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German Pages [164] Year 2016
Frank Krause
Geruchslandschaften mit Kriegsleichen Deutsche, englische und französische Prosa zum Ersten Weltkrieg
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7370-0612-5 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de 2016, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Ludwig Meidner: Landschaft (1917); Ludwig Meidner-Archiv, J þdisches Museum der Stadt Frankfurt am Main
Einmal kommt – ich habe Zeichen – Sterbesturm aus fernem Norden. Überall stinkt es nach Leichen. Es beginnt das große Morden.1
1 Aus: Alfred Lichtenstein, ›Prophezeihung‹ [1913], in: ders., Dichtungen, hg. v. Klaus Kanzog u. Hartmut Vollmer (Zürich: Arche, 1989), S. 67.
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Themen- und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Methodischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Prosa zum Ersten Weltkrieg: emotionale Perspektiven . . . . 3.2 Leichengeruch und ethisch ›gestimmte‹ Geruchslandschaften . 4. Perspektiven literarhistorischer Ekel- und Geruchsforschung . . .
11 11 15 17 17 21 25
I. Historische Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Leichengeruch als Todes- und Gefahrenzeichen . . . . . 2. Zur Geschichtlichkeit olfaktorischer Ekelgrenzen . . . . 3. Entfaltung und Störung des bürgerlichen Krieger- und Gefallenenkults . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Leichengeruch in Pmile Zolas La D8b.cle [1892] . . . . . 5. Vom deutsch-französischen Krieg zum Ersten Weltkrieg
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27 28 29
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32 38 43
II. Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge . . . . . 1. Kriegsgläubige Tabuisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1) Walter Flex: Der Wanderer zwischen beiden Welten [1916] 2) Andr8 Maurois: Les Silences de colonel Bramble [1918] . . 3) Ernest Raymond: Tell England [1922] . . . . . . . . . . . . 4) Bertolt Brecht: ›Legende vom toten Soldaten‹ [1927] . . . 2. Schelmische Untertreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1) Ren8 Benjamin: Gaspard [1915] . . . . . . . . . . . . . . . 2) Hans Herbert Grimm: Schlump [1928] . . . . . . . . . . . 3) Louis-Ferdinand C8line: Voyage au bout de la nuit [1932] . 3. Sachliche Kenntnisnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1) Jean Paulhan: Le guerrier appliqu8 [1917] . . . . . . . . .
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49 49 53 56 58 60 62 66 68 70 73 75
8
Inhalt
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77 79 81 84 87 90 92 93 95 98 100 102
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105 108 110 114 117 119 120
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151 151 155
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2) Ludwig Renn: Krieg [1928] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3) Edlef Köppen: Heeresbericht [1930] . . . . . . . . . . . . . . 4) Arnold Zweig: Erziehung vor Verdun [1935] . . . . . . . . . 4. Entrüstete Entlarvungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1) Arthur Graeme West: Tagebuch, Briefe, Gedichte [1915–16] 2) Oskar Wöhrle: Querschläger [1924] . . . . . . . . . . . . . . 3) Arnold Zweig: Der Streit um den Sergeanten Grischa [1927] 4) Alexander Moritz Frey : Die Pflasterkästen [1929] . . . . . . 5) Konrad Seiffert: Brandfackeln über Polen [1931] . . . . . . . 6) Peter Schmitz: Golgatha [1937] . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Alarmierte Kontrastierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1) Henri Barbusse: Le Feu [1916] . . . . . . . . . . . . . . . . . 2) Arthur Donald Gristwood: The Somme, including also The Coward [1927] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3) Adrienne Thomas: Die Katrin wird Soldat [1930] . . . . . . 4) Gabriel Chevallier : La Peur [1930] . . . . . . . . . . . . . . 6. Leidensbereite Auslegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1) Maurice Genevoix: Sous Verdun [1916] . . . . . . . . . . . . 2) Roland DorgelHs: Les Croix de bois [1919] . . . . . . . . . . 3) Franz Schauwecker : Im Todesrachen [1919] . . . . . . . . . 4) Ernst Jünger : In Stahlgewittern [1920] und ›Der Kampf als inneres Erlebnis‹ [1922] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5) Edmund Blunden: Undertones of War [1928] . . . . . . . . . 6) Siegfried Sassoon: Memoirs of an Infantry Officer [1930] . . 7) Vera Brittain: Testament of Youth [1933] . . . . . . . . . . . III. Nachspiele . . . . . 1. Ambivalenzen . . 2. Mehrdeutigkeiten 3. Paradoxien . . .
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Vorwort
Die Literatur über den Ersten Weltkrieg, die Kriegsleichen darstellt, bezieht zumindest implizit Stellung zur Frage, welche Weisen der Erinnerung an die Kriegsopfer kulturell angemessen wären. Eine Untersuchung, die fragt, wie sich diese Literatur zur Problematik des Leichengeruchs verhält, ist für die kritische Aneignung der Überlieferung aus zwei Gründen interessant. Erstens sind Motive dieses Geruchs geeignet, kulturell eingespielte Praktiken eines Gedenkens, das die Würde der Gefallenen bzw. des Kriegstodes beschwört, empfindlich zu stören; der Zugang zu jener Problematik ist also ein Indikator gewichtiger ethischer Orientierungen, die eine literarhistorische Darstellung der Texte berücksichtigen sollte. Zweitens geben deren Geruchslandschaften Aufschluß über Methoden der emotionalen Verständigung, die mit starken affektiven Wertungen arbeiten, die in der Literaturwissenschaft bislang zu Unrecht vernachlässigt wurden. Zudem erhellen einschlägige Techniken der literarischen Codierung von Leichengeruch die Geschichte zeitdiagnostischer Funktionen dieses olfaktorischen Motivs, die für die kulturwissenschaftliche Forschung zu Mustern symbolischer Situationsdeutungen aufschlußreich ist. Das Buch läßt sich auch als aktueller Beitrag zur öffentlichen Gedenkkultur lesen, der eine unbezähmbare Irritation in den Vordergrund rückt, um einer Affirmation des Kriegsleidens entgegenzuwirken. Für hilfreiche Anregungen und Hinweise danke ich Elza Adamowicz, Chris Baldick, Alan Downie, Peter Dunwoodie, Beth Guilding, Heinrich Kaulen, Andreas Kramer und Tamar Steinitz. Für Mängel ist allein der Verfasser verantwortlich. London, im Mai 2016
F. K.
Einleitung
1.
Themen- und Fragestellung Marschner fühlte seine Kräfte erlahmen, stolperte immer häufiger, und schloß doch erschauernd die Augen vor den sich kreuzenden Blutspuren, die genau den Weg der Verwundeten zeigten. Auf einmal riß er den Kopf hoch. Ein neuer Geruch drang auf ihn ein, ein süßlicher Gestank, der immer stärker wurde, bis er, bei einer Einbuchtung der Grabenwand, die hier, nach links einschwenkend, halbkreisförmig zurücktrat, wie eine dichte Wolke vorbrach. Von Ekel geschüttelt, den Magen in der Kehle sah er sich um […]. Nur allmählich erfaßte sein Blick das Grauen, das sich vor ihm türmte. Gefallene Soldaten lagen da […]. Die Arme der Obenaufliegenden […] waren schon übersät mit den bunten Flecken der Verwesung. Hauptmann Marschner stieß einen kurzen, rülpsenden Schrei aus und torkelte vornüber. Sein Kopf erzitterte im Genick, wie haltlos geworden; seine Knie knickten ein, daß er den Boden schon auf sich zukommen sah, als plötzlich ein unbekanntes Gesicht vor ihm auftauchte, seinen Blick auf sich zog, ihm jäh wieder Haltung gab. Ein fremder Feldwebel stand vor ihm […]. Eine Sekunde lang blieb er wie gelähmt, dann riß er den Mund auf, klatschte in die Hände, sprang in die Luft, wie ein Tänzer, und lief, ohne an eine Ehrenbezeugung zu denken, in riesigen Sprüngen davon. […] In einem Graben, den Leichengeruch durchzog, der Einschlag der Granaten durchzitterte, standen zwei: jeder selbst Einsatz, und sprachen, während auch um ihre Knochen die Würfel noch rollten, von ›Menschenmaterial‹! Brachten dies ruchlosschändliche Wort über die Lippen, ohne jede Empörung, als wäre es nur natürlich, daß ihr Leib nicht mehr als eine Spielmünze war in der Hand von Menschen, die sich das Recht nahmen, wie Götter zu spielen!1
1 Andreas Latzko, Menschen im Krieg [1917] (Zürich: Rascher, 1918), S. 71–72 u. 79. Auf Latzkos Methode, immanente Defizite militaristischer Denk- und Handlungsweisen an Modellfällen zu entlarven, verweist Wilhelm Krull, Politische Prosa des Expressionismus. Rekonstruktion und Kritik (Frankfurt am Main u. Bern: Lang, 1982), S. 127–141, hier S. 129, u. ders., Prosa des Expressionismus (Stuttgart: Metzler, 1984), S. 78–79, und stellt dabei zu Recht die Bildlichkeit der Darstellungen in den Vordergrund. Andrew Barker, Fictions from an Orphan State. Literary Reflections of Austria between Habsburg and Hitler (Rochester, NY: Camden House, 2012), S. 21–33, betont die schonungslose Direktheit, mit der Latzko
12
Einleitung
Leichengeruch stößt ab, zeigt einen potentiell ekelerregenden Sachverhalt an und ruft ab einer gewissen Stärke selbst Ekel hervor. Ekel besteht in einem heftigen inneren Zwang, dasjenige fortzustoßen, dessen sinnlich aufdringliche Nähe als »eine akute Krise der Selbstbehauptung gegen eine unassimilierbare Andersheit« erfahren wird.2 Ekel ist ein starker Affekt, und das Gefühl, sich an der Grenze zum Ekel zu bewegen, macht die drohende Möglichkeit jener Krise deutlich spürbar. Er kann durch Eindrücke unterschiedlicher Sinne ausgelöst werden, doch der Geruchsekel verstört auf eigentümliche Weise. Ekel, der aus dem Schmecken oder Tasten resultiert, läßt sich oft durch Aus- oder Wegstoßen körperlich abwehren, und einem ekelerregenden Anblick kann häufig ausgewichen werden. Gerüche wirken aber – bei allem Abstand von ihrer Quelle – eindringlich hautnah, und sie lassen sich nicht ohne weiteres ausblenden;3 der von ihnen ausgehende oder drohende Ekel ist nicht mit einer simplen und raschen Bewegung abzustellen, sondern wirkt intensiv und hartnäckig. Wer genötigt ist, in penetrantem Leichengeruch auszuharren, erfährt eine besonders intensive Kränkung des Selbstbefindens. Wenn ganze Räume für längere Dauer durch diesen Geruch geprägt sind, können Gefühle der Nähe zum Ekel sich zur belastenden Stimmung verstetigen und in einer bedrückenden ›Atmosphäre‹ Gestalt annehmen. Auch wenn die Grenze zwischen dem bloß Abstoßenden und dem schon Ekelhaften nicht immer leicht zu ziehen ist: Gestank, der mit dem Zerfall körperlichen Gewebes verbunden ist, ruft – zumindest in dem hier interessierenden Zeitraum – Emotionen hervor, die an der Ekelschwelle spielen.4 Im Kontext des Ersten Weltkriegs wird Leichengeruch oft als besondere Herausforderung erfahren. Als emotional intensive und hartnäckige Störung der Fähigkeit zur Selbstbehauptung kann er, wie die eingangs zitierte Passage aus Andreas Latzkos Novellenband Menschen im Krieg [1917] illustriert, an den Grundlagen einer gefaßten Ausübung des Kriegsdienstes zehren; als Zeichen einer vernachlässigten Totenwürde kann er zudem die rituelle Bewältigung des Kriegsgreuel thematisiert; siehe dazu auch ders., ›»Ein Schrei, vor dem kunstrichterliche Einwendungen gern verstummen«. Andreas Latzko: Menschen im Krieg (1917)‹, in: Thomas F. Schneider u. Hans Wagener (Hg.), Von Richthofen bis Remarque: Deutschsprachige Prosa zum I. Weltkrieg (Amsterdam u. New York: Rodopi, 2003), S. 85–96. 2 Winfried Menninghaus, Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung [1999] (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002), S. 7. 3 Zur Stellung des Geruchssinns zwischen Nah- und Fernsinnen siehe Ma˘da˘lina Diaconu, Tasten – Riechen – Schmecken. Eine Ästhetik der anästhesierten Sinne (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005), S. 208. 4 Schon ›leichtere‹ Geruchsbelastungen durch Körperausscheidungen werden regelmäßig als ekelhaft empfunden. Zur eindeutigen Assoziation schlechter Körpergerüche und des Gestanks von Erbrochenem mit »disgust« siehe Sandra T. Weber u. Eva Heuberger, ›Smell and Be Well – Influence of Ambient Odors on Basic Emotions and Affect‹, in: Ma˘da˘lina Diaconu, Eva Heuberger, Ruth Mateus-Berr u. Lukas Marcel Vosicky (Hg.), Senses and the City. An interdisciplinary approach to urban sensescapes (Wien u. Berlin: LIT, 2011), S. 165–188, hier S. 185.
Themen- und Fragestellung
13
Kriegstodes ins Wanken bringen. Bei diesen Störungen handelt es sich um historisch neuartige Probleme: der Zwang zum längeren Ausharren im Leichengeruch resultiert aus neuen Weisen der Kriegsführung im Ersten Weltkrieg, die Empfindlichkeit gegen die schmutzige Seite des Sterbens stieg im Ausgang des 19. Jahrhunderts in Deutschland, England und Frankreich merklich an, und der bürgerliche Gefallenenkult kam erst im Ersten Weltkrieg zur vollen Entfaltung.5 Die Problematik des Leichengeruchs affiziert emotionale Grundlagen des Dienstes im ›Großen Krieg‹, und sie ist daher auch für die Literatur zum Ersten Weltkrieg von Interesse, die nach der ethischen Bedeutsamkeit typischer Kriegserfahrungen fragt. Auch Autoren späterer Generationen thematisieren diese Problematik, doch den weiter unten analysierten Texten aus dem Zeitraum von 1914 bis 1939 ist gemeinsam, daß sie nach zeitgeschichtlich bedeutsamen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs fragen, die zeitgenössische Mentalitäten stark mitprägen oder als lebendige Erinnerung nachwirken. Dieser Band fragt nach den Bedingungen, unter denen Leichengeruch in jenen Texten der deutschen, englischen und französischen Literatur über den Ersten Weltkrieg zum Thema wird. Freilich muß zwischen einer wirklichen Wahrnehmung dieses Geruchs, der zu den potentiell ekelhaften Eindrücken gehört, und Motiven dieses Geruchs in der Literatur unterschieden werden. Anders als bildhafte Motive rufen olfaktorische Motive der Literatur wohl keine entsprechende sinnliche Vorstellung hervor.6 Ob fiktiver Leichengeruch Ekel erregt, hängt von den Weisen seiner Vergegenwärtigung ab, die auch durch überschießende, den Text übersteigende Tendenzen geprägt sind;7 im folgenden können nur adressierte Effekte solcher Motive behandelt werden, die an ihrer Gestaltung bzw. Codierung ablesbar sind. Eine »Motivgeschichte des EkelhaftKörperlichen« ist, wie schon Winfried Menninghaus betont hat, angesichts der 5 Philippe AriHs, Geschichte des Todes [frz. 1978; dt. 1980] (München: dtv, 2009), S. 700–705 u. 726–733. 6 Zum aktuellen Stand der Diskussion über die Möglichkeit »olfaktorischer Vorstellungen« siehe Diaconu, Tasten – Riechen – Schmecken, S. 212. Die antike Denkfigur, das Abstoßende eines Dinges werde in seinem instruktiven oder formal ansprechenden Abbild neutralisiert, läßt sich auf Gerüche, denen keine Vorstellungen entsprechen, wohl nicht übertragen: »[…] von Dingen, die wir in der Wirklichkeit nur ungern erblicken, sehen wir mit Freude möglichst getreue Abbildungen, z. B. Darstellungen von äußerst unansehnlichen Tieren und von Leichen. / Ursache hiervon ist folgendes: Das Lernen bereitet nicht nur den Philosophen größtes Vergnügen, sondern in ähnlicher Weise auch den übrigen Menschen (diese haben freilich nur wenig Anteil daran). Sie freuen sich also deshalb über den Anblick von Bildern, weil sie beim Betrachten etwas lernen und zu erschließen suchen, was ein jedes sei, z. B. daß diese Gestalt den und den darstelle. (Wenn man indes den dargestellten Gegenstand noch nie erblickt hat, dann bereitet das Werk nicht als Nachahmung Vergnügen, sondern wegen der Ausführung oder der Farbe oder einer anderen derartigen Eigenschaft.)« (Aristoteles, Poetik (Stuttgart: Reclam, 1994), S. 11 u. 13) 7 Vgl. dazu auch Menninghaus, S. 221–222.
14
Einleitung
Vielzahl möglicher literarischer Zugänge zu einschlägigen Themen »ungenügend, ja unmöglich«;8 stattdessen fragt dieser Band nach der Funktionsgeschichte eines vielfältig gestalt- und codierbaren Motivs, dessen besonders eindeutiges Ekelpotential spezifische Weisen seiner Verarbeitung bedingt. An der Erfahrung entsprechender Momente, Situationen und Umwelten sind andere Sinne beteiligt, deren Wahrnehmungen bei der Analyse olfaktorischer Eindrücke nicht vernachlässigt werden dürfen; die Geschichte der kulturellen Codierung von Gerüchen verweist aber auf sinnesspezifische Problemlagen, die eine spezielle Studie zur Geruchswahrnehmung rechtfertigen. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, da medizinische Theorien über ansteckende Verwesungsgase ihre Überzeugungskraft weitgehend eingebüßt hatten und Verwesungsgerüche bereits seit gut drei Jahrzehnten auch aus säkularer Sicht als memento mori fungieren konnten, erweiterte sich der kulturelle Spielraum für ethisch gehaltvolle literarische Darstellungen bzw. Codierungen des Leichengeruchs; die selektive Ausrichtung dieser Arbeit auf die Literaturen dreier Sprachräume läßt sich damit rechtfertigen, daß die Forschung zur Problemgeschichte des Geruchssinns im modernen Europa vor allem Deutschland, England und Frankreich berücksichtigt hat. Wie sich zeigen wird, reagiert die deutsche, englische und französische Literatur zwischen 1914 und 1939 zum ersten Mal auf Leichengeruch als eine mögliche Belastung ethischer Einstellungen zum Krieg; mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs faßt die zeitdiagnostisch orientierte Literatur neue Probleme ins Auge, doch das Motiv des Leichengeruchs hat sich als literarisches Mittel säkularer zeithistorischer Diagnosen über denormalisierte Situationen seither behaupten können.9
8 Ebd., S. 195. 9 So sprechen »Jürgen Link und Rolf Parr […] vom August 1914 als einem Ereignis, das ›einen Prozeß irreversibler Denormalisierung‹ ausgelöst habe.« (Thomas F. Schneider u. Hans Wagener, ›Einleitung‹, in: Schneider u. Wagener (Hg.), Von Richthofen bis Remarque, S. 11– 16, hier S. 11). Dieser Prozeß scheint die kulturelle Zirkulation des olfaktorischen Symbols ›Leichengeruch‹ zu begünstigen. Link verwendet den Begriff der Denormalisierung allerdings im Rahmen einer Theorie der symbolischen Konstituierung von Normalität (ein Beispiel für divergente ›Normalitätsklassen‹ beim Umgang mit modrigem Geruch findet sich in Jürgen Link, ›Normalismus: Konturen eines Konzepts‹, in: kultuRRevolution, Nr. 27 (August 1992), S. 50–70, hier S. 68), während die vorliegende Arbeit lediglich einer motivgeschichtlichen Fragestellung nachgeht.
Forschungsstand
2.
15
Forschungsstand
Die kulturhistorisch ausgerichtete Forschung hat den ›Anschlag auf die Sinne‹,10 dem Soldaten und medizinisches Personal im Ersten Weltkrieg ausgesetzt waren, im Zusammenhang mit kriegsspezifischen Lebenswelten, Wahrnehmungen, Problemen, Deutungsmustern und Darstellungsformen bereits untersucht, und sie hat dabei als einen Teilaspekt auch die Gerüche des Krieges berücksichtigt.11 Eine Studie, die der Problematik von Motiven des Leichengeruchs in der Literatur über den Ersten Weltkrieg nachgeht, ist bislang jedoch nicht vorgelegt worden. Die kultur- und literarhistorisch orientierte Forschung zum Bedeutungswandel des ›Todesgeruchs‹ hat diese Problematik vernachlässigt, weil sie sich vor allem auf die fortschreitende Desodorierung sozialer Räume seit Mitte des 18. Jahrhunderts konzentriert. Im Interesse an Aufklärung über die mit diesem Prozeß verbundenen Disziplinierungseffekte, die mit Verlusten von Spielräumen sinnlicher Erfahrungen einhergehen,12 hat sie jenen Geruch als Störung langfristig sinkender Ekelgrenzen analysiert, die beseitigt, stigmatisiert oder verdrängt wurde. Hans J. Rindisbacher hat gezeigt, daß sich dieser Prozeß auch auf die Geschichte literarischer Zugänge zum ›Todesgeruch‹ ausgewirkt hat; seine Übersicht olfaktorischer Wahrnehmungen in der Literatur seit dem 10 Modris Eksteins, Rites of Spring. The Great War and the Birth of the Modern Age (London u. a.: Bantam, 1989), S. 146, spricht vom totalen »assault on the senses«; zum Leichengeruch siehe ebd., S. 151–153, 220 u. 226. 11 Das Problem der sinnlichen Nähe zu Kriegsleichen im Ersten Weltkrieg ist eingehend behandelt worden; zur symbolischen Codierung der sichtbaren Kriegsleiche vgl. Christoph Rass u. Jens Lohmeier, ›Der Körper des toten Soldaten: Aneignungsprozesse zwischen Verdrängung und Inszenierung‹, in: Dominik Groß u. Jasmin Grande (Hg.), Objekt Leiche. Technisierung, Ökonomisierung und Inszenierung toter Körper (Frankfurt am Main u. New York: Campus, 2010), S. 271–333. Der dabei eher am Rande erwähnte Geruch von Leichen wird im Kontext der Belastung von Ichgrenzen behandelt und als Zeichen einer gestörten Bestattungspraxis angesprochen. Störungen der Abgrenzung des Ichs durch die Nähe zur Leiche behandelt Trudi Tate, Modernism, history and the First World War (Manchester u. New York: Manchester University Press, 1998), S. 68–69. Strategien des nachholenden rituellen Einbezugs verstörender Kriegsleichen in symbolische Ordnungen stellt Jay Winter, Sites of Memory, Sites of Mourning. The Great War in European Cultural History [1995] (Cambridge: Cambridge University Press, 2014) dar ; siehe insb. S. 36, 172 u. 225–227. Zu vereinzelten Beispielen für die poetische Codierung des Leichengeruchs siehe Eksteins, S. 316 u. Winter, S. 191, 207 u. 209. Die demoralisierende Wirkung des Gestanks von Leichen betont David Trotter, ›The British novel and the war‹, in: Vincent Sherry (Hg.), The Cambridge Companion to the Literature of the First World War (Cambridge: Cambridge University Press, 2005), S. 34–56, hier S. 39. Zur synästhetischen Verknüpfung olfaktorischer Eindrücke vom Grabenkrieg mit dem Tastsinn siehe Santanu Das, Touch and Intimacy in First World War Literature (Cambridge: Cambridge University Press, 2005), S. 84. 12 Alain Corbin, Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs [frz. 1982] (Wagenbach: Berlin, 1984), S. 279–304. Vgl. auch Herbert Marcuse, Eros and Civilisation [1955] (London: Abacus, 1973), S. 44.
16
Einleitung
19. Jahrhundert interessiert sich vor allem für jene Motive des Leichengeruchs, die als Anzeichen einer verdeckten Problematik verwendet werden.13 Eine solche Rhetorik der Entlarvung bildet das kritische Pendant zu einer Kultur, die sich Illusionen über Reinheit hingibt. Dieser Befund trifft auch auf Texte über Leichengeruch in der reodorierten Wirklichkeit nationalsozialistischer Vernichtungslager zu, der häufig als Zeichen einer Macht dargestellt wird, die ihre genozidale Praxis verdeckt und entsprechende Gefälle von ›Normalität‹ okkasionell verdrängt; der Gestank wird – bei aller manifesten Gewalt – zum Index einer verdeckten Gefahr (bzw. Schuld), die es zu erschließen (bzw. auszublenden) gilt.14 Selbst wenn die Herkunft des Geruchs brennender Leichen im Lager offenkundig ist, verrät er eine weitgehend abgeschirmte Praxis der Vernichtung: »In front of us, those flames. In the air, the smell of burning flesh. It must have been around midnight. We had arrived. In Birkenau.«15 Die Gegenwartskunst greift ›Todesgeruch‹ ebenfalls als decouvrierendes Zeichen im Kontext von Problemen der Desodorierung und Verkennung auf. Die Verdrängung der oft ohne Angehörige verstorbenen Mitmenschen aus dem Alltagsbewußtsein hat die mexikanische Künstlerin Teresa Margolles dazu veranlaßt, deren Geruch mit technischen Mitteln in den Horizont der Erfahrung zurückzuholen: ihre Kunstaktion Vaporizacijn [2002] setzte die Besucher des Museums bzw. der Galerie einer nebeligen Atmosphäre aus versprühtem Leichenwaschwasser aus.16 Darstellungen der Wahrnehmung von Leichengeruch in der Literatur zum Ersten Weltkrieg kommen dem Interesse an Geruchszeichen, die Verborgenes andeuten, indessen kaum entgegen:17 die Herkunft des an der Front offenkundigen Geruchs ist – abgesehen vom ersten Eindruck – geheimnislos. Auch wenn der Geruch öffentlich beschwiegen und im Rückblick zum Teil verdrängt wird: seine literarische ›Entlarvung‹ gibt – wenigstens aus profaner 13 Hans J. Rindisbacher, The Smell of Books. A Cultural-Historical Study of Olfactory Perception in Literature (Ann Arbor, MI: University of Michigan Press, 1992), S. 133, 136, 200 u. 239– 281. 14 Rindisbachers grundlegende Studie klammert die Texte über den Ersten Weltkrieg aus; er merkt zwar an, daß ein Überblick über die Geschichte des ›Todesgeruchs‹ in der europäischen Literatur auch Autoren wie Ernst Jünger zu berücksichtigen hätte, doch im Rahmen seiner breiter angelegten historischen Skizze kann er diesem Thema nicht weiter nachgehen (siehe ebd., S. 201, Fn. 94, u. 239–267). Zum Ekel als intuitivem Erkenntnismittel in Friedrich Nietzsches Hermeneutik des Verdachts gegen die Maßgeblichkeit der Alltagsbelange siehe Menninghaus, S. 248–249. 15 Elie Wiesel, Night [frz. 1958] (New York: Hill and Wang, 2006), S. 28. 16 Siehe Diaconu, Tasten – Riechen – Schmecken, S. 267–268. 17 Anders verhält es sich bei der olfaktorischen Kommunikation: um gegen eine desodorierte Erinnerungskultur anzuarbeiten, hatte die Duftdesignerin Sissel Tolaas 2011 im Auftrag des Militärhistorischen Museums Dresden die Gerüche des Ersten Weltkriegs nachkonstruiert und dabei auch Leichengeruch berücksichtigt (siehe Wolfgang W. Merkel, ›Die Frau, die den Duft von Berlin erkundet‹, in: Berliner Morgenpost, 12. August 2013).
Methodischer Ansatz
17
Sicht – keine Rätsel auf, sondern spricht von den Folgen eines vielleicht verzerrten, aber unverborgenen Sterbens.
3.
Methodischer Ansatz
Ob Motive des Leichengeruchs in der Literatur über den Ersten Weltkrieg auftauchen, hängt teils davon ab, ob die Voraussetzungen für solche Eindrücke überhaupt bestanden. Wer realistisch gesinnt vom Kriegsdienst bei Frostwetter oder einer Kriegsführung erzählt, die es erlaubt, die Toten zu bestatten oder rasch in bislang unumkämpftes Gelände vorzustoßen, mag für solche Motive keine Verwendung finden. In den weiter unten behandelten Texten liegt der Einsatz solcher Motive aber – von zwei Ausnahmen abgesehen18 – im Ermessensspielraum der Autoren. Auswahl, Gestaltung und Codierung der Motive hängen vor allem davon ab, ob deren Wirkungen, die nahe, auf oder jenseits der Ekelschwelle spielen, zu den emotionalen Effekten passen, die mit den Texten an die Leser adressiert werden sollen. Daher sei zunächst nach den typischen Emotionen gefragt, die mit der Gattung der Kriegserzählung verbunden sind. Für die Zwecke dieser Arbeit empfiehlt es sich, die ethische ›Gestimmtheit‹ der Texte in den Vordergrund zu stellen; den einzelnen Spielarten dieser Gestimmtheit lassen sich, wie zu zeigen ist, typische Weisen der Verarbeitung von Problemen des Geruchsekels zuordnen.
3.1
Prosa zum Ersten Weltkrieg: emotionale Perspektiven
Burkhard Meyer-Sickendiek ist der Geschichte der prägenden Wirkung von Emotionen auf spezifische literarische Gattungen nachgegangen; das Kriegsepos, zu dem er Homers antikes Versepos Ilias [8. Jh v. Chr.], einen modernen Roman wie Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues [1929] und Filme wie Apocalypse Now [1979] und Pearl Harbor [2001] rechnet, bringt er mit dem – als historisch wandelbar begriffenen – Affekt des Zorns in Verbindung.19 Eine Gattung wird durch spezifische Emotionen geprägt, wenn sie einem ›Kernthema‹ gewidmet ist, das mit Blick auf ein ›Schlüsselszenario‹ ausgelotet wird, welches im Lichte typischer Emotionen wahrgenommen wird.20 Meyer-Sicken18 Siehe Kap. II. 1.1) u. 3.1). 19 Burkhard Meyer-Sickendiek, ›Einleitung: Was heißt Affektpoetik?‹, in: ders., Affektpoetik. Eine Kulturgeschichte literarischer Emotionen (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005), S. 9–75, hier S. 12; zum Zusammenhang von »Zorn« bzw. »Ärger« mit Kampf, Angriff und Feindschaft siehe ebd., S. 32. 20 Ebd., S. 45–58.
18
Einleitung
diek unterscheidet zwischen Affekten, Gefühlen und Stimmungen: Affekte sind eher kurz und heftig und schließen einen starken, potentiell überwältigenden Antrieb zum Handeln ein; Gefühle nehmen einen Sachverhalt im Lichte emotionaler Wertungen wahr und können als Gründe möglicher Handlungen dienen; und Stimmungen sind eigensinnige innere Zustände im Hintergrund konkreter Situationsbezüge. Stimmungen sind auf übersituative Verhaltensspielräume bezogen, deren Bewertung bei flüchtiger Stimmung jedoch auch umkippen kann; eine Stimmung, die den Besonderheiten einer Umwelt entspricht, kann in einer räumlichen ›Atmosphäre‹ Gestalt annehmen.21 Der Ansatz, das Kriegsepos mit dem ›Kernthema‹ der Verletzung legitimer Ansprüche durch verwerflichen Machtgebrauch, dem ›Schlüsselszenario‹ des bewaffneten Angriffs auf gewaltbereite Feinde und dem dafür typischen Affekt des Zorns zu verknüpfen, paßt gewiß auf die Ilias. Die Krieger beider Seiten kämpfen zornig gegen Feinde, durch die sie sich in ihrer Ehre verletzt sehen, und dieser emotionale Aspekt leitet auch den Umgang mit den Kriegstoten, geht es doch darum, eigene Gefallene ehrenvoll zu bestatten und Ehrlose den Tieren zum Fraß vorzuwerfen. Anzeichen der Verwesung werden eher mit Scheu betrachtet: von Leichen, die Hunden oder Vögeln zum Fraß werden, ist zwar des öfteren die Rede, aber deren Moder wird nur selten angesprochen (4. 237; 11. 395),22 und Angehörige sind vor allem besorgt, daß verwesende Tote nicht sichtbar entstellt sind (19. 26–27; 24. 414). Gegenüber der Welt der Toten sind auch ›repulsive‹ Affekte angemessen: der Anblick der Unterwelt ist »selbst den Göttern ein Abscheu« (20. 65). Doch selbst wenn nach der Schlacht nicht jeder Tote mehr erkennbar ist (7. 424) und manche Leichen des Feindes geschändet werden: den kampferprobten Beteiligten erscheint der Krieg gerade nicht als irdische Entsprechung der Unterwelt. Bestattungsrituale bleiben – den Umständen entsprechend – weitgehend intakt: um die Toten »traurigen Herzens« (7. 428 u. 431) im Feuer zu bestatten oder Asche und Knochen eines edlen Kriegers in einem Urnengrab beisetzen zu können (24. 657–658), werden Kampfhandlungen bisweilen ausgesetzt. Im Streit um Patroklos’ Leiche wird die Ermöglichung bzw. Vereitelung seiner ehrenhaften Beisetzung sogar zum Zweck des Kampfes. Zornige Behauptung der verletzten Ehre im Namen eines Ethos, das den trainierten Männerkörper feiert, religiöse und soziale Pflichten gegenüber den Toten anerkennt und sich der Vergänglichkeit des bereits toten Körpers nicht eingehend zuwendet: mit Blick auf diesen Komplex von Affekten und sozialen bzw. religiösen Werten läßt sich auch der Zugang zur Kriegsleiche
21 Ebd., S. 28–31. 22 Zit. n. Eduard Stemplinger (Hg.), Homers Werke in zwei Teilen (Berlin u. a.: Bong, o. J.), Erster Teil: Ilias, unter Angabe des Gesangs und der Verszeile im laufenden Text.
Methodischer Ansatz
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erhellen.23 Auf die weiter unten behandelten Erzählungen zum Ersten Weltkrieg paßt ein Ansatz, der den Zorn in den Vordergrund stellt, aber nur mit Einschränkung. Zum einen schließen sie auch Texte über Erfahrungen von medizinischem Personal ein, die das Schlüsselszenario des Kriegsepos bestenfalls im übertragenen Sinne (als Kampf gegen den drohenden Tod) ausloten, und zum anderen ist der Alltag der Kombattanten des Ersten Weltkriegs eher gelegentlich von Zorn geprägt,24 ohne von ihm dominiert zu werden. Meyer-Sickendieks Randbemerkung zur Affektpoetik des Kriegsepos berührt wichtige Aspekte einzelner Erzählungen zum Ersten Weltkrieg, doch das ›Kernthema‹ der modernen Kriegserzählung verdankt sich einer anderen Problematik, deren emotionale Bedeutung von andersartigen ethischen Gestimmtheiten der Beteiligten abhängt. Gewiß, die Prosa zum Ersten Weltkrieg handelt von Versuchen und Folgen der militärischen (oder medizinischen) Abwehr lebensbedrohlicher Gefahren im Kriegsdienst, die sich teils in Schlüsselszenarien der Selbstbehauptung durch Angriffe (oder rettende Eingriffe) niederschlagen. Die Stimmungen, von denen die Erzählungen über den Ersten Weltkrieg geprägt sind, verweisen aber auf einen Dienst, in dem Schlachten und andere außerordentliche Aktionen nur Höhepunkte eines oft monotonen Alltags darstellen, in dem Fremdbestimmung und Enttabuisierung auf eigentümliche Weise verschränkt sind. Für führende Krieger der Antike, die in Schlachten zornentbrannt ihre Ehre behaupten, ist die Ausübung militärischer Gewalt selbstverständlicher Bestandteil ihrer Lebensform. Für die Frontkämpfer in Heeren Anfang des 20. Jahrhunderts stellt sich die Lage anders dar : der dienstliche Zwang zum Gehorsam setzt das ethische Empfinden friedensspezifischer Lebensformen teils außer Kraft, während die Wahrnehmung von Gewalt und ihren Folgen mit Gefühlen einer ethischen Grenzüberschreitung einhergeht.25 Das ›Kernthema‹ jener Erzählungen besteht in ethisch bedeutsamen Anpassungen der Lebensform an den Kriegsdienst, und der besondere emotionale Gehalt entsprechender Szenarien hängt von den ethischen ›Schlüsselfragen‹ der Darstellungsperspektive ab. Wer die Kriegspraxis als Fortsetzung eines friedensspezifischen Ethos mit veränderten Mitteln betrachtet und fragt, wie sich das eigene Wollen am besten harmonisch auf die Anforderungen des Kriegslebens abstimmen läßt, betont kränkungsfreie Sozialkontakte unter Kameraden und eine ›anständige‹ Haltung zum Feind. Wer versucht, das Leben im Krieg möglichst unbeschadet zu ge23 Zu den kulturellen Grundlagen dieser Haltungen siehe Klaus Freitag, ›Zwischen religiösen Tabus, ökonomischen Rahmenbedingungen und politischer Instrumentalisierung: Das schwierige Verhältnis der Griechen zum toten Körper‹, in: Groß u. Grande (Hg.), Objekt Leiche, S. 39–77, hier S. 70–72. 24 Siehe dazu Kap. II. 6.1). 25 Das gilt auch für Angehörige militärischer Führungsschichten, die diesen Wandel begrüßen.
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Einleitung
nießen, stellt den belastenden Zumutungen des Krieges die glücklichen Momente sinnlicher Lebensfreude gegenüber. Wer fragt, wie das Überleben durch reibungsloses Funktionieren des Einzelnen trotz intensiver Belastung in Ausnahmesituationen gesichert werden kann, stellt die Sachlichkeit des diszipliniert agierenden Soldaten in den Vordergrund. Wer das Tötungsgebot als moralisches Skandalon empfindet, nimmt das Kriegsleben als inhumanen Zwang wahr. Wer den Krieg als beständige Gefährdung eines möglichen guten Lebens in Frieden wahrnimmt, ist für Kontraste von Lebensbejahung und -zerstörung im Kriegsdienst empfindlich. Und wer den Kriegsdienst als eine teils abstoßende Notwendigkeit erlebt, fragt auch nach dem verdeckten Sinn des Widerwärtigen. Diese Reihe von Aspekten erfaßt die möglichen darstellungsleitenden Fragen von Erzählungen zum Ersten Weltkrieg weder vollständig noch systematisch; sie umreißt lediglich die dominanten Blickwinkel der weiter unten behandelten Texte, die – ohne Anspruch auf Repräsentativität – ausgewählt wurden, um die Suche nach Beispielen für Motive des Leichengeruchs auf eine möglichst breite Vielfalt kanonischer und vergessener Erzählungen zu stützen. Diese Grundhaltungen zur ethischen Diskrepanz zwischen friedens- und kriegsspezifischen Lebensformen entscheiden über die Arten der Stimmung, die in der Literatur über Kriegsdienste vorherrscht; wie sich zeigen wird, sind diese Stimmungen oft kriegsgläubig, schelmisch, sachlich, entrüstet, alarmiert oder apotropäisch26 gefärbt. Die Kriegserzählungen bilden – im Unterschied zu den Kriegsepen, in denen der Affekt des Zorns vorherrscht – keine affektpoetisch homogene Gattung. Sie lassen sich je nach Grundhaltung zum Kriegsdienst besonderen Typen der ethischen Gestimmtheit zuordnen, deren emotionale Ausprägung auch intern erheblich variieren kann. Mit der Verlagerung des methodischen Akzents von den ›Schlüsselszenarien‹ einer affektpoetisch begründeten Gattung auf die ›Schlüsselfragen‹ einer problemgeschichtlich definierten, vielfältig ›gestimmten‹ Gattung soll das Verdienst von Meyer-Sickendiecks Ansatz nicht geschmälert werden; bei der Analyse rhetorischer Verwendungen affektiv wirksamer Geruchsmotive hilft er aber nur bedingt weiter. Überdies sind jene ›Schlüsselfragen‹ teils auch in Gedichten und Dramen wirksam; dieser Band konzentriert sich nur deshalb auf die Erzählprosa, weil Geruchslandschaften mit Kriegsleichen dort tendenziell auf komplexere Weise dargestellt werden als in anderen Gattungen.
26 Apotropäisch sind Handlungen, die Unheil mit Symbolen abzuwehren suchen; in der Literatur zum Ersten Weltkrieg geht es dabei allerdings meist nicht um magische Riten, sondern um eine sprachliche Umdeutung von Anzeichen des Unheils in Symbole eines Sinns, der das Leiden an aktuellen Belastungen entschärft.
Methodischer Ansatz
3.2
21
Leichengeruch und ethisch ›gestimmte‹ Geruchslandschaften
An der Evokation ethisch bedeutsamer Stimmungen in der Prosa zum Ersten Weltkrieg sind olfaktorische Motive beteiligt, die besondere literarische Geruchslandschaften hervorbringen; ob und in welchen Spielarten auch Motive des Leichengeruchs in solche smellscapes passen, hängt mit deren ethischen Gehalten eng zusammen. Mit Blick auf Motive des Leichengeruchs empfiehlt es sich in der Regel, eher von Geruchslandschaften als von ›Atmosphären‹ zu sprechen,27 denn nur selten prägt jener Geruch ganze ›Stimmungsräume‹ von Akteuren; meist handelt es sich um eine Eigenschaft, die nur für besondere Orte des ›Handlungsraumes‹ oder einzelne Situationen typisch ist und eher lokale Gefühle oder momentane Affekte hervorruft.28 Oft unterstreichen Geruchsmotive die Gestimmtheit des Textes nur ; in Fällen, in denen solche Motive den ›Stimmungsraum‹ prägen, ist die Rede von ›Atmosphären‹ allerdings legitim. In der Ilias gestalten olfaktorische Motive noch keine Geruchslandschaft; Gerüche werden als besondere Erkennungszeichen eingesetzt. Als Hephaistos den Achilleus vor den aufwallenden Fluten des Flusses Xanthos schützt, indem er sie mit Gluthitze zum Verdunsten bringt, gehen auch tote Trojer im Feld und Pflanzen am Ufer in Flammen auf, doch der Geruch brennender Leichen wird nicht erwähnt, »duftender Galgant« (21. 351) dagegen wohl. Schlechte Gerüche werden auch nicht angesprochen, als Aias beim Wettlauf gegen Odysseus mit Nase und Mund in Unrat und ›Kot‹ geschlachteter Stiere fällt, was die Mitstreiter heiter zur Kenntnis nehmen (23. 777, 781 u. 784). Düfte werden benannt, wo es um Opfer, Altäre, Götter, reizvolle Göttinnen und Ambrosisches oder – seltener – um Kammern mit kostbaren Kleidern oder den Busen einer Sterblichen geht (1. 317; 3. 382 u. 385; 6. 288 u. 483; 8. 48 u. 549–550; 14. 172, 174, 176 u. 288; 15. 153; 23. 148 u. 187; 24. 70 u. 191). Geruch kennzeichnet die Macht des Heiligen und des Erotischen, die als einander ergänzende Seiten eines zugleich ehrwürdigen und sinnlich erfüllten Lebens gelten. Schlachtgestank verdient aus der Sicht entsprechender Werte keine Erwähnung, so sehr die Krieger auch schwitzen (10. 572), mit blutiger Beute hantieren (10. 570), Staub und Blut an sich tragen (23. 41) und mit Hufen angespannter Pferde und Rädern ihrer Wagen die Leichen am Boden zermalmen (11. 535–537; 20. 394). Der Geruchsekel vor modernden Leichen ist hingegen kein Thema, da er – im Unterschied zur ekel27 Zur terminologischen Unterscheidung von ›Geruchslandschaft‹ und olfaktorischer ›Atmosphäre‹ siehe Ma˘da˘lina Diaconu, ›Mapping Urban Smellscapes‹, in: dies., Heuberger, Mateus-Berr u. Vosicky (Hg.), Senses and the City, S. 223–238, hier S. 227–229. Der Begriff der ›Atmosphäre‹ knüpft an Hubert Tellenbach an; siehe dazu Diaconu, Tasten – Riechen – Schmecken, S. 200–202. 28 Zu diesen und weiteren Differenzierungen des ›gelebten Raumes‹ siehe Bernhard Waldenfels, In den Netzen der Lebenswelt (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985), S. 195–198.
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haften Verwundung bzw. Zerstückelung von Feinden und zur Schleifung ihrer Leichen – bloßen Abscheu erregen würde, ohne die Lebenspraxis zu erhellen oder Zorn zu befriedigen. In der Literatur zum Ersten Weltkrieg wird der Geruch jedoch häufig in seiner dreifachen Funktion als Index seiner Quelle, Auslöser innerer Zustände und ethisch bedeutsamer Eindruck genutzt, um die Leser auf Umstände einzustimmen, deren Bedeutsamkeit gleichsam in der Luft zu liegen scheint und nun kritisch oder zustimmend in Szene gesetzt wird. Der Leichengeruch als abstoßende Erfahrung an der Schwelle zum Ekel kann, wie bereits erwähnt, körperlich und emotional besonders eindringliche und hartnäckige Dissonanzen auslösen,29 die im Ersten Weltkrieg an ethische Grundhaltungen zum Dienst und zum Tod im Krieg rühren30 – und nur unter bestimmten Voraussetzungen in eine literarische Geruchslandschaft passen: (i) Zu kriegsgläubigen Stimmungen, in denen eine harmonische Einheit von Wollen und Sollen gefeiert wird, paßt der Ekel nicht;31 sie erlauben nur Abstoßendes, das ungekränkt ertragen oder souverän auf Abstand gehalten werden kann. Der Zwang zum Ausharren in einer Geruchslandschaft der Verwesung darf hier nicht direkt angesprochen werden; bevorzugt werden Motive heimatlicher Gerüche, die eine Kontinuität zwischen Frieden und Krieg suggerieren, während der verkraftbare Gestank des Kriegslebens einem unterlegenen Anderen zugeschrieben wird. (ii) Schelmische Stimmungen rechnen mit einer Fremdbestimmung, die listig unterlaufen werden muß; der Ekel der Anderen wird ebensowenig zum Problem wie der eigene Ekel, der sich durch Lachen verwinden läßt. Unausweichlicher Leichengestank ist – im Unterschied zu den eher flüchtigen Fäkalgerüchen32 – aber körperlich so abstoßend, daß auch dem Schelm das Lachen im Halse stecken bliebe. In Schelmenromanen werden Quellen jenes Gestanks zwar nicht verschwiegen, doch seine olfaktorische Wirkung auf
29 Die Funktionen des Geruchs als Gefahrenzeichen und als Auslöser intensiver Emotionen, die – vermittelt durch das Langzeitgedächtnis für Gerüche – in starke handlungsleitende Wertungen münden, zählen in der Geruchsforschung zu den zentralen Funktionen dieses Sinns; siehe Matthias Laska, ›The Human Sense of Smell – Our Noses are Much Better than We Think!‹, in: Diaconu, Heuberger, Mateus-Berr u. Vosicky (Hg.), Senses and the City, S. 145– 153, hier S. 145–147. 30 Im öffentlichen Gedenken nach 1918 treten diese Aspekte teils auseinander. Zu einer Gedenkform, die den modernen Kriegstod als entwürdigend betrachtet und die Kameradschaft der Frontsoldaten heiligt, siehe Thomas Kühne, Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006), S. 27–29. 31 Eine kriegsgläubige Stimmung, die disharmonische Gefühle bejaht, kann – wie in Kap. III. 1. zu zeigen ist – auch Darstellungen von Leichengeruch verkraften. 32 Zur Verbindung von Heiterkeit und Fäkalmotiven siehe Meyer-Sickendiek, S. 73.
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den Protagonisten wird zugunsten seiner leichtfüßig-verkappten Selbstbehauptung eigentümlich heruntergespielt. (iii) In einer sachlich gestimmten Atmosphäre stört weder das Zwanghafte noch das Abstoßende des Ekels; zum Problem wird die mit ihm verbundene Selbstbehauptungskrise, der mit einer erhöhten Toleranz für oder einer reduzierten Empfindlichkeit gegen die Nähe irritierender Eindrücke begegnet wird. Dabei handelt es sich nicht um den Abbau von Schamgrenzen zugunsten perverser Genüsse,33 sondern um eine Reduzierung negativer Affekte. (iv) In einer Stimmung, die durch moralische Entrüstung über das erlaubte Töten geprägt ist, wird ekelhafter Leichengestank hingegen zum geeigneten Mittel der emotionalen Verständigung: der Geruch zeigt einen unbestatteten Toten an, dem der Status als Symbol einer sozial anerkannten, mithin menschenwürdig beigesetzten Person vorenthalten wurde, und verweist auf ein Stadium körperlicher Deformation, das eine solche Symbolik nicht mehr erlaubt.34 Als Index und Symbol des entwürdigenden Umgangs mit dem menschlichen Leib unterstreicht der Leichengeruch das Skandalon des Krieges in einer abscheuerregenden Weise, die dem Gegenstand ethisch angemessen scheint. (v) Häufig wird Leichengeruch als Auslöser von Gefühlen der Alarmierung zum Thema; als abstoßendes Zeichen der Todesgefahr gemahnt er an die Gefährdung eines lebenswerten Lebens durch den Krieg. Diese Gefühle sind unabhängig davon, ob der Kriegsdienst gemieden oder willig bzw. unwillig verrichtet wird, und so passen sie zu einer Vielzahl ethischer Einstellungen und Geruchslandschaften; gemeinsam ist den Texten, in denen jene Gefühle dominieren, aber die vitale Gestimmtheit, zu einem sinnlich erfüllten Leben, das mit entsprechenden Wohlgerüchen beschworen wird, betont ›Ja‹ zu sagen. (vi) Ähnlich vielfältig sind Texte, die apotropäische Neigungen thematisieren: dem erzwungenen Ausharren in abstoßenden oder ekelhaften smellscapes der Verwesung wird ein verborgener Sinn zugeordnet, der das Unheil, auf das der bloße Eindruck verweist, abwehrt oder lindert. Der Leichengestank wird zum Zeichen eines Sinns stilisiert, der dem Abscheu, den er auslöst, die Spitze nimmt. Bei allen Unterschieden in der ethischen Ausrichtung geben diese Texte einer gefaßten, zur Aufopferung bereiten Stimmung Ausdruck, die in Momenten einer außergewöhnlichen Verstörung apotropäisch eingefärbt ist. 33 Siehe dazu ebd., S. 23–28. 34 Zum Zusammenhang von »Defiguration« und »Desymbolisierung« der verwesenden Leiche siehe auch Menninghaus, S. 473–474.
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Einleitung
Diese Gestimmtheiten entscheiden nicht nur über Auswahl, Gestaltung und Codierung von Motiven des Leichengeruchs; sie regeln auch, auf welchen Arten von Emotionen der Schwerpunkt der Darstellung liegt. Aus dieser Sicht erhellen die Befunde zur Signifikanz jener Geruchsmotive zugleich Aspekte umfassenderer Strategien emotionaler Verständigung. Um Zusammenhänge der Gestimmtheiten mit thematischen Emotionen zu skizzieren, sei auf die affekttypologischen Begriffe zurückgegriffen, die Meyer-Sickendiek bemüht, wenn er Lyrik, Drama und Prosa aus ›affektpoetischer‹ Sicht unterscheidet.35 Die moderne Prosa, die von offenen Spielräumen der Erfahrung in einer kontingenten Welt handelt, ist laut Meyer-Sickendiek mit ›expektatorischen‹ Gefühlen befaßt, die auf eine ungewisse Zukunft in einem narrativ entfalteten Zusammenhang bezogen sind. Die Lyrik ist dagegen eher mit ›plenischen‹ Emotionen beschäftigt, die sich auf ein Szenario beziehen, das bereits abgeschlossen ist. Dramen sind indessen auf ›interaktive‹ Emotionen spezialisiert, die sich mit der Übernahme sozialer Rollen einstellen. Die ›repulsiven‹ Affekte, die auf die Abwehr ihres Anlasses zielen, sind dagegen in einzelnen Untergattungen zu finden, in denen Techniken der ästhetischen Deformation vorherrschen. In all diesen Fällen handelt es sich freilich um die dominanten und gattungsprägenden Emotionen, die aus einer komplexeren Vielfalt emotionaler Belange, Themen und Effekte herausragen. Die vorliegende Arbeit, die nach ethisch gehaltvollen Stimmungen fragt, die über Spielräume für den Einsatz eines einzelnen Motivs mit repulsiver Wirkung entscheiden, stellt andere emotionale Aspekte in den Vordergrund. Die Unterscheidung expektatorischer, plenischer, interaktiver und repulsiver Emotionen greift aber bei den zentralen Gefühlen, die mit den ethischen Haltungen verbunden sind. Kriegsgläubig harmonisierende Texte betonen plenische Gefühle der bereichernden Pflichterfüllung, schelmische Texte heben den beständigen Wechsel plenischer, repulsiver und expektatorischer Gefühle hervor, sachliche Texte stellen interaktive Gefühle des abgeklärten Funktionierens und scharfsinnigen Aufmerkens in den Vordergrund, entrüstete Texte unterstreichen repulsive moralische Gefühle, alarmierte Texte arbeiten den Kontrast plenischer und repulsiver Emotionen über sinnliche Eindrücke heraus, und apotropäisch gestimmte Texte binden repulsive Affekte in plenische, interaktive oder expektatorische Gefühle ein. Diese Effekte sind allerdings nicht an bestimmte Gattungen gebunden, sondern kennzeichnen ein heterogenes Bündel wichtiger Strategien emotionaler Verständigung, die an der Gestaltung literarischer smellscapes maßgebend beteiligt sind.
35 Meyer-Sickendiek, S. 58.
Perspektiven literarhistorischer Ekel- und Geruchsforschung
4.
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Perspektiven literarhistorischer Ekel- und Geruchsforschung
Bei den skizzierten Ein- und Ausschlüssen, Gestaltungen und Codierungen von Leichengeruchsmotiven handelt es sich mithin um Operationen im Dienste emotional wirksamer Weisen der Verständigung über die ethische Bedeutsamkeit des Kriegsdienstes; die Techniken, die diese »Prozessierung des Ekelhaften«36 kennzeichen, sind aber derart verschieden, daß sie sich nur additiv auffächern lassen, und da die hier berücksichtigten Texte nur einen nicht-repräsentativen, heuristisch relevanten Ausschnitt der Literatur zum Ersten Weltkrieg erfassen, wäre es auch verfrüht, nach einer Typologie der Techniken zu fragen.37 Das Fazit, das aus diesem heterogenen Befund gezogen werden kann, betrifft die Methoden und Ansätze, mit deren Hilfe sich die Geschichte literarischer Prozessierungen des Ekelhaften schreiben ließe. Dieses Projekt ist, wie Menninghaus zu Recht feststellt, mit einer Überfülle beliebig anmutender Beispiele für eine überschaubare Anzahl ästhetischer Grundhaltungen zum Ekelhaften konfrontiert. Bei der Suche nach historischen Regelhaftigkeiten müßte vielmehr mikrologisch verfahren werden: im Schnittpunkt der Problemgeschichte einzelner Themen (wie der Verwesung unbestatteter Kriegsleichen), Textsorten (wie der zeitdiagnostischen Prosa zum Ersten Weltkrieg) und ihrer Gestimmtheit (hier im Bezug auf Übergänge von der Friedenspraxis zum Kriegsdienst) öffnen sich spezifische Spielräume der Wahl, Gestaltung und Codierung einzelner Motive mit Ekelpotential (wie des Leichengeruchs). Dieses Modell paßt auch auf Texte, die einzelnen Spielarten des Ekelhaften aus ästhetisch gestimmter Sicht im Zusammenhang spezifischer Problembezüge (wie der transgressiven Lust an der Zerstörung des Schlechten), Textsorten (wie dem avantgardistischen Manifest) und Motive (wie des Fäulnisgeruchs) nachgehen;38 im folgenden geht es jedoch um eine Reihe ethisch 36 Menninghaus, S. 21. 37 Oskar Kokoschka fiel im Ersten Weltkrieg nach einem Kopfschuß in Ohnmacht, wurde vom Gestank der herausgequollenen Gedärme eines Russen wieder zu Bewußtsein gebracht und mußte erleben, wie ein russischer Soldat versuchte, ihn kurz nach dem Erwachen mit einem Bajonettstich in die Brust zu töten (Oskar Kokoschka, Mein Leben [1971] (Wien: metroverlag, 2007), S. 151–154, hier S. 152). In dieser Situation unterstreicht der Gestank des wohl bereits toten Russen eine völlig passiv erlittene, schmerzhafte Lebensbedrohung; anschließend fällt Kokoschka der auf eine erotische Situation verweisende Geruch von Mimosenpollen ein, aber dem unter (v) skizzierten Muster fügt sich die Erzählung allenfalls punktuell. Ob Kokoschkas Ansatz auf Tendenzen verweist, die eher für die nach 1939 erschienene Literatur typisch sind, wäre erst noch zu klären. 38 So stellt der Dadaist Raoul Hausmann der »faulende[n] Pest« der moralisierenden Kunst die »Heiligkeit des Sinnlosen« gegenüber ; die Psychoanalyse mindere die Formen der Kunst aber nur »auf ein Niveau des Mittelstandes, der übelriechenden Lauheiten des in sich beständig gelatineartigen Zitterns des Sumpfes« herab. »Diese schleimblasentreibenden Tröpfe einer ekelhaften Verwandlungsfähigkeit«, die sich am Eigensinn alles Einzigartigen verge-
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Einleitung
motivierter Verarbeitungen des Ekelhaften durch Ausschluß, Neutralisierung oder Semantisierung. Die mikrologische Ausrichtung solcher Studien braucht nicht zu einer Atomisierung ihres Gegenstandsbereichs zu führen; ihre Befunde ließen sich, wie in Kap. III zu zeigen ist, mit Blick auf die literarische Funktionsgeschichte besonderer Motivtypen zusammenführen; so hat sich die Verwendung von ethisch codierten Motiven des Leichengeruchs zum Zwecke der säkularen zeitgeschichtlichen (oder historischen) Diagnose über eine denormalisierte (oder fremdartige) Situation in der Literatur seit dem Ersten Weltkrieg in oftmals komplizierten Varianten durchsetzen können. Rindisbachers Einsicht, daß Fragen zur Kulturgeschichte der Geruchswahrnehmung auf eine methodisch nur schwer zu bewältigende Vielzahl von Kontexten verweisen, bestätigt sich aber auch in dieser Studie: »The investigation of the olfactory is the investigation of everything else«.39 Selbst wenn es zu einer ›olfaktorischen Wende‹ in der literarhistorischen Forschung käme: am Problem, tendenziell mikrologische Befunde zu einzelnen Motiven überzeugend zueinander in Beziehung zu setzen, würde sich wenig ändern. Während sich im Feld des Geruchsekels regelhafte Bezüge von Wahrnehmungen und »basic emotions« zeigen, deren Varianten sich in historischen Reihen nachzeichnen lassen, fallen emotionale Wirkungen anderer Gerüche teils sehr unterschiedlich aus;40 allerdings kann Literatur solche regelhaften Bezüge bei der symbolischen Strukturierung von Problemlagen auch selbst konstruieren.
hen, sind daher zu zerstören: »Ertränken wir sie im Unflat ihrer so gräßlich ernsthaften sechzigbändigen Werke!« (Raoul Hausmann, ›Pamphlet gegen die Weimarische Lebensauffassung‹, in: Richard Huelsenbeck (Hg.), Dada. Eine literarische Dokumentation [1964] (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1984), S. 37–39, hier S. 37 u. 38) 39 Rindisbacher, S. v. 40 Weber u. Heuberger, S. 185.
