172 24 230MB
German Pages 732 [733] Year 1985
EICHHOLTZ
Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft
1939—1945
Band II:
1941-1943
FORSCHUNGEN ZUR WIRTSCHAFTSGESCHICHTE herausgegeben von Jürgen Kuczynski, Hans Mottek und Helga Nussbaum Band 1
DIETRICH EICHHOLTZ
Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945 Band I I : 1941-1943
DIETRICH EICHHOLTZ
Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft
1939-1945
BAND II: 1941-1943 Mit einem Kapitel von Joachim Lehmann
1 Beilage
AKADEMIE-VERLAG-B ERLIN 1985
Erschienen im Akademie-Verlag, DDR - 1086 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1984 Lizenznummer: 202 • 100/105/84 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 4450 Gräfenhainichen • 6305 Lektor: Günter Hertel Schutzumschlag und Einbandgestaltung: Willi Bellert LSV 0265 Bestellnummer: 754 102 3 (2140/1/II) 05200
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
XI
Abkürzungsverzeichnis KAPITEL I
XIII
Der Überfall des faschistischen deutschen Imperialismus auf die U d S S R . Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionen
1
1. Kriegszielvorstellungen und wirtschaftliche Ausgangsbasis für den Überfall auf die UdSSR
1
a) Die UdSSR im Kriegszielprogramm des deutschen Imperialismus . . b) Der Stand der Rüstung beim Überfall auf die UdSSR
1 4
2. Die „Umrüstung" vom Sommer 1941 und ihr Scheitern a) b) c) d) K A P I T E L II
Der
Das „Göringprogramm" Ansätze zur „Umrüstung" Die Krise des wirtschaftlichen Blitzkriegskonzepts Die Legende von den verpaßten kriegswirtschaftlichen Möglichkeiten Zusammenbruch
des
wirtschaftlichen
11 11 19 25 36
Blitzkriegskonzepts.
Konzentration der staatsmonopolistischen Regulierungsgewalt . .
41
1. Auswirkungen der Niederlage vor Moskau
41
2. Die Reorganisation des Systems staatsmonopolistischer Machtorgane in der Kriegswirtschaft (Zweite Phase) a) Die Reorganisation des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition Bis zum 8. Februar 1942 Der Ministerwechsel Höhepunkt der Reorganisation (Frühjahr 1942) b) Fritz Sauckels Ernennung zum „Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz" c) Die Konstituierung der „Zentralen Planung" „Neuordnung der Eisenbewirtschaftung" d) Die Bildung der Reichsvereinigung Eisen
47 47 49 55 63 74 79 84 86
VI
Inhaltsverzeichnis 3. Der Ausbau der staatsmonopolistischen Position des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition. Rüstungskommissionen und Gauwirtschaftskammern
KAPITEL III
a) Erweiterung der „Mittelinstanz" des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition
94
b) Verzögerte Bildung von Gauwirtschaftskammern
98
4. Veränderungen in Funktion und Struktur des Regulierungsmechanismus in der Kriegswirtschaft
104
a) Staatsmonopolistische Machtkonzentration und faschistische Partei
111
b) Das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition und die Reichsgruppe Industrie
113
Die Wende
des Krieges
und das kriegswirtschaftliche
Konzept
des deutschen Imperialismus
118
1. Auswirkungen der Niederlagen des Winters 1942/43
118
a) Frontverluste und Rüstungsprogramme
118
b) Die kriegswirtschaftliche Konzeption im „Totalen Krieg" Kapitalistische Rationalisierung Weitere Konzentration der Regulierungsgewalt Bestrebungen zur Zusammenfassung der „europäischen Wirtschafts- und Rüstungskapazität"
124 127 131
2. Konzentration der Regulierungsgewalt im Sommer/Herbst 1943 . . . .
iv
136 139
a) Kriegswirtschaftliche Folgen des Zusammenbruchs der Defensivstrategie des deutschen Imperialismus
139
b) Reorganisation des staatsmonopolistischen Apparats in der Kriegswirtschaft (Dritte Phase) „Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion" . . . . Das Planungsamt Der „Generalbeauftragte für Betriebsumsetzungen" Beginn der Untertageverlagerung (A4) Besetzte Gebiete Der „Bandwurmerlaß" Reorganisation des Reichswirtschaftsministeriums
146 146 148 150 154 157 162 165
3. Die Machtvollkommenheit des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion und ihre Grenzen a) „Zentralstelle" der Kriegswirtschaft
168 169
b) Der „Eiserne Pakt". Auftritt in Posen c) Politische Ambitionen KAPITEL
92
173 176
Die Arbeitskräftesituation. Zur L a g e der deutschen Werktätigen und ausländischen Zwangsarbeiter
179
1. Arbeitskräfteprobleme 1941/42. Der „Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz"
179
a) Arbeitskräftepolitik im Sommer/Herbst 1941
179
Inhaltsverzeichnis
VII Das I n s t r u m e n t a r i u m der Arbeitskräftebeschaffung 1941 . . . . Chaotische Arbeitskräfte„planung" nach dem 22. J u n i b) Die Ginrichtung des Zwangsarbeitsregimes f ü r die Arbeitskräfte aus der U d S S R Die Initiative der Rüstungsmonopole Der Hitler-Erlaß vom 31. Oktober u n d die Richtlinien Görings v o m 7. November 1941
190 193 193 196 198
d) P r o g r a m m u n d Politik des GBA 1942 „Ausnutzung der Arbeitskraft des Ostens" Mobilisierung von Frauen und Jugendlichen
203 205 210
. .
e) Lebens- u n d Arbeitsbedingungen der sowjetischen Zwangsarbeiter Isolierung und politische Quarantäne Ernährung Entlohnung
211 212 214 217
f) „Vernichtung durch Arbeit"
220 226
a) Meldepflicht- u n d Stillegungsaktion
226
b) Die Mobilisierungskonzeption des Reichsministers f ü r B e w a f f n u n g u n d Munition
232
c) Stockender Zufluß ausländischer Zwangsarbeiter
237
d) Bilanz der Verschleppung u n d Ausbeutung
243
3. Probleme der Arbeits- und Lebensbedingungen deutscher Arbeitskräfte
248
a) Terror, Korrumpierung u n d Manipulierung
249
b) Arbeitsbedingungen und Arbeitsproduktivität i m Kriege
259
4. Das Zwangsarbeitsregime 1943
267
a) Ausbeutung und Terror b) „Sorgfältige Bewirtschaftung Arbeitskraft"
268 und
Erhaltung
der
menschlichen
c) Das Ideal imperialistischer Ausbeutung
v
186 186
c) Die Krise (Dezember 1941-Februar/März 1942) Das Dilemma der faschistischen Arbeitskräftepolitik Der „Schlüsselkräfte"-Erlaß v o m 19. Februar 1942 Die Vorgeschichte des GBA
2. „Totaler Krieg" — partielle Mobilisierung (1943)
KAPITEL
180 182
275 281
E x k u r s : Bemerkungen zur Geschichte des Widerstandes der Zwangsarbeiter
288
Rationalisierung und Kriegsproduktion
293
1. Rationalisierung in der Industrie
293
a) Das Rationalisierungsprogramm der Rüstungsmonopole u n d seine Voraussetzungen
295
b) Methoden der Rationalisierung Kohle Eisen u n d Stahl W a f f e n und Kriegsgerät Kraftfahrzeuge
302 306 307 308 313
Inhaltsverzeichnis
VIII Maschinen Lokomotiven „Zivile" Produktion c) Zum Gesamtresultat der Rationalisierung 2. Die Entwicklung der Kriegsproduktion
KAPITEL vi
316 317 318 321 327
a) Vorbemerkung zur Statistik
327
b) Waffen, Kriegsgerät, Kraftfahrzeuge Waffen Panzer Kraftfahrzeuge Flugzeuge Kriegsschiffe Munition „Wunderwaffen"
330 330 333 337 339 342 342 346
c) „Sonderfragen der chemischen Erzeugung" Stickstoff: Pulver und Sprengstoff Treibstoff Synthetischer Kautschuk
348 350 353 356
d) Grund- und Rohstoffe Kohle Der „Schlüsselrohstoff": Eisen und Stahl Nichteisenmetalle
357 357 361 366
e) Maschinen, Bauten, Investitionen Maschinenbau Bauwesen Industrielle Anlageinvestitionen
371 371 377 381
f) Konsumgüter
384
g) Elektroenergie
389
Zur Kriegsziel- und Okkupationspolitik des deutschen Imperialismus
392
1. Das deutsche Finanzkapital und die Kriegszielplanungen nach dem 22. Juni 1941 392 a) Die „Neuordnungs"-Planung 1941/42
392
b) Der Eigentumsanspruch der Monopole und die sozialistischen Produktionsverhältnisse in der U d S S R
411
c) Pläne für die Amortisation der deutschen Kriegsschulden
419
d) 1943: Alte und neue Illusionen
422
Exkurs: Politische und ökonomische Hintergründe des „Generalplans Ost".
430
2. Studien zur Wirtschaftspolitik der Okkupanten in den besetzten Gebieten der U d S S R
460
a) Stahl und Kohle (Dnepr-Donec-Gebiet)
460
b) Erdöl (Kaukasus)
477
3. Kriegswirtschaftliche Resultate der Okkupationspolitik a) Grund- und Rohstoffe
490 492
Inhaltsverzeichnis
IX b) Landwirtschaftliche Produkte c) Waffen und Kriegsgerät d) Clearingschulden und Besatzungskosten
KAPITEL
vu
499 505 509
Kapitalkonzentration und Kriegsprofit
513
1. Der Mechanismus der Profitmacherei
513
a) LSÖ und Festpreissystem 513 h) Abschreibungen 520 c) Milliardengeschenke aus der Staatskasse (Investitionskredite, Subventionen, Steuerpolitik) 521 d) Superprofite aus Zwangsarbeit
KAPITEL
vin
529
2. Konzentration von Kapital und Profit a) Unternehmensstatistik b) Die Dividendenabgabeverordnung vom 12. Juni 1941 c) Investitionen und „ursprüngliche Akkumulation" d) Führende Rüstungskonzerne
531 531 533 538 540
3. Gesamtprofit: 100 Milliarden
560
Die deutsche Landwirtschaft im Kriege (v. Joachim Lehmann)
. 570
1. Die Kriegsvorbereitung
570
2. Die staatsmonopolistische Organisation der Kriegsernährungswirtschaft a) Von August 1939 bis 1941/42
579 580
b) Von 1941/42 bis 1943
ANHANG
584
3. Die Produktionsbedingungen der Landwirtschaft und die Arbeitskräftesituation a) Betriebsgrößenstruktur b) Die landwirtschaftlichen Betriebe und ihre Produktionsmittel . . . Bodennutzung Landmaschinen und Geräte Düngemittel c) Arbeitskräfte
592 593 594 594 596 603 608
4. Landwirtschaftliche Produktion a) Pflanzenproduktion b) Tierproduktion
616 616 629
1. Ausstoß-Übersicht 1940-1944: Waffen, Geräte und Munition
. . . .
2. Ausschüsse und Ringe des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition 3. Aufgabenverteilung beim Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion und Generalbevollmächtigten für Rüstungsaufgaben i m Vier-
645 670
Inhaltsverzeichnis jahresplan nach dem Erlaß über die Aufgabenverteilung in der Kriegswirtschaft vom 29. Oktober 1943
670
4. Verzeichnis der Tabellen
670
5. Quellen- und Literaturverzeichnis
677
6. Register
694
a) Personenverzeichnis
694
b) Verzeichnis der Firmen, Behörden und Institutionen
700
Vorwort
Mit dem vorliegenden Band wird nach längerer, durch die Mitarbeit des Verfassers an anderen Publikationen verursachter Unterbrechung das auf drei Bände angelegte Vorhaben einer Geschichte der deutschen Wirtschaft im zweiten Weltkrieg fortgeführt. Das Gesamtprojekt stellt die erste geschlossene, umfassende marxistische Untersuchung der Thematik und damit grundlegender Aspekte der Strategie und Politik der herrschenden Klasse im Imperialismus, besonders der aggressivsten und reaktionärsten Elemente des Finanzkapitals, dar. Fundamentales Anliegen der Arbeit ist die Aufdeckung der zum Krieg treibenden und am Krieg interessierten Kräfte und ihrer verbrecherischen Methoden. Die Untersuchung hat die materiellen Grundlagen für die Kriegführung des faschistischen deutschen Imperialismus und darüber hinaus die Gesamtheit jener ökonomischen Kräfte und Interessen zum Gegenstand, die dem imperialistischen Drang nach Reaktion und Gewalt, nach Ausbeutung, Expansion, Eroberung und Krieg zugrunde liegen und die in letzter Instanz für die imperialistische und faschistische Politik und Ideologie überhaupt ursächlich verantwortlich sind. Damit wird das Vorhaben einer äußerst aktuellen politischen Aufgabenstellung gerecht und bewegt sich auf einem zentralen Feld der Auseinandersetzung mit den friedensgefährdenden imperialistischen Kräften der Gegenwart. Im zweiten Band erstreckt sich die Untersuchung auf jenen wichtigsten Abschnitt des Krieges, der mit dem verbrecherischen Überfall auf die UdSSR begann und in dem an der deutsch-sowjetischen Front über Sieg oder Niederlage des deutschen Imperialismus und Faschismus entschieden wurde. Unter wirtschaftshistorischem Gesichtswinkel betrachtet, reicht sie von der höchsten Entfaltung und dem unmittelbar folgenden Fiasko des wirtschaftlichen Blitzkriegskonzepts bis zum Höhepunkt der Machtkonzentration bei der Rüstungsorganisation des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion im Herbst 1943. An der Grundkonzeption des Gesamtwerks hat sich nichts geändert. Die im ersten Band ^ behandelten Hauptprobleme und sachlichen Schwerpunkte werden im zweiten Band weitergeführt (Entwicklung des staatsmonopolistischen Regulierungsmechanismus; Lage der Werktätigen einschließlich der ausländischen Zwangsarbeiter; Kriegszielprogrammatik und -planung des deutschen Finanzkapitals; Wirtschaftspolitik in den okkupierten Gebieten), wobei unterschiedliche Gewichtung, eine knappere Behandlung hinreichend untersuchter und die Konzentration auf wesentliche neue und umstrittene Fragen geboten erschienen. Wo der Autor über bestimmte Erkenntnisse des ersten Bandes hinausgewachsen ist, wird das im vorliegenden Band, soweit möglich, an entsprechender Stelle angemerkt. Neue thematische Schwerpunkte, die hier zusammenfassend bzw. längsschnittartig be-
XII
Vorwort
handelt werden, finden sich in den Kapiteln V, VII und VIII. Andere müssen dem dritten Band vorbehalten bleiben. * Die Quellengrundlage für den Band hat sich im Vergleich zum ersten noch stark verbessert, vor allem dank der vielfältigen Bemühungen der Staatlichen Archivverwaltung der DDR. Von den zahlreichen Personen und Institutionen, denen der Verfasser für Rat und Kritik Dank schuldet, seien an dieser Stelle nur die stets hilfsbereiten Mitarbeiter des Zentralen Staatsarchivs der D D R (Potsdam) genannt. Für umfangreiche wissenschaftlichtechnische Mitarbeit und Hilfeleistung gebührt Frau J u t t a Grimann, Frau Melitta Heibig und Herrn Eckhard Kruggel Dank. Dietrich Eichholtz
* Vorveröffentlichungen des Verfassers aus dem vorliegenden Band, die nur in besonderen Fällen zitiert werden, stellen drei Aufsätze (Dokumentationen) im Jahrbuch für Geschichte und zwei Artikel in der Zeitschrift Militärgeschichte dar (s. Literaturverzeichnis). Die Kapitel über die Kriegswirtschaft in Deutschland im zweiten Weltkrieg (6 Bände, Berlin 1974 ff.) werden ebenfalls nur in besonderen Fällen zitiert.
Abkürzungsverzeichnis
A4 AA Abt. AEG AEI AFA Affid. AG AGK AN AO AR ATG BA BdE Beih. BfV BHO BMW B S W (russ.) DAF DAP DCGG Div. (n) DNB DR DRA DRK DVO DWM DZW Esge Esl FAP FB Fe (-Legierungsmetalle) FH Fi
Aggregat 4 (Codebezeichnung für Rakete V 2) Auswärtiges Amt Abteilung Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft Arbeitseinsatz — Ingenieur(e) Accumulatoren-Fabrik AG (Konzern) Affidavit (Erklärung unter Eid) Aktiengesellschaft Ausfuhrgemeinschaft für Kriegsgerät Aktennotiz, -vermerk Anordnung Aufsichtsrat Allgemeine Transportanlagen GmbH, Leipzig Bundesarchiv Befehlshaber des Ersatzheeres Beiheft Beauftragter für den Vierjahresplan Berg- u. Hüttenwerksgesellschaft Ost mbH Bayerische Motoren-Werke AG Brüderliche Zusammenarbeit der Kriegsgefangenen Deutsche Arbeitsfront Deutsche Agrarpolitik Deutsche Continental Gasgesellschaft Division(en) Deutsches Nachrichtenbüro Dienstnachrichten des Reichsnährstandes Deutscher Reichs-Anzeiger und Preußischer Staats-Anzeiger Deutsches Rotes Kreuz Durchführungsverordnung Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG Deutschland im zweiten Weltkrieg (s. Literaturverz.) Eisen- und Stahlgemeinschaft Eisen schaffende Industrie Fremdarbeiterpolitik des Imperialismus „Führerbesprechung(en)" (s. Quellenverz.) Ferrum [Eisen] (-Legierungsmetalle) Feldhaubitze Fieseier
XIV Flam. W. FS FW GB GBA GB Bau GB Chemie; GB Chem. GBN GB Rüst Geb. Gesch. GEC Gen. m a j . Gen Qu; G Qu Gen S t a H gepGestapo Gew. GfB GFM GG Gl GIWE GKBZHP GL (M) GmbH GPO GrW GWK GWKAV GWKVO GWU HA Hasag He HGW HPA HR HRüst/BdE (Chef H R ü s t / B d E ) hs. HTO HWA IAR I.G.; Inf. G. IG (Farben) IHK IMG Inf. jato JfG
AbkürzungsverzeichnisFlammenwerfer Filmsammlung (s. Quellenverz.); Fernschreiben Focke-Wulf Generalbevollmächtigte (r) Generalbevollmächtigter f ü r den Arbeitseinsatz Generalbevollmächtigter f ü r die Regelung des Bauwesens Generalbevollmächtigter f ü r Sonder/ragen der chemischen Erzeugung Generalbevollmächtigter f ü r das Nachrichtenwesen Generalbevollmächtigter f ü r Rüstungsaufgaben (im Vier jahresplan) Gebirgsgeschütz(e) General Electric Comp. Generalmajor Generalquartiermeister Generalstab des Heeres gepanzert Geheime Staatspolizei Gewehre Generalbeauftragter für Betriebsumsetzungen Generalfeldmarschall Generalgouvernement Generalinspektor Generalinspektor f ü r Wasser und Energie (Archiv der) Glöwna Komisja Badania Zbrodni Hitlerowskich w Polsce (Warschau) Generalluftzeugmeister Gesellschaft m i t beschränkter H a f t u n g Generalplan Ost Granatwerfer Gauwirtschaftskammer(n) Gauwirtschaftskammeraufbauverordnung Gauwirtschaftskammerverordnung Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Hauptausschuß, -ausschüsse Hugo Schneider AG Heinkel Hermann-Göring-Werke Handelspolitischer Ausschuß (der Reichswirtschaftskammer) Hauptring(e) (Chef der) Heeresrüstung/Befehlshaber des Ersatzheeres handschriftlich Haupttreuhandstelle Ost Heereswaffenamt Internationale Agrarrundschau Infanteriegeschütz Interessengemeinschaft Farbenindustrie AG Industrie- und Handelskammer(n) Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg (Prozeßmaterialien) Infanterie Tonnen pro J a h r J a h r b u c h für Geschichte
Abkürzungsverzeichnis JfW jhl. Ju K Kfz. K L ; KZ Konti ö l KPD KPdSU KTB KVR kW(h) KWK KWVO LAA(LAÄ) Laf. 1. (e) LKW LSÖ MAN MAR MBH M-Boote Me Memo MG MK Mob.Montan moto MP Mrs. MTW Mun. MY MWT Nb. (W.) N E (-Metalle) NNP NSNSBDT NSDAP NSU ObdL ÖAF OKH OKM OKW OT PAFK PG;Pg.
XV J a h r b u c h f ü r Wirtschaftsgeschichte jährlich Junkers K a r a b i n e r ; Kanone Kraftfahrzeug Konzentrationslager Kontinentale Öl AG Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Kriegstagebuch Kriegsverwaltungsrat Kilowatt(stunden) Kampfwagenkanone Kriegswirtschaftsverordnung (4. 9. 1939) Landesarbeitsamt(ämter) Lafette(n) leichte Lastkraftwagen Leitsätze f ü r die Preisermittlung auf G r u n d der Selbstkosten bei Leistungen f ü r öffentliche Auftraggeber Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG Mitglied des Aufsichtsrats Militärbefehlshaber Minensuchboote Messerschmitt Memorandum (Denkschrift) Maschinengewehr Maschinenkanone MobilisierungsVerwertungsgesellschaft f ü r Montan-Industriewerke m b H Tonnen pro Monat Maschinenpistole Mörser Mannschaftstransportwagen Munition Mitglied des Vorstands Mitteleuropäischer W i r t s c h a f t s t a g Nebel(werfer) Nichteisen (-Metalle) nichtnatürliche Personen Nationalsozialistischer, e, es)Nationalsozialistischer B u n d Deutscher Techniker Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (Fahrzeugwerk) s. Firmenverz. Oberbefehlshaber der L u f t w a f f e österreichische Automobil-Fabriks-A.-G. Oberkommando des Heeres Oberkommando der Marine Oberkommando der W e h r m a c h t Organisation Todt Probleme der Agrargeschichte des Feudalismus und Kapitalismus Parteigenosse
XVI Pist. PKW Pkzl. PWK Pz. J g . Pz. (Kpfwg.) RAD RArb.M R-Boote REF REM RErl. RGBl. RGI RHA RKF RKTL Rkzl. RLA RLM RM RMdJ RMdF RMEL RMfbO RMfBuM RMfRuK RPostM Rs. RSHA RSO RuSHA RTA Rüln RüKdo RVE RVfg(g) RVK RWE RWiM RWK RWKS SA S-Betriebe S-Boote Schnellb. SD SdKfz. SE- Aktion
Abkfirzungsverzeichnis Pistolen Personenkraftwagen Parteikanzlei Panzerwagenkanone Panzerjäger Panzer(kampfwagen) Reichsarbeitsdienst Reichsarbeitsminister(ium) Räumboote Rüstungsendfertigung Reichsernährungsminister(ium) Runderlaß Reichsgesetzblatt Reichsgruppe Industrie Reichs hauptabteilung Reichskommissar f ü r die Festigung deutschen Volkstums Reichskuratorium f ü r Technik in der Landwirtschaft Reichskanzlei Rüstungslieferungsamt (des Reichsministeriums f ü r B e w a f f n u n g u n d Munition) Reichsluftfahrtminister(ium) Reichsmark Reichsmarschall Reichsminister(ium) der Justiz Reichsminister(ium) der Finanzen Reichsminister(ium) f ü r E r n ä h r u n g und Landwirtschaft Reichsminister(ium) f ü r die besetzten Ostgebiete Reichsminister(ium) f ü r Bewaffnung und Munition Reichsminister(ium) f ü r R ü s t u n g und Kriegsproduktion Reichpostminis ter(ium) Rundschreiben Reichssicherheitshauptamt Raupenschlepper Ost Rasse- und Siedlungshauptamt (der SS) Reichstreuhänder der Arbeit Rüstungsinspektion(en); Rüstungsinspekteur(e) Rüstungskommando(s) Reichsvereinigung Eisen Rundverfügung(en) Reichsvereinigung Kohle Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG Reichswirtschaftsminister(ium) Reichswirtschaftskammer Rheinisch-Westfälisches Kohlensyndikat Sonderausschuß S t u r m a b t e i l u n g e n ) der N S D A P Sperr-Betriebe oder Schutz-Betriebe Schnellboote Schnellbericht(e) Sicherheitsdienst Sonderkraftfahrzeug(e) Sondereinziehungsaktion
XVII
Abkürzungsverzeichnis SF(L) Sipo SM SPW SR SS SSW StAD StAM StAS StAW StRA Sts. Stu. Gesch. ; StG Stu. Hau. TB TB 26 TB M T-Boote t(o) UAH USSBS YAR VAW VB VDI YEB Verfg(g).;Vfg(g). YfZ v.H. VIAG VO VStW VV V-Waffen WaA Wasag WFSt(b) WiAmt Wifo Wigru Wiln WiRüAmt WK WM WNE(-Plan) WNV(o) WT Wumba WVHA WWiStab 2 Eichholtz II
Selbstfahrlafette (n)] Sicherheitspolizei Siemens-Martin (Stahl) Schützenpanzerwagen Sondering(e) Schutzstaffel (der NSDAP) Siemens-Schuckertwerke (AG) Staatsarchiv Dresden Staatsarchiv Magdeburg Staatsarchiv Schwerin Staatsarchiv Weimar Statistisches Reichsamt Staatssekretär Sturmgeschütz(e) Sturmhaubitze Tagebuch Technisches Bataillon 26 (mot.) Bergbau Technische Brigade Mineralöl Torpedoboote Tonnen Universitätsarchiv Halle United States Strategie Bombing Survey Vorsitzer des Aufsichtsrats Vereinigte Aluminiumwerke AG Völkischer Beobachter Verein Deutscher Ingenieure Volkseigener Betrieb Verfügung(en) Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte von Hundert (% Angaben) Vereinigte Industrie-Unternehmungen AG Verordnung Verbindungsoffizier Vereinigte Stahlwerke AG Vorsitzer des Vorstands Vergeltungs waf fe (n) (Heeres-)Waffenamt Westfälisch-Anhaltische Sprengstoff-AG Wehrmachtführungsstab Wehrwirtschaftsamt Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft mbH Wirtschaftsgruppe Wirtschaftsinspektion(en) Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt (des OKW) Wirtschaftskammer(n) Wehrmacht Wehrwirtschaftlicher Neuer Erzeugungsplan Verbindungsoffizier des Wehrmachtsnachrichtenwesens Wehrmachtteil(e) Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt (1. Weltkrieg) Wirtschaftsverwaltungshauptamt (der SS) Wehrwirtschaftsstab
XVIII WZ ZAA ZdR ZfG Zgkw. ZHO ZP-E ZP-P
Abkürzungsverzeichnis Wissenschaftliche Zeitschrift Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie Zeitschriftendienst des Reichsnährstandes Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zugkraftwagen Zentrale Handelsgesellschaft Ost mhH s. Quellenverz. s. Quellenverz.
KAPITEL I
Der Überfall des faschistischen deutschen Imperialismus auf die UdSSR. Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionen
1. Kriegszielvorstellungen und wirtschaftliche Ausgangsbasis für den Überfall auf die UdSSR a) Die UdSSR im Kriegszielprogramm
des deutschen
Imperialismus
Den ersten sozialistischen Staat zu vernichten war erklärtes Ziel des Weltimperialismus seit 1917. So sehr der deutsche Imperialismus in seinem Streben nach Revanche und Revision der Ergebnisse des ersten Weltkrieges, nach Neuverteilung der Reichtümer und Ressourcen der Erde auf den Widerstand der anderen imperialistischen Mächte stieß, so einhellig begrüßten und begünstigten es diese, daß die reaktionärsten Elemente des deutschen Finanzkapitals als Hauptrichtung der geplanten Aggression den Osten, die UdSSR, proklamierten. Das faschistische Regime erschien ihnen dazu geeignet, die sozialistische Gesellschaftsordnung in jenem Land zu zerstören und die alte, „gottgewollte" imperialistische Ordnung auf dem ganzen Erdball wiederherzustellen, wobei sie darauf spekulierten, der deutsche Konkurrent werde selber geschwächt aus der Auseinandersetzung hervorgehen. Die herrschenden Kreise in Deutschland betrachteten die Vernichtung der Sowjetunion als notwendig, um die revolutionäre Arbeiterbewegung Europas auszulöschen und das eigene Volk, voran die Arbeiterklasse, dauerhaft zu versklaven. Sie rechneten sich zugleich aus, daß die wirtschaftlichen Reichtümer des Sowjetlandes, einmal in ihrer Hand, Deutschland in den Rang einer der größten imperialistischen Weltmächte erheben würden, wohl fähig, den Kampf gegen die anderen Mächte um die Weltherrschaft aufzunehmen. Den reaktionärsten Kräften des Regimes sollte die Aggression gegen die UdSSR, wurzelnd im Klassenantagonismus zwischen Kapitalismus und Sozialismus, „alle Probleme, die sich vor dem deutschen Imperialismus bei seinem erneuten Anlauf zur Erringung der Vorherrschaft in Europa und beim Griff nach der Weltherrschaft aufwarfen, mit einem Schlag lösen". 1 Sie war und blieb daher das Kernstück ihrer Weltherrschafts- und Kriegsplanungen. „Alle Varianten von Kriegsprojekten, die faschistische Politiker, Militärs und Monopolisten erwogen und durcharbeiteten, schlössen als Hauptziel die Vernichtung der Sowjetunion und damit die vollständige Wiederherstellung der imperialistischen Herrschaft auf dem ganzen Erdball ein." 2 1 Konzept für die „Neuordnung" der Welt. Die Kriegsziele des faschistischen deutschen Imperialismus im zweiten Weltkrieg. Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Wolfgang Schumann, Berlin 1977, S. 93. 2 Grundriß der deutschen Geschichte. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. Klassenkampf, Tradition, Sozialismus. Hrsg. v. Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin 1979, S. 451. 2*
2
Der Überfall auf die U d S S R . Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionen
Als Hitler am 18. Dezember 1940 die Weisung Nr. 21 „Fall Barbarossa" unterzeichnete, lebten die Machthaber in Deutschland noch im Rausch der militärischen Erfolge des Frühjahrs und Sommers 1940. Und doch spürten sie, daß sie, gemessen an ihrem Kriegszielprogramm, noch keinen wirklich durchschlagenden Erfolg erfochten hatten. Großbritannien war ungeschlagen, ihre Herrschaft in West- und Nordeuropa daher ständig gefährdet. Die entscheidende Schwelle zur Herrschaft über Europa und über die Welt, nämlich die Niederwerfung der Sowjetunion, galt es erst noch zu überschreiten. Die politische und ökonomische Motivation und die Zielvorstellungen des geplanten neuen Feldzugs im Osten waren grundsätzlich unverändert.3 Der Krieg hatte aber inzwischen unumkehrbare Tatsachen geschaffen und diktierte jetzt denen, die ihn entfesselt hatten, zunehmend seine Bedingungen. Die militärstrategischen und kriegswirtschaftlichen Probleme, die innenpolitischen und sozialen Sorgen der Faschisten und vor allem auch der Widerstand der unterdrückten Völker gegen ihre Knechtung und Ausbeutung ließen die deutschen Imperialisten immer ungeduldiger danach trachten, jene „Zentralentscheidung" 4 herbeizuführen, die ihnen zum unwiderruflich sicheren Sieg verhelfen sollte. Göring nannte im November 1940 die aktuellen Beweggründe für den geplanten Krieg und zugleich dessen Zielsetzung, als er General Georg Thomas, dem Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes des OKW, auftrug, Unterlagen für den wirtschaftlichen Raubzug in der UdSSR herbeizuschaffen: „Der Führer hat sich zu diesem Kriege entschlossen, weil 1. der Bolschewik uns doch eines Tages angreifen wird und seine Industrie zerschlagen sein muß, ehe er zum Kriege bereit ist (das verlogene Argument des Präventivkrieges verbarg hier nur schlecht den Klassenhaß des Faschismus — D. E.); 2. der Krieg gegen England länger dauern wird, als wir erwarteten, und wir daher aus Ernährungsgründen die englische Blockade nach Osten durchbrechen müssen. Mitteleuropa kann nur mit Hilfe der ukrainischen Erntemengen ernährt werden; 3. wir bis zum Kaukasus durchstoßen müssen, um uns der kaukasischen ölgebiete zu bemächtigen, da ohne sie gegen England und Amerika eine großzügige Luftkriegführung nicht möglich ist." 5 Als der Wirtschaftsstab „Oldenburg" 6 am 4. Juni 1941 zu einer ersten — viertägigen — Arbeitssitzung zusammentrat, in deren Verlauf auch ein Planspiel stattfand, formulierte Thomas in seiner Eröffnungsansprache das grundlegende politische Ziel des Unternehmens „Barbarossa" in seiner engen Verknüpfung mit dem wirtschaftlichen in lakonischer Kürze: „Zwei Hauptforderungen entstehen . . . neben dem ersten Ziel der Zerschlagung der feindlichen Wehrmacht: a) die Vernichtung des bolschewistischen Systems, b) eine baldige Ausnutzung des wirtschaftlichen Potentials Rußlands, insonderheit auf dem Ernährungsund Treibstoffgebiet." 7 Von vornherein war es diesmal den führend Beteiligten klar, daß die wirtschaftlichen Raubziele die militärischen Entscheidungen wesentlich beeinflussen würden. Thomas, als Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes des OKW auch Mitglied des Aufsichtsrats Vgl. Konzept für die „Neuordnung" der Welt, S. 2 4 f f . u. 7 4 f f . Ebenda, S. 8 0 f f . Z S t A P o t s d a m , F S , Film 1826, Aussage von Georg Thomas, 16. 8. 1945. Siehe B a n d I dieser „Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939—1945", Berlin 1969 (2. Aufl. 1971; 3. Aufl. 1984); im folgenden zit. Band, I (S. 231 ff.). 7 Z S t A P o t s d a m , F S , Film 1741, Ms. d. Rede von Thomas a m 4 . 6 . 1 9 4 1 . — E s gelte, sagte Thomas weiter, „durch deutsche T a t k r a f t die russische Wirtschaftskraft in den K a m p f gegen England z u s t e l l e n " (ebenda). Siehe auch Deutschland im zweiten Weltkrieg. Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Wolfgang Schumann (im folgenden DZW), B d . 1, Berlin 1974, S . 557.
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Kriegszielvorstellungen u n d wirtschaftliche A u s g a n g s b a s i s
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der Kontinentale ö l AG (Konti öl) 8 , sah dies voraus und forderte: „Der militärischen Führung muß immer wieder vor Augen gehalten werden, daß ein Feldzug gegen Rußland zum großen Teil wirtschaftliche Hintergründe hat und daß die Forderungen der Wirtschaft in diesem Feldzug mehr als sonst berücksichtigt werden müssen." 9 Am Vorabend des Krieges gegen die U d S S R gewannen zugleich die wirtschaftsstrategischen Vorstellungen und Forderungen des deutschen Finanzkapitals konkretere Gestalt, die sich auf die Ausbeutung der wirtschaftlichen Ressourcen des Sowjetlandes und auf den Fortgang des Kampfes um die Weltherrschaft des deutschen Imperialismus richteten. 10 Maßgebend in der Formulierung solcher „globaler Perspektiven" 1 1 war die Monopolgruppierung unter der Führung des IG-Farben-Konzerns und der Deutschen Bank. Sie betrachtete die Niederwerfung der Sowjetunion und den Raub ihrer riesigen Reichtümer, an erster Stelle des Erdöls und des ukrainischen Weizens, zwar als wichtigstes Ziel des geplanten neuen „Blitzfeldzuges" und als Schlüsselentscheidung des gesamten Krieges, nicht aber als das eigentliche Fernziel des deutschen Imperialismus auf dem Weg nach Osten. Dieses sah sie — ähnlich wie schon seit den Zeiten des Bagdadbahnbaus und des ersten Weltkriegs — in der Beherrschung das Nahen und Mittleren Ostens und der Ausbeutung seiner Erdölquellen. Militärstrategisch war erst damit die Landbrücke zum Suezkanal und nach Afrika (Ägypten) geschlossen und das Sprungbrett nach Indien gewonnen — Ziele, die ihr mit der Niederwerfung Englands identisch zu sein schienen. Von dieser Position aus gedachte sie die künftigen Auseinandersetzungen mit den übrigen von den anglo-amerikanischen Mächten beherrschten „Großwirtschaftsräumen" und Einflußsphären um die Weltherrschaft aufzunehmen. Führende Repräsentanten des IG-Farben-Konzerns wie Krauch vertraten erwiesenermaßen diese Linie. Das gleiche galt für die Beherrscher der Deutschen Bank und für die Leiter anderer Banken und Großkonzerne, wie sie sich zahlreich im Aufsichtsrat der Kontinentale ö l AG zusammenfanden bzw. seit Anbeginn wesentliche Stützen der Vierjahresplangruppierung 12 darstellten. Hitler und das OKW gingen auf der Linie der zuletzt skizzierten, am weitesten ausgreifenden Expansionspläne vor. „Der russische Raum berge unermeßliche Reichtümer", meinte Hitler im Januar 1941; seien sie erst in deutscher Gewalt, so verfüge Deutschland „über alle Möglichkeiten, in Zukunft auch den Kampf gegen Kontinente zu führen, es könne dann von niemand mehr geschlagen werden". 13 Auf der Generalsversammlung am 30. März 1941 äußerte sich Hitler ähnlich über die „Begründung der Notwendigkeit, die russische Lage zu bereinigen. Nur so werden wir in der Lage sein, in zwei Jahren materiell und personell unsere Aufgaben in der Luft und auf den Weltmeeren zu meistern, wenn wir die Landfragen endgültig und gründlich lösen." 1 4 Im Entwurf der Weisung Nr. 32 schließlich Siehe Band I, S . 2 3 5 f f . ; DZW, B d . 1, S . 5 5 5 f . Z S t A P o t s d a m , F S , F i l m 1741, Ms. d. R e d e v o n T h o m a s a m 4. 6. 1941. Siehe Band I, S . 197 ff. Hallgarten, George W. F./Radkau, Joachim, Deutsche Industrie und Politik v o n B i s m a r c k bis heute, F r a n k f u r t a . M./Köln 1974, S. 401. 12 Siehe Band I, S. 3 6 f f . u. p a s s i m . 13 Fall Barbarossa. D o k u m e n t e zur Vorbereitung der faschistischen W e h r m a c h t auf die Aggression gegen die Sowjetunion (1940/41). A u s g e w ä h l t u. eingeleitet v o n E r h a r d Moritz, Berlin 1970, S . 148, Dok. 37, A u s f ü h r u n g e n Hitlers v . 9. 1. 1941. 14 Der zweite Weltkrieg. Dokumente. Ausgewählt u. eingeleitet v o n Gerhard Förster und Olaf Groehler, 2. Aufl. Berlin 1974, S. 102, D o k . 21, T a g e b u c h e i n t r a g u n g des Chefs des Generalstabes des Heeres (Halder) üb. Ansprache Hitlers v . 30. 3. 1941. 8 9 10 11
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Der Überfall auf die UdSSR. Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionen
entsprach die militärstrategische Zielsetzung „für die Zeit nach Barbarossa" ganz dem, was die Gründer der Konti ö l erwarteten: „Fortsetzung des Kampfes gegen die britische Position im Mittelmeer und in Vorderasien durch konzentrischen Angriff, der aus Libyen durch Ägypten, aus Bulgarien durch die Türkei und unter Umständen auch aus Transkaukasien heraus durch den Iran vorgesehen ist". 1 5
b) Der Stand der Rüstung beim Überfall auf die
UdSSR
Im September 1940 stand das im August konzipierte Rüstungsprogramm für den Überfall auf die U d S S R („Augustprogramm") im einzelnen fest. E s erhielt die Bezeichnung „Rüstungsprogramm B " („Barbarossa"). Hitlers Erlaß über die „Steigerung der Rüstung" vom 28. September 1940 1 6 schloß eine mehrwöchige Phase fieberhafter Aktivität und zahlreicher vorbereitender Beratungen im O K W und in den Rüstungsdienststellen der Wehrmachtteile mit der Forderung ab, daß „bis zum 1. 4. 1941 ein möglichst hoher Stand in der Ausrüstung der geforderten Divisionen" erreicht werde. 17 Das gesamte „Kriegsheer 1941" sollte binnen sieben Monaten, am 1. Mai 1941, die Stärke von mindestens 200 Divisionen haben. Das Feldheer sollte auf 180 Divisionen gebracht werden, darunter 20 Panzerund 10 motorisierte Infanteriedivisionen. 1 8 Gegenüber dem „Juniprogramm" 1 9 , das nach dem Waffenstillstand mit Frankreich aufgestellt worden war, sollten Heeresstärke und Heeresrüstung kurzfristig auf etwa das Anderthalbfache gesteigert werden. Außerdem blieben die großen Rüstungsprogramme für Kriegsmarine und Luftwaffe bestehen und wurden sogar noch erweitert. Es stand also folgendes riesige Rüstungsprogramm für die nächsten sechs bis sieben Monate f e s t 2 0 : F ü r das Heer: Ausrüstung für 180 Feld- und entsprechende Besatzungsdivisionen, insbesondere forcierte Verstärkung der Panzerwaffe und der Motorisierung; für die Kriegsmarine: Unbefristete Weiterführung des „erweiterten U-Boot-Programms" (d. h. U-Boote, Zerstörer, Torpedoboote, Minensuchboote, Schnell- und Räumboote) auch 15 16 17 18 19
Fall Barbarossa, S. 74, Dok. 11. Ebenda, S. 212ff., Dok. 61. Ebenda, S. 214. Siehe Band I, S. 212 ff. Das „Juniprogramm" (s. DZW, Bd. 1, S. 341 f.) sah in der Fassung der „Führerentscheidung" vom 13. 7. 1940 ein Heer von 146 (kurz vorher noch 120) Felddivisionen und 15 Besatzungsdivisionen vor sowie ein entsprechendes Heeresrüstungsprogramm, dessen Zielsetzungen innerhalb von drei Jahren erreicht werden sollten (ausführlich dazu beispielsweise Thomas in seiner Rede auf der Besprechung mit den Rüstungsinspekteuren am 13. 9. 1940 (ZStA Potsdam, FS, Film 1777); s. a. Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (Wehrmachtführungsstab) 1940-1945 (im folgenden: KTB des OKW), Bd. 1, Frankfurt a. M. 1965, S. 78 E, AN WiRüAmt „Steigerung der Rüstung", 4. 11. 1940. 20 Nach Fall Barbarossa, S. 212 f., Dok. 61 (wie Anm. 16); ebenda, S. 221, Dok. 63, Bericht WiRüAmt v. 10. 7. 1941. Die dazugehörigen „Dringlichkeitsstufen" der Rüstungsproduktion führt Wagner an. (Wagner, Raimund, Die kriegsökonomische Vorbereitung des Überfalls auf die Sowjetunion und die Rolle der militärischen Wirtschaftsorganisation des Oberkommandos der faschistischen Wehrmacht, in Auf antisowjetischem, Kriegskurs. Studien zur militärischen Vorbereitung des deutschen .Imperialismus auf die Aggression gegen die UdSSR (1933—1941), Berlin 1970, S. 274f.).
Kriegszielvorstellungen und wirtschaftliche Ausgangsbasis
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über den 1. J a n u a r 1942 hinaus, überdies die Fertigstellung der großen Überwasserstreitkräfte (darunter vier Schlachtschiffe); für die Luftwaffe: Durchführung des „Beschaffungsprogramms 1 8 " (d. h. gesteigerte Produktion von rund 30 Flugzeugtypen), außerdem schnellste Steigerung der Produktion von Flakgeschützen und Flakmunition. Die für das kommende J a h r voraussehbare militärstrategische Lage ließ es den deutschen Imperialisten gleichermaßen als angeraten erscheinen, sowohl das große Heer für den „Blitzfeldzug" bestens auszustatten als auch Marine und Luftwaffe für die ihnen zugedachten Aufgaben in näherer und weiterer Zukunft möglichst stark aufzurüsten. Der für 1941 — wenn auch nur für wenige Monate -r einkalkulierte Zweifrontenkrieg mußte die Situation für Hitlerdeutschland wesentlich komplizierter gestalten. Während das Heer in die Sowjetunion einfallen sollte, würde man, so rechneten die faschistischen Militärs, die West- und Nordflanke des Kontinents gegen die britische Flotte sichern müssen. Hierfür und für die geplanten späteren großen neuen Offensivoperationen gegen Großbritannien hielten sie eine möglichst starke Über- und Unterwasserflotte für unumgänglich notwendig. Was die Luftwaffe betraf, so hatte sie in den zehn Monaten vor dem Überfall auf die U d S S R (1. August 1940 bis 31. Mai 1941), besonders während der „Luftschlacht über England", um das Anderthalbfache höhere Verluste als in der Zeit der Feldzüge in Polen, Nord- und Westeuropa zusammengenommen. 21 Einer Einbuße von 5 6 8 1 Flugzeugen in diesen Monaten (davon Totalverlust 3648) stand ein Zugang von 8 1 1 9 gegenüber; an Kampfflugzeugen (Bombern) wog der Neuzugang von 2 5 8 8 den Verlust von 2 4 2 6 Flugzeugen nur knapp auf. 2 2 Es erschien den Faschisten dringend geboten, ihre Kampfkraft in der Luft für den Osten wie für den Westen auf einen Höchststand zu bringen. Die Vorhaben des „Rüstungsprogramms B " überschritten bei dem gegebenen Grad der Mobilisierung des kriegswirtschaftlichen Potentials die wirtschaftlichen Möglichkeiten Hitlerdeutschlands. Unter den führenden Repräsentanten von Wehrmacht und Rüstungswirtschaft war die Meinung verbreitet, daß diese Vorhaben „das Leistungsvermögen der deutschen Industrie und Wirtschaft bei weitem übersteigen" 2 3 . Im Herbst 1940 setzte daher ein wütendes Tauziehen um Regulierungskompetenzen, Dringlichkeitsstufen, Rohstoffkontingente und Arbeitskräfte ein. Das Reichswirtschaftsministerium beschuldigte das O K W , „ein vollständiges Durcheinander der gesamten Wirtschaft" anzurichten 2 4 ; das O K W wandte sich voller Argwohn gegen die Machtaspirationen des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition in bezug auf Produktions- und Arbeitskräftelenkung; die Wehrmachtteile machten einander Kapazitäten und Dringlichkeiten streitig. Das befohlene Rüstungsprogramm für „Barbarossa" blieb überdies nicht unverändert bestehen. Neue Anforderungen traten hinzu. Im Verlauf des Winters 1940/41 wurde die Produktion aller stark bevorrateten Munitionsarten zwar gedrosselt; dafür t r a t aber bei allen drei Wehrmachtteilen neuer zusätzlicher Rüstungsbedarf auf. Beim Heer betraf das die Tropenausrüstung für das Afrikakorps (Rüstungsprogramm „Achse") und die Aus21 Siehe ZStA Potsdam, FS, Film 2317, OKW-Ausarb. „Verlust- und Verbrauchszahlen der Wehrmacht 1. 8. 1940—31. 5. 1941". Etwa entsprechende Gesamtverlustzahlen für rund 11 bzw. 12 Monate (bis 22. 6. 1941) bei Groehler (Groehler, Olaf, Geschichte des Luftkriegs 1910 bis 1970, Berlin 1974, S. 334; derselbe, Zum Aufbau und zur Entwicklung der faschistischen Luftwaffe bis zum Überfall auf die Sowjetunion, in Auf antisowjetischem, Kriegskurs, S. 416f.). 22 Wie Anm. 21 (Film 2317). 23 Fall Barbarossa, S. 215, Dok. 62, AN WiRüAmt über das „Augustprogramm", 6. 12. 1940. 24 ZStA Potsdam, FS, Film 1777, AN üb. Besprechung im RWiM am 1. 11. 1940.
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röstung „für einen eventuellen Gaskrieg" 2 5 gegen die Sowjetunion, bei der Kriegsmarine beträchtlich erhöhte Munitionsforderungen für Flak, mittlere und schwere Artillerie und beider Luftwaffe die Forderungen des „Beschaffungsprogramms 19", d. h. eine allgemeine Erhöhung der Flugzeugproduktion um rund 40 Prozent gegenüber dem „Beschaffungsprogramm 18" 2 6 sowie eine gesteigerte Produktion von Flakmunition 27 . Die Rüstungsmaschinerie Hitlerdeutschlands spielte sich Ende 1940/Anfang 1941 offensichtlich auf die „Umrüstung" ein; sie lief von nun an in verschärftem Tempo. Wenn auch starke Zweifel anfangs die Fachleute aus dem OKW geplagt hatten, ob das Rüstungsprogramm B zu erfüllen sei, so sprach aus ihren späteren Berichten zunehmende Zufriedenheit mit den erzielten Erfolgen. In dem abschließenden Bericht über die Erfüllung des Rüstungsprogramms B 2 8 stellte das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt fest, daß ungeachtet der zahlreichen Programmänderungen im Laufe des Winters „die für die Berichtszeit vorgesehenen Fertigungsprogramme der Wehl machtteile im großen und ganzen trotz großer Schwierigkeiten erfüllt werden". Damit habe man „unter stärkster Anspannung des gesamten im großdeutschen Wirtschaftsraum sowie den besetzten Gebieten zur Verfügung stehenden Fertigungspotentials eine gewaltige Steigerung in der materiellen Ausrüstung der Wehrmacht erreicht . . . Durch Ausbau von neuen Kapazitäten für die Schwerpunktprogramme der drei Wehrmachtteile wurde sichergestellt, daß die für die nächste Zeit hier vorgesehenen Steigerungen auch tatsächlich erreicht werden." Doch reichte diese Anspannung der Kriegswirtschaft nicht dazu aus, alle Vorhaben der Wehrmachtspitze zu verwirklichen. „ E s konnte daher nur der entsprechend der Kriegslage jeweils wichtigste Programmteil voll durchgeführt werden." Als vorrangig hatte sich im Laufe der Monate immer stärker die Heeresrüstung in den Vordergrund geschoben. Mit dem Bau von Kriegsschiffen war man daher zurückgeblieben; vor allem in der Armierung lagen die Produktionsziffern „aus Mangel an Kapazitäten teilweise sehr weit (um 26 Prozent bis 90 Prozent) hinter dem Soll zurück". Auch das erweiterte U-Boot-Programm war „nicht voll erfüllt" worden, obwohl hier die Steigerung „beträchtlich" war. Die Luftwaffe meldete große Rückstände bei der Ausrüstung der Luftabwehr mit Waffen, Gerät und Munition und bei der Abwurfmunition (Spreng- und Brandbomben). Die Produktion von Flak-Artillerie war außer den schweren Kalibern (8,8 und 10,5 cm) „weit hinter dem Soll zurück"; „völlig unzureichend" aber war die Bevorratung „bei sämtlichen Sprenggranaten" für die schweren Kaliber. Das Heer hingegen war mit Munition, abgesehen von wenigen Munitionsarten, „völlig hinreichend", d. h. „meist weit über zwölffachen Großkampf-Monats verbrauch" bevorratet. An Geschützen und Handfeuerwaffen wurde der vorgesehene Produktionsumfang 25 Fall Barbarossa, S. 222, Dok. 63, Bericht WiRüAmt v. 10. 7. 1941. - Was den Gaskrieg und die Produktion von Giftgas betraf, so notierte Keitel am 9. 5. 1941: „Dieser Frage kommt im Hinblick auf Barbarossa erhöhte Bedeutung zu." (ZStA Potsdam, F S , Film 1742, Vortragsnotiz W F S t / A b t . L für Chef L : „Überblick über den Rüstungsstand des Heeres, Stand 1. 4. 1941 (Rote Hefte)", 29. 4. 1941, Marginalnotiz Heitels v. 9. 5. 1941 (dort hs.: 9. 4.). 26 Fall Barbarossa, S. 221 (wie Anm. 23). — Das Luftwaffenbeschaffungsprogramm 19 blieb allerdings weitgehend auf dem Papier und war im Juni 1941 durch das „Göringprogramm" schon wieder überholt (s. Abschn. 2). 27 Ebenda, S. 222 (wie Anm. 25). 28 ZStA Potsdam, F S , Film 2313, „Bericht über die Leistungen auf dem Gebiet der materiellen Wehrmachtrüstung in der Zeit vom 1. 9. 1940 bis 1. 4. 1941" (WiRüAmt), mit Anlagen, v. 10. 7. 1941. Hiernach auch das Folgende (Teilabdruck in Fall Barbarossa, S. 221ff., Dok. 63).
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„größtenteils erreicht". Die Ausstattung der Truppe allerdings war noch nicht komplett; „die notwendige Gesamtausstattung des Kriegsheeres 1941 wird — bis auf verschwindende Ausnahmen — bis August 1941 gedeckt". Die Munitionslage des Heeres, die nach Meinung des OKW „als sehr gut zu bezeichnen" war 2 9 , veranlaßte die Rüstungsdienststellen der Wehrmacht bei der Munitionsherstellung» „zu einer weitgehenden Einschränkung, ja teilweise zur Stillegung der Fertigungen ab 1.4. 1941" 30 . Die Bestellungen auf verschiedene Geschützarten wurden zugunsten der Flakproduktion gleichfalls herabgesetzt. Die Rüstungsanstrengungen der deutschen Imperialisten seit dem Sommer 1940 erreichten in den ersten Monaten des Jahres 1941 ihren Höhepunkt. Am Vorabend des Überfalls auf die U d S S R stellte die faschistische Militärmaschine in der Tat einen gewaltigen, technisch modern und quantitativ gut ausgestatteten Vernichtungsapparat dar, wenn auch ihre Ausrüstung und die Modernisierung ihres Waffenbestandes m i t der starken Vermehrung der Zahl der Divisionen nicht vollständig Schritt hielten. Die Monatsproduktion an Panzern betrug im zweiten Quartal 1941 durchschnittlich 306 gegen 109 Stück im gleichen Zeitraum des Vorjahres. 3 1 Der Bestand an Panzerkampfwagen und Sturmgeschützen aller Typen beim Heer wuchs vom 1. September 1940 bis zum 1. J u n i 1941 von 3506 auf 5639 an; das bedeutete gegenüber dem Stand vom 1. September 1939 eine Steigerung um 76 Prozent, gegenüber dem vom 1. Mai 1940 eine solche u m 66 Prozent. 3 2 Der Gesamtbestand des Heeres an Geschützen und Granatwerfern mit einem Kaliber von 7,5 cm und darüber belief sich am 1. J u n i 1941 auf 27901. 33 Tabelle 1 Bestand an Heeresartillerie 1941 (in Stck.)
und Granatwerfern
Leichtes Infanteriegeschütz 7,5 cm Schweres Infanteriegeschütz 15 cm Leichte Feldhaubitze 10,5 cm Schwere Feldhaubitze 15 cm Kanone 10 cm Mörser 21 cm Schwerer Granatwerfer 8 cm
(Kaliber
7,5 und darüber) April
Stand 1. 4. 1940
Stand 1. 6. 1941
3327 465 5381 2330 700 124 6796
4176 867 7076 2867 760 388 11767
1940 und
Juni
Quelle: Müller-Hillebrand, Bd. 3, S. 29, S. 42, S. 180 u. S. 2 6 6 - 2 7 4 (Tab.): MüMer-HiUebrand, Bd. 2, S. 55, S. 92; s. a. Lachmann, Manfred, Die Entwicklung der Bewaffnung des faschistischen deutschen Heeres bis zum Überfall auf die UdSSR, in Auf antisowjetischem Kriegskurs, S. 378. 29 ZStA Potsdam, FS, Film 1742, Vortragsnotiz W F S t / A b t . L: „Überblick . . .", 29. 4. 1941. 30 Wie Anm. 28. 31 The Effects of Strategie Bombing on the German War Economy. The United States Strategie Bombing Survey. (Bearb. v.) Overall Economic Effects Division, o. O., Oktober 1945 (im folgenden: The Effects), S. 278, Tab. 104. 32 Müller-HiUebrand, Burkhart, Der Zweifrontenkrieg. Das Heer vom Beginn des Feldzuges gegen die Sowjetunion bis zum Kriegsende ( = D a s Heer 1933—1945. Entwicklung des organisatoriBd. 3), schen Aufbaues, Bd. 3), Frankfurt a. M. 1969 (im folgenden: Müller-Hillebrand, S. 274/275 (Tabelle). 33 Ebenda, S. 180. Hier und in folgenden Zahlenangaben ohne Berücksichtigung der Beutewaffen.
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Der Überfall auf die UdSSR. Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionen
Der Bestand an Panzerabwehrwaffeu (Pak und Panzerbüchsen) stieg in dem von Tabelle 1 erfaßten Zeitraum von 13950 auf 40987 Stück. Es standen allerdings ausschließlich Kanonen kleineren Kalibers (hauptsächlich 3,7 cijü), ferner Panzerabwehrbüchsen zur Verfügung. 34 I m Vergleich zum Waffenbestand des Heeres am 1. April 1940 bzw. zum Munitionsverbrauch während des Feldzugs gegen Frankreich v o m 10. Mai bis zum 20. Juni 1940 — 42 „Großkampftage" — betrug der Bestand am 1. Juni 1941 35 : bei leichten Infanteriegeschützen 7,5 c m : an W a f f e n das l,26fache und an Munition das 21fache bei schweren Infanteriegeschützen 15 cm: an W a f f e n das l,86fache und an Munition das 15fache bei leichten Feldhaubitzen 10,5 c m : an W a f f e n das l,31fache und an Munition das 18fache bei schweren Feldhaubitzen 15 c m : an W a f f e n das l,23fache und an Munition das 9fache bei Kanonen 10 c m : an Waffen das l,09fache und an Munition das lOfache bei Granatwerfern 8 c m : an W a f f e n das l,73fache und an Munition das 28fache bei Mörsern 21 c m : an W a f f e n das 3,13fache und an Munition das 29fache. Fast zehn Monate lang, von Juli 1940 bis April 1941, führte die faschistische Wehrmacht in Europa zu Lande keinen Krieg. In dieser Zeit häuften sich Munition, W a f f e n und Gerät — ganz abgesehen von der ungeheuren Beute — zu umfänglichen Vorräten, mit denen man, gemessen an dem Feldzug im Westen 1940, viele Monate hätte Krieg führen können. Die Bewaffnung der Heeresdivisionen hielt jedoch nicht ganz mit ihrer Vermehrung Schritt. Mit Artillerie war das Heer verhältnismäßig schwächer ausgerüstet als im Vorjahr, da nicht genügend Kraftfahrzeuge, besonders Zugmaschinen, vorhanden waren. 36 Ungeachtet der erheblichen Bestandszunahme an Panzern verringerte sich die Quote der Ausstattung der Panzerdivisionen mit Panzern; waren im Sommer 1940 die vorhandenen zehn Panzerdivisionen mit durchschnittlich je 258 Panzern ausgerüstet, so verfügten ein Jahr später 21 Panzerdivisionen über durchschnittlich je 196 Panzer. 37 Die Bestückung mit modernen Panzertypen entsprach ebenfalls nicht den Wünschen und Erwartungen der Faschisten. Vom Panzer I V , dem damals modernsten der in der Serienproduktion befindlichen Typen, 34 Müller-Hillebrand, Burkhart, Die Blitzfeldzüge 1939—1941. Das Heer im Kriege bis zum Beginn des Feldzuges gegen die Sowjetunion im Juni 1941 ( = Das Heer 1933—1945. Entwicklung des organisatorischen Aufbaues, Bd. 2), Frankfurt a. M. 1956 (im folgenden: MüllerHillebrand, Bd. 2), S. 108. 35 Derselbe, Bd. 3, S. 43 u. 180. 36 Derselbe, Bd. 2, S. 105. — Diese Lage war entstanden, obwohl die besetzten Gebiete eine bedeutende Entlastung brachten; so wurden allein mit in Frankreich neu produzierten Fahrzeugen und mit Beutefahrzeugen zu dieser Zeit nicht weniger als 88 Infanterie-, drei motorisierte Infanterie- und eine Panzerdivision ausgestattet (ebenda; s. a. Höhn, Hans, Der Aufbau des faschistischen Heeres zum Aggressionsinstrument gegen die UdSSR, in Auf antisowjetischem Kriegskurs, S. 336). 37 Ebenda, S. 107.
Kriegszielvorstellungen und wirtschaftliche Ausgangsbasis
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wurden im ersten Halbjahr nur 188 Stück hergestellt, d. h. knapp 12 Prozent aller erzeugten Panzer. 3 8 Auf dem Gebiet der Rohstofferzeugung stand den deutschen Imperialisten in Deutschland und in den besetzten Teilen Europas ein beeindruckendes Potential zur Verfügung. Der Zweckpessimismus, den die Analysen der Rüstungsdienststellen der Wehrmacht über die Rohstofflage häufig verbreiteten, zielte auf die „totalere" Mobilisierung dieses Potentials, besonders in den besetzten und noch zu besetzenden Ländern. Das war offensichtlich der Fall bei Nichteisenmetallen, besonders aber bei Mineralöl und bei Eisen und Stahl, die man sich in der U d S S R zu beschaffen hoffte. B e i Mineralöl fehlten nach Berechnungen des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes des O K W für das zweite Halbjahr 1941 über 40 Prozent des Kriegsbedarfs bis Oktober und rund 30 Prozent von Oktober an, wo man mit dem Ende des Feldzugs rechnete: „Die fehlenden Mengen müssen aus Rußland eingeführt werden." 3 9 In den Monaten vor dem Überfall auf die U d S S R investierten Rüstungsdienststellen und Konzerne verstärkt in jenen Zweigen der Grundstoffindustrie und der Schwerchemie, die unmittelbare Lieferanten der Rüstungsindustrie waren. Diese Periode wurde zu einer der erfolgreichsten und profitträchtigsten für den IG-Farben-Konzern und andere mit dem Reichsamt für Wirtschaftsausbau und dem G B Chemie verbundenen Konzerne. Wie es im Bericht des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes vom 10. J u l i 1941 hieß, „konnte der Ausbau der für die Wehrmachtfertigung ausschlaggebenden Grundstoffindustrien (Buna-, Treibstoff-, Aluminium-, Pulver- und Sprengstofferzeugung) stark erweitert werden" 4 0 . Die Kapazitäten für die synthetische Produktion von Mineralöl wuchsen von 1940 bis 1941 von 3,5 auf 4,2 Millionen t, 4 1 bei Gummi (Buna) stieg die Produktion von 40000 auf 69000 t. 4 2 1942 sollten rund 100000 t Buna erzeugt werden. 43 Was Pulver und Sprengstoff anbetraf, so berichtete Krauch dem Generalrat des Vierjahresplanes am 24. J u n i 1941 befriedigt: „Die Versorgungslage ist als sehr gesichert anzusehen." 4 4 Den Zahlen nach ergab sich auf zahlreichen Gebieten der kriegswichtigen Produktion ein Übergewicht des Aggressors über die Sowjetunion. (Tabelle 2) Die Verteidigungspolitik der U d S S R war seit geraumer Zeit verstärkt darauf gerichtet, die Abwehrbereitschaft des Landes zu erhöhen. Die Beschlüsse des X V I I I . Parteitags der K P d S U (März 1939) trugen der wachsenden Kriegsgefahr Rechnung. Sie orientierten auf eine beschleunigte Entwicklung der Verteidigungsindustrie und auf die Stärkung der Kampfkraft der Streitkräfte. Die vermehrten Rüstungsanstrengungen in der Anfangsperiode des zweiten Weltkrieges begannen zur Zeit des Überfalls erste Früchte zu tragen. Die sowjetischen Luftstreitkräfte waren den deutschen zwar noch unterlegen. Moderne Typen von Kriegsflugzeugen gingen erst in die Produktion oder wurden allmählich bei der Truppe eingeführt. 4 5 In der Produktion von Artillerie und Panzern aber stand die sowjetische Industrie keineswegs hinter 38 39 40 41 42 43 44 45
Ebenda. ZStA Potsdam, FS, Film 1746, „Derzeitige Lage auf dem Rohstoffgebiet", 4. 7. 1941. Wie Anm. 28. ZStA Potsdam, FS, Film 8322, Protokoll der Sitzung des Generalrats des Vierjahresplans am 24. 6. 1941 (Ausführungen Krauchs). The Effects, S. 83, Tab. 43. Wie Anm. 41. Wie Anm. 41. Siehe Groehler, Geschichte des Luftkriegs, S. 298 ff.
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Der Überfall auf die U d S S R . Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionen
Tabelle 2 Produktionsziffern 1941 bzw. 1940
Hitlerdeutschlands
(mit annektierten
Maßeinheit
Kohle (Braunkohle in Steinkohleeinheiten umgerechnet) Roheisen Stahl Walzwerkerzeugnisse Erdöl Zement Elektroenergie Metallbearbeitungsmaschinen Kraftwagen u. Traktoren davon L K W Lokomotiven Güterwaggons
Mill. t " " " " " Md. k W h Stck. " " " "
und okkupierten
„Großdeutschland" und besetzte Gebiete (1941)
402,8 * 24,4 31,8 22,5 4,7** 13,400 70,000 197 960 0 0 374000«» 64900«» 191800 44 845 0 0
Gebieten) und der
UdSSR
UdSSR (1940)
153,7 14.9 18,3 13,1 31.10 5,7 48,3 58500 211700 136000 914 30900
* Kohlenwirtschaftsjahr 1940/41 ** Ohne synthetische Produktion (4,1 Mill. t), aber mit Import aus Rumänien und Ungarn (2,8 Mill. t) 0 Mitunter findet sich die unrichtige Zahl von 44,5 Mill. t (so DZW, Bd. 1, S. 532 u. 570) 00 Nur „Großdeutschland" ooo Wegen der Vergleichbarkeit Angabe f ü r 1938 (Deutschland und Österreich) Quelle: Sovetskaja ekonomika v period Velikoj otecestvennoj vojny 1941—1945, Red. I. A. Gladkov, Moskau 1970, S. 10, 29 u. 314; Kravcenko, G. S., Ekonomika S S S R v gody Velikoj OteCestvennoj vojny (1941—1945 gg.), 2. Aufl., Moskau 1970, S. 35ff.; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, hrsg. v. Statistischen Reichsamt, Jg. 1941/42, S. 215; The Effects, S. 75, Tab. 37 u. passim; Wagenführ, Rolf, Die deutsche Industrie im Kriege 1939-1945, 2. Aufl., Berlin (West) 1963, S. 52, 171 u. 167; Bleyer, Wolf gang, Der geheime Bericht über die Rüstung des faschistischen Deutschlands vom 27. J a n u a r 1945, in JfW, 1969, T. 2, S. 363; DZW, Bd. 1, S. 570. der deutschen zurück. Moderne, den deutschen überlegene Panzertypen liefen bereits v o m Fließband. Während der Ausstoß an deutschen Panzern im ersten Halbjahr 1941 insgesamt bei 1 6 1 7 Stück lag 4 6 , produzierte die sowjetische Industrie allein an schweren K W - P a n z e m 393 Stück und an mittleren Panzern T-34 1 1 1 0 Stück. 4 7 Die deutschen Imperialisten erörterten hingegen in grober Fehleinschätzung der Lage schon im Frühjahr 1941 4 8 die „Möglichkeiten einer einschneidenden Rüstungsverlagerung 46 The Effects, S. 278, Tab. 104. 47 Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Hrsg. v. Institut für MarxismusLeninismus beim ZK der K P d S U , Bd. 5, 1. Buch, Moskau 1974, S. 141. 48 Siehe Moritz, Erhard, Zur Fehleinschätzung des sowjetischen Kriegspotcntials durch die faschistische Wehrmachtführung in den Jahren 1935 bis 1941, in Auf antisowjetischem Kriegskurs, S. 150 ff.
Die „Umrüstung" vom Sommer 1941
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(vom Heer auf Luftwaffe und Kriegsmarine — D. E . ) mit Abschluß des Sommerfeldzuges". 4 9 Gemäß dem Blitzkriegskonzept sollte dem Feldzug gegen die U d S S R in gewohnter Weise eine militärische und vor allem rüstungswirtschaftliche Atempause, Auffrischungs- und „Umrüstungs"phase folgen. Frühzeitig sollte „in gedanklicher Arbeit" die „Verminderung des Heeres um etwa ein Drittel, unter Beibehaltung von 20 Pz.-Divn., 10 mot. Divn., 10 Geb. Divn." geprüft werden. 50 Der Chef des O K W , Generalfeldmarschall Keitel, hielt es immerhin, seiner Marginalnotiz an der zitierten Ausarbeitung zufolge, für „richtig", die „Anordnung der Maßnahmen erst, wenn der Sommerfeldzug die gewünschte klare Entscheidung absehen läßt", zu treffen.
2 . Die „ U m r ü s t u n g " v o m S o m m e r 1 9 4 1 u n d ihr S c h e i t e r n a)
Das
„Göringprogramm"
Als am 22. J u n i 1941 im Morgengrauen 153 deutsche Divisionen 5 1 über die U d S S R herfielen, die Kriegsfackel in Hunderte sowjetische Dörfer und Städte warfen, war dies ein schrecklicher Tag für das Sowjetland, zugleich aber der schwärzeste Tag in der deutschen Geschichte. Die deutschen Imperialisten hatten das deutsche Volk in einen ebenso verbrecherischen wie abenteuerlichen Krieg gegen das erste sozialistische Land der Erde gezerrt. Ihr kriegswirtschaftliches Konzept für die folgenden Monate und J a h r e lag zu diesem Zeitpunkt in seinen Umrissen bereits fest. E s entsprach voll und ganz ihren Vorstellungen vom weiteren Verlauf des Kampfes um die Weltherrschaft. Sein Kernpunkt und der Schwerpunkt der erneuten „Umrüstung", die buchstäblich mit dem 22. J u n i einsetzte, war eine Konzentration aller Kräfte auf die Luftrüstung, insbesondere auf die Produktion von Bombenflugzeugen. Hierin sahen die Faschisten den Schlüssel für das Eindringen in den Nahen und Mittleren Osten bis nach Indien, für weitere Erfolge im Mittelmeerraum und in Afrika, für den Kampf um die Britischen Inseln und schließlich für spätere Auseinandersetzungen über den Atlantik hinweg. Fest einkalkuliert hatten sie von vornherein die Zerschlagung der U d S S R binnen weniger Monate und die Verfügung über die wirtschaftlichen Reichtümer des Landes, insbesondere über das Erdöl. 49 Wie Anm. 29. Hiernach auch das Folgende. 50 Ebenda. — Eine ähnliche Konzeption der „Umrüstung" hatte der GB Chemie unter einem anderen Aspekt bereits im Januar 1941 in einer Geheimdenkschrift niedergelegt, die sich mit der „Entwicklung der Rohstofflage bei langer Kriegsdauer" befaßte. Die euphemistischen Voraussagen dieser Denkschrift waren an die „Grundforderung" der „Luftsicherheit der deutschen Industrie" geknüpft, diese wiederum an die „Ausschaltung der englischen Insel als amerikanischer (! — D. E.) Flugzeugträger" durch wirksame Zufuhrblockade, die allein zum „Zusammenbruch" Englands führen könne. Die Schlußfolgerungen für die Kriegswirtschaft lauteten: „U-Boot(e), Luftwaffe, Rohstoff-Chemie in vorderste Front. Alles andere steht zurück." Die „Lösung" liege, so hieß es abschließend, allein in der „Arbeitseinsatzfrage", und zwar durch die „Verminderung des Heeres zugunsten der Rohstoffsicherung, der Luftwaffen- und U-BootVerstärkung". (ZStA Potsdam, FS, Film 1726, Denkschrift „Zur Entwicklung der Rohstofflage bei langer Kriegsdauer" v. 28. 1. 1941 ( = Nürnb. Dok. NI-8835). 51 DZW, Bd. 2, S. 25. — Am Überfall waren außerdem rund 40 Divisionen aus verbündeten und Satellitenstaaten sowie insgesamt 4300 Panzer, 42000 Geschütze und Granatwerfer und über 4000 Flugzeuge beteiligt.
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Der Überfall auf die UdSSR. Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionen
Anfang April 19411egte die Luftwaffenführung „anhand bereits weitgehend ausgearbeiteter Planungsunterlagen in Gestalt von Diagrammen dar, welchen Verlauf für die nächsten Jahre ihr Rüstungsprogramm voraussichtlich nehmen wird und welche Kapazitäten, Rohstoffe und Menschen hierzu benötigt werden". 5 2 Dem Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt erschienen „diese Forderungen sehr hoch gestellt". 53 Göring und seine Berater bereiteten zugleich die Rüstungsorganisation der Luftwaffe auf das große zukünftige Rüstungsprogramm vor. Am 14. Mai berief Göring, unverkennbar nach dem Vorbild und als Konkurrenz des Reichsministeriums f ü r Bewaffnung und Munition bzw. des Rüstungsbeirats, einen „Industrierat des Reichsmarschalls für die Fertigung von Luftwaffengerät" aus sechs Vertretern führender Monopole, der unter dem Vorsitz von Generaloberst Ernst Udet, Generalluftzeugmeister und Chef des Technischen Amtes (Amt C) des Oberbefehlshabers der Luftwaffe, „die Erfahrungen maßgebender Industrieführer in größtmöglichem Maße für die Rüstungssteigerung der Luftwaffenindustrie zu verwerten" hatte. 5 4 Ständiger Vertreter des Vorsitzenden war William Werner, ein führender Vertreter der Konzerngruppe Junkers/Auto Union. Er galt als der Rationalisierungsfachmann des Industrierats. Ihm zur Seite stand Richard Bruhn von der gleichen Konzerngruppe. Heinrich Koppenberg, der seine Karriere als Protégé Flicks begonnen und den Göring mit allen Vollmachten für die Leichtmetallversorgung der Luftwaffe versehen hatte, verstärkte als früherer Vorstandsvorsitzer des Junkers-Konzerns das Übergewicht dieser Gruppierung im Industrierat noch außerordentlich. Durch Karl Frydag waren ferner die Henschel Flugzeugwerke AG (Henschel-Konzern), durch Rudolf Egger (Büssing NAG/AEG), den Leiter der Wirtschaftsgruppe Fahrzeug industrie, die führenden Konzerne des Automobil- und Motorenbaus und durch Karl Lange, den Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsgruppe Maschinenbau, die großen Maschinenbaukonzerne vertreten. Wenn der Industrierat der Luftwaffe dem Rüstungsbeirat oberflächlich nachgebildet und wie dieser zum Zweck der Rationalisierung und „Leistungssteigerung" in der Rüstungsindustrie geschaffen war, so h a t t e er doch keinen organisatorischen Unterbau in Form von Ausschüssen und Arbeitsgemeinschaften. Die Vollmachten seiner Mitglieder waren durch das Fehlen einer eigenen Exekutive stark beschnitten. Alle geplanten Vorhaben und Maßnahmen sollten durch den Generalluftzeugmeister bestätigt werden, der sich zunächst sogar ihre „Durchführung im einzelnen" vorbehielt. 55 Die personelle Basis des Industrierats war schmal, seine Zusammensetzung einseitig. Sein Rückhalt bei der Reichsgruppe Industrie war augenscheinlich unzureichend. Zunächst war nicht einmal der Leiter der Wirtschaftsgruppe Luftfahrtindustrie als Mitglied berufen worden. Montan-, Elektro- und Chemieindustrie waren nicht vertreten. Die neue Form staatsmonopolistischer Regulierung in der Luftwaffenrüstung, die maßgebliche Kreise der hohen Luftwaffenbürokratie hiermit durchsetzten, gestattete ihnen, die starke Position innerhalb des staatsmonopolistischen Machtgefüges zu halten, die sie bislang — unter Ausnutzung des Konkurrenzkampfes der Flugzeugkonzerne, die nahezu 52 ZStA Potsdam, FS, Film 2313, AN WiRüAmt, 4. 4. 1941. Nach Groehler, Geschichte des Luftkriegs, S. 338, waren seit Februar 1941 Beratungen über das erwähnte neue Luftrüstungsprogramm im Gange. 53 Ebenda (Film 2313). 54 Anatomie des Krieges. Neue Dokumente zur Rolle des deutschen Monopolkapitals bei der Vorbereitung und Durchführung des zweiten Weltkrieges. Hrsg. v. Dietrich Eichholtz u. Wolfgang Schumann, Berlin 1969, S. 331, Dok. 161, RVfg. Udets v. 22. 5. 1941. 55 Ebenda.
Die „Umrüstung" vom Sommer 1941
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vollständig von Staatsaufträgen, von staatlichen Krediten und Subventionen abhängig waren — behaupten konnten. Sie bezahlten das immerhin damit, daß der Industrierat in seiner Arbeitsfähigkeit und Effektivität stark beschränkt und gehemmt blieb. Im Oktober 1941 wurde er schließlich erheblich erweitert und reorganisiert. 56 Am 20. J u n i 1941, zwei Tage vor dem Angriff auf die UdSSR, gab ein kurzer, aber inhaltsschwerer Erlaß Hitlers über das „Luftwaffensonderprogramm" den Weg frei f ü r die Pläne der Luftwaffenführung: „Durch Einschränkung der Heeresrüstung können Fertigungsstätten und Arbeitskräfte freigemacht werden. Diese freigemachten Betriebsmittel sind über den Reichsminister für Bewaffnung und Munition in erster Linie für das erweiterte Luftwaffenprogramm zur Verfügung zu stellen . . . Die Aufteilung der freiwerdenden Betriebsmittel für das Luftwaffensonderprogramm und für die dringlichsten Programme des Heeres und der Marine regelt der Reichsminister für Bewaffnung und Munition." 5 7 Daß dem Munitionsminister, der den Erlaß offensichtlich selbst entworfen und Hitler ohne Hinzuziehung des OKW sogleich hatte unterschreiben lassen 58 , eine derartige Schlüsselstellung bei der kommenden „Umrüstung" vorbehalten blieb, sollte sich bald als bedeutungsvoll erweisen. In seinen grundsätzlichen „Richtlinien" vom 14. Juli für die „personelle und materielle Rüstung" 5 9 , die sich ausdrücklich auf die Weisung Nr. 32 bezogen, bekräftigte Hitler noch einmal kategorisch den Vorrang der Luftwaffenrüstung: „Der Schwerpunkt der Rüstung geht auf die Luftwaffe über, die in großem Umfange zu verstärken ist." Heer und Heeresrüstung seien „demnächst wesentlich zu verringern", abgesehen von der Panzerwaffe; die Kriegsmarine habe sich auf das U-Boot-Programm zu beschränken. F ü r das „erweiterte Luft-Groß-Rüstungs-Programm" seien „alle aus Wehrmacht und Wirtschaft verfügbaren Kräfte und Mittel" einzusetzen. „Seine Verwirklichung bis zum F r ü h j a h r 1942 ist von entscheidender Bedeutung für die Gesamtkriegsführung." Hitler bekräftigte noch einmal die Vollmachten des Reichsministers für Bewaffnung und Munition im Rahmen der gesamten „Umrüstung". Vom 23. J u n i 1941 datierte das dicke Papierbündel des „Göringplans" oder „Göringprogramms", wie jenes besondere Luftwaffenrüstungsprogramm getauft wurde, das nach den Intentionen seiner Urheber auf Jahre hinaus im Mittelpunkt aller kriegswirtschaftlichen Anstrengungen des deutschen Imperialismus stehen sollte. Das Göringprogramm war keineswegs ein bloßes Flugzeugbauprogramm. Es umfaßte umfangreiche Pläne für die Produktion von Leichtmetall und Flugzeugtreibstoff sowie für die Produktion von Pulver und Sprengstoff, speziell f ü r Zwecke des Luftkriegs, und schloß gewaltige Planungen für den Ausbau entsprechender Produktionskapazitäten ein, insbesondere für Aluminium. Es war leicht vorauszusehen, daß letzten Endes alle Bereiche der Kriegswirtschaft von den Auswirkungen des „Göringprogramms" betroffen sein würden. Den Kern dieses Programms bildete eine Vervierfachung der Stärke der Luftwaffe in zwei bis zweieinhalb Jahren. Die Chefs der Luftrüstung gingen von einer monatlichen Produktion von 1200 Maschinen aus, da die deutsche Gesamtproduktion an Flugzeugen 56 Siehe S. 32. 57 ZStA Potsdam, FS, Film 2312, Hitler-Erlaß v. 20. 6. 1941; Faks. in DZW, Bd. 2, S. 99. 58 Thomas, Georg, Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft (191&—1943/45). Hrsg. v. Wolfgang Birkenfeld, Boppard 1966, S. 533, Thomas an Keitel, 29. 6. 1941. 59 Hitlers Weisungen für die Kriegführung 1939—1945. Dokumente des Oberkommandos der Wehrmacht. Hrsg. v. Walther Hubatsch, Frankfurt a. M. 1962, S. 136 ff., Weisung Nr. 32 b (fehlerhaft abgedr. bei Thomas, S. 452ff.). Hiernach auch das Folgende.
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Der Überfall auf die UdSSR. Wirtschaftliche Blitzkriegsillusioaen
einschließlich Übungs- und Transportflugzeugen auf ihrem vorläufigen Höhepunkt im März 1941 die Stückzahl von 1174 erreicht hatte.®® Bis zum Sommer war sie allerdings wieder um über zehn Prozent abgesunken. 61 Das erste Zwischenziel war eine „Verdoppelung um 1200 Kampfmaschinen" („Elchprogramm"). 6 2 Am t. J u n i 1942 sollte schließlich das Zweieinhalbfache der „heutigen Produktion" — also monatlich 3000 Flugzeuge — erreicht sein. 63 In vier Monaten sollte ein Flugzeugmotorenwerk mit einer Kapazität von monatlich 1000 Motoren aus dem Boden gestampft werden. 64 Drei riesige neue Flugzeugfabriken sollten entstehen; für die betreffenden drei Konzerne — höchstwahrscheinlich Junkers, Heinkelund Messerschmitt — waren „bis zum 1. Dezember 1941 Werkbauten mit insgesamt 300000 m 2 Hallenfläche" herzustellen. 65 Mindestens 400 Maschinen monatlich sollten, so erklärte Feldmarschall Milch am 26. J u n i 1941, in Kürze „in den gut eingerichteten Firmen im russischen Raum" produziert werden. 66 Milch verlangte, daß an Arbeitskräften zusätzlich zu den 1,3 Millionen, die schon in der Luftrüstung beschäftigt seien, mindestens weitere 3,5 Millionen neu gestellt würden. 67 Am 2. Juli beauftragte Todt in seiner Eigenschaft als „Generalbevollmächtigter für die Regelung der Bauwirtschaft" (GB Bau) den Architekten der faschistischen Protzbauten und „Generalbauinspektor für die Neugestaltung der Reichshauptstadt", Albert Speer, damit, „im Auftrage des Reichsmarschalls die Baumaßnahmen des Göringplanes durchzuführen". 6 8 Auf der Sitzung am 23. J u n i 1941 bei Göring 69 , deren Datum das damals verabschiedete Göringprogramm trug, wurde vor allem ausführlich über den „Leichtmetallausbauplan" 70 beraten, einen der wichtigsten Bestandteile jenes Programms. Diesen Plan h a t t e das Reichsamt für Wirtschaftsausbau unter Krauch ausgearbeitet. Das Reichsamt faßte darin die Kapazitäten ganz Europas einschließlich der sowjetischen zusammen — ungeachtet „der Unsicherheit der in Rußland greifbaren Produktion" — und errechnete für Anfang 1941 eine bestehende Gesamtkapazität von 531000 t jährlicher Produktion (davon Deutschland 220000 und „Rußland" 124000 t). Hiervon ausgehend, „plante" es einen Kapazitätszuwachs auf das Doppelte binnen drei Jahren. 60 Prozent der Produktion sollten der Luftwaffe vorbehalten bleiben. 71 60 The Effects, S. 277, Tab. 102. 61 Ebenda. 62 Thomas, S. 449, Protokoll (WiRüAmt) der Besprechung bei Staatssekretär Milch (RLM) v. 26. 6. 1941. 63 Ebenda. 64 Ebenda. 65 ZStA Potsdam, FS, Film 4566. Niederschrift üb. d. 2. Sitzung d. „Erfahrungsgemeinschaft Rüstungsausbau" v. 31. 7. 1941. 66 Wie Anm. 62. 67 Wie Anm. 62. 68 ZStA Potsdam, FS, Film 4566, Vfg. GB Bau v. 2. 7. 1941. 69 BA Koblenz, R 2/5481, Protokoll der Sitzung; gedr. bei Petrick, Fritz, Zwei Schlüsseldokumente zur faschistischen „Aufteilung der europäischen Aluminiumindustrie", in JfW, 1977, T. 1, (im folgenden: Zwei Schlüsseldokumente), S. 260ff. 70 ZStA Potsdam, FS, Film 10763, „Göringplan vom 23. 6. 1941. Flugtreibstoff- und Leichtmetall-Ausbauplan", 1. Fassung v. 25./26. 6. 1941; 2. Fassung „Stand 15. 7. 1941", v. 22. 7. 1941. Hiernach auch das Folgende. 71 Ebenda, Film 1742, Vortragsnotiz WiRüAmt f. Keitel „Erweitertes Luftrüstungspro gramm'S 6. 7. 1941; Anlage: „Auswirkungen des Luftrüstungsprogramms auf dem Rohstoffgebiet."
