsche Schriften c h a r a k t e r i s t i s c h ?
2. Die Verkündigung des Unaussprechlichen: Deutsche Predigten
Auch Eckharts Predigten thematisieren in unterschiedlichen Wendungen immer wieder das Schöpfungsgeschehen und die Zugehörigkeit des Menschen mit dem schaffenden Wort Gottes. Im gebärenden Schöpfungsakt tritt der Mensch zwar aus Gott heraus, bleibt aber dennoch in ihm. Zur Erläuterung dieses schwer zu fassenden Gedankens fügt Eckhart in der Deutschen Predigt Nr. 22 (DW I, 375ÍT.; Übersetzung: 517 ff.) an: „ G a n z so, wie das Wort, das ich jetzt spreche: das entspringt in mir, zum a n d e r n verweile ich bei der Vorstellung, zum dritten spreche ich es aus, und ihr alle nehmt es auf; dennoch bleibt es im eigentlichen Sinne in mir" (DW I, 517) 18 .
Eckhart verweist hier auf einen dreifachen Aspekt des Wortes: 1. Das innere Wort („daz entspringet in mir") ist Ursprung und Anfang alles Sprechens; es ist das geistige Urbild der Dinge, das über alle konkreten Bildvorstellungen hinausgeht (vgl. DW I, 381). 2. Sprechend kann ich ,beim Bild verweilen'. Damit ist dasjenige Wort gemeint, das innerlich vorgestellt wird und an sinnliche Anhaltspunkte gebunden bleibt. 3. Das Wort wird ausgesprochen und von den Zuhörern aufgenommen. Aber auch dieses äußere Wort (verbum exterius, verbum vocis) bleibt im Sprechenden als seinem Ursprung. Das ist der für Eckhart in diesem Vergleich entscheidende Gesichtspunkt. Offensichtlich greift Eckhart die durch Augustinus formulierte und in der Tradition verfestigte Lehre von der dreifachen Bedeutung des Wortes auf (vgl. o. S. 191 f.) 19 . In der Predigt 38 (DWII, 227 fT., 679 ff.) heißt es entsprechend: 18
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„Ze glîcher wîs, als daz wort, daz ich nû spriche, daz entspringet in mir, ze dem andern mâle sô ruowe ich ûf dem bilde, ze dem dritten mâle sô spriche ich es ûz, und ir empfâhet ez alle; nochdenne blîbet ez eigenlîche in m i r " (DW I, 376). M a n vgl. auch die im Apparat angegebenen Parallelstellen. Das betont bereits L. Seppänen: Meister Eckeharts Konzeption der Sprachbedeutung. Sprachliche Weltschöpfung und Tiefenstruktur in der mittelalterlichen Scholastik und Mystik? Tübingen 1985, 66 ff. Seppänen hebt besonders die Nähe zu T h o m a s von Aquin hervor (62 ff).
2. Die Verkündigung des Unaussprechlichen: Deutsche Predigten
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„Anfangs, wenn ein Wort in meiner Vernunft empfangen wird, so ist es da so lauter und so subtil, daß es ein wahres Wort ist, ehe es in meinem Gedanken vorgestellt wird. Drittens wird es äußerlich mit dem M u n d e gesprochen, und so ist es nichts als ein O f f e n b a r m a c h e n des inneren Wortes" (DW II, 679) 2 0 .
Auch dieser Hinweis auf ein dreifaches Wort dient als Beispiel für die Gottesgeburt in der Vernunft als dem ,Haupt' der Seele. Beide Stellen betonen den Vorrang des inneren Wortes, so daß die Dreierfolge als ,Abstieg' zu werten ist. Das innere Wort ist Ursprung; es allein ist „lüter" (d. h. unvermischt mit bildhaften Vorstellungen) und „kleinlich" (d. h. genau); deshalb kommt nur ihm in Wahrheit der Name „Wort" zu. Auf diesem Hintergrund ist schließlich der folgende Passus aus der neunten Predigt (DW I, 141 ff., 462 ff.) zu verstehen 21 : „Es gibt ein hervorgebrachtes Wort: das ist der Engel und der Mensch und alle Kreaturen. Es gibt ein anderes Wort, gedacht und vorgebracht, durch das es möglich wird, daß ich mir etwas vorstelle. Noch aber gibt es ein anderes Wort, das da sowohl unvorgebracht wie ungedacht ist, das niemals austritt; vielmehr bleibt es ewig in dem, der es spricht" (DW I, 465) 2 2 .
Im Unterschied zu den beiden vorhergehenden Zitaten wird hier das äußere Wort nicht eigens genannt. Eckhart geht von der weiten „Wort"-Bedeutung aus (als Name für das Hervorgebrachte überhaupt). Ordnet man diesem Bereich jedoch das lautlich artikulierte Wort zu, dann läßt sich auch in diesem Hinweis aus der Predigt 9 die Lehre vom dreifachen Sinn des Wortes unschwer erken-
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„In dem, dà daz wort ze dem êrsten enpfangen wirt in miner Vernunft, dà ist ez sô lüter und sô kleinlich, daz ez ein wâr wort ist, ê ez gebildet wirt in mînem gedanke. Ze dem dritten mâle wirt ez gesprochen ûzwendic mit dem munde, und also enist ez niht dan ein offenbârunge des innern Wortes" (DW II, 229). Seppänen (1985: 68 ff.) hat diesen Z u s a m m e n h a n g in Auseinandersetzung mit der D e u t u n g Quints herausgearbeitet. Q u i n t bemerkt zur zitierten Stelle: „Eckhart unterscheidet dreierlei ,Wort': 1. das hervorgebrachte, außerhalb Gottes in den Kreaturen verobjektivierte Wort, 2. das gedachte und vorgestellte menschliche Wort, 3. das im ,Vater' stets innebleibende, nicht hervorgebrachte, nicht aus dem trinitarischen Zirkel austretende ,Wort' als 2. Person der Gottheit" (DW I, 157 Anm. 2). Diese D e u t u n g Quints ist nicht falsch; aber sie erscheint — darin ist Seppänen Recht zu geben — auf dem Hintergrund der traditionellen ,Sprachstufenlehre' als zu eng. „Ez ist ein vürbräht wort, daz ist der engel und der mensche und alle crêatûren. Ez ist ein ander wort, bedâht und vürbräht, dâ bî m a c ez komen, daz ich in mich bilde. Noch ist ein ander wort, daz da ist unvürbräht und unbedâht, daz niemer ûzkumet, mêr ez ist êwiclich in dem, der ez sprichet" (DW I, 157).
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IX. Meister Eckhart
nen 23 ; allerdings ist diesmal die Reihenfolge umgekehrt, gleichsam von unten nach oben. — Eckhart verfolgt mit diesem traditionellen Lehrstück einen doppelten Zweck: Zum einen soll der göttliche Schöpfungsakt verdeutlicht werden. Zum anderen geht es darum, den Vorrang des Inneren beim Prozeß des Hervorbringens — und damit auch beim Sprechen — hervorzuheben. Das ist nicht nur ein durchgängiges Motiv der theoretischen' Schriften Eckharts, sondern auch ein zentrales Anliegen seiner Predigten. „Was im eigentlichen Sinne in Worten geäußert werden kann, das m u ß von innen heraus kommen und sich durch die innere Form bewegen, nicht dagegen von außen herein kommen, sondern: von innen m u ß es heraus kommen. Es lebt recht eigendich im Innersten der Seele" (DW I, 443) 2 4 .
Das bedeutet: Das Wesentliche des Sprechens darf nicht in dem äußerlich wahrnehmbaren Vorgang der Verlautbarung gesehen werden. Das Wort im eigentlichen Sinne wird im Innersten der Seele geboren; denn im Inneren der Seele sind uns die Erkenntnisformen der Dinge gegeben (vgl. D W I , 249 f., 489). Nur das ist ein wahres Wort, das eine Erkenntnis faßt; und nur das innere ist Wort in strenger Bedeutung. Der Mensch, der als Lebewesen dem Sinnlichen verhaftet ist, steht in der Gefahr, diese Wahrheit zu verkennen. „Weshalb merkst du nichts davon [daß in deinem Innern alle Dinge gegenwärtig sind]? Weil du dort nicht daheim bist" (DWI, 66, 443). Deshalb muß der Mensch auf den Weg zur Wahrheit und zu seinem eigenen Wesen gebracht werden. Und was könnte diese Wahrheit anderes sein als das Wort Gottes? „Der himmlische Vater spricht ein Wort und spricht es ewiglich, und in diesem Worte verzehrt er alle seine Macht, und er spricht in diesem Worte seine ganze göttliche Natur und alle Kreaturen aus. Das Wort liegt in der Seele verborgen, so daß m a n es nicht weiß noch hört, dafern ihm nicht in der Tiefe Gehör verschafft wird; vorher wird es nicht gehört; vielmehr müssen alle Stimmen und alle Laute hinweg, und es m u ß eine lautere Stille da sein, ein Stillschweigen" (Predigt 19, D W I, 502) :25 . 23
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Zur schwierigen Interpretation von „bedäht" (2. Stufe) und „unbedäht" (3. Stufe) vgl. Seppänen 1985: 70 f. Seppänen faßt „bedäht" im Sinne des diskursiven Denkens auf. „[...] swaz eigendich gewortet mac werden, daz muoz von innen her ûz komen und sich bewegen von innerer forme und niht von ûzen her în komen, mêr: von inwendic sol ez her ûz komen. Daz lebet eigenlîche in dem innersten der sêle" (DW I, 66). In ähnlicher Weise: LW i y 317; D W III, 455, 587. „Der himelische vater sprichet ein wort und sprichet daz êwiclîche, und in dem worte verzert er alle sîne m a h t und sprichet sîne gotlîche natûre alzemâle in dem worte und alle crêatûren. Daz wort liget in der sêle verborgenlîche, daz m a n ez
2. Die Verkündigung des Unaussprechlichen: Deutsche Predigten
251
Die Predigt 73 beschreibt den Weg zur Wahrheit so: „Die Seele, die Gott lieben und der er sich mitteilen soll, die muß so völlig entblößt sein von Zeitlichkeit und von allem Geschmack der Kreaturen, daß Gott in ihr nach seinem eigenen Geschmack schmecke. [...] In der Nacht, wenn keine Kreatur in die Seele leuchtet noch lugt, und im Stillschweigen, wo nichts mehr in die Seele spricht, da wird das Wort gesprochen in die Vernunft. Das Wort eignet der Vernunft und heißt ,verbum', so wie das Wort in der Vernunft ist und steht" (DW III, 553) 26 .
Vom Menschen, der sich der Wahrheit öffnen will, wird somit gefordert: Seine Seele hat allen Bezug zur sinnlich wahrnehmbaren Körperwelt und zu bestimmten Vorstellungsbildern hinter sich zu lassen 27 . Sie soll sich freimachen von allen Gedanken an das geschaffene Seiende und ganz still werden. Nicht nur das äußere, sondern auch das innere Wort (als konkreter Erkenntnisinhalt) muß verstummen. In der Tiefe dieses Stillschweigens (unio mystica) kann dann das eine, in der Seele verborgene Wort aufleuchten, das Gott selber ist und das er in Ewigkeit spricht. Die konkreten Worte — etwa die des Predigers — können zwar auf diesen Weg hinweisen; aber der Weg selbst ist ohne das ,Worten' zu gehen und im äußeren Wort nicht zu vermitteln28. Ist die reine Stille Voraussetzung für das Aufleuchten der göttlichen Wahrheit, dann ist zu vermuten, daß sich die Frage nach der
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niht enweiz noch niht enhœret, im enwerde denne gerûmet in dem gründe des hoerennes, ê enwirt ez niht gehœret; mêr, alle stimme und alle lûte die miiezen ab und muoz ein lûter stilnisse dâ sîn, ein stilleswîgen" (DW I, 312). „Diu sêle, die got minnen sol und der er sich gemeinen sol, diu muoz sô gar entblœzet sîn von zîtlicheit und von allem gesmacke der crêatûren, daz got in ir smacke nâch sînem eigenen gesmacke. [...] in der naht, sô kein crêatûre in die sêle enliuchtet noch enluoget, und in dem stilleswîgenne dâ niht in die sêle ensprichet, dâ wirt daz wort gesprochen in die vernünfticheit. Daz wort ist ein eigen der Vernunft und sprichet ,verbum', als daz wort ist und stât in der Vernunft" (DW III, 266). In der Predigt 12 heißt es: „Drei Dinge sind es, die uns hindern, so daß wir das ewige Wort nicht hören. Das erste ist Körperlichkeit, das zweite Vielheit, das dritte ist Zeitlichkeit. Wäre der Mensch über diese drei Dinge hinausgeschritten, so wohnte er in Ewigkeit und wohnte im Geiste und wohnte in der Einheit und in der Wüste, und dort würde er das ewige Wort hören" (DW I, 193, 476). „Wer Gottes Lehre empfangen will, der muß sich sammeln und sich in sich selbst verschließen und sich von allen Sorgen und Kümmernissen und dem Getriebe niederer Dinge abkehren. Die Kräfte der Seele, deren so viele sind und die sich so weit zerteilen, über die muß er hinausschreiten, j a sogar noch dort, wo sie im Bereich des Denkens liegen, obgleich das Denken, wo es in sich selbst ist, Wunder
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IX. Meister Eckhart
prinzipiellen Möglichkeit der Rede über Gott noch dringlicher stellt als bei Augustinus, Anselm oder Thomas (vgl. o. S. 210 ff.). Eckhart gibt denn auch an vielen Stellen Hinweise zu diesem Problem, relativ ausführlich z.B. in den Predigten 20a und 2 0 b (DWI, 326ff., 505 ff.)29. — Für Gottes unendlich reines Sein und Wesen gibt es eigentlich keinen Namen. Wir können nämlich nach Eckhart nur auf dreierlei Art etwas über die Dinge sagen 30 : 1. Wir sprechen über etwas, indem wir uns auf das beziehen, was über diesem Seienden ist. So sagen wir z. B. etwas über den Baum, indem wir auf die Sonne verweisen, ohne die der Baum nicht erblühen könnte. Es ist klar, daß auf diese Weise nicht von Gott gesprochen werden kann; denn Gott ist die erste Ursache, über die hinaus es nichts Höheres geben kann. 2. Wir sagen etwas, indem wir uns auf die Gleichheit der Dinge beziehen. Sprechend vergleichen wir die Dinge, stellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede fest, bringen sie zusammen und grenzen sie voneinander ab. Gott jedoch kommt nichts gleich; deshalb können wir auch auf diese Weise im eigentlichen Sinne über Gott nicht sprechen. 3. Wir sprechen über die Dinge, indem wir uns an ihre Wirkungen („an ihren Werken"; DW I, 346) halten. So sagen wir etwas über das Können eines Malers, indem wir über das von ihm geschaffene Bild sprechen; dann offenbart das Geschaffene die Beschaffenheit des Urhebers. Zwischen Gott und den Geschöpfen jedoch besteht ein unendlicher Unterschied; folglich kann auch auf diese dritte Weise von nicht gesprochen werden. „Alle Kreaturen sind zu geringwertig (ze snœde) dazu, daß sie Gott offenbaren; sie sind alle ein Nichts gegen Gott. Darum vermag keine Kreatur ein einziges Wort über Gott in seinen Schöpfungen zu äußern" (DW I, 346 f., 510). Alle Arten des uns vertrauten Sprechens versagen somit gegenüber der unendlichen Lauterkeit des göttlichen Wesens. Deshalb — so beschließt Eckhart diese Betrachtung — müsse man Dionysius zustim-
29
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wirkt. Auch über dieses Denken muß man hinausschreiten, soll Gott in jene Kräfte sprechen, die nicht zerteilt sind" (Predigt 72; DW III, 240, 548). Beide Predigten behandeln denselben Schrifttext und stimmen in den Ausführungen weitgehend überein. Dennoch handelt es sich nach Quint wohl um zwei selbständige Predigten. Nur auf diese dreifache Weise können wir auch etwas erkennen·, so die entsprechende Wendung in der Predigt 80 (DW III, 381 f., 574).
2. Die Verkündigung des Unaussprechlichen: Deutsche Predigten
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men, wenn er sage, daß alle, die über Gott reden, Unrecht haben, während die im Recht sind, die ihn nicht mit Worten erfassen wollen. Nur jenseits der Sprache kann der menschlichen Seele, sofern sie einen göttlichen Funken in sich birgt, das Licht des göttlichen Wortes aufgehen. — Diese ursprüngliche Einheit des menschlichen Seelengrundes mit dem göttlichen Seinsgrund ist das zentrale Thema, das Eckharts Denken in vielfaltigen Variationen gleichsam umkreist. Für das Problem der Benennbarkeit folgt aus dieser Einheit, daß sich auch die Seele als der unerschaffene Wesensgrund des Menschen der Sprache entzieht. In der Predigt 77 heißt es ausdrücklich: „wo sie [die Seele] sich in ihrem eigenen Grunde erfaßt, da ist sie unaussprechlich (unwortlich) und unbenennbar (unnennelich), und kein Wort kann ihr zukommen, denn dort ist sie jenseits aller Namen und Worte" (DW III, 337 f., 567) 31 . Das Problem der Benennbarkeit Gottes droht, das Denken des Mystikers in den Widerspruch zu treiben: Einerseits versagt die Sprache an der Unendlichkeit und Einheit des göttlichen Seins. Andererseits ist Gott selbst das Wort. „Das Allereigentlichste, was man von Gott sagen kann, das ist ,Wort' und ,Wahrheit'. Gott nannte sich selbst ein ,Wort"' (Pr. 9; DW I, 154 f., 465). Um den Widerspruch auf den Punkt zu bringen, greift Eckhart auf Augustinus zurück (vgl. o. S. 147): Sagt man, Gott sei ein Wort, dann widerspricht dies der Unaussprechbarkeit Gottes. Selbst wenn man sagt, Gott sei unaussprechbar, hat man schon etwas - und damit zuviel - über Gott gesagt (vgl. Pr. 53; DW II, 529, 732). Rein formal läßt sich dieses Dilemma nicht aufheben. Aber es läßt sich gleichsam mildern, wenn man die unterschiedlichen Hinsichten der Rede beachtet: Für den Menschen ist Gottes Wesen unbenennbar; insofern ist Gott das unaussprechliche Wort. Im Blick auf Gott selbst aber ist zu sagen: Er ist das Wort, das sich selbst spricht. „Wo immer Gott ist, da spricht er dieses Wort; wo immer er nicht ist, da spricht er nicht" (ebd.). Nimmt man beide Hinsichten zusammen, dann gilt: „Gott ist gesprochen und ist ungesprochen" (ebd.). ,Ungesprochen' bleibt Gott aber nicht bloß in dem Sinne, daß menschliche Rede ihn nicht erfassen kann, sondern auch in dem Sinne, daß die von Gott gesprochene' Schöpfung ihn nur in sehr unvollkommener Weise offenbart.
31
Auch in der Predigt 38 betont Eckhart, daß wir weder von Gott noch von der Seele noch von den Engeln den eigentlichen Namen kennen (DW II, 236 f., 681).
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IX. Meister Eckhart
„Alle Kreaturen wollen Gott in allen ihren Werken sprechen; sie sprechen alle, so annähernd sie nur können, sie können ihn jedoch nicht sprechen. Ob sie nun wollen oder nicht, es sei ihnen lieb oder leid: sie wollen alle Gott sprechen, und er bleibt doch ungesprochen" (DW II, 531, 732).
Aus der prinzipiellen Unvollkommenheit unserer Namen und Wörter (vgl. LW II, 150) darf nicht geschlossen werden, daß die Menschen gar nicht über Gott und zu ihm sprechen dürften. Die Predigt 53 verweist darauf, daß es auf dreifache Weise erlaubt ist, Gott zu benennen: 1. Wir können ihn mit Namen nennen, die nur ihm eigen sind und keinen Bezug zu anderem Seienden herstellen, z. B. „Gott". „ ,Gott', dieser Name ist der allereigentlichste Name Gottes, wie ,Mensch' des Menschen Name ist" (DW II, 532, 732). 2. Wir benennen Gott zu Recht auch mit RelationsbegrifFen, die nicht nur ihm zukommen, z. B. „Vater", „Herr". Das Eigentümliche des RelationsbegrifFs liegt darin, daß er einen Bezug zu einem anderen (korrelativen) Begriff impliziert. Das Wort „Vater" gewinnt seinen Sinn nur durch den Bezug auf „Kind" („Sohn"); der Herr impliziert den Bezug zum Knecht — und umgekehrt. 3. „Gewisse Namen besagen ein Hinauftragen zu Gott und eine Hinwendung zur Zeit, (DW II, 533, 733). Damit sind alle Bezeichnungen gemeint, die wir aus dem menschlichen Erfahrungsbereich entnehmen und Gott (vergleichsweise bzw. analog) zusprechen, z. B. „Weisheit", „Güte" und vieles andere mehr. Auf diese Weise wird Gott auch in der Heiligen Schrift mit vielen Namen benannt. Für alle diese Benennungen gilt: Gott kann mit ihnen nicht zureichend erfaßt und erkannt werden; er ist über alle Namen erhaben und unaussprechlich. Freilich soll der Mensch Gott loben, und er darf ihn bitten. In diesen Gebeten — so der Ratschlag Eckharts — sollte er vornehmlich die Namen verwenden, mit denen die erleuchteten Heiligen Gott benannt haben.
Die vorgetragenen Überlegungen machen deutlich, daß Eckharts Werk — das lateinische wie das deutsche - einem einzigen Thema gewidmet ist: dem Wort bzw. dem Sprechen Gottes und der darin beschlossenen Wesenseinheit des Menschen mit dem Göttlichen. „Der Vater selbst hört nichts als dieses nämliche Wort, er erkennt nichts als dieses selbe Wort, er spricht nichts als dieses selbe Wort, er gebiert nichts als dieses selbe Wort. In diesem Wort hört der Vater und erkennt der Vater und gebiert der Vater
2. Die Verkündigung des Unaussprechlichen: Deutsche Predigten
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sich selbst und auch dieses selbe Wort und alle Dinge und seine Gottheit ganz bis auf den Grund, sich selbst nach der Natur und dieses Wort mit derselben Natur in einer anderen Person. [...] In diesem Wort spricht der Vater meinen Geist und deinen Geist und eines jeglichen Menschen Geist demselben Worte gleich. In diesem selben Sprechen bist du und ich ein natürlicher Sohn Gottes wie dasselbe Wort. [...] Wenn dir der Vater diese Erkenntnis gibt und offenbart, so gibt er dir sein Leben und sein Sein und seine Gottheit wahrhaft in der Gottheit ganz und gar" (Pr.49; D W II, 433 f., 715 f.).
Diese höchste Wahrheit, der Grund und Ursprung alles Seins, kann nicht im menschlichen Sprechen erfaßt werden, sondern nur in einem sich auf Gott versammelnden Schweigen aufleuchten. Deshalb ist die lautlich artikulierte Sprache bei Eckhart kein zentrales Thema. In der mittelalterlichen Philosophie wird die Sprache vornehmlich in zwei Bereichen thematisiert: zum einen innerhalb logisch-erkenntnistheoretischer Problemstellungen, zum anderen als Theologie des Wortes in der Trinitätsspekulation. Das zeigt sich exemplarisch bei Augustinus und ist für Anselm und Thomas geradezu selbstverständlich. Dieser Tradition ist zweifellos auch Eckhart verpflichtet; aber bei ihm verlagert sich das Gewicht deutlich zugunsten der metaphysischen Theologie des verbum Dei. In dieser Hinsicht steht Eckhart dem späten Augustinus {De trinitate) näher als Thomas. Das Spezifische des Eckhartschen Denkens liegt darin, daß er den Prolog des Johannes-Evangeliums (in Verbindung mit dem Schöpfungsbericht der Genesis) universalontologisch entfaltet. Der Schöpfergott ist wesenhaft Wort, sein Schaffen ein Sprechen; und alles Geschaffene ist Wort, das den Schöpfer verkündet. Wie steht es aber — angesichts der Universalität des göttlichen Wortes - mit der menschlichen Sprache? Soviel ist klar: Auch unser Sprechen hat im Sprechen Gottes seinen letzten Grund. Die Potenz der Sprache, deren sich der Prediger Eckhart sehr wohl bewußt ist, verdankt sich der schöpfenden Mitteilung des Wortes Gottes. „Worte haben auch große Kraft; man könnte Wunder wirken mit Worten. Alle Worte haben Kraft vom ersten Wort" (Pr. 18; DW I, 306, 501). Indessen: Uber diese allgemeine These geht Eckhart nicht hinaus. Er legt nicht im einzelnen dar, welche Konsequenzen aus der Gleichsetzung von Sein und Wort für das menschliche Sprechen zu ziehen sind. In diesem Sinne leistet das Denken Eckharts nicht die Vermittlung zwischen dem Wort Gottes und der menschlichen Sprache. Die Lehre von der dreifachen Bedeutung des Wortes, auf die Eckhart mehrfach zurückgreift, ist dazu nicht hinreichend.
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IX. Meister Eckhart
Dieser prinzipielle Vorbehalt ist auch bei der Interpretation K.-O.Apels32 zu beachten. Apel unterscheidet vier Traditionsströme, die in die sprachphilosophische Problematik der Neuzeit hineinführen (17 f.): 1. das Sprachdenken des Humanismus (dem das Buch im einzelnen nachgeht); 2. der Ockhamsche Nominalismus; 3. die Logosmystik; 4. die Zeichenkunst der mathesis universalis. Im Blick auf den dritten Weg vertritt Apel die These, daß „in der Grundkonzeption der Logosmystik prinzipiell die tiefste und umfassendste metaphysisch-transzendentale Würdigung der Sprache" (97) angelegt ist. Die scheinbar paradoxe Konstellation - das Unaussprechliche ist als lògos Wesensursprung alles Sprechens - berge den Ursprung einer Transzendentalphilosophie der Sprache in sich (79). Apel ist darin Recht zu geben, daß diese These einleuchte, sofern der Sprachlogos „sich selbst als Bedingung seiner Möglichkeit vorweg und insofern unaussprechlich" (ebd.) sei 33 . In ihrer konkreten Bedeutung läßt sich diese These nach Apel jedoch erst geisteswissenschaftlich verifizieren, wenn m a n sie im Z u s a m m e n h a n g mit der „sprachlichen Großtat" sehe, durch die „dem deutschen Volk die Ausdrucksmittel des philosophisch-theologischen Denkens" geschenkt werden (79 f.). Dieser Argumentation ist entgegenzuhalten, daß ein empirisches Faktum (die sprachschöpferische Leistung Eckharts für die deutsche Sprache) schwerlich als Verifikation eines transzendentalen Sachverhalts dienen kann. Allerdings schränkt Apel selbst ein, daß die Grundkonzeption dieser Bewegung (von Eckhart über Böhme bis hin zu H a m a n n ) von ihr selbst nicht als Transzendentalphilosophie der konkreten geschichtlichen Sprache entfaltet wird (97 f.). Gegen die AufTassung Apels versucht L.Seppänen (1985: 102 ff.) darzulegen, d a ß Eckhart keine originelle Sprachphilosophie biete. Apel übersehe, daß es sich nicht u m „spezifisch mystisches, sondern allgemein christliches und typisch scholastisches Lehrgut" (105) handele. Seppänen glaubt, folgendes Fazit ziehen zu können: „Der Mystiker ist bestrebt, die Grenze der Welt und der kreatürlichen Sprache zu zeigen u n d daraufhin auf etwas hinzudeuten, was er zwar ,Sprache' nennt, was aber nach seinen eigenen Worten mit der menschlichen Sprache nichts gemeinsam hat. Diesem U n t e r n e h m e n lassen sich offensichtlich keine positiven Ideen abgewinnen, von denen für eine Philosophie der ,normalmenschlichen' Sprachen Impulse ausgegangen wären oder die zu irgendeiner heute in Diskussion stehenden Sprachauffassung sinnvollerweise in Beziehung gesetzt werden könnten" (107). Diese Position Seppänens ist jedoch nicht stimmig, sofern er gleichzeitig betont, daß es kaum eine andere geschichtliche Bewegung gegeben habe, in welcher der Sprache eine höhere Stellung zugedacht worden sei als in der Mystik (vgl. 105). J a , noch mehr: „Es könnte sogar sein, d a ß hier [in der Mystik] die Sprache geradezu die Stelle der üblichen scholastischen Ontologie und Gotteslehre eingenommen hat, daß m. a. W. bereits in den Visionen und Lehren der mittelalterlichen Mystiker eine Art ,linguistic turn' [!] der Philosophie eingetreten ist" (105 f.). Trotz der vermerkten Unstimmigkeiten sind die Deutungen Apels und Seppänens durchaus aufschlußreich. Sie verweisen auf die immanenten Probleme des Eckhart32
33
Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico, Bonn 2 1975 ( 1. Aufl. 1963). Eine klare Formulierung dieses logischen Sachverhalts findet sich bei Fichte: „Der G r u n d fällt, zufolge des blossen Denkens eines Grundes, ausserhalb des begründeten" (sog. Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, W W ed. I. H . Fichte, I, 424). Demnach m u ß der G r u n d der Sprache außerhalb der Sprache liegen, weil er sonst zu dem gehört, was zu begründen ist.
2. Die Verkündigung des Unaussprechlichen: Deutsche Predigten
257
sehen Denkens. M a n m u ß allerdings unterscheiden zwischen dem, was an sprachphilosophischen Möglichkeiten darin hinterlegt ist (worauf Apel den Akzent legt), und dem, was an sprachphilosophischer Analyse tatsächlich durchgeführt bzw. nicht durchgeführt ist (worauf Seppänen hinweist).
Der hier vertretenen Auflassung, daß Eckhart den Zusammenhang von göttlichem und menschlichem Sprechen nicht darlegt, könnte der Genesis-Kommentar (vgl. o. S. 242) entgegengehalten werden. Wird hier nicht die These von der natürlichen Wortrichtigkeit (Kratylos) im Horizont der biblischen Uberlieferung rehabilitiert? Das bereits im Kratylos diskutierte Problem, wie denn die Kenntnis der Wortschöpfer zu beurteilen sei (436 b ff.), läßt sich nämlich für Eckhart so lösen: Gott schenkte Adam ein vollkommenes Wissen; Adam kannte die Natur alles Seienden und konnte es so entsprechend benennen (LW I, 339). Müßte dann aber nicht die sprachphilosophische Autorität des Aristoteles und die auf ihn gründende Tradition in Frage gestellt werden? — So weit will Eckhart offensichdich nicht gehen. In der Expositio libri Exodi beruft er sich ausdrücklich auf Aristoteles' De interpretatione: M a n müsse beachten, daß Sätze bzw. Aussagen in erster Linie nicht auf die Dinge selbst, sondern auf die Begriffe der Dinge verweisen. „Denn die Laute (voces) sind Zeichen (signa) und Merkmale (notae) für die in der Seele hervorgerufenen Vorstellungen" (LW II, 60) 34 . Freilich zitiert Eckhart nicht die Formel von einer willkürlichen Setzung (ad placitum); auch der Exodus-Kommentar verweist auf eine mögliche Bedeutungskraft der einzelnen Laute bzw. Buchstaben (LW II, 136 f.). Aber diese Hinweise bleiben vereinzelt und werden in die Verbum-Spekulation nicht integriert. Auch im Blick auf diese Äußerungen muß festgestellt werden: Eckhart legt kein eigenes sprachphilosophisches Konzept dar. Wollte man versuchen, ein solches Konzept — ausgehend von den spärlichen Hinweisen in den lateinischen und deutschen Werken — zu konstruieren, dann bestünde die Gefahr, ihm die Position eines anderen Denkers — etwa die des Thomas von Aquin oder auch die des Nikolaus von Kues — unterzuschieben. Eckhart ist kein Sprachphilosoph in dem Sinne, daß ihm an einer ausführlichen theoretischen Analyse des Wesens und der Funktion menschlichen Sprechens gelegen wäre. Auf andere Weise jedoch ist Eckhart außerordentlich an der Sprache interessiert. Seine sprachschöpferische Leistung — wie die der Mystik insgesamt — kann kaum 34
Ebenso: LW II, 87. M a n vgl. auch die Etymologie nomen - notitia - nota notificare (LW II, 146 f.).