I.
Historische Hintergründe
Die kulturelle Codierung des Leichengeruchs als Zeichen von Tod und Gefahr hat eine lange Tradition (1.). Die Ekelschwelle, an der er als Zumutung gilt, ist jedoch historisch variabel. Erst zwischen 1750 und 1880 wurde der öffentliche und häusliche soziale Raum zunehmend von abstoßenden Gerüchen gereinigt; die Schwelle der Toleranz für Gestank sank dabei erheblich (2.).1 Zudem gelten unangenehme Gerüche, die das Sterben begleiten, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts oft als peinlich-schmutzige, schamhaft zu maskierende Seite des Todes.2 Diese Empfindlichkeiten wurden vom Bürgertum zunächst in Friedenszeiten kultiviert; erst im Ersten Weltkrieg führen sie zur Erfahrung, daß Leichengeruch patriotische Ideen vom heroischen Kampf und Sterben erschüttern kann (3.). Auch der im ausgehenden 19. Jahrhundert erweiterte Spielraum für symbolische Codierungen des Geruchs von Kriegsopfern wird erst im Ersten Weltkrieg genutzt: im deutsch-französischen Krieg (1870–71) wirken noch medizinische Ansichten nach, die bei Auslegungen des Gestanks seit dem 18. Jahrhundert im Vordergrund standen (4.–5.).
1 Alain Corbin, Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs [frz. 1982] (Wagenbach: Berlin, 1984). 2 Philippe AriHs, Geschichte des Todes [frz. 1978; dt. 1980] (München: dtv, 2009), S. 726–733. – Diese Schamgrenzen schlagen auch auf aktuelle Diskussionen zum Thema ›Leiche‹ durch. Texte und Filme, die – im Unterschied zur hier behandelten Literatur – die ästhetische Anziehungskraft von Leichen betonen oder schockierende Eindrücke von Toten unterhaltsam aufbereiten, geraten heute schnell in den Verdacht der Nekrophilie oder Pornographie. Zum Stand der Diskussion siehe Tina Weber, ›Die Darstellung von Toten in den Medien unter dem Vorwurf der Pornografie‹, in: Dominik Groß u. Christoph Schweikardt (Hg.), Die Realität des Todes. Zum gegenwärtigen Wandel von Totenbildern und Erinnerungskulturen (Frankfurt am Main u. New York: Campus, 2010), S. 141–152, und Julia A. Glahn, ›Verführerische Leichen: Ästhetische Nekrophilie als besondere Form der Aneignung toter Körper‹, in: Dominik Groß u. Jasmin Grande (Hg.), Objekt Leiche. Technisierung, Ökonomisierung und Inszenierung toter Körper (Frankfurt am Main u. New York: Campus, 2010), S. 495–515.
28
1.
Historische Hintergründe
Leichengeruch als Todes- und Gefahrenzeichen
Als Jesus sich anschickt, Lazarus von den Toten zu erwecken, fordert er die Trauernden auf, das Grab des Verstorbenen zu öffnen: »Hebt den Stein ab! Spricht zu ihm Martha, die Schwester des Verstorbenen: Herr, er stinkt schon; denn er ist vier Tage gelegen.« (Joh 11: 39) Der Verwesungsgeruch ist für Martha das untrügliche Zeichen eines eindeutig eingetretenen Todes, der eine Graböffnung nicht ratsam erscheinen läßt – und von dem man sich fernhält. Bis ins 6. Jahrhundert gilt Leichengestank für Christen als Rechtfertigung des übernommenen heidnischen Brauchs, die Toten außerhalb von Siedlungen zu bestatten.3 Im 16. Jahrhundert finden sich Motive des Verwesungsgeruchs als Merkzeichen der Vergänglichkeit in literarischen memento mori, die auch auf die Verwandtschaft des Todesgeruchs mit dem Körpergeruch der Lebenden hinweisen; im Klerus ist die letztere Auffassung teils noch im frühen 19. Jahrhundert zu finden.4 Charles Baudelaires Darstellung eines riechenden Kadavers als Symbol der vergänglichen Schönheit der Geliebten zeigt, daß die Deutung des Leichengeruchs als Todes- und Vergänglichkeitszeichen nach Mitte des 19. Jahrhunderts auch für eine profane Position interessant ist, die evokativem Gestank einen ästhetischen Eigensinn abgewinnt.5 Zudem gilt Leichengeruch lange Zeit als gefährlich; schlecht riechende Reliquien zeigen im 13. Jahrhundert Teufelswerk an,6 und im 14. Jahrhundert wird der Pestleichengestank als Ansteckungsherd gedeutet.7 Diese Ansicht behauptet sich bis ins 17. und 18. Jahrhundert hinein und wird um ca. 1750 von der bis 1880 gängigen Theorie abgelöst, Verwesungsgeruch zeige ein allgemein ansteckendes Gas an.8 Auch nach der Entwertung dieser Theorie bleibt Leichengestank ein Gefahrenzeichen: zum einen zeigt er weiter eine ansteckende Ge3 AriHs, S. 44. 4 AriHs, S. 154–155; Corbin, S. 287–288. 5 Charles Baudelaire, ›Une Charogne‹ / ›Ein Aas‹, in: ders., Les Fleurs du Mal [1861]. Die Blumen des Bösen (Stuttgart: Reclam, 1984), S. 60–65. Zur Geschichte des Motivs siehe Ma˘da˘lina Diaconu, Tasten – Riechen – Schmecken. Eine Ästhetik der anästhesierten Sinne (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005), S. 260. Zur obsessiven Lust am Ekel als Neuerung des Gedichts siehe Winfried Menninghaus, Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung [1999] (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002), S. 208–215, hier S. 212. 6 Christine Knust, ›Wallfahrtsorte, Wanderschausteller und das World Wide Web: Ökonomisierung und Verehrung von Heiligenreliquien in Mittelalter und Gegenwart‹, in: Groß u. Grande (Hg.), Objekt Leiche, S. 337–360, hier S. 339–340. 7 Tim Ohnhäuser, ›Beweisen, Abschrecken, Legitimieren: Zum Einsatz der Leiche als Waffe in kriegerischen Auseinandersetzungen‹, in: Groß u. Grande (Hg.), Objekt Leiche, S. 247–270, hier S. 249–250. 8 AriHs, S. 605 u. 608–613 (zu Frankreich); Paul Thomes, Patrick Hahne, Jens Lohmeier u. Christoph Rass, ›Die Ökonomie des toten Körpers‹, in: Groß u. Grande (Hg.), Objekt Leiche, S. 387–425, hier S. 393 (zu Deutschland und Österreich).
Zur Geschichtlichkeit olfaktorischer Ekelgrenzen
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ruchsquelle an, zum anderen wirkt er im Kontext von Verwesungsangst bedrohlich,9 und im figurativen Sinne wirken auch entwertete religiöse und wissenschaftliche Sichtweisen fort. Franz Kafka vergleicht den zweifelhaften Prozeß seines Schreibens im Verweis auf ein Buch über den Exorzismus mit dem Gesang eines vom Teufel besessenen Mönchs, dessen Leiche nach der Teufelsaustreibung zu stinken beginnt,10 Ludwig Rubiner würdigt die symbolische Bedeutung des »teuflischsten Leichengestanks« im Werk von Dostojewski,11 und Wilhelm Klemm stilisiert den Verlust von metaphysischem Sinn zum »Pesthauch toter Götter«.12 Über den Kontinuitäten solcher Geruchszeichen darf die Geschichtlichkeit ihrer Varianten aber nicht vernachlässigt werden.
2.
Zur Geschichtlichkeit olfaktorischer Ekelgrenzen
Der Ekel vor dem Verwesungsgeruch mag universell ein,13 und die Deutung des Leichengeruchs als Anzeichen des Todes oder einer Gefahr für das Leben markiert einen kulturgeschichtlichen Trend von sehr langer Dauer ; die Schwelle der Empfindlichkeit für Verwesungsgase kann historisch aber stark variieren. Die Soldaten des Ersten Weltkriegs sind nicht die ersten, die für längere Zeiträume dem Gestank verwesender Leichen ausgesetzt waren: im Mittelalter fungierte der Friedhof als Asylbereich, in dem manche einen festen Wohnsitz über Beinhäusern hatten, ohne sich vom Geruch stören zu lassen, der den stellenweise offenen, in Stapeln zu füllenden Gemeinschaftsgräbern entströmte. Die Toleranz gegenüber Eindrücken mit Ekelpotential war nicht immer bloß erzwungen, denn der »Friedhof diente« auch »als Forum, als Haupt- und Spielplatz, auf dem alle Einwohner der Gemeinde sich treffen, sich versammeln und spazierengehen konnten, um ihre geistlichen und weltlichen Geschäfte zu erledigen und ihre Liebschaften und Belustigungen zu betreiben.« An Wallfahrtstagen wurden dort Märkte abgehalten, auf denen die Bewohner des Friedhofs Wein und Bier verkauften, und teils wurden dort Bäckereien sowie Läden eingerichtet, in denen 9 Hans Henny Jahnn, Pastor Ephraim Magnus [1919], in: ders., Dramen I (Hamburg: Hoffmann u. Campe, 1994), S. 5–182, hier S. 110. 10 Erich Heller, Joachim Beug (Hg.), Franz Kafka. Dichter über ihre Dichtungen (München: Heimeran, 1969), S. 137. 11 Ludwig Rubiner, Der Mensch in der Mitte (Berlin-Wilmersdorf: Verlag der Wochenschrift Die Aktion, 1917), S. 57. 12 Wilhelm Klemm, ›Tristissimus‹, in: ders., Gloria! Kriegsgedichte aus dem Feld [1915], in: Imma Klemm u. Jan Volker Röhnert (Hg.), Wilhelm Klemm. Gesammelte Verse (Mainz: Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, 2012), S. 27–58, hier S. 51. 13 Maria Gerber, ›Ekeln bei Verwesungsgeruch liegt in den Genen‹, in: Die Welt, 26. 01. 2010 [http://www.welt.de/wissenschaft/article5985812/Ekeln-bei-Verwesungsgeruch-liegt-in-denGenen.html, Zugriff 07. 07. 2015].
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Historische Hintergründe
»Brot, Geflügel, Fisch und andere Genußmittel« verkauft wurden.14 Erst ab dem 16. Jahrhundert büßen die Friedhöfe ihre Funktion als öffentlicher Hauptplatz ein. Der historische Wandel der Empfindlichkeit gegen Gestank zeigt sich auch in der Literatur. So stellt Hans Jacob Christoph von Grimmelshausens Schelmenroman Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch [1669] über den Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) eine vormoderne Geruchslandschaft dar. In einem »Beinhäusel« zu übernachten gilt zwar als Zumutung,15 doch daß manche Figuren ihre Kleider jahrelang tragen, nicht alle Kriegsgefallenen begraben werden oder eine Leiche längere Zeit an einen Baum angebunden bleibt, veranlaßt den Erzähler nicht zur Erwähnung einschlägiger Gerüche.16 Nur einmal wird der Gestank eines Verarmten erwähnt, um zu erklären, warum ihm der Eintritt in ein Gasthaus zunächst verwehrt bleibt.17 Verwesungsgeruch wird nur in einem memento mori angesprochen, das von der Sterblichkeit menschlicher Körper im allgemeinen spricht. Die Leiche eines guten Mannes riecht annehmlich, und dasselbe trifft auf eine Insel in der Continuatio [1669] des Romans zu, auf welcher der Wille Gottes zu herrschen scheint, während eine körperliche Hülle des Teufels bei ihrer Explosion Gestank freisetzt.18 Eine ausnehmend attraktive Frau trägt eine ganze Wolke angenehmer Düfte mit sich herum, was auf eine Parfümierpraxis verweist, die den unausweichlichen Gestank des Alltags übertönen soll.19 Krieg wird mit Pulvergeruch assoziiert,20 während Gerüche an der Ekelschwelle vor allem von Exkrementen und Blähungen herrühren; Grimmelshausens rhetorische Strategie, mit Motiven des Ekels eindringlich auf Erniedrigungen sozial Unterlegener hinzuweisen, knüpft an solche Motive an. Unterliegende Gegner werden wiederholt gezwungen, siegreiche Soldaten oder auch Tiere »im Hindern« zu »lecken«, der Held läßt als Narr bei einem Bankett so kräftig »einen streichen« und macht sich später in Gegenwart einer Dame vor Schreck derart vernehmlich die Hose, daß er beide Male Prügel bezieht, und in einer Diskussion über die Vorzüge des Lehrerberufs gegenüber dem des Mediziners macht er geltend, daß Ärzte die Exkremente ihrer adeligen Klienten zur Not auch oral prüfen müßten.21 Cum grano salis greift die These, daß der soziale Raum in England, 14 AriHs, S. 83–94, hier S. 85–86 u. 91. 15 Hans Jacob Christoph von Grimmelshausen, Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch [1669] (Stuttgart: Reclam, 2012), S. 647. 16 Ebd., S. 45, 54, 403 u. 444. 17 Ebd., S. 453. 18 Ebd., S. 154, 569–570, 677, 686 u. 702. 19 Ebd., S. 588–589. 20 Ebd., S. 64 u. 475. 21 Ebd., S. 103 u. 258; siehe auch S. 55–58, 110–111, 117 u. 367.
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Deutschland und Frankreich im Zeitraum von 1750 bis 1880 fortschreitend desodoriert wurde.22 Gewiß, auch vor 1750 waren höhere soziale Schichten gegenüber Gestank besonders empfindlich; Oberschichten blicken schon im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts mit Verachtung auf Arbeiter, die sich »vor den übelriechenden Dämpfen« in einer Gießerei »die Nase zuhalten«.23 In der englischen Literatur galt die Fähigkeit zur Diskriminierung von Gerüchen schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als positives Vermögen zur Erkenntnis der Realität; wer satirisch als Stinker bezeichnet oder als unfähig dargestellt wurde, Gestank als solchen zu erkennen, galt als kognitiv und moralisch defizient. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts treten solche Themen aber in den Hintergrund,24 was damit zu tun haben mag, daß der Gestank im sozialen Raum nicht mehr fraglos zur festen Ordnung der Dinge gehört und peinlicher wirkt. Die sozialhistorisch orientierte Forschung zu England, Deutschland und Frankreich verzeichnet eine seither sinkende Toleranz gegenüber Gestank, verstärkte Bemühungen um Geruchshygiene in öffentlichen und häuslichen Räumen, die Verfeinerung des Sinns für frische und blumig-leichte Düfte sowie eine zunehmende Stigmatisierung von Personen, deren Geruch auf eine unsaubere Herkunft zu verweisen scheint. Je nach sozialer Klasse, Geschlecht, Kultur und Region setzten sich jene Trends mit unterschiedlichem Tempo durch – »1832 glauben die Arbeiter des gefährlichen Schindangers der großen Abdeckerei« bei Paris »immer noch, daß die Ausdünstungen der Fäkalstoffe ihrer Gesundheit zuträglich sind«.25 Auch Generationszugehörigkeit spielt hier eine Rolle; Robert Bretnall, ein respektiertes Mitglied der wohlhabenden Mittelschicht, zeigte in seinen frühen Siebzigern eine generationstypische Gelassenheit gegenüber körperlich bedingten Gerüchen, als er ohne Ironie ins Tagebuch schrieb: June 21, 1846: Before we went to church I walked into my home field and was suddenly taken short before I could get my trouses [sic] down. I shit myself most tremendously from shoulder to flank, cleaned myself with some grass as well as I could went to Church with my wife and returned God thanks for all his merciful benefits bestowed on me.26
22 Corbin, S. 299. In Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch wird Paris als »kotige Stadt« bezeichnet (Grimmelshausen, S. 378); zu ähnlichen Einschätzungen in der »Krise« vom Sommer 1911 siehe Corbin, S. 298. 23 Siehe dazu Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Bd. 1 [1936] (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1981), S. 291. Zu schichtenspezifischen Peinlichkeitsstandards gegenüber dem Gestank siehe auch ebd., S. 287. 24 Paul C. Davies, ›Augustan Smells‹, in: Essays in Criticism, vol. XXV (4/1975), S. 395–406. 25 Corbin, S. 280. 26 Leonore Davidoff u. Catherine Hall, Family Fortunes. Men and Women of the English Middle Classes 1780–1850 (London: Routledge, 2002), S. 398.
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Historische Hintergründe
Während das Bürgertum in der Mitte des 19. Jahrhunderts seinen Geruchssinn derart verfeinert hatte, daß ihm der Gestank von Leichen unerträglich schien, nahm es auf die Armen, die als schmutzig und stinkend galten,27 weniger Rücksicht. Auf dem Londoner »Armenkirchhof von St. Bride« wurden die Toten noch um 1845 in regelmäßig wieder geöffneten Massengräbern verscharrt, deren »Verwesungsgeruch« die »Nachbarschaft« »verpestet[e]«, und beim Bau einer Eisenbahnlinie durch einen Armenfriedhof in Manchester wurden keine Exhumierungen vorgenommen, so daß Ausgrabungen und baulich bedingte Wasseraustritte Leichengestank freisetzten.28 Allerdings genoß England um diese Zeit insgesamt höhere geruchshygienische Standards als Frankreich.29 Zur Zeit des Ersten Weltkriegs ist die Revolution des Geruchssinns in Deutschland, England und Frankreich weitgehend abgeschlossen.
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Entfaltung und Störung des bürgerlichen Krieger- und Gefallenenkults
Zwei Gründe rechtfertigen es, Leichengeruch von Kriegstoten ab 1914 als ein historisch neuartiges Problem zu analysieren. Erstens boten frühere Belagerungskriege – im Unterschied zu Graben- und Stellungskriegen unter massenhaftem Einsatz von modernen Waffen wie Maschinengewehren, Schrapnellen, Granaten, Giftgas und Flammenwerfern – die Gelegenheit, die Toten regelmäßig zu begraben, und Schlachten älteren Typs blieben soweit überschaubar, daß deren Opfer – anders als im modernen Bewegungs- oder Stellungskrieg30 – anschließend weitgehend verscharrt werden konnten.31 Im Ersten Weltkrieg erreicht die Belastung durch den Gestank verwesender Kriegstoter daher oft 27 Zur sozialen Codierung des Gestanks als Signatur unterbürgerlicher Schichten siehe Corbin, S. 189–200. 28 Friedrich Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England [1845], in: Karl Marx u. Friedrich Engels, Werke, hg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Berlin: Dietz, 1980), Bd. 2, S. 225–506, hier S. 500. 29 Corbin, S. 228. 30 Schon der Krimkrieg von 1853–1856 war ein Stellungskrieg, wenn auch nicht in der hochtechnisierten Spielart von 1914–1918 (siehe Helmut Donat, ›Nichts Neues nach 1918 – Keine Abkehr vom Militarismus‹, in: Peter Schmitz, Golgatha. Ein Kriegsroman [1937], hg. v. Philippe Beck (Bremen: Donat, 2014), S. 280–335, hier S. 327). 31 Auch im Stellungskrieg des Ersten Weltkriegs konnten Soldatenfriedhöfe angelegt werden; es »gab« aber »auch Tausende von Toten, die aufgrund von Kampfhandlungen nicht geborgen werden konnten oder nur rasch verscharrt wurden« (Christoph Rass u. Jens Lohmeier, ›Der Körper des toten Soldaten: Aneignungsprozesse zwischen Verdrängung und Inszenierung‹, in: Groß u. Grande (Hg.), Objekt Leiche, S. 271–333, hier S. 285). Zur veränderten Situation im Detail siehe ebd., S. 313–314.
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einen neuen Grad der Dauer und Intensität – und trifft auf einen Soldatentypus, der kränkbarer geworden ist.32 Zweitens kommt der bürgerliche Gefallenenkult erst ab 1914 zur Entfaltung; bis dahin wurde die Leiche des einfachen Soldaten in erster Linie als Problem betrachtet, das durch Verscharren zu beseitigen war. Im 18. Jahrhundert galt die Kriegsleiche vor allem als hygienische Herausforderung, bei der Schußwaffen, wie manche glaubten, eine positive Rolle spielen konnten: »Kanonenschüsse reinigen und desodorisieren die von Leichen und Aas verpestete Luft der Schlachtfelder«.33 Mit dem Übergang vom Söldnerheer der sozial Deklassierten zum Bürgerheer zeigen sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts zwar erste Ansätze, Nationalgefühl und Totengedenken zusammenzuführen, doch der Leichengeruch toter Soldaten gilt noch im deutsch-französischen Krieg vor allem als hygienisches Problem. Frühe Ansätze zum Gedenken an Schlachten und ihre Opfer am Ort des Geschehens, die aus dem 15. u. 16. Jahrhundert stammen, dienen eher der Erinnerung an einen Sieg als einem besonderen Gefallenenkult.34 Solange sich Armeen aus sozial deklassierten Söldnern rekrutierten, beschränkten sich Gräber für Soldaten und Kulte um Gefallene auf jene Personen, die im Militär eine Führungsposition innehatten. Reguläre Soldaten wurden noch im 17. und 18. Jahrhundert »an Ort und Stelle verscharrt, nachdem man ihnen die Uniformen ausgezogen und ihnen die persönlichen Gegenstände abgenommen hatte. Der einzige Unterschied zum Schindanger war eine kollektive und eilends abgewickelte Absolution.«35 Auch in der Zeit der Bürgerheere des 19. Jahrhunderts änderte sich daran wenig: Noch während der Kriege Napoleons des III. wurden die Leichname gefallener Soldaten mit derselben Gleichgültigkeit behandelt wie die der Opfer der Gemeinschaftsgräber des Ancien R8gime. Die Leichen, die nicht rasch von ihren Kameraden geborgen und eilends von ihren Kameraden in Sicherheit gebracht wurden, wurden immer sofort an Ort und Stelle beigesetzt […].36
32 Wenn Simplicius darauf hinweist, daß Soldatenleichen »in der Wölf und Raben Mägen« bestattet werden, stellt er bewußt eine unaufgeregte Haltung zur Schau (Grimmelshausen, S. 403). 33 Corbin, S. 131; vgl. ebd., S. 46: die »Nähe von Schlachtfeldern« galt schon im 18. Jahrhundert wegen der »Dünste, die gleich nach dem Tode von Leichen ausgeschieden werden«, »als besonders gefährlich«. 34 AriHs, S. 701. 35 AriHs, S. 700–701; zum patriotischen Totenkult bis zum Ersten Weltkrieg siehe auch ebd., S. 701–705 (zu Frankreich und den USA), sowie Rass u. Lohmeier, S. 273–275 u. 281–296 (zu Frankreich, den USA und den deutschen Staaten). 36 AriHs, S. 701.
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Historische Hintergründe
Schon Ende des 18. Jahrhunderts findet sich ein Mahnmal für die Schweizer »Opfer der Bürgerkriege der französischen Revolution«,37 die US-Amerikaner errichteten »nach dem Amerikanisch-Mexikanischen Krieg von 1846 bis 1848« einen Soldatenfriedhof in Mexico City, 1863 wurde während des Sezessionskriegs in Gettysburg ein Friedhof als Gedenkstätte errichtet,38 die Gefallenen des deutsch-französischen Krieges wurden in Frankreich mit Gedenktafeln verehrt, und im Zweiten Burenkrieg (1899–1902) wurden Gedenkstätten errichtet, an denen die Namen einfacher britischer Soldaten neben denen von Offizieren zu finden waren.39 Doch erst »im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert« vollzieht sich eine umfassende »Vereinigung von Totenkult und Nationalgefühl«. »Der Erste Weltkrieg hat dem bürgerlichen Kult der Gefallenen ›unserer denkwürdigen Schlachten‹ eine Verbreitung und ein Prestige verliehen, das er nie zuvor gekannt hatte.«40 Im Ersten Weltkrieg trifft eine gestiegene Empfindlichkeit gegen den zeremonielosen Umgang mit Kriegstoten auf neuartige Belastungen durch sinnliche Schocks, die mit dem Einsatz moderner Waffen verbunden sind, und in diesem Zusammenhang konnten tradierte Bilder des schönen Kriegstodes oft nicht mehr überzeugen; zu Recht stellt Philippe AriHs fest, daß die Weltkriege des 20. Jahrhunderts ein neues Modell der Kriegsdarstellung hervorbringen, das er allerdings recht pointiert umreißt: Im Modell der Kriegsschriftsteller wie Remarque, Barbusse, Sartre oder Genet öffnen bereits die bloße Vorstellung des Todes und die Angst, die er einflößt, die Schließmuskeln und rekonstituieren so bei voller Gesundheit die schmutzige Realität der Krankheit. […] Dieses Modell beruht auf der Unmöglichkeit, die Konventionen des schönen und patriotischen Todes auf die Hekatomben des 20. Jahrhunderts anzuwenden, auf die Massaker der Weltkriege […]. Die angeblichen Helden ›scheißen sich in die Hosen‹, und die wahren Helden sind zunächst einmal damit beschäftigt, alles zu tun, damit es ihnen nicht ebenso ergeht […].41
In einem Frühlingsgedicht von Oskar Loerke aus dem Jahre 1911 erscheint ein »Soldatenfriedhof« nach einem Sturmregen im »Gewölk« wie eine »Festung«, in der »die Soldaten reiten«, und »Erddüfte, die im Wind zum Himmel jagen, / Sind wie der Geister Aufstehn.«42 Knapp zwei Jahrzehnte später lobt Loerke den 37 AriHs, S. 702. 38 Rass u. Lohmeier, S. 286. 39 Adrian Barlow, The Great War in British Literature (Cambridge: Cambridge University Press, 2000), S. 11. 40 AriHs, S. 703 u. 704. 41 AriHs, S. 728–729. 42 Oskar Loerke, ›Frühling um den Soldatenfriedhof‹ [1911], in: ders., Die Gedichte (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1984), S. 41–42. Während Loerkes Gedicht versöhnlich endet, klingt eine vergleichbare Phantasie in Henriette Hardenbergs Gedicht ›Auferstehendes Schlachtfeld‹ [1920] mit Motiven des Leidens und der Gefahr aus: »Grauer Hauch verwölkt sich mit
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Weltkriegsroman Heeresbericht [1930] von Edlef Köppen, der sachlich registriert, wie sich Artilleristen an der Front einen Unterstand aus Grabsteinen an einem Friedhof bauen, der anschließend von Geschossen umgepflügt wird. Wolken sind hier meist künstlicher Natur : sie verweisen auf Artilleriefeuer und Gasangriffe.43 Bilder von Tod, Leid und Geschützqualm finden sich schon in der Literatur vor dem Ersten Weltkrieg,44 doch im Ersten Weltkrieg wirken sie oft desillusionierend. Abstoßende Bilder vom Kriegstod sind auch nicht auf den Stellungskrieg mit seinen Abnutzungsschlachten an der Westfront beschränkt; in Georg Trakls Kriegsgedicht ›Grodek‹ [1914] von der Front in Galizien heißt es: »Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.«45 Der Erste Weltkrieg entwertet auch tradierte Bilder des Kriegerlebens. So zeigt Thomas Manns Roman Der Zauberberg [1924], wie sich die im Ersten Weltkrieg an die Front ziehende Jugend vor herannahenden Geschossen hinwirft, »die Nase im Feuerdreck«; auch der Protagonist Hans Castorp »liegt, das Gesicht im kühlen Kot«. Diese Szene wird als Gegenentwurf zu Kriegsbildern vor Augen geführt, die in »humanistisch-schönseliger Weise« einen beglückten Bogenschützen mit Rossen und Geliebter am Strand zeigen.46 1929 lobt Mann einen Roman von Alexander Moritz Frey, der in kriegskritischer Absicht ästhetische Schocks aus dem Alltag der Feldsanitäter thematisiert; Carl von Ossietzky bescheinigt dieser Prosa: »Die Gloriole des Kriegsgottes wird stinkend und vertropft als grüner Eiter.«47 Kritische Gedichte zum Ersten Weltkrieg stellen ebenfalls olfaktorische Belastungen dar ; Oskar Kanehls expressionistische Lyrik stellt in kriegskritischer Absicht Ekelerregendes heraus und erwähnt dabei auch den »Modergestank« des Schlachtfelds.48 Die griffige These von der desillusionierenden Wirkung des Lebens und Sterbens im Ersten Weltkrieg, das der Vorstellung vom heldenhaft-ritterlichen Krieg die Grundlage entzieht, paßt auf eine Reihe von Autoren und Texten; sie
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der Luft, / Gesang in feinen Strähnen streicht dazwischen hin, / Im Morgenwagen fährt ein dünner Wind. // Erhebt sie aus dem Schlaf, / Süße Blumen, Gräser, / Schaukelt ihre Hüften zu Duft und Lachen. // Erhebt sie weiß in den Tag, / Himmlische Leiber wachsen strahlend auf, / O ihr Menschen. // In ihre neuen Wege schweben die Gestalten, / Mit Augen voll Feuerblick, / An schwillt der Wind vom Stöhnen, / Da brennt das alte Moor.« (In: dies., Dichtungen, hg. v. Hartmut Vollmer (Zürich: Arche, 1988), S. 54–55) Edlef Köppen, Heeresbericht [1930] (Stuttgart: Reclam, 2015), S. 45, 74, 131, 202, 210 u. 248; Loerkes Lob wird zitiert in Jens Malte Fischer, ›Nachwort‹, in: ebd., S. 425–437, hier S. 433. Barlow, S. 11. Hans-Georg Kemper u. Frank Rainer Max (Hg.), Georg Trakl. Werke – Entwürfe – Briefe (Stuttgart: Reclam, 1995), S. 112. Thomas Mann, Der Zauberberg [1924] (Frankfurt am Main: Fischer, 1994), S. 979. Carl von Ossietzky, zit. in Stefan Ernsting, ›Nachwort‹, in: Alexander Moritz Frey, Die Pflasterkästen. Ein Feldsanitätsroman [1929] (Coesfeld: Elsinor, 2011), S. 227–230, hier S. 228. Oskar Kanehl, ›Schlachtfeld‹ [1915], in: Silvio Vietta (Hg.), Lyrik des Expressionismus (Tübingen: Niemeyer, 1999), S. 128.
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erfaßt allerdings nur einen Ausschnitt der Literatur zum Ersten Weltkrieg, denn Versuche, Heldentum und -tod zu heiligen, bleiben – wie in Kap. II. 1. zu zeigen ist – auch und gerade nach 1914 populär.49 Ernst Bloch betont die entzaubernde Wirkung des technisierten Krieges: Aber der Held kämpfte langsam im Lehm, der abgesessene Reitersoldat in den Unterständen, der Säbel verschwand, sogar die Regimentsfahne verschwand, und sollte das alles noch nicht ausreichen, so waren die Granaten dazu da, und diese schnitten vollends ins übertechnische Gefühl; die Artillerie tötete die Mystik.50
Bloch unterschätzt aber die Spielräume für eine ästhetische Wiederverzauberung der Kriegstechnik, um die sich zum Beispiel Ernst Jünger bemüht,51 für den erst die Atombombe »das Ende der klassischen Kriege« markiert.52 Auch Jünger stellt fest, daß der Grabenkrieg den Soldaten jeden lyrischen Sinn für die Schlacht als feierliches Ereignis austreibt, doch die Tugend der »Ritterlichkeit«, die dem Kriegertum des Gegners Respekt zollt, überlebt das Ende des »Rittertum[s]«, und die Hingabe der fronterprobten Soldatenelite an ihre Kriegerrolle erklärt Jünger mit einem überpersönlich-metaphysischen Willen,53 der sich auch im technisierten Krieg manifestiert: Die Schlacht bedient sich nicht nur in steigendem Maße der Maschine, sondern sie wird auch als Ganzes vom Geist durchsetzt, der die Maschinen schafft. Dieser Geist kommt im kleinen bereits im Stoßtrupp zum Ausdruck, in dieser wunderlichen Akkordarbeit des menschlichen Angriffs, und er deutet sich im großen in der deutschen Frühjahrsoffensive von 1918 an, die weniger durch ihre Mittel als durch ihre unerbittliche Präzision bedeutend ist – durch den motorischen Vorgang, in dem sich der abstrakt gewordene Feldherrnwille zum Ausdruck bringt.54
Auch Feldpostbriefe deutscher Studenten aus dem Ersten Weltkrieg zeigen, daß die Kriegserfahrung tradierte Bilder militärischer Schlachten zwar entzauberte, aber weiterhin als Anlaß zur opferbereiten Selbstbewährung im Namen eines substantiellen Geistes ausgelegt werden konnte, dessen Sinn nun allerdings noch 49 Die Figur des Fliegers war besonders geeignet, Vorstellungen vom Krieg als ritterlichem Zweikampf zu erneuern; siehe dazu Rolf Parr, ›Reisender »sportsman« im Krieg. Gunther Plüschow : Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau. Erlebnisse in drei Erdteilen (1916)‹, in: Thomas F. Schneider u. Hans Wagener (Hg.), Von Richthofen bis Remarque: Deutschsprachige Prosa zum I. Weltkrieg (Amsterdam u. New York: Rodopi, 2003), S. 31–49. 50 Ernst Bloch, Geist der Utopie (München u. Leipzig: Duncker & Humblot, 1918), S. 398–399. 51 Siehe dazu grundlegend Karl Heinz Bohrer, Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk [1978] (Frankfurt am Main u. a.: Ullstein, 1983), S. 152–155. 52 Ernst Jünger, ›Ansprache zu Verdun‹ [1979], in: ders., Essays I. Betrachtungen zur Zeit (Stuttgart: Klett-Cotta, 2002), S. 527–533, hier S. 531. 53 Ernst Jünger, ›Der Kampf als inneres Erlebnis‹ [1922], in: ders., Essays I, S. 9–103, hier S. 50 u. 63; siehe auch S. 30 u. 90. 54 Ernst Jünger, ›Feuer und Bewegung‹ [1930], in: ders., Essays I, S. 105–117, hier S. 116.
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verborgen blieb.55 Die Tendenz zur Wiederverzauberung des modernen Krieges liegt aus mentalitätsgeschichtlichen Gründen zwar vor allem in Deutschland nahe, da dessen kriegerische Expansion nicht als Selbstverteidigung im Namen des universalistischen Sinns demokratischer Normen zu rechtfertigen war und die Suche nach der Bedeutung des Krieges sich oft auf Offenbarungsgehalte von Kampferlebnissen verlegte, doch Ansätze zur Sakralisierung der Kriegserfahrung sind auch in französischen und englischen Texten zu finden, die nicht an demokratische Grundsätze, sondern an traditionale Werte einer Schicksalsgemeinschaft appellieren.56 Zudem stammt das Bild vom Krieg als heroischem Kampf aus einer Zeit, deren Ferne schon frühere Generationen beklagt hatten. Christoph Martin Wieland hatte bereits 1793 festgestellt, daß Kriege jüngerer Zeiten sich von denen der griechischen Antike dadurch unterschieden, daß »in der damaligen Welt noch eine Art sich zu bewaffnen und Krieg zu führen üblich war, wo persönlicher Mut, Tapferkeit, Behendigkeit und Geschicklichkeit ihrem Besitzer noch eine Art von Gewähr für sein Leben leisteten.«57 An diesem Eindruck dürfte die um 1750 verbesserte – und die Mobilität der Truppen erhöhende – Gewehrladetechnik des preußischen Militärs nicht unbeteiligt gewesen sein; Voltaire hatte die Folgen dieser und anderer Techniken in seinem Roman Candide ou l’Optimisme schon 1759 als heldenhafte Schlächterei [»boucherie h8ro"que«] bezeichnet.58 Die Klage über die Entheroisierung des Soldatenlebens und -todes hat also eine längere Tradition, die glanzvolle Stilisierungen zu propagandistischen Zwecken vor dem Ersten Weltkrieg eher noch verstärkt als untergraben haben dürfte.
55 Siehe dazu Manfred Hettling, ›Arrangierte Authentizität. Philipp Witkop: Kriegsbriefe gefallener Studenten (1916)‹, in: Schneider u. Wagener (Hg.), Von Richthofen bis Remarque, S. 51–69. 56 Siehe dazu Frank Krause, Mütterlichkeit unter Geliebten und Kameraden. Zeitdiagnosen über Genderkrisen in deutscher und englischer Prosa (1918–1933) (Göttingen: V& R unipress, 2014), S. 160–172. 57 Christoph Martin Wieland, ›Über teutschen Patriotismus. Betrachtungen, Fragen und Zweifel‹ [1793], in: ders., Werke, hg. v. Fritz Martini u. Hans Werner Seiffert (München: Hanser, 1967), Bd. 3, S. 744–754, hier S. 747. 58 Voltaire, Candide ou l’Optimisme [1759] (Stuttgart: Reclam, 1991), S. 12; zur Ladetechnik siehe ebd., S. 9. Siehe auch die hilfreichen Anmerkungen von Theo Cuffe in Voltaire, Candide, or Optimism (London: Penguin, 2005), S. 123, Endn. 6 u. S. 125, Endn. 6; zur Wirkung des 1670 erfundenen Bajonetts siehe ebd., S. 127, Endn. 10.
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4.
Historische Hintergründe
Leichengeruch in Émile Zolas La Débâcle [1892]
Das Riechen nimmt unter den Sinnen eine Zwischenstellung ein, weil es – wie das Schmecken und Tasten – als körpernah empfunden wird, aber – wie das Sehen und Hören – keinen körperlichen Kontakt mit der Eindrucksquelle erfordert.59 Ein Geruch wird meist als Anzeichen eines Sachverhalts erfahren, der für bestimmte Arten von Situationen typisch ist, und er ruft Emotionen hervor, die für einen Geruchseindruck und die ihm entsprechende Situation charakteristisch sind (und nur in einem indizierenden Sinne kann vom Geruch von Kriegsleichen die Rede sein; unter chemischen Gesichtspunkten handelt es sich um Verwesungsgase, die sich von denen eines Tierkadavers nicht wesentlich unterscheiden).60 Wirkt ein Geruch anziehend oder problematisch, fungiert er auch als emotional und körperlich intensive Repräsention einer ethisch bedeutsamen Wertung. Als komplexe Zeichen, die indizierende, evokative und orientierende Funktionen auf sich vereinigen, eignen sich spezifische Gerüche als emotional stark aufgeladene Symbole kulturell geteilten Wissens. Im 18. Jahrhundert ging die Autorität, Leichengeruch als lebenspraktisch bedeutsames Zeichen auszulegen, von den Theologen und Klerikern auf Wissenschaftler und Spezialisten der Hygiene über, die Verwesungsgas als ansteckendes Miasma betrachteten, und im 19. Jahrhundert hatte die Literatur das Motiv des Leichengeruchs als memento mori in den Horizont säkularer Perspektiven eingeholt. Die ethische Codierung des Motivs erfolgte aus szientifischer Sicht, die einer hygienischen Praxis zuarbeitete, oder aus einer ästhetischen Sicht, die eine verstörende Vergänglichkeitsgewißheit mit einer Faszination am Ekel in Erinnerung rief. Um 1880 war die Überzeugungskraft einschlägiger Theorien in der Wissenschaft indessen verblaßt;61 seither hat sich der Spielraum, konkrete Varianten jenes Geruchs aus säkularer Sicht als ethisch bedeutsame Zeichen auszulegen, erweitert. In der Kriegsliteratur wurde dieser Spielraum aber nicht sogleich ausgeschöpft; die Texte der um diese Zeit erstarkenden Bewegung des Naturalismus sind für Motive des Leichengeruchs zwar offen, bleiben aber einer szientifisch geprägten Sicht verhaftet. Der Naturalist Pmile Zola hatte in seinem Roman La D8b.cle [1892] die 59 Siehe Diaconu, S. 208. Diese typologische Unterscheidung sieht von Grenzfällen ab, in denen – wie zum Beispiel bei Licht- bzw. Schallstärken an der Schmerzgrenze oder bei Schallwellen, die ihre Umgebung vibrieren lassen – Sinneseindrücke und Körpergefühle auch beim Hören oder Sehen ineinander übergehen. 60 Maria Gerber, ›Ekeln bei Verwesungsgeruch liegt in den Genen‹, in: Die Welt, 26. 01. 2010 [http://www.welt.de/wissenschaft/article5985812/Ekeln-bei-Verwesungsgeruch-liegt-in-denGenen.html, Zugriff 07. 07. 2015]. 61 Zur Miasma-Theorie siehe AriHs, S. 605 u. 608–613 (zu Frankreich) und Thomes, Hahne, Lohmeier u. Rass, S. 393 (zu Deutschland und Österreich). Zum Reputationsverlust dieser Theorie siehe Corbin, S. 292–293.
Leichengeruch in Émile Zolas La Débâcle [1892]
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Greuel des deutsch-französischen Krieges mit schonungsloser Deutlichkeit dargestellt. Auch die Geruchslandschaft des Kriegslebens wird dabei mit all ihren abstoßenden Seiten berücksichtigt. Mit dem Kampf und der Niederlage des französischen Militärs sowie den Tagen und dem Ende der Pariser Kommune führt Zola den fortschreitenden sozialen Verfall vor Augen, der Frankreich als ganzes ergriffen hat und am Schluß einen umfassenden Neuaufbau erfordert. In diesem Zusammenhang unterstreichen realistische Geruchsmotive mit dem Wandel ihrer Qualität zugleich den Verfall des sozialen Lebens; als Kontrastfolie zu den Neuerungen in der Literatur über den Ersten Weltkrieg sei die Atmosphäre des Krieges in Zolas Roman im folgenden genauer analysiert. Der Roman besteht aus drei annähernd gleich langen Teilen; der erste stellt die ermüdenden, schlecht organisierten und daher demoralisierenden Bewegungen einer französischen Truppe in den Vordergrund, der zweite Teil erzählt von der Schlacht von Sedan und endet mit der Kapitulation der französischen Armee, und der dritte Teil handelt von der Gefangenschaft und anschließenden Flucht der Hauptfiguren nach Paris zur Zeit der Kommune. Im ersten Teil sind die Geruchsmotive auf drei Beispiele für angenehme Düfte guten Essens im Feld beschränkt,62 und auch im zweiten Teil sind die olfaktorischen Eindrücke anfangs noch positiv. Gewiß, der vage, an das Zimmer einer Dame erinnernde Fliedergeruch des übermäßig gepflegten Hauptmanns Beaudoin mag zunächst bizarr anmuten, doch als Spur vom Geruch zerstäubten Flieders aus dem Schlafzimmer, in dem er eine Liebesnacht mit Gilberte verbracht hat, ist das Parfüm ebenso überzeugend angenehm wie der von der Geliebten ausströmende »Duft der Liebe« [»odeur d’amour«].63 Erst vor der Mitte des zweiten Teils wird der Kriegsgeruch thematisiert, für den ein Brandgeruch wie von Wolle oder Leinen typisch ist, gemischt mit dem Geruch von animalischem Schweiß, Schießpulver, Ruß und Blut. Gegen Ende dieses Teils dominieren Gerüche aus dem Lazarett, wo es nach Blut, Chloroform, fiebrigem Atem oder dem schlechten Geruch aus verklebten Mündern von Soldaten im Todeskampf stinkt. Auch der Geruch von Petroleum, der von einer Lampe in einer Küche ausströmt und die Luft zu vergiften scheint, verweist symbolisch auf schleichend-beständigen Verfall.64 Im dritten Teil herrscht der Geruch von Verwesung und Wundbrand vor, der teils mit dem Gestank von Exkrementen Ruhrkranker vermischt ist. Neben Feuer-, Petroleum-, intensivem Schweißgeruch und verpestetem Dunst wird 62 Pmile Zola, La D8b.cle [1892] (Paris: Librairie G8n8rale FranÅaise, 2003), S. 48, 104 u. 112; Pmile Zola, Der Zusammenbruch (Der Krieg von 1870–71) (Stuttgart u. a.: Deutsche VerlagsAnstalt, 1894), Bd. 1, S. 37, 120 u. 133. 63 Zola, La D8b.cle, S. 250, 274 u. 275; Zola, Der Zusammenbruch, Bd. 2, S. 42, 78 u. 80. 64 Zola, La D8b.cle, S. 297, 306, 318–319, 333, 339, 346–347, 391, 394 u. 404; Zola, Der Zusammenbruch, Bd. 2, S. 113, 126–127, 144–145, 167–168, 176, 188, 254, 258 u. 274–275.
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auch fad schmeckendes, geruchsloses Mehl erwähnt; einmal duftet es nach Kohl und Speck, doch ansonsten geht der einzige Wohlgeruch von Eßbarem vom Gemäuer eines Raumes aus, in dem früher Obst gelagert wurde.65 Die Abfolge der Geruchsmotive unterstreicht mithin den Vitalitätsverlust, der Frankreich ergriffen hat. In diesem Zusammenhang ist die Darstellung des Verwesungsgestanks interessant, weil sie mit dem Eindruck spielt, die Gase verfallender Substanzen seien ansteckend. Zunächst sind die Kriegsgerüche noch nicht entmischt: »La pluie noyait tout de son humidit8 blafarde, une odeur se d8gageait, persistante, cette odeur des champs de bataille qui sentent la paille ferment8e, le drap br0l8, un m8lange de pourriture et de poudre.«66 Als die in der Maas treibenden Leichen und Kadaver die Luft verpesten, infizieren sich die Soldaten, weil sie vom Wasser dieses Flusses trinken: La Meuse, en effet, roulait des cadavres d’hommes et de chevaux. On en voyait, / chaque minute, passer, le ventre ballonn8, d8j/ verd.tres, en d8composition. Beaucoup s’8taient arrÞt8s dans les herbes, sur les bords, empestant l’air, agit8s par le courant d’un fr8missement continu. Et presque tous les soldats qui avaient bu de cette eau abominable, s’8taient trouv8s pris de naus8es et de dysenterie, / la suite d’affreuses coliques.67
Vom Gestank der Exkremente ruhrkranker Soldaten scheint die Luft indessen regelrecht vergiftet zu werden, und die Preußen fürchten wegen eines starken Verwesungsgestanks um ihre Gesundheit: La cessation des pluies, le lourd soleil de plomb n’avait fait que changer le supplice. Des chaleurs excessives achevaient d’8puiser les hommes, donnaient aux cas de dysenterie un caractHre 8pid8mique inqui8tant. Les d8jections, les excr8ments de toute cette arm8e malade empoisonnaient l’air d’8manations infectes. On ne pouvait plus longer la Meuse ni le canal, tellement la puanteur des chevaux et des soldats noy8s, pourrissant parmi les herbes, 8tait forte. Et, dans les champs, les chevaux morts d’inanition se d8composaient, soufflaient si violemment la peste, que les Prussiens, qui commenÅaient / craindre pour eux, avaient apport8 des pioches et des pelles, en forÅant les prisonniers / enterrer les corps.68 65 Zola, La D8b.cle, S. 421–422, 432, 450, 489, 547 u. 608; Zola, Der Zusammenbruch, Bd. 3, S. 14, 30, 58, 117, 203 u. 298–299. 66 Zola, La D8b.cle, S. 428. »Der Regen hüllte alles in seine bleifarbene Nässe ein; ein hartnäckiger Geruch stieg empor, jener Geruch der Schlachtfelder nach faulendem Stroh und verbranntem Tuch, nach einem Gemisch von Moder und Pulver.« (Zola, Der Zusammenbruch, Bd. 3, S. 24) 67 Zola, La D8b.cle, S. 456. »In der Maas trieben in der That Leichname von Menschen und Pferden. Man sah jede Minute einen vorbeischwimmen mit aufgetriebenem Bauch, bereits grünlich und verwesend. Viele waren in den Grasen an den Ufern stecken geblieben, und in der Strömung beständig zitternd, verpesteten sie die Luft. Und fast alle Soldaten, die dieses scheußliche Wasser getrunken hatten, waren nach furchtbaren Darmkrämpfen von Erbrechen und Dysenterie befallen worden.« (Zola, Der Zusammenbruch, Bd. 3, S. 67) 68 Zola, La D8b.cle, S. 465. »Der Regen hatte aufgehört, aber die schwere, bleierne Sonne bedeutete nur einen Wechsel in der Qual. Die übermäßige Hitze hatte die Leute vollends
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Im stinkenden Lazarett scheint das Fieber förmlich durch die Luft zu wehen: »C’8tait une purulence que rien ne pouvait combattre, qui soufflait et vidait des rang8es de lits. DHs la porte, une odeur de n8crose prenait / la gorge. Les drains suppuraient, laissaient tomber goutte / goutte le pus f8tide.«69 Vom abgestorbenen Fleisch der Typhuskranken im Endstadium geht schon vor dem Tod ein Leichengeruch aus: Puis, l’homme entier y passait, il avait le corps envahi par les plaques livides du typhus, il fallait l’emmener, vacillant, ivre et hagard, dans la salle des damn8s, oF il succombait, la chair morte d8j/ et sentant le cadavre, avant l’agonie.70
Die Soldaten halten den Austritt von Verwesungsgasen, die aus der Erde oder dem Wasser hervortreten, sogar ausdrücklich für eine Seuchenquelle: Puis, comme on servait encore une terrine de foie gras, achet8e en Belgique, la conversation tourna, s’arrÞta un instant au poisson de la Meuse qui mourait empoisonn8, finit par tomber sur le danger de peste qui menaÅait Sedan, au prochain d8gel. En novembre, des cas d’8pid8mie s’8taient d8j/ d8clar8s. On avait eu beau, aprHs la bataille, d8penser six mille francs pour balayer la ville, br0ler en tas les sacs, les gibernes, tous les d8bris louches: les campagnes environnantes n’en soufflaient pas moins des odeurs naus8abondes, / la moindre humidit8, tellement elles 8taient gorg8es de cadavres, / peine enfouis, mal recouverts de quelques centimHtres de terre. Partout, des tombes bossuaient les champs, le sol se fendait sous la pouss8e int8rieure, la putr8faction suintait et s’exhalait. Et l’on venait, les jours pr8c8dents, de d8couvrir un autre foyer d’infection, la Meuse, d’oF l’on avait pourtant retir8 d8j/ plus de douze cents corps de chevaux. L’opinion g8n8rale 8tait qu’il n’y restait plus un cadavre humain, lorsqu’un garde champÞtre, en regardant avec attention, / plus de deux mHtres de profondeur, avait aperÅu sous l’eau des blancheurs, qu’on aurait pris pour des pierres: c’8taient des lits de cadavres, des corps 8ventr8s que le ballonnement, rendu impossible, n’avait pu ramener / la surface. Depuis prHs de quatre mois, ils s8journaient l/, dans cette eau, parmi les herbes. Les coups de croc ramenaient des bras, des jambes, des tÞtes. Rien que erschöpft und war die Ursache, daß die Ruhr den beunruhigenden Charakter einer Seuche annahm. Die Entleerungen und Auswürfe der ganzen kranken Armee vergifteten die Luft mit widrigen Dünsten. Man konnte weder die Maas noch den Kanal entlang gehen, so groß war der Gestank der ertrunkenen Pferde und Soldaten, die im Ufergrase verwesten. Und in den Feldern faulten die verhungerten Pferde und verbreiteten eine solche Pest, daß die Preußen, die für sich zu fürchten begannen, Spaten und Schaufeln herbeischafften und die Gefangenen zwangen, die Leichname zu begraben.« (Zola, Der Zusammenbruch, Bd. 3, S. 81) 69 Zola, La D8b.cle, S. 500. »Es war dieses Eiterfieber, das durch nichts bekämpft werden konnte, das hier wehte und ganze Bettreihen leerte. Schon bei der Thüre benahm einem ein Geruch nach Wundbrand den Atem; die Drainrohre entleerten sich und ließen den stinkenden Eiter Tropfen um Tropfen niederfallen.« (Zola, Der Zusammenbruch, Bd. 3, S. 133– 134) 70 Zola, La D8b.cle, S. 501. »Dann kam der ganze Mensch daran, sein Leib ward von den fahlen Typhusflecken befallen, man mußte ihn schwankend, wie berauscht und scheu in den Saal der Verdammten führen, wo er mit schon abgestorbenem Körper und noch vor Eintritt des Todeskampfes unter Leichengeruch verschied.« (Zola, Der Zusammenbruch, Bd. 3, S. 135)
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la force du courant d8tachait et emportait parfois une main. L’eau se troublait, de grosses bulles de gaz montaient, crevaient / la surface, empestant l’air d’une odeur infecte.71
Schon um 1850 wurden Experimente angestellt, die der Theorie einer Ansteckung durch Verwesungsgase die Basis entzogen;72 Alain Corbin zufolge fand dieser Ansatz um circa 1880 keine wissenschaftlichen Fürsprecher mehr.73 Gewiß, auch nach der Durchsetzung der Mikroben-Theorie wurde an dem Wort ›Miasma‹, das zuvor ansteckenden Gestank bezeichnete, zum Teil noch festgehalten; »Mikroben« wurden »eine Zeitlang noch gelegentlich mikrobische Miasmen« genannt,74 und auch die Rede vom ›odeur infecte‹ oder von den ›8manations infectes‹ muß keinen Rückfall in überholte Theorien bedeuten – ›infecte‹ ist nicht immer als Bezeichnung für eine Ansteckungsquelle (›source infectieuse‹) zu verstehen. Und seit dem Ende der Miasmentheorie gilt der »Gestank selbst« »zwar nicht mehr als Krankheitserreger, aber er zeigt das Vorhandensein pathogener Elemente an«,75 so daß die Rede vom vergiftenden Gestank im metonymischen Sinn plausibel bleibt. Auffällig ist indessen, daß Zolas Roman an keiner Stelle versucht, die Miasmentheorie zu entwerten, sondern die Ansteckungskraft von verfalls- und krankheitstypischen Gasen geradezu suggeriert. 71 Zola, La D8b.cle, S. 553–554. »Als man dann noch eine in Belgien gekaufte Gänseleber auftrug, nahm das Gespräch eine andere Wendung; man unterhielt sich eine Zeitlang über die Fische in der Maas, die vergiftet zu Grunde gegangen seien, und kam schließlich auf die Gefahr einer Seuche zu sprechen, von der Sedan beim nächsten Tauwetter bedroht sei. Im November waren bereits einige epidemische Fälle vorgekommen. Man hatte nach der Schlacht umsonst sechstausend Franken ausgegeben, um die Stadt zu reinigen, man hatte umsonst die Tornister, die Patronentaschen und alle verdächtigen Überbleibsel haufenweise verbrannt. Die Umgegend hauchte nichtsdestoweniger bei der geringsten Feuchtigkeit ekelerregende Dünste aus, so sehr war sie mit notdürftig verscharrten und nur mit ein paar Zoll Erde bedeckten Leichnamen angefüllt. Überall waren die Gefilde mit Gräbern wie mit Maulwurfshügeln besät. Der Boden spaltete sich unter dem Druck von innen, die Fäulnis sickerte durch und verpestete die Luft. Wenige Tage vorher hatte man einen neuen Seuchenherd, die Maas, entdeckt, aus der man bereits über zwölfhundert Pferdeleichen herausgezogen hatte. Man war allgemein der Ansicht, daß nicht ein menschlicher Leichnam mehr dringeblieben sei, als ein Feldhüter nach aufmerksamer Beobachtung in einer Tiefe von mehr als zwei Metern weiße Flecken unter dem Wasser sah, die man für Steine hätte halten können. Es waren das ganze Nester von Leichen, von ausgeweideten Leibern, die infolge der Unmöglichkeit der Aufblähung nicht an die Oberfläche hatten kommen können. Seit vier Monaten lagen sie im Wasser unter dem Grase da. Mit Haken fischte man Arme, Beine und Köpfe heraus; durch die Gewalt der Strömung allein wurde bisweilen eine Hand abgetrennt und fortgeschwemmt. Das Wasser trübte sich, große Gasblasen stiegen empor und verpesteten, an der Oberfläche platzend, die Luft mit einem scheußlichen Gestank.« (Zola, Der Zusammenbruch, Bd. 3, S. 213–214) 72 AriHs, S. 690–691. 73 Corbin, S. 292–293. 74 Corbin, S. 356, Endn. 4. 75 Corbin, S. 297.
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So trifft auf La D8b.cle zu, was Corbin im Anschluß an Alain Denizet über Zolas Rougon-Macquart-Zyklus im allgemeinen konstatiert: Zola bringt zu einem sehr späten Zeitpunkt jene Geruchsobsessionen zum Ausdruck, die der Medizin bis zur großen Wende durch Pasteurs Entdeckungen anhaften. Seine Beschreibungen von den Gerüchen öffentlicher und privater Orte spiegeln […] die Ängste und Sorgen der Hygieniker um 1835, in der Folgezeit der großen Choleraepidemie.76
Zolas Darstellung erfaßt allerdings weitverbreitete Ängste der nicht-fachlichen Öffentlichkeit sehr genau, denn tatsächlich weckten die »Massenbestattungen« der »Leichname gefallener Soldaten« in der Zeit Napoleons III. »Ängste vor Verseuchung und Unsauberkeit« als Folge des Verwesungsgeruchs: So begannen nach der Schlacht von Sedan, die den Sturz Napoleons III. zur Folge hatte, ›die randvoll bis zur Erdoberfläche gefüllten Gräber pestilenzartige Ausdünstungen zu verströmen. Die belgische Regierung, deren in nächster Nähe wohnende Untertanen am meisten bedroht waren, schickte eine Kommission zum Ort des Geschehens, die […] nichts Eiligeres, Sichereres und Wirtschaftlicheres vorzuschlagen wußte als den Gebrauch von Feuer.‹ Man ließ einen sehr selbstbewußten Chemiker, Creteur, kommen, der sicherlich kein ›Positivist‹ gewesen sein dürfte. Er öffnete die Massengräber, goß Lachen von Teer darüber aus und setzte ihn mit Petroleum in Brand. Eine Stunde Arbeit genügte.77
Zolas Roman markiert eine Übergangsphase in der Geschichte literarischer Darstellungen von Leichen in Geruchslandschaften des Krieges. Die sinnliche Raffinesse eines Beaudoin und seiner Geliebten verweist bereits auf eine vom Gestank gereinigte, mit Blütendüften reodorierte Lebenswelt bürgerlicher Schichten, und zu einer Zeit, da die Erwähnung des ›schmutzigen Todes‹ zunehmend skandalös wirkt, entfalten die Darstellungen von Kriegsleichen und ihrem Gestank eine Schockwirkung. Doch die oft sachliche Art, in der Zola die Massen von Leichen und Kadavern als hygienisches Problem thematisiert, verweist auf die Sensibilitäten des 19. Jahrhunderts; die smellscapes des Ersten Weltkriegs markieren insofern einen einschneidenden kulturellen Wandel.