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Tabelle 3 Produktionsplanung für Leichtmetall im faschistischen Machtbereich 1942—1945 (in 10001 produktion)
Erzeugung 1941 davon: „Großdeutschland" Kapazität Ende 1941 1942 1943 1944 davon: „Großdeutschland" „Rußland" Norwegen Frankreich Italien Balkan
Jahres-
Aluminium
Tonerde (Vorprodukt von Aluminium)
Magnesium
460 247 630,9 805,9 931,9 1028,9 336 150 249 116 100 45,2
905 495 1211,4 1537,9 1818,9 2018,9 653 278 178 364 200 145,9
35,4 30,2 50,7 70,6 88,6 100,6 68,3 0,5 10 11 10 -
Quelle: Wie Anm. 70 (1. Fassung); in der 2. Fassung noch erhöhte Zahlen. Dieses Programm beruhte auf abenteuerlichen Vorstellungen und irrealen Voraussetzungen. Es umfaßte, wie in seiner Präambel zu lesen war, die „vollständige Neuschaffung nicht nur der Leichtmetall-Produktionsstätten, sondern sämtlicher Vorprodukte und deren Erzeugungsstätten sowie eine Neuschaffung der umfangreichen notwendigen Energiemengen". Sein Kernstück stellte der Plan dar, die Leichtmetallerzeugung in Norwegen auf der Grundlage seiner reichen Energiequellen zu konzentrieren und die norwegische Jahresproduktion von ca. 3 0 0 0 0 t (1938/39) auf 2 6 0 0 0 0 t Endkapazität zu steigern. Die Kosten dafür veranschlagte Koppenberg, der Generalvollmacht für das Norwegenprojekt hatte, auf anderthalb Milliarden Mark. 7 2 Der Rohstoff B a u x i t sollte vorwiegend aus Ungarn quer durch Europa nach Norwegen transportiert werden. Am Tage nach dem Angriff auf die U d S S R wurden im voraus schon die Bauxitlager im Norden der Sowjetunion den künftigen norwegischen Aluminiumhütten zugeteilt. 73 Die Konzeption für einen „Leichtmetallplan Norwegen" war in der Vierjahresplanorganisation und bei der Luftwaffe schon im Frühjahr 1940 nach der Eroberung Norwegens entstanden. Der Plan hatte Ende 1940 erstmals Gestalt angenommen. 7 4 Schon damals war das Reichsluftfahrtministerium, mit Kreisen der Flugzeugindustrie (Junkers) und 72 Wie Anm. 69. — Koppenberg gedachte einen möglichst großen Anteil des bei diesem Riesengeschäft anfallenden Profits in die eigene Tasche zu wirtschaften und ließ die Planungen für das Projekt durch die von ihm vollständig beherrschte Mineralölbau-Gesellschaft mbH aufstellen (ebenda). 73 Ebenda. 74 Petrick, Zwei Schlüsseldokumente, S. 249ff; Milward, Alan S., The Fascist Economy in Norway, Oxford 1972, bsd. S. 171 ff-; Eichholtz, Dietrich, Die Norwegen-Denkschrift des IG-Farben-Konzerns von 1941, in: Bulletin des Arbeitskreises „Zweiter Weltkrieg", Nr. 1—2/ 1974, S. 4ff.; ZStA Potsdam, FS, Film 8322, Ms. v. Eberhard Neukirch (Reichsamt für Wirtschaftsausbau): „Die Entwicklung des Leichtmetallausbaues im Vierjahresplan mit besonderer Berücksichtigung der Zeit des großdeutschen Freiheitskampfes ab 1939", 5. 6. 1943. 3 Eichholtz II
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Der Uberfall auf die UdSSR. Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionen
der Banken (Dresdner Bank, Bank der Deutschen Luftfahrt) im Rücken, für den Geschmack der bisher im Aluminiumgeschäft führenden Monopole, der Vereinigten Aluminiumwerke (VAW), der Deutschen Bank und auch der IG Farbenindustrie AG, zu selbstherrlich vorgegangen. Das Ministerium hatte vor allem den Finanzierungsplan Krauchs und der YAW abgelehnt, eine hundertprozentig staatliche Finanzierung durchgesetzt 7 5 und sogar erklärt, es beanspruche „auch für die Zeit nach dem Kriege unter allen Umständen die Majorität und Führung". 7 6 Obwohl nun Hauptbestandteil des Leichtmetallplans im Göringprogramm, blieb das Norwegenprojekt Ausdruck interner Gegensätze zwischen den beiden konkurrierenden Gruppierungen. Bei der Aufstellung des „Flugtreibstoff-Ausbauplans" dominierten hingegen der IGFarben-Konzern und das von seinem Aufsichtsratsvorsitzen Krauch geleitete Reichsamt für Wirtschaftsausbau bzw. die ebenfalls von Krauch repräsentierte Dienststelle des G B Chemie vollständig. Dieses Projekt stellte den dritten Eckpfeiler des Göringprogramms dar. Die Treibstoff läge des deutschen Imperialismus war, gemessen an seinen Absichten und Zielen, prekär. Die Rüstungsdienststellen der Wehrmacht hatten in dieser Hinsicht bereits vor dem 22. J u n i 1941 trostlose Zustände für den Herbst 1941 vorausgesagt. Nach Berechnungen des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamts vom Mai 1941 mußten die Treibstoffvorräte der Wehrmacht in Höhe von fast 1 Million t binnen drei Monaten, d. h. bis September 1941, auf 220000 t zusammenschrumpfen, davon allein der Vorrat an Flugtreibstoff von rund 210000 auf 31 000 t. 7 7 Nach dem Flugbenzinplan des Göringprogramms sollte, ausgehend von einem Stand von 160000 t monatlich, binnen eines Jahres (Mitte 1942) eine Kapazität von 260000 t (3,12 Millionen t jährlich), Anfang 1943 sogar eine solche von 390000 t (4,68 Millionen t jährlich) zur Verfügung stehen. 78 Für den damit verbundenen Bau mehrerer großer Hydrier- bzw. erdölverarbeitender Anlagen — für die großen Hydrierwerke in Pölitz, Wesseling und Magdeburg war die „Totalumstellung auf Erdölverarbeitung" vorgesehen — forderte der GB Chemie enorme Mengen von Eisen und Stahl, an Bauvolumen, an Arbeitskräften, Devisen usw. Unter den „weiteren Voraussetzungen" des Plans stand an erster Stelle die „Lieferung geeigneter Russen-Rohöle in Höhe bis zu 4 Mill. jato", die ab Mitte 1943 voll, in Höhe von 1,5 Millionen t Jahresmenge aber schon ab Frühjahr 1942 (!) in Deutschland verarbeitet werden sollten. Die Gesamtmenge sollte vom F r ü h j a h r 1943 an über eine Pipeline von Odessa nach Schlesien und nach Brüx fließen, die später nach Pölitz bei Stettin bzw. an die Ostsee zu verlängern wäre. Von Anfang an waren es also die Erdölquellen der Sowjetunion, deren Eroberung den 75 Ebenda (Ms. Neukirch). 76 BA Koblenz, R 2/5481, AN RMdF üb. Sitzung v. 25. 11. 1940. 77 ZStA Potsdam, FS, Film 1781, „Voraussichtliche Versorgungslage in den Sommermonaten 1941", 20. 5. 1941. — Kritisch wurde die Treibstoffsituation tatsächlich ab Ende Oktober 1941 (Reinhardt, Klaus, Die Wende vor Moskau. Das Scheitern der Strategie Hitlers im Winter 1941/42, Stuttgart 1972, S. 116ff.; Birkenfeld, Wolfgang, Der synthetische Treibstoff 1 9 3 3 1945. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Wirtschafts- und Rüstungspolitik, Göttingen/ Berlin (West)/Frankfurt a. M. 1964, (im folgenden: Treibstoff), S. 155f. 78 Wie Anm. 70. Hiernach auch das Folgende. — Die Luftwaffe forderte sogar, daß die gesamte (zusätzliche) Produktion von Flugbenzin aus dem unerhört anlagen- und arbeitsaufwendigen Hochleistungstreibstoff (Hundertoktanbenzin) zu bestehen habe (ebenda, 2. Fassung d. Flugtreibstoffplans).
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Hauptposten in der Treibstoffplanung des Göringprogramms bildete. Sogleich mit Beginn des Krieges gegen die U d S S R erfolgte daher die „Ausdehnung der Generalvollmacht des GB-Chem auf die besetzten und noch zu besetzenden Gebiete sowie die mit dem Reich in enger wirtschaftlicher Verbindung stehenden Länder". 7 9 Die gesamten Forderungen Krauchs nach künftigen Erdöleinfuhren aus der U d S S R beliefen sich auf jährlich 9 Millionen t 8 0 , die des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes auf 9,3 Millionen t für 1942 und auf 12,2 Millionen t für 1943. 81 Demgegenüber stand 1941 ein Gesamtaufkommen von weniger als 9 Millionen t Mineralöl, über das der deutsche Imperialismus zu jener Zeit in dem von ihm beherrschten Teil Europas tatsächlich verfügte. 8 2 Damit erklärte sich der Stoßseufzer von General Thomas: „Ohne Besitz des Kaukasus hat es keinen Zweck mehr, das Flugbenzinprogramm von Krauch weiter zu verfolgen.'^ Die Investitionsvorhaben des GB Chemie auf dem Treibstoffgebiet rangierten von nun an in der allerhöchsten Dringlichkeitsstufe der Kriegswirtschaft; seine Anforderungen an Arbeitskräften beispielsweise waren „gleichrangig mit den Anforderungen des Motorenbaus für die Luftwaffe zu befriedigen". 84 Damit „erreichte der Treibstoffausbau während der letzten Monate des Jahres (1941 — D. E.) eine Position innerhalb der deutschen Gesamtrüstung, die — von den letzten Kriegsmonaten abgesehen — einzig dasteht". 8 5 Was der zuletzt zitierte Autor allerdings verschweigt 86 , ist die mit Ausmaß und Abenteuerlichkeit der „Programme" sprunghaft zunehmende Brutalisierung der Ausbeutung, die ihre Entsprechung in der Brutalisierung der faschistischen Kriegführung hatte und wie diese ein Ausdruck des klaffenden Widerspruchs zwischen Kriegszielen und -plänen einerseits, den realen wirtschaftlichen und militärischen Gegebenheiten und Möglichkeiten andererseits war. Der GB Chemie hatte bereits Ende 1940/Anfang 1941 mit Görings Hilfe begonnen, sich für die Bauvorhaben auf dem Gebiet der Treibstoff- und Bunaproduktion neue materielle und Arbeitskräfteressourcen zu erschließen. Er machte sich die wirtschaftlichen Potenzen des Machtbereichs der S S zunutze und schloß mit Himmler ein enges Bündnis. Als Standort für eines der größten Hydrierwerke zur Herstellung von Hochleistungsflugtreibstoff sah er Auschwitz vor. Und so besiegelten der Schweiß, die Tränen und das Blut von Zehntausenden von Opfern des Naziregimes auf den Baustellen des Konzentrationslagers Auschwitz jenes menschenfeindliche Bündnis, das die deutschen 79 ZStA Potsdam, F S , Film 1741, Vortrag Dr. Ritter (GB Chemie) auf der Tagung der Rüstungsinspekteure: „Über die Arbeiten des Gen.-bevollmächtigten für Sonderfragen der chemischen Erzeugung Prof. Dr. C. K r a u c h " , 21. 1. 1942; meine Hervorh. 80 ZStA Potsdam, F S , Film 8273, K T B d. W i R ü A m t / S t a b , Eintr. v. 23. 7. 1941 (üb. Bespr. Krauch — Thomas). 81 Wie Anm. 71. — Für das letzte Quartal 1941 berechnete Thomas das Defizit mit 1,74 Mill. Tonnen (ebenda). 82 The Effects, S. 75, Tab. 35 (ohne Lagerabgang). Die hier angegebene Zahl (8,9 Mill. t) enthält außer Treibstoff auch andere Mineralölprodukte; die Ziffer in der von Wagenführ (Wagenführ, Rolf, Die deutsche Industrie im Kriege 1939-1945, 2. Aufl., Berlin 1963, S. 171) aufgestellten „Kraftstoffbilanz" (6,9 Mill. t) ist jedoch unvollständig in der Erfassung und zu niedrig. 83 Wie Anm. 80; Eintr. v. 29. 7. 1941. 84 ZStA Potsdam, F S , Film 4566, RVfg. RMfBuM an die Vorsitzer der Prüfungskommission, 16. 7. 1941. 85 Birkenfeld, Treibstoff, S. 164. 86 Ebenda, S. 165f., S. 174. 3*
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Rüstungsmonopole, voran der IG-Farben-Konzern, und die SS miteinander geschlossen hatten. 87 Das Göringprogramm war Ausfluß einer kriegswirtschaftlichen Konzeption von äußerster Aggressivität und Brutalität. Die Abenteuerlichkeit der Planungen lag ebenso auf der Hand wie ihre Gefährlichkeit.88 Das wirtschaftliche Blitzkriegskonzept der deutschen Imperialisten erreichte darin seinen Höhepunkt — gerade zu einem Zeitpunkt, an dem es, ungeachtet aller Anfangserfolge im Osten, unwiderruflich zum Scheitern verurteilt war.
b) Ansätze zur
„Umrüstung"
Die „Umsteuerung der Rüstung" auf das Göringprogramm lief bei weitem nicht so schnell und reibungslos an, wie die rigorosen Befehle Hitlers und Görings es erwarten ließen. Das Durcheinander und Gegeneinander im staatsmonopolistischen Mechanismus der Kriegswirtschaft war zu keinem anderen Zeitpunkt während des Krieges größer als im zweiten Halbjahr 1941. Wesentliche Ursache hierfür waren in zunehmendem Maße die militärischen Ereignisse an der deutsch-sowjetischen Front. Anfangs machten sich aber auch andere Faktoren und Widersprüche ursächlich bemerkbar, die dem System immanent waren. Die unstillbare Gier der deutschen Imperialisten nach Expansion und'Weltherrschaft stieß auf Grenzen in dem verfügbaren Wirtschaftspotential. Diese Grenzen waren freilich keine absoluten. Die Dialektik der Politik des Regimes war aber so beschaffen, daß die Barbarei und Skrupellosigkeit, mit der die Faschisten Krieg führten, andere Völker unterjochten, raubten und mordeten, mit ihren Skrupeln und Zweifeln hinsichtlich der Festigkeit des eigenen Hinterlandes, einschließlich der Massenbasis ihrer Diktatur, widerspruchsvoll korrespondierten. In gewissem Grade hing hiermit der Tatbestand zusammen, daß es ihnen einstweilen nicht gelang, die Regulierungsvollmaohten in der Kriegswirtschaft wirksam an einer Stelle zu konzentrieren und eine staatsmonopolistische Zentralgewalt zu schaffen, die mit Konsequenz jene Eingriffe in der Volkswirtschaft hätte vornehmen können, welche für die geplante „Umrüstung" großen Stils erforderlich gewesen wären. Es war die Konkurrenzgesetzlichkeit des Systems, die sich vorerst als stärker erwies als die „eiserne Notwendigkeit" des Krieges. Mit dem Göringprogramm meldeten die Luftwaffenführung und die Vierjahresplangruppierung ihren Anspruch auf staatsmonopolistische Alleinherrschaft an. Sollte das Programm verwirklicht oder zumindest erfolgreich in Angriff genommen werden, so mußten sie die kriegswirtschaftliche Regulierungsgewalt in einem bisher nicht dagewesenen Ausmaß bei sich konzentrieren. Eine seit langem akute Grundfrage des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland erschien in neuem Licht: Auf welche Kräftegruppierung würde die Führung in Rüstung und Kriegswirtschaft übergehen? Die Ambitionen der Luftwaffe und des Vierjahresplans durchzusetzen, war aber zu einer Zeit undenkbar, in der gerade das Heer im Osten mit seiner vollen Kraft im Kampf gegen den — wie es sich herausstellte — stärksten und entschlossensten Gegner stand. Das Heer hätte damit seinen Einfluß auf den Gang der Kriegswirtschaft weitgehend eingebüßt; es 87 Siehe S. 220f. 88 Petzina legt allein Göring die „Irrealität" deg Göringprogramms zur Last; das Amt Krauch trage dafür keine Verantwortung (Petzina, Dieter, Autarkiepolitik im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Vierjahresplan, Stuttgart 1968 (im folgenden: Autarkiepolitik), S. 147).
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hätte Entwicklung und effektiven Stand der Produktion seiner Ausrüstung nicht mehr maßgeblich regulieren können. Abgesehen von den Rüstungsdienststellen des Heeres war es vor allem das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition unter Fritz Todt, dessen Interessen hierbei mitsprachen. Seit etwas über einem J a h r waren ihm von Hitler und Göring bedeutende Regulierungsvollmachten gerade auf dem Gebiet der Produktion der Heeresbewaffnung übertragen worden. General Thomas urteilte später, auf das J a h r 1941 zurückblickend: „Daß der RMfBuM auf weite Sicht anstrebte, die Gesamtrüstung bei sich zu vereinen, wurde immer klarer." 8 9 Hinter dem Munitionsminister stand die Leitung der Reichsgruppe Industrie. Sein Ministerium war die Exekutive der großen Rüstungsmonopole, die Panzer, Waffen und Munition für das Heer produzierten. Unter diesen wiederum spielten die Montankonzerne, insbesondere die Ruhrkonzerne, die führende Rolle. Todt deutete schon frühzeitig an, daß die Arbeitskräftelage es nicht erlauben werde, sogleich das Programm der Luftwaffe in Angriff zu nehmen. „Eine generelle Entlastung auf dem Arbeitsmarkt kann nach Auffassung von Dr. Todt erst im Herbst erfolgen." 9 0 Was die Werkzeugmaschinen betraf, die ursprünglich für den Export in die U d S S R vorgesehen waren, so sollten sie nach Aufhebung der Tarnung von „Barbarossa" „auf Luftwaffen-, Panzer- und Flakprogramm verteilt" werden. 91 All dies verriet keine große Neigung des Ministers, in absehbarer Zeit die Heeresrüstung zugunsten der Luftwaffe zu kürzen. Daß es Todt gelang, sich in Hitlers Erlaß vom 20. J u n i 1941 9 2 eine zentrale Stellung bei der „ Umrüstung" vorbehalten zu lassen, kam nicht nur für die Luftwaffenführung, sondern auch für das O K W überraschend. Nach den Vollmachten aus diesem Erlaß hing das Schicksal der „Umrüstung" weitgehend vom Reichsminister für Bewaffnung und Munition ab. Am gleichen Tag ergingen neun Erlasse Görings 9 3 , die Todt „veranlaßt" hatte, ohne sich vorher mit der Wehrmachtführung abzusprechen. 94 Sie betrafen überwiegend die Regulierung des Arbeitskräftemarktes und verschafften dem Munitionsminister wichtige neue Vollmachten auf diesem Gebiet, auf dem er bereits seit Anfang des Jahres eine sehr starke Position innehatte. Das Erlaßbündel hatte er Göring augenscheinlich mit dem Argument, das Luftwaffenprogramm besser mit Arbeitskräften versorgen zu wollen, vorgelegt. Göring übertrug ihm als G B B a u ferner die Verteilungsbefugnis für das Gesamtkontingent an Baueisen und Holz 9 5 — ebenfalls ein empfindlicher Eingriff in die Machtvollkommenheit des OKW, des Reichsamts für Wirtschaftsausbau und anderer Stellen. Dem Heereswaffenamt und dem ihm übergeordneten Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres, Generaloberst Friedrich Fromm, blieb nichts anderes übrig als einzusehen, daß ihre Interessen jetzt eng mit denen des bisher heftig angefeindeten Munitionsministeriums verknüpft waren. Angesichts der gefestigten Position Todts fühlte sich Fromm so weit ermutigt, daß er sich unumwunden „gegen den Führerbefehl" vom 20. J u n i , d. h. gegen das Göringprogramm, aussprach. 9 6 89 Thomas, S. 257. 90 ZStA Potsdam, F S , Film 2325, AN üb. Bespr. zwischen Thomas u. Todt am 11. 6. 1941, 13. 6. 1941. 91 Ebenda. 92 Siehe S. 13. 93 ZStA Potsdam, F S , Film 2312, neun Erlasse Görings v. 20. 6. 1941, mit Rs. Todt v. 21. 6. 1941. 94 Thomas, S. 533, Thomas an Keitel üb. Bespr. mit Todt am 27. 6. 1941, 29. 6. 1941. 95 ZStA Potsdam, F S , Film 1746, Erlaß BfV, 3. 7. 1941. 96 Ebenda, Film 2313, AN WiRüAmt üb. „Stellungnahme OKH zum Führerbefehl vom 20. 6.", 23. 6. 1941.
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Todt nutzte die Bereitschaft des Chefs der Heeresrüstung zu Zugeständnissen sofort aus und gab am 21. J u n i mit ihm gemeinsam den Erlaß über die Bildung einer Panzerkommission heraus, die er schon seit längerem 9 7 vorbereitet hatte. Der Erlaß begann mit einer eindeutigen Forderung nach Erhalt und Stärkung der „Schlagkraft des Heeres" und damit der Heeresrüstung: „Das große Panzerprogramm des Heeres steht im Rahmen der Heeresrüstung an erster Stelle in höchster Dringlichkeitsstufe. E s stellt das Rückgrat dar für den Aufbau der schnellen Verbände und damit für die Schlagkraft des Heeres überhaupt. Es ist daher unumgänglich und unverzüglich notwendig, alle militärischen, technischen und fabrikatorischen Kräfte dienstlicher und ziviler Quellen zusammenzufassen und zu einheitlicher Planung, Erprobung und Fertigung zusammenzuführen." 9 8 Das erwähnte Panzerprogramm war auf zwei J a h r e berechnet; Hitler hatte befohlen, die „Zahl der Panzerdivisionen von 20 auf 36 zu erhöhen" 9 9 und sie mit neuen Typen schwerer Panzer auszustatten. In Anbetracht dieses und anderer umfangreicher Rüstungsvorhaben des Heeres beharrte Fromm darauf, die Einschränkung der Heeresrüstung müsse „über O K W durch den Führer in ihrem Umfang befohlen werden, bevor die praktischen Folgerungen daraus gezogen werden können". 1 0 0 In anderer Hinsicht sollte die Bildung der Panzerkommission, der ersten einer ganzen Reihe von „Entwicklungskommissionen" des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition, bald ihre Schattenseiten für die Heeresdienststellen zeigen. In der Kommission waren die Rüstungskonzerne durch ihre führenden Direktoren, Konstrukteure und Ingenieure vertreten und zeigten sich, zusammen mit den Beamten des Ministeriums, den Vertretern der Wehrmacht schon zahlenmäßig überlegen. Alle Rüstungsaufträge auf dem Gebiet der Panzerproduktion sollten der Kommission „zur vorherigen Mitpriifung im Sinne einer vereinfachten, leistungssteigernden Fertigung" vorgelegt werden. 101 Das Heer mußte seine Typenwünsche den Kommissionsbeschlüssen unterordnen. In der Möglichkeit, Waffentypen selbst zu konstruieren, wurde es faktisch immer stärker beschränkt. Den Vo/sitz der Kommission hatte als ständiger Vertreter des Ministers Ferdinand Porsche, der Vorstandsvorsitze des Volkswagenwerks, inne. Damit wurden, wenn auch vorerst nur für Panzerwagen, dem Heereswaffenamt bedeutende Kompetenzen entwunden, die weitgehend und unmittelbar in die Hände der maßgeblichen Panzerproduzenten unter den Rüstungskonzernen gelangten. Das Heer mußte seinen Anspruch aufgeben, in technischen und Konstruktionsangelegenheiten allein zu entscheiden, einen Anspruch, der sich nach den Erfahrungen der Rüstungskonzerne profit97
Siehe ebenda, Film 2312, AO Todts v. 11. 1. 1941. Gemäß dieser Anordnung wurde Direktor Oskar Hacker (Steyr-Daimler-Puch/Reichswerke-Konzern), bisher Geschäftsführer des Sonderausschusses Panzerwagen, zum „Sonderbeauftragten für Panzerwagen" beim RMfBuM bestellt. 98 Anatomie des Krieges, S. 336, Dok. 164, Erlaß v. Todt u. Fromm, 21. 6. 1941. 99 ZStA Potsdam, FS, Film 8273, KTB d. WiRüAmt/Stab, Eintr. v. 14. 7. 1941; s. a. ebenda, Eintr. v. 26. 6. 1941. Reinhardt erwähnt eine Weisung Hitlers vom 13. Juli 1941, nach der „die bestehenden Panzer- und Infanteriedivisionen (mot.) bis zum 1. Mai 1942 auf 36 beziehungsweise 18 zu erhöhen" waren, die jedoch aus drei vollen Regimentern bestehen sollten {Reinhardt, S. 29). Schon im Monat zuvor hatte Hitler den „Wunsch" geäußert, das Panzerprogramm von 600 auf 900 gepanzerte Fahrzeuge monatlich zu erhöhen (wie Anm. 94). Der durchschnittliche monatliche Ausstoß lag von Januar bis Juni 1941 bei 270 Stück! {The Effects, S. 278, Tab. 104). 100 ZStA Potsdam, FS, Film 2313, FS Fromm an Warlimont (WFSt/Abt. L), 23. 6. 1941. 101 Wie Anm. 98.
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mindernd auswirkte. Die Monopole lösten damit auf ihre Weise und zu ihren Gunsten •den Widerspruch zwischen den Erfordernissen der rationalisierten und profitablen Serienproduktion von Panzern und dem Drängen der Wehrmacht auf ständige rascheste Anpassung der Konstruktionen an die modernen kriegstechnischen Anforderungen und an die Verhältnisse auf dem jeweiligen Kriegsschauplatz. Der Reichsminister für Bewaffnung und Munition hatte sich gut gerüstet für die zu erwartende Auseinandersetzung mit der Luftwaffenführung um die entscheidenden Regulierungsvollmachten in der Kriegswirtschaft. Als Generalfeldmarschall Erhard Milch, Generalinspekteur der Luftwaffe und Staatssekretär im Reichsluftfahrtministerium, am 26. Juni 1941 das Göringprogramm vor Spitzenvertretern der Rüstungsdienststellen der Wehrmacht und des Vierjahresplans erläuterte und seine „besonderen umfassenden Vollmachten" 102 herausstrich, wurde ihm — in Todts Abwesenheit — vorgehalten: „Führerbefehl vom 20. 6. an Reichsminister Todt steht im gewissen Widerspruch zu der Vollmacht und den Ausführungen des Feldmarschall Milch." 103 Milch und Todt hatten daraufhin am folgenden Tag einen heftigen Zusammenstoß. 104 Thomas berichtete nach einer Aussprache mit Todt darüber: „Todt hatte anscheinend gedroht, beim Führer seine Ablösung zu erbitten, wenn Milch diese Vollmacht behält." 105 Der Generalinspekteur der Luftwaffe war sich seiner Vollmachten aber durchaus nicht sehr sicher, da Göring, wie er sich Thomas gegenüber ausdrückte, „zwei Herzen in seiner Brust" trage, „eines für die Luftwaffe und eines als Vorsitzender des Reichsverteidigungsrates" 106 , d. h. als Verantwortlicher auch für die übrigen Bereiche von Wehrmachtrüstung und Kriegswirtschaft. Für eine Zeitspanne von Wochen, höchstens wenigen Monaten blieb der Ausgang dieses internen Konflikts im Ungewissen, was nicht zuletzt mit der keineswegs entschiedenen Lage an der deutsch-sowjetischen Front zusammenhing. Für das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt des OKW lag hierin eine Chance. Es wähnte sich im Kampf um eine zentrale Kommandostelle für die Kriegswirtschaft in einer besonders günstigen Situation. Die Idee, eine solche Stelle zu schaffen und selbst zu leiten, schwebte dem Chef des Amtes, General Thomas, seit Jahren vor und tauchte seit Kriegsbeginn immer von neuem in seinen Memoranden und Vortragsnotizen auf. Das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt hatte im kriegswirtschaftlichen Regulierungsmechanismus immer noch eine starke Stellung. Seit Anfang 1941 war seine Position zwar in bestimmten empfindlichen Punkten zugunsten des Munitionsministeriums geschwächt worden, insgesamt hatte sich aber das Gewicht des Amtes für die sich anbahnende Auseinandersetzung um die „Umrüstung" eher erhöht, besonders seit Göring ihm im Herbst 1940 die gesamte Vorbereitung auf die wirtschaftliche Ausplünderung der UdSSR, später •die Geschäfts- und Federführung für den Wirtschaftsführungsstab Ost und die Dienstaufsicht über den Wirtschaftsstab Ost übertragen hatte. 107 Damals hatte sich das Amt jene 102 Thomas, S. 448, Protokoll WiRüAmt (Hünermann) üb. Bespr. b. Staatssekr. Milch am 26. 6. 1941. 103 Ebenda, S. 450. Siehe auch Groehler, Geschichte des Luftkriegs, S. 338. 104 Wie Anm. 94. — Albert Speer war Zeuge dieses Vorfalls (Speer, Albert, Erinnerungen, Berlin (West) 1971 (9. Aufl.), S. 198). Ludwig berichtet über zwei derartige Auseinandersetzungen (am 26. und am 27.6.); Ludwig, Karl-Heinz, Technik und Ingenieure im Dritten Reich, ' Düsseldorf 1974 (im folgenden: Ludwig, Technik), S. 372f. 105 Wie Anm. 94. 106 Wie Anm. 94 (S. 534). 107 Siehe Band I, S. 233 f.
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weitgehende Zusicherung Görings beschafft, daß Todt „allein für die Fertigung eingesetzt sei und daß Führung der Rüstung einschließlich Rohstoffverteilung und Arbeitseinsatz allein beim OKW liegen könne, das ihn (Göring — D. E.j in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Ministerrats für die Reichsverteidigung zu unterrichten habe". 108 Ahnlichen Bescheid erhielt Todt, als er Ende J u n i 1941 unmittelbar an Hitler die Forderung herantrug, es müsse jetzt „eine Stelle geschaffen werden, die rücksichtslos gegen die drei Oberbefehlshaber (der Wehrmachtteile — D. E.) entscheidet". 1 0 9 Darauf suchte er, u m nicht der Luftwaffe das Feld zu überlassen, zunächst einen Kompromiß mit dem Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt. Da zur gleichen Zeit auch Milch dieses Amt um Hilfe anging, fühlte Thomas sich in seiner Meinung bestärkt, „daß zur Zeit eine besonders günstige Lage ist, die Führung der Rüstung beim OKW wieder fest in die Hand zu nehmen". 1 1 0 Während das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt sich aber in den folgenden Wochen des langen und breiten über die „Unmöglichkeit" ausließ, das Göringprogramm oder gar alle Rüstungsvorhaben der Wehrmacht zugleich zu verwirklichen, während es die unbequemen Forderungen auf „rücksichtsloses Zusammenstreichen" der Rüstungsprogramme von Heer u n d Marine vertrat 1 1 1 und erneut wegen einer „zentralen Wehrmacht-Planungsstelle" vorstellig wurde 1 1 2 , handelte das Munitionsministerium ohne Verzögerung. Todts Erlaß vom 11. Juli 1941 113 erschien noch vor dem Erlaß Hitlers vom 14. Juli und ließ gar keinen Zweifel daran, daß der Munitionsminister die ihm im Erlaß vom 20. J u n i vorbehaltene zentrale Stellung bei der „Umrüstung" niemandem abzutreten gedachte. „Todt hat", so notierte Thomas am 14. Juli, „von sich aus eine Verfügung über die Umsteuerung der Rüstung auf das neue Luftwaffenprogramm herausgegeben . . . Damit zieht Todt auch die Kapazitätsverteilung an sich." 1 1 4 Das neue Luftwaffenprogramm, so hieß es eingangs in Todts Erlaß, bedinge eine „erhebliche Verstärkung" der Luftwaffenrüstung. 1 1 5 Von einer „Senkung der Fertigungszahlen" blieben jedoch das „Panzerprogramm, die reine U-Boot-Fertigung einschließlich der Torpedos sowie die Flakmunitions- und Flakrohrfertigung und Sonderfertigungen auf Grund höchster Entscheidung ausgenommen". Ein von Todt eingesetzter „Kapazitätenausschuß" unter seinem altgedienten Mitarbeiter Georg Rickhey (Demag), in den O K W und Wehrmachtteile je einen Vertreter entsenden sollten, entschied über die Übertragung von Rüstungskapazitäten vor allem des Heeres auf die Luftwaffe. Die Übertragung — im Erlaß stets „Austausch von Kapazitäten" (!) genannt — sollte möglichst so vor sich gehen, daß ganze Betriebe von Heeresaufträgen freigemacht würden. Mit diesen Aufträgen seien „nur einige wenige Formen möglichst hundertprozentig weiterzubeschäftigen"; sie sollten auf solche Betriebe konzentriert werden, „die am rationellsten arbeiten". Das konnte n u r bedeuten, daß die großen, führenden Heereslieferanten weiterhin und womöglich noch ausschließlicher für die Heeresrüstung produzierten. Zur gleichen Zeit setzte der Munitions108 ZStA Potsdam, Fall X I , Nr. 415, Bl. 153, Dok. PS-1456, AN Thomas' üb. Vortrag bei Göring, 6. 11. 1940. 109 Wie Anm. 94. 110 Wie Anm. 94 (S. 534). 111 Wie Anm. 99; div. Eintr. Juni-August 1941 (bsd. 26. 6., 1. 7., 1. 8., 4. 8., 8. 8.). 112 Fall Barbarossa, S. 225, Dok. 63, Bericht WiRüAmt v. 10. 7. 1941. 113 ZStA Potsdam, FS, Film 4186, Erlaß Todts betr. „Austausch von Kapazitäten", 11. 7. 1941. 114 Wie Anm. 99; Eintr. v. 14. 7. 1941. 115 Wie Anm. 113. Hiernach auch das Folgende.
Die „ U m r ü s t u n g " v o m S o m m e r 1941
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minister zum Beispiel in allen 31 Firmen, die in ihrem Produktionsprogramm Ersatzteile für Panzer führten — darunter Alkett, Daimler-Benz, Krupp, Henschel und Maybach —, Sonderbeauftragte ein. Mit höchster Dringlichkeit sollten „Engpaßersatzteile" für die Ostfront produziert werden, um die erschreckenden Panzerausfälle wettzumachen. Die Beauftragten hatten „alle erforderlichen Maschinen auf 24stündige Arbeitszeit zu programmieren", und zwar für die „nächsten Wochen". 116 Die alleinige Verfügungsgewalt über die freiwerdenden Arbeitskräfte erhielten die Prüfungskommissionen, die ebenfalls dem Munitionsminister unterstanden. 117 Der Generalluftzeugmeister hatte seine Anforderungen dem Ministerium bzw. dem Kapazitätenausschuß mitzuteilen. Er war, ebenso wie die Dienststellen von Heer und Kriegsmarine, „nicht befugt", Weisungen unmittelbar an die Betriebe zu geben. Alle endgültigen Entscheidungen lagen beim Munitionsminister. Mit seinem Erlaß legte sich Todt zwar auf ein bestimmtes Verfahren der „Umrüstung" zugunsten der Luftwaffenrüstung fest; er konzentrierte aber wichtige Vollmachten für die Regulierung dieses Prozesses in seiner Hand, und ihm blieb es auch weitgehend überlassen, das Tempo des Vorgehens zu bestimmen. Im Laufe des Augusts beschwerte sich die Luftwaffenführung des öfteren, „daß Todts Kapazitätenumlagerung zu langsam vor sich geht" 1 1 8 und daß die „Umsteuerung der Rüstung" sich „praktisch . . . noch nicht ausgewirkt" habe. 119 Immerhin begann das OKH noch im Juli 1941 damit, lange Listen über die „Streichung und Kürzung von Wehrmachtsaufträgen" anzulegen, zuerst für weniger wichtiges Kriegsgerät und Zubehör, bald auch für „Großwaffen". Das OKM folgte diesem Beispiel. „Drosselungslisten" gingen an die Rüstungsinspektionen und -kommandos, diese wiederum machten „Drosselungsvorschläge", und schließlich erhielten die Betriebe entsprechende „Drosselungsschreiben". 120 Die hiermit einsetzenden Veränderungen in der Struktur der deutschen Kriegsproduktion entsprachen ihrem Umfang nach allerdings keineswegs dem, was die Urheber des Göringprogramms für nötig hielten. Ihr Tempo verlangsamte sich in dem gleichen Maße wie der Vormarsch der faschistischen Armeen auf sowjetischem Boden. Wie sie sich tatsächlich auf die Luftwaffenrüstung auswirkten, ist nicht leicht zu beurteilen, zumal da diese Auswirkungen gebietsweise und je nach Industriezweig sehr unterschiedlich waren. Es gab Rüstungsinspektionen, die nach einem Vierteljahr die „Umsteuerung der Heeresfertigung" als „restlos abgeschlossen" meldeten und über ihr Ergebnis ausdrücklich vermerkten, es habe statt einer großzügigen Freisetzung im Endeffekt „nur eine rein innerbetriebliche Umsetzung der Arbeitskräfte" stattgefunden; denn anstelle der annullierten oder gekürzten Heeresaufträge seien neue Waffen und Geräte in Produktion genommen worden. 121 116 Zur gleichen Zeit setzte der Munitionsminister z u m Beispiel in allen 3 1 Firmen, die in ihrem P r o d u k t i o n s p r o g r a m m Ersatzteile für P a n z e r führten — darunter Alkett, Daimler-Benz, K r u p p , Henschel und M a y b a c h —, S o n d e r b e a u f t r a g t e ein. Mit höchster Dringlichkeit sollten „ E n g p a ß e r s a t z t e i l e " f ü r die Ostfront produziert werden, u m die erschreckenden P a n z e r a u s fälle zu vermindern. Die B e a u f t r a g t e n h a t t e n „alle erforderlichen Maschinen auf 24stündige Arbeitszeit zu p r o g r a m m i e r e n " , u n d zwar für die „ n ä c h s t e n W o c h e n " ( L u d w i g , Technik, S. 3 7 5 ; zit. V f g g . R M f B u M v. 12. u. 21. 7. 1941). 117 118 119 120 121
Siehe S. 180 f. Wie A n m . 99, Eintr. v . 2. 8. 1941. Z S t A P o t s d a m , F S , F i l m 1781, (monatl.) L a g e b e r i c h t der R ü l n I I I (Berlin), 15. 8. 1941. Div. Mat. hierzu für J u l i - O k t o b e r 1941 i n : Z S t A P o t s d a m , F S , F i l m 2313 u n d 3643. E b e n d a , F i l m 1781, (monatl.) Lagebericht der R ü l n V I (Münster), 14. 11. 1941.
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Der Überfall auf die UdSSR. Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionen
In Lageberichten der Wirtschafts- bzw. Industrie- und Handelskammern an die Reichswirtschaftskammer hieß es für den Zeitraum August/September 1941, der angeordnete Kapazitätenaustausch zugunsten der Luftwaffe habe sich „noch nicht weiter ausgewirkt. Die bisherigen Aufträge laufen im wesentlichen weiter." 1 2 2 Die für die Heeresrüstung Verantwortlichen im O K H und in den Rüstungsinspektionen waren indessen nach wie vor beunruhigt. Sie wandten sich mit zunehmendem Nachdruck gegen den geplanten raschen Abbau der Heeresrüstung aus der Befürchtung heraus, „daß die vom O K H befohlenen Kapazitäten eines Tages nurmehr auf dem Papier stehen" könnten. 1 2 3 Wenn erst „die Arbeiter und Kapazitäten durch andere Wehrmachtteile in Anspruch genommen" seien, so argumentierten sie mit dem unmißverständlichen Hinweis auf die zunehmende Verlangsamung des Vormarsches in der Sowjetunion, würden sie „dem Heer . . . nicht mehr zur Verfügung stehen". 1 2 4 Der Reichsminister für Bewaffnung und Munition schließlich äußerte am 1. Oktober gegenüber dem Reichsarbeitsminister anläßlich des Abzugs französischer Zwangsarbeiter von Bauvorhaben des Heeres (Panzerfertigung) und der Marine unumwunden, „daß diese einseitige Förderung der Luftwaffenfertigung unter völliger Hintansetzung der wichtigsten Rüstungsbauvorhaben nicht im Interesse der gesamten Aufrüstung gelegen ist". 1 2 5 Die Produktion von Kriegsflugzeugen entwickelte sich tatsächlich in einer den Wünschen und Plänen der Strategen des Göringprogramms genau entgegengesetzten Richtung. Sie sank von ihrem Höhepunkt im März 1941 bis zum November von 1174 auf 895 Maschinen ab — das bei den rapide wachsenden Verlusten im Osten — und überschritt dieses Niveau wesentlich erst vom Frühjahr 1942 an. 1 2 6 Allerdings entstanden gerade in dieser Zeit sehr umfangreiche neue Werkanlagen für die Flugzeugindustrie. Die Dienststelle des „Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt", d. h. Albert Speers, die diese Bauten ausführte, stand in fast täglichem Arbeitskontakt sowohl mit dem Generalinspekteur der Luftwaffe als vor allem auch mit dem Munitionsminister, der in Personalunion Generalbevollmächtigter für die Regelung der Bauwirtschaft war. Nach der Arbeitskräftebilanz der überwiegend für die Rüstung produzierenden und unmittelbar von Wehrmachtsdienststellen betreuten Betriebe, der sogenannten W- oder A-Betriebe, in denen Mitte 1941 rund 45 Prozent aller in der Industrie Beschäftigten tätig waren 1 2 7 , wuchs die Beschäftigtenzahl der hauptsächlich für die Luftwaffe arbeitenden Betriebe nicht unbedeutend, ohne daß jedoch die für das Heer arbeitenden Werke Arbeitskräfte in größerer Anzahl einbüßten. Der Zuwachs bei den für die Luftwaffe arbeitenden Betrieben beruhte also so gut wie ausschließlich darauf, daß Arbeitskräfte außerhalb der W-Betriebe einschließlich ausländischer Zwangsarbeiter für diese verpflichtet wurden. Immerhin ist zusätzlich mit einer gewissen — geringen — Zahl von Arbeitskräften zu rechnen, die innerhalb der W-Betriebe des Heeres und der Marine auf Aufträge der Luftwaffe „umgesetzt" wurden. (Tabelle 4) In einer später ausgearbeiteten Studie resümierte man im OKW, „daß die Führererlasse vom 20. J u n i bzw. 14. J u l i 1941 verhältnismäßig nur geringe Wirkung in der Rüstungs122 BA Koblenz, R 11/78, Auszüge aus den Lageberichten für Mitte Aug./Mitte Sept. 1941. 123 ZStA Potsdam, FS, Film 3643, AN RKdo Augsburg, Gruppe Heer, üb. Bespr. am 2. 9. 1941, 3. 9. 1941. 124 Ebenda, Film 2313, Chef HRüst/BdE an Chef OKW, 18. 9. 1941. 125 Ebenda, Film 4566, RMfBuM an RArbM, 1. 10. 1941. 126 The Effects, S. 277, Tab. 102. 127 Ebenda, S. 214, Tab. 13; S. 213, Tab. 11.
Die „Umrüstung" vom Sommer 1941 Tabelle 4 Beschäftigte der W-Betriebe (in
1000)
Insgesamt 31. 3. 1941 30. 6. 1941 31. 12. 1941
25
4325,7 4516,5 4694,0
davon Heer
Luftwaffe
Kriegsmarine
1395,6 1397,4 1390,7
1341,6 1519,1 1762,4
545,4 598,4 620,6
QueUe: ZStA Potsdam, FS, Film 8297, Aufstellung RMfBuM über Arbeitskräftelage der W-Betriebe, 10. 8. 1932. Industrie" gehabt hätten und daß die „Umrüstung" insgesamt „nicht so einschneidende Änderungen" in der Kriegswirtschaft bewirkt habe. 1 2 8
•c) Die Krise des wirtschaftlichen
Blitzkriegskonzepts
D i e Konflikte innerhalb des staatsmonopolistischen Mechanismus der Kriegswirtschaft waren keineswegs ein Symptom dafür, daß die herrschenden Kreise Hitlerdeutschlands sich etwa nicht über die strategische und rüstungswirtschaftliche Linie einig gewesen wären, die dem Göringprogramm zugrunde lag. Im Gegenteil, die Hoffnung auf einen entscheidenden Sieg über die U d S S R binnen weniger Monate einte sie, und die Umrüstung auf einen künftigen Kampf gegen die anglo-amerikanisch beherrschte Hemisphäre stand im Mittelpunkt ihrer strategischen Konzeption. Auch Todt und der von ihm mit den Bauten für die Flugzeugindustrie betraute Speer verwendeten seit J u n i 1941 einen großen Teil ihrer Energie darauf, das Umrüstungskonzept zu verwirklichen. Was die gesamte „Umrüstung" von Anfang an illusorisch machte, die genannten Konflikte schürte und das Göringprogramm binnen kurzem in der Versenkung verschwinden ließ, waren vielmehr die Ereignisse auf dem Kriegsschauplatz im Osten. Der Verlauf der Kämpfe an der deutsch-sowjetischen Front nahm schon nach wenigen Wochen der ersten Anfangserfolge der Wehrmacht nachweislich Einfluß auf das kriegswirtschaftliche Geschehen. D i e Rote Armee durchkreuzte mit ihrem heroischen Widerstand den Zeitplan der Aggressoren auf empfindlichste Weise. Ende J u l i mußte die Heeresgruppe Mitte vor Smolensk für längere Zeit zur Verteidigung übergehen. Im Norden stockte der Vormarsch der •deutschen Truppen vor Leningrad, im Süden vor Kiew. Bis Anfang September verlor die Hitlerwehrmacht im Osten beispielsweise über 1800 Panzerkampfwagen, d. h. 53 Prozent ihres ursprünglichen Bestandes. 1 2 9 Die Totalverluste beliefen sich allein im J u l i und August •auf insgesamt 1350 Panzer. 1 3 0 Monats Verluste in dieser Höhe erlitten die Faschisten erst wieder im J a h r e 1943. Die Mannschaftsverluste des Heeres an der deutsch-sowjetischen Front betrugen bis Ende August 4 1 0 0 0 0 Mann. 131 Im September und Oktober verlangsamte sich angesichts dringender Forderungen des Heeres nach Nachschub an Munition 128 ZStA Potsdam, FS, Film 2325, Studie üb. „Umrüstung" v. Oberst Dr. Hedler, o. D. (etwa Mai/Juni 1942). 129 Müüer-Hillebrand, Bd. 3, S. 205. 130 Ebenda, Tab. S. 274/75. 131 DZW, Bd. 2, S. 67.
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Der Überfall auf die U d S S R . Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionei»
und nach neuen Waffen das Tempo der „Umrüstung" immer mehr. Ende Oktober lief sich die erste, Ende November die zweite Offensive der faschistischen Truppen gegen Moskau fest. Während der großen sowjetischen Gegenoffensive, die am 5./6. Dezember begann, brachen die Blitzkriegsstrategie und mit ihr das Göringprogramm endgültig'und vollständig zusammen. Diese Entwicklung war die eigentliche Ursache für das Scheitern der „Umrüstung" im zweiten Halbjahr 1941. Zwar veranlaßte erst die sowjetische Gegenoffensive im Dezember die deutschen Imperialisten, sich ernstlich auf die neue kriegswirtschaftliche Lage einzustellen; aber schon seit Mitte August erwiesen sich die Ereignisse an der deutsch-sowjetischen Front als der entscheidende ursächliche Faktor für das Scheitern des wirtschaftlichen Blitzkriegskonzepts. Maßgebliche Kreise des Regimes hielten es angesichts der hohen eigenen Verluste an Menschen und an Rüstungsmaterial für zu riskant, die Heeresrüstung schon jetzt so drastisch zu kürzen, wie die „Umrüstung" es erfordert hätte. Es war die Wehrmachtführung, die zuerst den unvermutet harten Widerstand des Gegners und die außergewöhnlich hohen eigenen Verluste registrierte und daher selbst das Signal zur Verlangsamung der „Umrüstung" und zu erheblichen Abstrichen davon gab. Am 16. August 1941 beriet Generalfeldmarschall Keitel mit dem Munitionsminister und den Chefs der Rüstungsdienststellen der Wehrmacht nach zweitägigen Vorbesprechungen über die Verwirklichung des HitlerErlasses vom 14. Juli. Der Verlauf dieser Besprechung zeugte von dem völlig vergeblichen Bemühen, den Erlaß und damit die „Umrüstung" weiterhin als reale Planorientierung zu betrachten. Die obersten Instanzen der Wehrmachtsrüstung und der Kriegswirtschaft mußten es sich eingestehen, daß die Voraussetzungen dafür — der Sieg über die U d S S R und die Verfügung über ihre wirtschaftlichen Reichtümer — ganz im unklaren lagen. Keitel verkündete zwar in hohler Prahlerei, der Wehrmacht könne „im Erdkampf ein ernst zu nehmender Gegner nicht mehr erstehen" 1 3 2 ; er mußte aber zugleich als „retardierende Momente" 1 3 3 für die befohlene „Umrüstung" großen Arbeitskräfte- und Rohstoffmangel hervorheben. Zwar meinte er, „daß die Schwerpunktforderungen erfüllbar seien, erklärte aber im gleichen Atemzug: „Die eingereichten Forderungen (der Wehrmachtteile — D. E.) kann ich nicht erfüllen." 1 3 4 Als feststehend gab er bekannt, daß das Panzerprogramm auf den monatlichen Produktionsausstoß von 600 Panzern — statt des früher geplanten von 900 oder gar von „Idealforderungen" nach 2000 Panzern 1 3 5 — zuzüglich einer bestimmten Zahl neuentwickelter schwerster(Tiger-)Panzer (erst 50, dann 25 Stück 1 3 6 ) beschränkt worden sei. Damit war das Ziel vom Juni/Juli, 36 Panzerdivisionen aufzustellen, in unabsehbare Ferne gerückt; wenige Tage nach der Beratung schoben Hitler und seine Generale auch den schon am 8. August reduzierten Plan auf, der vorsah, 30 solcher Divisionen zu bilden. 137 132 Thomas, S. 459, Protokoll d. „Besprechung Chef OKW mit den Wehrmachtteilen am 16. 8. 41", v. 18. 8. 1941. 133 Ebenda, S. 460. 134 ZStA Potsdam, F S , Film 1742, Konzept Keitels f. „Rüstungsbesprechung 16.8. 1941: Stichworte für meine Ausführungen". 135 Ebenda, AN üb. d. Sitzung des Panzerausschusses am 17. 7. 1941; dazu Anschreiben Thomas an Keitel v. 19. 7. 1941. 136 Ebenda, Marginalnotiz Keitels (16. 8.) an Schreiben Thomas' v. 19. 7. 1941. 137 Ebenda, Film 1828, AN Chef/Abt. L für WiRüAmt 20. 8. 1941 üb. Festleg. zwischen Hitler, Keitel, Brauchitsch u. Fromm betr. Heeresrüstung; Reinhardt, S. 38 (nach Keitels Befehl
Die „Umrüstung" vom Sommer 1941
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Das Kernstück der „Umsteuerung der Rüstung", das Göringprogramm, war bereits bis zur Unkenntlichkeit zusammengeschrumpft. Milch schilderte den Arbeitskräftemangel, •der es der Luftwaffe unmöglich mache, auch „nur einen einzigen Mann in das erweiterte Luftrüstungsprogramm überzuführen".138 Die Luftwaffe hatte aus der Not bereits eine Tugend gemacht und das sogenannte Elchprogramm verkündet. Das Elchprogramm war ursprünglich als erste Phase des Göringprogramms konzipiert und hatte eine Verdoppelung •der Luftwaffenstärke bis Frühjahr 1942 vorgesehen. Nun klang es bereits ganz anders: „1) Das Elchprogramm: Die Luftwaffe soll wieder auf den Stand gebracht werden, auf -dem sie vor Beginn der Ostoperation war (d. i. die Sollstärke vom Stand des 1. April — D . E.). Vorläufig soll eine Vergrößerung der Luftwaffe nicht erfolgen, vielleicht jedoch von Sommer 1942 an. Dann tritt 2) die Fortführung des Göringprogramms ein. Dieses sieht eine Vervierfachung der Luftwaffe vor, die jedoch nicht durchführbar sein wird, da es an der Aluminium- und Treibstofffrage scheitert . . . Amtschef (General Thomas — D. E.), GFM Milch und Generaloberst Udet sind darüber einig, daß im besten Falle eine Verdoppelung in Betracht gezogen werden könnte." 139 Selbst das Elchprogramm in seiner jetzigen Fassung, so erklärte Milch auf der Sitzung vom 16. August, müsse „bereits um •20 Prozent herabgesetzt werden"; es würden damit „nur 60 Prozent des Sollstandes der notwendigen Front- und Heimatausstattung erreicht werden".140 Er spielte auf die hohen Verluste an der deutsch-sowjetischen Front an: „Fertigung und Abgang an Flugzeugen halten sich zur Zeit gerade die Waage." 141 Todt sprach im Unterschied zu Keitel deutlicher aus, daß die militärische Entwicklung anders verlief, als die Faschisten es erwartet hatten: „Der Plan des Panzerprogramms und des erweiterten Luftrüstungsprogramms entstand zu einem Zeitpunkt, wo man glaubte, nach Beendigung des Ostfeldzuges rund 1 Million Arbeitskräfte aus dem Heer für die Wirtschaft freimachen zu können. Die Lage hat sich jedoch heute geändert." 142 Er ließ durchblicken, daß er angesichts der Arbeitskräftesituation keine Möglichkeit sähe, das Göringprogramm zu erfüllen. Generaloberst Fromm blieb demgegenüber dabei, man werde beider vorgesehenen Auflösung von 50 Divisionen nach „Beendigung der Ostoperationen" immerhin 300000 Mann für die Rüstungsindustrie freibekommen und außerdem 200000 Mann aus älteren Jahrgängen ablösen. 143 Ein positives Ergebnis war unter den gegebenen Umständen nicht zu erwarten. General
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vom 8. 8. 1941 sollten nurmehr 30 Panzer- u. 15 mot. Infanteriedivisionen, jeweils mit zwei anstatt drei Regimentern, aufgestellt werden). Wie Anm. 132 (S. 466). ZStA Potsdam, FS, Film 1826, AN WiRüAmt/Stab „über die Chefbesprechungen bei GFM Keitel vom 14. bis 16. 8. 1941", v. 17. 8. 1941. Zu den rasch aufeinander folgenden Abänderungen des Göring- bzw. Elchprogramms s. Irving, David, Die Tragödie der Deutschen Luftwaffe. Aus den Akten und Erinnerungen von Feldmarschall Milch, Frankfurt a. M./ Berlin (West)/Wien 1970, S. 189 ff. Falsche Bewertung und Einordnung von Elch- und Göringprogramm in The Effects, S. 151, S. 153. Thomas, S. 466 f. (wie Anm. 132). Ebenda, S. 467. - Schon am 30. 6. hatte sich Milch über die hohen "Verluste geäußert, die die Produktion wegen Aluminiummangels nicht aufholen könne: „Wenn es so weiterginge, wäre die Luftwaffe in einem Monat in Rußland fertig." (ZStA Potsdam, FS, Film 2313, AN Chef WiRüAmt üb. Anruf Milch, 30. 6. 1941). Siehe auch Groehler, Geschichte des Luftkriegs, S. 318 (ff.). Thomas, S. 465 (wie Anm. 132). Ebenda, S. 467.
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Der Überfall auf die U d S S R . Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionenr
Thomas zeichnete zur Selbstverständigung als Fazit der dreitägigen Besprechungen ein niederschmetterndes Resultat auf: „1. Einschränkung des Panzerprogramms, 2. Totmachen der Gaskriegsvorbereitungen beim Heer, 3. Totmachen der Seelöwe-Vorbereitungen, 4. Einschränkungen des Flakprogramms, 5. Angleichung des Luftwaffenprogramms an die gegebenen Möglichkeiten." 144 Der Hitler-Erlaß vom 14. Juli galt auf dem Papier zwar nach wie vor als „unabänderlich" 1 4 5 ; in Wirklichkeit aber war er schon einen Monat nach seiner Verkündung „praktisch überholt" 1 4 6 , da sein Kernpunkt, das Göringprogramm^ weder umfassend noch konzentriert in Angriff genommen und das Panzerprogramm wesentlich gekürzt worden war. Die völlig neuen Maßstäbe und Anforderungen, die jetzt angesichts der militärischen Lageim Osten für die deutsche Kriegswirtschaft galten, wirkten sich unmittelbar auf die Planung der militärischen Operationen aus. Die Kontroversen in der Wehrmachtführung seit Ende Juli 1941 über die vorrangige Stoßrichtung der folgenden Angriffe wurden durch eine „Führerweisung" vom 21. August 1941 beendet, in der als das wichtigste Ziel der nächsten Zeit „nicht die Einnahme Moskaus, sondern die Wegnahme der Krim, des Industrie- und Kohlengebietes am Donez und die Abschnürung der russischen ölzufuhr ausdem Kaukasus" bezeichnet wurde 147 , da, wie Hitler diesen Befehl in einer „Studie" begründete, „die Vernichtung bzw. Wegnahme lebenswichtiger Rohstoffquellen noch entscheidender ist als die Besetzung oder Zerstörung industrieller Verarbeitungsstätten". 1481 Die kriegswirtschaftliche Situation und das daraus erwachsende wirtschaftsstrategische Motiv — die „Wegnahme" der landwirtschaftlichen Ressourcen der Ukraine, des DneprDonec-Industriereviers (Kohle, Mangan, Eisenerz) und vor allem der Erdölquellen desKaukasus — beeinflußten hier unmittelbar und wesentlich den militärischen Entschluß. Hitlers Erlaß vom 11. September 1941 149 , entstanden während der Zeit der erfolgreichen faschistischen Offensive in der Ukraine, war — mit anderen Mitteln — gleichfalls ein Versuch, das Steuer herumzureißen und doch noch auf den Rüstungskurs zu gelangen, den die Erlasse vom J u n i und Juli vorgezeichnet hatten. Die Wehrmachtteile wurden dazu angehalten, sich auf die Rüstungsschwerpunkte zu konzentrieren. Ihre Rüstungsaufträge an die Industrie sollten vom OKW kontrolliert und aufeinander abgestimmt werden; alle „Forderungen der Wehrmachtteile für Beschaffung und Entwicklung an die Beschaffungsämter" sollten über das OKW geleitet werden. Hier sollte der „Abgleich" des nicht Erfüllbaren stattfinden. Im Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt sah man hierin die Chance, eine zentrale kriegswirtschaftliche Kommandoposition zu erlangen, mußte aber sehr bald erkennen, daß dem Amt die Voraussetzungen für die „Anpassung und Abgleichung der Beschaffungsnotwendigkeiten der Wehrmacht an die Leistungsfähigkeit der Industrie" 1 5 0 fehlten. Das OKW brauchte einen Monat, um Durchführungsbestimmungen zum Erlaß 1 5 1 zu formulieren. Keitel hatte die Erwartungen frühzeitig und vorausschauend gedämpft: Es sollte 144 145 146 147 148 149 150 151
Wie Anm. 139. Wie Anm. 134. Thomas, S. 287. KTB des OKW, Bd. I, S. 1062; DZW, Bd. 2, S. 48ff. KTB des OKW, Bd. I, S. 1062; Reinhardt, S. 42f. ZStA Potsdam,'FS, Film 1818. Hiernach auch das Folgende. Ebenda, Film 5682, Befehl Heitels v. 19. 10. 1941. Ebenda.
Die „Umrüstung" vom Sommer 1941
nur das „Allernotwendigste" durch das OKW geregelt werden. 152 Er beruhigte zugleich die Wehrmachtteile: „Das Oberkommando der Wehrmacht beabsichtigt nicht, in das bisherige Beschaffungsverfahren der Wehrmachtteile einzugreifen, die nach wie vor f ü r die Durchführung der vom Führer festgelegten Programme verantwortlich bleiben." 1 5 3 Die Wehrmachtteile entzogen sich von vornherein der Verpflichtung, ihre Aufträge und vor allem ihre Entwicklungsvorhaben dem OKW gegenüber offenzulegen, und waren durchaus abgeneigt, ihre unmittelbare Zusammenarbeit mit den Rüstungskonzernen von ihm kontrollieren zu lassen. Besonders die Luftwaffenführung nutzte ihre starke Position dazu aus, die neuen Bestimmungen zu umgehen. Anfang November ließ Göring die Luftwaffe durch Hitler ausdrücklich von der Auflage befreien, ihre Entwicklungsvorhaben dem OKW bekanntzugeben. 154 Der Reichsminister für Bewaffnung und Munition stand dem Gedanken nicht gänzlich ablehnend gegenüber, die Wehrmachtteile in ihrer Selbständigkeit und in ihren Vollmachten in Rüstungsfragen zu beschneiden. Bei seinem engen Kontakt zu Hitler hatte er in Verhandlungen mit dem OKW eine viel stärkere Position als bei gesonderten Auseinandersetzungen mit den Wehrmachtteilen. Im Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt vermerkte m a n : „Reichsminister für Bewaffnung und Munition will Stellung des OKW gegenüber den W T bezüglich der Gestaltung der Rüstungsprogramme stärken, da sonst die WT ,auf kaltem Wege' doch machen, was sie wollen." 155 Doch zu dieser Zeit — Anfang Oktober 1941 — mehrten sich bereits die Stimmen im OKW, die eine „zu große Verantwortung und Arbeitslast für OKW" 1 5 6 vorbeugend als Grund f ü r das absehbare Scheitern des Vorhabens ins Feld führten, die Rüstungsplanung und Wirtschaftsorganisation der Wehrmacht im OKW zu zentralisieren. Seit Ende September/Anfang Oktober 1941 konzentrierten die deutschen Imperialisten ihre Kräfte wieder auf den Angriff in Richtung Moskau. Sie beabsichtigten, der U d S S R mit der Einnahme der Stadt den „letzten gewaltigen Hieb" zu versetzen, der „noch vor dem Einbruch des Winters diesen Gegner zerschmettern" sollte. 157 Das Scheitern der Offensive Ende Oktober und eines zweiten Anlaufs Ende November verschärfte die kriegswirtschaftliche Situation einschneidend. Von Oktober 1941 an verdrängte die Sorge um die Auffrischung der offensiven Verbände im Osten, um ihre materielle Neuausstattung und ihren Nachschub nach und nach alle anderen kriegswirtschaftlichen Probleme. Von Woche zu Woche mehr gewann der Gedanke Raum, daß der Krieg gegen die Sowjetunion im Jahre 1942 weitergeführt werden müsse. Hitler und die Militärs planten eine längere Winterpause ein, in der sie die Kampfkraft des Heeres wiederherstellen und die Offensive des nächsten Jahres vorbereiten wollten. 158 Die Mannschaftsverluste des Heeres an der deutsch-sowjetischen Front waren nach wie 152 Ebenda, Film 8274, KTB WiRüAmt/Stab, Eintr. v. 17. 9. 1941. 153 Ebenda, Film 2325, OKW-Erlaß v. 10. 10. 1941, zit. in Studie üb. „Umrüstung" v. Oberst Dr. Hedler, o. D. (etwa Mai/Juni 1942). 154 Ebenda, Film 2313, Vortragsnotiz WiRüAmt (Rü II) f. Amtschef, 4. 11. 1941. 155 Wie Anm. 152 (Eintr. v. 1. 10. 1941). 156 Ebenda. 157 DZW, Bd. 2, S. 58 (Tagesbefehl Hitlers v. 2. 10. 1941). 158 Zeitweilige Erfolge der Offensive gegen Moskau ließen zwischenher die Wellen des Optimismus bei der faschistischen Führung wieder überschäumen; so wurde eine „besondere Funkverbindung von Maikop nach Bukarest geplant, die am 1. 12. stehen soll" (wie Anm. 152, Eintr. v. 23. 10. 1941).
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Der Überfall auf die U d S S R . Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionen
vor erschreckend hoch und betrugen im September 141000, im Oktober 115000 Mann. 159 Bereits zum 1. Oktober wurde die Masse des Jahrganges 1922, der insgesamt 270000 Wehrpflichtige umfaßte, eingezogen, was der Kriegswirtschaft einen fühlbaren Aderlaß an jungen Facharbeitern zufügte. 160 Gegenüber rund 4300 Panzern, mit denen die Wehrmacht die U d S S R überfallen hatte, waren am 10. November 2090 gepanzerte Fahrzeuge 1 6 1 vernichtet oder außer Gefecht gesetzt. Als Ersatz waren dem Heer im Laufe der Zeit nur 601 Panzer und Sturmgeschütze zugeführt worden. 162 Am 10. November meldete die deutsche Seite einen Fehlbestand von 1697 gepanzerten Fahrzeugen. 163 Das OKH beurteilte die Kampfkraft der Panzerdivisionen nur noch mit „35 % ihrer normalen Stärke". 1 6 4 Zur gleichen Zeit registrierte der Generalquartiermeister des Heeres 25777 L K W , 19242 PKW, 30423 Kräder, 1729 Zugmaschinen und 4410 sonstige Fahrzeuge als „Abgang". 1 6 5 Tatsächlich fahrbereit waren Mitte November von 500000 Fahrzeugen, über die das Heer zu Beginn des Überfalls verfügte, nur noch 15 Prozent (75000). 166 Damit waren die Voraussetzungen für den Plan, die Schnellen Truppen des Heeres auf 30 Panzer- und 15 motorisierte Infanteriedivisionen zu erweitern, hinfällig und das dazugehörige Panzerprogramm illusorisch geworden. Die schwer angeschlagenen Verbände, so urteilte das OKH, würden bis zum Frühjahr 1942 nicht mehr genügend für „weitreichende schnelle Operationen" aufgefrischt werden können. 167 Die bisherige, ohnehin unzureichende Heeresmotorisierung sei „nicht mehr aufrechtzuerhalten". 168 Die Munitionsreserven der meisten Geschoßarten waren im November aufgebraucht. Der Generalquartiermeister stellte am 26. November fest, daß nur durch „die Wiederaufnahme bzw. Erhöhung der Fertigung der meisten Munitionsarten" der „Anschluß an die Vorräte gewährleistet" sei. 169 Um sich greifende Unsicherheit war von Herbst 1941 an charakteristisch für die Situation in allen Rüstungsdienststellen. So klagte man im Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt: „Der eindeutige Befehl, daß der WT Heer nach beendetem Ostfeldzug in der Bewilligung von Forderungen auf dem Gebiet der Rüstung zugunsten der WT Luftwaffe und Marine erheblich eingeschränkt werden müsse, wird des öfteren durch kurze Anweisungen seitens des Chefs OKW, Fertigungen wieder voranzutreiben, die nicht unter die Schwerpunktprogramme fallen, aufgehoben bzw. seine hundertprozentige Durchführung unmöglich gemacht." 1 7 0 Thomas trug Keitel am 19. November 1941 zusammenfassend vor, welche bedeutenden Anforderungen an die Heeresrüstung „in letzter Zeit" gestellt worden seien: „1. Weiterfertigung der schweren Artillerie . . ., 2. Erneute erhebliche Steigerung der 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170
DZW, B d . 2, S. 67. Reinhardt, S. 102 f. DZW, Bd. 2, S. 25; Reinhardt, S. 115. Reinhardt, S. 115. Ebenda. KTB des OKW, Bd. 1, S. 1074, Dok. 106, „Beurteilung der K a m p f k r a f t des Ostheeres", 6. 11. 1941. Reinhardt, S. 115 (nach OKH-Bericht v. 25. 11. 1941). Ebenda (Bericht v. 18. 11. 1941). Ebenda, S. 116, Bericht v. 3. 11. 1941. Ebenda, Bericht v. 18. 11. 1941. Ebenda, S. 114, Bericht v. 26. 11. 1941. ZStA Potsdam, F S , Film 2313, Vortragsnotiz WiRüAmt (Rü II) f. Amtschef, 13. 11. 1941.
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Die „ U m r ü s t u n g " v o m Sommer 1941
Fertigung verschiedener Munitionsarten, 3. Schwerpunkt in der Panzerkampfwagenfertigung beim Panzerkampfwagen IV, 4. Beschleunigte Fertigung der 7,5 cm Pak in möglichst großer Anzahl." 1 7 1 Am 25. Oktober noch hatte das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt den Wehrmachtteilen für das Jahr 1942 in Form eines Erlasses „Rohstoffmengen für die Fertigungsprognose" 1 7 2 vorgegeben. Tabelle 5 Rohstoff vorgaben des OKW für die Wehrmachtteile für 1942 (in
Eisen und Stahl (Maschinen- und Baueisen) Aluminium Kupfer Blei Zinn Chrom Kautschuk
t/Monat)
Heer
Kriegsmarine
Luftwaffe
180000 1750 700 825 52,5 296 140
185000 3000 2900 2950 175 382,5 610
335000 24000 3500 2400 150 552. 1300
Quelle: Z S t A P o t s d a m , F S , Film 8288, Verfügung W i R ü A m t , 25. 10. 1941, Anlage.
Diese Prognosezahlen, nach denen die Luftwaffe weit vorn und das Heer ganz hinten rangierte, waren noch ein Resultat des Blitzkriegsdenkens. Sie entsprachen noch ganz und gar der Konzeption der „Umrüstung" und des Göringprogramms. Wenige Wochen später, als sie sich längst als Anachronismus erwiesen hatten, wandte sich der Chef der Heeresrüstung noch einmal ausdrücklich gegen die Prognosezahlen und erklärte mit Schärfe, daß die für das Heer vorgesehenen Rohstoffmengen „das Programm der Schnellen Truppen in seiner Gesamtheit nicht durchführen lassen, . . . das zusätzliche Munitionsprogramm des Heeres nicht zulassen und [daß] allein hierfür weitere Rohstoffe notwendig sind", kurzum, daß „die Erhaltung des Heeres im Kriegszustand nicht im erforderlichen Maße möglich ist". 1 7 3 Die Unterlagen des Heereswaffenamtes, auf die Fromm sich stützte, wiesen aus, daß selbst bei scharfer Konzentration auf die „Schwerpunktprogramme" — Panzer, schwere Pak und Flak — nur 30 Prozent des dafür erforderlichen Eisens und Stahls aus den vom Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt vorgegebenen Mengen zu decken seien und daß diese Zahl sich noch durch den Mangel an NE- und Legierungsmetallen (Chrom, Molybdän, Wolfram, Nickel, Kupfer, Aluminium) und an Kautschuk verringere. Voraussichtlich ließe sich demnach für 1942, so schlußfolgerte der Chef des HWA, General Emil Leeb, „nur folgender Ausstoß erreichen: Schnelle Truppen (gepanz. Kfz. u. Zgkw.) 25—30 Prozent s. Pak 100 Prozent Flak (2 cm) bis März 1942 67 Prozent; ab April 1942 0 Prozent. 171 Ebenda, Vortragsnotiz W i R ü A m t für Chef O K W , 19. 11. 1941. 172 Ebenda, Film 8288. Vfg. W i R ü A m t , 25. 10. 1941, Anlage. 173 Ebenda, Film 2313, Memo Chef H R ü s t / B d E üb. „Die Munitionslage", o. D. (hs. Marg.: „ F ü r Besprechung Chef HRüst-Chef W i R ü bei Min. T o d t a m 4. 12., 16 Uhr"). A
Eichholtz II
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Der Überfall auf die UdSSR. Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionen
während alle anderen Fertigungen z. T. erheblich darunter bleiben oder ganz ausfallen". 17$ Der Luftwaffenführung und der Vierjahresplangruppierung einschließlich der Konzerne der Flugzeugindustrie ging es inzwischen darum, vom Göringprogramm zu retten, was zu retten war, den staatsmonopolistischen Mechanismus auf diesem Sektor der Kriegswirtschaft wirkungsvoll auszubauen und die Flugzeugindustrie gründlich zu rationalisieren. Die Aktivität der Luftwaffenführung stand zeitlich und sachlich mit derjenigen des GB Chemie im Zusammenhang, der etwa zur gleichen Zeit auf die beschleunigte Fertigstellung „einiger Großvorhaben des Mineralölplanes aus dem Jahresplan 1942" drängte und für 13 solcher Vorhaben vom OKW „eine automatische Bevorzugung vor allen anderen Aufträgen" forderte. 175 Am 4. Oktober wurde das Amt des Generalluftzeugmeisters reorganisiert. 176 Zwei Tage später traten Albert Vogler, Aufsichtsratsvorsitzer des Konzerns der Vereinigten Stahlwerke, und Rudolf Lahs, der Leiter der Wirtschaftsgruppe Luftfahrtindustrie, in den Industrierat für Luftwaffengerät ein, und anstelle von Koppenberg wurde Ludger Westrick, Vorstandsvorsitzer der Vereinigte Aluminiumwerke AG, des größten deutschen Aluminiumkonzerns, Mitglied des Industrierats. Der Eintritt Westricks und besonders Voglers in den Industrierat bekundete die entschiedene Absicht der Spitzen des deutschen Finanzkapitals, die Luftrüstung nach Kräften zu forcieren und ihre staatsmonopolistische Organisation schlagkräftiger zu gestalten. Die Reorganisation des Industrierats zeugte zugleich davon, daß jene Kreise die Hoffnung nicht sinken ließen, mit dem Göringprogramm auch die ihm zugrundeliegende politisch-strategische Konzeption zu verwirklichen. Durch einen Erlaß Görings „über die Einrichtung von Fertigungsringen innerhalb derdeutschen Luftwaffenindustrie und über die Aufgaben der Ringführer" 1 7 7 wurden „auf Vorschlag des Industrierates alle gleichgerichteten Industriezweige, die an der Luftwaffenindustrie beteiligt sind, zu Fertigungsringen zusammengeschlossen". 178 Unter der Führung des Industrierats sollten sogenannte Ringe bzw. Fertigungsringe nach dem Vorbild der Sonderausschüsse und Arbeitsgemeinschaften des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition arbeiten. Sie standen unter der Führung einer Leitfirma und eines, maßgeblichen Vertreters dieser Firma, des Ringführers, und hatten gegenüber den übrigen Rüstungs- und Zu liefert irmen bedeutende Vollmachten für die Verteilung der Aufträge und für die Rationalisierung der Produktion. Aus der unmittelbaren Leitung der Rüstungsdienststellen der Luftwaffe verdrängte zur gleichen Zeit Generalfeldmarschall Milch Generalluftzeugmeister Ernst Udet. Milch übernahm de facto den Vorsitz im Industrierat. In Udet fand man einen Sündenbock für das. Scheitern der Blitzkriegskonzeption der Luftwaffe. Er mußte seinen Kopf auch dafür 174 Reinhardt, S. U l f . , Denkschrift HWA (Leeb) üb. „Die rüstungswirtschaftliche Lage des. Heeres. Stand 5. 11. 1941", v. November 1941. 175 ZStA Potsdam, FS, Film 5682, GB Chemie an OKW WiRüAmt, 10. 11. 1941. Das Wehr-wirtschafts- und Rüstungsamt bezeichnete es in einer Studie, die von den Treibstoffverbrauchs- und -vorratszahlen der zweiten Jahreshälfte 1941 ausging, als schon von diesem, Standpunkt aus „absolut unmöglich", das Göringprogramm durchzuführen. (Ebenda, Film, 10667, Studie WiRüAmt (Tomberg), o. D., etwa JanVFebr. 1942). Über die akuten Treib-stoffschwierigkeiten ab Herbst 1941 s. Reinhardt, S. 116 ff. 176 ZStA Potsdam, FS, Film 2312, Befehl des Generalluftzeugmeisters (Ernst Udet) v. 4. 10. 1941.. 177 Ebenda, Film 2325, Göring-Erlaß, Okt. 1941 (mit Anschreiben v. 20. 11. 1941). 178 Anatomie des Krieges, S. 367, Dok. 186, Bericht d. Industrierats für l^ftwaffengerät v.. 12. 12. 1941.
Die „ U m r ü s t u n g " v o m Sommer 1941
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herhalten, daß nach wie vor Typenwirrwarr und heftige Konkurrenz unter den Flugzeugkonzernen herrschten, daß selbst die in Produktion befindlichen Serien immer wieder durch neue technische Wünsche des Generalstabs und des Technischen Amtes der Luftwaffe gestört wurden und daß von der angestrebten „amerikanischen" Massenproduktion keine Rede sein konnte. Am 17. November beging er Selbstmord. 179 Am 22. Oktober 1941 berieten Thomas und Milch über das „neue Luftrüstungsprogramm". Diesmal war William Werner (Auto-Union/Junkers), der stellvertretende Vorsitzende des Industrierats der Luftwaffe, anwesend. Milch legte zunächst einen reduzierten, aber immer noch anspruchsvollen Plan für die Luftrüstung vor, nach dem die Produktion von Kriegsflugzeugen (davon ca. 80 Prozent Frontflugzeuge) von rund 12500 im laufenden Jahr auf 16500 im Jahre 1942 und auf 20600 im Jahre 1943, d. h. um 32 bzw. 24 und insgesamt um 65,5 Prozent steigen sollte. 180 Danach erhielt Werner das Wort. Er „legt im einzelnen sein Programm dar. Es geht aus auf eine wesentliche Rationalisierung der Fertigung, die die amerikanischen Methoden der Massenfertigung vorsieht, und außerdem auf moderne Fabrikationsverfahren. Wir leisten heute in 75 Prozent unserer Industrie vorsintflutliche Arbeit, weil wir hauptsächlich Späne fabrizieren. Es fehlte bisher im wesentlichen die Konkurrenz, und es war falsch, jeden Preis zu bezahlen, da der höhere Preis auch mehr Aufwände enthielt, dieser höhere Aufwand damit aber auch gleich mehr Arbeitskräfte und Material gebunden hat als die billigere Herstellung, d. h. die Herstellung mit geringerem Aufwand. Gleiche Teile sollen nur noch an zwei, höchstens an drei Stellen gefertigt werden. Alle Firmen haben sich an die Firma mit dem geringsten Aufwand in ihrer Fertigung anzugleichen, wobei die Fabrikationsmethoden der Firma mit geringstem Aufwand allen übrigen zur Verfügung stehen. Die Erziehungsarbeit wird durch geringere Rohstoff- und Arbeiterzuteilung unterstützt werden müssen." 1 8 1 Werner propagierte hier das System der „Bestbetriebe", ein System der Rationalisierung der Kriegsproduktion, das im wesentlichen auf eine Zentralisation der Produktion und der Profite bei den modernsten, den sogenannten Bestbetrieben, d. h. in der Regel bei den großen Flugzeugfirmen, hinauslief. Der jeweilige Ringführer — selbst führender Vertreter eines Bestbetriebes — bzw. der Industrierat sollte die Zentralisierung mittels seiner staatsmonopolistischen Regulierungsvollmacht durchsetzen. Ein ganz ähnliches System lag seit langem der Arbeit in den Ausschüssen und Arbeitsgemeinschaften des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition zugrunde. 182 Die Berufung Voglers, der Grauen Eminenz des Munitionsministeriums, in den Industrierat der Luftwaffe hing mit Sicherheit damit zusammen, daß dieses System jetzt Eingang in die Luftrüstung finden sollte. Ein durchschlagender Erfolg — Vervielfachung der Produktion und der Profite — blieb allerdings davon abhängig, ob eine kontinuierliche Produktion großer Serien möglich war; dies wiederum hing weitgehend vom Schicksal der Konzeption der herrschenden Klasse für Luftkrieg und Luftrüstung ab. Angesichts des Scheiterns der Oktoberoffensive der Faschisten gegen Moskau versteifte 179 Der Göring-Erlaß über die Reorganisation des Industrierates war ungenau datiert („im Oktober 1941") und wurde m i t Rundschreiben des G L erst a m 20. 11. 1941, d. h. nach U d e t s Tod (!), verschickt (s. Anm. 177). Siehe auch Groehler, Geschichte des Luftkriegs, S. 340f. 180 Z S t A P o t s d a m , F S , Film 8288, Protokoll W i R ü A m t (Thomas) üb. d. Sitzung b. Milch v . 2 2 . 1 0 . 1941. 181 E b e n d a . 182 Siehe Band I , K a p . 3.
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Der Überfall auf die U d S S R . Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionen
sich der Widerstand des Heeres und des Munitionsministeriums gegen das Luftrüstungsprogramm. „Das Heer gibt praktisch keine nennenswerten Kapazitäten und Arbeitskräfte frei", stellte man Anfang November im Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt fest. 1 8 3 Bis zum 10. November hatte die Luftwaffe an der deutsch-sowjetischen Front aber bereits 5180 Frontflugzeuge, davon 2966 als Totalverlust, verloren und nur 5124 Maschinen als Neuzugang erhalten. 184 Weiterer Nachschub an Bomben- und Jagdflugzeugen war am 10. November nicht mehr vorhanden, so daß seit Anfang des Monats die Verluste nicht mehr hatten ausgeglichen werden können. Die laufende Produktion war zu gering, besonders an Jagdflugzeugen, um künftige Verluste auszugleichen. 185 Zur gleichen Zeit, als die Ausgangspositionen für das Göringprogramm sich auf diese Weise dramatisch verschlechtert hatten, machten es die schlechten Aussichten auf Arbeitskräfte-, Maschinen- und Rohstoffzuweisungen für 1942 vollends illusorisch. Als gravierende „Engpässe" nannte Milch in seiner Studie über die „Voraussetzung für die Durchführung des ,Göringprogrammes'" Spezialmaschinen für die Kurbelwellenproduktion, Aluminium, Kupfer und besonders Chrom. 186 In der ersten Novemberhälfte rief Göring die Spitzenrepräsentanten der deutschen Kriegswirtschaft zu mehreren aufeinanderfolgenden, großen Konferenzen zusammen. Die Konferenzrunde begann am 7. November mit einer Besprechung über die „Ausrichtung der Kriegswirtschaft auf das Rüstungsprogramm". 1 8 7 Noch am gleichen Tag leitete Göring eine weitere Sitzung, die sich mit der Arbeitskräftelage, vor allem mit dem Zwangseinsatz sowjetischer Kriegsgefangener und ziviler Arbeitskräfte, befaßte. Am 8. November gab er neue, programmatische Richtlinien für die Ausbeutung der besetzten Gebiete der U d S S R bekannt. Das ostentative Hervortreten Görings — sein letzter großer Auftritt als oberster Chef aller Rüstungsdienststellen und kriegswirtschaftlichen Organe — ist als Versuch zu werten, das strategische Konzept der „Umrüstung" und des Göringprogramms bzw. des inzwischen modifizierten Luftrüstungsprogramms auch gegen Widerstände und unter der Voraussetzung zu verwirklichen, daß die Wehrmacht den Krieg gegen die U d S S R im kommenden Jahr würde weiterführen müssen. Hierzu bedurfte es vor allem rasch erweiterter industrieller Kapazitäten, großer zusätzlicher Mengen an Rohstoffen und Millionen neuer Arbeitskräfte. Die Kapazitäten sollte die Rationalisierung freimachen; Rohstoffe und Arbeitskräfte sollten rücksichtslos aus den besetzten Ländern, in erster Linie aus der Sowjetunion, herausgepumpt werden. Im Gegensatz zu den Themen der zuletzt genannten Konferenzen, auf denen Göring bindende neue Richtlinien von großer Tragweite verkündete, behandelte er das umfassende Thema der ersten Sitzung offensichtlich ohne Initiative, schwunglos und ohne erkennbares Ergebnis. Er faßte nur die seit langem diskutierten Forderungen nach Rationalisierung der Kriegsproduktion zusammen, ohne klare Anweisungen zu geben oder wenigstens konkrete Vorschläge zu machen. Die Beschwörung, „den derzeitigen Vorsprung gegenüber 183 Z S t A Potsdam, F S , Film 2313, A N ( „ E n t w u r f " ) W i R ü A m t (Chef Rü), 5. 11. 1941. 184 Reinhardt, S . HOf (Bericht O b d L / G e n S t . v. 14. 11. 1941). 185 Ebenda. Die Produktion von J a g d f l u g z e u g e n war v o m Jahreshöhepunkt im April 1941 (476) bis November auf die H ä l f t e (232), die von Bombern von August (454) bis November (331) ebenfalls stark gefallen ( T h e Effects, S. 277, Tab. 102). 186 Reinhardt, S. 109f. (Studie v. 10. 11. 1941). 187 Z S t A P o t s d a m , F S , Film 2325, Ergebnisprot. d. Sitzung i. R L M v. 7. 11. 1941. Hiernach auch das Folgende.