258
IX. Meister Eckhart
überschätzt werden. Diese Sprachschöpfungen sind das Resultat eines Zwiespalts: Einerseits versagt die Sprache angesichts der Unaussprechlichkeit des einen Wortes (Gott), mit dem eine Vereinigung nur möglich ist, wenn die menschliche Seele alle Sprache hinter sich läßt. Andererseits soll diese religiöse Erfahrung bekundet und mitgeteilt werden; dazu ist Sprache unentbehrlich. Den Ausweg aus diesem Dilemma suchen die Mystiker - und allen voran Meister Eckhart - in neuen sprachlichen Ausdrucksmitteln, mit denen sie den Bereich innerer Erfahrungsmöglichkeiten zu umschreiben versuchen, um sie wenigstens im Ansatz mitteilbar machen zu können. Auf diese Problemstellung und ihre Konsequenz ist in der Forschung, vor allem aus philologischer Sicht, verschiedentlich hingewiesen worden. J. Quint35 betont, daß sich das ,Denk-Schauen' des Mystikers nicht mit der Feststellung des UnaussprechlichUnfaßbaren begnügt, weil ihm an der erkennenden Erfassung des göttlichen Seins, das in der unio mystica erfahren wird, gelegen sein muß (vgl. 132 f.). Daraus resultiere ein eigener Denk- und Sprachstil, der sich vor allem der Paradoxie und ihr verwandter Stilmittel bediene, um „die Begrenztheit und Enge des begriffsgebundenen Sprachwortes zu sprengen" (133). Der Kampf gegen das sprachgebundene BegrifFsdenken spielt sich vor allem im Bereich der Ausdrücke für innere Erfahrungen ab. „In den Wortfeldern für den Bezirk des seelischen und des göttlichen Seinsgrundes vorzüglich werden wir bei Eckehart immer wieder dem bezeichneten Kampf in gehäuftem Ansatz begegnen, den aus der apophatischen, negativen Theologie des Dionysius Areopagita überkommenen und von der altdeutschen Mystik ungemein reich entwickelten negierenden Wortbildungsmitteln, den mit den Präfixen un- und ab- gebildeten Negationen, den ebenfalls von Dionysius übernommenen über-Bildungen [...], den Aussageformen der Steigerung, der Häufung, der Hyperbel, des Oxymorons, des antithetischen Parallelismus" (133). Im Blick auf die einzelnen Wortbildungen hebt Quint hervor, daß es darauf ankomme, die Kreaturen in ihrer Idee (in abstracto) zu fassen und mit Hilfe sprachlicher Abstraktionsbildungen auszudrücken. „Das Abstraktionsmittel der deutschen Sprache aber, dessen sich die altdeutsche Mystik, und wieder im größten Ausmaß die spekulative Mystik Eckeharts, bedient, ist die Abstraktbildung durch die Suffixe -heit, -keit und -ung" (145 f.). Viele dieser sprachlichen Neuschöpfungen sind bis heute erhalten und gehören zum normalsprachlichen Wortschatz, wenn auch ihre ursprüngliche metaphorische Kraft verblaßt ist 36 . 35
36
Mystik und Sprache. Ihr Verhältnis zueinander, insbesondere in der spekulativen Mystik Meister Eckeharts, in: Altdeutsche und altniederländische Mystik, hg. von K. Ruh, Darmstadt 1964, 113—151 (zuerst in: Dt. Vierteljahrsschr. f. Literaturwiss. u. Geistesgesch. 27 [1953], 48-76). Man vgl. auch die Hinweise bei F. Tschirch, Geschichte der deutschen Sprache, Bd. II: Entwicklung und Wandlungen der deutschen Sprachgestalt vom Hochmittelalter bis zur Gegenwart, Berlin 1969, 78-83 et passim. Tschirch sieht ein ,zweites Paradox' darin, „daß die kaum zu ermessende gewaltige Wirkung ihrer [der Mystiker] Predigten und Traktate diese Eigensprache zumindest in ihrem passiven Verständnis rasch zum Allgemeingut der Volkssprache macht - von daher wirkt sie, entschärft und veräußerlicht, vielfach weiter bis heute" (79).
2. Die Verkündigung des Unaussprechlichen: Deutsche Predigten
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Es sollte deutlich geworden sein, daß hinter der immensen sprachschöpferischen Leistung Eckharts, die nicht in Zweifel gezogen werden kann, seine sprachphilosophischen Reflexionen deutlich zurückbleiben. Daß die Philosophie des unaussprechlichen Worts auch wichtige sprachphilosophische Möglichkeiten birgt, wird erst Nikolaus von Kues aufdecken.
X. WILHELM V O N O C K H A M Die Logik der Zeichen: Summa Logicae1
Philosophiehistorisch wird Wilhelm von Ockham vornehmlich als Vollender des Nominalismus bzw. als Begründer des Konzeptualismus eingeordnet. Man betont damit seine Rolle in dem über Jahrhunderte ausgetragenen Universalienstreit. Gegenstand dieser Auseinandersetzung ist die Frage, welche Seinsweise den Allgemeinbegriflen zukommt. Haben die Universalien ein eigenes Sein, das den einzelnen Dingen vorausgeht (ante res) und ihnen zugrunde liegt? Diese Frage bejahen die ,Realisten', die sich vermeintlich auf die Autorität Piatons berufen können. Oder sind die Universalien nur in Verbindung mit dem konkreten Seienden real (in rebus)? Vertreter dieser Position sehen in Aristoteles und Thomas von Aquin die maßgeblichen Autoritäten. Oder - so die Vermutung des Nominalismus verdanken die Universalien ihre Realität nur der menschlichen Namengebung (post res)? Ist das die Einheit des Allgemeinen stiftende Wort mit dem Begriff (conceptus) als einer Realität der denkenden Seele gleichzusetzen 2 ? Der sprachphilosophische Aspekt dieses Streits liegt auf der Hand, sofern wir uns mittels allgemeiner Bezeichnungen über das konkrete 1
Guillelmi de Ockham, Opera Pkilosophica et Theologiea, Opera Philosophica Bd. I, St.Bonaventure, N.Y. 1974. D i e philosophische Serie dieser kritischen Edition wird mit „OP", die theologische mit „ O T " (und Bandangabe) abgekürzt. Zitatbelege ohne Kürzel beziehen sich auf Teil und Kapitel der Summa Logicae. - Zentrale Partien der Logik liegen in Übersetzungen vor: Wilhelm von Ockham, Texte zur Theorie der Erkenntnis und der Wissenschaft, lat.-dt., hg., übers, u. kommentiert von R. Imbach, Stuttgart 1984; Wilhelm von O c k h a m , Summe der Logik, aus Teil I: U b e r die Termini, lat.-dt., ausgew., übers, u. mit Einf. u. A n m . hg. von P.Kunze, H a m burg 1984; William of O c k h a m , Philosophical Writings. A Selection, transi., with an Introduction, by Ph. Boehner, Indianapolis 7 1 9 7 7 .
2
Mit diesen Fragen sind die historisch vertretenen Positionen nur grob angezeigt. C . P r a n d führt - im Anschluß an einen Bericht des Johannes von Salisbury (ca. 1115—1180) — nicht weniger als dreizehn verschiedene Auffassungen an (Geschichte der Logik im Abendlande, Bd. II, Leipzig 2 1 8 8 5 , 119 ff.). Prand, der aus seinem Herzen nirgends eine Mördergrube macht, wird von ,wehmütigen Gedanken' ergriffen angesichts der vergeblichen Versuche, „Methode in den Unsinn zu bringen" (8).
1. Der Terminus (I, 1—4)
261
Einzelseiende verständigen (,individuimi est ineffabile'). Und der sich gegen Ende des Mittelalters immer mehr durchsetzende Nominalismus scheint doch — wenn man sich an diese Etikettierung hält — den Namen und der Sprache eine besondere Rolle zuzuschreiben. Es wird zu prüfen sein, ob sich diese Vermutung für Ockham bestätigen läßt. Zwar verdeckt die Einordnung Ockhams in die Problemgeschichte des Universalienstreits die Vielfalt der von ihm behandelten philosophischen Themen 3 ; diese Einordnung besteht jedoch insofern zu Recht, als die Frage nach dem Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinem das durchgängige zentrale Thema in Ockhams Schriften ist. Bereits der frühe Kommentar zu den ,Sentenzen' des Petrus Lombardus kritisiert den Universalienrealismus. Die Aristoteles-Kommentare setzen diese Auseinandersetzung fort, und in der Summa Logicae scheint Ockham endgültig seinen Standpunkt in der Frage nach dem Eigentümlichen der Allgemeinbegriffe (und ihrer Zeichenfunktion) gefunden zu haben. Der Schultradition folgend, die sich auf das Aristotelische O r g a non' beruft, gliedert Ockham seine Logik in drei Teile. Teil I enthält die Lehre vom Begriff, Teil II die Lehre vom Satz bzw. Urteil, Teil III die Lehre vom Schluß. Über die Wichtigkeit der Logik darf es nach Ockham keine Zweifel geben. Denn sie zeigt, wie man zwischen Wahrem und Falschem unterscheidet; sie belehrt über den Wert der Rede und die angemessene Weise des Sprechens 4 . So ist die Logik das wichtigste Werkzeug für alle Wissenschaften. Als Propädeutik kann auf sie nicht verzichtet werden; denn nur durch Einübung in den richtigen Gebrauch der logischen Prinzipien werden die jungen Studenten davor bewahrt, verbreiteten Irrtümern in der Theologie oder in den anderen Wissenschaften zu erliegen.
1. Der Terminus (I, 1 - 4 ) Alle Logiker — so setzt Ockhams logische Untersuchung ein — sind sich darin einig, daß logische Schlüsse aus Aussagen und diese wiederum aus Termini zusammengesetzt sind. Deshalb ist zunächst zu 3
4
Informativ hierfür ist der von W. Vossenkuhl und R. Schönberger herausgegebene Sammelband: Du Gegenwart Ockhams, Weinheim 1990. So im Prolog der Expositio in libros artis Logicae, O T II, 6.
262
X. Wilhelm von Ockham
klären, was ein Terminus ist. Dafür steht die Definition des Aristoteles aus der Ersten Analytik (24 b 16—18) zur Verfügung: „Terminus nenne ich dasjenige, worin die Aussage (propositio) aufgelöst wird, wie das Prädikat und das, wovon etwas prädiziert wird, mag nun das Sein oder das Nichtsein hinzugesetzt oder abgetrennt sein" 5 . Anders formuliert: Terminus ist das Subjekt oder Prädikat eines Satzes, und zwar so, daß dem Subjekt das Prädikat zu- oder abgesprochen wird. Bei dieser Definition darf man jedoch nach Ockham nicht stehenbleiben, weil sie nicht berücksichtigt, daß es unterschiedliche Arten von Termini gibt. Die grundlegende Unterscheidung der Termini gewinnt Ockham im Anschluß an den Kommentar des Boethius zu De interpretatione. Boethius unterscheide eine dreifache Art der Rede (oratio)6: die geschriebene, die ausgesprochene und die gedanklich begriffene (concepta), die nur im Intellekt existiert. Entsprechend gebe es auch drei Arten von Termini: den geschriebenen, den gesprochenen und den begriffenen (scriptus, prolatus et conceptus). Der geschriebene Terminus ist Teil einer Aussage, die auf einem körperhaften Material fixiert wurde und vom Auge wahrgenommen werden kann. Der gesprochene Terminus ist Teil eines mündlich artikulierten Satzes, der vom Gehör wahrgenommen werden kann. Diese Unterscheidung ist trivial und bedarf keiner näheren Erläuterung. Was aber ist mit dem nur im Verstand existierenden Terminus gemeint? Ockham legt fest: „Der begriffene Terminus ist eine Intention oder ein Eindruck der Seele (passio animae), der von Natur aus etwas bezeichnet oder mitbezeichnet und als Teil einer gedanklichen Aussage für das Bezeichnete supponiert" 7 (I, 1).
Diese Definition bezieht sich zunächst auf De interpretatione (16 a 3 f.); „passio animae" steht für „en tê psyché pathemáton (Eindrücke der Seele)". Die Ubersetzung dieser Stelle ist in der Schultradition des 5
6
7
„Terminus" ist Übersetzungswort des gr. „hóros" (Grenze, Bestimmung, Begriff), und „propositio" steht für gr. „protasis" (Vorschlag, These, Satz). Im Unterschied zu den Darlegungen dieses Lehrstücks bei Augustinus, Anselm, Thomas und Eckhart ist die Erörterung bei Ockham ganz dem logischen Interesse untergeordnet. „Supponere" kann mit „an die Stelle setzen", „stehen für", „verwendet werden für" o. ä. übersetzt werden. Da es sich jedoch um einen zentralen Terminus technicus handelt, der durch eine bestimmte Übersetzung kaum getroffen werden kann, wird in der Literatur meist von einer Übersetzung abgesehen; man spricht von „supponieren" bzw. von „Supposition". Auch die moderne Linguistik verwendet diesen Terminus.
1. Der Terminus (I, 1-4)
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Mittelalters kaum strittig. In der Auslegung — darauf verweist Ockham bereits in seinem Aristoteles-Kommentar 8 - zeigen sich Differenzen: Einige bezeichnen den seelischen Eindruck (passio animae) als „Absicht der Seele" (intentio9 animae), andere als „Begriff (conceptus). Ockhams Definition des terminus conceptus spiegelt aber nicht nur traditionelles Lehrgut. Sie gibt vielmehr auch entscheidende Hinweise für sein Sprachverständnis, nämlich: 1. Der gedankliche Terminus bezeichnet etwas von Natur aus. 2. Er erfüllt seine Bezeichnungsfunktion nur innerhalb eines (mentalen) Satzganzen. 3. Innerhalb eines solchen Satzganzen ,supponiert! der Terminus für das Bezeichnete. Die beiden letzten Punkte gehören eng zusammen; sie verweisen auf die an späterer Stelle (I, 64 ff.) ausführlich dargelegte Suppositionstheorie (vgl. u. S. 278 ff.). - Um die Angemessenheit seiner Definition zu belegen und mögliche Einwände sogleich auszuräumen, beruft sich Ockham auf Augustine De trinitate: Diese begriffenen Termini und mentalen Sätze seien gemeint, wenn Augustinus sage, daß sie keiner bestimmten Sprache angehören (vgl. o. S. 161). Der Terminus qua Begriff (als Teil eines Satzes) bleibe nämlich im Geist und könne nicht ausgesprochen werden, obwohl der dem Begriff als Zeichen untergeordnete Sprachlaut äußerlich artikuliert wird. Wie aber ist das Verhältnis des so definierten gedanklichen Terminus zum gesprochenen Terminus genauer zu bestimmen? Wie soll man sich die sprachliche Verständigung über Sachen und Sachverhalte vorstellen? Die Antwort der Aristoteliker ist klar: Stimmlich geäußerte Worte sind Zeichen, die direkt auf die seelischen Eindrücke bzw. die Begriffe des Geistes verweisen; erst in zweiter Linie bezeichnen Worte die Sachen, die unabhängig von uns existieren. Nach Ockham muß diese Auffassung jedoch korrigiert werden: Zwar sind die gesprochenen Worte den Begriffen untergeordnet (signa subordinata conceptibus). Aber dennoch beziehen sich die Lautzeichen nicht zuerst und eigentlich (primo et proprie) auf die Begriffe des Geistes, sondern auf die Dinge. Sie sind eingesetzt worden, um dasselbe zu bezeichnen, was auch durch die geistigen Begriffe bezeichnet wird. Eine Rangordnung zwischen beiden besteht nur, weil der 8 9
Expositio in Librum Perihermeneias Aristotelis, O P II, 349. Über die verwickelte BegrifFsgeschichte informiert P. Engelhardt, Art. Intentio, in: Hist. Wörterb. d. Philosophie 4, 466-474. Bereits Avicenna sieht in den intentiones den eigentlichen Gegenstand der Logik.
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Begriff etwas von Natur aus (naturaliter), der artikulierte Laut hingegen etwas gemäß Ubereinkunft (ex institutione) bezeichnet. Dieser unterschiedliche Bezug zur Sache hat folgende Konsequenz: Würde der Begriff seine Bedeutung ändern, dann würde sich auch die Bedeutung des ihm untergeordneten Zeichens ändern, ohne daß es dazu einer neuen Konvention bedürfte 1 0 . In dieser Hinsicht haben Aristoteles (,Gesprochene Worte sind Zeichen der seelischen Eindrücke') und Boethius (,Gesprochene Worte bezeichnen Begriffe') Recht. Jedoch dürfen nach Ockham die Festlegungen des ,Philosophen' und seines Kommentators nicht so verstanden werden, als würden Begriffe und Worte etwas Unterschiedliches (die einen die Sachen, die anderen die Begriffe) bezeichnen. Sie bezeichnen dasselbe auf unterschiedliche Weise. Der Zusammenhang zwischen Begriff und Sache ist natürlich und menschlicher Willkür entzogen; er bezeichnet deshalb an erster Stelle (primario) die Sache. Der Zusammenhang zwischen Wort und Sache beruht auf Übereinkunft und ist menschlicher Willkür unterworfen; deshalb bezeichnet das Wort die Sache erst an zweiter Stelle (secundario). Entsprechend gilt für die geschriebenen Worte, daß auch sie auf die Dinge verweisen, aber erst an dritter Stelle; das Geschriebene ist dem Gesprochenen so untergeordnet wie das Gesprochene dem Begriffenen. U m die Definition des Terminus keinen weiteren Mißverständnissen auszusetzen, ist schließlich noch der Begriff des Neichens, von dem bereits Gebrauch gemacht wurde, zu klären. Es gibt nämlich eine zweifache Bedeutung von „Zeichen": 1. M a n spricht von Zeichen, wenn etwas Erfaßtes die Erkenntnis eines anderen hervorruft. Dann wird durch das Zeichen etwas früher Erkanntes aktualisiert; das Zeichen repräsentiert das andere. Auf diese Weise — ein Beispiel Ockhams — zeigt der Faßreifen an, daß es im Wirtshaus Wein gibt. Weiterhin kann jede Wirkung als Zeichen ihrer Ursache fungieren, und in diesem Sinne können auch Laute (Schmerzschrei, Gelächter) 11 eine natürliche Bedeutung haben. — Diese weite Bedeutung von „Zeichen" wird hier, wo es um die Bestimmung des Terminus geht, ausgeklammert. 10
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Grundsätzlich gilt nach Ockham: Im Gegensatz zu gesprochenen oder geschriebenen Termini kann der gedachte Terminus seine Bedeutung nicht durch Ubereinkunft ändern. O b und wie eine ¡natürliche' Änderung möglich ist, wird von Ockham nicht gesagt. Man vgl. dazu die Expositio in Librum Perihermeneias Aristotelis, O P II, 380 f.
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2. Zeichen ist dasjenige, was etwas erkennen läßt und für das Erkannte steht (es ,supponiert'), also der Terminus. Zeichen in diesem Sinne ist auch das, was den supponierenden Termini in einem Satz beigefügt wird: Verben, synkategorematische Ausdrücke und andere Redeteile. Schließlich kann man den gesamten Satz ebenfalls als Zeichen auffassen. Versteht man „Zeichen" in dieser zweiten Bedeutung, dann gilt, daß kein gesprochener Laut ein natürliches Zeichen ist. Die anstehende Abhandlung bezieht sich auf diesen engeren Zeichenbegriff. Auch der Begriff „Terminus" bedarf einer weiteren Klärung (I, 2), weil er in verschiedenem Sinne verwendet werden kann (unabhängig davon, ob gedacht, gesprochen oder geschrieben). Ockham unterscheidet drei Bedeutungen: 1. Terminus wird in einem weiten Sinne gebraucht als Bezeichnung für Kopula, Subjekt und Prädikat (sowie die Subjekt und Prädikat näher bestimmenden Ausdrücke) einer kategorischen Aussage. Auch ein vollständiger Satz kann Terminus sein, etwa im folgenden Fall: ,Der Mensch ist ein Lebewesen' ist eine wahre Aussage. 2. Zur Abhebung vom Satz kann man „Terminus" als Bezeichnung für das ,Unverbundene' (incomplexum) reservieren. Von dieser Bedeutung machte das erste Kapitel der Summa Logicae Gebrauch. 3. In ganz genauem Sinne versteht man unter „Terminus" ausschließlich einen bezeichnenden Ausdruck 12 , der Subjekt oder Prädikat einer Aussage sein kann. Somit sind Verb, Konjunktion, Adverb, Präposition, Interjektion keine Termini; nur im metasprachlichen Gebrauch ist es möglich, daß sie als Terminus fungieren (z. B. „Lesen" ist ein Verb). Wohl aber können zusammengesetzte Ausdrücke (z. B. „weißer Mensch") Terminus im strikten Sinne sein. Weitere Probleme — etwa die Frage, ob das Subjekt immer im Nominativ stehen muß — gehören nicht zur Aufgabenstellung der Logik, sondern in die Grammatik. Das dritte Kapitel der Summa Logicae ist den verschiedenen Arten des inkomplexen Terminus gewidmet. Dabei geht es Ockham jedoch nicht um eine Auflistung der einzelnen Redeteile (partes orationis), wie dies in einer bis auf die Stoa zurückreichenden Tradition immer wieder unternommen wurde. Ziel dieser Darlegungen ist es vielmehr, den Unterschied zwischen mentaler und gesprochener Rede im Blick 12
Damit ist der Gebrauch eines Ausdrucks im Sinne der personalen Supposition gemeint; vgl. u. S. 282.
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auf die einzelnen Wortarten zu untersuchen. Zunächst muß man nach Ockham davon ausgehen, daß jeder gesprochenen Rede eine Rede im Geist entspricht („... omni orationi vocali correspondet alia mentalis in mente ..."; I, 3). Gibt es deshalb Redeteile, die aufgrund ihrer Bezeichnungsfunktion innerhalb eines gesprochenen Satzes unterschieden werden müssen, dann gibt es auch entsprechende Unterschiede für den mentalen Satz. Folglich weist auch der mentale Satz verschiedene ,Redeteile' — Nomen, Verb, Konjunktion etc. — auf. Dabei ist aber folgendes zu beachten: Zwar kommen alle grammatischen Eigenschaften des mentalen Satzes auch dem gesprochenen zu; das Umgekehrte gilt jedoch nicht. Es gibt gewisse grammatische Kennzeichen, die nur der gesprochenen bzw. geschriebenen Sprache zukommen. Im einzelnen führt Ockham an: Es ist sehr zweifelhaft, ob man Partizipien in der mentalen Rede annehmen soll. In Verbindung mit der Kopula „ist" drückt das Partizip nämlich dieselbe Bedeutung aus wie die bloße Verbform (ζ. B. „geht" = „ist gehend"). So vervielfältigt die gesprochene Rede durch Bildung von Synonyma ihre Ausdrücke. Diese Vielfalt beruht nach Ockham nicht auf unterschiedlichen Bedeutungen; vielmehr sind dafür nebensächliche Motive, ζ. B. die Ausschmückung der Rede, ausschlaggebend. Weil diese Unterschiede für die (wissenschaftliche) Erfassung der Sachen unerheblich sind, besteht kein Grund, eine entsprechende Vielfalt bei den mentalen Begriffen anzunehmen. — Ahnlich ließe sich auch gegen die Notwendigkeit von Pronomina argumentieren. Beim Nomen dagegen müssen Kasus und Numerus auch in der mentalen Sprache unterschieden werden. Denn zwischen Sätzen wie „Der Mensch ist ein Lebewesen" und „Der Mensch ist nicht die Lebewesen" besteht ein sachlicher Unterschied, der beachtet werden muß, unabhängig davon, ob man den Satz denkt oder ausspricht. — Genus und Art der Deklination sind allerdings Eigentümlichkeiten, die nur den gesprochenen und geschriebenen Nomina zukommen. Es macht nämlich logisch keinen Unterschied, ob synonyme Ausdrücke einer konkreten Sprache ein unterschiedliches Genus haben oder einer anderen Deklinationsklasse angehören. Das heißt: Für die logische Wahrheit oder Falschheit eines Satzes spielen Genus und Deklination keine Rolle; sie betreffen nur die grammatische Richtigkeit. Der Satz „homo est alba" (statt „albus"; „Der Mensch ist weiß") ist grammatisch falsch; das entscheidet jedoch nicht über seine logische Wahrheit.
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Analoges gilt für die Verben. Auch bei den mentalen Verben sind ζ. B. Tempus und Person zu unterscheiden. Etwa: „Du liest" ist zu unterscheiden von „Du hast gelesen" und „Du liest" von „Ich lese". Unterschiedliche Konjugationen aber betreffen nur die gesetzten Verben der gesprochenen und geschriebenen Sprache. Mit diesen Überlegungen grenzt sich Ockham nach eigenem Bekunden von Aristoteles ab; denn Nomen (ónoma) und Verb (rhêma) werden in De interpretatione als Arten der stimmlichen Verlautbarung (phoné, vox) definiert (vgl. o. S. 78). Ockham hingegen drängt auf die Unterscheidung zwischen logischer und grammatischer Form. Ihm geht es darum, die Mehrdeutigkeiten der ,normalen' Sprache durch logische Analyse auszuschalten. Gegenstand der Logik ist deshalb nur die mentale Sprache, die als natürliches System von Zeichen Eindeutigkeit zu gewährleisten scheint. Ockham beschließt seine Erörterung des Terminus mit der Unterscheidung von kategorematischen und synkategorematischen Termini (I, 4) — eine Unterscheidung, die gleichermaßen für den gesprochenen wie für den mentalen Terminus gilt. Kategorematisch sind solche Termini, die eine begrenzte und feste Bedeutung haben. „Termini categorematici finitam et certam habent significationem" (I, 4). „Mensch", „Lebewesen", „Weiße" sind kategorematische Termini. Im Gegenzug werden die synkategorematischen Termini so bestimmt: Sie haben keine begrenzte und feste Bedeutung; sie bezeichnen nicht etwas, das von den Dingen zu unterscheiden wäre, die von den kategorematischen Termini bezeichnet werden; im eigentlichen Sinne bezeichnen synkategorematische Ausdrücke also nichts 13 . Allerdings gewinnen sie in Verbindung mit kategorematischen Termini eine Bezeichnungsfunktion. Ockham erläutert das an dem synkategorematischen Terminus , jeder" (omnis). Dieser Ausdruck bezeichnet nicht etwas Bestimmtes. Aber in Verbindung mit dem kategorematischen Terminus „Mensch" bewirkt er, daß dieser Ausdruck alle Menschen bezeichnet bzw. für alle Menschen supponiert. Kurzum: Synkategorematische Termini bedeuten nicht etwas klar Umgrenztes, aber sie haben eine bestimmte logische Funktion. Man kann sie
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Ockham ist konsequenter in dieser Frage als Augustinus, der im Blick auf den problematischen Zeichencharakter solcher Wörter wie „si", „ex", „nihil" nur zu einer Verlegenheitslösung kommt (vgl. o. S. 135). Ockham hat immer den ganzen Satz im Blick, während Augustinus in diesem Zusammenhang das isolierte Wort betrachtet.
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nur (im minder strikten Sinne) als signifikative Ausdrücke bezeichnen, weil sie in Verbindung mit anderen Termini bewirken, daß etwas Bestimmtes bezeichnet wird.
2. Der Name (I, 5, 10-12) Ockhams Erörterung des Namens (nomen) — des wohl vorrangigsten Redeteils — ist aus zwei Gründen für den anstehenden Problemzusammenhang aufschlußreich: Z u m einen bereitet er damit die nominalistische (bzw. konzeptualistische) Lösung des Universalienproblems vor; zum anderen wird Ockhams sprachkritische Intention erneut deutlich. Ockham setzt ein mit der Unterscheidung zwischen konkreten und abstrakten N a m e n (concretum — abstractum). Zunächst können grammatische Merkmale als Anhaltspunkt für diese Unterscheidung genommen werden: das Concretum ist meist ein Adjektiv (ζ. B. „stark"), das Abstractum ein Substantiv (ζ. B. „Stärke"); sie unterscheiden sich oft nur durch die Endung, wobei der abstrakte N a m e in der Regel aus mehr Silben besteht als der konkrete („Gerechtigkeit", „gerecht"). Wichtiger jedoch als diese Unterschiede in der sprachlichen Form, die auch nicht durchgängig gelten, ist die unterschiedliche logische Funktion. Der konkrete Name bezeichnet oder konnotiert eine bestimmte Sache; er supponiert für diese Sache. Der abstrakte Name dagegen bezeichnet auf keinen Fall das bestimmte Ding. Ockham erläutert das an dem Beispiel „gerecht" — „Gerechtigkeit". In dem Satz „Der Gerechte ist tugendhaft" supponiert „gerecht" für einen Menschen. „Gerechtigkeit" (das Abstractum) kann aber nicht für ein bestimmtes Seiendes stehen. Denn man kann nicht sagen „Die Gerechtigkeit ist tugendhaft" (obwohl die Gerechtigkeit eine Tugend ist). Das Abstractum „Gerechtigkeit" supponiert nicht für einen bestimmten Menschen, sondern für eine Qualität14. Abstrakte und konkrete N a m e n supponieren somit für Verschiedenes.
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Auch in unserem Jahrhundert sind diese Fragen diskutiert worden. Man vgl. etwa G. Ryle, Systematically Misleading Expressions (1931), in: A. Flew (Hg.), Logic and Language, Bd. I, Oxford 1951, 11-36. Ryle thematisiert das von Ockham behandelte Problem unter dem Stichwort „quasi-platonische Aussagen" und verweist damit selbst auf den Zusammenhang mit dem Universalienstreit.
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Deshalb kann — wie am Beispiel vorgeführt — ein Concretum nicht von einem Abstractum ausgesagt werden 1 5 . Eine weitere für Ockham wichtige Unterscheidung ist die zwischen absoluten und konnotativen N a m e n (I, 10). „Konnotativ" heißen bestimmte Namen, weil sie außer demjenigen, was sie ursprünglich bezeichnen, noch etwas anderes mitbezeichnen. „Absolut" dagegen sind Namen, denen keine solche sekundäre Bedeutung zukommt, die vielmehr das, worauf sie sich beziehen, ,in gleicher Weise zuerst' (aeque primo) bezeichnen. Der Name „Lebewesen" (animal) etwa bezeichnet Rinder, Esel, Menschen und andere Lebewesen; etwas anderes konnotiert er nicht. In anderer Ausdrucksweise: Der absolute N a m e bezieht sich ausschließlich auf die Extension des Begriffs; er ist einer deudich unterscheidbaren Menge von Dingen zugeordnet. Für absolute N a m e n gibt es keine Nominaldefinition (definitio explicans quid nominis); denn diese bezieht sich auf den Begriffsinhalt (Intension). Absolute N a m e n aber beziehen sich eben unmittelbar und ausschließlich auf die bezeichneten Gegenstände. Ockham erklärt dies an folgendem Beispiel: Der (absolute) Name „Engel" kann auf verschiedene Weise erklärt werden. „Der Engel ist eine stofflose Substanz"; oder: „Der Engel ist eine geistige und unzerstörbare Substanz"; oder: „Der Engel ist eine einfache Substanz, die mit anderem nicht vermischt ist." Alle diese Sätze erklären den N a m e n durchaus zutreffend; aber keiner ist eine Nominaldefinition. Denn die Bedeutung, die in den Beispielsätzen dem Terminus zugesprochen wird, ist durchaus verschieden. Die angeführten Beispiele beziehen sich auf das bezeichnete Seiende; es sind Realdefinitionen. Allgemein gilt somit: Absolute N a m e n können nicht nominal, sondern nur real definiert werden. Umgekehrt verhält es sich bei den konnotativen Namen; sie können nur nominal, nicht aber real definiert werden. Als Beispiele für Konnotativa führt Ockham an (vgl. o. die Beispiele für konkrete Namen): gerecht, weiß, beseelt, menschlich. Die Nominaldefinition für „weiß" würde dann etwa lauten: „Weiß ist etwas durch Weiße Bestimmtes"; oder: „Weiß ist etwas, das Weiße besitzt." Formal fällt an diesen Definitionen auf, daß das zu Definierende zunächst im 15
Von diesem einfachen Fall hebt Ockham kompliziertere ,Unterarten' ab. Die grundlegende Unterscheidungshinsicht ändert sich freilich nicht. Schwierigkeiten entstehen dadurch, daß die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten die logische Differenz zwischen konkreten und abstrakten Namen oft nicht erkennen lassen.