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Die von Zola registrierten Empfindlichkeiten geben sich auch in Briefen von Friedrich Nietzsche zu erkennen, der für kurze Zeit im Sanitätsdienst am deutsch-französischen Krieg teilnahm und dabei unangenehmen Gerüchen ausgesetzt war. Zwar hält er im Notizbuch als herausragenden olfaktorischen 76 Corbin, S. 272. 77 AriHs, S. 701.
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Eindruck nur den Maschinengewehrgeruch fest: »Feld Briefe Bücher. Montur. Starker Geruch Mitrailleuse. Starker Regen. Zerschossenes Haus […]«;78 in einem Brief an Richard Wagner kommt er aber auch auf den Gestank der Verletzten zu sprechen: Ich hatte einen elenden Viehwagen, in dem 6 Schwerleidende lagen, allein während jener Zeit zu besorgen, zu verbinden zu verpflegen usw. Alle mit zerschossenen Knochen, mehrere mit 4 Wunden; dazu constatierte ich bei zweien noch Wunddiphtheritis. Dass ich es in diesen Pestdünsten aushielt, selbst zu schlafen und zu essen vermochte, erscheint mir jetzt wie ein Zauberwerk.79
In einem Brief an Carl von Gersdorff variiert er – dieses Mal im Verweis auf seine Arbeit in einem wegen Regen geschlossenen Viehwaggon – das Thema: »Der Dunstkreis solcher Wagen war fürchterlich«.80 In beiden Fällen folgt auf die Erwähnung übler Gerüche die Nachricht, daß er sich bei seiner Arbeit infiziert hatte; ohne sich ausdrücklich auf eine Miasmentheorie zu beziehen, evoziert er – ähnlich wie Zola – eine Atmosphäre der Ansteckung. Als Tropen überschreiten die Geruchsmotive in Nietzsches philosophischen Schriften zwar den Horizont szientifisch vertretbarer Erkenntnisverfahren:81 der Geruchssinn wird zum Organ einer Erkenntnis aufgewertet, die vor aller Reflexion das Gute vom Schlechten untrüglich scheidet und so auch die Vorzüge anderer Modi intuitiven Wissens symbolisch zu unterstreichen vermag.82 Der reale Gestank septischer Wunden fordert hingegen zu einer objektiv ausgerichteten Selbstsorge heraus, und über der abstoßenden Kriegswirklichkeit hat Nietzsche – wie übrigens auch Zolas Figuren, die während des Genusses einer foie gras über Verwesungsgestank sprechen – das gute Essen nicht vernachlässigt. Zola läßt zwar eine Gastgeberin zu Wort kommen, die lachend fragt, ob man zum Essen kein pas78 Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari (München: dtv / Berlin u. New York: de Gruyter : 1980), Bd. 7, Nachgelassene Fragmente 1869–1874, S. 87–91, hier S. 89. 79 Friedrich Nietzsche, Brief an Richard Wagner [11. September 1870], in: ders., Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari (Berlin u. New York: de Gruyter, 1977), Zweite Abteilung, Bd. 1, April 1869-Mai 1872, S. 142–144, hier S. 143. 80 Friedrich Nietzsche, Brief an Carl von Gersdorff [20. Oktober 1870], in: ders., Briefwechsel, Zweite Abteilung, Bd. 1, S. 147–149, hier S. 149. 81 Nietzsches spätere Antimetaphysik bleibt indessen einem (wenn auch zu überbietenden) szientistischen Wahrheitsbegriff verhaftet: »Eindeutig war lange Zeit die Haltung des Positivismus und seiner Nachfolger; er hatte die Fragestellungen der Metaphysik als sinnlos entlarvt – sie konnten als gegenstandslos beiseite geschoben werden. In diesem antimetaphysischen Furor verriet sich freilich die unaufgeklärt szientistische Absicht, das erfahrungswissenschaftliche Denken selbst zum Absoluten zu erheben. Zweideutig von Anbeginn waren die Anstrengungen Nietzsches, die Metaphysik zu überwinden.« (Jürgen Habermas, Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1992), S. 35) 82 Diaconu, S. 195–200.
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senderes Thema hätte finden können, doch den Appetit verschlägt es niemandem. Der Erzähler von Thomas Manns Der Tod in Venedig [1912] ist da schon empfindlicher : die von »Fäulnisdünsten« erfüllte, schwüle Luft der Stadt »wehrte der Eßlust«, und »die Vorstellung drängte sich auf, daß die Speisen mit Ansteckungsstoffen vergiftet seien.«83 Auch Texte über den Ersten Weltkrieg bringen das Thema des Essens in einer von Verfall geprägten Atmosphäre zur Sprache,84 doch der rhetorische Stellenwert des Geruchsmotivs hat sich gewandelt: der Verfallsgestank wirft nun auch Fragen nach dem ethischen Gehalt kriegsspezifischer Dienste auf, und das Thema der Nahrungsaufnahme wird oft mit patriotischer Entsagung assoziiert. In ihrer Autobiographie Testament of Youth [1933] erinnert sich Vera Brittain an ihren Pflegedienst im Ersten Weltkrieg: I often wonder how we were able to drink tea and eat cake in the theatre – as we did all day at frequent intervals – in that fœtid stench, with the thermometer about 90 degrees in the shade, and the saturated dressings and yet more gruesome human remnants heaped on the floor.85
Daß der Verfallsgestank patriotischen Vorstellungen über den Glanz des Kriegsdienstes die Grundlage entzieht, belegt ein Brief ihres Geliebten von der Front: »Let him who thinks that war is a glorious, golden thing […] realise how grand and glorious a thing it is to have distilled all Youth and Joy and Life into a fœtid heap of hideous putrescence.«86 In Mary Bordens Erzählungen The Forbidden Zone [1929] über ihre Zeit als Leiterin eines französischen Lazaretts im Ersten Weltkrieg verweist der ungebrochene Appetit von Ärzten und Sanitätern in einer Atmosphäre der Nekrose auf eine psychische Widerstandsfähigkeit, der auch etwas Groteskes anhaftet: The General is coming at two to decorate all amput8s. 2nd Surgeon: We’ll get no lunch today, and I’m hungry. There, I call that a neat amputation. 1st Surgeon: Three holes stopped in this lung in three minutes by the clock. Pretty quick, eh? 3rd Surgeon: Give me a light, someone. My experience is that if abdomens have to wait more than six hours it’s no good. You can’t do anything. I hope that chap got the oysters in Amiens! Oysters sound good to me.87 83 Thomas Mann, Der Tod in Venedig [1912], in: ders., Der Tod in Venedig und andere Erzählungen (Frankfurt am Main: Fischer, 1993), S. 7–87, hier S. 82. 84 In den folgenden Beispielen sind jeweils ganze Räume durch Verfallsgerüche geprägt, so daß die Rede von ›Atmosphären‹ hier angemessen ist. 85 Vera Brittain, Testament of Youth. An Autobiographical Study of the Years 1900–1925 [1933] (London: Virago, 2004), S. 341. 86 Ebd., S. 174. 87 Mary Borden, The Forbidden Zone [1929] (London: Hesperus, 2008), S. 89–90.
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Der Ekel wird durch eine farcenhafte Komik, die das Grausame mit Humor verknüpft, zugleich gesteigert und bewältigt: A surgeon appears. ›Where’s that knee of mine? I left it in the saucepan on the window ledge. I had boiled it up for an experiment.‹ […] ›Jean, did you take a saucepan you found on the windowsill?‹ ›Yes, sister, I took it. I thought it was for the casse-cro0te; it looked like a rago0t of mouton. I have it here.‹ ›Well, it was lucky he didn’t eat it. It was a knee I had cut out, you know.‹ It is time for the old ones’ casse-cro0te. It is after one o’clock. At one o’clock the orderlies have cups of coffee and chunks of bread and meat.88
Das vorbildliche Ethos der Leiterin zeigt sich in einer Sicht, die alle nicht unmittelbar am Dienst beteiligten Körperregionen vom Selbstgefühl abspaltet; zwar genießt sie regelmäßig eine Tasse Kakao in einem Raum, wo die Instrumente sterilisiert werden, und dabei müssen auch schon mal amputierte Gliedmaßen aus dem Weg geräumt werden,89 doch im Operationssaal hat sie keinen Appetit: The surgeons and the sisters attached to the operating rooms are drinking coffee too in the sterilising rooms. I do not want any supper. I am not hungry. I am not tired. I am busy. My eyes are busy and my fingers. I am conscious of nothing about myself but my eyes, hands and feet. […] I see it all through a mist. It is misty but eternal. It is a scene in eternity, in some strange dream-hell where I am glad to be employed, where I belong, where I am happy. […] I’ve never been so close before to human beings. We are locked together, the old ones and I, and the wounded men; we are bound together. We all feel it. We all know it. The same thing is throbbing in us, the single thing, the one life.90
Die Haltung zum Essen in einer Atmosphäre des Zerfalls interessiert hier nicht länger in erster Linie aus medizinischer oder psychologischer Sicht, sondern aus ethischer Perspektive. Nietzsche verfällt erst gar nicht auf die Idee, den Sinn für gutes Essen mit Ekel vor Verfallsgestank zu kontaminieren, um Prinzipien bzw. Grundfragen des Kriegsdienstes zu erhellen. Seine Tagebucheinträge von August bis September 1870 verzeichnen zwar Verletzungen, Krankheiten und Infektionsgefahren, doch einschlägige Gerüche sind ihm – im Unterschied zum Essen – keine Zeile wert. Er notiert: »Wir essen […] sehr gut zu Abend«, der Kauf von »Wurst und Burgunder« wird erwähnt, den Tag danach logiert er »im Engel: gut«, und später 88 Ebd., S. 100. 89 Ebd., S. 41. 90 Ebd., S. 100–102.
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heißt es erneut: »Gut gegessen.«91 Gut fünfzig Jahre später führt Ernst Jünger eine andere Haltung zum Essen vor Augen: in einem auf »Leichen« oder einer »Latrine« errichteten »Unterstand«, in dem »dichter Dunst von Menschen, Schimmel und Verwesung« herrscht, belegt der Ich-Erzähler, der sich »wehmütig« an sauberere Zeiten erinnert, eine Scheibe Brot mit »breiigen Rindfleischfasern« aus einer »schmierige[n] Konservendose« – und muß sich erst erklären, warum seine von Haus aus an die »Muskelarbeit« gewohnten Kameraden so sehr am guten Essen hängen.92 Das vorbildliche Ethos des modernen, dem sinnlich guten Leben entsagenden Kriegers, dessen Vitalität vielmehr in der disziplinierten Kanalisierung archaischer Impulse zum Ausdruck kommt, geht mit einem Abbau zivilisatorischer Hemmungen einher, der beim Essen in einer Atmosphäre der Verwesung sinnfällig wird. Auch weniger kriegsbegeisterte Autoren verweisen auf leidhafte orale Wahrnehmungen in Atmosphären des Verfalls, um eine ethisch maßgebende Haltung gegenüber dem Ersten Weltkrieg zu erhellen. In Roland DorgelHs’ Roman Les Croix de bois [1919] leckt ein Soldat, der auf einem Friedhof unter Beschuß in einer Gruft Deckung sucht und an Durst leidet, als Märtyrerfigur im Zwischenreich von Leben und Tod die ›weinenden‹ Wände der Grabstätte ab; indem er sich an einem Symbol des schmerzhaften Verlustes erhält, wird seine Entsagung überdeutlich.93 Evadne Price stellt in ihrem kriegskritischen Roman Not so Quiet… Stepdaughters of War [1930] den Gestank von Blut, Erbrochenem, Exkrementen und Nekrose in den Vordergrund, den die Fahrerinnen der Krankenwagen an der Front an jedem Morgen ertragen müssen, wenn sie ihr Fahrzeug reinigen; die Fahrerinnen betonen auch den Gestank des miesen Essens, das ihnen vorgesetzt wird. Das Recht, sich über den stinkenden, an einen toten Hund erinnernden Fraß zu beschweren, wird ausdrücklich im Verweis auf die Belastungen bei der Fahrzeugreinigung in Anspruch genommen.94 Diese rhetorische Strategie paßt zur Absicht von Prices Roman, den Glauben an die patriotische Würde des Transportdienstes an der Front als naive Illusion über traumatisierende Arbeitsbedingungen zu entlarven. Diese Beispiele mögen genügen, um Bedeutungsunterschiede von Motiven des Essens in einer Atmosphäre des organischen Verfalls im deutsch-französi91 Nietzsche, Sämtliche Werke, Bd. 7, S. 89. 92 Ernst Jünger, ›Der Kampf als inneres Erlebnis‹ [1922], in: ders., Essays I. Betrachtungen zur Zeit (Stuttgart: Klett-Cotta, 2002), S. 9–103, hier S. 79–81; vgl. ebd., S. 21: »Unverkennbar ist der Geruch des verwesenden Menschen, schwer, süßlich und widerlich haftend wie zäher Brei. Nach großen Schlachten brütete er so lastend über den Feldern, daß auch der Hungrigste das Essen vergaß.« 93 Roland DorgelHs, Les Croix de bois [1919] (Librairie G8n8rale FranÅaise: Paris, 2010), S. 205. 94 Helen Zenna Smith [Evadne Price], Not so Quiet… Stepdaughters of War [1930] (New York: Feminist Press, 1989), S. 59, 65 u. 133; siehe auch S. 89 u. 93.
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schen und im Ersten Weltkrieg zu illustrieren. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts handelt es sich vorwiegend um Anzeichen einer körperlichen und psychischen Belastbarkeit; in der Literatur zum ›Großen Krieg‹ fungieren sie indessen als Zeichen ethischer Grundhaltungen.
II.
Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
1.
Kriegsgläubige Tabuisierungen
Erste Ansätze, soziale Räume methodisch zu desodorieren, wurden oft in Gefängnissen, Hospitälern, auf großen Schiffen oder in Soldatenunterkünften erprobt;1 die in Kasernen oder Soldatenzelten herrschenden Zustände waren für das empfindlicher gewordene Bürgertum oft schwer zu ertragen. Auf die figurative Rede vom Kriegsgeruch schlug die neue Empfindlichkeit hingegen nicht sofort durch. So schreibt der Major von Jena 1864 an seine Schwester : Mit herzlichem Danke bestätige ich die Ankunft der Sachen, die ich sogleich vertheilt habe. Die Leute sind jetzt alle reichlich versorgt, und da wir nun vorgehen, so bemühe Dich nicht weiter, sonst kommen doch die Sachen zu spät und finden uns nicht. Es riecht nach Krieg, und wie Frühlingsdüfte jedem Menschen wohlthun, so erheben diese Kriegsgerüche das Soldatenherz. Man fühlt sich Mann.2
An den positiv konnotierten Topos des Kriegsgeruchs kann Georg Kaiser noch zu Zeiten des Ersten Weltkriegs anknüpfen, als er sein Drama Europa [1915] als »Beitrag zur allgemeinen Mobilmachung« schreibt.3 Der beißend strenge Geruch des Kriegers wird als Zeichen einer allgemein belebenden Kräftigung der Sinne durch das aktive Soldatenleben dargestellt; nicht erotisierbare Kriegsgerüche werden im Stück gar nicht erst erwähnt. In diesem Spiel und Tanz in fünf Aufzügen herrscht König Agenor über ein »Reich ungestörten Friedens«, das seit zwei Generationen keine Feinde mehr 1 Alain Corbin, Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs [frz. 1982] (Wagenbach: Berlin, 1984), S. 142; vgl. S. 180; zum bürgerlichen Ekel vor Gestank im militärischen Leben siehe ebd., S. 340, Fn. 88. 2 Erinnerungen an einen Heimgegangenen. Briefe des vor den Düppeler Schanzen gefallenen Major von Jena während des schleswig-holsteinischen Krieges an seine Familie (Berlin: G.A. König, 1864), S. 17 [Brief v. 25. Januar 1864]. 3 Peter Sprengel, Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1900–1918 (München: Beck, 2004), S. 548. Es wurde allerdings erst Ende 1920 uraufgeführt; siehe Walther Huder (Hg.), Georg Kaiser. Werke [= GKW] (Frankfurt am Main u. a.: Propyläen, 1971–72), Bd. 6 (1972), S. 873.
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kennt und keine Krieger mehr braucht: »Die Waffen zehrte der Rost in den Kellern auf«. Das Reich hat sich ganz den »segensreichen Friedenswerken« verschrieben, und der König fördert eine umfassende ästhetische Durchgestaltung des Lebens. Dazu gehören »die Umwandlung der ganzen Grundfläche« des »Reichs in Gärten« sowie eine restlose Milderung aller Formen des Ausdrucks: »Jeder laute Ton ist verbannt. Jede ungefüge Gebärde gelähmt. Hast ist besänftigt und Lärm ist gedämpft.« Daß diese friedliche Milde zu Lasten ungezähmter Naturkräfte geht, deutet sich schon im Garten an: »jeder Baum der Gehölze« ist »mit planmäßiger Absicht gepflanzt«.4 Das ungeplante Folgeproblem der scheinbar realisierten Utopie einer befriedeten Gesellschaft ist die Entfremdung der Geschlechter : die heiratsfähigen Mädchen des Reiches sind von den Männern gelangweilt, die sich in langen Gewändern mit wallendem Haar auf blumenbewachsener Wiese dem Tanz widmen. Die Männer der »friedemilden« Zeit umwerben die Königstochter Europa, die sie als unnahbaren »Duft« und »Hauch« feiern,5 sowie ihre Freundinnen mit einem Tanz, in dessen Leichtigkeit der Wunsch nach einer gleichsam schwerelosen Vermählung zum Ausdruck kommen soll; Europa und die Mädchen bleiben unbeeindruckt, wissen aber nicht recht, was ihnen fehlt. Die Lösung erscheint in Form eines Stiers. Zeus hatte in Gestalt eines Tänzers von unüberbietbarer Leichtigkeit versucht, um Europa zu werben, doch sie und ihre Freundinnen brechen angesichts dieses Mannes, der »Duft und Wolke und Hauch« ist, in Gelächter aus. Aus Rache will Zeus sich am nächsten Morgen als grober Stier vor ihr aufstellen und einen »gewaltigen […] Fladen« verlieren, doch Europa hat keine Angst vor dem Tier. Zwar schickt sich dessen Verhalten – er versucht zu »fauchen – schäumen – bocken« – nicht für den Umgang mit einer jungen Frau,6 doch der Stier, dessen Sprünge sie mit einem Tanz vergleicht, macht Europa Spaß, und sein Geruch wirkt eigentümlich attraktiv : »Dein rauhes Fell riecht bitter nach Fett. Der Dampf beizt in meiner Nase. Ihm die Flanken klopfend. Diese Stärke – du bist ein Kerl.«7 Europa wird vom Stier entführt und, wenn wir vom überlieferten Mythos aufs Stück schließen dürfen, in die sexuellen Vorzüge einer tatkräftigen, hier fürs »Handfeste« schwärmenden Männlichkeit eingeweiht.8 Schließlich langen Krieger auf der Suche nach Frauen am Ufer an; es handelt sich um die Gefolgschaft von Agenors verschollenem Sohn Kadmos, der kurz vor Erreichen der Volljährigkeit aus dem Reich floh, weil er »ein Mann sein« wollte. Er betrat Neuland, wo er »Drachenzähne« säte, aus denen seine Krieger em4 5 6 7 8
GKW, Bd. 1 (1971), S. 581–651, hier S. 581 u. 601. Ebd., S. 601 u. 604. Ebd., S. 621, 630 u. 634. Ebd., S. 635. Ebd., S. 594.
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porsprossen, die nun nach Frauen suchen.9 Agenor will die Krieger vor Europa und den Mädchen verbergen, doch Europa hat nun ein untrügliches Gespür für den bitter-scharf beizenden Geruch des ›wahren‹ Mannes, und die Krieger riechen auch die Mädchen. Europa nimmt den starken Anführer zum Gatten, die Mädchen folgen dem Beispiel und suchen sich passende Krieger aus, und die sanften Männer der Insel entdecken ihr Begehren nach den kräftigen Mägden des Reiches. Die Wiederentdeckung körperlicher Stärke wird als Erneuerung einer Vitalität gefeiert, zu deren Ausdrucksformen auch der Krieg gehört. Europa und ihr Gatte wollen ein eigenes Reich gründen, und Agenor lädt die Krieger ein, sich später mit den Nachkommen der revitalisierten Männer seines Reiches zu messen: »Kämpft um das Leben, das allein besteht: echtes Leben ist starkes Leben – und das stärkste ist das beste.«10 Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs ist die Botschaft klar : der Krieg gilt als Offenbarung einer Ursprungsmacht, die den überformten, die ›wahre‹ Männlichkeit unterdrückenden Lebensformen neue Energien zuführt. Der Stärkere ist in diesem Prozeß der gerechtfertigte Herrscher. Bei aller Satire, mit der die Krieger dargestellt werden, belegt das Stück Kaisers Kriegsbegeisterung.11 Die streng riechenden Soldaten wären im 20. Jahrhundert zwar nicht salonfähig, doch indem Kaiser sie in komödienhafter Überspitzung als positive Figuren darstellt, gerät das Kriegerdasein zur antibürgerlichen Bejahung derber Sinnlichkeit, die unter anderem im Genuß würziger Gerüche wieder Anschluß an eine Vitalität findet, die bei der Desodorierung der bürgerlichen Lebenswelt zu sehr gezähmt wurde. Die Kriegerfigur gerät zum ›gegenkulturellen‹ Abenteurer mit gutem Riecher für kräftige Genüsse, und ältere Auffassungen vom Kriegsgeruch als Stimulans ungekränkter Maskulinität sind mithin auch nach 1914 noch zu finden. Sie rühren nun aber an Peinlichkeitsschwellen, denen Kaiser mit satirischer Komik begegnen muß. Wie leicht jener Topos auch der Kriegskritik zuarbeiten kann, belegt ein Kriegsgedicht von Alfred Lichtenstein, das mit ironisiertem Pathos verkündet: »O, der Gestank in einer Marschkolonne. / O, Laufschritt über holdes Frühlingsland.«12 Walter Flex, der pathetisch die Würde des Kriegstodes verkünden möchte, ist denn auch gut beraten, das potentiell peinliche Thema des unsauber riechenden Körpers so einzukreisen, daß es von gegenläufigen Motiven überlagert wird: »Wir warfen die Kleider ab, badeten im Flusse und erwarteten das Bataillon. Es war für Monate unser letztes Bad.«13 In Texten, die den Ersten Weltkrieg aufschönen 9 10 11 12
Ebd., S. 642–643. Ebd., S. 651. Ernst Schürer, Georg Kaiser (New York: Twayne), S. 57–58 u. 156. Alfred Lichtenstein, ›Soldatenlieder‹ [1914], in: ders., Dichtungen, hg. v. Klaus Kanzog u. Hartmut Vollmer (Zürich: Arche, 1989), S. 108–109, hier S. 108. 13 Walter Flex, Der Wanderer zwischen beiden Welten [1916] (Berlin: Holzinger, 2015), S. 34.
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wollen, ist bereits die Erwähnung strenger Gerüche lebender Soldaten ästhetisch riskant, und so überrascht es nicht, daß Leichengeruch dort erst gar nicht erwähnt wird. Die patriotische Tabuisierung des Leichengeruchs ist für kriegsbejahende Romane typisch, die ein breites Publikum erreichten. In Flex’ Novelle Der Wanderer zwischen beiden Welten [1916] kommen kräftige Gerüche der Kriegslandschaft vor, doch Zerfallsgeruch wird nur in Gestalt symbolisch bedeutsamer Eindrücke von Sumpfwasser und Herbstlaub zugelassen, während deutsche Tote pietätvoll zur Heimaterde stilisiert werden (1). Andr8 Maurois’ Les Silences de colonel Bramble [1918] verschiebt das Motiv des Leichengeruchs auf ein mit groteskem Humor geschildertes Bild einer verendenden Ziegenherde, das die stoisch zu ertragenden Inkompetenzen im militärischen Leben in literarisch goutierbarer Form aufbereitet (2). Ernest Raymonds Tell England [1922] deutet den starken Geruch Kriegstoter mit dem Bild vom Pestkarren nur leise an, um den stolzen und fromm-patriotischen Ton des Romans nicht zu stören (3). Alle drei Romane waren sehr erfolgreich – Flex’ Buch rangiert unter den KriegsBestsellern gleich hinter Remarques Im Westen nichts Neues, Maurois’ Erzählung war in Frankreich und England ein großer Erfolg, und Raymonds Roman erreichte noch 1973 die 40. Auflage.14 Aus der Geruchsforschung ist bekannt, daß der Verständigung über schlechte Geruchseindrücke eine zentrale Rolle beim Übergang vom bloß subjektiven Unbehagen zum Wissen um eine geteilte Beeinträchtigung der Lebensqualität zukommt, und daß Insider über solche Eindrücke mit Dritten oft nicht sprechen.15 Um ein Wissen, das zum Widerstand reizt oder beschämend wirkt, erst gar nicht aufkommen zu lassen, schweigen jene kriegsgläubigen Texte denn auch meist vom schlechten Geruch im ›eigenen‹ Handlungsraum; das Motiv der stinkenden Ziegenkadaver wird indessen satirisch entschärft, und Colonel Bramble reagiert auf die toten Tiere mit beredtem Schweigen. Zwar appellieren die Texte an unterschiedliche Emotionen: Flex will die Trauer über den Verlust eines Kameraden so gestalten, daß die mit ihm geteilte 14 Hans Wagener, ›Wandervogel und Flammenengel. Walter Flex: Der Wanderer zwischen beiden Welten. Ein Kriegserlebnis (1916)‹, in: Thomas F. Schneider u. Hans Wagener (Hg.), Von Richthofen bis Remarque: Deutschsprachige Prosa zum I. Weltkrieg (Amsterdam u. New York: Rodopi, 2003), S. 17–30, hier S. 17–18; Jack Kolbert, The Worlds of Andr8 Maurois (Cranbury, NJ u. a.: Associated University Presses, 1985), S. 33; Jenny Macleod, Reconsidering Gallipoli (Manchester u. New York: Manchester University Press, 2004), S. 172, Fn. 70. 15 Siehe Fanny Rinck, Moustafa Bensafi u. Catherine Rouby, ›Olfactory Nuisance and Its Impact on Quality of Life: Discourses of Residents in a Crisis Situation‹, in: Ma˘da˘lina Diaconu, Eva Heuberger, Ruth Mateus-Berr u. Lukas Marcel Vosicky (Hg.), Senses and the City. An interdisciplinary approach to urban sensescapes (Wien u. Berlin: LIT, 2011), S. 155–164, hier S. 160–161, sowie Regina Bendix, ›Sense, Scent and (Urban) Sensibility‹, in: Diaconu, Heuberger, Mateus-Berr u. Vosicky (Hg.), Senses and the City, S. 209–221, hier S. 210.
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Begeisterung über das Kriegsleben dessen Tod überdauert, Maurois zelebriert den humorvollen Stoizismus der Briten, und Raymond erzählt – in der Tradition der Romanze – von ruhmreichen Taten junger Helden.16 Gemeinsam ist den Texten jedoch eine ethische Gestimmtheit: Kriegsdienst wird freudig bejaht,17 und alle drei betrachten den Krieg als bewaffnete Fortsetzung ehrwürdiger friedensspezifischer Lebensformen. Flex feiert das jugendbewegte Wandervogel-Ethos, Maurois den britischen Sportsgeist und die Vitalität französischer Bauern, Raymond die an englischen Privatschulen vermittelten, beispielhaft im Cricket verkörperten Werte, und der gesunde und sportlich-aktive Männerkörper wird von allen drei Autoren bejaht. Vor dem Hintergrund der starken Resonanz solcher Texte erschließt sich das subversive Potential von Bertolt Brechts ›Legende vom toten Soldaten‹ [1927]; in dieser Ballade wird ein toter Soldat exhumiert und in den Krieg zurückgeschickt, doch der Gestank dieser Leiche entlarvt das umjubelte Kriegerdasein – aller Beweihräucherung zum Trotz – als lebensfeindlichen Betrug (4).
1)
Walter Flex: Der Wanderer zwischen beiden Welten [1916]
Flex schließt in seiner Novelle Der Wanderer zwischen beiden Welten eine aufmerksame Betrachtung sinnlich abstoßender Leichen programmatisch aus: Der Gedanke an den Heldentod eines Volkes ist nicht schrecklicher als der an den Schwerttod eines Menschen. Nur das Sterben ist häßlich bei Menschen und bei Völkern. Aber wenn ein Mann den tödlichen Schuß, der ihm das Eingeweide zerreißt, empfangen hat, dann soll keiner mehr nach ihm hinsehen. Denn was dann kommt, ist häßlich und gehört nicht mehr zu ihm. Das Große und Schöne, das heldische Leben ist vorüber.18 16 Zur Romanze siehe Burkhard Meyer-Sickendiek, ›Einleitung: Was heißt Affektpoetik?‹, in: ders., Affektpoetik. Eine Kulturgeschichte literarischer Emotionen (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005), S. 9–75, hier S. 52. 17 Das gilt auch für Maurois’ Erzählung, die im Vergleich mit den Texten von Flex und Raymond stärker das Ideal eines Lebens im Frieden betont, den Ersten Weltkrieg aber als Gelegenheit zur bereichernden interkulturellen Begegnung bejaht und den Glauben an seinen Sinn erst gar nicht in Frage stellt. 18 Flex, S. 21. – In der ersten Hälfte der Erzählung bleiben die Hauptfiguren denn auch von Kriegshandlungen verschont (siehe dazu Wagener, S. 20). Ähnlich verhält es sich in Raymonds Kriegsroman, der zu einem erheblichen Teil vom Leben an einer englischen Privatschule erzählt und noch die Teilnahme an einer Niederlage im Krieg für eine Ehre hält, die mit der Aufnahme ins führende Cricketteam der Schule verglichen werden kann (Chris Baldick, The Modern Movement (1910–1940) (Oxford: Oxford University Press, 2004), S. 361). In beiden Fällen wirbt der erste Teil für die Anerkennung des allgemeinen Ethos, das sich später auch im Kriegsgeschehen bewähren wird.
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Im 18. Jahrhundert galt der ekelhaft zugerichtete Körper als ein Motiv, das ein ästhetisches Urteil unmöglich macht: der schöne Schein eines Gegenstandes, der dem Spiel der Einbildungskraft unterworfen ist, würde zugunsten des wirklichen Ekels vor einer faktischen Deformation unterbrochen.19 Für Flex befindet sich dieser Körper jedoch innerhalb des Geltungsbereichs der Werte von ›schön‹ und ›häßlich‹: tabuisiert wird Häßliches, das sich gegen die Betrachtung im Lichte ethischer Ideale sträubt, und die ausdrückliche Rechtfertigung dieses Tabus rechnet damit, daß abstoßende Bilder des Sterbens, die ja schon in der Ilias zu finden sind, als interessant gelten könnten. Damit gerät Flex in die Nähe einer ›gesunden‹ Romantik, die sich zwar der Möglichkeit einer Hinneigung zum Ekelhaften bewußt ist, aber dem »klassischen Gesetz des Schönen« als des ethisch Wahren verbunden bleibt.20 Von modernistischen Autoren, die – wie zum Beispiel Ernst Jünger – einer »transgressiven Ekel-Lust«21 nachspüren, ist Flex weit entfernt. Da Flex über Kämpfe schreibt, die den Abnutzungsschlachten im Grabenkrieg zeitlich vorausliegen und sich an beweglicheren Frontabschnitten im Osten abspielen, stellen sich Probleme des Geruchsekels ohnehin noch nicht in der verschärften Weise, an der sich spätere Texte abarbeiten werden.22 Der Erzähler beschwört begeistert kräftige Düfte der Natur ; er preist den »süßherbe[n] Frühlingsgeruch alten Laubs und junger Erde«, »starken« bzw. »würzigen Harzduft« und »schweren Torfgeruch«. Er erwähnt aber auch Verfallsgerüche der Kriegslandschaft wie »den schwülen Brodem sommerheißer Sümpfe und den Dunst abgeblühter Wasser«. »Ein abscheulicher Fäulnisgeruch«, der das Ende des bis dahin teils geradezu idyllischen Lebens in freier Natur anzeigt, verdankt sich sickerndem Sumpfwasser.23 Diese Motive, die sich auch als Anspielung auf das kommende Sterben lesen lassen, werden aber nicht mit den Toten selbst verknüpft. Vielmehr verlangt der Erzähler von den Lebenden, den Gefallenen eine Art »Heimatrecht« zu gewähren und ihnen »den feuchten Duft der Heiterkeit« zu lassen, »der […] über« ihrer »Jugend lag«. »Wie wundgeschlagene Bäume süße und herbe Säfte ausströmen, so die Herzen der Dichter süße und herbe Lieder«:24 der poetische Gefallenenkult bringt die Toten nur mit guten Naturgerüchen in Verbindung. Der Prozeß der Verwesung wird 19 Siehe Winfried Menninghaus, Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung [1999] (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002), S. 39–188. 20 Ebd., S. 202. 21 Ebd., S. 58. 22 Franz Schauwecker berichtet allerdings von einer Schlacht in der ersten Hälfte des Jahres 1915 an der Ostfront, die drei Monate währte und ein Niemandsland hervorbrachte, in dem es deutlich nach Leichen roch – siehe dazu Kap. 6.3). 23 Flex, S. 23, 29 u. 31. 24 Ebd., S. 52.
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übersprungen und mit annehmbaren Motiven organischen Zerfalls nur angedeutet; betont wird indessen das ästhetisch ansprechende Produkt allen Zerfalls, nämlich Erde, aus der – wie auch in der zitierten Passage über den Frühlingsgeruch – neues Leben hervorgeht. Das Schlußgedicht verkündet trostreich aus der Perspektive der Gefallenen: Es fährt ein Sturm aus Ost, aus Ost, / Gräberwind, Gotteswind: / Du liebe Heimat, sei getrost! / Wir bleiben deiner Erde Kind … / Von allen Gräbern weht’s aus Ost: / Erde ist immer lind. / Erde, aus Heimaterde entsproßt, / Wir selbst nur Heimaterde sind, / Fürchtet euch nicht! –25
Um den Kriegstod als heroisches Opfer erscheinen zu lassen, spricht der Erzähler allenfalls von »mit Strömen von Heldenblut getränkten Höhen«, von »der blutigen Erde« und vom »stille[n] Blut« »im Sand«.26 Wenn dennoch einmal schlechte oder abstoßende Gerüche erwähnt werden, handelt es sich meist um verkraftbaren Fäulnisgestank; dieser tritt allerdings meist in Feindnähe auf, und schlechte Luft in Zimmern verweist auf die Armut der nicht-deutschen Bevölkerung im Kriegsgebiet. In den Unterständen herrscht »Höhlenluft«, die durch »Pulverschwaden« »weder besser noch schlechter« wird, das überfüllte Zimmer einer lettischen Familie in Zajle ist »voll verbrauchter Luft«, und in Winknobrosz strömen Strohschütten »faden, süßlichen Fäulnisgeruch aus«, der sich mit dem »Schweißdunst« der Pferde mischt, während nebenan wieder »wie an jenem Abend in Zajle« der »Armeleutebrodem des überfüllten Raumes« herrscht.27 Die Leichen des Feindes werden nicht direkt geschildert; angezündete Dörfer der Russen erscheinen als »rotlodernde Leichenfackeln des sterbenden Krieges«, als wollten sie den Kombattanten die letzte Ehre erweisen. Der Totenkult der Letten wirkt allerdings unordentlich; die »gespenstisch-verwahrlosten« Kirchhöfe sind öde und von Kadavern umgekommener Pferde umgeben. Dagegen erscheint ein »Bergfriedhof« inmitten zerschossener Häuser in Lothringen, als wäre er mit seiner Kirchenruine von einer »Gottesburg« umgeben. Die Landschaft wird zum sinnfälligen Ausdruck der Weise ihrer kulturellen Aneignung: zwar entzieht sich der sakrale Sinn des Sterbens der diskursiven Bestimmung, doch die Friedhöfe veranschaulichen kulturspezifische Haltungen zum Tod. Dem Erzähler zufolge soll sich das »alternde Leben […] nach Gottes Willen an der ewigen Jugend des Todes verjüngen«, und eben diese Jugend kommt auf dem 25 Ebd., S. 53. 26 Ebd., S. 5, 45 u. 47. Diese Topoi erinnern an die Wendung »und Blut umströmte die Erde« aus der Ilias (8. 65), doch Flex’ Text klingt eher versöhnlich im Vergleich mit der zornigen Rede des Epos: »Blutig fließ’ ihr Gehirn, wie der Wein hier, rings auf der Erde, / Ihrs und der Kinder zugleich, und die Gattinnen schände der Fremdling!« (3. 300–301) 27 Flex, S. 31, 39 u. 44.
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lothringischen Friedhof symbolisch zum Ausdruck, »über dessen graue Mauern das Leben in Büscheln frischen Grüns mit hundert schlanken Zweigen voll silbrig schimmernden Teufelszwirns und schwellender Haselkätzchen hinausdrängte«. Da Flex den Krieg als heroische Spielart der lebensfrommen Verbundenheit mit einer als schön und sinnstiftend erlebten Natur feiert, muß er bei Schilderungen eines ethisch vorbildlichen Handelns über abstoßende Details des Kriegstodes schweigen.28 Die Art des Verschweigens verrät die Problematik, die den Spielraum für eine Aufschönung von Todesmotiven begrenzt: hatte die ›gesunde‹ Romantik »Beispiele ästhetisch erlaubter Verwesung« im Verweis auf das »Leben« auch hinter der »Macht des Todes« legitimiert, kehrt sich dieses Machtverhältnis bei Flex zugunsten des Todes um, ohne dem »schönen Ekel« der »schwarzen Romantik« Raum zu geben.29
2)
André Maurois: Les Silences de colonel Bramble [1918]
Maurois’ Les Silences de colonel Bramble feiert aus der Sicht eines Franzosen ›die‹ britische Haltung zum Krieg, die sich durch stoischen Pragmatismus, apolitischen Sportsgeist und einen Hang zum understatement auch bei starker emotionaler Belastung auszeichnet. Der Titel spielt auf die Neigung des Colonels an, sich aus Streitgesprächen herauszuhalten, dabei nach der Portweinflasche zu verlangen und den Destiny Waltz auf dem Grammophon zu spielen. Die Erzählung besteht aus den Aufzeichnungen eines französischen Militärdolmetschers namens Aurelle, der den irischen Militärarzt Dr. O’Grady, einen schottischen Militärpater und den Engländer Major Parker immer wieder zum Meinungsaustausch anstachelt und sich an der britischen Manier des Argumentierens erfreut. Neben diesen Gesprächen enthält der Text auch einige Anekdoten sowie Gedichte von Aurelle. Im Geiste des geschätzten understatement verzichtet die Erzählung darauf, sinnlich schockierende Greuelszenen vor Augen zu führen. Als der Padre beim Kartenlegen an einem Granatsplitter in der langsam blutenden Schläfe stirbt, fällt er mit gekreuzten Armen auf die verstreuten Spielkarten und scheint sein Gegenüber mit vagem Blick anzuschauen. Wie der Titel des Destiny Waltz, so verweisen auch die Patience-Karten auf ein stoisch anzunehmendes Schicksal, dessen schmerzhafte Seiten hier in einer symbolisch annehmbaren Form präsentiert werden. Zwar erwähnt der Erzähler auch Verwesungsgeruch, der jedoch von den toten Tieren einer Ziegenherde stammt, die zur Versorgung indischer Soldaten mit Fleisch ins ungewohnte französische Klima gebracht wurden und 28 Ebd., S. 5, 37, 48 u. 51; siehe auch S. 43 u. 50. 29 Menninghaus, S. 222.
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nun reihenweise sterben. Die angeblichen Spezialisten, die sich des Problems annehmen sollen, scheitern; das Sterben geht weiter – und hört dann ohne erfindlichen Grund auf. Zu Beginn wird Cassell, von Beruf Musikkritiker, mit der Unterbringung der Ziegen beauftragt; als die Tiere innerhalb weniger Tage in Massen eingehen, fällt ihm nichts besseres ein, als Nachschub zu fordern, worauf sich der Colonel zur Ziegenfarm begibt: Une odeur atroce montait de la vall8e et, en approchant, le colonel vit une centaine de cadavres de chHvres qui commenÅaient / pourrir, le ventre ballonn8, jet8r au hasard dans la prairie. Quelques chevreaux maigres grignotaient tristement l’8corce des pommiers. En regardant au loins, dans les taillis qui couvraient l’autre versant de la vall8e, on d8couvrait partout des chHvres 8chapp8e broutant les jeunes bois. Devant ce spectacle lamentable, Aurelle, plaignit le malhereux Cassell. Le colonel observait un silence hostile et redoubtable.30
Cassells Kommentar verweist auf ein groteskes Mißverhältnis zwischen ästhetischem Urteil und sinnlicher Wahrnehmung: »Est-ce que ce n’est pas joli, colonel, dit le critique musical de sa voix douce et pointue, toutes ces petites taches blanches qui piquent la verdure?«31 Auch hier ist das Schweigen des Colonel bezeichnend; es verbirgt Zorn über Inkompetenz im Militäralltag, mit der jedoch zu rechnen ist. Das massenhafte Ziegensterben wird nicht ausdrücklich mit dem Kriegstod an der Front in Verbindung gebracht, doch der Vergleich liegt auf der Hand. Die Verschiebung des Themas auf groteske Formen der Inkompetenz im Umgang mit Nutztieren macht es jedenfalls möglich, den Geruchsekel zu verlachen und in den Horizont einer humoristischen Kunst einzuholen. Die schon im 18. Jahrhundert zu beobachtende Strategie, das Ekelhafte einer ästhetisch zulässigen Spielart des »Schrecklichen oder Gräßlichen« oder dem »Lächerlichen und Komischen« beizumischen, dessen erhellender Sinn dem Ekel die Spitze nimmt, wirkt hier nach.32 In diesem Sinne führt O’Grady später aus, wieviel Millionen Menschen jedes Jahrhundert im Krieg sterben, und veranschaulicht das Ausmaß dieser Tode mit einem grotesken Bild: das Blut aller Toten würde 30 Andr8 Maurois, Les Silences de colonel Bramble (Paris: Bernard Grasset, 1918), S. 224–225. »A horrible smell arose from the valley, and, coming nearer, the colonel saw about a hundred swollen and rotting carcases of goats scattered about the enclosure. A few thin kids dismally gnawed the bark of the apple-trees. In the distance, among the copses which covered the other side of the valley, one could see goats which had escaped browsing on the young trees. At this lamentable sight, Aurelle pitied the unfortunate Cassell. / The Colonel maintained a hostile and dangerous silence.« (Andr8 Maurois, The Silence of Colonel Bramble [übers. 1920] (New York: Appleton, 1930), S. 172) 31 Maurois, Les Silences de colonel Bramble, S. 225. »›Isn’t it beautiful, colonel,‹ said the musical critic with soft and stilted speech, ›to see all those little white spots among the green?‹« (Maurois, The Silence of Colonel Bramble, S. 172) 32 Menninghaus, S. 70.
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ausreichen, für die Dauer der menschlichen Geschichte einen Springbrunnen zu speisen, der pro Stunde 700 Liter umwälzt.33 Auch hier wird der Kriegstod mit schwarzem Humor bedacht, der das Entsetzliche als wirklich anerkennt, ohne sich von ihm emotional überwältigen zu lassen – das Ekelhafte wird einem mit Komik bewältigten Schrecken untergeordnet. Der Verzicht auf realistische Schilderungen von Kriegstoten ist im Rahmen des Habitus, den der Erzähler seinen Figuren abschaut, zwar nicht zwingend; im Rahmen eines Romans, der das militärische Bündnis ehemaliger Gegner als Gelegenheit zum bereichernden Kulturkontakt vor Augen führt, soll das Kriegsleben mit seinen unvermeidlichen Härten aber erst gar keine Zweifel aufkommen lassen, ob dessen aktuelle Opfer legitim und unvermeidlich sind. Es ist bezeichnend, daß das einzige Beispiel für positive Gerüche im Roman die Kontinuität ehrwürdiger Lebensformen des britischen Kolonialreichs in den Vordergrund rücken will: Le major n8o-z8landais avait plac8 sur le feu des feuilles d’eucalyptus qui, par les parfums qu’elles exhalaient en br0lant, lui rappelaient l’odeur puissante du Bush. Aurelle, un peu 8tourdi, gris8 par le soleil de l’Inde et les relents des fauves africains, comprenait enfin que le monde est un grand parc dessin8 par un dieu jardinier pour les gentlemen des Royaumes-Unis.34
Das Tiermotiv deutet in diesem Kontext zwar eine Jagd an, die sich auch als Anspielung auf den Krieg lesen läßt, doch der Geruch wilder Tiere unter der Sonne in freier Natur wirkt eher berauschend als abstoßend. Heimatgeruch in der Fremde soll auch hier wieder den bruchlosen Übergang vom Friedens- zum Kriegsleben unterstreichen.
3)
Ernest Raymond: Tell England [1922]
Raymonds patriotischer Weltkriegs-Bestseller Tell England stellt die gescheiterte Gallipoli-Landung der Briten in den Vordergrund. Bevor Rupert Ray, die Hauptfigur des Romans, sich an die türkische Front begibt, wird er zunächst auf der nahegelegenen griechischen Insel Lemnos im Ort Mudros stationiert. Dort werden auch Soldaten abgeladen, die den Verletztentransport per Schiff aus Suvla und Helles an der türkischen Küste nicht überlebt hatten. Sie sind in 33 Maurois, Les Silences de colonel Bramble, S. 239; Maurois, The Silence of Colonel Bramble, S. 182. Die Reaktion des mittlerweile zum General beförderten Colonel bestätigt das Ekelpotential des Bildes: »Houugh« (frz.) / »Ugh!« (engl.). 34 Maurois, Les Silences de colonel Bramble, S. 64–65. »The New Zealand major put some eucalyptus leaves in the fire so that the smell might remind him of the Bush. Aurelle, rather dazed, fuddled with the Indian sun and the scent of wild animals, at last realized that this world is a great park laid out by a gardener god for the gentlemen of the United Kingdoms.« (Maurois, The Silence of Colonel Bramble, S. 57)
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Tücher eingenäht, werden den Tag über in einem Zelt aufbewahrt, abends zum Friedhof transportiert und dort beerdigt. Rupert nimmt gemeinsam mit seinem Kameraden Doe und dem Padre Monty, ihrem geistigen Führer, an solchen Transporten teil. Der Erzähler muß die Erwähnung der Situation eigens rechtfertigen: »Day after day (you must know) in the early morning, the dead, sewn up in their blankets, were landed from the ships that had picked them up in a dying condition at Suvla and Helles.«35 Um ein vollständiges Bild der Erfahrungen junger Soldaten im Ersten Weltkrieg zu zeichnen, darf diese Erfahrung zwar nicht unterschlagen werden, doch der Kult um die Gefallenen bleibt intakt und hegt das Schreckliche rituell ein: The G. S. waggon with its seven blanketed forms was outside waiting for Monty. It was drawn by two teams of mules with mounted drivers. The driver’s seat was therefore vacant, and on to it Monty, Doe and I climbed. The waggon started, as Monty whispered: ›It’s rather like the Dead Cart in the days of the Great Plague, isn’t it?‹ We never spoke loud with that load behind us. The waggon jolted along the straight white road to the cemetery, which was a little dusty acre on a plain between the hills. We halted at the gate, and Monty, getting down from his seat, robed by the front wheels. And, when the seven bodies had been removed in their stretchers from the waggon and laid in a line upon the road, the corporal of the Burial Party saluted Monty, and said: ›One’s an officer, sir. Will you take him first?‹ ›I’ll go in front,‹ answered Monty. ›Then the seven bodies, one after another, the officer’s body leading. Feet first, of course.‹36
Es ist bereits September, und obwohl sich das trockene Wetter langsam dem Ende zuneigt, ist der Friedhof noch staubig;37 nach Augenzeugenberichten waren die Verletzten, die Mitte September in Gallipoli geborgen wurden, in einem schmutzigen Zustand, und ihre Wunden waren oft entzündet. Die Reise von Suvla nach Lemnos dauerte je nach Art des Schiffs zwischen einem und drei Tagen.38 Unter diesen Bedingungen ist anzunehmen, daß einige der Leichen bereits merklich rochen. Montys Hinweis auf Pestkarren, die 1665 und 1666 zu stinkenden Massengräbern für Pestleichen fuhren, mag darauf anspielen. Der Leichengestank wird aber nicht erwähnt, denn der Protagonist begreift den Krieg als eine vom Schönheitssinn geleitete Suche nach dem Heiligen Gral.39 Bezeichnend ist, daß sich der heilige Sinn des Krieges selbst in einer schei35 Ernest Raymond, Tell England. A Study in a Generation [1922] (Milton Keynes: Lightning Source, 2010), S. 241. 36 Ebd., S. 242. Die Abkürzung ›G. S.‹ steht für ›General Service‹. 37 Ebd., S. 241–242. 38 Christine E. Hallett, Veiled Warriors: Allied Nurses of the First World War (Oxford: Oxford University Press, 2014), S. 141–142. 39 Raymond, S. 318.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
ternden Operation zu erkennen gibt; entscheidend ist der Wille, sich als Christ gegen die Türken zu behaupten. Gestank (›stench‹) geht nicht von den eigenen Toten, sondern von lebendigen Nichteuropäern in Alexandria aus: »At once, like an overpowering personality, the East rose up to greet us, oppressing us with its merciless Egyptian sun and its pungent smell of dark humanity.« Dazu paßt, daß der Ausdruck »you’re a stench in my nostrils« von einem Schüler verwendet wird, dessen Nasenlöcher gegen die »inferiority of everybody else« empfindlich sind.40 In den Geruchslandschaften der euphemistischen Patrioten, die den Leichengeruch der Gefallenen ausblenden, geht starker Gestank wiederholt vom ›Anderen‹ aus: von kulturell ›unterlegenen‹ Menschen (wie bei Flex), vom Tier (wie bei Flex und Maurois) oder von der fremden ›Rasse‹ (wie bei Raymond). Gerüche aus der heimatlich anmutenden Natur werden hingegen bei allen drei Autoren positiv dargestellt.41 Wenn Bertolt Brecht gegen solche patriotischen Ausblendungen anschreibt, setzt er den Leichengeruch wieder ›in sein Recht‹ – und stellt ihn als typisches Merkmal eines Soldaten dar, dessen Aufgabe es ist, für die Interessen anderer zu sterben.
4)
Bertolt Brecht: ›Legende vom toten Soldaten‹ [1927]
In der ›Legende vom toten Soldaten‹ aus Bertolt Brechts Hauspostille wird ein gefallener Soldat von einer »ärztliche[n] Kommission« mit »geweihtem Spaten« exhumiert, für kriegsverwendungsfähig erklärt und erneut in den »Heldentod« geschickt.42 Die religiös geweihte Prozedur erweckt den Körper aber nicht wirklich zu neuem Leben; sie beweist nicht Gottes Gnade, sondern die Macht des Militärs, selbst über die verwesende Leiche des Soldaten als Kriegsmaterial zu verfügen: 40 Ebd., S. 102–103 u. 219–220; zur spielerisch-beleidigenden Zuschreibung von Gestank siehe ebd., S. 41 u. 75. Mit dem Ausdruck »being killed like a stink« (›wie eine Stinkwanze getötet werden‹) wird hingegen der Massentod auf eigener Seite bedacht (ebd., S. 249). 41 Raymond beschwört den süßlichen Geruch der heimatlichen Luft nach einem Regen, von dem die Bäume und Büsche noch naß sind (ebd., S. 58); mit dem Motiv eines angenehm süßlichen Geruchs während eines berauschenden Tagtraums in einem sauberen Schwimmbad (ebd., S. 109) variiert er das Thema des Genusses feucht-frischer und süßer Düfte. Vor dem Hintergrund dieses prototypischen Wohlgeruchs erweisen sich »the sweat and the stench« in der Hitze Alexandrias, die wie ein »vapour bath« wirkt (ebd., S. 220), auch als Deprivation sinnlicher Bedürfnisse nach heimatlichen Geruchslandschaften. 42 Bertolt Brecht, ›Legende vom toten Soldaten‹, in: Bertolt Brecht, Gesammelte Werke (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977), Bd. 8, Gedichte 1, S. 256–259, hier S. 256. Eine frühere Fassung erschien im Anhang der ersten Ausgabe von Trommeln in der Nacht [1922]; der Destillateur Glubb »singt« ›Die Moritat vom toten Soldaten‹ hier »zur Klampfe« (Brecht, Gesammelte Werke, Bd. 1, Stücke 1, S. 69–124, hier S. 108).
Kriegsgläubige Tabuisierungen
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Und weil der Soldat nach Verwesung stinkt Drum hinkt ein Pfaffe voran Der über ihn ein Weihrauchfaß schwingt Daß er nicht stinken kann.43
Zusammen mit zwei Schwestern, einer halbnackten Frau, einem Priester, einer Marschkapelle, zwei Sanitätern und einem pflichtbewußten deutschen Frackträger marschiert der Soldat durch Chauseen mit patriotischen Katzen, Hunden und Ratten »im Feld«,44 umjubelt von der Bevölkerung der durchlaufenen Dörfer. Niemand nimmt wahr, daß es sich um eine Leiche handelt; nur von oben aus einem entgötterten Sternenhimmel gäbe sich der Marschierende als Toter zu erkennen, der noch einmal »in den Heldentod« zieht.45 Das zum marschierenden Toten verfremdete Bild des Soldaten auf dem Weg zur Front soll die Funktion uniformierten Menschenmaterials anzeigen, für fremde Interessen zu sterben; um diese kritische Einsicht zu erlangen, bedarf es einer Distanz, die nicht von religiösen Illusionen über legitime Kriegsgründe und ein erlöstes Leben nach dem Tod getrübt ist. Die Maskierung des Leichengeruchs mit Weihrauch gerät zur sakramentalen Täuschung über die profane Kriegswirklichkeit, die vom Gestank als Todeszeichen bloßgestellt wird: der Krieg ist eine soziale Einrichtung zur Verwertung eines bloßen Scheinlebens. Das anschließende und zugleich letzte Gedicht der Hauspostille führt den ethischen Gehalt dieser Einsicht aus: Laßt euch nicht vertrösten! Ihr habt nicht zu viel Zeit! Laßt Moder den Erlösten! Das Leben ist am größten: Es steht nicht mehr bereit.46
Die Aufschönung des Todes wird – im Widerspruch zu den Techniken eines Flex – als Betrug über den profanen Eigensinn des Lebens entlarvt. Aus dieser Sicht haben Ekelmotive der Verwesung einen Erkenntniswert – und dürfen in der Literatur über den Krieg nicht gemildert oder unterschlagen werden. Aus demselben Grunde, aus dem die klassische Ästhetik des 18. Jahrhunderts den Ekel außerhalb des Feldes der ästhetischen Erfahrung ansiedelte, holt Brecht ihn in deren Horizont ein: er bricht den schönen Schein eines illusionären Gegenstandes. Bei Brecht gehört dieser Bruch indessen zur Erfahrung von Kunst als artifiziellem Index eines kritikbedürftigen Zusammenhangs, den die traditionelle Kunstform maskiert, in verfremdeter Gestalt jedoch kenntlich macht. 43 44 45 46
Brecht, ›Legende vom toten Soldaten‹, S. 257. Ebd., S. 258. Ebd., S. 259. ›Schlusskapitel: Gegen Verführung‹, in: Brecht, Gesammelte Werke, Bd. 8, S. 260.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Mit dem Appell, den Moder nicht aufzuwerten, schreibt Brecht gegen literarische Techniken an, die zum Beispiel in Wilhelm Klemms Gedicht ›Lazarett‹ [1914] zum Einsatz kommen: Die Skala der Gerüche: Die großen Eimer voll Eiter, Watte, Blut, amputierten Gliedern, Die Verbände voll Maden. Die Wunden voll Knochen und Stroh.47
Diese Szenen auf dem »stinkenden Lager« sollen nicht den Krieg denunzieren, sondern den Nachvollzug eines Leidens, das der Hingabe an höhere Zwecke entspringt, emotional steigern. Nach wie vor spricht Klemm ironiefrei über das »schweigende Heldentum und rührende: ›fürs Vaterland‹.« Das Schlußbild stilisiert das »Soldatengrab« – »zwei Latten über Kreuz gebunden« – zur Kreuzigung.48 Im Unterschied zu Brecht stellt Klemm den ›Moder‹ nicht mit Ironie, sondern mit Pathos angesichts der ›Erlösten‹ dar. Klemm spielt den Ekel weder klassisch in gemischten Empfindungen herunter, noch wertet er ihn romantisch zum schönen Ekel auf; der Ekel wird in einer gemischten Empfindung mitfühlender Anerkennung gesteigert, um das Ausmaß des erduldeten Kriegsleids bewußt zu machen.
2.