Die „Umrüstung" vom Sommer 1941
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der feindlichen Rüstungswirtschaft unbedingt aufrechtzuerhalten", verband er mit der Mahnung, daß „vom Jahre 1943 ab mit einem gesteigerten Rüstungsstand der Vereinigten Staaten zu rechnen sein" werde. Er forderte „Fließarbeit in großen Serien". Jede Erzeugung solle „auf möglichst wenig Betriebe verteilt werden", damit die Maschinen in zwei oder gar drei Schichten genutzt werden könnten. Aber er warnte zugleich — nicht ohne den Beigeschmack von Demagogie — vor Folgen, die dem Regime während des Krieges unangenehm waren: „Die Rechtsform der Betriebe selbst soll jedoch unberührt bleiben, insbesondere sollen auch keine Zusammenballungen zu Großkonzernen entstehen." Davon redete ausgerechnet der Mann, dessen kriegswirtschaftliches Programm sich stets mit der Linie des größten deutschen Konzernpolypen, des IG-Farben-Konzerns, deckte und unter dessen Oberleitung durch Profitmacherei und Raub größten Stils ein weiterer Riesenkonzern, die Reichswerke AG „Hermann Göring", herangewachsen war! Der warnende Wink richtete sich augenscheinlich an die Adresse der bedeutendsten Konkurrenten jener Monopolgiganten, nämlich der Ruhrmontankonzerne, und damit an die Adresse der Rüstungsorganisation des Reichsministers für Bewaffnung und Munition. Die Erfahrungen des Munitionsministeriums auf dem Gebiet der Rationalisierung würdigte Göring keines Wortes; er t a t so, als existierten sie nicht, und verlangte, die „notwendig werdenden Folgerungen organisatorischer Art (Ringbildung) — wie in der Flugzeugindustrie — . . . rasch und energisch zu ziehen". In der folgenden Zeit wurde die Rationalisierung der Kriegsproduktion zu jenem Feld interner Auseinandersetzungen, auf dem sich der Kampf um eine zentralisierte, einheitliche Regulierungsgewalt in der Kriegswirtschaft hauptsächlich fortsetzte. Görings Intervention blieb hier, außer auf dem Gebiet der Luftrüstung, ohne Resultat. Hitler selbst nahm sich dieser Frage an, die das immer brennendere allgemeine Interesse der herrschenden Klasse beanspruchte, auch unabhängig davon, was mit dem Konzept der „Umrüstung" geschehen mochte. Als in der zweiten Novemberhälfte der letzte Anlauf der Faschisten, Moskau zu erobern, mißglückte und die Rote Armee im Süden und Norden zu erfolgreichen Offensivoperationen überging, griffen Keitel und Todt frühere „Gedanken des Führers" 1 8 8 und Erlaßentwürfe über die Förderung „von einfachen und daher robusten Konstruktionen" bei Waffen und Kriegsgerät 189 und über die „Bevorzugung primitiver Massenfertigung gegenüber hochleistungsfähigen Maschinen" 190 auf und veranlaßten Hitler, am 3. Dezember 1941 einen Erlaß über die „Vereinfachung und Leistungssteigerung unserer Rüstungsproduktion" 1 9 1 zu unterzeichnen. Obwohl die Federführung während der vorbereitenden Arbeit f ü r den Erlaß beim OKW lag, war Hitlers erster Gewährsmann bei der Abfassung des Erlasses doch Todt. Ohne Todts Einverständnis hatte keiner der Entwürfe des OKW eine Chance, Hitlers Unterschrift zu erhalten. Hitler forderte im Erlaß eine durchgreifende „Rationalisierung unserer Fertigungsmethoden", insbesondere „einen grundlegenden Wandel dahingehend, daß die Konstruktionen auf Massenfertigung eingestellt und die Fabrikationsmethoden entsprechend eingerichtet werden". Die Konstruktionen von Waffen und Kriegsgerät sollten mittels ständiger Überprüfungen und Korrekturen „bis ins einzelne" vereinfacht werden. F ü r die Ver188 Ebenda, Film 2313, Vortragsnotiz WFSt/Abt. L, 29. 5. 1941. 189 Ebenda, Film 8288, RVfg. Chef OKW betr. „Technische Ausstattung der Wehrmacht", 19. 9. 1941. 190 Wie Anm. 188. 191 ZStA Potsdam, FS, Film 5682, Hitler-Erlaß v. 3. 12. 1941. Hiernach auch das Folgende.
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wirklichung dieser Forderungen wurden der Reichsminister f ü r Bewaffnung und Munition und der Chef des O K W verantwortlich gemacht. Keitel gegenüber h a t t e Hitler schon in den Vorbesprechungen besonders darauf bestanden, „daß sich gemäß Seite 4, 2. Abs. [des Erlaßentwurfes — D. E.], alle Firmen, sonstige geeignete Unternehmungen u n d einzelne Techniker an den ,Vorschlägen f ü r Produktionsverbesserungen' beteiligen sollen". 192 Keitel teilte Thomas m i t : „Wie das praktisch zu machen ist, ist dem Führer egal; er fordert aber, daß O K W an die Wfehrmacht]teile dann befiehlt u n d eingreift, wenn den als richtig erkannten Forderungen u n d Vorschlägen nicht entsprochen wird." In der Linie des Erlasses war klar die Tendenz erkennbar, in Fragen der Produktion u n d Konstruktion die W e h r m a c h t f ü h r u n g der Rüstungsindustrie unterzuordnen u n d sie mehr und mehr als ausführendes Organ des Munitionsministeriums zu betrachten. Das entsprach genau der Konzeption des Munitionsministers u n d der hinter ihm stehenden Rüstungskonzerne. Ein je stärkeres Gewicht Hitler den Forderungen nach Einschaltung der Rüstungsmonopole beilegte, desto größer m u ß t e n Einfluß u n d Aktionsradius des Systems der „industriellen Selbstverantwortung" werden. Erklärlicherweise konnten Todt u n d Keitel sich nicht darauf einigen, wie das „praktisch zu machen" sei, und beließen es zunächst dabei, daß „das Verfahren in Durchführungsbestimmungen später erfolgt".
d) Die Legende von den verpaßten kriegswirtschaftlichen
Möglichkeiten
Vertreter der bürgerlichen Historiographie bezeichnen die Einschränkung der Heeresrüstung im J a h r e 1941 als die erste verhängnisvolle Fehlentscheidung Hitlers im Krieg gegen die Sowjetunion. Ohne diese Entscheidung h ä t t e — das wird offen oder zwischen den Zeilen ausgesprochen — der „Ostfeldzug" u n d d a m i t der zweite Weltkrieg sehr wohl anders, d. h. f ü r die deutschen Imperialisten siegreich, ausgehen können. Diese „Theorie" konserviert u n d stimuliert Antikommunismus, Antisowjetismus u n d revanchistischchauvinistischen Größenwahn, b e r u h t auf haltlosen Voraussetzungen u n d entspricht keineswegs den historischen Tatsachen. Sie korrespondiert m i t den allgemeiner gefaßten Thesen von der unzulänglichen wirtschaftlichen Vorbereitung Deutschlands auf den Krieg u n d von der zu spät erfolgten „totalen" Mobilisierung der Wirtschaft im Krieg. 1 9 3 Über die Entwicklung der Industrieproduktion u n d der Rüstungsproduktion im J a h r e 1941 liegen nur unsichere Zahlen vor. Die beiden vorhandenen Produktionsindizes — aus den USSBS-Veröffentlichungen u n d vom Deutschen I n s t i t u t f ü r Wirtschaftsforschung — weisen sehr unterschiedliche Ziffern auf. Die methodischen Differenzen zwischen ihnen (Bezugszeitraum, Gebietsstand, Berechnungsgrundlage, Wägung, Preisberichtigung) sind bedeutend. (Tabelle 6) Als sicher k a n n angenommen werden, daß die Rüstungsproduktion von 1940 bis 1941 im Vergleich zur gesamten Industrieproduktion erheblich schneller stieg, ganz besonders wenn ihr die Produktion der Zulieferindustrie u n d der Konsumgüterindustrie f ü r Wehrmachtzwecke, die Produktion von Roh- u n d Grundstoffbetrieben (z. B. des „Wehrwirt192 Ebenda, Film 2313, Keitel an Thomas (hs.), 29. 11. 1941. Hiernach auch das Folgende. 193 Siehe Engelberg, Ernst, Zur westdeutschen Theorie der verpaßten Gelegenheiten in der faschistischen Aufrüstung, in Der deutsche Imperialismus und der zweite Weltkrieg, Bd. 3, Berlin 1962, S. 213ff.; ferner Band I, S. 17ff. u. passim.
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Die „Umrüstung" vom Sommer 1941 Tabelle 6 Industrieproduktion Jahr
1939 1940 1941 1942
und Rüstungsproduktion
Industrieproduktion
(1939=100)
darunter Rüstungsgerät (IfW) bzw. Metallverarbeitende Industrie (USSBS) IfW USSBS
IfW
USSBS
100 96,6 98,9 100
100
100
106.5
176 176 256
116.6 118,1
1939—1942
100 120,5 145,9 159
Quelle: IfW: Wagenführ, S. 191; U S S B S : The Effects, S. 27, Tab. 5. - Der USSBS-Index, der in DZW verwendet wird, erfaßt Vorkriegsdeutschland (1939=100). Er ist anscheinend nach der Rüstungsseite hin (Metallverarb. Industrie) übergewichtet bzw. nicht rüstungspreisbereinigt. Setzt man ihn mit den sinkenden Beschäftigtenzahlen der Industrie in Beziehung, so ergibt sich eine unwahrscheinlich hohe Steigerungsrate der Arbeitsproduktivität (vgl. auch S. 265f.). Der IfW-Index (1943=100) bezieht sich wahrscheinlich auf „Großdeutschland" einschl. annektierte Gebiete und „Protektorat Böhmen und Mähren". Die Ziffern für „Rüstungsgerät" erfassen nur Waffen bzw. Waffensysteme und Munition; die zweifelhafteste — zu hohe — Angabe ist diejenige für 1940.
schaftlichen neuen Erzeugungsplanes" des GB Chemie) und die Produktion von Ausrüstungen und Maschinen f ü r Rüstungsbetriebe zugerechnet werden. Hierbei muß berücksichtigt werden, daß bis zum Sommer 1941 ein 200-Divisionen-Heer aufgestellt worden war. 1,7 Millionen deutsche Arbeitskräfte zählte man am 31. Mai 1941 weniger als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres; bis Mai 1942 wurden weitere 1,8 Millionen der Volkswirtschaft entzogen. 194 Diese Ausfälle wurden auch durch neue Zwangstransporte ausländischer Arbeitskräfte nach Deutschland nicht aufgewogen. Währenddessen stieg jedoch die Zahl der für die Wehrmacht Beschäftigten absolut und relativ. 195 Der ständige Mangel an Arbeitskräften während des ganzen Jahres 1941 ist ein beeindruckendes Indiz gegen die These von den „verpaßten" kriegswirtschaftlichen Möglichkeiten. Die Erzeugung an Munition, die im Juni/Juli 1940 einen Höhepunkt erreicht hatte, war danach stark reduziert worden. Von Anfang bis Mitte 1941 stieg sie wieder an, wenn auch nicht auf die alte Höhe. Angesichts der außerordentlich großen Vorräte an Waffen und Munition einschließlich der Beute aus dem Jahre 1940 war allerdings schon seit dem Frühjahr 1941 die Verlagerung bestimmter Kapazitäten vom Sektor der Heeresrüstung (besonders Munition) zu anderen, f ü r die fernere Kriegführung vermeintlich entscheidenden Sektoren der Rüstung (Luftrüstung) eine Forderung, die sich folgerichtig aus dem faschistischen Blitzkriegskonzept ergab und seit J u n i 1941 unter dem Begriff der „Umrüstung" zur offiziellen kriegswirtschaftlichen Strategie wurde. Die Munitionserzeugung fiel von nun an bis Ende 1941 ab. Der Produktionsrückgang betraf besonders Munition für Infanteriewaffen, Artillerie und Werfer. Flakmunition hingegen, Munition für Kampfwagengeschütze und verschiedene andere Munitionsarten wurden in zunehmenden Mengen produziert. 194 The Effects, S. 207, Tab. 6. 195 Ebenda, S. 37, Tab. 15 u. S. 213, Tab. 11.
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Der Überfall auf die UdSSR. Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionen
Eine ähnliche Entwicklung wies die Produktion von Waffen, d. h. von Gewehren, Maschinenwaffen, Geschützen und Werfern, auf. Hier war allerdings die Gesamtproduktion 1941 höher als im Vorjahr, was von bürgerlichen Historikern gern verschwiegen wird. Tabelle 7 Produktion von Waffen und Munition 1939—1942 (Januar/ Februar 1942=100) Quartal bzw. Jahr 1939/IV
Munition (Heer)
Munition
Waffen
Waffen (Heer)
74
186
63
?
1940/1 1940/11 1940/1II 1940/IV 1940 (Durchschnitt)
82 125 139 102 112
195 268 299 185 237
68 79 83 86 79
86 101 97 101 96
1941/1 1941/11 1941/III 1941/IV 1941 (Durchschnitt)
105 106 100 95 102
178 142 94 86 125
107 118 109 90 106
127 144 132 90 123
1942/1 1942/11 1942/III 1942/IV 1942 (Durchschnitt)
105 147 193 220 166
117 267 419 534 334
105 132 145 167 137
109 148 156 179 148
Quelle: The Effects, S. 275, S. 283 u. S. 286, Tab. 100, 111, 112 u. 115. Die Einschränkung der Produktion von Waffen und besonders von Munition war i m wesentlichen auf das Heer begrenzt. Sie wurde übrigens im J a h r e 1942 in sehr schnellem Tempo wieder aufgeholt. Der rasche Produktionsanstieg dieses Jahres rührte nicht zum wenigsten daher, daß die Produzenten von Geschoßteilen und -Zubehör sowie von Pulver und Sprengstoff sich bei weitem nicht so früh und stark „umgestellt" hatten und daher Anfang 1942 über große Lagerbestände verfügten. Eine ganz andere Produktionskurve als die Munitionserzeugung wies diejenige von Panzern auf. Tabelle 8 Produktion von Panzern 1939—1942 f Panzerkampf wagen und Sturmgeschütze) Stck. 1939 (Sept.—Dez.) 1940 1941 davon 1. Hälfte davon 2. Hälfte 1942
Gewicht (t)
247 1643 3790
5500 34820 76720
4961
113860
1617 2173
Quelle: The Effects, S. 163 u. S. 278ff., Tab. 104 u. 105.
Die „Umrüstung" vom Sommer 1941
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Im Mai 1941 wurden zum ersten Mal mehr als 300 Panzer pro Monat produziert. I m ersten H a l b j a h r 1941 erreichte der Ausstoß fast den des ganzen J a h r e s 1940; im zweiten Halbj a h r übertraf er ihn u m 32 Prozent. Die Gesamterzeugung 1941 belief sich auf 231 Prozent gegenüber der des Vorjahres (nach Gefechtsgewicht: 220 Prozent). I m November 1941 erklomm die Produktion den H ö h e p u n k t des Jahres. 1 9 6 Die Investitionstätigkeit in der Rüstungsindustrie n a h m im J a h r e 1941 einen außerordentlich großen Umfang an. Diese Tatsache stand in engem Zusammenhang m i t den Einschränkungen auf bestimmten Gebieten der unmittelbaren Rüstungsproduktion u n d war wie diese Bestandteil der langfristigen strategischen — militärischen wie wirtschaftlichen — Konzeption der herrschenden Kreise des Regimes. Schon a m 18. Mai 1941 war das zukünftige Kriegskonzept nach „Barbarossa" Gegenstand von Beratungen zwischen Hitler, Todt und Keitel. Am folgenden Tag informierte Keitel den zuständigen Abteilungschef (in Vertretung von General Thomas): „Chef O K W f ü h r t aus, daß f ü r die weitere Kriegführung die Waffen- u n d Munitionsfertigung nicht die Hauptrolle spielt, sondern daß als Voraussetzung f ü r diese Fertigung u n d f ü r die weitere Kriegführung zunächst der Ausbau der Grundstoffindustrien weiter betrieben werden m u ß , u n d zwar f ü r Gummi, Benzin, Energie, Aluminium." 1 9 7 Zahlreiche bedeutende Rüstungsbauten wurden in Angriff genommen oder forciert vorangetrieben, besonders in der Flugzeug- u n d Flugmotorenindustrie u n d in den über den Vierjahresplan staatlich besonders geförderten Rohstoffindustrien (synthetischer Treibstoff und Kautschuk, Aluminium, Zellwolle). Diese Investitionen wirkten sich zum größten Teil erst in den folgenden J a h r e o in der eigentlichen Rüstungsproduktion aus. Der Maschinenbau lieferte 1941 in allen wichtigen Erzeugnisgruppen, ausgenommen rollendes Material (Lokomotiven u n d Waggons), mehr Investitionsgüter an die Industrie als in irgendeinem anderen J a h r des Krieges. Tabelle 9 Umsatz der Maschinenbauindustrie
1939 1940 1941 1942
1939—1942 (in Miü.
RM)
Maschinen
Ausrüstungen für Energieanlagen
Rollendes Material
Insgesamt
4874 4769 5210 5139
1571 1947 2253 2231
478 563 698 838
6923 7278 8161 8209
Quelle: The Effects, S. 218, Tab. 17.
Die Rüstungsanstrengungen des deutschen Imperialismus verringerten sich im J a h r e 1941 insgesamt also keineswegs, obwohl im zweiten H a l b j a h r die Produktion in bestimmten Sektoren der Heeresrüstung zugunsten der Produktions- u n d Investitionsprogramme auf dem Gebiet der Luftwaffenrüstung gedrosselt wurde. I m Gegenteil, die kriegswirtschaftliche Maschinerie Hitlerdeutschlands arbeitete angespannter als zuvor. Die Produktions196 Ebenda. 197 ZStA Potsdam, FS, Film 1742, AN WiRüAmt (Hünermann) üb. Bespr. b. Keitel am 19. 5., v. 20. 5. 1941.
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Der Überfall auf die UdSSR. Wirtschaftliche Blitzkriegsillusionen
•einschränkungen und -Umstellungen verschoben nur die Proportionen zwischen verschiedenen Gebieten und Schwerpunkten der Rüstung. Sie schränkten ihre Kapazität nicht nur nicht ein, sondern erweiterten sie noch beträchtlich. Die Rüstungsumstellung des Jahres 1941 war ebenso wie die des Jahres 1940 in jeder Hinsicht ein typisches Produkt der Blitzkriegsstrategie und -ideologie 198 — diesmal jedoch auf einer katastrophalen Fehlrechnung fußend: daß nämlich die U d S S R in wenigen Monaten zusammenbrechen werde. Beide „Umrüstungen" entsprachen nach Inhalt und Aufeinanderfolge den wechselnden militärstrategischen Zielsetzungen der deutschen Imperialisten, die Zug um Zug „durch Yernichtungsschläge gleich zu Beginn der Feind-seligkeiten" (Carl Krauch) 1 9 9 einen Gegner nach dem anderen auf ihrem Weg zur Weltherrschaft ausschalten wollten. Die Blitzkriegsstrategie war auf Atempausen zwischen Phasen großer militärischer Anstrengung und hoher wirtschaftlicher Belastung berechnet. Solche Pausen sollten jeweils den Umbau in der Rüstungsindustrie auf Grund veränderter Rüstungsprogramme ohne starke Spannungen im Gefüge der kapitalistischen Volkswirtschaft und möglichst ohne Produktionseinbußen ermöglichen. Außerdem war die Absicht der herrschenden Kreise Hitlerdeutschlands unverkennbar, mittels der Blitzkriegsstrategie ihre Ziele jeweils mit jenem wirtschaftlichen Kräfteaufwand zu erreichen, der nicht nur dem jeweils verfügbaren Wirtschaftspotential, sondern auch •dem ihnen vertretbar erscheinenden Grad seiner Mobilisierung entsprach. Die negativen Auswirkungen der Rüstung und des Krieges auf das eigene Volk sollten in kontrollierbaren, wenn auch durchaus hinausschiebbaren Grenzen gehalten werden, damit sozialen Erschütterungen und Konflikten vorgebeugt würde. Ein bestimmter Tiefpunkt des mit •dem Krieg verbundenen Elends sollte — auf Kosten der unterjochten und ausgeplünderten Völker anderer Länder — im Durchschnitt nicht unterschritten werden. Den Schock von 1918 trug die herrschende Klasse noch in allzu lebhafter Erinnerung. Sie hatte auf ihre Weise bestimmte Schlußfolgerungen daraus gezogen. Von J u n i 1941 an sollte das wirtschaftliche Blitzkriegskonzept des deutschen Imperialismus in umfassender, geradezu „klassischer" Weise verwirklicht werden. Der heldenmütige Widerstand des Sowjetvolkes, der die militärische Planung der Aggressoren von Anfang an durchkreuzte, enthüllte aber sogleich den tief illusionären Charakter dieses Konzepts. 198 Siehe dazu grundlegend Förster, Gerhard, Totaler Krieg und Blitzkrieg. Die Theorie des totalen Krieges und des Blitzkrieges in der Militärdoktrin des faschistischen Deutschlands am Vorabend des zweiten Weltkrieges, Berlin 1967, bsd. S. 87ff., S. 94. 199 Eichholtz, Dietrich, Zum Anteil des IG-Farben-Konzerns an der Vorbereitung des zweiten Weltkriegs, in JfW, 1969, T. 2, S. 99 f., Bericht des GB Chemie vor dem Generalrat des Vierjahresplanes (Entwurf v. 20./21. 4. 1939).
KAPITEL II
Der Zusammenbruch des wirtschaftlichen Blitzkriegskonzepts. Konzentration der staatsmonopolistischen Regulierungsgewalt
1. Auswirkungen der Niederlage vor Moskau Anfang Dezember brach der letzte Versuch der Wehrmacht zusammen, nach Moskau durchzustoßen. Unmittelbar danach begann die sowjetische Gegenoffensive. Am 27. November hatte der Generalstabschef des Heeres, Generaloberst Franz Halder, bereits festgestellt: „Wir sind am Ende unserer personellen und materiellen K r a f t . " 1 Die sowjetische Offensive vor Moskau, die am 5./6. Dezember 1941 begann und im Jahre 1942 auf breiterer Front bis März/April fortgesetzt wurde, offenbarte endgültig, daß das strategische Kalkül der faschistischen Aggressoren und damit die gesamte Planung des Raub- und Klassenkrieges gegen die U d S S R gescheitert waren. Die Grundkonzeption des „Blitzkriegs", auf die der deutsche Imperialismus beim zweiten Versuch, seine Welthegemonie zu errichten, gebaut hatte, hatte sich als verfehlt erwiesen. Die harten militärischen Tatsachen legten zugleich offen, daß das bisherige kriegswirtschaftliche Konzept und damit der staatsmonopolistische Regulierungsmechanismus in •seiner bisherigen Wirkungsweise und Struktur für die Zukunft untauglich waren. Es ging nicht einfach nur um Ersatz für die materiellen Verluste der Front, die völlig neue Maßstäbe angenommen hatten. Die für die deutsche Kriegswirtschaft Verantwortlichen sahen sich vor der Aufgabe, mitten in einer schweren Niederlage und erbitterten Abwehrschlacht unter Einbuße, von Hunderttausenden Arbeitskräften, die zur Wiederherstellung der Heeresstärke abgezogen wurden, einen auf lange Dauer funktionstüchtigen und wesentlich leistungsstärkeren Produktionsapparat zu organisieren, ohne daß sie über all die Reichtümer des Sowjetlandes verfügen konnten, die in ihrer Blitzkriegsrechnung bereits auf der Habenseite gestanden hatten. Bis Ende November 1941 hatte der Krieg gegen die Sowjetunion das faschistische Heer •an Toten, Vermißten bzw. Gefangenen und ins Hinterland abtransportierten Verwundeten und Kranken mehr als 750000 Mann gekostet — alle vorangegangenen Feldzüge seit 1939 dagegen weniger als 100000 Mann. 2 Die Angaben über die Wehrmachtverluste von 1 Halder, Franz, Kriegstagebuch. Tägliche Aufzeichnungen des Chefs des Generalstabes des Heeres 1939-1942, Bd. 3, Stuttgart 1964, S. 311. 2 KTB des OKW, Bd. I, S. 1120f., „Personelle Verluste", 22. 6 . - 3 1 . 12. 1941, v. 5. 1. 1942 (753000); Müller-Hillebrand, Bd. 3, S. 18f. (740000). Grigoleit (Grigoleit, Joachim, Vorstellungen und Maßnahmen der deutschen militärischen Führung zur personellen Sicherstellung des Aufbaus und des Einsatzes der faschistischen Wehrmacht bis zur Wende im zweiten Weltkrieg (1933—1943), Diss. Potsdam 1977, S. 88) betrachtet diese Zahlen als Ergebnisse vorläufiger Erhebungen und kommt auf insgesamt 822000 Mann (davon rd. 420000 Mann unwiederbringliche Verluste).
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Der Zusammenbruch des wirtschaftlichen Blitzkriegskonzepts.
Dezember 1941 bis April 1942 belaufen sich auf weitere 5 6 0 0 0 0 Mann. 3 Allein das H e e r verlor vom 22. J u n i 1941 bis 30. April 1942 an der deutsch-sowjetischen Front 1,29 Mill. Mann; das waren 93,5 Prozent seiner Gesamtverluste und rund 40 Prozent der beim Ü b e r fall auf die U d S S R eingesetzten Verbände. 4 Tabelle 10 Verluste an der deutsch-sowjetischen Front 22. Juni 1941 bis 30. Januar 1942
Gepanzerte Fahrzeuge Kraftfahrzeuge Flugzeuge (Frontverluste) 1. F. H. s. F. H. 1.1. G. s. I. G. 1. Gr. W. s. Gr. W. Kan. 10 cm 3,7-cm-Pak 5-cm-Pak Karabiner MG Pferde Quelle: Reinhardt,
(Auswahl)
bis 1. 11. 1941
bis 30. 11. 1941
bis 31. 12. 1941
bis 30. 1. 1942
1812 76488 3838 538 310 640 196 2378 1315 65 2479 274 49963 16211 85899
3290 93326 4219 651 354 721 228 2638 1501 75 2698 291 54422 17676 120494
3730 116440 4643 1103 554 919 302 3162 1974 108 3349 426 60732 21062 143503
4241 121529 5100 1300 642 1067 352 3572 2318 132 3787 475 66432 24247 179132
S. 316, Anl. 7 (Quelle: 10-Tages-Meldungen des Heeres und der Luftwaffe).
An Panzern erlitt das Heer von J u n i bis November 1941 einen Totalausfall von 2 3 2 & Panzerkampfwagen und Sturmgeschützen, die fast ausschließlich an der deutsch-sowjetischen Front verlorengingen. 5 Demnach waren rund 55 Prozent des dort am 22. J u n i ' eingesetzten Panzerbestandes vollständig ausgefallen. Von Dezember 1941 bis März 1942* gingen weitere 1 2 3 4 Panzerkampfwagen und 107 Sturmgeschütze verloren. 6 In den Zahlen sind die Ausfälle an reparierfähigen Panzern, die sich daiüber hinaus auf ungefähr zwei' Drittel der Totalverluste beliefen, nicht enthalten. 7 B e i den 16 an der deutsch-sowjetischen Front eingesetzten Panzerdivisionen wurden am 30. März 1942 nur noch 140 einsatzfähigePanzer gezählt. 8 An Infanteriewaffen und Geschützen hielten sich die Verluste bis zum Ausgang des3 Grigoleit, Anlagenband S. 23, Anl. 8. 4 Ebenda; DZW, Bd. 2, S. 274 (nach Haider: 1,168 Mill.). 5 Mütter-HiUebrand, Bd. 3, S. 21 und Aufstellung nach S. 274. Nach The Effects, S. 165, gingen bis Ende September an der deutsch-sowjetischen Front nur 500 deutsche Panzer verloren, in den nächsten drei Monaten dagegen 2500 (Nur: Panzerkampfwagen und Sturmgeschütze). 6 Mütter-Hillebrand, Bd. 3, Aufstellung nach S. 274. 7 Ebenda, S. 205. Reinhardt (S. 258) gibt die Gesamtverluste des Ostheeres bis 31. 1. 1942 mit 4241 Panzern und Sturmgeschützen an (s. Tab. 10). 8 Reinhardt, S. 258.
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Auswirkungen der Niederlage vor Moskau
Herbstes im wesentlichen noch in den von den deutschen Militärs vorausgeschätzten -Grenzen. Auf dem Rückzug vor Moskau dagegen verlor die Wehrmacht bedeutende Mengen an Waffen und Ausrüstung. Besonders an Geschützen waren die Verluste hoch, •unverhältnismäßig höher als im gesamten Feldzug gegen Frankreich im J a h r e 1940. Tabelle 11 Verluste und Bestand an Geschützen des Heeres 1940 und 1941/42 (in Stck.) Bestand 1. 6. 1941
Pak (3,7 u. 5 cm) •1. Inf. G. (7,5 cm) s. Inf. G. (15 cm) 1. F. H. (10,5 cm) s. F. H. (15 cm)
15506 4176 867 7076 2867
Verluste Dez. 1941 bis Febr. 1942 (90 Tage)
Verluste 10. 5.-20. 6. 1940
1771 510 165 800-900* 361
636 154 23 137 88
Bestand 1. 2. 1942
(42 Tage) ? 3775 791 6155 2514
Meine Schätzungen der Quelle fälschlich 147; Gesamtverlust 22. 6. 1941 bis 15. 3. 1942 = 1307. •Quelle: DZW, Bd. 2, S. 275 (dort einige Abweichungen); Müller-Hillebrand, Bd. 3, S. 29 u. S. 42. Bis zum 10. November waren an Kraftfahrzeugen fast 8 1 6 0 0 Stück verlorengegangen. 9 Von Dezember 1941 bis März 1942 beliefen sich die Totalverluste an Kraftfahrzeugen auf weitere 3 1 1 0 0 L K W , 1 8 3 0 0 P K W und 2 2 5 0 0 Motorräder, dazu 2 2 5 0 Zugmaschinen. -Diesen Ausfällen von insgesamt rund 74200 Kraftfahrzeugen standen Neuzuweisungen von nur 7 4 4 1 Stück gegenüber. 10 Die Luftwaffe erlitt in der Zeit von J u n i 1941 bis J a n u a r 1942 einen Gesamtverlust von 6 8 9 4 Maschinen. 11 Der Verbrauch an Munition, besonders an Artilleriemunition, überschritt in den Herbstund Wintermonaten die Produktion um ein Mehrfaches. 12 Die „katastrophale Eisenbahnleistung" 1 3 verschlimmerte die Versorgung der Front. Um die Jahreswende 1941/42 verfügte die Truppe nur über ein bis zwei Zehntel ihrer normalen Ausstattung mit Infanterie- und Artilleriemunition und über 0,1 bis 0,5 Tagessätze an Treibstoff. 1 4 Ende Dezember 1941 wandte sich das O K H an die Rüstungsinspektionen und forderte in Fernschreiben, die Erzeugung von Heeresmunition, besonders von Artilleriemunition, „schnellstens auf höchsten Ausstoß zu steigern". 1 5 Solche Versuche des O K H , unmittelbar in die Produktion einzugreifen, setzten sich noch wochenlang fort. „Generalstab schreit händeringend nach Kapazität der 10,5 c m " (Feldhaubitzen-Sprenggranate), vermerkte das Rüstungskommando Augsburg Anfang Februar 1 9 4 2 1 6 ; das O K H verlangte, Kapazitäten 9 10 11 12 13
Reinhardt, S. 115. Müller-Hillebrand, Bd. 3, S. 29; DZW, Bd. 2, S. 275. Davon 4903 Totalabgänge (Reinhardt, S. 260; s. a. Groehler, Geschichte des Luftkriegs, S. 333). Müller-Hillebrand, Bd. 3, S. 43. ZStA Potsdam, FS, Film 1829, AN WiRüAmt (Rü II) üb. Vortrag Thomas' bei Keitel am 13. 1. 1942, v. 14. 1. 1942. Über den Zusammenbruch des Transportwesens der Wehrmacht im Winter 1941/42 in der UdSSR s. Reinhardt, S. 280ff. 14 Wie Anm. 13 (Film 1829). 15 ZStA Potsdam, FS, Film 3398, FS OKH Chef (HRüst/BdE) v. 24. u. 30. 12. 1941). 16 Ebenda, Film 4826, AN RüKdo Augsburg, 8. 2. 1942.
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Der Zusammenbruch des wirtschaftlichen Blitzkriegskonzepts.
der 8,8 cm- auf solche der 10,5 cm-Sprenggranatenproduktion umzustellen, „weil die 8,8 cm nicht mehr zur Bekämpfung der russischen Panzer ausreicht". 1 7 Das faschistische Regime machte eine Krise durch, deren Auswirkungen auf die fernere Kriegslage und auf die wirtschaftliche, innen- und außenpolitische Situation die deutschen Imperialisten mit allen Mitteln auffangen wollten. Sie sahen sich insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiet gezwungen, ihre Blitzkriegsillusionen — „kurze Kriege mit großen Ruhepausen" 1 8 — fahren zu lassen, und bemühten sich nunmehr, sich in der Kriegswirtschaft auf die Bedingungen eines längeren kräftezehrenden Krieges einzustellen. Die Niederlage vor Moskau stellte das entscheidende Moment dieser Entwicklung dar, die schon ein bis zwei Monate vorher eingesetzt hatte. Der Eintritt der U S A in den Krieg (Kriegserklärung Deutschlands am 11. Dezember 1941) bestärkte die deutschen Imperialisten in der Politik wesentlicher Veränderungen im staatsmonopolistischen Mechanismus der Kriegswirtschaft, änderte aber nichts an dem nun eingeschlagenen, schon seit einiger Zeit vorbereiteten Kurs. Der Prozeß, in dem sich dieser Kurs durchsetzte, wies freilich, dem Grundcharakter der kapitalistischen Ordnung entsprechend, einen chaotischen Charakter auf, der durch seine Eilbedürftigkeit eher verstärkt als abgeschwächt wurde. Um die verschiedenen Konzeptionen wurden unter den beteiligten Gruppierungen, Institutionen und Personen heftige interne Auseinandersetzungen ausgetragen, bis sich schließlich seit dem Februar 1942 eine eindeutig dominierende herausschälte. D a s erste offiziell kundgetane Eingeständnis des Bankrotts der bisherigen kriegswirtschaftlichen Konzeption des deutschen Imperialismus waren die „Durchführungsbestimmungen Nr. 1" vom 28. November 1941 1 9 zu den Rüstungsrichtlinien des OKW vom 23. Oktober, die diese de facto aufhoben. Das Programm der „ Kräfteverlagerung" und der „Kräfteverteilung", das die Richtlinien vom 23. Oktober vorsahen, hatte noch auf der Voraussetzung aufgebaut, daß 49 Divisionen des Heeres und ein Teil der Heerestruppen, insgesamt also der vierte Teil des Gesamtheeres, nach siegreichem Feldzug aufgelöst und zum überwiegenden Teil der Kriegswirtschaft zur Verfügung gestellt werden sollten. 2(> Die Durchführungsbestimmungen vom 28. November dagegen begannen bereits mit dem lapidaren S a t z : „Mit einer Auflösung von Divisionen des Heeres ist im geplanten Umfang nicht zu rechnen." 2 1 Sollte jedoch ein neues Konzept erarbeitet werden, so mußte erst Hitlers „Umrüstungs"Erlaß vom 14. J u l i 1941 2 2 fallen. Thomas bestürmte Keitel am 9. Dezember mit der Frage, was nun 1942 werden solle; er ließ durchblicken, daß die „Führerweisung" vom 14. J u l i nicht zu halten sei und „daß ein Verzicht auf irgend etwas eintreten muß". 2 3 Bald herrschte im OKW Klarheit darüber, daß der Hitler-Erlaß hinfällig und schleunigst zurückzuziehen
17 Ebenda. 18 BA Koblenz, R 3/1547, Rede Speers vor den Gauwirtschaftsberatern, Gauamtsleitern für Technik und Gauobleuten der DAF am 18. 4. 1942. 19 ZStA Potsdam, FS, Füm 2325. 20 Ebenda, „Richtlinien auf personellem Gebiet", 23. 10. 1941 (Heerestruppen = selbständige Einheiten unter OKH, z. B. Artillerie-, Pionier- und Nachrichteneinheiten). 21 Ebenda, „Durchführungsbestimmungen Nr. 1", 28. 11. 1941. 22 Siehe S. 13. 23 ZStA Potsdam, FS, Film 1742, Vortragsnotiz Thomas' für Chef OKW („Vor-Entwurf") v. 9. 12. 1941.
Auswirkungen der Niederlage vor Moskau
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sei: „Insgesamt ergibt sich . . . eine grundsätzlich neue Lage gegenüber den Voraussetzungen vom 14. 7 . 1 9 4 1 . " 24 Im Dezember und um die Jahreswende 1941/42 arbeitete die Wehrmachtführung ihre Entwürfe 2 5 für den neuen Erlaß Hitlers über die „Rüstung 1942" vom 10. J a n u a r 1 9 4 2 aus, in dem das Blitzkriegskonzept vom Sommer 1941 auf dem Gebiet der Kriegswirtschaft stillschweigend ad acta gelegt wurde. Der grundlegende Entwurf wurde schon am 13. Dezember 1941 im Wehrmachtführungsstab verfaßt. 2 6 In Hitlers neuem E r l a ß 2 7 wurde die Rüstungsumstellung vom Sommer 1941, unbeschadet einiger lahmer Ausflüchte, in „Anpassung an die veränderte Kriegslage" widerrufen. Dasgeschah nicht ausdrücklich und nur mit der Maßgabe, daß die alte rüstungsstrategische Zielsetzung, der „Ausbau der Luftwaffe und Kriegsmarine zum Kampf gegen die angelsächsischen Mächte", wie es hieß, „auf weite Sicht . . . unverändert" bliebe. Die weitere allgemeine Gültigkeit des überholten Erlasses vom 14. J u l i 1941 in „wirtschaftlichtechnischer" Hinsicht wurde im Schlußpassus sogar bekräftigt und seine „erhöhte B e deutung" postuliert. Doch der Widerruf zeichnete sich klar ab in dem Verbot, ein „Absinken der Rüstung des Heeres" zuzulassen, und vor allem in der Quintessenz des Erlasses r „Die Mittel der Rüstung sind daher zunächst bevorzugt den gesteigerten Bedürfnissen des Heeres dienstbar zu machen." Der Hauptteil des Erlasses handelte von der notwendigen Umstellung der Rüstungsproduktion und der Rohstoffverteilung zugunsten des Heeres und von der Dringlichkeit der Rüstungsprogramme. Das wichtigste Ziel der Rüstungsanstrengungen war, nach der Vorlage Keitels für Hitler vom 3. Januar, die „Neubildung und Auffrischung starker Offensivverbände". 2 8 Als Termin für die Aufstellung solcher Verbände und für ihre Ausrüstung „mit dem notwendigen Nachschub für mindestens vier Monate" setzte Hitler den 1. Mai 1942 fest. 2 9 Die Schnellen, Truppen des Heeres sollten — wie schon im Panzerprogramm vom August 1941 gefordert — auf 24 bis 30 Panzerdivisionen und 15 motorisierte Divisionsverbände vergrößert werden. 30. Zu diesem Zweck wurde nun beschlossen, die Marinerüstung und das schon zusammengeschmolzene Luftrüstungsprogramm zu kürzen und die Produktion von Bomben und Flugzeugmunition zu drosseln. Vor allem Küpfer- und Aluminiumkontingente sollten so für die Heeresrüstung frei werden. Mit dem Erlaß vom 10. J a n u a r 1942 waren das Göringprogramm und die gesamte „Umrüstung" des Jahres 1941 begraben. Der Weg war frei für eine offizielle Umverteilung der Rohstoffkontingente und Arbeitskräfte zugunsten der Heeresrüstung und für den Widerruf der im Herbst 1941 versandten „Drosselungslisten" und „Drosselungsschreiben". Unklar 24 Ebenda, Film 1775, Vortragsnotiz WFSt v. 13. 12. 1941. 25 Siehe z. B .Thomas, S. 470 ff., Denkschrift WiRüAmt v. 23. 12. 1941; ebenda, S. 478 ff., Denkschrift WFSt v. 3. 1. 1942. 26 Gedr. in Eichholtz, Dietrich, Die Vorgeschichte des „Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz" (mit Dokumenten), in JfG, 1973, Bd. 9 (im folgenden: Vorgeschichte des GBA), S. 372ff., Dok. 2. Siehe ausführlicher Reinhardt, S. 265 ff. 27 Thomas, S. 483 ff. Hiernach auch das Folgende. 28 Ebenda, S. 479, Denkschrift WFSt v. 3. 1. 1942. 29 Ebenda, S. 484, Erlaß Hitlers „Rüstung 1942" v. 10. 1. 1942. 30 Ebenda, S. 479, Denkschrift WFSt v. 3. 1. 1942. Entwürfe der vorangehenden Tage enthielten eine Forderung nach 30 Panzer- und 20 motoris. Div. (ZStA Potsdam, FS, Film 8630, OKWEntwürfe v. Ende Dez. (?) u. 1. 1. 1942).
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Der Zusammenbruch des wirtschaftlichen Blitzkriegskonzepts
war jedoch nach wie vor, welches neue kriegswirtschaftliche Konzept auf die Dauer durchgesetzt werden und in wessen Händen die Vollmachten dafür liegen würden. Die Lösung dieser Probleme lag gerade den führenden Monopolkreisen dringend am Herzen, und sie hatten auch schon genaue Vorstellungen davon, wie sie zu lösen seien. Das Scheitern des wirtschaftlichen Blitzkriegskonzepts war ein Ausdruck der tiefen Gegensätzlichkeit zwischen den Zielen und den realen Möglichkeiten der deutschen Imperialisten. Ihr wirtschaftliches Potential stand in keinem Verhältnis zu den militärischen Aufgaben und zu den Kriegszielen, die sie sich stellten. Auch als sie ein gut Teil Europas besetzt hielten, ausplünderten und ausbeuteten, mußten all ihre optimistischen Berechnungen des nun beherrschten Gesamtpotentials Fehlrechnungen bleiben. Es gab keine Chance für sie, die Sowjetunion zu unteijochen. Es war ferner unmöglich, die unter-, worfenen Völker Europas auf Dauer in Botmäßigkeit zu halten, sich ihre wirtschaftlichen Ressourcen anzueignen und sie bis aufs Blut auszubeuten. Im eigenen Land war das faschistische Regime infolge der Herrschaft des Kapitals und der Gesetze des Profits nicht in der Lage, das vorhandene wirtschaftliche Potential voll für seinen Krieg auszunutzen, zumal da es ihn f ü r die schlechteste imperialistische Sache führte, die den Lebensinteressen des deutschen Volkes diametral entgegengesetzt war. Bürgerliche Autoren gehen hingegen vielfach von der Voraussetzung aus, daß der Krieg, einmal begonnen, kriegswirtschaftlich wohl zu gewinnen oder wenigstens mit Gewinn zu Ende zu bringen gewesen sei — wenn er gründlich genug „in der Tiefe" vorbereitet worden wäre; wenn in den ersten Kriegsjahren, besonders 1941, das Rüstungstempo schnell genug erhöht und nicht, wie sie behaupten, abgebremst worden wäre; wenn von Anfang an eine straffe, zentrale staatsmonopolistische Regulierung die gesamte Kriegswirtschaft erfaßt hätte. Diese drei wichtigsten, in verschiedener Zusammenstellung und Gewichtung immer wieder auftauchenden Argumente lassen sich schließlich auf einen Nenner bringen: Die Blitzkriegsstrategie war verfehlt; von vornherein hätte der Krieg „total" geführt werden müssen. Soweit dies gegen Kriegsende geschehen, sei es „zu spät" getan worden. General Thomas sah, als er in den Jahren 1943/44 seinen umfassenden Tätigkeitsbericht abfaßte, daß er mit seiner Skepsis gegenüber der Blitzkriegsstrategie Recht behalten hatte, schloß aber fälschlich daraus, daß seine „Tiefenrüstungs"-Konzeption 3 1 realistischer gewesen wäre. Doch er selbst mußte feststellen, daß „die Tiefenrüstung (Bereitstellung von Nachschub, industrielle Vorbereitungen, Bevorratung mit Rohstoffen) bei der geschwächten Devisenlage des Reiches sehr vernachlässigt werden mußte". 3 2 Milward dämmert etwas von diesem Dilemma. Er unternimmt es, die Chancen des wirtschaftlichen Blitzkriegskonzepts und die der „Tiefenrüstung" gegeneinander abzuwägen. Immerhin gesteht er zu, daß „Rußlands Fähigkeit, den ,Fünfmonatskrieg' zu überstehen", zum Ende des Blitzkriegs beitrug. 3 3 Doch der Schlüssel zur Erklärung der Umstellung „auf volle Kriegsproduktion" liegt für ihn „in Hitlers Denken", in das er zu seinem Bedauern keinen „vollen Einblick" hat. 3 * .'31 Siehe zu dieser Konzeption Band I, S. 18; unzulässig vereinfacht und auf den Hauptnenner Hitler gebracht wird sie in Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 1: Ursachen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik. Hrsg. v. Militärgeschichtl. Forschungsamt, Stuttgart 1979, S. 281, S. 315f. 32 Thomas, S. 145. 3 3 Milward, Alan S., Die deutsche Kriegswirtschaft 1939—1945 (im folgenden: Milward, Kriegswirtschaft), Stuttgart 1966, S. 52. 3 4 Ebenda, S. .60.
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Alle derartigen Erörterungen über das Blitzkriegskonzept in der Wirtschaft laufen auf die These hinaus, es sei ein „Abbild der strategischen Überlegungen Hitlers" gewesen und habe, im Gegensatz zur „wirklichen Kriegswirtschaft", den „Grundprinzipien der nationalsozialistischen Wirtschaft" entsprochen 35 ; seine „Ursachen und inneren Bedingungen" — so Birkenfeld — „liegen im Letzten bei Adolf Hitler selbst". 36 Diese oberflächliche, inhaltlose Charakteristik führt zu der schon skizzierten Kritik v o m Standpunkt der
„totalen"
imperialistischen Kriegführung.
2. D i e Reorganisation
des Systems staatsmonopolistischer
M a c h t o r g a n e in
der
K r i e g s w i r t s c h a f t ( Z w e i t e Phase) a) Die Reorganisation
des Reichsministeriums
für Bewaffnung und
Munition
A m 13. Januar 1942 rief die Leitung der Reichsgruppe Industrie ihren Großen Beirat zu einer Beratung zusammen. Es referierte der Reichsminister für Bewaffnung und Munition. „ V o r den Toren Moskaus", so begann Todt, „kam es zu einem Stillstand, im wesentlichen wohl deshalb, weil die Russen eine ungeheure Basis in der Vielmillionenstadt Moskau unmittelbar hinter sich hatten." 3 7 Er sah keinen Grund, v o r seinem Publikum m i t bestimmten Einsichten hinter dem Berg zu halten, und bezeichnete das so hartnäckigen Widerstand leistende Sowjetvolk als eine „ungeheure K r a f t " . 3 8 Er kam zu dem Schluß, „daß wir uns doch mehr darauf gefaßt machen müssen, einen totalen Krieg zu führen". 3 9 Daraus die Konsequenzen zu ziehen bedeute, „daß nicht nur die Wehrmacht, sondern das ganze deutsche Volk die Härte des Krieges stärker empfinden muß als bisher, um hierdurch zur Hergabe des Letzten veranlaßt zu werden". 4 0 Todts Zuhörer interpretierten seine Aufforderungen selbstverständlich nicht so, als verlange er mit der „Hergabe des Letzten" einen Verzicht auf die Kriegsprofite der Monopole. Der Leiter der Reichsgruppe Industrie, Wilhelm Zangen, Vorstandsvorsitzer des Mannesmann-Konzerns und Mitglied des Aufsichtsrats der Deutschen Bank, bekundete sein und der R G I vollstes Einverständnis mit Todts Darlegungen. Er drückte den Zusammenhang zwischen dem militärischen Rückschlag und der erhöhten Bedeutung, die er der Steigerung der Kriegsproduktion und ihrer Regulierung durch die führenden Monopole zumaß, mit einem Zitat Friedrichs I I . aus: „Schlachten werden gewonnen durch Bajonette, Kriege werden nur gewonnen durch die Ökonomie." 4 1 T o d t und Zangen forderten die Mobilisier rung des in- und ausländischen Arbeitskräftepotentials für die deutsche Rüstungsindustrie. Rationalisierung durch Konzentration der Produktion in den „leistungsfähigsten" Betrieben und durch vermehrte Ausbeutung war ihre Losung. 35 Ebenda, S. 29; S. 45. 36 Thomas, S. 32 (Einleitung von B.). Eine verhältnismäßig abgewogene und fundierte Darstellung der objektiven Ursachen für das Scheitern des militärischen und wirtschaftlichen Blitzkriegskonzepts findet sich dagegen bei Reinhardt. 37 Anatomie des Krieges, S. 373, Dok. 189, Aufzeichnung von Karl Albrecht, Wigru Feinmechanik und Optik, üb. d. Sitzung am 13. 1. 1942. 38 BA Koblenz, R 13 1/654, Aufzeichnung der Rede Todts (Wigru Esl). 39 Ebenda. 40 Wie Anm. 37. 41 Wie Anm. 37. 5
Eichholtz I I
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Der Zusammenbruch des wirtschaftlichen Blitzkriegskonzepts
Die Zeitspanne von Dezember 1941 bis Februar 1942 war ausgefüllt von der angestrengten Suche der herrschenden Kreise des Regimes nach einem Ausweg aus dem kritischen Zustand der Kriegswirtschaft, einer Suche, die sich im Laufe des Januars zur hektischen Betriebsamkeit steigerte. Klar war den Beteiligten, daß man sich auf einen längeren Krieg einzurichten hatte. Das Grundproblem war ein zweifaches; die maßgeblichen Stellen beschäftigten sich „ebensosehr mit der Frage, wer die deutsche Wirtschaft kontrollieren solle, wie damit, welche Art von Wirtschaft es sein solle". 42 Unabweisbar wurde nun die Forderung nach einer „obersten Führungsstelle" 4 3 , nach einer „rüstungswirtschaftlichen Zentralschaltstelle" die die unmittelbar Betroffenen — die Rüstungsindustrie und die regionalen Rüstungsdienststellen der Wehrmacht — mit besonderer Heftigkeit erhoben. Die hauptsächlichen Kontrahenten im Kampf um die Beherrschung der angestrebten zentralen wirtschaftlichen Kommandoposition waren das OKW, das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition und schließlich die Gruppierung Luftwaffe/Vierjahresplan (Göring, Milch, Krauch). Das Munitionsministerium hatte freilich seinen Konkurrenten voraus, daß es sich unmittelbar auf die Mehrheit der großen Rüstungskonzerne stützen konnte, daß es aufs engste mit der Leitung der Reichsgruppe Industrie zusammenarbeitete und daß ihm in Gestalt seines Rüstungsbeirats ein Gremium führender Monopolisten zur ständigen Konsultation in allen entscheidenden kriegswirtschaftlichen Fragen zur Verfügung stand. Es ging hierbei nicht um eine bloße Neuverteilung von Vollmachten und Kompetenzen, sondern darum, die Front in neuen Dimensionen, umgehend und auf lange Sicht mit Waffen und Munition und auch mit Soldaten zu versorgen. Das einmütig verfolgte Ziel der herrschenden Kreise des Regimes war eine gründliche Umstellung auf eine „totalere" und effektivere Kriegswirtschaft zu eben diesem Zweck. Diejenige Kräftegruppierung mußte schließlich die entscheidenden Regulierungsvollmachten an sich ziehen, die die erfolgversprechendste Methode für eine solche Umstellung, die größten Potenzen für ihre Durchsetzung und die schlagendsten konkreten Beweise für den bezweckten kriegswirtschaftlichen Erfolg vorweisen konnte. Das Schlüsselproblem lag spätestens seit Hitlers Erlaß vom 3. Dezember 1941 für alle Beteiligten in einer umfassenden Rationalisierung der gesamten Rüstungsproduktion, 45 die auch tief in die übrigen Bereiche der Volkswirtschaft eingreifen sollte. In zweiter Linie schob sich das schon in den Zeiten des Vierjahresplans erörterte Ziel einer „totalen" -Erfassung aller nichtarbeitenden Arbeitsfähigen für die Rüstungsproduktion auf dem Wege des Arbeitszwanges wieder in den Vordergrund, von der man aber einen raschen 42 Milward, Kriegswirtschaft, S. 64. 43 ZStA Potsdam, F S , Film 8273, K T B WiRüAmt/Stab, Eintr. v. 16. 1. 1942: „ E s müsse eineoberste Führungsstelle vorhanden sein." (Äußerung Zangens gegenüber Thomas). 44 Ebenda, Film 5382, Lagebericht der R ü l n V (Stuttgart) v. 13. 12. 1941. 45 Frühere Konzeptionen und Ansätze für die Rationalisierung der Rüstungsindustrie erwähnt Wagner (Wagner, Raimund, Auswirkungen des Zusammenbruchs der faschistischen Blitzkriegsstrategie auf die deutsche Kriegswirtschaft, in Das Fiasko der antisowjetischen Aggression. Studien zur Kriegführung des deutschen Imperialismus gegen die U d S S R (1941—1945). Hrsg. v. Erhard Moritz, Berlin 1978 (im folgenden: Auswirkungen), S. 169ff., der im Hinblick auf das Göringprogramm zugespitzt und nicht überzeugend formuliert, in der Luftrüstungsindustrie habe man „ a m frühesten auf eine umfassende Rationalisierung" abgezielt (ebenda, S. 172).
Die Reorganisation staatsmonopolistischer Machtorgane
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Effekt in dem gewünschten Umfang nicht erwartete und die wegen ihrer sozialen und innenpolitischen Folgen stark umstritten blieb. Der Übergang zur umfassenden Mobilisierung der kriegswirtschaftlichen Ressourcen und die damit verknüpfte Zentralisierung der staatsmonopolistischen Regulierungsgewalt waren weder die Folge einsamer Beschlüsse Hitlers noch das hauptsächliche Werk Todts oder Speers. Es waren die Spitzen des deutschen Finanzkapitals, insbesondere die Leitung der Reichsgruppe Industrie, die diese Entwicklung initiierten. Als Exekutive bedienten sie sich dabei des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition und unterstützten den Minister — erst Todt, dann Speer — in entscheidender Weise. Sie betrieben den Ausbau des ministeriellen Exekutivapparats und sorgten für eine Erweiterung seiner Machtbefugnisse, die ihn binnen weniger Monate, wenn auch nicht zum einzigen, so doch zum eindeutig dominierenden Regulierungsmechanismus in der Kriegswirtschaft werden ließen. Sie inaugurierten den neuen Kurs des Ministeriums, indem sie im Dezember 1941 und J a n u a r 1942 binnen kürzester Frist eine Rationalisierungskonzeption für die gesamte Rüstungsindustrie ausarbeiteten, die Anfang Februar 1942 auf einer mehrtägigen Beratung der Hauptausschüsse des Ministeriums geprüft und bestätigt wurde. Sie setzten diese Konzeption in den darauffolgenden Wochen und Monaten in den Rüstungsbetrieben mit Hilfe des ministeriellen Exekutivapparates durch, für den sie — besonders in Gestalt der Leiter der Ausschüsse und Ringe — den personellen Führungsbestand stellten. 4 6 Zweifellos entsprachen das entstehende umfassende, zentralisierte staatsmonopolistische Regulierungssystem und die weitgehende Unterordnung der Produktion unter die Anforderungen des Krieges nicht uneingeschränkt und nicht in jedem Fall den Interessen der Monopolisten. Sie bevorzugten verständlicherweise die schnellen Erfolge und geringen Risiken des Blitzkrieges. In Anbetracht der kritischen Lage hielten sie jedoch einschneidende Maßnahmen im gesamtimperialistischen Interesse für dringend geboten und reagierten ohne Verzug. Die erforderliche zentrale Regulierungsgewalt konzentrierten sie dabei weitestgehend in ihren eigenen Händen.
Bis zum 8. Februar
1942
Walter Rohland, damals stellvertretender Vorstandsvorsitzer des Konzerns der Vereinigten Stahlwerke und einer der engsten Vertrauten des Munitionsministers, sagte nach dem Kriege aus: „Schon Dr. Todt hatte die Notwendigkeit erkannt, alle Industriezweige, die direkt oder indirekt für die Kriegsproduktion notwendig waren, zu zentralisieren, und hatte durch Gespräche mit Hitler den Weg hierzu bereitet. Die Entscheidung, eine Art Kriegs[wirtschafts]ministerium unter der Leitung von Dr. Todt zu schaffen, war kurz vor seinem Tod g e f a l l e n . " 4 ' Hans Kehrl, damals Generalreferent im Reichswirtschaftsministerium, berichtet in seinen Memoiren, Todt, den er auf Görings Geburtstagsfeier am 12. J a n u a r 1942 traf, habe ihm mit Bezug auf ein früheres Gespräch mitgeteilt: „Mit Zustimmung des Führers habe ich mich entschlossen, alles in eigener Regie zu machen 46 Zur Rationalisierung ausführlich S. 295 ff. 47 Mibvard, Kriegswirtschaft, S. 66. Das gleiche Zitat in anderer Rückübersetzung in derselbe, Fritz Todt als Minister für Bewaffnung und Munition, in VfZ, 1/1966, S. 57. Vermutlich hatten Rohland bzw. Todt das Kriegsamt aus dem ersten Weltkrieg als Modell vor Augen. 5-
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Der Zusammenbruch des wirtschaftlichen Blitzkriegskonzepts
und die Wirtschaft auf breiter Basis einzusetzen." 4 8 Die Quellen bestätigen diese Aussagen weitgehend. Als sich vor Moskau die schwere Niederlage abzeichnete, begannen der Munitionsminister u n d die ihn stützenden Monopole m i t Vehemenz, ihre Pläne in die T a t umzusetzen. Die Reorganisation des Apparats des Reichsministeriums f ü r Bewaffnung u n d Munition, die Todt m i t seinem Erlaß vom 22. Dezember 1941 in Gang setzte, und die gesteigerte Aktivit ä t der Konzernherren, insbesondere der Leiter der Sonderausschüsse und der Leitung der Reichsgruppe Industrie, bei der Durchsetzung des Rationalisierungserlasses des Ministers vom 23. Dezember in den Zweigen u n d Betrieben der Rüstungsindustrie sollten rasch vollendete Tatsachen schaffen. Der Erlaß Todts vom 22. Dezember 1941 über die „Selbstverantwortung der Rüstungswirtschaft" 4 9 — dieser wie fast alle anderen unveröffentlichten Erlasse und Bestimmungen trugen geheimen Charakter — ging von der „Notwendigkeit einer bedeutend stärkeren Rationalisierung" aus; sie müsse den „noch größere(n) Anforderungen" des J a h r e s 1942 an die Rüstungsindustrie entsprechen. Diesen Forderungen sei „die Selbstverantwortungsorganisation der Rüstungswirtschaft, d. h. der Rüstungsbeirat, die Rüstungsausschüsse usw., anzupassen". Die d o p p e l t e S t r u k t u r des staatsmonopolistischen Mechanismus des Ministeriums — Rüstungsausschüsse in den Wehrkreisen u n d eine größere Zahl von Sonderausschüssen unmittelbar unter der ministeriellen Zentrale — wurde durch die Bildung von fünf Hauptausschüssen ergänzt, stark zentralisiert u n d vereinheitlicht. Mitglieder der Hauptausschüsse waren die Leiter der jeweiligen Sonderausschüsse. Die Hauptausschüsse f ü r Munition, f ü r Panzer u n d f ü r Waffen entsprachen dem bisherigen Regulierungsbereich des Ministeriums. Hauptausschüsse f ü r „Allgemeines W e h r m a c h t s g e r ä t " u n d f ü r Maschinen bezogen neue, große Bereiche der Rüstungswirtschaft in die Regulierung ein. Zu Leitern der Hauptausschüsse wurden Vorsitzer bzw. Mitglieder des Vorstands von fünf der mächtigsten Rüstungskonzerne berufen, die seit eh u n d je die H a u p t s t ü t z e n des Ministeriums bildeten. Die Hauptausschüsse und ihre Leiter H a u p t a u s s c h u ß (I) Munition
H a u p l a u s s c h u ß (II) W a f f e n
Philipp Keßler, Vorsitzer des Rüstungsbeirats (Bergmann-Elektricitäts-Werke AG/ Siemens u n d AEG-Konzern) Erich Müller (Krupp)
48 Kehrl, Hans, Krisenmanager im Dritten Reich. 6 Jahre Frieden — 6 Jahre Krieg. Erinnerungen, Düsseldorf 1973, S. 219. — Durch diese wichtige Datierung wird ein bemerkenswert frühes Einverständnis zwischen Hitler und Todt über die folgenden — und seit dem 8. Februar von Speer weiterbetriebenen — Veränderungen in der Kriegswirtschaft bezeugt. Zugleich wird damit der fragwürdigen und apologetischen Behauptung der Boden entzogen, Todt habe erkannt, daß der Krieg militärisch und wirtschaftlich verloren sei, dies am 29. 11. 1941 Hitler mitgeteilt und ihn aufgefordert, den Krieg „politisch" zu beenden (Ludwig, Karl-Heinz, Die deutschen Flakraketen im Zweiten Weltkrieg, in Militärgeschichtl. Mitteilungen, 1/1969, S. 89; derselbe, Die wohlreflektierten „Erinnerungen" des Albert Speer, in GWU, 11/1970, S. 699; mit anderem Datum (4. 12. 1941) Janssen, Gregor, Das Ministerium Speer. Deutschlands Rüstung im Krieg, Berlin (West)/Frankfurt a. M./Wien 1968, S. 33; kolportiert auch von Reinhardt, S. 184). 49 ZStA Potsdam, FS, Film 2312. Hiernach auch das Folgende.-Siehe auch Wagner, Auswirkungen, S. 173 f.
Die Reorganisation staatsmonopolistischer Machtorgane
Hauptausschuß (III) Panzerwagen und Zugmaschinen Hauptausschuß (IV) Allgemeines (Wehrmachts)-Gerät Hauptausschuß (V) Maschinen
5i
Walter Rohland (Vereinigte Stahlwerke) Wilhelm Zangen, Leiter der Reichsgruppe Industrie (Mannesmann) Hanns Benkert (Siemens)
Der Rüstungsbeirat des Ministers und die Sonderausschüsse blieben bestehen.50 Neu gebildet wurde ein „Engerer Beirat" des Munitionsministeriums unter dem Vorsitz Todts. Ihm sollten der Vorsitzer des Rüstungsbeirats, die Leiter der Hauptausschüsse und je ein Vertreter des Industrierats der Luftwaffe und der Marinerüstung angehören. Daß dieser Engere Beirat, der den Minister „beraten" sollte, wirklich zustandekam und jemals in voller Besetzung zusammentrat, ist unwahrscheinlich; in der Zusammensetzung des neuen Gremiums zeichnete sich wohl zu deutlich die schon im November gehegte Absicht ab, die „gesamte Planung der Rüstungswirtschaft" vom Munitionsministerium aus zu steuern und OKW und Wehrmachtteile zu majorisieren.51 Steckte der Erlaß vom 22. Dezember den Wirkungsbereich der Hauptausschüsse in seinen allgemeinen Umrissen ab, so legten Todts „Ausführungsbestimmungen zum Führerbefehl vom 3. 12. 1941" vom 23. Dezember die Aufgaben der gesamten „Selbstverantwortungsorganisation der Rüstungswirtschaft" 52 auf dem Gebiet der Rationalisierung eingehend dar. Dieser Erlaß enthielt die konzeptionelle Leitlinie und das detaillierte Programm für eine umfassende Rationalisierung der Kriegsproduktion.53 Damit waren wichtige Vorentscheidungen darüber gefallen, in welcher Weise und in wessen Händen sich die weitere Konzentration der kriegswirtschaftlichen Regulierungsgewalt vollziehen würde. Die Erlasse vom 22. und 23. Dezember 1941 kündigten eine neue Entwicklungsstufe des staatsmonopolistischen Kapitalismus in der Kriegswirtschaft an. Außer auf die Produktion von Panzern, Waffen und Munition erstreckten sich Regulierungsvollmachten und Anordnungsbefugnisse der um das Munitionsministerium gruppierten Rüstungsmonopole und ihrer „Selbstverantwortungs"-Organe nun auch unmittelbar auf die für die Rüstung produzierende Produktionsmittelindustrie (Hauptausschuß Maschinen) und Konsumgüterindustrie (Hauptausschuß Allgemeines Wehrmachtsgerät). Das tat dem bisher noch bedeutenden direkten Einfluß der Wehrmachtsdienststellen auf Konstruktion und Produktion von Waffen und Kriegsgerät starken Abbruch; das OKW mußte das unter dem Druck der militärischen Krise hinnehmen. Auch die Machtsphäre des Reichswirtschaftsministeriums wurde beeinträchtigt. In den kommenden Wochen waren Todt und die Leitung der RGI, voran Wilhelm Zangen, mit außergewöhnlicher Aktivität bemüht, das Ministerium und das System der Ausschüsse, wie beschlossen, zu erweitern und neu zu formieren und die Rationalisierung nach ihrer Konzeption „mit aller Beschleunigung" 54 zu betreiben. Zangen setzte mit seiner Anordnung vom 9. Januar 1942 den mächtigen Apparat der RGI und aller Wirtschaftsgruppen in Bewegung, um den neuen Hauptausschuß Allgemeines Wehrmachtsgerät mit einem breiten Unterbau von Arbeitsgruppen und Sonderausschüssen auszustatten. 55 50 51 52 53 54 55
Siehe Band I, S. 126 ff. ZStA Potsdam, FS, Film 2325, AN WiRüAmt, 22. 11. 1941. So im Erlaß v. 22. 11. 1941 (wie Anm. 49). ZStA Potsdam, FS, Film 2312. Ebenda, RMfBuM an Zangen, 29. 12. 1941. Ebenda, AO Zangens v. 9. 1. 1942.
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Der Z u s a m m e n b r u c h des wirtschaftlichen Blitzkriegskonzepts
Unverzüglich begannen im gesamten Bereich der Hauptausschüsse zahlreiche Kommissionen und Rationalisierungsausschüsse mit der Arbeit in den Betrieben. Auch die Montanindustrie, die hochgradig in Monopolverbänden organisiert war, beteiligte sich und nahm dabei die eingespielten Apparate dieser Verbände zu Hilfe. 56 Auf der Tagung der Rüstungsinspekteure und -kommandeure vom 21. bis 23. Januar 1942 kam im Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt des OKW noch einmal alles zusammen, was in Rüstung und Kriegswirtschaft Rang und Namen hatte. Amtschef Thomas erklärte in seiner einleitenden Rede, die Rationalisierung der Kriegswirtschaft müsse „zentral gesteuert" werden und sei „der Reichsgruppe Industrie übergeben, die sie nach Weisung des Munitionsministeriums und des Reichswirtschaftsministeriums durchführen wird". 5 7 Todt stand aber durchaus nicht an exponierter Stelle auf der Rednerliste, sondern neben Milch und einem Vertreter der Marinerüstung; noch vor ihm sprachen Oberst Neef, Chef der Rüstungswirtschaftlichen Abteilung des Amtes, und Gerhard Ritter (IG Farben) als Vertreter des GB Chemie. Der Munitionsminister kündete in seiner Rede die Vereinfachung von Konstruktion und Produktion, die Rationalisierung in der gesamten Industrie und die Einführung von Festpreisen an. Die Anwesenden begriffen sicherlich nicht, wie weit sich die Gewichte schon zugunsten des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition verschoben hatten. General Thomas mochte es noch schwerfallen zu erkennen, daß zu dieser Zeit, wie er sich mehrere Monate später ausdrückte, der Kampf der „Industrie gegen den Soldaten" 5 8 bereits in vollem Gange war, d. h., daß das Ringen innerhalb der herrschenden Klasse, insbesondere zwischen Wehrmacht und Reichsministerium für Bewaffnung und Munition, um die zentrale Regulierungsgewalt in der Kriegswirtschaft in ein entscheidendes Stadium getreten war. Wahrscheinlich rechnete er sich und seinem Amt angesichts der Heerschau der OKW-Rüstungsorganisation, die er zusammengerufen hatte, noch selbst große Chancen aus, jene zentrale Machtposition in der Kriegswirtschaft zu erringen. 59 In dieser internen Auseinandersetzung spielten auch solche Ereignisse eine Rolle wie die Bildung der „Industrieorganisation des Generalbevollmächtigten für das Nachrichtenwesen" und die Ernennung von Jakob Werlin zum „Generalinspektor des Führers für das Kraftfahrwesen". Erich Fellgiebel, General der Nachrichtentruppe, Ende 1941 zum Generalbevollmächtigten für das Nachrichtenwesen (GBN) ernannt, baute in enger Anlehnung an den Industrierat der Luftwaffe eine eigene „Industrieorganisation" mit „etwa 35 Fertigungsringen"6°, zusammenfassenden (Industrie)-Referaten und einem aus den Referenten zusammengesetzten „Beirat der Nachrichtenmittelindustrie" auf. Die ehrenamtlichen Leiter der Ringe und Referate waren in Personalunion auch im Industrierat der Luftwaffe leitend tätig 6 1 ; es waren führende Repräsentanten solcher Konzerne und Rüstungsfirmen wie AEG, Siemens, Lorenz und Telefunken. Die Organisation des GBN war offenbar eine gemein56 Siehe S. 306 ff. 57 Z S t A P o t s d a m , F S , F i l m 1741, R e d e T h o m a s ' v. 21. 1. 1942. U n g e n a u e Datierung der T a g u n g bei Miltvard, Kriegswirtschaft, S. 64. 58 Z S t A P o t s d a m , F S , F i l m 1741, R e d e T h o m a s ' vor den R ü l n (in Hannover) a m 29. 8. 1942. 59 Siehe auch Reinhardt, S . 2 7 0 f . ; Miltvard, K r i e g s w i r t s c h a f t , S. 6 4 f . 60 Z S t A P o t s d a m , F S , F i l m 2312, Ansprache Fellgiebels bei der „Verpflichtung v o n B e i r a t u. R i n g f ü h r e r n " a m 2 0 . 1 2 . 1 9 4 1 . — D e m Industrierat der L u f t w a f f e gehörten über 100 Fertigungsringe an (ebenda, R E r l . O K M v. 10. 2. 1942). 6 1 E b e n d a , G B N an W i R ü A m t , 16. 2. 1942.
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schaftliche Gründung von OKH und Luftwaffenführung unter der Schirmherrschaft Görings, dafür gedacht, die staatsmonopolistischen Positionen der Rüstungsdienststellen von Heer und Luftwaffe in der Kriegswirtschaft zu stärken. Am 16. Januar 1942 ernannte Hitler Jakob Werlin, Vorstandsmitglied des Daimler-BenzKonzerns und Vertrauensperson der Deutschen Bank, einen alten Parteigänger der Faschisten und persönlichen „Freund des Führers" 62 , zum „Generalinspektor des Führers für das Kraftfahrwesen". 63 Anzunehmen ist, daß bei dieser Ernennung der Einfluß Todts mitgespielt hat, der Werlin und dem Daimler-Benz-Konzern auch als Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen und als Leiter des NSDAP-Hauptamtes für Technik seit vielen Jahren nahestand. Sie erfolgte, ohne daß das Verhältnis Werlins zu Generalmajor Adolf v. Schell geklärt wurde, der seit Ende 1938 als Generalbevollmächtigter für das Kraftfahrwesen — eine Institution des Vierjahresplans — fungierte 64 und als solcher den Rang eines Unterstaatssekretärs im Reichsverkehrsministeriums bekleidete. Die vordringliche Aufgabe Werlins war es, den an der deutsch-sowjetischen Front dezimierten Kraftfahrzeugpark der Wehrmacht aufzufrischen und zu erneuern, ein Netz von Reparaturwerkstätten im Osten zu schaffen und anderes mehr. Doch er setzte sich durch Forderungen wie die nach einer eigenen „Reichsgruppe Kraftfahrwesen" 65 sehr bald in Gegensatz zur Leitung der RGI, zu Todt bzw. zu Speer und zu Funk, so daß seine weitere Tätigkeit untergeordneter Art blieb. Am 24. Januar wandte sich der Munitionsminister an seine fünf engsten Mitarbeiter und Berater aus der Industrie — den Vorsitzer seines Rüstungsbeirats und die übrigen Hauptausschußvorsitzer — und lud sie für den 6. Februar zum Bericht über die „außerordentlich vielen Anregungen" aus der Rüstungsindustrie ein, denen durch Hitlers Rationalisierungserlaß vom 3. Dezember 1941 „der Weg gebahnt" worden sei. 66 Die Beratungen der Hauptausschüsse und der ebenfalls zusammengerufenen Leitung der RGI in Berlin mit dem Minister währten schließlich drei Tage, vom 4. bis zum 6. Februar 1942. Sie bildeten den Höhepunkt der Anstrengungen Todts und der um sein Ministerium gescharten großen Rüstungsmonopole, ihr kriegswirtschaftliches Konzept in die Tat umzusetzen, und bereiteten unmittelbar die bevorstehende wichtige Aussprache des Ministers mit Hitler vor, an der ursprünglich auch Walter Rohland teilnehmen sollte.67 Die Hauptausschüsse tagten während dieser Zeit in Permanenz. Der Munitionsminister, der mehrfach vor ihnen sprach, hob in seinen Reden drei Grundsätze als wesentlich für die Lösung der „große(n) Aufgabe" 68 hervor, die Produktion ungeachtet des bevorstehenden 62 ZStA Potsdam, RWiM, Nr. 9086, Bl. 50, AN v. d. Goltz, Nov. 1934; s. a. Radandt, Hans, Zu den Beziehungen zwischen dem Konzern der Deutschen Bank und dem Staatsapparat bei der Vorbereitung und Durchführung des zweiten Weltkrieges, in Der deutsche Imperialismus und der zweite Weltkrieg. Materialien der wissenschaftl. Konferenz der Kommission der Historiker der DDR und der U d S S R v . 14. bis 19. Dezember 1959 in Berlin, Bd. 2, Berlin 1961, S. 2 1 f . € 3 RGBl. 1942 I, S. 25f., „Erlaß des Führers über die Bestellung eines Generalinspektors des Führers für das Kraftfahrwesen" v. 16. 1. 1942. 64 Siehe Kirchberg, Peter, Typisierung in der deutschen Kraftfahrzeugindustrie und der Generalbevollmächtigte für das Kraftfahrwesen, in JfW 1969, T. 2, S. 131 f. 65 ZStA Potsdam, RWiM, Nr. 9088, Bl. 47f., Telegr. Werlins an RWiM, 23. 1. 1942. 66 Ebenda, FS, Film 2312, Rs. RMfBuM v. 24. 1. 1942. 67 Siehe Janssen, S. 33. 6 8 ZStA Potsdam, FS, Film 2312, Zus.-fassung d. Reden Todts am 4. u. 5. 2. 1942, v. 17. 2. 1942. Hiernach auch das Folgende.
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Abzugs von acht Prozent der Rüstungsarbeiter zur Wehrmacht — nämlich einer halben Million Mann — zu steigern. Das war in erster Linie die „Ausschaltung der teuersten Betriebe" ; gelänge es einem solchen Betrieb trotz Erfahrungsaustauschs nicht, rationeller zu arbeiten, „so müssen ihm Arbeitskräfte und Maschinen entzogen werden . . . Der leistungsfähige Arbeiter muß heraus aus dem ungesunden Betrieb." Todt verwies weiterhin darauf, daß allein die bloße Erhöhung der Arbeitsintensität „noch einmal eine Leistungssteigerung von 10 Prozent möglich" mache. Er ahnte allerdings, daß die deutschen Imperialisten bei den Werktätigen nicht mit einer solchen freiwilligen Masseninitiative rechnen konnten, wie sie das Sowjetvolk zeigte und die er als „brutalen Einsatz der Massen" verleumdete. Sein Rezept war die „richtige Behandlung des Arbeiters". Die von der faschistischen Terrormaschine eingeschüchterten und niedergehaltenen deutschen Arbeiter müßten „dafür begeistert" werden, mehr Waffen für den Sieg zu schmieden. Der Minister plädierte für vielfältige Formen propagandistischer und ideologischer Beeinflussung, um „allen klar(zu)machen, warum diese Waffen fertig werden müssen". Besonders lag Todt schließlich daran, die weitreichenden Befugnisse der Hauptausschüsse herauszustreichen: „Die Industrie hat durch die Einrichtung der Hauptausschüsse weitgehend die Vollmacht, sich selbst zu helfen." Den Vertretern des Heereswaffenamts bedeutete er, die Hauptausschüsse würden „selbständig eine Typenbereinigung durchführen"; das Amt solle den Rationalisierungsvorschlägen der Industrie möglichst seine „sofortige Genehmigung" geben. „In vielen Fällen wird den Vorschlägen von erfahrenen Werken wie Krupp ohne langwierige Genehmigungsverfahren die sofortige Einführung der Verbesserung zugestanden werden können." Die führenden Vertreter der Rüstungsindustrie hieben in diese Kerbe und äußerten zahlreiche zusätzliche „Wünsche", die samt und sonders auf eine Beschneidung von Befugnissen des Heereswaffenamts und des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamts hinausliefen. 69 Im Laufe der Beratungstage gab der Munitionsminister mehrere wichtige Erlasse heraus. Vor allem billigte er den Vorsitzern der Hauptausschüsse das Recht des maßgeblichen Vorschlags für die Beschäftigung von Arbeitskräften zu, die bei Rationalisierungsmaßnahmen „freigesetzt" wurden. 70 Eine Reihe weiterer ministerieller Anordnungen, Richtlinien und Aufträge, die ebenfalls als unmittelbares Ergebnis der dreitägigen Beratungen anzusehen sind, bildeten nach Todts Tod Ansatzpunkte für die weitere Reorganisation des M in ister iums. 71 Hierzu zählt auch der später von Albert Speer versandte Brief Todts an die Gauleiter der Nazipartei. 72 Mit diesem Schreiben wollte Todt eine feste, regelmäßige Verbindung zu den Gauleitern knüpfen. Der Gedanke, die Potenzen der straff organisierten, mächtigen faschistischen Partei stärker nutzbar zu machen und sie in den staatsmonopolistischen Mechanismus der Kriegswirtschaft enger einzubeziehen, war keine plötzliche Eingebung des Munitionsministers. Wollten die deutschen Imperialisten die Lasten der Rationali69 Anatomie des Krieges, S . 379f., D o k . 194, Bericht W i R ü A m t üb. d. T a g u n g der H A d e s R M f B u M a m 6. 2. 1942. 70 B A Koblenz, R 13 1/1012, R E r l . R M f B u M an die Vorsitzenden der P r ü f u n g s k o m m i s s i o n e n , 4. 2. 1942; Z S t A P o t s d a m , F S , F i l m 8630, R E r l . R M f B u M a n die Vorsitzer der H A , 6. 2. 1942. 7 1 Z S t A P o t s d a m , F S , F i l m 2312, Richtlinien für die „ A u f s t e l l u n g v o n B e s t a r b e i t s p l ä n e n " , 10. 2. 1942; ebenda, „ A u f t r ä g e , die R M Dr. T o d t in den H a u p t a u s s c h u ß b e s p r e c h u n g e n a m 5. u n d 6. F e b r u a r 1942 aufgegeben h a t " , v . 17. 2. 1942. 72 E b e n d a , R s . Speers a n die Gauleiter, 18. 2. 1942.
Die Reorganisation staatsmonopolistischer Machtorgane
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sierung dem Volk aufbürden, so bedurfte man dringender als zuvor der unmittelbaren Unterstützung der Nazipartei. Auch die sich innerhalb der Bourgeoisie dadurch verschärfenden Gegensätze, daß die wirtschaftliche Regulierungsgewalt in den Händen einer kleinen Clique führender Rüstungsmonopole scharf konzentriert wurde, erforderten ein solches Vorgehen. Kein Geringerer als Wilhelm Zangen propagierte bereits im Herbst 1941, als sich das Fiasko der Blitzkriegsstrategie abzeichnete, als unabdingbar und richtungweisend für die weitere Entwicklung der gesamten sogenannten Organisation der gewerblichen Wirtschaft die Idee, „daß die Organisation den'Anschluß an das politische Kraftnetz der Nation mehr als bisher finden müsse". 73
Der
Ministerwechsel
A m 7. Februar 1942 flog der Reichsminister für Bewaffnung und Munition nach Rastenburg zu Hitler und beriet sich lange mit ihm. A m 8. Februar verunglückte er auf der Rückreise tödlich bei einem Flugzeugunfall. Da der eingeleitete Reorganisationsprozeß in der Kriegswirtschaft aber offensichtlich keinen Aufschub duldete, designierte Hitler noch am selben Tage den Architekten, Bau- und Rüstungsmanager Albert Speer zu Todts Nachfolger. A m 9. Februar gab die Reichskanzlei die Ernennung des neuen Ministers bekannt, und am 15. Februar wurde sie im Reichsgesetzblatt offiziell verkündet. 74 Abwegig ist die Behauptung bürgerlicher Historiker, T o d t habe Hitler aufgefordert, den Krieg als aussichtslos zu beenden 75 ; widersinnig in diesem Fall auch die Vermutung, die SS habe seinen Tod auf ihrem Mordkonto. 7 6 Todt reiste zu Hitler, um ihm von der Rüstungstagung vom 4. bis 6. Februar zu berichten und ihn aufzufordern, entsprechend den Wünschen der führenden Rüstungsmonopole dem Munitionsministerium diktatorische Vollmachten zur Regulierung der Kriegswirtschaft zu übertragen. Diese Forderung mußte bei Hitler auf fruchtbaren Boden fallen; denn die Absichten Todts und der Monopole entsprachen voll und ganz der neuen Rüstungskonzeption, die Hitler selbst durch seine Unterschrift unter die Erlasse v o m 3. Dezember 1941 und 10. Januar 1942 in K r a f t gesetzt hatte. Immerhin mochte ihm eine klare Entscheidung zu Todts Gunsten nicht leichtfallen, da sie schwere Eingriffe in die Machtsphäre anderer Dienststellen und Institutionen des
73 Radandt, Hans, Eine Rede von Wilhelm Zangen, in JfW, 1962, T. 2, S. 205. 74 RGBl. 1942 I, S. 80. 75 Janssen, S. 33. — Quelle für diese Erfindung sind die schon erwähnten „Mitteilungen" Walter Rohlands lange nach dem Krieg, in denen Rohland aus durchsichtigen Motiven behauptet, Todt habe den Krieg für verloren erklärt und Hitler im Einverständnis mit ihm bedrängt, den Krieg zu beenden. Vermutbar ist lediglich, daß Todt (und Rohland) die kriegswirtschaftlichen Risiken eines langen, entfalteten Zweifrontenkrieges erkannten und erwogen, da bis Ende 1941, wie leicht einzusehen, der Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Resonders kompakte Apologie Todts als „Widerstands"helden bei Ludwig {Ludwig, Technik, S. 388ff. u. passim); neuerdings bei Schmidt, Matthias, Albert Speer: Das Ende eines Mythos. Speers wahre Rolle im Dritten Reich, Bern/München 1982, S. 71 ff. 76 Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg (1947ff.) (im folgenden: IMG), Bd. 16, S. 477, Vernehmung Speers, 19. 6. 1946; Schwerin v. Krosigk, Lutz Graf, Es geschah in Deutschland. Menschenbilder unseres Jahrhunderts, Tübingen und Stuttgart 1951, S. 299f.; Thorwald, Jürgen, Die ungeklärten Fälle, Stuttgart (1950), S. 140f. Letzthin dazu kritisch Schmidt, S. 75f.
