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German Pages [340] Year 2009
P I C T U R A ET POESIS I n t e r d i s z i p l i n ä r e S t u d i e n zum V e r h ä l t n i s von Literatur und Kunst H e r a u s g e g e b e n von U l r i c h E r n s t · J o a c h i m G a u s · C h r i s t e l Meier Band 27
DER GÜRTEL Funktion und Symbolik eines Kleidungsstücks in Antike und Mittelalter
VON CLAUDIA SCHOPPHOFF
2009 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Gürtelschnalle des hl. Caesarius von Arles (Elfenbeinschnitzerei, 6. Jahrhundert), in: Jean Hubert, Jean Porcher, Wolfgang Fritz Volbach: Frühzeit des Mittelalters. Von der Völkerwanderung bis an die Schwelle der Karolingerzeit. München 1968, Nr. 220, Kommentar S. 364.
© 2009 by Böhlau Verlag G m b H & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: Strauss G m b H , Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20226-2
VORBEMERKUNG
Die vorliegende Dissertation wurde im Wintersemester 2006/2007 vom Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Wuppertal angenommen. Für den Druck wurde sie bearbeitet und geringfügig erweitert. Bedanken möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Ulrich Ernst sowie bei Herrn Prof. Dr. Meinolf Schumacher, die meine Arbeit wissenschaftlich betreut und an dem Promotionsverfahren als Gutachter mitgewirkt haben; außerdem möchte ich mich auch für die hilfreiche Unterstützung bei der Anfertigung meiner Dissertation bedanken, die ich durch Frau Prof. Dr. Elisabeth Stein und Herrn Dr. Robert Cramer erfahren habe. Für die freundliche und effiziente Zusammenarbeit mit dem Böhlau Verlag danke ich Frau Elena Mohr und Frau Sandra Hartmann. Mein Dank gilt auch Frau Prof. Dr. Christel Meier-Staubach und Herrn Prof. Dr. Ulrich Ernst für die Aufnahme in die von ihnen herausgegebene Reihe „Pictura et Poesis". Dieses Buch möchte ich meinen Eltern widmen, die mich immer unterstützt und auf diese Weise dazu beigetragen haben, daß diese Arbeit fertiggestellt werden konnte.
Wuppertal, Herbst 2008
Claudia Schopphoff
INHALT
EINLEITUNG 1. DER GÜRTEL ALS OBJEKT
XI 1
a) Zur sprachlichen Herkunft des Wortes „Gürtel" b) Der Gürtel als Bestandteil der Kleidung c) Die Antike: Ein gürtelloses Zeitalter? d) Der Gürtel als Mode-Artikel - Gürteldarstellungen in der epischen Literatur des Mittelalters
1 4 13 23
2. ZU DEN EINZELNEN PROPRIETÄTEN DES GÜRTELS
31
a) Maße b) Farbe c) Schnallen d) Material des Gürtelbandes e) Metallbesatz f) Edelsteine g) Inschriften h) Gürtelanhänger, -gehänge, -taschen etc
31 33 36 39 45 54 62 69
Exkurs: Der Gürtel als Indikator des Schönheitsideals der schlanken Taille
75
3. DER GÜRTEL IM RAHMEN VON MODEKRITIK UND GESETZGEBUNG
80
a) Spott und Kritik: Das Auge des Betrachters b) Gesetzliche Kontrollen modischer Auswüchse
80 87
4. DAS SYMBOL DES GÜRTELS IN DER BIBEL UND IM AUBERBIBLISCHEN SCHRIFTGUT
90
a) Der Gürtel als Sitz der Kraft b) Hierarchische Gliederung innerhalb der Bibel anhand der Gürtelfarbe c) Der Gürtel im Spiegel von Tugend und Laster d) Das Testament des Hiok Die „Gender-Ambivalenz" der magischen Wirkung
90 93 98 102
5. DER GÜRTEL ALS MILITÄRISCHES RANGABZEICHEN
105
a) Rom und Griechenland b) Frühes Mittelalter: Gürtelfunktionen bei den Franken c) Der Gürtel als soziales Rangabzeichen d) Der Gürtel im Sport
105 110 111 113
VIII
Inhalt
6. INITIATIONSRITEN - DER GÜRTEL ALS SIGNUM DES ERWACHSENENLEBENS
118
a) Das Ende der Kindheit b) Der Gürtel als Indiz des Erwachsenseins: Herodot - Herakles als Stammvater der Skythen
118 121
7. DER GÜRTEL ALS BEGLEITERSCHEINUNG DES EHERITUALS
123
a) Die Hochzeit b) Die Geburt
123 127
8. EINE FALLSTUDIE: D I E POLYVALENZ DES GÜRTELS IN HELIODORS ΑΠΉΙΟΡΙΚΑ
131
a) Der Gürtel der Charikleia b) Die Stirnbinde der Charikleia
131 132
9. HIMMLISCHES ZEICHEN UND HIMMELSZEICHEN: DER GÜRTEL ALS GÖTTLICHES ATTRIBUT UND KOSMISCHE KONFIGURATION
135
a) Die Schlange als Verkörperung der weiblichen Gottheit b) Der kosmische Gürtel
135 139
10. D E R GÜRTEL IM MYTHOS I
142
a) Der Gürtel der Aphrodite in der klassischen Antike b) Der Architrenius des Johannes de Hauvilla c) Die Rezeption des Venusgürtels in Edmund Spensers The Faene Queene
142 148 149
11. D E R GÜRTEL IM MYTHOS I I
153
a) Herakles und der Gürtel der Hippolyte: „Sex and Crime"? b) Die Darstellung der neunten Arbeit des Herakles in der Kunst
153 155
12. D E R GÜRTEL ALS SYMBOL ZWISCHENMENSCHLICHER BEZIEHUNGEN, ALS LIEBESPFAND, (BRAUT-)GESCHENK, KAUFPREIS ETC
158
a) Gürtelgabe und Paarbeziehung b) Gürtelschenkungen bzw. -Stiftungen zur Demonstration von Herrschaft, Frömmigkeit und largitas c) Der Gürtel als Wertobjekt
158 174 179
13. GÜRTELMAGIE
184
a) Die Ambivalenz in der magischen Wirkung des Gürtels: Wigalois - Die Wirkung des Gürtels bei Ginover, bei Joram und Gawein b) Der Gürtel des Fimbeus in der Crom Heinrichs von dem Türlin: Die Kraft des Steines oder die Kraft des Gürtels?
184 189
Inhalt
Exkurs: Diesseits und jenseits der Moral - Der Gürtel als „Demarkationslinie" der weiblichen Taille
IX
191
14. REFLEXIONEN ZUR TATSÄCHLICHEN EXISTENZ DES SOGENANNTEN „KEUSCHHEITSGÜRTELS"
196
a) Der Keuschheitsgürtel als Gebrauchsgegenstand tatsächliches „Garantieinstrument ehelicher Treue" oder erotisches Reizmittel? b) Magische Keuschheit: Der Gürtel Brünhilds im Nibelungenlied
196 198
15. DER GÜRTEL ALS GEISTLICHES STATUSSYMBOL
201
a) Form und Bedeutung des cingulums b) Verwendung und Auslegung in der Liturgie c) Der Gürtel als Signum der Beständigkeit: Die Kleiderallegorese in der Martina Hugos von Langenstein und die Waffenallegorese in der Pilgerfahrt des träumenden Mönchs d) Der Gürtel Dantes - ein Transgressionssymbol zwischen Purgatorio und Paradiso
201 203
205 208
16. DER GÜRTEL ALS WUNDERTÄTIGE RELIQUIE
210
a) Heiligengürtel als Remedium für Wöchnerinnen b) Heil- und Strafwunder
210 212
17. DER GÜRTEL DER GOTTESMUTTER
215
a) Gürtel als Marienreliquien b) Die Assumptio (Himmelfahrt) Mariens
215 217
18. D I E ERWÄHNUNG DES GÜRTELS INNERHALB DER CONSUETUDINES D E R GÜRTEL IM ORDENSLEBEN UND ALS AUSDRUCK ASKETISCHEN LEBENS
219
a) Der Gürtel des Mönchs b) Der Gürtel des Asketen c) Das Fehlen des Gürtels als Zeichen der Buße
219 221 226
19. DAS ÖFFNEN UND SCHLIEBEN DES GÜRTELS IN DER ÖFFENTLICHKEIT
229
a) Das Lösen des Gürtels als Rechtsakt b) Gesellschaftliche Gesichtsverluste? Das Lockern des Gürtels als Benimmfrage in mittelalterlichen Tischzuchten / Der Verlust des Hosengürtels bzw. der Hose
229
231
20. ZUR ROLLE VON SCHWERTLEITE UND SCHWERTGURT
234
a) Die Schwerdeite b) Der Schwertgurt
234 236
Χ
Inhalt
ZUSAMMENFASSUNG
240
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS LITERATURVERZEICHNIS QUELLEN SEKUNDÄRLITERATUR ABBILDUNGSVERZEICHNIS REGISTER REGISTER I: AUTOREN UND WERKE REGISTER II: SEKUNDÄRLITERATUR REGISTER III: NAMEN HISTORISCHER UND FIKTIVER PERSONEN REGISTER IV: SACHREGISTER
242 244 244 252 263 266 266 269 270 275
EINLEITUNG
Wie kommt man dazu, ausgerechnet den Gürtel zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Dissertation zu machen? Eine erste Anregung zu dieser Entscheidung ging von der Faszination aus, die dieses Objekt als magisches Requisit, das sich häufig als handlungsbestimmend erweist (etwa im Wigalois WlRNTS VON GRAFENBERG und in der Crone HEINRICHS VON DEM TÜRLIN), in zahlreichen höfischen Romanen des Mittelalters wie auch in der Heldenepik (Laurin) umgibt. Aber auch die Thematik des Zaubergürtels der griechischen Liebesgöttin Aphrodite, deren künsderische Tradierung sich von der Antike bis in die heutige Zeit wie ein roter Faden durch Literatur und Kunst — seit dem 18. Jahrhundert auch in Form der (komischen) Oper durch die Musik1 — zieht, fasziniert durch ihre Darstellung als „geheimnisvolles Instrument der Verführung". In einigen Fällen lassen sich Parallelen2 hinsichtlich der Funktion des Gürtels in der antiken und der mittelalterlichen Literatur aufzeigen, wie z.B. der Gürteldiebstahl als diskrete Umschreibung einer Vergewaltigung im Mythos von Herakles und der Amazonenkönigin Hippolyte, der auch im Nibelungenlied in Bezug auf die Beziehung zwischen Siegfried und Brünhild thematisiert wird. Ansatzpunkte zu einer Untersuchung hinsichtlich der Gender-Thematik liefern vor allem die hochmittelalterlichen Romane Wigalois des WlRNT VON GRAFENBERG, Diu Crone des HEINRICH VON DEM TÜRLIN sowie die Erzählung Der Borte des DIETRICH VON DER GLEZZE. Während im Wigalois und in der Crone die Wirkungsweise des magischen Gürtels mit dem Geschlecht seiner Trägerin/seines Trägers variiert, verleiht der Gürtel im Borte geschlechtsneutral Unbesiegbarkeit im Kampf. Aufgrund der elementaren Funktion des Gürtels, die Kleidung am Körper zusammenzuhalten, ist er Bestandteil nahezu aller menschlichen Epochen und Kulturen. Die ihm innerhalb der Entwicklung der Menschheitsgeschichte zugewachsene Bedeutung, die sich z.B. im Glauben an ihm innewohnende numinose Kräfte niederschlägt, resultiert hauptsächlich aus seiner Funktion als Bedeckung der Genitalien: Der Gürtel/Lendenschurz wird so zur Tabu-Zone, welche den Blick anderer irdischer oder überirdischer Wesen (Geister oder Dämonen) ablenkt. Das Tragen des Gürtels kann innerhalb bestimmter Situationen und Lebensabschnitte Bestandteil eines Rituals sein, so z.B. im mittelalterlichen Recht oder in der christlichen Liturgie. Ein wesentlicher Teil der in dieser Arbeit angesprochenen Rituale, bei denen der Gürtel eine Rolle spielt, bezieht sich auf den Statuswechsel von Personen - vom Kind zum Erwachsenen, von der Braut zur Ehefrau —, also auf Übergangs- oder Initiationsrituale gemäß der Terminologie ARNOLD VAN GENNEPS 3 .
1 2 3
The Oxford Guide to Classical Mythology in the Arts. 1300-1990s. New York/Oxford 1993, Vol. 1, p. 154 f. ERNST SCHUPPE: Gürtel und Orendismus, in: Oberdeutsche Zeitschrift für Volkskunde, 2 (1928), S. 128-146, hier S. 137. ARNOLD VAN GENNEP: Übergangsriten (Les rites de passage). Frankfurt a. M./New York 1999.