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Nominativ gesetzt ist und dann in einem obliquen Kasus wiederholt wird. Dieses Kriterium ist zwar nicht notwendig 16 , zeigt aber die Eigenart konnotativer Namen an: Sie verweisen primär auf bestimmte Substanzen, sekundär auf Akzidenzien. In dem Beispielsatz werden primär alle weißen Dinge und sekundär die Weißen dieser Dinge bezeichnet 17 . — Zu den konnotativen Namen gehören nach Ockham auch relationale und quantitative Ausdrücke, ebenso Begriffe wie „wahr", „gut", „eines", „Möglichkeit", „Wirklichkeit", „Verstand", „Wille" 18 . Bei den Erläuterungen zur Einteilung in Abstracta und Concreta, in Absoluta und Connotativa mußte der Unterschied zwischen natürlichen (mentalen) und gesetzten (gesprochenen, geschriebenen) Termini nicht beachtet werden, da die aufgeführten Eigenschaften für alle Arten von Termini gelten. Bei der sich nun (I, 11) anschließenden Überlegung ist dieser Unterschied jedoch wieder zu beachten. — Ockham thematisiert zunächst den Unterschied zwischen Namen der ersten und Namen der zweiten Imposition. „Impositio" meint den Akt menschlicher Namengebung, in dem gemäß Übereinkunft den Dingen sprachliche Zeichen zugeordnet werden. Die Unterscheidung zwischen Namen erster und zweiter Imposition (nomina primae/secundae impositionis) betrifft also nur gesprochene und geschriebene Termini. In der zweiten Imposition werden Namen gesetzt zur Bezeichnung konventioneller Zeichen, sofern sie Zeichen sind. (Dieser Zusatz ist erforderlich, weil diese Zeichen ja auch als akustisch bzw. optisch wahrnehmbare Gebilde betrachtet werden können.) „Zweite Imposition" kann in einem weiteren und in einem engeren Sinne aufgefaßt werden: a) Im weiten Sinne sind Namen der zweiten Imposition alle Wörter, die zur Bezeichnung der konventionell eingesetzten Lautzeichen verwendet werden, und zwar unabhängig davon, ob es diese Unterschiede auch bei den Begriffen der Seele (intentiones) gibt. Sol16
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Es kann auch ein Verb (außer der Kopula „ist") in Nominaldefinitionen vorkommen, etwa: „Ursache ist etwas, das ein anderes hervorbringen kann." Der Zusammenhang mit dem Universalienproblem ist offensichtlich: Ockham will zeigen, daß nur individuelle Wesenheiten existieren und die (wahre) Rede sich auf keine anderen Wesenheiten bezieht. J. Pinborg macht darauf aufmerksam, daß Ockhams Konnotationstheorie die Möglichkeit bietet, die Ontologie so zu vereinfachen, daß nur noch Substanzen und Qualitäten als eigenständige Größen gelten (Art. Konnotation, in: Hist. Wörterb. d. Philosophie 4, 976).
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che N a m e n zweiter Imposition sind: Nomen, Pronomen, Konjunktion, Kasus, Zeit etc. - wenn sie grammatisch gebraucht werden. M a n kann diese Wörter auch „Namen der N a m e n " nennen; denn sie dienen der Bezeichnung der Redeteile, b) Im strikten Sinne spricht m a n von der zweiten Imposition nur bei solchen Ausdrücken, die keine Entsprechung in der mentalen Sprache haben, z.B. Genus, Deklination (vgl. I, 3). Auch bei der ersten Imposition kann m a n eine engere und eine weitere Bedeutung unterscheiden: a) Im weiten Sinne sind alle Namen, die nicht N a m e n der zweiten Imposition sind, solche der ersten Imposition. Dann gehören auch synkategorematische Ausdrücke wie „alle", „keiner" zur ersten Imposition, b) Im strengen Sinne umfassen die N a m e n der ersten Imposition nur kategorematische Termini, die nicht der Gruppe der N a m e n zweiter Imposition zuzurechnen sind. D e m Unterschied zwischen erster und zweiter Imposition entspricht 1 9 im Bereich der mentalen Sprache der Unterschied zwischen erster und zweiter Intention (I, 12) 20 . Auch bei der Unterscheidung von erster und zweiter Intention ist wieder ein engerer und ein weiterer Sinn zu unterscheiden, a) Im weiten Sinne gehören alle intentionalen Zeichen zur ersten Intention, sofern sie selbst nicht wieder auf eine Intention verweisen. Diese weite Bestimmung schließt die synkategorematischen Ausdrücke ein. b) Im engeren Sinne umfaßt die erste Intention nur mentale Namen, die für das Bezeichnete supponieren können. Zweite Intentionen sind natürliche Zeichen für erste Intentionen, ζ. B. „Gattung", „Art", a) In weiterer Bedeutung sind Namen zweiter Intention Begriffe zur Bezeichnung von Intentionen, unabhängig davon, ob diese Begriffe sich auch auf die konventionell gesetzten Zeichen beziehen. (Ockham fügt hinzu: falls es überhaupt Intentionen gibt, die Intentionen und konventionelle Zeichen bedeuten.) b) In engerer Bedeutung wird „zweite Intention" ausdrücklich auf natürliche Zeichen eingegrenzt. 19
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Beides ist jedoch nicht deckungsgleich. Ockham weist daraufhin (I, 11), daß zur Gruppe der ersten Imposition (im strengen Sinne) sowohl Namen der ersten als auch Namen der zweiten Intention gehören. Die BegrifFsgeschichte von „intentio" und „impositio" ist informativ von Ch. Knudsen dargelegt worden: Intention and Importions, in: N. Kretzmann/ A. Kenny/J. Pinborg (Hg.), The Cambridge History of Later Medieval Philosophy, Cambridge u.a. 1982, 479-495.
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Mit dieser Einteilung in Namen erster und zweiter Intention will Ockham unterstreichen, daß unterschiedliche Sprachebenen (Objekt·, Metasprache) auch für den Bereich der mentalen Termini angenommen werden müssen. Das ist unabdingbar, sofern jedem gesprochenen Satz ein mentaler Satz korrespondiert. Dem Logiker muß an dieser Unterscheidung verschiedener Sprachstufen gelegen sein — wie bereits in Augustine De magistro deutlich wird —, weil dadurch Mehrdeutigkeiten (Äquivokationen) aufgedeckt bzw. vermieden werden können. Freilich ist nach Ockham dann auch zu betonen (I, 13), daß nur konventionelle Zeichen — nicht aber mentale Begriffe — mehrdeutig sein können und zu Fehlschlüssen verleiten. Die Unvollkommenheit der Rede gründet allein in der Unzulänglichkeit menschlich-willkürlicher Setzung. Dem natürlichen Zeichenbezug von seelischer Intention und zu erkennender Sache dürfen diese Mängel nicht zugerechnet werden. Ockhams Darlegungen zum Unterschied zwischen mentaler und gesprochener Sprache sowie die Einteilung in erste und zweite Intention lassen eine Frage immer vordringlicher werden: Was sind eigentlich Intentionen? Was ist dieses Etwas in der Seele, das als natürliches Zeichen auf die Sachen verweist?
3. Das Universale (I, 14, 15) U m den Streit über den ontologischen Status der Allgemeinbegriffe einleuchtend entscheiden zu können, ist die Bedeutung von Einzelsein und Allgemeinsein zu klären. Ockham unterscheidet eine zweifache Bedeutung von „einzeln" (singulare): 1. „Einzeln" heißt alles, was Eines ist und nicht Vieles („... quod est unum et non plura"; I, 14). Versteht man den Allgemeinbegriff (universale) als eine bestimmte Eigenschaft des Geistes (quaedam qualitas mentis), die von mehreren ausgesagt werden kann, dann ist das Universale in der Tat ein Einzelnes. Das läßt sich im Blick auf die Lautsprache einsichtig machen. Das gesprochene Wort ist kraft Einsetzung ein Allgemeines, obwohl es ein bestimmtes Einzelnes (mit einer konkreten Lautgestalt) ist. Ebenso ist die Intention der Seele der Zahl nach Eines, obwohl sie mehrere äußere Dinge bezeichnet. 2. Man kann das Einzelne noch strenger fassen, indem man zur ersten Bestimmung (,Eines und nicht Vieles') hinzufügt, daß das Einzelne auf keinen Fall dazu bestimmt ist, Zeichen für Vieles zu sein.
3. Das Universale (I, 14, 15)
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Geht m a n von dieser Bestimmung des Einzelnen aus, dann ist kein Universale ein Einzelnes; denn es gehört nun einmal zur Eigenart des Universale, von mehreren Dingen ausgesagt werden zu können. U n d weiter: Versteht man Universale als das, was der Zahl nach nicht Eines ist, dann gibt es überhaupt kein Universale, sofern nur das der Zahl nach Eine sein kann. — Wer dagegen einwendet, das Universale (ζ. B. „Volk") sei nicht Eines, weil es Viele (die einzelnen Menschen) umfaßt, verschiebt die Argumentationshinsicht. Ein solcher Einwand ist nach Ockham geradezu kindisch (puerile). Diese Überlegungen können in folgender These zusammengefaßt werden: Das Universale ist ein Einzelding (una res singularis); allgemein ist es nur aufgrund seiner Bezeichnungsfunktion. Es kann als Einzelnes Reichen für Mehrere sein. Das Wesentliche der seelischen Intentionen (der Begriffe) darf nach Ockham nicht darin gesehen werden, daß sie das zu erkennende Seiende abbilden. Vielmehr liegt das Eigentümliche der Universalien in ihrem Verweisungscharakter. Zur Stützung seiner Auffassung verweist Ockham auf die Autorität des Avicenna. Auch Avicenna betone, daß das Universale eine einzelne Intention der Seele sei und universal nur deshalb genannt werde, weil m a n es von Mehreren aussage. Ein solches Verhältnis zwischen Einzelnem und Allgemeinem ist uns nicht nur im Bereich der Sprache vertraut. Auch die Sonne z. B. ist eine universale Ursache; denn sie bewirkt das Wachstum vieler einzelner Dinge. Dennoch ist sie die eine (einzelne) Ursache. Analog verhält es sich bei den Intentionen. Im Blick auf sie selbst sind sie je Einzelne; im Blick auf ihre Zeichenfunktion sind sie universal, weil sie von Mehreren ausgesagt werden. Der Vergleich der seelischen Intentionen mit dem sprachlichen Zeichen läßt es ratsam erscheinen, noch einmal auf den fundamentalen Unterschied beider Arten von Universalien hinzuweisen. Die Intention ist ein natürliches Zeichen. In dieser Hinsicht ist sie anderen natürlichen Zeichen vergleichbar (Rauch als Zeichen für Feuer, Stöhnen als Zeichen für Schmerz, Lachen als Zeichen für Freude). Solche natürlichen Zeichen sind freilich kein natürliches Universale im strengen Sinne. Natürliches Universale in strikter Bedeutung ist nur die seelische Intention (und nicht eine Substanz oder ein Akzidens außerhalb der Seele). Die allgemeinen Bezeichnungen der gesprochenen Sprache hingegen verdanken ihren Universaliencharakter allein der willendichen Setzung gemäß Übereinkunft („per voluntariam institutionem", „ex placito instituentium"; I, 14).
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Die entscheidende kritische These ist bereits genannt worden: Kein Universale existiert als irgendeine Substanz außerhalb der Seele. Das ist nach Ockham durch folgende Argumente zu beweisen 1. Wenn man behauptet, das Universale sei eine Einzelsubstanz, dann kann man auch - was unsinnig ist — behaupten, Sokrates sei ein Universale; denn es gibt keinen einleuchtenden Grund für die Annahme, daß eine Einzelsubstanz eher ein Universale ist als eine andere. — Daß aber jede Substanz Einzelsubstanz ist (und folglich kein Universale), läßt sich so zeigen: Jede Substanz ist entweder άτι Ding oder mehrere Dinge. Ist sie mehrere Dinge, dann (a) mehrere Einzeldinge oder (b) mehrere Universalien. Unterstellt man (a), dann ergibt sich die Absurdität, daß das Universale vom Einzelnen nicht zu unterscheiden ist. Unterstellt man dagegen (b), so gerät man durch folgendes Gedankenexperiment auch in absurde Konsequenzen: Ich nehme eines dieser Universalien heraus und stelle wiederum die Frage, ob es Eines oder Vieles ist. Es bleibt dann nur der Schluß, daß keine Substanz ein Einzelnes ist, wenn ich mich nicht im sinnlosen Kreis der unendlich wiederholbaren Frage verfangen will. Nur die Annahme der These, daß das Universale nicht als Einzelsubstanz außerhalb der Seele existiert, bewahrt das Denken vor abstrusen Konsequenzen. 2. Jedes Ding, das seiner Natur nach früher ist als ein anderes, kann aufgrund göttlicher Allmacht ohne dieses andere existieren 21 . Nun ist das Universale der Natur nach früher als das unter ihm zusammengefaßte Einzelseiende. Wäre das Universale eine von den vielen Einzelseienden unterschiedene Substanz, dann könnte es ohne das Einzelseiende existieren. Diese - für den Platoniker unproblematische — Konsequenz ist für Ockham nicht akzeptabel. Selbständige Existenz der Universalien und gleichzeitige Existenz im Einzelseienden schließen sich aus. 3. Der Universalienrealismus widerstreitet sowohl dem Schöpfungsgedanken (creatio ex nihilo) als auch unserer eigenen Erfahrung. Denn: Wenn das Universale, das in einem bestimmten Individuum ist (als dessen ,Wesen'), bereits in einem anderen war, dann würde 21
Die absolute Macht und Freiheit ist konstitutiv für Ockhams Gottesbegriff. Man vgl. R. Imbachs Hinweis zu dieser Textstelle (1984: 224 Anm. 47) und: W. Vossenkuhl, Verniiriflige Kontingenz• Ockhams Verständnis der Schöpfung, in: Vossenkuhl/ Schönberger (Hg.), 1990: 77-93.
3. Das Universale (I, 14, 15)
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kein Individuum aus dem Nichts erschaffen. Und umgekehrt: Gott könnte ein bestimmtes Individuum nicht vernichten, ohne die Individuen derselben Art zu zerstören. Vernichtet er nämlich ein Individuum, dann auch alles, was zu seinem Wesen gehört, folglich auch das Universale, das in ihm und den artgleichen Exemplaren existiert. 4. Nimmt man die selbständige Existenz der Universalien an, dann könnten sie doch nicht so gesetzt werden, als wären sie gänzlich außerhalb der individuellen Wesen; denn das Universale gehört wesenhaft zum Individuum. Folglich müßten die ,Realisten' zugestehen, daß das Individuum gleichsam aus Universalien zusammengesetzt ist. Dies jedoch hätte den Widerspruch zur Folge, daß das Individuum nicht in höherem Maße ein Einzelnes wäre als das Universale. 5. Schließlich führt Ockham noch ein ,christologisches' Argument an: Christus ist wahrhaft Mensch geworden; er hat teil an der allen Menschen gemeinsamen Natur. Nun gibt es Menschen, die in Ewigkeit verdammt sind, nach biblischem Zeugnis z. B. Judas. Das aber heißt: Mit Judas wird auch seine Natur (sein Wesen) verdammt. Hätte er somit das real existierende Universale mit Christus gemeinsam, dann gäbe es in Christus etwas, das schlecht und verdammenswürdig wäre. Diese Argumentation Ockhams — die bei dem Versuch, Absurditäten des Universalienrealismus aufzudecken, selbst das Absurde streift — belegt in ihrer Ausführlichkeit die grundlegende Bedeutung dieser Streitfrage für sein eigenes philosophisches Konzept und für seine Logik. Deshalb werden auch noch Aristoteles und Averroes als maßgebliche Autoritäten mehrfach zitiert. Für Ockham ergibt sich aus all dem nur die eine Konsequenz: Kein Universale ist eine Substanz („nullum universale est substantia"). Nach dieser Destruktion des Universalienrealismus muß aber noch die positive These (Das Universale ist eine Intention der Seele) präzisiert werden. Bereits im zwölften Kapitel der Summa Logicae weist Ockham daraufhin, daß in der Tradition der Begriff der intentio animae verschieden interpretiert worden ist: „Einige sagen, es [dieses Etwas, das ein natürliches Zeichen ist] sei nichts anderes als etwas von der Seele Eingebildetes (fictum per animam); andere sagen, es sei eine gewisse subjektiv in der Seele existierende Qualität (qualitas subjective existens in anima), die vom Erkenntnisakt zu unterscheiden sei; wiederum andere sagen, es sei der Akt der Erkenntnis (actus intelligendi)" (I, 12). Die ersten beiden Ansichten sind nach Ockham unnötig kompliziert. Die dritte Auffassung, nach der das
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Universale (intentio animae) mit dem Erkenntnisakt zu identifizieren sei, ist völlig hinreichend. Denn die Funktion des Universale besteht einzig darin, für etwas zu stehen (es zu supponieren) bzw. etwas zu bezeichnen. Und diese Funktion kann mit dem Erkenntnisakt erklärt werden: Der Erkenntnisakt, durch den ich ζ. B. den Menschen erkenne, ist das Universale „Mensch"; es ist ein natürliches Zeichen, das in mentalen Aussagen die einzelnen Menschen bezeichnet, über die etwas festgestellt wird. Mehr und besser kann man auch nicht erklären, wenn man das Universale als etwas setzt, das vom Akt des Erkennens verschieden ist22. Erst in seinen späteren Schriften (Summa Logicae, Quodlibeta) bezieht Ockham eindeutig Stellung zugunsten der Gleichsetzung von Universale und Erkenntnisakt. In den früheren Werken vertritt er die Fictum-Theorie oder läßt die drei angeführten Positionen als gleichberechtigt nebeneinander stehen. Bereits E. Hochstetter23 hat in seiner grundlegenden Arbeit wichtige Gesichtspunkte dieser Entwicklung herausgearbeitet. Seine Darlegung des Ausgangsproblems bei Ockham ist einleuchtend: Einerseits stehen die seelischen Intentionen in engem Verhältnis zu den Worten; andererseits werden die Worte als willkürliche Zeichen von den natürlichen Zeichen der mentalen Sprache scharf abgegrenzt. Fällt nun die Gleichsetzung von Begriff und realer Wesenheit, dann wird die Frage dringlich: „Was muß der Begriff [...] sein, um die Gültigkeit der Urteile erklären und garantieren zu können" (79)? Ockham prüft zunächst die Tragfähigkeit der These, daß der Begriff eine Art fictum ist. Damit sind aber keine bloßen Phantasiegebilde gemeint; Phantasievorstellungen unterscheiden sich von Begriffen dadurch, daß letzteren im Bereich des realen Seins etwas Ähnliches entspricht. Dieser Charakter einer unbestimmten Bildhaftigkeit ermöglicht die allgemeine Prädizierbarkeit und Suppositionsfähigkeit der Begriffe. Die Schwierigkeiten dieser Fictum-Theorie deckt Ockham selbst auf. „Es ist schon schwierig, so führt er aus [im Vorwort zum Perihermeneias-Kommentar; O P II, 360 f.], sich etwas als Erkenntnisobjekt vorzustellen, das wie die Ficta in keiner Weise in rerum natura und demgemäß weder Substanz noch Akzidens ist. Überdies aber sei zu bedenken, daß ein Fictum dadurch allein, daß es ein ens rationis, ein Gedachtes, ist, sich mehr von seinem Objekt, einem ens reak, unterscheide, als jedes ens reale von irgendeinem anderen" (90 f.). Deshalb kann eine Theorie, in der der BegrifT als psychisch Reales — und nicht nur als Inhalt — gefaßt werde, die objektive Gültigkeit der Begriffe besser erklären. Dazu bieten sich zwei Möglichkeiten an: (1.) Der Begriff ist eine vom Erkenntnisakt zu unterscheidende psychische Qualität. Diese Theorie steht vor dem Problem, die Begriffe nicht recht in die psychologischen
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Diese Argumentation bietet ein treffendes Beispiel für Ockhams methodisches Prinzip: Erklärungsgründe dürfen nicht unnötig vermehrt werden; „pluralitas non est ponenda sine necessitate" (OT I, 74). Dieses,Ökonomieprinzip' — man spricht auch von „Ockhams Rasiermesser" - ist keine Erfindung Ockhams (man vgl. etwa Aristoteles, Physik I, 188 a 17 f.); aber Ockham wendet diese Regel äußerst konsequent an. Studien zur Metaphysik und Erkenntnislehre Wilhelms von Ockham, Berlin 1927, 78 ff.
3. Das Universale (I, 14, 15)
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Grundformen (actus, passio, habitus) einordnen zu können. Daher ist die (2.) Gleichsetzung von Begriff und Erkenntnisakt vorzuziehen. Diese Theorie versteht den Begriffais undeudiche Erkenntnis (intellectio confusa), die auf eine Vielheit von Objekten gerichtet ist. Freilich muß auch im Blick auf diese Theorie festgestellt werden, daß Ockham über die Entstehung der Begriffe sehr wenig sagt. Die Forschung ist dem Problem der Entwicklung Ockhams in der Universalienfrage weiter nachgegangen 24 . V. Richter25 hat die Ergebnisse zusammengestellt und vier Entwicklungsphasen unterschieden: 1. Zur Zeit des Sentenzenkommentars vertritt Ockham die Fictum-Theorie. 2. In den Kommentierungen zur Logik und Physik des Aristoteles entscheidet sich Ockham nicht zwischen der Fictum-Theorie und der Auffassung, das Universale sei eine Eigenschaft des Geistes (Qualitas-Theorie). 3. In einer weiteren Phase, der auch die Summa Logicae zuzurechnen ist, bevorzugt er die Intellectio-Theorie, d. h. die Auffassung, daß Universale und Erkenntnisakt gleichzusetzen sind. Ockham hält diese Theorie für die wahrscheinlichste. 4. Schließlich wird das Plädoyer für die Intellectio-Theorie (z. B. in den Quodlibeta) insofern radikalisiert, als Ockham die Fictum-Theorie entschieden zurückweist. Diese unterschiedlichen Positionen erlauben Rückschlüsse auf Abfassungszeit und Echtheit der unter Ockhams Namen tradierten Schriften. Richter gibt dazu einige Hinweise. Für die Summa Logicae etwa sei denkbar, „daß Ockhams mutmaßlicher Sekretär Adam Woodham (oder ein anderer seiner Schüler) diesem Werk den ,letzten Schliff gegeben hat, nachdem Ockham selbst (wegen der Umstände, die mit seiner Abberufung nach Avignon in Zusammenhang stehen) dazu nicht mehr imstande war" (185). Freilich muß nach Richter die Einschränkung gemacht werden, daß sich auch heute diese Fragen nach Chronologie, Abfassungszeit und Authentizität nicht definitiv beantworten lassen 26 . Auch Th.Kobusch hat in seiner historischen Untersuchung über die Seinsart des Gedankendings (ens rationis) die Wandlung Ockhams in der Universalienfrage thematisiert (1987: besonders 155-160; 175-194). Kobusch stellt heraus: Wenn Ockham die Begriffe bzw. Intentionen als Akte des Intellekts interpretiere, werde es möglich, sie als entia realia anzusehen, sofern der Bewußtseinsakt Teil der Naturwirklichkeit ist. Im Gegensatz zur Fictum-Theorie könne auf der Grundlage der Intellectio-Theorie der Begriff in das aristotelische Kategorienschema eingeordnet werden. „Das Gedachte ist zum Naturding geworden. Es hat seine ihm eigene ontologische Würde verloren" (182). Konsequenterweise werde deshalb im Nominalismus die Lehre vom Sein durch eine Prädikationstheorie ersetzt 27 . 24
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Zu erwähnen sind besonders die gründlichen und wegweisenden Untersuchungen Ph. Boehners, zusammengestellt in: Collected Articles on Ockham, St. Bonaventure, N.Y. 1958. Zu Ockhams Entwicklung in der Unwersalienfrage. Bemerkungen im Zusammenhang mit dem Problem der Chronologie, Abfassungszeit und Authentizität Ockhams nichtpolitischer Schriften, in: Phil. Jahrb. 82 (1975), 177-187. Die Komplexität dieser Probleme in der Ockham-Forschung wird gründlich von K. Bannach belegt: Die Lehre von der doppelten Macht Gottes bei Wilhelm von Ockham. Problemgeschichdiche Voraussetzungen und Bedeutung, Wiesbaden 1975, 25—53. Das wird bereits von G. Leibold herausgestellt: J^u Interpretationsfragen der Universalienlehre Ockhams, in: W. Kluxen u. a. (Hg.), Sprache und Erkenntnis im Mittelalter, Bd. I, Berlin/New York 1981, 4 5 9 - 4 6 4 . „An die Stelle der Forderung nach einer
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Daß ein Universale unmöglich Substanz sein kann, läßt sich nach Ockham leicht aufweisen, wenn man sich die Funktion der konventionell gesetzten Universalien (der Wörter) innerhalb einer Aussage vergegenwärtigt. Es besteht nämlich kein Streit darüber, daß ein Universale von vielen ausgesagt werden kann. „Mensch" etwa kann von vielen einzelnen Menschen gesagt werden („Sokrates ist ein Mensch", „Piaton ist ein Mensch" etc.). Substanzen jedoch kommen nur als einzelne vor und können deshalb nicht von vielen ausgesagt werden. Folglich kann eine Aussage nicht aus solchen — wirklich in Raum und Zeit existierenden - Einzelsubstanzen zusammengesetzt sein. Sonst rnüßte man nämlich die absurde Konsequenz zulassen, daß das Subjekt in Rom und das Prädikat in England wäre. Also können nur natürliche Intentionen oder künstliche Zeichen von vielem aussagbar, d. h. Universalien sein. Und schließlich: Eine Aussage wird entweder gedacht oder gesprochen oder geschrieben. Was aber vom Ganzen gilt, gilt auch von den Teilen; sie existieren als gedachte, gesprochene oder geschriebene. Die einzeln existierenden Substanzen aber sind nicht von dieser Art. Deshalb sind die Universalien, aus denen eine Aussage zusammengesetzt ist, auf keinerlei Weise (Einzel-)Substanzen 28 .
4. Die Supposition (I, 33, 63, 64) Unstrittig ist, daß das Universale von Vielen ausgesagt werden kann. Kann man dann auch sagen, daß das Universale Mehreres bezeichnet bzw. bedeutet (significare)? Es liegt nahe, diese Frage einfachhin zu bejahen. Um jedoch klarer zu sehen, ist der Sinn von „significare" anzugeben. Nach Ockham verstehen die Logiker diesen Ausdruck unterschiedlich (I, 33):
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Res universalis tritt bei ihm [Ockham] eine Besinnung auf die Prädikation. Und diese Besinnung ergibt, daß die Funktion der Allgemeinwörter nicht im Benennen eines (abstrakten) Gegenstandes besteht, sondern in der Fähigkeit, für mehrere Gegenstände (personal) zu supponieren" (463). — V Richter betont ebenfalls, daß der Schlüssel zu Ockhams Kritik am Universalienrealismus in der Suppositionstheorie liege (Ockham und Moderni in der Universalienfrage, in: Kluxen u. a. [Hg.] 1981 : 471-475). Im folgenden Kapitel (I, 16) führt Ockham diese Diskussion noch weiter, indem er mit zahlreichen Argumenten die These des Duns Scotus widerlegt, nach der die Universalien in gewisser Weise (nicht real, aber doch formal von den Einzeldingen verschieden) außerhalb des Geistes existieren.
4. Die Supposition (I, 33, 63, 64)
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1. Das Zeichen bezeichnet etwas, wenn es auf folgende Weise für etwas supponiert: Vermittels der Kopula („ist") wird ein bestimmter Name vom Demonstrativpronomen ausgesagt. Man sagt ζ. B. „Dieser ist weiß" und zeigt dabei auf einen weißen Menschen. Dann bezeichnet „weiß" diesen bestimmten weißen Menschen, und die Aussage ist wahr. Entsprechend bezeichnet „vernünftig" einen konkreten Menschen, wenn ich auf ihn zeige und sage „Dieser ist vernünftig". — Legt man diesen Sinn von „bezeichnen" zugrunde, dann gilt: Durch eine Veränderung der Sache verliert das Wort (oder der Begriff) sein Bezeichnetes (significatum); es bezeichnet nicht mehr das, was es vorher bezeichnete. Tritt etwa an die Stelle des weißen Menschen ein schwarzer Mensch, dann ist „weiß" in dem angegebenen Beispielsatz von seinem significatum gleichsam abgefallen. (Konsequenz: Die Aussage ist falsch.) 2. Wir sprechen von „bezeichnen", wenn ein Zeichen in einer Aussage über Vergangenes, Gegenwärtiges oder Zukünftiges für etwas supponiert; in diese Gruppe gehören auch Zeichen, die in einer wahren modalen Aussage 29 für etwas supponieren. Solche Aussagen sind ζ. B. „Der Mensch ist notwendig vernünftig", „Das Weiße kann laufen". Anders als bei den demonstrativen Aussagen (1.) verlieren Wort und Begriff ihr Bezeichnetes nicht durch Veränderung eines bestimmten Dinges. 3. In einem engeren Sinn kann man das Bezeichnete als das ansehen, was zuerst durch den ursprünglichen Begriff bzw. durch das ursprüngliche Wort bezeichnet wird. So können wir etwa sagen: „Weiß" bezeichnet die Weiße. U m nicht durch diese Redeweise zu einer irrigen Ansicht über die Universalien verleitet zu werden, muß man allerdings betonen, daß „weiß" nicht für die Weiße supponiert. — Ein anderer Beispielsatz für diese Verwendungsweise von „bedeuten" ist: „Vernünftig" (im Sinne der spezifischen Differenz) bezeichnet die erkenntnisfähige Seele. 4. Schließlich ist in einem ganz weiten Sinne der Ausdruck „bezeichnen" angebracht, „wenn irgendein Zeichen, das Teil einer Aussage oder eine Aussage oder eine Rede sein kann, etwas meint (aliquid importât), sei es ursprünglich oder an zweiter Stelle, sei es im Nominativ oder in einem anderen Fall, oder etwas zu erkennen gibt oder etwas mitbedeutet (connotai) oder auf irgendeine Weise etwas 29
Modi werden in den Aussagen durch Zusätze wie „notwendig", „möglich", „zufällig", „unmöglich" angezeigt.