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Der Zusammenbruch des wirtschaftlichen Blitzkriegskonzepts
Regimes nach sich ziehen mußte, insbesondere der Wehrmacht und Görings als Beauftragten für den Vierjahresplan, ferner Funks, Leys und anderer Satrapen. So war beispielsweise ein Gesprächsthema Todts bei Hitler — das einzige schriftlich überlieferte — die Forderung nach einem „Verbot der Reden Dr. Leys über Rüstung ohne vorherige Abstimmung (gegen Kommissionsarbeit)". 77 Aus Tagebuchnotizen Goebbels' geht hervor, daß Goebbels und besonders Ley zu diesem Zeitpunkt noch große Hoffnungen hegten, sich der führenden Position auf dem Gebiet der „Leistungssteigerung", d. h. vor allem der Steigerung der Ausbeutung der deutschen und ausländischen Arbeiter, bemächtigen zu können: „Der Führer möchte Dr. Ley und mich noch einmal in der Frage des Arbeitseinsatzes und der Leistungssteigerung sprechen. Bis dahin werden unsere Verlautbarungen noch zurückgehalten. Es hat sich jetzt doch herausgestellt, daß das Problem schwieriger ist, als man zuerst gedacht hatte. Ich werde mich noch einmal in seine Einzelheiten vertiefen und werde dann im Zusammenhang auch mit dem ganzen Problem des Arbeitermangels dem Führer Vortrag halten." 7 8 Am Tage der Besprechung Todts mit Hitler notierte Goebbels: „Das Problem der Leistungssteigerung ist nun sehr akut geworden. Der Führer will sich selbst damit beschäftigen und hat sogar die Absicht, unter Umständen in dieser Angelegenheit nach Berlin zu kommen, um in einer großen Besprechung die Einzelheiten zu klären. Vielleicht wird er selbst zu diesem Problem öffentlich das Wort ergreifen." 7 9 > Die Version von einem Attentat auf Todt ist reine Spekulation. Allerdings sind politisches Gangstertum und Mord probate Mittel tdes Imperialismus und besonders jedes faschistischen Regimes. Die Möglichkeit, daß Todt von Konkurrenten und Gegnern beseitigt wurde, ist daher nicht völlig auszuschließen. Sucht man nach Kräften, die den Plänen des Munitionsministers aus ernst zu nehmenden Motiven feindselig gegenüberstanden, so kamen dafür in allererster Linie die Luftwaffenführung und die um die Vierjahresplanorganisation gruppierten Monopole unter Führung der IG Farben, als deren politischer Exponent also Göring in Betracht. 8 0 Diese Fraktion der herrschenden Klasse verfocht seit jeher besonders hartnäckig die Blitzkriegsstrategie bzw. das Blitzkriegskonzept in der Kriegswirtschaft. Sie konnte nicht darüber im Zweifel sein, daß umfassende kriegswirtschaftliche Vollmachten für Todt endgültig das Ende ihrer Konzeption, insbesondere ihrer Ausnahmestellung und Vorherrschaft in Rüstung und Kriegswirtschaft bedeuteten. Zählebige Legenden werden in reaktionären bürgerlichen Geschichts- und Memoirenwerken auch über Speer verbreitet: Obwohl vorher als Künstler so gut wie gar nicht mit der Materie befaßt, habe er mit genialer Intuition und Improvisation die Kriegswirtschaft eigentlich erst auf die Beine gestellt und sie zu einer beispiellosen Höhe geführt. Speer war langjähriger Leibarchitekt Hitlers und der Nazipartei. Er war verantwortlich für den hohlen Gigantismus der Bauten auf dem sogenannten Reichsparteitagsgelände in Nürnberg und der Reichskanzlei in Berlin. In den riesigen Vorhaben, die er als „General77 BA Koblenz, R 3/1989, Karl-Otto Saurs „Stichworte für die Rüstungskartei" (im folgenden: Saur, Stichworte), 7. 2. 1942. — Milward erwähnt die Einführung von Festpreisen als weiteres Gesprächsthema zwischen Hitler und Todt am 7. 2. (Milward, Kriegswirtschaft, S. 65). 78 ZStA Potsdam, FS, Film 10803, TB Goebbels, Eintr. v. 6. 2. 1942. 79 Ebenda, Eintr. v. 7. 2. 1942. 80 Todt stürzte mit einer Maschine ab, die ihm Luftwaffenmarschall Hugo Sperrle zur Verfügung stellte; die ergebnislose Untersuchung des Unfalls leitete Milch. Göring erschien, nach Speers Zeugnis, verblüffend kurze Zeit nach dem Unfall bei Hitler und bemühte sich um die Übertragung von Todts Vollmachten auf sich (Speer, Erinnerungen, S. 211).
Die Reorganisation staatsmonopolistischer Machtorgane
57
bauinspektor für die Reichshauptstadt" projektierte, fanden die Weltherrschaftsgelüste des faschistischen deutschen Imperialismus ihren architektonischen Niederschlag. In seiner Position war er aufs beste mit den Verhältnissen des Bauwesens vertraut und mit den Beherrschern der großen Konzerne der Bauindustrie intim bekannt. Leiter der Wirtschaftsgruppe Bauindustrie war der in faschistischen Kreisen einflußreiche Eugen Vogler, ein Altnazi und Bruder Albert Voglers; Eugen Vogler war Vorstandsvorsitzer der Hochtief AG, eines der größten Konzerne der deutschen Bauindustrie. Offizielle Zusammenarbeit und persönliche Bekanntschaft verbanden Speer mit Todt, der ihm in seiner Eigenschaft als GB Bau unmittelbar übergeordnet war. Seine und Todts Dienststellen in Berlin lagen benachbart am Pariser Platz. Nach Kriegsbeginn übernahm Speer die Leitung der Rüstungsbauten der Luftwaffe 8 1 und konnte in dieser Funktion umfangreiche Erfahrungen in wichtigen Bereichen der Kriegswirtschaft sammeln. Er war seitdem vor allem für die Bauvorhaben des Ju-88-Programms verantwortlich. 82 Seit Mitte 1941 leitete er die Großbauten für das Göringprogramm. 83 Aus jenen Jahren rührten seine besonders engen Beziehungen zur Luftwaffe, besonders zu Generalfeldmarschall Milch, und zu den Konzernen der Flugzeug-, der Maschinenbau- und •der Elektroindustrie her. In seinen Aufgabenbereich gehörten auch Bauten für das UBoot-Programm der Kriegsmarine und für die Heeresleitung, besonders der Ausbau der Raketenversuchsanstalt Peenemünde, ferner die großen Luftschutzbauten (Bunker) in Berlin. 84 Am 1. Oktober 1941 standen 1352 Rüstungsvorhaben des Luftwaffen- und des U-BootProgramms unter der Betreuung des „Baustabes Speer", davon 83 Neubauten großer Werke. 85 Zu dieser Zeit war mit 98000 Mann auch die höchste Zahl der insgesamt vom Baustab beschäftigten Arbeitskräfte erreicht; ungefähr zwei Drittel davon arbeiteten für die Luftrüstung. 86 Speer nahm schließlich in der Parteihierarchie einen beachtlichen Posten ein. Er gehörte selbst zur unmittelbaren Umgebung Hitlers und hatte gute Verbindungen zu Gauleitern und Reichsstatthaltern, zu Leitern der größstädtischen Verwaltungen und zu zahlreichen anderen Honoratioren des Regimes. In der DAF leitete er das unter seiner maßgeblichen Mitwirkung entstandene „Amt Schönheit der Arbeit". 87 Außer mit der Führung von Luft«1 Am 10. 11. 1939 (BA Koblenz R 43 11/607). 82 ZStA Potsdam, FS, Film 1754, Protok. d. Besprechg. Thomas' mit den Rüln am 8./9. 1. 1940; Speer, Erinnerungen, S. 197. Speer selbst bewertete seine Tätigkeit in der Luftrüstung und seine dort gesammelten Erfahrungen hoch: „Ich hatte vor der Übernahme meiner Ämter wesentlichen Anteil an dem schnellen Aufbau der Rüstungsindustrie der Luftwaffe. Ich sah jedoch hier von unten her viele grundsätzliche Fehler, die mir in der Spitze verborgen geblieben wären. Viele meiner heutigen Erkenntnisse waren bereits damals vorhanden und manche heutige Maßnahme nur durch diese Arbeit hervorgerufen." (BA Koblenz, R 3/1547, Rede vor den Gauwirtschaftsberatern, Gauamtsleitern f. Technik u. Gauobleuten der DAF, 18. 4. 1942). 83 ZStA Potsdam, FS, Film 4566, Erl. GB Bau v. 2. 7. 1941: Speer habe „im Auftrage des Reichsmarschalls die Baumaßnahmen des Göringplanes durchzuführen". Siehe S. 14. 84 BA Koblenz, R 3/1591, Speer an Milch, 19. 11. 1941; Speer, Erinnerungen, S. 182 u. S. 197. 85 Chronik des RMfBuM, 1941, Bl. 71, Eintr. betr. Vortrag Speers b. Hitler am 17. 10. 1941; ebenda, Bl. 87, 19. 12. 1941. — Die Bauvorhaben des Baustabes Speer verschlangen von Sept. 1939 bis Sept. 1940 722 Mill. RM, von Okt. 1940 bis Juni 1941 380 Mill. RM und sollten sich von Juli 1941 bis Sept. 1942 noch einmal auf ca. 700 Mill. RM belaufen (ebenda, Bl. 71). 86 Ebenda. 87 BA Koblenz, R 3/1660, Eigenhändiger Lebenslauf Speers, o. D. (1945).
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Der Z u s a m m e n b r u c h des wirtschaftlichen B l i t z k r i e g s k o n z e p t s
waffe und Kriegsmarine verknüpften ihn auch mit der Heeresgeneralität viele Fäden; „besonders nahe" stand ihm Generalfeldmarschall v. Reichenau. 88 Speer war Ende Dezember 1941 von Hitler auf eigenen Vorschlag zum Verantwortlichen für Reparatur und Ausbau der Eisenbahnanlagen in der Ukraine ernannt worden und hatte eine neue Dienststelle „Baustab Speer — Ostbau" ins Leben gerufen. „Dafür wurden in erster Linie alle Techniker, das Aufsichts- und Bauleitungspersonal und dann weiter die deutschen Bauarbeiter erfaßt und von der Neugestaltung (Berlins — D. E.) weggezogen. In zweiter Linie mußte ich zur Durchführung dieser Aufgaben sehr erhebliche Eingriffe in den Bestand der Bauarbeiter und Techniker der von mir seit Beginn des Krieges betreuten Bauten der Luftwaffenrüstung vornehmen." 8 9 Von den 65000 deutschen Bauarbeitern, die ihm noch unterstanden, ließ Speer 30000 nach Osten transportieren. 9 ^ Von Mitte Januar 1942 an rollten ununterbrochen Züge mit Bauarbeitern und Maschinen für das „Ostbauprogramm" in die Ukraine. 9 1 Am Tage seiner Beauftragung mit den „Einsatzaufgaben im Osten" 9 2 , dem 27. Dezember 1941, hatte Speer eine vertrauliche Unterredung mit Todt 9 3 , in der erörtert wurde, wie ernst die Situation und wie dringlich durchgreifende Maßnahmen seien. An diesem und am folgenden Tag teilten beide die Einsatzgebiete in den besetzten Teilen der U d S S R zwischen Organisation Todt (OT) und Baustab Speer auf. 9 4 Die Wahl Speers zum Nachfolger des Munitionsministers war unter diesen Vorzeichen kein Zufall und kam den Beteiligten auch nicht völlig überraschend. 95 Hitler war außerdem klar, daß Speer nach der Niederlage vor Moskau, die dem Städtebau und den Parteibauten, jedenfalls in ihrem bisherigen Umfang, Einhalt gebot, mehr oder weniger disponibel war. Speers gute Bekanntschaft und enge fachliche Verwandtschaft mit Todt waren bekannt. Hitler hatte Speer schon 1940 Teile von Todts Aufgabengebiet übertragen wollen. 96 Todt und Speer trafen sich am 7. Februar 1942 zweifellos zufällig in Hitlers Hauptquartier. Es ist indessen nicht ausgeschlossen, daß in den langen und schwerwiegenden Beratungen zwischen Todt und Hitler gerade Speer als möglicher Ersatz für Todt ins Gespräch kam — wenigstens für bestimmte Arbeitsgebiete des Ministers, von denen dieser hätte entlastet werden können. Göring hatte an Speers Ernennung keinen Anteil. Immerhin erschien ihm, nachdem seine eigenen Ambitionen unberücksichtigt geblieben waren, der neue Minister, der jahrelang die Rüstungsbauten der Luftwaffe hatte aus dem Boden stampfen helfen und zudem sein Privatarchitekt war, noch am brauchbarsten und unverdächtigsten von allen möglichen Nachfolgern. Er sah in ihm eine gute Stütze für seinen Rüstungschef Milch und vermutete noch keine Gefahr für seine eigene Stellung als Beauftragter für den Vierjahresplan. Am Morgen des 9. Februar 1942 wurden bereits „die Rüstungsleute von der Ernennung 8 8 E b e n d a , R 3/1593, Speer an v. Reichenau, 30. 7. 1942. 89 Z S t A P o t s d a m , F S , F i l m 3385, A N Speer v . 22. 1. 1942. Vgl. a u c h Chronik des RMfBuM, 1941, B l . 8 7 f f . ; Speer, Erinnerungen, S . 199f. 90 Speer, Erinnerungen, S. 200. 9 1 Chronik des RMfBuM, 1942, Bl. 3 ; Speer, Erinnerungen, S . 541 A n m . 1. 92 Z S t A P o t s d a m , F S , F i l m 3385, A N Speer, v. 22. 1. 1942. 93 Speer, Erinnerungen, S. 200. 94 Chronik des RMfBuM, 1941, B l . 8 8 f . , 27. u. 28. 12. 1941. 95 Speer selbst b e m ü h t e sich 1945 als Gefangener, seine E r n e n n u n g als Z u f a l l und als überraschend hinzustellen ( M i l w a r d , K r i e g s w i r t s c h a f t , S. 69). 9 6 Speer, Erinnerungen, S . 210.
Die Reorganisation staatsmonopolistischer Machtorgane
59
unterrichtet". 9 7 Damit stellten sich sowohl die Chefs der Wehrmachtsrüstung als auch die Spitzen des deutschen Finanzkapitals auf das neue Ereignis ein. Am gleichen Tag wurde Speer zum Nachfolger Todts auch als GB Bau und als Chef der OT, als Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen 98 und als Generalinspektor für Wasser und Energie, am 11. Februar unter Verleihung des hohen Parteiranges eines Oberbefehlsleiters zum neuen Leiter des Hauptamtes für Technik der N S D A P und zum Leiter („Reichswalter") des N S B D T berufen. 99 Der Wechsel auf dem Ministerposten erleichterte es Hitler, den neuen Minister von vornherein mit stark erweiterten Vollmachten und Machtbefugnissen auszustatten. Dadurch gelang es den um das Ministerium gruppierten monopolistischen Kräften, den Umbau des staatsmonopolistischen Mechanismus in der Kriegswirtschaft wesentlich zu beschleunigen und zu vertiefen. Doch es bedurfte noch des unmittelbaren Eingreifens der Finanzoligarchie, ehe die endgültige Entscheidung über die von allen Seiten geforderte kriegswirtschaftliche Kommandozentrale zugunsten des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition fiel. Andere zentrale kriegswirtschaftliche Instanzen und führende Repräsentanten des Regimes betrachteten die Gelegenheit als günstig, den Machtbereich des Munitionsministers zu ihren eigenen Gunsten abzubauen. „Hanneken willdie Energie zum Wirtschaftsministerium zurückhaben", notierte man am 9. Februar im Munitionsministerium. 100 Einen Tag später erhob Ley in der Presse „den Führungsanspruch, (in) der Technik durch die D A F " . 1 0 1 Am 12. Februar rüstete der neue Minister zum Gegenschlag. Er hielt nachmittags bei Hitler zum ersten Mal Vortrag „über die Leistungssteigerung der Rüstungswirtschaft". 1 0 2 Man kann als sicher annehmen, daß er vorher — möglicherweise noch am Vormittag, anläßlich der pompösen Trauerfeier für Todt — die führenden Monopolvertreter, zumindest Zangen und Vogler oder Rohland, konsultierte, die vermutlich ihrerseits die Gelegenheit wahrnahmen, mit Hitler zu sprechen. Speer verlangte und erhielt an diesem Tag bei Hitler große Vollmachten und Handlungsfreiheit für mögliche Auseinandersetzungen, von der er in einer anschließenden Besprechung mit Bormann und Ley sogleich Gebrauch machen konnte 1 0 3 und die er am nächsten Tag dringend benötigen sollte. Die „Chronik" •des Munitionsministeriums vermerkte zunächst am 12. Februar: „Versuchte Einbrüche in
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Rationalisierung und Kriegsproduktion
332 Tabelle 52 Das „ Waffenprogramm" Produktion in Stck.)
von 1942 und seine Erfüllung (Auswahl; Monatsdurchschnitt bzw. Monats-
Waffentyp
Produktion Programmziel im Jahre 1941
Zielmonat
Tatsächliche Produktion im Zielmonat
Karabiner 98 k MG 1. Gr. W. 36
113212 7126 484
250000 13000 750
Dezember 1943 Juli 1943 Dezember 1942
378
1500
Dezember 1942
172
500 500
November 1942 November 1942
1.1. G. 18 s. I. G. 33 1. F. H. s. F. H. 10 cm Kanone 18 2 cm Flak
93 41 97 43 9 623
170 80 600 150 75 1320
Juli 1943 Juli 1943 Dezember 1943 Dezember 1943 Juli 1943 Dezember 1942
3,7 cm Flak 8,8 cm Flak 0,5 cm Flak
100 156 43
1000 300 100
Dezember 1943 Juli 1943 Dezember 1943
207153 14641 750 (November 1942) 1555 (Januar 1943) 529 290 (Januar 1943: 500) 170 77 660 182 35 1706 (Januar 1943) • 424* 373 117
s. Gr. W. 34 5 cm Pak 38 7,5 cm Pak 40
—
* Minderausstoß wegen Umstellung auf eine Neukonstruktion Quelle: Weyres-v. Levetzow, S. 67, S. 70f.
Tabelle 53 Produktion ausgewählter Arten von Waffen 1942/1943 (in Waffentyp
1942
1943
Karabiner- Selbstlader K 41 und K 43 MG 42 Sturmgewehr 44 Granatwerfer 8 cm und 12 cm Flammenwerfer Flieger-MG 131 Flieger-MG 151 Le. Feldhaubitze 10-cm-Kanone 10,5-cm-Gebirgshaubitze 40 12,8-cm-Flak
6778 17915 91 9780 4618 7275 24909 1285 135 30 65
94806 119875 31218 22955 11480 35022 57647 4337 454 104 298
Quelle: Bleyer, Rüstungsbericht; „Ausstoß-Übersicht".
Stck.)
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
333
Wohl der neuralgischste P u n k t für das faschistische Heer war die Panzerabwehr. Neue Abwehrwaffen und schwere P a k wurden mit äußerster Beschleunigung produziert, ohne daß sie die Wirkung der sowjetischen Panzerwaffe wesentlich herabmindern konnten. Die 7,5-cm-Panzerabwehrkanone P a k 40 war 1943 das meistproduzierte Heeresgeschütz. Die Produktion der Panzerabwehr(raketen)geräte „Panzerschreck" und „Panzerfaust" lief im August 1943 an und erreichte größere Serien erst im letzten Quartal des Jahres. „Im allgemeinen war das deutsche Heer, ungeachtet aller Rückzüge und Verluste, Anfang 1944 besser mit Waffen ausgerüstet als zu Beginn des Rußlandkrieges." 1 7 7 Tabelle 54 Produktion von Panzerabwehrwaffen 1942/1943 (in Stck.) Waffentyp
1942
1943
Leichte Pak bis 7,5 cm (ohne Pak 40) 7,5-cm-Pak 40 8,8-cm-Pak 43 Panzerschreck („Ofenrohr") Panzerschreck-Geschosse Panzerfaust (Faustpatronen)
6651 2112 — —
10437 8739 1155 50830 173 000 350000
Quelle: „Ausstoß-Übersicht"; Schnellberichte R E F ; Deutschlands Rüstung im Zweiten Weltkrieg, S. 23 (leichte Pak).
Panzer Der Panzerwagen war für die Faschisten in den Jahren 1941 und 1942 die entscheidende Offensivwaffe ihrer Landstreitkräfte, mit der sie auf dem Hauptkriegsschauplatz, an der deutsch-sowjetischen Front, die Entscheidung des Krieges herbeiführen wollten. Die Forderungen der Wehrmacht nach mehr Panzer- und motorisierten Infanteriedivisionen beherrschten die sogenannten Panzerbesprechungen bei Hitler. 1 7 8 Die aufeinanderfolgenden „Panzerprogramme" beschrieben bis zum F r ü h j a h r 1942 allerdings eine Fieberkurve, deren Einschnitte im Sommer 1941 von den Illusionen des Göringprogramms und Ende 1941/Anfang 1942 von bestimmten Einsichten in die Kampfkraft der sowjetischen Panzerabwehr geprägt waren. 179 Die Panzerbesprechung am 29. November 1941, über deren Hintergrund die bürgerliche Historiographie mancherlei Legenden gesponnen hat, 1 8 0 bedeutete insofern eine Wende, 177 The Effects, S. 187. 178 Saur, Stichworte, numeriert die Panzerbesprechungen mit Todt: Nr. 1: 18. 2. 1941; Nr. 2: 26. 5. 1941; Nr. 3: 29. 11. 1941; Nr. 4: 23. 1. 1942. 179 Vgl. ebenda, Panzerbesprechung Nr. 3 und 4. 180 Ludwig behauptet z. B., ohne zuverlässige Quellen anzugeben: „Am 29. November 1941 wurde Hitler in einer der Zusammenkunft von Vertretern der Wehrmacht und der Industrie vorausgehenden Vorbesprechung von Todt aufgefordert, den rüstungstechnisch und militärisch verlorenen Krieg mit politischen Mitteln zu beenden." Als „Beweis" führt Ludwig an: „Die Niederschrift der folgenden Hauptbesprechung in der Reichskanzlei erweist, daß sich Hitler erst in einem seiner langen Monologe wieder zu fassen vermochte." (Ludwig, Karl-Heinz,
Rationalisierung und Kriegsproduktion
334
als Hitler, inspiriert von Todt und den Leitern des Sonderausschusses Panzerwagen, angesichts schwerster Panzerverluste seit Oktober 1 8 1 die moderne Massenproduktion einheitlicher und vereinfachter Konstruktionen als kriegsentscheidendes Problem nannte und sich scharf gegen das Nebeneinander- und Gegeneinanderkonstruieren ausgeklügelter Panzertypen aussprach: „Es ist ein bitterer Irrtum zu glauben, daß wir in der Ausschöpfung fabrikatorischer Möglichkeiten ein führender Staat sind. Die Konstruktionen stehen im Gegensatz zu den praktischen Produzierungsmöglichkeiten." Es müsse „sehr viel weitgehender bei den Konstruktionen auf die Produktion Rücksicht genommen werden. Es empfiehlt sich, hierzu vornehmlich die Privatindustrie beratend heranzuziehen. ... Durch Vereinfachung der Konstruktionselemente muß die flüssige Massenproduktion gefördert werden." 1 8 2 In der Folgezeit setzten das Munitionsministerium und die Rüstungsmonopole den Kurs auf die Massenproduktion modernerer, schwererer Panzer allmählich durch. Er schlug sich 1942 allerdings noch weniger im Produktionsausstoß und in der Verminderung des oft beklagten Typenwirrwarrs nieder als vielmehr in der konstruktiven und fabrikatorischen Vorbereitung der Produktion solcher Panzer. Förster/Paulus stellen im Hinblick auf 1942 mit Recht fest: „Weder gelang es, das Bauprogramm zu vereinfachen und auf wenige Typen bzw. deren Arten zu begrenzen, noch konnten die Fertigungszahlen schnell nach oben gedrückt werden." 1 8 3 Mit dem „Adolf-Hitler-Panzerprogramm" unternahmen die herrschenden Kreise im Jahre 1943 eine gewaltige kriegswirtschaftliche Kraftanstrengung. Mit einer nie dagewesenen Panzerstreitmacht wollten sie die Initiative an der deutsch-sowjetischen Front unter allen Umständen wieder an sich reißen. Daten zur Entstehung
des
„Adolf-Hitler-Panzerprogramms"
„7.-9. Sept. 1942 AH fordert ein Panzerprogramm mit Ziel Frühjahr 1944 von 1100 gepanzerten Fahrzeugen (800 Stück Panzer und 300 Sturmgeschütze) und 300 SFL. 21. Sept. 1942 Führer fordert eine wesentliche Steigerung der Panzerproduktion, da besonders schwere Panzer erneut von besonderer Bedeutung. Die 90 Porsche Versuchstiger sollen auf Sturmgeschütz mit Die wohlreflektierten „Erinnerungen" des Albert Speer, in GWU, 11/1970, S. 699f.). Diese Behauptungen sind aus der Luft gegriffen und stützen sich allein auf obskure „Mitteilungen" Walter Rohlands (nach Janssen, S. 33). In Wirklichkeit wurde von Hitler in diesen Tagen gemeinsam mit Todt und dem OKW der „geniale" Erlaß vom 3. 12. 1941 verfaßt (s. S. 297 f., ferner S. 35f.). Die Ausführungen Hitlers auf der „Hauptbesprechung", d. h. der Panzerbesprechung, waren, jedenfalls nach dem Schmundt'schen Protokoll, klar und präzis und liefen voll und ganz auf die in dem genannten Erlaß niedergelegten kriegswirtschaftlichen Richtlinien hinaus (s. d. Protokoll in ZStA Potsdam, FS, Film 1742). — Ludwig, der sich 1968 noch eher skeptisch gegenüber den Erfindungen Rohlands und Janssens verhielt {Ludwig, Karl-Heinz, Die deutsche Kriegs- und Rüstungswirtschaft 1939—1945. Ein Bericht über den Forschungsstand, in Militärgeschichtliche Mitteilungen, 2/1968, S. 153 f.), bezog also 1970 eine eindeutig apologetische Linie, die er später (1974) zu einem System der Verklärung Todts als „Widerstands"helden gegen Hitler ausbaute (Ludwig, Technik, S. 382 f., S. 388 ff. und passim). 181 Siehe The Effects, S. 165. 182 ZStA Potsdam, FS, Film 1742, Prot. d. „Panzerbesprechung" v. 29. 11. 1941, v. 7. 12. 1941. 183 Förster, Gerhard/Paidus, Nikolaus, Abriß der Geschichte der Panzerwaffe, Berlin 1977, S. 205.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
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8,8 L 71 umgearbeitet werden (wurden am 12. 5. [1943] m i t 200 m m Front[panzerung] ausgeliefert). 2. Okt. 1942 Vorführung Sturmgeschütz I I I mit eingebauter 1FH. Vorlage v o n Zeichnungen der S F L auf Fahrgestell IV f ü r 8,8 P a k und s F H . Forderung je 100 bis 12. 5. 1943 (wurde voll gehalten). 2. Okt. 1942 Forderung eines organischen Sturmgeschützes mit neuem Spezial-sIG auf Fahrgestell I V zum F r ü h j a h r 1943 (Auslieferung der ersten 60 erfolgte zum 12. Mai [1943]. Das neue Sturmgeschütz wurde von Skoda geschaffen). 5. Nov. 1942 Vormittags telefonische Führer-Forderung an Speer auf höchste Steigerung der Tiger. Sofortige Zusammenziehung aller Beteiligten in Kassel. Nachmittags dort Festlegung, daß gegenüber dem am 3. 11. aufgestellten P l a n von 13 Stück 25 Stück im November fertig werden müssen. (Zahl wurde gehalten und wesentlich erhöht aufgestelltes P r o g r a m m f ü r folgende Monate noch überschritten). 8. Nov. 1942 Beginn der Panzerkommissionssitzung auf der W a r t b u r g . 9. Nov. 1942 Fortsetzung der Panzerkommissionssitzung auf der W a r t b u r g . Entscheidung über Tiger I I u n d Aussprache über Motor- und Getriebefragen. 2. Dez. 1942 Erste Vorlage eines E n t w u r f e s f ü r das Adolf-Hitler-Programm. V o r f ü h r u n g neuer P a n z e r t y p e n . 26. Dez. 1942 Besuch bei MAN betreffend Panther-Anlauf. 3. Jan. 1943 Panzerbesprechung bei A H . Streichung des „Leoparden". Entscheidung f ü r „Mäuschen" nach Vorschlag von Porsche. B a u bei Krupp, Montage bei Alkett. 17. Jan. 1943 Führerbesprechung betreffend starke Steigerung der Panzerproduktion. Zusage f ü r eine entsprechende Vollmacht über Vordringlichkeit. Telegrafische Rücksprache m i t Rohland. Zuvor mündliche Zusage von mir, daß Sturmgeschütz u n d Panzer I V sofort, P a n t h e r u n d Tiger ab Mai bei größten Anstrengungen gegenüber Entwurf bisheriges A H - P r o g r a m m gesteigert werden können (trotz schriftlich festgelegter Einwände v o n H a u p t a u s s c h u ß u n d W a f f e n a m t voll gehalten). 18. Jan. 1943 Fernschreiben von Dr. Rohland (Hauptausschuß) u n d General Philipps (Heereswaffenamt), daß Panzerproduktion nicht n u r nicht gesteigert werden k a n n , sondern bisherige Zusage nicht gehalten werden könnte, da größte Schwierigkeiten. Neue P l a n u n g sei nicht vor J u n i möglich. 22. Jan. 1943 AH unterschreibt die in der Zwischenzeit mit allen Beteiligten abgestimmte Panzervollmacht f ü r das erhöhte A H - P r o g r a m m . 22. Jan. 1943 „Aufruf an die Rüstungsschaffenden im Panzerbau (Anschlag)." 1 8 4
Mehrere neue große Panzerwerke, wie das in Falkensee (Demag-Konzern), wurden seit Anfang 1943 buchstäblich aus dem Boden gestampft. Bedeutende Kapazitäten anderer Produktionszweige, besonders der Kraftfahrzeugindustrie, wurden auf Panzerproduktion umgestellt, etwa Sektoren des MAN-Konzerns und der Firma Borgward, 185 aber auch 184 Zusammengestellt aus Säur, Stichworte. Zum Hitler-Panzerprogramm s . a . S. 121 ff. 185 ZStA Potsdam, RWiM, Nr. 9088, Bl. 225f., P r o t . d. Sitzung d. Wigru Fahrzeugindustrie v. 24. 3. 1943, A u s f ü h r u n g e n d. neuen Leiters Wilhelm Schaaf. 23
Eiehholtz II
336
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Die Entwicklung der Kriegsproduktion
337
das Werk des Daimler-Benz-Konzerns in Berlin-Marienfelde, das bisher Schnellbootmotoren hergestellt hatte. 1 8 6 Im Jahre 1943 lagen Höhepunkt und Abschluß einer technischen Umbewaffnung auf dem Panzersektor, der auch in der Statistik sichtbar wurde. Der Rüstungsminister erklärte auf der Sitzung der Panzerkommission am 21. Dezember 1943, die neuen Panzertypen seien nun zu einem solchen Stand der Entwicklung geführt worden, „daß darauf die künftige Serienfertigung basieren könne. Nunmehr müsse der Schwerpunkt der Arbeiten auf die Verbesserung der geschaffenen Typen gelegt werden." 1 8 7 (Tabellen 55 und 56) Die Produktionssteigerung bei leichten Panzerwagen zog keine Vergrößerung der eigentlichen Panzerwaffe nach sich. Hier handelte es sich hauptsächlich um einen Zuwachs an Mannschaftstransportwagen (Schützenpanzerwagen) mit einem Gefechtsgewicht von rund 6 bis 8,5 Tonnen. 188 Der mittelschwere Panzerwagen III lief im Jahre 1943 in der Produktion aus zugunsten des Panzers IV (beide mit einem Gefechtsgewicht zwischen 22 und 25 Tonnen) und der schweren Panzer, vor allem des „Tigers" (55 Tonnen) und des „Panthers" (ca. 45 Tonnen). 189 Das wirkte sich dahingehend aus, daß 1943 das J a h r des größten relativen Zuwachses an Gefechtsgewicht während des ganzen Krieges war, ferner auch das Jahr des absolut größten Zuwachses an Stückzahl. Diese Tatsache wiegt um so schwerer, als im letzten Quartal gegnerische Luftangriffe auf Kassel (Henschel) und Berlin (Alkett, Daimler-Benz, Ardelt) erhebliche Produktionsverluste verursachten. 190 In der Panzerproduktion spiegelte sich 1943 zugleich der allmähliche, zuerst zögernde Übergang von der Offensiv- zur Defensivbewaffnung des Heeres in aufschlußreicher Weise wider. Schon im ersten Halbjahr 1943 wies die Produktion von Sturmgeschützen — relativ schnellen, beweglichen Panzerfahrzeugen ohne Drehturm mit großkalibrigen Geschützen und starker Frontpanzerung, die eine wirksame Panzerabwehr darstellten — eine besonders rasch steigende Tendenz auf. Allerdings nahmen zugleich die Produktionszahlen von Panzerkampfwagen, der wichtigsten Angriffswaffe des faschistischen Heeres, bedeutend zu, unter weitgehender Umstellung auf die neuen, schweren Typen. Sturmgeschütze und Selbstfahrlafetten (Geschütze auf Panzerchassis mit schwächerer Panzerung) hielten aber, zusammengenommen, den Panzerkampfwagen seit Anfang 1943 zahlenmäßig die Waage. Kraftfahrzeuge 191
Bis 1941 erlitt der Kraftfahrpark der Wehrmacht kaum Verluste. Hingegen war die Beute groß. Die Produktion sank; dennoch stiegen die Bestände. Die Angaben über die Produktion für 1941 sind allerdings lückenhaft und besonders widersprüchlich. 192 186 B A Koblenz, R 3/1576, Daimler-Benz AG an R M f R u K , 2. 2. 1944 (Rationalisierungsbericht). 187 B A Koblenz, R 3/1548, Redeprot. i. Auszug aus d. Bericht der Panzerkommission v. 11. 1. 1944. 188 In der Statistik werden diese leichtgepanzerten Fahrzeuge häufig nicht unter Panzerwagen geführt, sondern unter K r a f t f a h r z e u g e n , was die meisten statistischen Differenzen erklärt (s. z. B . The Effects, S . 163, T a b . 86, u. S. 278f., T a b . 104 f.). 189 Gewichtsangaben nach Förster/Paulus, S. 209 ff. 190 Weyres-v. Levetzow, S. 142. 191 Hierunter sind in der diesbezüglichen Rüstungsstatistik zu verstehen: L K W , P K W , K r a f t räder, Zugkraftwagen u. a. ungepanzerte (Halb-)Kettenfahrzeuge. 192 Die Angaben über L K W für 1941 differieren u m fast 40 Prozent zwischen 62400 ( B l e y e r , Rüstungsbericht; The Effects, S. 175; Deutschlands Rüstung im Zweiten Weltkrieg, S. 24) und 23*
Rationalisierung und Kriegsproduktion
338 Tabelle 57 Produktion von Kraftfahrzeugen 1939—1944 Jahr
LKW* (Stck.)
davon für Wehrmacht (Prozent)
PKW (Stck.)
davon für Wehrmacht (Prozent)
1939 1940 1941 1942 1943 1944
101745 87888 86147 80512 92959 77177
32 61 59 72 80 87
250788 67561 35165 27895 34478 21656
8 42 77 87 95 97
* Offensichtlich incl. „Maultier" 3 t (ab 1942) und 4,5 t (ab 1943); vgl. Bleyer, Rüstungsbericht, S. 363 Quelle: The Effects, S. 281, Tab. 108. Einigermaßen sicher ist, daß im J a h r e 1942, nach den außergewöhnlich hohen Verlusten im Herbst 1941 und im Winter 1941/42, die Kraftfahrzeugproduktion allgemein und vor allem auch die LKW-Produktion zu steigen begann. Der Zuwachs an LKW-Produktion kam jedoch gänzlich aus Werken in den faschistisch besetzten Gebieten (z. B . Renault und Ford in Frankreich), die bereits 1942 drei Achtel der Gesamtproduktion lieferten. 1 9 3 Die Inlandproduktion ging sogar zurück. Während die Wehrmacht 1942 im allgemeinen noch ausreichend mit Fahrzeugen versorgt war und ihre Vorräte noch auffüllen konnte — auch auf Rechnung des wesentlich höheren Wehrmachtanteils an der Produktion —, führten die horrenden Verluste bei Stalingrad eine Wende herbei. Mit einem Schlag gingen rund 5 0 0 0 0 L K W verloren; die P K W - V e r luste beliefen sich auf mehr als die Jahresproduktion 1942, die Verluste an Zugkraftwagen überschritten die halbe Jahresproduktion. Das daraufhin bedeutend erhöhte Produktionsprogramm für L K W wurde jedoch nur zu rund 80 Prozent, dasjenige für Zugkraftwagen zu 85 Prozent erfüllt. Der fortschreitende Aderlaß der Kraftfahrzeugindustrie an Produktionskapazitäten zugunsten anderer Sektoren der Rüstung, besonders der Panzerproduktion, die kurze Decke an gelernten Arbeitskräften, Werkzeugmaschinen und Rohstoffen hinterließen Wirkung. Dennoch war das J a h r 1943 das J a h r der insgesamt größten Produktionssteigerung bei Kraftfahrzeugen. Besonders hohe Ausstoßzahlen. erreichten schwere Zugkraftwagen und Spezialfahrzeuge für die deutsch-sowjetische Front. 86147 (The Effects, S. 281, Tab. 108). Die Zalüendifferenzen für die folgenden Jahre erklären sich fast restlos aus Hinzurechnung oder Ausklammerung der Produktion des „Raupenschleppers Ost" (seit 1942) und der ungepanzerten SFL „Maultier" (Werferträger mit 3 t (seit 1942) und 4,5 t (seit 1943) zur bzw. aus der LKW-Produktion. In Tabelle 57 werden die Zahlen der langen Reihe aus The Effects, S. 281, Tab. 108, verwendet (Zahlen aus dem HA Kraftfahrzeuge). 193 The Effects, S. 175; hiernach auch das Folgende.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
339
Tabelle 58 Produktion von ausgewählten Kraftfahrzeugtypen
1940 1941 1942 1943 1944
1940 1941 1942 1943 1944
1940—1944 (in
Krafträder
KettenKrad
LKW 3 t
? ?
?
? 43800 51804 49472 38053
? 37700 33080
420 985 2450 4490
Maultier (Werferträger) 3 t —
—
1635 13000 7310
1452 14012 11921
AckerSchlepper
3824 4741 4440 4857 2181
? ? ?
240 240 384 643 834
Raupenschlepper Ost
—
Zugkraftwagen (ungepanzert) 1 1 und 3 t 8 t 18 t 996 1320 1392 3251 3298
Stck.)
14860 10880
Quelle: Bleyer, Rüstungsbericht; Schnellberichte (Krafträder und Ackerschlepper). Flugzeuge
Die Zahlen über die deutsche Flugzeugproduktion differieren in den verschiedenen Quellen 194 nicht unerheblich. Die Gesamtausstoßzahlen gehen allerdings n u r selten um mehr als fünf Prozent auseinander. Doch die Klassifikation der Flugzeuge war je nach der erfassenden Stelle (Luftfahrtministerium/Oberbefehlshaber der Luftwaffe; Rüstungsministerium bzw. Jägerstab; United States Strategie Bombing Survey) so unterschiedlich, daß beispielsweise die Zahlen der Bomber, aber auch der Jäger in den Statistiken stark voneinander abweichen. 195 In den folgenden Tabellen werden aus statistischen Gründen die vertrauenswürdigen und ausführlichen Zahlen des USSBS-Abschlußberichts in zwei verschiedenen Klassifikationen benutzt. Fest steht, daß es sich in allen angegebenen Quellen um produzierte Flugzeuge handelte, von denen nach der statistischen Erfassung ein bestimmter, mit Kriegsdauer wahrscheinlich zunehmender, aber schwer feststellbarer Prozentsatz wegen bei der Abnahme festgestellter Mängel, wegen Schäden oder Vernichtung während der Überführung vom Produktions- zum Abnahme- bzw. Einsatzort seinem Bestimmungszweck nicht zugeführt wurde. 196 194 Vor allem Bleyer, Rüstungsbericht; „Produktionszahlen"; The Effects u. a. Reports des U S S B S ; Groehler, Geschichte des Luftkriegs; Wagenführ. 195 Siehe z.. B. die Gegenüberstellung in The Effects, S. 149. 196 So stellte beispielsweise Milch am 17. 12. 1943 fest (ZP-P, 51. Sitzung): „Der Ausstoß von 2352 Flugzeugen (Oktober 1943 — D. E.) ist kein echter Ausstoß. Es haben fix und fertig soundsoviel hundert Flugzeuge mehr dagestanden als in einem normalen Monat wegen der Wetterlage ... daß 200 bis 300 Flugzeuge mehr gestanden haben, die nicht abgeliefert sind. Nun kommt eine größere Zahl von Flugzeugen dazu, bei denen alles von der Zelle ab fertig ist und bloß die Schraube fehlt oder ein Kondensator oder ein anderes Instrument, das über Bombenschäden kaputtgegangen ist. Unsere Plätze sind vollgestopft mit Flugzeugen."
340
Rationalisierung und Kriegsproduktion
Tabelle 59 Produktion von Flugzeugen 1939—1944 Kriegsflugzeuge insgesamt darunter Stck. Prozent Jhl. Zu- Jäger Prozent Jhl. Zu- Bomber Prozent Jhl. Zu1939 = 100 wachs Stck. 1939 = 100 wachs Stck. 1939 = 100 wachs 1939 1940 1941 1942 1943 1944
8295 10826 11776 15556 25527 39807
100 131 142 188 308 480
—
31 9 32 64 56
1856 3106 3732 5213 11738 28926
100 167 201 281 632 1559
—
67 20 40 125 146
2877 3997 4350 6539 8589 6468
100 139 151 227 299 225
—
39 9 50 31 -25
Quelle: The Effects, S. 277, Tab. 102. Die Verschiebung in der Flugzeugproduktion zugunsten der Jagdflugzeuge seit Anfang 1943 hatte Einfluß auf das durchschnittliche Gewicht je Flugzeug (Zellengewicht), das von seinem Höhepunkt im Jahre 1942 (6,16 Tonnen) auf 5,55 Tonnen im Jahre 1943 und auf 4,39 Tonnen im Jahre 1944 sank. 197 Insgesamt rechnete man für ein Jagdflugzeug mit einem Aufwand an Arbeitsstunden von nur einem Sechstel bis einem Achtel gegenüber dem für einen schweren Bomber. 198 Allerdings schwankten die faschistischen Luftkriegsstrategen und Luftrüstungsplaner in der Frage der Priorität für die Jägerproduktion, wie an der Statistik im Detail abzulesen, bis weit in das Jahr 1944 hinein. 199 Einen differenzierteren Einblick in die Verschiebungen zwischen den einzelnen Flugzeuggattungen geben Zahlen, die nach der Klassifikation des Reichsluftfahrtministeriums (Technisches Amt) zusammengestellt wurden. Tabelle 60 Produktion von Flugzeugen 1941—1944 (Monatsdurchschnitte)
1941 1942 1943 1944
Flugzeuge insgesamt
Verteidigungsflugzeuge (Tagjäger, Nachtjäger, Zerstörer)
Angriffsflugzeuge (Kampfflugzeuge, Fernerkunder)
Taktisch eingesetzte Flugzeuge (Nahaufklärer, Schlachtflugzeuge, Seeflugzeuge)
952 1274 2091 3328
308 455 891 2152
291 409 459 300
105 156 354 527
Quelle: Schnellberichte REF; The Effects, S. 149, Tab. 84 (geringfügige Abweichungen). 197 The Effects, S. 276, Tab. 101. 198 Wagenführ, S. 75 f. 199 Siehe Groehler, Geschichte des Luftkriegs, S. 388ff.; s. a. die monatl. Ausstoßzahlen 1943 in The Effects, S. 156, Tab. 85.
341
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
Die bedeutsame Veränderung in der Luftwaffenrüstung, die sich hiermit anbahnte, wurde durch die Entwicklung der Luftkriegslage an den Fronten, besonders an der deutschsowjetischen, vor allem aber auch über Deutschland selbst erzwungen. Seit Frühjahr 1943 vervielfachten die westlichen Alliierten ihre Angriffe aus der Luft. Tabelle 61 Angriffsziele
der angloamerikanischen
J a h r bzw. Quartal
Flächenziele (u. a. Wohngebiete)
1941 1942 1943 1/43 11/43 II 1/43 IV/43
13131 35420
Bomber und abgeworfene Bombenlast
FlugzeugProduktion
—
—
—
—
4 1392 1880 969
15039 36243 39200 28964
Kugellagerindustrie
—
_
294 1119
1941—1943
(int)
Transportwesen
Verschiedene Ziele
Insgesamt
7123 701
13407 9651
1199 1291 1916 6138
11678 7076 16491 15515
33662 45773 187050 27920 46377 60018 52734
Quelle: The Effects, S . 2 f .
Als sich die deutsche Luftabwehr gegen die in großer Höhe fliegenden Bomber als relativ wirkungslos erwies, standen die Faschisten vor der Notwendigkeit, ihre Luftkriegs- und Luftrüstungsstrategie zu ändern. Im Juli 1943 forderte die Zentrale Planung bereits „lapidare Entscheidungen" angesichts der von Speer als Schlüsselproblem betrachteten Frage: „Können wir mehr Jäger, mehr Zerstörer usw. bauen, und was legen wir dafür still?" Der Rüstungsminister erklärte sogar, er sei „der Meinung, daß wir unter Umständen mit weniger Panzern auskommen, dafür aber mehr Flugzeuge brauchen". 2 0 0 Auch Generalfeldmarschall Milch, Chef der Luftwaffenrüstung, betonte, „daß wir noch viel mehr Tabelle 62 Die meistgebauten deutschen Kriegsflugzeuge Me 109
J u 88
1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945
449 1719 2764 2673 6388 14765 3140
69 2538 3348 3661 3654 3286 355
Summe
31887*
16911
1939—1945 (in
Stck.)
Me 110
He 111
J u 87
J u 52
F i 156 (Storch)
68 1474 5001 1104
156 1158 974 659 1730 1525 45
452 758 950 1357 1405 756
143 603 500 960 1672 1012
145 388 502 503 887 379
-
-
-
46 170 431 607 874 410 11
7647
6257
F W 190
—
—
5678 (6478)**
4890
2804
2549
* Summenfehler in der Q u e l l e . * * Mit den vor dem 1. 9. 1939 gebauten Maschinen
Quelle: Ploetz, Geschichte des Zweiten Weltkrieges, 2. Aufl., Würzburg 1960, 2. Teil, S . 128. 200 ZP-P, 29. 7. 1943, 44. Sitzung.
342
Rationalisierung und Kriegsproduktion
J ä g e r haben müssen". 2 0 1 Im Luftwaffengeneralstab und in der obersten faschistischen Führungsspitze setzte sich allerdings der Gedanke an eine vorwiegend defensive Luftkriegsstrategie allgemein erst ein gutes halbes J a h r später durch.
Kriegsschiffe Während 1941 noch ein großes Kriegsschiff (Schlachtschiff „Tirpitz") neu in Dienst gestellt wurde, erfolgte 1942/43 der Baustopp für alle weiteren Neu- und Umbauten von Großkampfschiffen. Der Kriegsschiffbau stand von nun an gänzlich im Zeichen der U-Boot-Rüstung. Doch auch das U-Boot als einzige der Kriegsmarine verbliebene offensive Waffe von Belang wurde seit dem F r ü h j a h r 1943 mehr und mehr ausgeschaltet. Gingen 1941 im Vergleich zum U-Boot-Neubau 16 Prozent und 1942 38 Prozent der Boote verloren, so waren die Bootsverluste seitdem infolge der überlegenen U-Boot-Abwehr der Alliierten so hoch, daß von Mai bis Dezember 1943 von 204 neu in Dienst gestellten Booten 183 als Verlust registriert wurden (90 Prozent). 2 0 2 Tabelle 63 Bau von Kriegsschiffen 1940—1944 Unterseeboote Zerstörer Stck. WasserDurchschn. verdräng. Tonnage (1000 t) je Boot (Stck.) 1940 1941 1942 1943 1944
50 219 222 292 283
? 162 193 221 234
? 738 869 757 825
? 5 3 6 2
Torpedoboote (Stck.)
Minensuchboote u. Torpedofangboote (Stck.)
? 6 6 6 6
? ? 36 66 32-
Schnellboote (Stck.) ? 36 36 41 63
Quelle: DZW, Bd. 4, S. 110 (U-Boot-Bau); abweichende Zahlen: Schnellberichte R E F ; Bleyer, Rüstungsbericht (U-Boot-Tonnage); „Ausstoß-Übersicht" (übriger Schiffbau); abweichende Zahlen: Schnellberichte REF.
Munition Nach einem relativ kräftigen „ S p u r t " 2 0 3 in der Munitionsproduktion von April bis J u l i 1940, der wohl weniger der Tätigkeit des neuernannten Reichsministers für Bewaffnung und Munition als vielmehr der längerfristigen Angriffsplanung gegen Westeuropa zuzuschreiben war, sank die Produktion wieder, besonders nachdem die Programme für „Barbarossa" erfüllt und übererfüllt und alle Lager und Depots mit Munition vollgestopft waren. 201 Prot. d. GL-Besprechung am 27. 7. 1943, zit. nach Janssen, S. 180. 202 DZW, Bd. 4, S. 110. 203 The Effects, S. 179.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion Tabelle 64 Munitionserzeugung
Munition insgesamt G Qu-Tonnen
1940 1941 1942 1943 1944
865000 540000* 1270000 2558000 3350000
343
1940—1944
Prozent Jhl. 1940 Zu= 100 wachs
darunter (1000 Schuß) Gewehr-, Sonstige Pistolen-, InfanterieMG- u. MP- munition Munition
100 62 147 296 387
2952520 1343720 1340320 3174800 5375440
- 38 + 135 + 101 + 31
29424 19736 40014 118444 170629
1. Flak- u. ArtillerieBordwaffen- munition munition von 7,5 cm an aufwärts ca. 75000 77366 129767 196332 262687
27000 27075 56800 92950 107900
* Ploetz, S. 126, gibt 740000 an; beide Zahlen sind unsicher Quelle: Bleyer, Rüstungsbericht (überprüft nach Produktionszahlen). Von Beginn des Krieges gegen die U d S S R an hatte die Wehrmacht einen ganz unerwartet hohen Munitionsverbrauch, so daß die Bestände rasch sanken. Der Verbrauch an Munition für die t0,5-cm-Feldhaubitze beispielsweise betrug 1941 das 50fache der Produktion. 2 0 4 Die Heeresleitung geriet Ende 1941 förmlich in Panik und sandte verzweifelte Fernschreiben an die Rüstungsinspektionen mit Forderungen „auf höchsten Ausstoß" an Munition, besonders an Artilleriemunition. 2 0 5 Nachdem die Krise des Winters überstanden war, legten Munitionsministerium und Heereswaffenamt ein neues Munitionsprogramm fest, 2 0 6 das Hitler am 15. April 1942 gemeinsam mit dem neuen Waffenprogramm (14. April) bestätigte. 2 0 7 E s bestand aus einem „Sofortprogramm", das bis März 1943 erfüllt sein sollte, und einem „Erweiterungsprogramm", dessen Forderungen bis Ende 1944, zum Teil bis Mitte 1945 reichten. 2 0 8 Hierin war bereits eine künftige Munitionserzeugung in der Ukraine („Iwan-Programm") mit exorbitanten Produktionszahlen eingeplant. Ungeachtet der enormen Anforderungen, die das Programm an die Industrie stellte, wurden seine Positionen überwiegend erfüllt. Allerdings blieben einige der wichtigsten Munitionsarten erheblich hinter dem Planziel zurück. (Tabelle 65) In Anbetracht des relativ niedrigen Standes von 1941 wies die Munitionserzeugung im Jahre 1942 insgesamt und in vielen Munitionsarten die größte Steigerungsrate während des ganzen Krieges auf. Das Drei- und Mehrfache der Vorjahresproduktion wurde jeweils erzielt bei Munition für Panzerabwehr- und Kampfwagengeschütze sowie für die übrige 204 Ebenda, S. 188. 205 ZStA Potsdam, FS, Film 3398, FS OKH (Chef HRüst/BdE) an Rüln, 30. 12. 1941, u. a. Stücke. Siehe S. 43f. 206 Siehe FB, 21./22. 3. 1942, Punkt 3ff. 207 Wey res-1>. Levetzow, S. 78ff.; hiernach auch das Folgende. Siehe auch FB, 4. 4. 1942, Punkt 9ff.; FB, 28./29. 6. 1942, Punkt 23ff. 208 In einem Fall waren die Planzahlen sogar bis zum 2. Quartal 1946 fortgeschrieben (10-cmKanone 18)
Rationalisierung und Kriegsproduktion
344 Tabelle 65 Das „Führer-Munitionsprogramm" bzw. Monatsproduktion in 1000
von 1942 Schuß)
und seine Erfüllung
(Auswahl;
Monatsdurchschnitt
Munitionsart
Produktion im Jahre 1941
Programmziel
Zielzeitraum
Infanteriepatronen
76000
350000
298400 (Dezember 1943) Ziel erreicht Mai 1944 226 (November 1942) Ende 1943 1775 (Dezember 1943) 260 (Juni/Juli 1943) Mitte 1943 600 (Dezember 1943) Ende 1943 April 1943 1055 (April 1943) 182 (Februar 1943) Februar 1943 3452 (Januar 1944) Anfang 1944 Ende 1944 617 (Dezember 1943) (Ziel nie erreicht) 150 (Dezember 1943) ? (Ziel nie erreicht) ? 1136 (Dezember 1943) (Ziel nie erreicht) ? 201 (September 1943)
1. Gr.W. 36 s. Gr.W. 34 7,5 cm Pak 40 7,5 cm K W K u. StuG. Kan. 1.1.G. 18 s. I.G. 33 1. F.H. s. F.H.
73 81 35 296 221
150 1500 450 550 800* .150 3000 1000
25
500
8,8 cm Flak
996
2000
10,5 cm Flak
52
150
10 cm Kanone 18
120 135 -
Tatsächliche Produktion
?
* Forderung auf 1000 erhöht (Nov. 1942) Quelle: Weyres-v. Levetzow, S . 82. Tabelle 66 Produktion von Artilleriemunition
1940 1941 1942 1943 1944
(von 7,5 cm an aufwärts)
Insgesamt
davon für Pak u. KWK
27000 27075 56800 92950 107900
1738 875 5250 18000 19400
1940—1944 (in 1000
Sonst. Artiii. (ohne Flak)
Flak
Nebelwerfer
20290 9400 32500 56000 67600
3664 15400 16700 16600 18400
1308 1400 2350 2350 2500
Schuß)
Quelle: Bleyer, Rüstungsbericht.
Artillerie (ohne Flak), ferner bei Granatwerfermunition, bei Minen und bestimmten Arten von Flugzeugbordwaffenmunition. Die Erzeugung von Infanteriemunition blieb dagegen noch unter dem Vorjahresstand. (Tabelle 66) Insgesamt war das Heer 1942 hinreichend mit Munition versorgt, wenn es auch von der Hand in den Mund lebte, d. h., die Produktion ersetzte etwa den Verbrauch. 2 0 9 Von 1943 an 209 The Effects,
S . 1 8 1 u. S . 188.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
345
Tabelle 67 Produktion ausgewählter Munitionsarten 1942/1943 (in 1000
Schuß)
Munitionsart
1942
1943
Zuwachs in Prozent
Infanteriemunition (Karabiner, MG, MP) Handgranaten S- und T-Minen 8 cm Gr.W. 36 7,5 cm Pak 40 7,5 cm KWK 1. I.G. 18 s. I.G. 33 17 cm Kanone 12,8 cm Flak
793000 18294 3612 6790 1295 1812 4145 606 74 44
2453000 59281 18816 16151 4176 7916 9448 2236 212 548
209 224 421 138 223 337 128 269 186 1145
Quelle: Bleyer, Rüstungsbericht; Schnellberichte R E F ; „Ausstoß-Übersicht" (1.1.G. 18). überstieg der Verbrauch bei fast allen Waffenarten ständig die Produktion, obwohl der Ausstoß neue Dimensionen erreichte. Anfang 1944 waren die Munitionsbestände, vorsichtig ausgedrückt, „alles andere als ausreichend". 2 1 0 Die Produktion von Heeresmunition stieg seit 1942 unvergleichlich schneller als diejenige für Luftwaffe und Kriegsmarine, und zwar von 1941 bis 1943 auf weit mehr als das Fünffache, während beispielsweise die Produktion von Abwurfmunition (Bomben) 1942 zwar um 17 Prozent stieg, 1943 aber noch unter den alten Stand zurückfiel. 2 1 1 Die prozentuale Verteilung der Munitionsproduktion auf Heer, Luftwaffe, Marine und F l a k deutet klar auf den Vorrang der deutsch-sowjetischen Front hin.
Tabelle 68 • Munitionserzeugung für Heer, Luftwaffe, Kriegsmarine und Flak 1939—1944 (in Prozent der Gesamterzeugung) Jahr bzw. Quartal 1939/IV. Quartal 1940* 1941 1942 1943 1944*
Heer
Luftwaffe
61 52 30 46 65 68
17 28 32 25 14 11
* Summenfehler infolge von Rundungen Quelle: The Effects, S. 284, Tab. 113. 210 Ebenda, S. 188. 211 Ebenda, S. 286, Tab. 115.
Kriegsmarine 10 8 10 8 4 4
Flak 12 13 28 21 17 18
346
Rationalisierung und Kriegsproduktion
„ Wunderwaffen" Entwicklung u n d Produktion der sogenannten Wunderwaffen, neuartiger Konstruktionen von Vernichtungswaffen, wurden seit 1943 m i t verstärktem Tempo betrieben. 2 1 2 Die wichtigsten Entwicklungen dieser Art, die vor Kriegsende noch in die Serienproduktion gingen und — in beschränktem U m f a n g — an der F r o n t eingesetzt wurden, waren die Flügelbombe m i t Raketenantrieb V I (Fi-103, „Kirschkern") und die Mittelstreckenrakete V 2 (A 4). Von keiner dieser „Wunder-" oder „Vergeltungswaffen" wurden im J a h r e 1943 schon nennenswerte Stückzahlen produziert, kein Exemplar'gelangte an die Front. Aber u n t e r dem Eindruck der Niederlagen an der Wolga und bei Kursk erhielten diese W a f f e n die höchste Dringlichkeitsstufe der Kriegswirtschaft, u n d ihre Serienfabrikation wurde fieberh a f t vorbereitet. Große Mengen an Maschinen, an Rohstoffen (Edelstahle, Aluminium) und an elektrischer Ausrüstung f ü r die Produktion der Flugkörper wurden anderen Programmen entzogen. Den „Werkzeugmaschinenbedarf f ü r das Gerät A 4" beispielsweise bezifferte der Sonderausschuß A 4 bereits am 24. J u n i 1943 auf 800 Maschinen, d a r u n t e r 328 „schwer zu beschaffende Maschinen". 2 1 3 Als der Luftangriff vom 18. August 1943 auf die Heeres Versuchsanstalt Peenemünde die Produktion der V 2 u m viele Monate zu verzögern drohte, waren die Verantwortlichen gezwungen, als Ausweichlösung riesige unterirdische Produktionsanlagen vorzubereiten. Hierzu versicherten sich Rüstungsminister und Monopole der Hilfe der SS bei der rücksichtslosen „Einschaltung" vieler Tausender von KZ-Häftlingen. In dem Wunsch, wenn schon n i c h t q u a n t i t a t i v , so doch qualitativ in der Rüstungsproduktion wieder Überlegenheit zu erlangen, setzten auch die Verantwortlichen der Luft- und Marinerüstung auf neue Waffensysteme. Die Luftwaffe entwickelte — außer der V 1 — Flugzeuge m i t Strahlantrieb, von denen der Jäger Me 262 noch vor Kriegsende in die Serienproduktion ging, die Marine U-Boote m i t von Luftsauerstoff unabhängigem Turbinenantrieb (Walter-U-Boot) und „Elektroboote" m i t Batterien höchster Leistung f ü r Ferneinsatz und permanente Unterwasserfahrt, d a r u n t e r ein Großboot m i t 1621 Tonnen (getaucht 1819 Tonnen) Wasserverdrängung (Typ X X I ) . Zum bewaffneten Einsatz kamen n u r wenige Boote in den letzten Kriegswochen. 2 1 4 All diese Waffen und zahlreiche andere Projekte wurden 1943 und später von den verschiedensten Wehrmacht- u n d behördlichen Stellen ohne Koordinierung konzipiert u n d entwickelt. „Koordinationspläne scheiterten schon seit 1943 einfach daran, d a ß niemand vorauszusagen wußte, welche K a m p f m i t t e l zu welchem Zeitpunkt einsatzfähig sein u n d welcherart (bzw. wieviel — D. E.) Treibstoff sie benötigen würden." 2 1 5 Die wissenschaftliche und technische Entwicklung der Atombombe hielten die zentralen Rüstungsdienststellen f ü r zu langwierig und zu unsicher, als daß sie sie auf ähnliche Weise förderten wie die V-Waffen. Immerhin beschäftigten sich schon vor „Barbarossa" wissen212 Fakten über die Entwicklung der „Wunderwaffen" bei Ludwig, Technik, S. 444 ff.; ferner Irving, David, Geheimwaffen; Lusar, Rudolf, Die deutschen Waffen und Geheimwaffen des Zweiten Weltkrieges und ihre Weiterentwicklung, 5. Aufl. München 1964. Siehe auch S. 154 f. 213 BA Koblenz, R 13 111/69, Aufstellung des SA 4, Stand 24. 6. 1943. 214 Siehe die Angaben in Geschichte des zweiten Weltkrieges 1939—1945, Bd. 10: Die endgültige Zerschlagung des faschistischen Deutschland, Berlin 1982, S. 324 f . ; ferner DZW, Bd.4, S. 107. 215 Ludwig, Technik, S. 460.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
347
schaftliche Institute, etwa der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und des Reichspostministeriums damit. Beispielsweise führten sie „Versuche zur Gewinnung neuer Energiequellen durch Atomzertrümmerung" durch und beantragten beim Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt des OKW eine höhere Dringlichkeitsstufe für den Bau entsprechender Apparate durch den österreichischen Elektrokonzern Elin AG mit dem Hinweis „auf die Bedeutung der Atomzertrümmerung für die Herstellung von Bomben mit ungeheurer Sprengwirkung".216 Die deutschen Machthaber waren also von den mit der Materie Vertrauten durchaus über die grauenvollen Möglichkeiten der Atombombe informiert. 217 Einer der Propagandisten der Bombe war Goebbels, der sich bereits im März 1942 ausführlich Vortrag halten ließ: „Die Forschungen auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung sind so weit gediehen, daß ihre Ergebnisse unter Umständen noch für die Führung dieses Krieges in Anspruch genommen werden können. Es ergäben sich hier bei kleinstem Einsatz derart immense ZerstörungsWirkungen, daß man mit einigem Grauen dem Verlauf des Krieges, wenn er noch länger dauert, und einem späteren Kriege entgegenschauen kann. ... Die deutsche Wissenschaft ist hier auf der Höhe, und es ist auch notwendig, daß wir auf diesem Gebiet die Ersten sind; denn wer eine revolutionäre Neuerung in diesen Krieg hineinbringt, der hat eine um so größere Chance, ihn zu gewinnen." 218 Die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf diesem Gebiet wurden schließlich angesichts der Niederlagen des Jahres 1943 beschleunigt, die dafür aufgewendeten Mittel erhöht. „Die größten Summen, die für die Uranforschung ausgeworfen wurden, gingen an die deutsche Industrie — die Auergesellschaft und die Degussa für Uran, die I.G. Farben für eine Schwerwasseranlage, die Firmen Hellige und Anschütz für die Prototypen der Ultrazentrifuge." 2 1 9 Doch der tatsächliche Rückstand in der experimentellen und Anwendungsforschung, die Konkurrenz der verschiedenen Dienststellen und Forschungsgremien und die erfolgreiche Aufklärungs- und Störungstätigkeit der internationalen Widerstandsbewegung verhinderten es, daß diese furchtbare Waffe in die Hände der deutschen Imperialisten geriet. Später, vor dem Nürnberger Gericht, kommentierte Speer diesen Tatbestand zynisch: „Wir waren leider nicht so weit ..." 2 2 0 Vor der Anwendung von Giftgas, auch von neuentwickelten Gasen furchtbarster Wirkung, die der IG-Farben-Konzern produzierte, schreckten die Faschisten zurück, weil sie wußten, daß ihre Gegner darauf vorbereitet waren und allein schon auf Grund ihrer Luftüberlegenheit fürchterliche Vergeltung hätten üben können. 221 Bedeutende Leistungen deutscher Erfinder, Konstrukteure und Ingenieure, die auf der internationalen Grundlagenforschung der zwanziger und dreißiger Jahre aufbauten, wurden derart zur Produktion von schrecklichen Vernichtungswaffen mißbraucht. Die 216 ZStA Potsdam, FS, Film 8273, KTB WiRüAmt/Stab, Eintr. v. 5. 5. 1941 üb. Besprechung mit Maj. Grube (WNV) und Dr. Gladenbeck (RPostM). 217 Siehe Irving, David, Der Traum von der deutschen Atombombe, Gütersloh, 1967, S. 109ff. Irving erwähnt zahlreiche diesbezügliche Besprechungen zwischen Vertretern von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft (unter Teilnahme von Göring, Speer, Vogler, des Reichsforschungsrats, des HWA usw.). Siehe auch Ludwig, Technik, S. 240, S. 242f. 218 ZStA Potsdam, FS, Film 10804, Goebbels-TB, Eintr. v. 21. 3. 1942. 219 Irving, Der Traum von der deutschen Atombombe, S. 238; s. a. S. 240 Anm. 220 IMG, Bd. 16, S. 579, Vernehmung Speers am 21. 6. 1946. 221 Groehler, Der lautlose Tod, S. 204ff. Über Produktionsplanung, Hauptproduktionsstätten und Produktion von Giftgas ebenda, S. 154ff., S. 301 und passim.
Rationalisierung und Kriegsproduktion
348
herrschenden Kreise hofften selbst auf die erträumte außergewöhnliche, sowohl vernichtende als auch abschreckende Wirkung dieser Waffen; zugleich sollte die offiziell gesteuerte Flüsterpropaganda darüber den „Durchhaltewillen" der Bevölkerung stärken und sie weiterhin, bis zum „Endsieg", in ihrer Botmäßigkeit halten.
c) „Sonde/fragen
der chemischen
Erzeugung"
Seit 1938 war der Vierjahresplan ein Investitions- und Produktionsprogramm der unmittelbaren Kriegsvorbereitung. 222 In seinen Schwerpunkten konzentrierte er sich scharf auf wenige Produkte, die unerläßlich für die Kriegführung bzw. im direktesten Sinne Kriegsmittel waren: Mineralöl, synthetischer Kautschuk, Leichtmetalle, Pulver, Sprengstoff und chemische Kampfstoffe (Giftgas). Planung und Exekutive für diesen Teil des Plans übernahm ein besonderes, von Göring neugeschaffenes Amt, das des „Generalbevollmächtigten für Sonderfragen der chemischen Erzeugung". Die zahlreichen übrigen Programme des Vierjahresplanes wurden mitsamt den diversen dafür ernannten Generalbevollmächtigten wieder in die traditionell zuständigen Fachbehörden eingegliedert (Reichswirtschaftsministerium u.a.). Der Vierjahresplan existierte wohl noch als mehr oder weniger geschlossenes Programm, jetzt in Gestalt des Wehrwirtschaftlichen Neuen Erzeugungsplans, aber nicht mehr als einheitliche Organisation. Damit wiederum war die einheitliche Durchführung des Plans von vornherein in Frage gestellt. Als am 5. Dezember 1939 IG-Farben-Vorstandsmitglied Krauch (seit 1940 Aufsichtsratsvorsitzer) als G B Chemie zugleich zum Leiter des neugebildeten Reichsamts für W i r t schaftsausbau berufen wurde, 223 war eine „unmittelbare Verschmelzung des wichtigsten industriellen Bereichs des Vierjahresplans mit dem größten deutschen Konzern" 2 2 4 eingetreten. Der G B Chemie und das Reichsamt für Wirtschaftsausbau als sein Exekutivapparat waren nunmehr die einzigen bedeutenden selbständigen Abkömmlinge der ehemaligen Vierjahresplanorganisation. Das wirtschaftspolitische Programm des G B Chemie und seine Machtfülle gingen allerdings schon 1939 weit über die der ursprünglichen Vierjahresplanorganisation hinaus. Es war de facto ein gesondertes Chemierüstungsministerium entstanden, ein „Reichsamt" tatsächlich im alten Sinne des Wortes, auf seinem breiten Produktionssektor jedenfalls von ungleich größerer Durchschlagskraft als das Kriegsamt des kaiserlichen Deutschlands. Das militärische und ökonomische Konzept, auf dem der Vierjahresplan beruhte, war die Blitzkriegsstrategie und die rasche Einrichtung eines im wesentlichen störungsfreien, faschistisch beherrschten europäischen „Großwirtschaftsraumes" für spätere Auseinandersetzungen mit den anderen imperialistischen Weltmächten. Es schien zunächst aufzugehen, scheiterte dann aber vollständig nach dem 22. J u n i 1941. Damit hing das wechselvolle Geschick des Vierjahresplans zusammen. Kriegsbedingtem Wandel waren sowohl die Institutionen selbst als auch ihre Produktions- und Investitionsprogramme, und hier wiederum verschiedene Programme in unterschiedlichem Ausmaß und Zeitmaß, unterworfen. 222 Band I, S. 16f., S. 45ff. Hiernach auch das Folgende. Ferner Petzina, S. 116 ff. 223 Band I, S. 109. 224 Petzina, Autarkiepolitik, S. 123.
Autarkiepolitik,
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
349
Allgemein hingen Umfang und Tempo der Kapazitätserweiterungen von der Verfügung über Baustoffe, besonders Baustahl, über Maschinen und Apparaturen und über Arbeitskräfte a b ; diese wiederum hauptsächlich von der Dringlichkeit, die dem jeweiligen Programm offiziell zugesprochen war. Dringlichkeiten und Prioritäten aber wechselten j e nach militärischer Lage und strategischer Situation. Charakteristisch war in den ersten beiden Kriegsjahren besonders die mehr oder weniger gegenläufige Entwicklung des Ausbaus der Treibstoff- und der Pulver- und Sprengstoffkapazitäten. Von Sommer 1940 an wurde das hohe Tempo des Pulver- und Sprengstoffausbaus etappenweise gedrosselt, weil in den bisherigen Feldzügen wenig Munition verbraucht und große Vorräte angehäuft worden waren. Forciert wurde dagegen der für kurze Zeit nach Kriegsausbruch verlangsamte Ausbau der Kapazitäten für synthetischen Treibstoff und insbesondere für Flugzeugbenzin, der in der zweiten Hälfte 1941 unter der Flagge des Göringprogramms seinen Höhepunkt erlebte. 2 2 5 Als die Generalvollmacht des Beauftragten für den Vierjahresplan im F r ü h j a h r 1942 de facto auf den G B Rüst und auf die Zentrale Planung überging, stand der G B Chemie eine kritische Phase durch. Hätte er sich nicht in das neue kriegswirtschaftliche Konzept eingeordnet, so wäre er diesem früher oder später ohne Zweifel untergeordnet worden, etwa in Gestalt eines „Hauptausschusses Chemie". 2 2 6 Immerhin setzte Göring in den damaligen Verhandlungen den ihm verbliebenen Einfluß dafür ein, die letzte starke Position des alten Vierjahresplanes zu wahren und Reichsamt und G B Chemie als selbständige Dienststellen zu erhalten. „Als die Frage der Reorganisation der deutschen Wirtschaft im J a h r e 1942 aufkam", bezeugte später in Nürnberg Fritz ter Meer, Mitglied des Vorstands und des allmächtigen Zentralausschusses des IG-Farben-Konzerns, „schlug Hans Kehrl vom Reichswirtschaftsministerium vor, daß ein Teil der chemischen Industrie unter Krauchs Reichsamt in das Reichswirtschaftsministerium zurückgeführt werden sollte, und einige Vorschläge gingen sogar so weit, daß das ganze Reichsamt aufgelöst werden sollte. J e d o c h wurde die Organisation Krauch als ausgezeichnet und leistungsfähig anerkannt, auch in der Ausführung wichtiger Aufgaben von weitreichender Bedeutung." 2 2 7 Speer räumte ein, daß Krauch als „sozusagen ,reichsunmittelbar'" galt. 2 2 8 E i n e wesentliche Begründung für die Notwendigkeit, sich mit dem G B Chemie zu arrangieren, sah er in dem technischen und Produktionsmonopol der IG Farben. „Heute sind wir", so drückte er dies bei späterer Gelegenheit aus, „im chemischen Fortschritt einzig und allein auf die Arbeit von IG-Farben angewiesen." 2 2 9 Ohne Eingriffe in die Programme ging es freilich nicht ab. Sogleich nach seiner Ernennung zum Minister setzte Speer eine Kürzung des Bauvolumens des G B Chemie für 1942 durch, besonders bei langfristigen Mineralöl- und Leichtmetall-Bauvorhaben, allerdings auf der Basis eines zäh ausgehandelten Kompromisses. 230 Der G B Chemie mußte fortan die 225 226 227 228 229
Birkenfeld, Treibstoff, S. 164. Siehe auch S. 16 ff. Siehe S. 65. ZStA Potsdam, Fall VI, Film 412, Dok. NI-5184, Erkl. unter Eid von ter Meer v. 29. 4. 1947. Ebenda, Film 413, Dok. NI-5821, Zeugenvernehmung Speers v. 12. 3. 1947. Ebenda, Film 410, Dok. NI-4043, Speer an Himmler, 26. 7. 1944 (betraf das Projekt einer Fabrik für hochtoxische Giftgase in Falkenhagen; vgl. Groehler, Der lautlose Tod, S. 287 u. passim). 230 Wichtigste Belege s. ZStA Potsdam, FS, Film 8398, Memo Krauchs f. Göring betr. „Kürzung des Bauvolumens für die Zeit vom 1. 4.-31. 12. 1942", v. 25. 3. 1942; AN WiRüAmt üb. Bespr. bei Göring am 2.4.1942, v. 9. 4. 1942; WNE-Fassungen v. 15. 3. und 1 0 . 5 . 1 9 4 2 ;
350
Rationalisierung und Kriegsproduktion
Forderung an Stahl und Eisen für seine Bauvorhaben wie andere Kontingentträger an die Zentrale Planung herantragen. Einwände gegen die Entscheidung konnte er immerhin in einer Sondersitzung vorbringen; in solchen Fällen aber kam stets eine Einigung zustande. Auch im Herbst 1943, als die wesentlichen Vollmachten des Reichswirtschaftsministers auf den Rüstungsminister übergingen, blieb Krauchs Organisation unangetastet, obwohl sie 1939 formell dem Reichswirtschaftsministerium „nachgeordnet" worden war. Damals bot Speer nach seiner Aussage in Nürnberg Krauch die Leitung der Abteilung (Amtsgruppe?) Chemie im Rohstoffamt an, die Krauch aber ablehnte. Er zog verständlicherweise die weitaus unabhängigere und mächtigere Position vor, die er besaß, erklärte sich aber zu einer noch engeren und „reibungslosen" Zusammenarbeit bereit. 231 Im Jahre 1943 zwangen die militärischen Realitäten die faschistischen Planer zu erneuten großen Investitionsaufwendungen für die Grundstofferzeugung des GB Chemie, vor allem für Treibstoff, Stickstoff, Nebelsäure und Buna. Die Zentrale Planung mußte Krauch daher ein faktisch ungekürztes Bauvolumen zugestehen: „Das gesamte Bauvolumen des GB Chem in Höhe von 750 Mio. RM (790 — 38 Einsparungen) wird um 100 Mio. gekürzt (vor allem beim Leichtmetallausbau Norwegen — D. E.); die Kürzung wird vom GB Chem selbst vorgenommen und beschleunigt nachgewiesen werden. Für die neuen Bauvorhaben erhält GB Chem zusätzlich 100 Mio. RM, so daß das Bauvolumen des GB Chem insgesamt für 1943 750 Mio. (beträgt)." 232 Die Position des GB Chemie im kriegswirtschaftlichen Regulierungsmechanismus nahm zwar an spezifischem Gewicht erheblich ab, und in seiner Entscheidungskompetenz war er stark beschnitten; „mit der Ernennung des Ministers Speer ging sein Einfluß zurück", sagte in Nürnberg Friedrich Jähne, Vorstandsmitglied der IG Farbenindustrie AG, durchaus treffend aus. 233 Jedoch an der vom GB Chemie regulierten Produktion bestand ein so dringender Bedarf für die unmittelbare Kriegführung, besonders an der deutschsowjetischen Front, aber auch für den an kritischer Bedeutung für die gesamte Kriegswirtschaft zunehmenden Luftkrieg, daß diese vom IG-Farben-Konzern kontrollierte Institution bis Kriegsende ein bedeutender Machtfaktor in der Kriegswirtschaft blieb. Stickstoff:
Pulver
und
Sprengstoff
Die Rohstoffbasis für Pulver und Sprengstoff war in erster Linie Stickstoff, der fast ausschließlich im Lande selbst produziert wurde. 1938/39 entstammten 73 Prozent des Stickstoffs der Haber-Bosch'schen Ammoniaksynthese, 13 Prozent wurden aus Karbid gewonnen, 14 Prozent als Nebenprodukt der Kokereien. 234 Die zwei größten Synthesewerke — Leuna und Ludwigshafen-Oppau, beides Betriebe des IG-Farben-Konzerns—erzeugten allein 50 Prozent, zusammen mit acht weiteren Werken 80 Prozent des Stickstoffs.
231 232 233 234
ebenda, Film 8630, AN W i R ü A m t betr. „Vorschlag für die Aufteilung des Bauvolumens auf die Wehrmachtsbedarfsträger durch den G B B a u " , v. 21. 3. 1942, etc. Siehe auch Weyres-v. Levetzow, S. 83 f. Z S t A P o t s d a m , Fall VI, Film 413, Dok. NI-5821, Zeugenvernehmung Speers v. 12. 3. 1947. ZP-E, 22. 4. 1943, 37. Sitzung. Z S t A P o t s d a m , Fall VI, Film 411, Dok. NI-5168, E r k l . unter E i d von Friedrich J ä h n e v. 29. 5. 1947. The Effects, S. 85. Hiernach auch das Folgende.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion Tabelle 69 Produktion von Stickstoff (in 1000 tN)
Jahr
Erzeugung
1939 1940 1941 1942 1943 1944
1020 1008 1021 955 920 668
351
1939-1944
Quelle: The Effects, S. 86, Tab. 49; Schnellberichte (1944). Der Stickstoffbedarf der Wehrmacht für Pulver und Sprengstoffe war während des Krieges stets gesichert. Man verzichtete auch auf Importe aus den besetzten Ländern, beließ diesen den Stickstoff für die Herstellung von Düngemitteln, nahm ihnen aber dafür Lebensmittel und andere Agrarprodukte. 2 3 5 Die deutsche Landwirtschaft erhielt an Stickstoff in F o r m von Düngemitteln im Düngejahr 1943/44 (Juni—Mai) 36 Prozent weniger als im Durchschnitt der ersten drei Kriegsjahre, aber mit 55 Prozent des Verfügbaren doch noch eine recht beträchtliche Menge. Im J a h r e 1943 machten sich bereits Stromabschaltungen in der Stickstoffindustrie bemerkbar. 2 3 6 Die Pulver- und Sprengstoffprogramme des G B Chemie und des IG-Farben-Konzerns aus dem J a h r e 1938, besonders der sogenannte Schnellplan für Pulver, Spreng- und Kampfstoffe und chemische Vorprodukte in seiner zweiten Fassung vom 13. August 1938, 2 3 7 Tabelle
70
Verbrauch
von Stickstoff
(Düngejahr
Juni—Mai,
Jahr
1938/39 1939/40 1940/41 1941/42 1942/43 1943/44
durch
Wehrmacht
in 10001
und Landwirtschaft
1938/39—1943/44
N)
Aufkommen (Produktion plus Import)
davon Wehrmacht
Landwirtschaft
982 1072 1005 1003 960 906*
35 47 84 108 165 235
745 841 789 739 632 501
* Schätzung Quelle:
The Effects,
S . 87, T a b . 52.
235 So BQtefisch in seiner Vernehmung am 2. 8. 1945 in Nürnberg; zit. in The Effects, S. 86. 236 Siehe ZP-P, 22. 11. 1943, 50. Sitzung: Auf dieser Sitzung wurde die Befürchtung geäußert, daß nach dem vorgelegten Abschaltplan die Stickstoffproduktion bis zu 35 Prozent Ausfall erleide und daß damit „Düngemittel gleich Null wird". 237 Band I, S. 45ff.; Petzina, Autarkiepolitik, S. 119, S. 124ff. 24 Eichholtz II
352
Rationalisierung und Kriegsproduktion
bildeten die Grundlage für die unmittelbare Kriegsvorbereitung auf diesem Sektor und wurden imKrieg je nach militärischer und kriegswirtschaftlicher Situation fortgeschrieben bzw. revidiert.Die Rohstoffsituation legte diesen Plänen zwar keine Beschränkung auf, aber jede Mehrproduktion von Pulver und Sprengstoff als „Endprodukte komplizierter chemischer Synthesen" 2 3 8 erforderte aufwendige Investitionen. Ein umfänglicher und äußerst forcierter Ausbauplan sollte die deutsche Kapazität auf das Mehrfache der bisherigen bringen — bei Pulver von 5 0 0 0 auf 1 8 0 0 0 Tonnen monatlich, bei Sprengstoff von 5 4 0 0 auf 1 8 0 0 0 Tonnen Edelsprengstoff bzw. auf 3 4 0 0 0 „verschnittenen" Sprengstoff — eine Höhe, die nach Krauchs Vorstellungen vom kommenden Krieg ganz unzureichend war und „das Mindeste dessen darstellt, was erfolgen muß". 2 3 9 Nach dem „Wehrwirtschaftlichen Neuen Erzeugungsplan" vom 12. J u l i 1938 waren diese Ziele bis 1941 zu erreichen. Der erwähnte Schnellplan stellte für die wichtigsten Vorhaben schon um die Hälfte verkürzte Zieltermine. Der Pulver- und Sprengstoffverbrauch der Wehrmacht blieb bis 1941 weit hinter der Erzeugung zurück. Seit Mitte 1940 verlangsamte sich das Tempo der Kapazitätserweiterung gegenüber den ursprünglichen Plänen. Erst nach dem Überfall auf die U d S S R , besonders seit der Winterschlacht 1941/42, stieg der Verbrauch auf ein Mehrfaches und geriet in ein angespannteres Verhältnis zur Produktion. Seitdem rangierte das Pulver- und Sprengstoffprogramm stets in der höchsten Dringlichkeitsstufe. Die fieberhaften Planungen seit dem Frühjahr 1942 2 4 0 gipfelten in einem Programm, das — im Einklang mit dem Munitionsprogramm — bis etwa Anfang 1944 annähernd eine Verdoppelung der Pulver- und der Sprengstofferzeugung vorsah. 2 4 1 Die vorgegebenen Ziffern wurden weitgehend erfüllt und sogar übererfüllt, 2 4 2 allerdings um den Preis gewaltiger Aufwendungen an Investitionsmitteln, Maschinerie, Baukapazität und Ausgangsstoffen wie Kohle. Bis Mitte 1944 litt die Munitionsindustrie keinen ernsthaften Mangel an Pulver und Sprengstoff. Tabelle 71 Produktion und Verbrauch von Pulver und Sprengstoff 1939—1944 (in 1000 t) Jahr
Pulver Produktion
Sprengstoff Wehrmacht- Produktion Wehrmachtverbrauch verbrauch
1939 1940 1941 1942 1943 1944
?
5 26 53 91 160 ?
75 112 148 238 258
? 168 230 291 410 496
? 70 165 256 ? ?
Quelle: The Effects, S. 87, Tab. 51; Schnellberichte (1944). 238 Eichholtz, Zum Anteil des IG-Farben-Konzerns ..., S. 96 (Arbeitsbericht des GB Chemie vor dem Generalrat des Vierjahresplans, Fassg. v. 21./22. 4. 1939). 239 Ebenda, S. 97. 240 Siehe FB, 4. 4. 1942, Punkt 16. 241 FB, 28./29. 6. 1942, Punkt 38 ff. Ferner FB, 23.-25. 7. 1942, Punkt 24 f. (betr. Erhöhung des Plans, Aufwendungen usw.); FB, 10.-12. 8. 1942, Punkt 35 (Abschluß der Planung). Siehe auch Wey res-v. Levetzow, S. 84 ff. 242 Weyres-v. Levetzow, S. 88 (Tabelle).