JANE DAVIDSON REID:
XII
Einleitung
Die dem Gürtel zugesprochenen Eigenschaften, über die er in gebundener, geknoteter oder anderweitig verschlossener Form verfügen soll, ordnen ihn der Kategorie der „Binde- und Löse-Magie" unter. Mit dieser wiederum kulturübergreifenden Thematik haben sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts vor allem soziologisch-ethnologische Studien beschäftigt4. Eine ausführliche Bearbeitung, die alle existierenden Vorstellungen, welche sich mit dem Binden und Lösen von Gürtel, Knoten, Schnur etc. „verknüpfen", berücksichtigte, ergäbe ein mehrbändiges Konvolut, das aufgrund seines Umfangs wohl über die Grenzen einer Dissertation hinausgehen dürfte. Deshalb befaßt sich die vorliegende Untersuchung in erster Linie mit dem Gürtel als Kleidungsstück im Zeitraum von Antike und Mittelalter, wobei aufgrund der literaturwissenschaftlichen Ausrichtung dieser Studie hauptsächlich schriftliche Quellen zitiert werden, die aus dem europäischen Raum stammen. Zum unmittelbaren Vergleich bzw. zu einem besseren Verständnis einzelner Sachverhalte wird an passender Stelle entsprechendes Bildmaterial beigefügt. Die im Rahmen dieser Arbeit aufgeworfenen Fragestellungen und Aspekte hinsichtlich der Form und Funktionsweise des Gürtels berühren notwendigerweise auch andere Fachdisziplinen wie z.B. Geschichte, Kunst- und Rechtsgeschichte, Religion, Soziologie; dementsprechend versteht sie sich neben ihrem germanistisch-mediävistischen Schwerpunkt auch als kulturwissenschaftliche Studie. Meine Arbeit stützt sich zunächst auf die Dissertation Gürtel des hohen und späten Mittelalters der Kunsthistorikerin ILSE FlNGERLIN aus dem Jahre 1 9 7 1 . Sie beschreibt unterschiedliche Gürteltypen und liefert eine ungefähre zeitliche Einordnung bestimmter „Gürtelmoden" anhand von real überlieferten Exponaten unterschiedlicher Herkunft, von bildlichen und plastischen Darstellungen sowie von schriftlichen Quellen in Form von Rechnungsbüchern, Inventaren etc. Besondere Erwähnung verdient die Zusammenstellung des hervorragenden Kataloges mit einer Vielzahl von Fotografien und Zeichnungen der behandelten Objekte. Mit meiner Arbeit, die dem Zweck dient, unterschiedliche, den Gürtel betreffende, Aspekte näher zu betrachten, knüpfe ich direkt an FINGERLINS Bemerkung in der Einleitung zu ihrer Dissertation an, in welcher sie auf eine ursprünglich geplante Abhandlung über die Bedeutung des Gürtels im religiösen und weltlichen Bereich rekurriert; diese wurde von ihr jedoch unterlassen, da sie den Rahmen ihrer bereits umfangreichen Studie gesprengt hätte5. Dank der materialreichen Arbeiten von GABRIELE R A U D S Z U S und ELKE BRÜGGEN zur Kleidung in der deutschen Epik des Mittelalters6 war es möglich, eine Ausgangsposition zu erarbeiten, an die sich die eigentliche Suche nach Quellen- und Sekundär4
5 6
Vgl. hierzu ISIDOR SCHEFTELOWITZ: Das Schlingen- und Netzmotiv im Glauben der Völker. Gießen 1912 (= Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten, Bd. 12/2); ERNST SCHUPPE: Gürtel und Orendismus. ILSE FlNGERLIN: Gürtel des hohen und späten Mittelalters. München 1971 (= Kunstwissenschaftliche Studien, 46), S. 10. GABRIELE RAUDSZUS: Die Zeichensprache der Kleidung. Untersuchungen zur Symbolik des Gewandes in der deutschen Epik des Mittelalters. Hildesheim u.a. 1985; ELKE BRÜGGEN: Kleidung und Mode in der höfischen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts. Heidelberg 1989 (Euphorion/Beiheft 23).
Einleitung
XIII
literatur anschließen konnte. Als wegweisend sowohl für die Antike als auch das Mittelalter betreffende Aspekte des Gürtels erwies sich der Artikel Gürtel von WOLFGANG SPEYER im Reallexikon für Antike und Christentum (RAC)7. Aufgabe und Ziel der in meiner Untersuchung ausgewählten Textpassagen und Zitate ist die Entwicklung eines Verständnisses für den realen sowie den symbolischen Wert, der dem Gegenstand Gürtel anhaften kann. Als Symbol ermöglicht es der Gürtel, abstrakte oder „tabuisierte" Themen auf einer Ebene zu konkretisieren, die dem Leser oder auch dem Betrachter nun eine mühelose Erschließung des eigentlichen Inhalts erlaubt. Alle nicht gekennzeichneten Übersetzungen von Zitaten habe ich selbst vorgenommen.
7
WOLFGANG SPEYER, A r t . „Gürtel", in: R A C , B d . 1 2 ( 1 9 8 3 ) , Sp. 1 2 3 2 - 1 2 6 6 .
1. DER GÜRTEL ALS OBJEKT
a) Zur sprachlichen Herkunft des Wortes „Gürtel" Der Begriff „Gürtel"8 geht auf eine idg. Wurzel *g>erdh- (umfassen, umzäunen, umgürten) zurück, auf die sich auch ahd. gart (Kreis) und vielleicht auch das Wort Garten bezieht9. Es läßt sich einer germ. Vorform *gurd-il-a-^ zuordnen, die es mit as. gurdil, mhd. gürtel, mnd. gördel.\ gordel, mndl. gordel, ae. gyrdel, engl, girdle, afries. gerdel, anord. gyrdill, schwed. gördel gemein hat. Damit verfugt es über jenes Suffix -il-, das auch sonst noch zur Bezeichnung von Geräten verwendet wird, z.B. bei bendel < *band-il-a£ Band, Brusttuch' zu ahd. hintan < germ. *bend-a. Im ahd. Isidor, bei NOTKER III. LABEO VON ST. GALLEN (950-1022) und in den Glossen erscheint der Ausdruck „Gürtel" in erster Linie unter dem Lemma ängulum, daneben treten noch %ona, balteus, änctonum, strophium, äncta und penyoma auf. Der Begriff besitzt die Bedeutungen „Gürtel" und „Gurt", womit er einmal den (Leib-) Gurt und (Hüft-)Gürtel allgemein bezeichnet, denselben jedoch gleichzeitig auch als Bestandteil des klerikalen Gewandes sowie als Waffen-Gürtel/Wehrgehänge als Element der Ausrüstung eines Kriegers benennt. Die neben dem Lemma ängulum verzeichneten lat.-griech. Ausdrücke können zwar ebenfalls mit „Gürtel" wiedergegeben werden, meist zielt deren Kontext jedoch auf ihre spezifische Bedeutung ab, die sie von der eigentlich mit dem Wort „Gürtel" verbundenen Vorstellung (Band oder Riemen, ungefähr auf der Körpermitte sitzend, mittig verschlossen) unterscheidet: So dienen einige der hier aufgeführten Kleidungsstücke in erster Linie zur Bedekkung der Scham und fungieren somit als Unterwäsche und nicht als zusammenhaltende oder schmückende Elemente. Die Begriffe peri^oma und strophium lassen sich z.B. als (Lenden)Schurz und Busenband der Unterbekleidung zuordnen, während %ona, änctonum, äncta und balteus normalerweise den auf der Oberbekleidung anliegenden Gürtel bezeichnen. ISIDOR VON SEVILLA (ca. 560-636) kennt allein achtzehn (!) verschiedene Begriffe, die er unter dem Lemma De Cingulis in seinen Etymologiae aufführt10:
8
9 10
Eine von der eigentlichen Funktion abweichende Verwendung der Bezeichnung „Gürtel" findet sich in der älteren mittelalterlichen Heraldik, die darunter die innerhalb eines Wappens auftretenden „Balken" versteht, vgl. HARALD OLBRICH (Hrsg.): Lexikon der Kunst. Architektur, Bildende Kunst, Angewandte Kunst, Industrieformgestaltung, Kunsttheorie. Leipzig 1991, Bd. 3, S. 62. ECKHARD MEINEKE, Art. „Gürtel§l. Sprachliches", in: RGA, Bd. 13 (1999), Sp. 158-177, hier Sp. 158 ff. Isidorus Hispalensis Episcopus: Etymologiarum sive Originum, libri XX., ed. WALLACE Μ. LINDSAY. London/New York 7 1987, torn. 2, Hb. XIX, 33.
2 1. 2. 3. 4.
Der Gürtel als Objekt
cinctus·. semiändunr. dngulum·. campester.
ein breiter Gürtel (oder Schurz); ein schmaler Gürtel; die schmälste oder kleinste Form des Gürtels, Diminutiv; von Jugendlichen bei sportlicher Betätigung auf dem (Mars)Feld getragener Schurz; 5. balteus (-um)·, a) bezeichnet das ängulum militare, an welchem Zeichen hängen, die auf die Legionszugehörigkeit des Trägers verweisen, notwendiges Identifikationssymbol angesichts einer Heeresstärke von 600.000 Mann; b) Bezeichnung des Wehrgehänges; 6. %pncr. griechische Fremdbezeichnung des Gürtels; 7. ^onaritr. griech. Diminutivform; 8. strophiunr. ein goldener Gürtel mit Edelsteinbesatz; 9. limus·. Schurz der Amtsdiener11; 10. caltulunr. eine Art Gürtel, die Riemen/Zügel verbindet; 11 .fibula·. angeblich von einem griech. Verb ffiblinf abgeleitet für Gegenstände, die binden; 12. subfibulutrr. ohne Erläuterung; 13. subligaculunr. ohne Erläuterung12; 14. redimiculunr. auch subcintorium oder bracile, hängt von Nacken und Hals herab und „umläuft die Krümmung der Achseln und hängt von dort herunter, so daß der bekleidete Körper eingeschnürt wird"; „allgemein wird dies brachile wie auch brachiale genannt, obwohl es sich hierbei nicht um einen Gürtel handelt, der die Arme umspannt, sondern um einen Gürtel, der die Nieren umfaßt. Es wird auch subänctorium genannt, da es unter den Armen um die Achselhöhlen herumläuft und da man es dort umbindet"13; 15.fasäa: Binde, die die Brust bedeckt und „die Brustwarzen zusammendrückt" und „die Brust ausgesprochen eng einschnürt"; 1 (i.fasciola: kleine Binde, umschließt die äußeren Teile der Kleidung, entweder aus Fäden oder aus Gold geflochten; „man bezeichnet auch diese als Binden, mit denen Verletzungen verbunden werden"; 17. mttcr. Binde, die die Brust umfängt „gleichwie die umwundenen Reben"; 18. limbus·. Zierrat (= schmückende Bordüre, Saum, Besatzstreifen).
11
JOSEF M. STOWASSER u.a. (Hgg.): Stowasser. Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch. München 1994, Art. „II. limus", S. 296: Schurz [der Opferdiener; schräg mit Purpur besetzt]. 12 Hierbei handelt es sich wohl ebenfalls um eine Form des als Unterhose dienenden Schurzes (vgl. penyoma, campester, anctus, subligaf), vgl. ERWIN POCHMARSKI, Art. „Campestre", in: HARRY KÜHNEL (Hrsg.): Bildwörterbuch der Kleidung und Rüstung. Vom Alten Orient bis zum ausgehenden Mittelalter. Stuttgart 1992, S. 42. 13 Isidor beschreibt hier offenbar den griech. άναλαβος, auch μασχαλιστηρ genannt, der ein Verrutschen des Gewandes im Schulterbereich verhindern sollte, (vgl. hierzu Kap. I.c Die Antike:
Ein gürtelloses Zeitalter?).