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bezeichnet, sei es bejahend oder verneinend" (I, 33). Dieser weite Sinn von „bezeichnen" („bedeuten") kommt wohl dem allgemeinen Sprachgebrauch am nächsten. - Was ,negatives Bezeichnen' heißen soll, wird durch Ockhams Beispiele deutlich: „Blind" bedeutet verneinend das Sehen; „immateriell" bedeutet verneinend die Materie; „nichts" bedeutet verneinend etwas. Hält man sich an diese (logischformale) Erklärung, dann entfallen ontologische Einwände angesichts der Frage nach dem Zeichenbezug negativer Wendungen (vgl. o. S. 267). Damit ist deutlich geworden, daß das Universale auf verschiedene Weise vieles bezeichnet (und so bedeutet). Welche Bezeichnungsfunktion vorliegt - auch das ist an den Beispielen deutlich geworden kann nur entschieden werden, wenn man die Verwendung des Terminus innerhalb eines Satzganzen betrachtet. Das heißt: Signifikation und Supposition lassen sich nicht trennen; die Signifikationstheorie muß durch eine Suppositionstheorie ergänzt (oder gar abgelöst) werden. Die Supposition ist eine Eigenschaft des Terminus, die ihm nur im Zusammenhang einer Aussage (propositio) zukommt. Man kann einen weiteren und einen engeren Sinn unterscheiden (I, 63). Versteht man „Supposition" im strikten Sinne, dann muß man sie von „Appellation" (appellatio — Benennung, Name) unterscheiden. Der in der mittelalterlichen Sprachlogik gebräuchliche Begriff der appellatio betrifft den Terminus, sofern er sich auf gegenwärtig Existierendes bzw. gegenwärtig Aussagbares bezieht, gemeinhin also auf das Subjekt einer präsentischen Aussage. Ockham geht darauf nicht näher ein, weil er selbst den weiten Sinn von „Supposition" beansprucht, demgemäß nicht zwischen Supposition und Appellation unterschieden wird. „Im allgemeinen Sinne supponiert alles, was Subjekt oder Prädikat einer Aussage sein kann" (I, 63). Die Bedeutung von „Supposition" kann aber weiter präzisiert werden. Dazu geht Ockham von einer Namenerklärung aus: „Supposition" meint „Setzung für etwas anderes", „für etwas stehen" (pro alio positio, stare pro aliquo). Der supponierende Terminus steht für dasjenige, was ihn verifiziert; das ist nach Ockham die Sache selbst bzw. das auf sie hinweisende Pronomen. Damit wird das Suppositum mit dem Significatum gleichgesetzt; das, wofür ein Terminus steht, ist dasselbe, was er im eigentlichen Sinne bezeichnet. Für Ockham repräsentiert das Zeichen eben in erster Linie Einzelnes; und die
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Bedeutung erstreckt sich allein auf die bezeichneten Gegenstände (,extensionale Semantik'). Das Benennen erscheint — wie bereits in der anfänglichen Sprachreflexion bei den Griechen — als der Urakt des Sprechens. Einleuchtend erscheint die Suppositionsfunktion beim Subjekt eines Satzes. Wie aber steht es beim Prädikat, das ja auch ,für etwas steht'? Ockham erklärt: Im Satz gibt der supponierende Prädikatsausdruck an, worunter das Subjekt (bzw. ein entsprechendes Pronomen) zu subsumieren ist. Am Beispiel: Die Aussage „Der Mensch ist ein Lebewesen" gibt an, daß ein konkreter Mensch (z. B. Sokrates) wahrhaftig ein Lebewesen ist. Dann ist die Aussage „Dies ist ein Lebewesen" wahr, wenn man beim Aussprechen dieses Satzes auf Sokrates zeigt. Oder: Sage ich „Das Weiße ist ein Lebewesen", so wird damit angezeigt, daß ein bestimmtes Seiendes, das weiß ist, zugleich ein Lebewesen ist. In diesem Fall wird der Satz „Dies ist ein Lebewesen" verifiziert, wenn ich zugleich auf etwas Weißes (eben ein weißes Lebewesen) zeige. Allgemein formuliert: Der Prädikatsausdruck supponiert für eine bestimmte Sache, der das im Prädikat Genannte wirklich zukommt. Nach Ockham gilt deshalb folgende allgemeine Regel: In einer Aussage supponiert der Terminus, zumindest bei signifikativem Gebrauch, ausschließlich für dasjenige, wovon er wahrhaft ausgesagt wird. Diese Regel weist die Auffassung der Universalienrealisten (auch der ,gemäßigten', z. B. Thomas) zurück, nach der das im Prädikat Gesagte für eine allgemeine Form supponiert. Demgemäß würde in der Aussage „Sokrates ist weiß" der Terminus „weiß" für die Weiße (albedo) supponieren. Diejenigen, die eine solche Ansicht vertreten, sind nach Ockham unwissend (ignorantes); sie verfügen weder über die angemessene Sachkenntnis noch verstehen sie Aristoteles richtig. Denn der Satz „Die Weiße ist weiß" ist schlechthin falsch, wie auch immer die Termini supponieren mögen. „Weiß" supponiert nicht für eine durch den Namen bezeichnete Form, sondern eben für ein bestimmtes Seiendes, dem das Weißsein zukommt (vgl. o. S. 268). Nach diesen allgemeinen Ausführungen über die Verflechtung der Supposition mit der Signifikation (auf dem Hintergrund des Universalienproblems) kann nun die eigentliche Suppositionstheorie entfaltet werden. Deren zentrale Unterscheidung zwischen personaler, einfacher und materialer Supposition (I, 64) sei im folgenden dargelegt.
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1. Personale Supposition Suppositio personalis liegt dann vor, w e n n ein Terminus (Subjekt oder Prädikat einer Aussage) für das supponiert, was er bezeichnet. Personale Supposition betrifft also den signifikativen G e b r a u c h eines Terminus; er steht für das, w o r a u f er sich als Zeichen primär bezieht. D a b e i kann das Bezeichnete j e d o c h von unterschiedlicher Art sein, a) Es kann eine Sache sein, die außerhalb der Seele existiert, ζ. B. ,Jeder M e n s c h ist ein Lebewesen". In diesem Satz supponiert „ M e n s c h " für die einzelnen Menschen. Dieser Ausdruck wurde nämlich zur Bezeichnung der einzelnen Menschen eingesetzt; im eigentlichen Sinne bezeichnet er deshalb nicht das, was den M e n s c h e n gemeinsam zukommt. D a s Wort bezeichnet ursprünglich eben nicht ein v o m Einzelmenschen zu unterscheidendes Universale, b) D a s Bezeichnete kann ein gesprochenes Wort sein. O c k h a m s Beispiel: , Jedes gesprochene N o m e n ist ein Redeteil". Hier supponiert „ N o m e n " ausschließlich für gesprochene Wörter; es steht in personaler Supposition, weil m a n nach O c k h a m den Ausdruck „ N o m e n " zur Bezeichnung für ebendiese Lautzeichen eingesetzt hat. c) A u c h in dem Satz ,Jede A r t (species) ist etwas Allgemeines (universale)" liegt personale Supposition vor. D a s Bezeichnete ist in diesem Fall eine Intention; und die Supposition ist personal, weil „species" zur Bezeichnung dieser seelischen Intention eingesetzt wurde, d) Schließlich kann das Bezeichnete der personalen Supposition auch ein Schriftzeichen sein. , Jeder geschriebene Ausdruck (dictio scripta) ist ein Ausdruck (dictio)." D a s Satzsubjekt supponiert nur für das von ihm Bezeichnete, nämlich für geschriebene Wörter. Diese Beispiele sollen deutlich m a c h e n , daß es nicht hinreicht, von personaler Supposition zu sprechen, wenn der Terminus für eine Sache supponiert. Eine solche Auffassung, wie sie ζ. B. von W. v. Shyreswood vertreten wird, vermischt ontologische Aspekte mit zeichentheoretischen Erwägungen. O c k h a m umgeht diese Komplikation, ind e m er die personale Supposition mit dem primären Zeichengebrauch erklärt. 2. Einfache Supposition Suppositio simplex meint den nicht-signifikativen G e b r a u c h von Termini, die für Intentionen der Seele stehen, ζ. B. „ M e n s c h ist eine A r t " . In diesem Satz supponiert „ M e n s c h " für eine seelische Intention. Im eigendichen Sinne (im signifikativen Gebrauch) bezeichnet dieser Ausdruck j e d o c h nicht eine Intention der Seele („Art"), son-
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dern die einzelnen Menschen. Die einfache Supposition betrifft somit einen untergeordneten Zeichengebrauch. Auch diese Erklärung Ockhams richtet sich gegen universalienrealistische Deutungen der Supposition 30 . Für die Vertreter dieser Auffassung liegt einfache Supposition dann vor, wenn der Terminus für sein Bedeutetes (im intensionalen Sinne) supponiert. Der Streit zwischen dieser Richtung und Ockham geht eigentlich um die Frage, was primär vom Terminus bezeichnet wird, Einzelnes oder Allgemeines. Für Ockham steht fest, daß ein Terminus eingesetzt wurde, um Einzelseiendes zu bezeichnen, und daß darin seine primäre Zeichenfunktion zu sehen ist. Auf diese Weise verbindet Ockham fraglos das genetische Problem (Sprachentstehung) mit der grundlegenden Bedeutungsfunktion. 3. Materiale
Supposition
Auch die suppositio materialis betrifft einen sekundären, d.h. nichtsignifikativen Zeichengebrauch. Materiale Supposition ist nämlich dann gegeben, wenn der Terminus für ein gesprochenes oder geschriebenes Wort supponiert. Ockham führt das (seit De magistro geläufige) Beispiel an: „,Mensch' ist ein Nomen". In diesem Satz bezieht sich „Mensch" gleichsam auf sich selbst, nämlich auf das Wortgebilde; aber es bezeichnet nicht das, was es in erster Linie bedeutet (die einzelnen Menschen). Ockham drückt es so aus: „,Mensch' supponiert für sich selbst, und trotzdem bezeichnet es nicht sich selbst" (I, 64). Auch bei dem Satz „,Mensch' wird geschrieben" liegt materiale Supposition vor, wenn mit dem Terminus das Schriftzeichen gemeint ist. Die Bezeichnungen für diese verschiedenen Weisen der Supposition entnimmt Ockham der Tradition. Seine (,nominalistische') Definition der Suppositionstypen läßt aber einen Zusammenhang mit den Bezeichnungen kaum mehr erkennen. Deshalb betont Ockham eigens, daß man sich ausschließlich an seine vorgetragenen Begriffsklärungen und nicht an die Wortbedeutungen zu halten habe. „Personale Supposition" meine eben nicht, daß der Terminus für eine Person supponiere; ebensowenig supponiere der Terminus in der einfachen Supposition für etwas Einfaches oder in der materialen Supposition für die Materie. - Weiterhin weist Ockham darauf hin, daß die Unterschiede der Supposition — obwohl sie im Blick auf die 30
Man vgl. die klärenden Hinweise von P.Kunze 1984: 142-146.
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gesprochenen Worte eruiert werden — für alle Arten der Termini gelten: für die gesprochenen, die geschriebenen und die mentalen (wobei natürlich die in I, 3 ausgeführten Unterschiede zu beachten sind). — Die Relevanz einer Suppositionslehre ist bereits durch diese erste Unterscheidung deutlich geworden. Aussagen wie „Mensch ist ein Lebewesen", „Mensch ist eine Art", „Mensch ist ein einsilbiges Wort", „Mensch ist ein geschriebener Ausdruck" können allesamt wahr sein, allerdings nur dann, wenn unterschiedliche Suppositionen vorliegen. Wer diese Unterschiede nicht beachtet, kann zu Fehlschlüssen (ζ. B. dem der quaternio terminorum) verleitet werden. Ohne eine Klärung der Verwendungsweisen von Begriffen und Wörtern ist es deshalb nicht möglich, die Wahrheit des menschlichen Wissens zu sichern. — Die weitere Entfaltung der Ockhamschen Suppositionstheorie (I, 65—77), der hier nicht mehr nachzugehen ist, versucht, dieses Ziel möglichst umfassend zu realisieren31.
Die herangezogenen Erörterungen aus der Summa LogLcae haben die Grundzüge der Ockhamschen Sprachauffassung deutlich gemacht. Den Ausgangspunkt bildet die — auf Boethius zurückgeführte — Unterscheidung eines dreifachen Sinns von „Rede" (oratio): der gedachten, der gesprochenen und der geschriebenen. Von vorrangigem Interesse ist die gedachte Rede (Mentalsprache), weil sie von Natur aus auf die Sachen verweist. Die Mentalsprache ist deshalb Maßstab alles Redens und eigentlicher Gegenstand der Logik. Die gesprochene Rede, deren Redundanz oft die eigentliche Bedeutung verdeckt, soll an der Eindeutigkeit des Gedachten — d. h. an der klaren Entscheidungsmöglichkeit zwischen ,wahr' und ,falsch' — bemessen und korrigiert werden. Dieses Programm birgt allerdings ein grundsätzliches Problem, das von Ockham nicht reflektiert wird, weil es angesichts einer Tradition, in der sich der Primat des Denkens vor dem Sprechen immer mehr verfestigt hat, kaum als Problem gesehen werden 31
Im Fortgang der Untersuchung diskutiert Ockham u.a. Beispielsätze, die bereits in der überkommenen Logik als strittig gelten. Er unterscheidet zwischen dem Wortsinn der Umgangssprache (virtus sermonis) und dem wahren Sinn (sensus verus), um in Streitfallen über die Verifizierbarkeit eines Satzes entscheiden zu können. Er teilt die Supposition in weitere Unterarten ein und gibt eine Menge von Regeln an, um die unterschiedliche Verwendungsweise der Termini im Satzzusammenhang zu klären und so der Gefahr sprachlicher Irreführung zu entgehen.
4. Die Supposition (I, 33, 63, 64)
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kann: Eine mentale Sprache in dem von Ockham beanspruchten Sinne liegt nicht im Bereich menschlicher Erfahrungsmöglichkeiten; sie läßt sich nur als Hypothesis setzen. Basis dieser Setzung ist nichts anderes als die gesprochene Rede 32 . Sieht man in dieser Sprache ein unvollkommenes Instrument der Erkenntnis und Mitteilung, dann kann man versuchen, diese Unvollkommenheit durch ,Konstruktion' einer Idealsprache zu überwinden. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, daß das Resultat dieser Konstruktion nicht ein sprachunabhängiges Denken (dem auch noch der Rang des Naturhaften zugesprochen wird), sondern selbst wiederum eine Sprache ist. In Abwandlung der Wittgensteinschen Metapher aus dem Tractatus: Ockham steigt auf der Leiter der gesprochenen Sprache hinauf und versucht, sie anschließend wegzuwerfen. Dabei übersieht er, daß er nicht auf einem neuen Fundament, sondern bestenfalls auf einer anderen Leiter steht. Daß der gesprochenen Rede in Ockhams Argumentationen — gleichsam unter der Hand — eine zentrale Funktion zukommt, läßt sich an verschiedenen Stellen belegen: — Zwei Leitsätze bestimmen die Überlegungen des dritten Kapitels: 1. Jeder gesprochenen Rede entspricht eine mentale Rede im Geist. 2. Nicht alle grammatischen Kennzeichen, die den gesprochenen Wörtern eigentümlich sind, gelten für die gedachten Begriffe. Der erste Satz ist einleuchtend, wenn man gedankenloses Gerede vom eigentlichen Sprechen abheben will. Darauf zielt Ockham jedoch nicht ab. Ihm geht es — worauf der zweite Satz hinweist - um die Unterscheidung zwischen logischer Form (der mentalen Sprache) und grammatischer Form (der gesprochenen Sprache). Nun läßt sich zwar (an den Beispielsätzen „homo est albus" und „homo est alba") einleuchtend machen, daß grammatische Richtigkeit nicht mit der Wahrheit des Satzes verwechselt werden darf, daß deshalb das grammatische Genus nicht über den Wahrheitswert einer Aussage entscheidet. Ockham zieht aus solchen Beispielen jedoch die Konsequenz, daß bestimmte grammatische Kennzeichen nur für die gesprochene (bzw. geschriebene) Sprache gelten. Aber: Diejenigen grammatischen Unterschiede, die — weil relevant für Wahrheit und Falschheit - auch der mentalen Sprache zukommen müssen, sind 32
Bereits T. d. Andrés stellt fest, daß die gesprochene Sprache bei Ockham nur als ,Sprungbrett' für den ,Analogiesprung' zur inneren Sprache von Bedeutung sei: El nominalismo de Guillermo de Ockham como Filosofia del lenguaje, Madrid 1969, 282.
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doch Kennzeichen einer Grammatik, d. h. Merkmale, die nur durch eine Analyse der gesprochenen Sprache festgestellt werden können. Mit welchem Recht können sie als Eigenschaften eines natürlichen Begriffssystems, das unabhängig von einer konventionell gesetzten Sprache sein soll, deklariert werden? — Im vierzehnten Kapitel legt Ockham dar, daß die Universalien nicht als Allgemeines (Idee, Form) wirklich existieren. Sie sind vielmehr — da Intentionen der Seele - etwas Einzelnes, das nur aufgrund seiner Zeichenfunktion als Allgemeines erscheinen kann. Oder: Allgemein ist die Intention der Seele nicht, weil sie ein Allgemeines ist, sondern weil sie von Mehreren ausgesagt werden kann. Diese These ist schwer zu verstehen. Um sie verständlich zu machen, verweist Ockham zunächst auf die natürlichen Zeichen (ζ. B. auf das Lachen als Zeichen der Freude). Aber dieser Vergleich hinkt, sofern das natürliche Zeichen ja nicht das Allgemeine dessen ist, worauf es verweist (bzw. verweisen kann). Wirklich einsichtig wird die These erst durch Ockhams Hinweis auf die Bezeichnungsfunktion der ,willentlich eingesetzten' Universalien. Im Blick auf die Wörter ist uns nämlich unmittelbar einsichtig, daß sie etwas je Einzelnes sind, das aber von mehreren Dingen ausgesagt werden kann und nur in diesem Sinne allgemein ist. Auch hier also ist die Funktion der gesprochenen Sprache letztlich der Maßstab, an dem die Struktur mentaler Zeichen abgelesen wird. — Ahnlich verhält es sich bei der positiven Bestimmung des Universale im fünfzehnten Kapitel. Das Universale ist nach Ockham mit dem Erkenntnisakt gleichzusetzen. Denn das, was erklärt werden soll, ist die Suppositionsfunktion (für ein anderes stehen) bzw. die Bezeichnungsfunktion (etwas bezeichnen) des Universale. Dazu reicht — so Ockham — der Erkenntnisakt völlig aus. Auch diese ,denkökonomische' These läßt sich nur am Muster der gesprochenen Rede einsichtig machen: In der (wahren) Rede „Das ist ein Mensch" dokumentiert sich die Erkenntnis eines bestimmten Seienden, nämlich als das, was es ist. Dabei bezeichnet das Wort „Mensch" einen konkreten Menschen. Von dieser an der gesprochenen Sprache dargelegten These ausgehend, wird nun auf den analogen mentalen Akt geschlossen: Erkennen heißt nichts anderes als die Bildung eines natürlichen Zeichens (ζ. B. des Universale „Mensch"), das in der Seele ein bestimmtes Seiendes richtig ,intendiert' (supponiert oder bezeichnet).
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Diese kritischen Überlegungen wenden sich nicht gegen die Intention des Logikers, die gesprochene Sprache zu analysieren und Mehrdeutigkeiten, die zu Fehlschlüssen verleiten können, aufzudecken. Es ist ebensowenig dagegen einzuwenden, daß der Logiker eine (möglichst eindeutige) Idealsprache konzipiert. Aber darüber sollte die Leistung der gesprochenen Sprache — ihre methodische und faktische Priorität — nicht vergessen werden 33 . Dieses ,Vergessen' kann bei Ockham auch noch von einer anderen Seite her demonstriert werden. Die Trennung zwischen mentaler und gesprochener Sprache resultiert aus folgenden Überlegungen des ersten Kapitels der Summa Logicae: Die Eindrücke der Seele bzw. die Begriffe (passiones animae seu conceptus) bezeichnen die Dinge unmittelbar und auf natürliche Weise. Ihnen sind die Lautzeichen untergeordnet — aber nicht deshalb, weil die gesprochenen Worte sich zunächst auf die seelischen Eindrücke und erst durch deren Vermittlung auf die Dinge beziehen. Sondern: Auch die Lautzeichen bezeichnen unmittelbar die Dinge; sie sind nur deshalb von untergeordnetem Rang, weil sie nicht natürlich, sondern von den Menschen willkürlich gesetzt sind. — Aristotelisch ist diese Auffassung, sofern der Bezug zwischen seelischem Eindruck und Sache als natürlich (und deshalb allen Menschen gemeinsam) angesehen wird. U m auf dieser Grundlage jedoch eine mentale Sprache zu konzipieren, bedarf es weiterer Schritte. Zunächst werden — in der sich auf Aristoteles berufenden mittelalterlichen Tradition — seelischer Eindruck und Begriff gleichgesetzt. Sodann läßt sich der Begriff als Zeichen bestimmen, sofern er auf etwas anderes verweist, das in ihm erkannt wird; dazu ließen sich die Darlegungen bei Thomas von Aquin heranziehen [De ventate, vgl. o. S. 197). Dies alles wird von Ockham vorausgesetzt und kaum mehr reflektiert. Aber Ockham geht noch einen Schritt weiter: Er sieht das Wesen des Begriffs eigendich nur noch in der Zeichenfunktion, was freilich erst im Zusammenhang mit der Universaliendiskussion scharf heraustritt. 33
Bereits J. Pinborg hat festgestellt, daß das Verhältnis zwischen Mental- und Lautsprache bei Ockham nicht klar konzipiert ist. „Einerseits konnotiert (significat) die oratio vocalis nicht die entsprechende o. mentalis; beide sind nur äquivalent, insofern sie von denselben Denotata handeln. Andererseits muß die oratio vocalis eigentlich nach der Struktur der entsprechenden o. mentalis rekonstruiert werden [...]. Die Grenzen zwischen oratio mentalis und vocalis sind auch nicht immer ganz klar zu ziehen. Vielleicht, weil nicht genügend von der lateinischen Sprache abstrahiert wird" [Logik und Semantik im Mittelalter. Ein Überblick, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, 129).
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Und an dieser Stelle zeigt sich — worauf bereits mehrfach hingewiesen wurde —, daß die ,Natur' der Mentalsprache nur aufgezeigt werden kann an der ,Kunst' der Lautsprache. Eigendich wäre hier der systematische Ort, um das Verhältnis von natürlicher (physei) und gesetzter Sprache (thései) zu reflektieren und den Gegensatz zu vermitteln. Ein solcher Vermittlungsversuch bleibt bei Ockham aber aus. Ihm geht es darum, mentale und gesprochene Sprache möglichst voneinander zu trennen. Deshalb betont er — gegen Aristoteles und seinen Kommentator Boethius —, daß Lautsprache und Begriffe nicht aufeinander, sondern je auf die Sachen selbst verweisen. Man könnte darin den Versuch sehen, der in De magistro aufgedeckten regula loquendi zu folgen (vgl. o. S. 138) und dem Phänomen gerecht zu werden, daß wir uns sprechend über die Dinge (und nicht zuerst über seelische Eindrücke) verständigen. Das ist jedoch für Ockham nicht das entscheidende Motiv. Er zielt darauf ab, von dieser ,normalen' Zeichenfunktion diejenigen Lautzeichen abzuheben, „die an erster Stelle Eindrücke der Seele bzw. Begriffe meinen" (I, 1). Das heißt: Ockhams Darlegungen laufen auf die unter den Stichworten ,erste und zweite Intention' thematisierte Unterscheidung verschiedener Sprachebenen (Objekt-, Metasprache) hinaus. Das ist ja auch das Ziel der entsprechenden Darlegungen in De magistro. Auch wenn Ockham auf Augustins Defrinitateverweist, seine Überlegungen stehen den logischen Ausführungen in De magistro entschieden näher als einer theologisch-philosophischen Spekulation des inneren Wortes. Indem Ockham betont, daß die gesprochenen Wörter zuerst und im eigentlichen Sinne dasselbe bezeichnen wie die Begriffe, bezieht er Stellung in einer Streitfrage, die zu seiner Zeit heftig diskutiert wurde. Darauf hat — mit dem Hinweis auf entsprechende Bemerkungen bei Roger Bacon und Duns Scotus - A.Maurer hingewiesen 34 . Gegen die Aristoteles-Interpretation des Boethius (und die des Thomas von Aquin) betont Duns Scotus, daß unser Wissen in erster Linie nicht ein Wissen von Begriffen (oder seelischen Eindrücken) ist, sondern ein Wissen von Dingen. Begriffe entstehen nämlich erst in einem zweiten Akt der Erkenntnis: durch eine Reflexion über unser Wissen. Daraus ist nach Scotus die Konsequenz zu ziehen, daß Wörter ursprünglich nicht Begriffe, sondern wirkliche Sachverhalte bezeichnen. Soweit folgt Ockham der Argumentation des Duns Scotus. Sofern Scotus diese Auffassung jedoch mit einem Universalienrealismus verbindet, erfährt er den entschiedensten Widerspruch Ockhams. Allgemeinbegriffe sind Zeichen individueller Dinge. In der Radikalität des Individualitäts-Gedankens liegt nach Maurer die große philosophische Bedeutung Ockhams, dessen Innovationen auf dem Gebiet der Logik und Sprachphilosophie als Konsequenzen dieser ontologischen These zu begreifen seien. 34
William of Ockham on Language and Reality, in: W. Kluxen u. a. (Hg.), Sprache und Erkenntnis im Mittelalter, 2. Halbbd., Berlin/New York 1981, 795-802.
4. Die Supposition (I, 33, 63, 64)
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Die zu Beginn des Ockham-Kapitels geäußerte Vermutung, daß der den Universalienrealismus immer mehr zurückdrängende Nominalismus zu einer Aufwertung der Sprache führt, läßt sich — zumindest im Blick auf Ockham — nicht bestätigen. Der Vorrang des Denkens gegenüber der Sprache bleibt unangetastet; die Unabhängigkeit des einen vom anderen wird durch die Korrektur der aristotelischen Semantik sogar weiter verfestigt. Zwar bestimmt Ockham das Denken als mentale Rede (oratio). Aber das hat keine Auswirkung auf die prinzipielle Einschätzung der gesprochenen Rede; sie bleibt ein sekundäres Phänomen. Deshalb ist das Stichwort „Konzeptualismus" als Bezeichnung für die Position Ockhams angemessener als „Nominalismus". Im Zentrum seiner Überlegungen steht nämlich nicht der Name (als gesprochenes Wort), sondern der Begriff (conceptus), der aufgrund seines natürlichen Bezugs Garant der Wahrheit sein soll. Die Behandlung Ockhams innerhalb einer Geschichte der Sprachphilosophie wirft, ohne die Eigenständigkeit seines Ansatzes in Frage zu stellen, zugleich Licht auf die dem ausgehenden Mittelalter überhaupt eigentümliche Weise, Sprache und Wort zu thematisieren. Im Vergleich zu den historischen Anfängen ist die Antwort auf die Frage nach dem Eigentümlichen menschlicher Sprache einfacher und zugleich komplizierter geworden: einjacher, weil die Wesensbestimmung des Wortes als Zeichen fraglos geworden ist; komplizierter, weil die Aufklärung des Zeichencharakters zu subtilen Unterscheidungen und weitverzweigten Problemstellungen führt. Das bezeugen die Darlegungen zur Supposition, die ihrerseits wieder an eine Entscheidung in dem mit großem Aufwand geführten Universalienstreit gebunden sind. Charakteristisch für die Sprachuntersuchungen des Mittelalters ist auch die Lehre von den modi significandi35. M. Grabmann36 hat den systematischen Ort und die Intention dieses Lehrstücks treffend beschrieben:
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M. Heidegger kommt das Verdienst zu, die Prinzipien der Bedeutungslehre problemgeschichtlich erhellt zu haben. Heidegger versucht, diese Lehre mit systematischen Überlegungen Husserls und Lotzes in Verbindung zu bringen: Die Kategorienund Bedeutungslehre des Duns Scotus (1915), in: Gesamtausgabe, I.Abt., Bd. 1, Frankfurt/M. 1978, 189-411; vgl. besonders 304 ff. - 1922 hat M. Grabmann nachgewiesen, daß der von Heidegger thematisierte Tractatus de modis significandi nicht Duns Scotus, sondern Thomas von Erfurt zuzuschreiben ist: Die Entwicklung der mittelalterlichen Sprachlogik, in: Grabmann I, 1926: 104—146. Die geschichtliche Entwicklung der mittelalterlichen Sprachphilosophie und Sprachlogik. Ein Überblick, in: Grabmann III, 1956: 243-253.
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X. Wilhelm von O c k h a m
„Die Sprachlogik untersucht das Wort als eine dictio, als ein Wortzeichen, das etwas ausdrückt, als eine pars orationis, als Rede- und Satzteil, der in einer bestimmten Form, in einer geformten Bedeutung etwas bedeutet u n d bezeichnet. Der Verstand gibt der vox, dem Lautphänomen, eine Bedeutung. Dadurch wird die vox zur dictio. Der Verstand gibt weiter dieser dictio eine geformte Bedeutung und weist jedes Wort einer bestimmten Wortklasse zu. Dadurch wird die dictio zur pars orationis, zum Rede- und Satzteil. Der Verstand verleiht der vox somit eine doppelte ratio, eine doppelte Bestimmtheit: einmal, daß sie überhaupt eine Bedeutung hat; dadurch wird das Wort eine dictio und erhält eine significatio; sodann, daß es eine geformte Bedeutung hat, nicht bloß etwas bedeutet, sondern auch etwas mitbedeutet, nicht bloß eine significatio, sondern auch eine consignificatio hat. Diese geformte Bedeutung ist eben der modus significandi. Für diese Sprachphilosophie ist grundlegend die Dreiteilung in modi significandi, modi intelligendi und modi essendi. Die verschiedenen logischen Bedeutungsformen (modi significandi) sind bestimmt und bedingt durch die verschiedenen Formen, in denen unsere intellektuelle Erkenntnis die Wirklichkeit erfaßt und sich intentional aneignet (modi intelligendi). Diese geistigen Erkenntnisakte bilden intentional die verschiedenen Kategorien der Wirklichkeit (modi essendi) ab; die modi significandi sind der sprachliche Ausdruck der Denkinhalte und damit auch der Seinsinhalte, der Sachverhalte. Die modi significandi stehen vom Standpunkt der Universalienlehre aus auf dem Boden des Realismus" (250) 31 . Der Ausdruck „modi significandi" läßt sich bis zu Boethius zurückverfolgen 3 8 , der damit die von Aristoteles fixierte Unterscheidung zwischen Nennwort (ónoma) und Zeitwort (rhêma) verdeudicht: Beim r h ê m a wird im Unterschied zum ó n o m a nicht nur der Inhalt bezeichnet, sondern die Zeit mitbezeichnet; es liegen somit unterschiedliche Bezeichnungsweisen vor. Im 12. und 13.Jahrhundert 3 9 wird „modus significandi" zum zentralen Terminus für die Programme einer rationalen bzw. spekulativen Grammatik, die dem wissenschafdichen Anspruch auf Allgemeingültigkeit gerecht werden soll. Dieser Anspruch scheint erfüllbar, wenn die modi significandi bei allen M e n schen dieselben sind und für alle konkreten Sprachen gelten. Für die Wortkonstitution sind dann zwei Aspekte (physei — thései) zu unterscheiden. Zunächst wird ein Wort für den gemeinten Inhalt gesetzt; diese Namengebung in einer bestimmten Lautgestalt ist willkürlich (und erklärt die Verschiedenheit der Sprachen). Sodann werden — gleichsam in einer zweiten N a m e n g e b u n g - dem Wort bestimmte modi significandi zugeteilt; es wird zum N o m e n oder Verb, es nimmt verschiedene Flexionsformen an; es übernimmt unterschiedliche grammatische Funktionen. Diese modi significandi können nicht willkürlich sein, weil sie den (allen Menschen gemeinsamen) modi intelli-
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Bereits in dem Abschnitt über Ockhams Suppositionstheorie ist deutlich geworden, d a ß hier eine eigene Lehre über die modi significandi entbehrlich wird. Ockhams Ansatz einer extensionalen Semantik macht die Unterscheidung zwischen significatio (Begriffsintension) und suppositio (Begriffsextension) eigendich hinfällig. M a n vgl. zum folgenden: J. Pinborg, Art. Modus significandi, in: Hist. Wörterb. d. Philosophie 6, 68—72. — Ein reichhaltiger Überblick mit Hinweisen zur wichtigsten Literatur findet sich bei H . W. Enders, Sprachlogische Traktate des Mittelalters und der Semantikbegriff. Ein historisch-systematischer Beitrag zur Frage der semantischen Grundlegung formaler Systeme, Paderborn 1975, 37—56. D a ß sich grundlegende Hinweise zu den modi significandi (und zur suppositio) bereits bei T h o m a s von Aquin finden, belegt F. Manthey 1937: 78—86.
4. Die Supposition (I, 33, 63, 64)
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gendi entsprechen sollen, die ihrerseits wieder mit den modi essendi korrespondieren müssen, um wahre Erkenntnis zu ermöglichen. Das treibende Motiv für einen solchen Theorieansatz ist klar: Man will die Grammatik, deren Gegenstand die modi significandi sind, in den Rang einer allgemein verbindlichen Wissenschaft erheben; man will ihr dieselbe Allgemeingültigkeit zuerkennen wie der Logik, deren Gegenstand die modi intelligendi sind. Diese Versuche stehen jedoch vor kaum zu überwindenden Schwierigkeiten, wenn sie die Übereinstimmung (oder gar Identität) zwischen den Modi des Seins und den Modi des Bezeichnens darzulegen versuchen.