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
353
Treibstoff Das faschistische Deutschland, vor dem Krieg selbst ohne erhebliche eigene Erdölförderung und zu etwa 70 Prozent auf den Import, fast ausschließlich aus Amerika, angewiesen, 243 war dennoch bis zum Frühjahr 1944 für die Kriegführung, wenn auch „auf einer Von-derHand-in-den-Mund-Basis" 244 und abgesehen von zeitweiligen und punktuellen Krisen, im allgemeinen hinreichend mit Treibstoff versorgt. Diese wichtige Tatsache ist mehreren Gründen zuzuschreiben, darunter der anfänglichen Bevorratung für den Krieg, der rücksichtslosen Aneignung der großen in Westeuropa erbeuteten Vorräte, der jahrelang erheblichen Einfuhren aus Rumänien und auch der raubbauartigen Ausbeutung der eigenen und der bedeutenderen österreichischen Erdölvorkommen. In erster Linie aber war sie der Vierjahresplanpolitik zuzuschreiben, deren Schwergewicht von Anfang an auf den Investitionsprogrammen des GB Chemie bzw. des IG-Farben-Konzerns und bei diesen wiederum auf der Erzeugung von synthetischem Treibstoff gelegen hatte. Deutschland produzierte im Kriege als einziger Staat der Welt in großem Maßstab Mineralölprodukte auf synthetischer Basis, 245 und diese synthetische Produktion leistete den entscheidenden Beitrag zur Versorgung der Kriegsmaschine des Aggressors mit Treibstoff. Der Schwerpunkt des Syntheseprogramms lag auf den Hydrierwerken. Bis zum Kriegsausbruch gelangten sieben Hydrierwerke zur Produktion, von denen das größte, das Leunawerk, allein ein Drittel der Kapazität aufwies. Drei weitere Werke befanden sich kurz vor Produktionsbeginn, und der Bau von zweien war in Angriff genommen worden. Im Jahre 1943 produzierten 13, im Frühjahr 1944 15 Hydrierwerke. 246 Neun FischerTropsch-Synthesewerke erzeugten dagegen Mineralölprodukte in Höhe von etwa einem Sechstel der Hydrierproduktion. Die Planungen des GB Chemie von 1938/39 gingen von der Kapazität von 2,4 Millionen Tonnen Produktion aus eigenen Rohstoffen im Jahre 1938 aus, nahmen eine „Mob-Bedarfsdeckung" von 13,83 Millionen Tonnen an und stellten als Ausbauziele für 1942/43 etwa 8,3 Millionen (1943: 9,2 Millionen) und für 1944 rund 11 Millionen Tonnen. 247 Dieses Programm war allerdings von vornherein illusionär, weil es durch seine unerhörten Anforderungen an Baukapazität, Baustoffen (Stahl), Arbeitskräften und schließlich Kohle und Energie bei Betrieb der Werke sogar ohne Kriegsausbruch die übrigen Kriegsvorbereitungen und die Proportionen der gesamten Volkswirtschaft in irreparablem Ausmaß gestört hätte. 248 Krieg und Kriegsverlauf revidierten Ziele und Termine. So expandierte die deutsche Mineralölerzeugung zwar in großem Stil, vor allem auf Rechnung der synthetischen Produktion; aber hinsichtlich der „Planerfüllung" blieb Mineralöl eine der schwächsten Positionen des Vierjahresplanes. 249 243 The Effects, S. 68. 244 Ebenda, S. 72. 245 Hierunter wird hier, wie auch in den Tabellen, die Produktion auf Kohlebasis verstanden, also IG-Hydrierung, Fischer-Tropsch-Synthese, Braunkohleschwelung bzw. Kohlenteerdestillation sowie Benzolgewinnung. 246 Birkenfeld, Treibstoff, S. 138 ff. 247 Wie Anm. 238; Petzina, Autarkiepolitik, S. 125; Birkenfeld, Treibstoff, S. 231, Tab. 21. 248 Siehe z. B. die Alarmrufe des RWiM wegen der Abenteuerlichkeit der GB-Chemie-Planungen, besonders auf dem Treibstoff- und Aluminiumgebiet, in bezug auf die verfügbaren Gesamtmengen an Kohle und Energie, in BA Koblenz, R 7/478—480. 249 Siehe Petzina, Autarkiepolitik, S. 181 f. 24*
Rationalisierung und Kriegsproduktion
354
Im J a h r e 1938 kamen von dem — international nicht sehr bedeutenden — deutschen Gesamtaufkommen an Mineralölprodukten in Höhe von über sieben Millionen Tonnen 1,6 Millionen aus synthetischer Produktion, 0,6 Millionen aus eigener Erdölförderung, 4,4 Millionen aus Übersee und 0,6 Millionen aus kontinentalen Importen. Im September 1939 entsprach die synthetische Produktion einer Jahreskapazität von 2,3 Millionen Tonnen. 2 5 0 Bis 1943 erreichte sie ihren Höhepunkt mit 5,75 Millionen Tonnen, das waren über 50 Prozent des Jahresaufkommens. Tabelle 72 Aufkommen
an Mineralöl
1939—1944
(in
10001)
Jahr
Mineralöl insgesamt (geschätzt)
davon Synthetische ErdölProduktion förderung
1939 1940 1941 1942 1943 1944
8200 7600 10000 9500 11300 6830
2200 3348 4116 4920 5748 3830
885 1469 1584 1678 1880 1991
Import von Erzeugung in Mineralölbesetzten Produkten Gebieten 5165 2075 2807 2359 2766 960*
—
332 370 576 360
* Nur Fertigprodukte
Quelle: The Effects, S. 75, Tab. 37 (vermutlich nicht ohne Doppelzählungen); Schnellberichte (1944); Statistisches Handbuch, S. 280 (Erdölförderung; geringfügige Unterschiede zu The Effects und Birkenfeld, Treibstoff, S. 217, Tab. 1). Die überlieferten Zahlen über das Gesamtaufkommen an Mineralölprodukten und Kraftstoffen stammen aus Quellen mit großen Differenzen, die nicht vollständig aufklärbar sind» zumal die statistischen Unterlagen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Ämter und Institutionen stammen. Zum Teil rühren diese Differenzen von dem Unterschied zwischen Treibstoff („Kraftstoffe" einschl. Schmierstoffe) und Mineralölprodukten insgesamt her (hierunter fallen auch technische Benzine, Benzol, Paraffin, Bitumen u. a.), ferner aus der unterschiedlichen Zurechnung des Rohöls und seiner Verarbeitungsstufen, besonders bei Importen (Doppelzählungen). (Tabellen 72 und 73) Die Prognosen über die Treibstofflage während der Vorbereitung zu „ B a r b a r o s s a " und auch später klangen düster. Aber die vermehrten rumänischen Lieferungen halfen aus. Auch Einschränkungen in der deutschen Kriegswirtschaft selbst machten Treibstoff für die Wehrmacht frei. Ein Erlaß Hitlers vom 12. November 1941 über die „Sicherstellung der Kraftstoffe für die Kriegführung im J a h r e 1942" 2 5 1 leitete drastische Spar- und Umstellungsmaßnahmen (Holzgasgenerator) ein, auch in den okkupierten und abhängigen 2 5 0 The Effects,
S . 73.
251 ZStA Potsdam, FS, Film 2313. — Allerdings war schon im Dezember 1941 die Zuteilung von Vergaserkraftstoff an die gewerbliche Wirtschaft gegenüber September 1939 von 163 000 auf 41000 t, diejenige von Dieselkraftstoff von 120000 auf 50000 zurückgegangen ( Weyres-c. Levetzow, S. 59 (zit. Tomberg-Bericht)).
355
Die Entwicklung der Kriegsproduktion Tabelle 73 Aufkommen
und Verbrauch an Kraftstoffen
Jahr
Kraftstoff- Kraftstoffaufkommen verbrauch
1940 1941 1942 1943 1944
6389 8120 7619 8956 5769
Quelle: Wagenführ, ohne Treibgas).
5856 7305 6483 6971 ?
1940—1944 fin 1000 t)
davon Wehrmacht- Prozent verbrauch 3005 4567 4410 4762 ?
51 62,5 68 68 ?
S. 171 (Aufkommen), S. 55 (Verbrauch); Schnellberichte (Aufkommen 1944;
Ländern. Der systematisch eingeschränkte „zivile" deutsche Verbrauch betrug in den folgenden Jahren bei Benzin nur noch etwa ein Achtel, bei Dieselkraftstoff ein Drittel des Vorkriegsverbrauchs. 252 Dennoch begann im J a h r e 1942 auch bei der Wehrmacht „die Zeit des Lavierens und immer stärker werdenden Einschränkens". 2 5 3 E i n e temporäre Krise, mehr eine Transportals eine Treibstoffkrise, hemmte den Vormarsch der motorisierten Truppen während der Sommeroffensive der Wehrmacht in die südöstliche Richtung, besonders ausgerechnet jener 1. Panzerarmee, die sich in schnellem Vorrücken der kaukasischen Erdölquellen, der erhofften Rettung aus aller Not, bemächtigen sollte. 254 Um die Angriffsspitzen dieser Armee mit Treibstoff zu versorgen, setzte die Luftwaffe Transportflugzeuge ein. Sogar Kamelkarawanen schleppten Treibstoff für die Panzer. Mehr noch als Heer und Marine begann 1942/43 die Luftwaffe die angespannte Lage zu spüren. E i n Defizit an Flugzeugbenzin, das ausschließlich in einer Reihe von Hydrierwerken erzeugt wurde, scheint zuerst durch drastische Treibstoffkürzungen für das Pilotentraming der Flugzeugführerschulen aufgefangen worden zu sein. 255 Gekürzt wurden E x porte, besonders die Lieferungen an Italien. Auch 1943, in dem J a h r des höchsten Verbrauchs, aber auch der höchsten Produktion, herrschte an Treibstoff kein für die deutschen Imperialisten gefährlicher Mangel. Dennoch machte sich auf militärischem Gebiet schon zunehmend der Zwang spürbar, „die operativen Planungen im großen dem verfügbaren Treibstoff anzupassen". 2 5 6 Diesmal erschwerte eine Transport- und Nachschubkrise den Rückzug vom Donec an den Dnepr im Juli/August 1943. 2 5 7 Insgesamt standen mindestens 10 Millionen t Mineralölprodukte zur Verfügung, 2 5 8 darunter etwa 9 Millionen t Treibstoff. 252 253 254 255 256 257
The Effects, S. 77f. Birkenfeld, Treibstoff, a. 156. Siehe S. 485. The Effects, S. 73. Birkenfeld, Treibstoff, S. 158. BA Koblenz, R 3/1987, Keitel an Speer, 25. 3. 1944; Keitel erinnerte hier daran, „daß wir mit unserem Kw.-Betriebsstoff schon zweimal einer äußerst ernsten Krise entgegengegangen sind, einmal im August/September (1942) am Terek und bei Stalingrad, das zweite Mal im Juli/August 1943 bei der Absetzbewegung vom Donez auf den Dnepr". 258 Nach den „Statistischen Schnellberichten zur Kriegsproduktion", Stand: Febr. 1945. Die
Rationalisierung und Kriegsproduktion
356
Im Frühjahr 1944, unmittelbar vor der alliierten Luftoffensive gegen die Hydrierwerke, war die Treibstofflage insgesamt jedoch „äußerst angespannt" 2 5 9 , besonders was Flugzeugbenzin und was den „zivilen" Verbrauch innerhalb der deutschen Kriegswirtschaft betraf, aber auch bei Treibstoff für Heer und Marine, die bei großer Einfuhrabhängigkeit 2 6 0 von der Hand in den Mund lebten. Synthetischer
Kautschuk
Von den 102000 t Kautschuk, die 1938 in Deutschland verbraucht wurden, stammten 90 Prozent aus Überseeimporten. 261 Bei Kriegsausbruch produzierten zwei Werke, in Schkopau und Leverkusen, nach dem Verfahren ihres Hauptaktionäres, der IG Farbenindustrie AG, mit einer Kapazität von 27500 t pro J a h r synthetischen Kautschuk (Buna); 90 Prozent davon erzeugte Schkopau. Dem scharfen Rückgang an Kautschukaufkommen, der bei einem Krieg mit Wirtschaftsblockade einsetzen mußte, sollten auf lange Sicht die Planungen des Krauchplans begegnen. Der Krauchplan von 1938 sah vor, die vorhandene Kapazität an Synthesekautschuk von jährlich 5000 t bis 1942/43 auf 120000 t zu steigern 262 ; in der Planfassung vom Oktober 1940 war vorgesehen, die Produktion, ausgehend von der damaligen Kapazität von 40000 t, bis 1942 auf 110000 und bis 1944 auf 1500001 zu bringen. 2 « Eine zweite Großanlage für synthetische Produktion, nach Schkopau, war bei Kriegsausbruch bereits in Westdeutschland im Bau (Hüls/Marl) und produzierte seit August 1940. Buna werk III entstand nach dem Sieg der Wehrmacht im Westen in Ludwigshafen und lief im März 1943 an. Bunawerk IV, bei Auschwitz geplant, gelangte nicht zur Produktion. Tabelle 74 Aufkommen und Verbrauch von Kautschuk Aufkommen davon insgesamt Synth. Produktion 1939 1940 1941 1942 1943 1944
99 57 96 123 124 104
22 40 69 98 117 104
1939—1944 (in
Verbrauch
E x p o r t (synth. Kautschuk)
95 67 74 92 91 96
1 5 15 32 25
Prozent
22 70 72 80 94 100
10001)
?
Quelle: The Effects, S. 83, T a b . 4 3 ; S. 84, T a b . 45. Abweichende Zahlen in Wagenführ, T a b . 13, und Treue, Wilhelm, Gummi in Deutschland, München 1955, S . 185.
259 260 261 262 263
S. 170,
obige Tabelle 72 (nach The Effects) ist vermutlich nicht frei von Doppelzählungen (dort: 11,3 Miü. t). The Effects, S. 78. Siehe z. B . ZP-P, 22. 11. 1943, 50. Sitzung; schon auf dieser Sitzung hieß e s : „Die Situation ist im Augenblick infolge der (ausbleibenden — D. E.) Transporte aus Rumänien katastrophal." The Effects, S. 83. Hiernach auch das Folgende. Wie Anm. 238. Petzina, Autarkiepolitik, S. 146.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
357
Allein Schkopau, Hüls und die Anlage in Leverkusen, die stets den Charakter einer Kleinund Versuchsanlage behielt, produzierten 1942 schon mehr Kautschuk, als 1938 überhaupt produziert und importiert wurde. Naturkautschuk, der bei einigen Produkten nur schlecht durch Buna zu ersetzen war, fiel bis 1942 noch hinreichend in Form von Importen und Beute an. Die Versorgung mit Kautschuk war auf diese Weise 1942 und 1943, im wesentlichen auch 1944, durchaus gesichert. Dieser Tatbestand war eines der hervorstechendsten Ergebnisse der Vierjahresplanpolitik. 264 Am 22. Juni 1943 war ein vereinzelter Luftangriff auf Hüls zu verzeichnen, der das Werk allerdings die Produktion von rund drei Monaten, etwa 12000 t, kostete. 265 Erst mit der Luftoffensive der anglo-amerikanischen Bomber auf die — jeweils benachbarten — Hydrierwerke, von deren Wasserstoff- und Gaslieferungen die Bunaproduktion abhängig war, sank die Produktion.
d) Grund- und
Rohstoffe
In allen rüstungswichtigen Grundstoffen, außer bei Kohle, herrschte im Vorkriegsdeutschland starke Auslandsabhängigkeit. Wenn diese Stoffe im Kriege dennoch bis in das Jahr 1944 hinein für die wesentlichen Rüstungsprogramme im allgemeinen „völlig ausreichend" 266 vorhanden waren, so deshalb, weil die deutsche Kriegswirtschaft — abgesehen von zum Teil drastischen Verbrauchseinschränkungen und Ersatzlösungen — aus den vielfach erhebl^hen Vorräten, nach den „Blitzkriegs"erfolgen in West- und Nordeuropa vor allem aus der reichhaltigen Beute und, auf längere Sicht, aus der Produktion der besetzten Gebiete, aus den von ihr ausgebeuteten Ressourcen Südosteuropas und aus Importen von verbündeten und neutralen Ländern versorgt wurde.
Kohle
Die deutsche Rüstungsproduktion, ja die gesamte Kriegswirtschaft basierte in höherem Maße als in jedem anderen Land auf Kohle, weil die synthetische Produktion auf Kohle aufgebaut war und die Energiebasis, fast nur auf Kohlekraftwerke und -gaswerke gestützt, 267 durch die synthetische Produktion einschließlich Stickstoff und durch die Aluminiumerzeugung zusätzlich angespannt war. Hauptverbraucher von Kohle und Koks war und blieb allerdings die Metallurgie, die im Jahre 1938 46 Prozent des Gesamtver264 Siehe ebenda, S. 182. 265 The Effects, S. 84; s. a. ZStA Potsdam, FS, Film 5683, AN WWiStab, 2 2 . 6 . 1943. - Am 2. 7. 1943 wurde angesichts der Folgen dieses Luftangriffs auf der Sitzung der Zentralen Planung beschlossen, das im Bau befindliche Bunawerk Auschwitz mit einer Kapazität von 20000 t Buna pro Jahr beschleunigt zu errichten und die Erhöhung der Kapazität auf 3 0 0 0 0 t vorzubereiten. Krauch forderte zu diesem Zweck 1000 neue Montagearbeiter an und verlangte, daß „zusätzlich Häftlinge aus dem KZ-Lager Auschwitz abgegeben werden"; außerdem müsse „das Auschwitz-Gebiet befriedet" werden (ZP-E, 2. 7. 1943, 43. Sitzung). 266 The Effects, S. 71. 267 Kaum mehr als 12 Prozent der Energieerzeugung basierte auf Wasserkraft (The Effects, S. 114 f.).
Rationalisierung und Kriegsproduktion
358
Tabelle 75 Kohlenförderung 1938/39-1943/44 (Braunkohle in Steinkohleeinheiten umgerechnet; in Mill. t) Kohlenwirtschaftsjahr (April—März)
Insgesamt
davon Annektierte Prozent Gebiete *
1938-39 1939-40 1940-41 1941-42 1942-43 1943-44
240,3 267,7 315,5 317,9 340,4 347,6
8,0 34,0 76,0 76,4 90,1 98,5
3,3 12,7 24,1 24,0 26,5 28,3
* Umfaßt Österreich, Sudetenland und Protektorat, Polnisch-Oberschlesien und ElsaB-Lothringen Quelle: The Effects, S. 94, Tab. 57 (Umrechnungsverhältnis 4 zu 1). Tabelle 76 Stein- und Braunkohlenförderung 1938/39-1943/44 (Mill. t) Kohlenwirtschaftsjahr (April—März)
Steinkohle („Großdtschl.")
davon Ruhr
1938-39 1939-40 1940-41 1941-42 1942-43 1943-44
187,5 204,8 247,9 248,3 264,5 268,9
126,9 129,5 129,8 129,2 131,2 125,4
Braunkohle
Hartbraunkohle u. Anthrazit
199,6 211,6 226,8 235,1 248,9 252,5
12,6 23,8 25,9 26,1 30,8 34,0
Oberschlesien 26,9 44,6 86,4 83,7 94,0 100,1
* Fast ausschließlich aus Österreich und „Sudetengau". Siehe auch Statistisches Handbuch, S. 280 Quelle: The Effects, S. 92, Tab. 55; S. 93, Tab. 56. brauchs an Steinkohle und vier Prozent desjenigen an Braunkohle verbrauchte, 268 gefolgt von Energieerzeugung und Transport (Reichsbahn). Die deutsche Kohlenbilanz verbesserte sich wesentlich durch die Annexion fremder Gebiete, besonders Polnisch-Oberschlesiens. 269 Nach den Eroberungen des Jahres 1940 erheischte die Aufrechterhaltung der Wirtschaft der besetzten Länder West- und Nordeuropas allerdings eine bedeutende zusätzliche Exportmenge; diese Exporte dienten dem deutschen Imperialismus dazu, sich das Wirtschaftspotential jener Länder, beispielsweise die Stahlkapazitäten Frankreichs, Belgiens und Luxemburgs, weitgehend nutzbar zu machen. Kohlenexporte waren auch unabdingbar 268 Ebenda, S. 92. 269 Siehe auch S. 492.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
359
als Gegenlieferung für Schlüsselimporte der Kriegswirtschaft, etwa für schwedisches Erz und rumänisches Erdöl. Staatssekretär Landfried kennzeichnete die Funktion des deutschen Kohlenexports treffend: „Unter Export figuriert ja alles, was von uns unmittelbar abhängig ist: Dänemark, wo unsere Ernährung mit */i2 daran hängt, Frankreich, Griechenland, Norwegen, Kroatien, Jugoslawien, Ostland, Spanien, Portugal, Rumänien, die Schweiz — unmittelbar kriegswichtig für uns —, und Schweden und Italien als die Länder, die zu Buche schlagen. Es ist ja eigentlich kein Export; es ist j a lediglich die Aufrechterhaltung unserer eigenen Betriebe, die wir drüben für uns laufen haben." 2 7 0 Tabelle 77 Binnenabsatz und Export von Kohle 1938/39—1943/44 (Braunkohle gerechnet; in Mill. t) Kohlenwirtschaftsjahr (April—März)
Insgesamt
1938-39 1939-40 1940-41 1941-42 1942-43 1943-44
251 263 320 326 344 342
davon Industrie 88 94 105 109 110 112
in Steinkohleeinheiten
Transportwesen
Versorgungs- Hausbrand betriebe
Export
23 24 30 31 33 35
30 32 37 41 45 46
36 26 40 38 51 49
48 53 68 65 62 55
um-
Quelle: The Effects, S. 96, Tab. 58. Die Zahlen sind nicht direkt vergleichbar mit denen aus Tabelle 75 und 76, da sie Kohle auch in Form von Koks und Briketts enthalten. Der deutsche Steinkohlenbergbau, von dessen Erzeugung — besonders in Form von verhüttbarem Koks — die Stahlproduktion und damit die gesamte Rüstung so wesentlich abhing, war, soweit es die Förder- und Versorgungsanlagen unter und über Tage anbetraf, technisch verhältnismäßig gut ausgerüstet. Vor Ort dagegen war die Technik wenig modern; Abbaumaschinen waren selten, und es gab kaum mechanische Beladegeräte und Förderbänder. Im europäischen Maßstab war dennoch vor dem Kriege die Arbeitsproduktivität in Deutschland (Förderung pro Mann und Schicht) die höchste nach Polen und den Niederlanden. 271 Unter diesen Umständen wurde die Arbeitskräftesituation und besonders das Sinken der Arbeitsproduktivität im Kriege zum Hauptproblem der Steinkohlenförderung. Der Druck der „Leistungssteigerung" hatte hier unmittelbarer noch als in anderen Zweigen der Rüstung „das Resultat einer erschreckenden Verbindung von extensiver und intensiver Ausbeutung". 272 Doch die Kohlemagnaten konnten es trotz aller Antreiberei nicht dahin bringen, daß die Arbeitsproduktivität auf der in den letzten Vorkriegsjahren erreichten Höhe blieb. Im Jahre 1942 fiel die Förderung je Untertagearbeiter und Schicht an der Ruhr sogar doppelt so stark wie in den beiden vorangegangenen Kriegsjahren. 273 Bis Ende 1943 sank die Schichtleistung auf unter 1220 kg und lag damit um 25 Prozent niedriger als 1939 (16$0 kg).27« 270 271 272 273 274
ZP-P, 23. 10. 1942, 16. Sitzung. The Effects, S. 91. Kuczynski, Alltag, Bd. 5, S. 195. Kuczynski, Lage der Arbeiter, Bd. 6, S. 287. The Effects, S. 94.
360
Rationalisierung und Kriegsproduktion
Rein zahlenmäßig erhielt der Kohlenbergbau für die eingezogenen deutschen Bergarbeiter bis einschließlich 1943 ausreichenden Ersatz durch ausländische Zwangsarbeiter. Im Steinkohlenbergbau verdoppelte sich annähernd die Zahl der Zwangsarbeiter von Mai 1942 bis Mai 1943 und stieg bis Ende des Jahres noch einmal um fast 50 Prozent. 2 7 5 Die Gesamtzahl der Bergarbeiter wuchs dadurch erheblich, die Produktion dagegen kaum. Die Zwangsarbeiter erreichten — nach Berechnungen aus dem Ruhrkohlenbergbau — nur durchschnittlich 60 Prozent der Leistung der deutschen Arbeiter. Die Arbeitsproduktivität der überalternden deutschen Bergarbeiterschaft ließ infolge der einseitigen und unzureichenden Ernährung, der Überarbeit und der durch die Luftangriffe hervorgerufenen Übermüdung und Nervosität unaufhaltsam nach. Hierin lag der Hauptgrund für die ständig angespannte Kohlensituation. Tabelle 78 Arbeitskräfte und Arbeitsproduktivität Monat
1942 Oktober November Dezember 1943 Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember
Arbeitskräfte insgesamt
im Steinkohlenbergbau
Oktober 1942 bis Dezember 1943
in 1000
davon auslä9d. Schichtförderanteil pro Kopf Zwangsarbeiter der bergmänn. Belegschaft (kg) (incl. Kriegsgefg.) Gewogener Ruhrrevier Durchschnitt aller Reviere
707 713 741
167 175 205
1367 1364 1336
1384 1379 1338
746 740 736 740 738 755 762 767 793 808 818 813
214 214 220 225 224 243 252 259 288 306 320 " 327
1336 1367 1368 1355 1337 1320 1298 1284 1261 1225 1218 1215
1328 1366 1350 1339 1301 1276 1244 1216 1190 1170 1170 1172
Quelle: ZStA Potsdam, Fall XI, Nr. 396, Dok. NI-2819, „Reichsvereinigung Kohle. Statistischer Bericht Nr. 11. Die deutsche Kohlenwirtschaft in den Monaten April bis Dezember 1943. Berlin, Mai 1944". Die Reichsvereinigung Kohle erfüllte ihre Voranschläge und Produktionsauflagen, die jeweils eine erhebliche Steigerung der Förderung vorsahen, nämlich elf Prozent für 1942/43 und 21 Prozent für 1943/44, daher bei weitem nicht. Statt elf wurden nur 6,5 Prozent, statt 21 nicht einmal zwei Prozent erreicht. 276 275 Wagenführ, S. 154f.; ZStA Potsdam, Fall XI, Nr. 396, Bl. 64, Dok. NI-2819, „Reichsvereinigung Kohle. Statistischer Bericht Nr. 11. Die deutsche Kohlenwirtschaft in den Monaten April bis Dezember 1943", Mai 1944. 276 The Effects, S. 94 (Tab.).
Die Entwicklung der Kriegsproduktion Der „Schlüsselrohstoff":
Eisen und
361
Stahl
B e i Kriegsausbruch war Deutschland, wie schon 1914, der bedeutendste Stahlproduzent Europas, allerdings weit hinter den USA. Zwar ging die Produktion im 4. Quartal 1939 und im 1. Quartal 1940 zurück und brauchte bis Anfang 1941, ehe sie wieder auf den Vorkriegsstand kam, aber nicht wegen Unterbrechung der Erzzufuhr, wie ursprünglich von der herrschenden Klasse befürchtet, sondern vor allem wegen der längerdauernden Stillegung der grenznahen Saarhütten. Tabelle 79 Roheisenproduktion 1938—1944 (in Mill. t) Jahr
Deutschland bzw. „Großdeutschland"
Besetzte Gebiete *
1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
18,5 18,5 15,5 21,4 22,2 24,2 19,05
3,0 2,9 3,8 1,5
* (Rest-)Polen, Belgien, Nordfrankreich und Meurthe-et-Moselle, Niederlande (Protektorat seit 1941 unter „Großdeutschland" erfaßt) Quelle: The Effects, S. 258f., Tab. 79; S. 260, Tab. 80. Tabelle 80 Rohstahlproduktion 1938-1944
(in Mill. t)
Jahr
Deutschland bzw. „Großdeutschland"
Besetzte Gebiete *
1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
23,3 23,7 21,5" 28,2 28,7 30,6 25,9
3,6 3,4 4,0 2,65
* Wie bei Roheisen (Tabelle 79) * * Vorkriegsdeutschland Quelle: The Effects, S. 250f., Tab. 71; S. 252, Tab. 72. Die Erzimporte und -Vorräte reichten über die kritische Zeitspanne hin, bis nach der Niederlage Frankreichs die lothringisch-luxemburgischen Minettevorkommen in deutsche Hand fielen. Danach war die Erzversorgung einschließlich der deutschen Eisenproduktion verhältnismäßig stabil und gesichert. (Tabelle 81) Der Produktionszuwachs bei Rohstahl seit 1938 bis zu „Barbarossa" durch Annexion und Okkupation belief sich auf 35 bis 40 Prozent; der Kapazitätszuwachs lag noch weit
Rationalisierung und Kriegsproduktion
362
Tabelle 81 Förderung und Import von Eisenerz 1937—1944 (in MiU. t) Jahr
Erzförderung
Fe-Inhalt
Erzimport (einschl. bes. Geb.)
1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
9,8 15,0 ? 19,5 36,0 33,8 36,0 26,1
2,8 4,3 ? 5,7 10,8 10,2 10,9 7,8
20,6 21,9 18,5 10,0 17,4 16,8 20,2 6,5
Quelle: The Effects, S. 247, Tab. 66 u. 67. Tabelle 82 Walzwerkserzeugnisse * 1939—1944 (in
Mill.t)
Jahr
Deutschland bzw. „Großdeutschland"
Besetzte Gebiete**
1939 1940 1941 1942 1943 1944
17,3 15,1*** 19,7 19,2 21,3 17,2
2,9 2,6 2,9 2,0
* Fertigerzeugnisse, Halbzeug und Schmiedestücke ** Wie bei Roheisen * * * Vorkriegsdeutschland Quelle: The Effects, S. 249, Tab. 70. höher. 2 7 7 Ähnliches traf auf Roheisen zu u n d , in v e r m i n d e r t e m Maße, auch auf Walzwerkserzeugnisse. Die seit 1937 vorgenommene „ K o n t i n g e n t i e r u n g " von Eisen u n d Stahl, d. h. die Aufteilung des v e r f ü g b a r e n „ K o n t i n g e n t g e w i c h t s " 2 7 8 mittels „ K o n t r o l l n u m m e r n " auf die „Bedarfsträger", erlitt im Krieg bald ein Fiasko. Die verteilten Kontingente überstiegen die P r o d u k t i o n u n d k o n n t e n n i c h t m e h r fristgemäß bzw. in voller H ö h e beliefert werden. 277 Siehe S. 494 f. 278 Für die Berechnung des Kontingentgewichts (hier etwas vereinfacht) dienten die Zahlen der Rohblockerzeugung an Stahl abzüglich 25 Prozent Walzwerksabfälle und zuzüglich des Eisen- und Stahlgusses sowie des Roheisenexports. Seit 1943 ging die Berechnung unmittelbar von dem Fertiggewicht der Walzwerkserzeugnisse aus und bezog außer dem Guß auch die Schmiedestücke gesondert ein; dieses kompliziertere System veränderte aber das Ergebnis nur geringfügig. (Nach BA Koblenz, R 13 1/1138, Memo Wigru Esl (Reichert) betr. „Die deutsche Eisen- und Stahlbewirtschaftung", o. D. (Nov. 1943); 's. a. d. Berechnung in ZP-E, 3. 11. 1942, 23. Sitzung). Siehe ferner Weyres-v. Levetzow, S. 49.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
363
Das rief einen fehlerhaften, inflatorischen Kreislauf von Bedarfsanmeldungen und Kontingentzuweisungen hervor, der sich besonders nach dem erheblichen Produktionsrückgang im Winter (Januar/Februar) 1942 derart beschleunigte, „daß wir", wie Speer sich später ausdrückte, „eine überkontingentierte Summe mit uns herumzutragen hatten, die zehn Millionen Tonnen betrug, also zehn Millionen Tonnen über dem, was tatsächlich erzeugt wurde, wurden im Laufe von drei Jahren zusätzlich ausgegeben". 279 Die drastische Neuregelung im Frühjahr/Sommer 1942 280 steuerte der Desorganisation «ine Weile, aber Ende 1943 stellte der Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsgruppe Eisen schaffende Industrie fest, „daß man offenbar wieder in den alten Fehler verfallen ist" j 281 es seien im ersten Halbjahr 1943 über acht Prozent, im 3. Quartal über zehn Prozent mehr zugeteilt als produziert worden. Die Verteilung von Eisen und Stahl als Schlüsselrohstoff war die wichtigste Aufgabe der Zentralen Planung. Die Reichsvereinigung Eisen hatte der Zentralen Planung ihre Produktionsprogramme vorzulegen und die erzielten Produktionsergebnisse abzurechnen. Eine Woche nach Gründung der RVE hatte Röchling als ihr Vorsitzer bereits einen „Vorschlag für eine Erhöhung der Rohstahlerzeugung im Großdeutschen Reich und seinen Einflußgebieten" parat, 282 der als nächstes Ziel eine Steigerung der Produktion von 31,8 auf 36 Millionen t Rohstahl jährlich vorsah. „Die Planung", so erläuterte Röchling den Konzernvertretern in der Bezirksgruppe Südwest, „geht auf 2Y2 Millionen [t] Fertiggewicht monatlich in Deutschland und seinen Einflußgebieten." 283 Allerdings hatte er auf lange Sicht noch ganz andere Pläne: „Im europäischen Großraum müssen wir auf 85 Millionen t Rohstahl jährlich kommen."284 Der endgültige Plan der RVE vom 13. Juli 1942, betitelt „Leistungssteigerung der Eisen schaffenden Industrie", den Röchling, Rohland, Alfried Krupp und der ebenfalls anwesende Vogler am 15. Juli 1942 in der Zentralen Planung zur Diskussion stellten, 285 sah vor, von einer Erzeugung von bisher rund 2,1 Millionen t Walz- und Gußgewicht (Kontingentgewicht) pro Monat auf 2,65 Millionen t im 4. Quartal 1942 zu kommen. Als Voraussetzungen für die Mehrproduktion stellte die RVE ein gutes Dutzend Bedingungen, darunter die Bereitstellung von Arbeitskräften, Kohle und Energie, Schrott, 286 Maschinen, Baukapazität, aber auch außergewöhnliche, unmittelbar surplusprofitträchtige Forderungen wie die „sofortige Erhöhung der Phosphorgrenzen um 0,01 Prozent für mindestens 80 Prozent aller SM-Stähle", d. h. eine Verschlechterung der Qualität bei Siemens-MartinStahl, und die „Freigabe des Kokillenbedarfes als Umlaufmaterial", d. h. eine verkappte Preiserhöhung durch Verkürzung der Amortisationsfrist für Kokillen um ein Mehrfaches. Speer, Sauckel und Pleiger sicherten die Erfüllung aller wesentlichen Bedingungen zu. 279 280 281 282 283
ZP-P, 2. 3.1943, 35. Sitzung. Siehe S. 84 f. BA Koblenz, R 13 1/1138, Reichert an Poensgen, 3. 11. 1943. Ebenda, R 13 1/674, Röchling an Speer, 8. 6. 1942. Ebenda, R 13 1/596, Rede Röchlings üb. d. „Neuorganisation der deutschen Eisenwirtschaft" auf d. Sitzg. d. Bezirksgruppe Südwest der Wigru Esl am 10. 6. 1942. 284 Ebenda. 285 ZP-E, 15. 7. 1942, 10. Sitzung (Anlage: Plan v. 13. 7.); hiernach auch das Folgende. Siehe auch Fall 5, S. 172 f., Dok. NI-2522, Bericht der RVE für Juli 1942, v . 15. 8. 1942. 286 „Von Rußland muß mehr Schrott hereinkommen." (Röchling; s. Anm. 283). Ausführlich auch Weyres-v. Levetzow, S. 51 ff.
Rationalisierung und Kriegsproduktion
364
Am 22. J u l i erging der Beschluß der Zentralen Planung als Auftrag an die R V E : „Der von der Reichs Vereinigung aufgestellte Plan ist durchzuführen." 2 8 7 Die Mitte August vor Hitler feierlich abgegebene Verpflichtung der „Heiligen Drei Könige" wurde freilich schon Ende Oktober/Anfang November für unerfüllbar erklärt 2 8 8 ; damit war abzusehen — so hieß es offiziell im Protokoll der Zentralen Planung —, „daß die Kontingentsmengen für (die Quartale — D. E . ) IV/42 und 1/43 nicht die für die Rüstungs- und Kriegswirtschaft erforderliche Höhe erreichen". 2 8 9 Der endlos diskutierten Gründe gab es viele. Als wichtigster wurde der Arbeitskräftemangel genannt. Die wesentliche, letzte Ursache war indessen die inzwischen eingetretene Lage an der deutsch-sowjetischen F r o n t , die sich vor allem im Rückgang der Zwangsarbeitertransporte und in der schwierigen Transportsituation — hier für Kohle und Erz — bemerkbar machte. Trotzdem kletterte die Produktionskurve in den beiden Quartalen um die Jahreswende 1942/43 aufwärts und erreichte ihren Höhepunkt im März 1943. Tabelle 83 Rohstahlerzeugung und Kontingentgewicht, IV. Quartal 1942 und I. Quartal 1943 (in Monat bzw. Quartal
Rohstahlerzeugung
Kontingentgewicht
Oktober 1942 November Dezember
? ? ?
2391 2364 2404
Durchschnitt 4. Quartal
3006
2386
Januar 1943 Februar März
2971 2858 3127
2524 2412 2596
Durchschnitt 1. Quartal
2985
2511
10001)
Quelle: The Effects, S. 252, Tab. 72 u. 73 (Erzeugung); ZP-E, 22. 4. 1943, 38. Sitzung (Kontingentgewicht). Nichtadäquate Zahlen bei Wagenführ, S. 168, Tab. 9. Die Aufwärtsbewegung inspirierte die R V E nicht nur zu einer „Erzeugungszusage" für das 3. Quartal 1943 von wiederum 2,65 Millionen t Kontingentgewicht je Monat (22. April) — wenig später erhöht auf 2,75 Millionen t (4. Mai) und sogar auf 2,8 Millionen t (5. Mai) 2 9 0 —, sondern zur gleichen Zeit auch zu langfristigen neuen, ausufernden „Leistungssteigerungsplänen" mit Planziffern von monatlich 3,35 Millionen t Rohstahl bzw. 2,8 Millionen t 287 288 289 290
ZP-E, 22. 7. 1942, 11. Sitzung. Siehe auch S. 91. So besonders auf der 19. Sitzung der Zentralen Planung am 28. 10. 1942. ZP-E, 3. 11. 1942, 23. Sitzung. Siehe jeweils ZP-E. — Am 4. 5. 1943 (40. Sitzung) wurde in diesem Zusammenhang ein Erlaß der Zentralen Planung „über die Einbeziehimg der Ukraine in die Eisen- und Metallbewirtschaftung des Reiches" beschlossen.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
365
Kontingentgewicht, zu erreichen bis Mai 1943, von 3,65 bzw. 3,00 Millionen t (bis Oktober 1944) und von 4,00 bzw. 3,25 Millionen t (bis April 1945). 291 Diese Planvorstellungen von April/Mai 1943, unterschrieben von Röchling, Rohland und Alfried Krupp, basierten in starkem Maße auf der erwarteten Erzeugung bzw. „Mehrerzeugung" von Stahl, Erz und Mangan in der Ukraine sowie auf Stahlzufuhren aus dem neubesetzten Teil Frankreichs. Die R V E forderte für ihre Realisierung allein schon an zusätzlichem Koks sofort monatlich 700000 t und später 1,1 Millionen t je Monat (ohne Ukraine). 292 Hieraus wurde nichts mehr. Während des Mai und J u n i 1943 sank die Roheisenproduktion wegen schwerer Luftangriffe auf das Ruhrgebiet um zehn Prozent, die Rohstahlerzeugung sogar um mehr als zehn Prozent. 293 Im Sommer zerschlugen sich endgültig die Hoffnungen der Faschisten auf eine Stahlerzeugung in der Ukraine. 294 Die Rohstahlproduktion erreichte nie wieder das Niveau der genannten beiden Quartale. 2 9 5 Die faschistischen Planer fanden unter diesen Umständen keinen Ausweg aus der Mangellage und damit aus jenem Dilemma, an dem die deutsche Kriegswirtschaft seit den Diskussionen über „Breiten"- und „Tiefen"rüstung laborierte. Zugunsten der Produktion von Waffen und Kriegsgerät hätte man die eisenfressenden Investitionen in der Rüstungsindustrie, besonders die längerfristigen, radikal einschränken können. Aber es war nicht zu übersehen, daß man noch mit einem langen, kräftezehrenden Krieg rechnen mußte, und schon jetzt erwies sich auf zahlreichen Gebieten, beispielsweise bei Flugbenzin, Pulver und Sprengstoffen, Hüttenkoks und verschiedenen neuen Waffenarten, eine Kapazitätsausweitung als dringend erforderlich. „Wir wissen aber alle genau", argumentierte Speer, „daß wir niemals die Eisenmengen für diese Programme gleichzeitig nebeneinander schaffen können." 2 9 6 Das Ergebnis waren Kompromisse, die selbstverständlich die Probleme nicht lösten. Es ist aber nicht zu übersehen, daß die hartnäckigen Bemühungen der R V E , hinter denen die geballte Kraft des staatsmonopolistischen Regulierungsmechanismus in der Kriegswirtschaft und ebenso der politische Druck und der Terror gegen die deutschen und ausländischen Arbeiter standen, in jener für Nazideutschland militärisch höchst kritischen Phase des Krieges, die seine Wende bedeutete, Umfang und Niveau der Produktion nicht nur hielten, sondern sogar auf eine bisher nicht erreichte Höhe hoben. Auf der Grundlage dieser Steigerung schritt die eigentliche Rüstungsproduktion — unter starker Verminderung 291 B A Koblenz, R 41/237, R V E an RMfBuM, 28. 5 . 1 9 4 3 . - Seit A n f a n g April 1943 hatten Hitler und Speer die Möglichkeiten einer langfristigen Erhöhung des monatlichen Kontingentgewichts an Stahl u m 1 Mill. t über den S t a n d v o m März diskutiert. Die R V E n a h m in einem Schreiben v o m 10. 4. Stellung ( Weyres-v. Levetzow, S. 124f.). Vier T a g e später war sogar eine illusionäre „Führerforderung" auf 4 Mill. t Kontingentgewicht i m Gespräch ( F B , 14. 4. 1943, Punkt 6). 292 B A Koblenz, R 41/237, R V E an RMfBuM, 28. 5. 1943. 293 Z S t A Potsdam, F S , Film 3654, „Tätigkeitsbericht des Hauptringes Eisenerzeugung i m 2. und 3. Q u a r t a l 1943", v. 10. 10. 1943. 294 Siehe S. 473 ff. 295 Eine nochmalige Erhöhung im 1. Quartal auf 9,2 Mill. t beruhte auf der Einberechnung der Erzeugung in Norditalien und in Zentralfrankreich ( T h e Effects, S. 252, T a b . 72). 296 ZP-P, 12. 2. 1943, 32. Sitzung. — Als Aushilfsmaßnahme ordnete Speer einen Investitionsund B a u s t o p p an. Man werde dann „nach einem halben J a h r weitersehen, ob wir die Pannen, die durch die ganzen Ereignisse im Osten eingetreten sind, so ausgebügelt haben, daß wir weitermachen können" (ebenda).
366
Rationalisierung und Kriegsproduktion
des spezifischen Materialverbrauchs („Einsatzgewicht") — rasch und ununterbrochen voran. Die Qualitätsstähle (Siemens-Martin- und Elektrostahl) stiegen in der Produktion schneller als Thomasstahl. Am raschesten wuchs der Produktionsanteil des hochqualifizierten Elektrostahls. Fortschritte machte ferner die Aufarbeitung von Thomasstahl zu Qualitätsstahl (windgefrischter Austauschstahl), die Mitte 1943 rund zehn Prozent der Thomasstahlmenge betraf. 297 Tabelle 84 Zusammensetzung
der Rohstahlerzeugung
Jahr
Rohstahl insgesamt
davon Thomasstahl
1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
19,85 23,3 23,7 21,5 26,6 27,1 30,6 25,85
8,0 9,3 9,2 6,8 10,5 11,1 12,5 9,2
1937—1944 (ohne besetzte Gebiete; in Miü. t) SM- und Elektrostahl 11,9 14,0 14,5 14,7 16,1 16,0 18,1 16,6
darunter Elektrostahl*
0,7 1,0 1,2 1,4 1,8 2,0 2,8 2,9
Prozent von Rohstahl** 3,4 4,2 5,2 6,7 6,8 7,3 9,1 11,0
* Incl. geringer Mengen von Tiegelstahl. Vgl. die Zahlen für das Reichsgebiet von 1937 in Statistisches Handbuch, S. 289 * * Geringfügige Unstimmigkeiten infolge von Rundung der absoluten Zahlen
Quelle: B A Koblenz, R 13 1/1138, Reichert an Poensgen, 3. 11. 1943: Schnellberichte (1943 u. 1944).
Nich
teisenmetaUe
Die Skala der Metalle, die außer Eisen für die Kriegsrüstung des deutschen Imperialismus von höchster Bedeutung waren, umfaßte ein gutes Dutzend: Leichtmetalle, besonders Aluminium, Schwermetalle wie Kupfer und Blei und schließlich die Stahlveredler bzw. Ferrolegierungsmetalle. Eine deutsche Produktion auf eigener Grundstoff-(Erz-)basis gab es nur bei wenigen dieser Metalle, vor allem bei Zink, Kobalt und Blei. Fünf Sechstel des benötigten Zinkerzes, zwei Drittel des Kobalterzes und die Hälfte des Bleierzes wurden 1938 in deutschen Bergwerken gefördert 298 ; der Zinkerzanteil erhöhte sich noch nach der Annexion Polnisch-Oberschlesiens. In allen anderen Fällen war Deutschland in hohem Maße, in mehreren Fällen vollständig importabhängig. Die meisten Erz- und Metallzufuhren kamen bis zum Kriegsausbruch aus Übersee, so überwiegend Kupfer, Zinn und Nickel, Antimon, Molybdän, Wolfram, Mangan und Vanadium. 299 297 B A Koblenz, R 13 1/1138, Memo Wigru E s l (s. Anm. 278 u. 281). 298 The Effects, S. 109. 299 Siehe ebenda, S . 109, T a b . 62.
367
Die E n t w i c k l u n g der K r i e g s p r o d u k t i o n
In Deutschland selbst existierte eine entwickelte, in wenigen großen Werken konzentrierte Raffineriekapazität, die von einer Handvoll Konzerne, voran die Vereinigten Aluminiumwerke (VA W/Viag-Konzern), die IG Farben, Salzdetfurth, Metallgesellschaft, Norddeutsche Affinerie und Degussa, beherrscht wurden. Insgesamt gelang es den deutschen Imperialisten, den dringendsten Anforderungen der Kriegswirtschaft an den genannten Metallen bis gegen Ende des Krieges nachzukommen, ungeachtet wechselnder zeitweiliger „Engpässe". Die Erweiterung der einheimischen Ressourcen (Erz- bzw. Bauxitförderung) machte im ganzen nur geringfügige Fortschritte. Im Jahre 1942 wurde durch die eigenen Rohstoffressourcen der Bedarf an Kupfer zu 12,5 Prozent, der an Blei zu 51 Prozent, der an Zink zu 79 Prozent, der an Zinn zu 13 Prozent und der an Nickel nur zu zehn Prozent gedeckt. 3 0 0 Erheblich wuchs dagegen die deutsche Raffinerie-(Hütten-)kapazität für Leichtmetalle. Aluminium, von dem Deutschland bisher mehr als jedes andere Land erzeugte, bedeutete für die Luftwaffenrüstung etwa dasselbe, was das Eisen für die übrige Rüstung. Obwohl die Produktion stark stieg, wurden die vorgesehenen Mengen nicht erreicht, vor allem weil das Rohmaterial (Bauxit), das ebenso wie der größte Teil der schon aufbereiteten Tonerde aus dem Ausland bezogen wurde, nicht kontinuierlich zu beschaffen war, und weil später Stromabschaltungen die höchst energieaufwendige Tonerdegewinnung und Aluminiumverhüttung beeinträchtigten. Schon im Herbst 1942 konstatierte man in der Zentralen Planung: „Die Steigerungen, die wir vorausberechnet hatten, sind nicht in dem vorgesehenen Maße eingetreten, weil gerade in der Aluminiumfertigung erhebliche Ausfälle eingetreten sind, die in geringem Maße auf Energiemangel, in der Hauptsache aber auf Tonerdemangel zurückzuführen sind." 3 0 1 Die Metallproduktion für den Krieg wurde, abgesehen von der deutschen Urproduktion, aus mehreren Quellen gespeist. An vorderster Stelle stand die Ausplünderung der Ressourcen der annektierten und okkupierten Gebiete, zuerst durch Beschlagnahme und Abtransport der dort vorgefundenen Vorräte, dann durch systematische Ausbeutung der Tabelle 85 Produktion
und Verbrauch
Jahr
Hüttenaluminium
1938 1939 1940 1941 1942
165,6 199,5 211,3 233,6 264,0 250,1 244,2
1943 1944
von Aluminium Umschmelzaluminium 30 40 54 82 90 104** 118
1938—1944
(in 1000 t)
Aluminiumverbrauch * 176,6 204,0 256,0 274,8 273,4 248,8 267,3
* Ohne A u s f u h r * * S c h n e l l b e r i c h t e : 128
Quelle: Statistisches
Handbuch,
S . 2 9 3 ; The Effects,
S . 263, T a b . 83 ( U m s c h m e l z a l u m i n i u m ) .
3 0 0 B A K o b l e n z , R 2 / 5 3 5 9 , W i g r u B e r g b a u (an R M d F ) , 22. 7. 1943. 3 0 1 Z P - P , 23. 10. 1942, 16. S i t z u n g . 25
Eichholtz II
368
Rationalisierung u n d K r i e g s p r o d u k t i o n
Lagerstätten zugunsten der deutschen Kriegswirtschaft. Eine Bilanz der bis 1943 insgesamt aus allen besetzten Gebieten abtransportierten Metallmengen ergab in drei Positionen ein beeindruckendes Bild „Kupfer etwa 3000001, davon rd. 2600001 allein aus Frankreich; Blei etwa 960001, davon rd. 75000 t allein aus Frankreich; Zinn etwa 140001, davon rd. 110001 allein aus F r a n k r e i c h " ; ^ das entsprach, gemessen am deutschen Verbrauch des Jahres 1939, fast einem Jahresverbrauch an Kupfer, mehr als dem Doppelten des Jahresverbrauchs an Zinn und etwa 40 Prozent des Jahresverbrauchs an Blei, während der Kriegszeit jedoch einem noch weit höheren Satz. 3 0 3 Aus der laufenden Produktion der besetzten Gebiete wurden abtransportiert — um nur einige besonders bedeutende Posten zu nennen — — Bauxit aus Frankreich und Jugoslawien — Kupfer aus Jugoslawien, Norwegen, Belgien — Blei aus Jugoslawien — Zink aus Polen — Nickel und Molybdän aus Norwegen — Chrom aus Jugoslawien — Mangan aus der Ukraine. 304 Eine zweite, wichtige Quelle blieb bis 1944 die Einfuhr aus neutralen und verbündeten Ländern, beispielsweise von Bauxit aus Ungarn, Blei aus Italien, Nickel aus Finnland, Chrom aus der Türkei und Wolfram aus Spanien und Portugal. 305 Drittens spielten die schon geraume Zeit vor dem Krieg angehäuften Vorräte eine große Rolle, besonders zur Überbrückung des Mangels in der ersten Periode des Krieges. Auf die Höhe der Bestände wurde auch während des Krieges sorgfältig geachtet. Trotz vielfältiger Schwankungen blieben sie im allgemeinen bis ins zweite Halbjahr 1944 hinein beträchtlich hoch. 306 Große Erleichterung der Mangellage schaffte die drastische Einschränkung des Verbrauchs verschiedener Metalle, besonders von Kupfer, Zinn, Blei und Nickel. Der „zivilen" Industrie und dem Handwerk wurde der Rohstoff entzogen. Durch zahllose „Verwendungsverbote" blieb gesichert, daß kein rares Metall in Konsumgüter verschiedenster Art floß. Der allgemeine Produktionsrückgang in der Konsumgüterindustrie und im Baugewerbe selbst ersparte wiederum viel Metall zugunsten der Rüstung. Außerdem wurden Ersatzstoffe entwickelt oder andere Metalle substituiert; das wichtigste Beispiel hierfür ist der Austausch von Kupfer gegen Aluminium in elektrischen Leitungen und ähnlichen Erzeug302 B A Koblenz, R 3/1868, Memo R W i M betr. „ E n t w i c k l u n g der deutschen Metallversorgung seit Kriegsbeginn u n d Vorausschau bis z u m J a h r e 1946", J u l i 1943. 303 Vgl. T a b . 86. 304 W a s die A u s b e u t u n g fremder Ressourcen betrifft, so sind die statistischen D a t e n lückenhaft, ungenau u n d vielfach umstritten (s. d. kritischen B e m e r k u n g e n sowie d a s umfangreiche Die wirtschaftliche Abhängigkeit des Dritten Reiches v o m Material bei Jäger, Jörg-Johannes, Ausland, dargestellt a m Beispiel der Stahlindustrie, Berlin (West) 1969, passim). D a , abgesehen v o n der genauen Gebietsabgrenzung, verschiedene Verarbeitungsstufen und Metallgehalte berücksichtigt werden müssen, befindet sich die S t a t i s t i k der Nichteisenmetalle für den untersuchten Zeitraum allgemein in einem Zustand der „ K o n f u s i o n " ( T h e Effects, S . 109). 305 Einige Positionen in Wagenführ, S . 5 4 ; kritische E i n w ä n d e gegen W a g e n f ü h r s Zahlen bei Jäger, S. 276. 306 Siehe The Effects, S. H O f f . (Tabellen).
369
Die Entwicklung der Kriegsproduktion Tabelle 86 Hüttenproduktion und Verbrauch von Kupfer, Blei und Zink 1938—1944 (in Jahr
1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
Kupfer Produktion (Rohkupfer)
Verbrauch
Blei Produktion (Fertigblei)
Verbrauch
69 67 51 47 41 37 30
448 324 292 372 238 221 219
185 186 175 173 149 174 146
283 248 224 277 238 221 196
10001) Zink Produktion 194 231 318 317 314 312 260
Verbrauch 292 295 330 448 449 382 330
Quelle: Statistisches Handbuch, S. 293 (Produktion); Schnellberichte (Bleiproduktion 1943 u. 1944); The Effects, S. 263, Tab. 83 (Verbrauch). Wesentlich niedrigere Zahlen (wahrscheinl. ohne Beute etc.) in Statistisches Handbuch, S. 293 („Versorgung"). nissen. So ging der Kupierverbrauch von 4 4 8 0 0 0 t im J a h r e 1938 auf 2 2 1 0 0 0 t im J a h r e 1943 zurück, derjenige von Zinn im gleichen Zeitraum von 2 0 4 0 0 auf 9 5 0 0 t , derjenige von Nickel von 1 2 4 0 0 auf 9 4 0 0 t. 3 0 7 An nächster Stelle sind die Anstrengungen von Konzernen und Forschungsinstitutionen zu nennen, Metalle, besonders Legierungsmetalle, untereinander zu substituieren oder ihren Gehalt in den Legierungen ohne große Qualitätseinbuße zu vermindern (etwa mittels Oberflächenhärtung bei Panzerplatten). Konzernvertreter wie Eduard Houdremont und Paul Goerens (Krupp) beschäftigten sich mit ministerieller Unterstützung maßgeblich mit diesen Problemen und erreichten bedeutende Einsparungen an Stahllegierungsmetallen, besonders an Wolfram und Chrom. Schließlich griffen die Verantwortlichen schon früh nach dem persönlichen Eigentum der Bürger an Metallgegenständen, zwangen Institutionen wie die Kirche zur Ablieferung von Metall (Glocken), griffen auch in Bereiche der Konsumgüterindustrie plündernd ein und planten weitere Raubzüge und Vernichtungsaktionen gegen das materielle Kulturgut und das Volksvermögen der Nation. Von 1940 bis 1942 wurden auf diese Weise 98 257 t Kupfer, 1 8 3 4 6 t Blei und 7 1 8 0 t Zinn für den Krieg mobilisiert, in erster Linie aus der „Metallspende" der Bevölkerung, aus der Glockenabnahme und aus der Requirierung von Kupferwalzen aus Textilbetrieben und von Schriftmetall aus Druckereien. 3 0 8 Seit 1942/43 griff man auch auf Kupferkessel und Kupferdächer zurück und plante offiziell für die J a h r e von 1944 bis 1946 außerdem die Requirierung von Orgelpfeifen, Starkstromkabeln, Bleikielen von Segeljachten, Feuerbuchsen aus Lokomotiven, Beleuchtungskörpern und Gehäusen von Registrierkassen, die Demontage der Gardinen- und Teppichstangen, Kupferboiler, Tür- und Fenstergriffe „in allen Häusern", die „Auskämmung" von Antiquitätenläden und Pfandleihen und von stillgelegten Betrieben und Einzelhandelsgeschäften, die „Auskämmung der Museen" und die „Erfassung der einstweilen zurückgestellten Denkmäler". 3 0 9 307 Ebenda, S. 111. 308 Wie Anm. 302. 309 Wie Anm. 302. 25*
370
Rationalisierung und Kriegsproduktion
Tabelle 87 Planung von Metall-„Mobilisierungsmaßnahmen"
für die Jahre 1943—1946
Jahr
Metall
Menge
davon „als sicher angenommen"
1943
Kupfer Blei Zinn Kupfer Blei Zinn Kupfer Blei Zinn Kupfer Blei Zinn
66000 12250 735 65680 21325 3550 81520 8650 4165 70500 1775 1640
60000 10000 600 40000 10000 1500 40000 5000 1200 24000 500 900
1944
1945
1946
(int)
Quelle: BA Koblenz, R 3 / 1 8 6 8 , Memo RWiM, Juli 1943, „Entwicklung der deutschen Metallversorgung seit Kriegsbeginn und Vorausschau bis zum Jahre 1946," Anlage „Metallaufkommen aus Mobilisierungsmaßnahmen im Reich 1943—1946 (Voranschlag)".
Im September/Oktober 1942 gab es, wie in der Zentralen Planung verlautete, „einen Höhepunkt der Mobilisation" von Kupfer, 310 und noch im Herbst 1943 stellte Kehrl an gleicher Stelle fest, man sei bei Kupfer „noch am besten dran, weil die Mobilisationsmaßnahmen stark angezogen haben und die Verbrauche zurückgegangen sind". 311 Man brauche sich, so bestätigte der Reichsbeauftragte für Metalle, Müller-Zimmermann, „für die nächsten zwei Jahre ... keine Sorgen zu machen". Wolken am Horizont zogen für die faschistischen Planer auf, als die Lieferungen von Blei und Zink aus den italienischen Gruben auf Sardinien fortfielen. 312 Besonders Blei sei ein „dunkler Punkt", berichtete Müller-Zimmermann. „Blei können wir durch schärfste Mobilisierung noch schaffen, so wenn wir in den Großstädten nur noch eine Tageszeitung erscheinen lassen. Auch bei den behördlichen großen Druckereien, wie Reichsdruckerei, Reichsmünze, müßten wir die Widerstände überwinden können. Dasselbe gilt für den Druck von Telefonbüchern." Inzwischen hatte die Metall„mobilisierung" teilweise schon groteske Züge angenommen, „Im übrigen ist das Bleisammelproblem auch ein Benzinproblem, weil das Blei aus einer Unmenge von kleinen und Kleinstbetrieben, Druckereien usw. gesammelt werden muß. Vielleicht können wir da auf die Hilfe der Flakkommandos zurückgreifen." Die Versorgung der deutschen Kriegsmaschinerie mit Ferrolegierungsmetallen hing zum allergrößten Teil von deren Beschaffung aus den besetzten Gebieten und durch Importe aus der Türkei (Chrom) und Finnland (Nickel) ab.. Im Jahre 1943 ging die Erzeugung von legiertem Stahl in einem Sprung um fast 50 Prozent in die Höhe. Als größter „Engpaß" stellte sich Chrom heraus. Der Rüstungsminister wies in einer Denkschrift von Ende 310 ZP-P, 26. 1. 1943, 30. Sitzung. 311 Ebenda, 15./16. 9. 1943, 47. Sitzung. Hiernach auch das Folgende. 312 Sardinien wurde im Oktober/November 1943 endgültig von der Wehrmacht geräumt.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
371
Tabelle 88 Bedarfsdeckung in Ferrolegierungsmetallen bei Ausfall der Lieferungen vom Balkan (Chrom), aus der Türkei (Chrom), aus Nikopol (Mangan), aus Finnland (Nickel) und aus Nordnorwegen (Molybdän) (Stand Ende 1943; t)
Bestand Inland Zugang Inland (monatl.) Verbrauch (monatl.) Bedarfsdeckung (Monate)
Mangan
Nickel
Chrom
Wolfram
Molybdän
Silizium
140000
6000
21000
1330
425
17900
8100*
100*
15500
750
19
10
3751
5,6
160
10,6
15,5
4200
69,5
7000
7,8
6,4
„Durch neue Rückgewinnungsmethoden im Hochofenprozeß" „Grube Frankenthal, Schlesien, und Abfälle" Quelle: ZStA Potsdam, FS, Film 1732, Denkschrift Speers für Hitler v. 12. 11. 1943 betr. „Die Legierungsmetalle in der Rüstung und die Bedeutung der Chromzufuhren aus dem Balkan und der Türkei".
1943 3 1 3 auf die wirtschaftsstrategische Bedeutung des Balkans hin, von dessen „Erhalt u n g " in ihrem Machtbereich den deutschen Imperialisten — vorausgesetzt, daß „gesicherte Verhältnisse" aufrechtzuerhalten wären — das Schicksal der gesamten Kriegswirtschaft abzuhängen schien.
e) Maschinen,
Bauten,
Investitionen
Maschinenbau
Der deutsche Maschinenbau war ein hochentwickelter Industriezweig m i t rund 6000 Betrieben, einer Million Beschäftigten, 9431 Millionen RM Umsatz (1942) 314 und einem diversifizierten Produktionsprogramm von H u n d e r t e n Erzeugnissen u n d Tausenden Erzeugnistypen. Kapitalkonzentration und Monopolisierung waren im Schwermaschinenbau, im Lokomotivbau und in einigen anderen Zweigen ausnehmend hoch. In den meisten Bereichen des Maschinenbaus aber konkurrierten größere, mittelgroße u n d eine Vielzahl kleinerer Betriebe miteinander. Insgesamt beschäftigten die 50 größten Betriebe m i t jeweils über 3000 Beschäftigten etwa 20 bis 25 Prozent aller Arbeitskräfte; demgegenüber beschäftigten zwei Drittel aller Betriebe 100 und weniger Arbeitskräfte. 3 1 5 Die Statistik 313 ZStA Potsdam, FS, Film 1732, Denkschrift Speers für Hitler betr. „Die Legierungsmetalle in der Rüstung und die Bedeutung der Chromzufuhren aus dem Balkan und der Türkei", 12.11.1943. 314 BA Koblenz, R 3/167, Statistik der Wigru Maschinenbau (Wigru an Planungsamt, 22. 1. 1944). 315 ZStA Potsdam, FS, Film 10604, Aufstellung üb. die größten Betriebe in 13 Wirtschaftsgruppen, o. V., o. D.; The Effects, S. 46f.
372
Rationalisierung und Kriegsproduktion
Tabelle 89 Betriebsgrößenstruktur in der Werkzeugmaschinenindustrie 1938 und 1944 (nach dem Umsatz) Umsatz
Bis 1 Mill. RM 1 - 2 , 5 Mill. RM 2,5-10 Mill. RM 10 Mill. RM und darüber
Zahl der Firmen (in Prozent aller Firmen) 1938 1944
Anteil am Gesamtumsatz (Prozent) 1938
1944
62,8 16,5 17,3
66,2 16,1 14,9
13,1 14,1 45,2
12,9 17,5 42,5
3,4
2,8
27,6
27,1
Gesamtzahl der Firmen ( = 1 0 0 % )
351
465
Quelle: The Effects, S. 229, Tab. 34. Tabelle 90 Die größten Maschinenbauunternehmen und ihr Umsatz 1942 (in Mill. RM) Firma Fried. Krupp AG, Essen Rheinmetall-Borsig AG, Berlin-Tegel Klöckner-Humboldt-Deutz AG, Köln-Deutz Heinrich Lanz AG, Mannheim Vereinigte Kugellagerfabriken AG, Schweinfurt Rheinmetall-Borsig AG, Düsseldorf Demag AG, Duisburg Gebr. Poensgen AG, Düsseldorf-Rath Henschel & Sohn GmbH, Kassel Kugelfischer G. Schäfer & Co., Schweinfurt Daimler-Benz AG, Stuttgart-Untertürkheim Knorr-Bremse AG, Berlin MAN (Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg), Augsburg Zahnradfabrik Friedrichshafen Wiener Lokomotivfabriks AG, Wiener-Neustadt Zusammen
Umsatz 225,9 142,2 133,7 110,6 108,7 104,4 98,0 95,1 92,5 83,2 67,7 66,5 65,5 60,0 59,0 1513,0
Quelle: BA Koblenz, R 3/167, Bericht Wigru Maschinenbau für R M f R u K (Planungsamt), 22. 1. 1944. der Werkzeugmaschinenindustrie ist einigermaßen repräsentativ f ü r den gesamten Maschinenbau. (Tabelle 89) Die 15 u m s a t z s t ä r k s t e n Maschinenbauunternehmen vereinigten 16 Prozent des G e s a m t umsatzes auf sich. Von den sechs größten dieser F i r m e n gehörten vier als Konzernwerke bzw. Maschinenbauabteilungen zu drei führenden, vertikal gegliederten Rüstungskonzernen. (Tabelle 90) Der deutsche Imperialismus ging wohlausgerüstet m i t Maschinerie in den Krieg und blieb es auch während der Kriegsjahre. Von einer erheblichen latenten Überschußkapazität in
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
373
der Ausrüstung mit Werkzeugmaschinen zeugten sowohl die geringe Beschäftigtenquote je produzierende Werkzeugmaschine in der Industrie (konstant etwa 2,3 gegenüber 5,7 in Großbritannien) als auch die schwache Besetzung der zweiten und dritten Schicht selbst in wichtigsten Zweigen der Rüstungsproduktion. 3 1 6 Mangel an spezieller Maschinerie und Ausrüstung trat allerdings in expandierenden Industrien wie der synthetischen Treibstoff-, der Elektrostahl- und der Energieerzeugung auf. Die Gesamtproduktion des Maschinenbaus (jeweilige Grenzen) stieg einschließlich derjenigen von Kriegsgerät von 1938 bis 1942 auf 162 Prozent (von 1936 bis 1942 auf 248 Prozent). Das hohe Vorkriegstempo hatte sich vermindert, doch die Steigerung setzte sich fort. Am schnellsten wuchs die Erzeugung von Kriegsgerät, nämlich auf 462 Prozent, die des übrigen Maschinenbaus (Neufabrikation) auf 142 Prozent; der Export ging auf 66 Prozent bzw. von 14,7 auf 5,9 Prozent zurück. 3 1 7 Tabelle
91
Produktion
und Beschäftigung
Jahr
Gesamtproduktion
1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
5806,6 6650,4 7693,6 9080,4 9431,0 (7411,7) (7286,1)
im Maschinenbau
davon „Kriegsgerät" Millionen RM 540,8 700,0 1536,5 2120,3 2500,0 2601,5 3264,2
1938—1942
(jeweilige
Grenzen)
Prozent
Gesamtbeschäftigtenzahl (Jahresende) in 1000
9,3 10,5 20,0 23,3 26,5 (35,1) (44,8)
810 860 959 977 1000 1150 ?
Quelle: BA Koblenz, R 3/167, Bericht ^Vigru Maschinenbau für Planungsamt, 22. 1. 1944; The Effects, S. 219, Tab. 19 (1943 u. 1944); in Klammern anders berechnete Werte („Altreich"?). Tabelle
92
Produktion
von Werkzeugmaschinen
1938—1944
Jahr
Stück
„Wert" (Mill. RM)
Gewicht (1000 t)
1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
182849 199361 199490 197960 165969 140084 110377
615 695 793 858 821 790 654
? 264 288 306 288 273 223
Quelle:
The Effects,
3 1 6 The Effects,
S . 2 2 4 , T a b . 2 6 . S i e h e a u c h Wagenführ,
S . 4 3 f.
317 Wie Anm. 314. Siehe auch Tabelle 91.
S . 162 f.
Rationalisierung und Kriegsproduktion
374
Die Aussagefähigkeit der Umsatz- oder „Wert"zahlen ist allerdings begrenzt. Das Gewicht der Maschinentypen nahm vielfach erheblich zu, und noch weit stärker stieg ihr „Wert", d. h. ihr Preis, während die Stückzahl sich weniger hob oder sogar abnahm. Typisch hierfür sind die Angaben aus der Werkzeugmaschinenindustrie. (Tabelle 92) Eine zweite Einschränkung muß in bezug auf den Anteil der Produktion von „Kriegsgerät" gemacht werden. Unter der nicht als „Kriegsgerät" deklarierten Erzeugung standen dem Umsatz nach an vorderster Stelle Wälzlager (Kugellager), Zahnräder und Getriebe sowie Verbrennungsmotoren, 318 also Zulieferteile, die zu einem sehr hohen Prozentsatz unmittelbar in die Produktion von Waffen und Kriegsgerät einflössen. Damit erweisen sich die Zahlen, mit denen die Maschinenbaustatistik den Produktionsanteil an Kriegsgerät auswies, als fragwürdig. Dieser Anteil stieg ihr zufolge von zehn bis zwölf Prozent im Jahre 1939 auf etwa 30 Prozent im Jahre 1942, 319 lag aber 1942 und 1943 bei Anrechnung der direkten Zulieferungen zur Rüstungsendfertigung ohne Zweifel wesentlich höher, wahrscheinlich über 50 Prozent bzw. im Jahre 1944 zwischen 60 und 70 Prozent. In der Studie des USSBS-Abschlußberichts über die Investitionsgüterindustrien 3 2 0 werden außer den Angaben der Wirtschaftsgruppe Maschinenbau, die vier Fünftel der Investitionsgüterproduktion regulierte, mit Recht auch diejenigen der Wirtschaftsgruppe Stahl- und Eisenbau (für Heizanlagen und Kessel sowie Eisenbahnwaggons) und der Wirtschaftsgruppe Elektroindustrie (für schwere elektrische Ausrüstungen) herangezogen. Auf diese Weise wird ein vollständigeres und realistischeres Bild von der Entwicklung der Produktion von Investitionsgütern und damit der Investitionen selbst gewonnen, und die Tabelle 93 Produktion
1939 1940 1941 1942 1943 1944
von Investitionsgütern
1939—1944
(in 1000
t)
Werkzeugmaschinen
Übriger Maschinenbau
Heizanlagen u. Kessel
Eisenbahnmaterial (Lokomotiven u. Waggons)
Schwere elektr. Ausrüstungen (Kraftwerks- u. Leitungsbau
276,6 288,4 314,7 290,0 272,6 218,1**
2199,4 1922,6 1979,2 1881,2 1500,0 986,6
775,9 774,2 893,8 872,0 770,1 521,0
525,9 605,0 772,4 931,3 1145,2 906,0
699 912 1250 1408 1388 1383
* Absatz in 1000 RM ' * Statistisches Queüe:
Handbuch,
The Effects,
S. 295: 244,0
S . 2 1 7 , T a b . 1 6 ; S . 2 1 8 , T a b . 17.
318 Siehe Anm. 314. 319 Ebenda; etwas höhere Werte bis 1944 in The Effects, S. 219, Tab. 19: 1938 11,0 Prozent 1942 32.7 Prozent 1939 12,6 Prozent 35,1 Prozent 1943 1940 24,4 Prozent 1944 44.8 Prozent 1941 28,8 Prozent 320 The Effects, S. 43ff. u. S. 217ff.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
375
bedeutenden Umschichtungen, die sich während des Krieges besonders im Maschinenbau vollzogen, lassen sich klarer erkennen. (Tabelle 93) Der Maschinenbau vereinigte in sich einen recht geringfügigen Sektor der Konsumgüterproduktion (etwa Kleinschreibmaschinen, Haushaltsnähmaschinen, bestimmte Haushaltsgeräte und Armaturen), einen im Krieg schnell wachsenden Sektor der Produktion von Bewaffnung und Munition und den für den Industriezweig charakteristischen Sektor der Produktion von Produktionsmitteln. Zwischen diesen Sektoren fanden einschneidende Verschiebungen statt. Während der Konsumgütersektor immer umfassenderen Produk-
Tabelle 94 Zweige des Maschinenbaus mit starker Produktionszunahme oder -abnähme 1943 gegenüber 1938 Produktionszweig
Zunahme Schwere elektrische Ausrüstungen Werkzeugmaschinen Lokomotiven Kompressoren und Pumpen Kraftmaschinen Armaturen und Maschinenteile Maschinen- und Präzisionswerkzeuge Feuerwehrgeräte Abnahme Baumaschinen Textilmaschinen Büromaschinen Maschinen für Lebensmittelindustrie Nähmaschinen Druckmaschinen Maschinen für Papiererzeugung und -Verarbeitung Holzverarbeitungsmaschinen Maschinen f. Schuh- u. Lederindustrie Wäschereimaschinen Registrierkassen
Produktion (Mill. RM) 1938 1943
Veränderung (Prozent)
699 650 125 449 290 259
1383 858 675 594 496 484
+ +
200 25
356 139
309 223 201
275 113 102
172 101 61
85 39 12
93 62
29 52
28 15 11
13 7 0,1
98 32 + 440 + 32 + 71 + 87
+ 78 + 453 — —
_ — — —
-
— -
Vergleichszahl Arbeitskräfte *
+ 25 + 6 + 180 + + -
4 45 9
+ 132 + 103
11 49 49
-
38 67 69
50 61 80 ^
-
74 77
-
86
69 J 16
-
50
53 52 99
-
77 50 99
* Die Vergleichszahl zeigt die prozentuale Veränderung in der Zahl der Arbeitskräfte (nur Lohnarbeiter) im Januar 1944 gegenüber Juli 1939 an Quelle: The Effects, S. 218, Tab. 17 (Produktion; Prozentzahlen von nicht gerundeten Ausgangszahlen berechnet); S. 222, Tab. 23 (Arbeitskräfte). Siehe auch (unwesentlich abweichend) Statistisches Handbuch, S. 296 f.
Rationalisierung und Kriegsproduktion
376
tionseinschränkungen unterworfen wurde, 3 2 1 vollzogen sich im Produktionsmittelsektor tiefgreifende Umschichtungen. E s schrumpfte vor allem die Produktion von Maschinen für die Ausrüstungen von Zweigen der Konsumgüterindustrie wie Textil-, Druck- und Papierindustrie, während die Produktion von Maschinen für die Ausstattung alter und neuer Rüstungsbetriebe — vom Munitions-, Panzer- und Flugzeugwerk bis zur Bunafabrik und zum Kraftwerk — einen bedeutenden Aufschwung nahm. (Tabellen 9 3 und 94) Einschneidende Regulierungsmaßnahmen trafen Wehrmacht und Behörden im Verlauf des Jahres 1942, um die Maschinen konzentriert den Schwerpunktprogrammen der Rüstung zuzuführen und den nicht „kriegsnotwendigen" Bezug von Maschinen zu drosseln. Im J u n i wurde eine zentrale Maschinenbeschaffungsstelle der Wehrmacht ins Leben berufen. 3 2 2 Am 22. Dezember erließ der Bevollmächtigte für die Maschinenproduktion/ Reichsstelle für Maschinenbau eine Anordnung, nach der sogenannte Bedarfsprüfungsstellen geschaffen wurden, die die „Notwendigkeit jeder Beschaffung von Maschinenbauerzeugnissen" scharf prüfen sollten. „Als Bedarfsprüfungsstelle ist zuständig derjenige Sonderausschuß oder Sonderring ..., in dessen Bereich das zu bestellende Maschinenbauerzeugnis eingesetzt werden soll." 3 2 3 Tabelle 95 Anteilmäßige Gliederung der Maschineninvestitionen 1943 (in Prozent) Industriewirtschaft davon: Rüstungsendfertigung Grundstoffe davon: Bergbau Eisen u. Stahl Mineralöl Chemikalien Verkehr Landwirtschaft Sonstige
77,5 30,4 53,7
10 8,6 3,9
63,2 11,1 11,1 13,6
Quelle: Weyres-v. Levetzow, S. 115f. Zur Hauptaufgabe des Maschinenbaus wurde es im Kriege offensichtlich, die fabrikatorische Ausrüstung der Rüstung umfassend zu stärken und zu erneuern, in allererster Linie diejenige der Rüstungsendfertigung selbst, aber auch die ihrer Grund-, Roh-, Treibstoff- und Energiebasis. Dieser Aufgabe gegenüber trat bis in die letzte Kriegsperiode hinein sogar die maßgebliche Beteiligung des Maschinenbaus an der unmittelbaren 321 Siehe z. B. den „Neuen Plan" der Wigru Maschinenbau (Fachgruppe Büromaschinen) für die Produktion von Schreibmaschinen v. 10. 2. 1943 (BA Koblenz, R 13 III/282), in dem die Produktion von 16070 Maschinen (monatlich) aus 13 Firmen („Alter Plan") auf 5400 Maschinen aus 5 Firmen zusammengestrichen wurde. Großfirmen wie Mercedes und Wanderer gingen völlig zur Rüstungsproduktion über. 322 Weyres-v. Levetzow, S. 43. 323 Anordnung 1/43 des Bevollmächtigten für die Maschinenproduktion als Reichsstelle Maschinenbau über die Auftragsregelung für Maschinenbauerzeugnisse v. 22. 12. 1942, zit. ebenda.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
377
Erzeugung von Waffen und Kriegsgerät zurück. Angaben aus der Werkzeugmaschinenindustrie zufolge gingen während des Krieges nie weniger als 70 Prozent ihrer Erzeugung in die Rüstungsindustrie (im engeren Sinne) bzw. an die Wehrmacht selbst; Ende 1942 erreichte dieser Anteil 75 Prozent und überschritt 1943/44 zeitweise sogar 80 Prozent. 324 Selten wird ferner so klar wie bei dem Vergleich der Produktions- mit der Arbeitskräfteentwicklung in den aufgeführten Zweigen des Maschinenbaus, wie scharf die Rationalisierungsschraube angezogen und wie ausschließlich die Produktionssteigerung durch gesteigerte Ausbeutung —gesteigerte Arbeitsproduktivität, hauptsächlich aber gesteigerte Arbeitsintensität — erreicht wurde; bei fallender Produktion stieg die Ausbeutung in nicht geringerem Maße. 325
Bauwesen
Die tiefgreifenden Umschichtungen im Maschinenbau korrespondierten mit schwerwiegenden Veränderungen in der Investitionsentwicklung. Zu einer genaueren Analyse der Investitionen der Kriegszeit bedarf es aber einer ergänzenden Untersuchung des Bauwesens, dessen Produktion gleichfalls eine entscheidende materielle Voraussetzung für die Investitionstätigkeit war. Im Mai 1939 existierten im Bauwesen rund 28000 Industrie- und 239000 Handwerksbetriebe mit jeweils 861000 bzw. 1624000 Beschäftigten. Davon verrichteten Bautätigkeit im engeren Sinne (Hoch-, Tief- und Straßenbau) 7500 Industrie- und 80000 Handwerksfirmen mit 756000 bzw. 1096000 Beschäftigten. 3 ^ Die Beschäftigtenzahl sank während des Krieges sowohl in der Industrie als auch im Handwerk schnell, insgesamt auf 44 Prozent im Jahre 1943; in diesem Arbeitskräftebestand war ein außergewöhnlich hoher Prozentsatz ausländischer Arbeitskräfte enthalten. (Tabelle 96) Außerdem beschäftigte die Organisation Todt noch im November 1944 anderthalb Millionen Arbeitskräfte, darunter 1,13 Millionen (76 Prozent) ausländische Zwangsarbeiter. 327 Die Produktionsleistung des Bauwesens fiel noch stärker ab als die Beschäftigtenzahl, anscheinend wegen des Abzugs gerade der jüngeren, leistungsfähigen Bauarbeiter zur Wehrmacht und wegen der geringeren Arbeitsproduktivität der ausländischen Zwangsarbeiter; in der Rationalisierung der Produktion blieb das Bauwesen verständlicherweise hinter anderen Produktionszweigen weit zurück. (Tabelle 97) Auch hier sind die auswärtigen Bauprojekte der OT nicht einbegriffen, die von 1941 bis 1943 einen immensen Umfang annahmen (Bau von Durchgangsstraßen, Brücken, Eisenbahnen im Westen und Osten — 1943 „bis zum Kaukasus" —, auf dem Balkan, „Eismeerstraße Finnland" usw.). Nach einer Aufstellung der OT-EinsatzgruppenVerwaltung vom 324 The Effects, S . 48f. 325 Der T a t b e s t a n d ist eindeutig auch bei Berücksichtigung der Preissteigerungen, die Tabelle 94 nicht ausweist. 326 The Effects, S . 235, T a b . 45. 327 E b e n d a , S . 238, T a b . 50. — E s handelte sich offenbar hauptsächlich um zwangsweise verschleppte bzw. bei den Rückzügen „rückgeführte" Personen; vordem im besetzten Gebiet war der Prozentsatz zweifellos noch erheblich höher.
378
Rationalisierung und Kriegsproduktion
Tabelle 96 Beschäftigte im Bauwesen 1939—1944 (Vorkriegsgrenzen; jeweils 31. 5.; in 1000) Jahr
Beschäftigte in Industriebetrieben
darunter Ausländische Zwangsarbeiter * (Prozent)
Beschäftigte darunter in Handwerks- Ausländische betrieben Zwangsarbeiter * (Prozent)
1939 1940 1941 1942 1943 1944
906 713 733 518 443 434
? ? 41 46 50 53
1624 1008 1036 721 701 682
? ? 21 28 30 ?
* Zahlen aus geringfügig differierenden Quellen Quelle: The Effects, S. 62, Tab. 36 (Beschäftigte); S. 236, Tab. 47 und S. 237 Tab. 49 Tabelle 97 Volumen der Bautätigkeit 1938—1944 (Preise von 1938; in Md. RM) Jahr Bauvolumen 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
13,0 12,8 8,6 6,9 4,7 4,0 3,6-3,8
Quelle: The Effects, S. 55, Tab. 28. April 1944 betrugen die Bausummen für 1941 zunächst 1,265 Milliarden RM, für 1942 schon 2,71 Milliarden und für 1943 sogar 4,1 Milliarden RM. 3 2 8 Auf höherem Niveau als die Bautätigkeit blieb die Produktion von Baumaterialien wie Zement, Ziegeln und Kies. (Tabelle 98) Angesichts der undifferenzierten Angaben über die allgemein rückläufige Entwicklung der Bautätigkeit fördert eine Analyse ihrer hauptsächlichen Typen erstaunliche Resultate zutage. Im Jahre 1938 floß eine hohe Investitionssumme in den Bau von Straßen und Wasserstraßen. Die Mittel für den Straßenbau stiegen von 1932 bis 1938 von 151 auf 1784 Millionen RM (darunter über 900 Millionen RM für Autobahnen), diejenigen für den Bau von Wasserstraßen und Häfen von 94 auf 247 Millionen RM, so daß die Gesamtsumme über zwei Milliarden RM betrug. 3 2 9 328 BA Koblenz, R 3/1808. 329 Statistisches Jahrbuch, 1941/42, S. 609.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion Tabelle
98
Produktion
Jahr
1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 Quelle:
379
von Baumaterialien
(Steine
und Erden)
1938—1944
Baumaterialien insgesamt (phys. Volumen; 1938=100)
darunter Zement (1000 t)
Dachziegel (Mill. Stck.)
100 100,6
1287 1313 970 1118 806 942 908
103 105 69 69 57 72 73
72,4 74.0 49,3 55,6 56.1
The
Effects,
(Monatsdurchschnitt)
HolzwolleLeichtbauplatten
(1000 m2) 2210 2640 2254 2342 2237 2438 2264
S . 2 4 3 , T a b . 5 6 u n d 57. G e r i n g f ü g i g a b w e i c h e n d
Statistisches
Handbuch,
S. 304 f.
In den ersten Kriegsjahren gingen Straßen- und Wasserstraßenbau verhältnismäßig langsam zurück, fielen dann 1943 und 1944 aber „praktisch auf Null". 3 3 0 Für 1944 wurden — einschließlich der normalen Straßenerhaltung und -reparatur — für den Höchstfall nur noch drei Prozent der Investitionssumme von 1938 veranschlagt, die möglicherweise nicht einmal mehr verbraucht wurden. seinen Höhepunkt — Verdreifachung des Im Jahre 1936 erreichte der Bau von Wohnungen Standes von 1932 — mit einer Bausumme von 2,2 Milliarden RM und bezifferte sich auch im Jahre 1938 noch mit 2,15 Milliarden RM. 3 3 ! Im Kriege ging der Wohnungsbau rasch auf 15 bis 20 Prozent im Jahre 1943 zurück; 1944 lag die Zahl der fertiggestellten Wohnungen — allerdings ohne Hinzurechnung der Baracken und „Behelfsheime" — noch darunter, etwa bei einem Siebentel derjenigen von 1939. 332 Der Bau von Befestigungen, darunter in erster Linie des sogenannten Westwalls („Siegfried-Linie"), verschlang zwischen 1938 und 1940 ungefähr zwei Milliarden RM. 333 Mit dem Feldzug in Westeuropa und der Niederlage Frankreichs im Jahre 1940 hörte der Festungsbau auf. Spätere Bauten, wie den „Atlantikwall" und den „Ostwall", errichteten OT und Wehrmacht in den besetzten Gebieten mit den dort aufgebrachten Materialien und Arbeitskräften. Anlagen. Der Industriebau hatte in der Aufrüstungsperiode Blieb der Bau von industriellen und insbesondere im Zeichen des Vierjahresplanes erhebliche Ausmaße erreicht. Sein Anteil an den Industrieinvestitionen insgesamt kann nur geschätzt werden. Diese Investitionen stiegen bis 1939 auf 4,432 Milliarden RM an (1936=2,159 Milliarden RM). 334 Der Bauanteil wird sich annähernd auf zwei Milliarden RM belaufen haben. 335 Der Industriebau war, wie sich herausstellt, der einzige große Bereich, in dem die Bau3 3 0 The Effects,
S. 59.
3 3 1 Statistisches
Jahrbuch, S. 59.
3 3 2 The Effects,
1941/42, S. 610f.