Der Gürtel als Objekt
3
Diese Vielfalt an unterschiedlichen Gürteltypen resultiert zum Teil aus der Übernahme fremder Kleidungsaccessoires in den römisch-lateinischen Bereich (z.B. die Endehnung von %ona und strophium aus dem Griechischen, von campestris aus dem Etruskischen). Dadurch kann es zu Überschneidungen bzw. zu Wiederholungen kommen. Daneben treten Mehrfachbenennungen auf. Stellenweise weicht ISIDOR auch zugunsten einer Darstellung aller bindenden Objekte von dem vorausgesetzten Oberbegriff der Bekleidung ab. Das Altgriechische kennt drei Benennungen für Gürtel, die sich alle von dem Verb ζώννυσθαι ableiten, nämlich η ζώνη, δ ζωστηρ und τό ζώμαη. Diese wurden, ihren Artikeln entsprechend, zunächst nicht synonym, sondern geschlechtsspezifisch verwendet. So benutzt H O M E R (ca. 8 . Jahrhundert v. Chr.) η ζωνη fast ausschließlich für den Gürtel als Bestandteil der weiblichen Bekleidung, während ο ζωστηρ den Männergürtel, besonders den Gürtel des Kriegers bezeichnet. Eine vierte Bezeichnung η μ ιτρα tritt allein in H O M E R S 1lias auf und bezieht sich auf den Kriegerpanzer bzw. einen Bestandteil desselben15. Das Wort leitet sich wohl von idg. mei- (binden, verknüpfen) ab und ist mit ai. mitra (Freund) und av. μιΐ&α (freund, Vertrag, Name eines Gottes - Personifikation eines Vertrages) verwandt. In nachhomerischer Zeit wandelt sich die Bedeutung von ή μίτρα, aus dem Element der militärischen Schutzbekleidung wird ein ziviler „Modeartikel", der zunächst nur ein kostbar verziertes Tuch, später dann die aus diesem Tuch produzierte Kopfbedeckung meint und somit das moderne Verständnis des Begriffes Mitra impliziert. nimmt in ihrer Dissertation Der Gürtel in der griechischen Kunst aufgrund der sprachlichen Unterscheidung auch eine Differenzierung im Erscheinungsbild des Gürtels an, indem sie unter δ ζωστηρ ,,ein[en] kräftige[n], sorgfaltig ausgeführtefn] und mit einer Schließe in Form von Haken versehene[n] Gürtel" versteht, sich unter η ζώνη jedoch „alle bindbaren Gürtelformen" vorstellt16. To ζώμα, das „Umgürtete" bezieht sich bei H O M E R auf das einzige Kleidungsstück, das Ringer und Faustkämpfer vor dem Kampf umgürten, in welchem STUPKA an Stelle eines einfachen Schurzes einen speziellen, „dem Leib Schutz und Halt gewährenden Gürtel" sehen will17. Die mit dem Begriff τό ζώμα bezeichnete Textilie läßt sich aufgrund ihrer Befestigungsweise als Gürtel betrachten, aufgrund ihrer Funktion als Schambedeckung und -schütz stellt sie jedoch eher den Vorläufer der Unterwäsche dar. ANASTASIA P E K R I D 0 U - G 0 R E C K I differenziert für die minoische Kultur unterschiedliche Tragevarianten dieses Gürteltyps18: Die einfachste Form des Schurzes bestand aus einem längsrechteckigen Stück Tuch, das wie ein kurzer Wickelrock getragen wurde und Hüfte wie Oberschenkel D O R I S STUPKA
14 15
16 17 18
DORIS STUPKA: Der Gürtel in der griechischen Kunst. Wien 1972 (Diss.), S. 164. Μιτρα, ζωστηρ und ζώμα, in: HANS-GÜNTER BUCHHOLZ/JOSEPH WIESNER: Kriegswesen. Teil 1: Schutzwaffen und Wehrbauten. Göttingen 1977 ( - Archaeologia Homerica. Bd. I, Kap. Ε, Teil 1), S. 119-143, hier S. 119. Zit. nach DORIS STUPKA: Der Gürtel in der griechischen Kunst, S. 165. Ebd., S. 166. Zit. nach ANASTASIA PEKRIDOU-GORECKI: Mode im antiken Griechenland. München 1989, S. 60f. HUGO BRANDENBURG:
4
Der Gürtel als Objekt
bedeckte [...]. Abwandlungen dieser einfachen Grundform wurden möglich, wenn man von dem rechtwinkligen Grundschema abwich und das Tuch nur an einer Seite gradlinig [...] oder auch bogenförmig [...] verkürzte. Ähnliche Ausführungen, wenn auch naturgemäß von weitaus unregelmäßigerem Umriß, waren aus Fell hergestellt [...]. Dieses Kleidungsstück wurde als Besonderheit von beiden Geschlechtern getragen. Da es aber nie im Zusammenhang mit Szenen des Alltagslebens erscheint, glaubt man in ihm eine Kulttracht erkennen zu dürfen. Die häufigste Form dieses Gürtels ist der einfache Stoffgürtel mit Schamtasche, der aus zwei Stoffbahnen gebildet wird, von denen man eine um die Taille legt19. Die zweite, rechtwinklig befestigte Bahn wird zwischen den Oberschenkeln hindurchgeführt und auf der Rückseite befestigt. Eine mit Trägern versehene Variante erinnert im Aussehen stark an moderne Latzhosen: Dieser Schurz wird nicht gebunden, sondern von „Hosenträgern" gehalten, die über Brust und Rücken über Kreuz geführt und in der Taille am eigentlichen Gürtelteil befestigt werden. Ein daran befindliches Stoffrechteck verdeckt die Schamtasche und auch teilweise den Oberschenkel. Im Gegensatz zu diesem Kleidungsstück, das zwar wie Unterwäsche anmutet, aber nicht als solche getragen wurde (!), befindet sich das Busenband ταινία, στηθόδεσμος 20 („Brustfessel"), στρόφιον immer unterhalb der Kleidung . Es handelt es sich hierbei um ein breites Band, das ähnlich wie ein Gürtel geschmückt sein konnte, unmittelbar auf der Haut anlag und als Büstenhalter fungierte. Der Begriff στρόφιον konnte sich jedoch gleichfalls auf die Kopfbinde von Priesterinnen beziehen21. Eine Betrachtung der beiden Bekleidungsbestandteile στρόφιον und ζώμα im Zusammenhang mit dem eigentlichen Gürtel scheint allein aufgrund der Tatsache notwendig zu sein, daß diese Begriffe oft auch als Synonyme benutzt werden.
b) Der Gürtel als Bestandteil der Kleidung Der Gürtel stellt eines der ältesten Kleidungsstücke der Menschheit dar; begreift man den um die Körpermitte gebundenen Lendenschurz oder vergleichbare textile Objekte als Vorläufer des eigentlichen Gürtels, handelt es sich hier sogar um das erste und älteste Kleidungsstück überhaupt, siehe hierzu auch ISIDOR VON SEVILLA, Ety-
mologiae22·.
[...] 5. Vestis antiquissima hominum fuit pemomatum, id est subcinctorium, quo tantum genitalia conteguntuf. [...] Variorum apud veteres vestium civilium, seu laicorum descriptio: Vestis antiquissima fuit perisoma, id est, succinctorium quo tantum verenda tegebantur.
19 20
ANASTASIA PEKRIDOU-GORECKI:
21
FRIEDRICH BREIN, Art. „Strophion", in: HARRY KÜHNEL (Hrsg.): Bildwörterbuch der Kleidung und Rüstung. Stuttgart 1992, S. 254. Isidorus Hispalensis Episcopus: Etymologiarum sive Originum, libri XX, tom. 2, lib. XIX, 22, 5; Index de vestibus sacerdotaübus, PL 221, Sp. 603.
22
Mode, S. 62.
Ebd., S. 95 f.
Der Gürtel als Objekt
5
Neben der Bedeckung und dem Schutz der Geschlechtsteile kam dem Gürtel bereits in archaischer Zeit die Funktion einer Transporthilfe zu, da er zur Befestigung archaischer Werkzeuge wie Faustkeile, Beile und auch zum Verstauen kleinerer Beutestükke oder Jagdtrophäen diente23. Die der Periode des Neolithikum zuzuordnende Mumie aus dem Otztaler Gletscher war u.a. mit einem Gürtel aus Ziegenleder mit eingearbeiteter Tasche bekleidet, an welchem die „Hose" des Mannes in Form von Fellröhren-Beinlingen mittels Laschen befestigt wurde24. Gürtel und Lendenschurz waren selbstverständlich auch in den alten Hochkulturen Mesopotamien und Ägypten unabdingbar, um Kleidungsstücke in Position zu halten. Bei den Sumerern (3. Jahrtausend v. Chr.) diente der Gürtel zur Befestigung der unisex getragenen Fellröcke, griech. καυνάκαι25. Im Rücken des Gürtels befand sich eine übergroße Schlinge, woraus man schließen kann, daß der Schwanz des Tieres mitverwendet wurde. In babylonisch-assyrischer Zeit entwickelte sich die langärmlige Tunika, die mit einem breiten Gürtel getragen werden konnte26. Ein schmales Band zur Befestigung des Dolches wurde über dem eigentlichen Gürtel befestigt. Aufgrund des Klimas wurde in Ägypten der Lendenschurz weniger als „Unterwäsche", sondern hauptsächlich als eigenständiges Kleidungsstück gebraucht. Er konnte aus Leder oder auch aus Stoff bestehen, auf unterschiedliche Weise gewickelt und mit einem Gürtel oder einer Schärpe befestigt werden27. Der Gürtel selbst wurde mit Hilfe eines Knotens oder einer Schließe zusammengehalten28. Gürtelband und Schließe konnten mit Namen und/oder Titel des Besitzers beschriftet sein. Von Frauen bevorzugte Gürtel wiesen oft Schmuckelemente aus Edelmetall oder anderen Materialien (z.B. Kaurischnecken29) auf30. Beliebt waren offenbar auch „Rasselgürtel", bei denen die einzelnen Gürtelelemente kleine Kugeln oder Steinchen in ihrem Inneren einschlossen, die bei jeder Bewegung der Trägerin Geräusche verursachten. Schurz und Gürtung des Pharaos unterschieden sich nur unwesentlich von derjenigen der ägyptischen Bevölkerung31: So bekleidete man den Pharao im Alten Reich der ersten und zweiten Dynastie mit einem Schurz, der auf der linken Schulter von einer Klammer gehalten wurde. Darüber wurde ein Hüftgürtel geschlungen, der im Rücken mit einem Tierschwanz verziert war.
23
INGRID LOSCHEK, Art. „Gürtel", in: dies.: Accessoires. Symbolik und Geschichte. München 1993, S. 54-70, hier S. 54.
24
JOHANNA BANCK-BURGESS, A r t . „Kleidung", in: R G A , Bd. 1 6 (2000), Sp. 6 0 3 - 6 1 4 , hier Sp. 6 0 5 ;
WlEBKE KOCH-MERTENS: Der Mensch und seine Kleider. Teil 1: Die Kulturgeschichte der Mode bis 1 9 0 0 . D ü s s e l d o r f / Z ü r i c h 2 0 0 0 , S. 1 5 .
25 26 27
WlEBKE KOCH-MERTENS: Der Mensch und seine Kleider, S. 21. Ebd., S. 25 f. Ebd., S. 35.
28
ERIKA FEUCHT, A r t . „Gürtel", in: Lexikon der Ägyptologie, Bd. 2 ( 1 9 7 7 ) , Sp. 9 1 7 ff.
29
Kaurischnecken bzw. -muscheln symbolisieren aufgrund ihrer Form die Vulva; ein derartig geschmückter Gürtel verweist auf die Fruchtbarkeit seiner Trägerin und wird daher auch als sexuelle Aufforderung verstanden, vgl. INGRID LOSCHEK, Art. „Gürtel", in: dies.: Accessoires, S. 56.
30
ERIKA FEUCHT, ebd.
31
WlEBKE KOCH-MERTENS: Der Mensch und seine Kleider, S. 39.
6
Der Gürtel als Objekt
Als Bestandteil weiblicher Kleidung mit gleichzeitig schmückender Funktion findet sich der Gürtel im sogenannten Egtved-Grab unter den Textilien einer bronzezeitlichen Baumsargbestattung32: Der Leichnam der so bestatteten 16 bis 18jährigen Frau trug eine kurze, T-förmige Bluse nebst einem ca. 40 cm langen, aus Schnüren bestehenden Rock, der 1,72 m lange Gürtel wurde wahrscheinlich mehrfach um die Taille gewickelt getragen (vgl. Abb. 1). Er diente zur Befestigung einer etwa handtellergroßen, spiralverzierten runden Bronzeplatte. Seine Enden liefen in Quasten aus. Aufgrund zahlreicher weiterer Funde läßt sich ein gewebter, mit quastenbesetzten Enden geschmückter Gürtel als typisches Accessoire weiblicher Tracht der Bronzezeit ausmachen. Als Vorläufer der Gürtelschnalle finden sich in der vorrömischen Eisenzeit metallene Hakenverschlüsse. Als Standardverschlußform gelten sogenannte „Zungengürtelhaken", die „in [ihrer] Grundform aus einem rechteckigen, ca. 2-6 cm langem Eisenblech mit umgelegtem Haken- und Haftende [bestehen]"33. Daneben gibt es — wie später auch bei der Gürtelschnalle — eine Vielzahl von in ihrer Form variierenden Hakenverschlüssen wie z.B. Ringgürtelhaken, Tierkopf- und Stabgürtelhaken, die noch zusätzliches Dekor aufweisen können. Im Unterschied zur weit verbreiteten Fibel ist die Ausführung der Gürteltracht eher regional begrenzt34. Eine „Sonderform" des Gürtels stellen die nur aus Metallgliedern bestehenden Gürtelketten dar, die vermutlich in erster Linie von Frauen getragen wurden35. Einen Höhepunkt handwerklichen Könnens liefern die Bestandteile (vor allem die Schnallen) fränkischer Gürtel. Einen wichtigeren Grad an Funktionalität sowie eine größere Bedeutung als Schmuckelement erhielt der Gürtel für die Franken erst mit deren Vordringen über den Rhein nach Westen, wo sie römisches Reichsgebiet besiedelten36. Seit der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts übernahmen die Frauen den Schnitt der römischen Tunika, welche im Schulterbereich zusammengenäht wurde und folglich ohne Fibeln auskam. Statt dessen wurde sie in Taillen- oder in Hüfthöhe von einem Gürtel zusammengerafft und gehalten. So findet sich unter den Grabbeigaben häufig eine Schnalle im Beckenbereich, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Gürtel gehörte37. Aufgrund ihrer geringen Größe und eher unauffälligen Verarbeitung liegt die Vermutung nahe, daß sie entweder unsichtbar unter dem Bausch der geschoppten Tunika oder unter einem Überkleid/-mantel getragen wur-
32 33
34 35 36
37
Art. „Kleidung", Sp. 607; HENRIK THRANE, Art. „Egtved", in: RGA, Bd. 6 (1986), Sp. 477 f. Zit. nach ROSEMARIE MÜLLER, Art. „Gürtel §2", in: RGA, Bd. 1 3 ( 1 9 9 9 ) , Sp. 159-166, hier Sp. 1 5 9 ff. Ebd., Sp. 164. Ebd., Sp. 165, vgl. Abb. 15, Sp. 159. GUDULA ZELLER: Tracht der Frauen, in: ALFRIED WIECZOREK u.a. (Hgg.): Die Franken. Wegbereiter Europas. Vor 1 5 0 0 Jahren: König Chlodwig und seine Erben. Mainz 1 9 9 6 , Bd. 2 , S. 6 7 2 - 6 8 3 , hier S. 676. GUDULA ZELLER: Tracht der Frauen, S. 674 f.