Schelmische Untertreibungen
Eine Reihe von Texten zum Ersten Weltkrieg gehört im weitesten Sinne zur Gattung des Schelmenromans; ihre Protagonisten sind – gemessen an den Werten und Normen der umfassend oder teilweise kritisch ›entlarvten‹ Führungsschichten – soziale Randfiguren mit betont sinnlichen Lebenszielen, die unter den abenteuerlichen Bedingungen eines bejahten, unfreiwillig erduldeten oder weitgehend gemiedenen Kriegsgeschehens ihren Eigensinn listig und trickreich behaupten.49 Auf die schelmische Selbstbehauptung scheint zuzu47 In: Silvio Vietta (Hg.), Lyrik des Expressionismus (Tübingen: Niemeyer, 1999), S. 130–131, hier S. 131. 48 Ebd. 49 Der Pikaro-Roman im engeren Sinne ist keine bloße Abenteuergeschichte mit einer schlitzohrigen Hauptfigur. Gattungsspezifisch ist vielmehr der rückblickende Ich-Erzähler, der bekenntnishaft um Verständnis für seine frühere soziale Mimikry wirbt, die eben jene Täuschungen und Selbsttäuschungen reproduziert hatte, die in der Mitwelt des thematischen Ichs satirisch bloßgestellt werden; offen bleibt, in welchem Ausmaß auch das Bekenntnis von der Art der Täuschungsmanöver ist, die das autobiographisch erzählende Ich im nachhinein scheinbar selbstehrlich offenlegt. Verwandte Mehrdeutigkeiten finden sich unter den hier besprochenen Texten nur in Louis-Ferdinand C8lines Roman. Da die Hauptfiguren der übrigen Geschichten bei aller militärischen Fremdbestimmung ihrer ausgeprägten sinnlichen Neigung folgen und ihre soziale Mimikry die Normen der militärischen Praxis oft listig unterläuft, weisen sie aber eine Reihe von Ähnlichkeiten mit dem Pikaro-Roman auf: im
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treffen, was Max Horkheimer und Theodor W. Adorno mit Blick auf die Figur des Odysseus festgehalten hatten: »Odysseus, wie die Helden aller eigentlichen Romane nach ihm, wirft sich weg gleichsam, um sich zu gewinnen […]. Das Organ des Selbst, Abenteuer zu bestehen, sich wegzuwerfen, um sich zu behalten, ist die List.«50 Horkheimer und Adorno geht es freilich um die Einsicht, daß Selbstbehauptung durch geschickte Anpassung immer auch bedeutet, die Bedürfnisnatur den Imperativen einer instrumentellen Beziehung zur Welt zu unterwerfen. Schelmische ›Helden‹ sind indessen nicht als Verkörperungen der ungeplanten negativen Folgen einer instrumentell verkürzten Vernunft konzipiert, denn ihr Lebensgenuß wird mit generösem Verständnis dargestellt, während Übel vor allem in ihrer sozialen Umwelt erkennbar sind, an deren dubiosen Praktiken sie jedoch zumindest gezwungenermaßen mitbeteiligt sind. Schelmen können, wie Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch von Grimmelshausen zeigt, mit derbem Humor auch unangenehme Gerüche des Lebens parieren; Simplicius hält fäkale Gerüche ungekränkt aus, und im Rahmen populärer Gegenkulturen zur schönen Kunst im 17. Jahrhundert konnten Ekelmotive als Medium obszöner Überschreitungen ohnehin genossen werden.51 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts käme dieser Genuß aber einer perversen Transgression gleich, die sich mit schelmischer Heiterkeit nur unter seltenen Bedingungen verträgt, und Leichengestank wirkt nun derart kränkend, daß der Zwang, ihn längere Zeit auszuhalten, an den Grundlagen der leichtfüßigen Mimikry eines Schelmen zehrte. Das Ausharren in einer entsprechenden Geruchslandschaft erforderte einen derart hohen Grad an stoischer Selbstdisziplin gegenüber einer Zumutung, die ins verkappte Ich als Zentrum des schelmischen Widerstands eindränge, daß dessen Tarnung ihren spielerischen Zug verlöre. Humorvolle Bezugnahmen auf Leichengestank im Ersten Weltkrieg finden sich daher eher bei Autoren, die den erlittenen Ekel mit einem abgerungenen Sprachwitz auf Distanz bringen. Robert Graves schreibt in seiner an unzuverlässigen Stilisierungen reichen Autobiographie Goodbye to All That [1929]52 Lichte der sozial vorherrschenden Normen sind sie Außenseiter, und sie können der Fremdbestimmung im Militär nicht ausweichen; da sie gezwungen sind, den Schein loyaler Unterordnung zu wahren, sind sie oft passive Empfänger einer teils kritikbedürftigen Fremdbestimmung, an deren Mechanismen sie jedoch mitbeteiligt sind, sobald sie ihre Interessen listig durchsetzen; und da die Rezipienten angehalten werden, mit der Hauptfigur zu sympathisieren, geraten sie in den Sog ihrer moralischen Mehrdeutigkeit. Zu den spezifischen Merkmalen des Pikaro-Romans siehe Bernhard F. Malkmus, The German P&caro and Modernity. Between Underdog and Shape-Shifter (London u. New York: Continuum, 2011), S. 1–37. 50 Max Horkheimer u. Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung [1947] (Frankfurt am Main: Fischer, 1984), S. 45–46. 51 Meyer-Sickendiek, ›Einleitung: Was heißt Affektpoetik?‹, S. 73. 52 Siehe dazu Paul Fussell, The Great War and Modern Memory [1975] (Oxford: Oxford University Press, 2000), S. 203–220.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
über den Verwesungsgeruch von Leichen an der Front oft mit einem understatement, das die hochgradige Belastung des Betroffenen nur um so prägnanter durchscheinen läßt: After the first day or two the corpses swelled and stank. I vomited more than once while superintending the carrying. Those we could not get in from the German wire continued to swell until the wall of the stomach collapsed, either naturally or when punctured by a bullet; a disgusting smell would float across.53
Getreu dem Prinzip »the most painful chapters have to be the jokiest« schlägt das understatement teils auch in offene Ironie um:54 zu den »unforgettable corpses« des Krieges gehört zum Beispiel der »bloated and stinking corpse of a German«.55 Humor ist ein wichtiges Mittel, mit unerträglicher Nähe zu Leichen umzugehen,56 und Graves trifft denn auch einen Ton, der sich in vielen Dokumenten findet, die – wie der folgende Brief eines Soldaten an der Westfront – von Kriegstoten handeln: There has always been a horrid smell at our O. P. [observation post] in the trenches, which creosote has failed to remove. I found today that it is decomposed remains in a sandbag against which we leaned to use the periscope. I believe the unfortunate corpse may have been there six months – the rats don’t usually leave them alone, so it was probably a dirty German. Having disturbed it it stinks more than ever – full of maggots. The offending sandbag has been drowned in creosote and thrown far away – but they evidently couldn’t get what was left of Fritz into one sandbag, and I fear to eradicate the evil would mean a fall in the parapet, so am in rather a dilemma.57
Der Ton gibt sich abgeklärt-gelassen, doch der Gestank erfordert stoische Disziplin, die nur beim Schreiben gelockert wird. Auch der Streich, den Graves und sein Kamerad Bartlett während ihres Aufenthalts in einem »convalescent home« auf der »Isle of Wight«58 der Küstenwache spielen, dient der retrospektiven Entlastung: On the beach one day, Bartlett and I found an old ship’s fender. Because the knotted ropes at the top had frayed into something resembling hair, Bartlett said, sighing: ›Poor fellow, I knew him well. He was in my platoon in the Hampshires, but went mad and jumped overboard from the hospital ship.‹ A little farther along the beach, we found an old pair of trousers half in the water, and a coat, and then some socks and a boot. So we dressed up Bartlett’s old comrade, draped sea-weed over him where necessary, and 53 Robert Graves, Goodbye to All That [1929] (London: Penguin, 2000), S. 137. 54 Zit. in Fussell, S. 205. 55 Graves, S. 175. Die Ironie betrifft freilich nur die positiven Konnotationen des ansonsten wohl treffenden Ausdrucks ›unvergeßlich‹. 56 Ebd., S. 97; zur Grenze dieser Methode siehe ebd., S. 98. 57 Modris Eksteins, Rites of Spring. The Great War and the Birth of the Modern Age (London u. a.: Bantam, 1989), S. 151. 58 Graves, S. 206.
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walked on. Soon after, we met a coastguard and turned back with him. We said: ›There’s a dead man on the beach.‹ He stopped a few yards off. [sic] and exclaimed, holding his nose: ›Pooh, don’t he ’alf stink!‹ We turned again, leaving the coastguard with the dead, and the next day read in the Isle of Wight paper of a hoax that certain ›convalescent officers at Osborne‹ had played on the coroner. Among our laboriously nonsensical games was one of changing the labels on all the pictures in the galleries. Anything to make people laugh. But we found the going hard.59
Noch der schalkhafte Unsinn strengt an; von der geschmeidigen List des Helden eines Schelmenromans ist dieser ›practical joke‹, der Leichengeruch gerade nicht ausblendet, sondern simulierend vergegenwärtigt, weit entfernt. Die einzige Form, in der Leichengeruch aus der Sicht einer schelmischen Figur im 20. Jahrhundert spielerisch pariert werden kann, ist die Parodie der pietätvollen Rituale und abgerungenen Weisen der coolness, mit denen die Schrecken des Todes abgemildert werden sollen. Wenn Erwin Blumenfelds dada-affine Autobiographie Durch tausendjährige Zeit [1976] die vom Leichengestank im Krieg ausgehende Störung ritueller Sinngebungen zum Anlaß nimmt, den Sprachgestus abgeklärter Soldaten zu parodieren, grenzt er sich von der schwer erträglichen Realität spielerisch ab: Trotz verschärften Kriegszustandes war die Zivilbevölkerung nicht zu zwingen, unsere teuren Toten zu bestatten, die auf ihre Art nach ewiger Ruhe schrien: sie stanken. Zur Freude der blaugrünen Stechfliegen stank ihr Schrei zum Himmel.60
Der soldatische Jargon wird im Kontext des Grauens genüßlich ad absurdum geführt: die »Angelegenheit« mit den »Kadavern« wird so »anrüchig«, daß das Oberkommando »die Nase reinzustecken drohte« und »Stunk« zu erwarten war.61 Parodistische Formen nehmen aber Verhaltensweisen der kritisierten Mitwelt aufs Korn und lassen das Erleben des schelmischen Kommentators in den Hintergrund treten. Der Spielraum für den rhetorischen Einsatz von Motiven des Leichengeruchs in Schelmenromanen zum Ersten Weltkrieg ist begrenzt, und häufig neigen diese Texte eher zur Ausblendung entsprechender Eindrücke aus den Geruchslandschaften des Krieges. Die Situationen, in denen sich die schelmischen Helden der nun zu besprechenden Romane bewähren, sind so konstruiert, daß ihre virtuose Selbstbehauptungsfähigkeit durch Leichengestank erst gar nicht getrübt wird. Ren8 Benjamins Roman Gaspard [1915] spielt teils an der Front und spricht auch die grauenhafte Seite des Kriegstodes an, doch abstoßender Kriegsgeruch wird zugunsten der Bejahung einer schelmisch ausgekosteten Sinnlichkeit übergangen; zudem neigt Benjamin dazu, Schreckensbilder humor- oder pietätvoll zu 59 Ebd., S. 209. 60 Erwin Blumenfeld, Durch tausendjährige Zeit (Frauenfeld u. a.: Hubner, 1976), S. 215. 61 Ebd.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
entschärfen, um jede Erschütterung des Patriotismus zu meiden (1). Auch der Protagonist von Hans Herbert Grimms Schlump [1928] genießt die Welt ausführlich mit seinen Sinnen; Schlump wird aber schnell von allem Hurra-Patriotismus kuriert. Die Geruchslandschaft des Krieges ist wesentlich durch Gestank definiert, doch Verwesungsgeruch wird selbst dort, wo er kaum wegzudenken ist, nicht eigens erwähnt, sondern eigentümlich heruntergespielt, damit die ungebrochen sinnliche Ausrichtung des ›Helden‹ glaubwürdig bleibt (2). In Louis-Ferdinand C8lines Roman Voyage au bout de la nuit [1932] ist Gestank einer der zuverlässigsten Begleiter in Kriegs- und Friedenszeiten, und die allgegenwärtigen Ausdünstungen von Krankheit und Armut werden oft zum Todesgeruch stilisiert, doch Leichengestank wird auch hier meist ausgespart. Nur die Angestellten eines Labors sind einer Atmosphäre der Verwesung ausgesetzt; sie gehören zur satirisch bloßgestellten Mitwelt des bizarren Anti-Helden und können Verfallsgerüche ungerührt hinnehmen oder gar pervers goutieren (3). Sämtliche Romane zeigen Figuren, die bei aller Sinnfälligkeit des Todes den Appetit nicht verlieren; geht es um schelmische Helden, wird der Gestank dabei heruntergespielt, damit deren Vitalität auch glaubwürdig erscheint. Nur wenn es gilt, die abgestumpfte Resilienz der Mitwelt humorvoll zu entlarven, wird die Kontamination von Mahlzeiten durch Verfallsgestank angesprochen.62 Die ›gegenkulturelle‹ Aufwertung des genießenden Körpers, die den barocken Schelmenroman auszeichnete, wird unter den Bedingungen von Empfindlichkeiten des 20. Jahrhunderts fortgesetzt. Die Zugänge zum Ekel variieren aber erheblich: sie reichen von der lachenden Verwindung oder Aufschönung des Ekelhaften bei Benjamin über dessen kritische Entlarvung bei Grimm bis hin zur Freude an der Überschreitung von Grenzen zur Perversion bei C8line.63
1)
René Benjamin: Gaspard [1915]
Der Erzähler von Benjamins Gaspard betont, daß Leichen, die nicht den Eindruck eines ruhenden Toten erwecken, schrecklich anzusehen sind,64 und seine 62 Daß sich unter den hier behandelten Texten kein englischsprachiger Schelmenroman findet, mag mit der englischen Tradition zusammenhängen, die das Themen-, Formen- und Methoden-Inventar der Gattung sehr selektiv ausschöpft; siehe dazu Malkmus, S. 32, Fn. 46. 63 Zum Ekel in kontrastierenden Spielarten der modernen Groteske bei C8line und anderen siehe auch Burkhard Meyer-Sickendiek, ›Der Ekel in der Groteske‹, in: ders., Affektpoetik, S. 454–466, hier S. 462–464. 64 Sie sind »horrible / voir comme tous les cadavres qui n’ont pas l’air au repos« (Ren8 Benjamin, Gaspard. Les Soldats de la Guerre (Paris: Fayard, 1915), S. 280), d. h. »[…] horrible to the eye, as are all bodies of the dead« (Ren8 Benjamin, Private Gaspard. A Soldier of France
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Darstellung ist häufig auf diese Empfindlichkeit abgestimmt. Andere Weltkriegsromane sprechen von den Schrecken, im Schützengraben oder auf dem Schlachtfeld auf Leichen treten zu müssen; Gaspard kann solche Berührungen hingegen vermeiden,65 und sein Kamerad Mousse, der mit gespaltenem Schädel tot auf dem Schlachtfeld liegt, findet dank einer Granate, die ihn ganz mit Erde bedeckt, sofort eine Ruhestätte: »Le repos tout de suite, aprHs la mort.« Dieser Vorfall ist so trostreich, daß Gaspard ihn in die aufgeschönte Geschichte einbaut, die er später Mousses Witwe erzählt.66 Von Leichengeruch ist im Text keine Rede; als ein Soldat beim Suppekochen von einem Geschoß zerfetzt wird und Teile seiner Uniform im unbeschädigt gebliebenen Kessel auftauchen, herrscht – allen versengten Überresten des Kochs in nächster Nähe zum Trotz – eine appetitanregende Atmosphäre vor: »la soupe, par miracle intacte, fumait toujours«.67 Als der hungrige Gaspard den Befehl erhält, den Kessel umzuwenden, steckt er unbemerkt ein heißdampfendes Rindfleischstück ein. Der Geruchssinn des hungrigen Soldaten wird hier nicht eigens erwähnt, doch olfaktorische Eindrücke werden im Roman vorwiegend mit gutem Essen assoziiert.68 Es ist kaum anzunehmen, daß die Uniformteile des Kochs sauber getrennt von den Fetzen seines Körpers in der Suppe landen konnten, doch Gaspard, den kulinarisch wichtigere Belange antreiben, wirft solche Fragen erst gar nicht auf. Der Roman erwähnt erschreckend zugerichtete Leichen und Körperteile, erspart den Lesern aber sinnliche Details. Das Grauen vor Gefallenen wird mit einem Bild vergegenwärtigt, das eher unheimlich als abstoßend wirkt: einige Tote bleiben aufrecht im Felde stehen, weil ihre Gewehre in der Erde stecken und ihren Sturz aufhalten.69 Grauenhaftes wird pietätvoll oder farcenhaft stilisiert, um jeder Entmutigung vorzubeugen, denn der schelmisch-pfiffige Gaspard soll als ausgekocht-cleveres Vorbild im patriotischen Umgang mit Widrigkeiten dienen; nachdem er im Gefecht ein Bein verliert, arbeitet er erfolgreich als Vertreter für Prothesen. Abstoßendes ist in dieser stereotyp patriotischen Er-
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(Toronto: McClelland, Goodchild u. Stewart, 1916), S. 262). Die englische Fassung läßt den letzten Nebensatz aus (der sinngemäß ›who do not seem to rest‹ bedeutet). Ebd., S. 128. Zur Nötigung, trotz aller Hemmung auf Leichen im Stadium des Verfalls treten zu müssen, siehe Roland DorgelHs, Les Croix de bois [1919] (Librairie G8n8rale FranÅaise: Paris, 2010), S. 177. Ebd., S. 283; zum Gespräch mit der Witwe siehe ebd., S. 315. Ebd., S. 108. Ebd., S. 109; vgl. S. 30 (zum Geruch von Pommes Frites), S. 54 (zur Frage der Riechbarkeit von Butter) und S. 293 (zum Aroma von Vermouth); selbst der Brandgeruch des Krieges (S. 101) wird im Zusammenhang mit Essen besprochen. Ebd., S. 280.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
mutigungsliteratur vor allem auf Seiten des Feindes zu finden: die Pferde der Deutschen sind ebenso häßlich wie ihre teutonischen Reiter.70 Benjamins Patriotismus paßt durchaus zur zeitgenössischen These, daß der Feind nicht nur häßlich aussieht, sondern auch schlecht riecht. Edgar B8rillon wurde »im Jahre 1915 durch die Veröffentlichung seines Werkes La bromidrose f8tide de la race allemande, foetor germanicus« bekannt; »zuvor hatte er sich bereits dem Thema des foetor judaicus gewidmet«.71 Aus dieser Sicht ließe sich auch Leichengestank zu einer Ausdünstung des Feindes stilisieren, doch Benjamin scheut vor der sinnlichen Konkretisierung potentiell ekelhafter Zusammenhänge zurück; beides, der episodische Ernst und der charakteristische Humor des Schelmen, wird mit Hilfe eines durchgängig ›leichten‹ Tons vor Augen geführt, der die unangestrengte Kontinuität seiner Lebensweise unterstreicht.
2)
Hans Herbert Grimm: Schlump [1928]
Auch der ›Held‹ von Grimms Schelmenroman Schlump ist den Sinnenfreuden des Lebens gegenüber aufgeschlossen, und er zeigt dabei einen guten Geruchssinn. Der Duft von Tannenzweigen und Weihnachtsstollen in der Etappe ruft bei ihm Heimatgefühle hervor, die auch den »schweißige[n] Dampf des Bügeleisens« des Vaters,72 der Schneider ist, einschließen, und der Geruch von Gebratenem gilt ihm als Anzeichen eines besseren, den höheren Chargen vorbehaltenen Lebens jenseits des Schützengrabens.73 Im Traum von einer idealen, und das heißt auch: befriedeten Gesellschaft »atmete« er »wunderbare Luft ein, die mit den herrlichsten Wohlgerüchen gewürzt war«,74 doch auch in der Wirklichkeit duftet es: bei gutem Sex riecht es nach Heu oder – im Bett – »nach frischer Wäsche wie ein junges Mädchen« und berauschendem Blumenduft.75 Und als er sich beim Lesen derart in die Liebesbriefe von Mirabeau vertieft, daß er sich selbst irgendwie verliebt fühlt, merkt er »gar nicht«, »welch süße Blume dicht bei ihm blühte, die ihm gerne ihren Duft geschenkt hätte«: es geht um eine schöne junge Frau.76 Die Geruchslandschaft des ablehnenswerten Krieges ist 70 Ebd., S. 96. 71 Corbin, S. 354, Fn. 57. 72 Hans Herbert Grimm, Schlump. Geschichten und Abenteuer aus dem Leben des unbekannten Musketiers Emil Schulz, genannt ›Schlump‹. Von ihm selbst erzählt [1928] (Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2014), S. 71. Schon der Topos des Schneiders als eines unheroischen Mannes erweist Schlump, der das Heimelige schätzt, als Außenseiter im Militär. 73 Ebd., S. 159. 74 Ebd., S. 191. 75 Ebd., S. 223 u. 290; zum Duft von Blumen siehe ebd., S. 291. 76 Ebd., S. 281.
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hingegen abstoßend. So herrscht in einem Quartier »ekelhafter Geruch von Menschen, Lederzeug und feuchtem Kellerschwamm«,77 und nachdem Schlump beim Volltreffer auf eine Latrine leicht verletzt wurde, muß sich der behandelnde Arzt die Nase zuhalten. Während dieser Fäkalgeruch Heiterkeit erregen mag, sind andere schlechte Gerüche überhaupt nicht lustig: in einem Traum vom Krieg klingt eisige Luft in einem pestilenzartigen Hauch aus, ein realer Bauchschußpatient verbreitet Kotgestank, und ein brutaler Militärarzt riecht nach Pomade, die seine abstoßend feiste Erscheinung unterstreicht.78 Bei der Darstellung von abstoßenden, teils grotesken Details von Leichen stehen visuelle Eindrücke im Vordergrund, doch der Erzähler spricht auch die Nahsinne an. Einem Infanteristen, den beim Essenholen ein Geschoß traf, wurde die Schädeldecke abgerissen, die nun neben ihm liegt wie ein Teller, auf der sein Gehirn serviert wird. Diese Leiche erblickt Schlump, nachdem er sich kurz zuvor an Sauerkraut sattgegessen hatte; das heiße Kraut, das er nun seinen Kameraden bringen will, fließt ihm über Finger und Rock, als eine Granate »zehn Schritt vor ihm« »ein altes Grab« trifft und dessen Inhalt durch die Luft wirbelt.79 Während die Assoziation des Essens mit Leichen an der Ekelgrenze der Leser spielt, denkt Schlump nur an das schöne Kraut und den Ärger, den seine hungrigen Kameraden an ihm auslassen werden. Auf diese Weise bejaht Grimm die Vitalität seines sinnesfrohen Protagonisten und zeigt zugleich, daß der Krieg an der Substanz dieser Vitalität zehrt. Gerüche, die vom Grabinhalt ausgehen dürften, werden hingegen ausgespart, um die Überzeugungskraft von Schlumps Appetit nicht zu trüben: dem Anblick von Leichen kann er zur Not ausweichen, doch ›wegriechen‹ könnte er kaum. Ambivalent wirkt auch eine Passage, die den Tastsinn betont: ein Haufen kalter Leichen erweckt den Eindruck, »als ob« die deutschen und englischen Soldaten »sich im Tode noch wärmen wollten«.80 Der Versuch, in einer Leiche ein »heiliges Symbol des heiligen Krieges« zu erblicken, wird bezeichnenderweise nur von einem Wahnsinnigen unternommen.81 Gelegentlich verliert Schlump die Fassung, und auch hier wird das Schmecken und Tasten betont. So hatte sich »im Trichterboden« eines Schlachtfelds »eine ekelhafte Jauche gesammelt, Blut und Wasser und sonst etwas«, wovon der verzweifelt durstige Schlump trinkt. »Die anderen rissen ihn weg. Er fing an zu toben. Sie mußten ihn halten.«82 In einem Alptraum flieht er vor faulenden und verstümmelten Leichen, die ihn ansehen, und er mußte »stolpern, überall vor ihm zerfiel die Erde und legte die Massengräber bloß, in denen sie zu Tausenden 77 78 79 80 81 82
Ebd., S. 87. Ebd., S. 122, 194, 226 u. 230. Ebd., S. 151. Ebd., S. 179. Ebd., S. 319. Ebd., S. 183.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
moderten und faulten. Er mußte hindurchwaten […].«83 In Szenen, in den sich Schlump an oder jenseits der Grenze seiner Belastbarkeit bewegt, wird – allem implizierten Gestank und explizit Ekelhaften zum Trotz – im Interesse an einheitlicher Stilisierung auf den rhetorischen Einsatz von Geruchsekel verzichtet.
3)
Louis-Ferdinand Céline: Voyage au bout de la nuit [1932]
In C8lines Voyage au bout de la nuit kennzeichnet Verwesungsgeruch nicht die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs, auf denen sich der Protagonist zeitweilig herumtreibt, sondern das Labor eines Instituts zur Erforschung infektiöser Krankheiten. Daß man auch die großen Gewebeproben solange liegen läßt, bis ihr Zustand die Grenze des Erträglichen erreicht, ist dem skurrilen Geiz eines Leiters zu verdanken, der seine Versuchshasen sehr sparsam verwendet. Sein sprechender Name spielt auf die Gelbsucht (›jaunisse‹) an, um seine krankhafte Indifferenz gegenüber Gestank satirisch zu überzeichnen: Lorsque l’odeur en devenait v8ritablement intenable, on en sacrifiait un autre de lapin, mais pas avant, / cause des 8conomies auxquelles le Professeur Jaunisset, grand secr8taire de l’Institut, tenait en ce temps-l/ une main fanatique.84
Die morgendliche Inspektion des Gekröses gerät zum heiligen Ritual, und der Gestank verstört weniger, als daß er – ähnlich wie die Langeweile – gelegentlich lästig wird. Der Griff zur Zigarette hilft zwar bei der »neutralisation des puanteurs ambiantes et de l’ennui par la fum8e du tabac«,85 doch so dramatisch kann der Gestank nicht sein, denn er hindert einige der Laborgehilfen nicht daran, grüne Bohnen im Brutofen zu kochen: Certaines pourritures animales subissaient de ce fait, par 8conomie, d’invraisemblables d8gradations et prolongations. […] Certains garÅons des laboratoires bien entra%n8s eussent fort bien cuisin8 dans un cercueil en activit8 tellement la putr8faction et ses relents ne les gÞnaient plus.86
83 Ebd., S. 302. 84 Louis-Ferdinand C8line, Voyage au bout de la nuit [1932] (Paris: folio, 2014), S. 280. »Erst wenn dessen Gestank wirklich unerträglich wurde, schlachtete man einen neuen Hasen, vorher nicht, denn Professor Jaunisset, Großsekretär des Instituts, war zu jener Zeit fanatisch auf Sparsamkeit bedacht.« (Louis-Ferdinand C8line, Reise ans Ende der Nacht (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2004), S. 369) 85 C8line, Voyage au bout de la nuit, S. 281. »Ein Versuch, die herrschenden Gerüche und die Langeweile durch die Wirkung des Tabakrauchs zu neutralisieren.« (C8line, Reise ans Ende der Nacht, S. 369) 86 C8line, Voyage au bout de la nuit, S. 280–281. »So erlangten dank der Sparsamkeit gewisse tierische Verwesungsprodukte ungeahnte Lebensdauer und Zustände. […] Manche gewieften Laborgehilfen hätten genauso gut in einem gärenden Sarg ihr Essen zubereiten
Schelmische Untertreibungen
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Die niederen Chargen können den Leichengeruch also durchaus ungerührt aushalten. Das für den Schelmenroman typische, mit derbem Humor gestaltete Thema des Essens in abstoßenden Situationen spielt auch in diesem Roman eine Rolle, und da im Labor nicht die Überzeugungskraft einer sinnenfrohen Hauptfigur auf dem Spiel steht, kann auch Leichengeruch erwähnt werden. Der Protagonist selbst hingegen ist – bei aller Gewöhnung an den Gestank der Armen und Kranken – nicht derart abgestumpft, daß er sein Essen in einer Atmosphäre der fortgeschrittenen Zersetzung zu sich nehmen wollte. Die abenteuerliche Reise des Ich-Erzählers verdankt sich der wiederholten Flucht aus einer Reihe immer wieder unerträglich werdender Lebenslagen, deren Ennui ihn in veränderter Form jedoch beständig einholt,87 und als Metapher für das Abstoßende jener Situationen dient der Verwesungsgestank: »f mesure qu’on reste dans un endroit, les choses et les gens se d8braillent, pourrissent et se mettent / puer tout exprHs pour vous.«88 In einer von Schweiß-, Urin- und Kotgestank geprägten Welt spielt diese Metaphorik allerdings auch auf reale olfaktorische Atmosphären des Lebens an. Zudem ist die Nase das zentrale Organ des Abenteurers, mit dem er das Neue aufzehrt, indem er es wahrnimmt: C’est par les odeurs que finissent les Þtres, les pays et les choses. Toutes les aventures s’en vent par le nez. J’ai ferm8 les yeux parce que vraiment je ne pouvais plus les ouvrir. Alors l’odeur .cre d’Afrique, nuit aprHs nuit s’est estomp8e. Il me devint de plus en plus difficile de retrouver son lourd m8lange de terre morte, d’entre-jambes et de safran pil8.89
Die Geruchserfahrung macht den Lebensprozeß sinnfällig: was an aufregend Neuem gut riecht, bleibt flüchtig. Beständig ist nur der Gestank: »On se cherche bien encore des trucs et des excuses pour rester l/ avec eux les copains, mais la mort est l/ aussi elle, puante, / cit8 de vous, tout le temps / pr8sent et moins myst8rieuse qu’une belote.«90 Bei aller Offenheit für die Präsenz symbolischer
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können, so wenig ließen sie sich von der Verwesung und ihren Dünsten mehr stören.« (C8line, Reise ans Ende der Nacht, S. 369) John Sturrock, Louis-Ferdinand C8line: Journey to the End of the Night (Cambridge u. a.: Cambridge University Press, 1990), S. 28. C8line, Voyage au bout de la nuit, S. 275. »Wenn man länger an einem Ort bleibt, dann entblößen sich die Dinge und die Menschen immer mehr, sie faulen und fangen an zu stinken, eigens für einen selbst.« (C8line, Reise ans Ende der Nacht, S. 362) C8line, Voyage au bout de la nuit, S. 180–181. »Durch die Gerüche enden Geschöpfe, Länder und Dinge. Alle Abenteuer gehen durch die Nase. Ich schloss die Augen, denn ich konnte sie wirklich nicht mehr offen halten. Und danach verflog der herbe Geruch Afrikas Nacht für Nacht. Immer weniger nahm ich diese schwere Mischung aus toter Erde, Geschlechtsteilen und zerstoßenem Safran wahr.« (C8line, Reise ans Ende der Nacht, S. 241) C8line, Voyage au bout de la nuit, S. 458. »Ja, man sucht schon noch nach neuen Tricks und Ausreden, um noch ein bisschen dazubleiben bei seinen Kumpels, aber der Tod ist auch
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Todesgerüche und für den Genuß mancher Eindrücke jenseits der Scham- und Ekelgrenze verträgt sich die sinnliche Lebensfreude aber nicht mit einer Atmosphäre der Verwesung: »D8cid8ment nous n’adorons rien de plus divin que notre odeur«.91 Parapin, dessen sprechender, auf den Penis (›pine‹) anspielender Name eine sexuelle Präferenz für Schulmädchen unterstreicht, stellt als Mitarbeiter jenes stinkenden Instituts allerdings auch in olfaktorischer Hinsicht transgressive Begierden unter Beweis: zwar erinnert er sich an Venedig als einen Ort, wo man wie überall Hunger leidet, »[m]ais on y respire une odeur de mort somptueuse qu’il n’est pas facile d’oublier par la suite …«.92 Diese Beispiele mögen genügen, um zu illustrieren, daß auch ein Schelmenroman, der den Spielraum für ästhetische Schocks an und jenseits der olfaktorischen Ekelschwelle sehr großzügig ausschöpft, zumindest dem Protagonisten eine lähmende Nähe zum Leichengeruch erspart, einschlägige Erfahrungen auf die satirisch entwerteten Mitmenschen beschränkt und das Motiv des Essens in einer Atmosphäre des Verfalls nur einsetzt, um eine abgestumpfte Mitwelt zu entlarven. Auch hier wird die Kriegslandschaft nicht mit Leichengeruch kontaminiert; sie riecht für den Anti-Helden nach Pulver, Schwefel und Rauch, Wunden und Kot, und auch in der Stadt herrscht mit dem Fabrikgestank, einem abstandenen Geruch der Pferdebahn und Schwaden im Metzgerkeller sowie schlecht riechenden Hunden und stinkenden Füßen während des Krieges eine unangenehme Atmosphäre vor. Als prototypischer Gestank aller Katastrophen gilt der Pulverqualmgeruch,93 und weitere drohende Kriege rufen die Vorstellung des Gestanks »de villages mi-br0l8s, mal cuits« hervor.94 Einer der Kameraden des Erzählers imaginiert allerdings Leichengestank, um den republikanischen Gefallenenkult als skandalösen Euphemismus zu entlarven: Joyeusement alors gambadante ma famille sur les gazons de l’8t8 revenu, je la vois d’ici par les beaux dimanches… Cependant qu’/ trois pieds dessous, moi papa, ruisselant d’asticots et bien plus infect qu’un kilo d’8trons de 14 juillet pourrira fantastiquement
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dabei, stinkend, neben einem, die ganze Zeit zur Stelle jetzt und weniger geheimnisvoll als ein Skatblatt.« (C8line, Reise ans Ende der Nacht, S. 599) C8line, Voyage au bout de la nuit, S. 337. »Eins ist sicher, wir verehren nichts so sehr als göttlich wie unseren Geruch.« (C8line, Reise ans Ende der Nacht, S. 442) C8line, Voyage au bout de la nuit, S. 286. »Aber der Verwesungsgeruch dort ist so prachtvoll, dass man es so leicht nicht mehr vergißt …« (C8line, Reise ans Ende der Nacht, S. 377). Wörtlich übersetzt müßte es ›Geruch des Todes‹ heißen. C8line, Voyage au bout de la nuit, S. 17–18, 25, 35, 83–84, 95, 105, 106 u. 176; C8line, Reise ans Ende der Nacht, S. 24–25, 34, 47, 110–111, 126, 138, 140 u. 235. C8line, Voyage au bout de la nuit, S. 240; »halb verbrannter, verkohlter Dörfer« (C8line, Reise ans Ende der Nacht, S. 317).
Sachliche Kenntnisnahmen
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de toute sa viande d8Åue… Engraisser les sillons du laboureur anonyme c’est le v8ritable avenir du v8ritable soldat!95
Die Schelmenromane zum Ersten Weltkrieg entwerfen – je nach Haltung zum Kriegs- und Friedensleben – mithin äußerst unterschiedliche smellscapes oder Atmosphären. Gaspard, der in Krieg und Frieden auf seine Kosten kommt, wird kaum von Gestank geplagt. Schlump, der am schlecht riechenden Krieg leidet, genießt die Wohlgerüche prekärer Idyllen. C8lines Held flieht hingegen – bei allem gelegentlichen Sinnengenuß – durch eine ihrem Wesen nach schlecht riechende und abstoßende Welt, doch die erzwungene Nähe zum Leichengestank bleibt ihm erspart. C8line setzt lieber das ekelerregende Leitmotiv der verfallsbedingten Verflüssigung ein,96 deren Produkte – im Unterschied zum Geruch – nicht schon zu Lebzeiten in den Körper eindringen; zwar kombiniert sein Versuch, Ekelhaftes durch Lachen zu bewältigen, die heitere Abwehr des nicht-assimilierbaren Anderen mit einem spielerischen Abbau von Ekelgrenzen,97 doch beim realen Leichengeruch hört der Spaß auf.
3.
Sachliche Kenntnisnahmen
Einige Romane lassen Soldaten zu Wort kommen, die sich den Geruchslandschaften des Krieges pragmatisch angepaßt haben. Im Interesse an einer effizienten militärischen Bewältigung von Kriegssituationen nehmen sie abstoßende Geruchseindrücke aus einer emotional reduzierten Perspektive wahr. Gewiß, Gestank ruft auch bei abgeklärten Akteuren körperliche Empfindungen hervor, doch diese werden als unvermeidliche innere Episoden gefaßt ertragen; die Beziehung zum eigenen Körper wird mithin versachlicht. Oft gilt Gestank als wichtiges Anzeichen einer Sachlage, die objektiv registriert werden muß; schlechte Gefühle machen sich dabei allenfalls als Störung bemerkbar. In Grenzfällen werden Gerüche als eigensinnige Sinnesereignisse erfahren, deren Gestalt sich von entsprechenden Ursachen und Emotionen abhebt. Das Sinn95 C8line, Voyage au bout de la nuit, S. 68. »Wie meine Familie sonntags auf der grünen Wiese herumspringt, wenn es wieder Sommer ist, das sehe ich schon ganz genau vor mir … Und drei Fuß drunter, wimmelnd von Würmern und stinkender als ein Kackhaufen am 14. Juli, liege ich, der Papa, und verfaule großartig mit meinem ganzen enttäuschten Fleisch … Die Furchen des unbekannten Ackermanns düngen, das ist die wahre Zukunft des wahren Soldaten!« (C8line, Reise ans Ende der Nacht, S. 90) 96 Sturrock, S. 56. 97 Menninghaus, S. 542. Meyer-Sickendiek, ›Der Ekel in der Groteske‹, S. 464, unterscheidet zwischen Grotesken, die Ekelgrenzen mit ihrem Humor stabilisieren, und solchen, deren Humor Ekelschranken gezielt einreißt, und er bringt C8line mit der letzteren Spielart in Verbindung. Innerhalb seiner Öffnung hin zur Lust am Ekelhaften bemüht sich aber auch C8line um eine Grenzerhaltung gegenüber spezifischen Ekelerfahrungen.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
potential, das dem Geruchszeichen als Auslöser innerer Zustände, Anzeichen äußerer Ursachen und ethisch bedeutsamem Ereignis zukommt, bleibt auch in versachlichten Wahrnehmungen erhalten; die Wahrnehmung einer Situation als Spiegel der ihren Gerüchen entsprechenden Stimmungen wird aber zugunsten der klaren Scheidung von materialen Ordnungen und inneren Episoden vermieden. Freilich greift diese Unterscheidung nicht bei der Wahrnehmung des eigenen Körpers; wer sich um eine objektivierende Umwelterfassung bemüht, erfährt solche Selbstwahrnehmungen aber in erster Linie als Störung. Texte, die sachliche Haltungen thematisieren, stellen Geruchswahrnehmungen, die innere Zustände auslösen, denn auch meist im Zusammenhang mit Schleimhautreizungen oder körperlichen Ekelreaktionen dar. Zur pragmatischen Anpassung des Soldaten an kriegsspezifische Situationen gehört überdies ein diskriminierendes Aufmerken auf kühl zu parierende Anzeichen der Bedrohung; diese Haltung erhöht zugleich die Empfindlichkeit für ästhetisch bedeutsame Details olfaktorischer Eindrücke. Versachlichte Perspektiven sind aber in jedem Fall mit einer gefühlsarmen Stimmung und mit unterkühlten ›Atmosphären‹ verbunden. Die Frage, ob es eine Ästhetik des Riechens geben kann, wird in der Philosophie kontrovers diskutiert;98 Ma˘da˘lina Diaconu schlägt vor, von einer ästhetischen Geruchswahrnehmung zu sprechen, wenn Gerüche nicht mit den von ihnen ausgelösten Emotionen verschwimmen, sondern als eigenständige Cluster sinnlicher Eigenschaften erfahren werden, die für das Hervorrufen besonderer Emotionen spezifisch sind: Bedingung dafür ist, dass der Rezipient einen Abstand zum Wahrgenommenen gewinnt, indem er sich nicht mit der vom Duft erweckten affektiven Stimmung identifiziert und in der Lust aufgeht, sondern zu ›emotions attached objectively‹ fähig ist.99
In einem solchen Moment werden affektive Wirkungen als Entsprechung spezifischer sinnlicher Geruchsgestalten erfahren. Wie sich zeigen wird, begünstigt der Zwang zur sachlich präzisen Erfassung außergewöhnlicher sinnlicher Details in Situationen des Krieges eine Konzentration auf Geruchsgestalten als solche. Die Forschung zu den Desodorierungsprozessen um 1750 bis 1880 hatte über den Abbau von Spielräumen für spontane Ausdrucksformen aufgeklärt, der mit geruchshygienischen Disziplinierungen des Verhaltens in der Moderne einhergeht; im folgenden wird sich zeigen, daß auch die Ästhetisierung des Geruchssinns im Krieg auf eine deutliche Disziplinierung des Weltbezugs zurückgeht. Als Beispiel für einen Text, der unter ästhetischem Gesichtspunkt auch dann 98 Siehe Ma˘da˘lina Diaconu, Tasten – Riechen – Schmecken. Eine Ästhetik der anästhesierten Sinne (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005), S. 181–182 u. 276–281. 99 Ebd., S. 279; vgl. auch ebd., Fn. 57. Der geschärfte Sinn für ästhetische Qualitäten des Geruchs richtet sich bei den hier untersuchten Autoren allerdings nicht auf Leichengestank.
Sachliche Kenntnisnahmen
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aufschlußreich bleibt, wenn die normative Grundlage seiner sachlichen Perspektive nicht überzeugt, diene Jean Paulhans Erzählung Le guerrier appliqu8 [1917], die vor allem an Eindrücken interessiert ist, die sich der Kategorisierung entziehen und als rätselhaft vereinzelte Sinnesereignisse kühl verzeichnet werden (1). Ludwig Renns Roman Krieg [1928] registriert Leichengestank oft als bloße Situationseigenschaft; wo er nur unangenehm wirkt, bedeutet er nichts, und wenn er als topographisches Erkennungszeichen dient, soll er keine besonderen Gefühle hervorrufen (2). Edlef Köppens Montage-Roman Heeresbericht [1930] nimmt die Geruchslandschaft des Krieges vor allem unter dem Aspekt der Schleimhautreizung wahr ; über dem Interesse am Körpergefühl tritt das einzige Beispiel für Verfallsgestank, das als singuläres Sinnesereignis dargestellt wird, in den Hintergrund (3). Arnold Zweigs Roman Erziehung vor Verdun [1935] wertet die ironisch abgeklärte Hinnahme einer Kriegslandschaft, deren besondere Topographie sich unter anderem an den Nuancen des Verfallsgestanks ablesen läßt, als eine dubiose Mischung von Sinnesschärfung und emotionaler Desensitivierung (4). In allen Texten wird die disziplinierende Wirkung des Krieges betont, doch deren Bewertung fällt unterschiedlich aus: Paulhan begrüßt den Krieg als sanft zwingenden Lehrmeister einer erweckten Indifferenz, Renn registriert die kriegsbedingte Erziehung zum Gleichmut, ohne gegen die habitusprägende Gewalt des Krieges aufzubegehren, Köppen führt einen fortschreitenden Prozeß psychischer und physischer Erschöpfung vor Augen, der im völligen Zusammenbruch und in Kriegsdienstverweigerung gipfelt, und Zweig zeigt kritisch, daß die disziplinierenden Wirkungen des Krieges den Spielraum für ein angemessenes Situationsverständnis zu sehr einschränken.
1)
Jean Paulhan: Le guerrier appliqué [1917]
Der Protagonist von Paulhans Roman Le guerrier appliqu8, übersetzt unter dem Titel Der beflissene Soldat, entwickelt gegenüber den Situationen des Krieges eine Haltung, in der sich Offenheit und Distanz auf eigentümliche Weise verschränken. Er wird empfindlich für das, was sich im Horizont der vormals eingewöhnten, friedenstypischen Lebensform nicht deuten läßt, und er läßt es gelten als etwas, dessen sinnliche Gestalt ein konzentriertes und selbstbewußtes Aufmerken erfordert. Da er glaubt, sich dabei auf eine im Rätselhaften vernehmbare Tiefenschicht der Wirklichkeit zu beziehen, gilt ihm der Krieg als Einweihung in die allgemein gültige Haltung, im scheinbar Widersinnigen das Heilsame zu erkennen. Aus dieser Sicht wird selbst die Gewöhnung an die Nähe von Leichen zur sanften Schulung durch einen Krieg, der zur tätigen Geduld erzieht:
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Quant / l’impassibilit8 oF je suis / l’8gard de tant de cadavres, il me surprend de remarquer combien elle est peu l’8ffet de mes d8cisions ou de mon enthousiasme pass8, mais bien au contraire l’8tat d’esprit auquel m’obligent, sans h8sitation possible, les circonstances. Quelle chose faite pour nous, tendre pour nous est donc la guerre, que notre application la suive aussi patiemment.100
Daß von den zahlreichen Leichen im Roman kein Gestank der Verwesung ausgeht, mag dem Winter geschuldet sein; zudem bezieht sich die Erzählung auf die ersten Kriegsmonate, in denen die Westfront noch nicht im Stellungskrieg, der starken Leichengestank begünstigte, erstarrt war. Andererseits führt Paulhan Kampfszenen vor Augen, die keinesfalls in einem desodorierten Raum stattfinden; die körpernahe Wahrnehmung von soeben zerfetzten Soldaten in der Umgebung von Flammen wird aber nicht als Belastung des Geruchssinns dargestellt. Der Erzähler betont in dieser Situation vielmehr den Eindruck von frischer Erde, ohne deren Duft eigens zu erwähnen.101 Das einzige Beispiel für eine Geruchswahrnehmung bestätigt den allgemeinen Habitus der Erzählung. Von den Zwängen der Marschdisziplin entlastet, geraten der Protagonist und sein Begleiter in einen Wald: »Il descendait des parfums froids du haut des arbres.«102 Die Düfte sprechen auf eine emotional nicht weiter bestimmte Weise den Temperatursinn an, und sie werden aus den Kronen der Bäume herangeweht, ohne daß ihre Quelle erkennbar wäre; unbestimmter Ursprung, unterbestimmte Signifikanz und hautnahe Wirkung des Fernen verdichten sich zum prägnanten Moment auf einer Truppenbewegung, die – bei aller vorgeschriebenen Route – den Sinn für außeralltägliche Überraschungen schult. Bei einer solcherart geschärften Wahrnehmung erweist sich das unschuldig anmutende, emotional stark beteiligte Aufmerken eines Soldaten, der am Kragen seines Mantels noch Hirnfetzen eines Kameraden entdeckt, als enttäuschend,103 verdankt es sich doch einer Empfindlichkeit, die im Krieg deplaziert erscheint. Positive soziale (oder, um mit Meyer-Sickendiek zu sprechen, ›interaktive‹ Gefühle) sind an ein Verhalten geknüpft, das restlos auf die Kriegsanforderungen abgestimmt ist. Die sachliche, dem Körperempfinden 100 Jean Paulhan, Le guerrier appliqu8 [1917] (Paris: Sansot, 1919), S. 134. »Was den Gleichmut angeht, den ich beim Anblick so vieler Leichen empfinde, so stelle ich zu meiner Überraschung fest, daß er kaum meiner Entschlossenheit oder meiner früheren Begeisterung entspringt, sondern ganz im Gegenteil der Gemütsverfassung, zu der mich, ohne einem Zaudern Raum zu lassen, die Umstände nötigen. Wie sehr ist der Krieg doch für uns gemacht, wie zärtlich ist er gegen uns, daß wir uns ihm gegenüber so geduldig der Folgsamkeit befleißigen.« (Jean Paulhan, Der beflissene Soldat (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995), S. 90) 101 Paulhan, Le guerrier appliqu8, S. 146; Paulhan, Der beflissene Soldat, S. 98. 102 Paulhan, Le guerrier appliqu8, S. 19. »Kühle Gerüche kamen hoch aus den Bäumen herab.« (Paulhan, Der beflissene Soldat, S. 15) 103 Paulhan, Le guerrier appliqu8, S. 136; Paulhan, Der beflissene Soldat, S. 91.
Sachliche Kenntnisnahmen
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zugewandte Wahrnehmung von Gerüchen setzt ein reduziertes ethisches Empfinden voraus, legt aber zugleich neuartige und scheinbar situationsangemessenere Erfahrungen frei.
2)
Ludwig Renn: Krieg [1928]
Der Ich-Erzähler von Renns neusachlichem Roman Krieg erwähnt wiederholt Leichengeruch; so spricht er vom »Gestank« bzw. »Geruch« verbrannter Menschen,104 vor allem aber von starkem Verwesungsgeruch, der selbst auf Papiere am Körper eines Toten übergeht – der Empfang der Dokumente wird mit dem Ausruf »Pfui, das stinkt aber!« quittiert – und auch an den Lebenden haftet, die sie berühren: »Ihr stinkt aber«,105 schimpft ein Kamerad. Der Gestank toter Tiere wird mit derselben Sachlichkeit registriert.106 Der verstörende Geruch wird als rein sinnliche Zumutung oder als bloßes Faktum eher kühl zur Kenntnis genommen: »Ein Leichengestank begleitete uns ein Stück«; »[d]a lag wieder ein Toter und stank.« Als eine Unterkunft bewohnbar gemacht werden soll, müssen die Toten erst aus dem Raum entfernt werden, was einen der Beteiligten zur abgeklärten Anmerkung veranlaßt: »Aber der Leichengeruch bleibt doch drin!« Als Soldaten die Lage in einem dunklen Waldstück mit der Nase erkunden, heißt es lapidar : »Es stank ringsum«. Bei starkem Frost wird keine Erleichterung über verminderte Geruchsbelastungen ausgedrückt, sondern sachlich vermerkt: »Dort lag ein toter Franzose, wahrscheinlich noch vom vorigen Frühling. Er roch nicht mehr.«107 Der Text dokumentiert eine durch den Kriegsalltag erzwungene emotionale Distanz, deren ungeschminkter Ausdruck allenfalls aus taktischen Gründen zurückgehalten wird: Ich ging in den Unterstand und zeichnete eine Skizze mit den Ergebnissen unserer Erkundung. Die Schlucht rechts, in der Weickert lag, nannte ich die Leichenschlucht und die Buden weiter vorn die Leichenbuden. Da fiel mir ein, dass Weickerts Leute es vielleicht als eine Vorbedeutung ansehen würden, wenn sie in der Leichenschlucht lägen. Ich strich das Wort aus und nannte sie nach unserem Fink die Finkenschlucht.108
Die Rücksichtnahme auf abergläubische Gedanken soll verhindern, daß die Toten als Spiegel der eigenen Ängste wahrgenommen werden. Positive Eindrücke wie der Geruch »nach frischem Harz«, frische »Luft« oder 104 105 106 107 108
Ludwig Renn, Krieg [1928] (Berlin: Aufbau, 2014), S. 43–44. Ebd., S. 119–120; vgl. S. 118. Ebd., S. 127, 162, 168 u. 221. Ebd., S. 158, 219, 243 u. 288; siehe auch S. 245. Ebd., S. 245.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
»Duft« von »irgendwelchen Blüten« werden eher beiläufig erwähnt.109 Die Geruchslandschaft resultiert ansonsten aus besonderen Situationen des Krieges, der zur Not auch das Schlafen in »Scheißrinnen« erfordert.110 Modrige Atmosphären werden an mancher Stelle mit eindringlicher Präzision evoziert: in einem Tunnel herrscht ein »feuchtkühler Dunst von nassen Sachen, Tabakrauch und Ruß«, in einem Stollen »roch es nach nasser Kreide, eingeweichtem Holz und Moder«, und nachdem einige Zigaretten geraucht wurden, riecht es, »als ob« die Soldaten »Pilze geraucht hätten«.111 Im Vergleich mit solchen Umwelten »roch« ein unbenutztes Zimmer in der Heimat »etwas unbewohnt«;112 während friedenstypische Emotionen in den Hintergrund treten,113 schärft sich – wie bei Paulhan – der Sinn für sinnliche Details. Ansonsten bringt der Krieg Pulver-, Granaten- und Gasgeruch mit sich.114 Der sachliche Ton verdankt sich der Weltsicht des Erzählers, der umfassend desillusioniert ist – »[a]lles ist doch hohl« – und für eine Sprache optiert, die realistisch Eindrücke klar vor Augen führt.115 Er zeigt nach außen eine gewisse Kälte,116 lobt den »harten Ton kühler Überlegung«117 und begreift Ekstase als Symptom einer Krankheit; Distanzverlust ist ihm peinlich, denn mit Angst muß jeder allein zurechtkommen.118 Sprache wird nicht dazu verwendet, Nähe auszuhandeln; in belastenden Momenten tut es vielmehr gut, wenn einer spricht, selbst wenn man sich nichts zu sagen hat, und für den Erzähler hat es gar keinen Sinn, über Dinge zu reden, mit denen der andere bereits vertraut ist.119 Daß einer »gar nicht wie er selbst« spricht, verwundert nicht weiter ;120 die Frage nach einem authentischen Ausdruck von Innerlichkeit stellt sich erst gar nicht. Der Krieg treibt Menschen, die in der Funktion aufgehen, das Überleben zu sichern, auch den Sinn für Selbstreflexion aus: »Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken
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Ebd., S. 94, 117 u. 261. Ebd., S. 49; zur Geruchswahrnehmung siehe ebd., S. 48. Ebd., S. 163 u. 271–272. Ebd., S. 143. Zu Renns weitgehendem Verzicht auf Charakterisierung und Reflexion zugusten der sinnlichen Wahrnehmung, deren emotionale Seite oft ausgespart bleibt, siehe Ulrich Broich, ›»Hier spricht zum ersten Male der gemeine Mann«. Die Fiktion vom Kriegserlebnis des einfachen Soldaten in Ludwig Renn: Krieg (1928)«, in: Schneider u. Wagener (Hg.), Von Richthofen bis Remarque, S. 207–216, hier S. 210–215. Renn, S. 171, 212, 215, 250 u. 264. Ebd., S. 147; siehe auch S. 142–143. Ebd., S. 116. Auch wenn er vom »kalte[n] Ehrgeiz« anderer überrascht wird, registriert er dies »mit kühlem Staunen« (ebd., S. 283). Ebd., S. 128. Ebd., S. 183, 195 u. 206. Ebd., S. 267 u. 334. Ebd., S. 179.
Sachliche Kenntnisnahmen
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und fühlte mich wohl.«121 Positive soziale Gefühle sind auch hier ganz auf die Haltung bezogen, die einer in der fremdbestimmten Soldatenrolle demonstriert: um einen »Kerl« täte es dem Erzähler leid, und einen Kameraden »musste« er »gernhaben wegen seiner Herzensgüte«. Einer der Ausbilder ist nur im Dienst »natürlich«, ansonsten bleibt er »affig«.122 Die unpersönlichen Zwänge des Überlebens zählen, und das spiegelt sich auch im Verhältnis zur Natur: »Die Natur ist nicht gefühlvoll, auch nicht, wenn man gefühlvoll ist. Sie ist ganz kalt und hart, und das ist so schön an ihr. Das ist auch schön an den Leuten da, dass sie bei ihrer Wehmut so hässlich sind.«123 Das Schöne am Häßlichen ist, daß es Distanz zu denen schafft, die von schwierigen Gefühlen gezeichnet sind, mit denen sie ohnehin allein leben müssen. Ästhetisch maßgebend ist eine sachliche Wahrnehmung des Wirklichen, die auch seine eigensinnig abstoßenden Seiten erfaßt. Unter diesem Gesichtspunkt dienen Motive des Leichengestanks nicht als ethisch gehaltvolle Symbole, doch sie verweisen auf ein Ethos. Der Modus ihres Registrierens spiegelt die Einübung eines abgeklärten Habitus in einer historischen Situation, die nach einer klugen und flexiblen Anpassung an Verhältnisse verlangt, in denen Ansprüche auf prinzipientreue Gewissenssteuerung scheitern müssen: der Krieg gebietet ›Verhaltenslehren der Kälte‹.124
3)
Edlef Köppen: Heeresbericht [1930]
Die Geruchslandschaft in Köppens Heeresbericht ist auffällig frei von Leichengeruch. An einer Stelle hätte sich durchaus die Gelegenheit geboten, den starken Geruch des Blutes frisch Getöteter anzudeuten: »Der Graben der Engländer wird mit Vernichtung gepflügt. Und jetzt springt die deutsche Infanterie an, vor, sicher, watet durch den Blutsumpf, bis zum Gürtel in glitschigen Leichen.« Auch in einer anderen Situation dürfte die Luft nicht geruchsfrei gewesen sein: die Beteiligten befinden sich an der Mauer eines Kirchhofs in unmittelbarer Nähe zu Leichen, denn »[d]er Feind pflügte die Gräber. Sie taten sich auf. Tote erwachten zum Leben, Skelette sprangen empor, mußten Verzerrungen machen und Verrenkungen unter dem Druck der Geschosse. Furchtbare Stunde!« Zerfallsgerüche, die wohl auch von Toten herrühren, werden aber nur in einer einzigen Passage benannt: »Verlassenste, kälteste, entsetzlichste Kraterlandschaft. […] Nichts als tiefe Löcher, zum Teil mit grünlichem stinkendem Wasser gefüllt.«125 121 122 123 124
Ebd., S. 276. Ebd., S. 174, 257 u. 276. Ebd., S. 140. Siehe dazu eingehend Helmut Lethen, Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994). 125 Edlef Köppen, Heeresbericht [1930] (Stuttgart: Reclam, 2015), S. 200, 212 u. 339.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Nicht, daß Köppen einen desodorierten Krieg inszenierte; die häufigste Geruchsquelle ist jedoch das Geschützfeuer, was bei einem Text aus der Sicht eines Artilleristen nicht überraschen mag.126 In diese Atmosphäre, in der das Atmen mit starken Reizungen der Haut einhergeht,127 fügt sich auch ein Gasangriff oder eine Szene, in welcher der Protagonist namens Reisiger mit Salmiak aus einer Ohnmacht geweckt wird.128 Wenn er beim Kriechen auf dem Bauch die »Nase im Dreck« hat, steht die taktile Erfahrung im Vordergrund,129 und als er einmal den »Rüssel im Dreck« hat, handelt es sich um die Ausstülpung der Gasmaske, die ebenfalls vor allem den Tastsinn anspricht.130 Zwar »riecht« es einmal auch »nach Frühling«, doch die Kanoniere ziehen sich dabei an einer Zigarette »die Lunge voll«, und als ein Leutnant dem Reisiger den Qualm seiner Pfeife ins Gesicht bläst, so daß es »stinkt«, steht erneut Rauch im Vordergrund.131 Kurzum: das Riechen wird meist mit Irritationen der (Schleim-)Haut verknüpft. Beispiele für Gerüche ohne Pulverqualm, Rauch oder giftige Reizgase sind selten: einmal wird Freude über »klare Luft« zum Ausdruck gebracht, und ein Soldat »schnüffelt« die Luft, um das Wetter zu bestimmen.132 Der starke Körpergeruch der Soldaten, die selten Gelegenheit haben, sich zu waschen oder die Kleidung zu wechseln, wird nicht dem Frontleben zugeordnet, sondern beim sachlichen Nachdenken über die sexuelle Anziehungskraft erwähnt, die kriegsgefangene Soldaten auf vereinsamte Frauen ausüben: »Gitter, Käfige, Mauern. Dahinter : gefangene Feinde. Es dunstete aus, es roch: hier ist der Mann.«133 Die Geruchslandschaft des Krieges wird auf eine verknappte Weise erfaßt, die das Wesentliche schlaglichtartig darstellt. In den Bericht von Reisigers Kriegserfahrungen, aus der Sicht der dritten Person erzählt, sind montageartig zeitgeschichtliche Dokumente eingeschoben, die das Publikum immer wieder vom Erzählten distanzieren und zur Reflexion auf das Mißverhältnis zwischen publizierten Verlautbarungen oder Meinungen und konkreten Erfahrungen anregen. Der Text stellt den Krieg als einen maschinell ablaufenden Prozeß dar, der sich gegenüber dem Willen der Beteiligten völlig verselbständigt hat und sie vernichtet oder so erschöpfen kann, daß sie wie der Protagonist am Ende nicht einmal mehr um des eigenen Überlebens willen weitermachen wollen. Solange Reisiger noch funktionieren will, ist sein Habitus immer wieder gezwungener126 127 128 129 130 131 132 133
Ebd., S. 45, 62, 74, 79, 82, 161 u. 248. Ebd., S. 166–167; vgl. auch S. 129 u. 131. Ebd., S. 374. Ebd., S. 415. Ebd., S. 368. Ebd., S. 90 u. 305. Ebd., S. 195 u. 369. Ebd., S. 228.