333 Ebenda, S. 60. 3 3 4 Statistisches 335
The Effects,
Jahrbuch, S . 55.
1941/42, S. 612.
Rationalisierung und Kriegsproduktion
380
tätigkeit bis 1943 auf der erreichten Höhe blieb, j a während der J a h r e 1941 und 1942 offensichtlich — so wie es die Entwicklungskurve des Maschinenbaus belegte — noch zunahm. 3 3 6 Waren für 1939 die Industriebauten auf zwei Milliarden RM zu schätzen, so gab das Planungsamt sie gemäß der nachfolgenden Tabelle für 1943 mit rund 1,9 Milliarden RM an. Hierzu müssen sinngemäß auch die aufgeführten Bausummen für die Energiewirtschaft, ein sicherlich beträchtlicher Teil derer für das Verkehrswesen und nicht zuletzt zu großen Teilen die Summen für den Barackenbau gerechnet werden, der bis in die Zeit der Industrie„verlagerung" hinein so gut wie ausschließlich der Unterbringung von Zwangsarbeitern, oft direkt auf dem Werkgelände, diente. Damit belief sich der Bauanteil an den industriellen Investitionen des Jahres 1943 auf schätzungsweise 2,5 bis 3 Milliarden RM. Tabelle 99 Gliederung der Bauinvestitionen
1943 („Großdeutschland";
Industriebau davon: Rüstungsendfertigung Übrige Fertigwarenindustrie Grund-, Roh- und Treibstoffindustrie davon: Mineralöl Chemikalien Kohle Übrige Bauten für Energiewirtschaft Bauten für Verkehrswesen Bauten für Landwirtschaft öffentliche Gebäude (darunter WM, Luftschutz usw.) insgesamt Wohnungsbau davon: Baracken Übriger Wohnungsbau Insgesamt
in Mill.
RM)
1892 699 141 992 302 261 126 303 392 525 343
1167 856 291 565 5175
Quelle: The Effects, S. 59, Tab. 32. Siehe auch Weyres-v. Levetzow, S. 115 (Prozentzahlen). Zu berücksichtigen sind hier freilich nicht unerhebliche Preisveränderungen, d. h. Verteuerungen, seit 1938/39. Von untergeordneter Größenordnung waren 1943 dagegen noch solche Industriebauten, die mit der Verlagerung von Rüstungsbetrieben oder mit der Reparatur von Bombenschäden zusammenhingen und die somit nicht oder nicht in erster Linie zur Erweiterung, sondern zur Erhaltung der vorhandenen Substanz an Produktionskapazität in der Rüstung beitrugen. Die schroffe Reduzierung des Gesamtbauvolumens seit Kriegsbeginn hatte sich bis 1943 also nicht im geringsten beim Industriebau, d. h. bei den Investitionen im Produktionsbereich, ausgewirkt, sondern war ganz und gar auf Kosten der anderen Bereiche der 336 Falsche bzw. schwankende Beurteilung bei Wagenführ, S. 38 u. S. 56 ff.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
381
Bautätigkeit gegangen — und zwar in der Weise, daß, wie auch an der Entwicklung des Maschinenbaus zu erkennen, die Industrieinvestitionen sich immer ausschließlicher auf die Rüstungsindustrie konzentrierten.
Industrielle
Anlageinvestitionen
Wie es die Daten aus der Entwicklung des Maschinenbaus und der Bauwirtschaft übereinstimmend bestätigen, hielten die industriellen Investitionen bis 1943 nicht nur ihr hohes Vorkriegsniveau, während alle anderen volkswirtschaftlichen Investitionen, besonders einschneidend die im Wohnungsbau und im öffentlichen Bauwesen, zurückgingen, sondern sie erhöhten sich in den Jahren 1941 und 1942 noch sehr erheblich. Bei Wagenführ Tabelle 100 Industrielle Anlageinvestitionen Jahr
Industrielle Brutto-Anlageinvestitionen
1928 1932 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
2615 439 1636 2159 2843 3691 4432 4861 5254 5564 4906 3505
1928,1932,1935—1944
Anteil an den volkswirtsch. Brutto-Anlageinvestitionen (Mill. RM; nicht (Prozent) preisbereinigt) * 19,1 10,4 15,5 19,5 21,7 24,2 25,6 31,8 35,0 36,6 ca. 40 ca. 40
(ohne
davon „Vierjahresplan"investitionen (Mill. RM)
— — —
750 1500 1950 2100 2490 2490 1970 ? ?
Energiewirtschaft) Zum Vergleich: Brutto-Anlage- Netto-Anlageinvestitionen investitionen (nur im Gebiet der B R D ; preisbereinigt ; Preise von 1950 in Mill. DM-West) 2379 462 1819 2366 3113 3967 4729 5261 5537 5869 5079 3541
+ 726 - 625 + 286 + 792 + 1472 + 2235 + 2872 + 3255 + 3361 + 3514 + 1669 -3561
* Die Zahlen für die Kriegsjahre (1940—1944) sind von Westdeutschland (Krengel) und „Mitteldeutschland" (Kupky) interpoliert auf das sogn. Altreich nach den Werten für 1939, demnach allgemein noch zu niedrig wegen der starken Expansion „Großdeutschlands" im Krieg und wegen des zunehmenden Gewichts der Rüstungsproduktion einschließlich Investitionen in den östlichen Reichsgebieten. Das Verhältnis zwischen Ausrüstungs- und Bau-Anlageinvestitionen blieb in den Kriegsjahren mit rund 3,2 zu 1 so gut wie konstant. Quelle: Statistisches Handbuch, S. 605 (bis 1939); Krengel, Rolf, Die langfristige Entwicklung der Brutto-Anlage-Investitionen der westdeutschen Industrie von 1924 bis 1955/56, in Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, 2/1957, S. 170 ff.; Kupky, Helmut, Die langfristige Entwicklung der Brutto-Anlage-Investitionen der mitteldeutschen Industrie von 1924 bis 1955, in: ebenda, S. 398ff. (1940—1944); Petzina, Autarkiepolitik, S. 183 (Vierjahresplan); Krengel, Rolf, Anlagevermögen, Produktion und Beschäftigung der Industrie im Gebiet der Bundesrepublik von 1924 bis 1956, Berlin (West) 1958, S. 98, S. 106 (Gebiet der BRD).
382
Rationalisierung und Kriegsproduktion
finden sich zwar verschiedentlich zutreffende Feststellungen darüber, daß „zum Teil noch bedeutende Kapazitätserweiterungen vorgenommen wurden" 3 3 7 ; doch schränkt dieser Autor sie fälschlich auf den Rohstoffsektor ein, „vor allem auf vier Erzeugnisbereiche — Mineralölsynthese, Buna, elektrischen Strom und Elektrostahl". 338 Radikal änderte sich allerdings die Investitionsstruktur innerhalb der Industrie. Diese Umstrukturierung war in ihren Anfängen schon in den Vorkriegsjahren (Vierjahresplan) zu erkennen gewesen. In den ersten Jahren des Krieges setzte sie sich insofern mit Abstrichen durch, als die Industrie in größerem Umfang auch „normale" Investitionen tätigte, d. h. Investitionen, die gewissermaßen unabhängig vom Kriegszustand bzw. in Vorbereitung auf die bald erhofften Nachkriegsgeschäfte vorgenommen wurden, zweifellos auch in Zweigen der Konsumgüterindustrie. Seit 1942/43 sorgte eine verschärfte staatsmonopolistische Regulierung durch Munitionsministerium und Zentrale Planung dafür, daß Maschinen und Baukapazitäten immer ausschließlicher und einseitiger der Rüstungsindustrie zugeteilt wurden. In der zweiten Hälfte des Jahres 1943 scheinen sich Veränderungen in der Investitionsentwicklung angebahnt zu haben, die in verschiedene Richtungen zielten. Im Juli/August begannen angesichts des Scheiterns der Kursker Offensive und der zu erwartenden sowjetischen Gegenoffensive intensive Beratungen und Planungen darüber, wie — vor allem auf Kosten von Investitionen, z. B. im Bergbau (Kohle), aber auch in der eigentlichen Rüstungsindustrie — nach „Stufenplänen" Eisen und Stahl „abgezweigt" werden könnten, um sofort mehr Munition und anderes Kriegsgerät zu erzeugen. „Die Lage auf dem Munitionsgebiet des Heeres, auf dem Gebiet der Flakmunition, der Bombenfertigung, der Kraftfahrzeugversorgung, der Fliegerschädenbeseitigung und der Flugmotorenfertigung erfordert Maßnahmen zur zusätzlichen Bereitstellung von Eisen." 339 Es müsse, so Hitler, „durch Umlegung von Investitionen auf Sicht Eisen freigemacht werden". 340 Am 4. August legte Speer Hitler einen Plan vor, der vorsah, die längerfristigen Programmziele bei Waffen („Waffen-Endprogramm") „terminlich zurückzustellen", d. h. die laufenden Investitionen zu kürzen, „um die dafür zur Zeit in die Fertigung von Werkzeugmaschinen, Bauten, Einrichtungen und Vorrichtungen fließenden Materialien für die laufende Produktion freizubekommen". 341 „Dasselbe soll für Panzer aufgestellt werden." 342 Zur gleichen Zeit aber machte sich in der Industrie ein verstärkter und zunehmender Investitionsdrang bemerkbar, der sich eindeutig auf Ersatz- und Neuinvestitionen für den — wie auch immer gearteten — Übergang zur Nachkriegswirtschaft richtete. Diese Entwicklung konnte offenbar auch durch die staatsmonopolistischen Restriktionsmaßnahmen nicht völlig eingedämmt werden. „Es kann kein Zweifel darüber bestehen", schrieb Kehrl, Chef des Planungsamtes, Ende 1943, „daß der Drang zur Substanz, zur Verbesserung des Betriebes, zur normalen Friedensreparatur, zu Ersatz- und Neuinvesti337 Ebenda, S. 56. 338 Ebenda, S. 57. Die von W. angeführten Statistiken (Kapitalinvestitionen insgesamt und „Gewerblicher und öffentlicher Hochbau") sollen anscheinend den starken Abschwung während der Kriegsjahre demonstrieren und sind wegen ihrer Undifferenziertheit für unser Thema irrelevant (ebenda, S. 160). 339 FB, 8. 7. 1943, Punkt 7. 340 Saur, Stichworte, 8. 7. 1943. 341 FB, 4./5. 8. 1943, Punkt 1. 342 Saur, Stichworte, 4. 8. 1943 (Hinzufügung Saur: „Programm wurde später trotz Absetzung der Bauten in ursprünglicher Höhe erreicht").
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
383
tionen in der ganzen Wirtschaft übermächtig ist und in konträrem Gegensatz zu den Erfordernissen der Kriegswirtschaft im fünften Kriegsjahr steht, die eine Abbremsung der Investitionen zugunsten ... des laufenden Rüstungsausstoßes verlangen. ... Der Sog, der ... von der Seite privatwirtschaftlicher Überlegungen ausgeht, ist übermächtig und wird sogar durch die Steuerpolitik begünstigt (Abschreibungen)." 343 Im Jahre 1944 ging das stürmische Wachstum an industriellen Kapazitäten in Abbau über, vor allem weil die Produktion der Investitionsgüterindustrien zurückging, aber auch weil die Luftangriffe der Anglo-Amerikaner nunmehr die Substanz ernsthaft minderten und weil Maschinenbau und Bauwesen in immer größerem Umfang mit Reparaturen, mit der Wiederherstellung von Kapazitäten und mit aufwendigen Untertageverlagerungen beschäftigt waren. Ohne die hohen und gezielten Investitionen der vorhergehenden Jahre ist jedoch der Produktionsaufschwung in der Rüstung des deutschen Imperialismus nicht zu erklären, der im Juli 1944 seinen Höhepunkt erreichte und in vielen Arten von Kriegsgerät bis Ende des Jahres anhielt. Außerordentlich tiefgreifende Auswirkungen hatte die Investitionspolitik des deutschen Imperialismus auch auf die Nachkriegszeit. Wenn man nämlich die Kriegsschäden gegen die Investitionen der Kriegszeit aufrechnet, so erhält man — nach Krengel für Westdeutschland — überraschend niedrige Maßzahlen der wirtschaftlichen Zerstörung: „Ab 1944, als sich die Wirksamkeit der Luftangriffe vervielfachte, schrumpfte in allen Bereichen der Industrie das Brutto-Anlagevermögen der westdeutschen Industrie so stark, daß im Saldo der Investitionen einerseits, der Kriegsschäden andererseits in den letzten sechzehn Monaten des zweiten Weltkrieges das Brutto-Anlagevermögen der westdeutschen Industrie im Durchschnitt dieser Zeit jeden Monat um 1 vH verringert wurde, anfangs weniger, später wesentlich mehr." 3 4 4 Da das gesamte Brutto-Anlagevermögen der Industrie aber 1943, im Ausgangsjahr für diese Berechnung, dank der Investitionen der Kriegsjahre weit größer war als 1939, stand der deutsche Imperialismus den Siegermächten bei Kriegsende de facto mit einem eher noch stärkeren, wenn auch strukturell völlig deformierten industriellen Apparat gegenüber. Selbst die Demontagen und das Investitionsdefizit der Jahre 1945 bis 1948 drückten, nach Krengel, das Volumen des Brutto-Anlagevermögens der westdeutschen Industrie dank jenen Rüstungsinvestitionen nicht unter dasjenige von 1939. 345 Die Masse der Bevölkerung hingegen lebte nach dem Krieg jahrelang in großem materiellen Elend, dessen Wurzeln im imperialistischen Raubkrieg und in hohem Maße gerade in der Kriegsinvestitionspolitik der Rüstungsmonopole lagen. 343 Kehrl an Friedrich Dorn, 28. 12. 1943, zit. b. Weyres-v. Levetzow, S. 117. 344 Krengel, Rolf, Anlagevermögen, Produktion und Beschäftigung der Industrie im Gebiet der Bundesrepublik von 1924 bis 1956, Berlin (West) 1958, S. 13 f. 345 Ebenda, S. 14, S. 94 f. — Krengel entblättert mit seinen Berechnungen ausdrücklich und vollständig das westdeutsche Nachkriegs-,, Wirtschaftswunder" (ebenda, S. 15). Wesentlich unschärfer und ungenauer, aber in der Tendenz ähnlich Pritzkoleit, Kurt, Gott erhält die Mächtigen. Rück- und Rundblick auf den deutschen Wohlstand, Düsseldorf 1963, S. 125 ff.
26 Eichholtz II
Rationalisierung und Kriegsproduktion
384 f)
Konsumgüter346
Während der „Blitzkriegs"feldzüge ging die Konsumgüterproduktion nur in bescheidenem Umfang zurück. Nach anfänglichem Absinken, vor allem infolge der Einziehungswelle, 347 spielte sie sich 1940/41 unter der offiziell propagierten Losung der „friedensähnlichen Kriegswirtschaft" auf einen Stand von nur wenigen Prozent unter dem Vorkriegsniveau ein. Weit stärker als die Produktion war allerdings der zivile Konsum gefallen. Stattdessen trat die Wehrmacht mit etwa verdoppelten Aufträgen als Kunde auf. Tabelle 101 Produktion und Absatz der Konsumgüterindustrie (Index: 1939=100)
1939—1944
Jahr
Produktion
Absatz an die Prozent vom Zivilbevölkerung * Gesamtumsatz
1939 1940 1941 1942 1943 1944
100 94,1 95,7 86,1 90,8 85,4
100 90,4 88,2 74,4 73,9 72,3
82,8 79,6 77,0 72,4 . 68,1 67,8
* Gesamtumsatz abzüglich direkter und mittelbarer Absatz an die Wehrmacht; also offenbar einschl. des Exports und der Lieferungen von „sonstigem kriegswichtigen Bedarf", d. h. an Reichsbahn, Reichspost, RAD, OT, DRK, Luftschutzgliederungen der NSDAP usw. (s. ZStA Potsdam, Fall VI, Film 413, Dok. PS-1456, Prot, der Besprechung Gen. Thomas* „mit Vertretern der Wirtschaft" am 9. 1. 1941) Quelle: The Effects, S. 130, Tab. 77. Der Anteil an der Konsumgüterproduktion, den die Wehrmacht erhielt, nahm dementsprechend zu, kletterte aber offenbar erst seit dem Frühjahr 1942 in verschiedenen Zweigen kräftig aufwärts. (Tabelle 102) Die Statistik der Wehrmachtsaufträge war ohne Zweifel unvollständig. Die RGI meldete schon für Sommer/Herbst 1940 höhere Zahlen in einer Reihe von wichtigen Industrie. 346 Unter Konsumgüterindustrie wird im folgenden allgemein der Bereich der in Tabelle 102 aufgeführten Wirtschaftsgruppen erfaßt, wenngleich selbstverständlich auch Teile der metallverarbeitenden, der feinmechanischen und optischen, der Elektroindustrie usw. dazuzurechnen sind. 347 Bis Anfang Juni 1940 war die Zahl der männlichen Arbeiter durch Einziehung und „Auskämmung" um über 30 Prozent zurückgegangen in der Textil- und Lederindustrie, um 20 bis 25 Prozent in der Bekleidungs-, der holzverarbeitenden und keramischen Industrie, in der Brauerei und Mälzerei und in der Papierverarbeitung (ZStA Potsdam, IG-Farben-Prozeß (Fall VI), Film 413, Dok. PS-1456, K T B WiRüAmt, Protokoll d. Bespr. v. General Thomas „mit Vertretern der Wirtschaft" am 9. 1. 1941). Nach Beendigung des Feldzugs im Westen waren der Konsumgüterindustrie wieder Arbeitskräfte zugeführt worden, zum Beispiel „Weltkriegsteilnehmer" (aus dem ersten Weltkrieg) und „Wirtschaftsbeurlaubte" (s. ebenda, passim).
385
Die Entwicklung der Kriegsproduktion Tabelle
102
Anteil der Wehrmachtsauf 1942 und 1943
träge
an
Produktion
und
Beschäftigung
Industriezweig bzw. Wirtschaftsgruppe
Anteil der Lieferungen für die Wehrmacht am Umsatz (Prozent) Frühj. III. QuarJuli 1942 tal 1943 1942
Textilindustrie Lebensmittelindustrie Bekleidungsindustrie * Holzverarb. Industrie Druck Lederindustrie Papiererzeugung Papierverarb. Industrie Keramische Industrie Glasindustrie Brauerei u. Mälzerei Zuckerindustrie Spiritusindustrie
32 p
42
16 58 17 37 25 25 22 32
22 65 19 42
Insgesamt
0 0
0 —
?
?
29 25 32
? ? ?
—
44 25 23 68
in der
Konsumgüterindustrie
November 1943 Zahl d. Be- davon für schäftigten WM-Aufträge (in 1000) (Prozent)
?
888,1 454,1 319,9 289,5 202,4 186,6 124,4 107,7 99,3 92,7 78,8 59,4 22,0
44 25 23 68 20 63 37 40 28 37 8 5 32
—
2924,9
38
?
43 0 40 O
37 8 5
* Erfaßt wird nur die Lohnarbeit, d. h. Herstellung aus Wehrmachtsmaterial, „in der Fertigung wahrscheinlich 40 bis 50 v. H . " (R 3/1802)
Quelle: BA Koblenz, R 3/1802, Aufstellung „Anteil der Wehrmacht am industriellen Absatz. Stand Frühjahr 1942", v. 19. 6. 1943 (mit hs. Ergänzungen „Juli 1942"); Wagenführ, S. 174, Tab. 4 (111/1943); S. 158, Tab. 4 (Nov. 1943).
zweigen: „Die Belegung durch die Wehrmachtsfertigung ist in allen Zweigen der Verbrauchsgüterindustrie wesentlich größer, als man es sich im allgemeinen vorstellt. Sie betrug beispielsweise in der Bekleidungsindustrie am Ende des ersten Kriegsjahres 55 Prozent, in der Lederindustrie 47,5 und in der Textilindustrie 43,6 Prozent. Auch Glasindustrie (34,6 Prozent), Keramische Industrie (27,3 Prozent), Spiritusindustrie (29,4 Prozent) und Lebensmittelindustrie (17,9 Prozent) sind in verhältnismäßig größerem Maße durch Wehrmachtslieferungen in Anspruch genommen." 3 4 8 Ein ausreichendes Kriterium für die Lebenshaltung der Bevölkerung war die Statistik der Konsumgüterproduktion freilich auch aus mehreren anderen Gründen nicht: wegen der — sehr differenzierten — Rationierung von Lebensmitteln und Konsumgütern, wegen der Qualitätsverschlechterung vieler Waren einschließlich von Lebensmitteln, wegen der schleichenden Inflation und nicht zuletzt wegen der zusätzlichen „privaten" Versorgung breiterer Kreise aus den besetzten Gebieten. Im Jahre 1942 verzeichnete die Konsumgüterindustrie insgesamt den stärksten Rückgang während des Krieges in Höhe von zehn Prozent; noch schneller sank der „zivile" Umsatz 348 Ebenda. 26*
386
Rationalisierung und Kriegsproduktion
(16 Prozent). Damit „dürfte der an die Zivilbevölkerung gelangte Teil nur noch 50 bis 60 v. H. des Vorkriegsstandes erreicht haben, etwa ein Zehntel weniger also als im Tief der schwersten Wirtschaftskrise Mitte 1932". 349 Im Jahre 1943 stieg die Produktion der Konsumgüterindustrie noch einmal um rund fünf Prozent. Doch der Anteil, der davon tatsächlich dem zivilen Sektor zugute kam, nahm etwa im gleichen Verhältnis ab. Die Produktionserhöhung wurde von der Wehrmacht aufgesaugt; die Produktion für den zivilen Verbrauch blieb annähernd auf dem Stand des Vorjahres. Die Zahl der Beschäftigten in der Konsumgüterindustrie schwankte im Laufe des Jahres 1943 heftig, blieb aber insgesamt fast konstant. 3 5 0 Angesichts der lautstarken Propaganda des „totalen Krieges" waren diese Tatsachen erstaunlich genug. Der Rüstungsminister, ein Verfechter weitgehender Stillegungsmaßnahmen in der Konsumgüterindustrie, erreichte bei Hitler im April 1943 vorerst das Einverständnis des „Führers" damit, „daß durch Einstellung von Produktionen im Laufe der Zeit Dinge, die nicht mehr f ü r den totalen Krieg erwünscht sind, automatisch zur Einstellung kommen. ... Dieses Prinzip sei auch sonst überall anzuwenden, da es leichter und mit weniger Aufregung (unter der Bevölkerung — D. E.) zum Erfolg f ü h r t als Verbote." 3 5 1 Im übrigen verlangte Hitler „eindringlich", „daß Mangelerscheinungen im Reich" — er nannte beispielsweise „Fahrräder für Rüstungsarbeiter" — „zunächst zuungunsten der besetzten Gebiete abgestellt werden müssen". 352 Im Oktober 1943 sprach Speer sich vor der Parteiprominenz mit Schärfe gegen den Überkonsum an aufwendigen Gebrauchsgegenständen aus und gab drastische Produktionseinschränkungen und -Stillegungen auf zahlreichen Gebieten bekannt. 3 5 3 Er griff besonder^ den „Luxus" der Wehrmacht an, die zum Beispiel noch 824000 Reit- und Offiziersschaftstiefel im J a h r erhielt. Die Wehrmacht bezog, nach Speer, pro J a h r von insgesamt 12 Millionen kg Bürobedarfsartikeln 11,08 Millionen kg, von 730 Millionen Flaschen 440 Millionen, von einer Million Klosetts 620000, von 880 t Klaviersaitendraht 800 t (!), fast die gesamte Scherenproduktion in Höhe von 4,4 Millionen Stück und 6,2 Millionen Dienststempel. Eine Besonderheit des Bedarfs und Verbrauchs an Konsumgütern besteht darin, daß die Bevölkerung bei fehlender Warendecke noch eine sehr dehnbare Zeit lang mit dem vorhandenen Vorrat auskommt — abgesehen von Lebensmitteln und kurzlebigen Gütern wie bestimmten Arten von Arbeits- und Kinderkleidung, Waschmitteln, Schreibwaren usw. Auf dieses Konsum„polster" — einen Teil des Volksvermögens — rechneten die Verantwortlichen, wenn sie die „zivile" Erzeugung der Bekleidungsindustrie so weit drosselten, daß im Jahre 1943 beispielsweise Wäsche und Kleidung für Kleinkinder, Knaben und Mädchen, sogar Windeln und Unterwäsche, nur noch in minimalen Mengen von weniger als einem Stück (Windeln=fünf Stück) je 1000 Einwohner produziert wurden. 354 Als unabweisbar stellte es sich aber im Laufe desselben Jahres heraus, die „ausgebombte" Zivilbevölkerung notdürftig mit den wichtigsten Gebrauchsgütern zu versehen, Glas oder 349 Wagenführ, S. 49. — W. bezieht diese Aussage unter unveränderten statistischen Voraussetzungen auf das Jahr 1944. 350 Siehe The Effects, S. 211, Tab. 9. 351 FB, 25. 4. 1943, Punkt 4. — Mit Verboten waren offizielle Anwendungsverbote gemeint, z. B. in der Schönheitspflege. 352 Ebenda. 353 ZStA Potsdam, FS, Film 3570, Rede in Posen am 6. 10. 1943. Hiernach auch das Folgende. 354 Wagenfähr, S. 174 ff., Tab. 5.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion Tabelle 103 Produktion ausgewählter
Warenart
1942
Bettstellen (Holz) Kleiderschränke Küchenschränke Küchen- u. Wohnzimmertische Stühle Tafelglas (1000 m2) Quelle:
Verbrauchsgüter
The Effects,
29200 14400
387 1942 und 1943 f
1943
Steigerung 1943 (Prozent)
73900 28700
153 99 52
35500 340000 5388
35 49 26
?'
etwa 26300 etwa 228000 4272
Monatsdurchschnitt)
S . 2 7 2 , T a b . 9 6 u . 9 7 ; a b w e i c h e n d Wagenführ,
S . 5 0 ; S . 173, T a b . 3 .
Pappe zum Ersatz geborstener Fensterscheiben zu produzieren usw. Ende 1943 waren mehr als sechs Prozent des Wohnraums in Deutschland durch Luftangriffe völlig zerstört oder schwer beschädigt. 3 5 5 Bei den Möbeln für die Geschädigten handelte es sich um einfach konstruierte, billig herzustellende Massenware, die im Rahmen des sogenannten „Kriegsauflagenprogramms" vom Oktober 1942 3 5 6 standardisiert worden war. Nach der Verordnung über das „Kriegsauflagenprogramm" sollte allgemein „die Erzeugung von Gebrauchsgütern ausschließlich auf die Herstellung versorgungswichtiger Waren beschränkt und deren Bereitstellung gesichert werden". Dies durchzusetzen, gelang dem damit beauftragten Reichswirtschaftsminister anscheinend nur ganz unzureichend. Jedenfalls sah sich ein J a h r später der Rüstungsminister angesichts der Lage zu größeren Zugeständnissen an die Bevölkerung genötigt und versicherte Hitler gegenüber, „daß beabsichtigt ist, im Zuge der Übernahme der sonstigen Kriegsproduktion (vom Reichswirtschaftsm in ister — D. E.) die Bedarfsgüter für die Bevölkerung, insbesondere für die Ausgebombten, durch Schaffung von einfachen Gebrauchstypen und zum Teil auch durch Erhöhung der dafür notwendigen Kontingente teilweise wesentlich zu erhöhen". 3 5 7 In der zweiten Hälfte des Jahres 1943 stieg auch der Bedarf an Textilien und Bekleidung für Ausgebombte sprunghaft. Die allgemeine Belieferung der Kleiderkarten der Bevölkerung wurde im August 1943 ausgesetzt. Nur bei nachgewiesenem Bombenschaden bzw. gegen besondere „Bezugscheine" war Ware erhältlich. Doch nicht einmal alle Opfer der Luftangriffe konnten versorgt werden; die Produktion der Bekleidungsindustrie lag nach offiziellen Schätzungen um ein Drittel unter dem Minimum des Kriegsbedarfs. 3 5 8 Ende des Jahres war die Zahl der benötigten „Bekleidungseinheiten" — vollständige Ausstattung zweier Personen mit Kleidern und Wäsche — auf monatlich 300000 gestiegen. 3 5 9 The Effects,
S . 131.
3 5 8 The Effects,
S . 134.
355
356 Siehe RGBl. 1942 I, S. 607 f., „Verordnung über die Bereitstellung versorgungswichtiger Waren" v. 16. 10. 1942. Hiernach auch das Folgende. Das Reichswirtschaftsmiriisterium stellte lange Listen solcher „Waren des Kriegsauflagen-Programms" mit mehreren hundert Warenarten zusammen (s. ZStA Potsdam. RWiM, Nr. 10282, Bl. 114 ff.). 357 FB, 6./7. 12. 1943, Punkt 12. 359 Ebenda.
Rationalisierung und Kriegsproduktiota
388
Tabelle 104 Produktion und Verteilung von Geschirr 1943 (in 1000 Stck.) Warenart/Quartal
Produktion
davon (Prozent) an Ausgebombte an andere Zivilisten
Teller
12084 13864 14141 14617 1265 1566 1510 1571 9188 11638 11677 11730
23 26 30 41 18 20 25 37 18 19 25 37
I. II. III. IV. Schüsseln I. II. III. IV. Tassen I. II. III. IV.
Quartal Quartal Quartal Quartal Quartal Quartal Quartal Quartal Quartal Quartal Quartal Quartal
47 39 23 9 44 40 26 10 57 45 26 9
Quelle: The Effects, S. 273, Tab. 98. Siehe auch Wagenführ,
S. 177, Tab. 6 (fehlerhaft).
In allen wichtigen Bereichen (Textilien, Lederwaren, Haushaltwaren, Möbel usw.) verschlechterte sich die Qualität erheblich und hielt infolge der häufigen Verwendung von Ersatzstoffen in Güte und Haltbarkeit keinen Vergleich mehr mit den Vorkriegserzeugnissen aus. Beispielsweise machte im Jahre 1943/44 (1. 7.—30. 6.) die Produktion von leichten Straßenschuhen, die nur den neunten Teil (vier Monate) der durchschnittlichen Lebensdauer von Lederschuhen aufwiesen, bereits 42 Prozent der Erzeugung aus. 37 Prozent der Rohstoffe für Lederwaren bestanden aus Ersatzstoffen einschließlich Holz (2,6 Millionen Holzschuhe 1943); 1938/39 waren es 15 Prozent gewesen.360 Die Wehrmacht wurde selbstverständlich vorzugsweise mit Lederschuhen beliefert; für die zivilen VerTabeUe 105 Produktion von Konsumgütern
in den besetzten Gebieten 1943
Warenart
Köper für Berufskleidung (1000 m) Einheits-Uniformtuch (1000 m) Schlafdecken (1000 Stck.) Schwerleder (t Salzgewicht) Lederarbeits- und Berufsschuhe (1000 Paar) Holzarbeitsschuhe (1000 Paar) Bettstellen (Stck.) Kleiderschränke (Stck.)
Produktion (Monatsdurchschnitt) 897 773 407 5000
27 30 19 29
290 1020 12900 4500
25 39 17 16
Quelle: Schnellberichte. Siehe auch Wagenführ, 360 Ebenda, S. 135; Wagenführ,
In Prozent der Produktion in „Großdeutschland"
S. 50.
S. 51.
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
389
braucher einschließlich der Ausgebombten, auf die nur 28 Prozent des Gesamtverbrauchs entfielen (1938/39: 64 Prozent), 3 6 1 blieb so gut wie ausschließlich Schuhwerk aus Ersatzstoffen mit geringer Haltbarkeit übrig. Zweifellos bot den deutschen Imperialisten im J a h r e 1943 die Produktion von Konsumgütern in den faschistisch okkupierten Gebieten, die in diesem J a h r den höchsten Stand während des Krieges erreichte, noch einen gewissen Ausgleich und verhinderte ein stärkeres Absinken des Verbrauchs bzw. der Qualität bei Waren des zivilen Bedarfs, diente aber auch vorrangig der Auffüllung der Wehrmachtbestände.
g)
Elektroenergie362
Im J a h r e 1939 gab es in Deutschland (mit Österreich und „Sudetengau") 8 2 5 7 große und kleine Kraftwerke mit einer Kapazität von insgesamt 16 bis 17 Millionen Kilowatt und einer Produktion von 66,3 Milliarden Kilowattstunden ( U S A : 130,3). Von ihnen waren 1964 (24 Prozent) öffentliche (staatliche, regionale, kommunale) Werke; sie vereinigten 5 8 Prozent der Kapazität auf sich und produzierten 5 6 Prozent der Elektroenergie. Die Werke lagen verstreut über das ganze Land; aber der Grad ihrer Konzentration war insofern beachtlich, als die 113 größten Werke (1,4 Prozent) 51 Prozent der Kapazität besaßen und über 5 6 Prozent des gesamten Stroms erzeugten. Als Basis der Erzeugung diente (1941) in den öffentlichen Werken zu vier Fünfteln Kohle (zu 55 Prozent Steinkohle, zu 45 Prozent Braunkohle) und zu einem Fünftel Wasserkraft; die privaten Werke nutzten Wasserkraft höchstens zu fünf Prozent, im übrigen gleichfalls Kohle sowie Gas (zu etwa 10 bis 15 Prozent). In den Jahren der Aufrüstung war die Produktion von Elektroenergie gewaltig gestiegen. Von 1934 bis 1939 hatte sie sich mehr als verdoppelt. Doch da die Schaffung neuer Kapazitäten bei weitem hinter der Produktionssteigerung zurückblieb, war diese wesentlich durch vollere Auslastung der vorhandenen (Überschuß-) Kapazität erzielt worden, die im J a h r e 1934 noch 35 bis 40 Prozent betragen hatte. Diese Reservekapazität war schrittweise aufgezehrt worden, so daß sie bei Kriegsbeginn „praktisch gleich Null" war. 3 6 3 Im Kriege wuchsen Kapazität und Produktion verhältnismäßig langsam, aber stetig, durchschnittlich etwa um sechs Prozent pro J a h r : von 16,9 Millionen Kilowatt Anfang 1940 auf 22 Millionen Ende 1944 — ein Ergebnis großen Investitionsaufwands — bzw. von 66,3 Milliarden Kilowattstunden im Jahre 1939 auf 86 Milliarden 3 6 4 im J a h r e 1943; das waren in jedem Fall insgesamt etwa 30 Prozent. Die öffentlichen Werke wiesen eine höhere Steigerungsrate auf als die privaten. Im J a h r e 1943 (Stand April) waren noch 3 0 Kraft361 The Effects, S. 135. 362 Die Angaben dieses Abschnitts sind (soweit nicht ausdrücklich anders vermerkt) der konzentrierten Studie in The Effects, S. 114 ff. u. S. 264 ff., entnommen. Einige Angaben auch bei Wagenführ, S. 21, S.52 u. passim. Zur Versorgung der Zivilbevölkerung mit Hausbrandkohle, Gas und Strom s. Mehl, Lutz, Energie im Kriege. Die zivile Versorgung 1939—1945* Kaiserslautern 1977. 363 The Effects, S. 115f. (Zit. aus undat. (1945) Bericht des Reichslastverteilers). 364 Viel zu niedrige Werte für 1942 bis 1944 bei Wagenführ, S. 52 (Tab.), die vermutlich nur die öffentlichen Werke erfassen (s. hingegen ebenda, S. 21). Andere Werte und Berechnungsgrundlagen auch in Statistisches Handbuch, S. 335.
Rationalisierung und Kriegsproduktion
390 Tabelle 106 Kapazität der Kraftwerke (öffentliche 1940-1945 (in 1000 kW)
Hand)
und
Stromerzeugung
Jahr
Nennleistung zu Jahresanfang
Kapazitätszuwachs im laufenden Jahr Prozent
Stromerzeugung (Mrd,
1940 1941 1942 1943 1944 1945
9500 10360 10890 11920 12700 13300
860 530 1030 780 600
37,9 43,4 46,5 47,3 48,7 ?
—
9,1 5,1 9,5 6,5 4,7
_
Quelle: The Effects, S. 117, Tab. 69 (Kapazität); Mehl, S. 200 (Erzeugung). Siehe auch Wagenführ, S. 58 (Tab.). Abweichende Zahlen in anderen Berichten und Aussagen (s. The Effects, S. 116; S. 117, Tab. 71). werke oder Staustufen im Bau, darunter auch Großprojekte, die noch viele J a h r e zur Fertigstellung gebraucht hätten. 3 6 5 Daß die Produktion trotz der ständig angespannten Energiesituation nicht im geringsten schneller wuchs als die Kapazität, illustrierte den verzweifelten Mangel an Reservekapazität. 3 6 6 Außerdem klaffte bereits zwischen der Nennkapazität der Werke und ihrer tatsächlich verfügbaren Kapazität eine empfindliche Lücke, weit größer als in normalen Zeiten üblich. Sie machte — mit großen Schwankungen — bei den öffentlichen Werken in der zweiten Hälfte 1942 ungefähr 20 Prozent aus und lag im Jahre 1943 noch erheblich höher. Schuld waren hieran vor allem die infolge der Überlastung der Anlagen anwachsenden Reparatur- und Überholungsarbeiten. „Wir haben in dieser Jahreszeit", so berichtete Staatssekretär Schulze-Fielitz (GIWE) im November 1942 vor der Zentralen Planung, „nichtgewollte Reparaturen [an Anlagen für] etwa 700000 kW, die wir im vorigen J a h r nicht gehabt haben, ... Wir sehen also ein ganz deutliches Ansteigen auch der Reparaturkurve und müssen auch daran denken, daß sehr viele dieser Kraftwerke 20 bis 30 Jahre alt sind." 3 6 7 Im Jahre 1943 traten verschiedentlich schon größere Schäden und Ausfälle durch Luftangriffe auf. Hauptabnehmer von Elektroenergie war die Rüstungsindustrie. Gesamtindustrie und Eisenbahn beanspruchten 1939 rund 92 Prozent, die Haushalte und öffentlichen Gebäude dagegen nur 6,4 Prozent des Elektrizitätsverbrauchs. 3 6 8 Nach Daten aus dem J a h r e 1944 verbrauchten von dem Industriekontingent aus den öffentlichen Kraftwerken die verschiedenen Betriebe der Großchemie, voran die synthetische Treibstoff- und Stickstoffproduktion, 37 Prozent, die Werke für die Erzeugung von Leichtmetallen, Ferrolegierungsmetallen und Elektrostahl weitere 21 Prozent, Bergbau und Eisenmetallurgie 20 Prozent und die Fertigung von Kriegsgerät 11 Prozent. Innerhalb des Energieverbrauchs der 3 6 5 Mehl, S . 192.
366 In derselben Periode, von 1939 bis 1943, wuchs in den USA die Kapazität um 22,3 Prozent, die Produktion aber um 69,4 Prozent (von 130,3 auf 220,7 Milliarden Kilowattstunden) ( The Effects,
S . 118).
367 ZP-P, 17. 11. 1942, 27. Sitzung. 368 Vgl. die Aufgliederung in Statistisches Handbuch, S. 337 (mit geringfügigen Unterschieden).
Die Entwicklung der Kriegsproduktion
391
Industrie verschoben sich die Proportionen während der Kriegsjahre stark zugunsten der chemischen, besonders der synthetischen Produktion. Als Faustregel galt, daß zur E r zeugung einer Tonne Buna 40000 Kilowattstunden Elektroenergie aufzuwenden waren; die entsprechenden Zahlen f ü r Aluminium waren 25000, f ü r Magnesium u m 20000, f ü r Stickstoff 11000 u n d f ü r synthetischen Treibstoff 3000 Kilowattstunden. Das J a h r 1942 bildete einen Wendepunkt in der Energiesituation. Es begann die Zeit des Mangels u n d d a m i t der Verbrauchseinschränkungen u n d Stromabschaltungen. Der zu großen Teilen schon vor dem Krieg eingerichtete staatsmonopolistische A p p a r a t auf dem Energiesektor (Generalinspektor f ü r Wasser und Energie, Reichsstelle f ü r Energiewirtschaft, Reichslastverteiler) verfügte — jeweils nach Billigung durch die Zentrale Planung — allgemeine Kürzungen des Monatsverbrauchs an Energie, Begrenzungen f ü r den Verbrauch in den Spitzenbelastungszeiten und weitere partielle Verbrauchskürzungen gemäß sogenannten Abschaltlisten. E i n differenziertes Ausnahmeverfahren nach Prioritätslisten vervollständigte das Regulierungssystem. Stromkürzungen fanden hauptsächlich während der Wintermonate s t a t t , d. h. zu Zeiten des Bedarfshöhepunkts u n d des geringsten Angebots an Wasserkraft. Sie setzten im Oktober 1941 ein und steigerten sich J a h r f ü r J a h r . Tabelle 107 Kürzungen des Spitzenbedarfs
1941/42 1942/43 1943/44 1944/45
an Elektroenergie (Prozent des
Oktober
November
Dezember
Januar
1,2 4,4 3,2 6,1
2,9 4,0 7,8 14,2
2,2 3,9 7,1 17,7
2,7 3,5 2,5 29,1
Bedarfs)
Quelle: The Effects, S. 120, Tab. 73. Angaben in kWh sind nicht verfügbar. Die Energiesituation wurde immer mehr zu einem F a k t o r , der auch in Kernbereichen der faschistischen Kriegswirtschaft zu Schwierigkeiten u n d sogar zu Produktionseinschränkungen führte, besonders in der elektrochemischen u n d metallurgischen Industrie. Hin und wieder m u ß t e die Aluminiumproduktion gedrosselt werden. Im November 1943 zogen Stromabschaltungen bei synthetischem Stickstoff einen Produktionsrückgang von 12,5 Prozent u n d bei Elektrostahl von 20 Prozent nach sich. Seit Ende 1943 erwies sich die Elektrizitätsversorgung fast permanent als unzureichend im Verhältnis zum Bedarf der Rüstungsindustrie.
K A P I T E L VI
Zur Kriegsziel- und Okkupationspolitik des deutschen Imperialismus
1. Das deutsche Finanzkapital und die Kriegszielplanungen nach dem 22. J u n i 1941 Nach Absicht der herrschenden Kreise Hitlerdeutschlands diente der von langer Hand geplante Überfall auf die U d S S R der Vernichtung der sozialistischen Gesellschaftsordnung — ihrem wichtigsten imperialistischen Klassenziel. Das machte letzlich die neue Qualität dieses Raubzuges im Vergleich zu den vorangegangenen aus. Die Niederwerfung der Sowjetunion sollte ihnen zugleich die endgültige Herrschaft über Europa verschaffen und ihr wirtschaftliches Potential für den „Kampf gegen Kontinente", 1 d. h. für die künftigen Auseinandersetzungen mit den anderen imperialistischen Mächten um die Weltherrschaft stärken. In der Praxis der deutschen Okkupanten erwies sich dieser Raubzug daher als eine neue Stufe extrem gesteigerter imperialistischer Brutalität und faschistischer Barbarei. Mit den ersten militärischen Erfolgen glaubten sie schon, ihren Zielen zum Greifen nahe zu sein. Vom äußersten Grad der Geheimhaltung befreit, gingen sie nun mittels jener schon von den „Neuordnungs"-Programmen des Jahres 1940 her gewohnten Kombination von euphorischer Plänemacherei und brutal-nüchterner Kalkulation daran, Konzeptionen und Pläne dafür zu entwerfen, wie Europa zu beherrschen und auszubeuten und wie die nächsten Schritte zur Weltherrschaft vorzubereiten seien. Vorrangiges Interesse zeigten die Reichsgruppe Industrie und die Wirtschafts- und Fachgruppen, die staatsmonopolistischen Organe des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition und alle bedeutenden Konzerne und Banken an der Inbesitznahme der sowjetischen Betriebe und Bodenschätze und am Aufbau eines diesem Zweck dienlichen Okkupationsregimes. Darüber hinaus aber formulierten die führenden Monopole ihre Vorstellungen von Kriegszielen, die weit über diese unmittelbare Zielsetzung hinausreichten. Sie knüpften damit unmittelbar an ihre „Neuordnungs"- und „Wunschprogramme" von 1940 an, schrieben sie aber auf einer neuen Stufe fort, indem sie das sowjetische Territorium und Wirtschaftspotential als ein Kernstück des zu errichtenden „Großwirtschaftsraumes" darin einschlössen. Auf der Grundlage derartiger Vorstellungen und Pläne bildete sich das gesamte faschistische Okkupationsregime im besetzten Europa weiter aus. a)
Die „Neuordnungs"-Planung
1941/42
In den ersten Wochen und Monaten nach dem 22. Juni 1941 richteten sich die Konzerne, Fach- und Wirtschaftsgruppen, beflügelt von den militärischen Erfolgen, auf die Inbesitznahme der verschiedenen Wirtschaftsgebiete und Industriezweige in der U d S S R ein. 1 Fall Barbarossa,
S . 148, Niedersehr, üb. Ausführungen Hitlers vor d. Generalität, 9. 1. 1941.
Finanzkapital und Kriegszielplanungen
393
Binnen acht Tagen nach der Invasion im Osten erschienen, ausgerüstet mit langfristig vorbereiteten, marschbereiten Wirtschaftsorganisationen f ü r die zu besetzenden Gebiete und mit Bergen aufbereiteten statistisch-wissenschaftlichen Materials, die großen Montankonzerhe, der IG-Farben-Konzern, Zeiss, Siemens und AEG auf der Bildfläche und meldeten ihre Forderungen auf die Beute an. Solche Forderungen und andere Aktivitäten betreffend Plünderung, Raub und Ausbeutung in der Sowjetunion sind von folgenden Konzernen und staatsmonopolistischen Institutionen schon f ü r die Zeit vom 22. bis 30. J u n i 1941 bekannt 2 : Wirtschaftsgruppe Eisen schaffende Industrie, Wirtschaftsgruppe Werkstoffverfeinerung, Fachgruppe Edelstahl, Krupp, Reichswerke „Hermann Göring", Hoesch, Otto Wolff, Gutehoffnungshütte, Maxhütte (Flick-Konzern), Schoeller & Bleckmann Stahlwerke AG, IG Farben 3 ; Vereinigte Stahlwerke, Flick 4 ; Rüstungsbeirat des Reichsministers für Bewaffnung und Munition, Fachgemeinschaft Eisen- und Metallindustrie (fachliche Vereinigung von 12 Wirtschaftsgruppen innerhalb der RGI), BergmannElektricitäts-Werke AG (Siemens-Konzern), Zeiss, Dynamit-AG vorm. Alfred Nobel & Co. (IG-Farben-Konzern) 5 ; Oberschlesisches Institut für Wirtschaftsforschung, Oberhütten 8 . Der Aktivität der Wirtschaftsgruppe Textilindustrie unter ihrem Leiter Hans Croon, Inhaber der mit der Deutschen Bank verbundenen Aachener Tuchfabrik G. H. & J . Croon, und dem Einfluß großer Textilkonzerne wie des Dierig-Konzerns war es zuzuschreiben, daß bereits Anfang Juli die Gründung einer Gesellschaft ins Auge gefaßt wurde, die vom Reichswirtschaftsministerium mit allen Vollmachten für die Ausplünderung und Ausbeutung der sowjetischen Textilindustrie und Textilrohstoffwirtschaft versehen werden und in der „die private Textilwirtschaft in jeder Hinsicht dominieren" 7 sollte. Die Deutsche Bank verfolgte dieses Vorhaben mit dem größten Interesse und drang bei Croon darauf, „auch bei der neuen sich bietenden Möglichkeit führend mitzuwirken". 8 Hermann Josef Abs erinnerte sich einige Zeit danach: „Vor Wochen habe ich dieserhalb Herrn Kehrl angerufen, der bemerkte, wir seien die ersten, die sich anböten — für alle sei Gelegenheit genug, Geld zu geben." 9 Am 10. Juli beschlossen die Chemiekonzerne unter Führung des IG-Farben-Konzerns gemeinsam mit dem Reichswirtschaftsministerium über ein ausgefeiltes System der Beherrschung der sowjetischen Chemieindustrie durch die deutschen Großfirmen und Syndikate und durch spezielle „Ostgesellschaften" (Chemie Ost GmbH, Stickstoff Ost GmbH usw.).1» 2 Nach dem Datum der jeweiligen Quelle geordnet. 3 Czollek, Roswitha/Eichholtz, Dietrich, Die deutschen Monopole und der 22. Juni 1941, in ZfG, 1/1967, S. 72ff.; Band I, S. 202ff. 4 Fall 5, S. 257. 5 Anatomie des Krieges, S. 340f., Dok. 167. 6 EichhoÜz, Dietrich/Hass, Gerhart, Zu den Ursachen des zweiten Weltkrieges und den Kriegszielen des deutschen Imperialismus, in ZfG, 7/1967., S. 1168ff. Siehe auch Band I, S. 204 f. 7 Anatomie des Krieges, S. 342, Dok. 169, AN Elkmann (stellv. Direktor d. Deutschen Bank), 9. 7. 1941. 8 Ebenda. 9 ZStA Potsdam, Deutsche Bank, Nr. A 11, Bd. 11, Marginale Abs' v. 25. 8. 1941 an AN Kimmichs, 19. 8. 1941.— Hans Kehrl, selbst Textilindustrieller, war damals Generalreferent und Spezialist für Okkupationsfragen im Reichswirtschaftsministerium. Er hatte bedeutenden Anteil an der Gründung der in Rede stehenden „Ost-Faser-Gesellschaft mbH" am 4 - 8 . 1941. 10 Anatomie des Krieges, S. 343, Dok. 170, Protokoll der Vorstandssitzung der IG Farben, 10. 7. 1941.
394
Kriegsziel- und Okkupationspolitik
Auch beim Siemens-Konzern nahmen die Projekte für die Expansion nach Osten Gestalt an. 11 Am 14. Juli teilte die Leitung von Siemens-Schuckert ihren Werken mit, daß kein Grund zur Beunruhigung hinsichtlich der sogenannten Russenaufträge aus der Zeit vor dem 22. Juni vorliege, zumal ein wesentlicher Teil der Fabrikate „für die Rohstoffgewinnung in dem bisherigen Gebiet der U d S S R vorgesehen waren und voraussichtlich auch dort zur Verwendung gelangen sollen. Hierbei ist z. B. an Ausrüstungen für Kraftanlagen, für die Erdölindustrie, für Bergwerkseinrichtungen und für das Transportwesen gedacht." 1 2 In den folgenden Wochen stellte die Zentrale des Siemens-Konzerns eine gesonderte Organisation für die besetzten sowjetischen Gebiete auf die Beine, an deren Spitze mit Richard Diercks (Siemens & Halske) und Hermann Reyss (Siemens-Schuckert) maßgebliche Vorstandsmitglieder standen. Diercks und Reyss waren der Konzernleitung verantwortlich für „alle Fragen, die im Zusammenhang stehen mit der eventuellen Betreuung russischer elektrotechnischer Fabriken, elektrischer Zentralen ... sowie [für] alle übrigen Organisationsfragen, die für das Wiederingangsetzen einer Organisation dieser Gebiete für unser späteres Geschäft in Betracht kommen". 1 3 Zu den aggressivsten Kräften des deutschen Monopolkapitals gehörten seit eh und je die Leicht- und Buntmetallkonzerne, voran die Metallgesellschaft, Mansfeld, Giesche, Degussa, Preußag, die Vereinigten Aluminium-Werke und — nicht zuletzt — der in der Nichteisenmetallindustrie stark engagierte IG-Farben-Konzern. 'Sie waren in der Wirtschaftsgruppe Metallindustrie, insbesondere in den Fachgruppen Metallerzbergbau und Metall erzeugende Industrie, zusammengeschlossen und hatten sich überdies seit Jahresfrist eigens „zum Zwecke einer großzügigen Planung auf dem Gebiet der Metallgewinnung im neu sich bildenden ,Großeuropäischen Wirtschaftsraum'" in „Metallkreisen" organisiert. 14 Die beiden Fachgruppen, die schon am 29. Mai 1941 per Rundschreiben mit dem lakonischen Betreff „Großraumwirtschaft" ein Verzeichnis der erhofften Beute, eine „Zusammenstellung über die Metallversorgung Rußlands sowie über die in Rußland vorhandenen Metallerzvorkommen, Gruben und Metallhütten", versandt hatten, gaben ihren Mitgliedern am 17. Juli ein weiteres Vademekum über die „wichtigsten Erzeugungsstätten im europäischen Rußland" an die Hand. 1 5 Das besondere Interesse der Metallkonzerne erregte der Kaukasus; nichtsdestoweniger verzeichneten ihre generalstabsmäßig erarbeiteten Wirtschaftskarten der U d S S R — so die des Mansfeld-Konzerns vom Juli — auch die Bodenschätze im Ural, in Westsibirien, in Kasachstan und in Mittelasien. 16 Aus der Fülle weiterer „Wirtschaftsberichte" und Memoranden, die einen integrierenden Bestandteil des Kriegszielprogramms des deutschen Imperialismus bildeten, stammten die gewichtigsten aus den Büros der Großkonzerne, der führenden Monopolverbände, staatsmonopolistischen Vereinigungen und Institutionen. Allein in der Volkswirtschaftlichen Abteilung des IG-Farben-Konzerns entstanden in der Zeit von Juni 1941 bis Dezember 1942, soweit bisher bekannt, mindestens 15 sogenannter Vowi-Berichte über die industriellen Reichtümer der U d S S R . Schon während der ersten Monate des Krieges flössen die Planung des wirtschaftlichen 11 Siemens — Rüstung — Krieg — Profite. Von einem Autorenkoll. unter Leitg. v. Hans Radandt, Berlin, o. J . (1961), S. 39/41. 12 ZStA Potsdam, Siemens AG, Nr. 5378, Bl. 186 R, Rs. v. 14. 7. 1941. 13 Ebenda, Bl. 176, Rs. v . 9. 9. 1941. 14 Band I, S. 349. 15 Radandt, Mansfeld, S. 262 f. 16 Ebenda, S. 267.
Finanzkapital und Kriegszielplanungen
Tabelle 108 Wirtschaftspolitische Ausarbeitungen über die UdSSR 1941/1942
395
(Auswahl)
H e r k u n f t bzw. Verfasser
Titel
Datum
IG Farben
Rohstoffvorkommen und Förderung in der Sowjetukraine und in den angrenzenden Gebieten „Wirtschaftsstruktur der U d S S R " „Sowjet-Ukraine" „Materialsammlung über Lagerstätten, eisenschaffende und eisenverarbeitende Industrie im europäischen Gebiet der ehem. U d S S R " („Bericht Nr. 3") „Die Stickstoffindustrie in der U d S S R " „Kapazitäten der russischen Montanindustrie" „Firmenbericht. Die Werke der Eisen schaffenden Industrie in Rußland. I. Europäischer Teil" „II. Asiatischer Teil" „Erdöl in Rußland"
J u n i 1941
Reichsgruppe Industrie (dto.) Reichswerke „Hermann Göring"
Stickstoffsyndikat Demag Vereinigte Stahlwerke
(dto.) Reichsstelle für Bodenforschung Institut für Konjunkturforschung IG Farben Wirtschaftsgruppe Chemische Industrie Statistisches Reichsamt
„Rohstoffbilanz Kontinentaleuropas unter Einschluß des Europäischen Rußland und Nordafrikas" „Erdöl und Erdgas im Kaukasus" „Die Wirtschaft des Kaukasus unter besonderer Berücksichtigung der Chemischen Industrie" „ U d S S R . Wirtschaftsatlas. Teil I : Rohstoffe"
9. Juli 1941 9. Juli 1941 Juli 1941
Juli 1941 1. August 1941 August 1941
Oktober 1941 1941 1941 29. April 1942 J u n i 1942 1942
QueUe: ZStA Potsdam, FS, Film 10629, 10671, 10674-10677; BA Koblenz, R 13 I, Nr. 1146; Archivalische Quellennachweise zur Geschichte der chemischen Industrie, Nr. 6, Wolfen 1974, S. 53 ff.; Radandt, Mansfeld, S. 263 f.
Raubzugs und Überlegungen über die künftige, von einem beherrschten Europa aus zu verfolgende imperialistische Strategie zu ersten Vorstellungen übergreifenden Charakters zusammen. Reichaußenminister v. Ribbentrop rechnete gewiß mit einer aktivierenden Wirkung des deutschen Vorbilds auf die japanische Regierung, gab aber zugleich die in den maßgeblichen Kreisen des Regimes allgemein herrschende Auffassung wieder, als er die deutsche Botschaft in Tokio am 28. Juni 1941 über die Auswirkungen der bevorstehenden „Endkampflösung der russischen Frage in ihrer Totalität" instruierte: „Die von unserer militärischen Aktion binnen verhältnismäßig kurzer Zeit zu erwartende Zerschlagung der russischen Macht wird den Sieg Deutschlands auch über England zur unwideruflichen Tatsache machen. Wenn Deutschland im Besitze der russischen Ölquellen und Getreidefelder ist, ist damit für das gesamte Europa die ausreichende Versorgung sichergestellt, so daß auch die englische Blockade überhaupt völlig gegenstandslos wird. Die unmittelbare Landverbindung nach Ostasien wird bei dieser Gelegenheit ebenfalls hergestellt." Anschließend hieß es: „Auf diese Weise sind dann alle Voraussetzungen gegeben, die die von den Achsenmächten beabsichtigte Neuordnung des europäischen Raumes ermöglichen." 17 17 ZStA Potsdam, Fall gression, S. 21.
XI, Nr. 260, Bl. 157 f., Telegr. v. 28. 6. 1941; s. a .Anatomie
der
Ag-
396
Kriegsziel- und Okkupationspolitik
Hermann Josef Abs, Vorstandsmitglied und „Außenminister" der Deutschen Bank, ging von einem noch weiter reichenden Horizont expansionistischer Interessen und Kriegsziele aus, als er am 17. Juli vor dem Handelspolitischen Ausschuß der Reichswirtschaftskammer (HPA), dem führende Repräsentanten des Finanzkapitals und der Reichsgruppe Industrie angehörten, einen vielbeachteten Vortrag mit dem Titel „Europa und USA in wirtschaftlicher Betrachtung" hielt. 18 Ihn beschäftigten, wie er darin eingangs darlegte, die Probleme und Schwierigkeiten einer „Regelung des zukünftigen Verhältnisses Europa — U S A " ; er werde sich als Referent vor allem mit den „wirtschaftlichen Tatsachen und Voraussetzungen" befassen, „die für eine kommende Neuordnung der Beziehungen zwischen den beiden Großräumen Europa und US-Amerika vorhanden sind oder geschaffen werden müssen". Dann ging er auf das wirtschaftliche Kräfteverhältnis zwischen den beiden „Großräumen" und auf die neue Situation im Kampf um die Weltherrschaft ein und erläuterte die nächsten Schritte, die unternommen werden müßten, um mit Erfolg in die künftige Auseinandersetzung mit den USA einzutreten. Die zentrale Frage für Abs war, wie Kontinentaleuropa zu einem nach innen und nach außen einheitlichen wirtschaftlichen „Großraum" unter deutscher Herrschaft zusammenzuschließen sei, damit man mit den USA von der Position der Stärke aus verhandeln könne. Dabei sei zu berücksichtigen, so hob er hervor, „daß der Begriff Kontinentaleuropa, unter dem man bisher die europäischen Staaten ohne Großbritannien und Rußland verstand, durch die kriegerischen Entwicklungen im Osten eine neue Prägung erhalten wird. Auch die Wirtschaft Rußlands wird zum mindesten in wesentlichen Teilen einem zukünftigen kontinentaleuropäischen Wirtschaftsraum zuzuzählen sein. Welchen Zuwachs dieser Raum dadurch an Erzeugungs- und auch an Verbrauchskraft erhält, ist naturgemäß im gegenwärtigen Stand der Entwicklung gar nicht abzuschätzen. Jedenfalls wird er auch unter dem Gesichtspunkt der Selbstversorgung mit wichtigen Gütern eine weitere Abrundung erfahren." Abs' umfassendes strategisches Konzept und seine ausführlichen handels- und währungspolitischen Darlegungen waren im Vortragstext freilich in zurückhaltende und vorsichtige Formulierungen gezwängt. 19 In der anschließenden Diskussion, die einige Unsicherheit 18 Z S t A P o t s d a m , Deutsche B a n k , Nr. 21913, Bl. 269—307; Auszüge gedr. in Anatomie des Krieges, S. 3 4 5 f f . , Dok. 173 (hiernach auch das Folgende). — Mitglieder des H P A waren (unter i n s g e s a m t 26 Vertretern der Rüstungskonzerne und Großbanken, der Konzerne des Außenund Überseehandels, der Reichsgruppe Industrie usw.) Abs, H e r m a n n Fellinger (DidierK o n z e r n ; R G I ) , E m i l Helfferich (Hapag), Oscar R . Henschel (Henschel-Konzern), K a r l L i n d e m a n n (C. Melchers & Co ./Norddeutscher Lloyd), A u g u s t Rohdewald (Reichs-KreditGesellschaft) Hellmuth Roehnert (Rheinmetall-Borsig/Reichswerke „ H e r m a n n Göring") und Wilhelm Wohlfarth (Zeiss-Ikon/Zeiss-Konzern). Unter den Gästen der T a g u n g a m 17. J u l i befanden sich A u g u s t Diehn ( K a l i s y n d i k a t ) , Georg v. Schnitzler (IG Farben), Oskar Sempell (Vereinigte Stahlwerke), Albert Pietzsch (Leiter der Reichswirtschaftskammer) und mehrere andere führende R e p r ä s e n t a n t e n v o n R W K und R G I , ferner Offiziere des O K W und leitende B e a m t e aus der Reichskanzlei, dem Auswärtigen A m t , dem Vierjahresplan, dem Reichswirtschafts- und dem Reichsfinanzministerium. Von besonderem Interesse ist die Tatsache, daß es dem W i d e r s t a n d s k ä m p f e r und K u n d s c h a f t e r A r v i d H a r n a c k gelang, in seiner E i g e n s c h a f t als Amerikareferent i m Reichswirtschaftsministerium an der Sitzung teilzunehmen (s. ebenda ( Z S t A P o t s d a m ) , Bl. 3 3 2 f f . , Protokoll der Sitzung). 19 Der V o r t r a g s t e x t l a g in hektographierter F o r m den Tagungsteilnehmern vor und wurde v o n Abs auch später noch verschiedentlich an interessierte B e k a n n t e aus B a n k - und Regierungskreisen — beispielsweise an E m i l Puhl, Vizepräsidenten der Reichsbank — verschickt. Auf Formulierung und A u f b a u des Manuskripts hatten diese weite Verbreitung und natürlich die
F i n a n z k a p i t a l und Kriegszielplanungen
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und mangelndes Verständnis unter seinem Publikum verriet, trat Abs daher ein weiteres Mal auf und skizzierte „zur Gewinnung eines richtigen Standpunktes" ohne Umschweife sein imperialistisches Kriegszielprogramm: „1. sei davon auszugehen, daß Deutschland nach dem Krieg Europa beherrscht, 2. auch Europa ist nach dem Krieg auf U S A nicht angewiesen, 3. der Ferne Osten und Südamerika stehen dem europäischen Export offen, 4. der Lebensstandard der amerikanischen Arbeiter wird steigen, 5. erhöhte Kosten werden Amerika zwingen, mit Europa zu verhandeln, 6. die Südostgebiete und die osteuropäischen Gebiete gehören in den deutschen Bereich und werden zu einem höheren Lebensstandard geführt." Was den „höheren Lebensstandard" für Südost- und Osteuropa betraf, so handelte es sich um eine euphemistische Umschreibung für gewisse, von den deutschen Monopolen „genehmigte" Investitionen in für sie interessanten Wirtschaftszweigen, vor allem aber für profitable Fertigwarenausfuhr als „Gegenleistung" für die Ausplünderung der Rohstoffressourcen. Oscar R. Henschel, Chef des Henschel-Konzerns, brachte die Ansichten der Anwesenden auf eine Formel: „Europa sei nicht wesentlich auf Amerika angewiesen, da uns nach dem Krieg auch der russische Raum mit seinem Reichtum offenstehe." Die Ausführungen von Abs kamen an Bedeutung und Tragweite anderen grundlegenden Dokumenten jener Zeit wie etwa den am Tag zuvor von Hitler im engen Kreise abgegebenen Erklärungen zu den Kriegszielen in der U d S S R 2 0 oder auch der berüchtigten Weisung Nr. 32 2 1 durchaus gleich. Das darin enthaltene strategische Konzept erschloß die tiefsten Beweggründe für den Krieg des imperialistischen Deutschlands um die Weltherrschaft. Es zeichnete wesentliche Expansionslinien des deutschen Finanzkapitals vor, die zugleich mit traditionellen Expansionsinteressen der Deutschen Bank und der von ihr geführten Finanzgruppe identisch waren: Südosteuropa, Osteuropa, Lateinamerika, Ostasien. 22 Was Abs als durchaus aktuelles Problem einkalkulierte, war die offene Konfrontation des „neugeordneten" Europas mit den USA und die verdeckte Auseinandersetzung mit dem japanischen Imperialismus um die außereuropäischen „Großräume". Für die wirtschaftspolitische, speziell die außenhandels- und währungspolitische Seite dieser Auseinandersetzungen legte er ein detailliertes, weitreichendes Programm vor. Für die „Neuordnungs"-Planer der Konzerne, Konzerngruppen und Industriezweige behielten in der Regel Zukunftsplanungen ihre Bedeutung auch neben den Aufgaben, die durch die „Erweiterung des Raumes nach Osten" auf die Tagesordnung rückten, „die zu einer weitgesteckten Planung nötigen und bei denen zunächst Privatinteressen werden T a t s a c h e Einfluß, daß m i t den U S A noch kein K r i e g s z u s t a n d herrschte; die offene militärische Konfrontation war zwar einkalkuliert, lag aber, wenigstens zu diesem Z e i t p u n k t , nicht i m Interesse der deutschen Imperialisten. Schließlich spielte der U m s t a n d eine Rolle, daß der Vortrag in seinen Grundzügen schon vor d e m 22. J u n i 1941 vorbereitet worden war (s. Z S t A P o t s d a m , Deutsche B a n k , Nr. 21913, verschied. S t ü c k e seit April/Mai 1941). 20 IMG, B d . 38, S . 86 ff., Dok. L-221, Aufzeichnungen B o r m a n n s üb. B e s p r . bei Hitler a m 16. 7. 1941; teilw. gedr. in Fall Barbarossa, S. 3 3 1 f f . , D o k . 105. 21 Fall Barbarossa, S . 7 3 f f . , D o k . 11. 22 Z u m K e r n der Expansionsinteressen der genannten F i n a n z g r u p p e gehörten, wenn auch nicht unmittelbar v o n A b s ' Thema berührt, traditionellerweise ebenfalls der N a h e Osten u n d d a s gewaltige mittelafrikanische Kolonialreich, für dessen B i l d u n g seit J a h r e s f r i s t u m f a s s e n d e Planungen vorlagen. (Zu den kolonialen Kriegszielen s. Lakowski, Richard, Die Kriegsziele des faschistischen Deutschland i m transsaharischen A f r i k a , Phil. Diss. Berlin 1970; Eichholtz, Dietrich, Die Kriegszieldenkschrift des Kolonialpolitischen A m t e s der N S D A P v o n 1940, in ZfG, 3/1974, S. 308ff.).
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in den Hintergrund treten müssen". 23 Die anfänglichen Erfolge der Wehrmacht und die erträumten kolossalen Perspektiven im Osten beflügelten das deutsche Finanzkapital in seinem Drang, im bereits besetzten bzw. beherrschten Teil Europas fertige Tatsachen und endgültige Zustände zu schaffen und den europäischen „Großwirtschaftsraum" unter seiner Führung beschleunigt zusammenzuzimmern. Deutlicher als bisher schälten sich bestimmte Schwerpunkte in seiner „Friedensplanung" heraus. Seine expansiven Bestrebungen richteten sich ebenso intensiv wie auf den „Ostraum" auf die anderen Eckpfeiler des geplanten „Großwirtschaftsraumes" : Westeuropa, Südosteuropa, Nordeuropa (besonders Norwegen). Sie sollen im folgenden an Beispielen demonstriert werden. Im Zentrum des Kriegszielprogramms der deutschen Montankonzerne stand nach wie vor die Herrschaft über den französischen Minettebergbau und die Hüttenwerke in Frankreich, Luxemburg und Belgien. Die Herrscher über Kohle und Stahl an Ruhr und Saar gehörten schon im ersten Weltkrieg zu den militantesten Verfechtern der Annexion des gesamten lothringischen Erzbeckens. 24 Seit Anfang 1941 arbeitete eine vom Reichswirtschaftsminister eingesetzte und bevollmächtigte dreizehnköpfige Kommission von maßgeblichen Interessenvertretern der Monopole, nach ihrem Leiter Hugo Klein „Klein-Kommission" genannt, sogenannte Gutachten über die „Verteilung" der Eisen- und Stahlindustrie in Frankreich, Belgien und Luxemburg an die deutschen Interessenten aus. Wenige Wochen vor dem Überfall auf die U d S S R hatte die Kommission ihren ersten Bericht, das „Gutachten über die Bewertung der luxemburgischen und lothringischen Werke", 25 vorgelegt, dessen Kardinalforderung lautete: „Nach Ansicht der Kommission besteht ein erhebliches allgemeines Interesse daran, daß der Eigentumsübergang der Werke an die Treuhänder baldigst erfolgt und daß den Treuhändern baldigst bindende Zusagen hinsichtlich des Eigentumserwerbs sowie des Übernahmepreises gegeben werden." 2 6 Unverzüglich setzte die Kommission, nun mit neun Mitgliedern, ihre Arbeit jenseits der Annexionsgrenzen fort und erstattete schließlich im Juli 1942 ihren zweiten umfänglichen Bericht über „Die Hüttenwerke im Minettegebiet, in Belgien und Nordfrankreich", den sogenannten Klein-Bericht. 27 Der Kommission war ursprünglich die Aufgabe gestellt worden, die Bedeutung der Hüttenwerke im besetzten Westen für das „neugeordnete" Europa und insbesondere für die Stahlversorgung im Kriege festzustellen. Doch sie beschäftigte sich in ihrem zweiten Bericht, vor allem im Schlußabschnitt über die „Unteilbarkeit des Gesamtgebietes", in erster Linie mit der Erzbasis. Der Bericht wurde zu einem 23^ Band I, S. 350, Geschäftsbericht d. Fachgruppe Metallerzeugende Industrie, Februar 1942. 24 Ausführlich hierzu Eichhotiz, Dietrich, Das Minette-Revier und die deutsche Montanindustrie, in ZfG, 7/1977, S. 816 ff. ; hiernach auch das Folgende. Siehe ferner Volkmann, Hans-Erich, L'importance économique de la Lorraine pour le I l l e Reich, in Revue d'histoire de la deuxième guerre mondiale, Nr. 120/1980, S. 6 9 f f . Vgl. auch Deutschland im ersten Weltkrieg, B d . 1, S. 3 5 6 f f . ; B d . 2, S . 166f.; B d . 3, S. 81f. 25 Z S t A Potsdam, Fall V, F ü m 405, Dok. NI-5487 (F), Auszug aus d. „Gutachten über die Bewertung der luxemburgischen und lothringischen Werke gemäß Schreiben des Herrn Reichswirtschaftsministers v o m 21. 2. 1941", März/April 1941. — Außer Klein, dem 1. stellv. Vorsitzer des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute, zählten zu den Kommissionsmitgliedern u. a. J a k o b Wilhelm Reichert (Hauptgeschäftsführer der Wigru E s l ) , Carl Küttner (FachgruppeEdelstahl), J a c o b Herle (Haupttreuhandstelle Ost) und Bernhard Skrodzki (Geschäftsführer der R G I ) . 26 Ebenda. 27 Z S t A P o t s d a m , F S , Film 10637. Hiernach auch das Folgende. — Kommissionsmitglieder waren u. a. J . W. Reichert und Carl R a a b e (Flick-Konzern).
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„plaidoyer ... pour le rattachement de Briey, Longwy et Nancy ä l'Allemagne". 28 „Wer im Minettebergbau führen will", so war darin zu lesen, „müsse die Verfügung über die Gruben von Longwy und Briey besitzen." Am Schluß hieß es, teils fordernd, teils beschwörend, mit deutlichem Hinweis auf die Notwendigkeit einer baldigen politischen Grenzziehung: „Weder die deutsche Friedens- noch die Wehrwirtschaft können auf dieses unentbehrliche Eisenerz- und Gisengebiet verzichten." Es war ferner insbesondere Südosteuropa, das in den Augen der deutschen Imperialisten im Zusammenhang mit den militärischen Ereignissen auf dem Balkan und in der Sowjetunion eine Neubewertung erfuhr. Nach der Okkupation Jugoslawiens und Griechenlands und nach der Zerschlagung der U d S S R fiel ihnen nach ihrer Berechnung ganz Südosteuropa wie ein reifer Apfel in den Schoß und gelangte als sicheres ökonomisches Hinterland auf unabsehbare Zeit und unwiderruflich unter deutsche Vorherrschaft. Am 7. November 1941 hielt der Südostausschuß der RGI unter der Leitung von Max ligner, Vorstandsmitglied der IG Farbenindustrie AG, seine konstituierende Sitzung ab. Seine Gründung war die Krönung einer seit langem intensiv betriebenen Beschäftigung des deutschen Finanzkapitals mit den Zielen und Methoden seiner weiteren Expansion nach Südosten. Es waren im wesentlichen die auch im Mitteleuropäischen Wirtschaftstag (MWT) vertretenen monopolistischen Kreise, die sie seit Monaten vorbereitet hatten. 2 9 Sie schufen sich im Südostausschuß ein zentrales staatsmonopolistisches Organ, das als unentbehrliche und unumgängliche Beratungsstelle für die faschistische Regierung, je nach Bedarf auch selbst mit Regierungsvollmachten ausgestattet, die Expansion des deutschen Imperialismus nach Südosteuropa vorantreiben, lenken und kontrollieren und die gesamte Planungs- und organisatorische Tätigkeit auf industriellem Gebiet bei sich zusammenfassen sollte. Der Ausschuß bediente sich seiner sieben Länderausschüsse als ausführender Organe und benutzte auch den MWT und die mit ihm konkurrierende Südosteuropa-Gesellschaft als Hilfsinstitutionen. 30 Konzeptionelle Gedanken über die deutsche Expansionsstrategie gegenüber Südosteuropa hatte im September 1941 Ulrich v. Hasseil entwickelt, der im Vorstand des MWT tätig war. Hasseil, ein reaktionärer Konservativer, der den oppositionellen Kreisen um Beck und Goerdeler angehörte, bejahte es als „Aufgabe" der faschistischen Koalition, nach dem Krieg „die Ordnung wesentlicher Teile des europäischen Kontinents auch wirtschaftlich führend in die Hand zu nehmen". 31 Er plädierte für eine auf lange Sicht berechnete Politik der Einbeziehung Südosteuropas als verläßliches politisches und wirtschaftliches Hinterland in den Machtbereich des deutschen Imperialismus. Er erklärte sich für ein „Lenken der Industrialisierung" in diesem Raum von deutscher Seite aus und gegen ihr Verbot — wie überhaupt gegen eine Wirtschaftspolitik, die „kurzsichtig den Standpunkt des fremden kapitalistischen Ausbeuters einnimmt". 3 2 Eine solche Taktik der langfristigen ökonomischen Infiltration deckte sich mit den Vorstellungen führender Vertreter der deutschen Investitionsgüter- und Exportindustrie, aber auch der an einer aktiven Investitions- und Kreditpolitik interessierten Großbanken, 28 Freymond, Jean, Les industriels allemands de l'acier et le bassin minier lorrain (1940—1942), in Revue d'histoire moderne et contemporaine, B d . 19, 1972, S. 42. 29 Siehe die einschlägigen Dokumente in Anatomie der Aggression, S . 130 ff., und in Griff nach Südosteuropa, S. 136f. u. S. 142f., sowie die Einl. ebenda, S. 5 2 f f . 30 Siehe Griff nach Südosteuropa, S. 5 0 f f . (Einl.) u. 136f. (Zangen an v . Wilmowsky, 7. 8. 1941.) 31 Anatomie der Aggression, S. 138, Denkschrift v . Hasseils, Sept. 1941. 32 Ebenda, S. 147 f. 27 Eichholtz II
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besonders der Deutschen Bank, die industriell und finanziell stark im Südosten engagiert war. So gehörte Abs zu denen, die v. Hassell zu seiner „überaus klaren und eindringlichen Darstellung" 33 beglückwünschten. Nordeuropa bildete vom 22. J u n i 1941 an in den Vorstellungen der deutschen Imperialisten eine Randzone des gewaltigen Kontinentalblocks, der bis zur Linie Archangelsk — Astrachan und weiter reichen sollte. In dieser neuen Dimension nahm die wirtschaftliche Bedeutung Nordeuropas für sie teilweise stark ab. Das betraf vor allem das schwedische Eisenerz, in der Perspektive die dänische Lebensmittelerzeugung und schließlich auch die finnischen Holzressourcen. Die genannten Güter sollten reichlicher, billiger und ohne Umweg über den üblichen Außenhandel aus den besetzten sowjetischen Gebieten fließen. Auf anderen Gebieten planten die deutschen Machthaber eine enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen Nordeuropa und dem besetzten sowjetischen Territorium. So sollte die norwegische Aluminiumindustrie mit Bauxit aus Nordrußland versorgt werden. 34 Weniger bekannt ist der Plan der „Beschlagnahme der Fischereiflotte im Weißen Meer und ihre(r) Überführung nach Norwegen, um die Ausnutzung ihrer Fänge für Deutschland über norwegische Verarbeitungsbetriebe zu ermöglichen". 35 Diese Aktion war in der Gesamtkalkulation der Faschisten einbegriffen, nach der in der sogenannten Waldzone, d. h. in dem gesamten mittleren und nördlichen Teil der R S F S R bzw. des europäischen Teils der UdSSR, zahllose Millionen Menschen dem Hungertode preisgegeben werden sollten. 36 Seit der Besetzung Norwegens im F r ü h j a h r 1940 hatte sich das hauptsächliche wirtschaftliche Interesse der Okkupanten auf „zusätzliche Versorgungsmöglichkeiten für Deutschland mit Aluminium" 3 7 gerichtet. Die Leichtmetallproduktion auf der Basis der dortigen unbegrenzten Energieressourcen an Wasserkraft galt ihnen nicht nur als eine einmalige 33 Griff nach Südosteuropa, S. 155, Abs an v. Hassell, 24. 11. 1941. — Eine Eintragung in v. Hassells geheimem Tagebuch vom 20. September 1941 (e. Hassell, Ulrich, Vom Andern Deutschland, Frankfurt a. M./Hamburg 1964, S. 201 f.) vervollständigt das Bild von der ambivalenten Haltung des reaktionären Flügels der bürgerlichen Oppositionellen zum imperialistischen Krieg und zu den Kriegszielen. Wie die meisten anderen Anhänger dieses Flügels schwankte v. Hassell zu jener Zeit zwischen der Furcht vor den Folgen einer Niederlage im Kampf gegen die anglo-amerikanische Übermacht und der Hoffnung, die Sowjetunion und damit den Sozialismus vernichtend zu schlagen: „Vielleicht werden die Erfolge dieser Tage in Rußland (am 19. September fiel Kiev — D. E.) die Stimmung ... in der ganzen Welt in einem für die deutsche Sache günstigen Sinne beeinflussen. Gelingt es, Petersburg, das Donezgebiet, sogar Maikop und schließlich auch Moskau zu nehmen, so würde Rußland als wirklich gefährlicher Feind ausscheiden. Die Versorgungsbasis würde stärker und die Aussicht auf Sieg für die Gegner geringer. Das wäre dann wirklich der Augenblick, um eine Friedensmöglichkeit zu schaffen. Tatsächlich wird aber durch diese Erfolge zwar die gegnerische Siegeschance augenblicklich vermindert, aber die Basis für einen deutschen Sieg keineswegs geschaffen. Der Augenblick dürfte also unter keinen Umständen, wie alle bisherigen, verpaßt werden." 34 Siehe Petrick, Zwei Schlüsseldokumente, S. 249 ff. Ausführlich zum Platz Nordeuropas im deutschen Kriegszielprogramm EichhoÜz, Dietrich, Expansionsrichtung Nordeuropa, in ZfG, 1/1979, S. 17ff. 35 IMG, Bd. 36, S. 152, Dok. EC-126, „Wirtschaftspolitische Richtlinien für Wirtschaftsorganisation Ost, Gruppe Landwirtschaft", v. 23. 5. 1941. 36 Siehe Band I, S. 238ff.; vgl. d. vorl. Bd., S. 454f. 37 Entwurf einer Ausarb. d. Volkswirtschaftl. Abt. des IG-Farben-Konzerns für das OKW v. 19. 4. 1940; zit. b. Petrick, Zwei Schlüsseldokumente, S. 253.