JOHANNA BANCK-BURGESS,
Der Gürtel als Objekt
7
de38. Ein breiter Gürtel, geschmückt mit einer wertvollen Schnalle und Beschlägen, wurde sichtbar über der Tunika bzw. über Tunika und Überkleid getragen39. Ein besonders schönes Beispiel hierfür bildet die Grabausstattung der um 565/570 n. Chr. verstorbenen Königin Arnegunde, der Mutter Chilperichs I. (561584), die 1959 in der Basilika von Saint-Denis in Paris entdeckt wurde (vgl. Abb. 2)40. Die etwa 45jährige Tote trug ein Hemd aus feinem Leinen, darüber ein etwa knielanges, violett-blaues Seidenkleid, das mit einem ca. 4 cm breiten verzierten Ledergürtel in Hüfthöhe gegürtet wurde (vgl. Abb. 3). Die Senkel dieses Gürtels waren mit massiv silbernen Riemenzungen verziert, die theriomorphe Motive (Tierstil II41) zeigen; sie fielen vermutlich von der Hüfte hinunter auf die Füße - sofern sich die auf den Schienbeinen der Toten gefundenen Riemenzungen noch in ihrer ursprünglichen Position befanden - und erreichten fast den Saum. Als Oberkleid diente eine etwa knöchellange Tunika aus rotbrauner Seide, die mit Leinen gefüttert und an den Ärmeln mit rotem, mit Goldfadenstickereien in Rosetten- und Dreiecksform verziertem, Satin besetzt war. Zwischen dieser Tunika und dem (Unter)Kleid lag in Höhe der Ellenbogen eine, auf einem ca. 6,5 cm breiten Ledergürtel befestigte große goldsilberne Gürtelgarnitur. MARTIN L A S T beschreibt die Ausführung dieser Garnitur sowie ihrer ungewöhnliche Position folgendermaßen42: Das silberne Rahmenwerk von Gürtelplatte und Gegenbeschläg ist jeweils nahe2u gleichförmig in 11 Felder aufgeteilt, die mit Blattgold ausgelegt und mit Filigran, Almandinen und Glasperlen reich geschmückt sind. Das Rahmenwerk weist Niello-Einlagen auf. Die Lage der Garnitur und die Tatsache, daß sie nicht geschlossen war, machen es wahrscheinlich, daß sie der Toten erst bei der Bestattung mitgegeben wurde. Zu Lebzeiten wurde die Garnitur wohl über der Tunika getragen. Zwei Reparaturen lassen auf längere Tragezeit schließen. — Unter der Gürtelplatte fand sich eine eicheiförmige, durchbohrte Holzperle, die wohl als magischer (?) Anhänger zu interpretieren ist (Höhe 2,4 cm; Durchmesser 2,5 cm; Spuren einer Umwicklung).
Neben dem Hinweis auf eine eventuelle magische Funktion der unter der Gürtelplatte verborgenen Holzperle erwähnt Last die den Abbildungen auf Gürtelschnallen häufig innewohnende apotropäische Bedeutung. Diese vermutet er in den auf dem silbernen Rahmenwerk der Gürtelgarnitur abgebildeten, einander zugewandten Stierköpfen43. Demnach könnten diese auf den in der Chronik des F R E D E G A R (7. Jahr38 39 40
41
Ebd. Ebd., S. 682. E b d . , S. 6 8 2 f. u n d MARTIN LAST, A r t . „ A r n e g u n d e - G r a b " , in: R G A , Bd. 1 ( 1 9 7 3 ) , Sp. 4 2 6 - 4 3 2 ,
hier Sp. 426 f.; siehe auch JOHANNA BANCK-BURGESS, Art. „Kleidung", Sp. 611. Tierstil: Germanische Ornamentik, die sich im 6. Jahrhundert unter römischem Einfluß in Nordgermanien entwickelte. Verbindung von Ranken und Mäandern mit stark vereinfachten Tierdarstellungen (Tierstil I). Im Laufe des 7. Jahrhunderts vermischte sich der Tierstil I mit mediterraner Ornamentik (Flechtbändern); er wurde zu einer typisch germanischen Kunstform im Tierstil II, der in Skandinavien bis zum 9.-10. Jahrhundert fortlebte, (zit. nach: JEAN HUBERT, JEAN PORCHER, WOLFGANG FRITZ VOLBACH: Frühzeit des Mittelalters. V o n der Völkerwanderung bis an die
Schwelle der Karolingerzeit. München 1968, S. 396, Namen- und Sachregister.) 42
MARTIN LAST, Art. „Arnegunde-Grab", zit. nach Sp. 428.
43
Ebd., Sp. 4 3 0 .
8
Der Gürtel als Objekt
hundert)44 berichteten Mythos vom Heros eponymos der Merowinger Bezug nehmen. Laut FREDEGAR wurde die Mutter des Meroveus oder Merowech vor dessen Geburt beim Baden im Meer von einem stierköpfigen Meeresungeheuer angefallen: [...] meridiae uxor ad mare labandum vadens, bistea Neptuni Quinotauri similis eam adpetisset [...].
Der Gürtel würde also gewissermaßen den Schutz des mythischen Ahnherren auf dessen Nachkommen heraufbeschwören. Die spätantike römische Tracht und mit ihr die Bevorzugung großer (geschmückter) Gürtel breitete sich im Bereich der ehemals römischen Provinzen von West nach Ost fortschreitend aus und verdrängte somit die Bügelfibeln aus ihrer Funktion als wesentliches Verschlußelement der Kleidung45. Während der breite Gürtel im westlichen Teil des Frankenreiches dominierte46, überwog im östlichen Teil sein schmaleres, meist verdeckt getragenes Pendant. GUDULA ZELLER bemerkt dazu, daß „[...] die Ostgrenze des sichtbar getragenen Gürtels [nicht etwa zufällig] der deutschfranzösischen Sprachgrenze entspricht"47. Neben solchen regional bedingten Unterschieden unterlag der Gürtel auch einem Wandel der Mode48: Dominierten in der fränkischen Männertracht zunächst noch die breiten spätantiken Militärgürtel mit Bronzeschnallen und -beschläg, reduzierten sich die Breite des Gürtelriemens und der Aufwand an Metallbeschlägen gegen Mitte des 5. Jahrhunderts auf ein funktionales Minimum49. Einfache Schnallen mit rundem oder „nierenförmigem" Bügel und schlichtem Dorn ersetzten größtenteils aufwendigere Formen mit rechteckigem oder ovalem Beschlag. Zu Anfang des 6. Jahrhunderts entwickelte sich eine „StandardForm", deren Gürtelband etwa 1,5 bis 2,5 cm breit war und die mit einer beschlaglosen Schilddornschnalle verschlossen wurde50. Der Lederriemen wurde bei den Franken häufig im hinteren Bereich der Schnalle mit drei zur Zierde dienenden Gürtelhaften vernietet. Das frühe 7. Jahrhundert brachte — vermutlich durch Einflüsse aus dem Mittelmeerraum bedingt - zwei einschneidende Veränderungen in der Art des Gürtelverschlusses mit sich: Die Laschen des Gürtels wurden durch die Scharnierkonstruktion abgelöst, gleichzeitig kamen Scheinnieten und Stegösen in Mode51. Letztere ermöglichten die Herstellung des Beschlägs aus einem Guß, da die Scheinnieten nur noch zur Dekoration, nicht aber zur Befestigung des Gürtelbandes dienten; diese Funktion übernahmen die Stegösen an der Unterseite, durch die feine Le44
45 46 47 48 49
50 51
Fredegar: Chronik. Die vier Bücher der Chroniken des sogenannten Fredegar. Chronicarum qui dicuntur Fredegarii libri quattuor. Quellen zur Geschichte des 7. und 8. Jahrhunderts, übers, von ANDREAS KUSTERNIG. Darmstadt 1982 (= Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 4a), III, 9. GUDULA ZELLER: Tracht der Frauen, S. 682 f. Ebd., siehe auch FRANgoiSE VALLET: Weibliche Mode im Westteil des merowingischen Königreiches, in: Die Franken. Wegbereiter Europas, Bd. 2, S. 684-690, hier S. 684. GUDULA ZELLER: Tracht der Frauen, zit. nach S. 683. FRANK SIEGMUND: Kleidung und Bewaffnung der Männer im östlichen Frankenreich, in: Die Franken. Wegbereiter Europas, Bd. 2, S. 691-706, hier S. 691. FRANK SIEGMUND: Kleidung und Bewaffnung, ebd. S. 6 9 5 . Ebd., S. 695 f. Ebd., S. 696.
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derbändchen geknüpft wurden. Aufgrund dieser Veränderung war man nicht mehr auf die Facharbeit eines Metallhandwerkers angewiesen52. Der Großteil der Gürtelbeschläge bestand im 7. Jahrhundert jedoch schon aus Schmiedearbeiten aus Eisen, während nur noch 10-20 Prozent der Schnallen aus Bronze gegossen wurden. Eine Veränderung der fränkischen Frauenmode des 6. Jahrhunderts, insbesondere der Accessoires, konstatiert MECHTHILD SCHULZE in ihrem Aufsatz Einflüsse byzantinischer Prunkgewänder auf die fränkische Frauentrachf'7'. Diese zeigt sich in einer größeren Beliebtheit von Perlenschmuck wie z.B. Amethystperlen, die noch hundert Jahre zuvor in Byzanz allein dem oströmischen Kaiserhaus vorbehalten waren54. Während sich im Rahmen von Ausgrabungen im fränkischen Siedlungsgebiet ursprünglich nur einzelne Perlen im Halsbereich der Bestatteten finden, die auf das Vorhandensein einer Halskette schließen lassen, so belegt später eine höhere Funddichte an - teilweise wertvolleren — Perlen deren Verteilung über den gesamten Körper der Toten. Anhand dieser Funde und ihrer Position im Grab wird deutlich, daß die Fränkinnen der Oberschicht neben der traditionellen Halskette auch Armbänder, perlenbestickte Kleidung und perlenverzierte Gürtel bevorzugten. Die Darstellung eines solchen byzantinischen Modevorbildes findet sich auf einem Mosaik (5./6. Jahrhundert) in San Apollinare Nuovo zu Ravenna, wo das Gewand der heiligen Agnes (f 258/259 oder 304, Fest: 21. Januar) von einem perlenbesetzten Gürtel zusammengehalten wird55. Einer weiteren Gürtelmode jener Zeit entsprachen vielteilige Gürtelgarnituren, die sich wohl um 600 durch die Beeinflussung asiatischer Reiternomaden im mediterranen Raum entwickelten56. Neben den Basisbestandteilen Gürtelband, -schnalle und Riemenzunge (Senkel) wiesen diese Garnituren eine große Zahl von überzähligen kleinen Lederriemen und Beschlägelementen auf, die senkrecht vom eigentlichen Gürtel herunterhingen und einen reinen Schmuckcharakter besaßen. Ihr Beschläg, im mediterranen Bereich aus dünnem (Gold-)Blech oder aus Bronze gefertigt, wurde in einheimischer Produktion aus Bronze gegossen oder aus Eisen mit Tauschiermustern (Muster, die aus Edelmetall bestehen und Intarsien ähnlich auf einer anderen Metallart eingehämmert/eingelegt werden) hergestellt57. Etwa 20 Prozent der fränkischen Gräberfelder an Mittel- und Niederrhein enthielten Anteile dieses Gürteltyps, während er in westlicher gelegenen Bereichen praktisch unbekannt blieb, im Gegensatz zum süddeutschen Raum, wo er sich offenbar großer Beliebtheit erfreute. Das ausgehende 7. Jahrhundert brachte wiederum den „Trend" zum schmalen Gürtel ohne überflüssiges Beschläg, daneben trat die Form des einfach geknoteten Gürtels auf, die ohne Schnalle auskam. FRANK SlEGMUND sieht diese erneute Gürtelmode in der durch karolingische Miniaturen belegten, veränderten Tragweise der Tunika be52 53 54 55
Ebd., S. 697. MECHTHILD SCHULZE: Einflüsse byzantinischer Prunkgewänder auf die fränkische Frauentracht, in: Archäologisches Korrespondenzblatt 6 (1976), S. 149-161, hier S. 157 f. MECHTHILD SCHULZE: Einflüsse byzantinischer Prunkgewänder, S. 157. Ebd., Tafel 41, Abb. 2.