Sachliche Kenntnisnahmen
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maßen von einer sachlichen Haltung geprägt, die sich trotz aller emotionalen Schocks, kritischen Gedanken und starken sozialen Gefühle durchsetzt. Die sachliche Gestimmtheit ist eine interaktive Emotion, die einer entfremdeten Praxis entspringt. Reisiger ist kein ›Held‹ der Neuen Sachlichkeit, und auch die ›Sachlichkeit‹ des Romans, der mit vielfältigen Distanzierungs- und Verfremdungseffekten arbeitet, dient keiner Verhaltenslehre der Kälte, sondern der ernüchternden Einsicht in deren Preis.134 In einem Text, der immer wieder zur Distanz gegenüber einer erzwungenen Sachlichkeit anleitet, ist der Spielraum für den rhetorischen Einsatz von Geruchsmotiven, die tendenziell zur Immersion einladen, beschränkt; die Betonung olfaktorischer Eindrücke an der Grenze zur Hautreizung und Atemnot, die repulsive Gefühle über gestörte Weltbezüge unterstreichen, ist daher nur konsequent.
4)
Arnold Zweig: Erziehung vor Verdun [1935]
Remarques Roman Im Westen nichts Neues stellt den Ersten Weltkrieg als lebensfeindlichen Prozeß dar. Während sich das ›Leben‹ – als sinnstiftende Ursprungsmacht der Natur – in sinnlich erfüllenden, mit der Umwelt versöhnten Augenblicken der Entgrenzung zeigt, unterliegen die Soldaten dem fremdbestimmten Zwang zur disziplinierten Feindabwehr. Die sinnlich erfahrene Erde wirkt in diesem Zusammenhang zwar oft als belebende Energiequelle;135 die gewaltsam deformierte und blutgetränkte Erde stößt bei Hitze aber einen ›Totenbrodem‹ aus, der mit Verwesungsgerüchen unbestatteter Kriegsleichen zusammenfließt: Die Tage sind heiß, und die Toten liegen unbeerdigt. Wir können sie nicht alle holen, wir wissen nicht, wohin wir mit ihnen sollen. Sie werden von den Granaten beerdigt. Manche treiben die Bäuche auf wie Ballons. Sie zischen, rülpsen und bewegen sich. Das Gas rumort in ihnen. Der Himmel ist blau und ohne Wolken. Abends wird es schwül, und die Hitze steigt aus der Erde. Wenn der Wind zu uns herüberweht, bringt er den Blutdunst mit, der schwer und widerwärtig süßlich ist, diesen Totenbrodem der Trichter, der aus Chloroform und Verwesung gemischt scheint und uns Übelkeiten und Erbrechen verursacht.136 134 Einen genaueren Überblick über die Spielarten und Wirkungen der Montagetechnik bietet Roman Schafnitzel, ›Die vergessene Collage des Ersten Weltkrieges. Edlef Köppen: Heeresbericht (1930)‹, in: Schneider u. Wagener (Hg.), Von Richthofen bis Remarque, S. 319– 341. 135 Frank Krause, Mütterlichkeit unter Geliebten und Kameraden. Zeitdiagnosen über Genderkrisen in deutscher und englischer Prosa (1918–1933) (Göttingen: V& R unipress, 2014), S. 188 u. 190–191. 136 Erich Maria Remarque, Im Westen nichts Neues [1929] (Köln: KiWi, 2007), S. 91–92.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Remarque verwendet das Motiv des Leichengeruchs in dieser Szene als ethisch bedeutsames Anzeichen lebensfeindlicher Zerstörungskräfte. Auch in späteren Texten spricht er von Verwesungsgerüchen als ethisch relevanten Zeichen, die neben der Kriegskritik nun auch der Klage über den Mangel an Bereitschaft zum bewaffneten Widerstand gegen Diktatoren dienen können.137 Auch in Zweigs Roman Erziehung vor Verdun wird vitale Sinnlichkeit bejaht; angesichts der Todesgefahr besinnt sich der depressiv gestimmte Leutnant Flachsbauer auf die Freuden des bloßen Da-seins: »Wenn man nur lebt; wenn man nur zu atmen fortfahren kann, mit den Augen sehen, den Ohren hören, dem Kopfe denken, der Nase riechen – und wäre es Teerqualm und verbrennendes Fleisch.«138 Die Affirmation abstoßender Brandgerüche des Krieges zeigt aber, daß die Bejahung des nackten Lebens sich nicht überzeugend vom Krieg distanziert. Zweig ist grundsätzlich skeptisch gegenüber dem Versuch, Ansichten zum Krieg durch Kontraste von sinnlichen Schocks und sinnlicher Fülle zu vermitteln; bei der Darstellung greulicher Details hält er sich aus programmatischen Gründen zurück.139 Zudem schreibt er Mitte der 1930er Jahre gegen ein vitalistisches Lob der sorgenden Kameradschaft an, dem er – auch und gerade mit Blick auf Remarques Bestseller – eine antibürgerliche Abenteuerlust bescheinigt, die ein adäquates Verständnis des Krieges eher verhindert.140 Um so interessanter sind die Passagen, die schockierende Details der Kriegswirklichkeit ausführlich behandeln; verstörender Leichengeruch wird sogar eingehend thematisiert: Der Nachtwind trägt süßliche und scheußliche Gerüche heran […]. Was für einen Geruch schnuppern die widerstrebenden Nasen? Den Geruch von zersetztem Gemäuer, Menschenkot, Pulverruß und eingetrocknetem Blut.141
137 »Am 7. April 1937 notiert« Remarque im Hinblick auf den spanischen Bürgerkrieg: »›Aus den Ebenen Spaniens Blutgeruch über Europa. Und aus der ganzen Welt der Verwesungsgestank der trägen Herzen. […]‹« (zit. aus Wilhelm von Sternburg, »Als wäre alles das letzte Mal«. Erich Maria Remarque. Eine Biographie (Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1998), S. 245), und 1956 schreibt er mit Rückblick auf den Zweiten Weltkrieg: »Die Welt liegt wieder im fahlen Licht der Apokalypse, der Geruch des Blutes und der Staub der letzten Zerstörung sind noch nicht verflogen […]« (Erich Maria Remarque, Der schwarze Obelisk [1956] (Köln: KiWi, 1989), S. 5). Siehe auch die um 1930–31 abgefaßte und erst 2014 veröffentlichte Geschichte ›»Ich hab die Nacht geträumet – - -«‹, in: Erich Maria Remarque, Der Feind (Köln: KiWi, 2014), S. 79–88, hier S. 84; hier schwimmt im Krankenzimmer eines Lazaretts »der süßliche Geruch des Todes«. 138 Arnold Zweig, Erziehung vor Verdun [1935] (Berlin: Aufbau, 2008), S. 472. 139 Eva Kaufmann, ›Entstehung und Wirkung‹, in: Zweig, Erziehung vor Verdun, S. 529–550, hier S. 543. 140 Krause, S. 192–195. 141 Zweig, Erziehung vor Verdun, S. 94.
Sachliche Kenntnisnahmen
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Die umgangssprachliche Rede des Erzählers vom ›Schnuppern‹ erweist sich im Kontext der ernsten Situation als ironisch, und die Ironie der abgeklärten Figurenrede scheint dem zu entsprechen. Süßmann, dessen sprechender Name mit seinem unsanften Charakter auffällig kontrastiert (und auf eine typische Charakterisierung des Leichengestanks anspielen mag), stellt lässig fest: »Hier haben Anfang April vielleicht Tote rumgelegen! Wir konnten ihnen natürlich nicht gestatten, nach Belieben zu stinken. Hinter jener Ecke da haben wir sie in großen Trichtern verbuddelt.«142 Die Szene, in welcher der abgeklärte Süßmann die für Bertin unerträglichen Schrecken des Leichengeruchs herunterspielt, erscheint aber selbst in ironischer Brechung, denn in der Atmosphäre des Geländes gibt es eigentlich nichts zu lachen: »Als […] Bertin den dumpfen Geruch von Mauertrümmern und merkwürdigen Stoffen schnupperte, lachte Süßmann: ›Das ist der Douaumontgeruch; daß wir den nur nicht vergessen.‹«143 Die genaue literarische Beschreibung der verstörenden Geruchslandschaft ist legitim, weil sie zeigt, daß der Krieg eine Schärfung der Sinne erzwingt, ohne die das Überleben in einer feindlichen Umwelt wie den Resten von Douaumont nicht möglich wäre:144 Jetzt ist da nichts mehr als überall sonst: gezackte Erde. Und diese Erde beginnt zu stinken; süßlich und faulig haucht es die vier Fußgänger an, dann wieder brandig, schweflig, krank. Süßmann […] deutet die Gerüche, die von oberflächlich Begrabenen herrühren, von altem Kot, ungenügend zugeschüttet, von den Giftgasgranaten, die das Land hier durchtränkt haben, von Brandgeschossen, von Haufen verrotteter Konservenbüchsen, in denen Speisereste in widerwärtige Fäulnis übergegangen sind. Er erklärt Bertin, daß bei Sonne und Wind dies alles noch viel ärger stinke, mit Staub vermischt dann und den Gerüchen dieses ganzen verwesenden und zerpulverten Gefildes, das sich von hier aus etwa zweieinhalb Kilometer bis zu den Franzosen hindehne und dann noch ebenso weit bis zum inneren Fortgürtel von Verdun.145
Ein geschärfter Geruchssinn hilft bei der Orientierung, denn »Feindschaft« »liegt« »in der Luft«, und »Süßmann schnuppert die Luft wie ein Jagdhund 142 Ebd., S. 114. 143 Ebd., S. 114–115. 144 Die Geruchsforschung hat die Annahme, daß Menschen grundsätzlich in der Lage sind, sich mit Hilfe des Geruchssinns räumlich zu orientieren und diese Fähigkeit zu trainieren, experimentell bestätigt; von tatsächlichen Nutzungen dieser Fähigkeit wird bislang indessen nur anekdotisch berichtet. Siehe dazu Matthias Laska, ›The Human Sense of Smell – Our Noses are Much Better than We Think!‹, in: Diaconu, Heuberger, Mateus-Berr u. Vosicky (Hg.), Senses and the City, S. 145–153, hier S. 149–150; zum Zusammenhang von Geruchskarten und narrativ strukturiertem Gedächtnis, den auch Bertins olfaktorische Geländeerfassung demonstriert, siehe Ma˘da˘lina Diaconu, ›Mapping Urban Smellscapes‹, in: dies., Heuberger, Mateus-Berr u. Vosicky (Hg.), Senses and the City, S. 223–238, hier S. 231. 145 Zweig, Erziehung vor Verdun, S. 189–190.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
ein«.146 Bertin lernt zwar ebenfalls, eine Leiche zur Not als Wegmarke zu nutzen, aber die »kalte und feuchte Erde, der Geruch, der ihr entströmte, widerte ihn an.«147 Der Leichengeruch führt zu einer angeekelt erlittenen Verstörung oder einer ironisch durchgehaltenen Anpassung; den Lesern wird er als Auslöser reduzierter Haltungen gegenüber einer Umwelt präsentiert, deren angemessenes Verständnis einen ernüchtert-kritischen Abstand von den Beteiligten erforderte. Indem Zweig Süßmanns abgeklärte Distanz mit dem repulsiven Affekt Bertins kombiniert, lenkt er die Rezeption in eine sachliche Richtung, ohne einer Anästhetisierung das Wort zu reden. Remarque setzt hingegen – wie auch die in den folgenden drei Kapiteln zu behandelnden Autoren – auf die erhellende Kraft emotionaler Schocks.
4.
Entrüstete Entlarvungen
Literatur, die den Ersten Weltkrieg als Prozeß der Entmenschlichung beklagt, stellt Leichengeruch oft als Bestandteil des Entzugs menschenwürdiger Bestattungsrituale dar. Fritz von Unruhs Roman Opfergang [1918] läßt das Scheitern des wahnhaften Versuchs, einen Toten an der Front rituell zu würdigen, in eine apokalyptische Szene münden; der menschliche Kopf als symbolischer Sitz des Geistes löst sich vom zerfetzten Leib, der zu einer Welt gehört, in der Tiere verfallende Menschenreste erschnüffeln: Der Hauptmann zerfetzt bis auf den Kopf. Der Kopf aber schaute, vom Regen weiß gewaschen, aus zersplittertem Leib. Andere Leute waren gleichfalls so zerrissen, daß ein Soldat, der hinzulief – ›die kriegen wir nicht mehr für ein Grab zusammen, das ist ja das reinste Mosaikgemälde‹, – weiterkroch. Fips beugte sich über Werners Stirn. Von den Blumen legte er hin und wischte Blut mit dem Ärmel ab, das aus den Kelchen floß. Plötzlich packte er, von fürchterlichem Erbarmen getrieben, den Kopf und riß ihn von der Zertrümmerung des Leibes. Da hub Gewittersturm an! Weißer Blitz schlug im Aufflammen den Kopf aus den Händen des Kochs, der besinnungslos niederflog. – ›Licht! Licht!‹ schrie eine Stimme heran: ›Hier stinkt und fault es nach Leichen, o mir hat ein Feuer die Augen verbrannt, daß ich nichts sehe vor Feuer!‹ Der Vikar taumelte mit verbluteten Augen tastend durch Stämme an und irrte weiter durch Bäume. Gewitterglanz brauste über die stahlkalte Feldküche. Aufgescheuchte Wildschweine brachen schluchtheran. In Menschenresten und ausgesickerter Suppe wühlend, vermengten sie alles mit ihrem Schnüffeln. Als neue Blitze durch das Waldgeäst hieben, galoppierten sie grunsend [sic] davon.148 146 Ebd., S. 191–192. 147 Ebd., S. 195; zur Leiche als Wegmarke siehe ebd., S. 113. 148 Fritz von Unruh, Opfergang [1918] (Frankfurt am Main: Societäts-Druckerei, 1925), S. 132– 133.
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Der Versuch, die Leiche als sinnfälligen Ausdruck der sozial anerkannten Person eines Verstorbenen zu behandeln, ist hier grundsätzlich zum Scheitern verurteilt; wie das Motiv des erblindet irrenden Vikars verdeutlicht, zeigt der Leichengeruch zugleich die Abwesenheit spirituellen Sinns an. Diese Vision des Grauens will ex negativo auf die metaphysische Würde einer vom Krieg mißachteten Humanität deuten. Leo H. Wolfs Erzählung ›Tod‹ [1919] führt den Todeskampf und das Sterben eines Soldaten vor Augen, um zu zeigen, daß den Fallenden ein »Schicksal von satanischer Gleichgültigkeit« widerfährt;149 das Untröstliche dieser grauenvollen Einsicht wird hervorgehoben, als er seinen eigenen Zerfall imaginiert: Wie lag er nun da nach so reichem Leben. Ein zu Tode gequältes, einsam verendendes Tier! Die Vision eines angefaulten Körpers, wie er viele gesehen hatte, drängte sich auf. Zerfließend, in Fäulnis stinkend, madenüberkrochen, fliegenumschwärmt sah er sich selbst.150
Auch hier unterstreicht Leichengeruch die repulsive Wirkung eines Bildes, das die Resistenz der Kriegsleiche gegen jeden Versuch anzeigt, in ihr die Spuren einer sozial anerkannten Menschenwürde aufzufinden. In H. M. Tomlinsons Roman All our Yesterdays [1930] werden Kriegsleichen wiederholt mit Abfallfleisch (›offal‹) assoziiert, und auch der Leichengeruch ruft diese Vorstellung hervor; die vom Verfall heimgesuchte Kriegslandschaft ist, so scheint es, von den Flammen des jüngsten Gerichts gezeichnet. Der Körpergeruch eines überlebenden Soldaten, der kriechend in den von verfallenden Leichen stinkenden Erdboden eingesunken war, wird zum Erkennungszeichen des Frontkämpfers stilisiert, der mit der verstörenden Realität des Ersten Weltkriegs vertraut ist. Dazu paßt, daß der Geruch am Eingang eines Schachts, in dessen Umfeld Minenarbeiter der Vorkriegszeit in kolonialen Konflikten zwischen späteren Kriegsparteien den Tod fanden, bereits an eine Schlachthofstallung (›lairage‹) erinnert.151 Ernst Toller stilisiert den zeremonielosen Umgang mit stinkenden Leichen, die bloß technisch als hygienisches Problem behandelt werden, zu einem Armenbegräbnis posthum versöhnter Kombattanten. Auf diese Weise versucht er in seiner Autobiographie Eine Jugend in Deutschland [1933], die ›Dehumanisierung‹ der Leiche imaginär rückgängig zu machen:
149 Leo H. Wolf, ›Tod‹ [1919], in: Horst Lauinger (Hg.), Über den Feldern. Der Erste Weltkrieg in großen Erzählungen der Weltliteratur (Zürich: Manesse, 2014), S. 411–415, hier S. 413. 150 Wolf, S. 414. 151 H. M. Tomlinson, All our Yesterdays (London: Heinemann, 1930), S. 197, 459, 473, 474, 475– 476, 482–483 u. 485.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Dreihundert Meter rechts von uns, im Hexenkessel, liegt an einem Blockhaus, das zwanzigmal Besitz der Deutschen, zwanzigmal Besitz der Franzosen war, ein Haufen Leichen. Die Körper sind ineinander verschlungen wie in großer Umarmung. Ein furchtbarer Gestank ging davon aus, jetzt bedeckt alle die gleiche dünne Decke weißen Ätzkalks.152
Ohne diese aufschönende, gegen den nationalistischen Gefallenenkult gerichtete Trostphantasie über eine geteilte Decke verweist das Thema des Leichengeruchs nur auf die restlose Zerstörung humanspezifischen Sinns: »Die Luft verpestet vom Kadaverstank,« klagt Toller in einem Kriegsgedicht: »Ein einzig grauenvoller Wahnsinnschrei!«153 Ähnlich verfährt Toller in seinem Drama Die Wandlung [1918]; ein Soldat auf dem Weg zur Front entgegnet auf die Klage der Kameraden, geboren zu sein: »Unnütze Worte. Lange schon / Klemmt uns verruchter Sarg. Lange schon modern wir. / Stinkend verfaulendes Menschenfleisch …« Ein anderer Soldat ergänzt: »Ziellos irren wir, furchtsame Kinder / Preisgegeben sinnloser Willkür […].«154 Das Motiv der Lebendbestattung als Pervertierung eines Rituals, das eine verstorbene Person anerkennen sollte, zeigt den Entzug eines menschenwürdigen Lebens an. In den bislang angeführten Texten werden Motive des Leichengeruchs meist eingesetzt, um Bilder oder Tasteindrücke von entwürdigenden Todesarten zu verstärken; die nun zu besprechenden Texte entlarven Rituale und Phantasien, die dem Kriegstod einen höheren Sinn verleihen, als Illusionen über eine menschenunwürdige Todesart, und sie arbeiten mit komplexeren Mitteln, die eine ausführlichere und detailliertere Analyse erfordern. Arthur Graeme West stellt Leichengestank als einen umfassend desillusionierenden Eindruck dar, der sich gegen jede pragmatische, poetische und religiöse Tröstung sperrt (1). In Oskar Wöhrles Querschläger [1924] wird eine Bestattungspraxis, die der menschlichen Würde einer Person Respekt zollt, vom patriotischen Opferkult klar unterschieden; je nach Kontext kommt daher auch dem Leichengeruch eine andere Bedeutung zu (2). Arnold Zweigs Roman Der Streit um den Sergeanten Grischa [1927] läßt tröstende Ansprüche einer naturreligiösen Phantasie über Verwesung an der illusionsbrechenden Kraft jenes Geruchs scheitern (3). Alexander Moritz Freys Sanitätsroman Die Pflasterkästen [1929] erprobt eine 152 Ernst Toller, Eine Jugend in Deutschland [1933] (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1994), S. 49. Franz Schauwecker, Im Todesrachen. Die deutsche Seele im Weltkriege (Halle (Saale): Heinrich Diekmann Verlagsbuchhandlung, 1919), S. 371, berichtet von einer patriotischen Variante des Gemeinschaftsgrabs; auf dem Gitter vor dem Grab von zwei Russen und zwei Deutschen war zu lesen: »Wir reichen uns im Tod die Hand, / Wir starben alle fürs Vaterland.« 153 Ernst Toller, ›Leichen im Priesterwald‹ [1919], in: Vietta (Hg.), Lyrik des Expressionismus, S. 135–136, hier S. 135. 154 Ernst Toller, ›Die Wandlung‹ [1918], in: ders., Prosa – Briefe – Dramen – Gedichte (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1985), S. 73–123, hier S. 86.
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gegenläufige Strategie: er kritisiert den patriotischen Heldenkult, der die in den Leichen sinnfälligen Schrecken des Krieges verkennt, und stellt ihm das tröstende Bild einer patriotisch desinteressierten Natur gegenüber (4). Der Roman Brandfackeln im Osten [1931] von Konrad Seiffert unterminiert den patriotischen Totenkult, indem er das Grauen vor dem Krieg durch visuelle und olfaktorische Motive der Verwesung steigert, ohne sich dem beklagten Dilemma von traumatisierender Verstörung und abstumpfender Gewöhnung zu entwinden (5). Auch Peter Schmitz’ Golgatha [1937] bezieht grauenerregende Geruchsmotive in einen poetischen Angriff auf den Heldenkult ein, der im Vergleich mit Seifferts Schocktaktik aber weniger verzweifelt ausfällt (6). Diese Beispiele mögen genügen, um die Bandbreite der Perspektiven einer kritischen Entlarvung tröstender Zugänge zum Kriegstod durch Motive des Leichengeruchs zu skizzieren;155 sämtliche Texte setzen auf ästhetische Schocks, um die moralische Anklage des Krieges affektiv wirksam zu gestalten. Anders als im 18. Jahrhundert, das zwischen einem kruden, kunstfremden Ekel und einem zeichenhaft gezähmten, mit anderen Affekten gemischten und daher kunstfähigen Ekel unterschied,156 wird die Deprivation ästhetischer Bedürfnisse methodisch genutzt; und im Unterschied zum reizverstärkenden Einsatz von Ekelmotiven in der Romantik, die sich dem Zwang zur beschleunigten Erneuerung interessanter Effekte aussetzt,157 dient jene Schockästhetik der moralischen Anklage.
1)
Arthur Graeme West: Tagebuch, Briefe, Gedichte [1915–16]
In seinem Kriegstagebuch bezeichnet West neu hinzugekommene Soldaten, die das Leben in der ohnehin überfüllten Unterkunft noch beengter werden lassen, mit einer gelehrten Anspielung auf Cicero als fæx romuli: sie gelten ihm als Abschaum. Vor allem unangenehme Geruchseindrücke, die von den Soldaten ausgehen, kränken seinen Sinn für Distanz: Marches, in which these five were anywhere within one’s range of vision or smell (not perhaps that they impinged so unpleasantly on that sense by the uncleanliness of their 155 Andreas Latzkos Novellenzyklus Menschen im Krieg, aus dem einleitend ausführlich zitiert wurde, entlarvt mit dem Leichengestank die Hinfälligkeit militärischer Etikette, hinter denen sich eine Reduktion des Menschen auf bloßes Material verbirgt; insofern ist sein Ansatz mit den hier behandelten Codierungen des Leichengeruchs verwandt. Im Nachfolgeband erwähnt Latzko den Leichengeruch nur im figurativen Sinne und betont stattdessen den säuerlichen Blutgeruch Verletzter, der mit Schlachthausdünsten verglichen wird (siehe Andreas Latzko, Friedensgericht (Zürich: Rascher, 1918), S. 93, 107, 123, 124 u. 202). 156 Menninghaus, S. 70–75. 157 Ebd., S. 192–194.
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persons as by the rankness of their cigarettes) stirred in me such a spirit of fermenting malignity that I would cheerfully have killed them.158
Die Gerüche der anderen beleidigen den guten Geschmack: »the air, soft as milk, and as sweet, came past tainted by their vile cigarettes«. Es handelt sich nicht bloß um eine unangenehme Einschränkung des Lebensgenusses, sondern um einen Angriff auf die Grundlagen eines erträglichen Lebens: »the landscape« »seemed almost to complain that such as we three were could not visit and praise it as it deserved, being further dishonoured by these ugly presences«.159 So überrascht es nicht, daß West auch auf Leichengestank sehr empfindlich reagiert: Also I had rather an exciting time myself with two other men on a patrol in ›no man’s land‹ between the lines. A dangerous business, and most repulsive on account of the smells and appearance of the heaps of dead men that lie unburied there as they fell, on some attack or other, about four months ago. I found myself much as I had expected in the face of these happenings: more interested than afraid, but more careful for my own life than anxious to approve any new martial ardour.160
Zwar erfreut er sich der Frühlingsluft und fühlt sich angesichts der Jahreszeit so eins mit der Natur, daß es scheint, sie könne seinen Tod gar nicht zulassen, doch West weiß, daß er einem falliblen Schein erliegt: »We shall see.«161 Der Krieg wird – allem understatement und allen Naturgefühlen zum Trotz – als überwältigender Schrecken erfahren, der immer wieder auch von Gerüchen ausgeht; West merkt an, daß der »impotent horror« des Soldaten treffend durch eine Holzkohlezeichnung ausgedrückt wird, die eine Allegorie des Todes in englischer Uniform zeigt, die inmitten blutender, sich windender Körper und »smoking corpses« neue Opfer fordert.162 Der reale Leichengeruch ist so ekelhaft, daß er ihm einen anderen, potentiell angenehmen Geruch verdirbt: It was a smelly trench. A dead German – a big man – lay on his stomach as if he were crawling over the parades down into the trench; he had lain there some days, and that corner of trench reeked even when someone took him by the legs and pulled him away out of sight, though not out of smell, into a shell-hole. […] Stand down went at 5.30, and B ….. made us tea, and added rum for the others; the very smell of rum makes me sick, because it is connected with the trenches last winter.163
158 Arthur Graeme West, Diary of a Dead Officer. Being the Posthumous Papers of Arthur Graeme West (London: Greenhill, 2007), Eintrag v. 22. März 1915, S. 21–22, hier S. 21. 159 Ebd., S. 22. 160 Ebd., Brief v. 12. Februar 1916, S. 35–38, hier S. 35. 161 Ebd., S. 36. 162 Ebd., Eintrag v. 18. Mai 1916, S. 53–54, hier S. 53. 163 Ebd., Eintrag v. 17. September 1916, S. 123–125, hier S. 123–124.
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In Wests Lyrik findet die Allegorie des Krieges ihre Rekruten denn auch mit der Nase: »young Bellona smelt us out«164 – Krieg und Geruchssinn sind eng verbunden.165 Ein Gedicht, das über einen Verfasser fromm-patriotischer Verse klagt, der sich im Krieg von Gott umfassend geschützt fühlt, wundert sich angewidert, wie es möglich ist, nach all dem Leichengestank im Niemandsland noch schöngefärbte Illusionen zu hegen: »And he’d been to France, / And seen the trenches, glimpsed the huddled dead / In the periscope, hung in the rusting wire: / Choked by their sickly fœtor, day and night / Blown down his throat«.166 Die sinnliche, und das heißt auch: olfaktorische Erfahrung des Kriegselends müßte eine tröstende Aufschönung eigentlich vereiteln. Als Auslöser einer schonungslosen Desillusionierung kommt dem Leichengeruch allerdings eine instruktive Bedeutung zu: Only the dead were always present – present / As a vile sickly smell of rottenness; / The rustling stubble and the early grass, / The slimy pools – the dead men stank through all, / Pungent and sharp; as bodies loomed before, / And as we passed, they stank: then dulled away / To that vague fœtor, all encompassing, / Infecting earth and air.167
Der abstoßende Gestank ist allgegenwärtig, und seine negative, zerstörerisch anmutende Wirkung dringt überall hin. Eine jener Leichen liegt mit überkreuzten Beinen im Gelände und erinnert daher an die Grablegung gefallener Kreuzritter, doch sie eignet sich nicht als Symbol eines heroisch-ritterlichen Kriegstodes; umgeben von Leichenteilen, erweist sie sich mit ihrem Gestank vielmehr als rettende Wegmarke für eine im Dunklen operierende Patrouille: »we caught the scent / Of the Crusader and slid past his legs, / And through the wire and home, and got our rum.« Sich der Gefallenen zu erinnern hat hier einen praktischen Sinn: »We turned and crawled past the remembered dead«.168 Die Rede vom Kreuzritter und die Anspielung auf ›remembrance‹ als Totengedenken, das im Gefallenen ein würdiges Opfer erblickt, bleibt ironisch. Leichengestank entwertet bei West jeden poetischen, sinnlichen und religiösen Trost.169
164 ›The Traveller‹, in: ebd., S. 165–67, hier S. 167. 165 Auch eine Explosion stinkt, als sie »a cloud of black reek« aufwirft (ebd., Eintrag v. 20. September 1916, S. 125–130, hier S. 126). 166 ›God! How I hate you, you young cheerful men!‹, in: ebd., S. 147–50, hier S. 148. 167 ›The Night Patrol‹ [France, March 1916], in: ebd., S. 151–153, hier S. 151–152. 168 Ebd., S. 153. 169 Im Unterschied zu Edmund Blunden – siehe Kap. 6.5) –, dessen Ironie den Geruchsekel eher mildert, nimmt West Ekelmotive methodisch in Anspruch, um repulsive Affekte zu steigern; dabei kommt teils auch Zorn gegenüber mangelnder Sensibilität zum Ausdruck.
90 2)
Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Oskar Wöhrle: Querschläger [1924]
Im Nachwort zur dritten (und zugleich ersten unzensierten) Auflage seiner Aufzeichnungen eines Kanoniers unter dem Titel Querschläger. Ein Bumserbuch bekennt sich Wöhrle zur Absicht, Kriegslüsterne, die den militärischen Kampf nur aus der Zeitung kennen, mit seinem Buch »etwas nachdenklich zu stimmen. Dann wäre der Zweck erreicht, die Verwesung eines Jahrhunderts würde ihn anstinken […].«170 Diese Erkenntnis mit Hilfe der Nase ist zwar – wie auch in seiner Fabel, in der eine Häsin an einem Kriegstoten schnuppert und sich wundert, warum die Menschen nicht mehr auf die Jagd gehen, sondern sich gegenseitig umbringen171 – zunächst ein figurativ bedeutsames Motiv, doch Wöhrle verweist damit zugleich auf die gewichtige Bedeutung von Motiven des Verwesungsgeruchs in seiner Sammlung kurzer Erzählungen und Gedichte. Als dem Erzähler im Traum der »Atem« des Todes »wie Asche auf die Schulter« fällt,172 handelt es sich noch um eine Vorahnung des möglichen Kriegstodes in Form einer Allegorie. Während der Beerdigung eines Gefallenen bei schwülem Wetter riecht es schon kräftiger ; nachdem der Tannensarg in die Sonne gerückt worden ist und die teilnehmenden Soldaten auf den Geistlichen warten, ist das Vergehen der Zeit »innig gemischt mit dem heißen Atem der Natur, deren mächtiges Wollen hier an dieser Stätte des Todes doppelt ergriff und zu Herzen sprach«.173 Der Erzähler betont, daß denen, die dem Toten das Geleit gaben und ihn schließlich ohne Pfarrer bestatten mußten, »kotzheulig zumute war«,174 daß aber – bei aller Ironie über die Heilkraft der Natur – noch das armseligste Begräbnis die Würde des Toten anerkennt und daher Respekt verdient. Hier unterstreicht das Ausharren im unangenehmen, mit Humor parierten Geruch die menschliche Würde des Toten, der eine bescheidene Haltung angemessen ist. Pompöse Formen der militärischen Ehrerbietung werden dagegen als Äußerlichkeit dargestellt: der Erzähler hätte einem Verwandten des Toten, der dem armseligen Begräbnis aus Statusgründen ferngeblieben war, gerne ins »Gemäch« getreten,175 doch militärisches Dekorum hindert ihn daran, da er einen vorbeireitenden Major grüßen muß. Auch offiziöse Formen des Opferkultes werden so implizit in kritisches Licht gerückt. Das Motiv des Leichengeruchs wird mehrfach variiert. Ein Traumbild, das die erinnerte Heimat in verwüsteter Gestalt zeigt, versetzt das lyrische Ich eines 170 Oskar Wöhrle, Querschläger. Das Bumserbuch. Aufzeichnungen eines Kanoniers [1., gek. Aufl. 1924] (Berlin: Dietz, 1929), S. 394. 171 Ebd., S. 56. 172 Ebd., S. 72. 173 Ebd., S. 139. 174 Ebd., S. 140. 175 Ebd., S. 141.
Entrüstete Entlarvungen
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Gedichts »in den hintersten Winkel des Hauses, wo es nach Brand und Moder roch, nach erschossenen Menschen, giftigen Kriegsleichen, die wie Pilze aus der Erde schießen.«176 Die Perspektivfigur einer Reihe gewaltkritischer Prosaskizzen riecht in fieberbedingten Visionen den »Gestank von Blut« eines toten Pfarrers, der nurmehr einen »formlosen Klumpen bildet«.177 In einer anderen kurzen Erzählung läßt der »Gestank hunderter, seit Tagen nicht beerdigter Kadaver« die Soldaten nach gewonnener Schlacht nur weinen; die Siegesfreude an der Heimatfront erweist sich als bloße Verzerrung des Kriegsleids.178 Eine Anekdote erwähnt das Militärpferd Paula, das sich weigert, einen Major zügig an einer Abdeckerei vorbei zu befördern, da es den »Verwesungsgeruch« meidet. Der Reiter steigt ab, vergißt, es anzubinden, geht zu Fuß und muß es später vom Hof der »Kadaververwertungsstätte« retten, wo es sich aller Scheu zum Trotz hinbegeben hatte. Daß auch den Major auf der Suche nach dem Pferd »ein gewisses instinktives Gefühl« bewog, »die Scheu vor dem ihm entgegenströmenden Gestank zu überwinden«,179 lädt zu einem Vergleich von Mensch und Tier ein, der nicht zugunsten des ersteren ausfällt, denn der Major gibt insgesamt eine lächerliche Figur ab. Kriegsgerüche wie der »Senggeruch brennender Häuser«,180 der Gestank des Kampfschweißes von Kriegerallegorien oder der Geruch des schmutzigen Soldaten181 sollen in Wöhrles Aufzeichnungen abstoßend wirken. Religiösen Trost sucht man hier vergeblich: das Motiv des »Weihrauch[s]« wird einem »Brandschatzer« zugeordnet, und die erlösenden Worte Christi verhallen ungehört vor Schlafenden, deren Bäuche »Windstinkstank« von sich geben.182 Das von Pfarrern auf einer Hochzeit geschwungene »Rauchfaß des Geistes« gehört einer verlorenen Zeit an, und auch das »duftige Leben« eines alten, maskulin codierten Rosenbusches neigt sich dem Ende zu;183 die wenigen guten Gerüche stammen von erotischen Frauen und ihren Schuhen.184 Kompositorisch wird das Gefühl des Abscheus vor und der Traurigkeit über den Krieg durch Motive des Verwesungsgeruchs schrittweise gesteigert und am Ende auch in die humoristisch gefärbte Anekdote über jenen Major einbezogen, dem man auf vergnügliche Weise einen Streich spielt. Ohne den Spaß am anarchischen Impuls zu verderben, erinnert die Abdeckerei daran, daß die derben 176 177 178 179 180 181 182 183 184
Ebd., S. 149. Ebd., S. 178. Ebd., S. 278. Ebd., S. 363 u. 365. Ebd., S. 60. Ebd., S. 208 u. 338. Ebd., S. 189 u. 198. Ebd., S. 330 u. 338. Ebd., S. 53 u. 166.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Scherze und sinnlichen Freuden, die in der Sammlung ebenfalls zur Sprache kommen, sich in einer Art von Schlachthaus ereignen.185 Wöhrle gestaltet eine Geruchslandschaft, die den Krieg als lebensfeindlichen Zerstörungsprozeß erweist (siehe dazu genauer Kap. 4), setzt das Motiv des Leichengeruchs aber vorwiegend zur Entlarvung patriotischer Illusionen über den Kriegstod ein.
3)
Arnold Zweig: Der Streit um den Sergeanten Grischa [1927]
Im Oktober 1927 liefert der Verlag Kiepenheuer in Potsdam die erste Auflage von Arnold Zweigs Der Streit um den Sergeanten Grischa aus;186 der Roman führt vor Augen, wie der russische Kriegsgefangene Grischa von der deutschen Militärverwaltung im Ersten Weltkrieg ohne Rücksicht auf Recht und Moral zur Strecke gebracht wird. Der Text zeigt auch, daß die politischen Prozesse, die solches Unrecht ermöglichen, im Vertrauen auf naturwüchsige Kräfte und Formen des Widerstands allein nicht zu ändern sind. Grischa, der aus einem Gefangenenlager geflohen ist und mit Hilfe der nachgelassenen Papiere eines toten Russen eine neue Identität annimmt, erliegt aber der Illusion, sich auf gleichsam natürliche Weise zu erneuern; nach dem Beispiel des Wachstums von Bäumen, die »Kräfte« und »Säfte« von Bestatteten in sich aufnehmen, stellt er sich die Verwesung einer Leiche als Beitrag zu einer Art Neuschöpfung vor, und in einem figurativen Sinn trägt der Tod eines Russen nun zur Erneuerung Grischas bei.187 Als sich dem wieder in Gefangenschaft geratenen Grischa erneut die Gelegenheit zu einer Flucht zu bieten scheint, die von seiner schwangeren Geliebten Babka vorbereitet wird, hat er einen merkwürdigen Traum. Mit all denen, die er als Soldat getötet hatte, trinkt er Bruderschaft; die glücklichen Toten trinken das »für die Vaterländer vergossene Blut«. Dabei erinnert er sich auch an den Hof, den er – dem Zeitsinn des Traums zufolge – »vor Jahrhunderten« auf der Flucht aus dem Lager durchschritten hatte, die ihm in Wirklichkeit erst noch bevorzustehen scheint: Da lag er ja, da breitete er sich ja, der Hof, leichenblau, silbergrau angelaufen wie von zerschuppter Haut. Es roch nach Mandelblüten, süßer Verwesung, und mit ungeheuren Schritten durchsauste Grischa, in einem Bündel sein ganzes früheres Dasein auf dem Rücken, die Stadien der Verwesung […].188 185 Siehe ebd., S. 372–373; das Motiv »übelriechenden Sumpfschlamms« wird hier humoristisch eingesetzt. 186 »Als Erscheinungsjahr ist […] allerdings das Jahr 1928 angegeben« (Frank Hörnigk, ›Nachwort‹, in: Arnold Zweig, Der Streit um den Sergeanten Grischa [1927] (Berlin: Aufbau, 2004), S. 472–477, hier S. 474). 187 Zweig, Der Streit um den Sergeanten Grischa, S. 61. 188 Ebd., S. 351–352.
Entrüstete Entlarvungen
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Auf diese Todesvision folgt eine Reinkarnationsphantasie: nun liegt er selbst im Bauch der von ihm schwangeren Babka und wartet auf die Neugeburt seiner »Seele«, die »in die Unendlichkeit« eingehen wird. Wieder einmal stellt Grischa sich die Verwesung als eine Art Erneuerung vor, was durch die ambivalente Mischung der Gerüche von Mandelblüte und körperlichem Zerfall unterstrichen wird. Daß auch der Hof, der auf der Flucht zu durchschreiten wäre, auf Leichen und Verwesung verweist, rückt Grischas Zukunft allerdings nicht in ein gutes Licht; auch das Motiv des Bluttrinkens, das eher an einen Kriegerkult als an das christliche Abendmahl (im Sinne von 1. Kor 11: 25) erinnert, verheißt nichts Gutes.189 Schon vor dem Hintergrund eines Krieges, dessen Leichen sich keinesfalls als Symbole frühlingshafter Erneuerung eignen, können Grischas Phantasien nicht überzeugen, und auch die abschließende Variation des ›Todesgeruchs‹ bricht diese Illusion. Als der moralisch empfindsame Bertin sich vergegenwärtigt, daß Grischa unter Mißachtung geltenden Rechts vom Militär soeben hingerichtet worden ist, schlägt seine Wahrnehmung plötzlich um: Das Zimmer, drei Fenster breit, eine Teestube mit gleichgültigen blassen Mädeln, roch auf einmal nach Blut, wo er vorher nur den schalen Dunst kalten Rauchs und die allgemeine Muffigkeit eines von viel zu vielen Menschen täglich abgenutzten Raum [sic] geatmet hatte.190
Einmal mehr wird verdeutlicht, daß kriegsbedingtes Sterben nicht zur schöpferischen Zerstörung in einem naturwüchsigen Erneuerungsprozeß aufgeschönt werden kann. Der für einen Kriegsroman sparsame Einsatz von Verwesungsmotiven und einschlägigen Gerüchen dient hauptsächlich dem Abbau romantisch geprägter Illusionen über tröstende Natursymbole; die Verfallsgerüche des Krieges evozieren Todesahnung und Sinnzerfall. Zweig leitet allerdings immer wieder zur gedanklichen Distanz gegenüber dem bloß Atmosphärischen an, dessen historisch-politischer Erkenntnisgehalt ihm zu begrenzt erscheint.191
4)
Alexander Moritz Frey: Die Pflasterkästen [1929]
Freys Roman Die Pflasterkästen, der aus dem Alltag von Feldsanitätern berichtet, zeigt eine Geruchslandschaft, die von Anfang an von Gerüchen des Verfalls gekennzeichnet ist. Ob Feldkessel bald »muffig« – und selten »nach 189 Ebd., S. 352. 190 Ebd., S. 458. 191 Jost Hermand, ›Arnold Zweig: Der Streit um den Sergeanten Grischa (1927). Eine »systemkritische« Analyse‹, in: Schneider u. Wagener (Hg.), Von Richthofen bis Remarque, S. 195–205, betont denn auch zu Recht das analytische Interesse des Romans.
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heißem Fett« – riechen werden, Sanitäter in »muffigen« Kellern im »muffigen Dunkel« untergebracht sind, das Wasser im Revier »leise faulig« riecht, das Ausbrennen von »Furunkel[n]« stinkt, in einem Kellerlazarett »verpestete, feuchtwarme Luft« »aus etwa fünfzehn belegten Betten aufsteigt«, die Sanitäter in Ställen auf »Kot« schlafen, eine als Lazarett dienende Kirche von »Dünsten des Fiebers« erfüllt ist, unter Verstopfung leidenden Soldaten »Rizinus« unter die Nase gehalten wird oder die »herbduftende Erde« mit »modriger Luft« und »Blut-, Schweiß- und Urindünsten« kontrastiert: die Sanitäter arbeiten in schlechter Luft, und selbst »gut« riechendes Brot an der Front »taugt nichts«. Selten, daß »Wäscherinnen, aus denen der ganze überwältigende Reiz des anderen Geschlechtes aufdunstet«, diese Atmosphäre einmal auffrischen und der »Haarknoten« einer Wäscherin »nach Weib duftet«.192 Hinzu kommt der Leichengestank: »Was eine einzige Leiche den Graben verpesten kann, das glauben Sie gar nicht. Es ist unhygienisch. Wenn der Wind zum Gegner hinüberweht, ist’s ja gut, dann hat der den Gestank in der Nase.« Der um Hygiene besorgte Feldwebel bewältigt die Geruchsbelastung mit humoriger Schadenfreude, doch Sanitäter Funk kann diese scherzhafte Haltung nicht teilen; von der Luft, in die ein toter Engländer »süßlichen Geruch ausgeströmt« hat, wird ihm schwindelig.193 Später liegt er in einem »treibhausmäßig« heißen Schweinestall und schläft ein: Sie liegen auf sumpfig-feuchtem Kotboden, über den sie eine Decke gebreitet haben, und dieser Untergrund ist zwar weich, aber er hat nichts von einer federnden Matratze, sondern eher – in Funks Traum hinein – etwas von nachgiebigem, zerfallendem Fleisch, das schon sulzig wird und in der Verwesung stinkende Hitze wegstrahlt.194
Der Leichengeruch wird nicht als eigenständiges Symbol verwendet; seine abstoßende und desorientierende Qualität soll die Wirkung symbolischer Szenen aber häufig intensivieren. Symbolisch bedeutsam wird die sichtbare Leiche als »Antlitz des angeblichen Heldentums« und als »Schandantlitz des Krieges«, wenn zum Beispiel die Augen eines Toten sich senken, weil er keinen Hinterkopf mehr hat und der Druck im Schädel abfällt: »es ist, als entfernten sie sich nach innen, weg von dem abscheulichen Anblick dieser Welt«. Die grotesken Züge toter Menschen und Pferde erinnern mit ihrer Verzerrung natürlicher Formen an »Szenen in Wachsfigurkabinetten«.195 Als der Erzähler einen ›alternativen‹ Totenkult entwirft, der nicht den Soldaten würdigt, sondern die Erde, die ihn aufnimmt, wird der Geruch der Toten 192 Alexander Moritz Frey, Die Pflasterkästen. Ein Feldsanitätsroman [1929] (Coesfeld: Elsinor, 2011), S. 9, 15, 22, 24, 26, 34–35, 92, 94, 101, 104, 150, 187 u. 200. 193 Ebd., S. 32 u. 34. 194 Ebd., S. 175. 195 Ebd., S. 70 u. 165.
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nicht angesprochen, um die imaginäre Zeremonie nicht zu stören: »Das unbrauchbare Fleisch« toter Soldaten, »vorgestern noch verwendbar als Gewehrträger […], fällt in die Grube«; der Erzähler kommentiert das in der »Julihitze« zügig verwesende, in Massen beerdigte Fleisch: »Wenn es je hier draußen etwas Würdiges, etwas Sinnvolles getan hat, so jetzt: es düngt die Erde.«196 Heroisch ist nicht der Soldat, sondern die Natur, die sich unter den Bedingungen des Krieges behauptet und regeneriert, so daß die Rede vom Dünger bei aller Ironie gegenüber dem soldatischen Heldenkult ernst zu nehmen ist: »Die Vögel sind Helden. Wie haben sie’s fertig gebracht, hier auszuhalten, hier durchzukommen? – Die anderen Helden liegen im untergegangenen Park und sollen ihn düngen für künftige Tage.«197 Die Rede von der Würde gedüngter Erde paßt zwanglos zum Bild des Bodens als anthropomorphem Kriegsopfer : »Wie die Erde zittert, sie wird geschüttelt vor Angst!« Im Rahmen der Diagnose, man befinde sich in einem »zur zerfetzten Leiche gewordenen Land«, erweist sich die muffig-faulige Atmosphäre des Kriegslebens zugleich als Anzeichen dafür, daß Krieg den Eigensinn der lebendigen Natur mißachtet.198
5)
Konrad Seiffert: Brandfackeln über Polen [1931]
Als der Erzähler von Seifferts Roman Brandfackeln über Polen mit seinen Kameraden über »Verfaulende« steigt, »um die der Gestank fast greifbar stand«, während eine Heilandsfigur aus Blech am Elend vorbeizuschauen scheint und so die Vergeblichkeit religiöser Hoffnungen auf Erlösung vom Leiden sinnfällig macht, resümiert er : Wenn du das alles siehst, immer wieder und immer wieder, dann bleibt dir nur zweierlei: entweder du wirst verrückt, oder du wirst gleichgültig, abgestumpft, abgebrüht. Die Wahrscheinlichkeit, daß du verrückt wirst, ist außerordentlich gering.199
Der Roman schreibt gegen diese Vergleichgültigung an und steigert die Schreckensbilder des Krieges in einer Vision der sterbenden Hauptfigur am Ende zu einer gewaltigen Anklage des Krieges als eines metaphysisch untröstlichen Gemetzels: Jetzt mischte sich in den feierlichen Duft der Altarkerzen der süßliche Dunst des Blutes. Es roch nach Leichen. Gestank würgte den Weihnachtsduft. Und dann lagen alle Leichen aller Schlachtfelder auf dem Altar, die verfaulten und die 196 197 198 199
Ebd., S. 85. Ebd., S. 200. Ebd., S. 164 u. 188. Konrad Seiffert, Brandfackeln über Polen (Hamburg-Bergedorf: Fackelreiter, 1931), S. 80– 81.
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verfaulenden, die verstümmelten, die zerrissenen, die zerdrückten, die aufgedunsenen, die blau und schwarz und gelb gewordenen, die von den Maden zerwühlten. Zu Bergen lagen sie getürmt auf dem Altar. Es war ein Riesenaltar. Weiße und braune Maden krochen über den Altar und über die Leichen. Hoch über den Bergen aus Fäulnis und Gestank hing silbern der Leib des Erlösers am Kreuz aus schwarzem Holz. Auf der Spitze des höchsten Berges lag ich. Maden krochen über mein Gesicht. Ende200
Die Vorstellung vom Kriegstod als heiligem Opfer auf dem Altar des Vaterlandes wird hier ad absurdum geführt.201 Als Versuch, klagend ein Zeichen zu setzen, um sich dem Dilemma von Wahnsinn und Indifferenz zu entwinden, übernimmt das poetische Sakrileg zugleich eine rituelle Funktion. Der Roman, der vom Vormarsch der deutschen Armee nach Osten durch Polen erzählt, evoziert eine Atmosphäre, die vorwiegend vom Geruch toter Flüchtlinge oder Soldaten geprägt ist, von denen viele an der Cholera sterben. Die destruktive Wirkung des Gestanks wird schrittweise gesteigert: Der Gestank der schwarz gewordenen, aufgedunsenen Menschenleichen, die am Rand der Straße lagen, die sie lückenlos säumten, stand um uns. Der Gestank der Tierkadaver […] stand um uns, hing an uns, kroch in die Uniform, kroch in den Kopf, in den Hals, in die Eingeweide, erschwerte das Atmen, kroch und kroch und fraß sich fest. Das Wimmern und Stöhnen fraß sich fest, in den Ohren, im Gehirn, im Herzen.202
Der Leichengeruch läßt die Gewißheit über die Zerstörung von Mensch und Tier zur einer körperlich eindringlichen Erfahrung werden. Die sinnliche Stärke und die körperliche Tiefe dieser Erfahrung wird nun gesteigert: »Wie ein Schrei stand der Schrei des Elendszuges um uns. Pesthauch wehte wieder um uns, kroch mit dem Schrei in den Kopf, in die Eingeweide und in das Herz und fraß sich fest.«203 Die Atmosphäre der Verwesung wird bald so dicht, daß sie den Appetit verdirbt und den Atem verschlägt: Es stank fürchterlich. Mir schmeckte das Essen nicht. Jeden Brocken drehte ich ewig im Munde hin und her. Jeder Bissen quoll und quoll im Munde. Ich gab das Essen auf, legte mich lang hin in den Sand. Aber auch der stank entsetzlich nach Leichen. Ich richtete mich wieder auf. Ich stand ganz auf. So ging es noch am besten. Es war mir, als krieche dicht über der Erde ein giftiger Brodem hin. Stand ich, dann roch ich ihn zwar auch noch, sogar sehr heftig, aber ich konnte doch wenigstens atmen.204 200 201 202 203 204
Ebd., S. 174. Diesen Topos verwendet Seiffert ebd., S. 149. Ebd., S. 79. Ebd., S. 91. Ebd., S. 167.
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Der Gestank löst nun kriegskritische Gedanken aus, aus denen der Erzähler aber keine praktischen Konsequenzen zieht: Wozu machten wir das noch mit? Wenn du von morgens bis abends marschierst und rechts und links von dir nur Tote und Sterbende siehst, hörst und riechst, kommen dir ganz pflaumenweiche Gedanken. […] Sicher ist nur, daß es jetzt nichts gibt, das mehr Wert als das Leben hat. […] Du denkst nach. Heimat? Vaterland? Ehre? Ruhm? Gott? Ewigkeit? Halt die Schnauze. […] Gesund bleiben. Marschieren. Immer wieder mußt du hinsehen, hinhören und hinriechen.205
Er sträubt sich auch gegen die vom Verwesungsgeruch schon hervorgerufenen Einsichten: […] inzwischen starben wir. Auf dem Altar des Vaterlandes. Schade. Ohne zu wissen, warum. Ohne den Zweck zu ahnen. Es kommt gar nicht darauf an, das zu wissen. Es kommt darauf an, Befehle auszuführen, das Maul zu halten, Dreck zu fressen, Hurra zu schrein, nicht zu denken. Es ist bequem, nicht zu denken. […] Lächerlich, diese Gedanken. Aber das kommt von diesem blödsinnigen Gestank.206
Auch religionskritische Gedanken, die »von diesem Gestank« kommen, wehrt er ab: »Dabei wird man ja rammdösig.« Der Gestank dringt auf immer ekelerregendere Weise in den Körper ein; erst läßt er »Magensaft in den Mund« steigen, der »Gestank« wird »noch dicker«, »vermischt« »sich mit dem Magensaft zu einem gräßlichen Brei, rutschte hinunter in den Magen, ballte sich dort zusammen, stieg wieder hoch, würgte mich […], ich mußte jeden Augenblick ersticken.« Er stirbt kurz darauf an der Cholera, die sich durch die Ausdünstungen ihrer Opfer zu verbreiten scheint: »Der Gestank stand dicht über der Ebene und über der Straße. Er hing an uns und machte uns krank.«207 Seiffert steigert die vom Leichengeruch ausgehende Atmosphäre des Sinnverlusts; zunächst wird das mit ihr verbundene Leid immer deutlicher gewiß. Später entzieht sie allen Rechtfertigungen des Krieges die gesicherte Grundlage, greift zerstörerisch auf den Erzähler über, unterminiert dessen Widerstand und erreicht im visionären Bild des Altars ›aller Leichen aller Schlachtfelder‹ ihren Höhepunkt. Seifferts einsinnige Strategie, die emotionale Intensität der Gewißheit über den Zerfall von Sinn und Leben ständig zu überbieten, ist apokalyptisch ausgerichtet; es bleibt aber bei einer kupierten Apokalypse als umfas-
205 Ebd., S. 149. 206 Ebd., S. 170. 207 Ebd., S. 148, 171 u. 172.
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sender Selbstauslöschung der schlechten Welt ohne textimmanent greifbare Erlösungsaussicht.208
6)
Peter Schmitz: Golgatha [1937]
Schmitz’ pazifistischer Roman Golgatha spielt mit seinem Titel auf den Ort der Kreuzigung Christi an und hofft auf eine bekehrende Wirkung der Einsicht in die Greuel des Krieges: Ich möchte es zeigen, dieses Golgatha des Krieges, allen Diplomaten, allen Fürsten und Mächtigen der Nationen. Wer im Angesichte dieses Golgatha den Krieg verherrlicht, über ihn komme das Blut der Toten! Ich möchte die kommenden Geschlechter vorbeiführen an diesem Golgatha, auf dass es zu einem Schwurmal des Friedens werde!209
Im Unterschied zur christlichen Auffassung ist die Schädelstätte bei Schmitz ein Ort der Warnung, deren Mißachtung mit einem Fluch belegt wird, und an die Stelle des göttlichen Erlösers tritt der hingemetzelte Teil einer erlösungsbedürftigen Menschheit. Der Krieg erscheint als sakrilegisches Vergehen am heiligen Sinn des menschlichen Lebens. Die Soldaten erkennen den Zwang zum Selbstopfer als unausweichliche Folge einer scheinbar legitimen Verteidigung an,210 doch angesichts der vielen Kriegstoten kann der Zweck die Mittel nicht wirklich heiligen. Schmitz setzt zwar oft auf die persuasive Kraft des visuellen Eindrucks, doch auch der Geruchssinn wird dabei immer wieder angesprochen: Und dann sehen wir ein Bild, das so unheimlich ist, dass unser Hirn sich weigert, es aufzunehmen. Wir marschieren vorbei an einem vollzähligen französischen ArtillerieRegiment. Mann und Ross liegen steif und starr auf der Landstraße, – tot – ! Die Fahrer hängen auf ihren Pferden. Die Kanoniere sitzen auf den Protzen und Lafetten ihrer Geschütze. Ein Feldwebel hat den Bleistift in der erstarrten Hand. So wie sie gingen und standen, sind sie zusammenkartätscht worden. Die Menschen- und Tierleichen zeigen grässliche Verwundungen. Ein Artillerist hängt zwischen den Rädern seines Geschützes. Der Kopf fehlt. Aus dem Rockkragen schaut der blutige Halsstumpf hervor. Blut und Gehirnspritzer kleben an den Wänden der großen französischen Bagagewagen. Die Leiber der toten Gäule sind aufgebläht. Ein widerlicher Blutgeruch schwängert die Luft. Der Tod hat furchtbare Ernte gehalten.211 208 Zum Begriff der kupierten Apokalypse siehe Klaus Vondung, Die Apokalypse in Deutschland (München: dtv, 1988), S. 12. 209 Peter Schmitz, Golgatha. Ein Kriegsroman [1937], hg. v. Philippe Beck (Bremen: Donat, 2014), S. 271. 210 Ebd., S. 226. 211 Ebd., S. 66.