Die Darlegungen zur Philosophie Ockhams haben gezeigt, in welcher Weise die Auseinandersetzung über das Eigentümliche der Universalien — und in deren Folge das Problem der Signifikation und Supposition — mit sprachphilosophischen Fragestellungen zusammenhängt. Ebenso aber ist deutlich geworden, daß die Sprache eigentlich nur noch von einem logischen Interesse geleitet ist. Deshalb ist der Ausdruck „Sprachlogik" angemessener als „Sprachphilosophie". Es geht um die Begründung und Sicherung einer möglichst exakten Erkenntnis; es gilt die ungenaue und mehrdeutige Sprache mit Hilfe eines logischen Kalküls zu therapieren 40 . In dieser Hinsicht ist die Sprache zu einem vorrangigen Thema in der Philosophie des späten Mittelalters geworden. Die fundamentale Bedeutung der Sprache für die menschliche Existenz im ganzen — wie sie etwa noch in der Vielfalt sprachphilosophischer Bezüge bei Thomas von Aquin oder in der radikalen Theologie des Wortes bei Eckhart durchscheint - tritt in den Hintergrund oder wird ganz vergessen.
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Auf die zentrale Stellung der Logik für Ockhams Denken hat beispielsweise auch K. Bannach (1975: 36—42) hingewiesen; Ockham habe in seinen methodischen Reflexionen ein Mittel zur Uberwindung der Gegensätze in den Schulmeinungen gesehen.
XI. NIKOLAUS V O N KUES Präziser Name und menschliches Zeichen
Im Werk des Nikolaus von Kues lassen sich durchgängig — von den frühen Predigten (ab 1430) bis zum Compendium (1464)1 - kürzere oder ausführlichere Darlegungen zum Eigentümlichen der Sprache und des Wortes nachweisen. Diese Erörterungen stehen am Anfang ganz im Dienst der traditionellen Spekulation über Trinität und Inkarnation 2 . Nikolaus von Kues betont die Einzigartigkeit des unaussprechlichen verbum (nomen) Dei, für das die menschlichen Worte nur Gleichnisse und Abbilder sein können. Zwar sind auch hier schon ,erkenntnistheoretische' Aspekte der Wortsetzung greifbar; aber erst 1440 setzt die systematische Klärung des menschlichen Sprechens auf dem Hintergrund des Konzepts der ,belehrten Unwissenheit' ein. In diesem Zusammenhang ist die Wesensbestimmung der Sprache in Idiota de mente [Der Laie über den Geist) von besonderem Gewicht. 1. Der Aufstieg zum nomen ineffabile: Idiota de mente (1450)3 De mente ist das mittlere der drei Idiota-Bücher des Cusanus (I: Idiota de sapientia/Der Laie über die Weisheit.; III: Idiota de staticis experiment^/ 1
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Man vgl. etwa die Predigten I (In principio erat Verbum, 1430, Opera omnia X V I / 1 , Hamburgi 1970, 3 ff.) und X I ( Verbum caro factum est, 1431, Opera omnia X V I / 2 , Hamburgi 1977, 223 ff.). Von den späteren Werken sind vor allem zu nennen: De docta ignorantia (1440) I, Kap. 24; De filiamone Dà (ca. 1445), Kap. 4; De venatione sapkntiae (1463), Kap. 33. Die Hauptaspekte der frühen Wort- und Zeichenlehre hat H. G. Senger herausgearbeitet: Die Philosophie des Nikolaus von Kues vor dem Jahre 1440. Untersuchungen zur Entwicklung einer Philosophie in der Frühzeit des Nikolaus (1430—1440), Münster 1971, 90-105. Senger kommt zu folgendem Ergebnis: „Die Reflexion des Nikolaus über Wort und Sprache [...] trägt in der Frühzeit Cusanischen Denkens wie so manches andere den Stempel des Unsystematischen und Unvollständigen. Sie wird eigentlich nicht selbst Thema seines Denkens, sondern entzündet sich an theologischen Problemen, zu deren Verdeutlichung sie beispielhaft herangezogen wird" (105). Nicolai de Cusa, Opera omnia Y Hamburgi 1983. Bei Zitatbelegen werden zusätzlich die Stellen folgender Studienausgabe angeführt: Nikolaus von Kues, Philoso-
1. Der Aufstieg zum nomen ineffabile: Idiota de mente (1450)
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Der Laie über die Versuche mit der Waage). Alle drei Bücher sind in Dialogform geschrieben und verweisen somit schon formal auf die sokratisch-platonische Tradition. Gesprächspartner des Laien, der die Position der belehrten Unwissenheit (und damit der ,wahren' Philosophie des Cusanus) vertritt, ist in De sapientia und De staticis experimento ein Rhetor. In De mente tritt der Rhetor in den Hintergrund; er stellt dem Laien einen ,großen' Philosophen vor und verfolgt deren Unterhaltung meist schweigend. Äußerer Anlaß des Dialogs ist die Zusammenkunft einer großen Pilgerschar, die sich wegen des Jubeljahrs (1450) in Rom versammelt hat. Diese Gläubigen bringen den Philosophen, der vom Rhetor als Aristoteliker (Peripateticus) eingeschätzt wird, zum Staunen (admiratio). Staunenswert ist zunächst, daß diese Pilger mit all ihren individuellen Unterschieden einen Glauben bekennen. Vor allem aber ist es erstaunlich, daß die Pilger sich im Glauben an die Unsterblichkeit des Geistes ganz sicher sind. Der Philosoph hat nämlich in all seinem Streben nach Wissen noch keine befriedigende Antwort auf dieses Problem gefunden. Deshalb fragt er den Laien: „Sag also, Laie, [...] ob du eine Mutmaßung (coniectura)4 über den Geist hast" (V, 90/ III, 486). Damit ist das Thema der gesamten Unterredung angegeben. Der Laie beantwortet die Frage mit folgender Wesensbestimmung: Der Geist (mens)5 ist dasjenige, aus dem Grenze (terminus) und Maß (mensura) aller Dinge stammt. Deshalb — so der Laie weiter — müsse man „mens" wohl von „mensurare" (messen) herleiten. Diese (wissenschaftlich falsche) Etymologie, die der Philosoph für ganz unge-
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phisch-theologische Schriften, lat.-dt., 3 Bde., Wien 1964ff. (Diese Ausgabe ist in Text und Übersetzung allerdings nicht immer zuverlässig.) - Weitere dt. Ubersetzungen: Nikolaus von Cues, Der Laie über den Geist, übers, von M. Honecker u. H. Menzel-Rogner, Hamburg 1949; E.Cassirer, Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, Anhang: Nicolai Cusani liber de mente, hg. von J. Ritter, übers, von H. Cassirer, Darmstadt 6 1987 (repr. Nachdruck der 1. Aufl., Leipzig/Berlin 1927). Das ist nicht abschätzig — im Sinne einer bloßen Meinung - zu verstehen. Nach Nikolaus von Kues ist vielmehr das wahre menschliche Erkennen ,Kunst der Mutmaßung' (ars coniecturalis). Ergänzt wird diese Bestimmung durch eine terminologische Unterscheidung von „Geist" (mens) und „Seele" (anima): Der menschliche Geist ist Abbild des unendlichen götdichen Geistes. Das Abbild ist weniger vollkommen und kann deshalb eine Gemeinschaft mit dem Körper eingehen. Als das den Körper Belebende wird der Geist „Seele" genannt; ihrem Wesen nach sind Geist und Seele dasselbe.
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XI. Nikolaus von Kues
wohnlich hält 6 , ist Anlaß für eine grundsätzliche Erörterung über die Macht des Wortes und über seine Bezeichnungskraft (vis vocabuli) 7 . Der Laie gibt zunächst den ,erkenntnistheoretischen' Ausgangspunkt an: Der menschliche Verstand kann — aufgrund seines diskursiven Vorgehens, in dem jeweils das eine mit dem anderen verglichen und so bestimmt wird — die wesenhafte Wasbestimmtheit (quidditas) des Seienden grundsätzlich nicht erfassen 8 . Sind nun die Wörter durch einen Akt des Verstandes gesetzt worden („... vocabula motu rationis imposita"; Y 93/III, 488), dann ist klar, daß auch die Wörter nicht an die quidditas der Dinge heranreichen. Aus diesem Grund werden die Dinge verschieden benannt; und in der einen Sprache gibt es einen angemessenen Ausdruck (proprium vocabulum) für eine bestimmte Sache, während in einer anderen Sprache die Benennungen ungebildeter und entlegener sind („... magis barbara et remotiora vocabula"; V, 93/III, 488). In diesem Sinne weist das Wort ein Mehr oder Weniger auf; denn wir wissen nicht die genaue Bezeichnung (vocabulum praecisum). Diese Erklärung liegt scheinbar ganz auf der Linie der gängigen Sprachauffassung, die auch sogleich vom Philosophen angeführt wird: Die Unangemessenheit der Worte beruhe eben darauf, daß sie willkürlich gesetzt seien (ad placitum instituía), nämlich so, wie es dem Wortsetzer bei seinen Überlegungen gerade einfiel. Gegen diese schulgerechte Bestimmung der Sprache wendet der Laie jedoch ein, daß sie nicht tief genug dringe. Man müsse vielmehr so sagen: Wie die Dinge eine Einheit von Stoff und Form sind, so auch die Wörter, die zur Bezeichnung der Dinge verwendet werden. Einheitsstiftend ist jeweils die Form. Wenn aber die Form die Bezeichnung bedingt, dann besteht die Benennung nicht aufgrund einer Setzung, sondern von Ewigkeit her (ab aeterno). Nur deshalb kann der Sache ein passender (congruum nomen), wenn auch kein genauer (praecisum) Name beigelegt werden ÇV, 94/III, 488). 6
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Tatsächlich geht „mens" auf „memini" (sich erinnern) zurück. So ungewöhnlich, wie der Philosoph vorgibt, ist die Herleitung von „mensurare" für das Mittelalter freilich nicht. Sie findet sich z. B. auch bei Thomas; man vgl. die Anm. der Hg. zur Stelle: V, 90. „Vis vocabuli" entspricht Piatons „dynamis tön onomáton" (vgl. o. S. 47). Nikolaus von Kues bezieht seine Kenntnisse der platonischen Philosophie von Proklos. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen der Erkenntnislehre des Cusaners und derjenigen des Thomas von Aquin (man vgl. etwa o. S. 193).
1. Der Aufstieg zum nomen ineffabile: Idiota de mente (1450)
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Diese Erklärung ist dem Philosophen zunächst unbegreiflich. Nicht nur, daß sie seiner SprachaufFassung (d. h. der aristotelischen) widerspricht; fraglich ist vor allem, wie eine willkürliche Setzung und zugleich die notwendige (,ewige') Einheit von Form und Wort gedacht werden kann. Daher erläutert der Laie seine These an einem Beispiel, nämlich an der Kunstfertigkeit des Löffelschnitzens 9 . Ein Löffel wird nicht nach dem Vorbild eines anderen bereits gefertigten Löffels hergestellt; solche Art der Nachahmung betreiben nach Nikolaus von Kues die Bildhauer und Maler. (Die künstlerische Tätigkeit ist also von der göttlichen Kunst erheblich weiter entfernt als das handwerkliche Herstellen!) Vielmehr wird der Löffel geformt gemäß seiner Idee, die in unserem Geist ist. U m diese Idee sinnlich wahrnehmbar zu machen, muß ein bestimmtes Material (Holz) solange bearbeitet werden, bis das nötige Formenverhältnis (proportio debita) entstanden ist. Aus dieser Proportion strahlt die Idee des Löffels wie in einem Bild zurück. Die Einheit des Verhältnisses ermöglicht das Erscheinen des Einen (der Idee) in der Vielheit 10 . Dabei ist zu beachten: Die Wahrheit (veritas) und Genauigkeit (praecisio) des Löffelseins kann nicht vermehrt und nicht mitgeteilt werden. Die Idee wird zwar versinnlicht, jedoch durch kein einziges konkretes Exemplar in vollkommener Weise dargestellt. Diese Versinnlichung der Idee kann besser oder schlechter gelingen, aber niemals ganz genau 1 1 . Für das Problem der Wortsetzung ergibt sich aus diesem Beispiel: Das bearbeitete Holz erhält den Namen „Löffel" durch die Idee, nach der das Material geformt wird. Sofern die Form als Wesensanblick eines Seienden ausschlaggebend für die Benennung ist, gehören
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Trotz Aristoteles' entschiedenem Einspruch drängt sich - etwa auch bei T h o m a s — der Vergleich mit dem handwerklichen Herstellen immer wieder auf. - Die Darlegungen des Nikolaus von Kues, die auf diesen Vergleich folgen, belegen allerdings, daß sich seit dem Kratylos mehr gewandelt hat als die Ersetzung des Weberschiffchens durch einen Löffel. Das ist im doppelten Sinne zu verstehen: Das Einzelne ist in sich selbst vielfältig; und es gibt mehrere Einzelstücke, die die Idee darstellen. Damit wird deutlich, daß in der unscheinbar anmutenden Fertigkeit des Löffelschnitzens ein Abbild der einen götüichen Kunst greifbar wird. Nicht die bloße imitatio (des bildenden Künstlers), sondern die Versinnlichung der Idee im handwerklichen Herstellen ist im eigendichen Sinne symbolhaft (vgl. \ \ 94 f./III, 490 ff.).
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XI. Nikolaus von Kues
Name und Form untrennbar zusammen 12 . Darin liegt die natürliche Notwendigkeit der Namen, ihre (partielle) Sachangemessenheit ,νοη Ewigkeit her'. „Dennoch geschieht die Namensetzung willkürlich" („tarnen impositio nominis fit ad beneplacitum"; V, 98/III, 494). Denn es könnte auch ein anderer Name als etwa dt. „Löffel" (ζ. B. lat. „coclear") gesetzt werden 13 . Damit wird das Ziel, das der Laie — und mit ihm Nikolaus von Kues — verfolgt, deutlich. Es geht darum, den seit dem Kratylos anstehenden Gegensatz ,natürlich - willkürlich' (physei - thései) zu versöhnen. Aber trotz des Vergleichs ist die Schwierigkeit des zu erfassenden Sachverhalts nicht behoben 14 . Allerdings ist dieser Vergleich auch nur der erste Schritt zur Begründung der Sprachauffassung des Laien. In einem zweiten Schritt versucht er, die angestrebte Vermittlung von ,Natur' und ,Willkür' der Wortsetzung durch den Begriff des natürlichen Namens (nomen bzw. vocabulum naturale) weiter zu verdeutlichen: „Obwohl die Setzung des Namens willkürlich geschieht, so ist dieser [Name] dennoch nicht anders und völlig verschieden von dem natürlichen Namen, der mit der Form vereint ist. Vielmehr strahlt das natürliche Wort nach dem Hinzukommen der Form in all den verschiedenen Namen, die von den einzelnen Völkern verschieden gesetzt werden, wider" (V, 98 f./III, 494).
Dem ist zu entnehmen: In striktem Sinne mit der Form vereint sind nicht die konkreten Lautwörter, sondern die natürlichen Namen. Dieser natürliche Name eines Dinges strahlt zurück aus allen Benennungen, obwohl sie von den Menschen gesetzt werden. Die Kunst 12
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Das wird bereits in der Predigt XXIII (Domine, in lumine vultus tui, 1441) betont: Opera omnia XVT/2, 375; Schriften des Nikolaus von Cues, im Auftrage der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Predigten 1430-1441, dt. von J. Sikora u. E. Bohnenstädt, Heidelberg 1952, 402. Insgesamt steht diese Predigt in dem Teil, der die Unaussprechlichkeit des Namens Gottes behandelt, den Ausführungen von De mente sehr nahe. Weiter führt Gusanus den Vergleich nicht durch. Es wäre zu fragen, was die Angemessenheit der Proportion bei der Wortsetzung meint. Ist damit die rechte Fügung der Lautelemente zu einem Wortganzen gemeint? Oder - was Nikolaus von Kues kaum im Blick hat — ergibt sich das angemessene Formenverhältnis durch den Zusammenhang mit dem Ganzen einer konkreten Sprache? Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß die gesamte Textpassage vor erhebliche Ubersetzungs- und Interpretationsschwierigkeiten stellt. Diese Schwierigkeiten und entsprechende Lösungsvorschläge hat H. Meinhardt einleuchtend herausgearbeitet: Exaktheit und Mutmaßungscharakter der Erkenntnis, in: K.Jacobi (Hg.), Nikolaus von Kues, Freiburg/München 1979, 117 ff.
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des Wortsetzens ist eine ^symbolhafte') Versinnlichung des natürlichen Wortes. Was aber mit dem natürlichen Namen eigentlich gemeint ist, wird erst durch die sich anschließende Überlegung deutlich. Man kann die einzelnen Momente des Bezeichnungsprozesses nämlich so beschreiben: Der Verstand richtet sich auf die sinnlich wahrnehmbaren Dinge, vergleicht das eine mit dem anderen, stellt Ubereinstimmungen und Unterschiede fest; so kann er die Dinge in der ihnen eigenen Bestimmtheit erkennen. In diesem vergleichendabstrahierenden Bestimmen gibt er dem einen Ding diesen, dem anderen jenen Namen. Weil der Verstand jedoch bei diesem Verfahren nicht die Form in ihrem wahren Sein findet, ist er auf Mutmaßung und Meinung (coniectura et opinio) angewiesen. Diese Unsicherheit schlägt sich auch in der Namengebung nieder; sie zeigt ein Mehr oder Weniger an Sachangemessenheit. Die benannten Arten und Gattungen des Seienden sind folglich Verstandesdinge (entia rationis), die - weil grundsätzlich später als das sinnlich Wahrnehmbare - nicht weiter bestehen, wenn die sinnlichen Dinge zerstört sind 15 . Was der Laie hier beschreibt, ist nichts anderes als der Akt der Begriffsbildung. Das ,natürliche Wort' ist also mit dem ,Begriff gleichzusetzen. Insofern wird man im nomen naturale des Cusanus das verbum intimum Augustins (vgl. o. S. 157) oder das verbum naturale Anselms (vgl. o. S. 171) wiedererkennen. Aber das natürliche Wort wird jetzt ,nominalistisch' verstanden. Während Augustinus — worin Anselm ihm nicht widerspricht — die Sprachunabhängigkeit des inneren Wortes betont, stellt Nikolaus von Kues die Einheit von Begriffsbildung und Namensetzung heraus. Dieselbe Bewegung des Verstandes (motus rationis) setzt sowohl den Begriff als auch den Namen. Deshalb kann Nikolaus von Kues sagen: „... eine Sache ist nichts [nämlich: nicht etwas], wenn sie nicht unter eine Benennung fällt (rem nihil esse nisi ut sub vocabulo cadit)" (V, 100/III, 494). Bei 15
Die Argumentation scheint auf dem Standpunkt des Nominalismus ihr Ziel zu erreichen. Der Fortgang der Überlegungen aber wird deutlich machen, daß der Nominalismus nach Nikolaus von Kues zu kurz greift. H. Meinhardt (1979: 103 f.) vertritt die These, daß sich die Cusanische Erkenntnislehre nicht ohne die Integration des Nominalismus in sein Denken verstehen lasse; Idiota de mente gebe Antwort auf die Frage, wie sich die nominalistisch ,eingefarbte' Erkenntnislehre mit der neuplatonischen Tradition verbinden lasse. - Auf die Besonderheit der Cusanischen Position verweist auch schon E. Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Bd. I, Darmstadt 1974 (repr. Nachdruck der 3. Aufl. 1922).
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XI. Nikolaus von Kues
Nikolaus von Kues ist der natürliche Name nicht der auch ohne Sprache faßbare Begriff; das nomen naturale ist vielmehr die erschlossene notwendige Voraussetzung für die partielle Sachangemessenheit der ad placitum gesetzten Wörter. Und dieses nomen naturale ist für uns nicht anders erfahrbar als im Widerschein der konkreten Worte, die in ihrem Widerschein angemessen, aber nicht präzise sind. Indessen ist mit der Hypothesis des nomen naturale der Versuch, die gegensätzlichen Sprachansichten (physei — thései) zu vermitteln, noch nicht endgültig ans Ziel gelangt. Die bisher dargelegte Vermittlung gründet auf einem Nominalismus, dem der (Universalien-)Realismus entgegensteht. Die Realisten — so charakterisiert sie der Laie - begnügen sich nicht mit der logisch-rationalen Erkenntnis; sondern sie versuchen, die Dinge jenseits der Wortbedeutung theologisch zu erschauen — als reine Urbilder und Ideen. („Sed ibi non quiescunt, quia ratio seu logica circa imagines formarum tantum versatur, sed res ultra vim vocabuli theologice intueri conantur et ad exemplaria et ideas se convertunt"; V, 102 f./III, 496). - Die höchste Wahrheit über das Wesen der Sprache (und des menschlichen Geistes) ist deshalb nur zu erlangen, wenn auch noch der Gegensatz zwischen Nominalismus und Realismus überwunden wird. Diese Synthesis kommt nach Nikolaus von Kues in den Blick, wenn die Position des Verstandes (ratio) vom Geist überflügelt wird, um sich zum Unendlichen zu erheben. (Soweit ist den Universalienrealisten Recht zu geben.) Allen Gegensätzen zuvor existiert nämlich nur eine und einfache Form des Seins, die unbegrenzte Einheit des göttlichen Seins selbst 16 . Diese unendliche Form des Seins ist das einzig-einige Urbild, das im Einzelseienden zurückstrahlt: „... infi16
Nikolaus von Kues spielt hier auf seine Lehre vom .Zusammenfall der Gegensätze' (coincidentia oppositorum) an. Dieser zentrale Gedanke der Cusanischen Philosophie sei kurz angezeigt: Unser vergleichend-diskursives Erkennen bewegt sich in einem Mehr oder Weniger. Die höchste Wahrheit, die wir nicht erlangen können, besteht in einem Maximum an Bestimmbarkeit, das jeden Vergleich übersteigt. Als Maximum wäre die Wahrheit das schlechthin nicht mehr Vergleichbare und deshalb Schrankenlose. Dann aber muß die höchste Wahrheit auch das Minimum sein, weil sie sonst noch vergleichbar wäre; nur durch den Zusammenfall der Gegensätze verliert die höchste Wahrheit jede Vergleichbarkeit. Deshalb ist die höchste Wahrheit absolute Einheit, Einfachheit und Einzigartigkeit. Das aber sind die Prädikate des Göttlichen. - Zur näheren Bestimmung dieses Grundgedankens und zu seinen Konsequenzen für die Cusanische Philosophie vgl. K. H. VolkmannSchluck, Nicolaus Cusanus. Die Philosophie im Übergang vom Mittelalter zur Neu-
1. D e r Aufstieg zum n o m e n ineffabile: Idiota de mente (1450)
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nita forma est solum una et simplicissima, quae in omnibus rebus resplendet tamquam omnium et singulorum formabilium adaequatissimum exemplar" (\ζ 103/III, 498). Der Verstand, der den Gegensätzen notwendig verhaftet bleibt, kann dieses unendliche Sein nicht erreichen und mit keinem Wort genau benennen. Dennoch — und das wird von den ,Piatonikern' allzu leicht übersehen — hat dieser Ursprung des Seins einen Bezug zur Sprachlichkeit. Er ist Wort, nämlich Wort Gottes, das für uns unaussprechbar ist (verbum ineffabile). Dieses unaussprechbare Wort ist der präzise Name für alle Dinge. „Da das Wort Gottes die Genauigkeit der Nennbarkeit jedes Namens ist, steht fest, daß allein in diesem Wort alles und jedes gewußt werden kann" (V, 107/III, 502). Die entscheidenden Sätze, die das Verhältnis von unaussprechlichem Wort und menschlicher Sprache bestimmen, lauten: „Dieser unaussagbare N a m e strahlt in allen N a m e n auf seine Weise zurück; denn er ist die unendliche Nennbarkeit aller N a m e n (infinita nominabilitas omnium nominum) und die unendliche Möglichkeit für alles, was in der Stimme sprachlich auszudrücken ist (infinita vocabilitas o m n i u m voce expressibilium), so daß auf diese Weise jedes Wort ein Abbild (imago) des genauen N a m e n s ist" (Y 104/III, 498).
Diese Sätze zeigen an, was mit dem Aufstieg zum verbum Dei (qua verbum ineffabile qua nomen praecisum) für die Wesensbestimmung der Sprache gewonnen ist. Nikolaus von Kues begründet auf diese Weise, daß das Sein prinzipiell dem Wort und der Benennung geöffnet ist; denn das eine Sein ist zugleich das eine Wort, also Wesen und Ursprung der Sprache. Dieses Wesen der Sprache ist für den Menschen unaussprechlich; deshalb vollzieht sich all unser Sprechen auf dem Hintergrund eines Unsagbaren. Es gilt aber auch, daß unser Sprechen immer das Unaussprechliche sagt 17 . Der uns umfangende Horizont des Unaussprechlichen ist nicht die Nacht der Sprachlosigkeit, sondern das Licht des unendlichen Wortes selbst. Es ist das Licht des Wesens der Sprache, für das nach Nikolaus von Kues der Ausdruck „verbum Dei" angemessen ist. Dieses Wesen der Sprache offenbart sich in der unendlichen Möglichkeit der Benennbarkeit
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zeit, Frankfurt/M. 1957; J. Stallmach, Der „Zusammenfall der Gegensätze" und der unendliche Gott, in: K.Jacobi (Hg.) 1979: 5 6 - 7 3 . So in De filiations Dei (Die Gotteskindschafl): „Alles also, was ausgesprochen werden kann, drückt das Unsagbare nicht aus; aber j e d e Rede sagt das Unsagbare. Es ist nämlich das Eine selbst, der Vater oder Erzeuger des Wortes, all das, was in j e d e m Wort gesprochen, in j e d e m Zeichen bezeichnet wird (quod in omni verbo verbatur, sie in omni signo signatur)" ( i y 54/11, 630).
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XI. Nikolaus von Kues
und in der unendlichen Möglichkeit, etwas sprachlich auszudrücken. Das heißt: Alles, was für uns als Widerschein der unendlichen Form seiend ist, kann auch sprachlich erfaßt und ausgedrückt werden. Die Sprache ist dieser unendliche Prozeß des Nennens und Benanntwerdens, der den Menschen immer wieder vor die Aufgabe stellt, nachahmend und schöpferisch mit den Worten umzugehen. Diese unendliche Möglichkeit sprachlichen Ausdrucks ist eine der grundlegenden Weisen, in welcher der Mensch am unendlichen Sein teilhat. Der Prozeß der Verwirklichung sprachlichen Ausdrucks vollzieht sich so, daß in ihm Verstand und Wille des Menschen, Mutmaßungen und Meinungen am Werk sind. Deshalb gibt es auch eine Vielheit von Sprachen. Hier — und nicht im Blick auf das Wesen der Sprache — hat die These von der willkürlichen Setzung ihren Ort (und ihre relative Gültigkeit). „Impositio ad beneplacitum" darf nicht so verstanden werden, als könne der Mensch vollkommen beliebig mit der Sprache umgehen. Denn das eine, vollkommen präzise Wort ist nicht nur der ermöglichende Grund alles menschlichen Sprechens und Benennens; sondern er ist auch dessen oberster Maßstab. Gemessen an diesem Maßstab gibt es ein Mehr oder Weniger; es gibt auch die Möglichkeit der Verfehlung in Irrtum und Lüge. Aber es gibt eben auch (und meistens) das Gelingen sprachlichen Ausdrucks, zwar nicht mit göttlicher Präzision, aber doch in menschlicher Angemessenheit. Dieses Resultat läßt sich auf den Ausgangspunkt der sprachphilosophischen Überlegungen des Laien zurückwenden. Auch das Wort „mens", das vom Laien von „mensurare" abgeleitet wird, ist nicht präzise. Es gibt in der menschlichen Sprache überhaupt keine Bezeichnung, die nicht noch genauer sein könnte. Aber die Bezeichnung „mens" ist durchaus angemessen. Diese Angemessenheit wird durch den Hinweis auf „mensurare" deutlich 18 . Denn so werden wir ,angemessen' auf die Sache, die vom Wort intendiert ist, verwiesen. Der Verstand findet im Wort Anhaltspunkte (Mutmaßungen und Meinungen), die nicht willkürlich, sondern Abglanz der Genauigkeit 18
Man vgl. die Argumentation in De venatione sapkntiae (Die Jagd nach Wàshàt)·. Es gibt keine Namen, deren Genauigkeit nicht gesteigert werden könnte. Wenn die Bezeichnung auch niemals mit dem Wesen der Sache vollkommen übereinstimmen kann, so ist doch in den verschiedenen Bezeichnungen ein dem Menschen angemessenes Wissen hinterlegt, das er dankbar aufgreifen sollte (XII, 93ff./I, 151 ff.).
1. Der Aufstieg zum nomen ineffabile: Idiota de mente (1450)
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sind, die im göttlich-präzisen Wort eingefaltet ist. Unter diesem Gesichtspunkt wird die Frage nach einer ,wissenschaftlich' korrekten Etymologie hinfällig.
Die sprachphilosophische Reflexion des Nikolaus von Kues in Idiota de mente schöpft aus einer Fülle traditioneller Elemente: Ausgangspunkt der laienhaften' Wesensbestimmung der Sprache ist der seit dem Kratylos hinlänglich bekannte Vergleich des Benennens mit dem handwerklichen Herstellen. Das durch die Stoa erneuerte Vertrauen auf Etymologien scheint auch Nikolaus von Kues zu teilen. Die aristotelische Formel von der Setzung ,gemäß Ubereinkunft' (katà synthéken, ad placitum) wird ebenso aufgegriffen wie die von Augustinus maßgeblich beeinflußte Verbum-Spekulation innerhalb der christlichen Trinitätslehre. Vom nomen naturale ist bereits bei Anselm und von der proportio debita bereits bei Thomas die Rede (als Kennzeichen des Schönen: Summa theologiae I, q. 5, a. 4, ad 1). D e r
vielfältige Einfluß Eckharts läßt sich ohne Mühen nachweisen 19 . Aber auch der Nominalismus wird ernst genommen und in seiner (relativen) Rechtmäßigkeit anerkannt. Und dennoch: Der sprachphilosophische Entwurf des Cusanus ist (wie seine Philosophie überhaupt) weit von epigonaler Kompilation entfernt. Nikolaus von Kues greift die Fragen einer langen sprachphilosophischen Tradition auf, um sie im Rahmen eines neuen philosophischen Konzepts zu beantworten. Er stellt sich der Aufgabe, den logisch-erkenntnistheoretischen Aspekt des menschlichen Sprechens mit der theologischen Spekulation über das verbum Dei zu vermitteln — einer Aufgabe, der weder Augustinus noch Eckhart gerecht geworden sind. Der Aufstieg vom menschlichen Wort zum nomen ineffabile, wie er in Idiota de mente dargelegt wird, hat keine Parallele in der Sprachphilosophie vor Nikolaus von Kues. Er versucht mit diesem Transzensus, den Gegensatz ,willkürlich — natürlich' zu überwinden. Er legt dar, daß 19
Im einzelnen wird die Bedeutung Eckharts für die Philosophie des Cusaners aufgewiesen bei: H. Wackerzapp, Der Εΐφιφ Meister Eckharts auf die ersten philosophischen Schriften des Nikolaus von Kues (1440-1450), Münster 1962; R. Haubst, Nikolaus von Kues als Interpret und Verteidiger Meister Eckharts, in: U. Kern (Hg.), Freiheit und Gelassenheit. Meister Eckhart heute, München/Mainz 1980, 75-96. Man vgl. auch die zahlreichen Stellennachweise im Apparat der Opera omnia. - Schon ein flüchtiger Hinblick zeigt an vielen Stellen - etwa in Idiota de sapientia — den Einfluß mystischer Diktion bei Nikolaus von Kues.