56
FRANK SLEGMUND: Kleidung und Bewaffnung, S. 697 f.
57
Ebd.
10
Der Gürtel als Objekt
gründet, die datin bestand, daß der Gürtel nunmehr wieder durch eine Stoffalte verdeckt getragen wurde58. Gegen Mitte der 30er Jahre des 9. Jahrhunderts wurden die meist stoffreichen Tuniken durch eine ,Schoppung' in der Länge aufgerafft, was eine optische Verlängerung des Oberteils zur Folge hatte59. Die tiefere Gürtung bedingte das Entstehen eines großen Stoffbausches. Die Gürtellinie sank bis kurz nach der Jahrhundertmitte immer tiefer, bis sich der Gürtel schließlich in Hüfthöhe befand60. Literatur und Kunst des hohen Mittelalters (11. bis 13. Jahrhundert) belegen jedoch wieder die Bevorzugung der Gürtung auf Taillenhöhe (z.B. die Personendarstellungen im Codex Manesse). Das Schönheitsideal dieser Epoche spiegelt sich in den Kleider- und Körperekphrasen der höfischen Epik wieder, wobei die schlanke Taille - meist bei Frauen, aber auch bei Männern (z.B. bei Konrad Flecks Flore und Blanscheflur, um 1220 entstanden) — besonders betont61 und durch geschnürte Kleidung oder eben durch das Tragen eines Gürtels noch zusätzlich hervorgehoben wird. Darüberhinaus gewinnt der Gürtel - neben Spangen und Ringen — allein schon aufgrund der Tatsache, daß langärmlige und hochgeschlossene Gewänder der Mode dieses Zeitraums entsprechen, als schmückendes Accessoire an Bedeutung62. HENRICA ZlJLSTRAZWEENS beschreibt den um 1200 gebräuchlichen Gürteltyp wie folgt63: Der um 1200 meistens schmale gürtet war ein langer Lederstteifen oder ein borte, ein Textilstreifen, der häufig nach einem besonderen Verfahren aus schönen Materialien gewebt war. An einem Ende war die Schnalle, die rinke, befestigt, am anderen Ende ein Beschlag, der senket, dieses Ende hing unter dem Gewicht des durch die rinke gezogenen senkels elegant herab. Rinke und senket eines kostbaren Gürtels waren aus Silber oder guldin, vergoldet. Der borte war häufig noch mit Edelmetallplättchen besetzt, zur Verzierung und auch zur Festigung des Gewebes, damit es nicht krempelte und dann bald wie irgendeine Schnur die Taille umgürtete.
Spätestens mit dem Aufkommen der engen, extrem körperbetonten Bekleidung im 14. Jahrhundert verliert der Gürtel seine Funktion als „Gewandraffer" und wandelt sich vollständig zum im Grunde überflüssigen Schmuckobjekt. Seine Position am Körper verlagert sich wiederum auf die Hüfte. Die veränderte Tragweise geht wohl ursprünglich auf eine Innovation im Bereich der Rüstung zurück64: Der enganüegen58 59 60
JOHANNA BANCK-BURGESS,
Ebd.
61
JOACHIM BUMKE:
Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München S. 451 f. HENRICA M. ZLJLSTRA-ZWEENS: Appendix Kostüm und Waffen, in: LAMBERTUS ΟΚΚΕΝ: Kommentar zum Tristan-Roman Gottfrieds von Straßburg. Amsterdam 1985, Bd. 2 (= Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur, Bd. 58), S. 225-342, hier S. 260; ULRIKE LEHMANN-LANGHOLZ: Kleiderkritik in mittelalterlicher Dichtung. Der Arme Hartmann, Heinrich ,νοη Melk', Neidhart, Wernher der Gartenaere und ein Ausblick auf die Stellungnahmen spätmittelalterlicher Dichter. Frankfürt a. M. u.a. 1985 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe I, Bd. 885), S. 32. Zit. nach HENRICA M. ZlJLSTRA-ZWEENS: Appendix Kostüm und Waffen, ebd. HARRY KIJHNEL: Kleidung und Gesellschaft im Mittelalter, in: ders. (Hrsg.): Bildwörterbuch der Kleidung und Rüstung, S. XLII (siehe Fußnote 12). 8 1997,
62
63 64
Art. „Kleidung", Sp. 615.
Ebd.
Der Gürtel als Objekt
11
de kurze Plattenpanzer tritt an die Stelle des Kettenhemdes, was eine Verkürzung der Rumpfpanzerung um die Länge des Oberschenkels zufolge hat. Unter diesem Panzer wird nun ein kurzer, mit schuppenartig angeordneten Plättchen verstärkter Rock getragen, der mittels eines tief um die Hüften sitzenden Gürtels eng am Körper gehalten wird. Diese technische Entwicklung wird Mitte des 14. Jahrhunderts von der Zivilkleidung in Form der Schecke (von fcz.jaquet, knapp das Gesäß bedeckendes männliches Obergewand) nachgeahmt65. Über der Schecke wird jetzt der neuartige Typ des Hüftgürtels, der sogenannte Dupsing (Kunstwort, fälschlich abgeleitet von mhd. dups, „Gesäß", welches in den mittelalterlichen Quellen nicht existiert66; nicht zu verwechseln mit Dusing, dem „Schellengürtel") getragen. Hierbei handelt es sich um einen kräftigen ledernen Hüftgürtel, der auch mit Metallbeschlägen verziert sein konnte67. Seiner ursprünglichen Funktion, der Zusammenraffung weitgeschnittener Kleidung, beraubt, entwickelt sich der Gürtel zum reinen Schmuckgegenstand und Demonstrationsobjekt; er besteht nun auch häufig aus aufwendig verarbeitetem, kostbarem Material wie z.B. Edelmetall, Edelsteinen, Elfenbein oder kunstvoll geschnitztem Holz68. Um 1400 führt eine erneute Verbesserung der Rüstung, nämlich die Einführung von den Unterleib bedeckenden Bauchreifen am Harnisch zum Verschwinden der Dupsing-Modt69. Neben diesem Gürteltyp existiert eine weitere, optisch sehr auffallige Variante: der so genannte Platten- oder Scharniergürtel70. Dieser besteht nicht mehr aus textilem Material, sondern nur noch aus einzelnen Metallgliedern, die meist durch Scharniere miteinander verbunden sind. Als Verschlußelement dient hier keine Schnalle, sondern eine Art Spange nach dem Haken- und Öse-Prinzip. Der Plattengürtel wird wie der Dupsing in Hüfthöhe über der Schecke getragen. In der Frauenmode kommt dem (breiten) Gürtel jedoch eine neue Aufgabe zu, bedingt durch die Trennung zwischen Kleidoberteil („Bluse") und Kleidrock: Er dient jetzt zur Verdeckung der Nahtstelle71. Diese neue Gürtelmode beschreiben F R A N ^ O I S E P L P O N N I E R und P E R R I N E Μ Α Ν Ε in ihrer Arbeit Se vetir au Moyen Age wie folgt72: 65
Ebd.
66
HELMUT HUNDSBICHLER, Art. „Dusing", in: HARRY KÜHNEL (Hrsg.): Bildwörterbuch der Klei-
67
dung und Rüstung, S. 67 f. Ders., Art. „Dupsing", ebd.
68
69
70
HELMUT HUNDSBICHLER, Kap. „Kleidung", in: HARRY KOHNEL (Hrsg.): Alltag im Spätmittelalter.
Graz u.a. 1984, S. 232-253, hier S. 238. HARRY KÜHNEL: Mentalitätswandel und Sachkultur. Zur Entstehung der Mode im 14. Jahrhundert, in: ULF DIRLMEIER/GERHARD FOUQUET (Hgg.): Menschen, Dinge und Umwelt in der Geschichte. Neue Fragen der Geschichtswissenschaft an die Vergangenheit. St. Katharinen 1989 (— Sachüberlieferung und Geschichte, Bd. 5), S. 102-152, hier S. 110. HELMUT HUNDSBICHLER, Art. „Gürtel", in: HARRY KÜHNEL (Hrsg.): Bildwörterbuch der Kleidung
und Rüstung, S. 93-95, hier S. 95; siehe auch INGRID LOSCHEK, Art. „Gürtel", in: dies.: Accessoires, S. 64. 71
INGRID LOSCHEK, ebd.
72
FRANCHISE PIPONNIER/PERRINE MANE: Se vetir au Moyen Äge. Paris 1995, p. 84 f.: «La seconde moitie du XTVe siecle apprecie particulierement les lourdes et larges ceintures composees d'elements en metal articules par des charnieres, placees au nivau des hanches sur les vetements ci-
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Die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts schätzt besonders schwere und breite Gürtel, die aus Metallteilen zusammengestellt sind, welche durch Scharniere ineinandergefügt und in Hüfthöhe auf den kurzen, bürgerlichen Kleidungsstücken, aber auch auf der Rüstung positioniert werden. Solche Goldschmiedearbeiten können reich mit geprägtem Dekor, Emaille oder mit echten oder falschen Edelsteinen verziert sein. Die Seiden- oder Ledergürtel, die mit Schnallen, Senkeln und Metallbesatz bedeckt, manchmal auch mit Perlen und Juwelen besetzt sind, erfreuen sich einer langanhaltenden Beliebtheit, und man kann sich vorstellen, daß es an manchen Höfen in Mode kommt, beweglichen Schmuck, Blätter, Buchstaben und sogar Schellen und Glöckchen von ihnen hinabbaumeln zu lassen. An diesen Gürteln werden (Geld)Börsen fixiert, die einen in Falten gelegt und an einem Metallbügel befestigt, während es sich bei den anderen um einfache flache Täschchen handelt. Von dort hängen Waffen herunter, mitunter werden auch Degen in die flache Tasche „gestellt" oder Schwerter, die ebenfalls von einer Aufhängevorrichtung herabhängen. Parallel zur Modeerscheinung des breiten Gürtels wird weiterhin der Typus des „überlangen" schmalen Gürtels getragen, er „rutscht" nun ebenfalls auf Hüfthöhe 7 3 . Durch diese Verschiebung behindert seine Länge allerdings seine Trägerin/seinen Träger beim Gehen, was dazu führt, daß das lang herabhängende Ende mit Hilfe eines speziellen Hakens (passani), der mit Metallklammern am Gürtel befestigt ist, aufgenommen wird 7 4 . Andererseits läßt sich der Gürtel auch ohne zusätzliche Mittel dadurch verkürzen, daß man das lang herabhängende Ende einfach über die Schnalle führt und anschließend dahinter steckt, so daß eine A r t „ K n o t e n " entsteht 75 . Das so verkürzte Ende kann zusätzlich wieder nach v o r n e geführt und erneut durch die Schnalle gezogen werden (vgl. A b b . 4). (Schmale) Gürtel, die nur etwa halb so lang waren, bezeichnete man als demi-ceintsr, diese wurden vermutlich ausschließlich v o n Frauen getragen und konnten sich bis ins 16. Jahrhundert, v o r allem als Bestandteil der Patrizierkleidung, halten 76 . Noch kürzere Gürtel endeten meist in einer Kette, die nach Belieben der Trägerin „verstellt" werden konnte, indem sie einfach einen Haken in die Ösen der Kette hängte 77 .
vils courts, mais aussi sur l'armure. Ces pieces d'orfevrerie peuvent etre enrichies de decors estampes, emailles ou de gemmes, vraies ou fausses. Les ceintures de cuir ou de soie chargees de boudes, de mordants et d'appliquees metalliques, quelquefois ornees de perles et de pierreries, jouissent d'une faveur durable et Ton imagine, dans certaines cours, de leur suspendre des ornements mobiles, feuilles, lettres et raeme grelots et clochettes. Ä ces ceintures sont attachees des bourses, les unes froncees sur une monture metallique, les autres simple pochettes plates. Des armes y sont suspendues, les dagues parfois „plantees" dans la bourse plate ou les epees, qui sont soutenues aussi par un baudrier.» 73
ILSE FINGERLIN: Gürtel, S. 102 f. (siehe F u ß n o t e 5).
74
Ebd., S. 103f.; INGRJD LOSCHEK, Art. „Gürtel", in: dies.: Accessoires, S. 64.
75
GEOFF EGAN/FRANCES PRITCHARD: D r e s s A c c e s s o r i e s c. 1150-c. 1450. L o n d o n 1991 (= M e d i e v a l
76
INGRID LOSCHEK, Art. „ G ü r t e l " , in: dies.: A c c e s s o i r e s , ebd.
77
Ebd.
finds from excavations in London, 3), p. 36 (no. 284, fig. 43).