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Chance, auf diesem Gebiet die deutsche Vormachtstellung in der Welt auszubauen; sie sollte zugleich die Grundlage für eine rasche Vergrößerung der deutschen Luftwaffe bilden. Im besetzten Europa, so stellt Milward für diese Zeit fest, „kam kein anderes Einzelvorhaben an Bedeutung dem Aluminiumplan (für Norwegen — D. E.) gleich". 38 Im Oktober 1940 wurde der „ Koppenbergplan" aus der Taufe gehoben, ein kolossales Projekt für den Ausbau der norwegischen Aluminiumkapazitäten auf ein Mehrfaches mit Hilfe der verfügbaren Wasserkräfte. 39 An diesem Projekt entzündete sich ein unaufhörlicher, heftiger interner Konkurrenzkampf zwischen den „Aluminiuminteressenten", die sich in zwei mächtigen staatsmonopolistischen Gruppierungen gegenüberstanden: der Gruppe VAW (Viag) — Dresdner Bank — Reichsfinanzministerium und der Gruppe IG Farben/Vierjahresplan — Bank der Deutschen Luftfahrt — Reichsluftfahrtministerium (bzw. Generalluftzeugmeister). Führender Repräsentant der ersten Gruppierung war Ludger Westrick (VAW); maßgebliche Vertreter der zweiten waren Heinrich Koppenberg und Wilhelm Moschel (IG Farben). Dem IG-Farben-Konzern ging es nicht nur um eine führende Beteiligung am Aufbau und an der Nutzung gewaltiger Produktionskapazitäten für Leichtmetall. Der Zugriff auf die norwegische Wasserkraftenergie erschien ihm vor allem als Schlüsselproblem für unabsehbare perspektivische Möglichkeiten auf dem gesamten zukunftsträchtigen Gebiet der elektrochemischen und elektrometallurgischen Produktion. Das norwegische Aluminiumprojekt der deutschen Imperialisten erhielt mit dem Überfall auf die UdSSR nicht nur gewaltigen Auftrieb infolge des „allgemeinen Klimas des Optimismus", 40 das sich hinsichtlich der „Neuordnung" ausbreitete; es schien auch materiell auf eine neue Basis gestellt zu sein. Sogleich am 23. J u n i 1941 auf der Sitzung bei Göring über die Aluminiumgrundlage für das „Göringprogramm" beschloß man, „daß die im Norden Rußlands gelegenen Bauxitvorkommen, auf denen sehr beachtliche Tonerdefabriken liegen, in erster Linie zu einer Bedarfsdeckung für Norwegen herangezogen werden sollen". 41 Der „Leichtmetall-Ausbauplan Norwegen" wurde im zweiten Halbjahr 1941, gleichrangig mit dem Mineralölprogramm, nun umfänglicher und „rationeller" konzipiert als 1940, zum Schlüsselprojekt der deutschen Blitzkriegs- und Weltherrschaftsstrategen. Die neuen Ereignisse bewogen den IG-Farben-Konzern, seine „Friedensplanung" für Norwegen vom Mai 1941 zu überarbeiten und zu ergänzen. In seinen zusätzlichen „Vorschlägen" vom 15. September 1941 ging er davon aus, daß der „Ausbau der industriellen Kapazität des Landes ... nunmehr wohl als Teil der Gesamtplanung anzusprechen" sei, „die auf die Neuordnung des kontinentaleuropäischen Wirtschaftsraumes gerichtet ist". 42 Sie enthielten eine vollständige Konzeption für eine total vom deutschen Imperialismus abhängige und von ihm ausgebeutete norwegische Wirtschaft und damit ein Modell für die deutsche Wirtschaftspolitik auch in anderen Ländern Nord- und Westeuropas. Die IG-„Friedensplanung" vom Mai 1941 wurde in wesentlichen Punkten ergänzt, vor allem durch die Forderung nach vollständiger Unterordnung der norwegischen Industrie unter 38 Milward, Norway, S. 171. 39 Ausführlicher ebenda, S. 171 f f . ; Petrick, Fritz, Zur Finanzierung des „Leichtmetallausbau Norwegen", in Beiträge zur Geschichte des Ostseeraumes, Greifswald 1975, S. 171 ff. 40 Milward, Norway, S. 198. 41 Petrick, Zwei Schlüsseldokumente, S. 263, Dok. 1, AN üb. d. Sitzung bei Göring am 23. 6. 1941. 42 EichhoÜz, Die Norwegen-Denkschrift des IG-Farben-Konzerns, S. 51, Dok. 4, „NorwegenDenkschrift", Fassung v. Sept. 1941. Hiernach auch das Folgende. 27«
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„deutsche Bedürfnisse". Vorausgegangen war dieser Forderung die Eroberung der Aktienmehrheit des Norsk-Hydro-Konzerns, einer entscheidenden Position in der norwegischen Wirtschaft, die die größten und ausbaufähigsten Industriezweige des Landes — Schwerchemie (Stickstoff) und Leichtmetallindustrie — völlig unter deutsche Kontrolle brachte. 4 3 In Anbetracht der zukünftig geplanten bzw. bereits im Bau befindlichen Investitionsvorhaben in diesen Zweigen war die norwegische Wirtschaft in akuter Gefahr, binnen kurzem überfremdet zu werden und zu einem bloßen wirtschaftlichen Anhängsel des deutschen Imperialismus herabzusinken. Am 4. Dezember 1941 unternahm Generalfeldmarschall Milch im Auftrag Görings einen erneuten Versuch, die Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Konzernen bzw. Gruppierungen um die „Aufteilung der europäischen Interessengebiete auf die einzelnen Aluminiuminteressenten" beizulegen. 44 Es stellte sich heraus, daß inzwischen in Anbetracht der Fülle an eroberten Ressourcen bereits eine vorläufige Einigung erzielt worden war. Danach sollten Norwegen und „Nordrußland" das ausschließliche „Interessengebiet" der IG-Farben-Koppenberg-Gruppe bilden, während die VAW dafür mit „Südrußland" sowie den einträglichsten und reichsten Vorkommen und Unternehmen in Südosteuropa abgefunden wurde. Frankreich sollte von beiden gemeinsam ausgebeutet werden. Das zerstörte Aluminiumwerk in Zaporoz'e am Dnepr sollte unter der Leitung der VAW langfristig und in großem Maßstab wieder aufgebaut werden. Hingegen neigte die Mehrheit der Versammelten dazu, einen Teil des aufgeblähten norwegischen Aluminiumprojekts im Hinblick auf den „außerordentlichen Nachteil" zu streichen, den — wie Krauch es formulierte — „die Erstellung dieser rüstungswirtschaftlichen Industrie in einer so großen Konzentration so weit von der deutschen Einflußsphäre entfernt" in sich berge. Tatsächlich beschlossen die Teilnehmer der Beratung, den „Leichtmetallausbau Norwegen" zu reduzieren. Koppenberg nannte in seiner Information für Reichskommissar Terboven die Gründe d a f ü r allerdings vollständiger; sie seien „in der neueren militärischen Entwicklung zu suchen sowie in dem Verkehrsproblem und dem immer größer werdenden Fracht[raum]mangel". 4 5 Der feste Besitz der in der UdSSR eroberten wirtschaftlichen Ressourcen erschien den deutschen Imperialisten aber auch zu jenem Zeitpunkt noch, da ihr Angriff im Osten bereits zum Erliegen gekommen war, auf erdenkliche Zeit als gesichert. Immerhin waren ausgedehnte Gebiete der Sowjetunion, mehrfach größer als Deutschland, und gewaltige landwirtschaftliche und industrielle Reichtümer in ihre Gewalt geraten, darunter der westliche Teil des Donecbeckens. In der ersten Novemberhälfte, als die Vorbereitungen auf eine zweite — die letzte — Offensive gegen Moskau noch einmal große Hoffnungen auf eine baldige Beendigung des Krieges bei ihnen erweckten, setzte noch einmal eine Phase intensiver Konferenzen und Beratungen über grundsätzliche Probleme der faschistischen Wirtschafts- und Okkupationspolitik ein. Göring legte zusammenfassende Richtlinien für die Ausbeutung der wirtschaftlichen Ressourcen und Arbeitskräfte des Sowjetlandes auf lange Sicht vor. Zur gleichen 43 Petrick, Zwei Schlüsseldokumente, S. 257; Fall 6. Ausgewählte Dokumente und Urteil des IG-Farben-Prozesses, Hrsg. u. eingel. von Hans Radandt, Berlin 1970, S. 162f., S. 230ff.; Eichholtz, Expansionsrichtung Nordeuropa, S. 20 f. 44 Petrick, Zwei Schlüsseldokumente, S. 264ff., Dok. 2, AN üb. d. Sitzung b. Milch am 4. 12. 1941 (teilw. gedr. in Anatomie des Krieges, S. 365f., Dok. 185). Hiernach auch das Folgende. 45 Petrick, Zwei Schlüsseldokumente, S. 259 (zit. AN f. Terboven v. 9. 12. 1941 üb. Bericht Koppenbergs v. 8. 12. 1941).
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Zeit formulierten die führenden Kreise der Reichsgruppe Industrie ihre Kriegszielvorstellungen und legten in neugebildeten Gremien wie dem Südostausschuß und dem Ostreferat 4 6 die künftige wirtschaftliche Expansionsstrategie fest. Am 7. November 1941, dem Tage der Gründung des Südostausschusses der RGI, befaßten sich die Spitzen der RGI im kleinsten Kreis, zu dem Wilhelm Zangen nur die leitenden Vorstandsmitglieder der Deutschen und der Dresdner Bank, Abs und Carl Goetz, hinzugeladen hatte, mit den infolge der „politischen Veränderungen im Osten ... neu entstehenden Problemen". 47 Statt Zangen und Rudolf Stahl, die dringend zu der gleichzeitig stattfindenden Sitzung bei Göring „über die Ausrichtung der Kriegswirtschaft auf das Rüstungsprogramm" 4 8 geladen waren, leitete Ewald Löser, damals das maßgebende Direktoriumsmitglied des Krupp-Konzerns, die Beratung. Anstelle von Abs war Johannes Kiehl anwesend, außer ihm und Goetz Hans-Günter Sohl (Vereinigte Stahlwerke), Wilhelm Rudolf Mann (IG-Farben) und Friedrich Brockhüs (Flick-Konzern). 49 Man zog Bilanz über rund ein Vierteljahr räuberischer Aktivität der staatsmonopolistischen Maschinerie der Ostgesellschaften und befand sie als unzulänglich. Um bei der Besitzergreifung, Inbetriebnahme und „möglichst schnellen und wirksamen" Ausbeutung des sowjetischen Industriepotentials in Zukunft „die Privatwirtschaft wirksam einzuschalten und zu verhüten, daß sich die Monopolbetriebe (gemeint sind die Ostgesellschaften — D. E.) sozusagen auf die Dauer mit eignen Leuten und mit eignen Unternehmungen einrichten", beschloß man, auf eine Änderung des bisherigen Verfahrens hinzuwirken. Die Wirtschaftsgruppen sollten fortan den Ostgesellschaften im konkreten Fall die „am besten geeignete Firma benennen, die unter festgesetzten Bedingungen mit ihrem ganzen Stabe und unter eigner Verantwortung die Verwaltung übernimmt". Löser, der den Vorsitz innehatte, vertrat hierbei im Auftrag von Zangen nichts anderes als die Meinung der Ruhrkonzerne, die am Vortag im „Kleinen Kreis" für die Wirtschaftsgruppe Eisen schaffende Industrie entsprechende Beschlüsse gefaßt hatten. 5 0 Verbal bot die RGI den Behörden zugleich den Verzicht der Industrie auf den Anspruch auf spätere Eigentumsübertragung an und wollte auch die zu benennenden „Betreuungs"Firmen zu Erklärungen der Art veranlassen, „daß sie von irgendwelchen Bemühungen betreffs Erwerbs eines russischen Betriebes Abstand nehmen werden". Diese Geste sollte es den staatlichen Stellen erleichtern, ihre Skrupel gegen das vorgeschlagene Verfahren abzubauen, das im Grunde auf eine Vermischung des ursprünglich ins Auge gefaßten Systems, nach dem die sowjetischen Betriebe mittels Treuhand- bzw. Pachtvertrags an die deutschen Konzerne verteilt werden sollten, mit demjenigen ihrer zentralen Verwaltung durch die Ostgesellschaften hinauslief. Der Eigentumsverzicht war natürlich cum grano salis zu verstehen, und die Herren verständigten sich augenzwinkernd darüber: „Natürlich 46 Zur Gründung des Ostreferats der RGI s. Schumann, Neue Dokumente der Reichsgruppe Industrie zur „Neuordnung" Europas, S. 434f., Dok. 11, Rs. d. Hauptgeschäftsführers der RGI, 16. 12. 1941. 47 ZStA Potsdam, Deutsche Rank, Nr. 21851, Bl. 54, Einladg. von Zangen für Abs, 24. 10. 1941. 48 Ebenda, FS, Film 2325, Niedersehr, üb. d. Sitzung i. RLM, 7. 11. 1941. Siehe S. 34 f. 49 Ebenda, Deutsche Bank, Nr. 21851, Bl. 55ff., AN Kiehl üb. d. Sitzung, 7. 11. 1941. Hiernach auch das Folgende. 50 Siehe BA Koblenz, R 13 1/608, Bl. U l f . , Protokoll d. Besprechg. zwischen RWiM (v. Hanneken) und Wigru Esl am 6. 11. 1941; ebenda, Nr. 621, Bl. 14, Protokoll d. Sitzung d. Kleinen Kreises am 30. 10. 1941.
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war man sich darüber klar, daß diejenige Gesellschaft, die einen Betrieb einmal erfolgreich betreut hat, damit tatsächlich eine größere Aussicht auf einen etwaigen späteren Erwerb erlangt h a t . " 5 1 Löser schlug überdies vor, den Behörden zu empfehlen, der faschistische Staat solle schon jetzt Anteilscheine „auf irgendwelchen späteren Erwerb in Rußland" verkaufen, damit „von vornherein ... die allmähliche Privatisierung dieses Gebietes tatsächlich festgelegt wird". Doch die übrigen Sitzungsteilnehmer lehnten diesen Vorschlag, der die Gemüter einigermaßen erhitzte, als „verfrüht" ab. Als Göring am 8. November 1941 „allgemeine Grundsätze" über die in den besetzten sowjetischen Gebieten auf lange Sicht einzurichtende „Kolonialwirtschaft" vortrug, 5 2 warf allerdings das Scheitern der Blitzkriegsstrategie schon seinen Schatten auf die Beratung. Zwischen den Zeilen stand in den Kolonialisierungsrichtlinien vom 8. November, daß der Krieg im Osten im Jahre 1942 werde fortgesetzt werden müssen. Daher lag ihr Schwerpunkt — unverändert gegenüber der „Grünen Mappe" — auf der kurzfristigen, größtmöglichen „Nahrungsmittel- und Rohstoffproduktion" f ü r die deutsche Kriegswirtschaft als dem „obersten Gesetz jedes wirtschaftlichen Handelns in den neubesetzten Ostgebieten". Am gleichen Tag, an dem Göring mit den Kolonialisierungsrichtlinien vor sein Publikum trat, tagte der Außenhandelsausschuß der RGI. Dort zog man Bilanz über zwei Jahre „Neuordnung Europas" und steckte die Perspektive ab. Hermann Fellinger, Leiter des Ausschusses und Chef des von der Deutschen Bank beherrschten Konzerns der Didier-Werke AG, formulierte in „programmatischen Ausführungen" 5 3 von „grundsätzlicher Bedeutung" 5 4 die „offizielle Auffassung" 5 5 der Leitung der RGI von der „Neuordnung Europas". Das große Ziel, das es jetzt zu verwirklichen gelte, sei „die Großraumwirtschaft in einem kontinentaleuropäischen Wirtschaftsblock". 5 6 Dazu gehöre „die Anwendung unserer vernünftigen Wirtschaftsgrundsätze und Wirtschaftsplanungen" auf diesen „Großraum", die „auf Grund unserer Machtstellung" erfolgen müsse. 57 Fellinger f u h r f o r t : „Wir streben eine bestmögliche Erschließung der Rohstoffquellen an und die Hebung der Produktion selbst mit dem Endziel einer möglichst hohen Erzeugung auf Grund sinnvoller, d. h. wirtschaftlich vernünftiger Planung." F ü r diese „Aufbauarbeit" sei eine „Führung notwendig, die wir allerdings f ü r Deutschland beanspruchen ... Auf dem industriellen Sektor steht diese Führungsaufgabe der Reichsgruppe Industrie zu als der berufenen Vertretung der deutschen Gesamtindustrie." Ihr Außenhandelsausschuß habe „das Programm f ü r die wirtschaftliche Neuordnung im gesamten kontinentaleuropäischen Raum zusammenzustellen und durchzuführen". 5 8 51 Über die Auseinandersetzungen um die Eigentumsübertragung s. S. 411 ff. 52 EichhoÜz, Dietrich, Die Richtlinien Görings für die Wirtschaftspolitik auf dem besetzten sowjetischen Territorium vom 8. November 1941, in Bulletin des Arbeitskreises „Zweiter Weltkrieg, Nr. 1-2/1977 (im folgenden: Die Richtlinien Görings), S. 73ff. (S. 83ff.). 53 Anatomie des Krieges, S. 360, Dok. 182, AN Albrecht üb. d. Sitzung d. Ausschusses am 8. 11. 1941, v. 12. 11. 1941 (Datum des Anschreibens). Das vollständige Dokument bei Schumann, Neue Dokumente der Reichsgruppe Industrie zur „Neuordnung" Europas, S. 429ff. 54 Anatomie der Aggression, S. 152, Dok. 32, Bericht d. RGI üb. d. Sitzung am 8. 11. 1941 mit Auszug aus der Ansprache Fellingers. 55 Anatomie des Krieges, S. 360, Aktennotiz Albrecht. 56 Anatomie der Aggression, S. 154, Bericht RGI. 57 Anatomie des Krieges, S. 360 f., Aktennotiz Albrecht. 58 Anatomie der Aggression, S. 155, Bericht RGI.
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Im Dezember zerbrach vor Moskau endgültig die Blitzkriegsstrategie. In Wehrmacht und Kriegswirtschaft kam es zu personellen Revirements und folgenreichen Umstellungen auf die Situation eines längerwährenden Krieges. Doch es kann nicht davon die Rede sein, daß die deutschen Monopole etwa ihr Kriegszielprogramm revidierten oder auch nur ihre Expansionsgier zeitweilig zügelten. Im Gegenteil, sie warteten um die Jahreswende 1941/42 mit neuen, phantastischen Ausarbeitungen und Plänen auf, gerade so, als ob sie die deutsche Militärmaschine jetzt erst recht anpeitschen und weiter vorantreiben wollten. Die perspektivischen Pläne und Vorschläge der deutschen Montankonzerne f ü r den „europäischen Großwirtschaftsraum" sahen die Zusammenfügung der gesamteuropäischen bzw. im deutschen Machtbereich befindlichen Eisenerzressourcen, Hüttenwerks- und Walzwerkskapazitäten zu einem gewaltigen Stahlerzeugungsblock, dem größten der Welt, vor. Den zitierten Memoranden über das Minette-Revier steht eine jüngst entdeckte Denkschrift über die sowjetische Schwerindustrie im Dnepr-Donec-Industrierevier gegenüber. Nach gründlichen Besichtigungen und Recherchen an Ort und Stelle 59 erörterte man demzufolge in maßgeblichen Kreisen der Ruhrkonzerne verschiedene Varianten der Behandlung der sowjetischen Stahlindustrie und erwog schließlich zwischen Spätherbst 1941 und Frühjahr 1942 einen aberwitzigen und barbarischen Plan — der im übrigen voll und ganz mit dem zur gleichen Zeit erörterten „Generalplan Ost", dem „Ostraum"-Programm der SS-Führung, übereinstimmte. 6 0 In einem Memorandum von Georg Bulle (Gutehoffnungshütte), einem der „Rußlandspezialisten" der Ruhrkonzerne und des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute, wurde nicht der Wiederaufbau der weitgehend zerstörten bzw. rechtzeitig ins Innere der Sowjetunion abtransportierten Werke und Werkseinrichtungen befürwortet, sondern die „Umsiedlung der russischen Eisenindustrie" nach Deutschland. „Die freiwerdenden Maschinen und Einrichtungen werden bei Instandhaltung und Ausbau der deutschen Stahlindustrie mitbenutzt, die ukrainischen Eisenerze werden im Volksdeutschen Wirtschaftsraum verhüttet und dienen hier zur Sicherstellung der notwendig werdenden Ausweitung der deutschen Stahlerzeugung, von der aus die wachsende deutsche Bau-, Maschinen- und Schiffsindustrie und daneben auch der ukrainische Inlandsbedarf befriedigt wird. Dazu wäre nötig, daß die Werke überwacht werden, bis ihre Anlageteile in den deutschen Werken gebraucht werden, um dann unter deutscher fachmännischer Leitung abgebaut zu werden, wobei deutsche Montageleiter kurzzeitig benötigt werden. Gleichzeitig müßten die Bahn- und Wasserwege zwischen der Ukraine und Ostdeutschland zur Aufnahme der Massentransporte von Erz erweitert werden. Die deutschen östlichen Kohlenreviere Schlesien und Böhmen und vielleicht auch die Ostmark würden sich f ü r die Verhüttung der Osterze einzurichten haben." Die Wahl der „Umsiedlungs"variante wurde unter anderem mit Kriegserfordernissen begründet; die tieferen Gründe aber wurzelten unübersehbar in der imperialistischen Weltherrschaftsstrategie des deutschen Finanzkapitals: „1) Mit der Umsiedlung der Hüttenwerke kann sofort begonnen werden, während eine Wiederherstellung ohne die mit der Kohlenzufuhr unsicher gewordene Inbetriebnahme vorläufig aufgeschoben werden muß. 2; Jetzt, d. h. im Kriege, kann Deutschland die f ü r den Wiederaufbau nötigen Maschinen 59 Siehe S. 461. 60 Müller, Rolf-Dieter, Industrielle Interessenpolitik im Rahmen des „Generalplans Ost", in Militärgeschichtliche Mitteilungen, 29, 1/1981, S. 128 ff., Dok. 9, Bericht von Georg Bulle an J. W. Reichert (Wigru Esl) v. 10. 11. 1941 (mit Anschreiben v. 30. 3. 1942). Hiernach auch das Folgende. Zum „Generalplan Ost" s. S. 430 ff.
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nicht ohne Schädigung ihres Einsatzes für die innerdeutsche kriegswichtigere Produktion liefern und wird die Entlastung durch ukrainische Anlageteile für die nötige Modernisierung der bestehenden Hütten und den Ausbau der Ostwerke begrüßen. 3) Jetzt im Kriege kann Deutschland die für den ukrainischen Hüttenwerksaufbau benötigten Fachkräfte, techn. Leiter und vor allem Werkmeister, nicht ohne Schädigung der inländischen Rüstungsindustrie freistellen, da schon jetzt an diesen Kräften starker Mangel herrscht. Die Montageleiter für die Umsiedlung können dagegen gut gestellt werden, da dafür in Deutschland Maschinenfachkräfte eingespart werden. 4) Auf weite Sicht bedeutet die Umsiedlung für Deutschland die Vermeidung der Gefahr, die darin liegt, daß auf slawischem Gebiet die breite Basis einer Rüstungsindustrie, wie sie eine Stahl- und Eisenerzeugung darstellt, neu ersteht. 5) Auf weite Sicht benötigt Deutschland die ukrainische Erzreserve (10 Mill. t F e = 15 Mill. t Stahl/Jahr) zur Sicherstellung der deutschen Stahlerzeugung im Volksdeutschen Raum. Denn die anderen deutschen Erzgrundlagen reichen nicht für die gewollte und später benötigte Stahlerzeugung von 50 Millionen jato, da die Minette nur max. 20 Mill. t Stahlerzeugung (13 Mill. t Fe) und Skandinavien max. 15 Mill. t Stahl (10 Mill. t Fe) ermöglicht und die anderen Vorkommen klein (Ilsede u. a.), unsicher (Afrika, Spanien u. a.) oder schlecht (Inland) sind. Wegen der Schlüsselstellung der Stahlindustrie darf diese andererseits nicht auf slawischem Raum im fernen Osten, sondern muß zwischen Maas und Memel liegen. Daher muß das ukrainische Erz in Deutschland und nicht in der Ukraine verhüttet werden, am besten im deutschen Osten. Schließlich darf nicht vergessen werden, daß es 6) auf weite Sicht für Deutschland von Vorteil ist, daß die Ukraine von den Russen ihrer Industrie beraubt wurde (gemeint sind die Evakuierungen vor dem deutschen Einmarsch — D. E.) und nur als Agrarland mit starker Bevölkerungsdichte zu vermehrter Agrarerzeugung und zum Austausch seiner Agrarprodukte gegen die Industrieprodukte gezwungen ist. Die Ukraine kann jetzt zwangsläufig an der Sicherstellung der deutschen Ernährungswirtschaft und des deutschen Industrieabsatzes mitwirken. Aus allen diesen Gründen wäre es erwünscht, wenn die deutsche Regierung baldigst die Umsiedlung der ukrainischen Eisenindustrie in den inneren deutschen Raum als notwendig anerkennt und die Sicherstellung der Anlagen verfügte, ehe deutsche Militär- oder Verwaltungsstellen aus natürlichem Ordnungsbedürfnis oder im Wunsche, der deutschen Stahlversorgung zu dienen, auf weite Sicht falsche Wiederherstellungsarbeiten beginnen." Die geschäftsmäßig-nüchterne Sprache dieses Berichts, der keineswegs ein Geheimdokument war, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei der formulierten Forderung um den Plan eines ungeheuerlichen Industrieraubs und nicht nur der Versklavung, sondern der Dezimierung des ukrainischen Volkes handelte. Im IG-Farben-Konzern kursierten Mitte Januar 1942 Listen der großen sowjetischen Kunststoff-, Kautschuk- und Weißfarbenwerke mit der nachdrücklichen „Empfehlung", „darauf zu achten, wenn die in der Aufstellung genannten Orte von den deutschen Truppen besetzt werden, damit wir dann mit den zuständigen behördlichen Stellen sofort Fühlung nehmen können". 61 Die aufgeführten Werke waren sozusagen geographisch geordnet: Sie standen in der Reihenfolge ihrer erwarteten Eroberung durch die Wehrmacht. An der Spitze rangierten die großen Werke in Leningrad, Moskau und in der Ukraine. Doch es 61 ZStA Potsdam, FS, Film 3966, Listen u. Begleitschreiben (Diktierzeichen: Bgt) v. 14. 1. 1942 für Grebe (Kunststoffe), Dr. Albers (Kautschuk) u. Dr. Weiss (Weißfarben) ( = Dok. NI-7468).
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f e h l t e n keineswegs W e r k e in B a t u m i , E r e v a n ' , C e l j a b i n s k ( F a r b w e r k e ) , S u m g a j t , Celkar u n d sogar Novosibirsk ( K a u t s c h u k w e r k e ) . K r a u c h selbst h a t t e u m die J a h r e s w e n d e U n t e r r e d u n g e n m i t G ö r i n g ü b e r a u ß e r o r d e n t l i c h schwerwiegende F r a g e n d e r d e u t s c h e n E r o b e r u n g s s t r a t e g i e . N a c h seinem Brief v o m 27. J a n u a r 1942 6 2 zu urteilen, hielt er d e n weiteren V o r m a r s c h z u m K a u k a s u s , a n die Quellen des E r d ö l s , n a c h wie v o r f ü r s e l b s t v e r s t ä n d l i c h u n d u n a b d i n g b a r . N o c h w e i t m e h r lag es i h m a m H e r z e n , Göring d a v o n zu überzeugen, d a ß die E r d ö l f e l d e r v o n K i r k u k im I r a k ein lohnenswertes, j a ein n o c h weit ergiebigeres Ziel d a r s t e l l t e n , d a d o r t d a s ö l „ u n t e r eigenem G a s d r u c k " z u t a g e t r e t e u n d n i c h t , wie im K a u k a s u s , d u r c h P u m p e n g e w o n n e n w e r d e n müsse. J e d e B o h r u n g b r i n g e d o r t , so a r g u m e n t i e r t e er, im Vergleich z u m K a u k a s u s d a s Zehn- oder g a r H u n d e r t f a c h e a n F ö r d e r u n g . E i n e Tabelle u n d eine w i r t s c h a f t s g e o g r a p h i s c h e Skizze, die K r a u c h seinem S c h r e i b e n b e i f ü g t e , v e r a n s c h a u l i c h t e n m i t reichlichem Zahlenm a t e r i a l die F ö r d e r v e r h ä l t n i s s e n i c h t n u r d e r k a u k a s i s c h e n u n d irakischen, s o n d e r n m i t gleicher A u s f ü h r l i c h k e i t u n d E i n d r i n g l i c h k e i t a u c h die d e r ä g y p t i s c h e n F e l d e r . K r a u c h b e f a ß t e sich schon m i t d e n n ä h e r e n U m s t ä n d e n d e r E r o b e r u n g des V o r d e r e n O r i e n t s : „ I m Fall v o n Zerstörungen d ü r f t e die W i e d e r h e r s t e l l u n g d e r vollen L e i s t u n g in V o r d e r asien m i t viel geringerem A u f w a n d a n Material, Zeit u n d A r b e i t möglich sein, als i m K a u kasus." K r a u c h , A u f s i c h t s r a t s v o r s i t z e r des I G - F a r b e n - K o n z e r n s , Chef des R e i c h s a m t s f ü r W i r t s c h a f t s a u s b a u u n d G B Chemie sowie Mitglied des A u f s i c h t s r a t s d e r K o n t i ö l , s t ä r k t e also m i t t e n in einer kritischen militärischen S i t u a t i o n d e r Nazi- u n d m i l i t ä r i s c h e n F ü h r u n g d e n R ü c k e n u n d e r i n n e r t e sie n a c h d r ü c k l i c h d a r a n , d a ß die in d e r b e r ü c h t i g t e n W e i s u n g N r . 32 v o m J u n i 1941 6 3 v o r g e z e i c h n e t e S t r a t e g i e als eine d e r w i c h t i g s t e n V o r a u s s e t z u n g e n f ü r d a s E x p a n s i o n s p r o g r a m m d e r d e u t s c h e n I m p e r i a l i s t e n v e r b i n d l i c h bleibe. 6 4 E r t a t d a s als der W o r t f ü h r e r m a ß g e b l i c h e r Kreise des F i n a n z k a p i t a l s , die eine V e r s t ä n d i g u n g ü b e r die k ü n f t i g e S t r a t e g i e f ü r dringlich hielten. Seinem Brief a n G ö r i n g gingen a u s f ü h r liche B e r a t u n g e n in d e r L e i t u n g d e r K o n t i ö l a n l ä ß l i c h d e r A u f s i c h t s r a t s s i t z u n g dieser Gesellschaft a m 13. J a n u a r 1942 voraus. 6 5 N u r wenig s p ä t e r s t e c k t e m a n i m A u s w ä r t i g e n A m t die zwischen K r a u c h u n d Göring besprochene E r o b e r u n g s s t r a t e g i e g e n a u e r a b : „ D a s Ziel unseres V o r m a r s c h e s im arabischen R a u m w i r d n e b e n d e r B e s e t z u n g d e r L ä n d e r I r a k , Syrien u n d P a l ä s t i n a d e r S u e z - K a n a l u n d d e r Persische Golf sein. ... V o r b e r e i t e t w e r d e n m u ß die Ü b e r n a h m e d e r E r d ö l a n l a g e n in den verschiedenen G e b i e t e n A r a b i e n s u n d 62 Ebenda, Film 8398, Krauch (GB Chemie) an Göring betr. „Vergleich Erdölgebiete Kaukasus und Vorderasien". 63 Fall Barbarossa, S. 73ff., (Entwurf der) Weisung v. 11. 6. 1941. 64 Im OKW schlug man zu jener Zeit unter dem Eindruck der Niederlage vor Moskau zaghaftere, ja geradezu klägliche Töne an. In einer Studie des WiRüAmtes von Januar/Februar 1942, in der hauptsächlich nachgewiesen werden sollte, daß das Göringprogramm „schon aus Treibstoffgründen absolut unmöglich" durchzuführen sei, sprach man nur im Konjunktiv von der Möglichkeit, „im Verlauf des Krieges noch in den Besitz der russischen Erdölvorkommen (zu) gelangen". Abschließend hieß es: „Eines aber ist klar: Ohne das russische ö l können wir selbst den geringen in unserer Hand befindlichen russischen Raum bei weitem nicht vollkommen ausnutzen. Aber vor allem: Ohne das russische ö l muß die deutsche Kriegführung von jetzt ab in ständig zunehmendem Maße erlahmen." (ZStA Potsdam, FS, Film 10667, Teil-Ms. einer Treibstoffdenkschrift des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes (Tomberg?), höchstwahrsch. Jan./Feb. 1942). 65 Siehe S. 482 f.
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Irans." 6 6 Gerade dieses Ziel bestimmte, dem Autor der zitierten Ausarbeitung, Fritz Grobba, zufolge, eine der speziellen Aufgaben des unter seiner Leitung gebildeten Stabes: „Vorbereitung des Abschlusses von Abkommen über die Übernahme der Konzession der Irak Petroleum Comp, und die Stellung von Beratern unter Beteiligung der Abteilung Ha. Pol. (des AA — D. E.) sowie der innerdeutschen Stellen." 6 7 Damit rückte also jetzt in das Stadium konkreter und zunehmend intensiver Planungen, was bereits ein J a h r zuvor auf der Gründungssitzung der Konti öl — der in dieser Hinsicht wichtigsten „innerdeutschen Stelle" — als das „Hochziel" ihrer Gründer, der Creme des deutschen Finanzkapitals, apostrophiert worden war: Hand zu legen auf das Erdölimperium der Royal Dutch Shell am Persischen Golf.68 Der entscheidende Zugriff auf dieses Imperium sollte über den Kaukasus erfolgen. Die beschriebene lebhafte Aktivität der herrschenden Kreise und insbesondere das Vorgehen Krauchs erhellen die eminente Rolle der Erdölstrategie in den Kriegsplänen des deutschen Finanzkapitals und lassen erkennen, welchen hervorragenden Platz das Erdöl in seinem Weltherrschaftskonzept einnahm. Während der Sommeroffensive der Wehrmacht trat die von Krauch vorgezeichnete Linie wieder ganz deutlich zutage, als beispielsweise am 10. Juni 1942 die Teilnehmer der „ölsitzung" bei Göring so taten, als seien die irakischen Erdölquellen schon in ihrer Gewalt. 69 Damals scheuten sich die deutschen Imperialisten auch keineswegs, ihre Aspirationen auf ein Erdölimperium gleich dem des britischen und US-Imperialismus schwarz auf weiß zu veröffentlichen. In der Schriftenreihe einer wohlrenommierten technischen Zeitschrift schrieb ein gewisser Birk: „Großdeutschland als führender Staat der Wirtschaftseinheit Europa erstrebt für diesen Kontinent nicht nur die reichlich vorhandenen Kohlenvorräte, sondern auch die in seinem Lebensraum anstehenden Erdölschätze zu mobilisieren. ... Die Macht- und Monopolstellung des britischen und nordamerikanischen Kapitals in der Erdölwirtschaft der Welt muß gebrochen werden, um den Weg für eine Neugestaltung der Mineralölversorgung als der Grundlage industrieller Betätigung und verkehrlicher Entwicklung aller Völker und Wirtschaftseinheiten freizumachen." 70 Die Wehrmachtpropaganda behauptete noch im Januar 1943, als die faschistischen Truppen vom Kaukasus zurückfluteten, das deutsche Heer werde „die Voraussetzungen dafür schaffen, daß auch uns unser Anteil an den Rohstoffquellen der Welt und nicht zuletzt an den Mineralölvorkommen der Erde gesichert wird". 7 1 Die Sommeroffensive 1942 brachte eine letzte Blütezeit für Kriegszielplanungen und 66 ZStA Potsdam, Auswärtiges Amt, Nr. 61123, Bl. 176f., Ausarbeitung von Fritz Grobba für v. Ribbentrop, 5. 2. 1942: „Vordringen Deutschlands über den Kaukasus nach dem arabischen Raum"; vgl. auch Anatomie des Krieges, S. 377, Dok. 192. 67 Ebenda (ZStA), Bl. 193, Kurzfassung der gleichen Ausarbeitung u. d. T. „Vormarsch Deutschlands nach dem arabischen Raum". — Gesandter z. b. V. Fritz Grobba war der Bevollmächtigte des A A beim Sonderstab Felmy, einer Kampf- und Diversionstruppe, die vom O K W für den Nahen und Mittleren Osten in Bereitschaft gehalten wurde. 68 Siehe DZW, Bd. 1, S. 556. 69 Eichholtz, Dietrich, Der Raubzug des faschistischen deutschen Imperialismus zu den Erdölquellen des Kaukasus 1 9 4 1 - 1 9 4 3 , in JfG, 1976, Bd. 14 (im folgenden: Erdölquellen), S. 462ff., Dok. 1. Siehe auch S. 484 f. 70 Birk, Karl, Kraftstoffwirtschaft der Welt, in Schriftenreihe der Zeitschrift Deutsche Technik, H. 11, Berlin (1942), S. 67 und 72. 71 ZStA Potsdam, FS, Film 10699, (Lehr-)Vortrag v. T K V R Simons vom 28. 1. 1943 üb. „Das Erdöl".
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-programme. Allerdings verlagerten sich ihre Schwerpunkte. In gewisser Weise sollte auch das „Verbot der Friedensplanungen" durch Hitler, Göring u n d Speer, 7 2 wiewohl vor allem auf die Konstruktion und Produktion von Erzeugnissen bezogen, die Energien der Konzerne u n d staatsmonopolistischen Gremien stärker darauf lenken, das Wirtschaftspotential der besetzten Länder unmittelbar in das deutsche Kriegspotential einzubeziehen und es kurzfristig f ü r die Kriegführung n u t z b a r zu machen. Hiergegen h a t t e n die Monopole nichts einzuwenden, zumal es f ü r sie auf der H a n d lag, daß, solange der Krieg n i c h t siegreich beendet war, die „Neuordnungs"-Planungen letzten Endes Luftschlösser bleiben m u ß t e n . Was die besetzten sowjetischen Gebiete betraf, so verlegten sich die deutschen Monopole auf die Intensivierung ihrer räuberischen Tätigkeit in den Ostgesellschaften und außerhalb dieser Organisationen auf die Gründung zahlloser „Ostfirmen". Hier sollten vollendete Tatsachen der „Neuordnung" geschaffen werden. U m sich die sowjetischen Wirtschaftsressourcen rascher n u t z b a r zu machen, waren sie zeitweise sogar bereit, kollaborationswillige, antisowjetische Unternehmerkreise aus den Niederlanden, aus Norwegen, Dänemark, Frankreich, Ungarn und anderen Staaten an der Ausplünderung und systematischen Ausbeutung bestimmter Bereiche der Okkupationswirtschaft teilhaben zu lassen. 7 3 Die RGI unterstützte und förderte den räuberischen Drang der deutschen Industriellen, sich in den besetzten sowjetischen Gebieten festzusetzen, m i t ihrem ganzen Gewicht u n d Einfluß. In der von ihr herausgegebenen Zeitschrift „Die Ostwirtschaft" verhieß ihnen im F r ü h j a h r 1942 ein Leitartikel: „Keiner, der ein Interesse daran hat, sich im Osten zu betätigen, wird zu kurz k o m m e n . " 7 4 Im September frohlockte der gleiche Leitartikler, Chefredakteur Hans Thode, die militärische Entwicklung, besonders die E i n n a h m e des gesamten Donec-Industriereviers, biete nun „die Möglichkeit ..., im Osten eine W i r t schaftspolitik auf längere Sicht zu betreiben". 7 5 Zur Hauptsorge der Konzerne, der R G I und der Wirtschaftsgruppen wurde die Frage der zukünftigen Eigentumsübertragung an die jetzt einstweilen als „Treuhänder" bzw. „ P a t e n " eingesetzten deutschen Unternehmen. 7 6 Die Flut der Wirtschaftsberichte, Studien und statistischen Ausarbeitungen von Konzernen, Wirtschaftsinstituten und staatlichen Stellen über alle wirtschaftlich bedeutenden Länder der Welt stieg im J a h r e 1942 noch an. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit d e r Bearbeiter standen Südosteuropa, Afrika, der Nahe und Ferne Osten. 7 7 Von besonderem Interesse ist eine Ausarbeitung der Kontinentale Öl AG vom 15. J u l i 1942 ü b e r „Die 72 Siehe Janssen, S. 66 ff. 73 Siehe Groehler/Schumann, Zu den Bündnisbeziehungen ..., S. 636f.; DZW, Bd. 2, S. 419f.; Eichholtz, Expansionsrichtung Nordeuropa, S. 27 ff. 74 Thode, Hans, Lebensraum im Osten, in Die Ostwirtschaft, Nr. 3/1942 (März), S. 37. 75 Derselbe, Unternehmertum im Osten, in ebenda, Nr. 9/1942 (Sept.), S. 125f. Auswahl von Artikeln aus „Die Ostwirtschaft", Jg. 1942. Nr. 3 (März) „Lebensraum im Osten" Nr. 6/7 (Juni/Juli) „Europäische Gemeinschaftsaufgabe Osten" „ „ „Deutsche Handelsunternehmen in den besetzten Ostgebieten" „ „ „Die Erdölindustrie im Nordkaukasus" Nr. 9 (September) „Unternehmertum im Osten" 76 Siehe S. 415 ff. u. S. 466f. 77 Zahlreiche derartige Ausarbeitungen und Memoranden in ZStA Potsdam, FS, Film 10613ff.; s. a. Archivalische Quellennachweise zur Geschichte der chemischen Industrie, Nr. 6, Wolfen 1974.
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Mineralölwirtschaft Ägyptens", 78 die zeitlich zusammenfiel mit dem weitesten Vordringen deutscherund italienischer Truppen in Richtung auf Kairo. Damals meldete beispielsweise auch die Deutsche Bank ausdrücklich ihre Ansprüche auf Übernahme der kolonialistischen Positionen Großbritanniens in Ägypten und „im übrigen Vorderen Orient" an. 79 Das hervorstechendste Ergebnis der Kriegszielplanungen des Jahres 1942 war das Ostasienprogramm der RGI, das vom März datiert, aber ähnlich wie der „ Klein-Bericht" schon seit längerem vorbereitet worden war. Im Os'tasienprogramm, 80 von seinen Verfassern im Ostasienausschuß der RGI „Wunschprogramm der deutschen Wirtschaft für die Durchführung der deutsch-japanischen Zusammenarbeit im großostasiatischen Wirtschaftsraum" genannt, stellten die deutschen Monopole an den japanischen Verbündeten die Forderung nach gleichberechigter Teilnahme an der „Neuordnung im großostasiatischen Raum". Unter „Gleichberechtigung" verstanden sie, „daß deutsche Staatsangehörige (lies: deutsche Monopole — D. E.) in jeder Beziehung nicht schlechter gestellt sein dürfen als japanische" und ebenso wie die diesen Raum beherrschenden japanischen Monopole „starke Bevorzugung" gegenüber anderen Mächten genössen. Das hieß im einzelnen: „Vorzugsweise Lieferung von Rohstoffen an Deutschland ... Vorzugsweiser Bezug von deutschen Industrieerzeugnissen ... Betätigung und Einrichtung von Stützpunkten eines deutschen Bankinstituts in sämtlichen Gebieten des großostasiatischen Raumes", nämlich der für diesen Zweck vollständig zu reorganisierenden Deutsch-Asiatischen Bank, und nicht zuletzt freie Betätigung der deutschen See- und Luf 1. verk ehrsurft ernehm en und Versicherungskonzerne, „unbeschränkt durch monopolistische Tendenzen" der japanischen Konkurrenten. Mit dem Ostasienprogramm griff das deutsche Finanzkapital weit über die Grenzen Europas hinaus und bereitete eine ökonomische Expansion über gewaltige Entfernungen in Räume der anderen Hemisphäre vor, die die japanischen Imperialisten erobert hatten oder zu erobern planten. Sein Kriegszielprogramm erwies sich darin eindeutig als Weltherrschaftsprogramm. In jenem Dokument lag schon der Keim späterer Zusammenstöße und tiefgreifender Auseinandersetzungen mit den Japanern beschlossen, denen man mit einer schwächlichen Klausel über den „Grundsatz der Gegenseitigkeit" Sand in die Augen zu streuen gedachte. Auch die „Neuordnungs"-Planung und -Politik des deutschen Finanzkapitals blieb freilich nicht von den Auswirkungen der Niederlage vor Moskau verschont. Das machte sich in erster Linie dort bemerkbar, wo es gewisse Rücksichten auf andere kapitalistische Partner im „Großwirtschaftsraum" zu nehmen galt. Uberall wo die deutschen Konzerne, beispielsweise in der Elektroindustrie 8 1 und in der Autoindustrie 8 2 , den Versuch unternahmen, neue, unter ihrer Führung stehende intereuropäische Kartelle und Konventionen aufzubauen, 78 ZStA Potsdam, FS, Film 10616. 79 Ebenda, Deutsche Bank, Nr. 10275, Bl. 133, AN Abs (für Weigelt), 4. 7. 1942. 80 Auszugsweise gedr. in Anatomie des Krieges, S. 387ff., Dok. 200. Hiernach auch das Folgende. Zur Zusammensetzung des Ostasienausschusses s. ebenda, S. 390, sowie Band I, S. 154ff. Neuerdings s. Das Bündnis der Rivalen. Der Pakt Berlin — Tokio. Neue Dokumente zur Ostund Südostasienpolitik des faschistischen deutschen Imperialismus i m zweiten Weltkrieg. Hrsg. u. eingel. von Karl Drechsler, Berlin 1978, S. 44 ff. u. S. 127 ff.'(Dok. 33). 81 Siehe Wandschneider, Hermann, Pläne der deutschen Elektrokonzerne zur „Neuordnung der europäischen Wirtschaft" im zweiten Weltkrieg, in JfW, 1970, T. 4, S. 219 ff. 82 Siehe ZStA Potsdam, FS, Film 4638, div. Stcke. üb. d. Verhandlungen d. „Vorläufigen Kommission für die Zusammenarbeit der europäischen Automobilindustrie", 1941/42.
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zeigten sich im Jahre 1942 zunehmend Argwohn und Widerstand bei ihren Partnern, sei es aus besetzten Ländern wie Frankreich, den Niederlanden und Dänemark, sei es aus verbündeten und Satellitenstaaten wie Italien und Ungarn. Dieser Widerstand gegen „die betonte Herausstellung einer deutschen Führung" 8 3 versteifte sich in dem Maße, in dem sich der deutsche Vormarsch in der UdSSR verlangsamte und in dem die Abhängigkeit der Kriegswirtschaft und Kriegführung Hitlerdeutschlands vom Potential der besetzten Länder offenkundig wurde. Unter derartigen Umständen blieb dem deutschen Finanzkapital nichts weiter übrig, als bescheidenere Formeln f ü r eine „Zusammenarbeit" zu finden — intern immer „von dem Gesichtspunkt aus . . ., daß Deutschland sein Kriegsziel, nämlich ein geeintes Europa, unter starker deutscher Wirtschaftsführung erreicht". 8 4
b) Der Eigentumsanspruch der Monopole und die sozialistischen Produktionsverhältnisse in der UdSSR Von Anfang an beschäftigte die deutschen Monopole die Frage nach der endgültigen Übernahme der sowjetischen „StaatsWirtschaft" in ihre Hände. Diese Frage betraf nicht n u r den Kern ihrer Raub- und Expansionsinteressen. Die Abschaffung der sozialistischen Formen des Eigentums an den Produktionsmitteln „für immer" erschien ihnen nach der Vernichtung des Sowjetstaates und im Zusammenhang mit dieser als der entscheidende Schritt zum Sturz der verhaßten sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Fleisch vom Fleische der weltweiten imperialistischen Konterrevolution, verfolgte das deutsche Finanzkapital die Restauration des Kapitalismus in der U d S S R als das grundlegende Klassenziel seines Krieges. Die herrschenden Kreise des Regimes waren sich in bezug auf dieses Ziel vollständig einig. Keine einheitlichen Vorstellungen bestanden dagegen hinsichtlich der Methoden und des Zeitpunkts der „Reprivatisierung". Beim Erdöl beispielsweise stand von vornherein eine Lösung des Problems in Gestalt der Kontinentale ö l AG fest, einer privatrechtlichen Monopolgesellschaft mit starker staatlicher Beteiligung und unter dem dominierenden Einfluß der großen Industrie- und Bankkonzerne. 85 Die sowjetischen Bergbau- und Hüttenbetriebe waren zunächst zu Dutzenden den deutschen Montankonzernen als „Patenbetrieben" mit späterem (wenn auch nicht offiziell fixiertem) Eigentumsanspruch bzw. Vorkaufsrecht zugeteilt und zugesagt worden. 86 Die allgemeinen Vorstellungen der deutschen Monopole werden etwa den Vorschlägen des Zeiss-Konzerns 87 entsprochen haben, die für die erste Zeit lukrative Pachtverträge zwischen dem Reich und den deutschen 83 Wandschneider, S. 242, Dok. 11, Niedersehr, üb. eine Sitzg. v. Wirtschaftsstellen der Elektroindustrie, 16. 6. 1943; s. a. ebenda, S. 224. — Das Zitat bezieht sich auf die Versuche der deutschen Elektrokonzerne seit Sommer 1941, ein europäisches Kartell („Europa-Konvention Elektroindustrie") gemeinsam mit den dänischen, französischen, niederländischen, italienischen und ungarischen Firmen zusammenzuzimmern. 84 Ebenda, S. 238, Dok. 8, AN Riepka, 3. 6. 1942; s. a. ebenda, S. 226. 85 Siehe Band I, S. 235 ff. 86 Siehe CzoUek/EichhoÜs, Die deutschen Monopole und der 22. Juni 1941, S. 72 ff.; Band I, S. 202 f. 87 Anatomie der Aggression, S. 132ff., Dok. 28, Vorschläge des Zeiss-Konzerns f. d. Wigru Feinmechanik und Optik, 18. 8. 1941.
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Firmen vorsahen. Alle Risiken und Kosten während dieser Zeit wurden darin auf den Reichsfiskus bzw. Wehrmachtsetat abgewälzt. Der springende P u n k t bestand in dem Vorbehalt, daß die Pächtergesellschaften „das gepachtete Werk erwerben können, wenn die endgültige Gestaltung der politischen, staatsrechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im besetzten russischen Gebiet zu übersehen ist und das Deutsche Reich die Veräußerung der Werke beabsichtigt". 8 8 Ende Juli 1941 hatte sich aber eine andere Linie durchgesetzt, vertreten offenbar von der Vierjahresplangruppierung um Göring, den IG-Farben und dem Reichs werke-Konzern und von deren Stützen im Reichswirtschaftsministerium. Als bei einem gemeinsamen Frühstück leitender Persönlichkeiten des Otto-Wolf-Konzerns mit Ministerialdirigent Holtz vom Reichswirtschaftsministerium „über die praktische Gestaltung der künftigen Wirtschaftsorganisationen in Rußland" gesprochen wurde, erklärte Holtz, „daß man inzwischen von dem ursprünglichen Gedanken der Patenschaft der verschiedenen Industriekonzerne über die einzelnen russischen industriellen Betriebe wieder abgekommen sei, und zwar aus dem Grunde, weil man befürchtet, daß sich hieraus für die Zukunft gewisse Besitzansprüche der betreuenden Konzerne entwickeln könnten. Vielmehr wolle man die von den Konzernen benannten Herren als Einzelpersonen im Reichsauftrage bei den verschiedenen Werken einsetzen. E r — Holtz — sei sich dabei jedoch vollkommen darüber im klaren, daß praktisch das Ergebnis im wesentlichen das gleiche sei wie bei dem ursprünglichen Plan, da sich die eingesetzten Herren doch mehr oder weniger auf die hinter ihnen stehenden Konzerne oder deutschen Werke arbeitsmäßig stützen müßten. Trotz dieser Änderung in der grundsätzlichen Einstellung sei nach wie vor beabsichtigt, ... die bereits für bestimmte Werke vorgesehenen Herren auch tatsächlich dort einzusetzen." 8 9 Jene „Änderung in der grundsätzlichen Einstellung" gehörte schon zur Vorgeschichte der Berg- und Hüttenwerksgesellschaft Ost m b H (BHO), deren Gründung am 27. Juli von Göring angekündigt und am 20. August offiziell vollzogen wurde. 90 Bei dieser Gelegenheit verkündete Göring indessen ausdrücklich, daß weder die zentrale Verwaltung ganzer Wirtschaftszweige durch die BHO und andere Ostgesellschaften noch die treuhänderische Verwaltung anderer Zweige wie z. B. der chemischen Industrie die „Endlösung" darstelle. Sobald wie möglich sei vielmehr „die Verpachtung von Betrieben an Deutsche" anzustreben. 91 Intern ließ man ferner durchblicken, „daß sich in der Richtung der Reprivatisierung der großen Staatskonzerne (also nicht nur der Reichswerke) der Führer und der Reichsmarschall vollkommen einig seien". 92 Die Gruppierung um Göring zog solcherlei Wechsel auf die Zukunft sicher nicht ohne die Nebenabsicht, die deutschen Montanmagnaten zu besänftigen. Dies erschien ihnen um so angebrachter, als die Montankonzerne nun ohne sichere Garantien auf künftigen Besitz viele versierte Kräfte an die BHO abtreten sollten. Die Herren von Kohle und Stahl waren tatsächlich stark verschnupft wegen der über ihren Kopf hinweg getroffenen neuen Regelungen. Zu allem Überfluß erklärte Unterstaats88 Ebenda, S. 134 f. 89 Wojewödzkie Archiwum Panstwowe w Katowicach, Oberschlesischer Berg- und Hüttenmännischer Verein (Gleiwitz), Nr. 35, AN Reichard, 23. 7. 1941. 90 Siehe Czollek, Roswitha/Eichholtz, Dietrich, Zur wirtschaftspolitischen Konzeption des deutschen Imperialismus beim Überfall auf die Sowjetunion, in JfW, 1968, T. 1, (im folgenden: Konzeption) S. 163 ff. 91 Ebenda, S. 164 (Göring-Erlaß v. 27. 7. 1941). 92 Anatomie des Krieges, S. 348, Dok. 174, AN Burkart f. Flick, 13. 8. 1941.
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Sekretär v. Hanneken ihnen die bevorstehende Gründung der B H O — ernannte sie „gewissermaßen eine russische Viag" 9 3 — ausdrücklich damit, daß bei der bisher in Aussicht genommenen Zuteilung der sowjetischen Werke an deutsche Konzerne „für die Zukunft zu leicht' Anwartschaften für die deutschen Firmen hergeleitet werden könnten". Ernst Poensgen antwortete namens der Konzerne gereizt, „daß sie keine Aspirationen hätten". Das war freilich eine billige Geste; dieser „Verzicht" war in der — sehr realistischen — Annahme begründet, daß, nach Poensgens Worten, „wir die Firmen dort in völlig zerstörtem Zustand vorfinden würden". Als sich Poensgens Annahme im Herbst bewahrheitete, ließen Zangen und er durch den „Kleinen Kreis" der Ruhrmontankonzerne einen Beschluß für die durch diesen Kreis de facto beherrschte Wirtschaftsgruppe Eisen schaffende Industrie darüber formulieren, „daß die alten Werke nicht die Absicht haben, sich in Rußland festzusetzen". 94 Die Wirtschaftsgruppe sollte den Beschluß „den Behörden und der Ostgesellschaft" — in deren Verwaltungsrat inzwischen die Verfasser dieser durch und durch heuchlerischen Erklärung selbst eingezogen waren! — übermitteln. Immerhin ließen sie sich ein Schlupfloch offen und erklärten sich zugleich bereit, „Patenschaften über einzelne Werke zu übernehmen und personell diese Werke auszustatten"; doch wollten sie, wie es weiter hieß, „aus einer solchen Patenschaft heraus keinerlei Anspruch erheben ..., solche Werke später zu erwerben oder als Eigentum zugeteilt zu bekommen". Monate später, als wichtige Werke des Donec-Reviers instandgesetzt waren und zu produzieren anfangen sollten, hörte man es indes anders. Intern wurde der Göring-Erlaß vom 27. Juli 1941 in der für die Montankonzerne entscheidenden Frage ganz richtig interpretiert: „Besonders interessant an dem Erlaß ist der Hinweis, daß die Monopolverwaltung bzw. die einstweilen ausschließliche Übertragung an Verwaltungsgesellschaften nur aus dem Grunde geschieht, weil mangels am Ort bestehender Organisationen und mit Rücksicht auf die gewaltigen Aufgaben und gebotene Eile die Einschaltung von Monopolgesellschaften bzw. Gesamtverwaltungsgesellschaften erforderlich ist — daß es sich dabei aber in keiner Weise um ein Endstadium, sondern nur um eine vorübergehend notwendige Maßnahme handeln kann. Grundsatz ist, daß ein dauerhafter und durchgreifender positiver Erfolg nur von der staatlich gelenkten Privatwirtschaft erwartet werden kann — und daß deshalb angestrebt werden muß, die Betriebe sukzessive später in die Privatinitiative zu überführen." 9 5 Der beschriebene Vorgang erinnert stark an jene Farce, die dieselben Beteiligten im Sommer 1940 anläßlich der Verteilung der lothringischen Hüttenwerke inszenierten. 96 Die Verlangsamung des Vormarsches in der Sowjetunion, die vorgefundenen umfassenden Zerstörungen und der nie erlahmende Widerstand der Sowjetbevölkerung gegen die Restauratoren des Kapitalismus schufen für die Okkupanten enorme Schwierigkeiten, die sie veranlaßten, das System der zentralisierten staatsmonopolistischen „Ostgesellschaften" beizubehalten und noch auszubauen. Im Spätherbst 1941, als das Scheitern der Blitzkriegs93 ZStA Potsdam, Fall X , Film 425, Dok. NI-050, Prot. d. Besprechg. zwischen RWiM (v. Hanneken) und Wigru E s l , 25. 7. 1941. Hiernach auch das Folgende. — Immerhin beteuerte auch v. Hanneken, sich auf Göring berufend, „daß später eine Reprivatisierung durchgeführt würde" (ebenda). 94 B A Koblenz, R 13 1/621, Prot. d. Sitzg. d. Kleinen Kreises, 30. 10. 1941. Hiernach auch das Folgende. 95 Fall 5, S. 258, Dok. NI-5284, AN Kaletsch f. Flick üb. Besprechg. mit Walter Tengelmann, 13. 8. 1941. - Über Tengelmann s. S. 463 f. 96 Siehe Band I, S. 193 ff. u. S. 294 ff. (bes. 298 ff.).
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Strategie offenbar war, traten die Erörterungen über die Eigentums- und „Reprivatisierungs"-Frage gegenüber dem Streben nach raschestmöglicher Ausnutzung der sowjetischen Wirtschaftsressourcen für die Fortführung des Krieges in den Hintergrund. Als Göring am 8. November 1941 die „Allgemeinen Grundsätze für die Wirtschaftspolitik in den neubesetzten Ostgebieten" 97 vor den Spitzenvertretern von Staat und Wirtschaft darlegte, klangen seine Bemerkungen über eine spätere Klärung der Eigentumsverhältnisse in der U d S S R demgemäß sehr zurückhaltend. Alle landwirtschaftlichen und gewerblichen Betriebe in den besetzten Gebieten — von Göring fälschlich rundweg als „Eigentum des Sowjetstaates" bezeichnet — seien „dem Reich zugefallen". Überall seien vorderhand „endgültige Änderungen der Eigentumsrechte grundsätzlich ausgeschlossen, bis die Gebiete in den Verband des Großdeutschen Reiches aufgenommen worden sind. Daher ist prinzipiell nur Treuhänderverwaltung zulässig. Treuhänderverwaltung berechtigt den Treuhänder nicht zu späterem Erwerb des Besitztums." Görings Ausführungen zu diesem Punkt verrieten insgesamt Widersprüchlichkeit und Unsicherheit. Die sowjetischen Betriebe sollten „prinzipiell den Firmen oder den Persönlichkeiten übergeben werden, welche das erforderliche Sachverständnis haben und ähnliche Anlagen besitzen oder in Betrieb haben". Diese Firmen müsse man aus ihrer Tätigkeit einen „angemessenen Nutzen" ziehen lassen. Auf den Gebieten aber, wo Monopolgesellschaften tätig waren, sollten „vorläufig die früheren Bestimmungen in Kraft bleiben". In gewissem Gegensatz zu dem versprochenen „angemessenen Nutzen" stand ferner der hier erstmals entwickelte Plan, „durch billige Produktion und Aufrechterhaltung des niedrigen Lebensniveaus", d. h. durch kolonialen Raubbau übelsten Stils, in erster Linie den faschistischen Staat zu bereichern und „die sich aus dem Kriege ergebende Schuldenlast des Reiches zum größten Teil durch Einkünfte, die aus den neu besetzten Ostgebieten herauszuziehen sind", zu decken. Im ganzen gesehen, tat Göring mit den neuen Richtlinien in den Augen der deutschen Monopolisten einen Schritt zurück gegenüber dem, was er im Sommer zur Frage der „Privatisierung" des sowjetischen sozialistischen Eigentums geäußert hatte. Fast am gleichen Tage trat, wie schon gezeigt, die RGI mit ihrer Gegenposition auf. 98 Die folgende Zeit stand offenbar im Zeichen interner Auseinandersetzungen um die Eigentumsfrage. Als Ministerialdirektor Gustav Schlotterer am 21. November 1941 im Reichswirtschaftsministerium über „grundsätzliche Fragen des Einsatzes der Ostgesellschaften" sprach, charakterisierte er, einlenkend und den Eindruck von Görings Auftreten etwas korrigierend, die Ostgesellschaften als „Übergangserscheinungen auf dem Wege vom russischen Staatseigentum zu verpflichtetem Privateigentum, von kriegswirtschaftlicher zu kolonialer Nutzung". 9 9 Der stets hervorragend informierte IG-Farben-Konzern hatte zur Bearbeitung der die Sowjetunion betreffenden Fragen bei seiner Wirtschaftspolitischen Abteilung eigens eine „Ostverbindungsstelle" geschaffen. In einem Lagebericht dieser Stelle für den Konzernvorstand vom 3. Januar 1942 100 bezeichnete man die Ostgesellschaften „lediglich als 97 Eichholtz, Die Richtlinien Görings, S. 83 ff. Hieriiach auch das Folgende. 98 Siehe S. 403 f. 99 „Niederschrift über die am 21. November 1941 im Reichswirtschaftsministerium stattgefundene Besprechung über grundsätzliche Fragen des Einsatzes der Ostgesellschaften", zit. nach CzoUek, Faschismus und Okkupation, S. 77. 100 ZStA Potsdam, Fall VI, Film 419, Dok. NI-2996, „Lagebericht der Ostverbindungsstelle über
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Zweckgebilde", die nach Kriegsende „in irgendeiner Form von der Privatwirtschaft abgelöst" würden. Hitler selbst habe die feste Absicht, „möglichst der Privatwirtschaft freie Bahn zu lassen". Die „Grundtendenz" gehe „jedenfalls dahin, jetzt schon die Selbstverantwortung der zur Zeit noch treuhänderisch eingesetzten Betriebsführer zu erhöhen und durch Gewinnbeteiligung, die als Vorstufe zur Reprivatisierung angesehen werden kann, die Voraussetzungen für ein selbständiges Unternehmertum zu schaffen". Ungeachtet dieser optimistischen Gesamteinschätzung riet die Ostverbindungsstelle angesichts der ungeklärten militärischen und politischen Lage zu starker Zurückhaltung. Sie deutete an, „daß zur Zeit für industrielle Aktivität im Osten noch keine echte Chance besteht", und zog den Schluß, daß „industrielle Planungen grundsätzlich für absehbare Zeit nicht am Platze sind", solange die offizielle Konzeption, den Osten „als reines Agrar- und Rohstoffland zu betrachten", aufrechterhalten werde. Die Diskussion um die Eigentumsverhältnisse wurde, je näher es auf die sehnlich erwartete Sommeroffensive zuging, mit um so vermehrter Heftigkeit wieder aufgenommen. Die deutschen Monopole waren nicht gewillt, sich in der Eigentumsfrage mit unsicheren Versprechungen abspeisen zu lassen. Obwohl die straffe staatsmonopolistische Regulierung durch Zentrale Planung und B H O in ihrem Klasseninteresse lag und ihnen auch viele außergewöhnliche Vorteile und Erleichterungen bot, kollidierte sie in dieser Grundfrage doch heftig mit den Konzerninteressen und in der Tendenz sogar mit einem Grundinteresse des Finanzkapitals. Frühjahr und Sommer 1942 waren charakterisiert von ihrem energischen Bestreben, die Frage eindeutig zu ihren Gunsten zu klären. Nachdrücklich und mit Erfolg bestanden sie darauf, daß die faschistische Führung ihre Eigentumsansprüche bestätige. In Görings Erlaß vom 20. Mai 1 0 1 und dem Rosenbergs vom 28. Mai 1942 1 0 2 freilich gab es gegenüber den bisher kursierenden Richtlinien Neues nur in bestimmten juristischen Formeln und Ressortfragen. Das „gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen der U d S S R , ihrer Gliedstaaten, Körperschaften, Verbände und Zusammenschlüsse, das der Wirtschaft gedient hat", wurde als „Wirtschaftssondervermögen" definiert. 103 Seine Verwaltung wurde de jure auf das Rosenbergministerium übertragen, dessen Zustimmung bei „Verfügungen, insbesondere Veräußerungen" 104 einzuholen war. Görings Erlaß war, anstatt „für die Zukunft klare Verhältnisse zu schaffen" 1 0 5 , sehr widersprüchlich und nur dazu geeignet, Öl ins Feuer zu gießen. Zwar kehrte die verwaschene Formulierung wieder, daß die treuhänderische Verwaltung von Sowjeteigentum
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Rußland", 3. 1. 1942 (teilw. gedr. in Anatomie des Krieges, S. 369 f., Dok. 187). Hiernach auch das Folgende. Richtlinien für die Führung der Wirtschaft in den neubesetzten Ostgebieten (Grüne Mappe), T. II, Sept. 1942, S. 123, „Grundsätze für die treuhänderische Verwaltung in den besetzten Ostgebieten" (Göring an Rosenberg), 20. 5. 1942. Ebenda, S. 124, „Verordnung über die Wirtschaftssondervermögen", 28. 5. 1942. Ebenda (§ 1). Ebenda. Ebenda, „Grundsätze ...". Hiernach auch das Folgende. — Keinesfalls auf die Gegenliebe der Monopole konnte Göring mit seinem Hinweis auf die „großen Erfahrungen" der Haupttreuhandstelle Ost in den annektierten polnischen Gebieten stoßen, die er zu nutzen verlangte (ebenda). Der Chef der HTO, Max Winkler, hatte bei Göring wenige Wochen zuvor darauf gedrungen, der „Zersplitterung des Treuhandwesens" durch die „Errichtung einer besonderen Dienststelle des Reichsmarschalls — Generalbevollmächtigter für Treuhandverwaltungen" ein Ende zu machen (ZStA Potsdam, FS, Film 375, AN Winkler f. Göring, 21. 4. 1942). Eichholtz I I
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durch Ostgesellschaften oder Einzelfirmen „zur Vorbereitung und Erleichterung der späteren Privatisierung" dienen solle. Es sollten „insbesondere im Ostland", wohl vorwiegend in den baltischen Republiken der U d S S R , „möglichst bald die eine Höchstleistung verbürgenden europäischen (d. h. kapitalistische — D. E.) Wirtschaftsformen wiederhergestellt werden". Die Monopolgesellschaften, die „an die sowjetrussische Wirtschaftsform erinnern", seien daher „im allgemeinen nur für eine begrenzte Übergangszeit vorgesehen". Aber der Tenor des Erlasses war die Betonung des Sowjeteigentums als „Sondervermögen des Reiches", dessen späterer „Erlös" zur „Abdeckung der Kriegskosten" vorgesehen war. „Endgültige Besitzregelungen", hieß es, seien „grundsätzlich bis auf weiteres ausgeschlossen". Treuhänder und Pächter hätten „keinerlei Anrecht auf späteren Eigentumserwerb". Als Treuhänder seien „möglichst weitgehend Einzelpersonen und nicht große Betriebsgesellschaften" einzusetzen. Bei späterer „Verwertung" des sowjetischen Eigentums werde — hier fand sich eine häufig strapazierte demagogische Formel wieder — die „Rücksicht auf die Frontkämpfer ausschlaggebend sein". Die Praxis der Okkupationsherrschaft strafte allerdings diese Prinzipien von vornherein Lügen. Zwei Tage später schon, am 22. Mai 1942, mußte Göring in einer „Anordnung über die Herstellung von Waffen und Munition und den Ausbau der Energiewirtschaft in den besetzten Ostgebieten" 1 0 6 dem GB Rüst, also Speer, „das unmittelbare Verfügungsrecht über die von ihm bestimmten Fertigungsstätten" übertragen. Es wurde die Institution der „Patenfirma" geschaffen: „Zur Wiederherstellung, Einrichtung und zum Betrieb der Fertigungsstätten sind leistungsfähige Firmen des Reiches als Patenfirmen einzusetzen." Damit war klar, daß die sowjetischen Großbetriebe, soweit verfügbar und nutzbar, in die Hände der deutschen Rüstungsmonopole gelangen würden. Um sich zu salvieren und von den erwähnten Prinzipien noch etwas zu retten, hatte Göring lediglich eine wirkungslose Floskel hinzugesetzt, nach der es „erwünscht" war, „eine größere Zahl von Firmen heranzuziehen." Es war der Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Albert Speer, der den entscheidenden Vorstoß bei Hitler unternahm, um den Monopolen von oberster Stelle verbindlich die künftige Eigentumsübertragung bestätigen und zusagen zu lassen. Den Anlaß zu seiner Intervention boten bezeichnenderweise eben der Ausbau des Donec-Reviers zum deutschen Rüstungszentrum und die personellen und materiellen Schwierigkeiten, die dabei auftraten. In Speers Protokoll der „Führerbesprechung" vom 4. J u n i 1942 hieß es lapidar: „Der Führer kommt bei dieser Gelegenheit wieder darauf zurück, daß er keine Monopolgesellschaften im Osten wünscht, sondern daß die Privatinitiative einzuschalten sei." 1 0 7 Es folgte unmittelbar eine Arbeitsnotiz des Ministers: „Körner — Pleiger Mitteilung".«» Die Argumente Speers, die zu Hitlers Äußerung führten, waren bereits vorher Gegenstand von Beratungen in führenden Kreisen der Rüstungskonzerne und der kriegswirtschaftlichen Organisationen gewesen. So schrieb Heinrich Wisselmann, Leiter der Wirtschafts106 Z S t A P o t s d a m , Reichskanzlei, Film 19467, Göring-AO v . 22. 5. 1942; Okkupation, Raub, Vernichtung. Dokumente zur Besatzungspolitik der faschistischen Wehrmacht auf sowjetischem Territorium 1941-1944. Hrsg. v. Norbert Müller, Berlin 1980, S. 228f., Dok. 91. 107 F B , 4. 6. 1942, P u n k t 34. 108 Ebenda. — Diese wichtige Notiz, die Körner als Stellvertreter Görings und faktischen Leiter des Wirtschaftsführungsstabes Ost und Pleiger als Chef der B H O betraf, fehlt — wie vieles andere — bei Boelcke in seiner Aktenpublikation (Deutschlands Rüstung im Zweiten Weltkrieg, S. 135).
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g r u p p e B e r g b a u , m i t B e z u g auf Besprechungen von E n d e Mai im Reichswirtschaftsministerium, er halte es „ f ü r durchaus zweckmäßig, die B e t r e u u n g einzelner Ostbetriebe denjenigen Konzernen zu übergeben, die sich d a z u bereit erklärt haben, P a t e n s c h a f t e n i m Sinne des von Herrn Minister Speer gemachten Vorschlages zu übernehmen. Wenn diesen Gesellschaften, wie mir von Ihnen mitgeteilt worden ist, noch dazu die A n w a r t s c h a f t auf die spätere Übereignung der betreuten Werke in Aussicht gestellt wird, so h a b e ich die b e s t i m m t e Zuversicht, daß diese Arbeiten zu dem gewünschten, unbedingt notwendigen Ziele führen werden. Die Patenfirmen werde ich Ihnen von F a l l zu F a l l n a m h a f t machen." « » Die neue „ F ü h r e r e n t s c h e i d u n g " m a c h t e binnen kurzem als behördeninternes S c h r i f t s t ü c k die R u n d e . J a k o b Wilhelm Reichert, H a u p t g e s c h ä f t s f ü h r e r der W i r t s c h a f t s g r u p p e Eisen schaffende Industrie, übermittelte d e m Ostreferat der R G I a m 22. J u n i Informationen über dieses D o k u m e n t , d a s m a n sechs T a g e zuvor im Reichswirtschaftsministerium den Herren der W i r t s c h a f t s g r u p p e nur „ a u s den A k t e n vorgelesen" und nicht überlassen h a t t e . 1 1 0 „ D a r i n wird Bezug g e n o m m e n " , so berichtete Reichert, „ a u f eine B e s p r e c h u n g des Herrn Reichsministers Dr. Speer m i t dem F ü h r e r , und zwar in d e m Sinne einer Heranziehung russischer Hüttenwerke und Bergwerke zur Steigerung des R ü s t u n g s p o t e n t i a l s . In dieser Verbindung ist die F r a g e aufgeworfen worden, ob die Werke besser von privaten Treuhändern g e f ü h r t werden, u m m i t allen Mitteln zu einem beschleunigten W i e d e r a u f b a u zu kommen. Ferner ist schon d a v o n die Rede, daß die d a f ü r noch zu bestimmenden privaten Konzerne die Betriebe nach dem Kriege behalten k ö n n t e n . " 1 1 1 Wahrlich ein durchschlagender Erfolg der Monopole, der die bisherige, h a u p t s ä c h l i c h von der Vierjahresplangruppierung verfochtene Konzeption stark erschütterte u n d v o n der überragenden Position zeugte, die die K r ä f t e u m d a s Munitionsministerium inzwischen im staatsmonopolistischen M a c h t a p p a r a t erlangt h a t t e n ! I m W i r t s c h a f t s s t a b Ost faßte m a n die j ü n g s t e E n t w i c k l u n g Mitte J u n i z u s a m m e n : „Wenn a u c h nach wie vor die F r a g e der endgültigen Zuerkennung des E i g e n t u m s r e c h t s an B e trieben gegenwärtig noch nicht entschieden werden kann, wird es jedoch möglich sein, den in den Ostgebieten betreuend tätigen Firmen Zusagen d a r ü b e r zu machen, d a ß ihre B e m ü h u n g e n und materiellen Aufwendungen anerkannt u n d auch in der Z u k u n f t berücksichtigt w e r d e n . " 1 1 2 Vor einem größeren G r e m i u m von Vertretern der zentralen faschistischen Behörden, der Okkupationsverwaltungen u n d der Ostgesellschaften b e k r ä f t i g t e Schlotterer im A u g u s t 1942 diesen S t a n d p u n k t : „ D i e Ostgesellschaften haben in den besetzten Ostgebieten die kommende P r i v a t w i r t s c h a f t vorzubereiten. Neben u n d in ihnen soll sich daher schon j e t z t der deutsche Einzelunternehmer b e t ä t i g e n ... B e i einer späteren Verwertung ... haben ein moralisches Anrecht auf B e r ü c k s i c h t i g u n g alle diejenigen Firmen und Einzelpersonen, die j e t z t selbstlos und erfolgreich a m W i e d e r a u f b a u der Wirtschaft m i t a r b e i t e n . " 1 1 3 109 110 111 112
B A Koblenz, R 13 X X / 4 2 , H. 2, Wisselmann an RWiM 3. 6. 1942. Ebenda, R 13 1/1074, Wigru E s l an RGI (Ostreferat), 22. 6. 1942. Ebenda. Wirtschaftsstab Ost, Materialsammlung, (KTB-)Eintragg. v. 15. 6. 1942, zit. bei Daüin, S. 397f. 113 ZStA Potsdam, F S , Film 10636, „Zusammenfassung der in der Sitzung vom 7. August 1942 vor Vertretern der beteiligten Obersten Reichsbehörden und der Ostgesellschaften gehaltenen Referate über die Aufgaben der deutschen Wirtschaft in den besetzten Ostgebieten", 12. 8. 1942; Okkupation, Raub, Vernichtung, S. 237, Dok. 95.
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Die R G I g a b j e t z t in „Die O s t w i r t s c h a f t " , dem offiziellen Organ ihres Ostreferats, d a s Signal zu weiteren Vorstößen. Angesichts der zeitweiligen Erfolge der faschistischen Sommeroffensive richtete sie die unmißverständliche F o r d e r u n g an die staatlichen Stellen u n d Leitungsorgane der Kriegswirtschaft, es solle „von verantwortlicher Seite die T r e n n u n g von staatlicher Lenkung u n d Unternehmerinitiative j e t z t in Angriff genommen werden". 1 1 4 Die „Organisation der gewerblichen W i r t s c h a f t " , d. h. in erster Linie die R G I u n d ihre Wirtschaftsgruppen, sollte bei der Ü b e r f ü h r u n g des Sowjeteigentums in Monopoleigentum entscheidend mitwirken. Die T r e u h a n d v e r w a l t u n g h a b e ihre Aufgabe als Übergangslösung erfüllt; die bisherigen T r e u h ä n d e r seien n u n an erster Stelle dazu „berufen, in den von ihnen a u f g e b a u t e n Betrieben endgültig zu bleiben". Auf diesen Leitartikel beriefen sich auch andere Unternehmerorgane, etwa der exklusive „ W i r t s c h a f t s - R i n g " . E s gelte, hieß es d o r t , auf dem besetzten sowjetischen Territorium „neue Eigentumsgrundlagen zu schaffen" u n d m i t einer „Teilung der Gewalten" auf wirtschaftlichem Gebiet zu beginnen. 1 1 5 Man begrüßte die B e r u f u n g von „ P a t e n f i r m e n " u n d forderte f ü r sie juristisch bindende Zusagen f ü r die spätere E i g e n t u m s ü b e r t r a g u n g . Ihren praktischen Niederschlag f a n d die E n t w i c k l u n g n a c h der „ F ü h r e r ä u ß e r u n g " v o m 4. J u n i 1942 vor allem in den von November 1942 an zwischen der B H O u n d deutschen Konzernen abgeschlossenen „ P a t e n s c h a f t s " - V e r t r ä g e n n a c h den „Grundsätzen f ü r die F ü h r u n g von P a t e n s c h a f t s b e t r i e b e n der Berg- u n d Hüttenwerksgesellschaft Ost m. b. H . (BHO)". 1 1 6 Auf d e m Wege ü b e r diese Verträge gerieten binnen weniger Monate die bed e u t e n d s t e n Werke der sowjetischen Eisenmetallurgie ( H ü t t e n , Stahl- u n d Walzwerke) u n d des Schwermaschinenbaus im Donecrevier u n d im Dneprbogen u n m i t t e l b a r in die Verfügungsgewalt der deutschen Montankonzerne u n d einer Handvoll weiterer Rüstungskonzerne. Alfried K r u p p s Aussage nach d e m Krieg zeugte davon, d a ß die Monopole die darin enthaltene Klausel ü b e r die spätere Eigentumsregelung, so zurückhaltend sie n i c h t zuletzt aus G r ü n d e n d e r Demagogie u n d d e r Täuschung der eigenen A n h ä n g e r s c h a f t 1 1 7 formuliert war, als feste Eigentumszusage auslegten. Der Konzern h ä t t e , wie K r u p p sich ausdrückte, jene Vertragsklausel „begünstigt", „wonach die F a . K r u p p , falls es s p ä t e r zum Verkauf dieser russischen Betriebe an die P r i v a t i n d u s t r i e kommen sollte, ein Vorkaufsrecht vertraglich zugesichert b e k a m . Ohne dieses Vorkaufsrecht wäre n ä m l i c h die Gefahr vorhanden gewesen, d a ß ein anderes U n t e r n e h m e n in den Genuß der von uns d o r t hineingesteckten E r f a h r u n g e n gekommen w ä r e . " 1 1 8 Die Niederlage von Stalingrad m a c h t e weder den praktischen Versuchen, in der E i g e n t u m s frage vollendete Tatsachen zu schaffen, noch den grundsätzlichen E r ö r t e r u n g e n ü b e r diese Frage ein Ende. I m Gegenteil, „ u n t e r dem Druck der Kriegsereignisse wuchs bei den zentralen staatlichen Instanzen die Bereitschaft, das Prinzip der Z u r ü c k s t e l l u n g d e r Veräußerung des nationalisierten Wirtschaftsvermögens in den besetzten Ostgebieten' 114 Thode, Unternehmertum im Osten, S. 125f.; hiernach auch das Folgende. Siehe auch Konzept für die „Neuordnung" der Welt, S. 90. 115 Der Wirtschafts-Ring, Nr. 42/1942 (16. 10. 1942), S. 912f., zit. bei Czollek, Faschismus und Okkupation, S. 84. 116 Teilw. gedr. in Anatomie des Krieges, S. 411, Dok. 217. Ausführlich hierzu S. 466f. 117 Vor allem waren Hinweise auf spätere Anrechte und Ansprüche der „Frontkämpfer" und „Kriegsteilnehmer" ein ständiges Argument in Behörden- und Parteikreisen gegen „vorzeitige" Eigentumsübertragungen, das ihnen, abgesehen von seinem demagogischen Gehalt, von innenpolitischer Relevanz zu sein schien. 118 ZStA Potsdam, Fall X, Film 615, Dok. NIK-10330, Äff. Krupps v. 7. 7. 1947.
Finanzkapital und Kriegszielplanungen
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aufzugeben". 119 Die Baltische ö l GmbH, Tochtergesellschaft der Kontinentale Öl AG, setzte noch im November 1943 einen regelrechten Kaufvertrag mit dem Reichsministerium f ü r die besetzten Ostgebiete über die von ihr ausgebeuteten ölschieferwerke in Estland durch. 1 2 0 Wenn es den deutschen Imperialisten auf dem besetzten sowjetischen Territorium dennoch weder in der Landwirtschaft noch in der Industrie gelang, die sozialistischen Produktionsverhältnisse ihrem Wesen nach zu beseitigen, so war das der Festigkeit der sozialistischen Gesellschaftsordnung zuzuschreiben. Die Sowjetmacht wurde nicht nur an der Front durch die heldenhafte Rote Armee verteidigt; auch die Masse der Bevölkerung in den besetzten Gebieten, durch tausende Fäden und unterirdische Kontakte mit ihr verbunden, bewies ihr in der schwersten Situation ihre Treue. Sie leistete den Okkupanten einen unablässigen, allumfassenden und vielgestaltigen Widerstand, der wesentlich dazu beitrug, daß die Verwaltung der Wirtschaft durch die fremden Ausbeuter überall nur ephemeren, provisorischen Charakter trug.
c) Pläne für die Amortisation der deutschen
Kriegsschulden
Als die deutschen Imperialisten Ende 1941 gerade in der U d S S R mit ihrer Blitzkriegsstrategie Fiasko erlitten, wo sie sich auf dem schnellsten Wege und mit dem relativ geringsten Aufwand am ungehemmtesten bereichern wollten, tauchte ein Problem stärker und mit vermehrter Aktualität vor ihnen auf, das mit dem Anspruch der Monopole auf schrankenlose Ausbeutung der Reichtümer des Sowjetlandes im Zusammenhang stand und gleichermaßen einen Bestandteil ihres Kriegszielprogramms bildete. Es handelte sich um die Deckung der Kriegskosten. Am Maßstab der Staatsschulden (Reichsschuld) gemessen, wiesen diese Kosten in der Periode der Vorbereitung und des Beginns der Aggression gegen die U d S S R die höchsten Steigerungsraten während des ganzen Krieges auf. Tabelle 109 Die Reichsschuld 1937/38-1942/43 (in Md. RM) Haushaltsjahr
Reichsschuld
Zuwachs gegenüber dem Vorjahr (in Prozent)
1937/38 1938/39 1939/40 1940/41 1941/42 1942/43
19,2 30,7 47,9 86,0 137,7 195,6
(13) 60 56 80 60 42
Quelle: Andexel, Ruth, Imperialismus — Staatsfinanzen, Rüstung, Krieg, Berlin 1968, S. llOff. — Die tatsächlichen Kriegskosten waren selbstverständlich bedeutend höher und wurden außer aus der Reichsschuld aus den Staatseinnahmen und aus den aus den besetzten und abhängigen Ländern gepreßten Werten (Besatzungskosten, Clearing) gespeist. 119 Czollek, Faschismus und Okkupation, S. 100. Einen diesbezüglichen Briefwechsel zwischen Rosenberg und Göring v. April 1943 s. in Okkupation, Raub, Vernichtung, S. 250 ff., Dok. 101.
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Kriegsziel- und Okkupationspolitik
Die Kosten des Krieges stiegen immer rascher, aber der endgültige Genuß seiner Früchte, anscheinend schon greifbar nahe, war dank dem Widerstand des Sowjetvolkes plötzlich in die Ferne entrückt. Die Realisierung eines Kriegsziels — Bezahlung der Kriegsschulden bzw. Deckung weiterer Kriegskosten — machte der Verwirklichung anderer — unmittelbare Bereicherung des Finanzkapitals und schleunige Restauration privatkapitalistischer Eigentumsverhältnisse in der U d S S R zu seinen Gunsten — zunehmende Konkurrenz. Kruppdirektor Löser spürte wohl das Dilemma der herrschenden Klasse, als er am 7. November 1941 im engsten Kreise von RGI-Spitzenvertretern und Großbankenchefs mit jenem „etwas phantastischen Plan" 1 2 1 hervortrat, der gewissermaßen beide Fliegen mit einer Klappe schlagen sollte. Das Reich sollte „gegebenenfalls Anteilsrechte auf irgendwelchen späteren Erwerb in Rußland im Werte der betreffenden Papiere ausgeben". Damit wollte Löser sowohl erreichen, daß „die allmähliche Privatisierung dieses Gebietes tatsächlich festgelegt wird", als auch „daß der Reichsfinanzminister entsprechende Geldsummen erhält, Kaufkraft abgeschöpft wird, und daß auf diese Weise eingeleitet wird, daß das Reich die ihm gegebenenfalls zufallenden riesigen Vermögenswerle des Ostens zur Verminderung der Kriegsschulden benutzt". Selbst an das Argument der Sorge um die „Frontkämpfer" hatte Löser offenbar gedacht; er schlug vor, an dem Geschäft „weitere Kreise im Sinne der persönlichen Unternehmerschaft" zu beteiligen und „nicht nur die politisch weniger beliebten Konzerne". Ihm schwebte also das System der „Volksaktie" auf der Basis des nackten imperialistischen Raubes vor. Erschien den übrigen Sitzungsteilnehmern eine solche Lösung allgemein auch „verfrüht", 1 2 2 so blieb der reale Kern des in dem Vorschlag fixierten Widerspruchs doch bestehen. Göring formulierte die langfristigen Ansprüche des Staates am folgenden Tage: „Es ist der klar ausgesprochene Wille des Führers, daß die durch den Krieg entstandene Schuldenlast des Reiches zum größten Teil aus den Einnahmen abzudecken ist, die aus den neubesetzten Ostgebieten herausgezogen werden müssen." 1 2 3 Die Ostgesellschaften erhielten die Auflage, die sogenannten Schleusengewinne, d. h. die Differenz zwischen den Preisen in den besetzten Gebieten und den deutschen Preisen und in ähnlicher Weise die erhebliche Lohndifferenz an die Reichskasse abzuführen. 124 Hitler selbst unterstützte den Reichsfinanzminister in seinem Bestreben, Preise und Löhne unter allen Umständen auf niedrigstem Niveau zu halten. 125 „Die Gewinne aus den Preisunter120 Siehe Czoüek, Faschismus und Okkupation, S. 100 f. 121 Z S t A Potsdam, Deutsche B a n k , Nr. 21851, Bl. 5 5 f f . (57), A N Kiehl (Deutsche Bank) über die Sitzung, 7. 11. 1941. Hiernach auch das Folgende. 122 Ebenda, Bl. 58: „Der ganze Plan ist in dem gegenwärtigen politischen und militärischen Zustande verfrüht, insbesondere solange man noch nicht weiß, wie das politische Schicksal des besetzten Russengebietes, namentlich der Ukraine, sein wird. Die praktische Verteilung der russischen Reichtümer auf Grund der Shares in angemessener Weise unter die ShareBesitzer würde großen Schwierigkeiten begegnen. ... Schließlich ist nicht zu verkennen, daß bei der Konstruktion der Anteilsbesitzer ohne eigenes Risiko auf dem Rücken des Reiches spekuliert, dem bei einer anders gearteten Entwicklung, als sie dem Vorschlag zugrunde liegt, allein die ganze L a s t zufallen würde." (Lösers Plan enthielt vorsorglich das Recht des Anteilseigners auf Umtausch seiner Shares „nach Kriegsende" gegen Reichsanleihe z u m Nominalwert). 123 Eiehholtz, Die Richtlinien Görings, S. 109. 124 Czollek, Faschismus und Okkupation, S. 83. 125 Picker, S. 207f. (Tischgespr. v. 25. 3. 1942). — Hitlers Äußerungen zur Kriegsschuldenthematik s. ferner ebenda, S. 273 (12. 4. 1942), S. 311 f. (4. 5. 1942), S. 318 (6. 5. 1942).