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dem bloßen Verstand, der sich nicht über diesen Gegensatz erheben kann, die sprachliche Vermittlungsleistung nicht faßbar ist. Nikolaus von Kues verkennt nicht, daß die Sprache gegensätzliche Anblicke bietet. Darin liegt — wenn m a n so will — das Mysterium der Sprache, dem die belehrte Unwissenheit nachzugehen versucht. Auf diesem Weg werden Universalien-Realismus und -Idealismus in ihr Recht gesetzt und zugleich in ihre Schranken verwiesen: Der Nominalist hat darin Recht, daß er Art- und Gattungsbegriffe als Werk des menschlichen Verstandes ansieht; dabei entgeht ihm, daß sie Abbilder des einen Seins sind. Der Realist hat Recht, wenn er auf die Unvergänglichkeit des Seins pocht; er verkennt jedoch, daß es nur die einzig-eine Form des Göttlichen gibt (die dem Verstand als Vielzahl von Urbildern erscheint). Beide, Nominalismus und Realismus, bleiben — wenn sie sich absolut setzen - der Position des Verstandes verhaftet und von der Wahrheit gleich weit entfernt. In einer perspektivenreichen Interpretation hat K. 0. Apel den sprachphilosophischen Ansatz des Nikolaus von Kues gewürdigt 2 0 . Nach Apel steht der Cusaner einerseits in der Tradition der Logosmystik, für deren Sprachphilosophie das Paradoxon kennzeichnend ist, daß sich zwar der Seinsursprung der menschlichen Rede entzieht, sich als Logos jedoch in allen menschlichen Worten kundtut (vgl. o. S. 256). Bei Nikolaus von Kues finde sich zum erstenmal der Symbolgedanke, der später - in der Gegenwendung zu Aristoteles - dem idealistisch-romantischen Symbolbegriff seine besondere Note gebe (204). Andererseits finde sich bei Nikolaus von Kues die Sprachauffassung der modernen Wissenschaft vorgebildet, nämlich sowohl die nominalistische Interpretation des Wortes als auch die Vision einer exakten Sprache (200). Diese Vision ergebe sich daraus, daß die Mathematik als Modell des begrifflichen Denkens und das mathematische Zeichen als einzig angemessenes Symbol der Seinswahrheit angesehen werde. Damit komme Nikolaus von Kues zu einem Begriff von „Präzision", der nicht mehr in einer transzendenten Gottesidee, sondern in der immanenten Gesetzlichkeit des menschlichen Geistes gründet (218 f.). Wenn Nikolaus von Kues im dritten Kapitel von De mente sage, d a ß m a n die N a m e n aller Dinge wüßte, wenn m a n nur über den genauen N a m e n eines einzigen Dinges verfügen würde, dann liege darin bereits das gesamte Programm einer characteristica universalis beschlossen (221) 21 . — Auch wenn m a n der D e u t u n g Apels nicht in allen Einzelheiten zustimmen wird, so ist seine philosophische Einordnung doch ohne Einschränkung zu akzeptieren: „Wie auf fast allen
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Die Idee der Sprache bei Mcolaus von Cues, in: Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. I (1955), 200-221. Senger stimmt Apel darin zu, d a ß Nikolaus von Kues das Konzept einer exakten Sprache bereits kannte. Senger vermutet jedoch, daß Cusanus deshalb auf weitere Versuche zur Ausarbeitung einer solchen Sprache verzichtete, „weil er wußte, daß auch eine künstliche Sprache [...] nicht die Ebene rationaler Objektsprache überspringen kann, weil die Zeichen ihrerseits wieder interpretiert werden müssen" {Die Sprache der Metaphysik, in: K.Jacobi [Hg.] 1979: 99).
2. D i e Welt als Zeichen: Compendium
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Gebieten des geistigen Lebens so steht der Cusaner auch mit seiner Sprachauffassung genau im Übergangspunkt v o m Mittelalter zur Neuzeit - sein universales, überall auf Synthese dringendes Werk enthält, vielfach keimartig, fast alle jene Tendenzen n o c h einmal vereint, die in der Folgezeit scharf auseinandertretend das D e n k e n der Neuzeit bestimmen" (200).
2. Die Welt als Zeichen: Compendium22 Das Compendium ist eine späte Schrift, die Nikolaus von Kues vielleicht erst in seinem Todesjahr (1464) verfaßt hat. Die Abhandlung soll die eigene Lehre in einer knappen Übersicht darstellen. Dennoch handelt es sich nicht um eine bloße Zusammenfassung früherer Erörterungen. „Für manche Darlegungen lassen sich in den anderen Werken des Nikolaus keine genau entsprechenden Parallelen nachweisen. Daher ist das Compendium keineswegs nur retrospektiv, sondern es ist vornehmlich ein neuer Versuch, Sein und Erkennen zu deuten" (Bormann 1982: X). Ein ,neuer Versuch' ist auch die im Compendium entfaltete Zeichenlehre. Zu Beginn der Untersuchung wird — wie auch am Anfang von Idiota de mente — die generelle Begrenztheit menschlicher Erkenntnis betont. Dieser erkenntniskritische Vorbehalt ist die Konsequenz zweier Grundsätze, die nach Nikolaus von Kues nicht ernsthaft bezweifelt werden können: 1. Das Eine kann nicht Vieles (das Einzelne nicht mehrfach) sein. Erkenntnis jedoch richtet sich nicht auf die Einzigartigkeit eines Seienden, sondern auf das, was vielen gemeinsam ist. Ist das wahre Sein Eines und einzigartig, dann kann es nicht als solches erkannt werden, sondern nur in der Weise, wie es in vielem ist. 2. Das Sein geht dem Erkennen prinzipiell voran; denn eine Sache existiert, bevor sie erkannt wird. Das Sein als Bedingung alles Erkennens kann selbst nicht erkannt werden 2 3 . Folglich ist die Weise des 22
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Opera omnia X I / 3 , edidit B. Decker cuius post mortem curavit C. Bormann, H a m burgi 1964. Diesen Text bietet auch die folgende Ausgabe: Nicolai de Cusa, Compendium. (Kurze Darstellung der philosophisch-theologischen Lehren), lat.-dt., übers., mit Einl. u. A n m . hg. von B. Decker u. K. Bormann, H a m b u r g 2 1 9 8 2 . (Diese Übersetzung wird den folgenden Zitaten zugrunde gelegt.) Bei den Zitatbelegen sind wieder die Stellen der Wiener Studienausgabe nach d e m Schrägstrich vermerkt. D a ß es jenseits des Erkanntseins überhaupt noch etwas gibt, geht uns in einer geistigen Schau (visum mentale) auf. Sie ist gleichsam das Licht, das selbst nicht gesehen wird, aber Bedingung alles Sehens ist.
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Seins (modus essendi) nicht mit den Weisen des Erkennens (modi cognoscendi) zur Deckung zu bringen. Das gilt für die sinnliche Erkenntnis (sensus) ebenso wie für die Vorstellungskraft (imaginario) und den Verstand (intellectus). Was wir in allem Streben nach Erkenntnis — und bei aller Steigerung ihrer Exaktheit — erreichen können, ist nie die Sache selbst, sondern nur deren Ähnlichkeit (similitudo), deren Erkenntnisbild (species) oder Zeichen (signum). Anders formuliert: Alle Weisen des Erkennens bezeichnen nur das ihnen zugrunde liegende Sein, ohne es als solches zu erfassen. Steht es so, dann ist eine Theorie der Zeichen kein beiläufiges Thema, sondern notwendig zur Klärung des Erkennens überhaupt. Deshalb nimmt die Erörterung des Zeichens im Compendium einen breiten Raum ein. Die Erkenntnis — das gilt es angesichts ihrer kritischen Eingrenzung zu betonen (Kap. 2) — ist biologisch notwendig, nicht nur für den Menschen, sondern bereits für die Tiere. Die Lebewesen sind nämlich darauf angewiesen, die für sie zuträgliche Nahrung zu erkennen. Zur Verbesserung ihrer Lebensweise ist weiterhin notwendig, daß sie ihre Artgenossen erkennen und sich verständigen. Was aber für die Tiere gilt, gilt für den Menschen in noch höherem Maße. Er braucht vielerlei Kenntnisse, um ein gutes Leben führen zu können. Uber diese Kenntnisse werden die Mitmenschen belehrt; den Nachkommen werden sie überliefert. Für diese Wissensvermittlung sind Zeichen unabdingbar. Und weiter: Da die jeweiligen Zeichen das Sein nie hinreichend erfassen, sollte man die Erkenntnis einer Sache nicht auf ein Zeichen, sondern auf mehrere Zeichen gründen. „Soll man also auf möglichst vollkommene Weise zur Erkenntnis gelangen, so muß dies durch verschiedene Zeichen geschehen, damit man aus ihnen eine bessere Kenntnis gewinne. So wird ein sinnenfälliges Ding (sensibilis res) durch fünf sinnenfällige Zeichen besser als durch eines oder zwei erkannt" (XI 3 , 4/II, 684 ff.). Nikolaus von Kues beginnt seine Analyse des Zeichens mit der Feststellung, daß alle Zeichen sinnlich wahrnehmbar (sensibilia) sind 24 ; sie können — so die wohlbekannte Unterscheidungshinsicht (vgl. o. S. 149) — eingeteilt werden in solche, die von Natur aus, und in solche, die gemäß einer Setzung etwas bezeichnen („... aut naturaliter res désignant aut ex instituto"; XI 3 , 5/II, 686): 24
Diese traditionelle Bestimmung ist nur vorläufig. Bereits im 4. Kap. werden den sinnlichen Zeichen die Vernunftzeichen (signa intellectuales) gegenübergestellt.
2. Die Welt als Zeichen: Compendium
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1. Zu den natürlichen Rächen gehört das, wodurch ein Gegenstand der sinnlichen Wahrnehmung bezeichnet wird (das Erkenntnisbild, species). Weiterhin werden Affekte mit natürlichen Zeichen bekundet: Freude durch Lachen, Trauer durch Tränen etc. Für die natürlichen Zeichen gilt, daß wir sie unmittelbar verstehen; die Natur ist unsere Lehrmeisterin. 2. Eingesetzte Reichen sind Wörter und Schriftzeichen. Ihre Bedeutung müssen wir eigens erlernen. „Und da alle Zeichen, durch die eine Kenntnis weitergegeben werden soll, dem Lehrer und dem Schüler bekannt sein müssen, muß sich der erste Teil der Wissenschaft (prima doctrina) um die Kenntnis dieser Zeichen bemühen" (XI3, 6/II, 688). Wenn die Wörter zu den willkürlich gesetzten Zeichen gehören, deren Bedeutung allererst zu erlernen ist, dann stellt sich (fast unausweichlich) die Frage nach dem historischen Ursprung der Sprache. Nikolaus von Kues beantwortet diese Frage im dritten Kapitel: Unsere Stammeltern, Adam und Eva, wurden von Gott in vollkommener Weise erschaffen. Zur Vollkommenheit ihrer Natur (!) gehörte aber auch ein Wissen über die Bedeutung der Zeichen, mit deren Hilfe sie ihre Gedanken mitteilen und das von Gott geschenkte Wissen ihren Nachkommen überliefern konnten. So läßt sich die Mühelosigkeit, mit der Kinder sprechen lernen, erklären. „Daher sehen wir, daß die Kinder, sobald sie sprechen (fari) können, für die Kunst des Sprechens (artis dicendi) empfänglich sind, weil sie die erste und für ein gutes Leben (ad bene essendum) notwendigste Kenntnis ist" (XI3, 6/II, 688). Hat Gott die ersten Menschen vollkommen erschaffen, dann hat er ihnen auch eine vollkommene Kenntnis der Sprache verliehen. Deshalb ist die Sprache Adams nicht nur erste Sprache, sondern Ursprache. Sie muß so reich an Synonymen gewesen sein, daß alle späteren Sprachen schon in ihr enthalten waren. „Denn alle menschlichen Sprachen stammen ab von jener ersten Sprache unseres Stammvaters, das heißt des Menschen. Und wie es keine Sprache gibt, die der Mensch nicht verstünde, so würde auch Adam, der dasselbe ist wie ,Mensch', jede Sprache, die er hörte, verstehen" (XI3, 6/II, 688). Das ist nach Nikolaus von Kues mit der biblischen Uberlieferung gemeint, nach der Adam selbst die Namen gegeben hat (Gen. 2, 19 f.). Gehen alle Sprachen auf diese Ursprache zurück, dann wird kein Wort einer späteren Sprache auf ursprüngliche Weise (originaliter) gesetzt. Einzig Adam ist Wortsetzer im eigentlichen Sinne.
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Die Charakterisierung der umfassenden Ursprache Adams mag auf den ersten Blick verwunderlich sein. Sie leuchtet nach Nikolaus von Kues jedoch ein, wenn man zweierlei bedenkt: 1. Wie in der Apostelgeschichte des Neuen Testaments berichtet wird (2, 4), kann Gott mit einem Schlage die Kenntnis aller Sprachen schenken (,Pfingstwunder'). Warum sollte Adam nicht über diese Fähigkeiten verfügen, da doch auch er die Sprachengabe von Gott empfangen hat? Dieses theologische Argument wird durch ein anthropologisches' Faktum ergänzt: 2. Es gibt für den Menschen keine natürlichere und leichter zu erlernende Kunst als die des Sprechens; denn jeder, der in vollem Sinne des Wortes Mensch ist, verfügt über diese Fähigkeit. Im Blick auf die Zeichenkenntnis der ersten Menschen muß man sogar'noch einen Schritt weiter gehen. Es kann nach Nikolaus von Kues nicht bezweifelt werden, daß unsere Stammeltern bereits schreiben und lesen konnten 2 5 . Die Schrift ist nämlich den Menschen eine derart große Hilfe, daß man sie den Stammeltern nur absprechen dürfte, wenn man sie als sehr unvollkommen erschaffene Wesen ansehen würde. — Das Verhältnis der Sprache zur Schrift wird so bestimmt: Beide Fähigkeiten vermitteln zwischen Natur und Verstand (intellectus), dem Schöpfer aller menschlichen Kunst. Das Sprechen steht der Natur, das Schreiben dem Verstand näher. Daß die Kunst des Schreibens weiter von der Natur entfernt ist, belegt Nikolaus von Kues mit dem Hinweis, daß die Kinder das Schreiben erst später erlernen, nämlich dann, wenn ihr Verstand sich stärker regt. Die Nähe des Sprechens zur Natur zeigt sich darin, daß die Lebewesen danach streben, ihre Affekte durch natürliche Laute kundzutun. Diese natürlichen Anlagen nutzt der Verstand; er formt und verändert die konfusen Lautzeichen, damit die verschiedenen Bedürfnisse besser mitgeteilt werden können. Auf diese Weise hilft die Kunst des Sprechens der Natur (adiuvat naturam; XI 3 , 7/II, 690). Weil aber das gesprochene Zeichen sofort verklingt, deshalb dem Gedächtnis leicht entschwindet und weit Entfernte gar nicht erreicht, hat der Verstand mit der Kunst des Schreibens etwas Beständigeres geschaffen. Nach diesen Ausführungen zum Ursprung von Sprache und Schrift thematisiert Nikolaus von Kues (Kap. 4) die sinnlich wahr25
Die These, daß Sprache und Schrift gleichursprünglich sind, wird später wieder von G. Vico in La Scienza nuova vertreten (Opere, a cura di F. Nicolini, La letteratura italiana. Storia e testi, voi.43, Milano o.J. [1953], 389; dt.: G.B.Vico, Prinzipien einer neuen Wissenschafi über die gemeinsame Natur der Völker, übers, von V Hösle u. Ch.Jermann, Teübd. 1, Hamburg 1990, 31).
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nehmbaren Zeichen überhaupt (signa sensibilia). Sie sind für die menschliche Erkenntnis aus folgendem Grund unentbehrlich: Ist es - worauf im ersten Kapitel bereits hingewiesen wurde - einerseits unmöglich, daß der Mensch das Selbstsein der Dinge erkennt, ist aber andererseits die Erkenntnis für das Leben notwendig, dann muß es zwischen sinnenfälligem Gegenstand und Wahrnehmungsvermögen ein Mittleres geben, durch das der Gegenstand vervielfältigt und so in die Erkenntnis der Menschen gleichsam eintreten kann. Dieses Mittlere ist das Erkenntnisbild bzw. Rachen (species seu signum) des Gegenstandes. Die Erkenntnis aber ist ebenso flüchtig wie das gesprochene Wort, da sie nur solange währt, wie der Gegenstand anwesend ist. Damit die Erkenntnis bestehen bleibt, muß sie ,aufbewahrt' werden können. Das geschieht in der inneren Vorstellungskraft (in interiori phantastica virtute), die somit der Schrift vergleichbar ist. „Also sind die Zeichen der Dinge in der Vorstellungskraft Zeichen der Zeichen in den Dingen" (XI 3 , 8/II, 692). Für alle sinnlich wahrnehmbaren Zeichen gilt, daß sie zunächst ziemlich ungenau und gattungshaft, dann erst eigentümlich und gemäß der Art bestimmt sind (Kap. 5). Diesen zeitlichen Vorrang des Allgemeinen und Unbestimmten erläutert Nikolaus von Kues am Beispiel der sprachlichen Verständigung: Wenn wir von fern ein Wort vernehmen, dann scheint es zunächst nur ein Lautzeichen (signum soni) zu sein. Kommt der Sprechende näher, so hören wir, daß es sich um das Zeichen eines artikulierten Lauts (signum soni articulad) handelt. Schließlich verstehen wir es als Wortzeichen einer bestimmten Sprache (signum vocis alicuius linguae), und zuletzt wird es uns zum Zeichen eines ganz bestimmten Wortes (signum specialis verbi). Dieser Fortgang vom Allgemeinen zum Besonderen ist für all unser Erkennen charakteristisch, was uns allerdings oft verborgen bleibt, weil die einzelnen Schritte sehr schnell aufeinander folgen. — Damit ist zugleich erklärt, daß es von einem Seienden verschiedene Zeichen gibt, mit deren Hilfe wir etwas erkennen. Und da den Zeichen ein Mehr oder Weniger an Vollkommenheit eigen ist, können wir die vollkommene Erkenntnis nie erlangen. Ebensowenig kann es vom Einzelnen ein Zeichen geben. Denn das individuelle Einzelseiende läßt (als Substanz im strengen Sinne) kein Mehr und Minder zu; es ist daher nicht durch sich selbst, sondern nur durch beiläufige Eigenschaften, die durch sichtbare Zeichen vermittelt sind (per accidens in signis visibilibus), erfaßbar.
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Das sechste Kapitel unterstreicht noch einmal die ,biologische' Notwendigkeit des Erkennens: Alle Lebewesen entnehmen der sinnlich wahrnehmbaren Welt so viele Erkenntnisbilder, wie für ein gedeihliches Leben notwendig sind. Der Mensch übertrifft durch seine Verstandesbegabung alle anderen Lebewesen. Er kann kraft seines Verstandes die natürlichen Erkenntnisbilder zusammensetzen und trennen, um aus ihnen höhere Möglichkeiten der Erkenntnis und Kunst zu schaffen. Auf diese Weise - Nikolaus von Kues nimmt hier den anthropologischen Ansatz Herders und Gehlens vorweg — gleicht der Mensch die Mängel seiner körperlichen Anlagen (defectus sensuum, membrorum, infirmatum) aus. Durch lange Übung und Ausbildung kann es der Mensch dazu bringen, umfassende Erkenntnisbilder zu gewinnen, durch die er vielfältige Erscheinungen zugleich verstehen kann (Kap. 7). Ein derart umfassendes Erkenntnisbild ist ζ. B. die Bewegung, die den Wechsel des naturhaft Seienden - im Unterschied zum ,gewaltsam' Bewegten — begreiflich macht. Ein noch genaueres Erkenntnisbild fand derjenige, „der sich bemühte, aus neun Erkenntnisbildern der Prinzipien ein einziges Erkenntnisbild für die allgemeine Kunst alles Wißbaren zu gewinnen" (XI 3 , 14/11, 702) 26 . Am fruchtbarsten und erhabensten jedoch ist das eine Erkenntnisbild, das der Evangelist Johannes Wort nennt; denn in diesem Erkenntnisbild liegt alles geistig Erkennbare und alles formende Herstellen beschlossen. Ohne das Wort wird nichts verstanden, gesprochen und geschaffen. Cusanus betont — in Wendungen, die den Einfluß der Logosphilosophie Eckharts (vgl. o. S. 237 ff.) zeigen: „Es ist nämlich das Wort (verbum), ohne das nichts geworden ist noch werden kann, da es der Ausdruck (expressio) des Ausdrückenden und des Ausgedrückten ist. So ist das Sprechen (locutio) des Sprechenden und was er spricht Wort; und das Begreifen (conceptio) des Begreifenden und was er begreift, ist Wort; und das Schreiben (scriptio) des Schreibenden und was er schreibt, ist Wort; und das ErschafFen (creatio) des Erschaffenden und was er erschafft, ist Wort; und das Formen (formado) des Formenden und was er formt, ist Wort; und ganz allgemein, das Bewirken (factio) des Bewirkenden und das Bewirkte ist Wort" (XI 3 , 15/11, 704).
Die erschließende Kraft dieses Erkenntnisbildes liegt vor allem darin, daß das Wort sich selbst und zugleich alles andere sinnlich wahrnehmbar macht. Deshalb kann man es - wie der Evangelist - Licht 26
Nikolaus spielt hier auf die Ars magna et ultima des Raymundus Lullus an. Lullus ging von neun Seinsprinzipien aus und versuchte, durch methodische Kombinationen aus ihnen das gesamte Seiende und alles Wißbare abzuleiten.
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nennen; denn es macht sich selbst und das andere sichtbar. Auch der Name Gleichheit ist für dieses Wort angemessen, weil es sich zu allem in gleicher Weise verhält, sofern es allen Dingen gleichermaßen verleiht, was sie sind. Steht es so, dann kann man nach Nikolaus von Kues ein Erkenntnisbild aller Schöpfung gewinnen, wenn man die Bildung des stimmlichen Wortes (verbum vocale) analysiert. Cusanus hebt drei Aspekte hervor: 1. Das gesprochene Wort kann ohne Luft nicht hörbar werden; die Luft selbst jedoch wird von keinem unserer Sinne erfaßt. Wir nehmen die Luft nur wahr, wenn bestimmte Eigenschaften hinzutreten 2 7 : Wir sehen die farbige Luft; wir hören die tönende Luft; wir riechen die duftende Luft; wir schmecken die bittere Luft; wir fühlen die kalte oder warme Luft. — Die Luft ist also Bedingung des Hörens, als sie selbst aber nicht hörbar. Das ist auf das Erkenntnisbild (des Wortes für die Schöpfung) so anzuwenden: Alles, was wirklich sein soll (quod actu esse debet) — das Sinnliche und das Ubersinnliche - , setzt etwas voraus, das weder sinnlich noch geistig erfaßt werden kann. Als Voraussetzung alles konkreten (geformten) Seienden ist es selbst etwas Unbestimmtes, deshalb nicht erkennbar und nicht zu benennen. Dennoch hat die Tradition dieses Ungestaltete mit verschiedenen Namen belegt: hyle, Materie, Chaos, Möglichkeit, Werdenkönnen (posse fieri), Zugrundeliegendes (subiectum). 2. Mag auch die Luft zur Erzeugung des Tones notwendig sein, der Ton gehört doch nicht zum Wesen (natura) der Luft. Er bedarf zwar einer materiellen Grundlage 28 ; aber damit entsteht noch kein bestimmter Ton. Wie die Luft nicht Grund (principium) für die Formgebung des Tons, so ist überhaupt die Materie nicht Grund für die Gestaltungen des Seins. Prinzip der Gestaltung ist der Formgeber (formater). 3. Das Wort der menschlichen Sprache unterscheidet sich dadurch von der stimmlichen Verlautbarung der Tiere, daß es vom Geist (mens) geformt wird. Der Zweck dieser Wortformung liegt einzig in der Offenbarung des Geistes. Das Wort ist also die zeichenhafte 27
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D i e Luft ist ein sensibile per accidens. D e m Vergleich mit der Luft entspricht die Aristotelische Bestimmung des Lichts (phôs) und der Vergleich des Lichts mit der tätigen Vernunft (noûs poietikós): De anima II, 7; III, 5. Nikolaus von Kues macht darauf aufmerksam (wie bereits Aristoteles), daß Fische und Menschen auch im Wasser T ö n e w a h r n e h m e n können.
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Darstellung (ostensio) des Geistes; und die Mannigfaltigkeit der Worte ist nichts anderes als die verschiedenartige Offenbarung des einen Geistes. — Die Darstellung im Wort ist aber nicht nur Offenbarung für andere, sondern Selbstoffenbarung im Sinne der Selbsterkenntnis des Geistes. U m das zu verdeutlichen, greift Nikolaus von Kues die Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Wort auf: „Das Begreifen (conceptio) aber, durch das der Geist sich selbst begreift, ist das vom Geist gezeugte Wort (verbum a mente genitum), nämlich die Erkenntnis seiner selbst. Das stimmliche Wort (verbum vocale) aber ist die Offenbarung jenes geistigen Wortes" (XI 3 , 16/11, 706). Und Gusanus fügt hinzu: „Alles aber, was gesprochen werden kann, ist nichts als Wort" (ebd.). Das heißt: Alles, was der Geist offenbaren und erkennen kann, ist gebunden an zeichenhafte Darstellung. Der menschliche Geist ist Abbild des göttlichen Geistes, und die beschriebene Genesis bietet in mehrfacher Hinsicht das höchste Erkenntnisbild für die Genesis alles Seienden 29 : — Wie der menschliche Geist sich in dem von ihm gezeugten Wort selbst erkennt, so erkennt sich der göttliche Geist in dem von ihm gezeugten ewigen Wort. — Wie die vielen gesprochenen Worte vielfältige Zeichen der Offenbarungen des einen Geistes sind, so offenbart sich das unerschaffene Wort auf mannigfache zeichenhafte Weise in der Schöpfung. — Wie alles Gesprochene nichts anderes ist als Wort, so ist alles Seiende Zeichen der Offenbarung des göttlichen Wortes. — Wie das stimmliche Wort nur bestehen kann, wenn und solange der Geist es äußern will, so kann das Geschaffene nur sein, wenn und solange es der göttliche Schöpfer als Former aller Dinge will. — Wie die körperlichen Voraussetzungen der Verlautbarungen 30 auf den Zweck der Wortartikulation hingeordnet sind, so dienen alle Geschöpfe letztlich der Offenbarung des einen Wortes. Mit diesen Analogien zwischen menschlichem Geist und Schöpfergott, zwischen Lautwort und ewigem Wort Gottes hat die Zeichenlehre des Nikolaus von Kues ihren höchsten Punkt, d.h. ihr Prinzip, erreicht. Das achte und neunte Kapitel führen weitere Ana29
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Auch das dritte Kapitel von Idiota de mente legt in verschiedenen Wendungen die Analogie zwischen menschlichem und göttlichem Geist dar: V, 105 ff./III, 500 ff. Nikolaus von Kues spricht von den ,Musen'. Decker und B o r m a n n machen darauf aufmerksam, daß damit auf Luftröhre, Zunge etc. hingewiesen wird (1982: 71 Anm. 18).
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logien und Wege an, auf denen der Mensch zur vollkommenen Einsicht gelangen kann. Im achten Kapitel wird der Mensch als Kosmograph mit Gott als Schöpfer der Welt verglichen: Der Kosmograph zeichnet alles auf, was ihm die fünf Sinne von der Welt zeigen; er strebt danach, die Sinne offenzuhalten und seine Beschreibung immer genauer zu machen. Wendet er sich nun von seiner Weltkarte ab und in einer inneren Schau dem Schöpfer der Welt zu, dann entdeckt er folgende Analogie: Gott verhält sich vorgängig so zum Universum wie der Kosmograph zu seiner Karte. Diesem Menschen geht auf, daß die von ihm erstrebte Wahrheit nur Bild der eigentlichen Wahrheit ist. Zugleich jedoch sieht er seine eigene geistige Schöpferkraft als das erste und nächste Reichen (primum et propinquius signum) des höchsten Schöpfers. Ist aber der Geist das vollkommenste Zeichen des göttlichen Schöpfers, dann sind die sinnlichen Zeichen von minderem Rang. Deshalb wendet sich der Kosmograph den geistigen, einfachen und formhaften Zeichen (intelligibilia simpliciaque atque formalia signa) zu. Zwar bleibt auch für diese geistigen Zeichen das eine Sein unfaßbar; aber es leuchtet in ihnen ,wie das Licht in der Finsternis'. Das neunte Kapitel verweist auf Schwierigeres' (subtiliora), nämlich auf die verschiedenen Künste als Nachahmungen der Natur und Bilder der göttlichen Schöpfung. Auch in diesem Zusammenhang nimmt die Kunst des Sprechens (ars dicendi) wieder eine zentrale Stellung ein. Der Aufbau der Sprache dokumentiert einen Weg vom Unvollkommenen zum Vollkommenen. Aus den unterschiedlichen Lauten werden Silben, aus diesen Wörter, aus diesen die zusammenhängende Rede (oratio) gefügt. Die Rede ist das eigentlich Intendierte der menschlichen Lautgebung; „denn die Rede ist die Bezeichnung oder Definition einer Sache (rei designatio seu definido)" (XI3, 21/11, 710). So kann der Mensch aus Zeichen und Wörtern sein Wissen über die Dinge aufbauen, vergleichbar der göttlichen Schöpfung und Ordnung. Analog zur elementaren Kunst des Redens schafft der Mensch weitere Künste, in denen er die Natur nachahmt. „Wie nämlich der Geist den Laut in der Natur vorfand und dann die Kunst hinzufügte, alle Zeichen der Dinge in Lautgestalt zu setzen, so fügte er zu dem Wohlklang, den er in der Natur vorfand, im Bereich der T ö n e die Kunst der Musik hinzu, jeden Wohlklang zu bezeichnen. Das gleiche trifFt bei den übrigen Künsten zu" (XL,, 21/11, 712) 31 . 31
Ahnlich argumentiert Nikolaus von Kues in De coniecturis/Mutmaßungen II, Kap. 12. Er verweist hier auf zwei erwähnenswerte Konsequenzen, die sich aus der Einheit
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Die Entwicklung der Sprache ist aber nicht nur das Urbild für die Erfindung der Künste; sondern sie ist auch notwendig für deren Mitteilung und Überlieferung. Nikolaus von Kues hat hier (Kap. 10) vornehmlich die schrifdiche Uberlieferung im Blick; für die mündliche Belehrung gilt dies aber entsprechend: Wenn man eine Kunst erfunden hat und sie (schriftlich) weitergeben will, dann muß man die Bedeutungen der Worte genau erklären. Das geschieht durch möglichst präzise Definitionen. Sie bewirken ein Wissen, sofern sie die Ausfaltungen dessen vollziehen, was im Wort eingefaltet ist 32 . Nikolaus von Kues beschließt seine Zeichenlehre mit der folgenden ,hermeneutischen Regel': „ U n d darauf m u ß sich bei jedem Bücherstudium dein Hauptaugenmerk richten, daß du die Worterklärung (interpretationem vocabulorum) gemäß dem Geist des Schriftstellers vornimmst; und d a n n wirst du alles leicht begreifen und die Texte, die, wie du glaubtest, sich widersprachen, miteinander in Einklang bringen. D a h e r tragen die Unterscheidungen der Begriffe (distinctiones terminorum) viel zur H a r monisierung verschiedener Texte bei, vorausgesetzt, daß m a n beim Unterscheiden keinen Fehler begeht. U n d dann geht m a n weniger in die Irre, wenn m a n sich bemüht, die verschiedenen Texte auf die Gleichheit (ad aequalitatem) zurückzuführen" (XI3, 22 f./II, 714).