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c) Die Antike: Ein gürtelloses Zeitalter? Die ausschließliche Fixierung auf eine Erwähnung des Gürtels innerhalb der antiken Literatur würde wohl zu dem voreiligen Schluß fuhren, daß der Gürtel sowohl in der griechischen als auch in der römischen Modewelt eine eher marginale Rolle zu spielen scheint. Im Gegensatz zur Literaturproduktion des Mittelalters, wo es vor allem in den höfischen Romanen geradezu von Modeekphrasen wimmelt, ist man hier stärker auf die Zeugnisse der darstellenden Künste, in erster Linie in Form von Vasenmalerei und Skulpturen, angewiesen. Eine diesbezügliche Zusammenstellung und Untersuchung unterschiedlicher Gürteltypen liefert die Arbeit von DORIS STUPKA 7 8 . Sie unterscheidet darin anhand des von ihr ausgewerteten Materials fünfzehn verschiedene Gürteltypen, differenziert nach ihrer Form, ihrem Alter und gegebenenfalls nach dem sozialen Status, auf den sie verweisen79. Zunächst einmal unabhängig von STUPKAS Differenzierungsmodell läßt sich zur Art der zu gürtenden griechischen Kleidung folgendes sagen: Gegürtet werden Ober- und Untergewänder mit einem Band oder einem Gürtel, die der Zusammenraffung des oft überdimensionierten Kleidungsstücks in der Horizontalen wie der Vertikalen dienen. Um den Stoff des Gewandes, z.B. des griechischen Chitons in der Länge zu kürzen, um so u.a. dessen Beschmutzung bei der Arbeit zu vermeiden, wird der Stoff oberhalb des Gürtels gerafft und gezogen, bis er in Form eines Bausches ( κ ό λ π ο ς ) über dem Gürtel hängt und diesen als Stoffalte verdeckt (vgl. Abb. 5)80. Eine kurze Beschreibung dieser Traggewohnheit vermitteln die folgenden Ausschnitte aus HOMERS Odyssee (ca. 710 v. Chr.)81 sowie den Romanen der Autoren XENOPHON VON EPHESOS Die Waffen des Eros (2./3. Jahrhundert n. Chr.) und HELIODOR VON EMESA Aithiopika (Die Abenteuer der schönen Charikleia, zwischen 232/33 und 250 n. Chr. verfaßt)82: [...] Sprachs (Eumaios, der Schweinehirt] und raffte in Eile den Rock mit dem Gürtel zusammen, / Ging zu den Ställen, wo Völker von Ferkeln im Engen sich drängten, [...] Xen.: [...] das Gewand ein purpurfarbener Chiton, durch den Gürtel übers Knie geschürzt, [...]; Hei.: [...] Den Anfang machte eine Hekatombe von Stieren, die von den opfernden Bauern in ihrer Tracht geführt wurden. Jeder von ihnen hatte ein weißes Röckchen an, das der Gürtel bis zur Kniekehle heraufzog, [...].
78 79 80 81
82
DORIS STUPKA: Der Gürtel in der griechischen Kunst (siehe Fußnote 14). Ebd., S. 158. REINHARD LULLIES: Griechische Plastik. Von den Anfängen bis zum Beginn der Römischen Kaiserzeit. München 4 1979, Tafel 183, Kommentar S. 99 f. Homer: Odyssee, griech.-dt., hrsg. von ANTON WEIHER. München 5 1977, XIV, 72 ff.: [...] ω ς ε ι π ώ ν ζ ω σ τ η ρ ι θ ο ώ ς συνε'εργε χ ι τ ώ ν α , / βή δ' ΐ μ ε ν ες σ υ φ ε ο ΰ ς , ο θ ι ε θ ν ε α ε ρ χ α το χοι'ρων. Xenophon von Ephesos: Die Waffen des Eros, in: BERNHARD KYTZLER (Hrsg.): Im Reich des Eros. Düsseldorf 2001, Bd. I, S. 100-163, hier S. 102; Heliodor: Die Abenteuer der schönen Charikleia, in: BERNHARD KYTZLER (Hrsg.): Im Reich des Eros, Bd. I, S. 224-512, hier S. 294.
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Die Darstellung der Göttin Hekate auf dem Ostfries des Vergamonaltars (um 180 v. Chr. entstanden) zeigt eine weitere Tragevariante (vgl. Abb. 6)83: Hier dient der Gürtel der Befestigung eines kurzen Mantels (χλαμύς), der in der Breite über der rechten Schulter zusammengerafft und diagonal unter dem Gürtel her gezogen wird, wo er auf Taillenhöhe einen kleinen Bausch auf der linken Seite bildet. Letzterer entsteht dadurch, daß die Mantelwulst wieder ein Stück hinauf, also über den Gürtel, geschoppt wird. Bei diesem nahezu unsichtbar unter dem Bausch getragenen Gürteltypus kann es sich also nicht um ein breites oder starres Modell handeln, das über auffällige Schnallen oder sonstige Schließen verfügt; allein ein leicht dehnbares schmales Stoffband, dessen Enden miteinander verknotet werden, scheint hierfür besonders zweckdienlich zu sein (vgl. Abb. 7)84. Unter den von D O R I S S T U P K A beschriebenen Gürtelkategorien findet sich der von ihr als „Schnurgürtel" bezeichnete Typus, der offenbar „die geeignete Gürtelform [bildete], um die Weite der feinen Chitongewänder, die zu reicheren Formen der Drapierung verlockte, zu Bäuschen zu raffen"85. Demnach ließe sich daraus folgern, daß es sich hier um die am meisten verbreitete Form des Gürtels in der griechischen Antike handelt, da die Mehrzahl aller abgebildeten Gewänder durch ihren Faltenwurf und durch Raffungen besticht, die ohne den Halt eines unsichtbaren oder nur teilweise sichtbaren Gürtels nicht vorstellbar wären. Andererseits wäre es auch denkbar, daß der Schnurgürtel nur als Bestandteil der „Unterwäsche" fungierte und ein weiterer Gürteltyp sichtbar — vielleicht auch als reines Schmuckelement - über einem Obergewand getragen wurde, wie S T U P K A selbst bemerkt86: Als Gürtung des kurzen Chitons dürften Schnüre zwar als Untergürtung, zum Schürzen des Gewandes verwendet worden sein, wo sie aber als solche unsichtbar blieben und durch einen zweiten, über dem Kolpos der Untergürtung angebrachten, meist breiten Gürtel, der dem Gewand erst den richtigen Sitz verlieh, ergänzt wurden, während sie als einzige, sichtbar angelegte Gürtung selten anzutreffen sind. Diese über der Oberkleidung getragenen Gürtel werden durch zahllose Variationen optisch hervorgehoben: Sie differieren in Form, Material, Farbe, Muster, Beschlag, Applikationen und Verschlußart. Die von S T U P K A als „Wulstgürtel" beschriebene Kategorie zeichnet sich beispielsweise dadurch aus, daß sie offenbar aus einer schlauchartigen Stoff- oder Lederhülle besteht, die mit aus Stoffbändern gedrehten Seilen oder Woll- oder ähnlichen Textilabfällen gefüllt ist87. Sie findet sich vor allem in der minoisch-mykenischen Epoche an den Statuetten der sogenannten „Schlangengöttinnen"88. Der deutliche Kontrast zwischen graziler Taille und voluminösem Gürtel erscheint als für diesen Zeitraum charakteristisch. Der Gürtel dient hier zwar auch zum Zusammenhalt der Kleidung, jedoch nicht, indem er, wie in 83 84 85 86
REINHARD LULLIES: Griechische Plastik, Tafel 266, Kommentar S. 131 ff. Ebd., Tafel 128 f., Kommentar S. 181. Zit. nach: DORIS STUPKA: Der Gürtel in der griechischen Kunst, S. 112. Ebd,S. 113.
87
Ebd., S. 13-16.; ANASTASIA PEKRIDOU-GORECKI: Mode, S. 58 (siehe Fußnote 18).
88
Ebd, S. 58.
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späterer Zeit meist üblich, ein faltenreiches Gewand zusammenrafft, sondern zwei Kleidungsstücke - ein mit einem Spenzer oder Mieder vergleichbares Oberteil und einen langen Rock - miteinander verbindet und hält. Gegen Ende der minoischen Blütezeit (3000-2000 v. Chr.) bildet der dekorativ gestaltete Gürtel einen festen Bestandteil der höfischen Gesellschaft: Seine Tragweise ist dabei offenbar geschlechtsspezifisch differenziert89. So tragen Frauen ihren Gürtel unterhalb der Taille auf den Hüften, während der Männergürtel oberhalb der Taille aufliegt. Da er in diesen Körperpositionen nicht mehr dazu benutzt werden kann, den Halt des Gewandes zu garantieren90, muß der Gürtel zu diesem Zeitpunkt bereits die Funktion eines reinen Schmuckobjekts („Ziergürtel") eingenommen haben. Die Tragweise oder auch der völlige Verzicht auf einen Gürtel werden von Mode/Tracht, Gesellschaft und Situation diktiert. Ein gutes Beispiel dafür liefert die Darstellung bekleideter Personen auf für den Export nach Etrurien vorgesehener griechischer Keramik: Im Gegensatz zur der zu dieser Zeit im griechischen Sport ausgeübten Praxis finden sich hier keine nackten, sondern ausschließlich mit einem Lendenschurz bekleidete Athleten91. Bei diesem Lendenschurz handelt es sich um das bereits erwähnte περίζωμα aus Leinen, das entweder drapiert oder geschneidert und von Bauern, Handwerkern, Opferdienern und Sklaven getragen wurde92. Ursprünglich benutzten es wohl auch die Athleten, bevor die unbekleidete Ausübung von Sport(Wettkämpfen) üblich wurde93. Frauen trugen im Rahmen von sportlichen Betätigungen ebenfalls das περι'ζωμοΡ4. Ansonsten bestand die weibliche Unterbekleidung nur aus einem Busenband, dem στρόφιον, das in seiner Funktionsweise dem modernen Büstenhalter entsprach. Gegen Ende des zweiten Jahrtausends löste der χιτών (griech., von semit. keton — Gespinst aus Pflanzenfasern, Leinen95), den Schurz in seiner Funktion als Untergewand ab96. Er wurde zunächst nur von Männern getragen und konnte auf Taillen-, aber auch auf Hüfthöhe gegürtet werden97. Zusätzlichen Halt bekam der χιτών durch den άναλαβος, ein gürtelähnliches Band, das auf jeder Seite um Schulter und Achsel lief und sich entweder vorne oder hinten kreuzte, um ein Herabgleiten des Kleidungsstückes im Schulterbereich der 89 90 91 92 93 94 95
DORIS STUPKA: Der Gürtel in der griechischen Kunst, S. 33. Ebd. WOLFGANG DECKER: Sport in der griechischen Antike. Vom minoischen Wettkampf bis zu den olympischen Spielen. München 1995, S. 194. WLEBKE KOCH-MERTENS: Der Mensch und seine Kleider, S. 66 (siehe Fußnote 24). Ebd. Ebd., S. 72. INGRID LOSCHEK: Reclams Mode- & Kostümlexikon. Stuttgart 1999, Art. „Chiton", S. 150 f., hier S. 150. Entgegen seines etymologischen Ursprungs wurde der Chiton in Griechenland jedoch nicht aus Leinen, sondern aus Schafwolle hergestellt, vgl. FRIEDRICH BREIN: Die griechische Kleidung, in: HARRY KÜHNEL (Hrsg.) Bildwörterbuch der Kleidung und Rüstung, S. XIII-XVIII, hier S. XIII.
96
FRIEDRICH BREIN: Die griechische Kleidung, in: HARRY KÜHNEL (Hrsg.): Bildwörterbuch der
97
Kleidung und Rüstung, ebd., S. XIII. Ebd.; GUY RÄCHET: Lexikon der griechischen Welt, hrsg. und übers, von ROBERT HILGERS. Darmstadt 1999, Art. „Chiton", S. 73.
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Trägerin/des Trägers zu vermeiden98. Vor dem Anlegen dieses Bandes wurden beide Enden miteinander verknotet und das Ganze kreuzförmig übereinander gelegt, wodurch eine Acht entstand". Durch die beiden vorhandenen Schlaufen der „Acht" wurden nun die Arme hindurchgeführt. Das Gewand wurde auf diese Weise unter den Achseln stabilisiert, so daß bei normalen Bewegungsabläufen nichts mehr verrutschen konnte. Neben ihrer praktischen Funktion dienten solche Bänder — neben άναλαβος, wohl von dem griech. Verb άναλαμβάνω („aufnehmen") abgeleitet, existiert auch die Bezeichnung μασχαλιστηρ, abgeleitet von η μασχάλη („Achselhöhle") - offenbar wie der Gürtel dem Schmuck ihrer Trägerin, da sie ebenfalls mit Mustern, Stickereien oder sonstigem Besatz verziert waren und auch in ihrer Farbgebung einen Kontrast zum getragenen Kleid bildeten100. Das lateinische Pendant zum „Achselband" wurde, dem griechischen Begriff μασχαλιστηρ entspre101 chend, als subalanum bezeichnet . Die Variante der doppelten Gürtung ermöglichte der Trägerin/dem Träger eine größere Bewegungsfreiheit durch das Aufraffen des χΐτώνκ1. Hinsichtlich der Verwendung eines Gürtels war — neben vielen (geschlechtsspezifischen) Details - vor allem die Länge des χι των relevant: Der lange, von Männern (als Obergewand) getragene ungegürtete ionische χι των (όρ9οστάδιος)να verwies auf Status und Würde seines Trägers, z.B. auf den Priesterstand104. Er diente gleichzeitig als Festkleidung, während sein bis zu den Oberschenkeln reichendes dorisches Pendant einen einfachen Gürtel aufwies105. Angesichts eines Todesfalls konnte das lose fallende, ungegürtete Gewand jedoch auch die persönliche Trauer seiner Trägerin/seines Trägers ausdrücken106: [...] Ο sage mir, Mutter des Hektor, arme Hekabe du, wer war's von den ewigen Göttern, der dich im stummen Gebilde noch Tränen zu weinen gelehrt hat? [...];
98 99
INGRID LOSCHEK: M o d e - & K o s t ü m l e x i k o n , A r t . „ C h i t o n " , S. 1 5 0 ; WALTHER AMELUNG, A r t .