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Die Beispiele ließen sich mehren: »Ein Pestgestank steigt von den Leichenhaufen auf«, ein »Pferdekadaver« gibt »Pestgeruch« von sich, der Erzähler registriert den »üblen Pestgeruch« der »Leichen«.212 Die archaisch anmutende Rede von der Pest, die im Mittelalter als göttliche Strafe gedeutet wurde, fügt sich zwanglos in die religiöse Symbolik des Romans. Zwar bemerkt der Erzähler bei der Arbeit auf einem Soldatenfriedhof, daß seine Empfindlichkeit gegen solche Gerüche schwindet, doch seine Haltung ist keineswegs sachlich: »Nur eine tiefe, tiefe Traurigkeit ist zurückgeblieben. Und diese Traurigkeit hält uns in ihrem Bann, wenn wir Totengräber nach schwerer Arbeit im Unterstand sitzen, der geschwängert ist von Verwesungsgeruch.«213 Die traurige Stimmung ist das Indiz eines intakten Sinns für den Wert des Lebens, der sich auch in der Geruchslandschaft des Krieges gelegentlich zu erkennen gibt. Mit derber Vitalität stellt der Erzähler den Geruch von »gärende[m] Pferdedung« als anheimelnden Eindruck heraus, und der »Rauch der Zigarren und Zigaretten«, »verwischt […] mit den Gerüchen von Menschenschweiß und Bier«, gehört zur »urgemütlich[en]« Atmosphäre einer Zusammenkunft;214 Schnapsgeruch wird nur von einem arroganten Zivilisten moniert.215 Zum guten Leben gehört die Freude am Essen – erwähnt wird der »Geruch von gebratener Butter und gebackenem Fisch«,216 Äpfeln und Braten – und der Genuß der erotischen Düfte von Parfüm und Frauenkörpern.217 Als zweideutiger erweist sich die Atmosphäre des sakralen Raumes. In einer Kirche, in welcher der Protagonist mit einem ohnmächtigen Kameraden Zuflucht sucht, »riecht« es »in geheimnisvollem Halbdunkel« »nach Weihrauch«, doch der sakramentale Schein wird gebrochen, als jener im »dämmrigen Raum« Befehle von einem Oberst entgegennehmen muß, der ihn mit den Worten entlassen will: »So, nun gehen Sie mit Gott«.218 Der Leichengeruch an der Front entzieht der rituellen Bewältigung des Kriegstodes schließlich jede Grundlage: In der sengenden Sommerhitze schreitet die Verwesung schnell voran. Leichenbrodem steigt aus dem Krater und verpestet die Luft. Trauben schillernder Fliegen hängen an den Wunden der Toten. Die Armseligkeit des ›Heldentodes‹ kommt mir zum Bewusstsein.219
Die abstoßende Seite der Geruchslandschaft des Krieges setzt sich außerdem aus stinkenden Unterständen, dem Gestank der Exkremente von Schweinen und 212 213 214 215 216 217 218 219
Ebd., S. 86, 109 u. 188. Ebd., S. 125. Ebd., S. 145 u. 240. Ebd., S. 214. Ebd., S. 118–119. Ebd., S. 85, 163, 201 u. 204. Ebd., S. 82–83. Ebd., S. 242.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Menschen, Gasschwaden, Blutgeruch der Lebenden, chemischen Präparaten wie Äther im Lazarett sowie Schwefel- und Pulvergeruch zusammen.220 Als besonders belastend sticht aber der Leichengeruch hervor: »Die gepeinigten Lungen wollen sich vollsaugen mit frischer Luft. Aber die Luft hier draußen ist geschwängert mit Pulverdämpfen und widerlichem Leichengeruch, der süßlich in die Nase dringt.«221 Der Gestank des Todes steigert sich zur körperlichen Mißhandlung: Der Geruch von Tod, Karbol und Blut legt sich schwer auf die Brust und löst Brechreiz aus. […] Dann sind wir dem Feuerbereich entronnen. Tief schöpfe ich Atem. Die Nachtluft ist kalt und rein, und wohlig baden sich die misshandelten Lungen.222
Der Leichengeruch entlarvt nicht nur Sinnillusionen, sondern greift auch das körperlich verfaßte Leben an, dessen sakraler Eigensinn vom Krieg mißachtet wird; der letztere Aspekt steht bei nun zu besprechenden Texten stärker im Vordergrund und rechtfertigt deren gesonderte Darstellung.
5.
Alarmierte Kontrastierungen
Die in Kap. 4 besprochenen Texte nutzen Motive des Leichengestanks vor allem zur Entlarvung von Illusionen über den Sinn des Krieges; in den folgenden Texten werden sie hingegen vornehmlich verwendet, um die Zerstörung eines positiven Sinns des Lebendigen kenntlich zu machen. Zu diesem Zweck wird Leichengeruch mit guten Sinneseindrücken kontrastiert, die als Manifestation vitaler Energien gelten. In seinem Gedichtband Tier rang gewaltig mit Tier [1920] personifiziert Anton Schnack die im Verwesungsgeruch manifeste Gefährdung des Lebens durch den Krieg; so spricht er vom »Totenhauch«223 oder verknüpft den Gestank mit dem Tod als einem bedrohlichen Agens: »[…] dort ist dies: Tod und Dunst von Gasen, aus Erdlöchern aufgestiegen, aus Spalten; dort starrt wüst der Verhack …« Der Leichengeruch fungiert als Kontrastfolie der Beschwörung leiblicher Vitalität: »Über die Hügel aber, köstlich der Fluß, wer baden könnte in ihm, friedlich, rauschend im Rohr […]«.224 Eine Desertion gerät aus dieser Sicht zur Flucht aus der Fäulnis im Namen des Eros:
220 221 222 223
Ebd., S. 91, 96, 137, 148, 172, 175–182 (insb. S. 179), 230, 234, 236, 238 u. 273. Ebd., S. 179. Ebd., S. 274–275. Anton Schnack, ›Verdun‹ u. ›Die Reiter‹, in: ders., Tier rang gewaltig mit Tier (Berlin: Rowohlt, 1920), S. 30 u. 56. 224 Schnack, ›Auf der Höhe von Epinoville‹, in: ders., Tier rang gewaltig mit Tier, S. 29.
Alarmierte Kontrastierungen
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Kriechend auf Bauch und gezogenem Knie; halbstündig barg ihn ein Loch, bös dunstend von fleischlicher Fäule, An Wassern vorüber, zwang sich durch Draht und Gestrüpp. Wurde gefangen mit seltsamen Lächeln am Mund, dämmerte Wunder sein Hirn: weiß, prächtig, gewölbt, geschenkt war er wieder dem Weib.225
Als sich zwei gegnerische Soldaten in Ilja Ehrenburgs Erzählung ›Die Friedenspfeife‹ [1923] gegenseitig beriechen, dabei einander als Bauern erkennen und so »vertraut und heimisch« werden, sind sie für vitale Kräfte empfänglich, die Solidarität stiften könnten, wenn der Krieg sie nicht zwänge, einander zu töten. Ein olfaktorisches Leitmotiv unterstreicht diesen Zwang: »[…] mittags im Juli stank die Erde schwer nach Unrat und Blut. […] Im April 1916 hörte das Niemandsland, das nach Unrat und Blut stank, auf, Niemandsland zu sein.«226 Carl Zuckmeyers ›Geschichte von einer Geburt‹ [1927] zählt Gerüche zu den erinnerungsmächtigen Eindrücken, deren Qualitäten sich im Rückblick ändern, ohne ihren Gehalt als Offenbarung vitalen Sinns einbüßen zu müssen; im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg wird zunächst Leichengeruch erinnert, der auf lebensfeindliche Umstände verweist: […] Bilder, Gerüche, das zerfließt alles im Gedächtnis wie die Gesichter rasch gefallener Kameraden; was wieder aufersteht, hat Schicht und Farbe gewechselt – vielleicht auch […] den Atem […] – bleibt nur zu hoffen, dass die unsterbliche Seele jeder Verwandlung trotzt und dass sie wahrhaftig lebt in jeder Wiedergeburt. […] in Belgien war einer beim Kaffeeholen in den Schacht eines halb abgerissenen, unbedeckten Ziehbrunnens gestürzt, tagelang vermisst worden und erst gefunden, als es aus dem Brunnen stank.227
Aber auch kontrastierende Gerüche stellen sich in der Geschichte ein, die davon erzählt, wie Soldaten einer Frau im Krieg Geburtshilfe leisten; der Protagonist wird in diesem Kontext für den Frühlingsduft als Anzeichen werdenden Lebens empfänglich. So mischt sich die Kriegserfahrung mit einer »lau gärenden, erdwürzig riechenden, nebelhaft steigenden Bodenluft«: »in seine Nüstern stieg ein Geruch wie von blühenden Kätzchen, Primeln, Anemonen und Osterkraut.«228 Joseph Roths Erzählung ›Stationschef Fallmerayer‹ [1933] faßt hingegen die besonderen Lebensumstände eines Einzelnen ins Auge:
225 Schnack, ›Der Überläufer‹, in: ders., Tier rang gewaltig mit Tier, S. 54–55, hier S. 55. 226 Ilja Ehrenburg, ›Die Friedenspfeife‹ [1923], in: Lauinger (Hg.), Über den Feldern, S. 515– 522, hier S. 516, 519 u. 521. 227 Carl Zuckmayer, ›Geschichte von einer Geburt‹ [1927], in: Lauinger (Hg.), Über den Feldern, S. 619–628, hier S. 619. 228 Ebd., S. 622–623. Auch »das ekelhafte Röcheln und Pfeifen« eines »alten Weibes« (ebd., S. 667) ist »ein Laut, den man« in der schlechten Luft des Hauses »zu riechen meint« (ebd., S. 620).
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Mitten im Gestank des Gases, im Geruch des Bluts, im Regen, im Sumpf, im Schlamm, im Schweiß der Lebendigen, im Dunst der faulenden Kadaver verfolgte Fallmerayer der fremde Duft von Juchten und das namenlose Parfüm der Frau, die einmal in seinem Bett, auf seinem Kissen, unter seiner Decke gelegen hatte.229
Die nun zu besprechenden Texte setzen die Technik, sinnfällige Zeichen des Todes und des Lebens zu kontrastieren, auf komplexere Weisen ein, die eine detailliertere Darstellung erfordern. Henri Barbusses Roman Le Feu [1916] stellt Szenen dar, in denen Leichengeruch auf unheimliche Weise die Zerstörung dessen anzeigt, was von unveräußerlichem Wert ist; der Krieg kann allenfalls als historischer Beitrag zu einem dauerhaften Frieden gerechtfertigt werden (1). Arthur Donald Gristwoods Novellen The Somme und The Coward [1927] variieren verständnisvoll das Thema der Angst um das eigene Leben, die zum feigen Bruch mit den Geboten des Patriotismus motiviert (2). In Adrienne Thomas’ Die Katrin wird Soldat [1930] münden die sinnfälligen Gewißheiten über die lebenszerstörende Gewalt des Frontgeschehens in eine umfassend kriegskritische Haltung (3). Gabriel Chevalliers La Peur [1930] legt schonungslos die zerstörerischen psychischen Folgen des naturwidrigen Zwangs offen, in lebensbedrohenden Situationen auszuharren (4). Unter ästhetischen Aspekten sind manche Spielarten des alarmierten Zugangs zum Ekel subtiler als die Motive im vorigen Kapitel: Barbusse modernisiert die romantische Idee einer ethisch dubiosen Anziehungskraft der ästhetisch interessanten Verwesung,230 während Chevallier eine archaische Lust des Körpers am Verwesungsgeruch postuliert, die mit der von Freud konstatierten vorzivilisatorischen »Ekellosigkeit« weitläufig verwandt ist.231
1)
Henri Barbusse: Le Feu [1916]
Henri Barbusses Roman Le Feu führt eine verstörende Szene vor Augen, in der eine halbverweste Tote in grotesk verzerrter Form auf die Werte der Schönheit, des Eros und der Liebe verweist, die vom Krieg verraten werden; der Leichengestank, der die Welt der Lebenden kontaminiert, fungiert als Zeichen einer Gewalt, die den Eigensinn des Lebens pervertiert. Die unfreiwillige Exhumierung einer zuvor vergeblich begehrten Frau beim Ausheben eines Stollens gerät zur dämonisch anmutenden Parodie einer verführerischen Annäherung:
229 Joseph Roth, ›Stationschef Fallmerayer‹ [1933], in: Lauinger (Hg.), Über den Feldern, S. 575–600, hier S. 586. 230 Zur Romantik siehe Menninghaus, S. 197–198. 231 Zu Freud siehe ebd., S. 280–288, hier S. 281.
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›Voil/ une poutrelle qui cHde, et c’ drile des sac qui m’ tombe et me pHse dessus. J’8tais coinc8 et une odeur de macchab8e qui m’entre dans la gorge… En haut de c’ paquet, il y avait une tÞte et c’8taient les cheveux que j’avais vus qui pendaient. […] ›Tu saisis la position. J’8tais oblig8 de la soutenir d’un bras comme je pouvais, et de travailler de l’autre. Elle essayait d’ me tomber d’ssus de tout son poids. Mon vieux, elle voulait m’embrasser, je n’ voulais pas, c’8tai’ affreux. Elle avait l’aire de m’ dire: »Tu voulais m’embrasser, eh bien, viens, viens donc!« Elle avait sur le… elle avait l/, attach8, un reste de bouquet de fleurs, qu’8tais pourri aussi et, / mon nez, c’ bouquet fouettait comme le cadavre d’une petite bÞte. ›Il a fallu la prendre dans mes bras, et tous les deux, tourner doucement pour la faire tomber de l’autre cit8. C’8tait si 8troit, si press8, qu’en tournant, / un moment, j’ l’ai serr8e contre ma poitrine sans le vouloir, de toute ma force, mon vieux, comme je l’aurais serr8e autrefois, si elle avait voulu… ›J’ai 8t8 une demi-heure / me nettoyer de son toucher et de c’t’ odeur qu’elle me soufflait malgr8 moi et malgr8 elle. Ah! Heureusement que j’ suis esquint8 comme une pauv’ bÞte de somme.‹232
Die Tote scheint sich an Lamuse für die Kränkung rächen zu wollen, von ihm begehrt worden zu sein, als stünde der Kriegstod im Bann eines Fluches, der das vitale Begehren der Lebenden verneint. Die Begehrte erscheint dort, wo Lamuse sie nicht erwartet: im vertrauten Frontalltag, der ihm fremdartig wird, als er die bislang verborgene Leiche entdeckt. In der Verfremdung des Heimischen durch die unerwartet entdeckte Anwesenheit eines gefürchteten Anderen hatte Sigmund Freud die Signatur des Unheimlichen erblickt, das er als Spielart der verdeckten Repräsentanz eines uneingestandenen, verbotenen Begehrens auslegt.233 In Barbusses Roman verhält es sich anders: Lamuse gesteht sich sein 232 Henri Barbusse, Le Feu [1916] (Paris: Gallimard, 2007), S. 228–229; vgl. das ambivalente Gegenmotiv auf S. 343. »Da gibt der eine Balken nach, und der merkwürdige Sack fällt auf mich drauf; er war schwer. Ich war eingekeilt, und Leichengeruch schlug mir entgegen … Oben hatte der Sack einen Kopf, und was ich runterhängen sah, waren Haare. […] Du kannst dir vorstellen, was los war. Mit einem Arm hielt ich sie, so gut es ging, und mit dem andern arbeitete ich. Sie schien mit ihrem ganzen Gewicht auf mich fallen zu wollen. Jawohl, Alter, küssen hat sie mich wollen, aber ich mochte nicht; es war entsetzlich. Als wenn sie mir zurief: Du hast mich doch küssen wollen, so mach doch, so mach doch! Sie hatte am … sie hatte da noch ein kleines Sträußchen, das war auch verfault und schlug mir ins Gesicht wie die Leiche von einem kleinen Tier. – Ich mußte sie in die Arme nehmen und uns beide vorsichtig herumdrehen, damit ich sie hinter mir niederlegen konnte. Es war so eng, wo wir uns drehten, daß ich sie für einen Augenblick, ohne daß ich es wollte, an mich drücken mußte, mit aller Kraft, wie ich es früher tun mochte, wenn sie ja gesagt hätte … Eine halbe Stunde habe ich gebraucht, um mich von der Berührung mit ihr zu reinigen und um den Geruch loszuwerden, den sie mir unbeabsichtigt und gegen meinen Willen mitgab. Ein Glück, daß ich zum Umfallen müde bin wie ein armer Lastesel.« (Henri Barbusse, Das Feuer (Hamburg u. Berlin: Schwartzkopff, 2004), S. 165–166; vgl. S. 252) 233 Sigmund Freud, ›Das Unheimliche‹ [1919], in: ders., Psychologische Schriften (Frankfurt am Main: Fischer, 2000), S. 241–274.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Begehren ein, doch sein Annäherungsversuch wurde von Eudoxie abgewiesen, so daß weitere Versuche der Erfüllung seines nach wie vor offenkundigen Wunsches für ihn seither tabu waren. Die unverdächtige Phantasie, daß Eudoxie als Begehrende von sich aus auf Lamuse zugeht, wird nun in pervertierter Form erfüllt und so zugleich durchkreuzt. Das Ideal eines anheimelnden Lebens erscheint in grotesk verzerrter Gestalt einer Toten. Die Ausgrabungsszene spielt nicht auf die Verdrängung einer asozialen, sondern auf die Hemmung einer prosozialen Neigung an;234 die Tote wird zum Zerrspiegel der Phantasie, im bedrohlichen Alltag eine liebende Vertraute zu finden. Die Enttäuschung der Liebeshoffnung, die Lamuse auch im Frieden bewältigen müßte, wird durch den Kriegstod ins Unerträgliche gesteigert. Die Methode, »bejahrte« und verfallsgezeichnete »Weiblichkeit als ekelhaftes Maximalübel« vorzustellen, wird bei Barbusse bedeutsam modifiziert: »Von der Antike bis zur Ästhetik des 18. Jahrhunderts setzten Imaginationen der häßlich-ekelhaften Alten durchweg ein fortgeschrittenes biologisches Alter voraus«.235 In Le Feu ist indessen von einer enigmatischen, schön und jung verstorbenen Frau die Rede, deren Verfall und Gestank das Ekelhafte des traditionellen ›Maximalübels‹ noch überbietet; das Übel greift auf einen Figurentyp über, der in Maurice Maeterlincks Einakter Int8rieur [1894] noch geeignet war, den Schrecken vor dem Tod aufgeschönt zu spiritualisieren. Die bereits in der Romantik auftauchende Idee der ethisch zweifelhaften Attraktion ästhetisch interessanter Verwesungsmotive wird – gleichsam gegen den Strich – unter den Vorzeichen eines desillusionierenden Realismus erneuert, der Deprivationen ästhetischer Bedürfnisse diagnostiziert. Eine ähnliche Steigerung der Gewißheit über einen schmerzlichen Verlust ins Unheimliche erprobt Barbusse im Zugang zum Thema der Bruderliebe. Als Mesnil Joseph nach seinem Bruder Andr8 sucht, ahnt er nicht, daß dieser die stinkende Leiche ist, die seit Tagen – seinem Blick entzogen – vor dem Graben liegt, in dem er Dienst ableistet. Der Ich-Erzähler und sein Kamerad Paradis entscheiden, daß Joseph diese Einsicht erspart werden sollte, und vergewissern sich der psychisch destabilisierenden Wirkung des Gestanks: – On sent l’odeur! – Tu parles! On la renifle, elle nous entre dans la pens8e, nous chavire l’.me.236 234 Trudi Tate, Modernism, history and the First World War (Manchester u. New York: Manchester University Press, 1998), S. 86–87, weist darauf hin, daß Eudoxie nur als Tote die aktive Rolle übernehmen kann, die ihr als lebendiger Frau versagt wäre, während ein toter Soldat den Verlust seines Status als handelnder und begehrender Person veranschaulicht. 235 Menninghaus, S. 135 u. 343. Vgl. dagegen Barbusse, Le Feu, S. 342. 236 Barbusse, Le Feu, S. 272. Die deutsche Übersetzung läßt die eindringliche Qualität des Geruchs (›elle nous entre‹) und seine Kraft, die Seele aus dem Gleichgewicht zu bringen (›nous chavire l’.me‹), unterbestimmt: »›Man riecht’s!‹ / ›Ja, stimmt.‹ / Wir atmen den
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Der Erzähler hat aber Angst, daß Joseph von selbst darauf kommen könnte, was es mit dem Gestank auf sich hat, und ihm graut bei der Vorstellung, daß dieser entdecken könnte, wo sich der Gesuchte die ganze Zeit befand. Diese Situation ist ähnlich un-heimlich wie Lamuses unfreiwillige Exhumierung von Eudoxie. Der Wunsch, im bedrohlichen Alltag den geliebten Vertrauten zu finden, droht in verzerrter Form in Erfüllung zu gehen: f ce moment, j’ai une angoisse: l’odeur. On la sent et on ne peut pas s’y tromper : elle d8cHle un cadavre. Et peut-Þtre qu’il va se figurer justement… Il me semble qu’il a tout d’un coup senti le signe, le pauvre appel lamentable du mort.237
Hier wird Leichengestank als klägliche, ebenso abstoßende wie vergebliche Anrufung der Lebendigen imaginiert, als protestierten die Verfallenden gegen den Verlust des Lebens, das die Hinterbliebenen bis auf weiteres bewahren konnten. Die Lebenden erblicken im Spiegel der Toten ihren eigenen Anspruch auf Vitalität, und sie nehmen den Krieg so als lebensfeindliche Macht wahr. Gewiß, die Ansichten des Romans zum Krieg sind komplexer : die formal ›antirealistische‹ Vision zu Beginn der Erzählung stellt die kriegskritisch Aufgeklärten als privilegierte, den Krieg nur beobachtende Kranke einer leidenden Masse der Kriegsteilnehmer gegenüber. Der Friede hinge davon ab, ob die kritische Einsicht der Wenigen auch von der versklavten Mehrheit vollzogen wird, die einen historischen Prozeß trägt, der in Verbrüderung münden könnte. Am Schluß führt die Fronterfahrung der verschmutzten Krieger, die sich von ihren erschöpften Gegnern nicht mehr sichtbar unterscheiden, zu ernsthaften Gesprächen über die Rechtfertigung des Krieges aus der Sicht einer zur Verteidigung gezwungenen Republik; dabei ragt die internationalistische Erkenntnis heraus, daß Krieg allein keinen Frieden schaffen kann. Dauerhafter Frieden erforderte eine universales ›Ja‹ zum Leben, dessen vorläufige Vereitelung im Geruch der Kriegstoten sinnfällig zum Ausdruck kommt.
2)
Arthur Donald Gristwood: The Somme, including also The Coward [1927]
Gristwoods Erzählung The Somme handelt vom Vormarsch einer Einheit, der kurzen, unrühmlichen Teilnahme des Protagonisten Everitt an einem Angriff, seiner Verletzung und vor allem von den sechzig Stunden seines Transports von Geruch ein; er legt sich auf unser Denken, schnürt uns das Herz zusammen.« (Barbusse, Das Feuer, S. 198) 237 Barbusse, Le Feu, S. 274. »In diesem Augenblick packt mich eine Angst: der Geruch! Man spürt ihn und kann sich unmöglich darüber täuschen: Er verrät eine Leiche. Und vielleicht denkt Joseph dann gleich daran, daß … / Mir ist, als müsse er in diesem Augenblick ein Zeichen, die jammervolle, klagende Aufforderung des Toten vernommen haben.« (Barbusse, Das Feuer, S. 199)
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der Front bis zum Krankenhaus. Die Geschichte beginnt an einem heißen Septembertag, an dem sich Schwärme von Fliegen auf die Gesichter von unbestattet verfaulenden Leichen der Deutschen setzen, und der Erzähler gibt der Szene einen diabolisch-bedrohlichen Anstrich: »Well was Beelzebub named the Prince of Flies!« Die Verwesungsgase notdürftig verscharrter Toter entweichen der rissigen Erde, und die Beschreibung verstörender, vorwiegend visueller Eindrücke von Gefallenen schließt mit einem Geruchsmotiv : »The carrion reek of putrefaction filled the wind.«238 Diese Atmosphäre der Zerstörung und Bedrohung ist Teil einer Geruchslandschaft des Krieges, die ansonsten von Schlamm, unangenehmen Kampfmitteln und -produkten wie Giftgas, Rauch und Qualm sowie meist ekelerregendem Blut, Schweiß und Jod, kurz: vom Gestank von Wunden geprägt ist.239 Die Intensität von ekelhaften Gerüchen verletzter Körper wird schrittweise gesteigert; als Everitt in einem Zug liegt, der Verletzte transportiert, wird ihm fast übel: »The air was rank with exhalations, hot, stuffy, and intolerably offensive. Dirt, stale sweat, dried blood, varnish and a smell of drugs and food contended together in a sickening medley.«240 Als Everitts Wunde sich entzündet, geht von ihr ein ähnlicher Geruch aus wie von verwesenden Leichen; hatte der Erzähler Gerüche bislang nur knapp und eher beiläufig erwähnt, ist dem Wundgestank nun ein ganzer Abschnitt gewidmet. Everitt wird erst später gewahr, daß der Leichengestank, der die Leser an den Beginn der Erzählung erinnert, vom eigenen Körper ausgeht: As the chill morning brightened towards noon he was perplexed to notice the air more and more strongly infected with a hideous carrion reek, such as was already only too familiar. The stench seemed more offensive whenever in his twistings and turnings he raised the folds of the blanket on his cot. The sickening sweetish odour filled him with shuddering disgust, and appetite fled. The strangeness of the thing puzzled him, but it was only in Hospital at Rouen that he learned its meaning. […] His wound had turned septic and that vile odour of decay was part of the day’s work.241
Die anfangs evozierte Atmosphäre der Zerstörung greift auf unheimliche Weise auf den eigenen Körper über, doch die Bedrohung kann abgewehrt werden. Der letzte Geruchseindruck kurz vor Ende der Geschichte stammt von »clean, sweetsmelling sheets«,242 der mit dem Todesgeruch der Kampfzone deutlich kontrastiert. Im Vorwort zu Gristwoods Erzählung hebt H. G. Wells die Technik, die Todesgefahr mit einem realistischen Geruchsmotiv zu unterstreichen, gezielt 238 Arthur Donald Gristwood, The Somme, including also The Coward [1927] (Columbia, SC: The University of South Carolina Press, 2006), S. 17–18. 239 Ebd., S. 23, 58 u. 91. 240 Ebd., S. 108. 241 Ebd., S. 112. 242 Ebd., S. 114.
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hervor: »Mr. Gristwood has had the relentless simplicity to recall things as they were; he was as nearly dead as he could be without dying, and he has smelt the stench of his own corruption.«243 Im Englischen kann ›corruption‹ sowohl Verwesung als auch moralische Korruption bezeichnen, und Wells wählt das Wort mit Bedacht: Everitts Bein wurde erst verletzt, nachdem er sich nach dem Tod seines Anführers in einen Granattrichter zurückgezogen hatte, statt mit den anderen weiter nach vorn zu stürmen. Der Wunsch nach Selbsterhaltung wiegt stärker als die militärische Pflicht, deren Gültigkeit Everitt gänzlich bezweifelt, und die Erzählung führt seine Entscheidung als eine unter den Umständen dieses Krieges plausible Reaktion vor Augen. Die Erzählung The Coward geht noch einen Schritt weiter : hier bringt sich die Hauptfigur eine Verletzung bei, um sich einer aussichtslos anmutenden Lage an der Front zu entziehen, und bleibt unertappt; die Rahmenerzählung will diese Geschichte für sich selbst sprechen lassen, ohne die aus Schwäche begangene Tat zu verurteilen. Gristwood führt so vor Augen, daß übliche moralische Maßstäbe an die Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, die außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt sind, nicht ohne weiteres angelegt werden können. In dieser Geschichte macht die Geruchslandschaft des Krieges vor allem Entfremdungen sinnfällig. Der Protagonist nimmt zwar auch positive Gerüche als Anzeichen eines friedlichen Lebens wahr : »Woodland odours scented the air and, away from the shattered husk of the village, the smirch of War could easily be forgotten.« Als er von zu Hause einen Brief mit heimischen Blumen und einem Rosmarinzweig bekommt, fühlt er sich ins gute friedliche Leben zurückversetzt: »The scent of the flowers recalled vividly the sights and sounds of home.« Über den Aufgaben des Krieges bleiben »the fragrance of damp leaves« oder »honey-scented flowers« im Gelände aber unbeachtet.244 Die Gerüche des Krieges sind vielmehr unangenehm: »The noise and the acrid smell of the explosion thoroughly aroused us.« Die Wortwahl hebt immer wieder das Abstoßende hervor, ob es sich nun um »the sweetish, cloying smell of ›pineapple gas‹«, »the foul taste of the rubber mouthpieces«, »stinking smoke« oder »the stench […] of the bombardment« handelt.245 Zum Teil gehen Gerüche mit einer depressiven Stimmung einher ; so führt sich die namenlos bleibende Hauptfigur eine Verschüttung in einem stinkenden Unterstand vor Augen: »I imagined a feverish digging for life, while the air grew slowly fouler and strength failed relentlessly.« Später geht er in einen »gloomy, mouldy-smelling cellar«.246 Auch die Gerüche, die er als Verletzter in einer Krankenstation und während seiner 243 244 245 246
In: ebd., S. 9–12, hier S. 11. Ebd., S. 125, 151 u. 161. Ebd., S. 128, 131, 137 u. 144. Ebd., S. 130 u. 153.
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Transporte wahrnimmt, sind abstoßend: »the stench of men and mules and petrol« erfüllt die Luft, ein »truck stank horribly of blood and dirt and the air was rank with fetid exhalations«, »[t]he reek of ether and chloroform clogged the air«, und »the sweetish scent of ether filled my nostrils«.247 Da der feige Soldat sich – bei allem Verständnis für seine Tat – vor seinem Gewissen nicht ganz entlasten kann, fehlt auch das abschließende positive Geruchsmotiv ; günstigstenfalls kann er sich von seiner Vergangenheit ablenken. Da Gristwoods Erzählungen besondere Weisen der Erfahrung nachvollziehbar machen wollen, die sich je nach Charaktertyp unterscheiden, variiert auch die Geruchslandschaft – bei allen gleichförmigen Eindrücken, die der Krieg mit sich bringt – mit den Perspektiven der Figuren. Der Gegensatz zwischen Gerüchen eines guten Lebens und dem Gestank des lebensfeindlichen Krieges zieht sich jedoch durch beide Erzählungen.
3)
Adrienne Thomas: Die Katrin wird Soldat [1930]
In Thomas’ Tagebuchroman Die Katrin wird Soldat nimmt die Ich-Erzählerin Wohlgerüche der heimatlichen Natur als Ausdruck eines sinnlich erfüllenden Lebens in Frieden wahr : So tief friedlich alles, es riecht nach weidenden Tieren, nach den Baumblüten, nach Gewitterregen, nach dem ganzen herrlichen Frühling. Und in der Luft liegt so ein unbändiges, tolles Glücksgefühl: das da ist meine Heimat – und ich bin jung – und einmal muß – muß dieser Krieg doch zu Ende sein. Es wird wieder Friede sein, es gibt ihn doch noch auf der Welt, hier – hier ist er, ist greifbar da, und man atmet ihn, riecht ihn – hört ihn, wenn mit glucksendem Geräusch das Vieh sich grüne Kraft aus dem Wiesenboden zupft.248
Auch die Schönheit von Katrins Geliebtem Lucien wird mit Gerüchen und Klängen assoziiert: wenn sie den Blick von ihm abkehrt, bleibt er als »Duft und Musik« gegenwärtig.249 Die olfaktorische Atmosphäre des Krieges, den die junge Frau aus der Perspektive einer Rotkreuzhelferin auf dem Metzer Bahnhof erlebt, verweist auf den Entzug eines guten Lebens: Kriegsgeruch besteht aus dem Gestank kochender Milch auf der Versorgungsstation, einer Mischung aus Essensgeruch und dem Dunst von Spülwasser, muffiger Kleidung von evakuierten Armen, Windeln von 247 Ebd., S. 170, 178, 180 u. 181. 248 Adrienne Thomas, Die Katrin wird Soldat [1930], und Anderes aus Lothringen (St. Ingbert: Röhrig, 2008), S. 230. 249 Ebd., S. 109.
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Kindern und ausgekochten dreckigen Socken von Soldaten,250 vor allem aber dem Geruch der Verletzten: »Wunden riechen penetrant«, der »Gestank« der »Bauchschüsse« verschlägt bisweilen den Atem, und dasselbe gilt für »Medikamentengeruch, vermischt mit Eau de Cologne«,251 den Gestank von »Erbrochenem« sowie »karbol- und schweißgetränkt[e]« Luft – das vernichtete Leben »schreit« und »stinkt« im wörtlichen Sinne »zum Himmel«252 und spricht erneut Ohr und Nase an. Katrin ist sich indessen bewußt, daß die Soldaten noch anderen Gerüchen ausgesetzt sind: Neben mir steht in einer hohen Chinavase auf dem Fußboden ein ganzer Fliederstrauch. Und er ist aus der Nähe von Thiaucourt. Ein Unterarzt, der oft unsere Strecke fährt, brachte ihn mir mit. ›Aber das ist ja ein ganzer Fliederbusch! Wie kann man nur so plündern!‹ – ›Wenn Sie ahnten, wie es dort aussieht! Alle Bäume und Sträucher zerfetzt – der da als einziger blühend auf einem nach Verwesung riechenden Terrain. Da habe ich alles für Sie abgeschnitten. Den Blumen ist sicher wohler bei Ihnen.‹ Möglich. Aber mir ist ganz und gar nicht wohl bei dieser blauen Pracht, die ihre Augen über so viel haarsträubend Grauenhaftem aufgeschlagen hat.253
Während die engagierten Zivilisten am Kriegsgeruch leiden, gehen die Kombattanten an den Zusammenhängen, die er symbolisch vergegenwärtigt, oft zugrunde: »Krieg. Und mir ist, als sei es nicht der erste, den ich mitansehen muß, als habe ich schon viele tausend Mal seine verpestete Luft geatmet – geatmet, während Millionen daran in ihrem eigenen Blut erstickten.«254 Die rezeptionslenkenden Geruchsmotive bestätigen Luciens Sicht:255 Krieg bedeutet, »Schönes, Lebendiges in Schutt und Verwesung« zu »verwandeln«. Der Unterschied zwischen Soldaten und Zivilisten ist, wie schon der Titel unterstreicht, ein gradueller : »Sind wir nicht alle die gleiche feldgraue Verwesungsmasse?« Auch Katrin ist mit Blut im Atem konfrontiert: »Man wagt nicht zu atmen, denn die Luft scheint nach Blut zu schmecken.« Sie riecht den »Blutdunst« der Verwundeten, ihr Geliebter schreibt aus dem Feld, er habe morgen vielleicht schon »Blut statt Luft in den Lungen«, und im Lazarett staunt sie, »wie sich« die Lungen der Kranken »rasselnd das bißchen Luft holen, das sie noch verarbeiten können«.256 250 251 252 253 254 255
Ebd., S. 134, 136, 145, 148 u. 174. Ebd., S. 154, 183 u. 227; siehe dazu auch S. 221. Ebd., S. 209–210 u. 226. Ebd., S. 234. Ebd., S. 110–111. Damit ist freilich nur ein untergeordnetes Mittel der Rezeptionslenkung angesprochen. Zu den gattungsspezifischen Wirkungen der Tagebuchform im Kontext einer erst am Ende angefügten Herausgeberfiktion siehe Helga Schreckenberger, ›»Über Erwarten grauenhaft«. Der 1. Weltkrieg aus weiblicher Sicht. Adrienne Thomas: Die Katrin wird Soldat (1930)‹, in: Schneider u. Wagener (Hg.), Von Richthofen bis Remarque, S. 387–398, insb. S. 396–397. 256 Ebd., S. 152, 162, 190, 201, 214 u. 270.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Der Präsenz des Lebens als sinnstiftender Macht vergewissert sich Katrin beim Atmen, das nicht nur Gerüche vermittelt; der Kriegsgeruch wird vor allem mit frischen Düften von Blüten, Erde und Luft kontrastiert,257 doch auch beim Singen fühlt sie sich mit der Welt momenthaft versöhnt.258 Daß Katrin im Krieg an Lungenentzündung stirbt, die ihr den Atem als Medium des Singens und Riechens nimmt, ist daher auch symbolisch von Gewicht. Die fiktive Herausgeberin des Tagebuchs hofft, daß Katrins Einsichten in der Öffentlichkeit weiterwirken. Thomas selbst arbeitet mit dem Roman gegen Gefühle der Entmutigung an, die auch in ihrem eigenen Kriegstagebuch zum Ausdruck kommen: […] wenn man zweimal in einem Zimmer die hilflos Sterbenden sieht, wenn man die zerfetzten Menschenleiber schmutzig, blutig, übel riechend täglich sehen muß […], dann kann man wohl nicht mehr von einer schönen Gotteswelt sprechen, kann man sich nicht im Vollgefühl seiner Jugend dehnen u. jubeln: Wie schön ist das Leben!259
Die Freude über einen duftenden »Strauß Maiblümchen« ist da nur ein schwacher Trost;260 im Roman fällt das ›Ja‹ zum Leben deutlich stärker aus.
4)
Gabriel Chevallier: La Peur [1930]
Der Titel von Chevalliers Roman La Peur hebt ein Gefühl hervor, das der Erzähler als »Abscheu des Körpers vor dem« definiert, »was seiner Natur widerspricht« [»la r8pulsion de notre corps, devant ce pour quoi il n’est pas fait«261]. Damit ist auch der seinem Wesen nach angsterzeugende Krieg zutreffend charakterisiert: er setzt die Beteiligten Situationen aus, die – wie der Roman vor Augen führt – ihrer Natur zutiefst zuwiderlaufen. Motive des Leichengestanks unterstreichen die Dichotomie von natürlicher Entfaltung und naturwidriger Zerstörung des Lebens; an einer Stelle wird der Leichengeruch durch die Düfte einer lebendigen Natur verjagt, die sich auf ästhetisch tröstende Weise das Schlachtfeld gleichsam zurückerobert: Pourtant, les hommes s’apaisant, la v8g8tation a reconquis le sol, l’a recouvert de ses lianes, de ses tiges, de ses pistils et de ses couleurs, a d8velopp8 sur lui une nappe de parfums qui ont chass8 l’odeur des cadavres, a ramen8 son cortHges d’insectes, de
257 258 259 260 261
Ebd., S. 12, 90, 98, 101 u. 204. Ebd., S. 217. Ebd., S. 275–371, hier S. 285. Ebd. Gabriel Chevallier, Heldenangst (München: Nagel & Kimche, 2010), S. 165; Gabriel Chevallier, La Peur [1930] (Paris: le dilettante, 2008), S. 160.
Alarmierte Kontrastierungen
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papillons, d’oiseaux, de l8zards qui s’8battent / travers ce champ de bataille, maintenant d8bonnaire.262
Im Hinblick auf den menschlichen Körper ist die Verwesung komplizierter : sie ist ein Zerfallsprozeß, aus dem auch neues Leben hervorgeht, und der Leichengestank als Zerfallsprodukt wirkt daher physiologisch anregend. Der Schrecken, den der Gestank hervorruft, verdankt sich der psychischen Natur des Menschen; in der ambivalenten Reaktion seines Körpers, der sich ekelt und zugleich belebt fühlt, erkennt der Mensch Affinitäten von lebendiger und zerfallender Materie, die seinem Selbstverständnis zuwider sind: Ma plus forte impression de cette p8riode, je la dois / ce cadavre que je n’ai pas vu, mais senti. Une nuit que nous approfondissions un boyau, sans mÞme distinguer l’endroit oF portaient nos coups, une pioche p8n8tra dans la terre avec un bruit flasque, comme si elle avait crev8 quelque chose. Elle venait de fouiller un ventre, humide et pourri, qui nous l.cha / la face ses miasmes, en une pouss8e de gaz brusquement d8tendus. Une puanteur envahit la tranch8e, nous mit sur la bouche un irrespirable tampon, nous planta au bord des paupiHres des aiguilles empoisonn8es qui nous tirHrent des larmes. Ce geyser pestilentiel sema la panique parmi les travailleurs, qui d8sertHrent en h.te ce coin maudit. Le cadavre d8veloppa ses ondes atroces, prit possession de la nuit, nous p8n8tra jusqu’au fond des poumons de sa d8composition, r8gna dans le silence. Il fallut que des grad8s nous ramenassent de force vers ce mort irrit8, sur lequel on pelleta avec fureur pour le recouvrir et le calmer. Mais nos corps avaient flair8 l’odeur horrible et f8conde de la pourriture, qui est vie et mort, et longtemps cette odeur picota nos muqueuses, fit s8cr8ter nos glandes, r8veilla en nous quelque secrHte attirance organique de la matiHre pour la matiHre, mÞme corrompue et prHs de s’an8antir. Notre pourriture promise, et peut-Þtre prochaine, communia dans cette pourriture puissante, / son apog8e, qui domine l’.me livide et la chasse.263 262 Chevallier, La Peur, S. 207–208. »Dennoch eroberte die Vegetation, nachdem die Menschen Ruhe gaben, den Boden zurück und bedeckte ihn mit ihren Ranken, Trieben, Fruchtständen und Farben, sie legte eine duftende Decke über den Leichengeruch und brachte ihr Gefolge von Insekten, Schmetterlingen, Vögeln und Eidechsen mit, das sich auf dem jetzt so friedlichen Schlachtfeld tummelt.« (Chevallier, Heldenangst, S. 214) 263 Chevallier, La Peur, S. 60. »Den stärksten Eindruck aus jener Zeit verdanke ich einer Leiche, die ich nicht gesehen, aber gerochen habe. Als wir in einer Nacht einen Graben tiefer aushoben, ohne die Stellen, auf die wir einhackten, überhaupt sehen zu können, drang eine der Hacken mit einem seltsam weichen Geräusch in die Erde ein, als hätte sie etwas erschlagen. Sie hatte sich in einen feuchten, verwesenden Bauch gebohrt, dessen plötzlich freigesetzte Gase uns entgegenschlugen. Entsetzlicher Gestank erfüllte den Schützengraben und knebelte uns, die Augen tränten, es stach wie mit giftigen Nadeln in die Lidränder. Dieser verpestende Geysir verbreitete Panik unter den Arbeitern, hastig verließen sie den verfluchten Ort. Der Leichnam sandte immer neue grässliche Geruchswellen aus, er nahm die ganze Nacht in Besitz und stieß uns seine Verwesung tief in die Lungen, er herrschte in der Stille. Unsere Vorgesetzten mussten uns mit Gewalt zu diesem verärgerten Toten zurückbringen, den wir wie rasend zuschaufelten, um ihn wieder zuzudecken und zu beruhigen. Doch unsere Körper hatten den schrecklichen und auch fruchtbaren Geruch der Verwesung wahrgenommen, die zugleich Leben und Tod ist. Lange noch reizte dieser
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Der Leichengestank wird als Äußerung einer verärgerten Person imaginiert, deren Totenruhe gestört wurde. Die Störung des rituellen Umgangs mit dem Toten soll aber keinen patriotischen Gefallenenkult entlarven; sie markiert eine Verletzung der Grenze zwischen den Lebenden und den Toten, die der Natur des Menschen als eines zugleich körperlichen und seelischen Wesens zuwider ist. Ein Riß zwischen Körper und Seele zeigt sich auch im tiefen Schrecken, den der Krieg hervorruft: La terreur nous frappait de suffocations, comme une angine de poitrine. Et nous avions sur la langue, comme une amHre hostie, notre .me, que nous ne voulions pas vomir, que nous ravalions avec des mouvements de d8glutition qui nous contractaient la gorge.264
Die religiöse Bildlichkeit deutet den Schrecken als Anzeichen einer gestörten Inkarnation sakralen Sinns. Die Bedrohung der Substanz eines guten Lebens, das Körper und Seele aufeinander abstimmt, wird auch vom Geruchssinn selbst vernommen. Eine dichte Atmosphäre der Verwesung, in der Abstoßendes und Anregendes ambivalent gemischt sind, wird durch den irritierenden Vergleich mit einem stimulierenden Geschmack charakterisiert. Die Kränkung der menschlichen Vitalität durch Leichengestank wird – im ergänzenden Kontrast zum Bild der gestörten Einverleibung des Heiligen – als orale Präsenz des Verstörenden erlebt: »Il flottait sur terre une 8trange odeur, d’abord sucr8e, 8cœurante, oF l’on discernait ensuite les 8manations plus riches d’une pourriture encore contenue – comme une sauce onctueuse r8vHle peu / peu la force de ses 8pices.«265 Manche Autoren sprechen den Mundraum als körperlichen Ort des Ekels an, ohne daß deutlich würde, ob die olfaktorische Seite des ›Oralsinns‹, der Riechen, Schmecken und Schleimhautempfinden integriert,266 mitzudenken wäre. So Geruch unsere Schleimhäute und unsere Drüsen und weckte in uns eine geheimnisvolle organische Anziehungskraft zwischen Materie und Materie, auch wenn die eine schon zerstört und fast ausgelöscht ist. Unsere künftige und vielleicht baldige eigene Verwesung ging eine innige Verbindung ein mit der mächtigen, ihren Höhepunkt erreichenden Verwesung, welche die erschrockene Seele überwältigt und in die Flucht schlägt.« (Chevallier, Heldenangst, S. 59–60) 264 Chevallier, La Peur, S. 99. »Der Schrecken erstickte uns wie eine Herzbeklemmung. Die Seele lag uns als bittere Hostie auf der Zunge, doch wir wollten sie nicht ausspucken, sondern versuchten sie krampfhaft wieder hinunterzuschlucken.« (Chevallier, Heldenangst, S. 100–101) 265 Chevallier, La Peur, S. 93. »Über der Erde lag ein seltsamer Geruch, zunächst ekelhaft süßlich, aus dem nach und nach die kräftigeren Ausdünstungen einer noch verhaltenen Verwesung aufstiegen – wie in einer cremigen Sauce erst nach und nach die kräftigen Gewürze zu schmecken sind.« (Chevallier, Heldenangst, S. 95) 266 Siehe dazu Diaconu, Tasten – Riechen – Schmecken, S. 200–202; vgl. Gerhard Buchbauer, ›Flavour and Fragrance Chemistry : An Overview‹, in: Diaconu, Heuberger, Mateus-Berr u. Vosicky (Hg.), Senses and the City, S. 139–143, hier S. 139–140. Ein Sonderfall der Riechens wird im folgenden ausgeklammert: auch am Schmecken ist der Geruchssinn beteiligt, und
Alarmierte Kontrastierungen
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spricht ein Kriegsgedicht des Expressionisten Carl Maria Weber von Sternen, die sich in einer Blutlache spiegeln, in der »Menschenklumpen aus der Schlacht« schwimmen, so daß »Ekel und ein grenzenloser Haß / Mir in den Gaumen und die Schläfen kochten.«267 Die Sterne als schöner Abglanz des Heiligen und der häßliche Anblick der Körperreste verweisen auf eine disharmonische Beziehung von Geist und Leib, was eine entsprechende, ethisch gehaltvolle Körperempfindung nach sich zieht. Für Weber manifestiert sich die gestörte Beziehung von Geist und Leib jedoch im Riß zwischen innerer und äußerer Realität, deren Unterscheidung vom Geruch tendenziell unterlaufen wird. Chevallier betont indessen Gerüche, die Gewißheiten über gestörte Selbst- und Weltbezüge in einer Gestalt zusammenfallen lassen; der in La Peur ausgelotete, angstbedingte Konflikt zwischen der Bedürfnisnatur und sozialen Zwängen entfremdet das Bewußtsein nicht nur von der Umwelt, sondern teils auch von den Neigungen des eigenen Körpers. Einen Ausweg böte nur die Desensitivierung; so fleddern »die kühnsten« Soldaten [»les plus hardis«] eine deutsche Leiche selbst »im Zustand fortgeschrittener Verwesung« [»en 8tat de d8composition avanc8e«] »[t]rotz« ihres »Gestanks« [»[m]algr8 l’odeur«].268 Leichengeruch zehrt aber in jedem Fall an den Kräften; auch die Abstumpfung des Mitgefühls angesichts der Massen von Opfern am Rande eines Keller-Lazaretts verhindert nicht, daß der Gestank die Körper der Lebenden affiziert: Tous ceux qu’on retire d’ici sont destin8s / faire des macchab8es, ces rebuts du champ de bataille qui n’apitoient plus personne. Les morts encombrent les vivants et 8puisent leurs forces. Dans les p8riodes agit8es on les laisse / l’abandon, jusqu’/ ce qu’ils se rapellent / l’attention par l’odeur.269 der traumatisierende orale Kontakt mit Leichenresten bei Explosionen wird in der Literatur ebenso erwähnt (siehe David Trotter, ›The British novel and the war‹, in: Vincent Sherry (Hg.), The Cambridge Companion to the Literature of the First World War (Cambridge: Cambridge University Press, 2005), S. 34–56, hier S. 49) wie Legenden über den Kannibalismus von Kolonialtruppen (siehe z. B. Eksteins, S. 235). Die Verknüpfung von Motiven des Essens mit Leichengeruch ist nicht neu (siehe Johann Wolfgang Goethe, ›Amlets Geschichte [Übersetzung] nach dem Saxo Grammatikus‹ [1797], in: ders., Schriften zu Literatur und Theater I. 1771–1807, hg. v. Walther Rehm (Stuttgart: Cotta, 1958), S. 110–114, hier S. 113); bei Goethe fungieren Geschmacks- und Geruchssinn aber als figurativ bedeutsame Sonderfälle eines insgesamt verfeinerten Urteils- und Unterscheidungsvermögens (zu dieser Tradition vgl. Paul C. Davies, ›Augustan Smells‹, in: Essays in Criticism, vol. XXV (4/1975), S. 395–406). 267 Carl Maria Weber, ›Erwachen und Bestimmung‹ [1918], in: Der jüngste Tag, Bd. 2, hg. v. Heinz Schöffler (Frankfurt am Main: Heinrich Scheffler, 1970), S. 815–817, hier S. 815. Ähnliche Formen des Ekels thematisiert Latzko, Friedensgericht, S. 143 u. 257. 268 Chevallier, Heldenangst, S. 339; Chevallier, La Peur, S. 326. 269 Chevallier, La Peur, S. 119. »Alle, die hier hinausgebracht werden, sind künftige Leichen, Abfälle der Schlachtfelder, die bei niemandem mehr Mitgefühl erregen. Die Toten belasten die Lebenden und rauben ihnen die Kräfte. In den heißen Kampfphasen lässt man sie
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Für Totengräber sind die Leichen eine bloße Zumutung, deren abstumpfender Effekt aus Gründen der psychischen Ökonomie sogar willkommen ist: »Tout ce qui est mort est indiff8rent. S’attendrir serait s’affaiblir.«270 Eine weitere Spielart des Umgangs mit der unerträglichen sinnlichen Nähe zu Zerfallsprodukten ist der Wahnsinn. So identifiziert sich Charlet, der als Nachttopfleerer im Lazarett arbeitet, mit dem von ihm entsorgten Produkt: »Je suis une merde.«271 Vor dem Krieg konnte er auf eine glänzende Karriere als Denker hoffen; im Krieg fühlte er sich zu einem bloßen Bündel Angst herabgewürdigt, vor der er nun im Lazarettdienst um den Preis seines Selbstrespekts ausweicht. Die Patienten hatten ihm den Spitznamen ›Caca‹ gegeben; der Wahn Charlets läßt den Unterschied zwischen inkarnierten und vergegenständlichten Sinnzusammenhängen, deren unversöhnlichen Konflikt er nicht länger erträgt, kollabieren.
6.
Leidensbereite Auslegungen
David Trotter zufolge betrachten die britischen »combat novels and memoirs« über den Ersten Weltkrieg »smell as the most disintegrative principle of all, the most damaging to moral and perceptual fibre«.272 Leichengeruch wird aber nicht immer als Auslöser von bloß repulsiven Affekten dargestellt, die sich ethisch schädlich auswirken. In kriegskritischen Texten können diese Affekte auch konstruktive Wirkungen entfalten. Der okkultistisch orientierte Roman Ashe of Rings [1925] von Mary Butts interpretiert den Krieg als Erscheinung böser immaterieller Kräfte und stilisiert dessen Gerüche zur hautnahen Gewißheit über seinen Unwert: The train smelt of varnish and soiled clothes, grease, metal, excrement and cold smoke. The dirt of moving armies was rubbed into every crack. A composition of grit and slime spread upon the floor made Van curl back the soles of her feet.273
Margarete Kubickas Gedicht ›Leben …‹ [1918] möchte mit dem Motiv des Leichengeruchs gegen die selbstzerstörerische und vergebliche Verdrängung der gemeinsam geteilten Mitverantwortung am Krieg anarbeiten. Es soll den vorschnellen Übergang zur Tagesordnung nachhaltig stören:
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einfach liegen, bis sie sich durch ihren Geruch in Erinnerung bringen.« (Chevallier, Heldenangst, S. 121) Chevallier, La Peur, S. 119. »Alles Tote ist gleichgültig. Mitgefühl würde nur schwächen.« (Chevallier, Heldenangst, S. 121) Chevallier, La Peur, S. 180. Trotter, S. 39. Mary Butts, Ashe of Rings and Other Writings (Kingston, NY: McPherson, 1998), S. 135.
Leidensbereite Auslegungen
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Wie schnell sind die Toten vergessen! Leichengeruch widert an. Keiner ist stark genug für dieses ewige Elend, Aber alle bauten an dieser Last. Der Einsturz des Lebens wird sie verschütten. Die Schwere und die Toten werden ihr letztes Atmen sein, Die Schwere ihres Leichtsinns Ihr sterbendes Leben.274
Trotter faßt freilich Texte ins Auge, die vom Kampf und Sterben an der Front erzählen, doch auch hier finden sich Beispiele für repulsive Affekte mit konstruktiver Bedeutung. Wilhelm Klemms Kriegsgedichte Gloria! [1915] erblicken den ethischen Sinn des Krieges darin, freiwillig Leid auf sich zu nehmen, und Kriegsgeruch soll diesen ethischen Gehalt sinnfällig machen: »Dein Aroma atmend, scharf, schmutzig, verbrannt und nach Blut, / […] Ich bin ganz beladen mit deinem entsetzlichen Schmerz!« Dieser Schmerz schließt lediglich vorübergehend Sinnverluste ein: »Der Pesthauch toter Götter gärt empor«.275 Die im Leichengeruch manifeste Entgötterung der Welt führt nicht zur Entzauberung des patriotischen Selbstopfers. Johannes R. Bechers Prosagedicht ›An die Soldaten der sozialistischen Armee‹ [1917] stellt Motive des Verfalls und des Lebens gegenüber. In der rhetorischen Form des Appells an ein Kollektiv wird eine Apokalypse in Aussicht gestellt, die vom Endkampf der Gerechten gegen die Übeltäter zur Erlösung führen soll. In diesem messianischen Zusammenhang hat selbst die Todesatmosphäre einen höheren Sinn, der eine gehobene Wortwahl (›Odem‹) und die Verschiebung der Aufmerksamkeit auf eine erträglichere Folge des Verfalls (›Schimmel‹) zu rechtfertigen scheint, wenn vom Körper der Toten als verfallsgeweihter ›Morast-Gruft‹ die Rede ist: […] Ja euer Leib eine berüchtigte Mordstätte, Morast-Gruft, Schlächter Platz, verfluchte Gegend; dichtest Schimmelodems überwuchert; […] Aprikosene Früh-Flur o einst unser aller Leib: zerrissen […], versiegt zephirener Atem über das Kornmeer deiner offenen Länder.276 274 In: Hartmut Vollmer (Hg.), ›In roten Schuhen tanzt die Sonne sich zu Tod‹. Lyrik expressionistischer Dichterinnen (Zürich: Arche, 1993), S. 51. 275 Wilhelm Klemm, ›Anrufung‹ u. ›Tristissimus‹, in: ders., Gloria! Kriegsgedichte aus dem Feld [1915], in: Imma Klemm u. Jan Volker Röhnert (Hg.), Wilhelm Klemm. Gesammelte Verse (Mainz: Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, 2012), S. 27–58, hier S. 29 u. 51. 276 Johannes R. Becher, ›An die Soldaten der sozialistischen Armee‹, in: Der Almanach der Neuen Jugend auf das Jahr 1917 (Berlin: Verlag Neue Jugend, 1917) [Reprint Leipzig 1985], S. 15–21, hier S. 19. – Auf verwandte Motive des Übergangs von Fäulnis zur Reinheit verweist Jörg Vollmer, ›Gift/Gas oder das Phantasma der reinigenden Gewalt. Johannes R. Becher : (CH Cl = CH)3 As (Levisite) oder Der einzig gerechte Krieg (1926)‹, in: Schneider u. Wagener (Hg.), Von Richthofen bis Remarque, S. 181–193, hier S. 182 u. 189–191.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Mit dem Ausdruck ›Morast-Gruft‹ werden Fäulnis und Verwesung als rituell eingehegte Prozesse erträglich gestaltet. Als weiteres Beispiel aus der Lyrik wäre Mary Bordens Gedicht ›Song of the Mud‹ [1917] zu nennen; die grauenerregende Kriegs-›Landschaft‹, deren Wirklichkeit jedem Bestattungskult spottet, wird mit Hilfe der poetischen Phantasie so umgestaltet, daß der stinkende Schlamm am Ende dennoch als würdiges Soldatengrab erscheint: This is the song of the mud – the obscene, the filthy, the putrid, The vast liquid grave of our armies – It has drowned our men – Its monstrous distended belly reeks with the undigested dead – […] The beautiful, glistening, golden mud that covers the hills like satin; The mysterious, gleaming, silvery mud that is spread like enamel over the valleys. Mud, the fantastic disguise of the War Zone; Mud, the extinguishing mantle of battles; Mud, the smooth, fluid grave of our soldiers: This is the song of the mud.277
Die Technik, Leichengestank zum Auslöser bejahenswerter Gewißheiten zu stilisieren, mit denen die von Trotter angedeuteten Gefahren für die Moral der Kämpfer entschärft werden können, fällt in den den nun zu besprechenden Texten komplizierter aus, und sie seien daher gesondert behandelt. Während Maurice Genevoix’ Erzählung Sous Verdun [1916] die sinnliche Nähe zu Leichen, deren Geruch anfangs entkräftet, zum Auslöser patriotischen Zorns stilisiert (1), sucht Roland DorgelHs in Les Croix de bois [1919] nach einer angemessenen Form des poetischen Totengedenkens, das den Leichengeruch einbezieht (2). Franz Schauweckers Frontbuch Im Todesrachen [1919] erwähnt den ›Pestatem‹ des Krieges als Manifestation einer stoisch zu respektierenden Gewalt der Vernichtung (3), und Ernst Jüngers Bericht In Stahlgewittern [1920] präsentiert Leichengeruch unter anderem als rätselhaftes Zeichen eines höheren und positiven Sinns des Krieges (4). Als Dichter in der Tradition pastoraler Lyrik kann Edmund Blunden den Leichengeruch anfangs noch aufschönen; in seiner Autobiographie Undertones of War [1928] spielt er indessen mit ironischen Effekten. Zwar soll der Geruch die sinnlichen Zumutungen des Kriegslebens denunzieren, doch als ironisch verfremdetes Zeichen, das der ›mannhaften‹ Bewältigung von Schocks dient, wirkt er konstruktiv (5). Auch Siegfried Sassoons Memoirs of an Infantry Officer [1930] nutzen Motive des Leichengeruchs zur Selbstbehauptung mit ironischen Mitteln (6). Vera Brittains Autobiographie 277 In: Tim Kendall (Hg.), Poetry of the First World War (Oxford u. New York: Oxford University Press, 2013), S. 78–80, hier S. 79–80.