Der erste Teil des Compendium (Kap. 1-10, n. 1—28) gehört - wie das zweite Kapitel von Idiota de mente — zu den wichtigsten sprachphilosophischen Texten unserer Tradition. Freilich könnte es auch hier auf den ersten Blick so scheinen, als greife Nikolaus von Kues nur traditionelle Motive auf: die Bestimmung des Wortes im Zusammenhang einer Unterscheidung zwischen natürlichen und willkürlichen Zeichen (Kap. 2); die Schöpferkraft des verbum Dei im Anschluß an den Prolog des Johannes-Evangeliums; die Unterscheidung zwischen
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von Natur und Kunst in der Rede (loquela) ergeben: a) Es gibt bei der Rede Grade der Natürlichkeit bzw. Künsdichkeit; die eine Redeweise ist natürlicher, eine andere künsdicher. b) Aus dem Sprechen können der Verstand und die N a t u r eines Menschen erkannt werden (III, 127 f./II, 146). „Explicatio" und „complicado" sind Grundbegriffe der Cusanischen Philosophie; sie bestimmen das Verhältnis von Einheit und Vielheit. Gott als absolute Einheit ist die ,Einfaltung der Einfaltungen'. Die Vielheit der Dinge ist die ,Ausfaltung' der göttlichen Einheit. Der menschliche Geist ist das höchste Bild der götdichen Einfaltung; er erkennt die Dinge, indem er sie in die Einheit bringt, die er selbst ist (vgl. Idiota de mente IV), Folglich ist auch das Wort - als Produkt des menschlichen Geistes und Widerschein des verbum Dei — Abbild der göttlichen complicano.
2. Die Welt als Zeichen -.Compendium
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innerem und äußerem Wort (Kap. 7). Solche traditionellen Elemente erfahren jedoch - wie bereits bei der Würdigung von De mente erwähnt - durch ihre Integration in das Gesamtkonzept der C manischen Philosophie eine entscheidende Wandlung. Davon ist vor allem der Begriff des Neichens betroffen. Ausgangspunkt der Philosophie des Nikolaus von Kues ist die These, daß menschlich-endlicher Erkenntnis das wahrhafte In-sich-sein der Dinge verschlossen bleibt. Zwar ist Erkenntnis für das menschliche Leben unabdingbar; aber sie gelangt nur zu Bildern bzw. Zeichen. Einerseits sind diese Zeichen unvollkommen; andererseits sind sie jedoch Zeichen der Vollkommenheit und damit menschlich angemessen. Ist menschliche Erkenntnis insgesamt bild- und zeichenhaft, dann besteht kein Anlaß, das Wort als bloßes Zeichen gegenüber der Sache selbst abzuwerten 33 . Dann muß auch dem Denken kein prinzipieller Vorrang gegenüber dem Sprechen eingeräumt werden; denn beide bewegen sich in einer zeichenhaften Welt und rücken so in eine ursprüngliche Nähe. Die positive Bewertung sprachlicher Verständigung wird auch bei der Erläuterung ihres historischen Ursprungs deutlich. Zwar greift Nikolaus von Kues — ganz selbstverständlich — die biblische Uberlieferung (erste Namengebung durch Adam, Turmbau zu Babel als Grund für die Vielfalt der Sprachen) auf. Aber er setzt in entscheidenden Punkten eigene Akzente: Die Sprache wird nicht nachträglich vom Menschen - vielleicht sehr mühsam — ,erfunden'; sondern sie gehört zu seinem Wesen. Insofern hat sie einen natürlichen Ursprung. Sofern Gott jedoch der Schöpfer alles Seienden ist, gründet die Möglichkeit sprachlicher Verständigung letztlich in Gott. Ist aber die Sprache ein Bild der Vollkommenheit des Menschen, dann darf man annehmen, daß die Ursprache Adams über eine große Fülle von Ausdrucksmöglichkeiten verfügte, daß sie bereits im Keim alle späteren Sprachen in sich barg. Wenn Nikolaus von Kues (mit Gen. 2, 20) daraufhinweist, daß Adam selbst die Namen gesetzt habe, dann will er damit nicht die Willkürlichkeit der Wortsetzung betonen, sondern hervorheben, daß später keine anfängliche Namenge33
M a n könnte allerdings - analog zur platonischen Abschätzung der Kunstwerke (Abbilder von Abbildern) — noch so argumentieren, daß Worte (minderrangige) Zeichen von Zeichen sind. Solche Abwertung liegt Nikolaus von Kues fern. Das Zeichen überhaupt wird positiv bestimmt. In De non aliud./Vom Nichtanderen bestimmt er das Zeichen - freilich nicht im Blick auf die Sprache - als Anfang, Mitte und Ende des Bezeichneten, z. B. der Punkt als Zeichen der Linie (II, 552).
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XI. Nikolaus von Kues
bung mehr möglich ist. Das heißt: Wortschöpfung und sprachliche Verständigung vollziehen sich auf dem Hintergrund einer schon bestehenden Sprache. Der Gegensatz zwischen natürlichen und (willkürlich) gesetzten Zeichen ist nur von relativer Gültigkeit: Im Vergleich zu Naturlauten, über die bereits Tiere verfügen, sind die artikulierten Laute menschlicher Sprache weiter von der Natur entfernt; im Vergleich zu den Schriftzeichen sind die gesprochenen Worte naturnäher. Nicht die Entgegensetzung ,natürlich — willkürlich' ist die entscheidende Hinsicht für die Wesensbestimmung der Sprache (und der Schrift); vielmehr liegt ihr Wesen in der Vermittlung von Natur und ,Kunst'. Wie die sprachphilosophische Reflexion in De mente, so gelangt auch die Zeichenlehre des Compendium erst mit dem Erkenntnisbild des verbum Dei ins Ziel. Damit stellt sich Nikolaus von Kues in den Zusammenhang der Trinitätsspekulation von Augustinus bis Eckhart. Aber diese Tradition erfährt bei Nikolaus von Kues eine sprachphilosophische Wendung. Ausschlaggebend sind für ihn weniger die Analogien zwischen menschlichem und göttlichem Geist, zwischen göttlichem Wort und innerem Wort des Menschen (verbum mentis); sondern er blickt zuerst auf das gesprochene Wort, an dessen Bildung er den Sinn des höchsten Erkenntnisbildes erläutert. Die Analyse der Bildung des stimmlich geäußerten Wortes (verbum vocale) eröffnet die rechte Sicht, u m sich den göttlichen Schaffensprozeß näher zu bringen. D a ß die Verbum-Spekulation Fragen im Blick auf das angemessene Verständnis der menschlichen Sprache aufwirft, ist bei Augustinus, Anselm, Thomas, Eckhart deutlich geworden. Das Verdienst des Nikolaus von Kues liegt darin, daß er im Unterschied zu seinen Vorgängern diese Fragen gesehen und zu beantworten versucht hat. Die Versuche des Nikolaus von Kues, das Wesen des Wortes zu ergründen, sind durchweg geleitet von einer positiven Einschätzung der menschlichen Sprache. Das bezeugt nicht nur die These des Laien von der Angemessenheit menschlicher Wortsetzung in De mente, sondern in besonderer Weise die ausführliche Zeichenlehre des Compendium. Diese Wertschätzung sprachlicher Verständigung sieht auch in der Vielheit der Sprachen und in der Komplexität schriftlicher Uberlieferung (Kap. 10) keinen bedauernswerten Mangel, sondern die dem endlichen Menschen angemessene Weise, der Wahrheit in Bild und Zeichen nachzuforschen. Die positive Bewertung der Sprache gründet nach Nikolaus von Kues in der Wahrheit des
2. D i e Welt als Zeichen: Compendium
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Wortes Gottes. Diese Wahrheit, die im Prolog des Johannes-Evangeliums exemplarisch formuliert ist, gibt der christliche Glaube vor. Das wird auch von Nikolaus von Kues nicht in Frage gestellt; insofern steht seine Philosophie insgesamt und besonders seine Sprachphilosophie in der mittelalterlichen Tradition. Sofern jedoch die Wahrheit des ewigen Wortes für die Erkenntnis des Menschen unerreichbar bleibt und deshalb das zeichen- und bildhafte Wissen des Geistes auf sich selbst zurückgeworfen wird, kündigt sich Neues an. Indem sich die tragenden Gedanken der mittelalterlichen Philosophie bei Nikolaus von Kues gebündelt wiederfinden und in ein eigenes Konzept gebracht werden, gibt er für diese Epoche gleichsam die letzte Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Sprache. Die neuzeitliche Philosophie der Sprache wird diese Antwort nicht unverändert übernehmen können; aber sie wird sich an dem Niveau der Gusanischen Wort-Reflexionen bemessen lassen müssen.
RÜCKBLICK
Die erhaltenen Fragmente des Heraklit und des Parmenides belegen, daß das philosophische Fragen nach der Wahrheit von Anfang an auch die Sprache thematisiert. Die Abgrenzung zwischen philosophischer Erkenntnis und bloßer Meinung erschüttert ein unreflektiertes Vertrauen auf die Zuverlässigkeit sprachlicher Welterschließung und menschlicher Kommunikation. Dabei konzentriert sich die anfängliche Sprachphilosophie ganz auf das Problem der Namen bzw. der Benennungen. Das Benennen erscheint als sprachstiftender Akt schlechthin. Der Primat des Benennens bleibt auch nach der zum erstenmal von Piaton und Aristoteles herausgestellten Auszeichnung des Satzes (lògos) für die Wahrheit des Redens erhalten. Insofern entspricht die in der Genesis erzählte Namengebung durch Adam dem philosophischen Bewußtsein. Durch das Christentum erhält dieser Urakt des Sprechens seine theologische Weihe: Gottes Wort hat alles erschaffen; jegliches Seiende verdankt sein Sein der göttlichen Namengebung. Heraklits ,Einsicht' kehrt das Vertrauen der ,Meinung' auf die Wörter nicht einfach um; er betont vielmehr, daß die Namen verdekkend und erhellend zugleich sind. Das erschließt sich freilich nur demjenigen, der bereit ist, seine private Ansicht in Frage zu stellen und anderen zuzuhören. Dann wird es möglich, so zu sprechen, wie es den Sachen angemessen ist; der Weise folgt dem einig-strittigen lògos und gelangt zur wahren Ubereinstimmung (homologem). — Diese Erfahrung einer Ambivalenz der Sprache bleibt auch für die nachfolgende Sprachphilosophie bestimmend. Einerseits sind die Menschen auf Sprache angewiesen; andererseits kann das unkritische Vertrauen auf die Sprache zu Irrtum und Täuschung führen. U m diesen Fallstricken zu entgehen, scheint die Ausbildung einer formalen Logik unumgänglich zu sein. Der von Parmenides beschriebene Weg zur Wahrheit, der die Vorurteile unserer alltäglichen Ansichten entlarven will, wird in dichterischer Sprache vorgetragen; auch die erhaltenen Sprüche Heraklits verbinden poetische Sprachkraft mit ,wissenschaftlicher' Reflexion.
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Die künftigen Versuche, über das Wesen der Sprache Rechenschaft abzulegen, werden jedoch die Dichtung beiseite lassen. Die Diskussion im Kratylos ist dafür symptomatisch: Der Versuch, das Prinzip der Namengebung bei den Dichtern (Homer) zu erkunden, bleibt unbefriedigend. Zum einen behauptet Homer — mit der Überlieferung von Namen, die von den Göttern gesetzt sein sollen — etwas für die Menschen Unergründliches; zum anderen werden auch bei Homer die Kinder nur nach ihren Vorfahren benannt (Astyanax, Hektor), was eher für die Willkür als für eine Sachangemessenheit der Namen spricht. Mag auch die Dichtung bisweilen geschätzt werden (Aristoteles, Stoa), sie kann nicht der Maßstab sein für ein Streben nach Wissen, das sich an der Richtigkeit bemißt. Der Dichter setzt sich dem Verdacht aus, die vom lògos als Vorurteil diskreditierte Magie der Wörter restituieren zu wollen. Der Kratylos markiert nicht den historischen Beginn sprachphilosophischer Überlegungen; dennoch ist er in folgendem Sinne grundlegend: Zum einen ist dieser Dialog Piatons die erste (und für lange Zeit einzige) sprachphilosophische Monographie. Zum anderen werden bei der systematischen Erörterung des Problems der Wortsetzung methodische Merkmale greifbar, die auch später eine zentrale Rolle spielen werden. Das gilt z. B. für den Vergleich zwischen Wortbildner und Handwerker - mit dem Ergebnis, daß das Wort als belehrendes Werkzeug bestimmt wird. Zwar weist Aristoteles diesen Vergleich zurück - erst Nikolaus von Kues rehabilitiert ihn in der von Piaton vorgetragenen Form —; aber der Rückgriff auf das handwerkliche Herstellen wird unter anderen Vorzeichen wieder aktuell. Denn die christliche Schöpfungstheologie sieht im Schaffen des Handwerkers das angemessene Bild für die Schöpfungstat Gottes. Und diese Schöpfung ist - gemäß dem Zeugnis des Evangelisten — als Wort bzw. Sprechen Gottes zu verstehen. Im Anschluß an Augustine De trinitate formuliert Anselm die Analogie, die für alle theologischen Denker des Mittelalters maßgeblich ist: Nur dann kann etwas vernünftigerweise hergestellt werden, wenn zuvor die Form als Modell des Herzustellenden gedacht, d. h. innerlich gesprochen wird. So hat auch Gott die Schöpfung zuerst gesprochen' und diesem Wort entsprechend geschaffen. Der Überstieg dieses Vergleichs ins Metaphysische macht den von Piaton ins Feld geführten Handlungscharakter des Sprechens evident und bedingt zugleich die Einschränkung auf das innere Wort, das unabhängig ist vom lautlich artikulier-
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ten Wort. — Piatons Hinweis auf die Tätigkeit des Handwerkers bleibt allerdings in anderer Hinsicht auch für das äußere Sprechen bestimmend. Was Aristoteles an diesem Vergleich eigentlich kritisiert, ist die direkte Verknüpfung des artikulierten Lautes mit der ,Natur' bzw. mit dem ,Wesen' des Seienden, das benannt wird. Sieht man von diesem Zusammenhang ab, dann ergibt die Auffassung vom Werkzeugcharakter des Wortes auch (und gerade) innerhalb einer von Aristoteles inaugurierten Sprachauffassung einen Sinn: Das Wort als ,Symbol' bzw. ,Zeichen' ist gleichsam das Werkzeug, mit dem wir unsere seelischen Eindrücke oder Gedanken anderen Menschen mitteilen können. Das ist die These einer ,instrumentellen' Sprachauffassung, in der die Unabhängigkeit des Denkens von jeglicher Verlautbarung vorausgesetzt wird. Für das Mittelalter ist diese Einstellung geradezu selbstverständlich; aber sie erscheint bereits im Schlußteil des Kratylos als die einzige Möglichkeit, einen sicheren Weg zur Wahrheit zu finden. Vorbildfunktion hat auch der Etymologie-Teil des Kratylos — trotz der ironischen Distanzierung. Bei allen Vorbehalten wird gar nicht geleugnet, daß der Rückgang auf ursprüngliche Wortbedeutungen sacherhellend sein kann. Das macht sich nicht nur die Sprachwissenschaft, sondern auch die Philosophie zunutze. Selbst Augustinus, der in De dialéctica die etymologische Methode scharf kritisiert, mag nicht ganz darauf verzichten; in De magistro etwa erklärt er den Unterschied zwischen verbum und nomen durch Etymologien (verberare, noscere). Allerdings gelingt es erst Nikolaus von Kues {De menté), Angemessenheit und Ungenauigkeit etymologischer Herleitungen im Rahmen eines sprachphilosophischen (nicht: sprachwissenschaftlichen) Konzepts zu erklären. Als das eigentlich bewegende Problem der Sprachphilosophie stellt der Kratylos, die zeitgenössische Diskussion wahrscheinlich aufgreifend, die Alternative ,physei — nómo/thései' heraus. Im Dialog selbst fällt keine Entscheidung; aber es wird doch deuüich, daß eine Vermittlung der gegensätzlichen Positionen notwendig ist, um das Spezifische menschlichen Benennens und Sprechens zu ergründen. — Das in den Stichworten angezeigte Problem bleibt für die Folgezeit in verschiedenen Modifikationen virulent: Aristoteles bringt den Vergleich der Wörter mit den inartikulierten Lauten der Tiere ins Spiel. Tierische Lautäußerungen sind naturhaft, nicht aber das menschliche Wort. Der Blick auf die Natur (Tierlaute, eine bestimmte organische Ausstattung) verstellt nach Aristoteles die Einsicht in die Eigen-
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tümlichkeit des symbolhaften Verweisens; Bedeutung erschließt sich nur im R a h m e n menschlicher Gemeinschaft und Ubereinkunft. Demgegenüber besteht Epikur auf dem natürlichen Ursprung der Wörter: Die verschiedenen Sprachen sind nicht das Resultat unterschiedlicher Konventionen; sondern sie geben die jeweilige Natur der Völker wieder. Das gilt allerdings nur für den Sprachursprung. In den uns vertrauten Sprachen verbinden sich natürliche Abbilder mit menschlichen Setzungen. Diese Position wird in der Stoa gleichsam umgekehrt: Zwar sind alle N a m e n gesetzt (thései); die Namengeber setzten sie jedoch gemäß der physis des Seienden. Das ist die von Piaton dem Kratylos zugeschriebene Auffassung. Aber auch für die Stoiker steht außer Frage, daß der natürliche Bezug zwischen Namen und Sachen durch die geschichtliche Entwicklung der Sprachen immer mehr verdeckt wird. — Wird das Wort als Zeichen verstanden, dann läßt sich der Gegensatz zwischen ,natürlich' und ,gesetzt' auch als Unterschied zwischen natürlichen und gegebenen Zeichen beschreiben (De doctrina Christiana). Die künstlichen Zeichen verbinden ihrerseits noch einmal etwas Natürliches mit etwas Gesetztem, nämlich den Klang (sonus) mit der Bedeutung (significatio). Diese Abhebung verfestigt sich in der Spätantike zur Unterscheidung von äußerem und innerem Wort — eine Unterscheidung, die in der Trinitätsspekulation Augustine theologisch-metaphysisch gewürdigt wird. Das innere Wort ist der deudichste Spiegel des göttlichen Wortes. Im verbum Dei manifestiert sich die höchste Synthesis von ,physei' und ,thései': Es ist Ursprung alles naturhaft Seienden, das der willentlich-liebenden Setzung Gottes entspringt. D a ß darin die Synthese eines ,alten' Gegensatzes beschlossen ist, wird freilich erst von Cusanus reflektiert. — Auch Anselm stellt sich mit dem Begriff des natürlichen Wortes in die Tradition der Verbum-Spekulation. Er zeigt jedoch in seiner Untersuchung über die Wahrheit eine originelle Variante auf (die freilich nicht Schule gemacht hat): Die Wahrheit der Bezeichnung kommt der Aussage von Natur aus zu; hingegen ist die Aussage dessen, was ist, vom jeweiligen Gebrauch abhängig. Die richtige Aussage vereint diese beiden Aspekte. — T h o m a s knüpft die Synthesis zwischen der natürlichen und der künsdichen Seite des Sprechens in aristotelischen Denkbahnen. Z u m einen erklärt er in De ventate die sprachliche Belehrung als Kunst, welche (der Heilkunst vergleichbar) die Natur nachahmt. Zum anderen betont er im PerihermeneiasKommentar, daß die ex institutione bezeichnenden Wörter auf dem natürlichen Ausdrucksvermögen des Menschen beruhen. - So unter-
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schiedlich die philosophischen Positionen Eckharts und Ockhams sein mögen, sie stimmen darin überein, daß sie eine Vermitdung des ,physischen' mit dem ,thetischen' Charakter der Sprache nicht leisten. Eckharts These vom natürlichen Ursprung der Sprache (GenesisKommentar) wird in die Spekulation des Wortes nicht integriert; und Ockham ist einzig an einer natürlichen' Mentalsprache interessiert, die Garant der Wahrheit sein soll. - Ganz anders bei Nikolaus von Kues: Seine besondere Stellung für den hier behandelten Zeitraum der Sprachphilosophie ist darin zu sehen, daß er die Vermittlung des Natürlichen und des Willkürlichen in der Sprache gleichsam zum Programm macht. Sein Vergleich mit dem handwerklichen Herstellen, der Hinweis auf den natürlichen Namen, der Aufstieg zum unaussprechlichen Wort — all dies dient letztlich nur dem einen Zweck, den Vollzug des Sprechens als Synthesis von Natur und Kunst, von Sachangemessenheit und Willkür darzulegen. Die Frage nach der ,Richtigkeit der Namen' wird bereits durch Piaton durch die Frage nach der Wahrheit des Satzes ergänzt (Theaitetos, Sophistes). Diese Ergänzung schafft die Grundlage für eine lange Geschichte der Grammatik und Logik. Darin dokumentiert sich eine sprachkritische Haltung, die jedoch nicht mit einem radikalen Sprachskeptizismus (Siebter Brief) gleichzusetzen ist. Der extreme Sprachskeptizismus bleibt mit dem Makel des Selbstwiderspruchs behaftet. Der Streit über Richtigkeit und Herkunft der Namen scheint sich durch folgende Argumentation leicht beilegen zu lassen: Das Spezifische der Wörter liegt in ihrem Verweisungscharakter; sie sind Zeichen. Diese Zeichen verweisen nicht direkt auf die Dinge; sondern unmittelbar bezeichnen die Wörter die von den Dingen in der Wahrnehmung hervorgerufenen seelischen Eindrücke. Die Wortzeichen sind gesetzt,gemäß Ubereinkunft'; sie verdanken ihre Bezeichnungskraft menschlichen Konventionen und (mehr oder weniger) willkürlichen Festlegungen. Auf diese Weise ist sowohl die Verschiedenheit der menschlichen Sprachen als auch der Unterschied zwischen artikulierten und unartikulierten Lauten zu erklären. Und weiter: Da die Sprache als System von Zeichen menschlicher Setzung entspringt, ist sie unvollkommen und mögliche Quelle von Irrtümern. Sofern jedoch der Mensch ein Wesen der Gemeinschaft ist, kann er auf die Sprache nicht verzichten. Sie ist das vorrangige Kommunikationsmittel und für ein gedeihliches Zusammenleben unentbehrlich. Des-
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halb gilt es, sprachlich bedingte Irrtümer auszuschalten; das ist Aufgabe einer logischen Analyse des Seienden und der Sprache. - Die Herausbildung und Entwicklung dieser (hier grob skizzierten) Sprachauffassung bestimmt im wesentlichen den geschichtlichen Gang der Sprachphilosophie. Aristoteles nimmt dabei eine Schlüsselposition ein. Mag für ihn selbst die erschließende Kraft des légein und die Entsprechung von lògos und ón auch außer Frage stehen — mit der Bestimmung des Wortes als ,Symbol', das sich nicht direkt auf die Dinge bezieht, und mit der Zuordnung der philosophischen Sprachbetrachtung in den Bereich der Logik werden die entscheidenden Schritte getan zugunsten einer Auffassung, die das Denken vom Sprechen emanzipieren will. Die Entscheidung für die Wesensbestimmung der Sprache im Sinne eines instrumentell-konventionalistischen Zeichensystems bleibt jedoch ambivalent: Einerseits gewinnt die logische Analyse der Sprache subtile Einsichten in die Funktionsweisen eines Zeichensystems. Andererseits ist dieser Zuwachs an Genauigkeit von einer Blindheit gegenüber der Fülle sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten und vom Vergessen der ursprünglich poetischen Kraft der Sprache bedroht. Allerdings erliegt die Philosophie dieser Gefahr nicht vollständig, nämlich dann nicht, wenn ihr — trotz der selbstverständlichen' Gleichsetzung von Wort und Zeichen — das Wesen und der Ursprung der Sprache frag-würdig bleiben. Das bezeugt die mittelalterliche Sprach-Metaphysik qua Wort-Theologie. Auf ihrem Hintergrund offenbart sich die Unzulänglichkeit einer Sprachauffassung im Sinne eines Zeichensystems. Die Sprachphilosophie der Stoa greift sowohl platonische als auch aristotelische Motive auf. Einerseits versucht man durch Differenzierungen der etymologischen Methode die These von der natürlichen Wortrichtigkeit zu rehabilitieren. Andererseits schenkt man dem von Aristoteles betonten vermittelten Bezug zwischen Wort und Sache besondere Beachtung, indem man den Begriff des lektón prägt und damit auf die Besonderheit der Bedeutungsebene verweist. Leider erlauben die erhaltenen Quellen keine sichere Einschätzung der für die Stoa spezifischen Lektón-Lehre. Vor allem muß offenbleiben, ob die aristotelische Position nur in neuem (terminologischen) Gewand auftritt oder ob bereits moderne Theorieansätze (Frege) antizipiert werden. Nicht zu bezweifeln hingegen ist die große Bedeutung der Stoa für die Entwicklung der Grammatik und der Logik.
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Augustinus markiert den Übergang von der Spätantike zum Mittelalter. Wie es auch um Einzelheiten (ζ. B. Übernahme des lektón) bestellt sein mag, vor allem in De dialéctica ist der Einfluß stoischen Lehrguts nicht zu leugnen. Systematischer Ausgangspunkt für Augustine Sprachanalyse ist die Bestimmung des Wortes als Zeichen. Auf dieser Grundlage versucht er, die Strukturen des menschlichen Verständigungsprozesses zu erhellen, etwa durch die Unterscheidung zwischen Klangkörper (verbum qua sonus), Sagbarem (dicibile) und Gesagtem (dictio). Mit solchen Überlegungen soll die ,Kunst des Disputierens' auf eine solide Grundlage gestellt und die Bedrohung der Wahrheitssuche durch die ,Macht der Wörter' vermieden werden. Das ist auch das Leitmotiv für De magistro. Der bereits in De dialéctica anklingende Unterschied zwischen ,Objekt-' und ,Metasprache' wird hier breit ausgeführt, zugleich aber als bloßes Vorspiel für den Aufweis folgender These charakterisiert: Strenggenommen können wir durch Wörter nicht belehrt werden; sie können uns höchstens veranlassen, etwas selbständig zu erlernen oder uns an früher Erfahrenes zu erinnern. Maßgebend für unser Wissen sind allein die sinnliche Wahrnehmung und das innere Licht. Der in De magistro verkündigte Sprachskeptizismus ist ebenso radikal und fragwürdig wie derjenige, der unter Piatons Namen im Siebten Brief überliefert ist. Trotz aller Vorbehalte und Zweifel an der Zuverlässigkeit der Wörter kann der Mensch auf die Sprache nicht verzichten. Der chrisdiche Theologe hat zu akzeptieren, daß Gott sich auch in Worten offenbart hat und daß die Offenbarung zu verkündigen ist (De doctrina Christiana). Zumindest für den Bereich des Glaubens muß deshalb dem Sprechen (und Beten) eine gewisse Würde zuerkannt werden. Dennoch bleibt der kritische Impetus bei Augustinus vorherrschend: Es bedarf bestimmter Anweisungen auf der Grundlage zeichentheoretischer Erwägungen, um die Heilige Schrift angemessen verstehen zu können. Auch das Sprechen des Gläubigen bleibt prinzipiell hinter dem Denken zurück. Belehrung durch Wort und Schrift sind nur erste Stützen, deren der wahrhaft Glaubende, Hoffende, Liebende nicht mehr bedarf. Eine uneingeschränkt positive Bestimmung des Wortes wird erst durch den Prolog des Johannes-Evangeliums unumgänglich. Die Entscheidung für „verbum" als Übersetzungswort des griechischen „lògos", verbunden mit der Gleichsetzung von „Gott-Sohn" und „Wort", erfordert eine theologische Metaphysik des Wortes, die mit der kritischen Abwertung des menschlichen Sprechens in Wider-
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spruch zu geraten droht. Zwar versucht Augustinus - maßgeblich für eine lange Tradition - , diese Spannung durch die scharfe Abgrenzung der Bedeutung (significatio) vom Klang (sonus), des inneren Wortes vom äußeren Wort, aufzulösen. Aber dennoch bleibt die Verbum-Spekulation gleichsam das beunruhigende Moment der ,konventionellen' Sprachauffassung. So zeigen sich bei Augustinus die Themenbereiche, in denen die Philosophie des Mittelalters das Thema „Sprache" aufgreift: Erkenntnislehre und Logik; Belehrung und christliche Verkündigung; Trinität, Schöpfung und Inkarnation. Offensichtlich ist der mittelalterlichen Philosophie wenig daran gelegen, die Sprachbetrachtung im Horizont der genannten Themenbereiche zu einer systematischen Sprachphilosophie zusammenzufassen. Anselm von Canterbury etwa thematisiert im Monologion das Sprechen Gottes als höchste Ursache alles Entstehens und Erkennens. Grundlage dieser Erörterung ist die von Augustinus übernommene Unterscheidung eines dreifachen Sinnes von „Wort", die auch im Proslogion herangezogen wird, um einen Einwand gegen das ontologische Argument zu widerlegen. De grammatico behandelt ein Sonderproblem der Logik (Paronymie) und stößt dabei auf die Differenz zwischen Bezeichnungs- und Benennungsfunktion des Wortes. De ventate schließlich unterscheidet einen zweifachen Sinn von Wahrheit bei der Aussage. Hier böte sich die Gelegenheit, theologische und logische Aspekte der Sprache zu verknüpfen: Die Wahrheit der Rede (veritas significationis) ist grundlegend für alle Wahrheit, weil das Seiende insgesamt vom Wort geschaffen ist. Dies im einzelnen aufzuschlüsseln, sieht Anselm jedoch nicht als seine Aufgabe an. Das Verhältnis von logischem und normalem Sprachgebrauch, von grammatischen und realen Formen, von menschlichem und götüichem Wort — all dies klingt an, wird aber nicht grundsätzlich geklärt. Thomas von Aquin gibt an vielen Stellen seiner Werke kürzere oder ausführlichere Hinweise zum Wesen des Wortes und der Sprache. Besonders aufschlußreich sind die Darlegungen in den Quaestiones disputatae de ventate. Während das in Quaestio 4 Verhandelte (Wort Gottes, Wort des Herzens etc.) noch ganz den von Augustinus eröffneten Bahnen folgt, wird in den Quaestiones 9 und 11 die Position Augustins in entscheidenden Punkten kritisiert: Erleuchtung ist nicht sprachlose Schau (des Sinnlichen oder Übersinnlichen), sondern auf
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die Vermittlung von Zeichen — vor allem auf Worte — angewiesen. Das gilt auch für die Belehrung des Schülers durch den Lehrer. Die sprachliche Belehrung gibt nicht bloß einen Anstoß; sondern sie ahmt als Kunst den natürlichen Erkenntnisprozeß nach. Thomas kommt zu dem Resultat, daß die Worte des Lehrers — weit entfernt davon, bloßer Notbehelf einer unmündigen Vernunft zu sein - einen engeren Bezug zum Wissen haben als das sinnlich Wahrgenommene. Daß wir durch Worte belehrt werden, ist gar nicht ernsthaft zu bezweifeln. Bietet De ventate eine weitgehend geschlossene Wesensbestimmung des Wortes, so verweist die Summa theologiae an vielen Stellen auf die mannigfaltigen Aspekte menschlichen Sprechens. Das Problem der Benennbarkeit Gottes wird ebenso thematisiert wie die Sprachengabe der Apostel. Der dreifache Sinn von „Wort" wird ebenso dargelegt wie die dreifache Funktion des Sprechens (Aussage, Verursachung, Ausdruck). Die Rolle der Rhetorik für die Verkündigung des Glaubens wird ebenso behandelt wie der Mißbrauch der Sprache durch Beschimpfung, Lüge etc. Aber all dies erwähnt Thomas nur, weil es der Klärung theologischer Probleme dient. Die Sprache als solche ist auch für ihn nicht so wichtig, daß er ihr eine eigene Quaestio widmen würde. Deshalb sind die einzelnen Hinweise kaum in eine systematische Sprachphilosophie zu integrieren. So entschieden Thomas die Abwertung sprachlicher Belehrung in Augustine De magistro zurückweist, so entschieden folgt er der Autorität Augustine im Bereich der Verbum-Spekulation. Das belegen Thomas' kommentierende Vorlesungen zum Johannes-Evangelium. Der unangefochtenen Autorität Augustine für die Metaphysik des Wortes entspricht auf seiten der ,Logik' des Wortes die Autorität des Aristoteles. Dafür ist der Kommentar zu De interpretatione der deudichste Beleg. Der Versuch, diese beiden Traditionsstränge als gleichberechtigt anzuerkennen und miteinander zu versöhnen, bleibt jedoch brüchig. In subtilen Analysen weist Thomas die Begrenztheit vom Zeichencharakter des Wortes auf; aber er ist nicht bereit, diese Grenze zu überschreiten. Meister Eckhart ist der Philosoph des göttlichen Wortes. ,Gott ist das Wort, und durch das Wort ist alles geworfen'. Das ist der Anfangsund Endpunkt des Eckhartschen Denkens. Der Mensch ist aufs innigste mit dem schaffenden Wort Gottes verbunden — aber nicht als Sprechender, sondern als Schweigender. Denn der Mensch ist nur
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dann für die göttliche Wahrheit offen, wenn äußere und innere Worte verstummen. Hierin liegt der sachliche Grund für Eckharts Enthaltsamkeit gegenüber ausführlichen Analysen des menschlichen Sprechens. - Wie aber kann das Schweigen des Mystikers mit dem Reden des Predigers harmonieren? Dieser Frage stellt sich Eckhart nicht als Sprachphilosoph, sondern als Sprachschöpfer. Er weiß um die sinnbildstiftende Kraft der Sprache und macht sie sich in virtuoser Weise zunutze. Aber diese in der Praxis bezeugte Hochschätzung der Sprache wird nicht von einer Theorie eingeholt. Sofern Eckhart jedoch die universelle Potenz des ursprünglichen Wortes hervorhebt und eine entsprechende Sprachreflexion als Aufgabe sichtbar werden läßt, sollte er in einer Geschichte der Sprachphilosophie seinen Platz haben. Der Metaphysik des Wortes bei Eckhart steht die Logik des Wortes bei Wilhelm von Ockham gegenüber. Ockham versucht, die Wahrheit des Erkennens auf die Eindeutigkeit der Logik zu gründen. Resultat seiner Konstruktion soll das eigentlich Natürliche sein: eine Mentalsprache, die naturaliter — und nicht ex institutione — auf die Sachen verweist. Das Dilemma eines solchen Programms ist nicht zu übersehen: Die Hypothese einer Mentalsprache kann nur auf der Basis der gesprochenen Sprache Realität gewinnen. Die Eindeutigkeit der Logik ist das Resultat von Abstraktionen, die nicht zum sprachunabhängigen Denken führen, sondern zu einer Idealsprache. Dieser Fundierungszusammenhang bleibt bei Ockham verdeckt. Für ihn ist die Logik nicht bloße Propädeutik, sondern Erste Philosophie. Man mag hierin die ,Modernität' Ockhams sehen; sein Ansatz ist deshalb nicht weniger problematisch. Ockhams Philosophie macht die enge Verknüpfung des Universalienproblems mit der Sprach- und Erkenntnislehre deudich. Auch Nikolaus von Kues berücksichtigt diesen Problemzusammenhang. Die Argumentation in Idiota de mente scheint zunächst auf eine nominalistische Position hinauszulaufen: Mit dem nomen naturale kommt die begriffsbildende Tätigkeit des Verstandes ans Ziel. Für Nikolaus von Kues ist damit jedoch das Wesen der Sprache noch nicht zureichend erfaßt. U m den Ursprung des Wortes zu ergründen, ist der Standpunkt des Verstandes vom Geist zu transzendieren. Erst dann leuchtet die allen Gegensätzen vorausliegende einfache Form des Seins auf, die zugleich das eine göttliche Wort ist. Das götüiche Wort bleibt
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zwar für unser endliches Erkennen unerreichbar; aber die Hypothesis dieser ,Idee' der Sprache rechtfertigt unser Vertrauen auf die Benennbarkeit des Seienden und auf das Gelingen sprachlichen Ausdrucks. Auch die Zeichenlehre des Compendium steigt auf zum verbum Dei als dem höchsten Erkenntnisbild. Das göttliche Wort ist ermöglichender Grund alles Schaffens, Verstehens und Sprechens. An der Bildung des stimmlichen Wortes läßt sich die Wirkweise des göttlichen Wortes ablesen. Achtet man auf das Sprechen, dann leuchtet der menschliche Geist als höchstes Abbild des göttlichen Geistes auf: Im Wort erkennt sich der Geist, und die vielen Worte sind unterschiedliche Offenbarungen des einen Geistes. Der sich in Worten manifestierende Geist entspricht dem das All schaffenden Wort Gottes, und dem Aufbau der göttlichen Ordnung korrespondiert der Aufbau der Sprache, sofern sie vom Unvollkommenen zum Vollkommenen fortschreitet. Auf diese Weise legt Nikolaus von Kues in verschiedenen Wendungen ausdrücklich dar, was bereits bei Augustinus angelegt ist: Die Lehre vom Wort Gottes wertet das menschliche Sprechen auf. Die theologische Metaphysik des Wortes birgt die Möglichkeit, die große Bedeutung der Sprache für das menschliche Sein und Erkennen zu offenbaren. Letztlich ist es also eine Glaubenswahrheit, die der Abwertung der Sprache — sofern sie am logischen Exaktheitsideal bemessen wird - entgegensteht. Wie wandelt sich die Frage nach dem Wesen der Sprache, wenn diese Glaubenswahrheit ihre Verbindlichkeit für das Denken verliert? Dieser Frage hat die Rekonstruktion der neuzeitlichen Sprachphilosophie nachzugehen.