„χιτών\ Sp. 2318.
ANASTASIA PEKRIDOU-GORECKI: M o d e , S. 9 7 f.
100 Ebd. 101 JOACHIM MARQUARDT: Das Privadeben der Römer. Darmstadt 1975 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe Leipzig 21886), Teü II, S. 740. 1 0 2 WALTHER AMELUNG, Art. „χιτωΫ\ in: R E III, 2, Sp. 2 3 0 9 - 2 3 3 5 , hier Sp. 2 3 1 8 . 1 0 3 ANASTASIA PEKRIDOU-GORECKI: M o d e , S. 77.
104 Ebd., S. 128. 105 WALTHER AMELUNG, Art. ,,χιτών", in: RE III, Sp. 2332 f.; INGRID LOSCHEK: Mode- & Kostümlexikon, Art. „Chiton", S. 150. 106 Anthologia Graeca, griech.-dt., hrsg. von HERMANN BECKBY. München 2 1971, Buch II, V. 175 ff. und 183 ff.:
[...] Συ δ' Έκτορος, εννεπε, μήτερ, / τις σε, πολυτλημων Εκάβη, τις δάκρυα λ ε ι βειν / αθανάτων έδιδαξεν άφωνητφ ένί κοσμφ; [...] [...] φάρος γαρ έπικρεμες άμφι προσώπω / πηματα μεν δεικνυσιν, άπαγγε'λουσι δε πε'πλοι / πένθος ΰποβρΰχιον κεχαλασμε'νοι αχρι πέδιλων [...].
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[...] Der Mantel, der über dein Antlitz herabhängt, tut deine Leiden uns kund, und das Kleid, das bis zu den Sohlen ohne Gürtel107 dir fließt, bezeugt uns die Tiefe des Schmerzes. [...]; (CHRISTODOROS VON KOPTOS, u m 5 0 0 n . C h r . )
Andernfalls war das Tragen eines Gürtels bzw. der Verzicht auf denselben streng reglementiert. Ungegürtet durften sich in der Öffentlichkeit nur Tänzerinnen, Flötenspielerinnen und Hetären zeigen108. Als Beispiel für regionale Unterschiede in der Tracht sei hier noch auf den griechischen πέπλος, ein dorisches Frauengewand aus Wolle, verwiesen: So verzichteten die Spartanerinnen generell auf eine Gürtung des πέπλος, im Unterschied zur variablen Tragweise mit oder ohne Gürtel im übrigen Griechenland109. Chiton und peplos wurden in ihrer Funktion als (Unter)Bekleidung im 6. bzw. im 5. Jahrhundert v. Chr. durch den knielangen chitoniskos (für Männer) und das chitonion (für Frauen) abgelöst110. Letzteres wurde nicht mehr auf Taillen-, sondern auf Brusthöhe gegürtet111. Daß der Gürtel auf jeden Fall in die Vorstellung von „optischer weiblicher Vollkommenheit" miteinbezogen wurde, zeigt HESIOD (um 7 0 0 v. Chr.) in seiner Theogonie bei der Beschreibung der Erschaffung und Einkleidung Pandoras112: Gürtel und Schmuck verlieh ihr [Pandora] die augenhelle Athene dann zu dem Silbergewand und ließ vom Haupt einen Schleier wallen, bunt und kunstreich gewirkt, ein Wunder zu schauen.
Andererseits scheinen sich die Männer nicht weniger für die schmückenden Details ihres äußeren Erscheinungsbildes interessiert zu haben, wie aus der folgenden, in der Florida des APULEIUS (2. Jahrhundert n. Chr.) geschilderten Szene hervorgeht, in welcher der Sophist Hippias (5. Jahrhundert v. Chr.) durch die Qualität seiner selbsthergestellten Kleidung besticht, wobei hier vor allem sein bunter, im babylonischen Stil gehaltener Gürtel auffällt113: [...] uenit Hippias iste quondam certamine Olympio Pisam, non minus cultu uisendus quam elaborate mirandus. Omnia secum quae habebat, nihil eorum emerat, sed suis sibi manibus confecerat, et 107 „Ohne Gürtel" entspricht der Interpretation des Übersetzers, das Gewand der Hekabe ist κεχαλασμενοι, hängt also als Zeichen ihrer Trauer „schlaff an ihr herab und wird somit nicht durch einen Gürtel o. ä. gestrafft. 1 0 8 RUTH KLEIN: Lexikon der Mode. Drei Jahrtausende europäischer Kostümkunde. Baden-Baden 1950, Art. „Gürtel", S. 155 ff., hier S. 156 oben. 1 0 9 WALTHER AMELUNG, Art. „χιτων, in: R E III, Sp. 2 3 1 4 ; G U Y RÄCHET: Lexikon der griechischen Welt, Art. „Peplos", S. 254. 110 FRIEDRICH BREIN: Die griechische Kleidung, in: HARRY KÜHNEL (Hrsg.): Bildwörterbuch der Kleidung und Rüstung, ebd., S. XIII f. 111 Ebd., S. XTV. 112 Hesiod: Theogonie/Werke und Tage, griech.-dt., hrsg. von ALBERT VON SCHIRNDING Düsseldorf/Zürich 32002, Theog. 573 ff.: ζ ώ σ ε δέ κ α ν κ ό σ μ η σ ε θ ε ά γ λ α υ κ ώ π ι ς Ά θ η ν η / άργυφεη έ σ θ ή τ ι . κ α τ ά κρηθ·εν δε κ α λ ΰ π τ ρ η ν / . Jahrhundert n. Chr.; Exzerpt aus dem gleichnamigen Werk von V E R R I U S F L A C C U S , später wiederum von P A U L U S D L A C O N U S exzerpiert) unter dem Lemma ängulos folgendes435: Cingulos appellant homines, qui in his locis, ubi cingi solet, satis sunt tenues.
Die Interpretation dieser Aussage hängt allein an der Übersetzung von tenues: Geht man von der Bedeutung der Adjektive fein, %art, schmal aus, so könnte man unter der Bezeichnung cingulos eine Art Kompliment verstehen. Übersetzt man stattdessen jedoch dünn oder schwach, ergäbe sich eine negativ konnotierte Redewendung, vergleichbar mit den deutschen Ausdrücken ein schmales Hemd oder nichts in den ,Mauen' (Solinger Platt für Ärmel) haben, die einen unterdurchschnittlich kräftigen Menschen bezeichnen. Im Zusammenhang damit steht vermutlich auch der Ausdruck Schmachtriemen als umgangssprachliche Bezeichnung für einen eng geschnallten Gürtel436. Dieser soll entweder Hunger- und Erschöpfungsgefühle zurückdrängen oder aber die Muskulatur des Unterleibs entlasten (bei Fuhrleuten und Reitern)437. 431 BARBARA HAUPT: Der schöne Körper in der höfischen Epik, in: KLAUS RIDDER/OTTO LANGER (Hrsg.): Körperinszenierungen in mittelalterlicher Literatur. Kolloquium am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (18. bis 20. März 1999). Berlin 2002, S. 47-73, hier S. 51.
432 INGRID LOSCHEK, Art. „Gürtel", in: dies.: Accessoires, S. 56. 433 Konrad Fleck: Floire und Blanscheflür. Bruchstücke. Nach den Handschriften F und Ρ unter Heranziehung von Β Η, hrsg. von CARLH. RISCHEN. Heidelberg 1913 (= Germanische Bibliothek, Bd. 4), V. 6850-6853 [Die Versschreibung beruht auf einem Eingriff der Verfasserin, die Ausgabe von CARL H. RISCHEN verwendet trotz des Endreims Prosazeilen]; JOACHIM BUMKE: Höfische Kultur, S. 423 f. (siehe Fußnote 61). 434 Ebd. S. 423. 435 Sextus Pompeius Festus: De verborum significatu [quae supersunt cum Pauli Epitome], hrsg. von WALLACE Μ. LINDSAY. Leipzig 1913, Art. „cingulos", S. 38.
436 JACOB GRIMM/WILHELM GRIMM: Deutsches Wörterbuch, Bd. 9 (1899), Art. „Schmachtriemen", Sp. 892 f. 437 Ebd.
Exkurs: Der Gürtel als Indikator des Schönheitsideals
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Eine - durch Unterernährung - übertrieben schlanke Taille entsprach jedoch nicht mehr dem Idealbild, wie die Beschreibung der Armen zeigt, die der Protagonist König Rüther in der gleichnamigen Dichtung (um 1160/70 entstanden) beschenkt438: si sin 20 deme gvrtele also smal. En stat er liph harde wal.
438 HANS UND IRMTRAUD PÖRNBACHER (Hrsg.): Spielmannsepen. I: König Rother/Hereog Ernst Darmstadt 1984, Küttig Rother, V. 1372 f.
3. DER GÜRTEL IM RAHMEN VON MODEKRITIK UND GESETZGEBUNG
a) Spott und Kritik: Das Auge des Betrachters Hetgegen was soll ich sagen von tier grossen stinckenden hoffart der wetber? ...das manche gefunden n/irt, die henckt mehr an einen einigen gürtel, weder sie sonst an haab unnd gut vermag/ und wendt mancheein grossem kosten mit sammet, seiden, goldt, silber und andern dingen mehr an solchen gürtel, das der goldtschmidt nachmals den gürte! nichtfür den macherlohn nehme. {Straßburger Predigten des GEILER VON KAISERSBERG über die „Narren" - n a c h SEBASTIAN BRANTS
Narrenschiff*19)
Sowohl in der Antike als auch im Mittelalter finden sich immer wieder mahnende Stimmen, die von einer übertrieben luxuriösen Ausstattung an der Kleidung abraten bzw. den bereits zur Schau gestellten Luxus mehr oder weniger scharf kritisieren. Bereits die Bibel prangert übertrieben geschmückte Frauen an (Is 3, 18-24)m: in die illa auferet Dominus ornatum calciamentorum et lunulas (19) et torques et monilia et armillas et mitras (20) discriminalia et periscelidas et murenulas et olfactoriola et inaures (21) et anulos et gemmas in fronte pendentes (22) et mutatoria et pallia et linteamina et acus (23) et specula et sindones et vittas et theristra (24) et erit pro suavi odore fetor et pro zona funiculus et pro crispanti crine calvitium et pro fascia pectorali cilicium [...].
Die Töchter Zions sollen all ihres Putzes (Schuhe, Gehänge, Armreifen, Halsketten, Armbänder, Kopfbedeckungen, Schrittkettchen, Kniespangen, Amulette, Parfüms, Ohrringe, Ringe, Edelsteine, Kleider, Mäntel, Leinen, Nadeln, Spiegel, Baumwollgewänder, Binden, Schleier) beraubt und äußerlich als Sünderinnen kenntlich gemacht werden, indem man sie kahl schert (calvitium), ihnen härene Gewänder anlegt (cilicium) und ihre Gürtel gegen Stricke (funicultts) vertauscht. Erst dadurch, daß sie - bildlich gesprochen — „in Sack und Asche gehen", können sie im Glauben geläutert werden441. Der Historiker H E R O D I A N (3. Jahrhundert n. Chr.) äußert sich über den nur ein Jahr amtierenden Soldatenkaiser M. Opellius Macrinus (217-218 n. Chr.) wie folgt442: Wenn er ausging, pflegte er Spangen und einen Gürtel zu tragen, so daß er vollständig mit Gold und kostbaren Steinen geschmückt war. Eine derartige Extravaganz wird von den römischen Truppen nicht geschätzt, sie scheint besser zu Barbaren und Weibern zu passen. 4 3 9 Zit. n a c h ILSE FLNGERLIN: Gürtel, S. 2 9 9 .
440 ROBERT WEBER: Biblia Sacra Iuxta Vulgatam Versionem. Stuttgart 4 1994. Alle innerhalb dieser Arbeit zitierten lat. Bibelstellen beziehen sich auf diese Ausgabe. 441 GERTRAUD HAMPEL-KALLBRUNNER: Beiträge zur Geschichte der Kleiderordnungen mit besonderer Berücksichtigung Österreichs. Wien 1962 (Diss.), S. 11 f. 442 Herodian: Historiae, transl. by CHARLES R. WHITTAKER. Cambridge (Mass.)/London 1970, vol. 2,
V, 2, 4: προεηει τε πορπαις και ζωστήρι χρυσω τε πολλφ και λιθοις τίμιος πεποικιλμε'νος, της τοιαύτης πολυτελείας παρα τοις 'Ρωμαίων στρατιώταις ουκ έπαινουμε'νης, βαρβάρου δε μάλλον και θηλυπρεποϋς είναι δοκοΰσης.