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Testament of Youth [1933] bezieht diesen Gestank hingegen in Techniken poetischer Entsagung und Tröstung ein (7). Die ästhetischen Zugänge zum Geruchsekel fallen in diesen Texten unterschiedlich aus: während Jünger gelegentlich zu modernistischer Ekel-Lust neigt, wird Ekel bei DorgelHs rückblickend durch Semantisierung auf klassische Weise neutralisiert. Die übrigen Autoren laden schockhafte Erfahrungen der Deprivation ästhetischer Bedürfnisse mit einem Sinn auf, der sie mehr oder weniger erträglich macht.
1)
Maurice Genevoix: Sous Verdun [1916]
In Genevoix’ Weltkriegsroman Sous Verdun ruft der stechende Gestank des Kampfgebiets zunächst die Vorstellung hervor, im Gebeinhaus als einer Zone der rituell eingehegten Exhumierung zu atmen: »Par instants, des souffles lents passent sur nous, effluves tiHdes qui charrient une puanteur fade, p8n8trante, intol8rable. Je m’aperÅois que nous respirons dans un charnier.«278 Der unerträgliche Geruch verstetigt sich aber, und er steigert sich zum Eindruck bedrohlicher Miasmen: Et jusqu’/ la nuit, je fume, je fume, pour vaincre l’odeur 8pouvantable, l’odeur des pauvres morts perdus par les champs, abandonn8s par les leurs, qui n’ont pas mÞme eu le temps de jeter sur eux quelques mottes de terre, pour qu’on ne les v%t pas pourrir. […] Des souffles humides passent sur nous en tra%nant avec mollesse, imprHgnent nos narines et nos poumons. Il semble que p8nHtre en nous quelque chose de leur pourriture.279
Der Leichengeruch geht meist von den eigenen Toten aus, die eine niedergeschlagene Stimmung hervorrufen, doch die Gewißheit, daß sich vereinzelt auch Deutsche unter den Gefallenen befinden, führt zu momentanen Hochgefühlen. Am folgenden Tag sind die Soldaten zunächst ekelerregendem Gestank ausgesetzt, den lebendige Deutsche in einem Quartier hinterlassen hatten, aus dem sie kürzlich vertrieben wurden; diese Zumutung wird mit dem kulturellen Über278 Maurice Genevoix, Sous Verdun (Ao0t-Octobre 1914) [1916] (Paris: Flammarion, 1925), S. 74. »From time to time puffs of wind bring to us a stench, sickly, penetrating, intolerable. It is as though we were in a charnel house.« (Maurice Genevoix, ’Neath Verdun (Driffield: Leonaur, 2010), S. 54) 279 Genevoix, Sous Verdun, S. 74 u. 126. »And until nightfall I smoke and smoke in an attempt to stifle the soul-sickening miasma, that smell of the poor dead, lost on the field of battle, abandoned by their own who had not the time to throw even a few lumps of earth over them to hide them from the eyes of the living. […] The slowly moving breeze passing over those bodies fills our noses and throats with the odour. It makes us shudder instinctively, fearful lest that welter of putrefaction should be communicated from them to us.« (Genevoix, ’Neath Verdun, S. 54 u. 85)
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
legenheitsgefühl des Rückeroberers ertragen, das in Angriffslust ausklingt.280 Maßgebenden Sinn rufen schließlich Leichen hervor, die von den Deutschen abschreckend zur Schau gestellt wurden und zum Anlaß patriotischer Rage werden: die Erfahrung der Nähe zur Leiche schlägt in Rachegelüste um. »Rage impuissante et maladroite, celle qui fait lever la colHre en nos cœurs, et le besoin de la vengeance, au lieu de l’8pouvante qu’elle souhaitait inspirer.«281 Der Anblick ruft zunächst – wie vom Gegner geplant – Gefühle der Ohnmacht und Wut hervor, die nun in Zorn und Rachegefühle umgewandelt werden. Die Geruchslandschaft, in der belastender Leichengeruch schrittweise einem hassenswerten Feindesgestank weicht, trägt zum Durchbruch des patriotischen Zorns maßgeblich bei. Die Toten des Feindes werden hingegen – bei allem Horror, der aus ihrer zeremonielosen Massenbestattung resultiert – wie Reste einer schrecklichen Ernte wahrgenommen, die nun vom Erdboden des Landes aufgenommen werden, den sie mit ihrem Einmarsch beleidigt hatten. Während die Deutschen die Totenruhe ihrer gefallenen Feinde mißachten, damit aber die Kampfkraft des Gegners nur stärken, verscharren die Franzosen die Toten ihrer Feinde und verhelfen der Heimaterde damit zu einem symbolischen Sieg: Aujourd’hui, / la Vauxmarie, des 8quipes de sapeurs ramassent les Boches tomb8s l/ aussi drus que les 8pis d’un champ. Elles les charges par dizaines sur de grands tombereaux qui s’acheminent vers des fosses, creus8es larges et profondes, en secouant aux cahots des orniHres leur fardeau de chair morte. Lorsqu’ils sont arriv8s au bord des trous b8ants, on les fait basculer en arriHre et verser l/-dedans les grappes de cadavres, qui roulent au fond avec d’affreux gestes ballants. Et la terre de France recouvre bien vite les habits verd.tres, les faces d8compos8es dont les yeux ne la verront plus, les grosses bottes pesantes qui plus jamais ne la meurtriront de leurs clous de fer.282
Auch diese Szene ist nicht geruchsneutral, doch Gestank wird nicht eigens erwähnt; die Kränkung des eigenen Körpers durch ein Eindringen der Zerfalls280 Genevoix, Sous Verdun, S. 126–129; Genevoix, ’Neath Verdun, S. 85–87. 281 Genevoix, Sous Verdun, S. 131. »Impotent and childish is the fury that only inspires us with rage and the passion for vengeance instead of fear, as our foe hopes and believes« (Genevoix, ’Neath Verdun, S. 88). Zur Funktion des abstoßenden Gestanks als Auslöser von Rachegefühlen des soldatischen Mannes siehe auch Klaus Theweleit, Männerphantasien (Frankfurt am Main: Roter Stern, 1977), Bd. 1, S. 516 u. 518. 282 Genevoix, Sous Verdun, S. 113–114. »Today, over towards Vauxmarie, the sappers are gathering together the bodies of the fallen Boches lying as thickly strewn as the grass in the fields. The corpses are taken in tens in tumbrils towards huge pits, yawning to receive their loads of dead flesh. When the carts arrive at the edge of these graves, they are tilted up, and the bodies tumble out, arms and legs swinging horribly, grotesquely. And the good earth of France swiftly hides from sight those greenish uniforms, those decomposing faces with blinded eyes, those heavy nailed boots which never again will trample the soil of our beloved land.« (Genevoix, ’Neath Verdun, S. 77)
Leidensbereite Auslegungen
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produkte von Feinden paßt nicht in die Symbolik der Situation. Der Schrecken der Szene wird durch die symbolische Deutung indessen nicht völlig getilgt; der Erzähler muß nach dem Bericht von jener Bestattung erst noch Kraft schöpfen, indem er sich den eigenen Soldaten zuwendet und sich deren Heroismus vergegenwärtigt. Die Strategie, auf Leiden mit Zorn zu antworten, kann freilich – bei aller Verwandtschaft mit Techniken des Kriegsepos – auch aus pazifistischer Sicht eingesetzt werden: Walter Hasenclevers Kriegsgedicht ›1915‹ [1916] ruft im Namen aller lebendigen Völker zur Rache für die Toten auf, und der »Schwefel stinkende Glut«, die anfangs verstörte, wird zum Auslöser des zornigen Rufs nach Frieden.283 Angst, Furcht, Zorn und Wut stellen, wie die Geruchsforschung gezeigt hat, typische Reaktionen auf eindringliche olfaktorische Belästigungen dar,284 die verschiedenen Situationsdeutungen Raum geben.
2)
Roland Dorgelès: Les Croix de bois [1919]
Der Erzähler von DorgelHs’ Roman Les Croix de bois verbindet Leichengeruch mit einem mitleidigen Gefühl, das den Gefallenen wenigstens rückblickend poetische Gerechtigkeit widerfahren läßt: L’odeur fade des cadavres s’efface, on ne sent plus que le chlore, r8pandu autour des tonnes / eau. Mais, moi, c’est dans ma tÞte, dans ma peau que j’emporte l’horrible haleine des morts. Elle est en moi, pour toujours: je connais maintenant l’odeur de la piti8.285
Im Vordergrund steht nicht die Wahrnehmung des Leichengeruchs, sondern dessen unauslöschliche Spur in der Erinnerung, in der er die Neutralisierung durch Chlorkalk überdauert. Die rein technische Entsorgung des Gestanks enthält den Toten ihre rituelle Würdigung vor, die in poetischer Ersatzform beim literarischen Totengedenken nachgeholt wird. Der Geruch fungiert hier nicht als Störung zeremoniellen Sinns, sondern als dessen Medium. Der Gestank gefallener Gegner wird hingegen mit einer ekelerregend-monströsen Umkehrung 283 Walter Hasenclever, ›1915‹ [1916], in: Vietta (Hg.), Lyrik des Expressionismus, S. 136–137, hier S. 136. Auch das Thema des Zorns in Latzkos Menschen im Krieg dient einer pazifistischen Wirkungsabsicht. 284 Rinck, Bensafi u. Rouby, S. 157–160. 285 DorgelHs, Les Croix de bois, S. 190–191. Die deutsche Übersetzung gibt ›on ne sent plus que‹ (›man riecht nichts als‹) als ›nicht mehr‹ wieder : »Der süßliche Geruch der Leichen schwindet, wir riechen nicht mehr das Chlor, das um die Wassertonnen ausgeschüttet ist. Ich aber, ich nehme in meinem Kopfe, in meiner Haut den schrecklichen Atem der Toten mit mir fort. Er ist für alle Ewigkeit in mir : jetzt weiß ich, wie das Mitleid riecht.« (Roland DorgelHs, Die hölzernen Kreuze (Leipzig u. Weimar : Kiepenheuer, 1988), S. 199)
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würdiger Riten assoziiert, die religiöse Gefühle der Scheu vor den Toten hervorruft: »C’8tait un entassement inf.me, une exhumation monstrueuse de Bavarois cireux sur d’autres d8j/ noirs, dont les bouches tordues exhalaient une haleine pourrie«.286 Auch hier wird der Geruch von Leichen mit der Gleichgültigkeit des Kriegsgeschehens gegenüber der Würde der Verstorbenen assoziiert. Zwar wird [d]er traditionelle Sinn christlicher Rituale […] durch die leidhafte Kriegserfahrung im Text […] immer wieder entwertet, doch die sakrale Überlieferung wird nicht einfach ausgelöscht, sondern aus einer desillusionierten Sicht überschrieben: ›dominant ces ruines, un grand saint s8vHre tenait sur ses bras joints un livre de marbre oF, chaque nuit, les 8clats sifflants gravaient des choses.‹287
Diese Überschreibung zeigt sich nicht nur im Marienkult, der bei manchen Soldaten zur magisch-paganen Beschwörung des eigenen Kampfwillens gerät; die Technik, den Widerspruch zwischen Lebenswillen und Kriegerethos im magischen Medium der Illusion zu versöhnen, nimmt am Ende auch der Erzähler selbst in Anspruch: um als Überlebender an der zukünftigen Erneuerung des Landes teilzuhaben, muß er die Kriegsvergangenheit auf sich beruhen lassen, während die gefallenen Märtyrer es verdienten, in der Erinnerung weiterzuleben. Einen Ausweg bietet die literarische Fiktion, in der die Gefallenen leiblich wieder auferstehen, als kehrten sie in die Gegenwart des Schreibenden zurück; in diesem poetisch-religiösen Exerzitium werden die unvereinbaren Ansprüche der Lebenden und der Toten versöhnt.288
Auch die imaginäre Einverleibung jenes Geruchs, der Erbarmen und Mitleid hervorruft, läßt sich als ein Art poetischer Auferstehung deuten.
3)
Franz Schauwecker: Im Todesrachen [1919]
»Die stärksten Wirkungen von Toten haben mich eines Sommernachmittags an der Ostfront gepackt und geschüttelt«: Schauwecker erzählt in seinem Frontbuch Im Todesrachen, wie er im Juni 1915 für seine Gruppe Wasser holen soll und mit einer »Koppel voller Feldflaschen« loszieht. Als er zu seiner Kompanie zurück286 DorgelHs, Les Croix de bois, S. 177. »Das war niederträchtig, das war gemein, dieser wiederausgewühlte Menschenhaufen … wächserne Bayern auf anderen, die schon ganz schwarz waren; ihren verzerrten Mündern entströmte der Hauch der Verwesung […].« (DorgelHs, Die hölzernen Kreuze, S. 185) 287 Krause, Mütterlichkeit unter Geliebten und Kameraden, S. 171–172. Das Zitat stammt aus DorgelHs, Les Croix de bois, S. 201. »[…] alles überragt von einem hohen, strengen Heiligen, der mit beiden Armen ein marmornes Buch hielt, in das die herumpfeifenden Granatsplitter allnächtlich neue Zeichen ritzten.« (DorgelHs, Die hölzernen Kreuze, S. 210) 288 Krause, S. 172.
Leidensbereite Auslegungen
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kehrt, hat er lediglich die eigene »Feldflasche bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken«. Er verläuft sich nämlich in einem Feld, das ein »Vierteljahr« lang »zwischen den beiden Gräben« der Gegner gelegen hatte und nun voller verwesender Leichen ist. Als er sich plötzlich inmitten der Leichen befindet, läuft er schnell weiter und landet in einer Sackgasse, in der ein verwesender Soldat auf der Latrine noch seine Gedärme zwischen den Fingern hält, die ein Granatsplitter aus dem Bauch hervortreten ließ. Die verständliche Ekelreaktion stellt sich prompt ein: »Zehn Laufschritte weiter erleichtere ich mich gründlich.« An den ›stärksten Wirkungen‹ der Leichen sind Gerüche maßgeblich beteiligt: »Ein niederträchtig-häßlicher Fäulnisdunst machte« die »Schritte langsamer«, und als er weiter ins Feld eindringt, ist es »überlagert vom süßlichen Duft der beginnenden Fäulnis. Schon wieder! Der Ekel stößt einen förmlich zurück.« Beim Anblick »toter Russen« und »vor gefallenen Farbigen« erlebt der Erzähler ohnehin ein besonderes Gefühl »der Abstoßung«, und zuvor hatte er bereits einen verwesenden Russen gesehen, der »schwarz wie ein Neger« war und so Merkmale der für ihn abstoßendsten Toten auf sich vereinigte; auf der Latrine findet er nun einen toten Russen mit »hängendem Kiefer, glotzenden Augen und schwachblödem Grinsen ins Leere«, und die Geruchsbelastung steigert sich zu einem »Höllengestank«. Schauwecker führt die ekelhaft zugerichtete Kriegsleiche eines als abstoßend bewerteten Feindtyps gezielt als affektives und ästhetisches Maximalübel vor Augen. Er weiß, daß selbst besser erhaltene Leichen wegen ihrer »regungslosen Erbärmlichkeit« den »Schimmer« des »Heldentod[es]« schwächen, und daß die vom Krieg ausgehende Vernichtung nicht zuletzt mit ihrem »Pestatem« den »Mut« des Kriegers sinken läßt. Zwar geht der »Schrecken«, den der erstmalige Anblick einer Kriegsleiche hervorruft, schnell vorüber, doch die Gewöhnung an solche Eindrücke kann nicht verhindern, daß der Gedanke an die Toten »an das eigne Ende« mahnt. Da Schrecken und Sorge im Krieg unvermeidlich sind, müssen die Krieger Pflichttreue und Kampfgeist durch Selbstüberwindung und Vermeidung unnützer Gedanken beständig erneuern. Der Anblick eines sterbenden Kameraden kann die emotionale Grundlage des kriegerischen Ethos durchaus erschüttern und »[g]renzenloses Mitleid, Furcht, Ekel, Haß auf das« auslösen, »was dieses hier möglich macht, auf Staat und Krieg.«289 Die disziplinierte Erneuerung des Opferwillens im Angesicht des Todes verschafft dem Frontsoldaten jedoch privilegierten Zugang zu einer performativ konstituierten Identität, in der sich die »Seele« des »Kriegers« offenbart, an der ein »unbesiegt unterlegenes Heer und Volk« sich stärken kann.290 Schauwecker wertet die 289 Schauwecker, S. 286–287, 344–348, 350 u. 364. Das Bild des Russen mit Gedärmen in der Hand läßt sich auch als Travestie eines Motivs aus Homers Ilias (20. 418–420) lesen. 290 Eduard Engel, ›Vorwort eines Freundes‹, in: Schauwecker, S. v–vi, hier S. vi.
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kriegsbedingte Überwindung starker Affekte, Gefühle und Stimmungen, die sich einer friedensspezifischen Lebensform verdanken, als seelische Erneuerung:291 Die bewußte Freiwilligkeit des Opfertodes, die Gemeinsamkeit des Todes und eines Gedankens birgt etwas Überwältigendes. Dem Daheimgebliebenen kann es in seiner Größe und Herbheit, in seiner Selbstverständlichkeit und Bescheidenheit gar nicht zum Bewußtsein kommen, weil er diesem Tode nie gegenübergestanden hat. Das erst, das gemeinsam-gleichmäßige Erleben und die allen gleichmäßig geltende Dauernähe des Todes, das erst schweißt und hämmert die Herzen in eins und senkt in sie jenes tiefe Mitfühlen und ganze Verstehen, das mit der Kargsamkeit weniger Worte alles zu sagen weiß.292
Aus dieser Sicht wird der Leichengestank zum Auslöser eines Ekels, der ertragen werden muß, damit die ›deutsche Seele‹ in der opferbereiten Haltung des Kriegers ihren angemessenen Ausdruck findet. Den »Pesthauch« des Krieges, dessen Granaten selbst »den Toten […] keine Ruhe« lassen, deutet Schauwecker als Zeichen der mentalitätsprägenden Vernichtungsmacht des Kampfgeschehens: »Angesichts dieser Vernichtung […], angesichts einer so unwiderstehlichen und unentrinnbaren Macht sinkt der Mut, der die Hoffnung gibt, und der Einzelne fühlt sich klein wie vor den Naturgewalten […]«.293 Schauwecker redet aber keinen Defätismus das Wort, sondern schreibt dem abgeklärt opferbereiten Soldaten den Wunsch nach einem möglichst raschen und leidlosen Tod zu. »Erdhauch und Blutdunst«, der über »Soldatengräbern des Schlachtfeldes wittert«, spenden sogar Trost, denn sie machen für ihn die »Ursprünglichkeit« der patriotischen Idee sinnfällig, der sich die Toten hingegeben hatten.294
291 Stanley Corngold merkt an, daß die Feier der heroischen Bereitschaft zum Selbstopfer in Georg Kaisers Drama Die Bürger von Calais [1914] einer kriegsbegeisterten Mentalität zuarbeiten kann (Stanley Corngold, ›The Great War and modern German memory‹, in: Sherry (Hg.), The Cambridge Companion to the Literature of the First World War, S. 191– 216, hier S. 197–198): der Protagonist Eustache de Saint Pierre will – ähnlich wie viele enthusiastische Kriegsbefürworter – mit der beständigen Erneuerung des Opferwillens den metaphysischen Sinn seines Daseins freisetzen. Eine solche, anachronistische Lesart eines Stücks, das vor Kriegsausbruch abgefaßt wurde, setzte sich aber über den Umstand hinweg, daß Eustaches Opfer der Vermeidung unnötigen Blutvergießens gilt und im Namen von Friedenswerken gerechtfertigt wird. Es wäre verfehlt, Kaisers Position als bellizistisch oder präfaschistisch zu werten, nur weil das Stück dem Publikum erlaubt, eine im Krieg kultivierte, für vielfältige Zwecke instrumentalisierbare Opferbereitschaft im Spiegel einer kapitulationswilligen Figur wiederzuerkennen. 292 Schauwecker, S. 372. 293 Ebd., S. 286–287. 294 Ebd., S. 369.
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4)
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Ernst Jünger: In Stahlgewittern [1920] und ›Der Kampf als inneres Erlebnis‹ [1922]
In seinem Bericht In Stahlgewittern präsentiert Jünger den Verwesungsgeruch an der Front – wie den Krieg insgesamt – als geheimnisvoll-erregendes Zeichen eines überpersönlichen Kräftespiels. Der Geruch ruft einen inneren Zustand hervor, in dem sich Wahrnehmung und Vorstellung überlagern, doch auch in der unwirklich anmutenden Situation müssen sinnliche Schocks gefaßt pariert werden: Ein widriger Geruch nach Leichen lagerte über der eroberten Gegend, bald mehr, bald weniger intensiv, immer aber die Nerven erregend und in eine Stimmung phantastischer und ahnungsvoller Unheimlichkeit hüllend. ›Offensiv-Parfüm‹ erscholl neben mir die Stimme eines cynischen alten Kriegers, als wir einige Minuten lang eine Allee von Massengräbern zu passieren schienen.295
In der Ausgabe von 1922 fügt Jünger einen Abschnitt hinzu, in dem er die Kriegsteilnahme ausdrücklich als Bestandteil eines überpersönlichen und metaphysisch sinnvollen Zusammenhangs deutet; angesichts einer von Blüten überwachsenen Kriegslandschaft im Mai, die den Betrachter schwermütig, aber aktiv stimmt, ahnt er : Es fällt leichter, inmitten einer solchen Natur in die Schlacht zu gehen als aus einem toten und kalten Winterland heraus. Hier drängt sich auch dem einfachen Gemüt die Ahnung auf, daß sein Leben tief eingebettet und daß sein Tod kein Ende ist.296
Karl Heinz Bohrer hatte Ende der 1970er Jahre davor gewarnt, über den »scheinbar ontologisierenden Bestimmungen« Jüngers den »Momentanismus« seiner Perspektiven zu vernachlässigen;297 das Interesse des Frühwerks gelte vor allem den Weisen der Wahrnehmung, die für plötzliche Einbrüche des Gefährlichen typisch seien. Dabei steht allerdings das Sehen und Hören im Vorder295 Ernst Jünger, In Stahlgewittern, historisch-kritische Ausgabe, hg. v. Helmuth Kiesel (Stuttgart: Klett-Cotta, 2014), S. 574. Zitate im Haupttext sind, wenn nicht anders vermerkt, aus der Erstausgabe von 1920. In der Fassung letzter Hand wird das Sinnliche stärker betont, wärend die Dynamik des inneren Zustandes in den Hintergrund tritt: »Ein zäher Leichengeruch lagerte über der eroberten Gegend, bald mehr, bald weniger zudringlich, immer aber die Sinne erregend wie eine Botschaft aus einem unheimlichen Land. / »Offensivparfüm« erscholl neben mir die Stimme eines alten Kriegers, als wir einige Minuten lang eine Allee von Massengräbern zu passieren schienen« (ebd., S. 575). Das emotional distanzierte Bewußtsein von sich selbst als einem leibhaften Aktions- und Erlebniszentrum spielt erst in den 1930er Jahren eine Rolle; der Absatz, in dem Jünger vom »unpersönliche[n] Gefühl« in seiner letzten Schlacht spricht, »als ob ich mich selbst mit einem Fernrohr beobachtete«, wurde 1934 hinzugefügt (ebd., S. 625). 296 Jünger, In Stahlgewittern, S. 329. 297 Karl Heinz Bohrer, Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk [1978] (Frankfurt am Main u. a.: Ullstein, 1983), S. 327.
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grund; als Beispiel diene die »Beunruhigung, die Jünger mit dem unerwarteten Geräusch verknüpft«:298 Der bayrische Feldwebel war plötzlich spurlos verschwunden, und ich stand ganz allein, meine Leuchtpistole in der Hand, mitten in dem unheimlichen Trichtergelände, das am Boden lagernde weiße Nebelschwaden in ein noch drohenderes und rätselhafteres Aussehen hüllten. Hinter mir ertönte ein andauerndes, unangenehmes Geräusch; ich stellte mit merkwürdiger Objektivität fest, daß es von einem riesenhaften, in Zersetzung übergehenden Leichnam herrührte.299
Wie in der eingangs zitierten Passage, so leitet auch hier ein unheimliches Gefühl in der verrätselt-phantastischen Kriegslandschaft zu einer sachlichen Haltung zu Kriegsleichen über ; die Gelegenheit, das Geräusch ahnungsvoll zum Zeichen immaterieller Kräfte zu stilisieren, läßt Jünger ungenutzt.300 Von christlichen Klerikern, die im 11. Jahrhundert hörbare Explosionen von Verwesungsgasen in Grabstätten als Orakel gedeutet hatten,301 ist er nicht inspiriert: Jünger geht es hier nicht um die Ordnung der Welt im Ganzen, sondern, um mit Bohrer zu sprechen, um die Wahrnehmung in ihrer ›Plötzlichkeit‹. Der Sinn für das Phantastische und Unheimliche bleibt auch in Momenten, die nicht metaphysizierend gedeutet werden, oft erhalten. Das überwältigend Eindringliche des Schreckens wird durch Überlagerungen von Wahrnehmung und Vorstellung, die erst am Ende ein vertrautes Bild ergeben, noch gesteigert: Ein süßlicher Geruch und ein im Drahtverhau hängendes Bündel erweckten meine Aufmerksamkeit. Ich sprang im Morgennebel aus dem Graben und stand vor einer zusammengeschrumpften französischen Leiche. Fischartiges, verwestes Fleisch leuchtete grünlichweiß aus zerfetzter Uniform. Mich umwendend prallte ich entsetzt zurück: Neben mir kauerte eine Gestalt an einem Baum. Leere Augenhöhlen und wenige Büschel Haar auf schwarzbraunem Schädel verrieten, daß ich es mit keinem Lebenden zu tun hatte. Ringsumher lagen noch Dutzende von Leichen, verwest, verkalkt, zu Mumien gedörrt, in unheimlichem Totentanz erstarrt. Die Franzosen mußten monatelang neben den gefallenen Kameraden ausgehalten haben, ohne sie zu bestatten.302
298 Ebd., S. 193. 299 Jünger, In Stahlgewittern, S. 218. Eine ähnliche Passage wurde in der Fassung von 1922 hinzugefügt: »Als ich mich einmal allein durch das Gestrüpp arbeitete, befremdete mich ein leises zischendes und sprudelndes Geräusch. Ich trat näher und stieß auf zwei Leichname, die infolge der Hitze zu einem gespenstischen Leben erwacht schienen.« (Ebd., S. 349) 300 An anderer Stelle spricht er von einem »gespenstische[n] Leben« der hörbar verwesenden Leiche (Ernst Jünger, ›Der Kampf als inneres Erlebnis‹ [1922], in: ders., Essays I. Betrachtungen zur Zeit (Stuttgart: Klett-Cotta, 2002), S. 7–117, hier S. 22). 301 Philippe AriHs, Geschichte des Todes [frz. 1978; dt. 1980] (München: dtv, 2009), S. 605. 302 Jünger, In Stahlgewittern, S. 66. Die Variation traditioneller Motive (wie des Totentanzes) ist kein Einzelfall; Jüngers Hinzufügung aus dem Jahr 1934, man schmiege sich in Gefahr an die Erde »wie an die Mutter an« (ebd., S. 337), erinnert an eine Wendung aus Homers Ilias:
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Das Verweilen bei den sinnlichen Details der Verwesung verrät bei allem Schrecken eine gewisse Faszination am Ekelhaften. Die Szene verdeutlicht zugleich, daß das Entsetzen bei Jünger meist mit dem Gesichtssinn verbunden ist; der Geruch dient hier bloß als Wegweiser. Augenblicke, in denen sich Eindrücke zu einer Art Zeichen verdichten, das auf verdeckte höhere Zusammenhänge verweist, werden eher selten erwähnt; die meisten Beispiele stammen aus der Ausgabe von 1934.303 Auch der Leichengeruch nimmt – abgesehen von der eingangs zitierten Stelle – keinen symbolischen Sinn an; meist erscheint er lediglich als sinnlich intensive Belastung: Aus vielen Ruinen drang süßlicher Leichengeruch, denn der erste Feuerüberfall hatte eine Menge von Zivilisten unter den Trümmern ihrer Wohnungen begraben. Vor der Schwelle einer Haustür lag ein totes kleines Mädchen in einer roten Lache. […] Ein ekelhaft aufdringlicher Geruch belehrte uns, daß diese Passage schon viele Opfer gefordert hatte. […] Und immer dieser süßliche Geruch! […] Mein Bruder lag in einem von Leichengeruch erfüllten Raum inmitten einer Menge ächzender Schwerverwundeter.304
Die belastende Wirkung des Gestanks wird mit einer Einfügung für die Ausgabe von 1922 noch unterstrichen: Der Verwesungsgeruch hatte sich in der schwülen Luft schier unerträglich verstärkt. Wir überstreuten die Gefallenen mit Chlorkalk, den wir in Säcken mitgebracht hatten. Wie Leichentücher leuchteten die weißen Flecke aus der Dunkelheit.305
Die Vorstellung vom Chlorkalk als Leichentuch läßt sich zwar als eine imaginäre Kompensation des Entzugs von Totenritualen deuten, doch diese Phantasie tröstet nicht, sondern steigert das Unheimliche des Eindrucks: das einzige Licht im bedrohlichen Dunkel geht von den verstreuten Leichen aus. Während der Gesichts- und Hörsinn oft plötzlich einbrechende Gefahren wahrnehmen, deuten Geruchslandschaften der Verwesung auf eine stetigere, teils nur stoisch zu ertragende Belastung. Der weitgehende Verzicht auf interpretierenden Kommentar zum Gestank paßt zu einem Autor, der die stumme sinnliche Wahrnehmung für sich selbst sprechen lassen möchte:306
303
304 305 306
»wie ein Kind an die Mutter sich schmieget« (8. 271), sucht der heldenhafte Teukros Schutz in der Nähe des Aias, der ihn mit seinem Schild beschirmt. Ebd., S. 579, 581, 625 u. 627. Auf die »scarcity of […] reflective interludes« im Bericht verweist auch Corngold, S. 201. Bohrer zitiert Passagen aus anderen Werken Jüngers, in denen der Verwesungsgeruch als Symbol des »Lebens« (Die Ästhetik des Schreckens, S. 226) oder des kulturellen Verfalls (ebd., S. 275) fungiert. In der symbolischen Anspielung auf Konzentrationslager als »Stankhöhlen« (ebd., S. 443) ist das Motiv eindeutig negativ besetzt. Jünger, In Stahlgewittern, S. 210, 212, 216, 218 u. 372. Ebd., S. 353. Bohrer betont denn auch die Affinität von Ausdrücken des Schreckens zum Mimischen (Die Ästhetik des Schreckens, S. 337).
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Wir packten die aus den Trümmern ragenden Gliedmaßen und zogen die Leichen heraus. […] Dem dritten quollen die Eingeweide aus dem aufgerissenen Leib. Als wir diesen herauszogen, stemmte sich ein zersplittertes Brett mit häßlichem Geräusch in die schauerliche Wunde. Die eine Ordonnanz machte eine Bemerkung darüber und wurde von meinem Burschen mit den Worten: ›Swieg man stille, bi solchen Sachen hat Quasseln kein Zweck!‹ zur Ruhe verwiesen.307
Von der Reaktion des Burschen wird mit Sympathie berichtet; zwar spricht Jünger schonungslos vom Abstoßenden, doch die stumme Evidenz des Schreckens ist unüberbietbar und gebietet, sich des Kommentars zu enthalten. Verstörendes wird nicht pietätvoll Verschwiegen, doch es imponiert den Betroffenen eine eigensinnige Autorität. Passagen, die Tod und Zerstörung mit »provocatively icy objectivity« registrieren,308 deuten an, daß diese Autorität eine Anerkennung des Kriegslebens erheischt. Jüngers punktuelle Deutung erregender Wirkungen des Leichengeruchs als Zeichen eines rätselhaften Spiels höherer Kräfte darf nicht mit dem Fokus verwechselt werden, der seinen Bericht im Ganzen prägt; im Unterschied zu einem nicht minder nationalistischen Autor wie Flex merkt Jünger methodisch auf den Einbruch dessen, was in keinem vorweg wißbaren Zusammenhang aufgehen kann. Das Ethos des Kämpfers, der aktiv in Zonen des Schreckens eintaucht und sich in Momenten der Gefahr im Kontakt mit höheren schöpferischen Kräften wähnt, ist seinem ›Momentanismus‹ aber nicht äußerlich. Auch Jüngers Aufsatz ›Der Kampf als inneres Erlebnis‹ [1922] zeigt, daß er nach einer absoluten geistigen Autorität hinter dem Kriegsgeschehen fragt; dabei geht es um eine Sinngebung, die sich unabhängig von den Inhalten des persönlichen Glaubens im Modus der Kampfpraxis zeigt: »Nicht wofür wir kämpfen ist das Wesentliche, sondern wie wir kämpfen.«309 Der Glaube an einen metaphysischen Sinn der Kriegerrolle und der literarische Primat vorreflexiver Erfahrungsqualitäten gehen Hand in Hand. Auch in Jüngers Essay offenbart Verwesungsgeruch punktuell die immaterielle Macht und Autorität des sogenannten ›Lebens‹: So geht es voran, wir legen unseren Weg zurück als eine einsame, unbekannte Schar, die doch, ohne es zu wissen, inmitten dieser tödlichen Wüsten unsichtbar mit den großen Kraftströmen des Lebens verbunden ist. […] Der Boden rollt, in scharfen schweren Wellen schlägt stickige Luft uns ins Gesicht, von Gras und Verwesung gesättigt.310
Doch eben weil Jünger sich von evokativen Gehalten jeweiliger Momente leiten läßt, wird die Codierung des Leichengeruchs nicht von einer übergeordneten Idee dominiert. Gelegentlich wird die Erfahrung gemeinsamer Feindabwehr im 307 308 309 310
Jünger, In Stahlgewittern, S. 314. Corngold, S. 199. Jünger, ›Der Kampf als inneres Erlebnis‹, S. 74. Ebd., S. 90.
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Rückblick zur Bestätigung, »daß das alles im Sinne einer großen Vernunft geschah, die auch über dieser unheimlichen Landschaft ruht«,311 doch an anderer Stelle steht die leibliche Reaktion im Vordergrund: Die Verwesung. Manch einer zerging ohne Kreuz und Hügel in Regen, Sonne und Wind. Fliegen umschwirrten seine Einsamkeit in dichter Wolke, schwüler Dunsthauch umschwebte ihn. Unverkennbar ist der Geruch des verwesenden Menschen, schwer, süßlich und widerlich haftend wie zäher Brei. Nach großen Schlachten brütete er so lastend über den Feldern, daß auch der Hungrigste das Essen vergaß.312
Auch das gegenläufige Motiv des Essens in einer Atmosphäre des Verfalls hebt das affektiv und körperliche Belastende des Kriegslebens hervor : Im Unterstand schlägt mir dichter Dunst von Menschen, Schimmel und Verwesung entgegen. Als wir ihn neulich vergrößern wollten, stießen unsere Spaten auf eine Erdschicht von entsetzlichem Gestank. Es scheinen dort Leichen oder eine zugeschüttete Latrine zu liegen. […] Ich schneide mir eine dicke Scheibe Brot und fahre mit meinem Taschenmesser in eine schmierige Konservendose, um sie mit breiigen Rindfleischfasern zu belegen.313
Daneben finden sich Szenen, in denen Leichengeruch eine sakrilegische Störung der Totenruhe suggeriert oder eine poetische Ersatzvorstellung für Bestattungsrituale verstörend begleitet; der Mond, der Rattenschwärme einer Landschaft bescheint, die Tod suggeriert, rückt diese Situationen aber in ein faszinierendes Licht: Wie geschändete Grüfte gähnten wüste Dörfer in die Nacht, von weißem Mondlicht durchflutet, von Aasdunst umwittert, mit grasbedeckten Straßen, über die lautlose Rudel von Ratten schwirrten. […] Da schwelte es aus aufgerissenen Häusern, nackte Sparren schnitten sich wie Gerippe in die Scheibe des Mondes, Aasdunst witterte aus Kellern, denen Schwärme pfeifender Ratten entglitten. […] Verwesung brütete über der Landschaft. Langsam zerfielen die Toten, vereinten sich ganz mit der Erde, ganz mit dem Graben, um den sie gekämpft hatten.314
Jüngers bewegliche Codierungen bringen eine Analyse, die nach einer dominanten Perspektive auf den Leichengeruch fragt, in Verlegenheit, weil seine herausragende ontologische Sicht von der Vielfalt seiner ästhetischen Verfahren ablenkt. Gemeinsam ist ihnen eine transgressive Faszination mit dem Grauen, ein geschärfter Sinn für die Gestalt seiner Auslöser und der Glaube an ihren reflexiv unüberbietbaren Eigensinn.
311 312 313 314
Ebd., S. 85. Ebd., S. 21. Ebd., S. 79–80. Ebd., S. 23, 26 u. 34.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
Edmund Blunden: Undertones of War [1928]
Edmund Blunden nimmt das Frontgeschehen aus Sicht der Pastoraldichtung als Herausforderung wahr, nach Restbeständen arkadischer Szenen zu suchen, und schönt den Leichengestank in De Bello Germanico [1918] entsprechend auf: »the evening tramp up communication trenches full of the ›dead-man smell‹ of that marshland, suggesting a ferment of Church lilies«.315 In Undertones of War wird das Thema nur selten direkt angesprochen, und die Aufschönung gelingt nicht mehr. Stattdessen verschiebt Blunden die Quelle des Gestanks auf abstoßende Kriegslandschaften, die mit gegenläufigen Landschaftsmotiven assoziiert werden, die auf biblische Heilsgewißheiten anspielen. Die Leser werden angeleitet, eine faktische Landschaft im Lichte des Sinngehalts ihres idealisierten Gegenstücks wahrzunehmen, der nurmehr in ironischer Brechung erscheint. So führt Blunden eine Kriegslandschaft der Verwesung mit fauligen Wassern vor Augen, verknüpft sie aber mit einer Anspielung auf Psalm 23, dessen Bilder der Erlösung durch Gott als Hirten in grüner Aue an frischem Wasser religiösen Trost spenden wollen: […] the new causeway was swollen with dead mules […]. The water below, foul yellow and brown, was strewn with full-sized eels, bream and jack, seething and bulged in death. Gases of several kinds oozed from the crumbled banks and shapeless ditches, souring the air. One needed no occult gift to notice the shadow of death on the bread and cheese in one’s hand, the discoloured tepid water in one’s bottle.316
Blundens Technik ist zweideutig: sie kritisiert den umfassenden Entzug der ästhetisch-religiösen Erfahrung einer im Sinne der Pastoraldichtung bejahten Natur, doch zugleich nimmt sie die deformierte Natur als Medium der ironisierenden Selbstbehauptung methodisch in Anspruch. Blunden koppelt die Ablehnung der Kriegsfolgen an den Anspruch, das Kriegsgeschehen dennoch ›mannhaft‹ zu ertragen. Der Gestank der Leichen ist zwar unsäglich, doch als poetisch verfremdetes Zeichen mit ironischer Bedeutung übernimmt er konstruktive Funktionen. Blundens Methode setzt jedoch voraus, daß das Dargestellte als Suggestion eines gegenläufigen Zusammenhangs lesbar bleibt; seine Weigerung, sinnliche Schocks auf objektivierbare Ursachen zu befragen, ist daher nur konsequent: […] violent memories of the war would continually resurface in Blunden’s imagination, stubbornly refusing to be repressed: ›Then the ground became torn and vile, the poisonous death of fresh explosions skulked all about, and the mud which choked the narrow passages stank as one pulled through it‹. Yet, there is a stubborn refusal to 315 Edmund Blunden, De Bello Germanico [1918], zit. in: Barry Webb, Edmund Blunden. A Biography (New Haven, CT u. London: Yale University Press, 1990), S. 53. 316 Edmund Blunden, Undertones of War [1928] (Penguin: London, 2000), S. 151.
Leidensbereite Auslegungen
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name the composition of the mud. That is implied through the euphemistic reference: ›Much lime was wanted in Cuinchy‹. Later, Blunden refers to the ›dead sea of mud‹.317
Die Anspielung auf das Tote Meer, das vielfältige religiöse Assoziationen erlaubt, bringt stinkenden Schlamm einmal mehr mit heilsgeschichtlichen Ideen in Verbindung; so wird der Glaube an die lebensspendende Kraft des Wassers aus dem Toten Meer (vgl. Hezekiel 47: 9) von der Kriegsszene konterkariert. Doch so abstoßend der stinkende Schlamm ist: als Symbol einer ironisch vergegenwärtigten Diskrepanz von Ideal und Wirklichkeit wird er zur Quelle gültigen Sinns.
6)
Siegfried Sassoon: Memoirs of an Infantry Officer [1930]
In seinen fiktionalisierten Memoirs of an Infantry Officer übt sich Sassoon teils in einem ironisch distanzierten Ton. Als der Protagonist George Sherston auf dem Weg durch einen Tunnel an einem Soldaten vorbeikommt, der an einer gefährlichen Stelle unter einer Decke liegt, will er ihn wecken; erst rüttelt er ihn an den Schultern, dann tritt er ihn, schließlich hält er ihm die Taschenlampe ins Gesicht: Then my beam settled on the livid face of a dead German whose fingers still clutched the blackened gash on his neck … Stumbling on, I could only mutter to myself that this was really a bit too thick. (That, however, was an exaggeration; there is nothing remarkable about a dead body in a European War, or a squashed beetle in a cellar.)318
Der Einschub des rückblickenden Gedankens läßt die ursprüngliche Reaktion, das emotional Verstörende der Situation verkleinernd zu untertreiben (›a bit too‹ ist ein understatement), als eine Übertreibung ihres sachlichen Gewichts erscheinen. Der sachliche Sprachgestus kann den emotionalen Gehalt des Themas aber nicht neutralisieren; der ›coole‹ Ton gerät – bei aller abstrakten Geltung des sachlichen Urteils – im Kontext der konkreten Begebenheit zur Fortsetzung des ironischen understatements, das Sherstons Habitus prägt. Leichengeruch als säuerlicher, eindringlicher und völlig neuer Eindruck wird ebenfalls nur scheinbar sachlich registriert: For the first time I was among the debris of an attack. After going a very short distance we made the first of many halts, and I saw, arranged by the roadside, about fifty of the British dead. Many of them were Gordon Highlanders. There were Devons and South Staffordshires among them, but they were beyond regimental rivalry now – their fingers mingled in blood-stained bunches, as though acknowledging the companionship 317 Santanu Das, Touch and Intimacy in First World War Literature (Cambridge: Cambridge University Press, 2005), S. 66–67. 318 Siegfried Sassoon, Memoirs of an Infantry Officer [1930] (La Vergne, TN: Lightning Source, 2010), S. 225–226.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
of death. There was much battle gear lying about, and some dead horses. There were rags and shreds of clothing, boots riddled and torn, and when we came to the old German front-line, a sour pervasive stench which differed from anything my nostrils had known before.319
Der Gestank entströmt Leichen, deren Gesichter eine »butchered hostility« zum Ausdruck zu bringen scheinen, und er gehört damit zum Bezirk des feindlichen Anderen: »These dead were unlike our own«.320 Gerüche der Verwesung werden dem Feind zugeschrieben, dessen sinnliche Zumutungen mit ironischer Übertreibung auf Distanz gebracht werden: There were fifty steps down the shaft; the earthy smell of that triumph of Teutonic military engineering was strongly suggestive of appearing in the Roll of Honour and being buried until the Day of Judgement. […] Along the Tunnel the air blew deathly cold and seasoned with mephitic odours.321
Sherston nimmt die unangenehme Wirkung des Leichengestanks zum Anlaß, eine ironische Haltung einzunehmen, die – ähnlich wie im oben besprochenen Einschub – das eigene Empfinden herunterspielt und das Bedrohliche des Fremden entwirklicht. Hier greift Trotters These, daß Ekelerfahrungen in britischen combat novels über den Ersten Weltkrieg teils als Gelegenheit genutzt werden, sich der eigenen Anpassungsfähigkeit zu vergewissern.322 Die konstruktive Rolle des Gestanks besteht darin, als Anlaß einer ironischen Phantasie dem konservativen Ziel zu dienen, durch ein Höchstmaß an persönlicher Anpassung den Erfolg einer gemeinschaftlichen Anstrengung zu sichern.323
7)
Vera Brittain: Testament of Youth [1933]
In Brittains Autobiographie Testament of Youth wird der Geruch von Leichen nur selten erwähnt. Als Krankenpflegerin wurde sie im Ersten Weltkrieg während der Arbeit zwar regelmäßig mit stinkenden Wunden konfrontiert: Day after day I had to fight the queer, frightening sensation – to which, throughout my years of nursing, I never became accustomed – of seeing the covered stretchers come in, one after another, without knowing, until I ran with pounding heart to look, what
319 320 321 322 323
Ebd., S. 80–81. Ebd., S. 82. Ebd., S. 220. Trotter, S. 50–51. Ebd., S. 36.
Leidensbereite Auslegungen
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fearful sight or sound or stench, what problem of agony or imminent death, each brown blanket concealed.324
Wie bereits in Kap. I. 5 gezeigt, erwähnt sie auch die Geruchsbelastungen im Operationssaal und zitiert aus einem Brief ihres Geliebten Roland, der schreibt, daß der Krieg alle Jugendlichkeit und Lebensfreude in stinkende Verwesung verwandelt habe. Konkrete Wahrnehmungen von Leichengeruch werden aber nur an einer Stelle ansprochen; indem Brittain sich auf eine höchst prägnante Erfahrung des Geruchs beschränkt, wirkt das entsprechende Motiv um so intensiver. In einem Brief an Roland, der als Soldat in Frankreich stationiert ist, bekundet Brittain, was ihr der Geruch frischer Erde bedeutet: ›Like no one else,‹ I told him in a letter written at the end of July, ›you share that part of my mind that associates itself mostly with ideal things and places … The impression thinking about you gives me is very closely linked with that given me by a lonely hillside or a sunny afternoon or wind on the moorlands or rich music … or books that have meant more to me than I can explain, or the smell of the earth after a shower or the calmness of the sky at sunset […]‹325
Nach Abfassen des Briefes liest sie eine Passage aus einem Gedicht von W. E. Henley, in der die Erinnerung ans Gute in lebensfeindlichen Zeiten beschworen wird. An dem Muster, sich einen ethisch bedeutsamen Geruch zu vergegenwärtigen und sich mit Hilfe der Poesie über den Entzug erfüllender olfaktorischer Eindrücke zu trösten, hält der Text durchgängig fest. Nach Rolands Kriegstod wird seine Kleidung den Eltern zugestellt: ›Everything,‹ I wrote later to Edward, ›was damp and worn and simply caked with mud. And I was glad that neither you nor Victor nor anyone who may some day go to the front was there to see. If you had been, you would have been overwhelmed by the horror of war without its glory. For though he had only worn the things when living, the smell of those clothes was the smell of graveyards and the Dead. The mud of France which covered them was not ordinary mud; it had not the usual clean pure smell of earth, but it was as though it were saturated with dead bodies – dead that had been dead a long, long time […]‹326
Der Leichengeruch zeigt das genaue Gegenteil der vom Geruch frischer Erde ausgelösten Glückserfahrung an und entwertet jede glamouröse Vorstellung vom Krieg; auch wenn er an ein Gebeinhaus erinnert, stört er den patriotischen Gefallenenkult: 324 Vera Brittain, Testament of Youth. An Autobiographical Study of the Years 1900–1925 [1933] (London: Virago, 2004), S. 252. 325 Ebd., S. 151. 326 Ebd., S. 225.
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Leichengeruch im ›Großen Krieg‹: literarische Zugänge
So oppressively at length did the charnel-house smell pervade the small sitting-room, that Roland’s mother turned desperately to her husband: ›Robert, take those clothes away into the kitchen and don’t let me see them again: I must either burn or bury them. They smell of death; they are not Roland; they even seem to detract from his memory and spoil his glamour. I won’t have anything more to do with them!‹327
Brittain verarbeitet auch das Mißverhältnis zwischen Leichengeruch und den ästhetischen Voraussetzungen des Gefallenenkults mit Hilfe eines Gedichts: »it was amid this heap of horror and decay that we found […] the black manuscript note-book containing his poems. On the fly-leaf he had copied a few lines written by John Masefield on the subject of patriotism«. Der Patriotismus zeichnet sich demnach gerade dadurch aus, daß er ein Opfer verlangt, das sich grundsätzlich nicht aufschönen läßt: »It is a thing very holy and very terrible, like life itself«, heißt es da, »a thing which gives no happiness and no pleasantness«.328 Im Geruch der Uniform wird der Zwang zur patriotischen Entsagung sinnfällig. Diese Passage erklärt Brittains weitgehenden Verzicht auf die Darstellung verstörender smellscapes des Kriegsdienstes: als Beitrag zur Entwertung illusionärer Spielarten des Patriotismus verdienen sie Erwähnung, doch eine eingehendere Auslotung des Verfallsgestanks würde den Sinn für Gerüche als Medium der Versöhnung von innerer und äußerer Natur nur unnötig kränken; geboten ist vielmehr der Genuß tröstender Refugien. Als Brittain sich während des Krieges in einem »cottage garden« befindet, scheint es plötzlich, als gäbe es keinen Krieg mehr : [… ] the War had disappeared. From the depths of the wood a feathery line of blue smoke curled lazily upward; some peasants were making a fire of dry sticks, which recalled to my senses the friendly smell of a thousand bonfires that drifts across England in the early autumn.329
Die schlechte Kriegsatmosphäre verlangt nach einer Mischung von stoischem Durchhaltevermögen und tröstender Hoffnung, an der die Posie maßgebend beteiligt ist, und so ruft jener Qualm denn auch die Erinnerung an ein Gedicht von Thomas Hardy hervor, in dem dünner Rauch als schwaches Zeichen des fortbestehenden Lebens in Zeiten des Krieges beschworen wird.
327 Ebd., S. 225–226. 328 Ebd., S. 226. 329 Ebd., S. 348.
III.
Nachspiele
Das Motiv des Leichengeruchs wird schon vor dem Ersten Weltkrieg als Mittel säkularer zeitgeschichtlicher Diagnosen verwendet.1 Thomas Mann nutzt es im Roman Buddenbrooks [1901], der die Bilanz einer Epoche ziehen will, als evokatives Zeichen des Verfalls eines besonderen sozialen Standes.2 Der Geruch ist aber ein reguläres Begleitphänomen des Todes, dem im Rahmen traditioneller Rituale begegnet wird; er zeigt noch keine Umwelt an, die aus den Normalitätserwartungen der Zeit umfassend ausschert. Auch als Mittel historischer Diagnosen über denormalisierte Situationen vergangener Zeiten kommt das Motiv schon vor 1914 zum Einsatz. So erinnert Theodor Däublers frühexpressionistisches Versepos Das Nordlicht [1910] an den mittelalterlichen Glauben, die Pest verbreite sich durch den Leichengeruch ihrer Opfer ; in einer Vision über die Geschichte von Speyer wird der Gestank von den Zeitgenossen als Zeichen der Strafe für die Sünden der »Juden«, »Ketzer« und »Hexen« gedeutet.3 Däubler stellt diese heilsgeschichtlich orientierte Diagnose im säkularen Rückblick als ein zentrales Merkmal der geschichtlichen Signatur jener Epoche dar.4 Der 1912– 13 geschriebene, erst 1915 erschienene Roman Die drei Sprünge des Wang-Lun von Alfred Döblin über den chinesischen Sekten- und Rebellenführer Wang Lun aus dem 18. Jahrhundert kontrastiert Frühlingsmotive mit dem Geruch von Leichen, der gescheiterte Erlösungshoffnungen anzeigt: Diesmal hast du keine Leuchtkäferchen gebraucht, um zu mir zu kommen. Du konntest dich auf deine Nase verlassen, diesmal. Auch die Toten, die in der Hoffnung auf das 1 Als eine Kategorie der zeitdiagnostischen Kritik moderner ästhetischer Trends wird das Ekelhafte seit der Romantik bemüht; siehe Winfried Menninghaus, Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung [1999] (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002), S. 192–203. 2 Hans J. Rindisbacher, The Smell of Books. A Cultural-Historical Study of Olfactory Perception in Literature (Ann Arbor, MI: University of Michigan Press, 1992), S. 198–203. 3 Theodor Däubler, Das Nordlicht. Zweiter Theil / Sahara (Dresden: Thelem, 2004), S. 470–471, hier S. 471. 4 Als ›säkular‹ seien auch solche Positionen bezeichnet, die ästhetische Formen heiligen, um sich des metaphysischen Gehalts einer innerweltlichen Erfahrung zu vergewissern.
134
Nachspiele
Paradies gestorben sind, stinken. […] Du hast noch nicht alle Toten mit der Nase gezählt von den Brüdern und Schwestern. Wir haben je zweihundert in fünf Gräbern eingeschaufelt.5
Die Beispiele ließen sich mehren,6 und im figurativen Sinne setzt Georg Heym ein verwandtes Motiv schon 1911 in zeitdiagnostischer Absicht ein: »Unsere Krankheit ist, in dem Ende eines Welttages zu leben, in einem Abend, der so stickig ward, daß man den Dunst seiner Fäulnis kaum noch ertragen kann.«7 Die Technik, Motive des Leichengeruchs aus profaner Sicht einzusetzen, um mit ästhetischen Schocks Erwartungen über Normalität zu destabilisieren, ist in der literarischen Avantgarde ebenfalls schon vor dem Ersten Weltkrieg zu finden. Filippo Tommaso Marinettis Mafarka il Futurista [1909] mutet den Lesern bizarre Phantasien über faszinierenden Leichengestank zu,8 und das technische Manifest des Futurismus [1912] hebt die zentrale Bedeutung des Geruchs und des Häßlichen für die Literatur hervor.9 Im Krieg, der von den Futuristen herbeigesehnt wird, gehen jene Schocks später in die Lebenspraxis ein, so daß Marinetti 1934 im Hinblick auf den äthiopischen Kolonialkrieg festellen kann: »Der Krieg ist schön, weil er das Gewehrfeuer, die Kanonaden, die Feuerpausen, die Parfums und Verwesungsgerüche zu einer Symphonie vereinigt.«10 In der Literatur zum Ersten Weltkrieg überschneiden sich zentrale Aspekte der skizzierten Ansätze zum ersten Mal: die verstörende Intensität von Motiven des Leichengeruchs wird in säkularen zeitgeschichtlichen Diagnosen über denormalisierte Situationen rhetorisch wirksam genutzt. Motive des Leichengeruchs aus der Literatur über den Ersten Weltkrieg und aus anderen literarischen Texten, die nach 1914 um säkulare historische Dia5 Alfred Döblin, Die drei Sprünge des Wang-Lun. Chinesischer Roman [1915] (Olten u. Freiburg im Breisgau: Walter, 1960), S. 240–241. Den Kontrast von erwarteter Frische gerade gefangener und gekühlter Fische mit dem Gestank des Verfalls betont die folgende Passage: »Die schnüffelnde Nase des Fischers fuhr zurück vor dem auf der rosigen Salzkruste herausragenden Halsstumpf. […] Tai […] schien Merkmale von dem stinkenden schwarzbraunen Leichengesicht abzuzählen […].« (Ebd., S. 369–370) 6 Siehe z. B. Georg Heym, ›Marathon‹ [1910], in: ders., Dichtungen und Schriften, hg. v. Karl Ludwig Schneider (Hamburg u. München: Ellermann, 1964), Bd. 1, S. 23–39, hier S. 30. 7 Georg Heym, ›Eine Fratze‹ [1911], in: ders., Dichtungen und Schriften, hg. v. Karl Ludwig Schneider (Hamburg u. München: Ellermann, 1962), Bd. 2, S. 173–174, hier S. 173. 8 Einschlägige, ins Deutsche übersetzte Passagen zitiert und kommentiert Christine Kanz, Maternale Moderne. Männliche Gebärphantasien zwischen Kultur und Wissenschaft (1890–1933) (München: Fink, 2009), S. 184–185. 9 Filippo Tommaso Marinetti, ›Die futuristische Literatur. Technisches Manifest‹ [1912], in: Thomas Anz u. Michael Stark (Hg.), Expressionismus. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1910–1920 (Stuttgart: Metzler, 1982), S. 604–610, hier S. 607–608. 10 Zit. n. Walter Benjamin, ›Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit‹, in: ders., Illuminationen (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003), S. 136–169, hier S. 168.