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NAMENREGISTER
Ackrill, J. L. 72, 77, 82, 85-88, 94 Alexander von Aphrodisias 233 Ammonios 11, 24, 80, 89, 116, 129, 233 Anaxagoras 38 Andrés, T. de 285 Anselm von Canterbury 168-188; 192, 210, 235, 252, 255, 262, 297, 301, 314, 317, 319, 323 Antisthenes 27 Apel, K.-0. 256 f , 302 Apollodoros 106 Archedemos 105, 108 Arnim, H. v. 104, 122 Aristón 123 Aristoteles 71-103; 11, 24f., 27,66, 111, 113-116, 118ÍF, 123 f., 127, 129, 132, 143 f., 154, 156, 177 f., 182, 200, 203, 215, 217, 223, 227-234, 239, 257, 260-264, 267, 275 ff., 281, 287 f., 290, 295, 302, 309, 316ff, 321, 324 Augustinus 125-167; 111, 116f., 121, 124, 168 ff., 172, 188, 190, 192, 194 f., 198 f., 204-210, 217, 222 f., 225, 227 f., 234 f., 239, 241 f., 245, 248, 252 f., 255, 262 f., 267, 272, 288, 297, 301, 314, 317 ff., 322ff, 326 Austin, J. L. 16, 33 Averroes 200, 275 Avicenna 129, 200, 263, 273 Ax, W. 80, 88 f , 95 Bacon, R. 288 Bannach, K. 277, 291 Barwick, K. 109, 112 f., 122, 125, 129 Beierwaltes, W. 141, 161, 195 Berlinger, R. 158 f., 186 Bien, G. 117 Bochenski, J. M. 117 ff, 122 Boehner, Ph. 277 Boethius 76, 83, 129, 171, 178, 196, 233, 262, 264, 284, 288, 290
Bormann, K. 16f., 303, 310 Borsche, T. 139 Brandt, R. 73 f., 84, 91 Bröcker, W. 17, 33, 35 Bühler, K. 32, 219 Calogero, G. 6, 12 Carnap, R. 117 f., 136 Cassirer, E. 1, 69, 99, 143, 297 Chrysippos 105-109; 111, 113 Cicero 107, 114, 242 Colish, M.L. 179 F. Coseriu, E. 1, 5 f., 12, 23, 30, 75, 82 f., 118, 142 Dahlmann, H. 126 Decker, Β. 303, 310 Demokrit 24 f. Derbolav, J. 23, 27, 29, 33, 36, 43, 48-51, 53, 60, 62, 67, 69f. Di Cesare, D. 6, 12 Diels, H. 4, 20 Diller, H. 12 Diogenes von Babylon 108, 113 Diogenes Laertios 104ff, 108ff, 113, 115 Dionysius Areopagita 252, 258 Dionysios von Halikarnaß 111 Duchrow, U. 129, 139, 144, 146, 152, .162, 165 Düring, I. 80, 97 Duns Scotus 278, 288 f. Eco, U. 89, 119, 135, 142 Enders, H. W. 290 Engelhardt, P. 263 Epikur 23 f., 109 ff, 123, 319 Eudromos 106 Euthydemos 31
Namenregister Faes de Mottoni, B. 194 Fichte, J. G. 256 Flasch, K. 142, 154, 176, 182 f., 236 f., 240 Fleischer, M. 56, 65, 101, 213 Forschner, M. 104f., 115, 118, 122 Frede, D. 94 Frege, G. 117 f., 321 Gadamer, H.-G. 30, 70, 81 f., 124, 143, 165 Gaiser, Κ. 30, 33, 40, 49 ff., 68 f. Gaunilo von Marmoutiers 174, 176, 187 Geach, P. T. 189 Gehlen, A. 33, 308 Gentinetta, P. M. 23, 36, 52, 113, 117 Gigon, O. 95 Gombocz, W. L. 181 Grabmann, M. 228, 233, 289 Graeser, A. 107, 118 Gyekye, K. 76 Haubst, R. 301 Heidegger, M. 289 Heinimann, F. 12, 20, 23 £, 26 Heitsch, E. 21 Held, K. 4 f., 7, 10, 15-18, 22 Hennigfeld, J. 133 Henry, D. P. 177 Heraklit 4-13; 14, 18ff., 22ff., 27, 38, 47, 101, 105, 143, 316 Herder, J. G. 40, 308 Hippias 25 f. Hochstetter, E. 276 Hölscher, U. 14 f. Hoffmann, E. 6, 14, 18 f., 20 Homer 37, 53, 114, 317 Hülser, K. 104, 109, 115, 120 ff., 125 Humboldt, W. v. 67 Husserl, E. 117, 289 Imbach, R. 260, 274 Isidor von Sevilla 216 Jantzen,J. 21 Johannes von Salisbury 260 Jüssen, G. 189
339
Kant, I. 175 f. Keller, A. 189, 219 Kleanthes 104 f., 107, 113f., 120, 123 Kluxen, W. 210 Kneale, W. und M. 118 f . Knudsen, Ch. 271 Kobusch, Th. 119, 223, 277 K o c h J . 242 Kraus, M. 12 f., 17 Kretzmann, N. 7 3 f. Kümmel, F. 158 Kunze, P. 260, 283 Kuypers, K. 162 Larkin, M. Th. 82 f., 99 Leibold, G. 277 Leroy, M. 51 Lersch, L. 11 f., 23, 25 f., 80, 96 Liske, M.-Th. 215 Locke, J. 134 Lorenz, K. 30 Madec, G. 133, 138, 141 Maimonides 247 Manthey, F. 189, 224, 232 f., 290 Mates, Β. 117ff, 121 Maurer, A. 288 Me Keon, R. 102 Meinhardt, H. 296 f. Meister Eckhardt 236-259; 262, 291, 301, 308, 314, 320, 324 f. Meißner, H. 30, 51 Merleau-Ponty, M. 33, 53 Minio-Paluello, L. 76 Mittelstrass, J. 30 Mojsisch, Β. 176, 236, 238 Nestle, W. 12, 14 Nikolaus von Kues 292-315; 133, 257, 259, 317-320, 325 f. Nobis, H. M. 195 Oehler, Κ. 82, 85, 102, 119 Origines 111, 227 Pagliaro, Α. 6 Parmenides 14-22; 12, 23f., 27, 101, 143, 316 Peirce, Ch. S. 207
340
Namenregister
Petrus Lombardus 261 PinborgJ. 125 f., 129, 270, 287, 290 Pintaric, D. 146, 162 Piaton 23-70; 4, 11, 71, 78, 80 f , 91, 101 f., 108, 112 f., 118 fr., 123, 144, 166, 186, 231, 234, 247, 260, 294, 316-320, 322 Plessner, H. 53 Pohlenz, M. 104ff., 109 ff., 114, 117, 121 r.
Popper, K. R. 119 Porphyrios 89, 233 Poseidonios 105 Prand, C. 117, 260 Prodikos von Keos 25 f. Proklos 24f., 294 Protagoras 25, 27, 31 f., 54 Pythagoras 24 f. Quint, J. 249, 252, 258 Raymundus Lullus 308 Reginald von Piperno 223 Rehn, R. 19, 29 f., 32, 36, 50, 83 Reinhardt, K. 16 f , 22 Richter, V 277 f. Robinson, R. 51 Rolfes, E. 80 Ruef, H. 125 ff, 129, 152 Ryle, G. 268 Saussure, F. de 51, 75, 142 Schindler, A. 152 ff, 165 Schmidt, R. T. 116 Schmitt, F. S. 168, 182 f. Schmitter, R 51 Schneider, J. H. J. 199 f., 209 Schöpf, A. 158 Searle, J. R. 33 Senger, H. G. 292, 302 Seppänen, L. 248 ff, 256 f. Sextus Empiricus 104, 109, 114-117 Shyreswood, W. v. 282 Simone, R. 127
Simplikios 119, 122 Snell, B. 11 Sprute,J. 56 Stallmach, J. 299 Steinthal, H. 23, 25 f , 29, 51, 60, 65, 81, 95 f., 102, 109, 112, 117, 121, 143 Tarski, A. 136, 143 Telegdi, Zs. 118 Thomas von Aquin 189-235; 89, 165, 168, 236, 248, 252, 255, 257, 260, 262, 281, 287 f., 290f., 294 f., 301, 314, 319, 323 f. Thomas von Erfurt 289 Tschirch, F. 258 Tugendhat, E. 16, 21, 82 Turnher, R. 69 Varrò 112, 125 f. Vergil 130, 134, 158 Versteegh, G. H. M. 122 Vico, G. Β. 306 Volkmann-Schluck, K.-H. 298 Vossenkuhl, W. 274 Wackerzapp, H. 301 Wagner, H. 82, 88 f. Warnach, V 161, 176, 189, 224 Weidemann, H. 73 f , 76, 87, 89, 189 Weigel, G. 133, 140 f. Weingartner, H. G. 36 Weinrich, H. 221 Weiß, K. 242 Wieland, W. 72, 76, 81 ff, 102 Wienbruch, U. 158 Wilhelm von Moerbeke 211, 229 Wilhelm von Ockham 260-291; 256, 320, 325 Wittgenstein, L. 32, 118, 135, 285 Xenokrates 106 Xenophon 23 Zeller, E. 11 f., 14 Zenon von Kition 104 ff, 121
SACHREGISTER
Ähnlichkeit 45 f., 55, 112, 150, 171-174, 186 f., 205, 212, 234, 245, 304 Akzidenz 154 f., 172, 178, 216, 226, 270 Allgemeines 210 f., 260 f., 272-278, 283, 286, 307 Analogie 214 f., 237 f , 245, 254 Ansicht (Meinung, doxa) 6—11, 14, 17-22, 32, 41, 56-60, 64, 67, 141, 203, 293, 297, 300, 316 Antwort 25, 57, 93, 95, 107, 247 Aquivokation (Homonymie) 24, 83, 101, 132, 172, 177, 214f. Art 176, 282, 302, 307 Ausdruck 194, 207, 219, 222, 232, 308, 324 Aussage 16, 30, 58, 65, 85, 90, 92 f., 101, 117f., 120-123, 183f., 187f., 219f., 222, 257, 261 f., 265, 278-284, 319, 323 f. s. a. Satz, Urteil Bedeutung (significatio) 77 ff., 87, 90, 107, 116, 118, 124, 130, 132, 135, 140, 145 f., 151 f., 162, 166, 172, 179-186, 204, 213, 215ff., 230, 232, 267, 269, 283, 290, 305, 319, 323 s. a. Bezeichnung, Sinn Befehl 25, 95 f., 101, 122, 126, 219, 246 Begriff 112, 116, 175, 193, 200 f., 205 f., 214, 216f., 219, 224-227, 230, 238ff., 246, 257, 260-264, 269 f., 276 f., 279, 285, 287 ff, 297 f. Bejahung (phásis, katáphasis) 64, 90 f., 135, 159, 183, 212, 225, 280 Belehrung 33, 36, 47, 51, 133f., 139-142, 147 f., 152, 199-208, 323 f. Benennung 6, 9, 13, 18, 23, 27, 31, 33, 40, 47, 52, 57, 61 f , 68, 84, 100, l l l f . , 172, 178-182, 191,233, 242f., 251 ff, 294-298, 300, 323 s. a. Bezeichnung, Name
Bezeichnung 78, 86, 115 f., 178-184, 191, 213, 224, 234, 267, 276, 279-284, 294, 300, 304, 319 Bild 34, 43, 45, 50, 53, 67 f., 74, 76 f., 90, 100, 118, 141, 160, 170-174, 192, 196, 204, 225 f., 230 f., 234, 237, 239 f., 248, 292 f., 295, 302, 310-314, 319, 326 Bitte 25, 90, 95, 101 Buchstabe 26, 37 f., 40 f., 44 f , 58, 60, 95, 113, 128, 136, 149, 164, 176, 242, 257 s. a. Schrift Definition s. Wesensbestimmung Denken 15 f., 34, 56 f., 59, 64, 66, 76, 84, 86, 102, 105, 109, 115, 118f., 124, 142 f., 147, 152, 161 f., 165 f., 169, 173 ff, 193, 224, 226, 235 f., 238, 284, 289, 302, 313, 318, 322 Dialektik 36, 107-124, 125-133, 147, 150, 177 Dialog s. Gespräch Dichter (Dichtung, dichterisches Sprechen) 10, 20, 36 f., 41, 53, 97 ff, 102 f., 114, 123, 158, 235, 316f. Ding s. Sache eidos 32, 35 f., 49, 59, 61, 90, 119 Eindruck, seelischer 56, 72, 74 ff, 83, 90, 100, 114ff, 120, 224, 229, 262f., 287 f., 320 Einsicht 7-11, 19 f., 48, 69, 157, 160, 162 Einzelnes 210 f., 261, 272-278, 280, 283, 286, 295, 307
342
Sachregister
Element (Elementarwort) 39 f., 47, 57 f., 60, 95, 130 Engel 148, 194-199, 207, 217f., 249, 253, 269 Erinnerung 133 f., 141, 200 Erkenntnis 49, 67 f., 70, 138, 141, 144, 147, 157, 159, 170f., 173f., 187, 191 ff., 195 ff., 204, 207 ff, 226, 229, 238, 241, 247, 250, 264, 275 ff., 286, 288, 291, 298, 303 f., 308 ff, 313, 315 f., 326 Erleuchtung 195-199, 208, 217, 323 f. Extension 137, 181, 269, 281, 290 Etymologie (etymologische Methode) 10ff, 37ff, 41, 50, 79, 100, l l l f f , 130 f., 133, 137, 215 f., 239, 242, 257, 293, 301, 318, 321 Falschheit (falsch) 29, 43f., 63, 65, 77, 84 f., 90 f., 94, 101, 118, 123, 126, 184f., 219 f., 261, 266, 279, 281, 284 f. Form 169, 196 f., 200, 205, 210, 220, 225, 230 f., 250, 267, 281, 285, 294ff, 298, 300, 302, 317, 323 Frage 25, 57, 95 f , 101, 107, 121 f. Gattung 37, 61, 176, 302 Gedächtnis (memoria) 157, 159 f., 162, 170, 174, 306 Gedanke 74, 77, 94, 116-119, 121, 161, 165 ff, 193, 195, 220, 227, 305 Geist (mens) 155, 157-161, 170-174, 193, 206, 241, 285, 293, 298, 309, 312, 314, 326 Gespräch 57, 59, 107, 131, 186, 195, 247 Geste (Gebärde) 39, 53, 111, 135, 149, 170, 198 Gewohnheit 28, 46, 50 Glaube 141, 145, 237, 293, 322 Gott 5, 11, 41, 155, 160, 164, 168 f , 175 f., 182, 200, 233, 236, 252 ff. Name Gottes 25, 38, 147, 172, 210-216 Grammatik 65, 123, 128 f., 180, 265, 286, 290, 320 Handlung (prixis) 32 f., 52, 62, 105, 166, 184 f. Handwerker 33, 42, 53, 186, 191 f., 231 f., 238, 246, 295, 301, 317 f.
Hören 8, 10, 115, 161, 198, 247, 309 Hörer 74, 88f., 97, 128, 131, 138, 181, 194, 199, 248 idèa (Idee) 36, 49, 55, 59, 61, 69, 119, 134, 192, 237-240, 246, 295, 298 Inkarnation 154, 165, 167, 193, 239, 292, 323 Instrument s. Werkzeug Intension 137, 181, 269, 283, 290 Irrtum 48, 54, 56, 60, 63, 65, 84, 101, 141, 300, 316, 320 f. Kasus 84, 121, 266, 270 f. Klang (sonus) 128, 130f., 140, 146f., 152, 162f., 166, 176, 220, 319, 322f. Kommunikation 28, 54, 74, 76, 84, 132, 144f., 167, 194f., 198, 205, 207, 218, 229, 245, 247, 285, 316, 320 Konjunktion 96, 113, 265 f., 271 Konsonant 40, 95, 113, 128 Konvention 22, 73, 76, 80, 82, 264, 271, 286, 320 s. a. Übereinkunft Kopula 87, 89, 178 f., 265 f., 279 Kundgabe 191, 194, 220, 244 f., 247 Kunst (téchne, ars) 35, 42, 65, 202 f., 208, 238 f., 295, 306, 308, 311 f., 319, 324 Laut 36, 40, 58 f , 72, 75, 78, 95, 107 f., 115, 140, 157, 164, 166, 175Í, 179, 187, 191, 198, 217, 223 f., 229 ff, 246, 257, 290, 306 f , 311, 314, 318 artikulierter - unartikulierter L. 59, 73, 80, 90, 124, 128, 137, 164, 172, 227, 231, 264, 307 légein 6 f., 18, 20, 32, 34, 52, 57, 59, 100, 102, 129 lektón 107, 114-124, 129, 145 f., 162, 321 f. Logik 21, 58, 65, 94, 101, 106 f , 118, 124, 136, 143ff, 177-182, 187 f , 212, 260-291, 316, 3 2 0 f , 323, 325 Aussagenl. 93, 122 lògos 4-8, II f., 14, 18, 25, 29f., 44, 57-70, 71, 89-94, 96, 100, 102, 105 f , 109, 114, 116, 143, 153, 226, 237-241, 316, 321 f. Lüge 142, 184, 220 ff, 300
Sachregister Materie 196, 280, 283, 309 Mehrdeutigkeit 131 ff., 142, 144, 151 f., 267, 272, 287 Metaphysik 189, 195, 242 f., 321 f., 324, 326 Metasprache (Objektsprache - M.) 129, 133, 136 f., 143 f., 152, 194, 207, 265, 272, 288, 320 Mitteilung s. Kommunikation modus 219, 304 m. significandi 213, 289 f. Möglichkeit 196, 200 ff., 226, 270, 309 Musik 109, 134, 311 Nachahmung (mimesis) 40 f., 43 ff, 98, 100, 108 Name 9 f f , 25, 57, 141, 170, 172, 178, 180, 186, 193 f., 214, 225, 231, 233, 239, 242 f., 268-272, 280, 294-300, 305 s. a. Benennung, nomen Eigenn. - Allgemeinn. 27, 38, 43, 78, 113, 131, 187 Richtigkeit der Namen 11 f., 25-54, 65, 79 f , 113 f., 123, 242, 257 Namengeber (Wortsetzer) 24, 35, 38, 41 f., 44, 47 f., 51 f., 90, 257, 270, 294, 305, 319 Natur 196, 201 f., 208, 237 ff, 306, 311 f., 314, 319 Nichtsein (Nichts) 15-19, 42, 5 5 f f , 60f., 63 f., 77, 87, 89, 135, 145, 169, 184, 262, 280 nomen 97, 113, 137, 193, 210 f., 266 f., 271, 290 n. ineffabile 147, 252 f., 258, 292, 296, 299 n. personale — n. essentiale 216 f. n. naturale 171 f., 186, 296 Nominalismus 117, 256, 260 f., 277, 289, 297 f., 301 f., 325 nómos (Brauch, Gesetz) 7, 11 f., 23-26, 28, 35, 80 ff. Offenbarung 147, 153, 244, 247, 309 f., 326 ónoma 6, 8-12, 16-22, 23, 27, 57, 59 f., 62 f., 65, 67, 69, 78-84, 86, 89, 92, 96 ff, 100, 119, 290 s. a. Name, nomen, Wort
343
Ontologie 12, 31, 47, 49, 60, 117 ff., 129, 154, 172, 178, 189, 212, 256, 270, 282, 288 Paronymie 177 f., 180, 215 physei (von Natur aus) 12, 26, 28, 32, 36, 50, 55, 73, 79 ff, 90, 95, 167, 184, 229 ff, 242 f., 262, 264, 298 ph. - thései (gesetzt) 11, 14, 21-24, 81, 109 ff, 123, 188, 234, 288, 290, 296, 301 f., 314, 318ff. Prädikat 117, 120f., 213, 262, 265, 278, 281 f. Pragmatik 82, 127 Prinzip 201, 203 f , 237 f., 241 Pronomen 113, 210, 212, 271, 279, 281 Relation 155, 212, 254 rhêma s. Verb Rhetorik 97-99, 107, 129, 131, 147, 151, 222 Richtigkeit 30, 44, 266, 285, 317 Sache (res) 27, 36, 114, 116, 127 f , 130, 134 f., 138, 140, 143, 146, 148, 172f., 175, 186, 194, 204, 206, 224f., 230f., 233, 242, 263 f., 268, 280, 313 Satz 6, 18 f., 25, 29 f., 44 f., 58, 62, 64 f., 78, 87, 91, 126, 131, 193, 257, 261-267, 272, 280, 316, 320 Schöpfung 246-255, 274, 309 ff, 317, 323 Schrift 67, 75 f , 83 f , 128, 136, 149 f , 229 f , 282, 305 f , 322 Schweigen 250 f , 255, 325 Seele 24, 55 ff, 64, 119, 149, 155, 157 f , 160 f , 249-253, 260, 275, 282, 286, 293 Sein 15, 17 ff, 21, 55 ff, 61, 63 f , 68, 70, 77, 86 f , 89, 102, 154, 164, 184 f., 200, 226, 236, 238, 241, 247, 252, 255, 260, 262, 297 ff, 302 ff, 309, 311, 325 f. Semantik 73, 82, 117 ff, 281, 289 f. Semiotik 119, 127, 132, 142 f , 207 Silbe 26, 36 ff, 40 f , 58 ff, 96, 176, 311 Sinn 75, 77, 81, 117f, 166, 180 s. a. Bedeutung
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Sachregister
Situation (Situationsgebundenheit des Sprechens) 93 f., 118, 181 Sophist 26, 65, 70, 81 Spekulation 160, 167, 236, 244, 257, 288, 301, 314, 320, 323 Sprachkritik 49, 149, 268 Sprachskeptizismus 9, 20, 66-70, 146, 153, 320, 322 Sprecher 74, 88 f., 135, 145, 194, 225, 244 Stimme 98, 107-114, 116, 147, 193, 250 Stoff 210, 230 f., 294 Subjekt (Satzs.) 85, 88, 117, 121, 137, 262, 265, 278-282 Substanz 154 f., 157 f., 169, 172, 177-182, 205, 210ff, 214, 216, 226, 238, 269, 273 ff., 278, 307 s. a. Wesen Symbol 55, 72-75, 77, 80 f , 84, 98, 100, 229, 295, 297, 302, 318, 320 Synonymie 83, 177, 213, 266, 305 synthesis 58, 77, 87 ff, 93 Transzendentalphilosophie 21, 182, 256 Trinität 154 f., 160, 167, 173 f., 192, 207 f , 226, 228, 239 f., 255, 292, 301, 314, 323 Ubereinkunft (gemäß U., katà synthéken, ad placitum) 28, 46, 50, 73, 79-82, 90, 96, 98, 150, 191, 231-234, 257, 264, 270, 273, 298, 301, 319 f. Univokation 132, 213 ff, 237 f. Unterscheidung 33 f., 36, 53, 60, 247 Ursprung (der Sprache) 207, 240 f., 248, 299, 319, 325 historischer U. der Sprache 48, 52, 80, 82,99, 111, 113, 126, 130, 149 f , 233, 305, 313 Urteil 58, 88, 122, 126, 201, 225, 261 s. a. Aussage Verb 44, 59 f , 62 f , 65, 67, 85-89, 96, 100, 113, 121, 185, 210, 265ff, 290 verbum 129ff, 137, 157, 162, 186, 213, 217, 223-228, 237-241, 243ff, 251, 308, 322 Vermittlung (sprachliche V) 75, 208, 245 f., 287
Verneinung (apóphasis) 16, 64, 84, 90 f., 135, 183, 212, 225, 280 Vernunft (noûs, ratio) 24, 62, 67, 111, 170, 200, 202 f., 205, 208, 236, 240, 249, 309 s. a. Verstand Verschiedenheit (der Sprachen) 31, 75 f., 83, 109, 149, 230, 300, 313 f., 320 Verstand (inteUectus) 175, 192f., 195ff, 204, 212, 220, 224, 232, 244 f., 270, 290, 294, 297 f , 300, 302, 304, 306, 308 tätiger V 200 f., 205 f., 225 Vertrag 28, 72, 79 s. a. Übereinkunft Vokal 40, 95, 113, 128 Wahrheit (wahr) 12, 14, 16, 2 0 f f , 29f., 41, 43 f , 48 f., 58, 63, 65, 70, 77, 84f., 89 ff., 94, 101 f., 107, 114, 118, 123, 126, 131, 141 f., 144, 147, 156, 158, 161, 173, 176, 182-188, 204, 219ff, 227, 250 f., 253, 255, 261, 266, 279, 284f., 289, 295, 298, 302, 311, 314f., 319 f., 323, 325 Wahrnehmung 54f., 57, 64, 66, 74, 76, 111, 119, 144, 161, 164, 305, 320 Werkzeug (órganon, instrumentum) 33 f., 36, 53, 90, 106, 167, 201, 231 f , 261, 318 Wesen (ousia, essentia) 32 f., 35, 40, 55, 92, 100, 155, 159, 166, 168, 172, 193, 204, 212, 214, 224, 226, 229, 233, 236, 239 f , 244, 250, 252, 257, 294, 298 ff, 326 s. a. Substanz Wesensbestimmung (definitio) 40, 67, 70, 92 f , 96, 109, 114, 127, 132, 170, 182, 188, 211, 225, 227, 239ff, 289, 299, 311 f., 321 Wille 157-160, 194, 196, 220, 232, 270, 300 Willkür (der Wortsetzung) 12, 28, 32, 35, 68, 73, 80, 82 f., 90, 109, 146, 165, 191, 208, 233 f , 287, 290, 294 ff, 300, 313 f., 317, 320 Wirklichkeit 118, 196, 200ff, 226, 270 Wissen 54, 56-59, 105, 157, 160, 162 ff, 193, 199-207, 240, 243, 288, 293, 311, 324
Sachregister Wort inneres - äußeres W. 156-167, 170, 176, 190-194, 217, 224-228, 241, 248-251, 310, 317 f. W. Gottes 163, 168-174, 207 f., 245, 250, 255, 299, 314, 3.19, 326 Zeichen 53, 60, 72 f., 78, 80, 83, 99, 107, 134-146, 148-152, 163-166, 170 f., 185 f., 190fr., 195-199, 203-209,
345
218, 220, 223 f., 227, 229 f., 234 f., 246, 257, 263 ff., 267, 270-273, 276-282, 287, 289, 302-307, 311-314, 318-324 sichtbares - hörbares Ζ. 136, 149, 198 natürliches - künstliches Z. 73, 149, 197, 208, 230, 265, 273, 276, 278, 286, 305, 319 Zeit 85, 96, 121, 238, 254, 271, 290 Zweck 183 f., 191 f , 240, 247
Jochem Hennigfeld
Die Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts Grundpositionen und Probleme Oktav. X, 374 Seiten. 1982. Broschiert (de Gruyter Studienbuch) ISBN 3-11-008685-9; Ganzleinen ISBN 3-11-008961-0
Untersuchung über die grundsätzlichen Möglichkeiten gegenwärtiger Sprachphilosophie. Aus dem Inhalt: Sprache und Logik - Sprache und Sprachanalyse — Sprache und Anthropologie — Sprache und Existenz — Das Wesen der Sprache. Die verschiedenen „Richtungen" der Sprachphilosophie werden kritisch dargestellt und nach der sie leitenden Sprachauffassung befragt. Namen- und Sachregister.
W Walter de Gruyter DE G
Berlin · New York