Der Gürtel im Rahmen von Modekritik und Gesetzgebung
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Einen weiteren Quellenbeleg, der beweist, daß die luxuriöse Ausführung bestimmter Accessoires wie z.B. modisch „aufgeputzter" Gürtel in der mittelalterlichen Dichtung nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, liefern die Klagen, Predigten und Verbote der über den Sittenverfall empörten Geistlichen. Bereits im 4. Jahrhundert setzen sich die griechischen Kirchenväter mit der luxuriösen Gewandung ihrer Mitmenschen auseinander. So wettert G R E G O R V O N N A Z I A N Z (um 326-390) in seiner Verspredigt κατά γυναικών καλλωπιζόμενων (ιGegen die Putzsucht der Frauen) gegen „Kosmetik, Coiffure und Kleiderprunk"443: (35) Dies hier ist Gottes Gebilde — von Menschenhand all jenes; dies ist alt — das da neu: eine Wiese mit zweierlei Blumen, erfreulichen und abscheulichen im Wechsel; oder ein Kleid von zweideutiger Farbe, durch mehr als einen Gürtel gerafft. Darum sollst du die Bemalung des Körpers entweder unterlassen oder unversehrt erhalten, (40) aber nicht ein schmählich versagendes Schönheitsmittel benützen, ein Tuch der Penelope, das der Tag wob, aber die Nacht auflöste; außen Helena, darunter Hekabe![...]
Sein Zeitgenosse JOHANNES CHRYSOSTOMUS (345-407), Bischof von Konstantinopel, äußert sich wie folgt in einer Predigt über den Kleiderluxus444: Denn sage mir, welchen Nutzen hat man von der Menge kostbarer Kleider? [...] Keinen; im Gegenteil, wir haben nur Nachteil davon. [...] Und während du aus überflüssigem Luxus zwei, ja nicht selten drei Leibröcke (χι'τωνίσκους), ein feines Obergewand (χλανι'δα), einen Gürtel und weite Beinkleider (αναξυριδας) anhast, nimmt es jenem [dem Armen] kein Mensch übel, wenn er nur mit einem einzigen Leibrocke bekleidet ist; daher erträgt er die (Hitze) viel leichter. [...]
Eine vorwiegend misogyn gefärbte Predigt BASILIUS DES GROßEN (330-379, hl., Fest: 2. Januar), griechischer Kirchenlehrer und Bischof von Caesarea, prangert den generellen Besitz von Luxusgütern und deren Zurschaustellung an445: Denn sie [die prunkliebende Gattin] steigert das Wohlleben, erhöht die Vergnügungssucht, weckt eide Begierden, sinnt auf kostbare Steine, auf Gold, auf Perlen, Smaragde und Hyazinthe, läßt Gold teils vom Goldschmiede bearbeiten, teils in Stoffen weben und verschlimmert so durch allerhand Geschmacklosigkeiten die Krankheit. [...] Kostbare Steine in Goldfassung dienen ihnen [den Frauen] als Kopf- und Halsschmuck; Gold schmückt ihre Gürtel, Gold fesselt ihre Hände und Füße.
443 Gregor von Nazianz: Gegen die Putzsucht der Frauen, hrsg. von ANDREAS KNECHT. Heidelberg 1972, V. 35-40, (S. 21): τοΰτο θ ε ο ϋ δέμας έ σ τ ι , χερός τάδε τοϋτο παλαιον, / τοϋτο νέον· λ ε ι μ ώ ν α ν θ ε α δ ι σ σ ά φέρων, / τερπνών τ ε στυργερων τ ε άμοιβαδι'ς, ή έ τις έ σ θ η ς / άμφι'χροος, ζ ω ν α ϊ ς π λ ε ί ο σ ι ν έλκομένη. / τ ο ΰ ν ε κ ε ν η φεΰγειν γραπτόν δέμας ήέ φ υ λ ά σ σ ε ι ν , / μηδ' έπνλώβητον εΐδεος α λ κ α ρ έχειν, / ίστόν Πηνελο'πης, τον ν ΰ ξ λ ΰ ε ν , ημαρ ΰφαινεν· / ενδοθι την Έ κ ά β η ν , ε κ τ ο θ ι την Έ λ έ ν η ν . 443 Johannes Chrysostomus: Ausgewählte Schriften, BdK, Bd. 45 (1924):, aus dem Griech. übers, von Wenzel Stoderl, hrsg. von OTTO BARDENHEWER, Komment z. Philipperbrief, 11. Homilie, Abs. 3, S. 159. 444 Basilius der Große: Ausgewählte Homilien und Predigten, BdK, Bd. 47 (1925), aus dem Griech. übers, von Anton Stegmann, hrsg. von OTTO BARDENHEWER, 6. Predigte!» die Reichen, S. 239-257, hier S. 247. 445 Zit. nach JOACHIM BUMKE: Höfische Kultur, S. 206.
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Im Mittelalter äußert sich THIETMAR VON MERSEBURG (975-1018), Bischof und Historiograph, in seiner Chronik über „gewisse moderne Frauen" dahingehend, daß „von denen die meisten ihren Körper auf unziemliche Weise gürten und allen Liebhabern das, was sie an sich feilzubieten haben, offen zeigen"446: Haec bona quaeque conscientiae tegens secreto suae, fuit caeteris matronibus, quae apud modernos sunt longe dissimilis, quarum magna pars menbratim iniuste circumcincta, quod venale habet in se, cunctis amatoribus ostendit aperte.[...]
Der Franziskanerprediger BERTHOLD VON REGENSBURG (1210-1272) entrüstet sich über die offenbar ausgeprägte Vorliebe der Frauen für die Farbe Gelb, das Interesse an ausgefallenen Materialien und Schnitten sowie über unnötige Zutaten wie Prunkärmel, Schleppen, Kopfbedeckungen, Broschen und Gürtel447. Direkt auf den Gürtel bezogen kritisiert er jedoch weniger dessen Machart als das Verhalten seiner Trägerinnen448: [...] sö rücket daz den gürtel hceher, [...]; Sö danne etelichez niht mer höhvart mac getriben, so rücket ez die gürteln höher [...].
Das demonstrative Zeigen des Gürtels entspricht hier der Zurschaustellung der weiblichen Figur; das „Höherrücken" des die Taille umspannenden Gürtelbandes mag den modernen Leser zum Vergleich mit der im 18. Jahrhundert aufkommenden Empire-Mode, bei der die Kleidertaille nicht oberhalb der Hüfte, sondern direkt unterhalb der Brust angesetzt war, anregen. Dem Dominikaner E T I E N N E D E B O U R B O N (Stephanus de Bellavilla, 1180 oder 1190/95-1261) hingegen geht es speziell um die plastisch aus Metall gearbeiteten Schmuckelemente des Gürtels, deren oft theriomorphe Form er als Akt der superbia ansieht, welche schon die Strafe, die die Gürtelträger in der Hölle erwartet, impliziert449: Aber die größte und tadelnswerteste Eitelkeit zeigt sich in Form von Gürteln, die mit Eisen beschlagen, aus Seide, Silber oder Gold gefertigt oder mit wertvollen eingelegten Steinen versehen sind. Auch scheint es, daß die Neugier und der Aufwand des [menschlichen] Geschöpfes schuldig sind: Denn sie fertigen auf Gürteln Bilder von einem Löwen, von einem Drachen, einem Vogel und von anderem ähnlichen [Getier] an, gemalt oder geschnitzt und aus Silber und Gold gegossen, deren Herstellung einen größeren Aufwand [an Zeit] bestreitet als das Erzeugnis und mehr kostet als 446 ROBERT HOLTZMANN (Hrsg.): Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg und ihre Korveier Überarbeitung. Berlin 21955, lib. IV, 63 (MGH, SS, Bd. 9); siehe auch ELKE BRÜGGEN: Kleidung und Mode, S. 164 ff. (siehe Fußnote 6). 447 Berthold von Regensburg, 2 Bände, hrsg. von FRANZ PFEIFFER und JOSEPH STROBL. Wien 1862
und 1880 (Neudruck Berlin 1965), Bd. 1, S. 83,16f., S. 527, V. 8 f. 448 Zit. nach ELKE BRÜGGEN: Kleidung und Mode, S. 165: Vanitas autem maxima et reprehensione dignissima apparet in corrigiis ferratis, sericatis, argenteis vel aureis, vel de preciosis lapidibus insertis; [...] Culpabilis eciam videtur esse facture curiositas et sumptus: faciunt enim in corrigiis imagines leonum et draconum et avium et aliarum similitudinum pictas vel sculptas et fusas ex argento et auro, quorum factura majoris est sumptus et plus constat quam ipsa materia aliquando; et materiam superbia superat opus artificis, et eos qui his utuntur devorabunt aliquando leones et dracones infernales [...].
Der Gürtel im Rahmen von Modekritik und Gesetzgebung
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jenes Material; und das Werk des Künsders überragt das Material an [unangemessenem] Stolz [über die künsderische Leistung], und jene, die diese [Werke] genießen, werden einst von höllischen Löwen und Drachen verschlungen werden.
Offenbar ergriff das allgemeine Interesse an modischer wie luxuriöser Kleidung im 13. Jahrhundert auch Angehörige des Klerus, weshalb sich die Gegner solcher „Neuerungen" dazu veranlaßt sahen, auf Synoden und Konzilien bestimmte Verbote festzulegen: Das IV. Laterankonzil von 1215 unter Papst Innozenz III. (1160/611216, Papst seit 1198) untersagte dem Klerus u.a. das Tragen von mit Gold- und Silberschmuck verzierten Ledergürteln, von Spangen und auch von Ringen, sofern sie jenem nicht aufgrund seiner Dienststellung innerhalb der Kirche zustünden450. 1227 wurde auf einem Konzil in Trier speziell den Nonnen nahegelegt, auf „geschnürte Ärmel, Spangen, Ringe aus Gold oder Silber, goldene Borten und seidene Gürtel zu verzichten"451. 47 Jahre später wurde im Rahmen des Provinzialkonzils zu Salzburg beschlossen, „das Tragen langer Haare, nicht geschlossener Kleidung, silberner Gürtel und Schnallen und geschwänzter Hüte zu untersagen und für die Verbrämung der Kopfbedeckung schwarzes Schaffell vorzuschreiben452". Eine Gefahrdung der Reputation des Ordens, ausgehend von „leinenen Hemden, gold- und silbergeschmückten Gürteln aus Seide, modischen Schuhen und Übergewändern und bunten, geschlitzten Kleidern, deren Ärmel tiefer als bis zur Hand herunterfallen", sahen die Benediktineräbte der Reimser Kirchenprovinz auf dem Generalkapitel von St. Quentin im Jahre 1299 gegeben453. 1337 sprach sich die Synode zu Köln gegen die neumodischen kurzen und engen Röcke und die Wämser nebst langen, bis zu den Knien reichenden Schleppen aus454. Darüberhinaus wurde dem Klerus die Miparti Mode (frz. „halb geteilt", zwei- oder mehrfarbig zusammengesetzte Kleidungsstücke) sowie das Tragen von mit Gold oder Silber geschmückten Stoff- oder Ledergürteln untersagt. Die negative Bewertung luxuriöser Kleidungsstücke flöß - über den Umweg der Personifikation - auch in die bildende Kunst ein. Ein Beispiel dafür liefert die sogenannte Apokalypse von Angers, ein im Auftrag Herzogs Ludwig I. von Anjou (1339-1384) zwischen 1370 und 1380 angefertigter Bildteppich, der die Große Hure an den Wassern personifiziert. Diese wird hier als junge attraktive Frau dargestellt, welche ihr bis auf die Hüfte fallendes goldenes Haar kämmt, während sie in einen Handspiegel blickt (vgl. Abb. 32)455. Ihr transparentes Gewand schmückt ein kostbarer Gürtel, der in Hüfthöhe aufliegt und mit Edelsteinen verziert ist. Der Verschluß des Gürtels springt besonders ins Auge, da es sich hierbei nicht um eine Schnalle, sondern um eine Art Tasselverschluß, wie er sich 450 MARTHA BRINGEMEIER: Priester- und Gelehrtenkleidung. Tunika/Sutane, Schaube/Talar. Ein Beitrag zu einer geistesgeschichtlichen Kostümforschung. Münster 1974 (= Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde, Beiheft 1), S. 20 ff. 451 Zit. nach ELKE BRÜGGEN: Kleidung und Mode, S. 167. 452 Ebd. 453 Ebd., S. 167 f. 454 HARRY KÜHNEL: Mentalitätswandel und Sachkultur, S. 103 f. (siehe Fußnote 69). 455 ECKART CONRAD LUTZ: Spiritualis fomicatio. Heinrich Wittenwiler, seine Welt und sein >Ring