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schieden zwischen Ostgebieten und Reichsgebieten müßten", so erklärte er im März 1942 zustimmend zu einem Memorandum aus dem Ministerium, „ausschließlich dem Reich zufließen." 126 Dieser „Führerweisung" entsprach auch der diesbezügliche Passus in Görings „Grundsätzen für die treuhänderische Verwaltung in den besetzten Ostgebieten" vom 20. Mai 1942.1» Allerdings trogen die hochgespannten Erwartungen, die man in die Schleusengewinne setzte. Reichsfinanzminister Schwerin v. Krosigk beschwerte sich bitter darüber, daß die Ostgesellschaften eher Zuschüsse aus dem Staatssäckel verlangten, als daß sie Überschüsse und Gewinne ablieferten. 128 Aus dem „Osten" könnten, so meinte er, jährlich 20 Milliarden RM gepumpt werden; allerdings müßten „die besetzten Ostgebiete finanziell weit stärker angespannt werden, als es gegenwärtig der Fall ist", und vor allem müsse „die staatliche Präponderanz untermauert" werden. Das deutsche Finanzkapital nahm angesichts solcher Forderungen und Vorschläge eine zwiespältige Haltung ein. Selbstverständlich hatte es ein wesentliches Interesse an der Sanierung der Staatsfinanzen, da in den Tresoren der Großbanken und Konzerne bedeutende — und wachsende — Summen an Reichsschuldverschreibungen lagerten. Doch das Interesse der großen Monopole und Monopolgruppierungen richtete sich gleichfalls und mit besonderer Vehemenz auf die unmittelbare Bereicherung in den okkupierten Ländern, in erster Linie auf die ungehinderte Ausbeutung der sowjetischen Gebiete und auf die Privatisierung der Sowjetwirtschaft. Eine spezifische Interessenlage ergab sich in diesem Zusammenhang für die Großbanken. Mit der maßgeblichen Funktion, die sie im System der Kriegsfinanzierung innehatten, 129 verfestigte sich die gegenseitige Abhängigkeit von Staat bzw. Staatsfinanzen und Banksystem. Ihr Schicksal war damit enger und unmittelbarer mit demjenigen der Staatsfinanzen verknüpft als das einer beliebigen Gruppe von Industriekonzernen. Es war daher kein Zufall, daß der Repräsentant einer Großbank, nämlich Karl Rasche, Vorstandsmitglied der Dresdner Bank, im Dezember 1941 in der renommiertesten und verbreitetsten Unternehmerzeitschrift „Der deutsche Volkswirt" seine Idee des „vielleicht größten Amortisierungsplanes der bisherigen Wirtschaftsgeschichte" 1 3 0 zur Diskussion stellte. Bei näherer Betrachtung war Rasches Plan eine Fortentwicklung der Ideen, die Ewald Löser einen Monat zuvor den Teilnehmern der erwähnten RGI-Sitzung — darunter Vertretern der Deutschen Bank und der Dresdner Bank — erläutert hatte. 1 3 1 Als ein hauptsächliches Ziel erklärte Rasche die „Mobilisierung" der in der U d S S R geraubten „volkswirtschaftlichen Vermögenswerte" zum Zwecke der „Verzinsung und Tilgung aller Auslagen des Krieges und der nachfolgenden Investierungszeit". Er schlug ganz im Sinne Lösers die Ausgabe von Anteilscheinen vor, deren konkrete Form er sich variabel vorstellte: „Man kann den Interessenten je nach Charakter, Beruf und Eignung die Ostwerte übertragen gegen Barzahlung und damit viel von der zur Zeit unbeschäftigten 126 Ebenda, S. 208. 127 Wie Anm. 101. 128 ZStA Potsdam, Fall X I , Nr. 485, Bl. 164 ff. (170), Dok. NG-4900, Memo Schwerin v. Krosigks für Göring u. a. betr. „Verwaltung, Wirtschaft und Finanzen der besetzten Ostgebiete", 4. 9. 1942 (sog. Hyänenbrief). Hiernach auch das Folgende. 129 Siehe Andexel, S. 101 ff. 130 Rasche, Karl, Gesicherter Ostraum — stabile Gesamtwirtschaft, in Der deutsche Volkswirt, 16. J g . , Nr. 12/13, v. 19. 12. 1941, S. 394. Hiernach auch das Folgende. 131 Siehe Anm. 121.
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Kriegsziel- und Okkupationspolitik
Kaufkraft binden; man wird Aktien schaffen können und diese gegen mehr oder weniger schnelle Tilgung dem privaten Markte zur Verfügung stellen können; auch Obligationen könnte man ausgeben für öffentliche und private Unternehmungen und schließlich in größtem Umfang von der Rente (d. h. von Rentenpapieren, z. B. Pfandbriefen — D. E.) Gebrauch machen. ... Dabei ist je nach Sinn und Zweck der Vergebung jede Variante für die einzelnen Interessenten: Kriegsteilnehmer, Vierjahresplan-Unternehmer, Neubauern, Landeseinwohner usw. denkbar." Das war freilich schon eine durchdachtere, ausgefeiltere Konzeption, nach der man breiten Kreisen des eigenen Volkes mit dem Köder der wirtschaftlichen Reichtümer der Sowjetunion das Geld bzw. das Kapital für die „Investierungszeit" aus der Tasche locken, der Finanzoligarchie aber die „Aktien" mit „mehr oder weniger schneller Tilgung", d. h. mit aufgeschobener Bezahlung, reservieren wollte. Die Niederlage an der Wolga entzog diesem imperialistischen Wunschtraum den Boden, so daß derartige Pläne fernerhin nicht — wenigstens nicht öffentlich — weiter erörtert wurden.
d) 1943:
Alte und neue
Illusionen
Die Niederlage an der Wolga setzte für die Kriegszielplanung der deutschen Imperialisten eine einschneidende Zäsur. 132 Der Krieg trat in die für seine Urheber kritische Phase. Diese Niederlage und der wachsende Widerstand der Völker in den besetzten und Satellitenländern veränderten die Prioritäten der faschistischen „Neuordnungs"- und Okkupationspolitik wesentlich. Die herrschenden Kreise Hitlerdeutschlands waren gezwungen, ihre Kriegszielplanung „stärker den Realitäten des Krieges anzupassen". 133 Als Bestandteil und Ergebnis von intensiven, zum Teil mit Erbitterung geführten internen Diskussionen und Auseinandersetzungen, die im Herbst 1942 einsetzten, im Frühjahr/ Sommer 1943 ihren Höhepunkt erreichten und gegen Ende des Jahres „einen gewissen Abschluß" 134 fanden, entstand eine neue Flut von Verlautbarungen, geheimen Memoranden, internen Plänen und Programmen. Auf zweifache Weise wurde darin der Versuch unternommen, die „Friedensplanung" dem veränderten militärischen und politischen Kräfteverhältnis anzupassen. Sie wurde einerseits mehr und mehr dem Zweck untergeordnet, die maximale Ausbeutung der ökonomischen und militärischen Ressourcen des faschistisch beherrschten Europas und das Besatzungsregime in den okkupierten Ländern als Ganzes zu sichern. Im demagogischen Gewand einer „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft" und eines „Europäischen Staatenbundes", basierend auf der alten reaktionären, antisowjetisch akzentuierten Europa- und Abendlandideologie, vielfach vorgesehen für eine gezielte, propagandistisch wirksame Veröffentlichung bzw. Verbreitung, sollte diese Spielart der „Neuordnungs"-Planung die Voraussetzungen dafür schaffen, „die Kräfte Europas für unseren Sieg weitgehendst zu mobilisieren und einen Zustand 132 Siehe Konzept für die „Neuordnung" der Welt, S. 9 9 f f . Ausführliche Erörterung der Thematik bei Nestler, Ludwig, Ansätze zur Modifikation der Kriegszielplanung und der Okkupationspolitik Hitlerdeutschlands (Herbst 1942 bis Frühjahr 1943), in Bulletin des Arbeitskreises „Zweiter Weltkrieg", Nr. 3 - 4 / 1 9 7 8 , S . 3 ff. 133 Anatomie der Aggression, S . 23. 134 Piskol, Konzeptionelle Pläne und Maßnahmen, S . 98.
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herbeizuführen, der uns nach innen entlastet und uns nach außen dem Gegner gegenüber stärkt." 135 Soweit andererseits die territorialen Expansionsziele des deutschen Imperialismus h i n f o r t erörtert wurden — das geschah freilich immer seltener —, wurde zunehmend Zurückhaltung geübt. Korrekturen an den bisherigen maßlosen Zielen wurden vorgeschlagen. Die „Bürgschaft des Erfolges", so hieß es in einer der wichtigsten Denkschriften jener Zeit, liege darin, sich „mit dem Erreichbaren (zu) begnügen". 1 3 6 In das Zentrum der Erörterungen über die „Neuordnung" rückte die „russische Frage", d. h. das Problem, wie durch gewisse Veränderungen in der Politik gegenüber den Völkern der U d S S R eine günstige Wendung auf dem wichtigsten Kriegsschauplatz herbeigeführt, zumindest aber das Eroberte gehalten, gesichert und fest in den europäischen „Großwirtschaftsraum" integriert werden könne. Alle Versuche, eine neue Konzeption der „Neuordnungs"-Planung und der Außenpolitik überhaupt zu entwickeln und durchzusetzen, ordneten sich in die seit Sommer 1943 immer deutlicher sich ausprägende faschistische Strategie ein, auf „Zeitgewinn" hinzuarbeiten, „bis die latenten Gegensätze zwischen Engländern, Amerikanern und Sowjetrussen zum Tragen kommen, unser Produktionsapparat den veränderten Verhältnissen unter der rasch ansteigenden Luftgefahr angepaßt ist und unsere neuen Waffen sich u m fassend auswirken". 1 3 7 Was die Dokumentation und Analyse der Kriegszieldiskussion der untersuchten Periode betrifft, an der sich die W e h r m a c h t f ü h r u n g und die Spitzen des Partei- u n d Behördena p p a r a t s ebenso wie führende Kreise des Finanzkapitals und maßgebliche Vertreter des staatsmonopolistischen Apparats der Kriegswirtschaft beteiligten, so ist dazu bereits eine Reihe wichtiger Arbeiten erschienen. 138 Das Schwergewicht der Untersuchung liegt im folgenden auf der Beteiligung von Repräsentanten der Monopole u n d anderer führender Kräfte des kriegswirtschaftlichen Apparats an dieser Diskussion, einem noch unzureichend erforschten Aspekt des Themas. Ende November 1942, als sich die Katastrophe an der Wolga bereits abzuzeichnen begann, hob Reichswirtschaftsminister F u n k es öffentlich als eine der vordringlichsten wirtschaftspolitischen Aufgaben hervor, „die gesamten europäischen W i r t s c h a f t s k r ä f t e zu mobilisieren und eine europäische Wirtschaftspolitik m i t der klaren Zielsetzung einheitlich auszurichten, d a m i t die europäische Wirtschaft in der Z u k u n f t krisen- und blockadefest 135 Aktennotiz von Cecil v. Renthe-Fink (AA), 9. 9. 1943, zit. in: Drechsler, Karl/Dress, Hans/ Hass, Gerhart, Europapläne des deutschen Imperialismus im zweiten Weltkrieg, in ZfG 7/1971, S. 927; DZW, Bd. 4, S. 308. Siehe auch Anatomie der Aggression, S. 25 u. S. 198ff., Dok. 43 ff. 136 Eichholtz, „Wege zur Entbolschewisierung ...", S. 44 (Denkschrift v. Richard Riedl üb. „Die russische Frage", März 1943). 137 Anatomie der Aggression, S. 191, Dok. 41, Aufzeichnung von Botschafter Rudolf Rahn für Ribbentrop, 19. 8. 1943. — Inwieweit die geschilderte Konzeption „rein taktischen und propagandistischen Charakter" trug (Konzept für die „Neuordnung" der Weh, S. 104), ist in hohem Maße eine Frage der Bewertung der objektiven Realität durch die an ihrer Herausbildung Beteiligten. Die neuen taktischen Varianten in der „Neuordnungs"- und in der Okkupationspolitik entstanden jedenfalls auf der Grundlage objektiver Veränderungen im militärischen und politischen Kräfteverhältnis, die ernsthafte Differenzen auch in grundsätzlichen Fragen aufkommen ließen. 138 Eichholtz, „Wege zur Entbolschewisierung ..."; Anatomie der Aggression; Weltherrschaft im Visier; Konzept für die „Neuordnung" der Welt; Nestler; u. a.
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Kriegsziel- a n d Okkupationspolitik
wird". 139 General Emil Leeb, Chef des Heereswaffenamtes, griff diese Forderung auf und konkretisierte sie dahingehend, daß „ein europäisches Rüstungsprogramm nach Eignung und Kapazität auf Europa umgelegt werden" müsse. 140 Die militärischen Ereignisse der nächsten Monate zwangen die Faschisten bereits, von dem ihnen geläufigen Rezept der offenen Gewalt abzurücken. Die Auseinandersetzungen der Folgezeit um die Europakonzeption drehten sich zu einem wesentlichen Teil gerade um das Problem, mit welchen Mitteln und nötigenfalls auf welchen Umwegen man den „Führungsanspruch" des deutschen Imperialismus in Europa bei so offensichtlichem und wachsendem Unvermögen und Mangel an Repressivkräften durchsetzen könne. Als die Creme der Finanzoligarchie in die Diskussion eingriff, waren inzwischen Pläne der westlichen Alliierten für eine wirtschaftliche — kapitalistische — Nachkriegsordnung 141 bekannt geworden. Sie gewannen schnell an Popularität unter den herrschenden Kreisen der neutralen Länder, der Satellitenstaaten und den kollaborierenden bourgeoisen Kräften in den okkupierten Ländern, zumal der Sieg der hinter diesen Plänen stehenden Mächte nunmehr als sehr wahrscheinlich anzusehen war. Hierauf reagierte die deutsche Großbourgeoisie sehr empfindlich. Die Teilnehmer der Sitzung des Beirats der Reichsbank am 24. Juni 1943 142 befaßten sich ausführlich mit möglichen Gegenaktionen. Man dürfe, so äußerte sich Ministerialdirigent Reinhardt, der „Propaganda" der Gegner mit jenen Plänen „nicht tatenlos zusehen", da sonst der Eindruck entstehen könne, Hitlerdeutschland mangele es an jeglicher „Konzeption" für die „Neuordnung" wirtschaftlicher, besonders finanzieller Verhältnisse der Nachkriegszeit. Kurt Lange, Vizepräsident des Reichsbankdirektoriums, erklärte, die „zuständigen deutschen Stellen" sollten „mit einem gesamteuropäischen Wirtschaftsplan herauskommen, in dem davon ausgegangen wird, daß Deutschland mit den anderen Ländern einen für alle Teile ersprießlichen Handel treiben' wird"; man müsse insbesondere die südosteuropäischen Länder mit Hilfe von großzügigen Versprechungen über die Bezahlung ihrer Clearingforderungen beruhigen. Hermann J . Abs' Vorschlag ging in die gleiche Richtung: „Deutschland habe wohl kaum die Möglichkeit, diesen Plänen etwas ähnliches entgegenzustellen. Hingegen könnten wir zeigen, welche Vorteile mit einer großzügigen Handelspolitik verbunden sind." Die Impulse, die von dieser Beratung des Kerns der Finanzoligarchie ausgingen, waren zweifellos bedeutend. Schon seit Anfang Juni durch die Leitung der RGI vorbereitet, wurde eine „Neugestaltung der Auslandswerbung" auf breiter Front von den großen Monopolen in Angriff genommen. Den Anregungen Wilhelm Zangens zufolge sollte „die deutsche Wirtschaftswerbung im Ausland ein neues Gesicht erhalten". 143 Der Sinn der 139 Funk, Walther, Staatliche L e n k u n g und Unternehmerinitiative, i n : Deutsche Allgemeine Zeitung, 29. 11. 1942. 140 Anatomie des Krieges, S. 412 ff., Dok. 218, Denkschrift von General Emil Leeb, 1. 12. 1942. Siehe S. 137 u. S. 327. 141 Vor allem die Beschlüsse von Hotsprings (8. 5 . - 3 . 6. 1943) und die auch propagandistisch verwendeten Pläne für die Sanierung der kapitalistischen Wirtschafts- und Währungswelt nach dem Krieg (Morgenthau-White-Plan; Keynes-Plan); s. Anatomie der Aggression, S. 26 f. 142 Z S t A P o t s d a m , Deutsche B a n k , Nr. 21004, Protokoll der Sitzung des Beirats der Reichsbank v. 24. 6 . 1 9 4 3 . Hiernach auch das Folgende. Desgl. Piskol, Joachim, Zur Entwicklung der außenpolitischen Nachkriegskonzeption der deutschen Monopolbourgeoisie 1943 bis 1945, in JfW, 1969, T. 2 (im folgenden: Nachkriegskonzeption), S. 330. 143 Anatomie des Krieges, S . 429 ff., Dok. 233, Protokoll der Sitzung der Propagandakommission des IG-Farben-Konzerns v. 21. 7. 1943. Hiernach auch das Folgende.
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Aktion bestand — wie zum Beispiel in den entsprechenden Richtlinien des IG-Farben' Konzerns — darin, gegenüber dem „Amerika-Nimbus" die „führende und helfende Stellung Deutschlands in der europäischen Außenwirtschaft während des Krieges überzeugend dar(zu)legen" und zugleich mit Argumenten der Europa- und Abendlandideologie „Verständnis für die wirtschaftlichen und sozialen Nachkriegsziele Deutschlands (zu) verbreiten". Zu den Initiatoren der Aktion gehörten das Reichswirtschaftsministerium und der Präsident des Werberats der deutschen Wirtschaft, Heinrich Hunke. Hunke, Herausgeber der faschistischen Wirtschaftszeitschrift „Die Deutsche Volkswirtschaft", war als Gauwirtschaftsberater des Gaues Berlin enger Mitarbeiter von Goebbels. Die Deutsche Bank hatte ihn gerade erst zum Mitglied ihres Vorstands berufen. Seit längerem hatte er sich, Seite an Seite mit Funk, als Sprecher der taktisch wendigeren und vorsichtigeren Fraktion der deutschen Monopolbourgeoisie in Angelegenheiten der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft" profiliert. Im September 1943 faßte er den Stand der Diskussion um die Europakonzeption in seinen „10 Thesen der deutschen und europäischen Wirtschaftspolitik" zusammen, die er in seinem Vortrag über „Kernfragen des wirtschaftspolitischen Kampfes in der Gegenwart" erläuterte. 144 Er trat darin mit dem propagandistisch verwertbaren Resümee der Auffassungen der genannten Fraktion auf, zu denen sich nun, unter dem Zwang der Situation, die Hauptkräfte des Monopolkapitals bekannten. Hunke versprach den „europäischen Nationen" — den „deutschen Ordnungs- und Führungsanspruch in Europa" vorausgesetzt — die „Entwicklung der europäischen Produktivkräfte" mit deutscher Hilfe, dauerhafte gegenseitige Wirtschaftsbeziehungen, Vollbeschäftigung und „Sicherung und Erhöhung des Lebensstandards durch eigene Kraft und gemeinsame Arbeit". 145 Das „Privateigentum" an Produktionsmitteln, die Achtung der „Unternehmerpersönlichkeit" und „das Recht, ihre Wirtschaft nach autonomen Grundsätzen zu betreiben", sollten ungeschmälert bleiben. Hunkes Artikel trug einen wesentlich defensiveren Charakter als ähnliche Arbeiten aus den vorangegangenen Kriegsjahren. Er betonte, es sei „keine Planwirtschaft" zu befürchten; der deutsche „Ordnungs- und Führungsanspruch" sei „weder ein Herrschaftsanspruch noch der Versuch einer Ausbeutung"; es gebe auch keine „Ausplünderung Europas" durch Deutschland. „Deutschland plündert Europa nicht aus, sondern ermöglicht auch während des Krieges das Funktionieren der anderen europäischen Volkswirtschaften." Der Pferdefuß schaute allerdings deutlich heraus. Es gebe eine „Minimalforderung" gegenüber den „europäischen Nationen", so hieß es, nämlich „jederzeitigen Zugang zu den lebensnotwendigen Gütern und Ausschöpfung der Produktivkräfte Europas zur gemeinsamen Verteidigung". Die Thesen Hunkes waren nach Aussage ihres Autors mit maßgeblichen Vertretern der Kriegswirtschaft abgesprochen, darunter mit Hans Kehrl, der seine Zustimmung sicherlich nicht ohne Einvernehmen mit Speer und Funk bekundete. 146 Der engere Kreis der Verfechter der neuen „Europa"konzeption zeichnete sich durch die Dominanz von Großbankenvertretern sowie durch eine enge ökonomische bzw. staatsmonopolistische Verflechtung, sogar auffälligerweise durch vertraute persönliche Be144 Weltherrschaft im Visier, S. 358f., Dok. 148, Artikel Hunkes in „Die Deutsche Volkswirtschaft", Nr. 27, 3. Sept.-heft 1943 (Auszug); DZW, Bd. 4, S. 155ff.; s. a. Piskol, Nachkriegskonzeption, S. 331. 145 Weltherrschaft im Visier, S. 358f. (Artikel Hunkes); hiernach auch das Folgende. 146 Siehe Piskol, Nachkriegskonzeption, S . 3 3 1 f .
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Kriegsziel- und Okkupationspolitik
Ziehungen aus, etwa zwischen Funk (Reichswirtschaftsministerium/Reichsbank), Abs (Deutsche Bank), Zangen (RGI/Mannesmann/Deutsche Bank), Fischböck (CreditanstaltBankverein/Deutsche Bank; zugleich Generalkommissar für Wirtschaft und Finanzen in den besetzten Niederlanden), Blessing (Unilever/Deutsche Bank), Reithingerund Ilgner(IG Farben) und Hunke (Werberat der deutschen Wirtschaft/Deutsche Bank). 147 Wichtige Verbindungslinien liefen von d ieser Gruppe zum Auswärtigen Amt, zu Speer und zu Goebbels. Eigentlich neu war diese Konzeption nicht, die statt offener Gewalt, Annexion und ungeregelter Ausplünderung eine politische und vor allem ökonomische Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie der unterworfenen und abhängigen Länder unter Führung Hitlerdeutschlands auf Kosten der arbeitenden Massen und auf der Basis des gemeinsamen Antikommunismus und Antisowjetismus vorsah. Ursprünglich war sie die Konzeption des Kerns der genannten Gruppe gewesen. Im Laufe des Frühjahrs und Sommers 1943 aber vereinigte sich auf ihrer Basis offensichtlich die Mehrheit der deutschen Großbourgeoisie. Hierin eingeschlossen waren die Kreise um Goerdeler und v. Hasseil, die freilich mit ihrem Drängen auf ein Bündnis mit dem anglo-amerikanischen Imperialismus und mit ihrem Verzicht auf einen ausdrücklichen „deutschen Führungsanspruch" vorläufig noch isoliert dastanden. 148 Die deutschen Imperialisten waren nach Stalingrad bereits zu stark dem Druck der Ereignisse ausgesetzt, als daß sie ihre neue Europakonzeption hätten in die Tat umsetzen können, was — ganz abgesehen von den inneren und äußeren Widerständen — erhebliche organisatorische Vorbereitungen und entsprechende politische Vollmachten erfordert hätte. Immerhin diente diese Konzeption anscheinend jener politischen Gruppierung als außenpolitische Plattform, die sich im ersten Halbjahr 1943 für kurze Zeit um Speer, Goebbels und Göring zu bilden begann. 149 Tatsächliche Fortschritte in dieser Richtung machte die Zusammenfassung der europäischen Wirtschaftsressourcen für den faschistischen Krieg durch das Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion. Im September 1943 gingen auf das Rüstungsministerium die Kompetenzen des Reichswirtschaftsministeriums über; damit konzentrierten sich dessen Vollmachten in den besetzten Ländern beim Rüstungsminister, insbesondere diejenigen auf dem Gebiet der Rohstoffwirtschaft. Unmittelbar danach schloß Minister Speer mit dem Minister der Vichyregierung Bichelonne ein offizielles deutsch-französisches Industrieabkommen ab. Vom Rüstungsministerium ging auch die Gründung des „Europakreises" im Herbst 1943 aus, die Hans Kehr] im Auftrage Speers betrieb. Dieser Arbeitsgemeinschaft, die „alles (umfaßte), was in der Wirtschaft Hitlerdeutschlands Rang und Namen hatte", wurde die Aufgabe gestellt, „den planvollen und schnellen Einsatz aller europäischen Wirtschaftskräfte" für eine „erfolgreiche Verteidigung der ,Festung Europa'" zu gewährleisten. 150 Das für die deutschen Imperialisten schwierigste Problem war die „Russische Frage". Hier ging es für sie um Leben und Tod. Hier stand ihnen der Sozialismus als Gegner gegenüber, mit dem keine Kollaboration und keine imperialistische Verständigung denkbar 147 Vgl. auch die Mitgliedschaft im „Europakreis" (später: „Arbeitskreis für Außenwirtschaftsfragen") nach Schumann, Nachkriegsplanungen, S. 398ff. 148 Siehe EichhoÜz, Wege zur Entbolschewisierung ...", S. 22; Piskol, Nachkriegskonzeption, S. 3 3 2 f f . ; Konzept für die „Neuordnung" der Welt, S. 114 f. 149 Bleyer, Totaler Krieg, S. 1 1 5 f . ; Konzept für die „Neuordnung" der Welt, S. 112. 150 Konzept für die „Neuordnung" der Welt, S. 106f.; s. a. Schumann, Nachkriegsplanungen, S. 398ff.
Finanzkapital und Kriegszielplanungen
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war. Und hier lag für sie zugleich der tiefere Sinn des ganzen Krieges: die Vernichtung der sozialistischen Ordnung, die Aneignung und Ausbeutung des sowjetischen Wirtschaftsund Kräftepotentials „für immer" und damit der Aufstieg zur ersten Weltmacht, zum „Herrschaftsvolk im weltgeschichtlichen Sinne". 1 5 1 F ü r die meisten anderen europäischen Länder sah die faschistische Europakonzeption von 1943 die politische Souveränität oder Teilsouveränität und die wirtschaftliche Autonomie vor oder schloß sie zumindest nicht aus. In der U d S S R aber sollten die staatliche Ordnung zerstört und die sozialistischen Produktionsverhältnisse liquidiert werden. Wesentliche Abstriche von den ursprünglichen Kriegszielen kamen hier für die deutschen Imperialisten noch weit weniger in Frage als im übrigen Europa. Daher stießen jegliche Vorstellungen und Vorschläge für eine Modifikation der Expansions- und Okkupationspolitik gegenüber der U d S S R auf heftige Opposition aus den eigenen Reihen. 1 5 2 Raffiniertere, elastischere Methoden der Unterwerfung, Unterdrückung und Ausbeutung hatten seit Sommer/Herbst 1942, unter dem unmittelbaren Eindruck des sowjetischen Volkswiderstands, Vertreter des Rosenbergministeriums und der Generalität vorgeschlagen; sie erhielten Unterstützung aus Kreisen, die dem Finanzkapital eng verbunden waren. 153 Die Skala der in Erwägung gezogenen Änderungen in der Politik gegenüber den Völkern der U d S S R war umfangreich. Sie reichte von der Einschränkung der Massenerschießungen, Brandschatzungen und Deportationen über die Einstellung der „Untermenschen"- und Kolonial- bzw. Kolonisierungspropaganda bis zur Gewährung einer Scheinsouveränität an Marionettenregierungen aus Weißgardisten und verräterischen Kollaborateuren unter Schürung der inneren Gegensätze. 154 Ihren Höhepunkt erreichten die Kontroversen nach Stalingrad, im F r ü h j a h r 1943. Zu dieser Zeit erschien der gewichtigste von jenen Beiträgen zum Thema, die unmittelbar aus den Kreisen der deutschen Finanzoligarchie stammten. Es war die annähernd 200 Seiten starke Denkschrift von Richard Riedl, betitelt „Die russische Frage. Gedanken zur Neugestaltung Osteuropas", die mit einer Empfehlung aus dem IG-Farben-Konzern an Hitler geleitet wurde. 155 Riedl, als Ehren- und Vorstandsmitglied des Mitteleuropäischen Wirtschaftstages mit weiten Kreisen der Finanzoligarchie intim bekannt und mit Abs, 151 Weltherrschaft im Visier, S. 336, Dok. 139, Denkschrift von Giselher Wirsing über „Die Zukunft der deutschen Herrschaft in Rußland", August 1942. 152 Die Konzeption der „politischen Hebel" und insbesondere der Scheinsouveränität für einzelne Staatsgebilde auf sowjetischem Boden wurde im Mai 1943 von Hitler als unreal abgelehnt (.DZW, Bd. 3, S. 343ff.). 153 Gin Beispiel hierfür ist die Denkschrift Wirsings (Anm. 151), die gegen Ende 1942 mit gleichem Wortlaut auch unter dem Titel „Westlicher Imperialismus oder deutsche Ordnung im Osten?" an das Reichswirtschaftsministerium und andere Stellen versandt wurde (BA Koblenz, R 7 XII/13a). Die Tageszeitung „Münchner Neueste Nachrichten", deren „Schriftleiter" Wirsing war, befand sich im Besitz der Chefs des Haniel-Konzerns (Gutehoffnungshütte). Es ist anzunehmen, daß sich die Auffassungen der Konzernleitung und ihr nahestehender Kreise, z. B. der Deutschen Bank, in der Denkschrift des versierten Nazijournalisten und SDAgenten Wirsing widerspiegelten. Von Paul Pleiger, Leiter der BHO, der RVK und des Montankonzerns der Reichswerke „Hermann Göring", ist bekannt, daß er nach Stalingrad die Linie des Rosenbergministeriums unterstützte (Anatomie des Krieges, S. 420, Dok. 223, AN über Besprechung bei Rosenberg, 22. 1. 1943; DZW, Bd. 3, S. 345). 154 Siehe Vojna v tylu vraga, Vypusk 1, Moskau 1974, Kap. VI; DZW, Bd. 2 u. 3, passim; Daliin, passim. 155 EichhoÜz, „Wege zur Entbolschewisierung ... ", S. 13ff. Hiernach auch das Folgende.
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Kriegsziel- und Okkupationspolitik
ligner, v. Wilmowsky, Neubacher, v. Hassell und anderen persönlich verbunden, stand dem IG-Farben-Konzern und der Deutschen Bank besonders nahe. Seine Denkschrift war eines der seltenen Dokumente, die sich seinerzeit nicht nur mit den strittigen Fragen der Okkupationspolitik, sondern auch und vor allem ausführlich mit dem Kriegszielprogramm und mit der Gesamtstrategie des deutschen Imperialismus befaßten. Sie lag vermutlich Hitler vor, oder es wurde ihm Vortrag darüber gehalten. Jedenfalls spielten ihre Grundgedanken in den anschließenden Auseinandersetzungen im „Führerhauptquartier" eine wesentliche Rolle. Aus der Denkschrift sprach die mehr oder weniger klare „Einsicht", daß die U d S S R — wenigstens dieses Mal — nicht vollständig zu besiegen sei. Damit Deutschland nicht in die „gefährlichste Phase des Erschöpfungskrieges" gerate, war es nach Riedl vordringlich, „politische Hebel" ausfindig zu machen, „die zum Sturze des Bolschewismus und zur Sprengung des staatlichen Gefüges der UdSSR angewendet werden können". Er schlug eine Politik der „organischen Auflösung Rußlands in seine nationalen Bestandteile" mit dem Ziel vor, aus dem Bestand der Gemeinschaft der Sowjetvölker „einen möglichst großen Teil abzulösen und. dem ,Neuen Europa' anzugliedern", in erster Linie die um das Stalingrader Gebiet und um „Ciskaukasien" (mit Baku) vergrößerte Ukraine — also das Herzstück des deutschen Kriegszielprogramms. Insgesamt umfaßte der nach Riedls Plan zum deutschen Machtbereich zu schlagende Teil der U d S S R etwa 70 Millionen Menschen, nahezu die Hälfte ihrer Bevölkerung. Dieses gewaltige Potential an Arbeitskräften, das zugleich eine enorme Ausweitung des Absatzmarktes für die deutsche Industrie bedeutet hätte, war der zentrale Posten in Riedls Berechnungen; in diesem Zusammenhang bezeichnete er die Kolonisierungs- bzw. „Aussiedlungs"pläne als abwegig und irreal. Das wirtschaftliche Hauptziel bestand nach Riedl darin, die abzuspaltenden und zu zerstückelnden Teile der UdSSR in den „wirtschaftlichen Großraum Europa" einzubeziehen, dessen Errichtung er als eine Zwischenphase vor weiteren Auseinandersetzungen um die Weltherrschaft ansah. Als zentrales Anliegen der Denkschrift schälte sich der Gedanke heraus, daß eine wirtschaftlich einträgliche und politisch dauerhafte Integration der besetzten Gebiete in den Machtbereich des deutschen Imperialismus ohne Mitwirkung der Bevölkerung nicht möglich sei. Ihre Mitarbeit und „Hilfe" einschließlich militärischer Hilfskontingente müsse aber — unter „rascher" und „gründlicher" Beseitigung aller sowjetischen Funktionäre — erkauft werden mit „nationaler Freiheit", d. h. mit dem Zugeständnis einer politischen Scheinsouveränität für die Ukrainer, die Weißrussen und die Völker der baltischen Sowjetrepubliken. Von einem anderen Gesichtspunkt, nämlich dem „Arbeitseinsatz der Fremdvölkischen" aus, kam Wilhelm Tengelmann, Vorstandsvorsitzer der Bergwerksgesellschaft Hibernia AG, zu ähnlichen Forderungen und Folgerungen wie Riedl. Man müsse ständig im Auge behalten, so hieß es in seinem „Erfahrungsbericht" vom 1. Mai 1943 156 , „daß der Osten in der Zukunft unseres Volkes eine wichtige Rolle spielen wird". Besonders „den Ukrainer brauchen wir"; alles in allem müßten die sowjetischen Zwangsarbeiter so behandelt und beeinflußt werden, „daß sie sich später in ihrer Heimat zur deutschen Führung und ihrem 156 ZStA Potsdam, Fall XI, Nr. 727, Bl. 89 ff., Dok. Pleiger-465, Denkschrift von Wilhelm Tengelmann über „Erfahrungen aus dem Arbeitseinsatz der Fremdvölkischen im Ruhrbergbau, unter Berücksichtigung der Verhältnisse bei der Bergwerksgesellschaft Hibernia Aktiengesellschaft, Herne", 1. 5. 1943. Hiernach auch das Folgende.
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Wollen bekennen und damit selbst zu Trägern der von uns gelenkten europäischen Neuordnung werden". Es bedarf keiner näheren Erörterung des illusionären Charakters der aufgeführten Kriegszielforderungen einschließlich der hier unmittelbar von Monopolvertretern verfochtenen raffinierteren, „moderneren" Variante der Unterdrückung und Ausbeutung, der T a k t i k der Scheinzugeständnisse und der inneren Aufweichung. Nach dem Scheitern der Kursker Offensive verschwand die Hoffnung auf einen Sieg in breiten Kreisen des Finanzkapitals. 1 5 7 Angesichts des Vormarsches der Sowjetarmee erwiesen sich noch vor kurzem aufgestellte Programme wie dasjenige Riedls als bloße Fetzen Papiers. Kriegszielforderungen, insbesondere Annexionsforderungen, wurden von nun an nur noch spärlich laut und nahmen sich gegenüber früher in der Regel erheblich kleinlauter und „bescheidener" aus. Freilich gingen die Meinungen darüber weit auseinander, was man in der eigenen Herrschaftssphäre werde halten können. Während beispielsweise Paul Pleiger Anfang September noch damit rechnete, in das zu räumende DonecIndustrierevier bald wieder siegreich einzuziehen 158 , steckte Ernst Wagemann, Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung und dem IG-Farben-Konzern engstens verbunden 1 5 9 , das Feld der zu realisierenden Eroberungsziele schon wesentlich enger ab. E r halte es, so führte er in einer Rede Ende J u l i 1943 vor internem Kreise aus, für richtig, jetzt „Frieden zu schließen": „Wir würden dann halb Polen, halb Italien und den Balkan behalten und könnten im übrigen auf die Ukraine verzichten." 1 6 0 Die Auffassung Wagemanns — der mit v. Hassell in engen dienstlichen und persönlichen Beziehungen stand 1 6 1 — näherte sich damit derjenigen der Gruppierung um Carl Goerdeler. Diese Gruppe hatte sich seit Ende 1942 „im Osten [für] die Grenzen von etwa 1 9 1 4 " 1 6 2 , also für „halb Polen", als Kriegszielforderung ausgesprochen. Mit der unentwegt strapazierten antisowjetischen Begründung, „daß alle europäischen Völker westlich Rußlands sich gegen eine russische Übermacht und Vorherrschaft sichern müssen", formulierte sie das, als nach ihrer Meinung maßvolle Mindestforderung, noch einmal ausdrücklich in ihrem für die britische Regierung bestimmten „Friedensplan" vom Sommer/Herbst
157 Zu Beginn der Offensive waren offenbar noch einmal Erwartungen und Hoffnungen aufgeflackert. So ging Friedrich Theodor Prinz zu Sayn und Wittgenstein zu dieser Zeit über die Creditanstalt in Wien die Deutsche Bank um Hilfe an bei dem „Rückerwerb" seiner „russischen Güter". Direktor Franz Heinrich Ulrich war in einiger Verlegenheit, was seinem „lieben Prinzen" zu antworten sei. Er halte es für „verfrüht, Verhandlungen darüber zu führen", schrieb er schließlich der Creditanstalt; er glaube, „daß in der Reprivatisierung, wie sie dem Prinzen Wittgenstein vorschwebt, unsererseits nichts getan werden kann. Wie im übrigen seine Mitteilungen, die auf einer Größenordnung von 300000 Morgen und mehr basieren, anzusehen sind, lasse ich dahingestellt." (ZStA Potsdam, Deutsche Bank, Nr. A 1, Bd. 37, Ulrich an Walter Tron, 19. 7. 1943). 158 Siehe S. 475. 159 ZStA Potsdam, Fall VI, Film 414, Dok. NI-6544, Affid. Max ligner, 30. 4. 1947. 160 Ebenda, FS, Film 3345, FS Gauleiter Lauterbacher (Südhannover-Braunschweig) an Bormann, 4. 9. 1943. 161 v. Hassell, Vom Andern Deutschland, passim. 162 Spiegelbild einer Verschwörung. Die Kaltenbrunner-Berichte an Bormann und Hitler über das Attentat vom 20. Juli 1944. Geheime Dokumente aus dem ehemaligen Reichssicherheitshauptamt. Hrsg. vom Archiv Peter für historische und zeitgeschichtliche Dokumentation, Stuttgart 1961, S. 236f., „Erklärung zur Atlantik-Charta", 13. 12. 1942.
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Kriegsziel- und Okkupationspolitik
1943. 163 Die „europäische Sicherung gegen Rußland" 1 6 4 umschloß in den Plänen der Gruppe außer der auf besagte Grenze zurückgeschraubten Annexionsforderung die feste Absicht, als nach Osten vorgeschobenen Kordon das restliche Polen und die baltischen Sowjetrepubliken unter Kontrolle und im Herrschaftsbereich des „europäischen Großwirtschaftsraumes" zu behalten und auch Südosteuropa als Interessensphäre des deutschen Imperialismus zuverlässig abzuschirmen. Diesem Programm entsprach die dringende, später (November 1944) im Gefängnis niedergelegte Forderung Goerdelers, „die Russen auf die Linie Peipus-See — Dnjestr zurückzuwerfen". 165 Seit Sommer 1943 war die militärische Führung Hitlerdeutschlands nicht mehr in der Lage, ein offensives Konzept zu entwickeln. Diese Tatsache spiegelte sich deutlich in der Kriegszielplanung und -programmatik wider. Allmählich schob sich anstelle der imperialistischen Expansion in Europa und über Europa hinaus stärker und stärker ein anderes Ziel in den Vordergrund: die Sicherung der eigenen Klassenherrschaft über eine mögliche Niederlage hinaus. Doch noch weit bis weit in das J a h r 1944 hinein hatten die Vorstellungen der deutschen Imperialisten von der Beendigung des Krieges nach wie vor die Erfüllung wesentlicher Kriegsziele in Europa zur Voraussetzung — Ziele, die sie vor allem als „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft" und im Osten als „Sicherung" möglichst weit hinausgeschobener Grenzen gegenüber der Sowjetunion artikulierten.
Exkurs: Politische und ökonomische Hintergründe des „Generalplans Ost" Mit dem 22. J u n i 1941 öffneten sich die Schleusen f ü r den extremen und vernichtungswütigen Antisowjetismus, der von Anfang an den Kern der außenpolitischen Doktrin des faschistischen Regimes und seiner Ideologie ausgemacht hatte. Es offenbarte sich der menschen- und fortschrittsfeindliche Charakter des Faschismus in seiner Totalität. Das Klassenkonzept der reaktionärsten Elemente des deutschen Finanzkapitals fand einen besonders barbarischen Ausdruck im berüchtigten „Generalplan Ost" 1 6 6 (GPO), dem eine 163 Anatomie des Krieges, S. 432 ff. (S. 435), Dok. 236, „Friedensplan" Goerdelers, Sommer/Herbst 1943. 164 Ebenda, S. 435. 165 Ritter, Gerhard, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, Stuttgart (1954), S. 536, Anm. 100. 166 Siehe die Dokumentationen (in dt. Sprache) bei Pospieszalski, Karol Marian, Hitlerowska polemika z „Generalplan Ost" Reichsführera SS, in Przeglqd Zachodni, 2/1958, S. 346ff.; Heiber, Helmut, Der Generalplan Ost, in VfZ, 3/1958, S. 281 ff.; Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945, Hrsg. v. Reinhard Opitz, Köln 1977, S. 869ff.; Madajczyk, Czeslaw, Generalplan Ost (im folgenden: GPO), in Przeglqd Zachodni, 3/1961, S. 66ff.; desgl. in Polish Western Affairs, 2/1962, S. 391 ff. (mit erweiterter Einl. in Englisch; im folgenden wird hiernach zitiert). Die wissenschaftliche Analyse des GPO wurde neuerdings fortgeführt in der profunden Studie von Kärny, der ich wesentliche Anregungen verdanke (Kärny, Miroslav, Generälni plan Vychod, in Ceskoslovensky casopis historicky, 3/1977, S. 345ff.). Siehe ferner GeneraVnyj plan „Ost", in Voenno-istoriceskij zurnal, 1/1960, S. 83 ff.; Zastavenko, GJTeVpuchocskij, B., Dopolnitel'nye dannye o „General'nom plane ,Ost', in ebenda, 7/1964, S. 119ff.; Nedorezov, A. / . , Fasistskie plany germanizacii slavjanskich stran v gody vtoroj mirovoj vojny, in Nemecko-fasistskij okkupacionnyj rezim (1941—1944gg.), S. 129ff.; Noskova, A. F., General'nyj plan Ost. K itogam izucenija v sovetskoj i pol'skoj istorifeskoj literature,
Exkurs: Hintergründe des „Generalplans Ost"
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Schlüsselbedeutung hinsichtlich des Charakters der geplanten Weltvorherrschaft des deutschen Imperialismus unter faschistischem Vorzeichen zukommt. Der Generalplan Ost hatte mehrere Fassungen, von denen bisher nur eine als vollständiges Dokument aufgefunden worden ist. Das Zustandekommen der Fassungen und ihr Zusammenhang untereinander sind, durch verlogene Zeugenaussagen einiger Beteiligter vor den Kriegsverbrechertribunalen nach dem Krieg zusätzlich verwirrt, von der Forschung bisher nicht einwandfrei geklärt und werden in der Literatur, auch in der marxistischen, oft ungenau dargestellt. 167 In bekannten Arbeiten bürgerlicher Autoren wird der GPO in seiner Bedeutung unterschätzt und mißdeutet. 168 Die Pläne der „Germanisierung" und „Aussiedlung" für die seit 1938/39 besetzten bzw. annektierten tschechischen und polnischen Gebiete waren nicht von vornherein Bestandteile eines „Generalplans" oder „Gesamtplans" (Himmler)} mit diesen Begriffen wurde offensichtlich erst im Zusammenhang mit dem Überfall auf die UdSSR operiert. Vorher — und auch noch nachher — arbeiteten die Faschisten in bezug auf die „Polenfrage" mit einem „Nahplan" (oder mehreren „Nahplänen") für die annektierten Gebiete 169 und einem „Fernplan", wobei die Substanz des „Fernplans" aus den bisher bekannten Dokumenten nicht ersichtlich ist. 170 Erst mit dem 22. Juni 1941 rückten diese Pläne in eine neue Dimension und gingen in die Gesamtplanung des GPO ein. Der Begriff „Generalplan Ost" stammte, wahrscheinlich von Himmler selbst angeregt, entweder aus dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA)
167
168 169
170
in Sovetskoe slavjanovedenie, 3/1965, S. 72ff.; ausführlicher dieselbe, Zachvatniceskie plany gitlerovskoj Germanii na vostoke Evropy, in Issledovanija po slavjano-germanskim otnosenijam, Moskau 1971, S. 178ff.; Besymenski, Lew, Sonderakte „Barbarossa". Dokumente, Darstellung, Deutung, Stuttgart 1967, S. 238 ff.; Madajczyk, Czeslaw, Dalsze dokumenty dotyczqce Generalnego Planu Wschodniego, in Dzieje Najnowsze, 3/1971, S. 195ff.; Bezymenskij, L. A., General'nyj plan „Ost", Zamysel, celi, rezul'taty, in Voprosy istorii, 5/1978, S. 74ff.; MüUer, Rolf-Dieter, Industrielle Interessenpolitik im Rahmen des „Generalplans Ost". So Bezymenskij; Ramme, Alwin, Der Sicherheitsdienst der SS. Zu seiner Funktion im faschistischen Machtapparat und im Besatzungsregime des sogenannten Generalgouvernements Polen, Berlin 1970, S. 217ff.; s. auch die verhältnismäßig ausführliche Behandlung der Problematik in DZW, Bd. 2, S. 118ff., S. 427ff., S. 435, S. 445; Bd. 3, S. 368. Siehe Reitlinger, Gerald, Ein Haus auf Sand gebaut. Hitlers Gewaltpolitik in Rußland 1941 bis 1944, Hamburg 1962; Dallin. Siehe die Dokumentationen von Datner, Szymon/Gumkowski, Janusz/Leszczynski, Kazimierz, Wysiedlenie ludnosci z ziem polskich wcielonych do Rzeszy, in Biületyn Glöwnej Komisji Badania Zbrodni Hitlerowskich tv Polsce, Bd. 12, Warschau 1960; Szulc, Waclaw, Wysiedlenie ludnosci polskiej w twz. Kraju warty i na Zamojszczyznie oraz popelnione przy tym zbrodnie, in ebenda, Bd. 21, Warschau 1970; Luczak, Czeslaw, Wysiedlenia ludnosci polskiej na twz. ziemiach wcielonych do Rzeszy 1939—1945, in Documenta Occupationis, Bd. 8, Poznan 1969; ferner Madajczyk, Czeslaw, Polityka III Rzeszy w okupowanej Polsce, Bd. 1, Warschau 1970, (im folgenden: Polityka), S. 306ff. (S. 336); Kärny, S. 346f., S. 357ff. Kärny, S. 357ff. (360f.), argumentiert in dieser Frage überzeugend gegen Auffassungen wie die von Heiler, S. 285, der den „Fernplan" mit dem GPO identifiziert. — Die „Germanisierungs"pläne für die tschechischen Gebiete seit 1938, die vor allem im Sommer 1940 in umfangreiche Programme gefaßt wurden, sind dokumentiert in Die Vergangenheit warnt. Dokumente über die Germanisierungs- und Austilgungspolitik der Naziokkupanten in der Tschechoslowakei, zus.gest., mit Vorw. u. Anm. versehen v. Vaclav Kral, Auswahl d. Dok. v. Karel Fremund u. Väclav Krdl, Prag 1960.
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Kriegsziel- und Okkupationspolitik
oder — da es sich um einen Fachausdruck des Landesplanungswesens handelt — aus dem Planungsamt des „Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums" (RKF). 1 7 1 Als Bezeichnung eines bestimmten Plandokuments wurde er für drei aus den Quellen bekannte Schriftstücke verwendet: 1. für den von SS-Standartenführer Prof. Dr. Konrad Meyer(-Hetling), Hauptabteilungsleiter (HA I I : Planung) im Stabshauptamt des RKF 1 7 2 , zugleich Direktor des Instituts für Agrarwesen und Agrarpolitik der Berliner Universität, für Himmler verfaßten Plan vom 15. Juli 1941, der bisher nicht aufgefunden wurde. Sein Inhalt ist begrenzt rekonstruierbar nach den diesbezüglichen Bemerkungen von Meyer in dem unter 3) angeführten Dokument sowie in seinem Begleitschreiben an Himmler vom 15. Juli 1 7 3 ; 2. für eine Ausarbeitung des RSHA, Amt III (SD Inland), Gruppe I I I B (Volkstum und Volksgesundheit), für die der Leiter der genannten Gruppe, SS-Standartenführer Dr. Hans Ehlich, verantwortlich zeichnete. Dieses Dokument stammt von Ende 1941/Anfang 1942 und wurde bisher ebenfalls nicht aufgefunden. Es existiert jedoch ein umfangreiches Memorandum von Regierungsrat Dr. Erhard Wetzel, als Vertreter des Rassenpolitischen Amtes der Reichsleitung der NSDAP verantwortlicher Mitarbeiter für Rassenpolitik in Alfred Rosenbergs Reichsministerium f ü r die besetzten Ostgebiete mit vielfältigen Beziehungen zu den mit der Materie beschäftigten faschistischen Behörden und Institutionen, vom 27. April 1942, betitelt „Stellungnahme und Gedanken zum Generalplan Ost des Reichsführers SS" 1 7 4 , in dem die wichtigsten Fakten des RSHA-Plans referiert und ausführlich kommentiert und kritisiert wurden; 3. für die Denkschrift Konrad Meyers „Generalplan Ost. Rechtliche, wirtschaftliche und räumliche Grundlagen des Ostaufbaues", datiert vom J u n i 1942, Himmler aber schon am 28. Mai 1942 z u g e s a n d t . ^ Die Ausarbeitung Meyers vom 15. Juli 1941 entstand binnen drei Wochen und steckte laut Begleitbrief „zunächst in großen Zügen den Umfang des künftigen durchführbaren Siedlungswerks ab, d. h., er (der GPO — D. E.) behandelt den sich aus dem Vorhandensein verfügbarer Siedlerfamilien ergebenden Siedlungsanspruch, die Siedlungsgebiete und -abschnitte sowie deren Fassungsvermögen". 176 Sie enthielt also Grundsätze und Vorschläge f ü r die perspektivische „Germanisierung" der bis Mitte 1941 in den faschistischen Machtbereich gefallenen Gebiete Polens. Außerdem wurde darin angesichts des erwarteten raschen Zusammenbruchs der UdSSR „die Abgrenzung neuer Siedlungsgebiete unter Zugrundelegung einer Entwicklung von 30 Jahren vorgesehen" und der „Gedanke" geäußert, diese Gebiete durch sogenannte Siedlungsmarken für immer unter feste deutsche 171 Heiber, S. 285. 172 R K F war Himmler. Die Dienststelle des R K F unter SS-Brigadeführer — später SS-Gruppenführer und SS-Obergruppenführer — Ulrich Greifelt mit mehreren Hauptabteilungen (später: Ämtern), durch Hitler-Erlaß vom 7. 10. 1939 gegründet, hatte seit dem 21. 6. 1941 den Status eines SS-Hauptamtes. Meyer wurde 1942, nun Chef des Amtes VI und bald darauf der Amtsgruppe C, zum SS-Oberführer befördert. 173 Siehe Eichhollz, Generalplan Ost, S. 256, Dok. 2. 174 Vollständig in deutscher Sprache abgedruckt bei Pospieszalski, S. 346—369; Heiber, S. 281 bis 325 (mit weiteren Dokumenten); Europastrategien des deutschen Kapitals 1900—1945, S. 869-894. 175 Vollständig in deutscher Sprache abgedruckt bei Madajczyk, GPO, S. 391—442. 176 Siehe Eichholtz, Generalplan Ost, S. 256, Dok. 2.
Exkurs: Hintergründe des „Generalplans Ost"
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Kontrolle zu bringen. 177 Die Denkschrift enthielt auch schon Zahlen über deutsche Menschenreserven für die Siedlung. Meyer übernahm sie 1942 in seine zweite Denkschrift. Diese Zahlen könnten aus dem RSHA beschafft worden sein, in dessen Ausarbeitung die gleichen oder ähnliche Ziffern auftauchten. 178 Das zweite Dokument, ein offenbar nur wenige Seiten umfassendes Papier, entstand zwischen Spätherbst 1941 und Anfang 1942 im RSHA. 1 7 9 Es beruhte auf den inzwischen von Hitler, Himmler und Heydrich formulierten Äußerungen über die Kolonialisierung und Kolonisierung 180 des zukünftig beherrschten „Ostraums" bis zum Ural und S«
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Die deutsche Landwirtschaft im Kriege
bungen im Verbrauch veranlaßten zu ständig wiederholten Forderungen nach Beibehaltung oder gar Ausdehnung ihres Anbaus. Die Kartoffelerzeugung hatte bei den Verbrauchsgewohnheiten sowohl für die Verfütterung als auch für die menschliche Ernährung fundamentale Bedeutung. (Tabelle 182 u. 183) Von 1941 bis 1944 zeigte die Anbaufläche bei einem insgesamt uneinheitlichen Bild eine Abnahme, die sich in Grenzen hielt. Die mit Jahresbeginn 1942 verstärkt propagierte Anbauerweiterung ging wesentlich von erwarteten Rückgängen beiden Hektarerträgen aus. Die Berechtigung dieser aus der Lage bei Arbeitskräften, Landtechnik und Düngemitteln abgeleiteten Befürchtungen belegen die Hektarerträge, die bis 1942 relativ hoch blieben, dann aber entscheidend zurückgingen. Die Minusdifferenz bei der Erntemenge betrug im Durchschnitt der Kriegsjahre über 4 3 2 0 0 0 0 t Kartoffeln. Die im Ganzen gesehen ungewöhnliche Bedeutung der Kartoffelversorgung im Kriege als Nahrungsmittel und Futtermittel erfordert die Berücksichtigung der Entwicklung von Aufkommen und Verbrauch. (Tabelle 184) Tabelle 184 offenbart bei rückläufigen Erntemengen das Bemühen, durch vermehrte Einfuhren, die auch den Raub aus den okkupierten Ländern enthielten, das Defizit auszugleichen. Besonders auffällig ist die Umkehrung.der Relation zwischen der Verwendung als Futtermittel und für den menschlichen Verzehr. Das mußte bei der völligen Abhängigkeit der Schweinebestände von der jeweiligen Kartoffellage die Fleisch- und Fettversorgung stärkstens beeinflussen. Ständig verschärfte Ablieferungsauflagen, veränderte Sortierungsvorschriften, die auf einen erhöhten Speisekartoffelanteil zielten, sowie Verfütterungsverbote für Kartoffeln, die als Nahrungsmittel verwendbar erschienen, verhinderten den planmäßigen Wiederaufbau der Schweinebestände. Der Rückgang der technischen Verarbeitung hatte ähnliche Gründe. Der Zuckerrübe kam als der Frucht mit dem höchsten Nährwertertrag hervorragende Bedeutung zu. Ihre Verwendbarkeit für die menschliche Ernährung in Form von Zucker und ihr Einsatz als Futtermittel sicherten ihr einen besonderen Platz. Tabelle 185 Zuckerrüben; Anbau, Erträge und Ernte 1933—1944, Reichsgebiet 1937 Jahr
Anbaufläche in ha
Hektarerträge Erntemenge in dt in t
1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
304051 356484 372687 388723 455443 501771 502943 536878 543536 547398 543993 543139
282,2 291,6 283,6 311,2 344,7 309,8 333,4 307,4 296,0 299,6 268,5 251,7
Quelle: Statistical Handbook, La B 23.
8578909 10394343 10567953 12095827 13701278 15545731 16769799 16503186 16086105 16402663 14607216 13670809
Landwirtschaftliche Produktion
623
Tabelle 186 Zuckerrüben; Anbau, Erträge und Ernte im Durchschnitt der Jahre 1934-1939 = A und 1940-1944 = B, Reichsgebiet 1937
Fläche in ha
Erträge in dt/ha
Erntemenge in t
A 429675,16 B 542994,20
312,38 284,68
13179155 15453995
Quelle: Berechnet nach Tabelle 185
Zu Kriegsbeginn eingeleitete Maßnahmen zur Erweiterung des Zuckerrübenanbaus (Preisanreize, Zuschüsse, Naturalprämien) schlugen sich in der Entwicklung der Anbaufläche nieder. B e i Hektarerträgen und Erntemengen hingegen offenbarte sich die Tatsache, daß Rüben wohl hohe Flächenerträge erbringen, die jedoch mit ebenso hohen Ansprüchen an die Bodenbearbeitung und Nährstoffzufuhr verbunden sind. Trotz der hier bestehenden Probleme lag die Erntemenge, begründet in der Anbauerweiterung, während des gesamten Krieges bedeutend über dem Durchschnitt der Vorkriegsjahre. Im Vergleich von 1944 und 1939 allerdings standen bei einem um mehr als 40000 ha erweiterten Anbau fast 3100000 t Zuckerrüben weniger zur Verfügung. Der absolut wie relativ hohe Arbeitsaufwand für Hackfrüchte, damals bei Rüben wiederum doppelt so hoch wie bei Kartoffeln, konzentrierte sich in bestimmten Arbeitsspitzen, die rationell nur mit nichtständigen Arbeitskräften zu bewältigen waren. Diese waren mit zunehmender Kriegsdauer und immer angespannterer Gesamtarbeitskräftelage immer schwieriger zu bekommen. Sowohl Anbaufläche wie auch Erträge wurden von ausreichender Arbeitskräftebereitstellung wesentlich mitbestimmt. Konnten zusätzliche Arbeitskräfte nicht rechtzeitig bereitgestellt werden, waren Ernteverluste unvermeidlich. Die unter der Bezeichnung „Fettlücke" bekannte Einfuhrabhängigkeit bei der Fettversorgung führte im .Zuge der Kriegsvorbereitungen zur Wiederaufnahme bzw. zur Ausweitung des Anbaus von Ölfrüchten. Im Kriege mußten die anhaltende oder zeitweilige Unterbrechung der Handelsbeziehungen zu den traditionellen Fettlieferanten ebenso wie die eingeschränkten Möglichkeiten zum Kraftfutterimport für die einheimische Butterproduktion das Problem noch evidenter werden lassen. Eine mit 50—60 Prozent im letzten Vorkriegsjahr relativ geringe Selbstversorgung bei Fetten zwang zur Inkaufnahme des in Hinblick auf Auswinterungsgefahr und Schädlingsanfälligkeit risikoreichen Anbaus von Ölfrüchten. Die wichtigsten Ölfrüchte waren, in der Reihenfolge ihrer Bedeutung, R a p s und Rübsen, in deutlichem Abstand gefolgt von Leinsamen, Mohn und Hanfsamen. Lein und Hanf wurden außerdem als Faserpflanzen genutzt. Rückstände bei der Ölgewinnung fanden als Viehfutter Verwendung. Die Anbaufläche für Ölfrüchte wurde von 1933 bis 1939 um mehr als das Zehnfache erweitert. 2 1 7 Von Kriegsbeginn bis 1944 erfolgte noch einmal eine Zunahme von über 450 Prozent. An dieser Entwicklung waren die verschiedenen Pflanzen in unterschiedlichem Umfange beteiligt. 2 1 8 217 Siehe Tab. 187. 218 Vgl. Lehmann, Pflanzenproduktion, S. 30f., Tab. 30 bis 35. 41 Eicbholtz II
624
Die deutsche Landwirtschaft im Kriege
1940/41 und 1942/43 war der Anbau besonders stark durch Auswinterungen beeinträchtigt. Im Kriege dominierten eindeutig Raps und Rübsen. Der Leinsamenanbau zeigte ein vergleichsweise stabiles Niveau. Der das Bild bestimmende Rapsanbau wurde mit Ausnahme des stark witterungsbeeinträchtigten Jahres 1942 von 32 Prozent 1941 über 56 Prozent 1943 auf schließlich 63 Prozent des gesamten ölfruchtanbaus im Jahre 1944 erhöht. Eine solche enorme Zunahme wurde durch gezielte Lenkungsmaßnahmen erreicht. Neben Preissubventionen gab es Naturalprämien in Form von Ölkuchen, Speiseöl und -fett sowie zusätzliche Kontingente von Stickstoffdünger. 219 Dabei kam es zu Versuchen vieler Bauern, durch bloße Meldung, aber nicht durch tatsächlich erfolgten Ölfruchtanbau in den Besitz des so dringend benötigten Stickstoffs zu gelangen. 220 Die in Kombination mit diesen Anreizen angewandte Propaganda und der massive Druck durch den Reichsnährstand führten während des Krieges zu einem faktischen Anbauzwang für diese Kulturen. Die Störanfälligkeit des ölfruchtanbaus schlug sich in sehr schwankenden Hektarerträgen nieder. Die Erntemenge wurde trotz der zusätzlichen Düngergaben, die wegen der eminenten Bedeutung der inländischen Fettproduktion gewährt werden mußten, nicht durch hohe Flächenerträge, sondern primär durch Extensivierung des Anbaus beeinflußt. Die Bedeutung der inländischen Fettproduktion nahm noch zu, da die Entwicklungen im Kriegsverlauf nicht nur den Ausgleich der fehlenden Einfuhren, sondern auch die Kompensation des Minderaufkommens an Schichtfetten erforderten. Die Anbauverhältnisse zwischen den vorstehend untersuchten Kulturen vermittelt folgende Tabelle: Tabelle 187 Entwicklung des Anbauverhältnisses (in 1000 ha und Prozent)
auf
¿Lern Ackerland
Jahr
Brotgetreide ha %
Futtergetreide ha %
1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
6842 6689 6646 6598 tl31 6302 6281 5872 6037 5096 5773 5632
5140 5169 4915 4932 5154 5951 5134 5296 4977 5370 4450 4339
42,7 41,8 42,6 42,1 39,2 37,9 40,0 37,7 39,0 33,9 38,9 38,3
32,1 32,3 31,5 31,4 33,0 35,9 32,7 34,0 32,2 35,8 30,0 29,4
in Deutschland
1933—1944
(Auswahl),
Hackfrüchte ha %
Ölfrüchte ha %
4020 4098 3970 4026 4198 4210 4182 4236 4215 4294 4180 4252
10 39 69* 106 120 123 109** 167 247 245 422 494
25,1 25,6 25,5 25,8 27,0 25,4 26,6 27,2 27,2 28,7 28,2 28,9
0,1 0,2 0,4 0,7 0,8 0,7 0,7 1,1 1,6 1,6 2,8 3,4
* Ohne Hanf und Mohn ** Ohne Mohn
Quelle: Auf der Grundlage der einschlägigen Tabellen des Statistical Handbook überschlägig berechnet. 219 StAM, Landesbauernschaft Sachsen-Anhalt, Nr. 479, Bl. 42 ff., Landesbaueraführer an Kreisbauernschaften, 13. 4. 44. 2 2 0 E b e n d a ; s. a u c h Wochenblatt
der Landesbauernschaft
Danzig-Westpreußen,
Nr. 43, 18. 12. 4 3 .
625
Landwirtschaftliche Produktion
Die Angaben machen deutlich, daß es gelang, größere Deformierungen des Anbaugefüges zu verhindern. Eine zwar reduzierte, aber ausreichende Brotversorgung und die Befriedigung eines unbedingt notwendigen Futterbedarfs ließen weitere Einschränkungen des Getreideanbaus nicht zu und bildeten so die volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Grenzen des Anbaus von Hack- und Ölfrüchten. Zu berücksichtigen waren auch die eingetretenen Veränderungen in der Struktur des Verbrauches. Der Ausfall an Fett und Fleisch verursachte Bemühungen in Richtung auf einen relativen Ausgleich durch erhöhten Brot-, Nährmittel- und Speisekartoffelkonsum. Die Grundrelationen zwischen Getreide und Hackfrüchten blieben im Kriege im Grunde unberührt. Eine gewisse Abnahme des Anbaus von Brotgetreide und stärker noch von Futtergetreide zugunsten einer stabilen und leicht erhöhten Anbaufläche bei Hackfrüchten im Vergleich zu den Vorkriegsjahren ist erkennbar. Die Ausweitung des ölfruchtanbaus erfolgte vor allem auf Kosten des Futtergetreides. Die Anbauerweiterung ging dabei über das Maß hinaus, das von den Sachverständigen des Reichsernährungsministeriums 1939 betriebswirtschaftlich für vertretbar gehalten worden war 221 , sollte nicht, neben Schwierigkeiten in der Fruchtfolge, eine unliebsame Konkurrenz für den Zuckerrübenanbau eintreten. Generell ist festzuhalten, daß die Anbaufläche für diese wichtigen Kulturen mit entscheidender Bedeutung für das Nahrungsaufkommen sich mit einem Rückgang von 1939 bis 1944 von rund 990000 Hektar um mehr als das Doppelte des Verlustes an Ackerland im gleichen Zeitraum verringerte. 222 Das Verhältnis von Ackerland und Grünland mit der besonderen Bedeutung von letzterem für die Futtergrundlage blieb in dem Überblick unberücksichtigt. Die Pflanzenproduktion hatte durch die Bereitstellung entsprechender Futtermengen die unmittelbaren Vorleistungen für die Tierproduktion zu erbringen. Der Futterbedarf wurde neben der inländischen Produktion nicht unwesentlich durch Importe gedeckt. 1938 wurden immerhin 3,7 Millionen Tonnen verschiedener Futtergetreide eingeführt. Das entsprach etwa einem Drittel der zu diesem Zeitpunkt verfütterten Menge. Für die Beurteilung der Kriegssituation ist die Herkunft dieser Mengen von Bedeutung. Tabelle 188 Herkunft der deutschen Getreideimporte 1938 (in Herkunftsgebiet Länder, mit denen sich das faschistische Deutschland Ende 1939 im Kriegszustand befand USA Mittel- und Südamerika
Weizen
Prozent)
Mais
Gerste
22,4
2,0
13,9
19,2 12,3
57,5 31,9
29,9 2,1
Quelle: ZStA Potsdam, Fall XI, Nr. 392, Bl. 29, Dok. NG-453. 221 ZStA Potsdam, Fall XI, Nr. 392, Bl. 21, 55, Denkschrift Darrés „Aufgaben der Produktion in der Landwirtschaft im Kriege" ; Bl. 77, Stellungnahme Darrés zu „Anregungen zum Kriegserzeugungsplan in der deutschen Landwirtschaft". Beides vom 27. 11. 39. 222 Siehe S. 595, Tab. 159. 41*
626
Die deutsche Landwirtschaft im Kriege
Faktisch stammten bei Weizen über die Hälfte, bei Mais über 80 Prozent und bei Gerste über 45 Prozent der Importe aus Ländern, die im Verlaufe des Krieges als Bezugsquellen ausfielen. Besonders gravierend waren die kriegsbedingten Ausfälle bei ölkucheneinfuhren, was zu entsprechenden Umstellungen in der Futtergrundlage mit wachsenden Anforderungen an die Produktion in Deutschland zwang. Tabelle 189 Umstellung der Futtergrundlage für die Milcherzeugung in Deutschland 1939—1944, Reichsgebiet 1937 Jahr
1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
verfügbare Menge an Ölkuchen
Ernte von Luzerneheu
1000 t 2051 1583 1229 1164 1244 1475 1220 800 500 345 375
Quelle: Hanau/Plate,
1000 t
Ernte von Zuckerrübenblättern und -köpfen Mio t
Fassungsraum der festgefügten Gärfutterbehälter 1000 cbm
1791 1611. 2334 2997 2988 2797 2999 2504 2523 2232 2010 2139
6,43 7,80 7,93 9,07 11,78 11,66 12,57 12,38 12,06 12,30 10,96 10,25
920 2320 3920 5220 6620 7523 8078 — — — —
S. 82.
Bereits 1933 wurden die Importe gedrosselt und durch eine Monopolabgabe verteuert. Der Einschnitt mit Kriegsbeginn ist auffällig. Orientierungen gingen in Richtung des Ausbaus der wirtschaftseigenen Futtergrundlagen über Verbilligung des Handelsdüngers, subventionierten Grünlandumbruch mit dem Ziel intensiver Nutzung als Wiese und Weide. In Abhängigkeit von den Gesamtentwicklungstendenzen in der Pflanzenproduktion während des Krieges konnte das Aufkommen an Rauh- und Gärfutter gesteigert werden. Die bedeutende Entwicklung beim Silobau setzte sich im Kriege wegen der allgemeinen Probleme bezüglich der Baustoffe und Arbeitskräfte nicht fort. Die Gesamtlage der Pflanzenproduktion führte zu Forderungen nach intensiviertem Futteranbau. Dieser brachte jedoch, sei es auf Wiesen, Weiden oder auch im Ackerfutterbau bei einem Bedarf von etwa einem Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche die relativ niedrigsten Nährwerterträge je Flächeneinheit. Die Kollision zwischen dem Primat der menschlichen Ernährung in Zusammenhang mit veränderten Verbrauchsstrukturen 223 und dem Futterbedarf führte zu Verfütterungs223 Vgl. Tab. 181, 184. ImVerlaufe des Krieges war der menschliche Verzehr an pflanzlichen ¡Nahrungsmitteln um 25 Prozent gestiegen (ZStA Potsdam, Fall X I , Nr. 411, Bl. 201, Dok. jR-124, Die Ernährungslage und die Produktionsleistung der deutschen Landwirtschaft, 'Referat Woermanns auf der 57. Tagung der Zentralen Planung, 18. 5. 44); NS-Landpost, 9. 7. 43.
627
Landwirtschaftliche Produktion
verboten und Ersatzlösungen von zweifelhaftem Wert, wie beispielsweise der Verfütterung von Grünfutter und Rüben an Schweine.224 Für reine Futterkulturen, wie beispielsweise die Futterrübe, mußten bei erheblich ausgeweitetem Anbau bedeutende Ertragsrückgänge hingenommen werden. Bezogen auf 1939, gingen bis 1944 die Erntemenge um 74500001, die Hektarerträge um fast 150 dt zurück, und dies bei einer Anbauflächenerweiterung von mehr als 160000 Hektar. Die allenthalben festzustellende Konkurrenz von Menschen- und Tiermagen mit der Einengung der Futterbasis als Folge konnte auch durch verstärkten Heuanbau nicht entschärft werden. Tabelle 190 Heu (enthaltend Klee-, Luzerne- und Wiesenheu); 1933-1944, Reichsgebiet 1937
Anbau,
Jahr
Anbaufläche in h a
Hektarerträge in dt
Erntemengi in t
1939 1940 1941 1942 1943 1944
7276031 7459325 7418575 7361120 7502738 7565366
43,6 45,1 41,9 41,3 42,1 42,1
36237804 32533664 33441466 30821186 31000005 31837318
Quelle: Statistical
Handbook,
Erträge und
Ende
L a B 34.
Auch die Erntemenge der während der Kriegsvorbereitung verstärkt angebauten Lupinen verringerten sich von 1939 bis 1944 von 100438 auf 79645 t. 2 2 5 Das inländische Maisaufkommen ging sowohl wegen Anbaurückganges als auch wegen sinkender Hektarerträge von 1035141 1939 auf 3926311944 zurück.22« Ende 1944 mußte in einer Lagebeurteilung resümierend festgestellt werden, daß „die größten Schwierigkeiten im sechsten Kriegsjahr zweifellos auf dem Gebiet der Futterwirtschaft zu überwinden" seien.227 Der aus Einfuhren und aus deutscher Erzeugung verfügbare Kraftfutterrest war von 25,1 Millionen t bei Kriegsbeginn auf 15,5 Millionen t 1943/44 gesunken.228 Die dargestellten Beispiele der Produktionsentwicklung der für die Ernährung und Verfütterung besonders signifikanten Fruchtarten erlauben eine zusammenfassende Beurteilung. Die dem deutschen Imperialismus zur Verfügung stehenden Ressourcen auch auf landwirtschaftlichem Gebiet mochten im Rahmen der Blitzkriegsstrategie ausreichen. Mit dem Scheitern dieser abenteuerlichen Konzeption mußten mehr und mehr ökonomische Gesetzmäßigkeiten wirksam werden und sich gegen die faschistischen Aggressoren wenden. Auf die Crux faschistischer Agrarpolitik machte Woermann im April 1943 aufmerksam: „. . . auf der einen Seite das Bestreben der Landwirtschaft, arbeits- und dünger224 VB, 21. 9. 44, Bericht über Arbeitsbesprechung des Reichsausschusses f ü r Schlachtvieherzeugung beim Reichsbauernführer. 225 Berechnet nach ebenda, L a B 17, L a B 18. 226 Statistical Handbook, L a B 9. 227 Die Ernährungswirtschaft an der Wende des f ü n f t e n Kriegsjahres, in DAP, H . 12/1944. 228 Siehe Anm. 223, Referat Woermann.
Die deutsche Landwirtschaft im Kriege
628
intensive Kulturen, die ernährungswirtschaftlich besonders leistungsfähig sind, im Anbau auszudehnen, auf der anderen Seite stark verminderte Nährstoffzufuhr (Stickstoff und Phosphorsäure) und schlechtere Versorgung mit Betriebsmitteln (Treibstoff, Maschinen und Geräte etc.). Im Anbaugefüge 1942/43 sind gewisse extensivierende Tendenzen . . . nicht zu verkennen. Die Tabellen zeigen außerdem einen Rückgang der ha-Erträge, der sich bei den düngerintensiven Kulturen und bei der Strohernte 2 2 9 am stärksten durchsetzt." 2 3 » Betrachtet man die Pflanzenproduktion insgesamt, so bleibt festzustellen, daß die intensive Vorbereitung des Krieges auf diesem Gebiet relative Erfolge in der Richtung zeigte, daß es in seinem Verlaufe gelang, die Ernten bei grundsätzlich sinkender Tendenz, mit Unterschieden bei den einzelnen Kulturen, über einen längeren Zeitraum auf einem Niveau zu halten, das eine Ernährungskatastrophe verhinderte. Im Vergleich zum ersten Weltkrieg vollzog sich der Rückgang der Ernteerträge erheblich langsamer (Tabelle 191). Tabelle 191 Entwicklung der Ernten 1914-1918 und 1939-1944, Reichsgebiet 1. ausgewählte Kulturen (in Prozent des Vorkriegsdurchschnittes)
9.1939,
Getreide
Kartoffeln
Zuckerrüben
Jahresdurchschnitt 1908-1913 1914 1915 1916 1917 1918
100 98 80 80 56 64
100 99 118 55 76 64
100 110 67 66 64 60
Jahresdurchschnitt 1935-1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
100 104 90 84 86 92 78
100 105 106 88 101 75 80
100 126 122 119 120 117 100
Quelle: Woermann, Schaubilder, zit. bei Riecke, S. 324. In der Versorgung wirkten sich die Ernterückgänge so lange nicht voll aus, wie Einfuhren sie kompensierten. 2 3 1 Diese sogenannten Einfuhren bestanden hauptsächlich aus den Ergebnissen der Ausplünderung von okkupierten Ländern Europas bzw. aus Lieferungen 229 Stroh war in seiner Doppelfunktion als Futter und als Streu für die Viehzucht besonders wichtig. 230 ZStA, Fall XI, Nr. 411, Dok. R-124, Bl. 135, Die Ernährungslage und die Voraussetzungen zur Erhaltung der Produktionsleistungen der deutschen Landwirtschaft, Referat von Woermann auf der 39. Sitzung der Zentralen Planung am 23. 4. 1943. 231 Siehe Tab. 180,181,184.
Landwirtschaftliche Produktion
629
der Satellitenstaaten des faschistischen Deutschlands, deren Landwirtschaft den Bedürfnissen der faschistischen Kriegsmaschine rigoros untergeordnet wurde. 232 Bis zum Wirtschaftsjahr 1942/43 waren die Ernterückgänge, sofern sie nicht eindeutig witterungsbedingt waren, nicht entscheidend. Von da an begann sich aber allgemein ein progressiver Rückgang der Hektarerträge und damit der Erntemengen einzustellen, der seine Ursachen in den durch den Krieg verursachten Beschränkungen bei den Betriebsmitteln hatte. Ebenfalls zu diesem Zeitpunkt setzten sukzessive die Langzeitwirkungen verminderter Düngergaben und der Vernachlässigungen bei der Bodenbearbeitung aus den Vorjahren ein.
b)
Tierproduktion
Eine Beurteilung der Tierproduktion beider insgesamt angespannten Ernährungslage muß berücksichtigen, daß bei der Verwertung pflanzlicher Erzeugnisse durch den Tiermagen ein erheblicher Kalorienverlust eintritt. Hieraus folgten Anstrengungen, die bereits dargestellt wurden, den menschlichen Verzehr pflanzlicher Nahrung zu steigern und gleichzeitig die Aufnahme tierischer Produkte zu drosseln. Aus dieser Absicht und den betriebswirtschaftlichen Erfordernissen ergab sich die Notwendigkeit, den Viehbestand dem nach Abzug des menschlichen Nahrungsbedarfes verbleibendem Futterrest anzupassen. Es bedarf in diesem Zusammenhang einer Beachtung der bereits erwähnten Wechselwirkung zwischen reduziertem Gesamtlebensmittelangebot im Kriege und der sich daraus ergebenden auch ungesteuerten Verlagerung der menschlichen Ernährung hin zu pflanzlichen Produkten. Der Zusammenhang von Futtermenge und Viehbestand bestimmte demgemäß von Anfang an entscheidend die Politik auf diesem Gebiet, wesentlich geprägt von der grundlegenden Bedeutung der Rinder- und Schweinebestände mit ihrer Doppelfunktion als Fett- und Fle ischlief eranten. Der Rindviehbestand und seine Leistungen wurde primär unter dem Aspekt der Butterproduktion betrachtet. Alle Maßnahmen faschistischer Agrarpolitik im Hinblick auf die Erhaltung und Versorgung des Rinderbestandes sind unter dem Blickwinkel einzuordnen, daß Butter als wichtigste inländische Fettquelle für die Ernährungsbilanz angesehen wurde. (Tabelle 192) Die Angaben verdeutlichen eine nur geringe Einbuße am Gesamtbestand während des Krieges. In Abhängigkeit von der Futterlage ist eine uneinheitliche, jedoch keinesfalls sinkende Tendenz festzuhalten. Die Zahl der Milchkühe nahm von 1939 bis 1944 sogar kontinuierlich zu. Die Verluste im Bestand am Vorabend des Krieges und im ersten Kriegsjahr müssen verstärkt auftretender Maul- und Klauenseuche zugeschrieben werden. Solche bemerkenswerten Entwicklungen sind aus der kardinalen Funktion des Rindviehbestandes als Fettlieferant zu erklären und auch aus der Tatsache der besseren Energieausnutzung des Futters bei der Milcherzeugung im Vergleich mit der Fleischproduktion.233 (Tabelle 193) 232 Vgl. Lehmann, Agrarpolitik, S. 948 ff. 233 DAP, H. 12/1944. Eine Kalorie Rindfleisch erforderte 24 Kalorien, eine Kalorie Milch 4 Kalorien Futtereinsatz.
Die deutsche Landwirtschaft im Kriege
630
Tabelle 192 Rinderbestand 1933-1944, Reichsgebiet 1937 (in 1000 Stck.) Jahr
Rinder, gesamt
davon Milchkühe
;auf 100 ha Gesamtfläche
je 100 Einwohner
1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
19811 19266 18938 20088 20503 19434 19948 19663 19432 19102 19589
9994 10154 10059 10038 10173 10108 9881 9962 9979 10051 10139 10258
42,1 40,9 40,2 42,7 43,6 42,4 42,4 41,8 41,3 40,6 41,6
30,0 29,0 28,3 29,8 30,2 29,2 28,8 28,2 27,7 27,0 28,1
-
-
-
Quelle: Statistisches Handbuch, S. 190, 215. TäbeUe 193 Erzeugung und Verwendung von Kuhmilch 1933-1944, Reichsgebiet 1937 Jahr
1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
Durchschnittsertrag je Kuh kg
Gesamterzeugung 1000 t
als Frischmilch verbraucht 1000 t
verarbeitet
2484 2419 2406 2530 2501 2492 2567 2445 2387 2242 2252 2265
24829 24558 24200 25400 25445 25185 25363 24358 23816 22531 22839 23231
7674 7935 7815 7941 7666 7900 7324 5083 4700 4681 4641 4549
14142 14142 13885 14759 15034 14545 15441 17058 17091 15980 16320 16848
1000 t
Quelle: Statistisches Handbuch, S. 215. Die in den Vorkriegsjahren gesteigerte Gesamterzeugung fiel von 1939 bis 1942 auf einen Tiefwert ab, erholte sich in den beiden folgenden Jahren etwas, ohne jedoch die Größenordnungen bis 1941 je wieder zu erreichen. Die Erklärung liegt in der Abnahme der Milchleistung der Kühe, die wegen der Futtermittellage nicht gehalten werden konnte, trotz einer gewissen Steigerung ab 1942. Der erholte Gesamtbestand konnte unter dieser Bedingung die Gesamterzeugung nur bedingt beeinflussen. Umfassende Bemühungen um die möglichst optimale Erfassung und Nutzung der Milch drückten sich in einer Reduzierung des Frischmilchverbrauches und in einem hohen Verarbeitungsanteil im Kriege aus, der 1944 den höchsten Stand erreichte.
Landwirtschaftliche Produktion
631
Erreicht wurde dies durch die mit allen Mitteln des Regimes durchgesetzte Milchablieferungspflicht und die damit verbundenen rigorosen Einschränkungen der Verfütterung von Frischmilch, des Eigenbedarfs der Kuhhalter und des Absatzes direkt vom Hof. 2 3 4 Allgemeine Überwachung führte zur Schließung privater Zentrifugen, zum Probemelken in den Ställen und mündete in Verwarnungen und Bestrafungen. Derart massiver Druck hatte zur Folge, daß schließlich 1943/44 rund vier Fünftel der Gesamterzeugung 2 3 5 in den ebenfalls schärfstens überwachten Molkereien angeliefert und verarbeitet wurden Damit war eine wesentliche Voraussetzung dieser wichtigen Fettquelle durch die zuständige Hauptvereinigung der deutschen Milch- und Fettwirtschaft gegeben. Tabelle 194 Herstellung von Butter 1933-1944,
Reichsgebiet 1937 (in 1000 t)
Jahr
in Molkereien
in der Landwirtschaft
Gesamt
1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944
254,6 282,5 312,0 383,6 416,9 410,0 463,1 573,0 591,4 595,1 615,7 606,7
195,9 170,8 140,0 112,5 100,0 97,5 84,4 54,0 39,3 27,9 20,7 18,0
450,4 453,2 452,0 496,1 516,9 507,5 547,5 627,0 630,7 623,0 636,4 624,7
Quelle: Statistisches
Handbuch, S. 215.
Unter diesen Voraussetzungen stieg die Butterproduktion vom letzten Vorkriegsjahr bis 1944 um mehr als 23 Prozent. Gleichzeitig wurde der Anteil von in der Landwirtschaft hergestellter Butter von knapp 20 auf nur rund 3 Prozent gesenkt. Neben der besseren Lenkungsmöglichkeit wurden durch die Verbutterung in Molkereien Verluste vermieden, die im Eigenbutterungsverfahren unvermeidlich waren. Der reale Effekt der erhöhten Butterproduktion für die Fettversorgung muß jedoch mit gewissen Vorbehalten betrachtet werden. (Tabelle 195) Während die Milchfetterzeugung sank, stieg die Butterproduktion. Die Mehrerzeugung von Butter wurde aber auf Kosten eines zunehmend beschränkten Verbrauchs an Trinkmilch und Aufzuchtfutter erkauft. Die Butterstatistik machte nur einen Teil des bislang „unsichtbar" verzehrten Fettes statistisch erkennbar. Einer realen Erhöhung des Konsums, wie sie die Statistik der Butterherstellung vorgaukelt, fehlten elementare Voraussetzungen. Die gesteigerte Butterproduktion stellte auch deshalb keine echte Mehrerzeugung dar, weil vielfältige Maßnahmen, von denen die Frischmilchentrahmung und die Erhöhung des Wasseranteils der Butter am bekanntesten sind, den sonst in anderen 234 Ebenda, S. 215. 235 Hanau/Plate, S. 76.
Die deutsche Landwirtschaft im Kriege fl
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