Ambivalenzen
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gnosen bemüht sind, lassen sich mit Blick auf ihre Funktionsgeschichte vergleichen. In der Literatur über Freikorps, für die der Krieg nach dem Waffenstillstand vom 11. November 1918 nicht zu Ende war, kann der Leichengeruch als Begleitphänomen einer gänzlich bejahten Denormalisierung einen ambivalenten Sinn annehmen, der – im Unterschied zu den in Kap. II. 6. behandelten Texten – weniger der Abwehr eines Unheils als der Bejahung seiner Selbstzersetzung gilt (1.). Auf lange Sicht fallen die Effekte jener Motive in Texten, die um historische Diagnosen bemüht sind, zunehmend komplizierter aus; das gilt sowohl für historische Rückblicke auf vergangene Zeitalter, die mit Hilfe postmoderner Techniken mehrdeutigere Effekte erzielen als ihre modernen Vorläufer (2.), als auch für Texte, die sich mit zeitgeschichtlich aktuellen Denormalisierungen seit dem Zweiten Weltkrieg befassen: ab 1939 fallen ihre literarischen Diagnosen häufig paradox aus (3.).
1.
Ambivalenzen
Ernst von Salomon wurde 1902 geboren, war bei Kriegsende erst sechzehn Jahre alt und schloß sich, nachdem er seit 1913 eine Kadettenanstalt besucht hatte, während der Revolution von 1918–19 den paramilitärischen Freikorps an, die im Baltikum nach Ende des Ersten Weltkriegs weiter Krieg führten. Sein Roman Die Geächteten [1930], der den Zeitraum von 1918–19 bis 1927 behandelt, gehört zur Kriegsliteratur, die gemeinsam mit der Literatur über den Ersten Weltkrieg rezipiert wurde,11 doch der Zugang zum Thema ›Leichengeruch‹ soll Probleme der Nachkriegszeit erhellen. Zudem hebt von Salomon nicht die Umstellung einer friedensspezifischen Lebensform auf die Imperative des Kriegsdienstes hervor, sondern den Übergang eines kriegsbereiten Soldaten aus dem Wartestand zur Aktion. Der Text entwickelt apokalyptische Phantasien über die umfassende Vernichtung einer gänzlich entwerteten gesellschaftlichen Ordnung, deren Verwesungsgeruch als Zeichen eines ipso facto produktiven Zerfalls positive Bedeutung annimmt. Über das Ende des deutschen Kaiserreichs im Ausgang des Ersten Weltkriegs spricht er als »Probe«, die von den »Ekstatiker[n] des Krieges« zu bestehen sei, die in Freikorps mit unbedingtem Willen zur Zerstörung des Falschen pflichttreu weiterkämpfen: Da blätterte der angeklatschte Schmuck, es schmolz das unechte Metall, die Kruste wurde mürbe, der Gasdunst der Verwesung strich durch das Reich, und alle stolze 11 Thomas F. Schneider u. Hans Wagener, ›Einleitung‹, in: dies. (Hg.), Von Richthofen bis Remarque: Deutschsprachige Prosa zum I. Weltkrieg (Amsterdam u. New York: Rodopi, 2003), S. 11–16, hier S. 13.
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Nachspiele
Bindung faserte und brach. Er riß die Masken vom Gesicht, und wessen die Lüge war, der stand in Lüge nackt im Raum und bloß, und wessen das Suchen war, der tastete in leerem Raum.12
Die Freude an der Zerstörung des ›Unechten‹ kulminiert in einer Phantasie über die Vernichtung der menschlichen Welt: Der Gott der Rache hatte seine Würgeengel. […] Sprengstoff unter diesen verrotteten, stinkenden Brei, daß der Dreck bis an den Mond spritzt. Wie sich die Welt wohl ohne Menschen schickt? Ich würde durch die qualmenden Räume streifen, durch die fahlen, entvölkerten Städte, in denen der Leichenduft das letzte Leben erstickte, der ganze Plunder hinge dann in traurigen Fetzen von den gespaltenen Wänden und zeigte die hohlen Wünsche nackt.13
Von Salomon imaginiert die zivilisierte Welt als einen »verwesenden Kadaver«, dessen ansteckender Pestgestank von den Kriegern »in alle Winde« getragen werden sollte.14 Die realen Geruchslandschaften der kriegerischen Freikorps-Kämpfe nehmen sich indessen komplizierter aus. Zur Erde des eroberten Landes mit ihren Gerüchen unterhält der Erzähler ein geradezu erotisches Verhältnis: Mit jedem Atemzuge füllte ein sonderbar herber Geruch die Lungen. Fast schmerzhaft würzig drang er durch den ganzen Körper. Dieser Dunst der kurländischen Erde ließ mich dumpf spüren, was uns dies Land zu bieten hatte. Ich krallte die Finger in die satte Erde, die mich anzusaugen schien. Diesen Boden hatten wir erobert. Nun forderte er von uns; auf einmal war er uns verpflichtendes Symbol.15
Unter den Freikorps sind »deutsche Bataillone, gebildet aus bäuerlichen Menschen […], die« – ihrer besonderen Bindung an den Erdboden entsprechend – »den Boden rochen«; die Erde wird teils wie ein lebendiger Körper wahrgenommen. Der Wohlgeruch des Bodens, der für den Ich-Erzähler zur Region des »deutschen Herrentumes« gehört, wird mit dem Gestank von Leichen des Feindes kontrastiert:16 Wieder stieg aus der Erde jener sonderbar herbe Geruch, der mir seit dem Mai, als ich das erste mal diesen Weg schritt, stets in Erinnerung geblieben war. Freilich mischte sich damals der beizende Qualm brennenden Gebälks in den Dunst, und der widerliche Gestank der in der glühenden Maisonne verwesenden Bolschewistenleichen, die überall herumlagen, nahm dem Duft der aufbrechenden Erde beträchtlich von seiner 12 Ernst von Salomon, Die Geächteten [1930] (Salenstein: Unitall, 2011), S. 91. 13 Ebd., S. 288. 14 Ebd., S. 320; zur patriotischen Verschwörung als einem Pestgeruch, der das Bürgertum heimsucht, siehe S. 220–221. 15 Ebd., S. 57. 16 Ebd., S. 62. Zum belebten Boden siehe S. 81 u. 140; der Boden scheint hier stöhnen bzw. atmen zu können.
Ambivalenzen
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Frische. […] Ich wußte noch ganz genau, wie mir damals dieser Geruch alles in sich zu vereinigen schien, was mich in Kurland an Hoffnung und Gefahr bewegte.17
Der »Widerwille vor den Gerüchen der anderen« oder ›des Anderen‹, bei denen es sich um eine fremde »Rasse«,18 einen Verräter, alle unheroisch lebenden Menschen19 oder – für kurze Zeit – auch die eigene, im fremdbestimmten Gefängnisleben ihrer Vitalität beraubte Hand handeln kann,20 bildet eine Konstante im Roman. Zwischen dem Gestank des feindlichen Anderen, das die eigenen Grenzen bedroht und bisweilen in den eigenen Körper vorzudringen scheint, und der Frische des lebendigen Eigenen liegt nun ein Zwischenraum, in dem sich heroische Krieger erst richtig heimisch fühlen, »weil ihnen die fernen Felder immer neue, gefährliche Dünste atmeten, weil ihnen überall der Ruch herber Abenteuer winkte«.21 Das Gegenstück zum muffigen Dunst eines Lebens in Unfreiheit22 oder der »satanischen Luft«23 einer feindlichen Stadt ist nicht die leichte Frischluft, sondern eine mit – allerdings sauberen – Sumpfgasen angereicherte Atmosphäre: Gerade das Gefühl, inmitten dieser lieblichen Landschaft eigentlich immer auf schwankendem Sumpfboden zu stehen, der unablässig seine Blasen warf, hatte doch dem Kriege hier oben den bewegten, ständig wechselnden Charakter gegeben, der vielleicht schon den deutschen Ordensrittern jene schweifende Unruhe vermittelte, die sie stets von neuem aus ihren festen Burgen zu kühnen Fahrten trieb. […] Die weite Ebene, in der wir nun […] auf der schmalen, erdigen Straße hineinmarschierten, atmete einen anderen Dunst aus, als wir ihn von den Schlachtfeldern des großen Krieges her kannten. Die Landschaft von sanfter und heimtückischer Lieblichkeit breitete sich vorsichtig hin und ließ doch ahnen, daß hinter manchem Busch sich lauernd züngelnde Feindseligkeit verbarg.24
Der heroische Krieger verwirklicht sich im Kontakt mit dem Feind, dessen anziehende Gewalt in den frischen, durch den Boden gefilterten Gasen sinnfällig zum Ausdruck kommt. Daß diese Gase den ganzen Körper durchdringen kön17 18 19 20 21 22 23 24
Ebd., S. 100. Ebd., S. 146. Ebd., S. 251; vgl. S. 291. Ebd., S. 341. Mit Blick auf die eigene Hand konstatiert der Erzähler : »Ich glaube, ich rieche Verwesung«. Ebd., S. 55. Ebd., S. 306 u. 364. Ebd., S. 142. Ebd., S. 100–101. In Georg Kaisers Roman Villa Aurea [1939] nimmt der russische IchErzähler, der bald desertieren wird, die sumpfige Waldluft an der Front als entmutigend wahr : »Wir werden den Befehl noch einmal wiederholen und die Signale hell schmettern lassen. / Dann ist der Bann gebrochen – der fürchterliche Bann, den dieser Wald aushaucht. Mit seiner giftigen Sumpfluft. / Ist das Gift denn stärker? Stärker als die Zucht, die willig sonst gehorchte?« (Walther Huder (Hg.), Georg Kaiser. Werke (Frankfurt am Main u. a.: Propyläen, 1971–72), Bd. 4 (1971), S. 337–478, hier S. 365–366)
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nen,25 ohne das Selbstverständnis des Kriegers zu kränken, verweist auf die ekstatische Qualität des militärischen Kampfes. Im Augenblick des Tötens entgrenzt sich der Krieger als Zentrum des Vernichtungserlebnisses in den Prozeß der Zerstörung: War es nicht, als spürte ich an den zuckenden Metallteilen des Gewehrs, wie das Feuer in warme, lebendige Menschenleiber schlug? Satanische Lust, wie, bin ich nicht eins mit dem Gewehr? Bin ich nicht Maschine – kaltes Metall? Hinein, hinein in die wirren Haufen; hier ist ein Tor errichtet, wer das passiert, dem wurde Gnade.26
Aus dieser Sicht sind Bedrohung, Zerstörung und Sinngebung simultane Aspekte einer Lebensform, deren sinnliche Attraktion in der herausfordernden Atmosphäre des Bodens und der positiven Kriegsgerüche zum Ausdruck kommt. So kann der Krieger »erregt« »Pulvergase« einatmen und sich beim Schießen als Erregungsabfuhr entspannen.27 Klaus Theweleit hatte von Salomons Freikorpsroman als Beispiel für eine faschistische Mentalität interpretiert, die für einen Männertypus kennzeichnend ist, der kein stabiles ›Ich‹ aufweist, weil er die Bindung an die Mutter aufgeben mußte, ohne sich aus der Symbiose mit ihr gelöst haben zu können; ein solcher Mann erlebt jede Art von ›selbstständiger lebendiger Bewegung‹ als eine diffuse Bedrohung. Der von Theweleit analysierte, faschistische Typus erhält seine stets instabilen Grenzen über die lustvoll erlebte Vernichtung selbständig-lebendiger Wesen. Das ›Ich‹ muß in ›ständiger Arbeit‹ ›gegen den drohenden Zerfall‹ erzeugt werden, und es braucht ›den gesamten Weltkörper als symbiotischen Leib‹ seiner ›Überlebensversuche‹.28
Das ekstatische Kampferlebnis und die symbiotische Beziehung des Kriegers zum bedrohlichen Anderen hat Theweleit bereits herausgearbeitet, und das Begehren nach einer wechselseitigen Durchdringung von Körper und Erde im Medium des Riechens scheint seine Befunde zu bestätigen. Die für den faschistischen Mann typische Auffassung vom Kampf als reinigender Abwehr von Schmutz, die Theweleit materialreich belegt, wird durch den Geruchssinn insofern kompliziert, als Gestank, der sich nicht einfach wegstoßen läßt, auf der Hautoberfläche spielt und das Selbstbild des Kämpfers als Reiniger kränken kann. Nun wirkt Verwesungsgeruch von Kriegsleichen, der in von Salomons Text immer vom toten Feind ausgeht, zwar abstoßend, doch die Freude an einem 25 26 27 28
Von Salomon, S. 57. Ebd., 86; vgl. S. 74. Ebd., S. 65; zur Entspannung durchs Schießen siehe ebd., S. 117. Frank Krause, Mütterlichkeit unter Geliebten und Kameraden. Zeitdiagnosen über Genderkrisen in deutscher und englischer Prosa (1918–1933) (Göttingen: V& R unipress, 2014), S. 156–157. Die zitierten Stellen sind Klaus Theweleit, Männerphantasien, 2 Bde (Frankfurt am Main: Roter Stern, 1977–78), Bd. 1, S. 269 u. Bd. 2, S. 283 entnommen (zwei Zitierfehler wurden nachträglich korrigiert).
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Sonnenbad lassen sich die Kämpfer vom Gestank verwesender Gegner nicht verderben.29 Gerüche des Verfalls passen nicht immer in die Dichotomie von sauberen Gasen der erdigen Gärung und ›schmutzigem‹ Gestank, dessen Quelle mit feindseligem Affekt zu zerstören wäre – gelegentlich müssen Zonen des Verwesungsgeruchs passiv ertragen werden. In dieser Situation hilft nur noch der Selbstgenuß des Leibes, der die eigene Widerstandskraft bestätigt, und als Eindruck, der allen bürgerlichen Werten sinnfällig zuwider ist, wird der Gestank zum Vorschein einer atmosphärisch reinen Zukunft. Der ungetrübte körperliche Selbstgenuß in einer olfaktorisch unreinen Atmosphäre bildet das kontemplative Gegenstück zur schmutzigen Arbeit des Reinigers. Identität erhält sich zwar nach dem Muster des Ekels, denn Urheber einer »Krise der Selbstbehauptung gegen eine unassimilierbare Andersheit«30 werden mit Gewalt abgewehrt. Als Anzeichen der Zersetzung eben dieser Andersheit läßt sich der Leichengeruch des Feindes aber – bei allem Ekelpotential – zur Not auch gelassen ertragen. Die unterschiedlichen Ansichten zum Krieg, die in Kap. II. 4.–6. behandelt wurden, erfüllen – bei allen Differenzen – immer auch eine zeremonielle Funktion, indem sie dem Leichengeruch aus der Sicht einer verbindlichen symbolischen Ordnung einen kulturellen Platz anzuweisen.31 Ob der Gestank diese Ordnung zu Recht oder Unrecht stört oder sinnstiftend wirkt: die Literaten 29 Salomon, S. 111 u. 213. 30 Menninghaus, S. 7. 31 Die Aufmerksamkeit, die das Thema der säkularen ›Ersatzrituale‹ beim Umgang mit Toten zur Zeit genießt, verdankt sich nicht zuletzt den Problemen und Neuerungen der gegenwärtigen Bestattungspraxis. Da es keinen verbindlichen nachmetaphysischen Totenkult gibt, verlassen sich auch Bestattungszeremonien, die in einem säkularen Geist vollzogen werden, oft teils oder ganz auf Formen des religiösen Ritus, dessen Substanz aus profaner Sicht eigentlich aufgezehrt ist. Im Lichte des Befundes, daß das Totengeleit auch für Christen lange Zeit keine religiöse Zeremonie war, erweisen sich einschlägige Rituale freilich in erster Linie als Formen symbolischer Reproduktion von Solidarität, deren Sinn erst nachträglich in den Horizont religiöser Lehren eingeholt wurde. Posttraditionale Formen der Religiosität nehmen jenes Problem derweil ebenso gelassen wie jene, die über die eigene Leiche als Medium der posthumen Selbstinszenierung verfügen wollen (siehe Jürgen Habermas, ›Ein Bewußtsein von dem, was fehlt‹, in: Ein Bewußtsein von dem, was fehlt, hg. v. Michael Reder u. Josef Schmidt (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008), S. 26–36, hier S. 26–27; Antje Kahl, ›Der tote Körper als Transzendenzvermittler : Spiritualisierungstendenzen im gegenwärtigen Bestattungswesen‹, in: Dominik Groß, Julia Glahn u. Brigitte Tag (Hg.), Die Leiche als Memento mori. Interdisziplinäre Perspektiven auf das Verhältnis von Tod und totem Körper (Frankfurt am Main u. New York: Campus, 2010), S. 203–238; Dominik Groß u. Martina Ziefle, ›Im Dienst der Unsterblichkeit? Der eigene Leichnam als Mittel zum Zweck‹, in: Dominik Groß u. Jasmin Grande (Hg.), Objekt Leiche. Technisierung, Ökonomisierung und Inszenierung toter Körper (Frankfurt am Main u. New York: Campus, 2010), S. 545–581; Philippe AriHs, Geschichte des Todes [frz. 1978; dt. 1980] (München: dtv, 2009), S. 188–189). Zu poetischen Ersatzformen für Rituale siehe auch die Randbemerkung von Jürgen Habermas, Nachmetaphysisches Denken II. Aufsätze und Repliken (Berlin: Suhrkamp, 2012), S. 111.
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treten als Meister poetischer Exerzitien mit allgemein verbindlichem Anspruch auf. Sie nehmen die Rolle eines ›universalen‹ Intellektuellen an,32 der zur kriegsbedingten Störung des Totengedenkens kritisch Stellung nimmt. Mit ihren konkurrierenden Versuchen, Leichengeruch als Zeichen der Dehumanisierung, Devitalisierung oder Sinnstiftung zu gestalten, werben die Autoren jeweils für eine der zentralen Positionen im öffentlichen Streit um die maßgebende kulturelle Codierung der Kriegstoten, die als Opfer skandalöser oder bedrohlicher Umstände, würdige Märtyrer oder Helden erinnert werden. Diese poetischen Ersatzrituale sind auf eine Denormalisierung zugeschnitten, die meist als Problem erfahren wird. Die Freikorps leben hingegen in einem denormalisierten Alltag, der als Alternative zur von bloßen Privatinteressen beherrschten bürgerlichen Gesellschaft gänzlich bejaht wird; die symbolische Beschwörung des Sinns, der das Sterben rechtfertigt, ist in die Kampfpraxis eingegangen, aus deren Perspektive nun auch der Leichengeruch codiert wird. Gewiß, schon Schauwecker und Jünger hatten die Haltungen von Soldaten sakralisiert, die in der Lebensform des Kriegers aufgehen, doch von Salomon kämpft im Anschluß an eine militärische Niederlage, die eine apokalyptische Deutung der Nachkriegszeit zu rechtfertigen scheint, die auch auf literarische Codierungen des Leichengeruchs durchschlägt.
2.
Mehrdeutigkeiten
Daß ein ästhetisch riskantes Thema, das vormals der avancierten Literatur vorbehalten war,33 Ende der 1920er Jahre auch in die Unterhaltungsliteratur Eingang findet, läßt vermuten, daß Kriegserfahrungen und Kriegstexte dazu beigetragen haben, die Hemmschwelle für dessen Verwendung zu senken: in Dorothy L. Sayers Kriminalroman The Unpleasantness at the Bellona Club [1928], der von einem Mord im Veteranenmilieu am remembrance day handelt, versprüht der obduzierende Arzt Dr. Penberthy bei der Exhumierung einer Leiche Formalin »like an infernal thurifer at some particularly unwholesome 32 Vgl. Michel Foucault, ›Truth and Power‹, in: Paul Rabinow (Hg.), The Foucault Reader (New York: Pantheon, 1984), S. 51–75, insb. S. 68. 33 Das Motiv des Leichengestanks gilt in der Avantgarde nicht nur als positives Zeichen, doch seine destabilisierende Wirkung wird in der Regel begrüßt; ein Beispiel dafür findet sich bei der surrealistischen Künstlerin Claude Cahun: »Le catholicisme a bien fait les choses; il s’en vante. Pour familiariser cette enfant avec la mort, on lui fit palper, renifler des cadavres; on la coucha des nuits dans le lit de sa sœur agonisante. […] Catholicism has done things well; it prides itself on this. In order to make this little girl familiar with death, they made her touch and sniff at corpses; they made her lie for nights on end in the bed of her dying sister.« (Juan Vicente Aliaga, Claude Cahun (Valencia: Generalitat Valenciana, 2001), S. 220)
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sacrifice.«34 Ein wirkungsgeschichtlicher Zusammenhang zwischen der Literatur zum Ersten Weltkrieg und anderen Texten, die solche Themen ansprechen, ist jedoch kaum zu erbringen, und die im folgenden skizzierten Beispiele verdanken sich Fragestellungen, die jener Kriegsliteratur fremd sind. Der langfristige Trend zur Komplizierung der Effekte von Motiven des Leichengeruchs zeigt sich zum einen in Texten, die aus säkularer Sicht der Signatur vergangener historischer Perioden nachspüren. Virginia Woolf setzt das Motiv noch als einfaches ethisches Symbol ein: ihr Roman Orlando [1928] beschwört den Geruch verrottender Leichen an Galgenbäumen im elisabethanischen England als sinnfälliges Zeichen eines epochalen Lebensgefühls herauf, das im Sinn für Gefahr, Unsicherheit, Lust, Gewalt, Poesie und Schmutz aufgeht.35 Auch Mela Hartwigs Novelle ›Die Hexe‹ [1928], die während des Dreißigjährigen Kriegs spielt, codiert Leichengestank auf transparente Weise. Die Atmosphäre, in der die christlichen Figuren leben, soll Glaubensformen des 17. Jahrhunderts spiegeln; so hat eine schwangere Frau religiöse Angst davor, den Säugling der verstorbenen Frau eines gerade hingerichteten Verbrechers ins Haus zu lassen, und beschwört ihren Mann: Du spürst das nicht: diese giftige Ausdünstung aus dem Fleisch und Blut des Mörders und seiner Hure. Liederliche Gedanken bedrängen mich, widerliche Gelüste. Aas verpestet die Luft in meiner Stube. Ich werde geil wie eine Katze in diesem warmen Gestank des Todes. Ich gehe auf die Straße. Was ist noch heilig, wenn du mir diesen Bastard in mein Bett legst?36
Das dämonisierte Mädchen wird nun ausgesetzt, wächst sprachlos in einem Trappistenkloster auf und entwickelt einen ausgeprägten Geruchssinn; Gold oder Wasser, das unter der Erde verborgen ist, kann es schon von weitem wittern. Die Erzählung stellt das Riechen als einen Modus des vorsprachlichen Erkennens dar, der die Welt im Lichte magischer Vorstellungen erscheinen läßt. Das gilt auch für die Figuren, die schon als Kinder sprechen lernten; diese legen ihre sinnlichen Erfahrungen aber im Lichte eines Hexen- und Teufelsglaubens aus, der als zeittypischer Zugang zu Konflikten zwischen leiblichem Begehren und sprachlich verfaßtem Normbewußtsein dargestellt wird. Woolf spielt mit der transgressiven Lust am Ekel, und Hartwig entdeckt hinter der Verekelung eine weniger verdrängte als verteufelte Lust; beide legen eine Tiefenschicht des Begehrens frei, die in Däublers Darstellung mittelalterlicher 34 Dorothy L. Sayers, The Unpleasantness at the Bellona Club [1928; rev. Fassg. 1935] (London: Gollancz, 1947), S. 96. Im Vergleich mit Kriminalromanen der Gegenwart fällt diese Umschreibung freilich eher verhalten aus (vgl. z. B. Mike Steinhausen, Rachebrüder. Ein RuhrKrimi (Stuttgart: Gmeiner, 2015), S. 70). 35 Virginia Woolf, Orlando [1928] (Ware: Wordsworth, 2003), S. 110. 36 Mela Hartwig, ›Die Hexe‹, in: dies., Ekstasen. Novellen [1928], hg. v. Hartmut Vollmer (Frankfurt am Main u. Berlin: Ullstein, 1992), S. 209–245, hier S. 209–210.
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Deutungen der Pest noch keine Rolle spielte. In späteren Texten mit postmodernen Zügen fallen Motive des Leichengeruchs im diagnostischen Rückblick auf frühere Perioden dagegen oft zweideutiger aus. Saleem Sinai aus Salman Rushdies magisch-realistischem Roman Midnight’s Children [1981] entwickelt eine »science of nasal ethics«, derzufolge der Gestank von Kriegsleichen dem »smell of unfairness« ähnlich ist; beide waren »capable of bringing tears to the buddha’s eyes«. Der geschichtliche Bezug des Motivs zum Bangladesh-Krieg ist offenkundig, doch Saleems Nase hat magische Kräfte: der Leichengestank ist nicht für sich genommen ein Geruch der Ungerechtigkeit, sondern ähnelt ihm und verweist auf okkulte Mächte, die allerdings dargestellt werden, als ob sie wie selbstverständlich zu einer über weite Strecken realistisch geschilderten Welt gehörten. So strömen Gespenster im Stadium des fortgeschrittenen Verfalls einen »unholy stench« wie zum Beispiel den »sulphurous« »stench of Hell« aus, der Schuldgefühle hervorruft; Verfallsgeruch verweist auf ungelöste Schuld, doch da dieser Sinngehalt auf eine paranormale ›Tiefenschicht‹ der Realität verweist und Oberfläche und Tiefe in einem unauflösbaren Spannungsverhältnis stehen, bleiben auch die olfaktorischen Kontaktstellen der Realitätsschichten mehrdeutig.37 Anders als bei Woolf oder Hartwig offenbart die Tiefenschicht keinen wahren Sinn, der den oberflächlichen Anschein des Objektiven zuverlässig überbietet, sondern triftige Orientierungen, die sich dem Anspruch auf allgemein verbindliche Geltung zugleich entwinden; der Geruchssinn ist besonders dazu geeignet, partikulare Sollgeltungen dieser Art aufzuspüren. In Patrick Süskinds Roman Das Parfum [1985] hatte Jean-Baptiste Grenouilles Mutter ungewollte Geburten routiniert während der Arbeit am Fischstand direkt an einem Friedhof zusammen mit dem Gekröse verschwinden lassen, und auch am 17. Juli 1738 scheint es wieder so weit zu sein: Es war einer der heißesten Tage des Jahres. Die Hitze lag wie Blei über dem Friedhof und quetschte den nach einer Mischung aus fauligen Melonen und verbranntem Horn riechenden Verwesungsbrodem in die benachbarten Gassen. Grenouilles Mutter stand, als die Wehen einsetzten, an einer Fischbude in der Rue aux Fers und schuppte Weißlinge, die sie zuvor ausgenommen hatte. Die Fische, angeblich erst am Morgen aus der Seine gezogen, stanken bereits so sehr, daß ihr Geruch den Leichengeruch überdeckte. Grenouilles Mutter aber nahm weder den Fisch- noch den Leichengeruch wahr, denn ihre Nase war gegen Gerüche in hohem Maße abgestumpft, und außerdem schmerzte ihr Leib, und der Schmerz tötete alle Empfänglichkeit für äußere Sinneseindrücke.38
37 Salman Rushdie, Midnight’s Children [1981] (London: Vintage, 2006), S. 387, 389, 442, 518 u. 561. 38 Patrick Süskind, Das Parfum [1985] (Zürich: Diogenes, 1995), S. 7.
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Das Ausbleiben einer Reaktion auf den Leichengestank verdankt sich einer hohen Ekelschwelle und der Machtlosigkeit gegenüber dem Schmerz des eigenen Körpers; dem entspricht eine Indifferenz gegenüber dem leidenden Neugeborenen und seiner erbärmlichen Umwelt. Das Lesepublikum wird mit einer vormodernen Gleichgültigkeit gegenüber Gestank im öffentlichen Raum konfrontiert, die – wie in Kap. I. 2. angedeutet wurde – erst ab der Mitte des 18. Jahrhunderts einer empfindlicheren Geruchswahrnehmung zu weichen beginnt. Jean-Baptiste überlebt die Umstände seiner Geburt, und in seiner lieblosen Umgebung lebt er nur »aus reinem Trotz und aus reiner Bosartigkeit«39 weiter. Er hat ein übermenschlich anmutendes Gespür für Gerüche und wird zu einem genialen Parfümeur, der auf der Suche nach Ingredienzen für das perfekte Parfüm eine Reihe junger Mädchen tötet, um ihre Düfte einzufangen. Der Fischund Leichengestank zu Anfang der Erzählung verweist auf die sinnliche Abstumpfung und gedankenlose Grausamkeit einer Mitwelt, die ungeplant dazu beiträgt, Grenouilles feine Sinne von allen Bedürfnissen der »Seele« nach »Geborgenheit, Zuwendung, Zärtlichkeit« und »Liebe«40 zu entkoppeln. Auch der Gestank in einer Gerberei, in der Grenouille anfangs seinen Unterhalt verdient, gehört zu einer brutalen Welt, doch er verrichtet die Arbeit mit stinkenden »Hautleichen« mit erstaunlicher Widerstandskraft.41 Die gegen Leiden unempfindliche Art, in der Leichengeruch im Roman pariert wird, kontrastiert mit den emotionalen Irritationen, die sich aus moderner Sicht einstellen. Grenouille wird den Lesern mit seiner wachsenden Freude an künstlichen Düften zwar nähergebracht, doch der Protagonist wird dabei nicht empfindlicher gegen das Leiden anderer, sondern verstrickt sich in ein amoralisches, ästhetisch motiviertes Nutzenkalkül. Die Leser werden angeleitet, die Perspektive eines Serienmörders nachzuvollziehen und ihr moralisches Urteil zeitweilig auszuklammern; beim Genuß der Lektüre geraten sie so teilweise in eine Position, deren ästhetischer Feinsinn zu Lasten sozialer Gefühle mit Grenouilles Ausblick vergleichbar ist. Zugleich wird der Sinn abstoßender olfaktorischer Motive, die oft detailliert geschildert werden, zweideutig; sie können ebenso der transgressiven Lust am Ekel wie der kritischen Erhellung von Grenouilles Kindheit dienen. Dabei werden emotionale Abgründe und historische Einsichten freigelegt, die sich nicht zu einem kohärenten Sinn fügen; die historische Welt und die Standards der Gegenwart berühren sich nur in der Form einer wechselseitigen Relativierung. In seiner Vorrede zum ersten Band des Hyperion [1797] hatte Friedrich 39 Ebd., S. 28. 40 Ebd. 41 Ebd., S. 41.
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Hölderlin, der hinter den »Dissonanzen der Welt« eine versöhnende, von allen geteilte »Seele« der Natur zu vernehmen suchte, vor einer Lektüre seines Buchs gewarnt, die über dem sinnlichen Genuß und der Gedanklichkeit die liebende Anteilnahme an der Hauptfigur vernachlässigt: »Wer bloß an meiner Pflanze riecht, der kennt sie nicht, und wer sie pflückt, bloß, um daran zu lernen, kennt sie auch nicht.«42 Süskinds Roman bewegt sich indessen zwischen eben diesen Polen; eine – allerdings perverse – Art von »Liebe« zeigt sich lediglich im Kannibalismus der Verbrecher und Mörder, die Grenouille auf einem von starkem »Leichengestank« durchzogenen Friedhof beglückt verschlingen, nachdem er sich mit seiner perfekten Kreation in vollem Wissen um deren Wirkung übergossen hatte.43 Hyperion hatte in einem Moment der Verzweiflung erwogen: »Wär es nur nicht gar zu trostlos, allein sich unter die närrische Menge zu werfen und zerrissen zu werden von ihr!«44 Als Grenouille zerlegt und verspeist wird, hält ihn die Menge im olfaktorischen Rausch für einen menschlichen Engel; die heilige Schönheit, die Hölderlin und der Frühromantik als Offenbarung des geteilten Urgrunds aller Wesen galt, wird zu einer Illusion, die das Abscheuliche im Augenblick seines Verzehrs überhöht.
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Schon Konrad Seiffert verfährt auf paradoxe Weise, wenn er das ausweglose Dilemma des Soldaten, zwischen desensitivierter Selbstbehauptung und desorientierter Empfindlichkeit wählen zu müssen, aus der Sicht eines Betroffenen anklagt. Das Ausharren in der paradoxen Perspektive verdankt sich einer Denormalisierung, die so umfassend ist, daß die kulturell eingespielten Formen der Kritik an ihr versagen. Im Unterschied zur Literatur über den Ersten Weltkrieg aus der Zeit um 1914–1939 fallen spätere zeithistorische Diagnosen über andere Denormalisierungen häufiger paradox aus; in den nun zu skizzierenden Beispielen ist die umfassende Entfremdung des kritischen Bewußtseins von den faktischen Verhältnissen zum Regelfall geworden. In seinen Lettres / un ami allemand [1944] vergegenwärtigt Albert Camus die Leiden der jüngsten Geschichte mit einer Rhetorik, die den Gesichts- und Geruchssinn anspricht, um die emotionale Wirkung einer überwältigend schmerzhaften Einsicht zu steigern, deren konstruktiver Effekt vielleicht verschwindend gering bleibt: 42 Friedrich Hölderlin, Hyperion oder der Eremit in Griechenland [1797–1799] (Stuttgart: Reclam, 1998), S. 5 u. 178. 43 Süskind, S. 318 u. 320. 44 Hölderlin, S. 169.
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Des centaines de milliers d’hommes assassin8s au petit jour, les murs terribles des prisons, une Europe dont la terre est fumante de millions de cadavres qui ont 8t8 ses enfants, il a fallu tout cela pour payer l’acquisition de deux ou trois nuances qui n’auront peut-Þtre pas d’autre utilit8 que d’aider quelques-uns d’entre nous / mieux mourir.45
Camus kombiniert die Rhetorik des überwältigenden Entsetzens aber mit der ethischen Haltung, der metaphysischen Sinnlosigkeit der Welt und ihrer Geschichte ins Auge zu sehen und konkretes Leiden zum Anlaß zu nehmen, dem Sinn für Gerechtigkeit treu zu bleiben. Aus diesem Blickwinkel verstärkt selbst der Todesgeruch noch die widerstandsbereite Treue zu den Werten, deren Mißachtung er sinnfällig macht.46 Camus hatte diese Technik bereits in den 1930er Jahren in einem Text erprobt, in dem der Verwesungsgeruch von Tieren auch die conditio humana erhellt:47 Une autre fois, j’habitais dans une villa de banlieue, seul avec un chien, un couple de chats et leurs petits, tous noirs. La chatte ne pouvait les nourrir. Un / un, tous les petits mouraient. Ils remplissaient leur piHce d’ordures. Et chaque soir, en rentrant, j’en trouvais un tout raidi et les babines retrouss8es. Un soir, je trouvai le dernier, mang8 / moiti8 par sa mHre. Il sentait d8j/. L’odeur de mort se m8langeait / l’odeur d’urine. Je m’assis alors au milieu de toute cette misHre et, les mains dans l’ordure, respirant cette 45 Albert Camus, Lettres / un ami allemand [1944] (Paris: Gallimard, 1948), S. 80–81. »Hunderttausend im Morgengrauen ermordete Menschen, die entsetzlichen Gefängnismauern, ein Europa, dessen Erde von Millionen Leichen seiner Kinder dampft, das alles war nötig, um den Erwerb von zwei oder drei Nuancen zu bezahlen, die vielleicht keinen anderen Nutzen haben werden, als ein paar wenigen unter uns zu einem sinnvolleren Tod zu verhelfen.« (Albert Camus, ›Briefe an einen deutschen Freund‹, in: ders., Kleine Prosa (Rowohlt: Reinbek bei Hamburg, 1967), S. 77–98, hier S. 98 [vierter Brief, Juli 1944]) 46 Beispiele für Darstellungen von Leichengeruch in Vernichtungslagern des NS-Staats untersucht Rindisbacher, S. 239–267; siehe dazu auch Evadne Price, Interview (in Sidney, 13. Mai 1977), Tonband Nr. deB 996–7, Hazel de Berg Collection, Transcript veröffentlicht in David Foster (Hg.), Self Portraits (Canberra: National Library of Australia, 1991), S. 107–114, hier S. 109. Dieses Thema bedürfte einer eigenständigen Untersuchung, die auch die ethische Problematik sachlicher Zugänge aus der Perspektive der Täter zu berücksichtigen hätte. W. G. Sebalds Klage über das Ausbleiben einer sachlichen Darstellung der Folgen des Luftkriegs in der deutschen Literatur über das Leben nach dem Zweiten Weltkrieg verweist auf eine weitere ethische Komplikation, die hier nicht berücksichtigt werden kann (siehe W. G. Sebald, Luftkrieg und Literatur [2001] (Frankfurt am Main: Fischer, 2003); zur olfaktorischen Seite der Kriegsfolgen siehe ebd., S. 42 u. 73; zur Sachlichkeit des literarischen Verständnisses von Wahrheit siehe ebd., S. 59). 47 Auch die in Kap. II behandelten Techniken zur poetischen Codierung des Leichengeruchs überschneiden sich zum Teil mit Methoden zur Codierung des Gestanks, der von Tierleichen ausgeht. In Gabriele D’Annunzio, ›Pferde ohne Zahl‹, in: Horst Lauinger (Hg.), Über den Feldern. Der Erste Weltkrieg in großen Erzählungen der Weltliteratur (Zürich: Manesse, 2014), S. 120–127, hier S. 127, »verschlägt« der Leichengeruch einem Kirchturmhahn »den Atem«, und er fungiert damit als Zeichen der Verstörung eines Tiers, das einem sakralen Bezirk zugehört; vgl. auch Modris Eksteins, Rites of Spring. The Great War and the Birth of the Modern Age (London u. a.: Bantam, 1989), S. 153.
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odeur de pourriture, je regardai long-temps la flamme d8mente qui brillait dans les yeux verts de la chatte, immobile dans un coin. Oui. C’est bien ainsi ce soir. f un certain degr8 de d8nuement, plus rien ne conduit / plus rien, ni l’espoir ni le d8sespoir ne paraissent fond8s, et la vie tout entiHre se r8sume dans une image. Mais pourquoi s’arrÞter l/? Simple, tout est simple, dans les lumiHres des phares, une verte, une rouge, une blanche; dans la fra%cheur de la nuit et les odeurs de ville et de pouillerie qui montent jusqu’/ moi. Si ce soir, c’est l’image d’une certaine enfance qui revient vers moi, comment ne pas accueillir la leÅon d’amour et de pauvret8 que je puis en tirer? Puisque cette heure est comme un intervalle entre oui et non, je laisse pour d’autres heures l’espoir ou le d8go0t de vivre. Oui, recueillir seulement la transparence et la simplicit8 des paradis perdus: dans une image.48
Das Bild eines höchst erbärmlichen Leidens, das zugleich die vernichtende Gewalt der Armut über den Willen zur Sorge für den Nachwuchs anzeigt, wird durch die Geruchsmotive zwar in seinen abstoßenden, potentiell entmutigenden Qualitäten gesteigert; doch aus der Sicht eines Betrachters, der mütterliche Sorge unter Bedingungen der Armut genossen hat, erinnert das Bild an eben diejenige liebende Haltung, die in der thematischen Situation entmachtet ist. Der Todesgeruch wird im Lichte einer paradoxen Deutung codiert, die in der untröstlichen Entrechtung die unveräußerliche Gültigkeit eines entmachteten Anspruchs erblickt, ohne sich dem Zwang zur Auflösung des damit verbundenen Widerspruchs von Faktizität und idealer Geltung auszusetzen. Das gilt auch für den »odeur de mort« in Camus’ Roman La Peste [1947]: der Erzähler plädiert dafür, den Geruch der Pestopfer unsentimental im Lichte eines Sinns für Gerechtigkeit wahrzunehmen, der abstoßend und lächerlich wirkt [»hideuse et 48 Albert Camus, L’envers et l’endroit [1937] (Paris: Gallimard, 1958), S. 66–68. »Ein anderes Mal wohnte ich in einem Haus außerhalb der Stadt, allein mit einem Hund, zwei Katzen und ihren Jungen, die alle schwarz waren. Die Katzenmutter vermochte sie nicht zu ernähren. Die Jungen starben eines nach dem anderen. Sie füllten ihren Raum mit Unrat. Und jeden Tag fand ich beim Heimkommen wieder eines ganz steif, mit hochgezogenen Lefzen. Eines abends entdeckte ich das letzte schon halb von seiner Mutter aufgefressen. Es stank bereits. Der Geruch der Verwesung vermischte sich mit dem des Urins. Da setzte ich mich mitten in all dieses Elend, ließ meine Hände in den Schmutz sinken, atmete den Fäulnisgeruch ein und betrachtete lange das irre Funkeln, das in den grünen Augen der unbeweglich in einem Winkel kauernden Katze brannte. Ja. Genauso ist es auch heute abend. Wenn ein gewisser Grad der Not erreicht ist, führt nicht mehr zu nichts mehr, weder Hoffnung noch Verzweiflung scheinen begründet, und das ganze Leben erschöpft sich in einem Bild. Aber warum dabei stehenbleiben? Einfach – alles ist einfach im wechselnden Lichtstrahl des Leuchtturms, grün, rot, weiß; in der Kühle der Nacht und den Gerüchen der Stadt und des Elends, die bis zu mir heraufdringen. Wenn es heute abend das Bild einer bestimmten Kindheit ist, das zu mir zurückkehrt, wie sollte ich da nicht die Lehre von Liebe und Armut annehmen, die ich daraus ziehen kann? Da doch diese Stunde gleichsam eine Pause ist zwischen ja und nein, verspare ich auf andere Stunden die Hoffnung oder die Abscheu vor dem Leben. Ja, einzig die Durchsichtigkeit und Einfachheit der verlorenen Paradiese fassen: in ein Bild.« (Camus, ›Licht und Schatten‹, in: ders., Kleine Prosa, S. 33–76, hier S. 57–58)
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d8risoire justice«].49 Dieses paradoxe Gefühl verdankt sich einer legitimen Isolierung der Pestkranken, die eine sozialhygienisch begründete Anwendung von Zwangsmitteln erfordert, die für alle Beteiligten gleichermaßen schmerzhaft ist. Das Paradox einer gerecht geregelten Unfreiheit zeigt sich zudem in einer Situation, die unauflösbar mehrdeutig bleibt, da die Pest ebenso als Symbol der deutschen Besatzung in Frankreich wie als pointiertes Beispiel der absurden conditio humana gedeutet werden kann. Geruchsmotive in Samuel Becketts Schauspiel Endgame [1957] fallen noch komplizierter aus. Als der blinde Hamm von Clov verlangt, ihm den Zustand der vom Fenster aus sichtbaren Welt in einem Wort zusammenzufassen, erhält er zur Antwort: »Corpsed!«50 Auch Clov und der Innenraum scheinen von diesem Zustand bedroht zu sein: Hamm: You stink already. The whole place stinks of corpses. Clov : The whole universe. Hamm: [Angrily.] To hell with the universe! […]51
Für die von Hamm erwogene Annahme, daß er und Clov etwas rational Nachvollziehbares bedeuten könnten, hat Clov nur ein kurzes Lachen übrig; im übrigen geht auch Hamm davon aus, daß die Erde von allen rationalen Wesen verlassen wurde.52 Die Rede vom Leichengestank steigert eine Diagnose vom Ende der Natur, das aller Grausamkeit und Aussichtslosigkeit zum Trotz auch in komisches Licht gerückt wird. Es liegt nahe, die Welt des Stücks, das nach einer Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes zu spielen scheint, als symbolische Anspielung auf die zeitgeschichtliche Situation zu verstehen, doch der Einakter bleibt deutungsresistent: Ort, Zeit, Sinn und Problembezug der Szene und der Figurenrede bleiben so unterbestimmt, daß Auslegungen notwendig über das im Rahmen der inszenierten Welt mögliche Wissen hinausschießen. Das Thema des Leichengeruchs läßt an Massentode im Zweiten Weltkrieg oder in Vernichtungslagern des NS-Staates denken, doch solche Lesarten bleiben in einen Rezeptionsprozeß eingebettet, der die Vieldeutigkeit der Szene nicht auflösen kann. Die Themen und Motive des Stücks sind paradox gefügt, weil sie eben den Deutungen, zu denen sie suggestiv einladen, zugleich die Bestätigung entziehen. Der Protagonist von Feridun Zaimog˘lus Roman Abschaum [1997], der als repräsentative Geschichte eines spezifischen Typus urbaner Migrantenkinder im Deutschland der späten 1990er Jahre angelegt ist, berichtet von seiner Teilnahme an der rituellen Waschung der Leiche eines Freundes: 49 Albert Camus, La Peste (Paris: Gallimard, 1947), S. 211. 50 Samuel Beckett, Endgame [1957], in: ders., The Complete Dramatic Works (London: faber and faber, 1986), S. 89–134, hier S. 106. 51 Ebd., S. 114. 52 Ebd., S. 108.
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Drinne warn Scheiß-Gestank, der Scheiß-Hodscha hat son Deospray in die Luft gespritzt, beides zusammen hat son Duft ergeben, daß mir schon das Kotzen kam, allein von dem Geruch in dem Raum. […] Dann sind wir gegangen. Die ganze Zeit hatt ich diesen Geruch und diesen Anblick vor Augen, okay, scheißegal. Er is Leiche, eine ein Monat alte Leiche und so fort, aber er is mein Freund gewesen, er war so leicht, in seinem Körper war weder Blut noch andere Flüssigkeit mehr drinne, der Geruch war scheiße und der Anblick, ich komm heute nicht mal damit klar, ich träum die ganze Zeit von ihm. Der Grund, wieso ich ihn angekuckt hab: Ich weiß, es war nicht das letzte Mal, und ich will mich einfach daran gewöhnen. Ob es richtig war oder nicht, ich weiß es nicht. Jetzt liegt Farouk da, jetzt soll mir irgendeiner sagen, er kommt ins Paradies oder in die Hölle oder irgendsone Scheiße, er liegt da, und das wars, Ende, er hat ein ScheißLeben geführt, is beschissen krepiert, is ein Monat im Leichenschauhaus vergammelt, und jetzt liegt er im Loch, das wars, Ende, aus. Ich frag mich, obs das gewesen sein kann.53
Der Geruch entlarvt die religiöse Würde des Rituals als Schein, fordert zur abhärtenden Versachlichung des Blicks heraus, die nicht gelingt, und macht die Kontinuität zwischen schlechtem Leben und schlechtem Tod sinnfällig. Der Sprachgestus verhindert, daß die Leser im mitfühlenden Zugang zum Schmerz des Erzählers die Härten des geschilderten Lebens emotional verzerren; seine Schroffheit zeugt von einer sozialen Panzerung, die vor der Trostlosigkeit des Erinnerten jedoch nicht schützt, und von einem Zorn, der sich in der Rede vom ›Scheiß-Gestank‹ und anderen Flüchen entlädt. Zaimog˘lus Erzählperspektive ist paradox, weil sie einer realen Person eine stilisierte fiktive Stimme leiht, um den Lesern das fremdartig anmutende Leben eines Menschen nahezubringen, der sich gegen die immer schon verzerrende Nähe zum mainstream zornig sträubt. Der Versuch, über die Grenzen von unvereinbaren Normalitäts-Klassen hinaus einen Anspruch auf Authentizität zur Geltung zu bringen, bleibt widersprüchlich.54 In Sinan Antoons Roman The Corpse Washer [2013] über den Irakkrieg (2003) und anschließenden Bürgerkrieg markiert Leichengeruch kritisch die Signatur einer Epoche, in der das Leben zunehmend vom Tod geprägt und schließlich von ihm beherrscht wird. Zwar spielt der Roman in einer muslimisch geprägten Kultur, deren Totenrituale die gleichgeschlechtlichen Angehörigen als Zuschauer bei der Waschung von Verstorbenen zulassen; die Teilnehmer sind also teils auch in Friedenszeiten den Gerüchen von Toten ausgesetzt, die traditionell mit Lotusblüten und Kampher abgemildert werden. Der Protagonist Jawad ist gegen die Gerüche des Todes jedoch empfindlich und entschließt sich erst unter 53 Feridun Zaimog˘lu, Abschaum. Die wahre Geschichte von Ertan Ongun [1997] (Rotbuch: Hamburg, 2003), S. 8 u. 11. Zum Anspruch des Erzählers auf Repräsentativität siehe ebd., S. 183–184. 54 Zum Begriff der Normalitäts-Klasse siehe Jürgen Link, ›Normalismus: Konturen eines Konzepts‹, in: kultuRRevolution, Nr. 27 (August 1992), S. 50–70, hier S. 68.
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dem unausweichlichen Druck der Kriegsfolgen, seine künstlerischen Ambitionen aufzugeben und als Leichenwäscher in die Fußstapfen seines Vaters zu treten; in diesem Zusammenhang berichten seine Gesprächspartner vom Brandgeruch der Kriegsleichen.55 Jawad meidet die Granatäpfel im Garten des Waschhauses, weil der Baum sich vom Leichenwaschwasser ernährt, doch sein Versuch einer klaren Trennung zwischen schöpferischem Leben und zerstörerischem Tod mißlingt. Am Ende erkennt er sich in diesem Baum, fühlt sich aber, als hätte er selbst keine Zweige mehr, während sein Herz einem verschrumpelten Apfel gleicht, der den Tod in sich trägt; die denormalisierende Kraft der Geschichte – »history is random and violent, storming and uprooting everything and everyone« – erstreckt sich auch auf jene schmerzliche Selbsterkenntnis, die sich auf paradoxe Weise selbst durchstreicht: »But no one knows. No one. The pomegranate alone knows.«56
55 Sinan Antoon, The Corpse Washer (London u. New Haven, CT: Yale University Press, 2013), S. 27, 117 u. 145. 56 Ebd., S. 184.
Literatur
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Quellen
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Personenregister
Adorno, Theodor W. 63 Aliaga, Juan Vicente 140 Antoon, Sinan 148f. Anz, Thomas 134 AriHs, Philippe 13, 27f., 30, 33f., 38, 42f., 124, 139 Aristoteles 13 Baldick, Chris 53 Barbusse, Henri 34, 102–105 Barker, Andrew 11 Barlow, Adrian 34f. Baudelaire, Charles 28 Becher, Johannes R. 115 Beck, Philippe 32, 98 Beckett, Samuel 147 Bendix, Regina 52 Benjamin, Ren8 65f., 68 Benjamin, Walter 134 Bensafi, Moustafa 52, 119 B8rillon, Edgar 68 Beug, Joachim 29 Bloch, Ernst 36 Blumenfeld, Erwin 65 Blunden, Edmund 89, 116, 128f. Bohrer, Karl Heinz 36, 123–125 Borden, Mary 45, 116 Brecht, Bertolt 53, 60–62 Brittain, Vera 45, 116, 130–132 Broich, Ulrich 78 Buchbauer, Gerhard 112 Butts, Mary 114
Cahun, Claude 140 Camus, Albert 144–147 C8line, Louis-Ferdinand 62, 66, 70–73 Chevallier, Gabriel 102, 110–114 Colli, Giorgio 44 Corbin, Alain 15, 27f., 31–33, 38, 42f., 49, 68 Corngold, Stanley 122, 125f. Cuffe, Theo 37 D’Annunzio, Gabriele 145 Das, Santanu 15, 129 Däubler, Theodor 133, 141 Davidoff, Leonore 31 Davies, Paul C. 31, 113 Denizet, Alain 43 Diaconu, Ma˘da˘lina 12f., 16, 21f., 28, 38, 44, 52, 74, 83, 112 Döblin, Alfred 133f. Donat, Helmut 32, 98 DorgelHs, Roland 47, 67, 116f., 119f. Ehrenburg, Ilja 101 Eksteins, Modris 15, 64, 113, 145 Elias, Norbert 31 Engel, Eduard 121 Engels, Friedrich 32 Ernsting, Stefan 35 Fischer, Jens Malte 35 Flex, Walter 51–56, 60f., 126 Foster, David 145 Foucault, Michel 140
162 Freitag, Klaus 19 Freud, Sigmund 102f. Frey, Alexander Moritz 35, 86, 93f. Fussell, Paul 63f. Genet, Jean 34 Genevoix, Maurice 116–118 Gerber, Maria 29, 38 Glahn, Julia A. 27, 139 Goethe, Johann Wolfgang 113 Grande, Jasmin 15, 19, 27f., 32, 139 Graves, Robert 63f. Grimm, Hans Herbert 66, 68f. Grimmelshausen, Hans Jacob Christoph von 30f., 33, 63 Gristwood, Arthur Donald 102, 105–108 Groß, Dominik 15, 19, 27f., 32, 139 Habermas, Jürgen 44, 139 Hahne, Patrick 28, 38 Hall, Catherine 31 Hallett, Christine E. 59 Hardenberg, Henriette 34 Hartwig, Mela 141f. Hasenclever, Walter 119 Hausmann, Raoul 25f. Heller, Erich 29 Hermand, Jost 93 Hettling, Manfred 37 Heuberger, Eva 12, 21f., 26, 52, 83, 112 Heym, Georg 134 Hölderlin, Friedrich 144 Homer 17f., 21, 54f., 121, 124 Horkheimer, Max 63 Hörnigk, Frank 92 Huder, Walther 49, 137 Huelsenbeck, Richard 26 Jahnn, Hans Henny 29 Jena, Major von 49 Jünger, Ernst 16, 36, 47, 54, 116f., 123– 127, 140 Kafka, Franz 29 Kahl, Antje 139 Kaiser, Georg 49, 51, 122, 137
Personenregister
Kanehl, Oskar 35 Kanz, Christine 134 Kanzog, Klaus 51 Kaufmann, Eva 82 Kemper, Hans-Georg 35 Kendall, Tim 116 Kiesel, Helmuth 123 Klemm, Imma 29, 115 Klemm, Wilhelm 29, 62, 115 Knust, Christine 28 Kokoschka, Oskar 25 Kolbert, Jack 52 Köppen, Edlef 35, 75, 79–81 Krause, Frank 37, 81f., 120, 138 Krull, Wilhelm 11 Kubicka, Margarete 114 Kühne, Thomas 22 Laska, Matthias 22, 83 Latzko, Andreas 11f., 87, 113, 119 Lauinger, Horst 85, 101f., 145 Lethen, Helmut 79 Lichtenstein, Alfred 51 Link, Jürgen 14, 148 Loerke, Oskar 34f. Lohmeier, Jens 15, 28, 32–34, 38 Macleod, Jenny 52 Maeterlinck, Maurice 104 Malkmus, Bernhard F. 63, 66 Mann, Thomas 35, 45, 133 Marcuse, Herbert 15 Margolles, Teresa 16 Marinetti, Filippo Tommaso 134 Martini, Fritz 37 Marx, Karl 32 Mateus-Berr, Ruth 12, 21f., 52, 83, 112 Maurois, Andr8 52f., 56–58, 60 Max, Frank Rainer 35 Menninghaus, Winfried 12f., 16, 23, 25, 28, 54, 56f., 73, 87, 102, 104, 133, 139 Merkel, Wolfgang W. 16 Meyer-Sickendiek, Burkhard 17–19, 22, 24, 53, 63, 66, 73, 76 Montinari, Mazzino 44
163
Personenregister
Nietzsche, Friedrich
16, 43f., 46f.
Ohnhäuser, Tim 28 Ossietzky, Carl von 35 Parr, Rolf 14, 36 Paulhan, Jean 75f., 78 Plüschow, Gunther 36 Price, Evadne 47, 145 Rabinow, Paul 140 Rass, Christoph 15, 28, 32–34, 38 Raymond, Ernest 52f., 58–60 Reder, Michael 139 Rehm, Walther 113 Remarque, Erich Maria 12, 14, 17, 34, 36f., 52, 78, 81f., 84, 93, 109, 115, 135 Renn, Ludwig 75, 77f. Rinck, Fanny 52, 119 Rindisbacher, Hans J. 15f., 26, 133, 145 Röhnert, Jan Volker 29, 115 Roth, Joseph 101f. Rouby, Catherine 52, 119 Rubiner, Ludwig 29 Rushdie, Salman 142 Salomon, Ernst von 135f., 138–140 Sartre, Jean-Paul 34 Sassoon, Siegfried 116, 129 Sayers, Dorothy L. 140f. Schafnitzel, Roman 81 Schauwecker, Franz 54, 86, 116, 120–122, 140 Schmidt, Josef 139 Schmitz, Peter 32, 87, 98 Schnack, Anton 100f. Schneider, Karl Ludwig 134 Schneider, Thomas F. 12, 14, 36, 37, 52, 78, 81, 93, 109, 115, 135 Schöffler, Heinz 113 Schreckenberger, Helga 109 Schürer, Ernst 51 Schweikardt, Christoph 27 Sebald, W. G. 145 Seiffert, Hans Werner 37 Seiffert, Konrad 87, 95–97, 144
Sherry, Vincent 15, 113, 122 Smith, Helen Zenna (siehe auch Price, Evadne) 47 Sprengel, Peter 49 Stark, Michael 134 Steinhausen, Mike 141 Stemplinger, Eduard 18 Sternburg, Wilhelm von 82 Sturrock, John 71, 73 Süskind, Patrick 142, 144 Tag, Brigitte 139 Tate, Trudi 15, 104 Theweleit, Klaus 118, 138 Thomas, Adrienne 102, 108–110, 132 Thomes, Paul 28, 38 Tolaas, Sissel 16 Toller, Ernst 85f. Tomlinson, H. M. 85 Trotter, David 15, 113–116, 130 Unruh, Fritz von
84, 137
Vietta, Silvio 35, 62, 86, 119 Vollmer, Hartmut 35, 51, 115, 141 Vollmer, Jörg 115 Voltaire 37 Vondung, Klaus 98 Vosicky, Lukas Marcel 12, 21f., 52, 83, 112 Wagener, Hans 12, 14, 36f., 52f., 78, 81, 93, 109, 115, 135 Waldenfels, Bernhard 21 Webb, Barry 128 Weber, Carl Maria 113 Weber, Sandra T. 12, 26 Weber, Tina 27 Wells, H. G. 106f. West, Arthur Graeme 86–89 Wieland, Christoph Martin 37 Wiesel, Elie 16 Winter, Jay 15 Witkop, Philipp 37 Wöhrle, Oskar 86, 90–92 Wolf, Leo H. 85 Woolf, Virginia 141f.
164 Zaimog˘lu, Feridun 147f. Zola, Pmile 38–44
Personenregister
Zuckmayer, Carl 101 Zweig, Arnold 75, 81–84, 86, 92f.